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2,014
de
2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 300 51 Ausstand; Anwaltskommission Die blosse Vertretung einer Gegenpartei in einem Verfahren, in welchem ein Anwalt als unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt ist, begründet für sich alleine keinen Anschein der Befangenheit eines Mitglieds der An- waltskommission. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. August 2014 in Sachen A. gegen Anwaltskommission (WBE.2014.95). Aus den Erwägungen 1.3. § 16 VRPG regelt den Ausstand. Erfasst werden teilweise gene- ralklauselartig Umstände, die geeignet sind, das Misstrauen (von aus- sen) in die Unparteilichkeit eines Behördemitglieds zu erwecken; solche Umstände können im persönlichen Verhalten oder auch in funktionellen oder organisatorischen Begebenheiten begründet sein (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an der Grossen Rat vom 14. Februar 2007, 07.27, S. 26). Gemäss § 16 Abs. 1 VRPG darf am Erlass von Entscheiden unter anderem nicht mitwirken, wer in der Sache ein persönliches Interesse hat (lit. a); wer eine Partei vertritt oder für eine Partei in der gleichen Sache tätig war (lit. c); wer aus andern als in lit. a bis d genannten Gründen in der Sache be- fangen sein könnte (lit. e). Zur Konkretisierung der Ausstandsgründe kann die bundesge- richtliche Rechtsprechung zu Art. 30 Abs. 1 BV herangezogen wer- 2014 Verwaltungsrechtspflege 301 den (vgl. VGE IV/43 vom 27. Juni 2012 [WBE.2012.166], Erw. II). Danach hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Voreingenommenheit und Befangenheit werden nach der Rechtspre- chung angenommen, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können entweder in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein (BGE 136 I 207, Erw. 3.1; 134 I 238, Erw. 2.1). Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich befangen ist (BGE 136 I 207, Erw. 3.1; 135 I 14, Erw. 2; 131 I 113, Erw. 3.4). 1.4. Die Anwaltskommission setzt sich zusammen aus zwei Oberrichterinnen oder Oberrichtern, zwei in einem kantonalen An- waltsregister eingetragenen Anwältinnen oder Anwälten und einer weiteren Person mit Fähigkeitsausweis als Anwältin oder Anwalt so- wie einer gleichen Zahl von Ersatzmitgliedern mit entsprechender beruflicher Tätigkeit beziehungsweise Fähigkeitsausweis (§ 6 Abs. 2 EG BGFA). B. ist Mitglied der Anwaltskommission und als selbständige Anwältin mit Büro in C. tätig. Nach dem Willen des kantonalen Ge- setzgebers sollen frei praktizierende Anwälte in der Anwaltskommis- sion Einsitz nehmen. Verwiesen wurde unter anderem darauf, dass diese Mitglieder regelmässig wichtige Hinweise auf die Praxis und den Rechtsalltag geben und so, wie etwa die Fachrichter am Verwal- tungsgericht, für praxisnahe Entscheide sorgen. Im Gesetzge- bungsverfahren wurden Bedenken, dass diese Regelung zu wenig Gewähr für unabhängige und wettbewerbsrechtlich unbedenkliche Entscheide biete, explizit verworfen (vgl. Botschaft des Regierungs- rats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 12. November 2003, 03.310, S. 11). Diesem Umstand ist in Bezug auf den Anschein 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 302 von Befangenheit Rechnung zu tragen, wenn wie vorliegend ein Mit- glied der Anwaltskommission in einem Verfahren, in welchem ein Beanzeigter eine Vertretung innehat, eine Gegenpartei vertritt. Die Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbands kön- nen beschränkt als Auslegungshilfe der Sorgfaltspflichten herangezo- gen werden (vgl. AGVE 2008, S. 277; BGE 130 II 270, Erw. 3.1.3). Insoweit sie allgemein anerkannte Prinzipien zum Ausdruck bringen (vgl. AGVE 2012, S. 214 mit Hinweisen), können sie auch für die Bewertung von kollegialen Beziehungen als Massstab beigezogen werden. Sie sehen in Art. 24 für das Verhalten unter Kollegen ein Ge- bot der Fairness und Kollegialität vor. Danach greifen Rechtsanwäl- tinnen und Rechtsanwälte Kolleginnen und Kollegen bei ihrer Berufsausübung nicht persönlich an. Eine diesbezügliche Verfehlung von Rechtsanwältin B. behauptet der Beschwerdeführer nicht. Viel- mehr leitet er ihre Befangenheit als Mitglied der Aufsichtskommis- sion aus dem blossen Umstand der Vertretung einer Gegenpartei in einem Prozess ab, in welchem er als unentgeltlicher Rechtsvertreter eingesetzt ist. Dass dieser Prozess möglicherweise mit tatsächlichen oder rechtlichen Herausforderungen verbunden ist, kann keinen An- schein der Voreingenommenheit begründen. Es überzeugt auch nicht, das Scheitern von Vergleichsverhandlungen (ausschliesslich) auf den Willen einer Gegenanwältin zurückzuführen. Ohnehin wirkt der Vor- wurf der fehlenden Objektivität konstruiert, da zwischen dem Auf- sichtsverfahren und den Prozessvertretungen keinerlei Zusammen- hang besteht. Es ist geradezu lebensfremd, einem Mitglied der Auf- sichtskommission, welches als Anwältin in einem (parallelen) Schei- dungsverfahren tätig ist, gleichsam "unbedingten Siegeswillen" vorzuhalten und aus dieser Einstellung eine relevante Befangenheit zu konstruieren. Es ist nicht ersichtlich, dass B. ein persönliches Inte- resse am Ausgang des Aufsichtsverfahrens haben oder aus irgendwelchen Gründen befangen sein könnte. Dieses Vorbringen er- weist sich als unbegründet. Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob der Beschwer- deführer bereits vor dem Entscheid der Anwaltskommission ein Aus- standsbegehren zu stellen hatte. Die ordentliche Besetzung der An- 2014 Verwaltungsrechtspflege 303 waltskommission ist aus dem Staatskalender und dem Internet ersichtlich.
1,317
1,052
AG_VG_001
AG_VG
AG
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AG_VG_001_AGVE-2014-51_2014-08-03
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2,013
de
2013 Migrationsrecht 121 [...] 24 Ausschaffungshaft; Haftentlassungsgesuch; Haftverlängerung gestützt auf neuen Haftgrund Es ist nicht zu beanstanden, wenn das MIKA anlässlich einer Verhand- lung betreffend Haftentlassung auf einen neuen Haftgrund abstellt und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine Haftverlänge- rung beantragt (Erw. 3.3.). Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 20. März 2013 in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integration (WPR.2013.45).
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2,013
de
2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 300 [...] 48 Interkantonale Vereinbarung für Soziale Einrichtungen (IVSE): Kosten der Fremdplatzierung im Kinderheim - Die Leistungsabgeltung hat im Unterschied zu materieller Hilfe für nicht geleistete Elternbeiträge Subventionscharakter, weshalb das Zuständigkeitsgesetz nicht anwendbar ist. - Schuldner der Leistungsabgeltung sind mit Ausnahme der Elternbei- träge die zahlungspflichtigen Stellen und Personen des Kantons, in welchem die Leistung beanspruchende Person zivilrechtlichen Wohnsitz hat. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. März 2013 in Sachen A. gegen Stadtrat B. und Bezirksamt B. (WBE.2012.332). Aus den Erwägungen 2013 Sozialhilfe 301 1. 1.1. Strittig ist unter den Parteien, welches Gemeinwesen für die Fremdplatzierungskosten der Beschwerdeführerin aufzukommen hat bzw. in welchem Umfang. Unterschiedliche Auffassungen bestehen bereits bezüglich der massgebenden Rechtsgrundlage. 1.2.-1.4. (...) 2. Das ZUG bestimmt, welcher Kanton für die Unterstützung ei- nes Bedürftigen, der sich in der Schweiz aufhält, zuständig ist (Art. 1 Abs. 1 ZUG). Es ist ein blosses Zuständigkeitsgesetz und bestimmt den Kanton, in dem sich die zuständige Fürsorgebehörde befinden muss, ohne in die interne Zuständigkeitsordnung der Kantone ein- zugreifen (W ERNER T HOMET , Kommentar zum ZUG, Zürich 1994, Rz. 55). Nicht als Unterstützungen im Sinne des Gesetzes gelten un- ter anderem Beiträge mit Subventionscharakter (Art. 3 Abs. 2 lit. a ZUG). Als Unterstützungen gelten somit nur solche Leistungen des Gemeinwesens, die im Einzelfall nach den individuellen Bedürfnis- sen des Empfängers von der Fürsorgebehörde bemessen werden und jederzeit angepasst werden können. Wesentliches Merkmal der Un- terstützung ist, dass die Fürsorgebehörde nach pflichtgemässem Er- messen entscheidet, ob und wie Bedürfnisse des Empfängers abge- deckt werden müssen, damit sein Lebensunterhalt im Sinne von Art. 2 ZUG gesichert ist (T HOMET , a.a.O., Rz. 75). 3. 3.1. Die Interkantonale Vereinbarung für Soziale Einrichtungen (IVSE) vom 13. Dezember 2002 (SAR 428.030) ist die Nachfolge- vereinbarung der Interkantonalen Vereinbarung über Vergütungen an Betriebsdefizite und die Zusammenarbeit zugunsten von Kinder- und Jugendheimen sowie von Behinderteneinrichtungen (Interkantonale Heimvereinbarung, IHV). Die IHV unterschied zwischen dem sog. Kostgeld, dessen Kostenträger sich aufgrund des ZUG bestimmte, und dem sog. Betriebsdefizit, welches keine Sozialhilfeleistung darstellte und für welches der Unterbringerkanton aufzukommen hatte. In der Praxis wurde für die Bestimmung des Unterbringer- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 302 kantons der zivilrechtliche Wohnsitz herangezogen (Entscheide der Gerichts- und Verwaltungsbehörden des Kantons Schwyz [EGV-SZ] 2002, B. 13.1, S. 124 ff.; St. Gallische Gerichts- und Verwaltungs- praxis [SGGVP] 1999, Nr. 88, S. 210, Erw. 2e). Das Kostgeld (resp. der Versorger- oder der Elternbeitrag) wurde, soweit nicht durch den Inhaber der elterlichen Sorge bezahlt, der Fürsorgerechnung zuge- führt, wobei das ZUG zur Anwendung gelangte. Gestützt auf die IHV vergüteten die Kantone einander die Betriebsdefizite für in einem Heim oder in einer Einrichtung ausserhalb des Kantons Un- tergebrachte anteilsmässig nach den Bestimmungen der Vereinba- rung. Heimdefizitbeiträge galten dabei nicht als Unterstützungen im Sinne des ZUG (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 11. März 1999 [1P.481/1998] = Zeitschrift für Sozialhilfe [ZESO] 11/2000, S. 177; EGV-SZ 2002, B. 13.1, S. 124 ff.). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hatten entsprechende Beiträge Subventionscharakter (Art. 3 Abs. 2 lit. a ZUG; Urteil des Bundesgerichts vom 29. Juni 2006 [2A.134/2006], Erw. 3.1; vgl. auch Botschaft zur Änderung des ZUG vom 22. November 1989, 89.077, BBl 1990 57). Art. 3 Abs. 3 IHV sah vor, dass die Vereinbarungskantone im Rahmen der Anwendbarkeit des Konkordats darauf verzichteten, die bei der Unterbringung von Kantonseinwohnern in einer ausserkantonalen Institution zu vergütenden Heimdefizite zurückzufordern (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 29. Juni 2006 [2A.134/2006], Erw. 3.1). 3.2. 3.2.1. Die IVSE bezweckt, die Aufnahme von Personen mit besonde- ren Betreuungs- und Förderungsbedürfnissen in geeigneten Einrich- tungen ausserhalb ihres Wohnkantons ohne Erschwernisse zu ermög- lichen (Art. 1 Abs. 1 IVSE). Die IVSE regelt das Aussenverhältnis zwischen den Kantonen; die interne Organisation wird nicht tangiert (vgl. Kommentar zur IVSE der Konferenz der kantonalen Sozialdi- rektoren [SODK], abrufbar unter: http://sodk-cdas-cdos.ch, Art. 1 Abs. 1). Der Bereich A des Konkordats (Kinder- und Jugendheime), welchem die Kantone Aargau und Zürich beigetreten sind, betrifft stationäre Einrichtungen, die gestützt auf eidgenössisches oder kan- tonales Recht Personen bis zum vollendeten 20. Altersjahr, längstens 2013 Sozialhilfe 303 jedoch bis nach Abschluss der Erstausbildung beherbergen, sofern sie vor Erreichen der Volljährigkeit in eine Einrichtung eingetreten oder dort untergebracht worden sind (Art. 2 Abs. 1 IVSE; IVSE i.f.). Nach Art. 19 Abs. 1 IVSE sichert der Wohnkanton der Einrich- tung des Standortkantons mittels Kostenübernahmegarantie (KÜG) die Leistungsabgeltung zu Gunsten der Person für die zu garantieren- de Periode zu. Schuldner der Leistung ist aber nicht der Wohnkanton selber, sondern sind dessen zahlungspflichtige Stellen (vgl. K ARIN A NDERER , Die Interkantonale Vereinbarung für soziale Einrich- tungen [IVSE] und Das Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG], in: C HRISTOPH H ÄFELI et al. [Hrsg.], Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 207). Der Wohnkanton ist derjenige Kanton, in dem die Person, welche die Leistungen beansprucht, ihren zivilrechtlichen Wohnsitz hat (Art. 4 lit. d IVSE). Standortkanton ist der Kanton, in dem die Einrichtung ihren Standort hat. Wird die unternehmerische und finanzielle Herrschaft über die Einrichtung in einem anderen Kanton ausgeübt, so kann dieser als Standortkanton vereinbart werden (lit. e). 3.2.2. Die Unterscheidung zwischen Kostgeld und Betriebsdefizit, wie sie in der IHV vorgesehen war, findet die ihr entsprechende Rege- lung in Art. 20 ff. IVSE (Leistungsabgeltung). Die Leistungsabgeltung berechnet sich aus dem anrechenbaren Nettoaufwand abzüglich der Bau- und Betriebsbeiträge des Bundes. Der verbleibende Betrag wird auf die Person pro Verrechnungsein- heit umgerechnet (Art. 20 Abs. 1 IVSE). Der anrechenbare Nettoauf- wand ergibt sich aus dem anrechenbaren Aufwand abzüglich des an- rechenbaren Ertrages (Abs. 2). Als anrechenbarer Aufwand gelten die für die Leistung erforderlichen Personal- und Sach- inkl. Kapitalkos- ten und Abschreibungen (Art. 21 Abs. 1 IVSE; vgl. hierzu: Kommen- tar zur IVSE, a.a.O., Art. 20 und 21). Als anrechenbarer Ertrag gelten Einnahmen aus dem Leistungsbereich inkl. Kapitalerträge sowie frei- willige Zuwendungen, soweit diese für den Betrieb bestimmt sind (Abs. 2; vgl. hierzu die IVSE-Richtlinie zur Leistungsabgeltung und zur Kostenrechnung der SODK vom 1. Dezember 2005 [IVSE- Richtlinie AKORE]). 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 304 3.3. Die Bestimmungen des Betreuungsgesetzes zur Finanzierung und Kostenverteilung gelten für alle Leistungen, die anerkannte und kantonale Einrichtungen im Rahmen ihres Leistungsauftrags für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen mit zivilrechtli- chem Wohnsitz beziehungsweise bei Ambulatorien und Tagessonder- schulen mit Aufenthalt im Kanton erbringen (§ 23 Abs. 1 des Ge- setzes über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen [Betreuungsgesetz; SAR 428.500]). Diese Bestimmungen finden auch Anwendung für die vom zuständigen Departement bewilligten Leistungen ausserkantonaler Einrichtungen. Der Regierungsrat regelt die Bewilligungsvoraussetzungen und das Verfahren (§ 23 Abs. 2 Betreuungsgesetz). Die Bewilligungsvoraus- setzungen für Leistungen ausserkantonaler Einrichtungen sind in §§ 49 ff. der Verordnung über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen vom 8. November 2006 (Betreu- ungsverordnung; SAR 428.511) geregelt. Nach § 25 Abs. 2 des Betreuungsgesetzes leisten die Wohnsitz- gemeinden der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in stationären Einrichtungen gemäss § 2 Abs. 1 lit. b und c diesen Ein- richtungen eine vom Regierungsrat auf maximal Fr. 1'600.00 pro Person und Monat festgesetzte Pauschale. Die Gemeindepauschalen betragen gemäss § 53 Abs. 1 der Betreuungsverordnung (in der bis 31. Dezember 2012 geltenden Fassung) für Tagessonderschulen Fr. 600.00, für stationäre Sonderschulen und für stationäre Kinder- und Jugendeinrichtungen Fr. 1'200.00 pro Person und Kalendermo- nat. 4. 4.1. Der Leistungsabgeltung nach Art. 19 ff. IVSE kommt grund- sätzlich Subventionscharakter nach Art. 3 Abs. 2 lit. a ZUG zu. Sie setzt sich aus dem anrechenbaren Nettoaufwand abzüglich der Bau- und Betriebsbeiträge des Bundes zusammen und wird pro Verrech- nungseinheit (i.d.R. pro Kalendertag) verrechnet. Es handelt sich um keine Sozialhilfeleistung und sie kann im Unterschied zu den Bei- trägen der Unterhaltspflichtigen, welche nicht geleistet werden 2013 Sozialhilfe 305 (Art. 22 Abs. 2 IVSE), nicht bei der Sozialhilfebehörde geltend ge- macht werden. Damit gelangen die Bestimmungen des ZUG auf die Leistungsabgeltung grundsätzlich nicht zur Anwendung. Für die Übernahme der Beiträge der Unterhaltspflichtigen ist hingegen die Zuständigkeitsregelung des ZUG massgebend (vgl. A NDERER , a.a.O., S. 207; Kommentar zur IVSE, a.a.O., Art. 22; vgl. zur Zürcher Pra- xis: Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 14. Juli 2010 [VB.2010.00165], Erw. 3.3.1.2; Sozialhilfe-Behörden- handbuch 1993-2010 des Kantonalen Sozialamtes Zürich, 2010, S. 309, abrufbar unter: www.sozialamt.zh.ch). 4.2. Als Zwischenergebnis kann somit festgehalten werden, dass der zivilrechtliche Wohnkanton der Leistung beanspruchenden Person bzw. dessen zahlungspflichtige Stellen und Personen Leistungs- schuldner der Leistungsabgeltung nach Art. 19 ff. IVSE sind (vgl. Art. 4 lit. d IVSE; A NDERER , a.a.O., S. 207 f.). Hiervon ausgenommen sind die Elternbeiträge nach Art. 22 IVSE. Diese sind indessen nicht Gegenstand des verwaltungsgericht- lichen Verfahrens (§ 48 Abs. 2 VRPG).
2,552
1,932
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
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2,013
de
2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 56 [...] 11 Krisenintervention bei (längerfristiger) familiengerichtlicher fürsorgeri- scher Unterbringung Die familiengerichtliche fürsorgerische Unterbringung zur Betreuung in einer Wohn- und Pflegeeinrichtung bleibt bestehen, auch wenn zwischen- durch kurzfristige ärztliche fürsorgerische Unterbringungen zur Behand- lung (Krisenintervention) in einer psychiatrischen Klinik stattfinden. Beschluss des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 25. Januar 2013 in Sa- chen M.Z. gegen den Entscheid des Amtsarztes X. (WBE.2013.21). 2013 Fürsorgerische Unterbringung 57 Aus den Erwägungen 7. 7.1. Es stellt sich sodann die Frage des Verhältnisses der Unter- bringung des Beschwerdeführers in der Stiftung Satis zu derjenigen in der Klinik Königsfelden. Mit Verfügung des Bezirksamts Z. vom 12. Oktober 2006 wurde der Beschwerdeführer per fürsorgerischer Freiheitsentziehung (neu: fürsorgerische Unterbringung) in die Stif- tung Satis eingewiesen. Diese Verfügung wurde bis heute nicht aufgehoben. Mit amtsärztlicher Verfügung vom 18. Januar 2013 wurde der Beschwerdeführer per fürsorgerischer Unterbringung zur Behandlung und Medikamenteneinstellung in die Klinik Königsfel- den eingewiesen. 7.2. Grundsätzlich wird eine fürsorgerische Unterbringung durch eine neue Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung in eine andere Einrichtung aufgehoben. Es stellt sich nun aber die Frage, ob dies auch gilt, wenn eine längerfristige Unterbringung zur Betreuung in einer Wohn- bzw. Pflegeeinrichtung durch die Kindes- und Er- wachsenenschutzbehörde angeordnet worden ist, und es zwischen- durch zu Kriseninterventionen durch ärztliche Einweisungen zur Be- handlung in einer psychiatrischen Klinik kommt. Gemäss Art. 426 Abs. 1 ZGB darf eine Person, die an einer psychischen Störung lei- det, in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann. Dabei ist der Sinn einer Einweisung zur psychiatrischen Behandlung einer- seits und einer Einweisung zur Betreuung andererseits zu unterschei- den. Da ärztliche Einweisungen maximal für sechs Wochen Gültig- keit haben (Art. 429 Abs. 1 ZGB i.V.m. § 67c Abs. 1 EG ZGB), han- delt es sich dabei regelmässig um Unterbringungen in einer psy- chiatrischen Klinik zur Behandlung der psychischen Störung. Dem- gegenüber sind Unterbringungen zur Betreuung längerfristige Mass- nahmen im Sinne von Platzierungen, welche durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden bzw. im Kanton Aargau durch die Fa- miliengerichte angeordnet werden (§ 59 Abs. 1 EG ZGB). Damit soll 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 58 eine längerfristige stationäre Betreuung des Betroffenen sicherge- stellt werden. Zur Aufhebung dieser Massnahme ist nur das Fami- liengericht, nicht aber ein Amtsarzt befugt (Art. 428 Abs. 1 i.V.m. Art. 429 Abs. 2 und 3 ZGB). Somit ergibt sich, dass familiengericht- liche Unterbringungen zur Betreuung weiterhin Gültigkeit haben, auch wenn sie zwischendurch faktisch durch amtsärztliche Unter- bringungen zur psychiatrischen Behandlung unterbrochen werden. Sobald die Voraussetzungen der fürsorgerischen Unterbringung zur Behandlung weggefallen sind, ist die betroffene Person in die Wohn- oder Pflegeeinrichtung zurückzubringen. Dieselben Schlussfolgerungen ergeben sich im Übrigen auch dann, wenn durch ein Familiengericht eine fürsorgerische Unter- bringung zur Betreuung und Behandlung in einer Institution für Langzeittherapie (z.B. REHA-Haus Effingerhort) angeordnet wurde und zusätzlich zwischenzeitlich eine ärztliche Einweisung in eine psychiatrische Klinik erfolgt. 7.3. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer im Jahr 2006 zur Betreuung in das Wohnheim der Stiftung Satis eingewiesen. Die Verfügung des Bezirksamts Z. vom 12. Oktober 2006 hat somit nach wie vor Gültigkeit, wobei die Zuständigkeit durch die Gesetzesrevi- sion auf das Familiengericht Z. übertragen worden ist (Art. 14a Schlusstitel ZGB i.V.m. § 59 Abs. 1 EG ZGB). Diese Unterbringung wurde durch die Verfügung des Amtsarztes X. vom 18. Januar 2013 nicht tangiert, da es sich dabei lediglich um eine (mehr oder weniger kurzfristige) psychiatrische Behandlung im Sinne einer Kriseninter- vention handelt. 7.4. Der Beschwerdeführer erklärte anlässlich der Verhandlung, nach Abschluss der Behandlung in der Klinik Königsfelden freiwillig in die Stiftung Satis zurückzukehren. Aus dem Gesagten folgt, dass er andernfalls nach Massgabe der durch das Bezirksamt Z. ausge- sprochenen fürsorgerischen Freiheitsentziehung verpflichtet wäre, wieder in die Stiftung Satis einzutreten. Das Familiengericht Z. wird gestützt auf Art. 431 ZGB in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Schluss- titel ZGB spätestens bis zum 30. Juni 2013 überprüfen müssen, ob 2013 Fürsorgerische Unterbringung 59 die Voraussetzungen für eine fürsorgerische Unterbringung in der Stiftung Satis weiterhin erfüllt sind.
1,051
836
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2013-11_2013-01-01
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2,004
de
2004 Sozialhilfe 253 [...] 61 Materielle Hilfe. - Wer eine zu teure Wohnung mietet, obwohl er weiss oder wissen muss, dass er umgehend materielle Hilfe wird beanspruchen müssen, hat von Anfang an keinen Anspruch auf Übernahme der gesamten Wohn- kosten. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 14. Mai 2004 in Sa- chen F.W. gegen Entscheid des Bezirksamtes Z. Aus den Erwägungen 3. a) Bei der Berechnung der Wohnkosten für die Sozialhilfe können hilfesuchende Personen keine höheren Ansprüche stellen als Familien oder Personen, die sich in knappen finanziellen Verhältnis- sen selber durchbringen und entsprechende Einschränkungen hin- 2004 Verwaltungsgericht 254 nehmen müssen (vgl. VGE II/23 vom 31. März 2004 [BE.2003.00359] in Sachen E.G., S. 12; SKOS-Richtlinien, Ziff. A.4 "Angemessenheit der Hilfe"). Die Beschwerdeführerin geht von einem falschen Massstab aus, wenn sie auf die "mittleren Bedürf- nisse unserer Gesellschaft" Bezug nimmt. Dass die Beschwerdeführerin mit ihrem 15-jährigen Sohn eine 3-Zimmer-Wohnung beanspruchen kann, wird vom Gemeinderat gar nicht bestritten. Vielmehr geht es um die angemessenen Mietkosten für eine Wohnung dieser Grösse. Der Gemeinderat hat dargelegt, dass in A. dauernd ein gewisser Leerwohnungsbestand vorhanden ist, und verfügbare 3- und 4-Zimmer-Wohnungen mit Mietzinsen, inkl. Nebenkosten, zwischen Fr. 800.-- und Fr. 1'000.-- aufgelistet. Diese Ausführungen sind glaubhaft und wurden denn auch gar nicht in Zweifel gezogen. Damit steht fest, dass zumutbare, billigere Woh- nungen als die von der Beschwerdeführerin gemietete vorhanden sind. b) aa) Weigert sich eine unterstützte Person, in eine effektiv ver- fügbare und zumutbare günstigere Wohnung umzuziehen, dann kön- nen die anrechenbaren Wohnkosten auf jenen Betrag reduziert wer- den, der durch die günstigere Wohnung entstanden wäre (SKOS- Richtlinien, Ziff. B.3). Diese Formulierung bezieht sich auf die Si- tuation, in der jemand in einer Mietwohnung lebt und neu materielle Hilfe beantragen muss. Sind die effektiven Wohnkosten höher, als es angemessen wäre, ist also die unterstützte Person zunächst mittels Weisung dazu anzuhalten, eine zumutbare günstigere Wohnung zu beziehen, andernfalls die Wohnkosten nur noch im angemessenen Betrag übernommen werden (§ 13 Abs. 2 SPG). Bis eine zumutbare günstigere Lösung zur Verfügung steht - unter Berücksichtigung üblicher Kündigungsfristen -, sind die überhöhten Wohnkosten durch die Sozialhilfe zu übernehmen (SKOS-Richtlinien, Ziff. B.3). Nur bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten der unterstützten Person (vgl. dazu § 15 Abs. 3 SPV) bzw. Verstössen gegen Treu und Glau- ben kann die Kürzung bereits früher erfolgen (erwähnter VGE vom 31. März 2004, S. 13 f.). Streitpunkt ist, ob der Gemeinderat das beschriebene Verfahren mit Weisung zum Umzug hätte durchführen müssen oder ob er zu 2004 Sozialhilfe 255 Recht von allem Anfang an nur Fr. 900.-- Mietkosten anrechnete, weil die Beschwerdeführerin gegen Treu und Glauben handelte, als sie bei ihrer Rückkehr nach A. auf den 1. Juni 2003 eine Wohnung für Fr. 1'360.--/Monat, inkl. Nebenkosten, mietete. bb) Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin schon im Okto- ber 2002 in A. ein Gesuch um materielle Hilfe einreichte und dass damals die Höhe der akzeptablen Mietkosten diskutiert wurde und zu Streit führte... Der Beschwerdeführerin war somit bei ihrer Rückkehr nach A. bekannt, dass die Sozialhilfe die Mietkosten nur bis zu ei- nem Höchstbetrag übernehmen würde. cc) Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe infolge der zeitlichen Dringlichkeit keine andere Wohnung gefunden. Sie be- hauptet aber selber nicht, sie habe sich damals um Unterstützung an die Sozialen Dienste gewandt, sondern bestreitet dies sogar aus- drücklich. Wer sich gar nicht auf adäquate Weise umsieht, kann sich nicht darauf berufen, keine günstigere Wohnung gefunden zu haben. dd) Weiter bringt die Beschwerdeführerin vor, sie habe bei der Rückkehr nach A. damit gerechnet, eine Arbeitsstelle zu finden und demzufolge keine materielle Hilfe zu benötigen. Deshalb habe sie sich nicht veranlasst gesehen, eine billigere Wohnung zu suchen. Leider habe sie aber damals keine Stelle gefunden. Für diese Version mag der Umstand sprechen, dass die Beschwerdeführerin nicht schon im Juni, sondern erst am 28. August 2003 das Gesuch um materielle Hilfe stellte. Indessen ist sie seit längerer Zeit arbeitslos (schon beim ersten Gesuch vom Oktober 2002 bezog sie Taggelder der Arbeitslo- senversicherung) und brachte im vorinstanzlichen Verfahren selber vor, sie habe sich zu einer Weiterbildung entschlossen, weil es sehr schwierig sei, ohne Zusatzausbildung eine Anstellung im Verkauf zu finden. Unter diesen Umständen konnte sie nicht im Ernst darauf vertrauen, keine materielle Hilfe zu benötigen, sondern musste viel- mehr damit rechnen, umgehend wieder von Sozialhilfe abhängig zu sein. ee) Zusammenfassend steht fest, dass die Beschwerdeführerin per 1. Juni 2003 eine Wohnung zu Fr. 1'360.-- Mietzins mietete, ob- wohl sie damit rechnen musste, umgehend wieder Sozialhilfe bean- spruchen zu müssen, obwohl ihr bekannt war, dass bei der Berech- 2004 Verwaltungsgericht 256 nung der materiellen Hilfe ein tieferer Ansatz für Mietkosten zur Anwendung kommt, und obwohl es objektiv möglich gewesen wäre, eine günstigere Wohnung im Bereich dieses Ansatzes zu finden. Ein solch unkorrektes, gegen Treu und Glauben verstossendes Vorgehen verdient keinen Schutz. Es trifft zu, dass damit der Rechtsschutz gegenüber dem Vorge- hen mit Weisung zum Umzug (vorne Erw. b/aa) verschlechtert wird, indem es der Beschwerdeführerin nicht möglich ist, gegen diese Weisung Rechtsmittel zu ergreifen mit der Begründung, sie sei un- verhältnismässig, und von der Dauer der Rechtsmittelverfahren zu profitieren, indem die Sozialhilfe für so lange noch die ganze - zu hohe - Miete übernehmen muss (die Beschwerdeführung und-be- gründung, schon im vorinstanzlichen Verfahren, lässt darauf schlies- sen, dass es um genau diese Wirkung geht). Doch ist diese Folge dem Verhalten der Beschwerdeführerin angemessen. c) Wer vorgeht wie die Beschwerdeführerin, muss in Kauf nehmen, die Differenz zwischen dem effektiven Mietzins und den bekannten tieferen Mietkosten, die bei der Bedarfsberechnung zur Anwendung gelangen, selber tragen und sich deshalb bei anderen Posten der materiellen Hilfe umso mehr einschränken zu müssen. Einer hilfsbedürftigen Person, die im Rahmen ihrer Eigenverant- wortung (vgl. § 1 Abs. 2 SPG) wirklich so leben will, soll es nicht verwehrt bleiben. Es ist deshalb von Bedeutung, welche Limiten ihr bekannt gegeben wurden, und geht nicht an, bei sofortiger Anwen- dung des Mietkostenansatzes (d.h. ohne vorheriges Weisungsverfah- ren) einen tieferen als den bekannt gegebenen Ansatz zur Anwen- dung zu bringen. Eine derartige, gleichsam zusätzliche Sanktion lässt sich auch mit dem unkorrekten Verhalten der Beschwerdeführerin nicht begründen.
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2010 Einbürgerungen 239 X. Einbürgerungen 45 Keine Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK; Anforderungen hinsichtlich der für die Einbürgerung erforderlichen Sprachkenntnisse. - Art. 6 EMRK ist auf Einbürgerungsverfahren nicht anwendbar (Erw. I./4.2). - Auslegung des Integrations- und Vertrautheitserfordernisses (Erw. II./5). - Überprüfung der Sprachkenntnisse: verfahrensmässige und inhalt- liche Anforderungen (Erw.II./6). Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 6. Dezember 2010, in Sa- chen M. (WBE.2010.254). Aus den Erwägungen I. 1.-2. (...) 3. (...) 4. 4.1. Dem Antrag auf Durchführung einer Verhandlung mit Partei- befragung und Zeugeneinvernahme ist nicht zu entsprechen. Ob und was der Gemeindeammann der Einwohnergemeinde der Beschwer- deführerin 1 und/oder ihrem Ehemann im Verlauf des Einbürge- rungsverfahrens mündlich mitgeteilt und/oder zugesichert hat, spielt für den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine Rol- le. Selbst wenn der Gemeindeammann irgendwelche Zusicherungen abgegeben haben sollte, musste der (vertretenen) Beschwerdefüh- rerin 1, insbesondere nachdem sie bereits einmal erfolglos ein Ein- bürgerungsverfahren durchlaufen hatte, klar sein, dass allein die Ein- 2010 Verwaltungsgericht 240 wohnergemeindeversammlung für die Zusicherung des Bürgerrechts zuständig ist. 4.2. Ein Anspruch auf Durchführung einer Verhandlung lässt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer auch nicht aus Art. 6 EMRK ableiten. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der in Art. 6 EMRK verankerten Verfahrensgarantien ist ein materieller Rechtsanspruch nach innerstaatlichem Recht (C HRISTOPH G RABEN - WARTER , Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl., München 2009, S. 330 mit Hinweis). Bei der ordentlichen Einbürgerung be- steht kein Anspruch auf Erteilung des Bürgerrechts. Dazu kommt, dass Verfahren über die Verleihung und die Aberkennung der Staatsbürgerschaft nicht vom Begriff der "civil rights" erfasst sind und damit nicht zu den zivilrechtlichen Verfahren im Sinne von Art. 6 EMRK gehören (G RABENWARTER , a.a.O, S. 335). II. 1.-3.(...) 4. 4.1. In der Sache wenden sich die Beschwerdeführer in erster Linie dagegen, dass die Gemeindebehörden mit Bezug auf die Beschwer- deführerin 1 von ungenügenden Deutschkenntnissen und einer unzu- reichenden Integration ausgegangen sind. 4.2. Vor Erteilung der Einbürgerungsbewilligung ist bei der ordent- lichen Einbürgerung gemäss Art. 14 BüG zu prüfen, ob der Bewerber zur Einbürgerung geeignet ist, insbesondere ob er (a) in die schwei- zerischen Verhältnisse eingegliedert ist, (b) mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist, (c) die schweizerische Rechtsordnung beachtet, und (d) die innere oder äus- sere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (Art. 14 lit. a - d BüG). Auf Kantonsebene ist gemäss § 6 KV allein der kantonale Ge- setzgeber zum Erlass von Normen betreffend das Kantons- und Ge- meindebürgerrecht zuständig; eine Zuständigkeit der Gemeinden besteht insoweit nicht (vgl. K URT E ICHENBERGER , Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, § 6 N 1). 2010 Einbürgerungen 241 Gemäss § 5 Abs. 1 KBüG können Ausländer, welche die Vorausset- zungen für die Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewil- ligung erfüllen, um Aufnahme in das Kantons- und Gemeindebürger- recht nachsuchen, wenn sie bei der Einreichung des Gesuchs seit mindestens drei Jahren ohne Unterbruch in derselben Gemeinde wohnen und gesamthaft fünf Jahre im Kanton wohnhaft gewesen sind (§ 5 Abs. 1 KBüG). Das kantonale Recht knüpft, abgesehen von einer Zusatzregelung des Wohnsitzerfordernisses (Art. 15 BüG), für die materiellen Voraussetzungen der Einbürgerung allein an die bun- desrechtlichen Anforderungen an und stellt keine zusätzlichen Er- fordernisse auf. Ob die Voraussetzungen für eine Aufnahme ins Ge- meinde- bzw. Kantonsbürgerrecht erfüllt sind, bestimmt sich dem- nach allein nach den Kriterien gemäss Art. 14 lit. a - d BüG. 5. 5.1. Inhaltlich zeichnet sich das Schweizerbürgerrecht dadurch aus, dass es kein blosses Statusrecht ist (siehe dazu U LRICH H ÄFELIN / W ALTER H ALLER /H ELEN K ELLER , Schweizerisches Bundesstaats- recht, 7. Aufl., Zürich 2008, Rz. 1306). Wer Schweizer Bürger wird, wird damit nicht bloss Staatsangehöriger, d.h. gehört zum Schweize- rischen Staatsverband. Wie schon der Wortbildung Schweizerbürger- recht zu entnehmen ist, erfasst der Begriff darüber hinaus auch die "citoyenneté", d.h. die mit der Rechtsstellung verbundenen staats- bürgerlichen Rechte und Pflichten, insbesondere die erst durch die Erteilung des Schweizerbürgerrechts mögliche politische Partizipa- tion (F ELIX H AFNER /D ENISE B USER , in: B ERNHARD E HRENZEL - LER /P HILIPPE M ASTRONARDI /R AINER J. S CHWEIZER / K LAUS A. V AL - LENDER , Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl., Zürich 2008, Art. 37 N 6; R EGULA A RGAST , Staatsbürger- schaft und Nation, Ausschliessung und Integration in der Schweiz 1848 - 1933, Göttingen 2007, S. 33 f.; ebenso Y VO H ANGARTNER , Grundsätzliche Fragen des Einbürgerungsrechts, AJP 2001, S. 951). Aus historischer Sicht überlagerten sich von der Entstehung des Bun- desstaates bis heute in realpolitischen Entscheiden republikanische und liberale Elemente der Staatsbürgerschaft (A RGAST , a.a.O., S. 44 f.). Der Begriff des Schweizerbürgerrechts umfasst daher heute 2010 Verwaltungsgericht 242 sowohl die liberale Deutung als Trägerschaft freiheitlicher (Grund-)- Rechte als auch den republikanischen Gehalt als Teilnahmerecht an den politischen Prozessen, welche erst ein demokratisches Staatswe- sen konstituieren. 5.2. Diesem umfassenden Verständnis von Staatsbürgerschaft ent- spricht, dass der Bundesgesetzgeber zwischen verschiedenen Formen von Einbürgerungen unterscheidet und dafür auch unterschiedlich hohe Hürden aufstellt: Die erleichterte Einbürgerung greift bei Vor- liegen bestimmter Tatbestände mit Blick auf eine bereits bestehende Sonderbeziehung zur Schweiz Platz - so insbesondere bei der er- leichterten Einbürgerung des Ehegatten eines Schweizerbürgers und eines Auslandschweizers (zur Durchsetzung des Prinzips der Einheit des Bürgerrechts; vgl. dazu H ÄFELIN /H ALLER /K ELLER , a.a.O., Rz. 1318 sowie 1328 ff.). Liegen keine Sondertatbestände vor, recht- fertigt die Doppelnatur des Schweizerbürgerrechts als Staatsange- hörigkeit einer-, andererseits aber auch als Basisrecht für die Möglichkeit politischer Beteiligung keine Herabsetzung der Erfor- dernisse für den Erwerb des Schweizerbürgerrechts. 5.2.1. Für die ordentliche und die erleichterte Einbürgerung wird ne- ben der Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung (Art. 14 lit. c und Art. 26 lit. b BüG) sowie dem negativen Erfordernis der Nicht- gefährdung der inneren und/oder äusseren Sicherheit der Schweiz (Art. 14 lit. d und Art. 26 lit. c BüG) insbesondere eine erfolgreiche Integration des Bewerbers (Art. 14 lit. a BüG sowie der inhalts- gleiche Art. 26 Abs. 1 lit. a BüG) verlangt. 5.2.2. Im Gegensatz zur erleichterten Einbürgerung verlangt Art. 14 lit. b BüG bei der ordentlichen Einbürgerung neben der Integration zusätzlich, dass die gesuchstellende Person mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ("accoutumé", "familiarizzato") ist. Insbesondere das Erfordernis der Vertrautheit mit den schweize- rischen Verhältnissen erschliesst sich nur auf dem Hintergrund des republikanischen Deutungsmusters des Schweizerbürgerrechts: Erst 2010 Einbürgerungen 243 ein gesteigertes Verständnis für die schweizerischen Verhältnisse und insbesondere die rechtlichen und politischen Gegebenheiten recht- fertigt die Verleihung politischer Teilhaberechte. Dementsprechend ist vom Bewerber zu verlangen, dass er sich über einen Grad an Vertrautheit mit den schweizerischen Verhältnissen ausweist, welcher namentlich eine Zulassung zur Teilnahme an politischen Prozessen als gerechtfertigt erscheinen lässt. Das Erfordernis der Vertrautheit ist damit zwar vergleichbar mit jenem der Integration, indem es kein besonderes Einzelerfordernis darstellt, sondern ein Querschnittkrite- rium darstellt, welches grundsätzlich alle Lebensbereiche erfasst (Familie, Freundeskreis, Schule, Arbeitsplatz, Vereine, politische Institutionen auf den Stufen Gemeinde, Kanton und Bund). Vertraut- heit bedeutet indessen in jeder Beziehung gegenüber Integration ein graduelles Mehr. Sie entspricht einer höheren Stufe der Übernahme schweizerischer Lebensart und setzt gewisse Kenntnisse über das Land und insbesondere die Sprache voraus (vgl. C ÉLINE G UTZ - WILLER , Droit de la nationalité et fédéralisme en Suisse, Genf/Zü- rich/Basel 2008, Rz. 557). Dazu gehören zum einen Kenntnisse einer der Landessprachen, aber auch ein entsprechendes Wissen über das Land und seine Bewohner. Um als Bürgerin bzw. Bürger im poli- tischen System der Schweiz mitwirken zu können, sind insbesondere auch Kenntnisse über die Grundlagen der politischen und sozialen Ordnung notwendig. Sprachkenntnisse, Kenntnisse des Landes und seines politischen Systems und die Einbindung in die Lebensver- hältnisse müssen so weit gehen, dass anzunehmen ist, dass der Bewerber nach Verleihung des Staatsbürgerrechts angemessen von seiner Rechtsstellung und insbesondere auch von den damit ver- liehenen Teilnahmerechten am politischen Prozess Gebrauch machen kann. In den bundesrechtlichen Bestimmungen dürfen von einer ein- bürgerungswilligen Ausländerin oder einem einbürgerungswilligen Ausländer dabei indessen nicht mehr Kenntnisse der Geschichte und der Staatskunde verlangt werden als von einem schweizerischen Durchschnitt (vgl. BBl 2002 1943). 5.2.3. Die dargelegte Auslegung des Integrations- und Vertrautheits- erfordernisses gibt noch keinen Aufschluss darüber, wie jeder ein- 2010 Verwaltungsgericht 244 zelne zu berücksichtigende Teilgehalt (Sprachkenntnisse, Kenntnisse über Land und Leute sowie über das politische System, Verhalten am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Nachbarschaft, Teilnahme am dörflichen Leben, etc.) bei der Ermittlung, ob ausreichende Integra- tion bzw. Vertrautheit besteht, zu gewichten ist. Insbesondere ist da- mit noch nichts darüber gesagt, wie weit der den zuständigen Behör- den zustehende Beurteilungsspielraum reicht. Immerhin liefert die dargelegte Auslegung den zentralen Anhaltspunkt für die Beantwor- tung der Frage, ob sich die Behörde im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten oder diesen überschritten hat. Ent- scheidend dafür muss unter Berücksichtigung des dargelegten staats- bürgerlichen Verständnisses des Schweizerbürgerrechts sein, ob es - unter Zugrundelegung des Massstabs eines durchschnittlichen Stimmbürgers - als vertretbar erscheint, die betroffene Bewerberin bzw. den Bewerber von den qua Schweizerbürgerrecht zustehenden Rechtspositionen, insbesondere von den Rechten auf Teilnahme am politischen Prozess auszuschliessen. 6. 6.1. Hier ist der Sache nach allein das Erfordernis der ausreichenden Integration bzw. als gesteigerte Form davon der Vertrautheit mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen um- stritten. Konkret wendet sich die Beschwerdeführerin 1 vor allem gegen die Feststellung, sie verfüge für den Erwerb des Schweizerbür- gerrechts nicht über ausreichende Sprachkenntnisse. 6.2. Den Sprachkenntnissen kommt für die Beurteilung der Integ- ration Einbürgerungswilliger die Funktion einer eigentlichen Schlüs- selkompetenz zu. Nur entsprechende Kenntnisse setzen nämlich eine Person überhaupt in die Lage, am wirtschaftlichen und sozialen Leben des Gastlandes aktiv teilzunehmen und sich auf diese Weise zu integrieren (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2008 [C-1212/2006], Erw. 4.3 mit Hinweis). Das Erlernen einer Landessprache stellt daher ein wichtiges Element der Integra- tion dar und fehlende Kenntnisse der vor Ort gesprochenen Landes- 2010 Einbürgerungen 245 sprache können als Indiz für eine mangelnde Integration verstanden werden (vgl. BGE 134 I 56, Erw. 3, S. 59). Entsprechend der dargelegten Stufenfolge von Integration und Vertrautheit gemäss Art. 14 lit. a und b BüG gehen die Anforde- rungen an die Sprachkenntnisse bei der ordentlichen Einbürgerung über diejenigen bei einer erleichterten Einbürgerung hinaus. Das bei einer ordentlichen Einbürgerung zu verlangende Niveau an Kennt- nissen der Landessprache, im Kanton Aargau der deutschen Stand- ardsprache und/oder des Dialekts, lässt sich dabei funktionell wie folgt festlegen: Die Sprachkenntnisse müssen so umfassend sein, dass die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, insbesondere politi- scher Rechte wie des Stimm- und Wahlrechts auf einem durch- schnittlichen Niveau gewährleistet ist (vgl. auch E IDG . A USLÄNDER - KOMMISSION [EKA], Einbürgerung und Sprachnachweis, Empfeh- lungen der EKA an die Gemeinden, die Kantone und den Bund, Bern 2006, S. 5). 6.3. In praktischer Hinsicht stellen sich im Hinblick auf die Hand- habung des Sprachkriteriums weitere Fragen, nämlich zum einen die Frage nach dem erforderlichen Niveau an Sprachkenntnissen und zum andern die Frage nach den für die Eruierung der beim Bewerber vorhandenen Sprachkenntnisse zu verwendenden Methoden. Auch wenn die zuständigen (Gemeinde-)Behörden insoweit über einen grossen Beurteilungsspielraum verfügen, kommt das Verwaltungs- gericht - mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben - im Hinblick auf eine willkürfreie und rechtsgleiche Handhabung des Spracherfor- dernisses nicht darum herum, gewisse Leitplanken zu setzen. 6.3.1. Als Referenzsystem für die Ermittlung der zu verlangenden Kenntnisse der deutschen Standardsprache und/oder des Dialekts bietet sich der gemeinsame europäische Referenzrahmen für Spra- chen des Europarats (GER bzw. [englische Abkürzung] CEFR) an, welcher auch bereits im Bundesrecht Verwendung findet (vgl. etwa Art. 62 Abs. 1 lit. c VZAE, der für die vorzeitige Erteilung der Nie- derlassungsbewilligung Kenntnisse in der am Wohnort gesprochenen Landessprache mindestens des Niveaus A2 des GER verlangt; siehe 2010 Verwaltungsgericht 246 auch Art. 7 VIntA, wo für die Betreuungs- und Lehrtätigkeit [z.B. religiöse Betreuungspersonen oder Lehrkräfte für heimatliche Spra- che und Kultur] Kenntnisse der am Arbeitsort gesprochenen Landessprache auf dem Sprachniveau B1 des GER verlangt werden). Der GER (Internetadresse in VZAE, SR 142.201, FN 19) weist sechs Niveaus aus: Die beiden Eingangsniveaus A1 und A2 umfassen die elementare Sprachverwendung, die Niveaus B1 und B2 die selbstständige Sprachverwendung, und die beiden höchsten Niveaus C1 und C2 umschreiben die kompetente Sprachverwendung (vgl. dazu auch die zugehörige Globalskala sowie den Raster zur Selbst- beurteilung [Anhang E zu G ÜNTHER S CHNEIDER /S TEFANIE N EUNER - A NFINDSEN /P ETER S AUTER /T HOMAS S TUDER /L UKAS W ERTEN - SCHLAG /C ORINNE W IDMER , Rahmenkonzept für den Nachweis der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im Hinblick auf die Einbür- gerung, Kurzbericht erstellt im Auftrag der EKA, Bern 2006], wel- cher zwischen verschiedenen sprachrelevanten Fertigkeiten unter- scheidet: Verstehen [Hören, Lesen], Sprechen [an Gesprächen teil- nehmen, zusammenhängend sprechen] und Schreiben). Gerade in einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz würde es zu weit führen, wenn für eine Einbürgerung bei den in erster Linie kommunikationsrelevanten Fertigkeiten Verstehen und Sprechen ein sehr hohes Sprachniveau (C1 und C2) verlangt würde. Dann be- stünde die Gefahr, dass Sprache als (vorgeschobenes) Kriterium missbraucht wird, d.h. dass negative Einbürgerungsentscheide mit mangelnder Sprachkenntnis begründet werden, obwohl in Wirklich- keit andere Motive hinter der Verweigerung der Einbürgerung stehen (vgl. dazu G ÜNTHER S CHNEIDER ET AL , a.a.O., S. 7). Hinsichtlich der weniger kommunikationsrelevanten und stark vom jeweiligen Bildungsniveau abhängigen Sprachkompetenz Schreiben würde es sogar zu weit führen, eine Sprachbeherrschung oberhalb des Niveaus A2 zu verlangen. Dies würde nämlich im Ergebnis auf dem Umweg über das Spracherfordernis zur Errichtung zusätzlicher Hürden insbesondere für bildungsferne Bürgerrechtsbewerber führen (vgl. EKA, a.a.O., S. 7; vgl. auch Bericht der Staatspolitischen Kommis- sion des Nationalrats betreffend die von der Schweizerischen Volks- partei eingereichte parlamentarische Initiative "Keine Einbürgerung 2010 Einbürgerungen 247 ohne gute mündliche und schriftliche Sprachkenntnisse", Curia Vista 08.468n, S. 2). Als Ergebnis lässt sich somit festhalten: Kommu- nikative Fähigkeiten (Verstehen, Sprechen) von B1 bis B2 (insbe- sondere soweit es um Begriffe und Themen aus dem Bereich der Staats- und Landeskunde geht) können jedenfalls im Regelfall vom Bürgerrechtsbewerber verlangt werden, ohne dass die zuständige Be- hörde dadurch den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum verletzt. Mit Bezug auf die schriftliche Sprachbeherrschung (Schreiben) dür- fen die Anforderungen gemäss Niveau A2 nicht überschritten wer- den. 6.3.2. Das Spracherfordernis muss zudem rechtsgleich gehandhabt werden. Ausserdem muss das Verfahren, in dem die erforderlichen Sprachkenntnisse ermittelt werden, fair, d.h. in erster Linie transpa- rent und zuverlässig sein (vgl. dazu G ÜNTHER S CHNEIDER ET AL ., a.a.O., S. 20f.). Diesen Anforderungen genügt das heute in vielen Gemeinden übliche Gespräch, welches mit dem Bewerber geführt wird, in der Regel nicht (vgl. wiederum G ÜNTHER S CHNEIDER ET AL ., a.a.O., S. 6). Zum einen ist nicht sichergestellt, dass die Gemeindebehörden - abgesehen vom Fall offensichtlich fehlender Sprachkenntnisse des Bewerbers - über die erforderliche Fachkompetenz verfügen (bzw. dass sie entsprechend ausgebildet wurden), um zuverlässige Aussa- gen über das Sprachniveau des Bewerbers machen zu können. Hinzu kommt, dass ein Gespräch, das weder von seinem Inhalt noch vom verwendeten Wortmaterial her im Hinblick auf die zu evaluierenden Sprachkenntnisse fachlich vorbereitet und durchgeführt wird, kaum zuverlässige Aussagen über den Stand der Sprachkenntnisse des Bewerbers zulassen dürfte. Im Bewusstsein dieser Mängel hat die EKA bereits im Jahr 2006 Empfehlungen für die Erhebung der Sprachkenntnisse im Hinblick auf eine Einbürgerung abgegeben (vgl. EKA, a.a.O., S. 7 ff.). Darin wird erhebliches Gewicht auf die Qualitätssicherung bei der Feststellung der Sprachkenntnisse gelegt. Insbesondere sollen die Bewerber schon im Vorfeld darüber in Kenntnis gesetzt werden, welches Sprachniveau von ihnen verlangt wird. Ausserdem muss das Evaluationsverfahren inhaltlich so aus- 2010 Verwaltungsgericht 248 gestaltet sein, dass es zuverlässige Aussagen über das Sprachniveau erlaubt; zudem müssen fachlich qualifizierte bzw. entsprechend ge- schulte Personen am Verfahren teilnehmen. Zur Evaluation der erforderlichen Sprachkenntnis sind ver- schiedene Verfahren denkbar (vgl. dazu ausführlich die bereits mehr- fach angeführte Studie von G ÜNTHER S CHNEIDER ET . AL ., a.a.O., S. 9, wo drei Modelle vorgeschlagen werden: [a] Kommissions- modell, d.h. Befragung durch die zuständige Kommission unter Ein- bezug einer Fachperson; [b] Sachbearbeitermodell, d.h. Befragung durch geschulte Sachbearbeiter anhand einer Checkliste; [c] Test bzw. Sprachprüfungsmodell, d.h. externe Durchführung einer eigent- lichen Sprachprüfung). Dabei kann und darf das Verwaltungsgericht den zuständigen Behörden kein bestimmtes Verfahren vorschreiben. Damit würde es die ihm zustehende Kognition überschreiten und in unzulässiger Weise in die Kompetenzen der Gemeinden eingreifen. Im Hinblick auf die rechtsgleiche Handhabung des Spracherforder- nisses und die Gewährleistung eines fairen Verfahrens ist indessen immerhin zu verlangen, · dass der Bürgerrechtsbewerberin bzw. dem -bewerber vor Einleitung des Einbürgerungsverfahrens bzw. mindestens zu einem frühen Zeitpunkt in diesem Verfahren mitgeteilt wird, Kenntnisse welchen Sprachniveaus bei den verschie- denen sprachlichen Fertigkeiten (Verstehen: Hören und Le- sen; Sprechen: an Gesprächen teilnehmen, zusammenhän- gendes Sprechen; Schreiben) von ihr bzw. ihm erwartet werden; · dass die zuständige Behörde die ausreichende Qualität des Evaluationsverfahrens sicherstellt (im Hinblick auf das Ziel "Feststellung der Sprachkenntnisse" geeigneter Test bzw. geeignetes Gespräch; namentlich für Zweifelsfälle: Teilnah- me einer fachlich qualifizierten Person [Fachperson bzw. entsprechend geschulter Sachbearbeiter] am Verfahren); · dass die Evaluation ausreichend dokumentiert wird (z.B. Wortprotokoll; Video- oder Audioaufzeichnung mit Einver- ständnis des Bewerbers; aussagekräftige schriftliche Auf- zeichnungen über Verlauf und Ergebnis der Evaluation); 2010 Einbürgerungen 249 erst damit wird eine spätere Überprüfung durch die Rechts- mittelinstanzen, ob das verlangte Niveau erreicht wurde, möglich; · dass die Evaluation in Bezug auf den selbstständigen Ge- suchsteller bzw. die selbstständige Gesuchstellerin indivi- duell durchgeführt wird, sodass die einbezogenen weiteren Personen (insbesondere Kinder des Bürgerrechtsbewerbers) nicht als Dolmetscher fungieren können. Werden diese Mindesterfordernisse verletzt, liegt in der Regel eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (häufig damit verbun- den des Anspruchs auf rechtliches Gehör) vor, welche zur Rückwei- sung der Angelegenheit an die zuständige Behörde führt. 6.4. 6.4.1. Hier ist zunächst den Akten nicht zu entnehmen, welches gene- relle, d.h. bei allen Bewerberinnen und Bewerbern anwendbare, Sprachniveau die zuständigen Gemeindebehörden verlangen. Die Aussage, die Sprachkenntnisse seien ungenügend, ist indessen ohne eine vorherige Definition des geforderten Niveaus, inhaltsleer. Weiter fehlen Angaben darüber, dass die Beschwerdeführerin 1 vor dem Ge- spräch vom 17. April 2009 über das in der Einwohnergemeinde von Bürgerrechtsbewerberinnen und -bewerbern generell mindestens erwartete Niveau an Beherrschung des Dialekts bzw. der deutschen Standardsprache aufgeklärt worden wäre. 6.4.2. Schliesslich liegen hier mit Bezug auf das zur Evaluierung der Sprachkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 mit dem Gemeindeam- mann und einem Gemeinderat geführte Gespräch mehrere gravieren- de Verfahrensmängel vor: · Es fehlen jegliche Hinweise darauf, dass das mit der Be- schwerdeführerin 1 geführte Gespräch sich von seinem Inhalt und Wortmaterial her eignete, um das Niveau ihrer Sprachkenntnisse auch nur halbwegs zuverlässig zu eva- luieren. Es wurde auch nicht etwa geltend gemacht, dass die Gesprächsteilnehmer seitens der Einwohnergemeinde (oder zumindest einer von ihnen) im Hinblick auf die Aufgabe 2010 Verwaltungsgericht 250 der Evaluierung des Niveaus der Sprachkenntnisse eine besondere Schulung durchlaufen hätten. · Das Gespräch wurde mit Bezug auf das entscheidende Thema des Niveaus der Deutschkenntnisse der Beschwer- deführerin 1 nicht dokumentiert (Die als Protokoll bezeich- nete Aufzeichnung vom 17. April 2009 enthält keinerlei Angaben, die diesbezügliche Rückschlüsse erlauben). Es lässt sich daher auch nicht feststellen, ob die Beschwerde- führerin 1 allenfalls über derart schlechte Deutschkennt- nisse verfügt, dass auch für ein nur aus Laien zusammenge- setztes Gremium das Ungenügen der Sprachkenntnisse klar erkennbar war. · Das Gespräch wurde als Gruppengespräch mit der Be- schwerdeführerin 1 und ihren Kindern bzw. in deren An- wesenheit geführt ohne individuelle "Prüfung" der Be- schwerdeführerin 1. Es eignete sich auch aus diesem Grund nicht, ausreichenden Aufschluss über das Niveau der Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 zu liefern. 6.4.3. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Entscheid lassen auch die schriftlichen Äusserungen der Beschwerdeführerin 1 in der von ihr bestandenen Staatskundeprüfung keine zuverlässigen Schlüsse auf ihr Niveau in der Beherrschung der deutschen Sprache zu; dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass an die schriftlichen Sprachkenntnisse eines Bürgerrechtsbewerbers wie dargelegt (Erw. 6.3.1.) nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen. 6.4.4. Zusammenfassend erweisen sich die Abklärungen der Gemein- de über die Sprachkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 sowohl in- haltlich (fehlende Definition des erwarteten Sprachniveaus) als auch im Hinblick auf das Verfahren (keine vorgängige Mitteilung an die Bewerberin über das erwartete Sprachniveau, kein definiertes brauchbares Testverfahren, keine Beteiligung einer Fachperson bzw. eines entsprechend geschulten Sachbearbeiters, fehlende Aufzeich- nungen über den Sprachtest, kein individueller Test) als ungenügend. 7. (...) 2010 Einbürgerungen 251 8. Diese Erwägungen führen zur Gutheissung der Beschwerde und zur Rückweisung der Angelegenheit zur weiteren Untersuchung an die Einwohnergemeinde. Sie wird insbesondere die Sprachkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 unter Beachtung der vom Verwaltungs- gericht aufgestellten materiellen und verfahrensmässigen Anforde- rungen (Erw. 6.3.) zu evaluieren haben. (...) (Hinweis: Eine gegen dieses Urteil wegen Verletzung der Ge- meindeautonomie erhobene Beschwerde hat das Bundesgericht mit Urteil vom 13. April 2011 [10_1/2011; zur Publikation vorgesehen] abgewiesen, soweit es darauf eintrat.)
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2019 Steuern und Abgaben 79 9 Steuerrecht Keine Verwirkung des Besteuerungsanspruchs betreffend zu Unrecht erfolgte Kapitalzahlung aus 2. Säule, wenn Veranlagung betreffend Kapitalzahlung vor Einreichen der Steuererklärung (in welcher Auszahlungsgrund behauptet wurde, der nicht vorliegt) vorgenommen wurde. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 4. Juli 2019, in Sachen KStA und Gemeinderat X. gegen G. (WBE.2019.112). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Das Bundesgericht hat die Möglichkeit einer Revision der Veranlagung, mit welcher eine Jahressteuer auf einer Kapitalleistung festgesetzt wird, in einem Fall verneint, in dem der Steuerpflichtige von einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit bei seinem bisherigen Arbeitgeber zu einer Anstellung bei einer von ihm beherrschten GmbH gewechselt und der Steuerbehörde gegenüber nie erklärt hatte, er nehme eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf. Bei dem vom Bundesgericht beurteilten Sachverhalt war der Steuerbehörde bei Vornahme der Veranlagung betreffend die Kapitalleistung bekannt, dass der Steuerpflichtige keine selbstständige Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte. Damit beruhte die Veranlagung der Jahressteuer nicht auf der Unkenntnis der Steuerbehörde von der Nichtverwirklichung des Auszahlungsgrunds (Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG), 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 80 sondern auf einem Subsumtionsirrtum bzw. auf einem rechtlichen Irrtum der Steuerbehörde (Urteil des Bundesgerichts 2C_200/2014 vom 4. Juni 2015 E. 2.4.4.2 und 2.4.5.3). Auch wenn die Möglichkeit einer Revision der Veranlagung einer Jahressteuer von Amtes wegen bei Bekanntwerden der fehlenden Voraussetzungen für den Bezug des Vorsorgeguthabens bejaht wird, fällt damit eine Revision stets ausser Betracht, wenn der Steuerbehörde dieser Umstand bei Vornahme der Jahressteuerveranlagung bekannt war oder hätte bekannt sein müssen (vgl. Art. 51 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StHG und § 201 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StG). 2.2. Ein solcher Fall liegt hier indessen offensichtlich nicht vor. Der vorliegende Fall, bei dem der Kapitalbezug am 7. November 2013 gemeldet wurde, die Veranlagung der Kapitalleistung am 20. November 2014 erfolgte und die Steuererklärung 2013 erst am 5. Januar 2015 eingereicht wurde, ist vielmehr in tatsächlicher Hinsicht weithin mit dem vom Bundesgericht im Urteil 2C_156/2010 vom 7. Juni 2011 beurteilten Sachverhalt vergleichbar, bei dem die Auszahlung der Kapitalleistung am 30. November 2003 erfolgte, die Jahressteuer am 18. Februar 2004 veranlagt wurde und die Steuerpflichtigen die Steuererklärung am 4. März 2004 einreichten. In dieser Situation erklärte das Bundesgericht den Einwand des Be- schwerdeführers, wonach die Jahressteuerveranlagung rechtskräftig sei und der Besteuerung der Freizügigkeitsleistung zusammen mit dem übrigen Einkommen im Rahmen der ordentlichen Veranlagung entgegenstehe, ausdrücklich als unbehelflich, weil die Veranlagungsbehörde wegen Entdeckung einer erheblichen Tatsache revisionsweise auf die Veranlagung der Jahressteuer zurückkommen könne (Urteil 2C_156/2010 vom 7. Juni 2011 E. 3.2). Auch hier wusste die Veranlagungsbehörde um das Fehlen einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zumindest bis zur Einreichung der Steuererklärung 2013 am 5. Januar 2015, d.h. einem Zeitpunkt, wo die Veranlagung der Jahressteuer vom 20. November 2014 bereits in Rechtskraft erwachsen gewesen sein dürfte bzw. deren Rechtskraft unmittelbar bevorstand, nichts. Einer Revision dieser Veranlagung im Anschluss an das mit der ordentlichen Veranlagung definitiv (und 2019 Steuern und Abgaben 81 damit auch erst definitiv bekannt) werdende Fehlen eines Barauszahlungsgrunds gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG steht damit nichts entgegen. Damit steht die Jahressteuerveranlagung aber auch der Vornahme der ordentlichen Veranlagung unter Hinzurechnung des zu Unrecht erfolgten Bezugs des Vorsorgeguthabens nicht entgegen. Es geht zu weit, wenn die Vorinstanz in den fehlenden Nachforschungen der Steuerkommission über das allfällige Fehlen des mit der Meldung über Kapitalleistungen deklarierten Auszahlungsgrunds der Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Verletzung der Untersuchungspflicht der Steuerbehörde erblicken will. Solange für die Steuerbehörde nicht offensichtlich erkennbar ist, dass es an einem Auszahlungsgrund fehlt, darf sie sich vielmehr auf die Steuermeldung verlassen und ohne weitere Untersuchungen eine Jahressteuerveranlagung vornehmen. Dies ergibt sich bereits aus der angeführten bundes- gerichtlichen Rechtsprechung und bedarf keiner weiteren Begründung. Der angefochtene Entscheid steht nicht im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Das führt zur teilweisen Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Die Angelegenheit ist zur weiteren Be- handlung im Sinn der Erwägungen - insbesondere zur Untersuchung, ob der Auszahlungsgrund von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG verwirklicht ist - ans Spezialverwaltungsgericht zurückzuweisen.
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2005 Verwaltungsgericht 288 [..] 59 Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bei ausstehenden KVG-Prämien. - Bei den Leistungen der Gemeinden infolge von Mitteilungen der Ver- sicherer gemäss Art. 90 Abs. 3 KVV handelt es sich um materielle Hilfe im Sinne des SPG (Erw. 1.4.2.3). - Entscheide der Gemeinden über Verweigerung oder Kürzung von materieller Hilfe im Zusammenhang mit den Prämien der obligatori- schen Krankenversicherung sind nach § 58 SPG letztinstanzlich beim Verwaltungsgericht anfechtbar (Erw. 1.4.2.3). Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 1. September 2005 in Sa- chen Kanton A gegen das Bezirksamt Muri. Aus den Erwägungen 1.1. Die Vorinstanz hat mit Entscheid vom 26. Oktober 2004 den Entscheid des Gemeinderats B vom 13. September 2004 aufge- hoben und festgestellt, dass der Gemeinderat B weder gestützt auf das Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Be- dürftiger vom 24. Juni 1977 (ZUG; SR 851.1) noch gestützt auf das SPG für das Begehren um Bezahlung der Prämienrückstände für die Krankenversicherung oder für die Behandlungskosten im Spital X (Eventualbegehren) zuständig ist. 2005 Sozialhilfe 289 1.2. Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist von Amtes wegen abzuklären (§ 6 VRPG; Michael Merker, Rechts- mittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38 - 72 VRPG], Diss. Zürich 1998, Vorbemerkungen zu § 38 N 3) und bestimmt sich nach den Begehren und dem der angefochtenen Verfü- gung zu Grunde liegenden Sachverhalt. 1.3. Das Verwaltungsgericht ist zur Beurteilung von Beschwer- den in denjenigen Fällen zuständig, die im enumerativen Katalog in § 52 Ziff. 1 ff. VRPG aufgeführt sind oder in Fällen, da ein anderer Erlass seine Zuständigkeit begründet (§ 51 Abs. 1 und 2 VRPG). Die rechtliche Subsumption des Streitgegenstandes erfolgt selbständig durch das Verwaltungsgericht. 1.4. Der Beschwerdeführer beruft sich ausdrücklich nicht auf die Zuständigkeit nach SPG. Zu prüfen ist daher, ob die Nichtbezah- lung der Krankenkassenprämien von September 2002 bis 31. Dezem- ber 2002 oder die Forderung auf Bezahlung der Spitalkosten (Even- tualbegehren) einen Sachverhalt betreffen, der eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gemäss § 51 Abs. 1 und 2 VRPG oder § 52 Ziff. 1 ff. VRPG begründen kann. 1.4.1. (Feststellung, dass keine Zuständigkeit des Verwaltungs- gerichts nach § 52 Ziff. 2 und 4 VRPG gegeben ist) 1.4.2. Zu prüfen ist daher im Folgenden, ob auf Grund einer speziellen gesetzlichen Regelung eine Zuständigkeit des Verwal- tungsgerichts gegeben ist. 1.4.2.1. Für die Einhaltung des Versicherungsobligatoriums (Art. 3 Abs. 1 KVG) haben gemäss Art. 6 KVG die Kantone zu sorgen. Ausdrücklich geregelt ist im KVG die Zwangszuweisung von Personen, die ihrer Versicherungspflicht nicht rechtzeitig nachkom- men (Art. 6 Abs. 2 KVG) und die Bezeichnung der innerkantonal zu- ständigen Behörde. Eine Verpflichtung des Kantons oder der zustän- digen Behörde zur Übernahme von ausstehenden Prämien ist im Bundesgesetz nicht vorgesehen (Gebhard Eugster, Krankenversi- cherung, in: Heinrich Koller / Georg Müller/ René Rhinow / Ulrich Zimmerli (Hrsg.), Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Basel / Genf / München 1998, Rz. 339 FN 824). Gemäss Art. 90 Abs. 3 2005 Verwaltungsgericht 290 KVV (bzw. Art. 9 Abs. 3 KVV in der bis 31. Dezember 2002 gülti- gen Fassung) hat der Versicherer bei Prämienausständen das Voll- streckungsverfahren einzuleiten und kann einen Leistungsaufschub verfügen, sofern ein Verlustschein ausgestellt und Meldung an die Sozialhilfebehörde erstattet wurde. Wird eine Verlustscheinsforde- rung von der Sozialhilfebehörde nicht übernommen, bleibt die Leistungssperre bis zur Bezahlung der ausstehenden Prämie aufrecht; mit Bezahlung des Ausstandes hat der Versicherer für die Leistungen während der Zeit des Aufschubes aufzukommen (Art. 90 Abs. 4 KVV [bzw. Art. 9 Abs. 2 KVV in der bis 31. Dezember 2002 gülti- gen Fassung]). Diese Regelung gilt auch im System des Tiers payant, d.h. dort, wo Versicherer und Leistungserbringer vereinbaren, dass der Versicherer die Vergütung schuldet. Eine Verweigerung der Kos- tengutsprache gemäss Tarifvertrag ist erst nach Durchführung des Vollstreckungsverfahrens zulässig (vgl. Eugster, a.a.O., Rz. 339; BGE 129 V 455). Bei Art. 90 Abs. 4 KVV (bzw. Art. 9 Abs. 2 KVV in der bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung) handelt es sich um eine Kann-Vorschrift. Die zuständige Sozialhilfebehörde kann, muss aber nicht ausstehende Prämien oder Kostenbeteiligungen überneh- men. Massgebend ist dafür das kantonale Recht. 1.4.2.2. Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass dem EG KVG keine ausdrücklichen Bestimmungen über das Verfahren und die Folgen einer Mitteilung der Versicherer nach Art. 90 Abs. 4 KVV (bzw. Art. 9 Abs. 2 in der bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung) zu entnehmen sind. Die §§ 13 Abs. 4 und 21 Abs. 4 sowie 22 Abs. 1 und 2 EG KVG koordinieren die Prämienverbilligung mit den Leistungen der Sozialhilfe. § 30 und 31 EG KVG regeln den Rechtsschutz und die Zuständigkeit bei der Prämienverbilligung und bei der Zwangszuweisung. Eine gesetzliche Bestimmung, welche die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für die Entscheide betreffend die Übernahme von Krankenversicherungsprämien begründet, be- steht daher im EG KVG nicht. 1.4.2.3. Dies bedeutet aber nicht, dass im Kanton Aargau keine gesetzlichen Grundlagen zur Verwirklichung des Versicherungsobli- gatoriums und des daraus folgenden Versicherungsschutzes gemäss Art. 3 Abs. 1 KVG bestehen. So regeln § 1 Abs. 1 und 2 EG KVG 2005 Sozialhilfe 291 die Aufsicht über die Einhaltung der Versicherungspflicht und die Zuweisung von Personen, die ihrer Versicherungspflicht nicht recht- zeitig nachkommen. Im Fall, da eine bereits versicherte Person fälli- ge Prämien nicht bezahlt, hat kein Zuweisungsverfahren mehr zu erfolgen, da die obligatorische Versicherung - ungeachtet der Prä- mienausstände - bereits besteht. Vielmehr hat der Versicherer dies- falls das Vollstreckungsverfahren gemäss Art. 90 Abs. 3 KVV (bzw. Art. 9 Abs. 1 KVV in der bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung) einzuleiten. Im kantonalen Recht sind auch die Folgen einer Mittei- lung gemäss Art. 90 Abs. 3 KVV geregelt. Nach § 3 Abs. 1 SPV sind die Prämien der obligatorischen Krankenversicherung im Rahmen der materiellen Hilfe von der Gemeinde zu übernehmen. Diese Be- stimmung stützt sich auf § 10 SPG, der den Regierungsrat ermäch- tigt, die Art und Höhe der materiellen Hilfe in einer Verordnung zu regeln. Nach dem kantonalen Sozialhilferecht handelt es sich deshalb bei den Leistungen der Gemeinden in der Folge von Mitteilungen der Versicherer gemäss Art. 90 Abs. 3 KVV (bzw. Art. 9 Abs. 1 KVV in der bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung) um materielle Hilfe im Sinne des SPG, weshalb sie den entsprechenden Anspruchsvoraus- setzungen, insbesondere der Bedürftigkeit (§ 5 SPG), unterstehen. Die Übernahme von ausstehenden Prämien der Krankenversicherung ist, neben der Übernahme von Behandlungskosten und der Kosten- gutsprachen für medizinische Leistungserbringer (§ 9 Abs. 1 SPV), eine Möglichkeit der materiellen Hilfe an unterstützungsbedürftige Personen. Der Gemeinde steht bei der Auswahl dieser Massnahmen und Mittel zur Wahrung der Existenzsicherung und des Anspruchs auf Sozialhilfe der hilfsbedürftigen Person das Wahlrecht zu. Voraus- setzung ist aber immer, dass eine Notlage im Sinne des SPG vorliegt. Entscheide der Gemeinden über Verweigerung oder Kürzung von materieller Hilfe um die Prämien der obligatorischen Krankenversi- cherung sind daher nach § 58 SPG letztinstanzlich beim Verwal- tungsgericht anfechtbar. Hingegen besteht eine (allgemeine) Ausfall- garantie der Gemeinden für rückständige Prämien eines Krankenver- sicherten weder nach Massgabe des kantonalen Rechts noch nach den bundesrechtlichen Vorschriften (siehe vorne Erw. 1.4.2.1). 1.4.3. (...) 2005 Verwaltungsgericht 292 1.5.-1.7. (...) 2.1. Die Koordination von Sozialhilfeleistungen der Kantone ist im ZUG geregelt. Nach § 42 Abs. 1 lit. b SPG ist der Kantonale Sozialdienst für den Verkehr mit andern Kantonen zuständig. Er er- lässt die Verfügungen und Einspracheentscheide, für welche Art. 33 und 34 ZUG den Rechtsmittelweg an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement bzw. an das Bundesgericht regeln. Unbestritte- nermassen geht es bei den geforderten Prämienausständen nicht um Sozialhilfeleistungen, weshalb eine Zuständigkeit des Verwaltungs- gerichts nach dem ZUG nicht gegeben ist. 2.2. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass weder das Bun- desrecht noch das kantonale Recht Bestimmungen über die inter- kantonale Koordination von Leistungen der zuständigen Behörden nach Art. 6 KVG i.V.m. Art. 90 Abs. 3 KVV (bzw. Art. 9 Abs. 1 KVV in der bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung) enthält. Das Bundesgesetz und die kantonale Gesetzgebung weisen bei Zahlungs- verzug der Versicherten Lücken und verschiedene Schwachstellen auf (vgl. Eugster, a.a.O., Rz. 393, FN 829). Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine voraussetzungslose Leistungspflicht der Gemeinden (oder Kantone) zur Übernahme von Prämien der obligatorischen Krankenversicherung, wie dies der Beschwerdeführer geltend macht, ohne gesetzliche Grundlage erfolgen kann. Die vom Beschwerdefüh- rer geforderte voraussetzungslose Übernahme der Prämienausstände für die Zeit, da X ihren Wohnsitz noch in B hatte, findet ihre Stütze weder im KVG noch im KVV. Eine Übernahme dieser Prämien durch die ehemalige Wohngemeinde von X ist - ausserhalb einer Unterstützungsbedürftigkeit gemäss Sozialhilferecht - nicht gesetz- lich vorgesehen und wurde von der Gemeinde B zu Recht abgelehnt.
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2015 Submissionen 187 VII. Submissionen 27 Zuschlagskriterien; Preisgewichtung, Qualität - Grundsätze zur Preisgewichtung; eine Gewichtung des Preises mit 22 % für eine durchschnittlich komplexe Beschaffung ist zu tief (Erw. 3.2 und 3.3). - Unzulässige Besserbewertung von Angeboten, die lokale Subunter- nehmer berücksichtigen, beim Zuschlagskriterium "Qualität" (Erw. 4.3.). Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 11. Juni 2015 in Sachen A. AG gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2015.70). Aus den Erwägungen 3.2. Dem Zuschlagskriterium "Preis" kommt zwar nicht grundsätz- lich ein höheres Gewicht zu als den übrigen Kriterien (P ETER G ALLI /A NDRÉ M OSER /E LISABETH L ANG /M ARC S TEINER , Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 879). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darf die Gewichtung des Preises allerdings auch bei komplexen Beschaffungen 20 % nicht unterschreiten, ansonsten der Grundsatz, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhalten soll, seines Gehalts entleert werde (BGE 129 II 313 ff., 327). Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hat in einem Urteil vom 14. März 2014 festgehalten, dem Preis komme bei der Mehrzahl der öffentlichen Arbeitsvergaben "in markanter Weise das Haupt- gewicht zu". Es könne dabei als allgemeine Faustregel gesagt werden, dass dem Preis umso höheres Gewicht zuzuerkennen sei, je einfacher der Schwierigkeitsgrad der Auftragserfüllung sei. Bei Aufgaben mittlerer Komplexität solle die Gewichtung des Preises in 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 188 der Regel nicht weniger als 50 % betragen (Urteil des Verwal- tungsgerichts des Kantons Graubünden vom 18. März 2014 [U 14 9], Erw. 2 mit Hinweis). Auch das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat erklärt, der Preis dürfe bei einer Vergabe, deren Gegenstand nicht als überdurchschnittlich komplex bezeichnet wer- den könne, nicht nur mit 20 % gewichtet werden (Urteil des Verwal- tungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Januar 2011 [VB.2010.00568], Erw. 5.5; vgl. auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 8. September 2010 [VB.2009.00393], Erw. 4.2). 3.3. Vorliegend geht es um die Vergabe eines Generalunternehmer- auftrags für die Erstellung eines neuen Schulhauses. Vorgesehen ist ein zweigeschossiger Neubau. In den Rahmenbedingungen ist unter Ziff. 1.3 folgender zusammenfassender Projektbeschrieb enthalten: "Ein exakt gesetzter neuer zweigeschossiger Neubau ersetzt das beste- hende Schulhaus aus den 60-er Jahren. Das einfach organisierte Unterstufenschulhaus mit 4 Klassenzimmern und Gruppenräumen wird durch eine zweigeschossige Halle erschlos- sen, welche auch für kleine Veranstaltungen und als Aula dienen. An das bestehende Untergeschoss von Gebäude 377 wird seitlich ein neuer UG-Bereich angefügt. Rohbau im Untergeschoss in Stahlbeton. Innenwände im UG in Kalksandstein. Der zweigeschossige Neubau wird auf die bestehende/neue UG-Decke bzw. Fundamentplatte in einer Holzelementbauweise erstellt." In Ziff. 1.4 der Rahmenbedingungen wird unter dem Titel "Ziel- setzungen und Aufgabenstellung" festgehalten, dass das Gebäude als neues und zeitgemässes Schulhaus ab Oktober 2015 genutzt werden soll und mit moderner, effizienter Infrastruktur und Haustechnik ausgerüstet sein werde. Das Bauwerk sei als Minergiegebäude ge- plant. Das Bauwerk werde "innert kurzer Bauzeit und unter Kosten- druck" erstellt. Trotzdem müsse es die funktionalen und ästhetischen Ansprüche des Bauherrn vollauf befriedigen. Die Innovation bestehe darin, durch geschickte Konzepte, Detaillierung und Materialisierung diese Ziele zu erreichen. Gemäss Ziff. 1.5 der Rahmenbedingungen haben die Angebote die komplette bezugsbereite und mängelfreie 2015 Submissionen 189 Anlage zu beinhalten sowie die Kostenvorgaben und Termine zu be- stätigen. Der detaillierte Projektbeschrieb ergibt sich aus Teil 02 ("Pro- jekt") der Ausschreibungsunterlagen. Aufgrund der Ausschreibungsunterlagen ist beim vorliegenden Generalunternehmerauftrag von einer durchschnittlich komplexen Beschaffung auszugehen. Aus den zur Verfügung stehenden Unterla- gen ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Erstellung des Schulhausneubaus in Holzelementbauweise für den General- unternehmer mit ausserordentlichen Schwierigkeiten (z.B. unge- wöhnlich problematische Baugrundverhältnisse) verbunden wäre. Auch von Seiten der Vergabestelle wird nichts Derartiges vorge- bracht. Für eine gewisse Komplexität der Aufgabe sprechen höchstens der bestehende Termin- und Kostendruck, wobei sich ge- rade letzterer aber nicht als Argument für eine tiefe Preisgewichtung anführen lässt. Im Gegenteil. Vor diesem Hintergrund ist die Gewich- tung des bereinigten Angebotspreises mit lediglich 22 % als mit dem Grundsatz, dass der Zuschlag dem wirtschaftlich günstigsten Ange- bot zu erteilen ist, nicht zu vereinbaren. Dem bereinigten Angebots- preis hätte im vorliegenden Fall vielmehr ein Gewicht von min- destens 50 % zukommen müssen, zumal gemäss Vergabestelle die kostengünstige Realisierung des Vorhabens ein wesentliches Ziel der Vergabe des GU-Auftrags ist. 3.4.-3.5. (...) 4. 4.1.-4.2. (...) 4.3. Gemäss § 11 Abs. 1 SubmD muss bei der Vergabe eines Auf- trags an ein General- oder Totalunternehmen jedes an der Ausfüh- rung beteiligte Subunternehmen die Bedingungen gemäss den §§ 3 und 10 SubmD erfüllen. Vergaben an General- oder Totalunterneh- men können mit der Auflage verbunden werden, sich bei der Weiter- vergabe an die Vorschriften des SubmD zu halten. Die Vergabestelle kann "die Bekanntgabe der Namen und den Sitz aller an der Ausfüh- rung des Auftrags beteiligten Subunternehmen verlangen" (§ 11 Abs. 2 SubmD). 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 190 Im vorliegenden Fall hat die Vergabestelle in den Ausschrei- bungsunterlagen der Generalunternehmer-Submission das Teilkrite- rium "Aussage Subunternehmer & vorgeschlagene Unternehmer" als Bestandteil des Zuschlagskriteriums "Qualität" definiert. Der Verga- bestelle ging es hier darum, "ortsansässige Unternehmen und Per- sonen (Steuerzahler, Gewerbe, Angestellte usw.) aus dem Dorf oder der näheren Umgebung im Vergabeprozess" mitberücksichtigen zu können. Die Ausschreibungsunterlagen enthielten entsprechend eine umfangreiche Liste von möglichen Subunternehmern für die ein- zelnen Arbeitsgattungen. Dabei handelt es sich vorwiegend um lo- kale bzw. regionale Unternehmungen. In der Beilage 7 zum Eingabe- formular hatten die Anbieter die Subunternehmer aufzulisten. Grundsätzlich muss es zulässig sein, dass die Auftraggeberin im (sachlich) begründeten Einzelfall einen vom Anbieter genannten Subunternehmer zurückweisen kann. Sodann kann die Vergabestelle auch bestimmte Leistungen explizit vom Angebot für den Gesamt- auftrag ausnehmen und den Anbietenden diesbezüglich einen von ihr selbst bestimmten bzw. durch eine korrekte "Vorsubmission" er- mittelten Subunternehmer (und dessen Offerte) vorgeben. Dies ist möglich, wenn der betreffende Subunternehmerauftrag entweder direkt (freihändig) vergeben werden kann oder der vorgegebene Sub- unternehmer bereits vorgängig in einem ordentlichen Submis- sionsverfahren (z.B. Einladungsverfahren) ermittelt worden ist. In diesem engen Rahmen besteht die Möglichkeit, in der General- unternehmer-Submission lokale Subunternehmer vorzugeben. Vorliegend hat die Vergabestelle in der Ausschreibung weder klar verlangt, dass die Subunternehmer in der Offerte zu benennen sind, noch hat sie einzelne - aufgrund einer rechtmässigen Vorsub- mission bestimmte - Subunternehmer verbindlich vorgegeben. Sie hat sich vielmehr darauf beschränkt, den Anbietern in den Aus- schreibungsunterlagen eine Reihe möglicher (bzw. von ihr ge- wünschter) Subunternehmer zu benennen. Diejenigen GU-Angebote, welche diese Auswahl möglichst umfassend berücksichtigt haben, wurden beim Teilkriterium "Aussage Subunternehmer & vorgeschla- gene Unternehmer" dann besser bewertet. Die Bewertung der As- pekte "benachbarte Subunternehmer" und der "Bausumme benach- 2015 Submissionen 191 barter Subunterunternehmer" beim Teilkriterium "Aussage Subunter- nehmer & vorg. Unternehmer" ist klarerweise unzulässig. Zum einen ist ein sachlicher Zusammenhang mit dem Zuschlagskriterium "Qualität" nicht ersichtlich; zum anderen ist der Einbezug solcher Aspekte, die ausschliesslich der Förderung bzw. Bevorzugung des lokalen und regionalen Gewerbes dienen, in die Bewertung klarerweise binnenmarktgesetzwidrig. Fragwürdig erscheint es aber auch, unter dem Zuschlagskriterium "Qualität" zu bewerten, ob und in welchem Umfang im Angebot für die Arbeitsgattungen bereits Subunternehmer benannt (definiert) wurden. Eine solche Bewertung würde nur dann Sinn machen, wenn die von den vorgeschlagenen Subunternehmern zu erwartende Qualität (z.B. aufgrund deren Erfah- rung, Referenzen) auch näher geprüft und beurteilt worden wäre. Dies war vorliegend nicht der Fall. Bewertet wurde lediglich, ob und in welchem Umfang die Subunternehmer für die einzelnen Ar- beitsgattungen bereits bestimmt worden waren. Es scheint damit gerechtfertigt, das Teilkriterium "Aussage Subunternehmer & vor- geschlagene Unternehmer" für die Bewertung ausser Acht zu lassen. Bei der Beschwerdeführerin sind damit 4 Punkte und bei der Zu- schlagsempfängerin 7.5 Punkte aus der Bewertung zu streichen.
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2012 Submissionen 167 IV. Submissionen 24 Ausstand eines Gemeinderats, der Arbeitnehmer der Zuschlagsemp- fängerin ist. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. Februar 2012 in Sa- chen in Sachen A. AG und B. AG gegen Einwohnergemeinde C. (WBE.2011.271). Aus den Erwägungen 5. Zu prüfen bleibt die Frage, ob in Bezug auf den Gemeindeam- mann D. eine Verletzung der Ausstandspflicht vorliegt. 5.1. Gemäss § 4 Abs. 1 SubmD richtet sich der Ausstand von Mit- gliedern der Vergabestelle nach den Vorschriften des Verwaltungs- rechtspflegegesetzes. Dieses bestimmt unter anderem, dass am Erlass von Entscheiden nicht mitwirken darf, wer in der Sache ein persönliches Interesse hat (§ 16 Abs. 1 lit. a VRPG) oder aus anderen Gründen in der Sache befangen sein könnte (§ 16 Abs. 1 lit. e VRPG). Die Ausstandsregeln sind im Grundsatz streng auszulegen, da nur so ein faires, transparentes und für alle Beteiligten leicht überprüfbares Auswahlverfahren bei Submissionen garantiert werden kann, was sowohl unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit als auch der Rechtsgleichheit aller Wettbewerbsteilnehmer und wirt- schaftlichen Mitkonkurrenten stets von elementarer und zentraler Be- deutung ist (Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 30. Juni 2006 [U 06 65], Erw. 2.b). Der Ausstandspflicht von als Mitbewerber auftretenden und mithin persönlich interessierten Behördenmitgliedern kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Wer in einem Vergabeverfahren als Anbieter auftritt oder auftreten 2012 Verwaltungsgericht 168 will, darf nicht auf Seiten der Behörde bei der Durchführung des Verfahrens mitwirken, weil er sich dadurch ungerechtfertigte Vorteile und Kenntnisse bezüglich der Ausgestaltung seiner Offerte verschaf- fen kann und ihm im Übrigen auch die Möglichkeit offen steht, in unzulässiger Weise auf den Zuschlagsentscheid einzuwirken (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 12. Dezember 2002 [2P.152/2002], Erw. 2; Peter Galli/André Moser/Elisabeth Lang/ Evelyne Clerc, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 1. Band: Landesrecht, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2007, Rz. 699). Ein persönliches Interesse am Ausgang des Vergabeverfahrens ist auch dann zu bejahen, wenn das betreffende Behördenmitglied zwar nicht selber als Anbieter in Erscheinung tritt, aber zu einem Unternehmen, das als Anbieter auftritt, in einem Arbeitsverhältnis steht. Gemeindeammann D. ist Arbeitnehmer der Zuschlagsempfängerin. Damit ist seine persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit zur betreffenden Anbieterin nicht gegeben und eine Pflicht zum Ausstand beim streitigen Submissionsverfahren ohne Weiteres zu bejahen (vgl. auch AGVE 2006, S. 207 f.). Nicht relevant ist der Umstand, dass D. nach Darstellung der Vergabestelle bei seiner Arbeitgeberin eine rein interne Funktion bekleidet und weder mit der Abwicklung noch mit der Akquisition von Aufträgen zu tun hat. 5.2. Das Bestehen einer Ausstandspflicht des Gemeindeammanns wird denn auch von der Vergabestelle anerkannt. Sie verneint jegli- che unzulässige Einflussnahme auf den Vergabeentscheid und hält diesbezüglich fest, D. habe sich von Anfang an aus sämtlichen das fragliche Submissionsverfahren betreffenden Fragen herausgehalten. Die gesamte Auswertung der Angebote sei extern durch das Inge- nieurbüro E. AG in F. erfolgt. An der Gemeinderatssitzung vom 25. Juli 2011, an der der Vergabeentscheid getroffen worden sei (Diskussion und Abstimmung), habe er nicht teilgenommen. D. habe somit - selbst wenn er dies gewollt hätte - gar keine Möglichkeit gehabt, Einfluss auf den Entscheid hinsichtlich des Zuschlags zu nehmen. Er sei in keiner Weise materiell in das Geschäft involviert gewesen. Ansprechpartner für die Bauverwaltung sei während des gesamten Verfahrens der zuständige Ressortchef und Vizeammann G. 2012 Submissionen 169 gewesen. Hinzu komme, dass der "Bewertungsschlüssel zum Offert- vergleich" der Vergabestelle vom Ingenieurbüro E. AG erst zusam- men mit der Vergabeempfehlung zugestellt worden sei. Damit sei auch ausgeschlossen, dass D. seiner Arbeitgeberin nützliche Infor- mationen hinsichtlich der Bewertung habe zukommen lassen können. Der Umstand, dass D. routinemässig die an die nicht berück- sichtigten Anbieter adressierten Verfügungen unterzeichnet habe, beruhe auf einem Versehen und sei lediglich ein "Schönheitsfehler". Entscheidend sei, dass er an der relevanten Sitzung nicht teilgenom- men habe. Die Beschwerdeführerinnen bestreiten, dass sich der Gemein- deammann im Ausstand befunden habe. Ein solcher sei nirgends erwähnt oder protokolliert. Seine Abwesenheit bei der Gemeinde- ratssitzung vom 25. Juli 2011 möge ein Zufall gewesen sein, da er offensichtlich nicht im Ausstand gewesen sei. Hingegen habe er den Vergabeentscheid unterzeichnet; dass dies versehentlich geschehen sei, sei nicht glaubwürdig. Falsch sei die Behauptung, dass das Inge- nieurbüro alleine die Bewertung und die Vergabe vorgenommen habe; die Vergabestelle habe sich am Vergabeverfahren massgebend beteiligt, indem z. B. der Bauverwalter Referenzauskünfte über die Beschwerdeführerin 1 eingeholt habe. Auch wenn D. offiziell nicht am Vergabeverfahren teilgenommen haben sollte, was bestritten werde, sei es ihm ohne weiteres möglich gewesen, die Zuschlags- empfängerin mit Insider-Wissen zu versorgen. 5.3. Aus dem Protokoll der Sitzung des Gemeinderats C. vom 25. Juli 2011 geht hervor, dass der Gemeindeammann D. und der Gemeinderat H. abwesend waren. Bei der Rubrik "Ausstand" befin- det sich ein Strich. Richtigerweise hätte, um jegliche diesbezügliche Unklarheit zu vermeiden, der Name des Gemeindeammanns jedoch sowohl bei der Rubrik "Abwesend" als auch bei der Rubrik "Ausstand" eingetragen werden müssen. Andere Unterlagen, in denen der Ausstand des Gemeindeammanns im vorliegenden Ver- gabeverfahren eindeutig dokumentiert ist, hat die Vergabestelle nicht vorgelegt. Auch wenn somit der Vorwurf der Beschwerdeführerinnen zutrifft, dass in den vorliegenden Verfahrensakten der Ausstand von 2012 Verwaltungsgericht 170 D. nirgends schriftlich vermerkt ist, würde sich allein aus dieser Unterlassung wohl noch nicht auf eine Verletzung der Aus- standspflicht schliessen lassen. Hinzu kommt jedoch Folgendes: Nach Darstellung der Vergabestelle ist D. am Mittag des fragli- chen 25. Juli 2011 in seine Ferien abgereist, das heisst vor der Ge- meinderatssitzung, welche von 13.30 bis 15.40 Uhr dauerte. Gemäss Ziffer 2 des Gemeinderatsbeschlusses war den nicht berücksichtigten Offertstellern das Ergebnis mittels Verfügung mitzuteilen, und die Bauverwaltung wurde beauftragt, die entsprechenden Absageschrei- ben vorzubereiten. Die abschlägigen Verfügungen tragen das Datum vom 25. Juli 2011 und wurden noch am gleichen Tag versandt. Un- terzeichnet sind die Verfügungen vom Gemeindeammann D. und vom Gemeindeschreiber. Daraus folgt, dass die Verfügungen bereits vor dem massgeblichen Vergabebeschluss erstellt und vom Gemein- deammann unterschrieben worden sind. Die Vergabestelle begründet dies damit, dass der Gemeindeammann routinemässig die bei einer vorhersehbaren Entscheidung erforderlichen Dokumente unter- zeichnet habe. Er sei demnach davon ausgegangen, dass der Ge- meinderat einen Entscheid entsprechend der Empfehlung des Inge- nieurbüros E. AG treffen würde. Dieses Vorgehen erscheint in mehr- facher Hinsicht befremdlich. Zunächst hätte der Gemeindeammann die Verfügungen aufgrund seines Ausstandes klarerweise nicht un- terzeichnen dürfen. Sodann folgt aus der Darstellung der Vergabe- stelle, dass der Gemeindeammann von der Auswertung und insbe- sondere vom beabsichtigten Zuschlag, mithin vom entsprechenden Dossier, Kenntnis gehabt haben muss, bevor der Vergabebeschluss des Gemeinderats am Nachmittag des 25. Juli 2011 getroffen wurde. Er hat die entsprechenden Verfügungen ganz bewusst und in Kennt- nis ihres Inhaltes mitunterzeichnet. Auch dies ist mit der Aus- standspflicht nicht zu vereinbaren. Ein weiteres Fragezeichen ist dahingehend anzubringen, dass die Vergabeverfügungen bereits - jedenfalls teilweise, nämlich vom Gemeindeammann - unterzeichnet waren, bevor die zuständige Behörde, das heisst der Gemeinderat, über die Vergabe überhaupt beschlossen hatte. Der Protokollauszug enthält zwar richtigerweise den Auftrag an die Bauverwaltung, die entsprechenden Absageschreiben vorzubereiten. Im vorliegenden 2012 Submissionen 171 Fall lagen diese Verfügungen aber bereits vor der Sitzung vor und waren zumindest vom Gemeindeammann bereits unterschrieben worden. 5.4. Es steht somit fest, dass D. zwar nicht an der Sitzung teilge- nommen hat, an welcher der Beschluss über die Zuschlagserteilung an seine Arbeitgeberin gefasst worden ist. Indessen hat er im fragli- chen Submissionsverfahren mit dem Mitunterzeichnen der Vergabe- verfügungen Handlungen vorgenommen, die mit seiner Ausstands- pflicht nicht vereinbar sind. Zudem ist sein Ausstand im fraglichen Vergabeverfahren nirgends schriftlich festgehalten worden. Der Aus- standspflicht von selber als Anbieter auftretenden oder bei Mitbewer- bern angestellten Behördenmitgliedern kommt - wie ausgeführt (Erw. 5.1. oben) - im Hinblick auf die Grundsätze von Rechtssicher- heit, Rechtsgleichheit und Transparenz eine zentrale Bedeutung zu. Deshalb sind an die formellen Voraussetzungen strenge Anforderun- gen zu stellen. Angesichts der mit dem Arbeitsverhältnis zu einer Anbieterin gegebenen heiklen Konstellation im vorliegenden Sub- missionsverfahren wäre es dringend geboten gewesen, den Ausstand des Gemeindeammanns auch in formaler Hinsicht sicherzustellen und aktenmässig zu dokumentieren, sobald feststand, dass sich die I. AG an der Submission beteiligte. Auf diese Weise hätte sich auch das Unterzeichnen der Vergabeverfügungen durch den Gemeindeam- mann vermeiden lassen. Eine Verletzung der Ausstandspflicht ist vorliegend zu bejahen. Festzuhalten ist im Übrigen, dass auch die Vergabeverfügungen im Submissionsverfahren "Erschliessung J.", in dem ebenfalls am 25. Juli 2011 über den Zuschlag beschlossen wurde, vom Gemeinde- ammann unterzeichnet waren. Auch in diesem Fall war die I. AG als Anbieterin am Vergabeverfahren beteiligt, erhielt den Zuschlag aller- dings nicht.
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AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2012-24_2012-02-03
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2002 Verwaltungsgericht 414 [...] 99 Rechtliches Gehör. Beweiserhebung. Aktenführung. - Wesentliche Beweise dürfen nicht bloss telefonisch eingeholt werden (Erw. II/1/a,c). - Pflicht der Behörde, alles Wesentliche in den Akten festzuhalten (Erw. II/1/b). - Rückweisung bei klarer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Ausnahmen (Erw. II/1/d). 2002 Verwaltungsrechtspflege 415 Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 4. September 2002 in Sachen R.Z. gegen Entscheid des Regierungsrats. Aus den Erwägungen I/2. Der durch die erstinstanzliche Verfügung bestimmte Verfah- rensgegenstand ist die Anweisung, die Beschwerdeführerin müsse sich zum Bezug von IV-Leistungen anmelden oder eine ärztliche Bestätigung vorlegen, dass eine IV-Anmeldung nicht sinnvoll sei, weil keine Aussicht auf Zusprechung von IV-Leistungen bestehe, an- dernfalls die Sozialhilfeleistungen gekürzt würden. II/1. Im vorinstanzlichen Verfahren hat das Gesundheitsdeparte- ment als instruierende Behörde beim Rechtsdienst der SVA eine tele- fonische Auskunft darüber eingeholt, ob der Beschwerdeführerin ein Anspruch auf IV-Leistungen zustehen könnte, und darüber eine Ak- tennotiz angefertigt. Bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der streitigen Weisung stützte sich die Vorinstanz ausschliesslich auf diese Auskunft. a) Aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs ergibt sich der Anspruch der Verfahrensbeteiligten, an der Erhebung wesentlicher Beweise mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Mündlich oder telefonisch eingeholte Auskünfte sind nur unter ein- schränkenden Bedingungen zulässig und beweistauglich. Jedenfalls müssen sie schriftlich in einer Aktennotiz festgehalten werden. Weil sie auch so einer Überprüfung durch die Betroffenen nur beschränkt zugänglich sind, sind sie nach der bundesgerichtlichen Rechtspre- chung nur insoweit zulässig, als damit blosse Nebenpunkte, nament- lich Indizien und Hilfstatsachen, festgestellt werden. Beziehen sich die Auskünfte demgegenüber auf wesentliche Punkte des rechtser- heblichen Sachverhalts, ist grundsätzlich die Form einer schriftlichen Anfrage und Auskunft oder einer protokollierten mündlichen Einver- nahme zu wählen (zum Ganzen ausführlich: BGE 117 V 283 ff.; 124 V 375; Pra 88/1999, Nr. 109, Erw. 4/a; Michele Albertini, Der 2002 Verwaltungsgericht 416 verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwal- tungsverfahren des modernen Staates, Diss. Bern 2000, S. 355 f.). b) Ebenfalls aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör und aus dem Beweisführungsrecht ergibt sich die Aktenführungspflicht der Behörde, also die Pflicht, alles in den Akten festzuhalten, was zur Sache gehört und wesentlich ist (BGE 124 V 375 f.; Albertini, a.a.O., S. 255 f.; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 23 N 10), und die grundsätzliche Pflicht zur Kenntnisgabe beim Beizug neuer Akten (vgl. BGE 118 Ia 19 f.; Merkli/Aeschlimann/Herzog, a.a.O., Art. 23 N 11). c) Dass sich das Gesundheitsdepartement zunächst telefonisch beim Rechtsdienst der SVA über die Aussichten einer IV-Anmeldung erkundigte, um sich ein vorläufiges Bild machen zu können, ist nicht zu beanstanden. Da die Auskunft auf eine inhaltliche Stellungnahme zu einem wichtigen Beschwerdepunkt hinauslief, auf die sich der Regierungsrat in seinem Entscheid abstützen sollte, hätte nach dem zuvor Ausgeführten im Instruktionsverfahren dann zunächst unter Angabe des massgeblichen Sachverhalts eine schriftliche Auskunft eingeholt werden und diese dem Vertreter der Beschwerdeführerin zur Stellungnahme unterbreitet werden müssen. Auch so war es je- denfalls unerlässlich, die erstellte Aktennotiz zu den Akten zu neh- men und dies der Beschwerdeführerin zur Kenntnis zu bringen. Das unzulässige Vorgehen verunmöglichte es der Beschwerdeführerin bzw. ihrem Vertreter, zur Ansicht der SVA Stellung zu nehmen und zu versuchen, diese mit zusätzlichen Argumenten zu widerlegen. d) aa) Die klare Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides und zur Rückweisung an die Vorinstanz (§ 58 VRPG; AGVE 1987, S. 323). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es indes- sen möglich, aus Gründen der Prozessökonomie auf die Aufhebung zu verzichten, wenn dies einzig zur Folge hätte, das Verfahren unnö- tig in die Länge zu ziehen. Vorausgesetzt ist, dass der festgestellte Mangel nicht zu schwerwiegend ist, dass die Beschwerdebehörde über eine ausgedehnte Kognition verfügt und dass die Parteien von den wesentlichen Tatsachen Kenntnis erhielten und dazu Stellung 2002 Verwaltungsrechtspflege 417 nehmen konnten (Pra 88/1999, Nr. 109, Erw. 4/d mit Hinweisen). Zu beachten ist auch das Interesse des Betroffenen, dem an einem baldi- gen definitiven Entscheid gelegen sein kann (vgl. AGVE 1974, S. 361 f.; 1982, S. 215 f.; 1985, S. 326; Michael Merker, Rechtsmit- tel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38- 72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 58 N 31, allerdings mit einseitiger Betonung des Aspekts der Verfahrensdauer). bb) Die Verfahrensmängel, die dazu führten, dass die Beschwer- deführerin bzw. ihr Anwalt von der Beweiserhebung zu einem we- sentlichen Punkt ausgeschlossen wurde, sind gravierend. Dem Ver- waltungsgericht steht keine Ermessensüberprüfung zu. Ein konkretes Interesse der Beschwerdeführerin an der Beschleunigung des Verfah- rens ist nicht erkennbar. Somit kann von der Rückweisung nicht ab- gesehen werden.
1,261
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AG_VG_001
AG_VG
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Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2002-99_2002-09-02
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2002 Verwaltungsgericht 344 [...] 81 Ausstandspflicht. - Verletzung der Ausstandspflicht. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 3. Dezember 2002 in Sachen ARGE E. und Mitb. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 5. g) bb) ccc) Bezüglich der von den Anbietern eingesetzten Materialien hat die Vergabestelle in den Ausschreibungsunterlagen festgehalten, dass sie sich vorbehalte, im Laufe der Bereinigung des Angebots zusätzliche Unterlagen und Bemusterungen zu verlangen; diesem Begehren sei innerhalb von 14 Tagen nachzukommen. In diesem Sinne ordnete die Vergabestelle eine Bemusterung der von den Zuschlagsempfängerinnen vorgeschlagenen Materialien an. Die Bemusterung fand am 29. Mai 2002 im Beisein von G. (Chefelektri- ker des Baudepartements), H. (Projektingenieur und Montageleiter) sowie E. und G. (als Vertretern der Zuschlagsempfängerinnen) statt. Die Beschwerdeführerinnen beanstanden dabei zu Recht, dass G., Chefelektriker im Elektrowerkhof N., also zuständig für den Bareggtunnel, als Vater eines zur Bemusterung eingeladenen Be- triebsinhabers an der Bemusterung teilnahm. Nach § 4 SubmD in Verbindung mit § 5 Abs. 1 VRPG dürfen Behördenmitglieder und Sachbearbeiter nicht beim Erlass von Verfügungen und Entscheiden mitwirken, wenn ein Ausstandsgrund im Sinne der Zivilprozessord- 2002 Submissionen 345 nung vorliegt. Sie haben sich insbesondere dann in Ausstand zu be- geben, wenn sie selbst oder ihnen nahe verbundene Personen an der Verfügung oder dem Entscheid persönlich interessiert sind (Abs. 2). Ausstandspflichtig ist nicht nur, wer selber verfügt oder (mit-)ent- scheidet, sondern das Mitwirkungsverbot bezieht sich auf alle Perso- nen, die auf das Zustandekommen des Verwaltungsakts Einfluss nehmen können; dazu gehören namentlich auch Sachbearbeiter oder Protokollführer mit beratender Funktion (vgl. AGVE 1998, S. 362; VGE III/25 vom 25. September 2001 [BE.2001.00173] in Sachen Team T., S. 21; Peter Hänni / Marco Scruzzi, Zur Ausstandspflicht im Rahmen von Submissionsverfahren, in BR 1999, S. 131 ff., insb. S. 134 f.; Thomas Merkli / Arthur Aeschlimann / Ruth Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kan- tons Bern, Bern 1997, Art. 9 N 7; vgl. ferner Daniel Bircher / Stefan Scherler, Missbräuche bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Bern/Stuttgart/Wien 2001). Da die Ergebnisse der Bemusterung als Grundlage für die Beurteilung des Teilkriteriums "Qualität und Eig- nung der eingesetzten Komponenten" dienten, hat G. bei der Bewer- tung der Angebote mitgewirkt und damit die Zuschlagserteilung mitbeeinflusst. Er hätte somit nach Massgabe der erwähnten Vor- schrift in den Ausstand treten müssen. Auch dieser klare Verstoss gegen die Ausstandsregeln führt zur Aufhebung des Zuschlags. Es liesse sich sogar fragen, ob nicht das Submissionsverfahren als Gan- zes aufgehoben werden müsste. Indessen kann davon Umgang ge- nommen werden, weil der Wortlaut des Protokolls der Bemusterung keine Anhaltspunkte dafür enthält, dass anlässlich der Bemusterung Vorgänge stattfanden, welche den tragenden Prinzipien des Submis- sionsrechts (Gleichbehandlungsgebot, Diskriminierungsverbot, Transparenzgebot etc.) widersprechen.
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2019 Fürsorgerische Unterbringung 47 I. Fürsorgerische Unterbringung 3 Art. 380 ZGB Art. 380 ZGB betrifft die Behandlung einer psychischen Störung in einer psychiatrischen Klinik (E. 2.2). Diese Bestimmung setzt neben Urteilsun- fähigkeit (E. 3.1) eine psychische Störung voraus (E. 4.1), damit die Be- stimmungen über die fürsorgerische Unterbringung zur Anwendung gelangen (E. 4.4). Von der Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung kann im Anwendungsbereich von Art. 380 ZGB nicht bereits abgesehen werden, weil die vertretungsberechtigte Person der Behandlung in der psychiatrischen Klinik zustimmt oder die betroffene Person mit der Behandlung einverstanden ist. Erweist sich die Klinikeinweisung als notwendig, ist bezüglich der Behandlung der psychischen Störung im Rahmen des Klinikaufenthalts nach Art. 433 ff. ZGB vorzugehen (E. 5.3). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 19. Februar 2019, in Sachen A. gegen den Entscheid von Dr. med. B. in Sachen C. (WBE.2019.59). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, (für C.) liege eine umfas- sende Beistandschaft vor. Der Aufenthalt von C. in der Psychiat- rischen Klinik Königsfelden zwecks Medikamenteneinstellung sei in Absprache mit ihm als Beistand und der Stiftung D. (Wohneinrich- tung von C.) schon länger geplant gewesen. C. habe sich nicht dage- gen gewehrt, sondern sogar darauf gefreut. Entsprechend sei der Ein- tritt ohne Widerstände erfolgt. (...) 2.2. 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 48 Im zweiten Abschnitt des zehnten Titels des Zivilgesetzbuches, welcher den Erwachsenenschutz betrifft, werden die Massnahmen von Gesetzes wegen für urteilsunfähige Personen geregelt. Dessen zweiter Unterabschnitt betrifft die Vertretung bei medizinischen Massnahmen. Die zu diesem Unterabschnitt gehörenden Art. 377 und Art. 378 ZGB legen fest, wer eine urteilsunfähige Person bei medizi- nischen Massnahmen vertreten darf und wie vorzugehen ist. Nach Art. 378 Abs. 1 ZGB kann die vertretungsberechtigte Person auch der Einweisung in ein Spital zustimmen. Ist indessen für die Behand- lung einer psychischen Störung eine Einweisung in eine psychiat- rische Klinik erforderlich, so sind gemäss Art. 380 ZGB die Bestim- mungen über die fürsorgerische Unterbringung anwendbar (Art. 426 ff. ZGB). Diese Regelung dient dem Schutz betroffener Personen. Unabhängig davon, ob die urteilsunfähige Person Wider- stand leistet oder nicht, sollen die gleichen Verfahrensgarantien gel- ten (vgl. Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetz- buches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, BBl 2006 [nachfolgend: Botschaft Erwachsenen- schutzrecht], S. 7036 f.). 3. 3.1. Dem Wortlaut von Art. 380 ZGB entsprechend, muss die be- troffene Person als erste Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bestimmungen über die fürsorgerische Unterbringung zunächst urteilsunfähig sein. (...) 3.2.-3.3. (...) 3.4. (...) C. fehlt es somit in Bezug auf den Entscheid über den Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden an Urteils- fähigkeit. Dies gilt umso mehr in Bezug auf die medikamentöse Be- handlung. 4. 4.1. Gemäss Art. 378 Abs. 1 ZGB kann die vertretungsberechtigte Person über die ambulante oder stationäre medizinische Behandlung eines urteilsunfähigen Patienten entscheiden. Sie kann auch ent- 2019 Fürsorgerische Unterbringung 49 scheiden, ihn zur somatischen Behandlung zu hospitalisieren oder in einem Wohn- und Pflegeheim unterzubringen (OLIVIER GUILLOD/AGNÈS HERTIG PEA in: ANDREA BÜCHLER/CHRISTOPH HÄFELI/AUDREY LEUBA/MARTIN STETTLER [Hrsg.], FamKommen- tar Erwachsenenschutzrecht, Bern 2013, Art. 380 ZGB N 1). Art. 380 ZGB bezieht sich dagegen auf die Behandlung einer psy- chischen Störung in einer psychiatrischen Klinik. Somit ist zu prüfen, ob eine psychische Störung vorliegt. 4.2.-4.3. (...) 4.4. (...) Mit Blick auf die vorbestehende und im Rahmen des aktuellen Klinikaufenthalts bestätigte Diagnose, die Akten, sowie den an der Verhandlung vom 19. Februar 2019 gewonnen persön- lichen Eindruck besteht für das Verwaltungsgericht kein Zweifel, dass C. an einer psychischen Störung leidet. Somit kommen gemäss Art. 380 ZGB aufgrund der bestehenden Urteilsunfähigkeit für die Einweisung in die Psychiatrische Klinik Königsfelden die Bestim- mungen über die fürsorgerische Unterbringung zur Anwendung. 5. 5.1.-5.2. (...) 5.3. Ein Absehen von der Anordnung einer fürsorgerischen Unter- bringung kann entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers im Anwendungsbereich von Art. 380 ZGB nicht bereits angezeigt sein, weil die vertretungsberechtigte Person der Behandlung in der psychiatrischen Klinik zustimmt. Die Anwendbarkeit der Bestim- mungen über die fürsorgerische Unterbringung dient in solchen Fällen gerade dazu, die urteilsunfähige Person davor zu schützen, dass sie von nahestehenden Personen möglicherweise missbräuchlich in die psychiatrische Klinik eingewiesen wird (GUILLOD/HERTIG PEA, a.a.O., Art. 388 ZGB N 1). Auch eine Einwilligung der be- troffenen Person kann die Notwendigkeit einer fürsorgerischen Un- terbringung nicht entfallen lassen, wollte der Gesetzgeber doch gera- de unabhängig davon, ob die betroffene Person Widerstand leistet, die gleichen Verfahrensgarantien wie bei der fürsorgerischen Unter- bringung gelten lassen (vgl. Botschaft Erwachsenenschutzrecht, 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 50 S. 7037). Zu prüfen ist vielmehr, ob die Behandlung der psychischen Störung eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik notwendig machte oder ob die Behandlung, als mildere Massnahme, beispiels- weise etwa auch im ambulanten Rahmen im angestammten Woh- numfeld hätte durchgeführt werden können. Erweist sich die Klinikeinweisung als notwendig, ist bezüglich der Behandlung der psychischen Störung im Rahmen des Klinik- aufenthalts nach Art. 433 ff. ZGB vorzugehen (PATRICK FASSBIND, Erwachsenenschutz, Zürich 2012, S. 213; JÜRG GASSMANN in: DANIEL ROSCH/ANDREA BÜCHLER/DOMINIQUE JAKOB [Hrsg.], Er- wachsenenschutzrecht, 2. Aufl., Basel 2015, Art. 379/380 Rz. 3). Damit die für die fürsorgerischen Unterbringung geltenden Verfah- rensgarantien auch bei den im Rahmen eines Klinikaufenthalts ge- mäss Art. 380 ZGB erforderlichen medizinischen Massnahmen zur Anwendung gelangen, sollten diese unabhängig von der Zustimmung der urteilsunfähigen Person und auch unabhängig von der Zustim- mung der vertretungsberechtigten Person mittels schriftlicher Anord- nung einer Behandlung ohne Zustimmung gemäss Art. 434 ZGB er- folgen.
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AG_VG_001
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2016 Sozialhilfe 233 [...] 38 Sozialhilfe; Zuständigkeit Bei vorbestehender Unterstützungsbedürftigkeit bleibt die Zuständigkeit der früheren Wohnsitzgemeinde für ausstehende, dort angefallene und erst nach dem Wegzug in Rechnung gestellte Wohnnebenkosten bestehen. 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 234 Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. Oktober 2016 in Sachen Einwohnergemeinde A. gegen B. und Departement Gesundheit und Soziales (WBE.2016.325). Aus den Erwägungen 1. Der Gemeinderat A. beantragt die Aufhebung des angefochte- nen Entscheids. Entgegen der Auffassung der Beschwerdestelle SPG bestehe für Ausstände der jährlichen Heiz- und Nebenkostenabrech- nung, welche sich auf den Zeitraum vor dem Zuzug beziehen, keine Zuständigkeit. Die Wohnkosten umfassten neben dem Mietzins auch die Nebenkosten. Sofern eine Person nicht in der Lage sei, dafür auf- zukommen, sei die jeweilige Unterstützungsgemeinde dafür zustän- dig. Die frühere Unterstützungsgemeinde habe mit der Übernahme der Wohnkosten eine Kostengutsprache für allenfalls später anfal- lende, nicht pauschal abgegoltene Nebenkosten geleistet und sei von der Zahlungspflicht nur insoweit befreit, als die unterstützte Person nicht aus eigener Kraft leisten könne. Komme hinzu, dass Privatschulden nur ausnahmsweise zu übernehmen seien, sofern da- mit eine bestehende oder drohende Notlage vermieden werde. Dar- über wäre aufgrund einer Abwägung im Einzelfall zu entscheiden, wobei Schulden nur zugunsten der unterstützten Person, nicht aber im überwiegenden Interesse der Gläubiger übernommen werden dürften. 2. Die Vorinstanz bejahte die Zuständigkeit der neuen Wohnsitzge- meinde zur Prüfung des Gesuchs. Dieses betraf ausstehende Neben- kosten der Wohnung in der früheren Gemeinde, wo die Beschwerde- gegnerin bereits unterstützt worden war. Die unterstützungspflichtige Gemeinde habe in Anwendung der SKOS-Richtlinien (B.3-1) zwar über die Wohnkosten unter Einbezug der Nebenkosten entschieden und darauf habe die neue Gemeinde keinen Einfluss. Indessen habe die bisherige Sozialhilfe gemäss Kapitel C.8 der SKOS-Richtlinien beim Wegzug gewisse Kosten zu übernehmen; zu im Zeitpunkt des 2016 Sozialhilfe 235 Umzugs nicht fälligen Forderungen habe sich die SKOS nicht geäus- sert. Deren Kommission Rechtsfragen habe am 24. April 2008 die Meinung geäussert, aus Praktikabilitätsgründen sei zur Bestimmung des unterstützungspflichtigen Gemeinwesens auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung und nicht der Leistungserbringung abzustel- len. Über diese Meinung wolle sich die Beschwerdestelle SPG nicht ohne Not hinwegsetzen. Es sei aber nicht zu verkennen, dass die Übernahme von Privatschulden Fragen aufwerfe und auch von einer subsidiären Kostengutsprache der bisherigen Gemeinde für später anfallende Nebenkosten ausgegangen werden könnte. Bezüglich offener Krankenkassenprämien habe die Kommission Rechtsfragen der SKOS die Meinung vertreten, dass die bisherige Wohnsitzge- meinde alle Prämien entsprechend der Wohnsitzdauer zu überneh- men habe. 3. 3.1. Bis zum 30. April 2015 wohnte die Beschwerdegegnerin mit ihrem Partner in einer 3,5-Zimmerwohnung an der C.-Strasse in D.. Der monatliche Netto-Mietzins betrug Fr. 1'450.00 (einschliesslich Garage). Als Nebenkosten wurden Fr. 150.00 vereinbart, wobei Heiz-, Warmwasser- und Betriebskosten auf Abrechnung erfolgen. Dies ergab einen Brutto-Mietzins von Fr. 1'600.00. Die Beschwerdegegnerin wurde von D. vom 1. März 2013 bis 31. Mai 2015 materiell unterstützt. Ihr Partner bezog keine Sozialhil- feleistungen. Im Beschluss vom 23. September 2013 hat der Gemein- derat erwogen, der maximale Wohnkostenbeitrag für einen 2-Per- sonenhaushalt von Fr. 1'250.00 werde überschritten. Am 23. September 2013 erteilte er der Beschwerdegegnerin unter Kür- zungsandrohung die Weisung, sich um eine kostengünstigere Woh- nung zu bemühen. Im Beschluss vom 17. März 2014 kürzte der Ge- meinderat den anteilmässigen Wohnkostenbeitrag auf Fr. 625.00. Mit Entscheid vom 1. Juni 2015 wurde die materielle Hilfe infolge Weg- zugs eingestellt. 3.2. Seit dem 1. Mai 2015 wohnt die Beschwerdegegnerin zusam- men mit ihrem Partner in einer 4,5-Zimmerwohnung in A.. Seit dem 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 236 1. Juni 2015 wird sie von dieser Gemeinde unterstützt. Ihr Partner bezieht nach wie vor keine Sozialhilfeleistungen. Im Beschluss vom 29. Juni 2015 übernahm der Gemeinderat A. entsprechend den örtli- chen Mietzinsrichtlinien einen anteilmässigen Wohnkostenbeitrag von Fr. 600.00. 3.3. Nach der jährlichen Nebenkostenabrechnung vom 18. Novem- ber 2015 waren für die Wohnung in D. vom 1. Juli 2014 bis 30. April 2015 Heiz- und Betriebskosten von Fr. 2'462.20 angefallen. Davon wurden Akontozahlungen von Fr. 1'500.00 in Abzug gebracht, was ein Guthaben des Vermieters von Fr. 962.20 ergab. 4. Nach Art. 257a Abs. 2 OR dürfen Nebenkosten dem Mieter nur dann gesondert belastet werden und sind sie nicht im Nettozins inbe- griffen, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben. Eine entsprechende Vereinbarung kann vorsehen, dass die ausdrücklich bezeichneten Nebenkosten mit einer Pauschale abgegolten werden oder dass sie mindestens einmal jährlich abgerechnet werden, wobei der Mieter in der Regel Akontozahlungen leistet (BGE 132 III 24, Erw. 3.1; 121 III 460, Erw. 2a/aa; P ETER H IGI , in: Zürcher Kommen- tar, 1994, Art. 257a-257b N 19 f.). Erhebt der Vermieter die Neben- kosten aufgrund einer Abrechnung, muss er diese jährlich mindestens einmal erstellen und dem Mieter vorlegen (Art. 4 Abs. 1 der Verord- nung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen vom 9. Mai 1990 [VMWG; SR 221.213.11]). Erhebt er sie pauschal, muss er auf die Durchschnittswerte dreier Jahre abstellen (Art. 4 Abs. 2 VMWG). Leistet der Mieter entsprechend der ordnungsge- mäss erstellten jährlichen Abrechnung Nachzahlung, erfüllt er damit seine ursprüngliche Pflicht zur Übernahme von Nebenkosten. Eine Vertragsänderung ist damit nicht verbunden (BGE 132 III 24, Erw. 3.2; vgl. auch BGE 126 III 119). Es ist üblich, dem Mieter eine Zahlungsfrist von 30 Tagen einzuräumen (vgl. Urteil des Bundesge- richts vom 24. Juni 1998 [4C.479/1997], Erw. 3a, in: mp 2/99, S. 83 ff.; R OGER W EBER , in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Art. 1-529 OR, 6. Auflage, 2015, Art. 257a N 8). 2016 Sozialhilfe 237 5. 5.1. Im vorliegenden Verfahren ist lediglich über die Zuständigkeit des Gemeinderats A. zur Prüfung des Gesuchs um Nachzahlung von Mietnebenkosten zu entscheiden. 5.2. Eine Zuständigkeit der neuen Wohnsitzgemeinde zur Über- nahme von Ausständen entsprechend der jährlichen Nebenkostenab- rechnung (d.h. vor dem Zuzug) würde bei neu eingetretener Unter- stützungsbedürftigkeit bestehen: Materielle Hilfe wird in der Regel auf Gesuch hin gewährt (vgl. § 9 SPG), wobei die Forderung im beendeten Mietverhältnis begründet wäre. Aufgrund des Wegzugs (Art. 9 Abs. 1 ZUG) könnte keine Zuständigkeit der früheren Wohn- gemeinde bestehen. Gegenüber der neuen Wohnsitzgemeinde läge ein Gesuch um Übernahme ausstehender Privatschulden vor. Diese Konstellation liegt indessen nicht vor. Es mag Praktikabilitätsüberlegungen entsprechen und im Einzelfall angezeigt sein, dass die neue Wohngemeinde auch bei vor- bestehender Unterstützungsbedürftigkeit für ausstehende frühere Ne- benkosten aufkommt. Insbesondere erlaubt dieses Vorgehen, dass eine betreffende Nachzahlung im aktuellen Sozialhilfebudget als Ausgabe berücksichtigt bzw. ein ausbezahltes Guthaben als Einnah- men angerechnet wird. Rechtlich überzeugt dieses Vorgehen aller- dings nicht: Bei dieser Nachzahlung ist nicht von (Privat-)Schulden auszugehen, sondern von Nebenkosten als Bestandteil der Wohn- kosten (vgl. SKOS-Richtlinien, B.3-1; C LAUDIA H ÄNZI , Die Richt- linien der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Basel 2011, S. 375 f.). Kapitel C.8 der SKOS-Richtlinien betrifft den Wegzug aus der Gemeinde und empfiehlt, dass das bisherige Sozialhilfeorgan insbesondere den Lebensunterhalt für einen Monat, den ersten Woh- nungsmietzins sowie Umzugskosten übernimmt. Hierbei handelt es sich um keine Zuständigkeitsbestimmungen und die Annahme von situationsbedingten Leistungen wäre bei ausstehenden Wohnneben- kosten nicht ohne Weiteres angezeigt. Gemäss Art. 257b OR ist der Vermieter nur berechtigt, die tatsächlichen Aufwendungen, d.h. die ihm effektiv entstehenden Kosten, zu überwälzen (W EBER , a.a.O., 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 238 Art. 257b N 2; H IGI , a.a.O., Art. 257a-257b N 26). Bei der Akontovereinbarung entsteht eine auf Abrechnung gestellte Forde- rung (W EBER , a.a.O., Art. 257a N 8). Die Nachzahlungsverpflich- tung ist im Mietverhältnis begründet und bedeutet Vertragserfüllung. Üblicherweise leistet der Mieter mit dem Mietzins Akontozahlungen, welche nach dem Vorliegen der Nebenkostenabrechnung angerechnet werden. Abweichungen von mehr als 15 % braucht der Mieter praxisgemäss nicht zu tragen (vgl. W EBER , a.a.O., Art. 257b N 2). Indem die frühere Wohnsitzgemeinde materielle Hilfe einschliesslich Wohnkostenbeitrag gewährte, hat sie damit über ihre Zuständigkeit auch hinsichtlich der vertraglich geschuldeten Nebenkosten entschie- den. Dies trifft unabhängig von der Fälligkeit der Nachzahlungs- forderung sowie davon zu, dass diese erst nach dem Vorliegen der Abrechnung bestimmt und erfüllbar war (vgl. H IGI , a.a.O., Art. 257a- 257b N 23). Unerheblich ist weiter, dass der Vermieter erst nach dem Wegzug Rechnung stellte. Mit dem Gesuch um Übernahme durch die Sozialhilfe wurde mithin kein neuer Leistungsanspruch geltend gemacht. Das sozialhilferechtliche Bedarfdeckungsprinzip bleibt aufgrund der übernommenen Vorleistungen, welche die Nebenkosten nur teilweise deckten, grundsätzlich unberührt. 5.3. Somit ist der Gemeinderat A. für die Prüfung des Gesuchs um Nachzahlung von Nebenkosten nicht zuständig.
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2002 Verwaltungsgericht 408 [...] 95 Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts. - Die Rückforderungsklage nach Art. 86 Abs. 1 SchKG für Gebühren nach dem SpBG bzw. GGG ist eine vermögensrechtliche Streitigkeit öffentlichrechtlicher Natur. - Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts im Klageverfahren, nicht der Zivilgerichte. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 20. September 2002 in Sachen K. gegen den Kanton Aargau. Aus den Erwägungen 1. Gemäss § 60 Ziff. 3 VRPG beurteilt das Verwaltungsgericht als einzige Instanz vermögensrechtliche Streitigkeiten an denen u.a. der Kanton beteiligt ist, sofern nicht die Verwaltungsgerichtsbe- schwerde gegeben oder das Zivil- oder ein Spezialverwaltungsge- richt zuständig ist. 2. Die Klägerin macht eine Rückforderungsklage gemäss Art. 86 SchKG geltend. Nach dieser Bestimmung kann derjenige, welcher durch Unterlassen des Rechtsvorschlages oder nach Beseiti- gung des Rechtsvorschlages durch Rechtsöffnung eine Nichtschuld bezahlt hat, innerhalb eines Jahres nach der Zahlung auf dem ordent- 2002 Verwaltungsrechtspflege 409 lichen Prozessweg den bezahlten Betrag zurückfordern (Art. 86 Abs. 1 SchKG). Die Rückforderungsklage kann nach Wahl entweder beim Gericht des Betreibungsortes oder dort angehoben werden, wo der Beklagte seinen ordentlichen Gerichtsstand hat. Das Rückforde- rungsrecht ist von keiner andern Voraussetzung als dem Nachweis der Nichtschuld abhängig (Art. 86 Abs. 2 und 3 SchKG). Für die Zuständigkeit gelten im Übrigen die Vorschriften des kantonalen Rechts. Das Zivilrechtspflegegesetz macht in § 301 Abs. 2 hinsicht- lich des Verfahrens einen Vorbehalt bezüglich der besonderen Vor- schriften des SchKG und des AGSchKG. Für die Rückforderungs- klage gemäss Art. 86 SchKG sieht das AGSchKG keine Zuständig- keit der Zivilgerichte vor, sondern verweist in § 19 Abs. 3 AGSchKG für zivilrechtliche Streitigkeiten aus dem Betreibungs- und Konkursrecht auf die Zivilprozessordnung. Gemäss § 9 ZPO entscheiden die Zivilgerichte unter dem Vor- behalt abweichender gesetzlicher Bestimmungen die privatrechtli- chen Streitsachen. Offensichtlich handelt es sich bei der Rückforde- rung von Gebühren nach dem Gesetz über den Betrieb von Geschick- lichkeitsspielautomaten und die Kursaalabgabe (Spielbetriebsgesetz, SpBG; SAR 958.100) vom 20. Juni 2000 (in Kraft seit dem 1. Januar 2001) bzw. dem Gesetz über das Gastgewerbe und den Kleinhandel mit alkoholhaltigen Getränken (Gastgewerbegesetz, GGG; SAR 970.100) vom 25. November 1997 um vermögensrechtli- che Streitigkeiten öffentlichrechtlicher Natur im Sinne von § 60 Ziff. 3 VRPG. Eine ausdrückliche Regelung der Zuständigkeit für die Rückforderung von bezahlten Gebühren enthalten weder das SpBG bzw. das GGG, noch findet sich eine entsprechende Norm in den kantonalen Prozessgesetzen. Die Zuständigkeit des Zivilgerichts ist daher nicht gegeben (Bernhard Bodmer, in: Adrian Staehelin/Thomas Bauer/Daniel Staehelin [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, Art. 1-87, Basel/Genf/ München 1998, Art. 86 N 13). Auf Grund der öffentlichrechtlichen Natur des Anspruches ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gemäss § 60 Ziff. 3 VRPG gegeben, weshalb auf die Klage einzu- treten ist.
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2000 Submissionen 279 67 Akteneinsicht in Referenzauskünfte. - Das Akteneinsichtsrecht ist im SubmD abschliessend geregelt (Erw. 2/a). - Im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens be- steht bezüglich Referenzangaben grundsätzlich ein umfassendes Aus- kunfts- und Akteneinsichtsrecht (Erw. 2/b). - Im Normalfall ist das Interesse des nicht berücksichtigten Anbieten- den an der Offenlegung belastender Referenzauskünfte erheblich grösser und gewichtiger als die Interessen der Vergabestelle und des Referenzgebers an der Geheimhaltung (Erw. 2/b/cc/ddd). Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 16. Februar 2000 in Sachen ARGE E. AG/M. AG gegen den Beschluss / die Verfügung des Abwasserverbands O. Aus den Erwägungen 1. a) Die Vergabestelle hat zusammen mit der Vernehmlassung insgesamt elf Beilagen eingereicht. Die Beilagen 9 und 11 hat sie ausdrücklich als ,,vertrauliches Dokument ausschliesslich zu Handen des Verwaltungsgerichts" deklariert. Es handelt sich hierbei einer- seits um Telefonnotizen betreffend Referenzauskünfte über die M. AG und die E. AG aufgrund der von den Beschwerdeführerinnen eingereichten Referenzliste und anderseits um den mit ,,Grundlagen für die Vergabe" bezeichneten Bericht der T. AG vom 10. Dezember 1999 zuhanden der Vergabestelle. b) Der Abwasserverband O. begründet die Vertraulichkeit dieser beiden Beilagen damit, dass den Auskunftspersonen seitens der Vergabestelle Diskretion zugesichert worden sei. Falls Auskünfte von Referenzpersonen offen gelegt werden müssten, sei es in Zukunft wohl unmöglich, offene und kritische Auskünfte zu erhalten, und zur Einschätzung der Qualität blieben nur ,,objektive" Kriterien, wie namentlich die ISO-Zertifizierungen. Die Beschwerdeführerinnen sind demgegenüber der Auffas- sung, ihnen sei Einblick auch in diese beiden Beweisbeilagen zu 2000 Verwaltungsgericht 280 gewähren, denn sie müssten Gelegenheit erhalten, zu allen entscheid- relevanten Behauptungen Stellung nehmen zu können. Nicht offen gelegte Auskünfte von angeblichen Referenzpersonen dürften beim Entscheid über die Beschwerde nicht berücksichtigt werden. Das Argument, Referenzauskünfte könnten nicht mehr erhältlich gemacht werden, wenn sowohl Referenzperson als auch Inhalt der Referenz bekannt gemacht werden müssten, sei rechtlich nicht stichhaltig. Wer wettbewerbsrelevante Äusserungen über die Qualität eines Unter- nehmens abgebe, müsse sich genau gleich überlegen, ob die Behaup- tung gegebenenfalls belegt werden könne, wie jemand der über einen Dritten ehrenrührige Äusserungen abgebe. c) Die Beschwerdeführerinnen vertreten sodann die Auffassung, der Umstand, dass ihnen vom Verwaltungsgericht keine Einsicht in die Offerte der B. AG, namentlich in die Referenzliste, gewährt werde, stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Einen ausdrücklichen Antrag auf Einsicht in diese Beilage haben sie indes- sen nicht gestellt. 2. a) Das Verwaltungsgericht hat sich bereits in einem früheren Fall in grundsätzlicher Weise mit dem Anspruch auf Akteneinsicht im Submissionsverfahren auseinandergesetzt (vgl. Beschluss vom 7. Mai 1998 in Sachen ARGE A., publiziert in: ZBl 99/1998, S. 527 ff.). Es ist auf dem Wege der Auslegung zum Ergebnis ge- kommen, dass die spezialgesetzlichen Vorschriften der §§ 2 und 20 Abs. 2 und 3 SubmD aufgrund der wesensmässigen Besonderheiten des Submissionsverfahrens das Akteneinsichtsrecht sowohl im erst- instanzlichen Submissionsverfahren als auch im Submissionsbe- schwerdeverfahren abschliessend regelten, weshalb für die Anwen- dung der allgemeinen die Akteneinsicht betreffenden Bestimmungen des VRPG, namentlich § 16 VRPG, kein Raum bleibe (ZBl 99/1998, S. 530 ff.). In Bezug auf das Rechtsmittelverfahren im Besonderen wurde festgehalten: ,,Die Verpflichtung der Rechtsmittelinstanz auf den Untersuchungsgrundsatz (§ 20 VRPG) und eine eher grosszügige Handhabung von § 20 Abs. 2 SubmD bieten im besonderen Kontext 2000 Submissionen 281 des Submissionsverfahrens genügend Gewähr für eine rechtsstaatlich korrekte Rechtsfindung" (ZBl 99/1998, S. 33). Ein Anspruch des unterlegenen Anbieters auf Einsichtnahme in Konkurrenzofferten sei wegen der damit verbundenen Gefahr der Verletzung von Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnissen bereits auf generell-abstrakter Ebene ausgeschlossen worden, indem der Dekretsgeber den Geheimhaltungsinteressen grösseres Gewicht eingeräumt habe (ZBl 99/1998, S. 535). b) Die vorliegendenfalls hauptsächlich streitige Frage, ob und wieweit einem nicht berücksichtigten Anbietenden von der Verga- bestelle eingeholte Referenzauskünfte offen zu legen sind, beurteilt sich somit ausschliesslich nach den §§ 2 und 20 Abs. 2 und 3 SubmD. aa) Nach § 2 Satz 1 SubmD behandelt die Vergabestelle die Angaben und Unterlagen der Anbietenden vertraulich. Vorbehalten bleiben die nach dem Zuschlag zu veröffentlichenden Mitteilungen und die den nicht berücksichtigten Anbietenden zwingend zu er- teilenden Auskünfte. Gemäss § 20 Abs. 2 SubmD gewährt die Verga- bestelle den nicht berücksichtigten Anbietenden nach erfolgtem Zu- schlag Einsicht in das Öffnungsprotokoll und das Verzeichnis der be- reinigten Schlusssummen und erteilt ihnen auf Gesuch hin umgehend Auskünfte (vgl. § 20 Abs. 2 lit. a - e SubmD) über das angewandte Vergabeverfahren, den Namen der berücksichtigten Anbietenden, den Preis des berücksichtigten Angebots, die wesentlichen Gründe für die Nichtberücksichtigung und die Eigenschaften und Vorteile des berücksichtigten Angebots. Diese Einsichts- und Auskunftsrechte stehen dem nicht berücksichtigten Teilnehmer an einer Submission unabhängig von einem Beschwerdeverfahren zu. Sie sollen ihn zusammen mit der Begründung des Vergabeentscheids in die Lage versetzen, sachgerecht über eine allfällige Beschwerdeerhebung zu entscheiden und eine allfällige Beschwerde in Kenntnis der Entscheidgründe substanziert einreichen zu können (AGVE 1998, S. 426 ff.). Im Beschwerdeverfahren richtet sich die Akteneinsicht 2000 Verwaltungsgericht 282 ebenfalls nach § 20 Abs. 2 SubmD, geht aber insofern weiter, als grundsätzlich Einsicht in alle entscheidrelevanten und vom Gericht nicht als vertraulich im Sinne von § 2 Satz 1 SubmD qualifizierten Aktenstücke - wie generell die Offerten sowie im Einzelfall Unterla- gen der Vergabestelle, die vertraulich zu behandelnde Angaben über die Anbietenden enthalten - zu gewähren ist. bb) aaa) Von der Vergabestelle von Dritten eingeholte, negativ ausgefallene Referenzauskünfte können beim erfolglosen Anbieten- den ein wesentlicher Grund für die Nichtberücksichtigung im Sinne von § 20 Abs. 2 lit. d SubmD sein. Beim Zuschlagsempfänger kön- nen sich Referenzauskünfte zu seinen Gunsten ausgewirkt haben und insofern - im weiteren Sinn - unter die Eigenschaften und Vorteile des berücksichtigten Angebots gemäss § 20 Abs. 2 lit. e SubmD fallen. Mithin ist das Auskunftsrecht in Bezug auf Referenzaus- künfte, die die Vergabestelle von Dritten erhalten hat, im Grundsatz zu bejahen. bbb) Soweit Auskünfte zu erteilen sind, ist grundsätzlich auch Einblick in die einschlägigen Akten zu geben. Die Vergabestelle kann sich bei ihren Unterlagen, seien es von ihr selbst erstellte Te- lefonnotizen über Referenzauskünfte oder von Dritten erhaltene schriftliche Referenzangaben, nicht darauf berufen, es handle sich hierbei um verwaltungsinterne Akten, dies jedenfalls dann nicht, wenn die im betreffenden Papier enthaltenen Informationen beim Vergabeentscheid Berücksichtigung gefunden haben. In diesen Fäl- len kommt dem Aktenstück Bedeutung für die verfügungswesentli- che Sachverhaltsfeststellung zu; es hat Beweischarakter (vgl. ZBl 99/1998, S. 528 f.; BGE 115 V 303; Alfred Kölz / Jürg Bosshart / Martin Röhl, VRG, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zürich 1999, § 8 N 66 ff., mit weite- ren Hinweisen). ccc) § 20 Abs. 2 SubmD gebietet der Vergabestelle aber weder die Herausgabe von Unterlagen an die Anbietenden noch schreibt er vor, dass die zusätzlichen Auskünfte zwingend schriftlich zu erteilen 2000 Submissionen 283 sind. Anlässlich der Beratung von § 20 SubmD im Grossen Rat wurde ein Antrag, der die Vergabestelle verpflichten wollte, den nicht berücksichtigten Bewerbern nicht nur Einsicht in das Öff- nungsprotokoll und das Verzeichnis der bereinigten Schlusssummen zu gewähren, sondern diese Unterlagen den Submissionsteilnehmern gleich auch (zusammen mit dem Vergabeentscheid) zuzustellen, abgelehnt (vgl. Protokoll der 184. Sitzung des Grossen Rates vom 26. November 1996, S. 621). Ein weitergehender Anspruch lässt sich grundsätzlich auch aus dem in Art. 29 Abs. 2 BV bzw. Art. 4 Abs. 1 aBV gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör und dem sich daraus ergebenden Recht auf Akteneinsicht nicht ableiten. Dieses Recht umfasst den Anspruch, die Akten, in die Einsicht gewährt werden muss, am Sitz der Behörde einzusehen und davon Notizen zu machen, nicht aber den Anspruch auf Aushändigung der Akten (BGE 122 I 112; Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., § 8 N 72). Aus dem Recht auf rechtliches Gehör ergibt sich immerhin der Anspruch, auf einem Kopiergerät der Verwaltung Fotokopien gegen Gebühren selbst herzustellen, soweit es für die Verwaltung zu keinem unverhältnismässigen Aufwand führt (BGE 116 Ia 327 f. mit Hinweisen; AGVE 1995, S. 363 f.). Beim anwaltlich vertretenen Gesuchsteller werden die Akten allerdings in der Regel dem Rechts- vertreter zum Studium ausgehändigt (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., § 8 N 72). Der Anbietende hat somit Anspruch darauf, dass die ihm gemäss § 20 Abs. 2 SubmD zwingend zustehenden Informationen von der Vergabebehörde zumindest mündlich erteilt werden, und er ist berechtigt, in dem Umfang, in dem die Auskunftspflicht besteht, Einsicht in die entsprechenden Akten der Vergabestelle zu nehmen. cc) aaa) Der Anspruch auf Auskunft bzw. Akteneinsicht besteht nicht unbeschränkt. Die Auskunft und damit auch die entsprechende Akteneinsicht können nach § 20 Abs. 3 SubmD verweigert werden, wenn öffentliche Interessen verletzt würden (lit. a) oder wenn be- rechtigte wirtschaftliche Interessen der Anbietenden beeinträchtigt oder der lautere Wettbewerb zwischen ihnen verletzt würde (lit. b). 2000 Verwaltungsgericht 284 Die um Auskünfte bzw. Akteneinsicht angegangene Behörde hat somit eine Abwägung zwischen den Interessen des unberücksichtigt gebliebenen Anbietenden an der Auskunftserteilung und allenfalls entgegenstehenden öffentlichen Interessen sowie den privaten Inte- ressen von Mitanbietenden und - insbesondere im hier zu beurtei- lenden Fall von Referenzauskünften - allfälligen Drittpersonen vor- zunehmen. bbb) Der von einer nachteiligen Referenzauskunft, die mit zu seiner Nichtberücksichtigung beim Zuschlag geführt hat, betroffene Anbietende hat zweifellos ein sehr erhebliches Interesse, zu erfahren, welches der genaue Inhalt dieser Auskunft war und wer sie erteilt hat. Damit er sich gegen die im Rahmen eines Submissionsverfahren erteilten, seiner Ansicht nach ungerechtfertigt schlechten oder sogar falschen Referenzauskünfte wehren kann, muss er zunächst wissen, was ihm vorgeworfen wird. Hinzu kommt, dass eine negative Referenzauskunft nicht nur im konkreten Submissionsverfahren eine Rolle spielt, sondern unter Umständen auch eine wettbewerbsrele- vante Handlung im Sinne des UWG sein kann (vgl. Peter Galli / Daniel Lehmann / Peter Rechsteiner, Das öffentliche Beschaffungs- wesen in der Schweiz, Zürich 1996, Rz. 716). ccc) Dem Interesse des Anbietenden, über Referenzgeber und Inhalt der Referenzauskunft informiert zu werden, steht das (öffent- liche) Interesse der Vergabestelle gegenüber, die jeweiligen Refe- renzgeber nicht offen legen zu müssen. Referenzauskünfte sind in der Vergabepraxis für die Beurteilung eines Anbieters bzw. eines An- gebots von erheblicher Bedeutung. Die Vergabestellen sind auf ob- jektive und wahrheitsgemässe Auskünfte angewiesen. Die vom Ab- wasserverband geäusserte Befürchtung, falls Informationen von Re- ferenzpersonen offen gelegt werden müssten, sei es in Zukunft un- möglich, offene und kritische Auskünfte zu erhalten, lässt sich nicht von vornherein als unbegründet abtun. Die Möglichkeit, dass im Wissen um die spätere Bekanntgabe keine oder nur noch nichtssa- 2000 Submissionen 285 gende Referenzauskünfte erteilt werden, ist nicht gänzlich zu ver- neinen. Zum öffentlichen Interesse der Vergabestelle an der Geheim- haltung gesellt sich das private Interesse des Referenzgebers, unge- nannt zu bleiben. Ihm können aus dem Umstand, dass Auskünfte, die er der Vergabestelle auf deren Anfrage hin über einen bestimmten Anbieter erteilt hat, diesem später offen gelegt werden, gewisse Un- annehmlichkeiten erwachsen. Negative Reaktionen lassen sich jedenfalls nicht ausschliessen. Anderseits darf diese Gefahr auch nicht überbewertet werden. Wenn der Referenzgeber die Auskünfte, um die er nachgefragt worden ist, nach bestem Wissen und Gewissen erteilt und nicht einfach unbewiesene Behauptungen zu Lasten eines Anbietenden in den Raum stellt, sondern gemachte negative Äusse- rungen auch zu belegen vermag, dürfte er in der Regel nachteilige Reaktionen nicht ernsthaft zu befürchten haben, auch wenn in Ein- zelfällen solche natürlich nicht ausgeschlossen werden können. Auch der Vergabestelle nützen im Übrigen nur wahrheitsgemässe, in der Sache zutreffende Referenzangaben. ddd) Wägt man die beteiligten Interessen gegeneinander ab, gelangt man zum Schluss, dass im Normalfall das Interesse des nicht berücksichtigten Anbietenden an der Offenlegung belastender Refe- renzauskünfte erheblich grösser und gewichtiger ist als die Interessen der Vergabestelle und des Referenzgebers an der Geheimhaltung. Die blosse Gefahr von Unannehmlichkeiten im Besonderen vermag die Geheimhaltung des Informanten nicht zu rechtfertigen. Allfällige Kritik, Widerspruch oder Richtigstellung seitens des Betroffenen hat der Informant hinzunehmen (Alexander Dubach, Das Recht auf Akteneinsicht, Berner Diss., Zürich 1990, S. 124 ff. mit Hinweisen; ders., in: Kommentar zum schweizerischen Datenschutzgesetz, hrsg. von Urs Maurer / Nedim Peter Vogt, Basel 1995, Art. 9 N 17). Eine vergleichbare Situation besteht im Übrigen im Arbeitsrecht, wo der Arbeitnehmer als Stellenbewerber gestützt auf Art. 8 des Bundesge- setzes über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) vom 19. Juni 2000 Verwaltungsgericht 286 1992 grundsätzlich Anspruch auf Einsicht in das Personaldossier und auch auf vollständige und richtige Auskunft über eingeholte Referenzauskünfte hat. Falls über die eingeholte Referenzauskunft keine schriftliche Aktennotiz erstellt wird, hat der Bewerber An- spruch auf wahrheitsgemäss und vollständige mündliche Information (Hans Ueli Schürer, Datenschutz im Arbeitsverhältnis, Rechte und Pflichten nach neuem Datenschutzgesetz, Zürich 1996, S. 126; vgl. auch Manfred Rehbinder, Berner Kommentar VI 2/2/1, Der Arbeits- vertrag, Einleitung und Kommentar zu den Art. 319-330 a OR, Bern 1985, Art. 330a N 27). Überwiegen könnten die privaten Interessen des Referenzgebers an der Geheimhaltung ausnahmsweise dann, wenn im konkreten Fall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihm seitens des betroffenen Anbietenden nicht bloss Unannehmlichkei- ten, sondern eigentliche Nachstellungen, Anfeindungen oder rechts- widrige Beeinträchtigungen drohen (Dubach, Akteneinsicht, S. 129 mit Hinweisen). Die Gefahr solch massiver Konsequenzen für den Referenzgeber dürfte im Bereich des öffentlichen Vergabewesens indessen selten gegeben sein. eee) Verlangt der unberücksichtigt gebliebene Anbieter, auch über die den Zuschlagsempfänger betreffenden Referenzen bzw. Referenzauskünfte informiert zu werden, kann ihm ein schützens- wertes Interesse grundsätzlich ebenfalls nicht abgesprochen werden. Die Referenzen können - wie erwähnt (Erw. bb/aaa hievor) - auch Vorteile des berücksichtigten Angebots (bzw. Anbieters) sein, über die grundsätzlich genauso Auskunft zu erteilen ist. Der unterlegene Anbieter kann beispielsweise geltend machen, sein erfolgreicher Konkurrent sei aufgrund falscher Referenzauskünfte viel zu gut be- urteilt worden und habe den Zuschlag zu Unrecht erhalten. Bei Aus- künften über Mitanbietende gilt § 2 Satz 1 SubmD, wonach Angaben und Unterlagen der Anbietenden vertraulich zu behandeln sind. Von Dritten erteilte Referenzauskünfte über den Zuschlagsempfänger fallen - zwar nicht als Angaben der Anbietenden selbst, aber als An- gaben über die Anbietenden, was im vorliegenden Zusammenhang 2000 Submissionen 287 gleich zu werten ist - ebenfalls unter § 2 Satz 1 SubmD; indessen dürfte hier der Anspruch des nicht berücksichtigten Anbietenden auf Auskunft gemäss § 20 Abs. 2 lit. e SubmD regelmässig vorgehen (vgl. auch § 2 Satz 2 SubmD). In der Regel lauten die Referenzanga- ben über den Zuschlagsempfänger ohnehin positiv und können schon deshalb ohne Weiteres offen gelegt werden, und im Normalfall sind in solchen Auskünften auch keine Geschäfts- oder Fabrikationsge- heimnisse usw. enthalten. Von den Anbietenden selbst zusammen mit der Offerte eingereichte Referenzauskünfte Dritter, Referenzlisten sowie Listen über Referenzobjekte sind grundsätzlich Bestandteile des Angebots. Als solche wären sie an sich generell, das heisst ohne Interessenabwägung im Einzelfall, vom Akteneinsichtsrecht ausge- nommen (Erw. a hievor). Die generelle Verweigerung der Akten- einsicht in solche selbst eingereichten Referenzen würde nun aller- dings zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbe- handlung mit den von Dritten eingeholten Referenzauskünften füh- ren; das Geheimhaltungsinteresse im Sinne der Wahrung von Ge- schäfts- oder Fabrikationsgeheimnissen oder Kalkulationsgrundla- gen, das die Hauptmotivation für den Ausschluss der Konkurrenz- offerten von der Akteneinsicht bildet, dürfte auch in jenen Fällen regelmässig bedeutungslos sein. In Präzisierung der bisherigen Rechtsprechung ist daher festzuhalten, dass in Bezug auf von den Anbietenden selbst als Bestandteil ihres Angebots eingereichte Refe- renzen, Referenzlisten oder Listen von Referenzobjekten grundsätz- lich - vorbehältlich der Wahrung der erwähnten Geheimhaltungsin- teressen - ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. dd) Es stellt sich die weitere Frage, in welchem Umfang im Zu- sammenhang mit Referenzauskünften Auskunft bzw. Akteneinsicht zu gewähren ist (vgl. auch Erw. bb/bbb und ccc hievor). Die kurze Begründung des Vergabeentscheids gemäss § 20 Abs. 1 SubmD zu- sammen mit den gemäss § 20 Abs. 2 SubmD von der Vergabebe- hörde zu erteilenden zusätzlichen Auskünften muss den Anbietenden über die wesentlichen Gründe für seine Nichtberücksichtigung ins 2000 Verwaltungsgericht 288 Bild setzen und es ihm ermöglichen, sachgerecht über eine Be- schwerdeerhebung zu entscheiden. In Bezug auf Referenzauskünfte genügt es hiefür im Regelfall, wenn der Betroffene von der Vergabe- stelle Auskunft darüber erhält, auf welche frühere Arbeitsleistung sich die belastende Referenzangabe bezieht und was im Einzelnen bemängelt wurde. In entsprechendem Umfang ist ihm auch Einsicht in vorhandene Unterlagen zu gewähren. Die Vergabestelle darf sich also nicht darauf beschränken, dem betreffenden Anbieter mitzutei- len, gemäss Referenzauskünften sei ihr bekannt, dass er verschie- dentlich Termine nicht eingehalten habe (eine solche Mitteilung mag für die Kurzbegründung der Zuschlagsverfügung nach § 20 Abs. 1 SubmD noch genügen), sondern sie muss ihm konkret sagen, wann und wo - z. B. auf welchen Baustellen - es seinetwegen zu Termin- verzögerungen gekommen ist. Nur so kann er sich gegebenenfalls gegen die Vorwürfe wehren und beispielsweise geltend machen, dass zwar tatsächlich Terminverzögerungen aufgetreten, diese jedoch nicht von ihm, sondern von einem anderen Unternehmer oder vom Bauherrn selbst verursacht worden seien. Nicht erforderlich ist hin- gegen in der Regel, dass auf der Stufe der Vergabe dem Anbieter auch der Name der Referenzperson bekannt gegeben wird (vielfach wird ein Rückschluss auf die Person allerdings ohnehin nicht zu vermeiden sein). Entscheidet sich der betroffene Anbieter anschlies- send zur Beschwerdeerhebung, weil er die erteilten Referenzaus- künfte als unrichtig erachtet, ist ihm dagegen im Rahmen des Be- schwerdeverfahrens grundsätzlich vollumfänglich Auskunft über die Referenzauskünfte, einschliesslich der Person des Referenzgebers, zu erteilen und auch entsprechend Akteneinsicht zu gewähren. Nur so kann der Beschwerdeführer seine Möglichkeiten und Rechte im Beschwerdeverfahren richtig wahrnehmen. Eine Beschränkung rechtfertigt sich in diesem Verfahrensstadium nur noch ausnahms- weise, sei es, im Fall von Referenzen betreffend den Zuschlagsemp- fänger, weil die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen usw. auf dem Spiele steht, oder sei es, weil Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der 2000 Submissionen 289 Referenzgeber bei namentlicher Bekanntgabe mit rechtswidrigen Beeinträchtigungen durch den Beschwerdeführer zu rechnen hätte. 3. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt was folgt: a) Bei der Beschwerdebeilage 9 handelt es sich um die von den Beschwerdeführerinnen eingereichte Referenzliste der M. AG. Die beiden Listen sind von der Vergabestelle mit handschriftlichen An- merkungen versehen worden, bei denen es sich im Wesentlichen um stichwortartige Notizen über drei telefonisch eingeholte Refe- renzauskünfte betreffend die M. handelt. Der Vergabeentscheid zugunsten der B. AG wird unter anderem damit begründet, dass sich bei der Firma M. AG Referenzpersonen in Bezug auf die Qualität als auch in Bezug auf die Abwicklung der Bauvorhaben unterschiedlich geäussert hätten. Schwachpunkte (teilweise Mühe mit Terminen, Regiewesen und Ähnlichem) seien vor allem bei der Abwicklung der Bauaufträge erwähnt worden. Die Beschwerdeführerinnen stellen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde diese Aussagen in Abrede; sie bestreiten, Mühe mit Terminen und mit dem Regiewesen zu haben oder gehabt zu haben. Ihr Interesse, Einsicht in die sie belastenden Telefonnotizen zu nehmen, um sich konkret gegen die erhobenen Vorwürfe wehren und diese substanziert widerlegen zu können, ist bei diesem Sachverhalt erheblich und offensichtlich, während die ge- genläufigen Interessen der Vergabestelle und der Referenzgeber sich im üblichen Rahmen bewegen und somit von eher untergeordneter Bedeutung sind (vgl. Erw. 2/b/cc/ccc hievor). Anhaltspunkte dafür, dass die Referenzgeber mit rechtswidrigen Nachstellungen oder Be- einträchtigungen seitens der Beschwerdeführerinnen zu rechnen hätten, bestehen keine. Die Beschwerdebeilage 11 wird gebildet aus dem Bericht und dem Vergabeantrag der T. AG zuhanden des Ab- wasserverbands. Der Bericht enthält unter anderem eine Zusammen- fassung betreffend die Referenzauskünfte der E. AG, der M. AG und der B. AG und - im vorliegenden Zusammenhang der wesentlichste und heikelste Teil - ,,Auskünfte über Offertsteller". Die Akteneinsicht 2000 Verwaltungsgericht 290 erweist sich bezüglich der die E. AG und B. AG betreffenden Angaben als unbedenklich, da alle eingeholten Auskünfte durchwegs positiv sind und auch keine geschäftlichen oder betrieblichen Details genannt werden. In Bezug auf die M. AG sind - mit Ausnahme der Feststellung bei den Hochbau-Referenzen ,,Auskunftsperson gibt keinen Kommentar!" - keine Angaben enthalten, die über die in Beilage 9 enthaltenen Informationen hinausgehen würden. Die übri- gen Feststellungen des Berichts, soweit sie die vorliegendenfalls relevanten Baumeisterarbeiten betreffen, sind allgemeiner Natur und enthalten nichts, das einer Einsichtnahme entgegenstehen würde. Dasselbe gilt grundsätzlich für die Beilagen bzw. Anhänge 1 - 7 zur Beilage 11, mit Ausnahme von Beilage 5 (Bestätigung Bonitätsnach- weis der B. AG).
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2001 Verwaltungsgericht 284 64 Baubewilligungspflicht. - Bei der Beurteilung der Bewilligungspflicht ist die Frage der Recht- mässigkeit unerheblich (Erw. 1/b). - Ein Wand-Klimagerät hat als Baute im Sinne von § 6 Abs. 1 lit. a BauG zu gelten und untersteht deshalb der Baubewilligungspflicht gemäss § 59 Abs. 1 BauG (Erw. 1/b). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 28. März 2001 in Sachen M. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. Umstritten ist, ob die Installation eines vom Beschwerdegeg- ner an der südwestlichen Aussenfassade seines - am Wohnhaus an- gebauten - zahntechnischen Labors montierten Wand-Klimageräts des Modells ,,Toshiba RAS-09 EK/EA" mit einer Breite von 77 cm, einer Höhe von 53 cm und einer Tiefe von 20 cm der Baubewilli- gungspflicht unterliegt. a) (Darlegung der Praxis [vgl. AGVE 2001 65 286]) In Ergänzung zu § 59 BauG hat der Regierungsrat in § 30 ABauV festgehalten, welche baulichen Änderungen - unter Vorbehalt abweichender Nutzungsvorschriften für bestimmte Schutzzonen - keiner Baubewilligung im ganzen Gemeindegebiet (Abs. 1) oder in den Bauzonen (Abs. 2) bedürfen. Klimaanlagen sind in diesen Be- stimmungen nicht enthalten. Die Beurteilung hat somit ausschliess- lich nach Massgabe von Art. 22 Abs. 1 RPG bzw. § 59 Abs. 1 BauG zu erfolgen. b) Das Baudepartement hat die Baubewilligungspflicht im We- sentlichen mit folgender Begründung verneint: Das Aussengerät der fraglichen Klimaanlage erzeuge einen maximalen Geräuschpegel von 46 dB, und zwar gemessen in einem Meter Entfernung vom Kom- pressor. In der Dorfkernzone, in welcher die beiden Grundstücke gelegen seien, gelte die Empfindlichkeitsstufe III, und die entspre- chenden Planungswerte betrügen 60 dB(A) am Tag und 50 dB(A) in der Nacht. Die Lärmemissionen des Kompressors lägen somit unter 2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 285 den Planungswerten. Am Ort der Einwirkung sei die Unterschreitung noch deutlicher. Dies zeige, dass die von der Klimaanlage verursach- ten Immissionen kein Ausmass annähmen, das als ,,erheblich" im Sinne von § 6 Abs. 1 lit. h BauG bezeichnet werden könne. Dazu komme, dass die Klimaanlage nur tagsüber zwischen drei bis fünf Stunden in Funktion sei, und dies auch nur in den Sommermonaten Juli und August. Diese Argumentation krankt vor allem daran, dass das Baude- partement zirkelschlussartig die Prüfung der Bewilligungsfähigkeit vorwegnimmt, indem es feststellt, dass beim fraglichen Gerätetyp die Planungswerte gemäss LSV nicht erreicht seien, und aus dem Ergeb- nis folgert, die Baubewilligungspflicht sei nicht gegeben. Dieses Vorgehen ist schon im Ansatz nicht richtig. Das Gesetz knüpft die Baubewilligungspflicht bewusst ausschliesslich an das Vorhanden- sein einer ,,Baute" an, unbesehen von deren Rechtmässigkeit. Es geht ja namentlich auch darum, das Spektrum der baubewilligungspflich- tigen Vorkehren derart weit zu öffnen, dass Drittbetroffene Gelegen- heit erhalten, ihre Interessen in das Verfahren einzubringen. Werden bereits in dieser Vorstufe Fragen der Rechtmässigkeit mitbeurteilt, sind die nachbarlichen Rechtsschutzansprüche nicht mehr gewährlei- stet. Eine strikte Trennung zwischen Bewilligungs pflicht und Bewil- ligungs fähigkeit ist daher unumgänglich. Für das Verwaltungsgericht ist nicht zweifelhaft, dass Wand- Klimageräte ganz allgemein, d. h. unabhängig vom Gerätetyp, unter den Bautenbegriff fallen. Bauten sind u.a. ,,alle weiteren, künstlich hergestellten und mit dem Boden fest verbundenen Objekte" (§ 6 Abs. 1 lit. a BauG). Unter diese Begriffsumschreibung kann ein Kli- magerät, wie es hier in Frage steht, zwangslos subsumiert werden (der vom Baudepartement angeführte § 6 Abs. 1 lit. h BauG ist hier kaum anwendbar, da damit primär Anlagen wie Sportplätze oder Motocross-Pisten gemeint sind [vgl. die regierungsrätliche Botschaft vom 21. Mai 1990 zur Totalrevision des Baugesetzes vom 2. Februar 1971, S. 11 zu § 3]). Damit steht nach Art. 22 Abs. 1 RPG bzw. § 59 Abs. 1 BauG fest, dass die Baubewilligungspflicht für das Klimage- rät zu bejahen ist. Dies erscheint auch unter dem Gesichtspunkt der Immissionsträchtigkeit derartiger Geräte gerechtfertigt. Ein starkes 2001 Verwaltungsgericht 286 Indiz bildet in dieser Beziehung der Umstand, dass Klimaanlagen in den Katalog derjenigen Bauten und Anlagen aufgenommen worden sind, für welche in der LSV Belastungsgrenzwerte festgelegt sind (vgl. deren Anhang 6 Ziff. 1 Abs. 1 lit. e). Die erwähnten Prospekt- unterlagen zeigen denn auch, dass bei den Aussengeräten Ge- räuschpegel bis zu 60 dB möglich sind. Dass Bauten und Anlagen, welche in den Anhängen der LSV aufgeführt sind, generell einer vorgängigen Kontrolle im Baubewilligungsverfahren sollen unterzo- gen werden können, ist als Umkehrschluss auch aus § 30 ABauV ableitbar. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass Bauten und Anla- gen, welche Immissionen erzeugen, auch dem Vorsorgeprinzip ge- mäss Art. 11 Abs. 2 USG genügen müssen (Robert Wolf, Umstritte- nes Lärmschutzrecht: Alltagslärm - kantonale Lärmschutzvorschrif- ten - Bestimmungen von Empfindlichkeitsstufen im Einzelfall, in: URP 1994, S. 99); unter diesem Titel ist etwa denkbar ein Gerät wie das hier in Frage stehende auf dem Dach oder an einer sonst weniger exponierten Lage anzubringen. Auch für derartige Beurteilungen ist ein vorgängiges Baubewilligungsverfahren erforderlich. Die Vorin- stanzen haben daher die Baubewilligungspflicht zu Unrecht verneint.
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2001 Verwaltungsgericht 286 [...] 65 Baubewilligungspflicht. - Gesetzliche Vorgaben und allgemeine Grundsätze (Erw. 1/a). - Die Durchführung des einmal jährlich stattfindenden Flugwettbe- werbs "Die schrägen Vögel des Hallwilersee" bedarf keiner Baube- willigung (Erw. 1/b und c). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 10. Mai 2001 in Sachen S. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. Zu prüfen ist ausschliesslich die Frage, ob die 1997 und 1998 unter der Bezeichnung ,,Die schrägen Vögel des Hallwilersee" ein- mal jährlich in Meisterschwanden durchgeführte und für 1999 ge- plante Veranstaltung der Baubewilligungspflicht unterliegt. 2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 287 a) Bauten und Anlagen dürfen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet oder geändert werden (Art. 22 Abs. 1 RPG). Alle Bauten und ihre im Hinblick auf die Anliegen der Raumplanung, des Umweltschutzes oder der Baupolizei wesentliche Umgestaltung, Erweiterung oder Zweckänderung bedürfen der Bewilligung durch den Gemeinderat (§ 59 Abs. 1 BauG). Nach § 6 Abs. 1 BauG gehö- ren zu den Bauten im Sinne des Gesetzes: ,,a) alle Gebäude und gebäudeähnlichen sowie alle weiteren, künstlich hergestellten und mit dem Boden fest verbundenen Objekte; b) Tiefbauten; c) Hütten, Buden, Baracken, Kioske, Waren- und andere Automaten, Schaukästen und dergleichen; d) Wohnwagen, die länger als zwei Monate auf dem gleichen Grund- stück abgestellt werden; e) Steinbrüche, Kies- und andere Gruben; f) Terrainveränderungen von mehr als 80 cm Höhe oder von grosser flächenhafter Ausdehnung; g) Ablagerungen und Deponien; h) Freizeit- und andere Anlagen mit erheblichen Auswirkungen auf Umwelt und Umgebung." Nach der in Rechtsprechung und Lehre üblichen Umschreibung gelten als ,,Bauten und Anlagen" jedenfalls jene künstlich geschaffe- nen und auf Dauer angelegten Einrichtungen, die in bestimmter fester Beziehung zum Erdboden stehen und die Nutzungsordnung zu beeinflussen vermögen, weil sie entweder den Raum äusserlich er- heblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt be- einträchtigen (BGE 113 I 315; vgl. ferner BGE 123 II 259; 120 Ib 379; 119 Ib 226 mit weiteren Hinweisen; Alexander Ruch, in: Kom- mentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, hrsg. von Heinz Aemisegger/Alfred Kuttler/Pierre Moor/Alexander Ruch, Zürich 1999, Art. 22 N 24 ff.; Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 514; Christophe Fritzsche/Peter Bösch, Zürcher Planungs- und Baurecht, 2. Auflage, Zürich 2000, S. 449 f.). Dazu gehören auch Fahrnisbau- ten, welche über nicht unerhebliche Zeiträume ortsfest verwendet werden (BGE 123 II 259; 119 Ib 226 mit Hinweisen). Weil Bauten 2001 Verwaltungsgericht 288 und Anlagen grundsätzlich zonenkonform sein müssen, fallen sodann auch nicht mit baulichen Massnahmen oder Geländeveränderungen verbundene, äusserlich nicht in Erscheinung tretende Nutzungs- bzw. Zweckänderungen unter die Baubewilligungspflicht (BGE 113 Ib 223; 119 Ib 227; VGE III/50 vom 28. April 2000 [BE.2000.00033] in Sachen A., S. 7). Die Praxis fasst die Baubewilligungspflicht eher weit und lässt jedenfalls die blosse Möglichkeit, dass ein baurechtlich erheblicher Tatbestand vorliegt, genügen, weil es erfahrungsgemäss schwer hält, eine einmal vollzogene Änderung, selbst wenn sie widerrechtlich ist, beseitigen oder anpassen zu lassen. Ein Abbruch, eine Beseitigung oder eine Betriebseinstellung sind in der Regel auch wirtschaftlich nicht unproblematisch (BGE 114 Ib 313 f.; AGVE 1994, S. 362 f. und 1990, S. 244 ff., je mit Hinweisen; VGE III/141 vom 16. Okto- ber 1998 [BE.98.00246] in Sachen L., S. 4 f.). Das Bundesgericht hat festgehalten, bei der Frage der Bewilligungspflicht komme es auf die räumliche Bedeutung eines Vorhabens insgesamt an (vgl. dazu und zum Folgenden BGE 119 Ib 226 f., ferner auch BGE 123 II 259 f.; Fritzsche/Bösch, a.a.O., S. 447). Die Baubewilligungspflicht soll der Behörde die Möglichkeit verschaffen, das Bauprojekt vor seiner Ausführung auf die Übereinstimmung mit der raumplanerischen Nut- zungsordnung und der übrigen einschlägigen Gesetzgebung zu über- prüfen. Massstab dafür, ob eine Massnahme erheblich genug ist, um sie dem Baubewilligungsverfahren zu unterwerfen, ist daher, ob da- mit im Allgemeinen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, so wichtige räumliche Folgen verbunden sind, dass ein Interesse der Öf- fentlichkeit oder der Nachbarn an einer vorgängigen Kontrolle be- steht. In diesem Sinne hat das Bundesgericht die Erstellung einer Wasserski-Anlage (BGE 114 Ib 87 f.), die Nutzung eines Grund- stücks als Lagerplatz für Altmaterial (BGE 112 Ib 277 ff.) oder als Motocrosstrainingsgelände (n.p. Urteil vom 22. April 1988 in Sachen M.) für baubewilligungspflichtig erklärt. Ebenfalls bejaht hat es in jüngerer Zeit die Baubewilligungspflicht für einen Hängegleiterlan- deplatz (BGE 119 Ib 222 ff.). Zur Begründung führte das Bundesge- richt aus, die als Hängegleiterlandeplatz benutzte Wiese sei zwar weder künstlich geschaffen worden, noch würden sich darauf irgend- 2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 289 welche auf Dauer angelegte Einrichtungen befinden, die mit dem Erdboden in fester Verbindung stünden. Die vorhandenen Hilfsmittel (lose eingesteckte Fähnchen zur Markierung des Landekreises, Stange mit Windsack) für sich allein würden keine Baubewilli- gungspflicht rechtfertigen. Indessen stehe nicht die Baubewilligungs- pflicht für die Landemarkierungen und die Stange mit dem Wind- sack, sondern für den ganzen Landeplatz als solchen zur Diskussion. Die regelmässige Benützung einer bisher hauptsächlich landwirt- schaftlich genutzten Wiese für gewerbliche Zwecke oder für inten- sive Freizeitaktivitäten habe häufig erhebliche Auswirkungen auf das sie umgebende Gebiet und die vorhandene Infrastruktur, so dass eine vorgängige Kontrolle durch die zuständigen Behörden nötig sei. Besonders ins Gewicht falle im konkreten Fall, dass die Landungen in unmittelbarer Nähe eines bedeutenden Flachmoors stattfänden und allenfalls dessen Vegetation und Tierwelt beeinträchtigen könnten. Überdies führe der Landeplatz zu zusätzlichem Verkehr auf den heranführenden Strassen, und es werde eine angemessene Anzahl von Parkplätzen in der Umgebung benötigt. Der Flugschulbetrieb er- folge nicht nur sporadisch, sondern mit einer - zwar vom Wetter ab- hängigen - Regelmässigkeit, und die Nutzung des fraglichen Landes als Hängegleiterlandeplatz sei auf Dauer ausgerichtet. Die gesamten Umstände zeigten, dass das fragliche Landstück durch die Verwen- dung als Hängegleiterlandeplatz einer neuen, organisierten und auf Dauer ausgerichteten Nutzung zugeführt werde, welche im Blick auf die bedeutenden Auswirkungen auf die Umgebung - insbesondere das benachbarte Flachmoor - und die Infrastruktur nach Art. 22 bzw. 24 RPG einer Baubewilligung bedürfe (BGE 119 Ib 227 f.). Auch das Luzerner Verwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 25. Juni 1998 festgehalten, bei der Beurteilung der Baubewilligungspflicht für einen Modellflugplatz würden weniger die baulichen Einrich- tungen als vielmehr der Betrieb des Modellflugplatzes als solcher und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Umgebung ins Gewicht fallen (ZBl 101/2000, S. 416). Bewilligungstatbestand bil- det in derartigen Fällen somit weniger die konstruktive Anlage als die organisierte Nutzung (Ruch, a.a.O., Art. 22 N 28). 2001 Verwaltungsgericht 290 b) Bei der hier unter dem Gesichtspunkt der Baubewilligungs- pflicht zu beurteilenden Veranstaltung unternehmen die Teilnehmer ihre Flugversuche von einem Passagierschiff der Hallwilerseeflotte aus, auf dem dafür ein Sprungturm bzw. eine Rampe befestigt wird. Während sich der eigentliche Wettbewerb somit auf dem See ab- spielt, befindet sich der grosse Teil der Zuschauer - 1997 handelt es sich um ca. 2'500 Personen und 1998 um rund 5'000 Personen, und mit rund 5'000 Zuschauern wurde auch für 1999 gerechnet - im Strandbad Meisterschwanden auf den Parzellen Nrn. 1090 und 1408. Es ist auch seitens des Beschwerdeführers unbestritten, dass für die Durchführung der Veranstaltung keine auf Dauer angelegten bauli- chen Massnahmen im Sinne der Erstellung von zusätzlichen Bauten und Anlagen erforderlich sind. Immerhin rechnet der Beschwerde- führer angesichts der künftig zu erwartenden Zuschauerzahlen mit zusätzlichen provisorischen Bauten bei der vom Anlass benötigten Infrastruktur (Verpflegung, WC-Anlagen). Die Baubewilligungs- pflicht begründet der Beschwerdeführer indessen hauptsächlich mit den erheblichen Aus- bzw. Einwirkungen auf Raum und Umwelt, die nach seiner Auffassung mit dem Anlass verbunden sind. Bei der Veranstaltung ,,Die schrägen Vögel des Hallwilersee" handle es sich zweifellos um eine relativ regelmässige, organisierte, auf eine be- stimmte Dauer angelegte, intensive und örtlich konzentrierte Nut- zung mit gravierenden Auswirkungen auf den betroffenen Raum. Namentlich die bestehende Infrastruktur (Parkierungsanlagen) werde massiv überlastet und die normale Nutzung des als Erholungsgebiets für die Bevölkerung vorgesehenen und auch dienenden Sees bzw. Seeufers durch den zonenwidrigen ,,Grossanlass" praktisch ausge- schlossen. c) Es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass der streitige Flug- wettbewerb vor allem auch wegen des mit ihm verbundenen grossen Besucheraufmarsches bzw. Verkehrsaufkommens kurzfristig mit er- heblichen, teilweise sogar massiven (negativen) Auswirkungen auf das Gebiet des Strandbads Meisterschwanden und die umliegende Gegend verbunden ist. Insofern findet mit dem Grossanlass in der Tat örtlich konzentriert eine organisierte Nutzung eines bestimmten Gebiets mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Umgebung 2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 291 bzw. auf die Umwelt statt. Dies allein genügt nun aber nicht, um die Baubewilligungspflicht zu bejahen. Eine solche setzt nach der Recht- sprechung u.a. voraus, dass die bauliche Einrichtung oder die Nut- zung auf Dauer oder zumindest für einen nicht unerheblichen Zeit- raum angelegt ist. Die zeitliche Erheblichkeit wurde beispielsweise bejaht bei auf einem Grundstück jährlich während mehreren Wochen oder Monaten installierten Einrichtungen, die einer Person als Be- hausung dienten (Urteil des Verwaltungsgericht Zürich vom 28. Juni 1996, in: Rechenschaftsbericht [RB] 1996 Nr. 83). Verneint wurde die zeitliche Erheblichkeit demgegenüber für das Aufstellen eines Pneukrans, der während einer Woche als Bungy-Jumping-Einrich- tung genutzt werden sollte. Die rechtsanwendende Behörde wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Element der Dauerhaf- tigkeit über einen nicht unerheblichen Zeitraum konstitutiv dafür sei, um eine Einrichtung oder Nutzung eines Grundstücks als Anlage im baurechtlichen Sinne bezeichnen zu können. Das Aufstellen des Pneukrans und die damit verbundene Nutzung als Bungy-Jumping- Einrichtung sei von derart kurzer Dauer, dass nicht gesagt werden könne, dass damit wichtige räumliche Folgen verbunden seien. Der Kran verschwinde nach wenigen Tagen wieder, so dass sich keine Auswirkungen auf die Nutzungsordnung ergeben könnten. Auch umweltrechtlich sei die kurzfristige Nutzung nicht relevant (Urteil des Verwaltungsgerichts Graubünden vom 24. November 1993, in: Praxis des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden [PVG] 1993 Nr. 20). Als planungs- und baurechtlich in aller Regel nicht relevant werden auch das einmalige Aufstellen eines Wohnzeltes für wenige Tage oder der Aufbau von Festhütten, Tribünen, Bühnen und dergleichen für befristete Anlässe wie Sportveranstaltungen, Kon- zerte und dergleichen angesehen (Christian Mäder, Das Baubewilli- gungsverfahren, Diss. Zürich 1991, S. 95; Fritzsche/Bösch, a.a.O., S. 450; Verwaltungsgericht Zürich, in: RB 1996, Nr. 83, S. 161). Auch das Bundesgericht setzt in seiner Rechtsprechung voraus, dass die der Baubewilligungspflicht unterliegende Nutzung bzw. Einrich- tung auf eine gewisse Dauer und Regelmässigkeit ausgerichtet ist (BGE 119 Ib 228; 123 II 260). 2001 Verwaltungsgericht 292 Der Anlass ,,Die schrägen Vögel des Hallwilersee" findet nur einmal jährlich an einem Samstag(abend) statt. Das heisst, die ge- samte Veranstaltung (einschliesslich Beach-Party bis 1.00 oder 2.00 Uhr morgens) dauert höchstens 24 Stunden, der Flugwettbewerb als eigentlicher Kernanlass sogar noch wesentlich weniger lang. Die Besucher der Veranstaltung halten sich somit nur kurze Zeit in Meisterschwanden auf. Damit fehlt klarerweise die für eine Baube- willigungspflicht erforderliche Dauerhaftigkeit der Nutzung. Zusätz- lich bauliche Einrichtungen (z.B. Tribünen) sind - wie erwähnt - für die Durchführung des Wettbewerbs ohnehin nicht vorgesehen. So- weit der Beschwerdeführer auf die wegen der Zuschauerzahlen mög- licherweise erforderlich werdenden zusätzlichen Bauten für die In- frastruktur (Verpflegungsstände, WC-Anlagen) verweist, ist festzu- halten, dass es sich hierbei lediglich um provisorische Bauten han- deln kann, die nach Beendigung des Anlasses (dafür) nicht mehr benötigt und innert weniger Tage wieder entfernt werden. Auch ihnen fehlt damit klarerweise das Element der Dauer. Sollten indes- sen solche provisorische Bauten und Anlagen nach dem Flugwettbe- werb für längere Zeit bestehen bleiben und in anderem Zusammen- hang (weitere Veranstaltungen, Badebetrieb usw.) genutzt werden, so stellt sich die Frage der Baubewilligungspflicht für die einzelnen Einrichtungen losgelöst vom hier zu beurteilenden Anlass. Dasselbe gilt für die als Parkierungsanlagen beanspruchten Wiesengrundstücke in Seeufernähe. Werden diese während der Bade- und Schiff- fahrtsaison z.B. an den Wochenenden regelmässig als zusätzliche Abstellflächen für Fahrzeuge benützt, kann sich die Frage der Bau- bewilligungspflicht für eine derartige Nutzung, der dann wohl auch die erforderliche zeitliche Erheblichkeit zukommt, durchaus stellen. Hierbei handelt es sich indessen um eine vom vorliegenden Fall, bei dem es ausschliesslich um die Baubewilligungspflicht der eintägigen Flugveranstaltung selbst geht - auch wenn der Beschwerdeführer die Baubewilligungspflicht insbesondere mit den Verkehrs- und Parkie- rungsfolgen des Anlasses und der Inanspruchnahme von Abstellflä- che ausserhalb des Baugebiets begründet -, unabhängige Fragestel- lung.
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2013 Obergericht,AbteilungVerwaltungsgericht 142 [...] 29 Anwendbarkeit des Freizügigkeitsabkommens bei Doppelbürgerschaft Verfügt eine Person sowohl über die Staatsangehörigkeit der Schweiz als auch diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft, kommt das FZA zur Anwendung. Das AuG gilt nur insoweit, als das FZA keine abweichenden Bestimmungen enthält oder das AuG eine vorteilhaf- tere Rechtsstellung vorsieht (Erw. 2.1.). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 22. Oktober 2013 in Sachen A. und B. gegen das Amt für Migration und Integration (WBE.2012.1060).
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2000 Submissionen 315 [...] 72 Ausschluss eines Anbieters gemäss § 28 SubmD. - Voraussetzungen für einen Durchgriff verneint, da rechtsmiss- bräuchliche Verwendung der betroffenen AG nicht nachgewiesen (Erw. 2/d). - Bei der Beschäftigung von Schwarzarbeitern ist davon auszugehen, dass sowohl gegen § 3 Abs. 1 lit. a SubmD verstossen wird als auch der Ausschluss- bzw. Widerrufsgrund von § 28 Abs. 1 lit. c SubmD erfüllt ist (Erw. 3). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 14. Juli 2000 in Sachen S. gegen Verfügung des Gemeinderats Aarburg. Aus den Erwägungen 2. a) Gemäss § 28 Abs. 1 SubmD schliesst die Vergabestelle Anbietende, die Steuern oder Sozialabgaben nicht bezahlt haben (lit. c) oder die sich in einem Konkursverfahren befinden (lit. f), vom Verfahren aus oder widerruft den Zuschlag. Der Ausschluss eines fehlbaren Anbieters ist zwingend (Protokoll des Grossen Rates [Prot. GR] vom 26. November 1996, Art. 1995, S. 622 [Votum Küng]). b) Im vorliegenden Verfahren ein Angebot eingereicht und dafür den Zuschlag erhalten hat die G. AG. Dabei handelt es sich um eine am 24. Dezember 1996 gegründete (Statutendatum) und ins Handelsregister eingetragene (Tagebucheintrag) Aktiengesellschaft. Bei der Gründung übernommen wurden die ,,Aktiven und Passiven (ohne Immobilien und Hypotheken) der B. AG, gemäss Bilanz per 30.6.1996 und Vertrag vom 24.12.1996, wonach die Aktiven 2000 Verwaltungsgericht 316 Fr. '688'618.74 und die Passiven Fr. 1'318'435.85 betragen, zum Preis von Fr. 370'182.89, wofür 100 Namenaktien zu Fr. 1'000.-- ausgege- ben und Fr. 270'182.89 als Forderung gutgeschrieben werden" (vgl. Handelsregisterauszug). Einziges Mitglied des Verwaltungsrates ist gemäss Handelregisterauszug H. c) aa) Fest steht zunächst, dass sich die Zuschlagsempfängerin nicht in einem Konkursverfahren befindet. Dies wird auch vom Be- schwerdeführer nicht behauptet, hingegen macht er jedenfalls sinn- gemäss geltend, die Zuschlagsempfängerin sei Teil eines Firmen- konglomerats, das von H. beherrscht werde, und welchem betrügeri- scher Konkurs vorgeworfen werde. bb) Aufgrund der Akten ist hierbei im Wesentlichen von der folgenden Vorgeschichte auszugehen: Der A. AG waren vier Ge- schäftseinheiten angeschlossen, die als Profitcenters geführt wurden. Die Profitcenters wurden in einer einzigen Rechnungslegung der A. AG geführt. Im Jahr 1996 wurden die vier Geschäftseinheiten in vier neugegründete Aktiengesellschaften ausgelagert. Gegründet wurden die D. AG, E. AG, F. AG und G. AG. H. ist in allen vier Gesellschaf- ten (einziges) Verwaltungsratsmitglied mit Einzelunterschrift. In diesen vier Aktiengesellschaften wurde das operative Geschäft zu- sammengefasst. In der Folge wurde die A. AG durch Statutenände- rung vom 20. November 1996 zur Immobilien- und Holdinggesell- schaft unter der neuen Firmenbezeichnung B. AG. Sie war zunächst Eigentümerin der neu gegründeten Gesellschaften; diese wurden dann auf die C. AG übertragen. Einziger zeichnungsberechtigter Verwaltungsrat der C. AG war bzw. ist H. Dabei wurde der B. AG mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Haftungssubstrat entzogen. Über die B. AG wurde Anfang 1998 der Konkurs eröffnet. Das Oberge- richt des Kantons Solothurn kam in diesem Zusammenhang zum Schluss, durch die Ausgliederung der operativen Gesellschaften und die Übertragung dieser Gesellschaften an die C. AG habe eine Ver- mögensminderung zulasten der B. AG stattgefunden; die Rede ist auch von betrügerischem Konkurs. 2000 Submissionen 317 cc) Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat vor diesem Hintergrund einen der Firma G. AG am 18. August 1998 erteilten Zuschlag für Gärtnerarbeiten (Bepflanzung) im Betrag von Fr. 389'329.25 auf Beschwerde hin gestützt auf § 11 des Gesetzes über öffentliche Beschaffungen (Submissionsgesetz [SubmG]) vom 22. September 1996 widerrufen. Begründet wurde der Widerruf, damit dass sich die Firma durch Ausgliederung von vier operativen Gesellschaften und nachfolgende Übertragung dieser Gesellschaften auf eine Aktiengesellschaft ihrer Pflichten nach § 11 lit. c SubmG (Bezahlung von Steuern und Sozialabgaben) entzogen und auch § 11 lit. b SubmG (Erteilen von falschen Auskünften) verletzt habe. d) aa) Die G. AG befindet sich - wie schon festgestellt (Erw. c/aa hievor) - unbestrittenermassen nicht in einem Konkursverfah- ren. Ein sich direkt bzw. unmittelbar auf § 28 Abs. 1 lit. g SubmD stützender Ausschluss vom Verfahren bzw. ein Widerruf des Zu- schlags kommt daher nicht in Betracht. Es stellt sich aber die Frage, ob die Tatsache, dass der alleinige Verwaltungsrat der G. AG, H., der beim Konkurs der B. AG (vormals A. AG) massgeblich und mögli- cherweise sogar in strafrechtlich relevanter Weise beteiligt war, einen Ausschluss rechtfertigen könnte. H. kommt im Rahmen des Firmen- konglomerats zweifellos die beherrschende Rolle zu. Bei der G. AG, der B. AG und H. handelt es sich indessen klarerweise um verschie- dene und rechtlich von einander unabhängige Rechtssubjekte. Das heisst, die G. AG wird rechtlich grundsätzlich weder durch den Kon- kurs der B. AG noch durch damit im Zusammenhang stehende all- fällige strafbare Handlungen von H. tangiert. Nur ausnahmsweise - als sogenannter Durchgriff - wird die Eigenschaft der Gesellschaft als eigenes Rechtssubjekt rechtlich nicht beachtet. Das ist aber nur der Fall, wenn die Gesellschaft von einem alleinigen oder beherr- schenden Aktionär als Instrument benützt wird, um bestimmte Rechtsvorschriften zu umgehen, wenn somit Rechtsmissbrauch oder ein Verletzung von Treu und Glauben vorliegt (BGE 113 II 36 mit weiteren Hinweisen; Theo Guhl, Das Schweizerische Obligationen- 2000 Verwaltungsgericht 318 recht, 9. Auflage, bearbeitet von Alfred Koller / Anton K. Schnyder / Jean Nicolas Druey, Zürich 2000, § 65 Rz. 18, S. 705; Peter Böckli, Schweizer Aktienrecht, 2. Auflage, Zürich 1996, Rz. 1181a f.; Peter Forstmoser / Arthur Meier-Hayoz / Peter Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 62 N 47 ff.). Möglich ist diesfalls nicht nur der direkte Durchgriff (Erfassung des Allein- oder Grossaktionärs von den Pflichten der Gesellschaft), sondern auch der sogenannte umgekehrte (Erfassung der Gesellschaft von den Pflichten des Aktionärs) und der Quer- Durchgriff (Erfassung von Gesellschaften, die vom selben Aktionär abhängig sind). bb) Vorliegendenfalls werden die verschiedenen, rechtlich als Aktiengesellschaften verselbständigten Gartenbauunternehmen of- fensichtlich durch die C. AG beherrscht, deren Gesellschaftszweck u.a. auch ,,Beteiligungen" sind (Erw. c/bb hievor). Insofern liegt ein Konzern oder zumindest ein konzernähnliches Gebilde vor (Guhl, a.a.O., § 59 Rz. 40, S. 661). Beim Konzern gilt grundsätzlich die formelle Betrachtungsweise, d. h. das Trennungsprinzip; die einzel- nen Gesellschaften werden juristisch als separate Einheiten be- trachtet. Dies bedeutet nicht, dass die Zugehörigkeit zu einem Kon- zern irrelevant wäre. Die Praxis versucht, den wesentlichen Unzu- kömmlichkeiten mit dem Durchgriff (vgl. Erw. aa hievor) zu begeg- nen. Dabei erfolgt indessen vielfach nicht eine Beschränkung auf offensichtlichen Rechtsmissbrauch, sondern es erscheint schon der blosse Umstand der engen und dauernden Verbindung als solcher geeignet, die Konzerngesellschaften unter bestimmten Aspekten als rechtliche Einheit zu behandeln. Es findet in diesem Sinne je nach anzuwendender Norm eine Zurechnung bestimmter Fakten zusätzlich an andere Konzerngesellschaften statt; dabei können einer Tochtergesellschaft auch bei der Muttergesellschaft eingetretene Umstände zugeordnet werden (Guhl, a.a.O., § 59 Rz. 47 mit Bei- spielen aus der bundesgerichtlichen Praxis). Diese gesellschaftsrechtlichen Überlegungen liegen offen- sichtlich auch dem erwähnten Widerrufsentscheid des Regierungsrats 2000 Submissionen 319 des Kantons Solothurn zugrunde, wenn dort festgestellt wird, durch die Ausgliederung von vier operativen Gesellschaften und nachfolgende Übertragung dieser Gesellschaften auf eine Aktienge- sellschaft sei gegen § 11 lit. c SubmG verstossen worden, weshalb der erteilte Zuschlag an die G. AG, also an eine der vier ausgeglie- derten operativen Gesellschaften, zu widerrufen sei (vgl. auch Erw. c/cc hievor). cc) Im vorliegenden Fall wurde mit der dargestellten Gründung der verschiedenen Aktiengesellschaften wahrscheinlich der B. AG in rechtlich unzulässiger Weise Vermögenssubstrat entzogen (vgl. Erw. c/bb hievor). Indessen lässt sich nicht sagen, die Gründung der G. AG sei erwiesenermassen ausschliesslich zu diesem rechtsmiss- bräuchlichen Zweck erfolgt. Die 1996 gegründete G. AG betreibt mit einer Belegschaft von rund 20 Personen ein Gartenbauunternehmen, das unter anderem seit mehreren Jahren auch in der Gemeinde Aar- burg ohne Beanstandungen Gärtnerarbeiten ausführt. Zur G. AG in Olten gehört auch das Garten-Center H. in A. Gemäss dem Schreiben des Verbands Schweizerischer Gärtnermeister VSG an das Hochbau- amt des Kantons Solothurn vom 2. Oktober 1998 wird die G. AG ,,zur Zeit als Vorzeigefirma schuldenlos präsentiert". Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die G. AG zivil- oder kon- kursrechtlich für die bei der B. AG eingetretene Vermögensvermin- derung einstehen müsste. Vor diesem Hintergrund erscheint es trotz der offensichtlichen wirtschaftlichen Verflechtungen nicht sachge- recht, das Fehlverhalten des H. im Zusammenhang mit dem Konkurs der B. AG und damit verbundenen Vermögenstransaktionen auch der G. AG als juristisch eigenständiger Gesellschaft anzulasten und sie deswegen von allen öffentlichen Vergabeverfahren auszuschliessen. Auch wenn die Vergabestelle im vorliegenden Fall somit um das Konkursverfahren der B. AG gewusst hat, bestand für sie deswegen keine Verpflichtung zum Ausschluss der G. AG von der Vergabe. e) Nach Angaben des Gemeinderats Aarburg waren ihm zum Zeitpunkt des Entscheids über den Zuschlag keine Gründe bekannt, 2000 Verwaltungsgericht 320 die gegen eine Vergabe gegen die G. AG gesprochen hätten. Bei der G. AG handelt es sich, wie ausgeführt, um ein Unternehmen, das der Gemeinde bereits bekannt war, da es nebst diversen Gräbern von privaten Auftraggebern auch die Gemeindegräber (Gräberfonds) auf dem Friedhof in Aarburg besorgt. (...) Wenn die Vergabestelle daher mangels konkreter Anhaltspunkte keine Veranlassung sah, in Bezug auf mögliche Ausschlussgründe nähere Abklärungen zu treffen, lässt sich dies nicht beanstanden. Solche Abklärungen wurden auch bei den übrigen Anbietern nicht gemacht. Allein die Tatsache, dass über die B. AG ein Konkursverfahren eröffnet worden war, stellt jeden- falls keinen konkreten Anhaltspunkt dar, der zwingend zusätzliche Nachforschungen erfordert hätte. Beim von der Vergabestelle zu betreibenden Aufwand zu berücksichtigen ist auch, dass es sich umfangmässig um einen verhältnismässig kleinen Auftrag handelt. Damit steht fest, dass der Gemeinderat Aarburg jedenfalls zum Zeitpunkt des Vergabeentscheids keine Veranlassung hatte, die G. AG vom Submissionsverfahren auszuschliessen, weshalb sich der Verga- beentscheid, namentlich soweit er das Vorliegen eines Ausschluss- grundes gemäss § 28 Abs. 1 SubmD verneint, nicht beanstanden lässt. Dies führt zur Abweisung der Beschwerde. 3. a) Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerdeergän- zung geltend, bei der Firma G. AG sei eine Kontrolle betreffend Schwarzarbeit durchgeführt worden, welche verschiedene nicht ge- meldete Arbeitnehmer zu Tage gefördert habe. Dem Gemeinderat war auch davon bei seinem Vergabeentscheid nichts bekannt. b) Unter dem Begriff ,,Schwarzarbeit" ist im hier relevanten Zusammenhang einerseits die illegale Beschäftigung von ausländi- schen Arbeitskräften ohne Aufenthaltsbewilligung und anderseits die Erzielung von (zusätzlichen) Arbeitseinkommen, auf die weder Sozialversicherungen noch Steuern bezahlt werden, zu verstehen. Die Vergabestelle vergibt nach § 3 Abs. 1 lit. a SubmD den Auftrag nur an Anbietende, welche die am Ort der Leistung mass- geblichen Bestimmungen über Arbeitsschutz und Arbeitsbedingun- 2000 Submissionen 321 gen einhalten. Die Vergabestelle ist berechtigt, die Einhaltung dieser Bestimmungen zu kontrollieren oder kontrollieren zu lassen. Auf Verlangen haben die Anbietenden deren Einhaltung zu bestätigen oder nachzuweisen (§ 3 Abs. 2 SubmD). Bei der Beschäftigung von Schwarzarbeitern ist davon auszu- gehen, dass damit in aller Regel sowohl gegen § 3 Abs. 1 lit. a SubmD verstossen wird als insbesondere auch der Ausschluss- bzw. Widerrufsgrund von § 28 Abs. 1 lit. c SubmD (Nichtbezahlen von Steuern und Sozialabgaben) erfüllt ist. Handelt es sich bei den be- schäftigten Personen um Ausländer ohne Aufenthalts- oder Nieder- lassungsbewilligung, wird auch den Vorschriften des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) vom 26. März 1931 zuwidergehandelt (vgl. Art. 3 Abs. 3, Art. 23 Abs. 4 ANAG). Ist die Beschäftigung von Schwarzarbeitern erwiesen, wird ein erteilter Zuschlag in aller Regel allein schon wegen des Nichtbe- zahlens der Sozialabgaben gestützt auf § 28 Abs. 1 lit. c SubmD zu widerrufen sein. Der Gemeinderat Aarburg ist daher aufgrund des Submissionsdekrets verpflichtet, den vom Beschwerdeführer in die- sem Zusammenhang gegenüber der G. AG erhobenen Vorwürfen (Beschäftigung von Schwarzarbeitern, Aus- bzw. Rückstände bei der AHV-Ausgleichskasse) nachzugehen - allerdings nur soweit sie konkret die Zuschlagsempfängerin, also die G. AG und das Garten- Center, das ebenfalls zur G. AG gehört, betreffen - und zu prüfen, ob ein Grund für einen Widerruf gemäss § 28 Abs. 1 SubmD des an die G. AG erteilten Zuschlags vorliegt. Gegebenenfalls wäre der Zu- schlag zu widerrufen.
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2003 Verwaltungsgericht 316 [...] 82 Zuständigkeit (öffentlicher Fussweg). - Feststellungen, die sich auf einen im Grundbuch angemerkten öffent- lichen Fussweg beziehen, haben auf dem Verwaltungsweg zu erfolgen (Erw. 1/b). - Sachzuständigkeit des Verwaltungsgerichts gestützt auf § 52 Ziff. 20 VRPG i.V.m. Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Erw. 1/c). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. Oktober 2003 in Sachen G. und Mitb. gegen Baudepartement. 2003 Verwaltungsrechtspflege 317 Aus den Erwägungen 1. a) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein öffentli- cher Fussweg entlang der Wyna. Der Fussweg wurde am 16. Mai 1937 als Anmerkung auf der Parzelle Nr. 125 (später Parzellen Nrn. 125 und 1906) in das Grundbuch eingetragen. Sein Verlauf ist aus dem Situationsplan, der dem Grundbuchamt Kulm seinerzeit im Be- reinigungsverfahren als Teil des Sammelbelegs u.a. zur Anmerkung "Öffentlicher Fussweg laut Plan (östlich)" eingereicht worden ist, ersichtlich. Unbestritten ist, dass der Fussweg so, wie er im erwähn- ten Situationsplan sowie in sämtlichen neueren Situationsplänen gestrichelt eingezeichnet ist, heute nur noch teilweise besteht, weil sich der Lauf der Wyna seit der Begründung des öffentlichen Fuss- wegrechts im Bereich der beiden erwähnten Grundstücke schritt- weise in Richtung seiner linksufrigen Aussenkurve verschoben hat. Der Streit dreht sich nun um die Frage, ob dem Fussweg, wie er von der Öffentlichkeit derzeit auf den Parzellen Nrn. 125 und 1906 ersatzweise benutzt wird, auch ein entsprechendes Recht zu Grunde liegt. Die Beschwerdeführer verneinen dies und stellen gestützt dar- auf das Feststellungsbegehren, dass das öffentliche Fusswegrecht auf ihren Grundstücken "solange nicht ausgeübt werden kann, bis die laut Grundbuch gültige ursprüngliche Wegrechtsfläche wieder herge- stellt ist". b) Feststellungen, die sich in dieser Weise auf einen als öffent- lich behaupteten Fussweg beziehen, haben auf dem Verwaltungsweg und nicht durch das Zivilgericht zu erfolgen, wenn wie im vorliegen- den Falle die Rechtsbegründung nicht dienstbarkeitsvertraglich (in Form einer Gemeindedienstbarkeit) und mit entsprechendem konstitutiv wirkendem Eintrag im Grundbuch (Peter Liver, Die Dienstbarkeiten und Grundlasten, Kommentar zum ZGB, Zürich 1968, Art. 731 N 2), sondern auf der Basis einer verwaltungsrechtli- chen Vereinbarung erfolgt ist, deren Anmerkung im Grundbuch über eine Hinweisfunktion nicht hinausgeht (BGE 124 III 213 mit Hin- weisen; AGVE 1992, S. 27 ff.). Das Baudepartement hat seine sach- liche Zuständigkeit daher zu Recht bejaht. Ein Fragezeichen ist le- diglich zur funktionellen Zuständigkeit zu setzen, sind doch Streitig- 2003 Verwaltungsgericht 318 keiten um öffentliche Fusswege im Kompetenzkatalog von § 2 Abs. 1 lit. d der Delegationsverordnung vom 8. November 1982 (SAR 153.111) nicht enthalten (die Annahme des Baudepartements, der angefochtene Beschluss des Gemeinderats Oberkulm vom 16. September 2002 sei "in Anwendung der Baugesetzgebung, ein- schliesslich der Gemeindebauvorschriften" ergangen, trifft offen- sichtlich ebenfalls nicht zu). Die Frage kann aber offen bleiben, weil die Nichtbeachtung der funktionellen Zuständigkeit keinen schweren Verfahrensmangel darstellt, der die Nichtigkeit indizieren würde und deshalb von Amtes wegen zu korrigieren wäre (VGE III/113 vom 21. Juli 2000 [BE.1998.00100] in Sachen K., S. 7), und eine entspre- chende Rüge nicht erhoben worden ist. c) Das Verwaltungsgericht beurteilt Beschwerden gegen letztin- stanzliche Verfügungen und Entscheide der Verwaltungsbehörden über Anordnungen im Einzelfall, bei denen Art. 6 Ziff. 1 EMRK einen Anspruch auf richterliche Überprüfung gewährt und weder im Kanton noch im Bund eine konventionsgemässe richterliche Prüfung besteht (§ 52 Ziff. 20 VRPG). Beim Streit, ob ein öffentliches Fuss- wegrecht besteht, haben die Eigentümer der davon betroffenen Grundstücke gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK Anspruch auf Beur- teilung durch ein Gericht, wobei das staatsrechtliche Beschwerdever- fahren wegen der Überprüfungsbeschränkungen nicht genügt (VGE III/65 vom 18. Juli 1995 [BE.1994.00144] in Sachen Einwoh- nergemeinde H. u. Mitb., S. 5 ff. mit zahlreichen Hinweisen auf die einschlägige Rechtsprechung und Lehre; VGE III/10 vom 9. Februar 1999 [BE.1996.00030] in Sachen H., S. 5; siehe auch Michael Mer- ker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Zürich 1998, § 52 N 9, 160). Die Sachzu- ständigkeit des Verwaltungsgerichts ist somit ebenfalls gegeben.
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2016 Übriges Verwaltungsrecht 309 XII. Übriges Verwaltungsrecht 49 Zugang zu amtlichen Dokumenten § 5 IDAG stellt in Fällen, in denen um Zugang zu amtlichen Dokumenten mit nicht anonymisierbaren Personendaten Dritter ersucht wird, keine gesetzliche Grundlage im Sinne von § 15 Abs. 1 lit. a IDAG da. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 28. Juni 2016 in Sachen Beauftragte für Öffentlichkeit und Datenschutz gegen Regie- rungsrat (WBE.2015.190). Aus den Erwägungen 1. 1.1. Das dem Verfahren zugrundeliegende Einsichtsgesuch stützt sich auf § 5 IDAG. Demnach hat jede Person Zugang zu amtlichen Dokumenten, unabhängig davon, welche Interessen sie mit diesem Zugang verfolgt. Ein amtliches Dokument liegt vor, wenn ein öffentliches Organ Verfügungsmacht über das Dokument hat, sich das Dokument auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben bezieht und sich die Informationen auf einem beliebigen Informationsträger befinden (§ 3 Abs. 1 lit. a IDAG). 1.2. Der Gesuchsteller beantragte vorliegend Einsicht in den zwi- schen dem KSD und der Vermieterschaft geschlossenen Mietvertrag. Dieser Mietvertrag für eine als Asylunterkunft genutzte Liegenschaft bezieht sich auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben und befindet sich bei der kantonalen Verwaltung als Mieterin. Der Vertrag stellt somit ein amtliches Dokument dar und untersteht grundsätzlich dem Öffentlichkeitsprinzip. 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 310 1.3. (...) 1.4. Abgesehen von der allgemeinen Regelung der Zugangs- beschränkung enthält § 6 Abs. 1 IDAG für amtliche Dokumente mit Personendaten Dritter die Spezialregelung, wonach diese Personendaten auszusondern oder zu anonymisieren sind. Personendaten sind nach § 3 Abs. 1 lit. d IDAG alle Daten, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen. Eine Anonymisierung liegt erst vor, wenn die betroffene Person vernünf- tigerweise nicht identifizierbar ist (J ENNIFER E HRENSPERGER , in: U RS M AURER -L AMBROU /G ABOR P. B LECHTA [Hrsg.], Basler Kom- mentar zum Datenschutzgesetz/Öffentlichkeitsgesetz, 3. Aufl., Basel 2014, Art. 19 N 35 DSG). Ist dies nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand möglich, ist für den Zugang zu den Dokumenten § 15 IDAG zu beachten. Demnach geben öffentliche Organe Privaten Personendaten nur bekannt, wenn a) sie dazu gesetzlich verpflichtet sind, oder b) die Bekanntgabe nötig ist, um eine gesetzliche Aufgabe erfüllen zu können, oder c) die um Auskunft ersuchende Person glaubhaft macht, dass sie ohne die Bekanntgabe an der Durchsetzung von Rechtsansprüchen gehindert wird, oder d) die betroffene Person eingewilligt hat. Ausserdem sind Personendaten weder zu anonymisieren bzw. auszusondern noch ist der Zugang zu beschränken, wenn der Be- troffene selber die Daten öffentlich zugänglich gemacht hat bzw. wenn der öffentliche Zugang offensichtlich im Interesse des Betroffenen liegt (§ 6 Abs. 3 IDAG). 1.5. Der vorliegend zur Diskussion stehende Mietvertrag enthält Personendaten im Sinn von § 6 IDAG, da sich der Vertragsinhalt auch auf die Vermieterschaft bezieht. Zwar lassen sich im Vertrag Name und Adresse der Vermieterschaft schwärzen. Aufgrund der Öffentlichkeit des Grundbuchs einerseits sowie der bereits breit er- folgten öffentlichen Berichterstattung andererseits ist aber der Name der Vermieterschaft kein Geheimnis mehr bzw. lässt sich in jedem 2016 Übriges Verwaltungsrecht 311 Fall leicht eruieren. Sämtliche übrigen Personendaten im Vertrag las- sen sich demzufolge, auch bei Schwärzung der Personalien, ohne weiteres direkt der Vermieterschaft zuordnen. Während also die Ano- nymisierung in Bezug auf Name und Adresse nichts bringt, würde die Schwärzung der übrigen Daten, insbesondere der detaillierten Mietkonditionen, keinen Sinn ergeben, weil gerade diese Angaben die Öffentlichkeit und insbesondere den Gesuchsteller interessieren. Damit liegt ein Dokument mit nicht anonymisierbaren Personendaten vor. 2. Zu klären ist vorliegend die Frage, ob gestützt auf § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 15 IDAG der Mietvertrag als amtliches Dokument mit darin enthaltenen, nicht anonymisierbaren Personendaten öffent- lich zugänglich zu machen ist. 2.1. 2.1.1. Der Kanton Aargau regelt in einem einzigen Gesetz sowohl das Öffentlichkeitsprinzip (§§ 4-7 IDAG) wie auch den Datenschutz (§§ 8-29 IDAG) und das Archivwesen (§§ 43-48 IDAG), mit allge- meinen Bestimmungen für alle drei Bereiche (§§ 1-3 IDAG) und ge- meinsamen Bestimmungen für Öffentlichkeitsprinzip und Daten- schutz (§§ 30-42 IDAG). Die gemeinsamen Bestimmungen betreffen dabei die beauftragte Person für Öffentlichkeit und Datenschutz so- wie das Verfahren zur Überprüfung und Durchsetzung der sich aus dem Gesetz ergebenden Ansprüche. Während sich Einsichtsgesuche allgemein auf § 5 IDAG abstüt- zen können, gelangt, sofern im Dokument Personendaten enthalten sind, § 6 IDAG zur Anwendung. Demnach sind die Personendaten zu anonymisieren. Falls dies nicht möglich ist, wird auf § 15 IDAG und andere Erlasse verwiesen, welche den Zugang in solchen Fällen re- geln. Spezialgesetzliche Bestimmungen, welche einen Zugang zum nicht anonymisierbaren Mietvertrag vorsehen, sind nicht ersichtlich. 2.1.2. Die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 lit. c IDAG (Bekannt- gabe erforderlich zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen) sowie 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 312 lit. d (Einwilligung der betroffenen Person) sind nicht erfüllt. Auch § 15 Abs. 1 lit. b IDAG (Notwendigkeit der Bekanntgabe zur Erfül- lung einer gesetzlichen Aufgabe) ist nicht anwendbar. Diese Bestim- mung entspricht derjenigen von Art. 19 Abs. 1 lit. a des Bundesgeset- zes über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG; SR 235.1), wo- bei die Formulierung dort etwas präziser lautet: "[...] die Daten für den Empfänger im Einzelfall zur Erfüllung seiner gesetzlichen Auf- gabe unentbehrlich sind". Somit stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 lit. a IDAG (gesetzliche Verpflichtung zur Bekanntgabe) gegeben sind. 2.2. 2.2.1. Ausgangspunkt der Auslegung eines Gesetzes bildet der Wort- laut der Bestimmung (grammatikalisches Element). Ist der Wortlaut klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich, darf davon nur abgewi- chen werden, wenn ein triftiger Grund für die Annahme besteht, der Wortlaut ziele am "wahren Sinn" der Regelung vorbei. Anlass für eine solche Annahme können die Entstehungsgeschichte der Bestim- mung (historisch), ihr Zweck (teleologisch) oder der Zusammenhang mit andern Vorschriften (systematisch) geben. Ist der Text unklar bzw. nicht restlos klar und bleiben verschiedene Interpretationen möglich, muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden. Dabei sind alle anerkannten Auslegungselemente zu berück- sichtigen (Methodenpluralismus). Von Bedeutung sind insbesondere der Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertun- gen sowie der Sinnzusammenhang, in dem die Norm steht. Bleiben bei nicht klarem Wortlaut letztlich mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht. Auch eine verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen aber am klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung (BGE 140 II 495, Erw. 2.3 mit Hinweisen). 2.2.1.1. Allein gestützt auf den Wortlaut lässt sich die vorliegende Frage nicht beantworten. Von wesentlicher Bedeutung ist demgegenüber im konkreten Fall das Zusammenspiel der §§ 5, 6 und 15 IDAG. 2016 Übriges Verwaltungsrecht 313 Systematisch enthält § 5 IDAG den Grundsatz der Öffentlichkeit amtlicher Dokumente, wobei zur Beantwortung der Frage, ob Zu- gangsbeschränkungen nötig sind, regelmässig eine Interessenabwä- gung vorzunehmen ist (§ 5 Abs. 3 IDAG). § 6 IDAG enthält die spezielle Regelung, sofern die Dokumente Personendaten enthalten. In diesen Fällen ist grundsätzlich eine Aussonderung oder Anonymisierung der Dokumente vorzunehmen. Ist dies nicht mög- lich, besteht kein Zugangsrecht (Ausschluss der Öffentlichkeit), es sei denn, der Zugang sei gestützt auf § 15 IDAG zu gewähren. Aus systematischer Sicht erschiene es unlogisch, wenn auch das in § 5 Abs. 1 IDAG verankerte Öffentlichkeitsprinzip als gesetzliche Grundlage im Sinne von § 15 Abs. 1 lit. a IDAG zu verstehen wäre. Die spezielle Regelung in § 6 IDAG würde dadurch insoweit obsolet, als alle amtlichen Dokumente mit nicht anonymisierbaren Personen- daten mit dem "Umweg" über § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 lit. a und § 5 Abs. 1 IDAG doch wieder zugänglich würden (unter Vorbehalt der allgemeinen Zugangsbeschränkung nach § 5 Abs. 3 IDAG). Diese Lösung hätte, falls sie tatsächlich so gewollt wäre, gesetzestechnisch deutlich einfacher geregelt werden können. Entsprechend lässt sich aufgrund der Systematik darauf schliessen, dass in § 15 Abs. 1 IDAG lediglich spezialgesetzliche Regelungen ausserhalb des IDAG selber gemeint sind. Dies gilt umso mehr, als andernfalls die Dokumente mit anonymisierbaren Personendaten restriktiver gehandhabt würden als diejenigen mit nicht anonymisierbaren Personendaten. 2.2.1.2. Gemäss Botschaft hat das IDAG den Zweck, einerseits die Transparenz der Verwaltung zu fördern, andererseits aber auch Per- sönlichkeit und Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu schützen und in diesem Zusammenhang den Missbrauch von Perso- nendaten zu verhindern (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, S. 24). Zwar statuiert das Öffentlichkeitsprinzip ein allgemeines und jederzeitiges Zugangsrecht zu amtlichen Dokumenten, für bestimmte Fälle sind je- doch Einschränkungen vorgesehen (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 314 S. 30). In Bezug auf Personendaten wird zu § 6 IDAG in der Bot- schaft ausgeführt, es sei hinsichtlich der Einschränkungen das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten. Vorenthalten werden dürfe nur, was zur Wahrung überwiegender öffentlicher oder privater Inte- ressen unbedingt notwendig sei. Unter Umständen sei den betroffe- nen Interessen mit Auflagen, Bedingungen oder Fristen Rechnung zu tragen oder je nachdem nur ein Teil der Akten zugänglich zu machen (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, S. 31). Zu § 15 IDAG wird allerdings ausgeführt, Privaten würden grundsätzlich keine Personendaten be- kannt gegeben, weshalb ihnen konsequenterweise auch im Rahmen des Öffentlichkeitsprinzips keine Einsicht in amtliche Dokumente zu gewähren sei, wenn diese nicht anonymisierbare Personendaten ent- halten (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, S. 39). Die Ausführungen in der Botschaft zu § 6 IDAG einerseits und § 15 IDAG widersprechen sich zwar teilweise. Die zitierte Aussage zu § 15 IDAG betrifft allerdings genau die vorliegend zu beurtei- lende Frage, weshalb ihr im Rahmen der Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers ein erhöhtes Gewicht beizumessen ist. 2.2.1.3. Sinn und Zweck des IDAG liegen zur Hauptsache darin, die Interessen des Anspruchs auf umfassenden Zugang zu amtlichen Do- kumenten einerseits und auf umfassenden Schutz der die Privatsphäre betreffenden Personendaten andererseits aufeinander abzustimmen. Zur Auflösung des dadurch entstehenden Zielkonflikts enthält das IDAG in § 6 Abs. 2 eine Kollisionsnorm, wonach bei amtlichen Dokumenten mit nicht anonymisierbaren Personendaten Dritter ein grundsätzlicher Vorrang zugunsten des Datenschutzes be- steht. Auch wenn bei Einführung des IDAG von einem richtungswei- senden Wechsel vom Geheimhaltungsprinzip mit Öffentlichkeitsvor- behalt hin zum Öffentlichkeitsprinzip mit Geheimhaltungsvorbehalt die Rede war (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, S. 5) und mit diesem Richtungswechsel dem Öffentlichkeitsprinzip ein hoher Stellenwert eingeräumt wurde, kann somit nicht auf einen höheren Stellenwert 2016 Übriges Verwaltungsrecht 315 des Öffentlichkeitsprinzips im Vergleich zum Datenschutz geschlos- sen werden. 2.2.1.4. Gemäss Art. 13 Abs. 2 BV hat jede Person Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten. Gemäss Rechtsprechung beinhaltet das verfassungsmässig geschützte Recht auf informatio- nelle Selbstbestimmung, dass grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, wie sensibel die fraglichen Informationen tatsächlich sind, dem Einzelnen die Herrschaft über seine personenbezogenen Daten zu- steht (BGE 138 II 346, Erw. 8.2). Demnach muss jede Person gegen- über fremder, staatlicher oder privater Bearbeitung und Speicherung von sie betreffenden Informationen bestimmen können, ob und zu welchem Zwecke diese Informationen über sie bearbeitet und gespei- chert werden (BGE 140 I 2, Erw. 9.1). Der sachliche Anwendungsbe- reich von Art. 13 Abs. 2 BV setzt somit voraus, dass Personendaten bearbeitet werden. Als persönlich gelten alle Daten, die sich auf die betroffene Person beziehen, also etwa auch Informationen über die wirtschaftlichen Verhältnisse (E VA M ARIA B ELSER , in: E VA M ARIA B ELSER /A STRID E PINEY /B ERNHARD W ALDMANN , Datenschutz, Grundlagen und öffentliches Recht, Bern 2011, § 6 N 31). Bearbeiten stellt jeden Umgang mit personenbezogenen Angaben dar, insbeson- dere auch die Weitergabe (B ELSER , a.a.O., § 6 N 95). Somit fällt die Offenlegung des nicht anonymisierbaren Mietvertrags in den sachli- chen Anwendungsbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Im Gegensatz etwa zum Kanton Bern, wo ein Grundrecht auf Zugang zu amtlichen Dokumenten statuiert ist (vgl. Art. 17 Abs. 3 der Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993 [KV; BSG 101.1]), stellt der Zugang zu amtlichen Dokumenten im Kanton Aargau lediglich ein Prinzip dar, auf das kein verfassungsmässiger Anspruch besteht (vgl. die Einordnung von § 72 KV ausserhalb des Grundrechtskatalogs sowie Botschaft des Regie- rungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, S. 23), wohingegen sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unter anderem aus internationalen Konventionen (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 [SR 0.103.2] und EMRK) sowie der BV ergibt. 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 316 Deshalb ist gestützt auf eine verfassungskonforme Auslegung für einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestim- mung eine klare gesetzliche Grundlage erforderlich. Eine solche ist indessen im vorliegenden Kontext nicht erkennbar. 2.2.1.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass alle Auslegungs- elemente den Schluss nahe legen, dass in Fällen, in denen um Zu- gang zu amtlichen Dokumenten ersucht wird, die nicht anonymisier- bare Personendaten Dritter enthalten, § 5 IDAG keine gesetzliche Grundlage im Sinne von § 15 Abs. 1 lit. a IDAG darstellt. Auch wenn sich Gesuche um Zugang zu amtlichen Dokumenten in vielen Fällen auf Dokumente beziehen, die nicht anonymisierbare Personendaten enthalten, sind aufgrund des IDAG in der geltenden Fassung solche Gesuche abzuweisen. Sollte es dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dass auch nicht anonymisierbare Doku- mente zugänglich zu machen sind, so hätte er dies - beispielsweise wie der Bundesgesetzgeber mit Art. 19 Abs. 1 bis DSG - entsprechend zu legiferieren. (...) 2.2.2. Vorliegend wäre für einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Dokumenten mit nicht anonymisierbaren Personendaten Dritter eine gesetzliche Grundlage Voraussetzung. Da eine solche jedoch nicht vorhanden ist, stellt sich zusätzlich die Frage, ob der Mietvertrag auf- grund des Verhältnismässigkeitsprinzips teilweise zugänglich ge- macht werden soll. Ein solches Vorgehen ergibt jedoch keinen Sinn, da Leistung und Gegenleistung in einem Austauschverhältnis zueinander stehen, weshalb es wenig aussagekräftig wäre, nur ein- zelne Verpflichtungen - beispielsweise ausschliesslich den Mietzins - offen zu legen. Nachdem somit auch eine teilweise Zugänglichma- chung nicht zielführend ist, ist die Beschwerde vollumfänglich abzu- weisen.
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AG_VG_001
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2014 Submissionen 187 VI. Submissionen 31 Ausstand; Verwirkung - Ausstandspflicht/Befangenheit - Ausstandsgründe sind beim Bekanntwerden sofort geltend zu ma- chen. Ein Untätigbleiben oder eine Einlassung in ein Verfahren im Wissen um das Vorliegen von Ausstandsgründen gilt als Verzicht und führt zur Verwirkung des Anspruchs. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 13. März 2014 in Sachen A. AG gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2013.362). Aus den Erwägungen 6. 6.1. (...) 6.2. Die Anbietenden haben im Vergabeverfahren Anspruch auf Be- urteilung ihrer Offerten und Durchführung des gesamten Vergabever- fahrens inkl. Zuschlagserteilung durch eine unabhängige und unvor- eingenommene Vergabebehörde (vgl. Peter G ALLI /A NDREAS M OSER /E LISABETH L ANG /M ARC S TEINER , Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 1071 mit Hinweis). Gemäss § 4 Abs. 1 SubmD richtet sich der Ausstand von Mitgliedern der Vergabestelle nach den Vorschriften des Verwal- tungsrechtspflegegesetzes. Dieses bestimmt unter anderem, dass am Erlass von Entscheiden nicht mitwirken darf, wer in der Sache ein persönliches Interesse hat (§ 16 Abs. 1 lit. a VRPG) oder aus anderen Gründen in der Sache befangen sein könnte (§ 16 Abs. 1 lit. e VRPG). 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 188 Ausstandspflichtig ist nicht nur, wer selber verfügt oder (mit-)entscheidet, sondern das Mitwirkungsverbot bezieht sich auf alle Personen, die auf das Zustandekommen des Verwaltungsaktes Einfluss nehmen können; dazu gehören namentlich auch Sach- bearbeiter oder Protokollführer mit beratender Funktion. Insofern kann in einem Submissionsverfahren auch eine aufgrund eines Auf- tragsverhältnisses beigezogene und die Vergabebehörde beratende externe Stelle (Ingenieur, Architekt etc.) eine Ausstandspflicht im Sinne von § 16 VRPG treffen, insbesondere wenn er bezüglich der Vergabe auch Antrag stellt. Die Ausstandspflicht betrifft im Übrigen nur einzelne Personen und nicht ganze Behörden oder juristische Personen (vgl. VGE III/95 vom 16. Juli 1998 [BE.98.00060], S. 17 f. mit Hinweisen). Die Ausstandsregeln sind im Grundsatz streng auszulegen, da nur so ein faires, transparentes und für alle Beteiligten leicht überprüfbares Auswahlverfahren bei Submissionen garantiert werden kann, was sowohl unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit als auch der Rechtsgleichheit aller Wettbewerbsteilnehmer und wirt- schaftlichen Mitkonkurrenten stets von elementarer und zentraler Be- deutung ist (AGVE 2012, S. 167; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 30. Juni 2006 [U 06 65], Erw. 2.b). Zur Annahme einer rechtlich unzulässigen Befangenheit genügt es, wenn die gegebenen Umstände den Anschein derselben entstehen lassen; ob eine solche tatsächlich besteht, muss nicht nachgewiesen werden. Die Ausstandsgründe sind beim Bekanntwerden sofort geltend zu machen. Ein Untätigbleiben oder eine Einlassung in ein Verfahren im Wissen um das Vorliegen von Ausstandsgründen gilt als Verzicht und führt grundsätzlich zur Verwirkung des Anspruchs (vgl. BGE 132 II 485, 496 f.; G ALLI /M OSER /L ANG /S TEINER , a.a.O., Rz. 1086 mit Hinweisen). Auch die Rüge der Befangenheit ist somit umgehend anzubringen, d.h. zu dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene Kenntnis von der für eine Befangenheit sprechenden Tatsache erhält. Es geht nicht an, im Wissen um die Befangenheit zunächst das Ergebnis des Vergabeverfahrens abzuwarten, um anschliessend - je nach Ergebnis des Verfahrens - den Einwand der Befangenheit zu erheben. Ein sol- ches Vorgehen verstösst gegen Treu und Glauben. 2014 Submissionen 189 6.3. Im vorliegenden Fall ergeben sich aufgrund der vorliegenden Verfahrensakten keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die von der Be- schwerdeführerin genannten C. und D. in irgendeiner Weise unmit- telbar am vorliegenden Verfahren beteiligt waren oder darauf Ein- fluss genommen hätten. Insofern erweist sich die gegen diese beiden Personen gerichtete Befangenheitsrüge der Beschwerdeführerin als unbegründet. Hingegen ist offensichtlich, dass die E. AG bzw. deren Mitarbeiter F. und G. in sehr erheblicher Weise an der Durchführung des Vergabeverfahrens und an der Entscheidfindung mitgewirkt ha- ben, auch wenn verantwortliche Vergabestelle letztlich der Gemein- derat B. ist. Ob davon gesprochen werden kann, die E. AG habe als neutrale Fachstelle die Vergabestelle "im vorliegenden Verfahren in rein zudienender Weise unterstützt", erscheint fraglich. Die Tatsache, dass die E. AG im vorliegenden Vergabeverfahren mitwirken würde, war der Beschwerdeführerin bereits mit der Publikation der Aus- schreibung bekannt, wird in Ziff. 1.1. der öffentlichen Ausschreibung die E. AG doch ausdrücklich als Beschaffungsstelle/Organisator ge- nannt. Dort namentlich erwähnt ist auch G.. Im von der E. AG erstellten Pflichtenheft kommt deren Mitwirkung ebenfalls unmiss- verständlich zum Ausdruck. Die Beschwerdeführerin begründet die Voreingenommenheit bzw. Befangenheit der E. AG bzw. deren Mitarbeiter ihr gegenüber mit Umständen, die sich bereits in den Jah- ren 2011 und 2012 ereignet haben. Dies gilt für den Rechtsstreit der Beschwerdeführerin gegen die H., in dem letztere von D. bzw. des- sen Büropartner vertreten war, das sich in Bezug auf die Beschwerdeführerin negativ äussernde Schreiben der E. AG (...) oder die unterbliebene Einladung zur Submission der Gemeinde I. (...). Die enge Verflechtung der E. AG mit der J. GmbH war ihr ohnehin längst bekannt. Die Beschwerdeführerin hatte somit bereits im Zeitpunkt der öffentlichen Ausschreibung Kenntnis von den für eine Befangenheit der E. AG bzw. deren Mitarbeiter sprechenden Tatsachen, weshalb die entsprechende Rüge bereits im Rahmen der Anfechtung der öffentlichen Ausschreibung hätte vorgebracht werden können und 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 190 müssen. Dies hat die Beschwerdeführerin indessen unterlassen und ohne jeglichen Vorbehalt gegen die Mitwirkung der E. AG am Verga- beverfahren ein Angebot eingereicht. Mithin ist von einer Verwir- kung des Anspruchs auf die Geltendmachung des betreffenden Aus- standsgrunds auszugehen.
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2018 Wahlen und Abstimmungen 273 26 Ausstand Tragweite der Ausstandspflicht bei Sachgeschäften in einer Gemeindever- sammlung Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 14. Juni 2018, in Sachen B. gegen Gemeinde X. und DVI (WBE.2018.52). Aus den Erwägungen 5. 5.1. Selbst wenn sich die Teilnahme von Gemeinderätin C. und ihren beiden Kindern an den fraglichen Abstimmungen auf deren Er- gebnisse tatsächlich ausgewirkt hätte oder möglicherweise hätte aus- wirken können, wäre der vorliegenden Beschwerde aus den nachfol- gend dargelegten Gründen kein Erfolg beschieden. 5.2. Da Ausstandsvorschriften wie § 25 GG immer eine Einschrän- kung der demokratischen Mitwirkungsrechte der betroffenen Stimmberechtigten bedeuten, sind sie restriktiv auszulegen. Das heisst, dass nur die im Gesetzeswortlaut klar umschriebenen Perso- nen in den Ausstand zu treten haben. Die Ausstandspflicht bezieht sich sodann nur auf den Vorgang, vor der Abstimmung das Lokal verlassen zu müssen; während der Beratung und Diskussion des Ver- handlungsgegenstands bestehen die vollen Mitwirkungsrechte (AGVE 2013, S. 526; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom 19. April 2018 [1C_596/2017]) Erw. 5.2). 5.3. 5.3.1. Wie bereits erwähnt, ging es an der Einwohnergemeindever- sammlung vom 22. Juni 2017 unter Traktandum 4 um einen Ver- pflichtungskredit von Fr. 281'000.00 für die Sanierung der A.Strasse yy-zz samt Werkleitungen und unter Traktandum 5 um einen Ver- pflichtungskredit von Fr. 372'000.00 für die Sanierung des ge- meindeeigenen Teilstücks der D.Strasse samt Werkleitungen. Gemäss 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 274 den Ausführungen in der Einladung zur Einwohnergemeindever- sammlung vom 22. Juni 2017 dienen diese Projekte, welche auf der Strassenzustandserfassung, der Werterhaltungsplanung sowie der generellen Entwässerungsplanung basieren, der Instandstellung von Teilabschnitten bestehender Strassen und der darin liegenden Werkleitungen. Auf den fraglichen Abschnitten der A.Strasse und der D.Strasse befinden sich die Wasser- und Kanalisationsleitungen in einem schlechten Zustand, weshalb sie mitsamt den dazugehörigen Schiebern bzw. Schächten ersetzt werden müssen. Ausserdem müssen die gesamte Fundation, die Randabschlüsse und der Belag der Strassen zustandsbedingt erneuert werden. Im technischen Bericht betreffend die Erneuerung der A.Strasse yy-zz wurde festgehalten, dass die A.Strasse Unebenheiten, Absenkungen, Risse und Belagsschäden aufweist. Gleiches wurde im technischen Bericht betreffend die Erneuerung der D.Strasse ausgeführt. Damit geht es bei beiden Projekten lediglich um die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Erschliessung. 5.3.2. § 25 Abs. 1 GG führt nicht bei jedem Geschäft mit finanziellen Konsequenzen für einzelne Stimmberechtigte dazu, dass diese und ihre Ehegatten bzw. eingetragenen Partner, ihre Eltern und ihre Kin- der mit deren Ehegatten bzw. eingetragenen Partnern in den Ausstand treten müssen. Vielmehr gibt es in den Zuständigkeitsbereich der Ge- meindeversammlung fallende Gegenstände, bei denen § 25 GG nicht zur Anwendung kommt, obwohl sie in mannigfacher Weise private Interessen berühren (AGVE 1994, S. 546 f.). Nicht anwendbar ist § 25 GG insbesondere bei Traktanden betreffend Erschliessungs- projekte der Gemeinde und deren Finanzierung (AGVE 1980, S. 500). Dasselbe hat für Geschäfte zu gelten, bei denen es - wie im vorliegenden Fall - nicht um die erstmalige Erschliessung von Grundstücken, sondern um die Erneuerung bestehender Erschlies- sungsanlagen, wie z.B. Strassen, Wasser- oder Abwasserleitungen, geht. Diese Praxis steht im Einklang mit dem Grundsatz, dass Aus- standsregeln bei Gemeindeversammlungen von der Natur der politi- schen Rechte her nur zurückhaltend anzuwenden sind (Urteil des Bundesgerichts vom 19. April 2018 [1C_596/2017]) Erw. 5.2). 2018 Wahlen und Abstimmungen 275 Selbst wenn die unter den Traktanden 4 und 5 vorgelegten Ge- schäfte für Gemeinderätin C. direkte und genau bestimmte, insbeson- dere finanzielle Folgen hätten, hätten sie und ihre beiden Kinder des- halb nicht aufgrund von § 25 Abs. 1 GG in den Ausstand treten müs- sen. Daran ändert nichts, dass Gemeinderätin C., deren Liegenschaft A.Strasse yy (Parzelle yyy) auf der Ostseite an die D.Strasse grenzt, über einen über die D.Strasse erreichbaren Autoabstellplatz mit Rasengittersteinen verfügt und dort einen Autounterstand erstellen sowie zusätzliche Rasengittersteine legen will. 5.4. Aus dem Umstand, dass in den Unterlagen zur Einwohner- gemeindeversammlung vom 7. Dezember 2017 unter dem Titel All- gemeine Rechte des Stimmbürgers auf die Ausstandspflicht gemäss § 25 Abs. 1 GG hingewiesen wurde, kann entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht geschlossen werden, dass Gemeinde- rätin C. und ihre beiden Kinder an der Einwohnergemeindeversamm- lung vom 22. Juni 2017 das Versammlungslokal vor den Abstimmun- gen unter den Traktanden 4 und 5 jeweils hätten verlassen müssen. Der Beschwerdeführer kann daraus nichts für sich ableiten. Die Ge- meinden sind nicht verpflichtet, vor jeder Gemeindeversammlung in allgemeiner Weise auf die Ausstandspflicht von § 25 GG hinzuwei- sen. Es genügt, wenn dies vor den Abstimmungen geschieht, bei de- nen die Ausstandspflicht in Frage steht. 5.5. Demnach ist festzuhalten, dass Gemeinderätin C. und ihre bei- den Kinder nicht verpflichtet waren, vor den Abstimmungen unter den Traktanden 4 und 5 in den Ausstand zu treten. Die Beschwerde wäre daher auch aus diesem Grund abzuweisen.
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2008 Verwaltungsgericht 242 40 Einstellung der materiellen Hilfe wegen Rechtsmissbrauchs. - Systematische Verletzung der Auflage / Weisung betreffend Stellen- suche. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 12. Juni 2008 in Sachen W.H. gegen das Bezirksamt Bremgarten (WBE.2008.77). Aus den Erwägungen 1. Angefochten ist die am 13. November 2007 von der Sozialkom- mission X. beschlossene Einstellung der materiellen Hilfe per 30. November 2007. Zur Begründung führte die Sozialbehörde an, der Beschwerdeführer habe im HEKS Lernwerk die Arbeit grundlos verweigert, worauf ihm die Arbeitsstelle per 15. Oktober 2007 frist- los gekündigt worden sei. Zudem habe er für die Zeit ab 22. Oktober 2007 einen Einsatzvertrag mit der Firma A. unterzeichnet und sei nach zwei Tagen ohne stichhaltige Begründung nicht mehr zur Arbeit erschienen. Im Weiteren habe der Beschwerdeführer dem Sozial- dienst teilweise unwahre Arbeitsbemühungen dokumentiert. 2. Die Gewährung materieller Hilfe kann mit Auflagen und Wei- sungen verbunden werden, welche die richtige Verwendung sichern oder die Lage der Hilfe suchenden Person und ihrer Angehörigen verbessern, wie Bestimmungen über die zweckmässige Verwendung der materiellen Hilfe, die Aufnahme zumutbarer Arbeit oder andere Verhaltensregeln, die nach den Umständen angebracht erscheinen (§ 13 Abs. 1 SPG; § 14 lit. d-f SPV). Werden Auflagen oder Weisun- gen, die unter Androhung der Folgen der Missachtung erlassen wur- den, nicht befolgt, kann die materielle Hilfe gekürzt werden (§ 13 Abs. 2 SPG). Bei der Kürzung der materiellen Hilfe ist die Existenz- sicherung zu beachten (§ 15 Abs. 1 SPV), welche bei 65 % des Grundbedarfs I gemäss den SKOS-Richtlinien liegt (§ 15 Abs. 2 SPV). Verhält sich die unterstützte Person rechtsmissbräuchlich, kann eine Kürzung der materiellen Hilfe auch unter die Existenzsi- 2008 Sozialhilfe 243 cherung erfolgen oder die materielle Hilfe ganz eingestellt werden. Rechtsmissbrauch liegt unter anderem dann vor, wenn das Verhalten der unterstützten Person einzig darauf gerichtet ist, in den Genuss von materieller Hilfe zu gelangen (§ 15 Abs. 3 SPV). Auch die syste- matische Weigerung, Weisungen und Auflagen zu erfüllen, kann als rechtsmissbräuchliches Verhalten qualifiziert werden (VGE IV/25 vom 29. März 2007 [WBE.2006.319], S. 15; VGE IV/45 vom 22. Dezember 2005 [WBE.2005.215], S. 8). 3. 3.1. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2004 gewährte die Sozial- kommission X. dem Beschwerdeführer Sozialhilfe und erteilte ihm die Auflage / Weisung, jeweils Ende Monat seine Arbeitsbemühun- gen schriftlich vorzulegen. Nachdem der Nachweis der Arbeitsbe- mühungen während der Monate zuvor sehr bescheiden gewesen war, erteilte die Sozialkommission X. dem Beschwerdeführer mit Be- schluss vom 11. September 2007 die Auflage / Weisung, monatlich mindestens acht Stellenbemühungen bis am 5. des Folgemonats beim Sozialdienst und beim RAV abzugeben. Für den Fall der Wider- handlung drohte ihm die Sozialkommission die Kürzung des Grund- bedarfs I um 15 % an. Im September 2007 reichte der Beschwerde- führer eine Liste mit sieben Arbeitsbemühungen ein, wobei er einige davon bereits Mitte August 2007 ausgewiesen hatte. Nachdem eine stichprobenweise Rückfrage der Sozialkommission bei zwei Firmen ergeben hatte, dass die schriftlichen Bewerbungen gar nie eingetrof- fen waren, gab der Beschwerdeführer zu, dass er an keine der Firmen Unterlagen geschickt hatte. Gestützt darauf kürzte die Sozialkom- mission X. dem Beschwerdeführer mit Beschluss vom 16. Oktober 2007 den Grundbedarf I ab 1. November 2007 für sechs Monate um 30 % und den Grundbedarf II vollständig. Gleichzeitig erteilte sie ihm erneut die Auflage / Weisung gemäss Beschluss vom 11. Sep- tember 2007 und drohte ihm für den Fall des Verstosses die Einstellung der Sozialhilfe an. Am 13. November 2007 stellte die Sozialkommission X. die Sozialhilfe des Beschwerdeführers per 30. November 2007 ein. 2008 Verwaltungsgericht 244 Auch im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind die fehlenden Arbeitsbemühungen des Beschwerdeführers unbestrit- ten. 3.2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Sozial- behörde dem Beschwerdeführer mehrfach die Auflage / Weisung er- teilt hat, monatlich mindestens acht Stellenbemühungen abzugeben, widrigenfalls die Sozialhilfe gekürzt bzw. eingestellt werde. Indem der Beschwerdeführer seit Mitte 2007 unbestrittenermassen entweder ungenügende oder gar keine Arbeitsbemühungen eingereicht bzw. eine Liste mit Firmen vorgelegt hat, bei welchen sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass sich der Beschwerdeführer gar nicht bewor- ben hatte, hat er mehrfach gegen die genannte Auflage / Weisung verstossen. Auch nachdem die Sozialbehörde am 13. November 2007 die Kürzung der Sozialhilfe verfügt hatte, änderte der Beschwerde- führer sein Verhalten nicht. Gestützt auf die Verfügung des Verwal- tungsgerichts vom 31. März 2008 legte er eine Liste mit lediglich zwei Arbeitsbemühungen für den Oktober und fünf Bemühungen für den November 2007 ein. Arbeitsbemühungen ab Dezember 2007 fehlen. Auch damit vermag er die erwähnte Auflage / Weisung nicht zu erfüllen, zumal er auch kein aktuelles Arztzeugnis eingereicht hat, welches ihm eine Arbeitsunfähigkeit attestiert. Selbst wenn die An- gaben des Beschwerdeführers zu seinem Rückenleiden zutreffen - ein entsprechendes Arztzeugnis hat er trotz Aufforderung nicht ein- gereicht -, vermag sein Leiden das Verhalten nicht zu rechtfertigen. Der Beschwerdeführer ist während mehrerer Tage seinem Arbeits- platz bei M., der ihm vom HEKS Lernwerk vermittelt worden war, unentschuldigt ferngeblieben. Damit hat er sich den Massnahmen zu seiner Wiedereingliederung in die Arbeitswelt entzogen. Zur Be- gründung führte er an, er habe für Fr. 13.30 pro Stunde arbeiten müs- sen. Die besser entlöhnte Arbeit bei der P. legte der Beschwerdefüh- rer bereits nach zwei Tagen mit der Begründung nieder, die Arbeit sei ein wenig streng und er habe Rückenschmerzen. Der Beschwer- deführer hat indessen kein aktuelles Arztzeugnis vorgelegt, sondern sich in der Beschwerde an das Bezirksamt auf sein Alter berufen. 2008 Sozialhilfe 245 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Sozial- kommission X. und das Bezirksamt Bremgarten zu Recht den Schluss gezogen haben, dass das Verhalten des Beschwerdeführers einzig darauf gerichtet war, Sozialhilfe zu erhalten. Der Beschwerde- führer hat sich systematisch den Auflagen und Eingliederungsmass- nahmen widersetzt bzw. entzogen und sich folglich rechtsmiss- bräuchlich verhalten. Die Einstellung der Sozialhilfe gestützt auf § 15 Abs. 3 SPV war damit zulässig, weshalb die Beschwerde abzu- weisen ist. 3.3. Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass die von der Sozial- kommission beschlossene Einstellung der Sozialhilfe nicht unabän- derlich ist. Liegen veränderte Verhältnisse vor, indem der Beschwer- deführer beispielsweise die verfügte Auflage / Weisung erfüllt, so steht es ihm offen, bei der Sozialbehörde erneut ein Gesuch um ma- terielle Hilfe zu stellen.
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2006 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 213 VII. Fürsorgerische Freiheitsentziehung 41 Verhältnismässigkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bei einem Patienten mit schwerer chronischer Schizophrenie, trotz begrenzter Be- handlungsfähigkeit und ohne Selbst- und Fremdgefährdung, zur Sicher- stellung der persönlichen Fürsorge, der regelmässigen Medikation sowie zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins. - Wenn mittels fürsorgerischer Freiheitsentziehung die Wiedererlan- gung der Selbstständigkeit einer Person nicht erreicht werden kann, ist die Zurückbehaltung in der Anstalt zur Erbringung der notwendi- gen persönlichen Betreuung und zur Sicherung eines menschenwür- digen Daseins trotz fehlender Behandelbarkeit zulässig (Erw. 4.1 und 4.2; Bestätigung der Rechtsprechung, vgl. AGVE 2005, S. 259). - Stationärer Aufenthalt zur Sicherstellung der regelmässigen Medika- tion, zur Vermeidung einer Verwahrlosung und zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins, unabhängig davon, ob und in welchem Ausmass sich das Zustandsbild noch verbessern wird (Erw. 4.2.3). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 17. Januar 2006 in Sa- chen W.B. gegen Verfügung des Bezirksamtes X. Aus den Erwägungen 4. 4.1. Die betroffene Person muss entlassen werden, sobald ihr Zustand es erlaubt (Art. 397a Abs. 3 ZGB; § 67 f EG ZGB). Es ist demnach zu prüfen, ob der Beschwerdeführer im heutigen Zeitpunkt entlassen werden kann (AGVE 1992, S. 276, 285; 1990, S. 224; Gottlieb Iberg, Aus der Praxis der fürsorgerischen Freiheitsentzie- hung, in: SJZ 79/1983, S. 297). Kann einer Person die nötige Für- sorge anders erwiesen werden, d.h. mit weniger schwerwiegenden Eingriffen als mit einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung, so muss 2006 Verwaltungsgericht 214 die mildere Massnahme angeordnet werden (AGVE 1997, S. 241; 1992, S. 276, 285; 1990, S. 224; Thomas Geiser, in: Basler Kom- mentar, ZGB I, 2. Aufl., Basel/Genf/München 2002, Art. 397a N 12 f.; Eugen Spirig, in: Zürcher Kommentar, Art. 397a-397f ZGB, Zü- rich 1995, Art. 397a N 259 f. [je mit Hinweisen]). In der Regel soll der Klinikaufenthalt eine (meist medikamen- töse) Behandlung ermöglichen, die notwendig erscheint und wegen des Zustands und Verhaltens der betroffenen Person nicht ambulant erfolgen kann. Das Verwaltungsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung daher festgehalten, die fürsorgerische Freiheitsent- ziehung sei unverhältnismässig, wenn nur vage Aussichten auf einen Behandlungserfolg bestünden und der Betroffene nicht in hohem Masse selbst- oder fremdgefährlich sei (AGVE 1993, S. 310 ff.). Bei Gefahr eines sofortigen Rückfalls könne jedoch keine Entlassung er- folgen (AGVE 1994, S. 352 ff.). Es sei - namentlich in schweren Fällen - zu prüfen, ob die Behandlungsfähigkeit der betroffenen Per- son gegeben sei. Der mit dem Freiheitsentzug verbundene Eingriff in die persönliche Freiheit sei in der Regel unverhältnismässig, wenn der Freiheitsentzug weitgehend den Charakter einer blossen Verwah- rung annähme (AGVE 1988, S. 265). Diese Rechtsprechung ist zuge- schnitten auf die Vielzahl der Fälle fürsorgerischer Freiheitsentzie- hungen von psychisch kranken Menschen, die in einem akuten Zu- stand (z.B. wegen Exazerbation einer paranoiden Schizophrenie) in eine Psychiatrische Klinik zur stationären Behandlung eingewiesen werden. Das Ziel ist in diesen Fällen eine Verbesserung des Zustands und eine Stabilisierung durch medikamentöse Behandlung, um da- nach die Patienten wieder aus der Klinik zu entlassen und in einem ambulanten Rahmen weiter zu behandeln. Daneben umfasst Art. 397a ZGB aber auch andere Situationen, in denen einer psychisch kranken (bzw. süchtigen oder verwahrlos- ten) Person die notwendige persönliche Fürsorge nur noch durch eine stationäre Betreuung und Pflege erwiesen werden kann, ansonsten ihr ein menschenwürdiges Leben verunmöglicht wird. Diese Voraus- setzung kann unabhängig vom Vorliegen einer Behandlungsfähigkeit erfüllt sein. Zu denken ist beispielsweise an Personen mit einem chronifizierten Krankheitsbild oder mit einer Demenzerkrankung, 2006 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 215 welchen aufgrund dieser Geistesschwäche bzw. Geisteskrankheit ein selbstständiges Wohnen verunmöglicht ist (z.B. wegen Vergesslich- keit, Orientierungslosigkeit, körperlicher Pflegebedürftigkeit, Ver- wahrlosungsgefahr, Selbstgefährdung) und welche an einer Krank- heit leiden, die im heutigen Zeitpunkt weder durch Therapie noch durch medikamentöse Behandlung geheilt werden kann. Das Fürsor- gebedürfnis solcher Patienten, welche z.B. aufgrund einer Alzhei- mer-Demenz oder einer schweren chronischen Schizophrenie an ei- ner Geisteskrankheit im juristischen Sinne leiden, kann in einer eng- maschigen Betreuung, Pflege und Kontrolle bestehen, die unter Um- ständen nur noch in einem professionellen stationären Rahmen er- wiesen werden kann, weil eine 1:1-Betreuung im privaten Umfeld aufgrund der Belastung der Umgebung einerseits und der Schutzbe- dürftigkeit des Betroffenen andererseits oft nicht mehr möglich ist. Fehlt es somit an einer eigentlichen Behandlungsfähigkeit, so ist im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung abzuklären, ob das kon- krete Fürsorgebedürfnis eine fürsorgerische Freiheitsentziehung rechtfertige, d.h. ob dieses in einem ambulanten Rahmen nicht mehr abgedeckt werden könne. Diese konstante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts ent- spricht der neueren Lehre. So führt Elisabeth Scherwey aus: "Die Freiheitsentziehung muss die persönliche Fürsorge sicherstellen und hat die Anstaltsentlassung innert nützlicher Frist herbeizuführen. Eine Relativierung erfährt diese Aussage bei unheilbaren Zuständen, wenn Ziel und Zweck der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, näm- lich die Wiedererlangung der Selbstständigkeit und Eigenverant- wortung einer Person, nicht erreicht werden kann, die Anordnung ei- ner fürsorgerischen Freiheitsentziehung sich aber gleichwohl auf- drängt und rechtfertigt. Dies kann beispielsweise auf Personen mit altersbedingter Verwirrtheit zutreffen. Hier ist die Anstaltsunterbrin- gung zur Erbringung der notwendigen persönlichen Betreuung und zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins trotz fehlender Be- handelbarkeit zulässig. In solchen Einzelfällen steht nicht mehr die Entlassung im Vordergrund, sondern die Sicherung eines menschen- würdigen Daseins (unter Umständen mit ständigem Aufenthalt in der hiefür geeigneten Anstalt). Welcher Art die persönliche Fürsorge zu 2006 Verwaltungsgericht 216 sein hat und in welchem Umfang sie zu gewähren ist, hängt von den Umständen und Bedürfnissen des Einzelfalles ab" (Elisabeth Scher- wey, Das Verfahren bei der vorsorglichen fürsorgerischen Freiheits- entziehung, Diss. Lachen 2004, S. 15 f.; vgl. auch dazu Geiser, a.a.O, Vor Art. 397a-f, N 9). 4.2. 4.2.1. Der Beschwerdeführer erklärte anlässlich der verwal- tungsgerichtlichen Verhandlung, er wolle, spätestens wenn er eine neue Wohnung habe, aus der Klinik entlassen werden. Er nehme in Y. ein Zimmer, da gebe es ein günstiges Restaurant. Ins Wohnheim X. wolle er nicht mehr zurück. 4.2.2. Nach Aussagen des zuständigen Oberarztes habe sich der Zustand des Beschwerdeführers seit dem Eintritt etwas gebessert, er sei weniger angetrieben und der Abstammungswahn sei in den Hin- tergrund getreten. Weil der Beschwerdeführer früher Probleme mit extrapyramidalen Nebenwirkungen gehabt habe, werde nun das neue Medikament Abilify eingesetzt. Der Beschwerdeführer reagiere gut darauf und zeige keinerlei Nebenwirkungen. Der zuständige Oberarzt erhofft sich durch eine Weiterbehandlung eine weitere Verbesserung, wobei keine vollständige Remission zu erwarten sei. Der Beschwer- deführer habe im ambulanten Rahmen die Behandlung stets abge- setzt, einzig das Medikament Marcoumar (Blutverdünnungsmittel) habe er regelmässig eingenommen. Bei einer sofortigen Entlassung aus der Klinik sei damit zu rechnen, dass der Beschwerdeführer die Medikamente nicht wie verordnet einnehmen würde, dadurch würde sich der psychische Zustand verschlechtern und es käme schnell wieder zur Verwahrlosung, sowohl betreffend Wohnraum als auch betreffend Körperpflege. 4.2.3. Für das Verwaltungsgericht steht aufgrund der Kranken- geschichte, der ärztlichen Aussagen und des an der Verhandlung ge- wonnenen Eindrucks fest, dass der Beschwerdeführer immer noch behandlungsbedürftig ist. Nach dem Verlassen des Wohnheims X. setzte er die neuroleptische Medikation ab, worauf sich sein Zustand verschlechtert hat. In der Klinik konnte mit konsequenter Behand- lung bereits eine gewisse Verbesserung erzielt werden. Anlässlich der verwaltungsgerichtlichen Verhandlung war erkennbar, dass die 2006 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 217 Wahnhaftigkeit des Beschwerdeführers noch stark im Vordergrund steht. Bei Fortsetzung der Behandlung ist mit dem zuständigen Ober- arzt und dem Fachrichter eine weitere Beruhigung des Beschwerde- führers und eine gewisse Stabilisierung des Zustandsbilds zu erwar- ten. Somit kann zumindest noch für eine gewisse Zeit auch die Be- handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers bejaht werden. Unabhängig davon, ob und in welchem Ausmass sich das Zu- standsbild des Beschwerdeführers noch verbessert, steht fest, dass der Beschwerdeführer zur Sicherstellung der regelmässigen Medika- tion und zur Vermeidung einer Verwahrlosung eine betreute Wohn- situation braucht. Auch wenn der optimal erreichbare Behandlungs- erfolg eingetreten sein wird, kann dem Beschwerdeführer ein men- schenwürdiges Dasein einzig im stationären Rahmen gesichert wer- den. So ist es jeweils bei den langen Klinikaufenthalten wie auch im Wohnheim X. recht gut gegangen und der Beschwerdeführer konnte erhebliche Freiheiten geniessen und einer Beschäftigung nachgehen. Sobald er wieder in eine eigene Wohnung gezogen und auf sich al- leine gestellt war, setzte er die Medikamente ab, sein Zustandsbild verschlechterte sich, die Wahngebäude traten in den Vordergrund, eine Verwahrlosung setzte ein und in sämtlichen sozialen Beziehun- gen bekam er Probleme. So kam es auch zur Wohnungskündigung per Ende Januar 2006. Demgegenüber ging es auch gemäss Aussagen seiner Beiständin anlässlich der verwaltungsgerichtlichen Ver- handlung im Wohnheim X. sehr gut, der Beschwerdeführer arbeitete gut, war sehr aktiv und konnte vieles unternehmen. Sowohl der zu- ständige Oberarzt als auch die Beiständin erachten eine betreute Wohn- und Arbeitsform für den Beschwerdeführer als angezeigt. Eine Entlassung im jetzigen Zeitpunkt wäre in Anbetracht der bisherigen Krankengeschichte unverantwortlich und würde unwei- gerlich zu einer schnellen Verschlechterung des Zustands und zu ei- ner baldigen Eskalation der Situation führen sowie eine Verwahrlo- sungsgefahr mit sich bringen. Die nötige persönliche Fürsorge kann dem Beschwerdeführer im Verhandlungszeitpunkt nur mit einer Fort- führung der stationären psychiatrischen Behandlung erwiesen wer- den.
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2009 Verwaltungsrechtspflege 275 XII. Verwaltungsrechtspflege 50 Begründungspflicht - Nichteintreten auf eine Beschwerde, die keine Begründung enthält. Ein blosser Hinweis auf den Umstand, dass die Vorinstanz lediglich einen Mehrheits-/Minderheitsentscheid gefällt habe, stellt keine den minimalen Begründungsanforderungen entsprechende Begründung dar. Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 15. Juli 2009 in Sachen M. (WBE.2008.339). Aus den Erwägungen 3. 3.1 Gemäss § 39 Abs. 2 aVRPG muss die Beschwerdeschrift einen Antrag und eine Begründung enthalten (ebenso: § 151 Abs. 2 aStG i.V.m. § 149 Abs. 2 aStG). Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts ist die Begründung Gültigkeitsvoraus- setzung. Sind Antrag oder Begründung auch nicht ansatzweise vor- handen, so wird, ohne dass eine Nachfrist anzusetzen wäre, auf die Beschwerde nicht eingetreten; Voraussetzung ist, dass die angefoch- tene Verfügung mit einer umfassenden Rechtsmittelbelehrung versehen war, die auf diese Folge hinweist (vgl. AGVE 1975, S. 288 ff.; 1984, S. 447 f.; 1998, S. 597 ff.). Das Bundesgericht hat diese Praxis geschützt und darin keinen überspitzten Formalismus erblickt (AGVE 1996, S. 389 ff.). Mit der Begründung ist darzulegen, in welchen Punkten nach Auffassung der Beschwerdeführer der angefochtene Entscheid Mängel aufweist. Eine stereotype Wiederholung der bereits gegen die vorvorinstanzliche Verfügung vorgebrachten Rügen ohne Bezug- 2009 Verwaltungsgericht 276 nahme auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid reicht nicht aus; in derartigen Fällen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Dasselbe gilt, wenn pauschal auf vorangegangene Rechtsschriften verwiesen wird (vgl. AGVE 2001, S. 375, Erw. 2.a.; M ICHAEL M ERKER , Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kom- mentar zu den §§ 38-72 aVRPG], Zürich 1998, § 39 N 39, m.w.H.). Sind Antrag oder Begründung unklar oder widersprüchlich, ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Nachfrist zur Verdeutlichung anzusetzen (§ 39 Abs. 3 aVRPG). Bei Laienbeschwerden werden an die Begründung keine allzu hohen Anforderungen gestellt; wobei immerhin verlangt werden darf, dass der Beschwerdeführer darlegt, weshalb er mit dem vorinstanzlichen Entscheid nicht einverstanden ist und welche Erwägungen des angefochtenen Entscheids aus welchen Gründen nicht zutreffen sollen. An dieser Rechtsprechung zum Begründungserfordernis ist festzuhalten. 3.2 Im vorinstanzlichen Entscheid wurden die Beschwerdeführer in der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass die fristgerecht einzureichende Beschwerdeschrift neben einem Antrag auch eine Begründung enthalten muss, d.h. dass sie darzulegen haben, aus welchen Gründen sie eine andere Entschei- dung verlangen. Zudem wurden sie darin ausdrücklich auf die Folge des Nichteintretens hingewiesen, sofern die Beschwerde diesen Anforderungen nicht entspricht. 3.3 3.3.1 Mit Schreiben vom 27. Oktober 2008 (Postaufgabe) und somit am letzten Tag der Beschwerdefrist erhob der Beschwerdeführer 1 persönlich Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Darin setzt er sich mit keinem Wort mit der Argumentation im angefochtenen Entscheid auseinander, sondern er verweist lediglich auf die bisher ins Recht gelegten Rechtsschriften seines Vertreters und darauf, dass die Vorin- stanz lediglich einen Mehrheitsentscheid gefällt habe, was belege, dass sich die Vorinstanz in seiner Argumentation nicht sicher gewe- 2009 Verwaltungsrechtspflege 277 sen sei. Der Verweis auf die bisher ins Recht gelegten Rechtsschrif- ten genügt den Begründungsanforderungen offensichtlich nicht. 3.3.2. Zu prüfen ist, ob im blossen Hinweis, dass die Vorinstanz le- diglich einen Mehrheitsentscheid fällte, eine den minimalen Begrün- dungsanforderungen entsprechende Begründung zu entdecken ist. Die Mehrheit des Verwaltungsgerichts vermag auch im Hinweis auf den vorinstanzlichen Mehrheitsentscheid keinerlei Begründung zu erkennen. Die Beschwerdeführer machen damit lediglich eine Tatsachenfeststellung und legen diesbezüglich nicht einmal an- satzweise dar, dass und weshalb die Minderheitsmeinung zutreffend bzw. die Mehrheitsmeinung falsch sein soll (vgl. zur Minder- heitsmeinung: § 276 lit. e ZPO). 3.3.3. Mit diesem Hinweis ist daher nicht ansatzweise begründet, weshalb der angefochtene Entscheid materiell falsch sein soll. Selbst die Beschwerdeführer sehen darin nur eine Unsicherheit der Vorinstanz. Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht einmal kurz mit dem angefochtenen Entscheid auseinander, weshalb sie auch nicht als unklar bezeichnet werden kann und eine Nachfristansetzung zur Verbesserung kann nicht in Frage kommen (siehe vorne Erw. 3.1). Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführer im Rekursver- fahren anwaltlich vertreten waren. So erhob der Rechtsvertreter für die Rekurrenten innert der Rekursfrist einen begründeten Rekurs. Der abweisende Entscheid der Vorinstanz wurde dem Vertreter der Rekurrenten zudem unbestrittenermassen am 25. September 2008 korrekt eröffnet. Der Beschwerdeführer 1 verweist schliesslich in der Beschwerdeschrift vom 27. Oktober 2008 auf die Eingaben seines Vertreters Dr._ und ersucht darum, es sei ihm oder seinem Rechtsvertreter gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, die vorlie- gende Beschwerde zu ergänzen. Damit zeigt er unmissverständlich an, dass die Beschwerdeführer weiterhin durch den bereits im Rekursverfahren mandatierten Rechtsvertreter vertreten sind. Ihnen musste unter diesen Umständen klar sein, dass sie bzw. ihr Vertreter innert der Beschwerdefrist eine begründete Beschwerde einreichen 2009 Verwaltungsgericht 278 müssen, damit überhaupt auf die Beschwerde eingetreten werden kann. Im Übrigen bringen die Beschwerdeführer keinerlei Argu- mente vor, weshalb es ihnen bzw. ihrem Rechtsvertreter nicht möglich gewesen sei, innert Frist eine begründete Beschwerde ein- zureichen. Auf die Beschwerde ist damit mangels Begründung nicht ein- zutreten.
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2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 221 18 Ästhetische Generalklausel; Beeinträchtigungsverbot (§ 42 Abs. 2 BauG) Eine nach § 42 Abs. 2 BauG relevante Beeinträchtigung bestimmt sich einerseits an der Sensibilität eines Orts- oder Quartierbildes gegenüber Eingriffen durch andersartige Bauten und Anlagen, andererseits an deren Störungswirkung. Auf einem belebten Stadtplatz, der von Gebäuden ge- säumt wird, die keine homogene Struktur aufweisen und deshalb weniger empfindlich auf bauliche Veränderungen reagieren, und wo bestehende Fassadenelemente (Leuchtbeschriftungen, Schaufenster etc.) und Waren- auslagen im Freien bereits eine gewisse Unruhe erzeugen, stellen Stelen mit integrierten Bildschirmen für die Ausstrahlung von Werbung im öf- fentlichen Raum (sog. digitale Stelen) kein erheblich störendes Element dar. Somit kann die Baubewilligung für solche Anlagen nicht aus ästheti- schen Gründen verweigert werden. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 12. Juni 2018, in Sachen A. AG gegen Stadtrat B. und Departement Bau, Verkehr und Umwelt (WBE.2017.46). Aus den Erwägungen 1. Die streitbetroffenen Parzellen Nrn. XXX und YYY liegen in der Zone Cityzone (C) der Stadt B., die für innenstädtische und pu- blikumsorientierte Nutzungen wie Einkaufszentren, Fachmärkte, La- dengeschäfte, Gaststätten, Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe so- wie Wohnen reserviert ist (§ 17 Abs. 1 BNO). (...) Für die Zone C 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 222 gelten keine besonderen ästhetische Schutzvorschriften oder gestalte- rische Anforderungen. Die von der Beschwerdeführerin zur Bewilligung beantragten vier digitalen Stelen (aus beschichtetem Metall in einem dunklen, matten Grauton) sind rund 2,1 m (Modell Indoor) bis 2,35 m (Modell Outdoor) hoch, 90 cm breit und 12,3 cm (Modell Indoor) bis 20 cm (Modell Outdoor) tief. Der integrierte Bildschirm (aus entspiegeltem Verbundsicherheitsglas) ist rund 1,2 m hoch und 68 cm breit bzw. - in der Diagonale - 55 Zoll gross. Die Stelen sind wie folgt positio- niert: Stele 1 direkt neben dem Eingang des Gebäudes Nr. VVV am C.-Markt 2 (D.-Center), Stele 2 beim Ein-/Ausgang an der nordwest- lichen Ecke des Gebäudes Nr. WWW (E.-Laden), Stele 3 beim Ein- gang C.-Markt 1 an der südöstlichen Ecke des Gebäudes Nr. WWW und Stele 4 in einer Unterführung im Gebäude Nr. WWW, beim Durchgang vom Parkhaus zur Rolltreppe beim F.-Laden. Die beiden Gebäude Nrn. VVV und WWW stehen nicht unter (Denkmal-) Schutz. 2. Der Stadtrat B. verweigerte der Beschwerdeführerin die nachge- suchte Baubewilligung für die oben beschriebenen digitalen Stelen aus ästhetischen Gründen, unter Berufung auf § 42 Abs. 2 BauG. Da- zu führte er im Beschluss vom 22. März 2016 aus, dass die Stelen mit den bewegten Bildern unruhig wirkten und auch noch auf eine grosse Entfernung eine entsprechend weiträumige Aufmerksamkeit auf sich zögen. Das Publikum wäre der dauerhaften Reklameberiese- lung schutzlos ausgesetzt. Das Orts-, Quartier- und Strassenbild wer- de durch den punktuellen, von den Stelen ausgehenden Einfluss emp- findlich gestört. Beim Standort im Untergeschoss des Gebäudes am C.-Markt 1 könne es vor der Reklamestele (Stele 4) zu Menschenan- sammlungen kommen, die weiter zur bereits vorhandenen Behinde- rung des Personendurchgangsverkehrs beitragen würden. Die Vorinstanz erwog, die östlich und westlich an den C.- Marktplatz angrenzende C.-Markt-Überbauung sei eine auffällige Überbauung von einheitlichem Erscheinungsbild. Der öffentliche Platz zwischen den genannten Gebäuden sei ein bedeutender Durch- gang zwischen dem Bahnhof und weiteren Teilen der Stadt bzw. der 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 223 Altstadt und bilde für viele Personen, die mit dem Zug anreisten, das Eingangstor, die Visitenkarte der Stadt. Er werde von vielen Men- schen begangen und sei dementsprechend von grosser Bedeutung, auch aus ortsbildschützerischer Sicht. Die Unterführung, in welcher die vierte Stele stehe, sei ebenfalls stark frequentiert. Alle Stelen stünden in unmittelbarer Nähe zu diesen wichtigen öffentlichen Räu- men. Die Monitore an den Stelen bzw. deren wechselnde Bilder seien in ihrem Umkreis gut sichtbar und auf die Passantenströme als Ziel- gruppe ausgerichtet. Demzufolge sei davon auszugehen, dass die Ste- len einen gewichtigen Einfluss auf den auch aus ortsbildschützeri- scher Sicht bedeutenden öffentlichen Raum ausübten. Die Bildschir- me seien gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung als grossfor- matig einzustufen und wirkten entsprechend stark auf ihre Umge- bung. Diese Wirkung werde durch die gezielte Ausrichtung auf den öffentlichen Raum zu Reklame- und Informationszwecken, die Ani- mation der Bilder, die Leuchtkraft der Bildschirme und deren Aus- stattung mit Lautsprechern für akustische Signale noch verstärkt. Die Bildschirme würden die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und bräch- ten Unruhe in die Umgebung, weshalb sie als erheblich störend zu beurteilen seien. Daran ändere nichts, dass der öffentliche Platz von Bewegungen geprägt sei, die von Menschen und realen Objekten ausgingen, und dass die nicht auf Passantenströme ausgerichteten Bildschirme in weit geringeren Dimensionen von Laptops, Smart- phones und dergleichen heute zum Alltag gehörten. Auch der Fach- berater Ortsbild, Siedlung und Städtebau (OSS) erachte die Stelen (mit Ausnahme der Stele am Standort 1) als nicht gut in die architek- tonische und städtebauliche Umgebung eingepasst und beantrage die Abweisung der Beschwerde. Unter den gegebenen Umständen ver- möge sich der Bauabschlag des Stadtrats auf vertretbare Gründe zu stützen. Mit Rücksicht auf die Gemeindeautonomie bestehe für die Rechtsmittelinstanz kein Anlass, korrigierend in die Würdigung des Stadtrats einzugreifen. Dabei falle auch ins Gewicht, dass das Verbot von Stelen mit Bildschirmen nicht als schwerwiegender Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie zu qualifizieren sei. Auf die Durchführung eines Augenscheins könne in Anbetracht 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 224 des aktenkundigen Bildmaterials in antizipierter Beweiswürdigung verzichtet werden. 3. (...) 4. 4.1. 4.1.1. Gemäss § 42 Abs. 2 BauG dürfen Bauten und Anlagen, An- schriften, Bemalungen, Antennen und Reklamen insbesondere Land- schaften sowie Orts-, Quartier- und Strassenbilder nicht beeinträchti- gen. Die Begriffe Ortsbild , Quartierbild und Strassenbild be- zeichnen den Gesamteindruck, der sich aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Gebäude unter sich oder mit der Umgebung er- gibt; die räumliche Struktur des Ganzen macht das Bild aus. Dazu gehört, was von einem durchschnittlichen Betrachter gleichzeitig überblickt und erlebt werden kann. Schutzziel ist dabei die Erhaltung des Charakteristischen und des Typischen (AGVE 2010, S. 443). § 42 Abs. 2 BauG beinhaltet ein Beeinträchtigungsverbot, das in die Kategorie der sog. negativen ästhetischen Generalklauseln fällt. Im Gegensatz zur positiven ästhetischen Generalklausel - wie sie in § 42 Abs. 1 BauG (nur für Gebäude) vorgesehen ist - verlangt § 42 Abs. 2 BauG keine (architektonische) Gestaltung, die sicherstellt, dass sowohl für die Baute oder Anlage selbst als auch für die bauli- che und landschaftliche Umgebung eine gute oder befriedigende Ge- samtwirkung entsteht. Die Anforderungen einer positiven ästheti- schen Generalklausel gehen weiter als blosse Beeinträchtigungs- oder Verunstaltungsverbote, bei deren Anwendung in einem Quartier mit fehlender Einheitlichkeit und den verschiedensten Bauformen kein allzu strenger Massstab angelegt werden darf. Wegen Verunstal- tung darf eine Gestaltung nur abgelehnt werden, wenn sie nach Massstäben, die in Anschauungen von einer gewissen Verbreitung und Allgemeingültigkeit gefunden werden, als erheblich störend zu bezeichnen ist (BGE 114 Ia 343, Erw. 4b; Urteile des Bundesgerichts vom 28. Juli 2011 [1C_148/2011], Erw. 4.2, und vom 28. Oktober 2002 [1P.280/2002], Erw. 3.3). 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 225 Wenngleich der unbestimmte Rechtsbegriff der Beeinträchti- gung wiederum weniger weit geht als derjenige der Verunstaltung und nicht erst bei besonders schweren Einwirkungen gegeben ist, setzt er doch einen Gegensatz zum Bestehenden voraus, der so er- heblich stört, dass sich ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit rechtfer- tigt (ERICH ZIMMERLIN, Kommentar zum aargauischen Baugesetz, 2. Auflage, Aarau 1985, § 159 N 5; ERICA HÄUPTLI-SCHWALLER, in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 42 N 26). Das Beeinträchtigungsverbot im Sinne von § 42 Abs. 2 BauG verbietet nicht jede Veränderung, die als ungewohnt erscheint. Der Gegensatz zum Bestehenden muss erheblich störend sein (AGVE 2010, S. 442). Die Beeinträchtigung ist immer am Wert des zu schüt- zenden Objekts zu messen. Je höher also der Wert des Ortsbildes ist, umso höher ist seine Empfindlichkeit gegenüber Einwirkungen. Im Einzelfall hat daher eine Interessenabwägung zwischen dem öffentli- chen Interesse an der Erhaltung des Ortsbildes und dem Nutzungsin- teresse des Grundeigentümers stattzufinden (ZIMMERLIN, a.a.O., § 159 N 5; HÄUPTLI-SCHWALLER, a.a.O., § 42 N 26). 4.1.2. Bei der Anwendung von Ästhetikvorschriften, insbesondere von § 42 Abs. 2 BauG, steht dem Gemeinderat ein erheblicher Ermes- sensspielraum zu; die Gemeinde darf den verfassungsrechtlichen Schutz beanspruchen, der ihr gestützt auf die Gemeindeautonomie (§ 106 Abs. 1 KV) zusteht. Es obliegt in erster Linie den örtlichen Behörden, über den architektonischen Aspekt zu wachen, weshalb sie diesbezüglich über einen breiten Ermessensspielraum verfügen. Die Rechtsmittelinstanzen haben sich daher bei der Überprüfung ein- schlägiger gemeinderätlicher Entscheide zurückzuhalten. Wo eine Regelung unbestimmt ist und verschiedene Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar erscheinen, sind die kantonalen Rechtsmittelin- stanzen gehalten, das Ergebnis der gemeinderätlichen Rechtsausle- gung zu respektieren und nicht ohne Not ihre eigene Rechtsauffas- sung an die Stelle der gemeinderätlichen zu setzen (BGE 115 Ia 118 f. = Pra 78/1989, S. 796 f.; Urteile des Bundesgerichts vom 11. Juli 2017 [1C_572/2016], Erw. 2.1, vom 22. April 2015 [1C_265/2014], Erw. 5.3, vom 28. Juli 2011 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 226 [1C_148/2011], Erw. 4.3, vom 5. Mai 2008 [1C_42/2008], Erw. 4.1, vom 28. Oktober 2002 [1P.280/2002], Erw. 2; AGVE 2010, S. 441; 2008, S. 163 ff.). Die Grenze zwischen erlaubter Zweckmässigkeitsprüfung und autonomieverletzendem eigenem Ermessensentscheid der Rechtsmittelinstanz ist nicht leicht zu ziehen. Die Praxis zieht die Grenze dort, wo sich eine Auslegung mit dem Wortlaut sowie mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht mehr vereinbaren lässt (AGVE 2010, S. 441; 2006, S. 188; 2005, S. 152). Eine Beschränkung der Kognition des kantonalen Gerichts auf eine Willkürprüfung wäre hingegen mit der Rechtsweggarantie in Art. 29a BV nicht vereinbar (Urteil des Bundesgerichts vom 4. Mai 2018 [1C_296/2017], Erw. 2.1). 4.2. 4.2.1. Zunächst stellt sich die Frage, wie schützenswert das Orts- und Strassenbild am C.-Marktplatz in B. ist. Im Bericht vom 3. November 2016 spricht die Fachperson OSS von einem markanten architektonischen Ensemble aus den 70er-Jah- ren. Aus den 70er-Jahren stammt allerdings nur das Gebäude C.- Markt 1 (Nr. WWW). Das gegenüberliegende Gebäude C.-Markt 2 (Nr. VVV) ist ein 80er-Jahre-Bau mit einer teils auffällig roten Fas- sade, die zwar schon ein wenig ruhiger gestaltet wurde, aber nach wie vor relativ unruhig wirkt, und sich deutlich vom Baustil des Ge- bäudes C.-Markt 1 abhebt, das mit seinen massiven, aber klar struk- turierten, eher schwerfällig wirkenden Betonstützen dem momentan in Fachkreisen stark diskutierten Brutalismus, einem Architekturstil der Moderne, zugeordnet wird. Insofern ist die von der Vorinstanz für die Gebäude am C.-Marktplatz hervorgehobene Einheitlichkeit und Homogenität zu relativieren. Obschon das Gebäude C.-Markt 1 durchaus sehr markant ist, fehlt es der baulichen Umgebung am C.- Marktplatz an charakteristischen oder typischen Elementen, die sich zu einem (harmonischen) Ensemble zusammenfügen und den Aussenraum dermassen stark prägen, dass sie jedwede andersartigen, einer anderen Zeitepoche entstammenden Bauten oder Anlagen von vornherein als erheblich störenden Eingriff oder Fremdkörper er- scheinen liessen. 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 227 Hinzu kommt, dass der C.-Marktplatz - wie schon im Fachbe- richt vom 3. November 2016 und von der Vorinstanz übereinstim- mend festgestellt und an der Augenscheinsverhandlung vor dem Ver- waltungsgericht verifiziert - aufgrund seiner zentralen Lage zwi- schen dem Bahnhof und dem Stadtzentrum respektive der Altstadt ein sehr belebter Ort mit vielen Passanten ist. Im gesamten Bereich sind mehrere Verkaufsgeschäfte untergebracht, die mit ihren Leucht- beschriftungen, Schaufenstern, hinter denen sich zum Teil grossfor- matige Bildschirme befinden, auf denen Videosequenzen gezeigt werden, und Warenauslagen im Freien bereits eine gewisse Unruhe erzeugen, was jedoch sehr gut zu der auf dem Platz herrschenden all- gemeinen geschäftigen Umtriebigkeit passt. Entsprechend dem Zo- nenzweck (§ 17 Abs. 1 BNO) stehen denn auch publikumsorientierte Nutzungen im Vordergrund. Der Ort ist geradezu auf eine kommer- zielle Nutzung und Modernität getrimmt. Er ist in keiner Weise mit einer beschaulichen Dorf- oder Altstadtzone vergleichbar. Speziell in den Arkaden der Gebäude C.-Markt 1 und 2 hat es sodann verschie- denste Elemente (herkömmliche Reklametafeln, Warenauslagen, In- formationskästen etc.), welche die baulichen Strukturen und angeb- lich klaren Linien verwischen. Die Einschätzung im Fachbericht vom 3. November 2016, es bestehe an diesem Ort ein hohes öffentliches Interesse an einer ruhigen Gestaltung, kann daher nicht geteilt wer- den. Von einer qualitativ hochstehenden (architektonischen) Gestal- tung oder gar einer Visitenkarte für die ganze Stadt kann im Zusam- menhang mit dem C.-Marktplatz und den Gebäuden Nrn. TTT, VVV, WWW und UUU aus Sicht des Verwaltungsgerichts, dem als Fach- richter ein erfahrener diplomierter Architekt ETH angehört, ohnehin nicht gesprochen werden. Der mit roten Verbundsteinen belegte Platz fügt sich wenig harmonisch zwischen die erwähnten Gebäude ein. Ansprechend oder zum längeren Verweilen einladend ist dieser Ort primär aufgrund seiner verkehrstechnisch günstigen Lage und der vielen Verkaufsgeschäfte auf engem Raum sowie den dadurch bedingten Publikumsverkehr. Man geht in erster Linie dorthin, um einzukaufen, oder weil man Hektik und Betriebsamkeit sucht, nicht, um dieser zu entfliehen und seine Ruhe zu finden. Die beim Augen- 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 228 schein vom 12. Juni 2018 thematisierten geplanten Massnahmen zur architektonischen Aufwertung des C.-Marktplatzes sind zu wenig konkret und aktuell, um beurteilen zu können, ob und inwiefern sie den vom C.-Marktplatz gewonnen Eindruck zu beeinflussen vermö- gen. Insgesamt konnte sich das Verwaltungsgericht an der Augen- scheinsverhandlung davon überzeugen, dass der C.-Marktplatz und die östlich und westlich daran angrenzenden Bauten (insbesondere die Gebäude Nrn. VVV und WWW) unabhängig davon, welchen ästhetischen Wert man den erwähnten Gebäuden zugesteht, kein Orts- und Strassenbild abgeben, das gegenüber Veränderungen des Bestehenden besonders sensibel reagieren würde. Die Unterführung im Gebäude Nr. WWW, wo Stele 4 platziert ist, verdient unter keinem Titel das Prädikat als schützenswertes Ortsbild, soweit man bei einer solchen gebäudeinternen, aber rund um die Uhr öffentlich zugänglichen Unterführung überhaupt von einem Ortsbild sprechen kann. Es ist eine gewöhnliche, wenn auch gut beleuchtete Unterführung ohne jede architektonische Finessen oder Höhepunkte. Der Umstand, dass die Unterführung - wie der C.- Marktplatz, der u.a. darüber erschlossen wird - gut frequentiert ist, bewirkt nicht per se ein schützenswertes Ortsbild. Die Unterführung besticht allein durch ihre Funktionalität, nicht durch gestalterische Elemente. Auch die beim Augenschein anwesende Fachberaterin Siedlungsentwicklung und Ortsbild äusserte sich kritisch zur Frage, ob man einer solchen Unterführung Ortsbildschutz zuteilwerden lassen kann. Vor diesem Hintergrund können weder der C.-Marktplatz mit den östlich und westlich daran angrenzenden Bauten noch die Unter- führung im Gebäude Nr. WWW als Orte mit erhöhter Empfindlich- keit gegenüber Einwirkungen durch neuartige Elemente qualifiziert werden. Im Unterschied zum Sachverhalt, den das Bundesgericht im Urteil vom 8. Januar 2008 (1C_12/2007) zu beurteilen hatte, zeich- nen sich die für die Werbemonitoren ausgewählten Standorte nicht durch das Vorhandensein historisch schutzwürdiger Gebäude, klein- räumige Verhältnisse (Stichwort: Altstadtgässchen) oder ein denk- malpflegerisch sensibles Umfeld aus. Entsprechend moderat ist im 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 229 vorliegenden Fall das Interesse an der Erhaltung eines kaum (Unter- führung) oder zumindest nicht ausgeprägt (C.-Marktplatz) schützens- werten Ortsbildes. Nur eine einigermassen schwerwiegende Beein- trächtigung des Ortsbildes darf daher zur Verweigerung der von der Beschwerdeführerin nachgesuchten Baubewilligung führen. 4.2.2. 4.2.2.1. Vorab ist sicherzustellen, dass bei der Beurteilung der Störungs- wirkung der einzelnen Stelen wirklich gestalterische Fragen im Vor- dergrund stehen und die Verweigerung der Baubewilligung nicht auf einer (sachfremden) generellen Ablehnung dieser Art kommerzieller Tätigkeit (Ausstrahlung von Werbebotschaften im öffentlichen Raum via bewegte Bilder auf einem selbstleuchtenden Bildschirm) beruht (vgl. dazu das Urteil des Bundesgerichts vom 28. Oktober 2002 [1P.280/2002], Erw. 3.5.2). Der vom Stadtrat B. angeführte Schutz des Publikums vor dauerhafter Reklameberieselung ist insofern kein taugliches Argument, um einer Reklameanlage die Bewilligung aus ästhetischen Gründen zu versagen. Unerheblich ist ferner der nicht gestalterisch motivierte Einwand im Fachbericht vom 3. November 2016, wonach der Spickel zwischen den Stelen 2 und 3 und den da- nebenstehenden Betonsäulen als Abfallecke (für Zigarettenkippen) missbraucht werde. Allfällige Sicherheitsbedenken des Stadtrats B., der offenbar befürchtet, vor der Stele 4 könnten sich grössere Men- schenansammlungen bilden, die den Durchgang behindern, die Stele 1 könnte in einem gefährlichen Masse von der automatisch bedienten Glasschiebetüre beim Eingang zum D.-Center ablenken, oder aber die oberirdischen Stelen könnten generell Radfahrer und Mütter mit Kinderwagen ablenken und dadurch den Fussgänger- und Fahrrad- verkehr gefährden, wären offen als sicherheitstechnischer Mangel des Bauvorhabens zu deklarieren, der gegebenenfalls - die im vorlie- genden Fall angeführten Sicherheitsbedenken erscheinen allerdings unbegründet - als Grundlage für die Verweigerung einer Baubewillli- gung herangezogen werden kann. Mit einem ästhetischen Hindernis hat das Ganze jedoch nichts zu tun. 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 230 4.2.2.2. Der Stadtrat B. und die Vorinstanz messen den Stelen offenbar ein enormes Störungspotenzial bei. Der Stadtrat lässt in den Rechts- schriften ans Verwaltungsgericht ausführen, die grossformatigen Bildschirme zeigten pauschale Abläufe bewegter, künstlicher Bilder, was in keiner Zone, also auch nicht in der Cityzone, wesenskonform sei. Mit Hilfe bewegter Bilder oder Filmsequenzen werde beabsich- tigt, zu Werbezwecken auf eine möglichst grosse Entfernung eine entsprechend weiträumige visuelle Aufmerksamkeit auf die Bild- schirme zu lenken. Damit gehe eine Beeinträchtigung des Orts-, Quartier- und Strassenbildes einher. Ein ausreichender Bezug zur Ar- chitektur der C.-Marktüberbauung könne unter diesen Umständen a priori nicht hergestellt werden, unabhängig von der Positionierung der einzelnen Stelen. Die selbstleuchtenden und animierten Bild- schirme bildeten ein völlig neues Element in der Umgebung und ver- ursachten durch die Aufmerksamkeit, die sie auf sich zögen, Unruhe. Deshalb seien die Stelen als störender Fremdkörper zu qualifizieren. Dabei gehe es nicht primär um die Wirkung auf die umliegenden Ge- bäude und deren Architektur, sondern auf den öffentlichen Raum. In der Dämmerung und Dunkelheit, die im Winterhalbjahr vor den La- denschliessungszeiten einsetze, werde diese Wirkung noch verstärkt. Ein Vergleich mit viel weniger aufdringlich positionierten Bildschir- men (von TV-Geräten und Computern) in Schaufenstern sei nicht zu- lässig. Im Bericht vom 3. November 2016 hielt der Fachberater OSS fest, dass die Anzahl Reklameanlagen in realisierter Grösse im Be- reich des C.-Markts grundsätzlich denkbar sei. Bei der Positionie- rung müsse aber eine sorgfältige Einpassung in den Kontext gewähr- leistet sein, damit die Elemente nicht störend wirkten. Es sei davon auszugehen, dass der Betrieb der Stelen (Ausstrahlung von animier- ten Bildern) den öffentlichen Raum deutlich mehr beeinflusse als die schiere Grösse der Objekte. Die Stele 1, die neben dem Hauptzugang zum Gebäude am C.-Markt 2 direkt und parallel zur Fassade ange- ordnet sei, sei zweckmässig positioniert und auf die Architektur des Gebäudes abgestimmt. Hingegen werde die Position der schräg zur Gebäudestruktur und direkt auf den Passantenstrom ausgerichteten 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 231 Stelen 2 und 3 als störend beurteilt. Der Bezug zur Architektur des Gebäudes sei zu wenig gegeben. Die direkte Ausrichtung auf die Fussgänger wirke aufdringlich. Aufdringlich wirke auch die Stele 4, die im Zugangsbereich zu den Rolltreppen vor einer grossen runden Säule frontal in Bewegungsrichtung positioniert sei. Die Formen der Stele und der Säule konkurrenzierten sich gegenseitig. An der Augenscheinsverhandlung vom 12. Juni 2018 ergänzte die Fachberaterin Siedlungsentwicklung und Ortsbild, aus ihrer Sicht sei der Standort der Stelen 2 und 3 vor allem deshalb kritisch, weil die Betonstützen als wichtiges gestalterisches Element des Gebäudes C.-Markt 1 dadurch marginalisiert würden. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn man die Stelen parallel zu den Stützen an- ordne. Sie gehörten dort ganz einfach nicht hin. Das Ziel seien mög- lichst nackte und unberührte Stützen. Selbst Papierplakate wären an der fraglichen Stelle nicht optimal. Schliesslich sei es auch die Men- ge, die problematisch sei. Es habe in der Nähe der Stützen schon ver- schiedene störende Elemente. Hingegen wirke die Positionierung der Stele 1 für sich genommen nicht störend. Sie sei parallel zur dahin- terliegenden Fassade angeordnet. Doch auch dort werde der öffentli- che Raum durch die bewegten Bilder beeinträchtigt. Die Stele 4 in der Unterführung wirke in diesem engen Raum massiv, störe sie aber wesentlich weniger als die Stelen an den übrigen Standorten, vor allem diejenigen an den Positionen 2 und 3. 4.2.2.3. Die zitierten Ausführungen des Stadtrats und der kantonalen Fachpersonen vermögen das Verwaltungsgericht nicht zu überzeugen und sind auch nicht in allen Teilen nachvollziehbar. Mit Blick darauf, dass nur erheblich störende Elemente zur Verweigerung einer Baube- willigung gestützt auf § 42 Abs. 2 BauG führen dürfen, gilt es Fol- gendes in Betracht zu ziehen: Die Fernwirkung der Bildschirme respektive der darauf einge- spielten (nur teilweise bewegten) Bilder wird namentlich vom Stadt- rat beträchtlich überschätzt. Ihre Wirkung ist insbesondere nicht in- tensiver als diejenige eines grossformatigen TV-Bildschirms hinter einem Schaufenster, von denen es am C.-Marktplatz einige gibt. Weil der C.-Marktplatz insgesamt sehr geschäftig und eher unruhig wirkt 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 232 (vgl. Erw. 4.2.1 vorne), kann auch nicht gesagt werden, dass die be- wegten Bilder auf den Bildschirmen der Stelen automatisch die Auf- merksamkeit der Passanten auf sich ziehen und Unruhe in einen an- sonsten ruhigen öffentlichen Raum bringen würden. Für Standbilder gilt das ohnehin nicht. Effektiv werden die Stelen, die aufgrund ihrer Positionierung nicht alle von einem Ort aus gleichzeitig einsehbar sind, wenn überhaupt, erst auf relativ kurze Distanz wahrgenommen. Die meisten Passanten schenken ihnen nach den am Augenschein ge- machten Erfahrungen keine grössere Beachtung. Dass die Bildschir- me in der Dämmerung und Dunkelheit auffälliger sind als bei (hel- lem) Tageslicht, liegt in der Natur der Sache. Doch auch in diesen Phasen dürften sie inmitten der beleuchteten Schaufenster mit ande- ren Bildschirmen mit bewegten Bildern und vergleichbarer Leucht- kraft entlang des C.-Marktplatzes keine besondere Aufmerksamkeit erregen. Ganz abgesehen davon könnten die Betriebszeiten mittels Auflage in der Baubewilligung (z.B. auf die Ladenöffnungszeiten) eingeschränkt werden. Auch mit Bezug auf die Animationstiefe der bewegten Bilder könnten der Betreiberin Vorgaben gemacht werden. Dass die mehrere Meter hohen, alles andere als filigranen Be- tonstützten des Gebäudes C.-Markt 1 durch die um ein Vielfaches ge- ringer dimensionierten Metallstelen marginalisiert werden könnten, ist schwer vorstellbar. Der Sichtweise der Fachberaterin Siedlungs- entwicklung und Ortsbild, die sich im Sinne eines Idealzustands möglichst unverstellte Säulen wünscht, mag man in fachlicher Hin- sicht zustimmen. Das heisst aber noch lange nicht, dass die Stelen das ästhetische Empfinden des Durchschnittsbetrachters erheblich stören würden. Sie treten gegenüber den Säulen eher in den Hinter- grund und fügen sich, vor allem an der Position 2, in die dahinterlie- gende Fassade des Einkaufszentrums und die weiteren sich an und vor der Fassade befindlichen Kleinanlagen (Leuchtbeschriftungen, Informationstafeln, Briefkästen, Warenauslagen etc.) ein. Es besteht möglicherweise kein Bezug zwischen den Stelen und der Architektur des Gebäudes, aber sehr wohl zwischen dem Zweck der Stele als Werbe- und Informationsplattform und der Nutzung des Gebäudes als Einkaufszentrum. Andererseits büssen die Stützen durch die Stelen nichts von ihrer Prominenz ein. 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 233 Schliesslich wirken die Stelen an keinem der gewählten Stand- orte besonders aufdringlich, auch wenn sie so ausgerichtet sind, dass sie von den Passanten wahrgenommen werden, was als Werbe- und Informationsplattform letztlich ihr Daseinszweck ist. Sie stehen aber nicht in der Mitte des belebten Platzes, gewissermassen in Solitär- stellung, sondern eher peripher unter Arkaden bzw. in einer Unter- führung, jeweils neben anderen Fassaden- oder Stützelementen. In- wiefern die in der Unterführung positionierte Stele 4 mit der weissen Säule, vor der sie steht, in Konkurrenz treten soll, ist nicht ersicht- lich. Die weisse Säule hat eine statische Funktion und ist mit Sicher- heit kein Bauteil, das die Aufmerksamkeit des Publikums in irgendei- ner Art und Weise erheischt oder auf sich ziehen will. Sie kann ganz oder teilweise verdeckt werden, ohne negative Implikationen auf das Erscheinungsbild der Unterführung. Die Enge des Raums mag für Passanten ein Ärgernis sein, was aber nichts mit der Stele oder deren ästhetischer Wirkung zu tun hat. Im gesamten Kontext muss man sich noch einmal vor Augen halten, dass sich die Stelen nicht im Sinne der positiven ästhetischen Generalklausel (§ 42 Abs. 1 BauG) gut oder sogar optimal in die bauliche Umgebung einordnen müssen. Eine Abstimmung auf die umliegenden Bauten und Bauteile dergestalt, dass eine positiv zu würdigende Bezugnahme hergestellt wird, ist nicht erforderlich. Es genügt, wenn eine erhebliche negative Beeinflussung ausbleibt. Eine solche ist aus den oben dargelegten Gründen klar zu verneinen. We- der in Bezug auf die Gebäude C.-Markt 1 und 2 noch auf den öffent- lichen Raum (auf dem C.-Marktplatz) findet eine erhebliche Beein- trächtigung statt. Die gegenteilige Auslegung des Stadtrats B. ist vom Wortlaut und vom Sinn und Zweck von § 42 Abs. 2 BauG nicht mehr gedeckt und stellt eine Rechtsverletzung dar. Aufgrund dessen darf das Verwaltungsgericht auch mit Rücksicht auf die Gemeindeautono- mie und den dadurch bedingten grossen Ermessensspielraum der Stadt B. in ästhetischen Fragen korrigierend eingreifen. § 42 Abs. 2 BauG bietet der Baubewilligungsbehörde keine Handhabe, der Be- schwerdeführerin die für die streitgegenständlichen Stelen nachge- suchte Baubewilligung aus ästhetischen Gründen zu verweigern.
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2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 116 [...] 22 Eingrenzung; Verhältnismässigkeit Die Anordnung einer Eingrenzung auf einen Bezirk muss aufgrund der potentiellen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ver- hältnismässig sein. Ein sehr geringfügiges Vermögensdelikt reicht hierfür nicht. Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. Februar 2013 in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integra- tion (WPR.2013.7). Aus den Erwägungen 3.2. Der Beschwerdeführer wurde mit Verfügung der Vorinstanz vom 11. Dezember 2012 auf das Gebiet des Bezirks Brugg einge- grenzt. Zur Begründung führt die Vorinstanz lediglich aus, die Ein- schränkung der Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers diene der Verbesserung von Sicherheit und Ordnung. 2013 Migrationsrecht 117 Soweit sich die Eingrenzungsverfügung auf den Vorhalt des Diebstahls in Windisch bezieht, ist Folgendes festzuhalten: Zwar ist grundsätzlich denkbar, dass die Anordnung einer Ein- grenzung geeignet sein kann, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu erhöhen, wenn ein Betroffener zuvor wegen Diebstahls verurteilt wurde. Dies allerdings nur dann, wenn der Betroffene durch die Ein- grenzung daran gehindert werden soll, sich potentiellen Deliktsorten zu nähern oder wenn die Eingrenzung dazu führt, dass der Wirkungs- kreis des Betroffenen massgeblich eingeschränkt wird. Diese Voraus- setzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Weder wird der Be- schwerdeführer durch die Eingrenzung auf das Gebiet des Bezirks Brugg gehindert, erneut in Windisch Ladendiebstähle zu begehen, noch wird in der dürftig begründeten Verfügung dargelegt, dass der Beschwerdeführer daran gehindert werden müsste, Delikte ausser- halb des Bezirks Brugg zu begehen. Den Akten ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer, über den angeblich begange- nen geringfügigen Diebstahl in der Coop-Filiale Aarau hinaus, wei- tere Delikte ausserhalb des Bezirks Brugg begangen hat. In Bezug auf den Vorhalt des Diebstahls in Windisch ist die Ein- grenzung auf den Bezirk Brugg damit ungeeignet, den angestrebten Zweck zu erreichen. Betreffend des Vorhalts des Ladendiebstahls in der Coop-Filiale Aarau über einen Warenwert von CHF 6.85 ist festzuhalten, dass die Eingrenzungsverfügung vom 12. Dezember 2012 zwar geeignet ist, das von der Vorinstanz angestrebte Ziel der "Verbesserung von Si- cherheit und Ordnung" zu erreichen. Fraglich ist hier jedoch, ob nicht mit einer milderen Massnahme (Ausgrenzung aus der Stadt oder dem Bezirk Aarau) der angestrebte Zweck auch erreicht werden könnte. Die Vorinstanz äussert sich weder in ihrer abermals äusserst dürftig begründeten Verfügung noch in ihrer Vernehmlassung dazu, weshalb nur mit einer Eingrenzung auf den Bezirk Brugg, der ange- strebte Zweck erreicht werden kann. Wie nachfolgend zu zeigen sein wird, kann diese Frage jedoch vorliegend offen gelassen werden. Wie bereits ausgeführt, muss die angeordnete Massnahme ver- hältnismässig im engeren Sinne sein, d.h. es muss ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Massnahme bestehen. Dabei ist ent- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 118 scheidend, ob der Betroffene die öffentliche Sicherheit und Ordnung bereits gestört hat und wie gravierend die Störung zu qualifizieren ist bzw. worauf sich eine allfällige Gefährdung der öffentlichen Si- cherheit und Ordnung stützt. In casu steht für die Bemessung des öffentlichen Interesses nur noch der vorgehaltene Ladendiebstahl in Aarau zur Diskussion, da die Eingrenzung auf den Bezirk Brugg, wie bereits ausgeführt, von vornherein nicht geeignet ist, weitere Delikte in Windisch zu verhindern. Gründet die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ord- nung wie im vorliegenden Fall einzig auf einem geringfügigen Dieb- stahl über CHF 6.85, besteht zwar grundsätzlich ein öffentliches Interesse an einer Gebietsbeschränkung. Dieses ist jedoch als relativ klein einzustufen. Wird der geringfügige Diebstahl vom Betroffenen bestritten und ein ausgefällter Strafbefehl angefochten und ist auf- grund der Aktenlage nicht von einer klaren Beweislage auszugehen, steht die Eingrenzung auf einen Bezirk in einem klaren Missverhält- nis zum angestrebten Zweck. Mit anderen Worten ist im vorliegen- den Fall mit Blick auf die potentielle Gefährdung der öffentlichen Si- cherheit und Ordnung aufgrund des vorgehaltenen geringfügigen Diebstahls nicht von einem überwiegenden öffentlichen Interesse an einer Eingrenzung auf einen Bezirk auszugehen. 4. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die am 12. Dezember 2012 angeordnete Eingrenzung auf den Bezirk Brugg in Bezug auf den Vorhalt des Diebstahls in Windisch nicht geeignet ist den angestreb- ten Zweck zu erreichen. In Bezug auf den Vorhalt des geringfügigen Diebstahls in Aarau ist fraglich, ob nicht auch ein milderes Mittel ge- nügen würde; auf jeden Fall besteht aber kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Eingrenzung auf den Bezirk Brugg. Nach dem Gesagten ist die verfügte Eingrenzung unverhältnismäs- sig, weshalb die Verfügung der Vorinstanz vom 12. Dezember 2012 in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben ist.
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2010 Sozialhilfe 205 VII. Sozialhilfe 37 Wohnkosten. Angemessene Wohnungsgrösse eines sorgeberechtigten Elternteils, dessen Kind fremd platziert ist. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 23. Oktober 2009 in Sa- chen B.D. gegen Gemeinderat W. und Bezirksamt B. (WBE.2009.174). Aus den Erwägungen 3. Bei der Zusprechung materieller Hilfe und deren Umfang, sind die tatsächlichen Umstände und die individuellen Verhältnisse der Betroffenen zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 2 SPG). 3.1. (...) 3.2. Die Beschwerdeführerin hat als Inhaberin der elterlichen Sorge Anspruch darauf, ihre elterlichen Rechte und Pflichten tatsächlich wahrnehmen zu können, auch wenn ihr Sohn fremdplatziert ist. Zu diesen Rechten gehört auch das Kontaktrecht zum Sohn mit der Möglichkeit, den Sohn in der eigenen Wohnung aufzunehmen (Art. 273 ZGB). Nicht ausschlaggebend ist, ob das Besuchs- und Ferienrecht vom Sohn und der Beschwerdeführerin tatsächlich wahr- genommen wird. Die Häufigkeit der Besuche und die Art und Weise, wie die Besuche konkret ausgestaltet sind (Anzahl effektiver Über- nachtungen), ist ebenfalls nicht relevant. Keinen Einfluss können auch die Aufenthalte der Beschwerdeführerin in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden haben, da diese nur vorübergehend waren. Mit der Sozialhilfe ist den bedürftigen Personen u.a. auch die Teilhabe am Sozialleben zu gewährleisten (§ 3 Abs. 2 SPV) und ih- ren individuellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (§ 5 Abs. 2 2010 Verwaltungsgericht 206 SPG). Im Zusammenhang mit der Wohnungsgrösse sind auch die Rechte von R. und seine persönliche Situation zu berücksichtigen. Auch nach dem Obhutwechsel gehört der minderjährige Sohn R. zum "Haushalt" der Beschwerdeführerin (§ 32 Abs. 1 SPV) und sie bilden insofern sozialhilferechtlich eine beschränkte Unterstützungs- einheit. Mit dem Aufenthalt im Kinderheim "K." wird die Existenz- sicherung von R. nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Ein- richtung für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen vom 2. Mai 2006 (Betreuungsgesetz; SAR 428.500) geregelt und er ist auch bei der Mietzinsberechnung nicht mit dem Faktor 1 einzubezie- hen (§ 10 Abs. 5 lit. e SPV). Sein Anspruch auf eine Wohnmög- lichkeit an seinem Wohnsitz und bei der sorgeberechtigten Be- schwerdeführerin kann indessen nicht einfach übergangen werden. Eine behelfsmässig eingerichtete Schlafmöglichkeit in einer 1-Zim- merwohnung vermag diesem Anspruch kaum zu genügen (siehe VGE IV/22 vom 6. April 2009 [WBE.2008.257], S. 8). R. hat "sein" Zimmer in der Wohnung der Beschwerdeführerin. Unabhängig da- von, ob R. von seinem (Aufenthalts-) Recht tatsächlich Gebrauch macht, muss ihm die Möglichkeit zum Besuch und Aufenthalt wei- terhin gegeben werden und angesichts seines Alters und Geschlechts ein Zimmer zur Verfügung stehen.
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2002 Verwaltungsgericht 428 [...] 106 Überprüfung von Erlassen (prinzipale oder abstrakte Normenkontrolle). - Das Gesuch um Überprüfung von Erlassen kann nicht mit einer Ver- waltungsgerichtsbeschwerde (oder einer verwaltungsgerichtlichen Klage) in einer einzigen Rechtsschrift verbunden werden (Änderung der Rechtsprechung). 2002 Verwaltungsrechtspflege 429 Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. Januar 2002 in Sa- chen C.J.M. gegen Verfügung des Departements des Innern. Aus den Erwägungen 2. Ziff. 3 der Beschwerdeanträge ist als Begehren um "Überprü- fung von Erlassen" (sog. abstrakte Normenkontrolle) in Sinne von § 68 ff. VRPG formuliert. Nach der früheren Praxis des Verwal- tungsgerichts (AGVE 1987, S. 88 f.; 1979, S. 111) wurde es zugelas- sen, ein Normenkontrollbegehren mit einer Verwaltungsgerichtsbe- schwerde oder einer verwaltungsgerichtlichen Klage in einer einzi- gen Rechtsschrift zu verbinden. Doch hat sich inzwischen gezeigt, dass dies je nach Konstellation zu erheblichen Unzukömmlichkeiten im Verfahren führen kann. Bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (oder Klage) und der abstrakten Normenkontrolle handelt es sich um völlig verschiedene Verfahren. Sobald dabei unterschiedliche Perso- nen und Behörden beteiligt sind, müsste derjenige Teil der Begrün- dung, der sich nur auf das Beschwerdeverfahren bezieht, in der Regel umfangreicher ist und eher Geheimhaltungsinteressen berühren wird, für das Normenkontrollverfahren entfernt werden. Es kann nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, eine Rechtsschrift derart auf- zuteilen. In Abänderung der publizierten Rechtsprechung wird daher seit längerer Zeit verlangt, dass ein Normenkontrollgesuch mit einer eigenen Eingabe (deren Begründung sich einzig mit der Verfassungs- bzw. Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Norm zu befassen hat) einzuleiten ist. Wie andere vor ihm, hat der Beschwerdeführer auf den entspre- chenden Hinweis ohne weiteres ein separates Normenkontrollgesuch eingereicht. Im vorliegenden Verfahren ist auf das Beschwerdebe- gehren Ziff. 3 nicht einzutreten. Dies schliesst selbstverständlich die vorfrageweise Prüfung der vom Beschwerdeführer erhobenen Ein- wendungen (sog. inzidente Normenkontrolle) nicht aus (vgl. AGVE 1986, S. 242; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normen- kontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwal- 2002 Verwaltungsgericht 430 tungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 56 N 5 f.).
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2000 Verwaltungsgericht 348 [...] 81 Beschwerde nach § 53 VRPG. - "Rechtsverweigerung" im Sinne von § 53 VRPG meint ausschliesslich das Nichthandeln der Behörde (Bestätigung der Rechtsprechung). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 16. November 2000 in Sachen B.J. gegen Entscheid des Regierungsrats. Aus den Erwägungen 1. (Keine Sachzuständigkeit des Verwaltungsgerichts, so dass nur die Beschwerdegründe gemäss § 53 VRPG in Betracht fallen.) 2. b) aa) Bei der Schaffung des VRPG war von allem Anfang an vorgesehen: "Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung können sämtliche letztinstanzlichen Verwaltungsentscheide an das Verwaltungsgericht weitergezogen werden, auch wenn dessen Zu- ständigkeit in der Sache selbst nicht gegeben ist." (Zwischenbericht der Justizdirektion vom 15. Februar 1965, S. 17). Darunter wurde von den Beteiligten, auch von allen Sachverständigen, - und zwar völlig selbstverständlich! - durchwegs nur das Nichthandeln/Nicht- entscheiden (oder das nicht rechtzeitige Handeln) der Behörde ver- standen; dies zeigt sich in den Hinweisen, dass hier gar kein weiter- ziehbarer Entscheid vorliege und dass es sich eigentlich nur um Feststellungsbefunde (des Verwaltungsgerichts) handeln könne (vgl. 2000 Verwaltungsrechtspflege 349 Entwurf Welti vom 26. Juli 1965 für die Vernehmlassung des Ober- gerichts, S. 15; Protokolle der Arbeitsgruppe für Verwaltungsreform vom 16. Juli 1965, S. 5 f. [Voten Eichenberger, Roos, Fischli], und vom 31. August 1965, S. 11 [Votum Gesetzesredaktor Brunschwi- ler]). Diese Auffassung wurde nie in Frage gestellt. Der Vorentwurf der Justizdirektion vom Juni 1966, wo die heu- tige Fassung des § 53 VRPG (damals § 37) vorgeschlagen wurde, enthält keine Erläuterungen. Dass anstelle von letztinstanzlichen Ver- waltungs entscheiden nun die Beschwerde "gegen letztinstanzliche Verwaltungs behörden " vorgesehen wurde, geht offenbar auf die Hin- weise zurück, dass bei Rechtsverweigerung und -verzögerung eben gar kein Entscheid vorliege. Warum neu auch die Verletzung der Vor- schriften über die Zuständigkeit, den Ausstand, das rechtliche Gehör und die Akteneinsicht als Beschwerdegründe genannt wurden (und warum diese, obwohl hier in aller Regel anfechtbare Entscheide vor- liegen, der gleichen Regelung wie die Rechtsverweigerung und -verzögerung unterworfen wurden), ist aus den Materialien nicht er- sichtlich. Selbst nach dieser Änderung wurde in der Expertenkom- mission davon gesprochen, dass bei dieser Bestimmung eine Exe- kution des richterlichen Erkenntnisses nicht möglich sei (Protokoll vom 13.-15. September 1966, S. 19 f.), was nur auf die Rechtsver- weigerung im Sinne des Nichthandelns zutrifft. In gleicher Weise wurde offenbar in den Beratungen der grossrätlichen Kommission überlegt, als diese den Abs. 2 von § 54 VRPG neu schuf (vgl. Proto- koll vom 1. Juli 1968, S. 8 f.) und dabei die "jederzeitige" Beschwer- demöglichkeit vorsah, obwohl diese nur bei der Rechtsverweigerung - im Sinne des Nichthandelns - und -verzögerung sachgerecht ist. bb) Gestützt auf den in den Gesetzesmaterialien klar zum Aus- druck kommenden Willen des Gesetzgebers hat das Verwaltungs- gericht den in § 53 VRPG verwendeten Begriff der Rechtsverweige- rung in ständiger Rechtsprechung auf die formelle Rechtsverweige- rung beschränkt und die Ausdehnung auf die sog. "materielle Rechts- verweigerung" im Sinne von Willkür abgelehnt (AGVE 1971, 2000 Verwaltungsgericht 350 S. 340 f., 349; 1979, S. 272; 1981, S. 284; 1989, S. 315; Merker, a.a.O., § 53 N 7); eine "kleine Staatsrechtliche Beschwerde" habe der Gesetzgeber nicht gewollt (AGVE 1971, S. 349). Dass das Verwaltungsgericht unter den Begriff der Rechtsver- weigerung nicht einmal alle Teilbereiche der formellen Rechtsver- weigerung, wie sie in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ge- staltet wurden, subsumiert, sondern darunter nur das Nichthandeln versteht (VGE II/37 vom 6. März 1995 in Sachen S.D.M., S. 7 ff., gestützt auf einen Beschluss des Gesamtverwaltungsgerichts vom 28. Februar 1995; vgl. dazu Merker, a.a.O., § 53 N 33), wird kriti- siert (Merker, a.a.O., § 53 N 34). Diese Kritik überzeugt nicht. Wenn der Gesetzgeber unter "Rechtsverweigerung" die formelle Rechts- verweigerung, wie sie sich damals nach der bundesgerichtlichen Pra- xis gestaltete, insgesamt verstanden hätte, wäre es überflüssig und widersprüchlich gewesen, zusätzlich die Verletzung der Vorschriften über die Zuständigkeit, den Ausstand, das rechtliche Gehör und die Akteneinsicht aufzuführen, wurden doch diese schon damals in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung allesamt dem Bereich der formellen Rechtsverweigerung zugerechnet (vgl. die BGE-General- register zu Bd. 81-90 und 91-100). Entsprechend wurde in der Bot- schaft des Regierungsrats zum VRPG vom 3. Mai 1967, auf die sich Merker zu Unrecht beruft, ausgeführt (S. 42): "Mit dieser General- klausel wird für sämtliche Fälle der Rechtsverweigerung, Rechts- verzögerung oder anderer Verletzungen wesentlicher Verfahrensvor- schriften ..." (Hervorhebung beigefügt). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Der Wille des Ge- setzgebers, wie weit er dem Verwaltungsgericht dort Kompetenzen zuerkennen wollte, wo er ihm keine sachliche Zuständigkeit zuwies, erscheint klar. Es wäre Sache des Gesetzgebers, nicht des Verwal- tungsgerichts, diese Kompetenzen auszudehnen. Dies gilt umso mehr, als es dafür keiner Änderung auf Gesetzesstufe bedarf, sondern die entsprechende Rechtsetzung ausdrücklich erleichtert wurde und mittels Dekret erfolgen kann (§ 51 Abs. 2 VRPG). 2000 Verwaltungsrechtspflege 351 c) In der Beschwerde wird geltend gemacht, der Regierungsrat habe in verschiedener Beziehung willkürlich entschieden. Hierauf darf nicht eingetreten werden, da - wie dargelegt - die gemäss § 53 VRPG zulässigen Beschwerdegründe die materielle Rechtsverweige- rung (= Willkür) nicht umfassen. Weiter beanstandet der Beschwer- deführer ..., und behauptet damit sinngemäss überspitzten Formalis- mus. Nun ist überspitzter Formalismus zwar ein Teilbereich der for- mellen Rechtsverweigerung in der bundesgerichtlichen Rechtspre- chung; doch wird dieser Teilbereich durch § 53 VRPG nicht erfasst (vorne Erw. 2/b/bb). 3. Da der Beschwerdeführer keine der in § 53 VRPG aufge- führten Beschwerdegründe vorbringt, ist auf die Beschwerde man- gels Zuständigkeit nicht einzutreten.
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2000 Verwaltungsrechtspflege 341 IX. Verwaltungsrechtspflege 76 Akteneinsichtsrecht - Pflicht zur Erstellung eines Augenscheinprotokolls bevor die zustän- dige Instanz den Entscheid fällt. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 7. November 2000 in Sachen R.F. und Mitbeteiligte gegen Entscheid des Regierungsrats und Ent- scheid des Grossen Rats. Aus den Erwägungen II. 1. a) Die Beschwerdeführer bemängeln eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da ihnen das Protokoll der von der Rechtsabtei- lung des Baudepartements durchgeführten Augenscheinsverhandlung nicht zugestellt worden sei. Die Beschwerdeführer verzichten darauf, eine Rückweisung wegen Gehörsverletzung zu beantragen und be- gnügen sich mit dem Vorbehalt einer ergänzenden Stellungnahme nach Vorliegen des Protokolls. b) Das Baudepartement hat am 19. August 1997 in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten eine Augenscheinsverhandlung durch- geführt. Nach Erhalt des regierungsrätlichen Entscheids verlangte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 2. März 1998 "im Rahmen des Akteneinsichtsrechts sämtliche Unterlagen", und wies darauf hin, dass er insbesondere das Protokoll der Augen- scheinsverhandlung vom 19. August 1997 benötige. Nach seinen An- gaben wurde ihm dies verweigert mit der Begründung, das Protokoll werde praxisgemäss erst nach Bekanntgabe der Einreichung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde diktiert und ins Reine geschrieben. Es ist unbestritten, dass das Protokoll nicht zugestellt wurde. Die Be- schwerdeführer erhielten das Protokoll vom 19. August 1997 erst mit 2000 Verwaltungsgericht 342 der Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2000. Das Baudepartement vertritt die Auffassung, unter der - hier gegebenen - Voraussetzung, dass alle Parteien am Augenschein anwesend seien, komme der Aktennotiz bezüglich dem genauen Inhalt der Diskus- sionen nicht mehr als die Bedeutung eines "internen Aktenstückes" zu. Der Augenschein diene als Untersuchungsmittel der Instruk- tionsbehörde auch in casu einzig und allein der Überprüfung und der Visualisierung der in der Beschwerdeschrift erhobenen Anträge und Begründungen sowie all jener Punkte, die von Amtes wegen vorzu- nehmen seien. Weiter wird auch geltend gemacht, es bestehe keine Pflicht, ein wörtliches Protokoll oder ein kürzeres sinngemässes Protokoll zu führen; eine zusammenfassende Aktennotiz, welche über Zeit, Ort und besprochenen zusammenfassenden Inhalt in Stich- worten Auskunft gebe, genüge im Verwaltungsverfahren; auch gebe es keine rechtliche Pflicht, diese in Maschinenschrift auszufertigen. Für die Akteneinsicht reiche es, wenn die Handnotizen eingesehen werden könnten und der Führer der Aktennotiz bei allfälligen Fragen bezüglich des Inhaltes zur Verfügung stehe. c) aa) Wenn sich eine Behörde des Beweismittels des Augen- scheins bedient, muss sie es in den vorgeschriebenen Formen tun und die Grundsätze des rechtlichen Gehörs beachten (BGE 104 Ib 122). Unter dem Titel "Beweiserhebung" ist in § 22 Abs. 1 VRPG vorge- sehen, dass die Verwaltungsbehörde oder deren Beauftragte zur Er- mittlung des Sachverhalts u. a. auch Beteiligte und Auskunftsperso- nen befragen und Augenscheine vornehmen können. In welcher Form dies zu geschehen hat, wird, anders als im für das Verwal- tungsgericht geltenden § 22 Abs. 3 VRPG, wo für die Beweisab- nahme auf die Regeln der Zivilprozessordnung verwiesen wird (für den Augenschein vgl. § 249 ZPO), nicht näher bestimmt. § 22 Abs. 1 VRPG enthält somit weder spezifische Vorschriften über die Art der Protokollführung, noch ergibt sich daraus auch nur eine unmittelbare Verpflichtung der Verwaltungsbehörden zur Protokollierung von Augenscheinen. Vom Gesetzgeber war klarerweise beabsichtigt, den 2000 Verwaltungsrechtspflege 343 Verwaltungsinstanzen allgemein ein weniger förmliches Vorgehen zu ermöglichen als den Justizbehörden. Die Verwaltungsbehörden soll- ten bei der "Verfahrensleitung möglichst frei sein", namentlich auch bei der Beweiserhebung "möglichst grosse Freiheit und Beweglich- keit geniessen" (AGVE 1986, S. 336 f. mit Hinweis auf die Materia- lien; AGVE 1986, S. 112). Anderseits gelten die allgemeinen Verfah- rensvorschriften des Verwaltungsrechtspflegegesetzes (§ 15 ff.) grundsätzlich uneingeschränkt auch für die Verwaltungsbehörden (§ 1 Abs. 1 VRPG). Insbesondere die Bestimmungen über das recht- liche Gehör sind auch für die Beweiserhebung durch Verwaltungsin- stanzen von grösster Bedeutung (AGVE 1986, S. 337). Wo sich die kantonalen Verfahrensvorschriften als unzureichend erweisen, grei- fen zudem die unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 BV (früher Art. 4 aBV) folgenden bundesrechtlichen Minimalgarantien Platz (BGE 116 Ia 98; ferner AGVE 1980, S. 305 f.; Kurt Eichenberger, Kommentar zur Verfassung der Kantons Aargau, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1986, § 22 N 14 ff.). bb) Die Frage des rechtlichen Gehörs ist in den §§ 15 VRPG (Anhörung) und 16 VRPG (Akteneinsicht) geregelt. In Bezug auf die hier vor allem interessierende Frage der Akteneinsicht bestimmt § 16 Abs. 1 VRPG, wer von einer Verfügung oder von einem Entscheid betroffen werde, habe grundsätzlich das Recht, in die Akten Einsicht zu nehmen. Die Einsichtnahme könne u. a. in "nur dem verwal- tungsinternen Gebrauch dienende Akten" verweigert werden. Das Verwaltungsgericht hat in seiner unveröffentlichten Rechtsprechung festgestellt, das Protokoll einer Augenscheinsverhandlung bilde in erster Linie ein Arbeitsinstrument der entscheidenden Behörde, wes- halb es vor der Entscheidfällung nicht zur Stellungnahme an die Parteien zugestellt werden müsse (VGE III/86 vom 23. Dezember 1983 in Sachen M., S. 6 f.). Hingegen stehe den Parteien, die den Entscheid anfechten wollten, aufgrund von § 16 VRPG das Recht auf Einsichtnahme auch in ein Augenscheinsprotokoll zu (VGE II/66 vom 3. Mai 1994 in Sachen L., S. 6). Das Recht auf Akteneinsicht 2000 Verwaltungsgericht 344 setzt voraus, dass überhaupt Akten vorhanden sind, in die eingesehen werden kann, d. h. es begründet eine Aktenerstellungspflicht (BGE 115 Ia 99; Thomas Cottier, Der Anspruch auf rechtliches Gehör [Art. 4 BV], recht 1984, S. 123; Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Auflage, Bern 1999, S. 531 f.; Alexander Dubach, Das Recht auf Akteneinsicht, Berner Diss., Zürich 1990, S. 92 f.). Sämt- liche Verfahrenselemente, wie Sachverhalt, Beweiserhebungen und Protokolle, sind durch Aktenführung ausreichend zu dokumentieren (Alexander Dubach, a.a.O., S. 92 unten; Jörg Paul Müller, a.a.O., S. 531; BGE 115 Ia 99). cc) Nach der sich auf Art. 4 aBV stützenden Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt es grundsätzlich, die wesentlichen Ergeb- nisse des Augenscheins in einem Protokoll oder Aktenvermerk fest- zuhalten oder zumindest - soweit sie für die Entscheidungen erheb- lich sind - im Entscheid klar zum Ausdruck zu bringen (BGE 106 Ia 75; 104 Ia 212, 322). In der Literatur wird aber zu Recht die Auffas- sung vertreten, es sei im Hinblick auf die spätere Gewährung des Akteneinsichtsrechts sowie zwecks Schaffung einwandfreier Ent- scheidgrundlagen unumgänglich, dass die anlässlich des Augen- scheins gemachten Feststellungen in einem Protokoll schriftlich fest- gehalten werden. Die mit der Instruktion betraute Behörde habe da- her über die wesentlichen Ergebnisse des Augenscheins immer ein Protokoll zu erstellen, das den Parteien nach dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs auch jederzeit zur Einsichtnahme offen stehen müsse (Alfred Kölz/Jürg Bosshart/Martin Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zü- rich 1999, § 7 N 49; Thomas Merkli/Arthur Aeschlimann/Ruth Her- zog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 19 N 33; Attilio R. Gadola, Das ver- waltungsinterne Beschwerdeverfahren, Diss. Zürich 1991, S. 409; Georg Müller, in Kommentar BV, Art. 4 N 111; Cottier, a.a.O., S. 23). 2000 Verwaltungsrechtspflege 345 dd) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die entscheidende Instanz der Regierungsrat ist, die Augenscheinsverhandlung dagegen von einer Dreierdelegation des Baudepartements durchgeführt wurde. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt keine Ver- letzung von Art. 4 aBV bzw. Art. 29 Abs. 2 BV vor, wenn an einem Augenschein in einem kantonalen Beschwerdeverfahren, in dem der Regierungsrat entscheidet, kein Mitglied dieser Behörde persönlich anwesend ist. Dies gilt laut Bundesgericht umso mehr, wenn sich der Regierungsrat bei seinem Entscheid unter anderem auch auf ein aus- führliches Augenscheinsprotokoll stützen und sich so ein klares Bild über die tatsächlichen Verhältnisse machen kann (BGE 110 Ia 82; vgl. auch BGE 100 Ib 400; 109 Ia 2 f.; Merkli/Aeschlimann/Herzog, a.a.O., Art. 19 N 33). Wesentlich erscheint jedenfalls, dass der ent- scheidenden Instanz alle für einen Entscheid erforderlichen Grundla- gen zur Verfügung stehen; d.h. sie muss über die vollständigen Akten verfügen. Hat die instruierende Behörde einen Augenschein durchge- führt und/oder Beteiligte und Auskunftspersonen befragt, so gehören die vor Ort gemachten Feststellungen und die Aussagen der Betei- ligten ebenfalls zu den Entscheidgrundlagen. Sie müssen an Ort und Stelle daher jedenfalls soweit protokolliert werden, als sie für den Entscheid erheblich sein können. Dies setzt in Bezug auf die Proto- kollführung aber auch voraus, dass ein für Dritte leserliches und inhaltlich nachvollziehbares Protokoll oder eine Aktennotiz ausge- fertigt wird, das die wesentlichen Punkte vollständig wiedergibt; nicht erforderlich ist in aller Regel ein Wortprotokoll. Stichwortartige handschriftliche Aufzeichnungen, die einzig für ihren Verfasser les- bar und verständlich sind, genügen nicht. Ein den umschriebenen Anforderungen entsprechendes Protokoll muss erstellt bzw. ausge- fertigt werden, bevor die zuständige Instanz den Entscheid fällt. Nur so ist sichergestellt, dass sämtliche am Entscheid Mitwirkenden trotz fehlender Teilnahme am Augenschein über einwandfreie Entscheid- grundlagen, insbesondere ausreichende Kenntnis des entscheidrele- vanten Sachverhalts, verfügen. Überdies setzt auch die sorgfältige 2000 Verwaltungsgericht 346 Entscheidvorbereitung und Antragstellung der instruierende Behörde zuhanden der entscheidbefugten Instanz in Regel ein brauchbares Protokoll voraus. Insofern geht der verfassungsrechtlich gewähr- leistete Grundsatz des rechtlichen Gehörs den durchaus berechtigten Anliegen der wirkungsorientierten Verwaltung vor. Auf die Ausferti- gung des Protokolls kann dann verzichtet werden, wenn kein Sach- entscheid gefällt werden muss.
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2006 Verwaltungsgericht 218 42 Verhältnismässigkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung und der Zwangsmedikation bei schleichendem Beginn einer Schizophrenieerkran- kung eines jungen Patienten, obwohl keine Selbst- oder Fremdgefähr- dung vorliegt. - Bei Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis bei jüngeren Patienten ist zu berücksichtigen, dass bei frühzeitiger Behandlung gute Heilungschancen bestehen, während sich die Krankheit bei zu langem Hinauszögern chronifizieren kann (Entscheid vom 14. Fe- bruar 2006, Erw. 4.2.3). - Mit zwangsweise vorgenommener medikamentöser Behandlung kann einem Patienten auf längere Sicht eine bessere Lebensqualität gewährleistet werden, als wenn die Krankheit unbehandelt bliebe (Entscheid vom 28. Februar 2006, Erw. 4.3). - Eine indizierte Zwangsmedikation ist durchzuführen, wenn wegen weiterer Verzögerung der notwendigen Behandlung die Freiheitsent- ziehung verlängert würde (Entscheid vom 28. Februar 2006, Erw. 4.2) Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 14. Februar 2006 in Sachen S.W. gegen Verfügungen des Bezirksarzt-Stellvertreters X. und des Bezirksarztes Y. (Anstaltseinweisung) sowie Entscheid des Verwaltungsge- richts, 1. Kammer, vom 28. Februar 2006 in Sachen S.W. gegen Entscheid der Klinik Königsfelden (Zwangsmedikation). Aus den Erwägungen des Entscheids vom 14. Februar 2006 3. 3.1. Allein die Tatsache, dass eine Person an einer Geistes- krankheit im Sinne des ZGB leidet, genügt nicht zur Anordnung ei- ner fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Diese einschneidende Massnahme ist nur dann zulässig, wenn das Fürsorgebedürfnis des Betroffenen unter Berücksichtigung seiner eigenen Schutzbedürftig- keit und der Belastung der Umgebung sie erfordert und andere, we- niger weitgehende Vorkehren nicht genügen (Art. 397a Abs. 1 und 2 ZGB; AGVE 1997, S. 240; 1992, S. 276; 1990, S. 223; Thomas Gei- 2006 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 219 ser, in: Basler Kommentar, ZGB I, 2. Auflage, Basel/Genf/München 2002, Art. 397a N 12 f.; Eugen Spirig, in: Zürcher Kommentar, Art. 397a-397f ZGB, Zürich 1995, Art. 397a N 259 f.). 3.2. (...) 4. 4.1. 4.1.1. Eine Verwaltungsmassnahme muss geeignet sein, das im öffentlichen Interesse angestrebte Ziel zu erreichen (Ulrich Häfe- lin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zü- rich/Basel/Genf 2002, Rz. 581). Sie muss im Hinblick auf das im öf- fentlichen Interesse angestrebte Ziel erforderlich sein und darf in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Beziehung nicht über das Notwendige hinausgehen (Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 591, 594) und sie muss durch ein das private überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein (Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 615). Dies gilt auch im Falle einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Dass dabei die Verhältnismässigkeit gewahrt werden muss, drückt Art. 397a ZGB mit den Worten aus: "...wenn ihr die nötige persönli- che Fürsorge nicht anders erwiesen werden kann". Die fürsorgerische Freiheitsentziehung muss also ultima ratio bleiben (Eugen Spirig, a.a.O., Art. 397a N 258 f.). 4.1.2. In der Regel soll der Klinikaufenthalt eine (meist medi- kamentöse) Behandlung ermöglichen, die notwendig erscheint und wegen des Zustands und Verhaltens der betroffenen Person nicht ambulant erfolgen kann. Das Verwaltungsgericht hat in seiner bishe- rigen Rechtsprechung daher festgehalten, die fürsorgerische Frei- heitsentziehung sei unverhältnismässig, wenn nur vage Aussichten auf einen Behandlungserfolg bestünden und die betroffene Person nicht gleichzeitig in hohem Masse selbst- oder fremdgefährlich sei (AGVE 1993, S. 310 ff.). Gemäss verwaltungsgerichtlicher Recht- sprechung kann eine fürsorgerische Freiheitsentziehung gerechtfer- tigt sein, wenn durch frühzeitige, intensive Behandlung bessere Hei- lungsaussichten bestehen (AGVE 1990, S. 221 [Regeste]). Bei Ge- fahr eines sofortigen Rückfalls ist die Entlassung nicht angezeigt (AGVE 1994, S. 352 ff.). 4.2. (...) 2006 Verwaltungsgericht 220 4.2.1. (...) 4.2.2. Der zuständige Oberarzt erklärte anlässlich der verwal- tungsgerichtlichen Verhandlung, dass der Beschwerdeführer einer medikamentösen Behandlung über 10 bis 14 Tage mit Antipsycho- tika bedürfe. Anschliessend sei ein Übertritt in die ambulante Be- handlung mit psychiatrischer Begleitung zu empfehlen, um auch die soziale und berufliche Situation des Beschwerdeführers zu ändern. Im Falle einer jetzigen Behandlung bestünde die Chance für einen Wiedereintritt in die Gesellschaft. Andernfalls würde sich die Pro- gnose verschlechtern. Die Folgen wären ein weiterer sozialer Rück- zug und das Auftreten von Verwahrlosungstendenzen, so dass ir- gendwann das Bezirksamt beigezogen werden müsste. Der Be- schwerdeführer entferne sich immer mehr von der realen Welt, habe auch Mühe, sich zu verständigen. Er werde immer mehr zu einem Autisten. Ohne Behandlung würde sich der Zustand des Beschwerde- führers mit der Zeit so sehr verschlechtern, dass eine Behandlung nur noch mit um einiges drastischeren Behandlungsmethoden möglich und die Erfolgsaussichten kleiner wären. Der Beschwerdeführer sei aus medizinisch-psychiatrischer Sicht behandlungsbedürftig und -fä- hig. Auch der Fachrichter bestätigte, dass die Heilungschancen er- heblich besser seien bei sofortiger Behandlung im Vergleich zu einer Behandlung in einigen Monaten. In dieser Zeit würde sich das Zu- standsbild mit grösster Wahrscheinlichkeit weiter verschlechtern. 4.2.3. Für das Verwaltungsgericht steht aufgrund der Kranken- geschichte, der ärztlichen Aussagen und des an der Verhandlung ge- wonnenen Eindrucks fest, dass der Beschwerdeführer an einer be- handlungsbedürftigen und grundsätzlich medikamentös behandelba- ren psychischen Krankheit aus dem schizophrenen Formenkreis lei- det. Der Beschwerdeführer ist relativ jung und die Krankheit befindet sich noch im Anfangsstadium. Bis anhin wurde er noch nie medika- mentös behandelt. Aus medizinisch-psychiatrischer Sicht ist zu be- rücksichtigen, dass nach der heutigen Erkenntnis bei Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis bei jüngeren Menschen relativ gute Heilungschancen bestehen, wenn die Behandlung frühzeitig er- folgt, während sich die Krankheit bei einem zu langen Hinauszögern der Behandlung chronifizieren kann. Durch eine erfolgreiche Be- 2006 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 221 handlung verringert sich im vorliegenden Fall auch die Belastung der Umgebung, da sich die Eltern verständlicherweise seit mehreren Monaten grosse Sorgen machen und auch eine Suizidalität nicht aus- schliessen. Da beim Beschwerdeführer weder Krankheits- noch Be- handlungseinsicht besteht, muss davon ausgegangen werden, dass er, auf sich alleine gestellt, die benötigten Medikamente nicht einneh- men würde, wodurch sich sein Zustand und damit auch die Hei- lungsaussichten verschlechtern würden. Aufgrund seines seit mehre- ren Monaten ständig schlechteren Zustandsbilds mit vermehrt feh- lendem Realitätsbezug und unberechenbaren Verhaltensweisen kann sodann eine Selbst- und Fremdgefährdung nicht ausgeschlossen wer- den. Die Aufrechterhaltung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung ist daher gerechtfertigt und verhältnismässig. Die nötige persönliche Fürsorge kann dem Beschwerdeführer nur mit einer stationären kon- trollierten Medikation erwiesen werden. Aus den Erwägungen des Entscheids vom 28. Februar 2006 1. 1.1. Grundsätzlich dürfen Untersuchungen, Behandlungen, me- dizinische Eingriffe und Pflege nur mit Zustimmung des Patienten erfolgen. In Notfällen darf die Zustimmung vermutet werden (§ 15 Abs. 1 und 3 PD). Gemäss § 67e bis EG ZGB dürfen jedoch im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung in der Klinik Kö- nigsfelden Behandlungen und andere Vorkehrungen auch gegen den Willen der betroffenen Person vorgenommen werden. Solche Zwangsmassnahmen sind nicht nur auf eigentliche Notfälle und Akutsituationen zu beschränken. Vielmehr darf auch ohne oder ge- gen den Willen der betroffenen Person eine längerdauernde Behand- lung vorgenommen werden (AGVE 2000, S. 174 f.). 1.2. Ziel und Zweck jeder Zwangsmassnahme ist der Schutz der betroffenen Person und deren Mitmenschen vor körperlichen und seelischen Schäden. In Anwendung des Verhältnismässigkeitsprin- zips muss sie "ultima ratio" sein, indem der betroffenen Person die notwendige Fürsorge nicht auf andere Weise gewährleistet werden 2006 Verwaltungsgericht 222 kann (AGVE 2000, S. 168 mit Hinweis). Eine Zwangsmassnahme ist namentlich dann unverhältnismässig, wenn eine ebenso geeignete mildere Anordnung für den angestrebten Erfolg ausreicht. (...) 3. 3.1. Als Ziel der Zwangsmedikation wird im angefochtenen Zwangsmassnahmen-Entscheid die antipsychotische Behandlung des Beschwerdeführers genannt. Der Entscheid wurde bis zum 3. März 2006 befristet. Die aufschiebende Wirkung wurde dem Entscheid entzogen mit der Begründung, die Behandlungsnotwendigkeit sei lange genug erörtert worden und es seien dem Beschwerdeführer lange genug Alternativen angeboten worden. Aus den beigezogenen Akten geht hervor, dass der Beschwerdeführer die Medikamente un- ter der Androhung von Zwangsinjektion seit dem 23. Februar 2006 in flüssiger Form eingenommen hat. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, die Zwangsmedikation sei sofort abzubrechen, da er gesund sei. Eine Fremd- oder Selbstgefährdung sei nicht gegeben. Sollte sein Antrag abgelehnt werden, sei dem Zwangs- massnahmen-Entscheid die aufschiebende Wirkung zu erteilen, so- lange bis die Urteile betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung und Zwangsmedikation rechtskräftig seien. 3.2. Gemäss Praxis des Verwaltungsgerichts betreffend die Ab- grenzung von sinnvoller Überzeugungsarbeit der Ärzte und Zwang- smedikation im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung, liegt eine Zwangsmedikation im Sinne von § 67e bis Abs. 1 EG ZGB auch dann vor, wenn der Patient in die Medikation einwilligt, weil ihm andernfalls eine Zwangsinjektion - nötigenfalls unter Anwen- dung von körperlicher Gewalt - angedroht wurde (AGVE 2002, S. 198). Die aktuelle orale Medikation ist somit zweifellos eine Zwangsmedikation im Sinne des Gesetzes. 3.3. Im Folgenden gilt zu prüfen, ob die angefochtene Zwangs- medikation im sachlichen Zusammenhang mit der Krankheit des Be- schwerdeführers steht, medizinisch indiziert und verhältnismässig ist. 4. 4.1. (...) 2006 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 223 4.2. (...) Angesichts der Konsequenzen einer Nichtbehandlung auf das Zustandsbild des Beschwerdeführers und der schlechteren Heilungsaussichten, erscheint es gerechtfertigt und verhältnismässig, dem Beschwerdeführer die nötigen Medikamente auch gegen seinen Willen zu verabreichen. Würde man den Beschwerdeführer ohne Be- handlung entlassen, käme es mit grösster Wahrscheinlichkeit früher oder später erneut zu einer Klinikeinweisung mittels fürsorgerischer Freiheitsentziehung, wobei die Prognose dann viel schlechter wäre als bei der aktuellen Hospitalisation. Der Beschwerdeführer befand sich zum Zeitpunkt der Anord- nung der Zwangsmedikation bereits seit einem Monat in der Klinik Königsfelden, ohne dass er behandelt wurde. Eine weitere Verzöge- rung der notwendigen Behandlung hätte zur Folge, dass dem Be- schwerdeführer weiterhin die Freiheit entzogen würde, ohne dass ihm die notwendige persönliche Fürsorge gewährt werden könnte. Angesichts dieser Sachlage wurde dem Zwangsmassnahmen-Ent- scheid die aufschiebende Wirkung zu Recht nicht erteilt. 4.3. Zusammenfassend kann dem Beschwerdeführer mit einer zwangsweise vorgenommenen medikamentösen Behandlung auf längere Sicht eine bessere Lebensqualität gewährleistet werden, als wenn man die Krankheit unbehandelt liesse. Die Zwangsmassnahme steht in einem sachlichen Zusammenhang mit der Geisteskrankheit des Beschwerdeführers, ist medizinisch indiziert und verhältnismäs- sig. Die zwangsweise medikamentöse Behandlung des Beschwerde- führers erweist sich in seinem eigenen Interesse als dringend not- wendig und verhältnismässig, auch in zeitlicher Hinsicht.
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2016 Submissionen 189 [...] 30 Ausschluss eines Anbieters vom Verfahren; Eignungskriterien - Es ist zulässig, zum Nachweis der finanziellen Eignung die Einrei- chung der Geschäftsberichte, Bilanzen und Erfolgsrechnungen der letzten drei Jahre zu verlangen. - Im Anwendungsfall war die Vergabestelle nicht verpflichtet, der be- troffenen Anbieterin zu ermöglichen, die geforderten Unterlagen nachzureichen. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 7. November 2016 in Sa- chen A. AG gegen Kanton Aargau (WBE.2016.412). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Gemäss § 28 Abs. 1 SubmD schliesst die Vergabestelle bei Vor- liegen genügender Gründe Anbietende vom Verfahren aus. Dies gilt insbesondere in den in § 28 Abs. 1 lit. a - h SubmD genannten Fäl- len. Auszuschliessen sind somit Anbietende, welche die geforderten Eignungskriterien nicht mehr erfüllen (§ 28 Abs. 1 lit. a SubmD), oder deren Angebote wesentliche Formvorschriften verletzt haben, u.a. durch Unvollständigkeit des Angebots oder Änderung der Aus- schreibungsunterlagen (§ 28 Abs. 1 lit. g SubmD; vgl. auch § 27 lit. h der Vergaberichtlinien [VRöB] zur IVöB). Wie schon aus dem Wortlaut der Bestimmung hervorgeht, hat die Aufzählung der Aus- schlussgründe keinen abschliessenden Charakter. 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 190 2.2. Das Nichterfüllen oder das nur teilweise Erfüllen von Eig- nungskriterien führt nach Lehre und Rechtsprechung in der Regel zum Ausschluss vom weiteren Vergabeverfahren. Auszuschliessen sind auch Anbieter, welche die verlangten Eignungsnachweise nicht oder nicht vollständig erbringen (vgl. P ETER G ALLI /A NDRÉ M OSER /E LISABETH L ANG /M ARC S TEINER , Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 580, 603 ff., 617 mit zahlreichen Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts vom 26. Januar 2016 [2C_665/2015], Erw. 1.3.3 mit Hinweisen; Ur- teil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2016 [B-998/2014], Erw. 2.1). Gemäss § 14 Abs. 1 SubmD müssen die Anbietenden ihre Anträge auf Teilnahme oder ihr Angebot schriftlich, vollständig und innert der angegebenen Frist einreichen. Unvollständige Anträge auf Teilnahme führen in einem selektiven Verfahren ebenfalls zum Aus- schluss und haben zur Folge, dass der betreffende Anbieter für die 2. Stufe des Submissionsverfahrens nicht zugelassen wird. 3. 3.1. Im Rahmen eines Submissionsverfahrens ist die Befähigung je- des einzelnen Bewerbers zur Ausführung des Auftrags zu prüfen. Die Eignung ist gegeben, wenn sichergestellt ist, dass der konkrete Anbietende den Auftrag in finanzieller, wirtschaftlicher und techni- scher Hinsicht erfüllen kann. Gemäss § 10 Abs. 1 SubmD kann die Vergabestelle in der Ausschreibung beziehungsweise in den Aus- schreibungsunterlagen festlegen, welche für die Ausführung des betreffenden Auftrags wesentlichen Eignungskriterien die Anbieten- den erfüllen und welche unerlässlichen Nachweise, insbesondere be- züglich der finanziellen, wirtschaftlichen und fachlichen Leistungs- fähigkeit, sie erbringen müssen. Die Leistungsfähigkeit muss in der Ausschreibung mit objektiven und überprüfbaren Eignungskriterien umschrieben werden (vgl. G ALLI /M OSER /L ANG /S TEINER , a.a.O., Rz. 588 ff.); diese müssen sich auf die ausgeschriebene Leistung be- ziehen. Es dürfen deshalb nur solche Eignungsnachweise verlangt werden, die im Hinblick auf die nachgefragte Leistung erforderlich sind. Soweit die gestellten Anforderungen durch die Bedürfnisse der 2016 Submissionen 191 vorgesehenen Beschaffung begründet sind, ist ihre Verwendung zulässig (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 4. August 2016 [VB.2016.00180], Erw. 3.1). Die Vergabestelle ist an die ausgeschriebenen Eignungskriterien gebunden (G ALLI /M OSER /L ANG /S TEINER , a.a.O. Rz. 628). Sowohl bei der Aus- wahl der Eignungskriterien und der Eignungsnachweise als auch bei der Beurteilung der Anbieter anhand der ausgewählten Eig- nungskriterien kommt der Vergabestelle ein weiter Ermessenspiel- raum zu (AGVE 2013, S. 220; VGE III/19 vom 26. Februar 2016 [WBE.2015.513], S. 4 f.; G ALLI /M OSER /L ANG /S TEINER , a.a.O., Rz. 564, 608 und 611 mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht hat nur dann einzugreifen, wenn die Vergabestelle ihr Ermessen über- schritten oder missbraucht hat. 3.2. Im Pflichtenheft 1/Präqualifikation für die Unterhaltsreinigung Teil 2 vom 30. Juni 2016 werden in Ziff. 6.1 die folgenden Eignungs- kriterien genannt: Eign-1a und 1b Fachliche und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit: Referenzen [...] Eign-2Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit: Umsatzzahlen Eign-3 Finanzielle Leistungsfähigkeit: Betreibungsregisterauszug Eign-4 Finanzielle Leistungsfähigkeit: Versicherungen Eign-5 Finanzielle Leistungsfähigkeit: Handelsregisterauszug Eign-6 Finanzielle Leistungsfähigkeit: Geschäftsbericht, Erfolgsrech- nung und Bilanz Eign-7 Selbstdeklaration Eign-8 Bestätigungen Im Anhang 2 zum Pflichtenheft wurden die Eignungskriterien und die geforderten Nachweise näher präzisiert. Das umstrittene Eignungskriterium 6 lautet folgendermassen: Eign-6 Der Anbieter verfügt über eine Geschäftsberichte, Er- ausgewiesene finanzielle Leis- folgsrechnungen und tungsfähigkeit Bilanzen der letzten 3 Jahre 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 192 3.3. Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin die geforderten Erfolgsrechnungen und Bilanzen der letzten drei Jahre ihrem Teilnahmeantrag bzw. ihren Präqualifikationsunterlagen nicht beige- legt hat. In ihren Präqualifikationsunterlagen hält sie ausdrücklich fest: "Gerne haben wir Ihnen unsere Geschäftsberichte der letzten drei Jahre beigelegt (2013 - 2015). Unsere Erfolgsrechnungen und Bilanzen möchten wir Ihnen nicht beilegen. Bei Auftragserteilung gewähren wir Ihnen gerne Einblick in die gewünschten Dokumente. Besten Dank für Ihr Verständnis." Demzufolge steht ohne weiteres fest, dass ihre Präqualifikationsunterlagen bzw. ihr Teilnahmeantrag unvollständig ist, da von der Vergabestelle ausdrücklich geforderte Eignungsnachweise fehlen. Die Beschwerdeführerin vertritt den Standpunkt, dass es sich hierbei höchstens um einen untergeordneten Mangel handeln könne, der einen Verfahrensausschluss nicht zu rechtfertigen vermöge. Ihre finanzielle Eignung ergebe sich klarer- weise aus den übrigen von ihr eingereichten Unterlagen, insbeson- dere den abgegebenen Geschäftsberichten 2013 - 2015, welche die Umsatzentwicklung seit 1997 aufzeigten, über die wesentlichen Kennzahlen und über die Bonität Auskunft gäben sowie den Bericht der Revisionsstelle zur Jahresrechnung enthielten. 3.4. Aus § 10 Abs. 1 SubmD folgt, dass die Vergabestelle im Hin- blick auf den zu vergebenden Auftrag festzulegen hat, welche Nach- weise sie für die Prüfung u.a. der finanziellen Eignung als unerläss- lich erachtet. Das Submissionsdekret macht dabei keine näheren Angaben zu den zu erhebenden und zu prüfenden Unterlagen. Im Gegensatz dazu enthält etwa Anhang 3 Ziff. 1 - 17 der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen vom 11. Dezember 1995 (VöB; SR 172.056.11) eine umfangreiche Liste von zulässigen Nach- weisen, die zur Überprüfung der Eignung erhoben und eingesehen werden. Dazu gehören gemäss Ziff. 11 auch "Bilanzen oder Bilanzauszüge des Unternehmens für die letzten drei Geschäftsjahre vor der Ausschreibung". Im Bundesvergaberecht ist das Einverlangen der Bilanzen als zulässiger Nachweis der finanziellen Eignung somit ausdrücklich vorgesehen. Die Vergabestelle weist völlig zu Recht 2016 Submissionen 193 darauf hin, dass sich den Bilanzen und Erfolgsrechnungen wesentlich weitergehende und detailliertere Informationen entnehmen liessen als dies beim Geschäftsbericht der Fall sei. Insbesondere könnten - im Sinne einer Gesamtsicht - auch Zusammenhänge erkannt und nach- vollzogen werden, was bei den "nackten" Zahlen des Geschäftsbe- richts nicht der Fall sei. Zu beachten ist weiter, dass es vorliegend um die Vergabe eines umfangreichen Dienstleistungsauftrags für die Dauer von drei Jahren (mit der Option auf zwei weitere Jahre) geht. Auch insofern ist das Interesse der Vergabestelle an einer vertieften Prüfung der wirtschaftlichen Situation der Anbieter aufgrund verläss- licher Unterlagen ohne weiteres nachvollziehbar. Inwiefern die Vergabestelle durch die Anforderung, zum Nachweis der finanziellen Eignung seien Geschäftsberichte, Bilanzen und Erfolgsrechnungen der letzten drei Jahre einzureichen, vorliegend ihr Ermessen über- schritten oder gar missbraucht hat, ist nicht ersichtlich. Von über- spitztem Formalismus kann nicht die Rede sein. 3.5. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, es wäre der Vergabestelle ohne weiteres möglich gewesen, die Bilanzen und Er- folgsrechnungen noch anzufordern, ist festzuhalten, dass das Einrei- chen der ausdrücklich geforderten Unterlagen nicht etwa versehent- lich unterblieben ist, sondern dass die Beschwerdeführerin ganz be- wusst davon abgesehen hat. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von demjenigen, der dem von der Beschwerdeführerin herangezogenen Entscheid vom 25. Oktober 2005 (AGVE 2005, S. 252 ff., 256) zugrunde lag. Schon insofern erscheint es mehr als fraglich, ob die Vergabestelle über- haupt berechtigt gewesen wäre, der Beschwerdeführerin die Möglichkeit einzuräumen, die verlangten Unterlagen noch nachzu- reichen, um so ihre Bewerbung nachträglich zu vervollständigen (vgl. AGVE 1999, S. 345 ff.; 1998, S. 399 f.; ferner AGVE 2005, S. 254). Eine Verpflichtung, der Beschwerdeführerin eine solche Nachbesserung zu ermöglichen, bestand jedenfalls nicht (vgl. auch G ALLI /M OSER /L ANG /S TEINER , a.a.O., Rz. 453). Auch insofern hat die Vergabestelle das ihr zukommende Ermessen nicht überschritten und nicht überspitzt formalistisch gehandelt.
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AG_VG
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AG_VG_001_AGVE-2016-30_2016-11-03
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2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 173 [...] 34 Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) - Die Planungspflicht des Gemeinwesens und die Behördenverbind- lichkeit des Richtplans erfordern, dass die Erhaltungsziele des ISOS in der allgemeinen Nutzungsplanung berücksichtigt und in die In- teressenabwägung einbezogen werden. - Im konkreten Fall erfordert das hohe Erhaltungsziel der Umge- bungsrichtung eine umfassende Interessenabwägung, was die voll- ständige Feststellung der relevanten Interessen des Ortsbildschutzes voraussetzt. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. August 2013 in Sachen A., B. und C. gegen Gemeinderat Klingnau und Regierungsrat (WBE.2012.402). Aus den Erwägungen 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 174 3.2. Klingnau ist als Kleinstadt von nationaler Bedeutung im Bun- desinventar der schützenswerten Ortsbilder aufgeführt (vgl. Verord- nung über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz vom 9. September 1981 (VISOS; SR 451.12), Anhang). Das Gebiet "Mülihof" ist gemäss Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) in der Umgebungsrichtung (U-Ri) II in unmittel- barer Nähe zur Altstadt. Die U-Ri II wird als weitgehend unverbautes Aufschüttungsgelände gegen die Aare beschrieben. Gemäss Inventar gehört die U-Ri II zur Aufnahmekategorie "a" ("unerlässlicher Teil des Ortsbildes, unverbaut oder mit Bauten, die der ursprünglichen Beschaffenheit der Umgebung entsprechen") und das Erhaltungsziel wird ebenfalls mit "a" ("Erhalten der Beschaffenheit als Kulturland oder Freifläche") angegeben. Das Gebiet U-Ri II ist daher von beson- derer Bedeutung für das Ortsbild von Klingnau (vgl. ISOS Kanton Aargau I, S. 381 ff., L-Blatt). Zum Ortsbild wird festgehalten, es handle sich um eine mittel- alterliche Kleinstadt auf einer langgezogenen Hügelkuppe (Umlauf- berg) am rechtseitigen Aareufer, einst mit direktem Anstoss an den Wasserlauf, heute durch das breite mehrheitlich unverbaute Vorge- lände (Aarekorrektion) davon abgetrennt. Trotz ausgedehnten allsei- tigen Überbauungen des 20. Jahrhunderts bestünden partiell intakte Stadtansichten von der Aare her und im nordseitigen Nahbereich. Mit Bezug auf das Wachstum der Gemeinde wird ausgeführt, als grössere zusammenhängende Freiflächen seien einzig noch das Aufschüt- tungsgelände gegen die Aare hin sowie der nördliche Umgebungsbe- reich beim Klosterbezirk übrig geblieben. Neben den kategorisierten Erhaltungszielen sei ein absolutes Bauverbot in der Nahumgebung zwischen Altstadt und Bahnlinie sowie im aareseitigen Vorgelände zu beachten (ISOS, a.a.O., O-Blatt). 3.3. Gemäss dem Bauzonenplan der Stadt Klingnau (beschlossen von der Gemeindeversammlung am 9. Juni 2011, genehmigt vom Regierungsrat im angefochtenen Beschluss vom 5. September 2012) sind die Parzellen 1155 und 1156 wie das gesamte Gebiet "Mülihof" der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (öBA) zugewiesen 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 175 (§ 15 Abs. 2 lit. a BauG). Diese Zonierung galt seit der Zonenpla- nung 1972. Gemäss § 19 Abs. 3 BNO hat das im Bauzonenplan bezeichnete Gebiet "Mülihof" die Funktion eines Schutzgürtels um die Altstadt. Alle Bauten sollen durch Stellung, Gestaltung und Bauvolumen auf die benachbarte Altstadt Rücksicht nehmen. (...) 4. 4.1. Durch die Aufnahme eines Objektes von nationaler Bedeutung in ein Inventar des Bundes wird dargetan, dass es in besonderem Masse die ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls unter Einbezug von Wiederherstellungs- oder angemessenen Ersatzmassnahmen die grösstmögliche Schonung verdient (Art. 6 Abs. 1 NHG). Ein Abwei- chen von der ungeschmälerten Erhaltung im Sinne der Inventare darf bei Erfüllung einer Bundesaufgabe nur in Erwägung gezogen wer- den, wenn ihr bestimmte gleich- oder höherwertige Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen (Art. 6 Abs. 2 NHG). Der von den Inventaren ausgehende Schutz ist damit im Grundsatz an eine Interessenabwägung geknüpft; diese fällt umso strenger aus, als Eingriffe in Schutzobjekte von nationaler Bedeutung einer quali- fizierten Rechtfertigung im Sinne von gleich- oder höherwertigen Interessen von nationaler Bedeutung bedürfen (BGE 135 II 209, Erw. 2.1; A RNOLD M ARTI , Das Schutzkonzept des Natur- und Hei- matschutzgesetzes auf dem Prüfstand, in: SJZ 104/2008, S. 85). Die- se Schutzbestimmung gilt indes, wie Art. 6 Abs. 2 NHG festhält, lediglich bei der Erfüllung von Bundesaufgaben (Art. 2 und 3 NHG) in unmittelbarer Weise. Bei der Erfüllung von kantonalen (und kom- munalen) Aufgaben - wozu im Grundsatz die Nutzungsplanung zählt - wird der Schutz von Ortsbildern durch kantonales (und kommu- nales) Recht gewährleistet. Dies ergibt sich verfassungsrechtlich aus Art. 78 Abs. 1 BV, wonach die Kantone für den Natur- und Heimatschutz zuständig sind (BGE 135 II 209, Erw. 2.1; Urteil des Bundesgerichts vom 10. Dezember 2004 [1A.142/2004], Erw. 4.2, in: ZBl 106/2005, S. 602; A RNOLD M ARTI , in: St. Galler Kommentar zur BV, 2. Aufl., 2008, Art. 78 N 4 f.). 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 176 Auch bei der Erfüllung von kantonalen (und kommunalen) Auf- gaben sind Bundesinventare wie das ISOS von Bedeutung. Im Rah- men der allgemeinen Planungspflicht der Kantone (Art. 2 RPG) le- gen diese die Planungsgrundlagen in ihrer Richtplanung fest (Art. 6 RPG; § 8 BauG) und berücksichtigen die Bundesinventare (Art. 4a VISOS). Nach der Lehre und der bundesgerichtlichen Recht- sprechung kommen die Inventare ihrer Natur nach Sachplänen und Konzepten im Sinne von Art. 13 RPG gleich (vgl. dazu BGE 135 II 209, Erw. 2.1; A RNOLD M ARTI , Bundesinventare - eigenständige Schutz- und Planungsinstrumente des Natur- und Heimatschutz- rechts, in: URP 2005, S. 619; J ÖRG L EIMBACHER , in: Schweizerische Vereinigung für Landesplanung [VLP; Hrsg.], Bundesinventare, Die Bedeutung der Natur- und Landschaftsschutzinventare des Bundes und ihre Umsetzung in der Raumplanung, Bern 2000, S. 68 ff.; Empfehlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Berücksich- tigung der Bundesinventare nach Artikel 5 NHG in der Richt- und Nutzungsplanung vom 15. November 2012, S. 6; dazu kritisch: N INA D AJCAR , Natur- und Heimatschutz-Inventare des Bundes, Schriften- reihe zum Umweltrecht, Band 23, Zürich 2011, S. 197 f.). 4.2. Nach § 36 Abs. 2 KV sorgt der Kanton für die Erhaltung der Kulturgüter. Er schützt insbesondere erhaltenswerte Ortsbilder sowie historische Stätten und Baudenkmäler (vgl. hierzu: K URT E ICHENBERGER , Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1986, § 36 N 4). Nach § 40 Abs.1 BauG sind die Erhaltung, die Pflege und die Gestaltung von Landschaften, von Gebieten und Objekten des Natur- und Hei- matschutzes sowie von Ortsbildern und Aussichtspunkten Sache des Kantons und der Gemeinden. Für diese Schutzobjekte treffen sie insbesondere Massnahmen, um Ortsbilder entsprechend ihrer Bedeu- tung zu bewahren und Siedlungen so zu gestalten, dass eine gute Ge- samtwirkung entsteht (lit. f). Zu diesen Massnahmen gehören auch die Nutzungsplanungen der Gemeinden. Der Richtplan 2011 des Kantons Aargau nimmt in Kap. S 1.5 (Ortsbilder, Kulturgüter und historische Verkehrswege) ausdrücklich auf das ISOS und die gesetzliche Grundlage in Art. 5 f. NHG Bezug. 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 177 Dem Schutz und der Erhaltung bedeutender Ortsbilder dienen als Vorgaben die Planungsgrundsätze A und B und die Planungsanwei- sungen und örtlichen Festlegungen gemäss den Beschlüssen 1.1 bis 1.3 (vgl. Richtplantext S 1.5, S. 5). Ziffer 3 des Grossratsbeschlusses über den kantonalen Richtplan vom 20. September 2011 (Richtplan- beschluss; SAR 713.140) enthält für die Genehmigung von kommu- nalen Nutzungsplanungen eine Übergangsbestimmung. Da die ange- fochtene Nutzungsplanung am 2. September 2009 abschliessend vor- geprüft wurde, der Richtplanbeschluss am 26. Dezember 2011 in Kraft getreten ist (Richtplanbeschluss Ziff. 6; AGS 2011/6-13), ist für die Beurteilung der Richtplankonformität hier der Richtplan 1996 (Beschluss des Grossen Rates über den kantonalen Richtplan vom 17. Dezember 1996 [Richtplanbeschluss 1996; SAR 713.130]) weg- leitend. Gemäss den Richtplanbeschlüssen 1996 zu Kap. S 3.2 (Orts- bilder und historische Verkehrswege; Richtplantext 1996 [Stand 31. März 2001], S. 28) werden die Ortsbilder von nationaler Bedeutung in ihrer Einstufung nach ISOS anerkannt und festgesetzt (Beschluss 1.1 Satz 2). Die Gemeinden mit einem Ortsbild von nationaler Bedeutung "sorgen - soweit dies noch nicht erfolgt ist - mit planeri- schen Instrumenten für die Umsetzung der Ziele des ISOS" (Be- schluss 1.2) und das ISOS ist eine Grundlage bei der Interessenabwä- gung, Planung und Projektierung (Beschluss 1.3). Das Ortsbild von nationaler Bedeutung der Stadt Klingnau ist in der Gesamtkarte des Richtplans 1996 eingetragen. Mit der Gesamt- revision wurden der Bauzonenplan und die Bauordnung 1988 sowie die Teiländerungen Bauzonenplan und Bauordnung vom 25. Juni 1993 aufgehoben (§ 60 BNO). Sie alle datieren vor dem Inkrafttreten des Richtplanes 1996 (17. Februar 1997; AGS 1997, S. 48). Nach- dem auch die Bestimmung in § 19 Abs. 3 BNO praktisch mit unverändertem Wortlaut von § 46 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 der Bau- ordnung vom 26. April 1988 (genehmigt am 5. März 1991) übernom- men wurde, fand im Rahmen der Gesamtrevision keine, jedenfalls keine vertiefte Beurteilung der Umsetzung der Ziele des ISOS statt (vgl. dazu hinten Erw. 4.4). Dies wird durch den Gemeinderat auch indirekt bestätigt, als festgehalten wird, dass die Gemeinde dem 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 178 Ortsbildschutz hohes Gewicht schon vor dem Inkrafttreten des ISOS (am 1. Juni 1988) beigemessen habe. 4.3. Der Richtplan 1996 zeigt auf, wie die raumwirksamen Tätigkei- ten im Hinblick auf die anzustrebende Entwicklung aufeinander abzustimmen sind (Art. 8 Abs. 1 lit. a RPG). Er enthält die Ergeb- nisse der kantonalen Planung, Anweisungen für die weitere Planung und insbesondere auch Vorgaben für die Zuweisung der Boden- nutzungen (Art. 5 Abs. 1 RPV). Der kantonale Richtplan hält jedoch nicht abschliessend fest, wie die Raumordnung auszusehen hat (P IERRE T SCHANNEN , in: H EINZ A EMISEGGER /A LFRED K UTTLER / P IERRE M OOR /A LEXANDER R UCH [Hrsg.], Kommentar zum Bundes- gesetz über die Raumplanung [RPG-Kommentar], Zürich 1999, Vor- bemerkungen zu Art. 6-12 N 20), sondern er legt behördenverbind- lich die erwünschte Raumordnung fest (Art. 9 Abs. 1 RPG). Er setzt mithin nicht Zustände als solche, sondern Grundsätze und Vorkehren im Hinblick auf angestrebte Zustände fest. Der Richtplan bedarf der wertenden Umsetzung in der kommunalen Nutzungsplanung. Diese Aufgaben werden vom Richtplan zwar mitgesteuert; primär folgen sie aber ihrer eigenen Rechtsgrundlage, also den Art. 14 ff. RPG für den Nutzungsplan und den einschlägigen Sachgesetzen für alle weiteren raumwirksamen Aufgaben (AGVE 1999, S. 112). Die Planungsträger sind im Allgemeinen und beim Schutz von Ortsbildern von nationaler Bedeutung im Besonderen verpflichtet, bei der Umsetzung der Richtplanvorgaben eine Interessenabwägung vorzunehmen (Art. 3 Abs. 1 RPV; § 27 Abs. 2 BauG; Richtplan 1996, Kapitel S 3.2, Beschlüsse 1.2 und 1.3; vgl. AGVE 1997, S. 252; M ARTIN G OSSWEILER , Kommentar zum Baugesetz des Kan- tons Aargau, Bern 2013, Vorbem. zu §§ 8 f. N 139 ff. mit Hinwei- sen). Die Aufnahme im Eidgenössischen Inventar der schützenswer- ten Ortsbilder der Schweiz beinhaltet die räumliche Umschreibung des Gebiets mit Interesse an der Erhaltung des Ortsbildes (Art. 1 lit. a NHG; Richtplantext 1996, Stand 31. März 2001 [Richtplantext 1996], Kapitel S 4.3) und sie dient der Vorbereitung von Schutzmass- nahmen in der Nutzungsplanung (§ 40 Abs. 1 BauG). Das Inventar 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 179 bildet aber nicht Bestandteil des Richtplanbeschlusses (Botschaft des Regierungsrats vom 19. Juni 1996, S. 4; Richtplantext 1996, S. 2). Art. 2 RPG und § 13 BauG verpflichten die Gemeinden unter Beachtung der Behördenverbindlichkeit des Richtplans (Art. 9 Abs. 1 RPG) zur Planung nach Massgabe von § 15 Abs. 1 BauG. Das Schutzkonzept für die Bundesinventarobjekte und die Richtplanvor- gaben im Kapitel S 4.3 verlangen den Einbezug und die Berücksich- tigung der Erhaltungsziele des ISOS im Planfestsetzungsverfahren. Im vorliegenden Fall erfordert daher die Zonierung des Gebiets "Mülihof" eine umfassende Interessenabwägung gemäss Art. 3 RPV mit den Erhaltungszielen der U-Ri II, wie sie im Listen - Blatt (L) des ISOS dargestellt sind. Dabei sind auch die Erläuterungen und Hinweise im Ortsblatt (O-Blatt) zu berücksichtigen. Diese Vorgaben sind insbesondere bei einer Gesamtrevision zu beachten. 4.4.-4.5. (...) 4.6. Für die Umgebungsrichtung "Mülihof" ist im Inventar das Er- haltungsziel a (höchste Einstufung) und ein "absolutes Bauverbot" im Aufschüttungsgelände gegen die Aare bzw. das aareseitige Vorge- lände formuliert. Eine Umgebungsrichtung ist gemäss den Erläute- rungen zum ISOS ein "Bereich von ein- und mehrseitig unbegrenzter Ausdehnung, meist von Bedeutung für den weiträumigen Bezug zwi- schen Bebauung und Landschaft, z.B. Vorder-/Hintergrund, angren- zendes Kulturland, Talhänge, Uferpartien, Flussraum, Neuquartiere." Für das Erhaltungsziel "a" werden als geeignete Massnahmen ange- führt: Bedeutung der Beschaffenheit im Detail abklären, geeignete Nutzungszuweisungen suchen, Auszonen und als Freihaltegebiet be- zeichnen, spezielle, an die Umgebung angepasste Vorschriften erlas- sen, Gestaltungsplanobligatorium einführen, Einzelbäume oder Baumgruppen und Hecken unter Schutz stellen (vgl. dazu Erläu- terungen zum ISOS und die Anmerkungen 15 bis 20). Die Umge- bungsrichtung (U-Ri) dient der Berücksichtigung der optischen Wahrnehmung von offenen, nicht abgrenzbaren Umgebungszonen. Die von der Gemeinde gewählte Zonierung betrifft weder die Altstadt, die Vorstädte noch schützenswerte Bauten in ihrer Substanz, sie tangiert aber die Umgebungsrichtung mit dem hohen Erhaltungs- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 180 ziel. Das ISOS macht diesbezüglich klare Zielvorgaben und betont die Bedeutung der noch unbebauten Fläche im Gebiet "Mülihof" für die Sichtbarkeit des Ortsbilds. Die Formulierung des Schutzzieles im ISOS führt nicht dazu, dass seine Beeinträchtigung absolut ausge- schlossen wäre (vgl. J ÖRG L EIMBACHER , in: P ETER M. K ELLER / J EAN -B APTISTE Z UFFEREY /K ARL L UDWIG F AHRLÄNDER [Hrsg.] Kommentar NHG, Zürich 1997, Art. 6 N 16). Vielmehr ist von den Behörden im Verfahren der Nutzungsplanung eine umfassende Inte- ressenabwägung vorzunehmen (L EIMBACHER , Bundesinventare, a.a.O., S. 35 f.). Diese Interessenabwägung verlangt vorab eine Er- mittlung und Feststellung der relevanten Interessen des Ortsbild- schutzes im Gebiet "Mülihof". Ausgewiesen ist ein Interesse an der Erhaltung der Sicht auf die Silhouette der Altstadt. Zum konkreten Inhalt und zur Ausgestaltung des Schutzes mit Bezug auf die schutzwürdige Ortsansicht, hinsicht- lich der Standorte, von denen aus eine solche Sicht zu gewährleisten ist, bestehen keine Planungsunterlagen und auch die (Ziel-) Vor- stellungen der Gemeinde, der kantonalen Fachbehörden und der Be- schwerdeführer sind wenig konkret, nicht klar und sehr verschieden. So blieben wesentliche Fragen, ob für die "einzige, unverbaute oder nicht partiell verbaute" Ansicht (Frontalansicht vom Aare-Damm) die unterste Häuserzeile zum Schutzbereich gehöre, eingeschossige Ge- bäude gänzlich ausgeschlossen sind oder letztlich das "heutige Ge- samtbild" mit den Bäumen das Schutzziele bilde, offen. Auch die Be- deutung des landwirtschaftlichen Hofes des Beschwerdeführers 3 im Verhältnis zum Freihalteziel des ISOS ist nicht geklärt. Aus der Blickrichtung des Pontonier-Hauses liessen sich nach Auffassung der kantonalen Fachstelle verschiedene Umsetzungen des Schutzzieles differenzieren. Letzteres ist insofern bemerkenswert, als nach dem Lageplan die Richtung Nord-Nordwest die Hauptrichtung für den weiträumigen Bezug darstellen sollte. Aus den fehlenden Planungsgrundlagen zur Umsetzung der Schutzziele des ISOS in der angefochtenen Gesamtrevision, den va- gen Vorstellungen der Planungsbehörden und der kantonalen Fach- stellen zum Inhalt und Ziel des Ortbildschutzes in der U-Ri II ist zu schliessen, dass die Erhebung der relevanten Interessen des Ortsbild- 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 181 schutzes jedenfalls unvollständig war. Die unzureichende Interessen- feststellung im Gebiet "Mülihof" führte zu einer ungenügenden und mangelhaften Beurteilung und Abwägung der relevanten Interessen. Ein solche Planung und ein solches Planergebnis verletzen Art. 3 Abs. 1 und 2 RPV. 5. 5.1. Die Beibehaltung der seit der Zonenplanrevision 1972 beste- henden Zonierung bringt an sich keine Änderung des Ortsbilds mit sich. Zum vornherein unzulässig wäre die angefochtene Zonierung nur, wenn aufgrund der Vorgaben des übergeordneten Rechts eine Bebauung der Parzellen 1155 und 1156 zum vornherein ausgeschlos- sen wäre. Dies ist aus mehreren Gründen nicht der Fall. Einerseits ist die Parzelle 1156 mit mehreren Gebäuden des landwirtschaftlichen Hofs des Beschwerdeführers 3 bereits überbaut. Der Ortsbildschutz in der U-Ri II verbietet nicht zum vornherein jede Bautätigkeit. Die Schutzobjekte des ISOS sind nicht durch generelle (abstrakte) Verän- derungsverbote oder Nutzungseinschränkungen geschützt (vgl. vorne Erw. 4.1). Die Umsetzung des Erhaltungsziels ist durch verschiedene planerische Instrumente, zum Beispiel Bestimmung von Freiflächen, Baufeldern, Bauhöhen oder eine Gestaltungsplanungsvorschrift, Nut- zungsvorschriften, welche eine Abstimmung und fachkundige Inte- ressenabwägung vorschreiben, möglich (vgl. dazu Praktische An- wendung des ISOS; ISOS Kanton Aargau II, S. 739 ff.; Richtplan 2011, Kap. S 1.5, Planungsgrundsatz B [Richtplantext Kap. S 1.5, S. 5]; Empfehlung 2012, S. 9); BGE 135 II 209, Erw. 5.1; Urteil des Bundesgerichts vom 6. Oktober 2003 [1A.73/2002], Erw. 5.2). Im vorliegenden Fall drängt sich aufgrund der zahlreichen Veränderungen in der U-Ri II auch die Frage auf, ob und wie das Er- haltungsziel (noch) verwirklicht werden kann. Die freie Sicht vom aareseitigen Vorgelände auf die Silhouette der Altstadt war bei der Inventarisierung "partiell intakt" (O-Blatt; Bewertung). Die nationale Bedeutung des Ortbildes von Klingnau gemäss ISOS bedeutet nicht, dass am bestehenden Zustand, der hier ohnehin schwierig festzustel- len ist (vgl. vorne Erw. 4.5), nichts mehr verändert werden kann. All- gemeines Ziel unter dem Ortsbildschutzaspekt für die U-Ri II ist 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 182 vielmehr, dass an der erkennbaren und einsehbaren Altstadt-Silhou- ette - gesamthaft betrachtet - keine Verschlechterung eintritt. Ge- ringfügige Nachteile müssten durch anderweitige Vorteile mindes- tens ausgeglichen werden (BGE 127 II 273, Erw. 4c mit Hinweisen).
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AG_VG_001
AG_VG
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Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2013-34_2013-08-03
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2002 Verwaltungsgericht 178 47 Einkommen. Alimente in Form von Naturalleistung (§ 22 Abs. 1 lit. h StG). - Überlassung, anlässlich der Trennung, der im Eigentum des Ehe- manns stehenden Wohnung an die Ehefrau; diese hat den Eigenmiet- wert als Alimentenleistung zu versteuern (Erw. 1, 2/a,b, 3/a). - Die Ehefrau kann nur Liegenschaftsunterhaltskosten abziehen, die sie effektiv tragen muss (Erw. 2/c). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. Januar 2002 in Sa- chen F.M. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Publiziert in StE 2003, B 26.22 Nr. 3.
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2003 Kantonale Steuern 121 37 Liegenschaftsertrag, Liegenschaftsunterhaltskosten. - Der Käufer einer Liegenschaft ist ab Übergang von Nutzen und Scha- den für den Ertrag steuerpflichtig und gleichzeitig zum Abzug der Liegenschaftsunterhaltskosten berechtigt. Ein Vorverlegen des Über- gangs von Nutzen und Schaden vor den Vertragsschluss ist nichtig und steuerlich unbeachtlich. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 5. Dezember 2003 in Sachen E.F. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Zur Publikation vorge- sehen in StE 2004. Sachverhalt E. und B.F. bewohnen das Dreifamilienhaus seit dessen Erstel- lung anfangs der 70er Jahre. Mit öffentlich beurkundetem Kaufver- trag vom 24. September 1993 erwarb E.F. dieses von seinem Vater zum Steuerwert, wobei Nutzen und Gefahr gemäss Vertrag rück- wirkend per 1. Januar 1993 auf den Käufer übergingen. In den Be- messungsjahren 1993 und 1994 nahmen E. und B.F. grössere Bauar- beiten an der Liegenschaft vor, namentlich zur Verbesserung des Schallschutzes. Insgesamt wurden für die baulichen Massnahmen rund Fr. ... ausgegeben und als Liegenschaftsunterhaltskosten zum Abzug geltend gemacht mit der Begründung, die Massnahmen stell- ten Unterhalt dar und hätten keine Wertsteigerung der Liegenschaft bewirkt. Die Steuerkommission anerkannte die geltend gemachten Liegenschaftsunterhaltskosten nur teilweise als abzugsfähig. Das Steuerrekursgericht hob den Einspracheentscheid auf und wies das Verfahren an die Steuerkommission zurück, u.a. weil zu Unrecht Liegenschaftsunterhaltskosten vor dem Eigentumsübergang zum Abzug zugelassen worden seien. In seiner Vernehmlassung zur Beschwerde der Steuerpflichtigen beantragte das KStA die Gutheis- sung der Beschwerde mit Bezug auf die Abzugsfähigkeit von Lie- genschaftsunterhaltskosten ab Übergang von Nutzen und Schaden. 2003 Verwaltungsgericht 122 Aus den Erwägungen 3. a) Wer für den Ertrag steuerpflichtig ist, ist auch berechtigt, die entsprechenden Gewinnungskosten zum Abzug zu bringen (Peter Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil, Therwil/Basel 2001, Art. 32 N 2). Das Gesetz besagt, dass das gesamte Einkommen jeder Art steuerbar ist, insbesondere Einkünfte aus Liegenschaften wie Miet- und Pachtzinse (§ 22 Abs. 1 lit. e aStG) ebenso wie die Eigennutzung von Liegenschaften (§ 22 Abs. 2 aStG) und Einkünfte aus der Verlei- hung oder Nutzung von Rechten wie Nutzniessung (§ 22 Abs. 1 lit. e aStG; § 9 aStGV), ohne den Steuerpflichtigen ausdrücklich zu nen- nen. Steuerpflichtig für Liegenschaftsertrag ist, wem die Einkünfte oder die Eigennutzung zugute kommen, somit der Eigentümer (je- denfalls wenn ihm zusammen mit dem Eigentum auch die Nutzung zusteht, was in aller Regel der Fall ist), der Nutzniesser sowie der Wohnrechtsberechtigte. Wer für den Liegenschaftsertrag nicht steu- erpflichtig ist, kann keine Liegenschaftsunterhaltskosten geltend ma- chen, selbst wenn er sie selber getragen hat (Walter Koch, in: Kom- mentar zum Aargauer Steuergesetz, Muri/BE 1991, § 24 N 241; vgl. auch Merkblatt Liegenschaftsunterhalt des KStA, Stand 1. Januar 1995, S. 8). Bei der rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragung fallen der Übergang des Eigentums einerseits und derjenige von Nutzen und Schaden andererseits zeitlich mehr oder weniger auseinander. Vorbe- hältlich abweichender Vereinbarung gehen Nutzen und Gefahr mit Abschluss des Kaufvertrags auf den Erwerber über (Art. 185 OR). Das Eigentum wird demgegenüber erst mit dem entsprechenden Ein- trag im Grundbuch erworben (Art. 656 Abs. 1 ZGB). Der Eigentums- erwerb folgt deshalb dem Vertragsschluss nach, je nach dem Zeit- punkt der Grundbuchanmeldung mit kleinerer oder grösserer Verzögerung. Ist die zeitliche Differenz gering (im vorliegenden Fall erfolgte die Grundbuchanmeldung noch am Tag des Vertragsschlus- ses) und in einem konkreten Fall ohne Relevanz, kommt es leicht vor, dass unexakt formuliert und zwischen dem Vertragsschluss (bzw. dem Übergang von Nutzen und Gefahr) und dem Eigentumserwerb 2003 Kantonale Steuern 123 nicht bewusst unterschieden wird, obwohl der Vertragsschluss erst den Anspruch auf die Eigentumsübertragung begründet. b) aa) Abweichend vom Erwerbsdatum gingen gemäss Vertrag vom 24. September 1993 Nutzen und Schaden am Kaufobjekt bereits am 1. Januar 1993 auf den Beschwerdeführer E.F. über. Während die Steuerkommission auf dieses Datum abstellte, entschied das Steuer- rekursgericht auf Massgeblichkeit des Eigentumsübergangs. Vor dem Eigentumserwerb getätigte Aufwendungen qualifizierte es deshalb nicht als Liegenschaftsunterhaltskosten, sondern vollumfänglich als Anlagekosten. Es verneinte die Möglichkeit, vor dem Eigentumser- werb freiwillig den Eigenmietwert als Einkommen zu versteuern und kompensationsweise die Liegenschaftsaufwendungen zum Abzug zu bringen. Das KStA hält, in Übereinstimmung mit der Steuerkommission, für die Anknüpfung der Besteuerung des Liegenschaftsertrags und der Abzugsfähigkeit der Liegenschaftsunterhaltskosten den Zeitpunkt des Übergangs von Nutzen und Schaden für sachgerecht. Eine eigentliche gesetzliche Grundlage vermag es dazu nicht zu benennen. § 22 Abs. 2 und 24 lit. c Ziff. 3 aStG würden diese Praxis aber auch nicht ausschliessen. bb) Die Frage, wann die Steuerpflicht für den Liegenschaftser- trag beginnt oder endet, wird in den einkommenssteuerrechtlichen Bestimmungen sowohl des aStG als auch der aStGV offen gelassen (AGVE 1995, S. 448). Von der Lehre wird, soweit sie sich dazu überhaupt äussert, verschiedentlich der Übergang von Nutzen und Schaden als massgebend betrachtet (ASA 57/1988-89, S. 396, mit Hinweisen). In der Rechtsprechung findet sich keine klare Antwort, ob für den Beginn der Steuerpflicht auf das Datum der öffentlichen Beurkundung, den Übergang von Nutzen und Schaden oder den Ein- trag im Grundbuch abzustellen ist. Die Frage konnte zumeist offen gelassen werden (BGE 95 I 32). Angesichts der zahlreichen Mög- lichkeiten, die den Parteien bei der vertraglichen Ausgestaltung eines Liegenschaftskaufs offen stehen, hat es das Bundesgericht abgelehnt, den Zeitpunkt des Überganges von Nutzen und Gefahr generell als massgebend zu bezeichnen (ASA 57/1988-89, S. 396). Immerhin liegt es wirtschaftlich nahe, dass die Besteuerung des Liegenschafts- 2003 Verwaltungsgericht 124 ertrags (und als Pendant dazu der Abzug der Liegenschaftsunterhalts- kosten) mit der privatrechtlichen Berechtigung am Nutzen (und Schaden) übereinstimmen sollen (vorne Erw. a). Das KStA macht denn auch geltend, nur das Abstellen auf den Übergang von Nutzen und Schaden vermöge den steuerlichen, wirtschaftlichen und voll- zugspraktischen Begebenheiten Rechnung zu tragen. c) Es ist zulässig, durch vertragliche Vereinbarung von der Regelung des Art. 185 OR (vorne Erw. a) abzuweichen; diese bedarf bei Liegenschaften zur Verbindlichkeit der öffentlichen Beurkundung (Art. 216 Abs. 1 OR). Möglich ist insbesondere ein Hinausschieben der Gefahrtragung vom Vertragsabschluss bis zur späteren Übergabe der Sache (Art. 220 OR; ASA 57/1988-89, S. 391 ff.; StE 1991, B 25.6 Nr. 23, mit Hinweisen). Ausgeschlossen ist dagegen der rück- wirkende Übergang von Nutzen und Gefahr, selbst wenn der Erwer- ber bereits im Besitz des Kaufgegenstands ist, weil sich die Frage der Gefahrtragung nur noch für die Zeit zwischen Vertragsschluss und Vollzug des Kaufes stellen kann. Gemäss eindeutiger bundesgericht- licher Rechtsprechung ist die rückwirkende Übertragung von Nutzen und Gefahr als Vereinbarung mit unmöglichem Inhalt zu qualifizie- ren, nichtig (Art. 20 Abs. 1 und 2 OR; ASA 57/1988-89, S. 396 f.) und daher auch für die Steuerbehörden unbeachtlich. Wenn sich die Rechtsverhältnisse zivilrechtlich nicht rückwirkend abändern lassen, ist es ebenso unzulässig, die sich daraus für die Vergangenheit erge- bende Steuerlast durch Parteivereinbarung in steuerlich verbindlicher Weise umzudeuten oder abzuändern (ASA 57/1988-89, S. 397; Lo- cher, a.a.O., Art. 32 N 4). Das KStA unterlässt es, zwischen dem Hinausschieben des Übergangs von Nutzen und Schaden durch vertragliche Vereinbarung und dem Vorverschieben vor den Vertragszeitpunkt genügend zu unterscheiden (im Übrigen liegt auch keinem der vom KStA benann- ten Beispiele ein Vorverschieben vor den Vertragszeitpunkt zu Grunde). Dementsprechend fehlt es an einer Begründung, warum das letztere Vorgehen steuerlich anzuerkennen sei, selbst wenn es sich zivilrechtlich als unzulässig erweist. d) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine An- knüpfung an den Zeitpunkt des Übergangs von Nutzen und Schaden 2003 Kantonale Steuern 125 dann gesetzeskonform und sachgerecht ist, wenn dieser mit dem Datum des öffentlich beurkundeten Kaufvertrags übereinstimmt oder auf Grund einer gültigen Vereinbarung diesem nachfolgt. Dagegen kann die Zurechnung von Mietwert und Tragung der Liegenschafts- unterhaltskosten nicht vor den Vertragsschluss (bzw. vor den Erwerb durch Erbgang oder Urteil) vorverschoben werden; vorher lassen sich Nutzen und Schaden somit nur durch Eingehung eines Nutznies- sungsvertrages oder einer Wohnrechtsvereinbarung übertragen, wel- che der gleichen qualifizierten Form wie der Liegenschaftskauf be- dürfen (Art. 746 Abs. 2, Art. 776 Abs. 3 ZGB). Dies entspricht of- fenbar im Wesentlichen auch der Meinung der Vorinstanz, wenn- gleich diese, wohl beeinflusst durch die geringe Relevanz bei zeitli- cher Nähe von Nutzen- und Eigentumsübergang (vorne Erw. a), den Letzteren als massgeblich bezeichnet hat. e) Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen erweist sich die Zurechnung des Eigenmietwerts und die Berücksichtigung der Lie- genschaftsunterhaltskosten vor dem Erwerb der Liegenschaft am 24. September 1993 als unzulässig. Für den Mietwert bleibt bis dahin der bisherige Eigentümer steuerpflichtig (Koch, a.a.O., § 22 N 435). Die vom Beschwerdeführer bereits vor dem Erwerb getätigten Lie- genschaftsaufwendungen, ausgenommen die Verwaltungs- und Be- triebskosten, gelten vollumfänglich als Anlagekosten (Koch, a.a.O., § 24 N 281). Grundlage der Steuerbemessung für die Veranlagung 1995/96 bilden demnach nur der nach der öffentlichen Beurkundung des Kaufvertrags gezogene Nutzen bzw. der ab diesem Zeitpunkt aufgewendete Liegenschaftsunterhalt.
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AG_VG_001
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AG_VG_001_AGVE-2003-37_2003-12-02
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2011 Submissionen 151 [...] 41 Ausschluss eines Anbieters vom Verfahren Ein spekulatives Angebot, in welchem unter Verletzung entsprechender Preisbildungsregeln mehrere Einheitspreispositionen kombiniert auf- und abgepreist werden, stellt einen Ausschlussgrund dar. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. Juli 2011 in Sachen A. AG gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2011.97). 2011 Verwaltungsgericht 152 Aus den Erwägungen 2. 2.1. Gemäss § 28 Abs. 1 SubmD schliesst die Vergabestelle bei Vor- liegen genügender Gründe Anbietende vom Verfahren aus. Dies gilt insbesondere in den in § 28 Abs. 1 lit. a - h genannten Fällen. Auszu- schliessen sind u.a. Anbietende, deren Angebote wesentliche Form- vorschriften verletzt haben, z.B. durch Unvollständigkeit des Ange- bots oder Änderung der Ausschreibungsunterlagen (§ 28 Abs. 1 lit. g SubmD; vgl. auch § 27 lit. h der Vergaberichtlinien vom 15. April 2009 [VRöB] zur IVöB), oder die der Vergabestelle falsche Aus- künfte erteilt haben (§ 28 Abs. 1 lit. b SubmD; § 27 lit. b VRöB). Be- reits dem Ausdruck "insbesondere" lässt sich entnehmen, dass der Aufzählung der Ausschlussgründe in § 28 SubmD kein abschliessen- der Charakter zukommt. So können beispielsweise sogenannte Un- terangebote unter bestimmten Voraussetzungen vom Verfahren aus- geschlossen werden, obwohl weder das SubmD noch die IVöB ihren Ausschluss ausdrücklich vorsehen (AGVE 1997, S. 368). Ein Aus- schluss von ungewöhnlich niedrigen Angeboten fällt nach Lehre und Rechtsprechung dann in Betracht, wenn - gegebenenfalls auch nach Einholung zusätzlicher Erkundungen - Anlass besteht, an den Fähig- keiten des Anbieters zur Erfüllung des ausgeschriebenen Auftrages zu den angebotenen Konditionen und damit im Ergebnis an der Seriosität des Angebots zu zweifeln (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 23. Februar 2011 [2D_34/2010], Erw. 2.4; Urteil des Bundesge- richts vom 23. Februar 2007 [2P.70/2006], Erw. 4.3; Peter Galli/ André Moser/Elisabeth Lang/Evelyne Clerc, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 1. Band: Landesrecht, 2. Auflage, Zürich 2007, Rz. 714 ff., mit weiteren Hinweisen). Auszuschliessen sind aber auch Angebote, die keine vernünftige Beurteilung des Preis-Leistungsver- hältnisses zulassen und die deshalb mit den übrigen Angeboten nicht oder kaum vergleichbar sind, sowie spekulative Angebote, die gegen explizite oder implizite Preisbildungsregeln des Auftragsgebers ver- stossen. 2011 Submissionen 153 2.2. Das Bundesgericht hat erst kürzlich festgehalten, von einem Anbieter im öffentlichen Vergabeverfahren dürfe und müsse verlangt werden, dass sein Angebot vollständig sei, wozu nebst der Einrei- chung der erforderlichen Unterlagen und Beilagen auch gehöre, dass Offertformulare in allen entscheidwesentlichen Einzelpositionen komplett ausgefüllt würden. Fehlten Angaben, die sich direkt auf die Beurteilung des Preis-Leistungsverhältnisses auswirkten, seien die betreffenden Angebote grundsätzlich auszuschliessen. Wenn die Mängel der Offerte wesentliche Punkte betreffen würden (und nicht bloss technische Einzelheiten), sei eine nachträgliche Vervollstän- digung im Rahmen der Offertbereinigung in aller Regel ausgeschlos- sen. Im Interesse der Vergleichbarkeit der Angebote und in Nach- achtung des Gleichbehandlungsgebots dürfe diesbezüglich eine strenge Haltung eingenommen werden. Nicht grundsätzlich anders verhalte es sich, wenn ein Angebot zwar vollständig sei, jedoch er- hebliche inhaltliche Mängel aufweise, indem beispielsweise einzel- nen Positionen Leistungsparameter zugrunde gelegt würden, welche offensichtlich nicht realistisch seien. Auch eine solchermassen be- gründete kantonale Ausschlusspraxis erscheine jedenfalls nicht schlechterdings unhaltbar (Urteil des Bundesgerichts vom 23. Feb- ruar 2011 [2D_34/2010], Erw. 2.4; vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 27. November 2002 [2P.164/2002]; vgl. Baurecht 2/2011, S. 121 ff. S35). Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden schützte den Ausschluss eines Anbieters aus dem Vergabeverfahren, den die Vergabestelle damit begründete, das Angebot sei in mehreren Hauptpositionen nicht mit den anderen Angeboten vergleichbar. Sie gelangte aufgrund ihrer Prüfung der Offertunterlagen zum Schluss, dass bei verschiedenen Einzelpositionen unrealistisch tiefe Einheits- preise offeriert und artfremde Leistungspositionen unzulässigerweise in die (Installations-)pauschale eingerechnet worden seien. Das Ver- waltungsgericht erachtete die Argumente, welche die betreffende, sich mit Beschwerde gegen den Ausschluss zur Wehr setzende An- bieterin zur Stützung ihrer Kalkulation vorbrachte, als nicht nach- vollziehbar und den verfügten Ausschluss als rechtens. Der Schluss, dass eine solche Kalkulation die submissionsrechtlich relevanten 2011 Verwaltungsgericht 154 Gebote der Transparenz und der Kostenwahrheit verletzten, liege nahe. Hinzu komme, dass die äusserst tief offerierten Einzelpreise auch für die Auftraggeberin unerwünschte Folgen zeitigten. Dies z.B. dann, wenn geringere Mengen verbaut würden. Diesfalls würde sie nämlich beim Angebot der Beschwerdeführerin von einer weit geringeren Preisreduktion profitieren als bei jenen der Mitofferenten. Ob solches der Grund für die eigenartige Kalkulation der Beschwer- deführerin gewesen sei, nämlich die Spekulation darauf, dass bei der Realisierung des Auftrages geringere Mengen verbaut werden müssten mit der Folge, dass sich die zu gewährende Preisreduktion in Grenzen halte und die betrieblichen Einnahmen sicherer bud- getieren liessen, könne offen gelassen werden (Urteil des Verwal- tungsgerichts des Kantons Graubünden vom 25. Mai 2010 [U 10 40], Erw. 3; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 23. Juni 2005 [U 05 47], Erw. 1c, in welchem das Gericht die ele- mentaren Gebote der Kostenwahrheit und Transparenz sowie das Verbot der Wettbewerbsverfälschung durch eine überhöht offerierte Installationspauschale einerseits und absolut unrealistisch tiefe Ein- heitspreise andererseits "als in allerhöchstem Masse verletzt" bezeichnete). 2.3. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat in einem Ent- scheid aus dem Jahr 2007 ausgeführt, bei einer Preisvereinbarung nach Einheitspreisen habe der Unternehmer auch dann, wenn er eine grössere oder geringere Anzahl Einheiten erwarte, denjenigen Preis anzugeben, den er bei der Ausführung der vorgegebenen Menge ver- langen würde. Nur so könne die Vergleichbarkeit der Angebote ge- währleistet werden. Dies gelte auch dann, wenn er aufgrund der von ihm gewählten Bauweise davon ausgehe, dass bestimmte Positionen des Leistungsverzeichnisses nicht nötig sein würden. Diesfalls müsse er diese besondere Bauweise - mit den entsprechenden Änderungen bei der Zahl der Einheiten - als Variante anbieten (Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. September 2007 [VB.2007.00123], Erw. 3.4.3; vgl. Entscheid des Verwaltungsge- richts des Kantons Zürich vom 3. Dezember 2003 [VB.2003.00256]; kritisch: Martin Beyeler, Umgelagert, gemischt und offeriert - The- 2011 Submissionen 155 sen zur Preisspekulation, in: Baurechtstagung 2011, hrsg. vom Insti- tut für Schweizerisches und Internationales Baurecht, S. 154 ff.). Die Baudirektion des Kantons Zürich hat in einem Rundschreiben vom 7. April 2010 festgehalten, dass durch spekulative Preisangaben (Null-Franken-Beträge, Minusfrankenbeträge oder unrealistisch tiefe Preise) die Vergleichbarkeit der Angebote verunmöglicht werde und unter Bezugnahme auf den erwähnten Entscheid vom 12. September 2007 (VB.2007.00123) des Verwaltungsgerichts die Unternehmer aufgefordert, auf Null-Franken-Positionen, Minuspositionen und un- realistisch tiefe Preise im Grundangebot zu verzichten, da diese das Angebot verfälschten und faktisch die Umwandlung einer Einheits- preisofferte in eine Pauschalpreisofferte bewirkten. Ein Ausschluss solcher Angebote werde vorbehalten. In einem Entscheid vom 10. März 2010 hat das Zürcher Verwal- tungsgericht den Ausschluss einer Offerte geschützt, die bei rund 20 Positionen statt der ausgeschriebenen Einheitspreise den Vermerk "inklusive" angebracht hatte und die Kosten stattdessen offensicht- lich in den ungewöhnlich hohen Festpreis für die Baustelleneinrich- tung eingerechnet hatte. Ein so gestaltetes Angebot widerspreche dem Prinzip einer Preisvereinbarung nach Einheitspreisen, bei wel- chem davon ausgegangen werde, dass sich Mengenänderungen in entsprechenden Preisänderungen niederschlagen würden. Zudem werde durch die beträchtlichen Verschiebungen die korrekte Analyse der offerierten Preise verunmöglicht und der direkte Vergleich mit anderen Angeboten erschwert (Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. März 2010 [VB.2009.00480], Erw. 3.4). 3. Aus der dargestellten Rechtsprechung folgt, dass namentlich grössere Verschiebungen von mengenabhängigen Einheitspreisen in eine Festpreisposition wegen erschwerter oder verunmöglichter Vergleichbarkeit zum Ausschluss des betreffenden Angebots vom Verfahren führen können (vgl. Entscheide des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. März 2010 [VB.2009.00480], Erw. 3.4.4, und vom 15. Dezember 2010 [VB.2010.00402], Erw. 2.2.2; Andreas Bass, Verschieben von Einheitspreisen in eine Pauschalpreisposition, in: Sonderheft Vergaberecht 2004, S. 23 f.). 2011 Verwaltungsgericht 156 Neben diesen Umsatzverschiebungen in Pauschalpositionen werden in der Literatur weitere Formen von spekulativen Offerten unter- schieden, welche unter Umständen ebenfalls zum Ausschluss führen können. Bei der Vergabespekulation offeriert der Anbieter unge- wöhnlich tiefe Einzelpreise, die zum Zuschlag verhelfen sollen, bei denen er aber hofft, dass sie nicht oder jedenfalls nur in viel geringe- rem Umfang zur Anwendung kommen als in der Ausschreibung vorgesehen. Bei der Margenspekulation hingegen werden sehr hohe Einheitspreise angeboten, vornehmlich auf nicht in die Angebots- summe einfliessende Reservepositionen oder bei Per-Preisen, in der Hoffnung, dass diese Leistungen später zur Anwendung kommen. Schliesslich ist auch eine Spekulation durch kombiniertes Auf- und Abpreisen mehrerer Einheitspreispositionen möglich. Der Anbieter wird in diesen Einheitspreispositionen, von denen er erwartet oder hofft, dass sie ganz oder jedenfalls teilweise entfallen, stark abprei- sen, um damit die Überhöhung der Preise anderer Einheitspositionen, von denen er erwartet, dass sie sich zumindest in der ausgeschrie- benen Menge realisieren, im Hinblick auf die offerierte (proviso- rische) Gesamtvergütung zu neutralisieren, um sich die Chancen auf den Zuschlag zu wahren (vgl. Beyeler, a.a.O., S. 132 ff., insbes. S. 136 ff.). Ein Ausschluss solcher spekulativer Offerten rechtfertigt sich dann, wenn gegen Preisbildungsvorschriften des Auftraggebers verstossen wird (Beyeler, a.a.O., S. 147 ff. und 161). 4. 4.1.-4.2. (...) 4.3. Grundlage der Offerten war das von der Beschwerdegegnerin mit den Ausschreibungsunterlagen abgegebene Leistungsverzeichnis. Aufgrund desselben waren die zu vergebenden Baumeisterarbeiten - mit Ausnahme der als global anzubietenden Baustelleneinrichtung - nach Einheitspreisen anzubieten, das heisst als Preise für Leistungs- einheiten, die in den Positionen des Verzeichnisses aufgeführt sind. Bei dieser Vergütung ergibt sich die geschuldete Vergütung aus der Abrechnung über die aufgeführten Mengen an Einheiten, multipli- ziert mit dem für die Einheiten offerierten Preis (Art. 39 Abs. 1 der SIA-Norm 118). Das Leistungsverzeichnis gibt lediglich die voraus- 2011 Submissionen 157 sichtlichen Mengen an, die zur Ausführung kommen sollen. Das heisst, es werden Mengenannahmen getroffen (Mengengerüst, Vor- ausmass). Die erwartete Menge der Einheiten gemäss Leistungsver- zeichnis ist nicht verbindlich. Änderungen nach unten und nach oben sind möglich. Abgerechnet wird später nach den tatsächlich erbrach- ten Mengen. Beim aufgrund eines Leistungsverzeichnisses mit Ein- heitspreispositionen erstellten Angebotspreis, der im Submissions- verfahren mit den anderen Preisangeboten verglichen wird, handelt es sich somit um eine provisorische Gesamtvergütung. Die effektiv geschuldete Vergütung ergibt sich erst aus der Abrechnung über die ausgeführte Menge. In den Ausschreibungsunterlagen wird ausdrück- lich festgehalten, die im Leistungsverzeichnis aufgeführten Ausmas- se seien approximativ. Mehr- oder Minderleistungen berechtigten den Unternehmer nicht zur Änderung der festgesetzten Einheitsprei- se. 4.4. Beim Angebot der Beschwerdeführerin fällt auf, dass bestimmte Einheitspreise (z.B. Kieslieferungen, Spriessung Gräben > 1,5 m, Transportkosten und Deponiegebühren Aushubmaterial, Hüllbeton) drei bis zehn Mal so tief offeriert sind wie die durchschnittlichen Preise der Mitanbieter. Die Beschwerdeführerin hat diese Preisunter- schiede im Unternehmergespräch zum Teil damit erklärt, dass sie gewisse Kontingente durch Gegengeschäfte habe, sowie - in Bezug auf den Hüllbeton - über ein eigenes Betonwerk verfüge. Der Auf- forderung der Beschwerdegegnerin, diese Kontingente zu belegen, ist sie jedoch nicht nachgekommen. Soweit die Beschwerdeführerin die tiefen Preise in der Beschwerdeschrift damit begründet, dass sie derzeit im Tiefbaubereich mit einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Phase kämpfe und hier klar zu tief ausgelastet sei, weswegen wert- volle Arbeitskräfte zu Hause bleiben müssten, was für die Ar- beitsmoral und die Treue zur Firma fatal sein könne, sodass die mangelnde Auslastung entsprechend einer firmeninternen Strategie- entscheidung über preislich besonders attraktive Angebote möglichst rasch ausgeglichen werden sollte, wäre dies für die verschiedenen Tiefpreispositionen eine durchaus nachvollziehbare Begründung. Im Zusammenhang mit der von der Beschwerdegegnerin bemängelten 2011 Verwaltungsgericht 158 Leistungsposition NPK 151.321.101 (Grabenspriessung < 1,50 m) führt die Beschwerdeführerin aus, sie vermöge durchaus einzuschät- zen, wie viel Aufwand und Kosten ihr die fragliche Leistung verur- sachen werde. Der fragliche Preis und die dazugehörige Analyse bedeuteten nur, dass die Beschwerdeführerin allfällige Verluste unter der fraglichen Position aus allgemeinen Unternehmensreserven decken werde, weil sie zur Einsicht gelangt sei, dass ihre derzeitige Auslastung derart gering sei, dass dem Unternehmen mehr Schaden zugefügt würde, wenn es keine Aufträge akquiriere, als wenn es Aufträge hereinhole, ohne dass dabei allen Kosten gänzlich gedeckt seien. Mit dieser Argumentation liesse sich auch ein eigentliches Unterangebot zulässigerweise begründen (vgl. Galli/ Moser/Lang/ Clerc, a.a.O., Rz. 714, mit weiteren Hinweisen). Davon kann hier allerdings nicht ausgegangen werden. Die Tatsache, dass die Be- schwerdeführerin zahlreiche ins Gewicht fallende Leistungspositio- nen zu Preisen offeriert hat, die sehr deutlich, d.h. um das Mehr- fache, über den Konkurrenzpreisen liegen, steht damit in eklatantem Widerspruch. 4.5. Diese, in erheblichem Umfang vorhandene, auffällige Kombi- nation von teilweise äusserst tiefen Einheitspreisen einerseits und sehr hohen Einheitspreisen andererseits lässt auf ein spekulatives Angebot schliessen. Die Annahme, dass die Beschwerdeführerin ihre Offerte bewusst so ausgestaltet hat, um sich durch Tiefpreise in Positionen, die mutmasslich entweder gar nicht (z.B. die Spriessung der Gräben mit 1,5 m Tiefe, die in der Praxis sehr häufig nicht ge- spriesst werden [vgl. den erwähnten Entscheid des Zürcher Verwal- tungsgerichts [VB.2007.00123], Erw. 3.4.3]) oder jedenfalls in we- sentlich geringerem Ausmass als ausgeschrieben ausgeführt werden müssten, einerseits die Chancen auf den Zuschlag, und andererseits durch die sehr hohen Preise auf Positionen, die mutmasslich zumin- dest in vollem Umfang realisiert werden müssen (z.B. die Rohre), die Chancen auf eine ausreichende Rentabilität des Auftrags zu wahren, ist angesichts der gegebenen Preisgestaltung naheliegend. Margenspekulationen, die auf einem kombinierten Auf- und Abpreisen verschiedener (in die Bewertung einfliessender) Einheits- 2011 Submissionen 159 preispositionen beruhen, verletzen in aller Regel implizite oder ex- plizite Preisbildungsregeln des Auftraggebers. Dies, weil sie darauf beruhen, dass Aufwendungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Leistung gemäss einer bestimmten Position anfallen, nicht in dieser Leistungsposition, sondern unter einer anderen Position in den Einheitspreis eingerechnet werden. Das widerspricht der sich aus der Ausschreibung mehrerer Einheitspreise regelmässig zumindest im- plizit ergebenden Regel, wonach alle Aufwendungen im Zusammen- hang mit bestimmten Leistungen in jener Position einzurechnen sind, welche die Leistung beschreibt, zu der die Aufwendungen gehören und mit der sie am engsten zusammenhängen. Wer beispielsweise Aufwand, der sich beim Betonieren ergibt, in der Position für den Aushub einer Baugrube einrechnet (und mithin die Betonposition künstlich abpreist und die Aushubposition künstlich aufpreist), ver- letzt die in der Ausschreibung der beiden betroffenen Positionen implizit enthaltene Regel, wonach der Aufwand für das Betonieren in der Betonier-Position einzurechnen ist, und nicht in Positionen, die andere Leistungen beschreiben, mit denen der fragliche Aufwand nichts zu tun hat. Eine Offerte, in der mehrere Einheitspreise in Ver- letzung der entsprechenden Preisbildungsregeln kombiniert auf- und abgepreist worden sind, kann, letztlich unabhängig davon, ob der An- bieter damit Spekulation treiben wollte, ausgeschlossen werden, wenn ein nicht unerhebliches Risiko für den Eintritt von nicht uner- heblichen, für den Auftraggeber negativen Wirkungen (jenseits seiner gewöhnlichen Geschäftsrisiken) besteht (Beyeler, a.a.O., S. 159). Die vorliegend teilweise massiv überhöhten Einheitspreise las- sen keinen anderen Schluss zu, als dass die Beschwerdeführerin Auf- wand im Zusammenhang mit unterpreisigen Positionen in diese Posi- tionen verschoben und mithin gegen die Preisbildungsregeln verstos- sen hat. In den Ausschreibungsunterlagen wird zudem festgehalten, die eingesetzten Preise verstünden sich für eine fixfertig erstellte Ar- beit, inkl. allen dazugehörenden Arbeiten, Lieferungen, Maschinen, Nebenleistungen und Zuschlägen. Dies lässt sich nur so verstehen, dass sämtliche Leistungen in die jeweilige Position einzurechnen sind. Das Angebot der Beschwerdeführerin ist somit schon wegen des Verstosses gegen die in den Ausschreibungsunterlagen zumindest 2011 Verwaltungsgericht 160 implizit enthaltenen Preisbildungsregeln vom Verfahren auszu- schliessen. 4.6. Seitens der Vergabestelle wird geltend gemacht, das mit dem Angebot der Beschwerdeführerin für sie verbundene Vergaberisiko sei nicht mehr kalkulierbar. Die Beschwerdeführerin weist - an sich zu Recht - darauf hin, dass jedem Einheitspreisvertrag sowohl für den Auftraggeber als auch für den Unternehmer ein Vergütungsrisiko und eine Vergütungs- chance immanent seien. Seien die Mengen zu tief eingeschätzt wor- den, falle die effektive Vergütung höher aus, als zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Seien die Mengen zu hoch eingeschätzt worden, sei die Vergütung tatsächlich tiefer als ursprünglich angenommen. Dies führe zum Vergaberisiko. Da jeder Unternehmer ein anderes Preisgefüge aufweise, könne sich, je nach den tatsächlichen Verhält- nissen zwischen den geschätzten (und für den Preisvergleich mass- geblichen) und den tatsächlichen Mengen, ergeben, dass bei retro- spektiver Betrachtung nicht der berücksichtigte, sondern ein anderer Anbieter das preislich oder wirtschaftlich günstigste Angebot ein- gereicht habe. Dieses Vergaberisiko gehe mit jeder in Konkurrenz stattfindenden Vergabe eines Einheitspreisvertrages zwingend einher und sei vom Auftraggeber hinzunehmen bzw. habe er es in der Hand, dieses Risiko durch eine möglichst genaue Bestimmung des Voraus- masses in engen Grenzen zu halten. Das ohnehin, auch bei sorgfältiger Ermittlung der Vorausmasse, bestehende Vergaberisiko für den Auftraggeber erhöht sich bei An- geboten, die für die einzelnen Leistungspositionen einerseits sehr tie- fe und andererseits sehr hohe Preise offerieren jedoch massiv. Die von der Beschwerdeführerin vorgenommenen Auf- und Abpreisun- gen betreffen auch nicht nur wenige und untergeordnete Positionen. Sie können sich im Gegenteil erheblich auf die Gesamtkosten aus- wirken. Die Argumentation der Beschwerdegegnerin, aufgrund der ungewöhnlichen Angebotspreise der Beschwerdeführerin bzw. der damit verbundenen Preisdifferenzen zu den übrigen Angeboten seien für sie die dem Einheitspreisangebot immanenten Risiken nicht mehr kalkulierbar, erscheint deshalb ohne Weiteres nachvollziehbar und 2011 Submissionen 161 lässt den verfügten Ausschluss als gerechtfertigt erscheinen. Es ist angesichts des ihr zustehenden Ermessensspielraums und der ihr zukommenden Verantwortung für die Bauausführung auch nicht zu beanstanden, wenn die Vergabestelle nicht bereit ist, das mit dem An- gebot der Beschwerdeführerin unbestreitbar verbundene Kostenrisi- ko in Kauf zu nehmen. Ob mit dem Angebot zusätzlich auch ein all- fälliges Sicherheitsrisiko (aufgrund der zu einem Tiefstpreis offerier- ten Grabenspriessung) oder generell Risiken im Hinblick auf die Qualität der auszuführenden Arbeiten verbunden ist, wie die Be- schwerdegegnerin vorbringt, kann dabei offen bleiben. 5. Zusammenfassend ist hinsichtlich des Ausschlusses der Be- schwerdeführerin durch die Vergabestelle vor dem Hintergrund des Transparenzgebots und der Preisbildungsregeln keine Rechtsverlet- zung ersichtlich und dieser erweist sich damit als haltbar. Demge- mäss ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
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2002 Opferhilfe 351 X. Opferhilfe 83 Genugtuung (Art. 12 Abs. 2 OHG). - Schwere Betroffenheit und besondere Umstände als kumulative Vor- aussetzungen. Anlehnung an die Grundsätze des zivilrechtlichen Ge- nugtuungsanspruchs nach Art. 47 und 49 OR (Erw. 3/a, b). - Anspruch der Geschwister eines getöteten Kindes? (Erw. 3/c). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 16. Juli 2002 in Sa- chen S.R.S. und Mitb. gegen Verfügung des Kantonalen Sozialdienstes. Sachverhalt I.S. lebte mit ihren 6 Kindern während mehrerer Jahre in Brasi- lien. Im August 1998 kehrte sie mit den 5 jüngeren Kindern in die Schweiz zurück. Die damals 16-jährige älteste Tochter R. sollte noch die Schule abschliessen und im Dezember nachkommen, sie wurde aber behördlich an der alleinigen Reise gehindert. Am 20. Januar 1999, noch bevor ihr Adoptivvater sie hatte abholen können, wurde sie auf grausame Weise ermordet. Der Täter wurde in der Folge zu 17 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Kantonale Sozialdienst (KSD) hiess das Gesuch der Mutter um Ausrichtung einer Genugtu- ungsentschädigung gut. Die entsprechenden Gesuche von 4 Ge- schwistern des ermordeten Mädchens wies er ab; das Verfahren der einen Schwester wurde sistiert, um zu klären, ob die aufgenommene psychiatrische Behandlung als Folge des Verbrechens notwendig geworden war. 2002 Verwaltungsgericht 352 Aus den Erwägungen 3. a) Gemäss Art. 12 Abs. 2 OHG setzt die Ausrichtung einer Genugtuung an das (direkte oder indirekte) Opfer einer Straftat vor- aus, dass es schwer betroffen ist und besondere Umstände die Zu- sprechung rechtfertigen. Die beiden Voraussetzungen müssen ku- mulativ erfüllt sein (Gomm/Stein/Zehntner, Kommentar zum Opfer- hilfegesetz, Bern 1995, Art. 12 N 17). b) aa) Die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 OHG sollen insbesondere klarstellen, dass nicht bereits die Opfereigenschaft an sich den Anspruch auf eine Genugtuung begründet, sondern hierfür gewisse qualifizierte Bedingungen bezüglich der objektiven und subjektiven Schwere der erlittenen Persönlichkeitsverletzung (zu denken ist bei Tötungen an Schmerz, seelisches Leiden und andere Beeinträchtigungen der Lebensfreude der Angehörigen) vorliegen müssen. Dies gilt analog zum Zivilrecht, wo auch nicht jede Persön- lichkeitsverletzung zu einem Genugtuungsanspruch führt. Wenn aber die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 12 Abs. 2 OHG erfüllt sind, hat das Opfer trotz der "Kann-Formulierung" einen Rechtsanspruch gegenüber dem Staat auf die Ausrichtung einer Genugtuungssumme; insoweit räumt diese Bestimmung der rechtsanwendenden Behörde kein Rechtsfolgeermessen ein (BGE 121 II 373; AGVE 1996, S. 192). bb) Die gerichtliche Zusprechung einer (zivilrechtlichen) Ge- nugtuung nach Art. 47 bzw. Art. 49 OR ist keine Voraussetzung für die Ausrichtung einer Genugtuung gemäss Art. 12 Abs. 2 OHG, doch müssen die Anspruchsvoraussetzungen einer zivilrechtlichen Ge- nugtuung bejaht werden können, damit die Beschwerdeführer als Hinterbliebene bei der Geltendmachung von Genugtuung einem di- rekten Opfer gleichzustellen sind (Art. 2 Abs. 2 lit. c OHG). Es drängt sich ohnehin auf - im Sinne der Einheit der Rechtsordnung -, für die Auslegung der Begriffe "schwer betroffen" und "besondere Umstände" in Art. 12 Abs. 2 OHG die von Rechtsprechung und Doktrin herausgearbeiteten Grundsätze über den zivilrechtlichen Genugtuungsanspruch heranzuziehen (Gomm/Stein/Zehntner, a.a.O., Art. 12 N 28; vgl. BGE 121 II 373). 2002 Opferhilfe 353 c) Die Gerichtspraxis bejaht die Genugtuungsvoraussetzungen (vorne Erw. a: schwere Betroffenheit, besondere Umstände) bei den Geschwistern eines getöteten Kindes in der Regel nur, wenn der Anspruchsteller mit dem Opfer zur Zeit des Todes im gemeinsamen Haushalt lebte (siehe Klaus Hütte/Petra Ducksch, Die Genugtuung, 3. Auflage, Zürich 1996 [mit Aktualisierung 1999], I/28, I/36). Als Basisrahmen geben Hütte/Ducksch für die Zeit nach 1995 Fr. 6'000.- bis 7'000.-- an, wobei die Streuung aber erheblich ist (a.a.O., I/36). Ihre Behauptung, nach der geltenden Praxis werde Geschwis- tern eines getöteten Opfers nur sehr zurückhaltend eine Genugtuung ausgerichtet, vermochte die Vorinstanz nicht zu belegen. Gewiss ent- halten die Tabellen V/1 bei Hütte/Ducksch relativ wenige Fälle, aber sie lassen doch den auch von den Autoren gezogenen Schluss zu, dass die Zusprechung von Genugtuung die Regel ist, wenn Geschwister zuvor in engem Kontakt zueinander lebten. Es wäre denn auch lebensfremd anzunehmen, dass Kinder den plötzlichen Verlust eines Geschwisters, mit dem sie vorher dauernd zusammen waren, ohne grösseren Schmerz verkraften und deshalb keine Ge- nugtuung beanspruchen können. Eine speziell zurückhaltende Sicht- weise, soweit es um Leistungen der Opferhilfe geht, wäre hier unbe- gründet. d) aa) Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Be- schwerdeführer im gemeinsamen Haushalt mit der getöteten Schwes- ter lebten. Der Unterbruch, weil R. noch in Brasilien blieb, um den Schulabschluss zu machen, als die Mutter mit den Beschwerdefüh- rern im August 1998 in die Schweiz zurückkehrte, war zum vornher- ein nur vorübergehend und für eine kurze Zeit geplant. Entscheidend ist die Zeit vor der Straftat und allenfalls die damals bestehenden konkreten Pläne der Familie. bb) Als I.S. nach Brasilien auswanderte, betrieb sie dort ein kleines Motel. Auch wenn sie offenbar bald einen Partner fand, blieb sie alleine für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich. In dieser Situation liegt es nahe, dass sich in der Familie ein starkes Zusam- mengehörigkeitsgefühl entwickelte. Es ist auch durchaus wahr- scheinlich und glaubwürdig, dass R. als Älteste bei der Erziehung der Geschwister eingebunden wurde und gegenüber den jüngsten unter 2002 Verwaltungsgericht 354 ihnen auch in gewissem Ausmass die Rolle einer Ersatzmutter über- nehmen musste. Die konkreten Umstände legen somit eine enge Verbindung der Beschwerdeführer zu ihrer Schwester nahe. cc) Als genugtuungserhöhend bezeichnen die Beschwerdeführer die brutale Tat und den Umstand, dass es bei "normalem" Ablauf gar nicht zur Ermordung von R. hätte kommen können, weil sie in die- sem Zeitpunkt gar nicht mehr in Brasilien hätte sein sollen. Die Um- stände des Todes von Angehörigen können dann genugtuungserhö- hend wirken, wenn sie die Erinnerung der Hinterbliebenen belasten. Während dies bei der Mutter durchaus zutreffen dürfte (namentlich dann, wenn sie sich selber Vorwürfe wegen der verzögerten Heim- reise machen sollte), fällt dieser Aspekt bei den Beschwerdeführern doch viel weniger ins Gewicht. Sie waren weitab vom Tatort und wurden nicht durch eigene Wahrnehmung mit dem Tod der Schwes- ter konfrontiert; vielmehr konnte die Mutter versuchen, ihnen das tragische Ereignis altersgerecht beizubringen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht auch schon festgehalten, soweit der Berücksich- tigung des Verschuldens ein pönales Moment anhafte, sei dann Zu- rückhaltung angezeigt, wenn gar nicht der Schädiger selber die Ge- nugtuung zu bezahlen habe (VGE II/53 vom 11. Juni 1999 in Sachen O.M., S. 10; vgl. auch Hütte/Ducksch, a.a.O., I/40). dd) Ohne den Verlust für die Beschwerdeführer dadurch ver- niedlichen zu wollen, darf auch berücksichtigt werden, dass nach dem Tod von R. immer noch 5 Geschwister verbleiben (vgl. die Rechtsprechung, wonach der Verlust eines Einzelkindes schwerer wiegt als der Verlust eines von mehreren Kindern [Hütte/Ducksch, a.a.O., I/26 f., mit Hinweisen]). ee) Anders als bei ihrer Schwester T. (sofern bei ihr die Not- wendigkeit einer Psychotherapie auf den Tod von R. zurückzuführen ist) war bei den Beschwerdeführern keine ärztliche Therapie not- wendig, um das Geschehene verarbeiten zu können. ff) Zusammenfassend steht es für das Verwaltungsgericht ausser Zweifel, dass auf Grund des konkreten Sachverhalts die Beeinträchti- gung der Beschwerdeführer durch den Tod ihrer Schwester erheblich genug war, um einen Anspruch auf Genugtuung entstehen zu lassen. Die Höhe der Genugtuung ist im Bereich des "Basisrahmens" fest- 2002 Opferhilfe 355 zulegen, da die zu berücksichtigenden Umstände wohl bewirken, dass überhaupt ein Anspruch entsteht (was ja bereits eine schwere Betroffenheit voraussetzt), aber nicht derart gravierend sind, dass sie bei den Beschwerdeführern - anders verhält es sich bei T. - die Be- einträchtigung als noch klar darüber hinausgehend erscheinen lies- sen. Eine Genugtuung von Fr. 8'000.-- pro Kind erscheint deshalb als angemessen. Eine Unterscheidung nach dem Alter der Beschwerdeführer ist, in Übereinstimmung mit der Vorinstanz, nicht angezeigt. Auch die jüngsten waren beim Tod ihrer Schwester bereits 4 und 6 Jahre alt, also nicht mehr Kleinkinder; zudem wirkte sich die Rolle von R. als "Ersatzmutter" (was eine verstärkte Bindung bewirken konnte) am ehesten bei ihnen aus. e) Die zugesprochenen Genugtuungssummen sind ab dem 20. Januar 1999 zu verzinsen (Hütte/Ducksch, a.a.O., I/30).
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2006 Verwaltungsgericht 278 56 Folgen der falschen Besetzung der Veranlagungsbehörde. Rücknahme/ Aufhebung der Veranlagung. - Falsche Besetzung der Veranlagungsbehörde führt in der Regel nicht zur Nichtigkeit der Veranlagung, sondern nur zu deren Anfechtbar- keit (Erw. 3). - Vor Eintritt der Rechtskraft kann die Behörde ihre formell fehler- hafte Verfügung zurücknehmen, ohne dass die Voraussetzungen für den Widerruf von Verfügungen erfüllt sein müssen (Erw. 4). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. Dezember 2006 in Sachen M.B. gegen Steuerrekursgericht. Sachverhalt Die Steuerkommission Z. veranlagte M.B. mit Verfügung vom 30. Juni 2004 für das Steuerjahr 2001 zu einem steuerbaren Einkom- men von Fr. 82'000.--. Mit Schreiben vom 13. Juli 2004 teilte der Vorsteher des Steueramtes Z. dem Steuerpflichtigen mit, die Veranla- gungsverfügung vom 30. Juni 2004 sei fälschlicherweise eröffnet worden und werde daher innerhalb der Rechtsmittelfrist aufgehoben. Danach wurde M.B. mit ("Korrektur-")Verfügung der Steuerkom- mission Z. vom 20. Januar 2005 für das Jahr 2001 zu einem steuerba- ren Einkommen von Fr. 181'500.-- veranlagt (im Folgenden werden die Bezeichnungen Verfügung 04 bzw. Verfügung 05 verwendet). Aus den Erwägungen 1. Veranlagungsbehörde der Gemeinde ist die Steuerkommis- sion. Diese besteht aus einem kantonalen Steuerkommissär, dem Vorsteher des Gemeindesteueramtes sowie drei von der Einwohner- gemeinde gewählten Mitgliedern. Die Veranlagung wird in der Regel im Namen der Steuerkommission durch eine Delegation, bestehend aus dem kantonalen Steuerkommissär und dem Vorsteher des Ge- meindesteueramtes, vorgenommen (§ 164 StG). Dem Gemeinde- 2006 Verwaltungsrechtspflege 279 steueramt als solchem kommt im Verhältnis zur Steuerkommission zudienende und ausführende Funktion zu (vgl. § 163 Abs. 3 StG; AGVE 2000, S. 160; siehe auch AGVE 2001, S. 380). 2./2.1. Der massgebliche Sachverhalt ist nicht streitig. A., der ordentliche kantonale Steuerkommissär für die Gemeinde Z., trat in den Ausstand, da er Revisionsstelle bei einer dem Beschwerdeführer gehörenden Gesellschaft war. Das KStA setzte D. als ausserordentli- chen Steuerkommissär ein und teilte dies dem Beschwerdeführer am 1. Dezember 2003 schriftlich mit. Die Delegation zur Veranlagung des Beschwerdeführers setzte sich danach aus D. (ausserordentlicher Steuerkommissär) und C. (Vorsteher des Steueramtes Z.) zusammen. Die materielle Stellungnahme von D. zur vorzunehmenden Veranla- gung datiert vom 18. Oktober 2004, also mehrere Monate nach der Verfügung 04. 2.2. Als A. - versehentlich - bei der Veranlagung des Beschwer- deführers mitwirkte (indem er die Veranlagung "zur Eröffnung frei- gab"), gehörte er der Delegation nicht mehr an. Es handelt sich so- mit, entgegen dem angefochtenen Entscheid, rechtlich nicht um eine Verletzung der Ausstandspflicht (eine zur Behörde gehörende Person, gegen die ein Ausstandsbegehren hängig ist oder die von sich aus in den Ausstand treten müsste, nimmt trotzdem teil), sondern um die Veranlagung durch eine personell unrichtig zusammengesetzte Behörde. 3./3.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Verwaltungsgerichts ist die normale Folge der Fehlerhaftigkeit von Verfügungen deren Anfechtbarkeit. Nur ausnahmsweise ist auf Nichtigkeit zu schliessen, so, wenn der Mangel besonders schwer wiegt, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Als Nichtigkeitsgründe fallen hauptsächlich schwere Verfahrensmängel sowie die Unzuständigkeit der verfügen- den Behörde in Betracht; dagegen haben inhaltliche Mängel nur in seltenen Ausnahmefällen die Nichtigkeit einer Verfügung zur Folge. Die Grenzziehung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit ist nach Massgabe einer teleologischen Rechtsauslegung und einer Interes- senabwägung vorzunehmen. Nichtigkeit tritt erst dann ein, wenn die 2006 Verwaltungsgericht 280 Verletzung der in Frage stehenden Vorschrift schwerer wiegt als die sich aus der Unwirksamkeit der Anordnung ergebende Beeinträchti- gung der Rechtssicherheit und des verfahrensökonomischen staatli- chen Interesses (AGVE 2000, S. 159 f. mit Hinweisen; siehe auch BGE 129 I 363 f.; AGVE 2001, S. 381). 3.2./3.2.1. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Ver- fügungen einer unrichtig zusammengesetzten Behörde in der Regel nicht nichtig, sondern nur anfechtbar (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 15. März 2004 [I 688/03], Erw. 3 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts vom 27. Januar 2004 [1P.487/2003], in BGE 130 I 106 ff. nicht publizierte Erw. 4.2; BGE 98 Ia 474), jedenfalls soweit die Mitglieder nicht in eigener Sache handeln (André Grisel, Traité de droit administratif, Bd. I, Neuchâtel 1984, S. 425). Demgegenüber sind nach ständiger Rechtsprechung des Steuer- rekursgerichts Veranlagungen und Entscheide, welche von einer nicht gesetzmässig zusammengesetzten Steuerkommission gefällt werden, nichtig (Entscheid des Steuerrekursgerichts [RGE] vom 9. August 2001 in Sachen P.M., S. 4; Conrad Walther, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Bd. 2, 2. Aufl., Muri/Bern 2004, § 164 N 20 mit Hinweisen; Plüss/Schade/Walther, ebenda, Vorbemerkungen zu §§ 172-200 N 53; Jürg Baur, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 1. Aufl., Muri/Bern 1991, § 127 aStG N 27). Das Verwaltungsgericht hat entschieden, die Steuerbehörden könnten sich nicht darauf berufen, dass eine dem äusseren Anschein nach von der Steuerkommission erlassene Veranlagung tatsächlich nicht auf einem Beschluss der Steuerkommission beruhe, sondern vom Gemeindesteueramt eigenmächtig verschickt worden sei. Dem Rechtssicherheits- und Rechtsschutzinteresse der Steuerpflichtigen, für welche derartige Mängel nicht erkennbar seien, gebühre der Vor- rang vor der richtigen Rechtsanwendung, sofern diese nur über die Nichtigerklärung der Veranlagung durchgesetzt werden könnte (AGVE 2001, S. 382; anders wohl die Rechtsprechung des Steuerre- kursgerichts, das eine Veranlagung, die wohl durch die Steuerkom- mission erlassen, aber vor der Eröffnung durch das Gemeindesteuer- 2006 Verwaltungsrechtspflege 281 amt abgeändert wurde, als nichtig bezeichnete [RGE vom 18. Januar 1974 in Sachen O.G.; Baur, a.a.O., § 127 aStG N 27]). 3.2.2. Der sachliche Unterschied zwischen einer funktionell oder sachlich unzuständigen Behörde, deren Verfügungen anerkann- termassen nichtig sind (BGE 129 I 364), und einer Behörde, die nicht gesetzmässig zusammengesetzt ist, ist letztlich nur graduell. Dies zeigt sich gerade hier, wo ausser dem Vorsteher des Gemeindesteuer- amtes kein (berechtigtes) Mitglied der Steuerkommission mitwirkte. Im Ergebnis verhält es sich nicht anders, als hätte der Vorsteher des Gemeindesteuramtes allein und damit das Gemeindesteueramt - als funktionell unzuständige Behörde - anstelle der zuständigen Steuer- kommission veranlagt. Gerade in diesem Fall ist es jedoch den Steu- erbehörden nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung trotz des gravierenden Mangels versagt, sich auf die (von ihnen verur- sachten und nur ihnen bekannten) Unregelmässigkeiten im Verfahren zu berufen, um auf diese Weise zur Nichtigkeit der anscheinend rechtskräftigen Veranlagung zu gelangen (AGVE 2001, S. 382 f.; siehe vorne Erw. 3.2.1). Dasselbe muss konsequenterweise auch beim vorliegenden Sachverhalt gelten: Es geht ebenfalls um die Frage, ob der den Steuerbehörden anzulastende Fehler die Veranla- gung nichtig macht, was noch nach Jahr und Tag ermöglichen würde, sie zu Lasten des Beschwerdeführers abzuändern. Dies ist zu vernei- nen. 4. Demzufolge bleibt zu prüfen, ob die Verfügung 04 mit dem Schreiben des Vorstehers des Steueramtes Z. vom 13. Juli 2004 auf- gehoben wurde (was das Steuerrekursgericht im angefochtenen Ur- teil bejahte). 4.1. Gemäss § 26 Abs. 1 VRPG (mit der Marginalie "Widerruf") können Verfügungen und Entscheide, die der Rechtslage oder den sachlichen Erfordernissen nicht entsprechen, durch die erlassende Behörde oder die Aufsichtsbehörde abgeändert oder aufgehoben werden, wenn wichtige öffentliche Interessen es erfordern. Vor- behalten bleiben Verfügungen, die nach besonderen Vorschriften oder der Natur der Sache nicht oder nur unter ganz bestimmten Vor- aussetzungen zurückgenommen werden können (vgl. dazu AGVE 1998, S. 202 ff.). Das StG kennt keine entsprechende Vorschrift, 2006 Verwaltungsgericht 282 doch hat die Rechtsprechung erkannt, dass die Veranlagungsbehörde befugt sei, eine Verfügung nach deren Eröffnung, aber noch vor Ab- lauf der Rechtsmittelfrist (insofern liegt eine starke Einschränkung gegenüber dem Widerruf vor, da dieser auch bei rechtskräftigen Ver- fügungen möglich ist), von sich aus zurückzunehmen (ASA 64/1995- 96, S. 578 ff.; Martin Plüss, in: Kommentar zum Aargauer Steuerge- setz, Bd. 2, 2. Aufl., § 191 N 6). Soweit es um eine gültig erlassene Verfügung geht, ist zur Rücknahme nur die erlassende Behörde zu- ständig (Plüss, a.a.O.); insoweit besteht Übereinstimmung mit der Widerrufsregelung. Dies erscheint denn auch gleichsam selbstver- ständlich, da es nicht angeht, dass irgend eine andere Behörde der Steuerkommission in ihre Angelegenheiten "pfuscht" (ein Eingreifen des KStA als Aufsichtsbehörde erscheint zwar möglich [siehe § 161 Abs. 2 und 3 StG], wird aber für eine derartige Rücknahme der Ver- fügung kaum aktuell, da das KStA stattdessen Einsprache erheben kann [§ 192 Abs. 1 lit. a StG]). 4.2. Die dargestellte Rechtsprechung bezieht sich auf die Rück- nahme formell korrekt erlassener Veranlagungsverfügungen. Vorlie- gend geht es jedoch nicht darum, sondern um eine Veranlagung, die - je nach Blickwinkel - statt von einer aus zwei Mitgliedern bestehen- den Delegation der Steuerkommission durch ein einziges Delegati- onsmitglied oder aber statt von der Delegation der Steuerkommission durch das Gemeindesteueramt vorgenommen wurde. Wenn nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung eine solche formell nicht gültig zustande gekommene Veranlagung trotzdem wirksam ist, dann einzig wegen der hohen Bedeutung des Rechtssicherheits- und Rechtsschutzinteresses der Steuerpflichtigen. Aufgrund dieser sind die Steuerbehörden gehindert, den von ihnen erweckten Anschein, es handle sich um eine formell korrekt vorgenommene Veranlagung, im Nachhinein (nach Ablauf der Rechtsmittelfrist) zu widerlegen (AGVE 2001, S. 382 f.; siehe vorne Erw. 3.2). Diese Erwägungen entfallen, wenn der falsche Anschein noch vor Ablauf der Rechts- mittelfrist zerstört wird (siehe dazu auch ASA 64/1995-96, S. 580: "Solange das Schicksal einer Veranlagungsverfügung aber derart in der Schwebe ist, kann er [der Steuerpflichtige] sich nicht auf die Rechtssicherheit berufen."). Es geht mithin um die Offenlegung des 2006 Verwaltungsrechtspflege 283 formellen Fehlers, zu der gerade diejenige Person (bzw. diejenigen Personen) prädestiniert ist, die fälschlich im Namen der Steuerkom- mission handelte. Demzufolge genügte im vorliegenden Fall das Schreiben des Steueramtsvorstehers vom 13. Juli 2004, um die Wirk- samkeit der von der nicht korrekt besetzten Steuerkommission erlas- senen Veranlagung zu hindern bzw. sie "zurückzunehmen" und den späteren, formell einwandfreien Erlass einer Veranlagungsverfügung zu ermöglichen. 4.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verfügung 05 trage den expliziten Vermerk "Korrektur"; eine Korrekturveranla- gung sei ein logischer Widerspruch, wenn die ursprüngliche Veranla- gung nichtig gewesen oder aufgehoben worden sei. Dem ist von der Logik her beizupflichten; doch auch eine unzutreffende Bezeichnung der "Folge-Verfügung" vermag die Unwirksamkeit der Verfügung 04 nicht zu beeinflussen. Einer "Auflösung" des Widerspruchs bedarf es nicht. Dem Beschwerdeführer war ungeachtet der Bezeichnung klar, dass es sich bei der Verfügung 05 um die neue Veranlagung handelte, die an die Stelle der früheren trat. (Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen diesen Entscheid abgewiesen.)
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2013 Fürsorgerische Unterbringung 53 II. Fürsorgerische Unterbringung 10 Behandlungsplan Ein Behandlungsplan als solcher ist kein gültiges Anfechtungsobjekt und demnach nicht mit Beschwerde anfechtbar. Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 15. Januar 2013 in Sachen J.F. gegen den Behandlungsplan der Klinik Königsfelden (WBE.2013.10; publiziert in: CAN - Zeitschrift für kantonale Rechtsprechung 2013 Nr. 56 S. 140). Aus den Erwägungen 1. Des Weiteren erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den am 1. Januar 2013 vom zuständigen Kaderarzt X. erstellten Be- handlungsplan. Zu prüfen ist, ob gegen den Behandlungsplan als sol- chen Beschwerde erhoben werden kann, mithin ob dieser einen gülti- gen Anfechtungsgegenstand darstellt. 2. Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB sieht vor, dass eine betroffene Per- son bei Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung in- nert 10 Tagen seit Mitteilung des Entscheids schriftlich das zustän- dige Gericht anrufen kann. Das Verwaltungsgericht beurteilt Be- schwerden gegen die Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung (§ 67q Abs. 1 lit. e EG ZGB). Fraglich ist, ob gestützt auf diese Bestimmung ein Behandlungsplan als solcher beim Verwal- tungsgericht angefochten werden kann. 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 54 3. 3.1. In der Botschaft zum neuen Erwachsenenschutzrecht wird zu Art. 439 Abs. 1 Ziffer 4 ZGB Folgendes ausgeführt (Botschaft Er- wachsenenschutz, BBl 2006 7072): "Unter Behandlung ist zum einen die Behandlung in einer Not- fallsituation (Art. 435) zu verstehen. Diesfalls kann etwa geltend ge- macht werden, es liege kein Notfall vor oder die angeordnete medi- zinische Massnahme sei nicht verhältnismässig. Zum anderen kann sich die betroffene Person oder eine ihr nahe stehende Person auch gegen den Behandlungsplan als solchen (Art. 433) und die darauf abgestützte Behandlung ohne Zustimmung (Art. 434 Abs. 2) zur Wehr setzen." Aufgrund des Wortlauts dieses Abschnitts könnte davon ausge- gangen werden, dass der Behandlungsplan als solcher anfechtbar ist. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, sprechen sich in der Lehre einige Autoren jedoch gegen diese Möglichkeit aus. 3.2. SCHMID führt hierzu Folgendes aus (HERMANN SCHMID, Kommentar Erwachsenenschutz, Zürich 2010, Art. 439 N 14): "Das Gericht kann bei "Behandlung" angerufen werden, wäh- rend der Behandlungsplan bloss ein Dokument betreffend eine "in Aussicht genommene" (nArt. 433 Abs. 2), "vorgesehene" (nArt. 434 Abs. 1 Einleitungssatz) medizinische Massnahme darstellt. Der Be- handlungsplan als solcher (nArt. 433) ist somit nicht anfechtbar (Art. 433 N 4; a.M. Botsch. BBl 2006, S. 7072), zumal die Behand- lung einer psychischen Störung ohne Zustimmung (nArt. 434) erst angeordnet wird, wenn die zusätzlichen Voraussetzungen nach nArt. 434 Abs. 1 Ziff. 1-3 erfüllt sind." GEISER/ETZENSBERGER entscheiden sich auch gegen die Anfechtung des Behandlungsplans. Sie betonen, dass dieser weder einen hoheitlichen Akt (THOMAS GEISER/MARIO ETZENSBERGER, in: Geiser/Reusser [Hrsg.], Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 439 N 15) noch eine Zwangs- massnahme darstellt (THOMAS GEISER/MARIO ETZENSBERGER, in: a.a.O., Art. 433 N 21). 2013 Fürsorgerische Unterbringung 55 Die Konferenz der Kantone für Kindes und Erwachsenenschutz (KOKES) teilt diese Meinung. Die Beschwerdemöglichkeit gestützt auf Art. 439 Ziff. 4 ZGB beziehe sich auf die bei fehlender Zustim- mung der betroffenen Person angeordneten medizinischen Massnah- men (Art. 434 ZGB) oder die medizinischen Massnahmen, welche im Rahmen einer Notfallsituation (Art. 435 ZGB) ergriffen würden. Nicht anfechtbar sei hingegen der Behandlungsplan als solcher, weil dieser lediglich eine Grundlage für eine in Aussicht genommene, vorgesehene medizinische Massnahme darstelle, das Gericht aber ge- mäss Wortlaut nur "bei Behandlung" angerufen werden könne (KOKES, Praxisanleitung Erwachsenenschutz, Zürich/St. Gallen 2012, Ziff. 12.15 und 10.40). 4. 4.1. Art. 433 ZGB sieht vor, dass der behandelnde Arzt einen Be- handlungsplan erstellen muss, wenn eine Person zur Behandlung einer psychischen Störung in einer Einrichtung untergebracht wird. Dieser Behandlungsplan soll Auskunft über die geplanten Abklärun- gen und Untersuchungen geben, eine erste oder eine bereits gesicher- te Diagnose enthalten, die dazu passende Therapie umschreiben, Ausführungen über Risiken und Nebenwirkungen der Therapie ma- chen und eine mögliche Prognose stellen. Zudem sind andere mögli- che Behandlungswege und die Gefahren einer unterlassenen Thera- pie aufzuzeigen (Art. 433 Abs. 2 ZGB; Botschaft Erwachsenen- schutz, BBl 2006 7068). Der Behandlungsplan wird der betroffenen Person zur Zustimmung unterbreitet (Art. 433 Abs. 3 ZGB). Wenn eine Zustimmung zur Behandlung nicht vorliegt, ist die Ergreifung von medizinischen Massnahmen nur unter den engen Voraussetzun- gen von Art. 434 ZGB erlaubt (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7068; KOKES, a.a.O., Ziff. 10.39). Gemäss Art. 434 ZGB kann eine im Behandlungsplan vorgesehene medizinische Massnah- me ohne Zustimmung der betroffenen Person durch den Chefarzt oder die Chefärztin der Abteilung schriftlich angeordnet werden, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 56 4.2. Mit Erstellen des Behandlungsplans wird somit nicht über eine bestimmte Behandlung entschieden, sondern, wie auch in der Bot- schaft ausgeführt, lediglich Auskunft über die geplanten Therapien oder über alternative Behandlungsmöglichkeiten gegeben. Stimmt eine Person dem Behandlungsplan zu, können die darin erwähnten Behandlungen durchgeführt werden. Stimmt sie dem Behandlungs- plan nicht zu, kann eine medizinische Massnahme auf der Grundlage von Art. 434 ZGB durchgesetzt werden. Hierzu bedarf es aber ge- mäss Wortlaut des Gesetzes eines schriftlichen Entscheids, welcher gestützt auf Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB anfechtbar ist. Vorbehalten bleibt natürlich auch die Anordnung medizinischer Massnahmen, welche sofort aufgrund einer Notfallsituation umgesetzt werden müs- sen (Art. 435 ZGB). Diese sind ebenfalls gestützt auf dieselbe Be- stimmung anfechtbar (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7072). Da somit mit dem Behandlungsplan keine konkrete medizini- sche Massnahme angeordnet wird, sondern lediglich gewisse Absich- ten aufgezeigt werden, ist der Behandlungsplan nicht als möglicher Anfechtungsgegenstand einer Beschwerde anzusehen. Gegen die ein- zelnen Massnahmen kann sich eine betroffene Person wehren, wenn die Einrichtung einen Entscheid gestützt auf Art. 434 ZGB fällt, mit- hin "die im Behandlungsplan vorgesehene medizinische Mass- nahme" schriftlich und ohne Zustimmung der betroffenen Person an- ordnet. Folglich ist auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin ge- gen ihren Behandlungsplan als solchen nicht einzutreten.
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2012 Anwaltsrecht 213 VIII. Anwaltsrecht 31 Interessenkonflikt nach Art. 12 lit. c BGFA im Falle der Mehrfachver- teidigung - Eine Verletzung der Berufspflichten des Anwalts setzt voraus, dass konkrete Hinweise auf einen möglichen Interessenkonflikt bestehen, die bloss abstrakte Möglichkeit genügt nicht. - Ist eine Mehrfachverteidigung ausnahmsweise zulässig, so kann für die Annahme eines Interessenkonflikts beim amtlichen Verteidiger nicht ausreichen, wenn sich im Laufe der Einvernahmen einzelne Aussagen der Angeschuldigten als nicht identisch und widerspruchs- frei herausstellen. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 30. April 2012 in Sachen A. gegen Anwaltskommission des Kantons Aargau (WBE.2011.407). Aus den Erwägungen 3.2. 3.2.1. Die Sorgfaltspflichten gemäss BGFA schliessen auch eine Ver- teidigung verschiedener Angeklagter im Strafverfahren nicht von vornherein aus. Im Interesse der Verfahrenseffizienz kann eine Mehr- fachvertretung ausnahmsweise erlaubt sein. Als Ausnahme sind die Voraussetzungen restriktiv anzuwenden. Unabdingbar ist, dass die (Mit-)Angeschuldigten durchwegs identische und widerspruchsfreie Darstellungen zum Sachverhalt und zur Tatbeteiligung geben und ihre Prozessinteressen nach den jeweiligen konkreten Umständen nicht divergieren (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 16. März 2009 [1B _ 7/2009], Erw. 5.8; Walter Fellmann, in: Kommentar zum An- waltsgesetz, 2. Aufl., Zürich 2011, Art. 12 N 54 ff., Art. 12 N 107). Vertritt ein Strafverteidiger zwei angeklagte Personen, befindet er 2012 Verwaltungsgericht 214 sich in einem Interessenkonflikt, sobald er die Interessen und Vertei- digungsrechte des einen Mandanten nicht wahrnehmen kann, ohne die Interessen und Verteidigungsrechte des anderen Mandanten zu gefährden oder gar zu verletzen. Sind die Verteidigungsinteressen zweier Angeklagter hingegen nicht gegenläufig, ist es zulässig, deren Verteidigung ein und demselben Rechtsvertreter zu übertragen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 28. Oktober 2002 [6P.108/2002], Erw. 2.2.1). Der Berufsregel von Art. 12 lit. c BGFA entspricht auch der Grundsatz der Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbandes vom 10. Juni 2005, wonach Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Mandanten, den eige- nen und den Interessen von anderen Personen, mit denen sie ge- schäftlich oder privat in Beziehung stehen, vermeiden (Art. 11 der Standesregeln). Art. 12 präzisiert unter dem Titel "Mehrere Mandan- ten", dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nicht mehr als einen Mandanten in der gleichen Sache beraten, vertreten oder ver- teidigen, wenn ein Interessenkonflikt zwischen den Mandanten be- steht oder droht (Abs. 1). Sie legen das Mandat gegenüber allen be- troffenen Mandanten nieder, wenn es zu einem Interessenkonflikt kommt, wenn die Gefahr der Verletzung des Berufsgeheimnisses be- steht oder die Unabhängigkeit beeinträchtigt zu werden droht (Art. 12 Abs. 2). Diese Regeln können insoweit zur Auslegung der Sorgfaltspflichten gemäss BGFA beigezogen werden, als sie allge- mein anerkannte Prinzipien zum Ausdruck bringen (vgl. hierzu Fell- mann, a.a.O., Art. 12 N 5a; BGE 130 II 270, Erw. 3.1.1; VGE II/81 vom 21. Dezember 2005 [WBE.2005.227], Erw. 2.3). 3.2.2. Art. 128 StPO verpflichtet die Verteidigung in den Schranken von Gesetz und Standesregeln allein der beschuldigten Person ge- genüber. Die Strafprozessordnung schliesst indessen nicht aus, dass innerhalb dieser Schranken ein Rechtsbeistand im gleichen Verfahren die Interessen mehrerer Verfahrensbeteiligter wahren kann (Art. 127 Abs. 3 StPO). 2012 Anwaltsrecht 215 Diese Normen finden auch für die notwendige und die amtliche Verteidigung Anwendung, welche je nach Verfahrensstadium von der Verfahrensleitung einzusetzen ist (Art. 131 ff. StPO). 4. 4.1. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers stellte sich die Frage einer Interessenkollision anlässlich der Einvernahme von B. am 24. Februar 2011. Aufgrund der Identifikation von C. anläss- lich der Fotokonfrontation durch seinen Mandanten, der mehrfachen Namensnennung sowie der inhaltlichen Bezugnahme auf die Einver- nahme von C. vom 31. Mai 2010, an welcher der Beschwerdeführer als Verteidiger anwesend war, konnte bezüglich der Identität der betroffenen Person keine Unsicherheit mehr bestehen. Ebenso war erkennbar bzw. musste für den Beschwerdeführer am 24. Februar 2011 erkennbar sein, dass die Aussagen von B. und C. divergierten. Er war daher verpflichtet, sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen, ob die Gefahr einer Interessenkollision zwischen den beiden Mandats- verhältnissen besteht (Fellmann, a.a.O., Art. 12 N 87; BGE 134 II 108, Erw. 4.2.2). 4.2. Unterschiede in den Aussagen der beiden Mandanten des Be- schwerdeführers führten aber nicht gleichsam automatisch zu einer verbotenen Interessenkollision gemäss Art. 12 lit. c BGFA. Eine Sorgfaltspflichtverletzung des Anwalts liegt erst vor, wenn Differen- zen in den Aussagen bestehen oder zumindest absehbar sind, welche nach den konkreten Umständen auf gegensätzlichen Prozessinteres- sen beruhen (Urteil des Bundesgerichts vom 16. März 2009 [1B _ 7/2009], Erw. 5.9; vgl. Fellmann, a.a.O., Art. 12 N 107). Die bloss abstrakte Möglichkeit eines Interessenkonflikts vermag dabei eine Verletzung von Art. 12 lit. c BGFA nicht zu begründen; verlangt wird vielmehr, dass konkrete Hinweise auf einen möglichen Interessenkonflikt bestehen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 17. Juni 2011 [2C _ 900/2010], Erw. 1.3 mit Hinweisen; BGE 134 II 108, Erw. 4.2.2; Urteil des Bundesgerichts vom 28. Januar 2009 [2C _ 504/2008 und 2C _ 505/2008], Erw. 9.1; Fellmann, a.a.O., Art. 12 N 84b). Mit anderen Worten genügt die Möglichkeit, ein 2012 Verwaltungsgericht 216 Risiko oder der blosse Anschein eines Interessenkonflikts nicht, um eine nach Art. 12 lit. c BGFA relevante Sorgfaltspflichtverletzung zu begründen (vgl. Ernst Staehelin, Interessenkollision: theoretische und reale Aspekte, Anwaltsrevue 4/2010, S. 189 mit Hinweisen; Kaspar Schiller, Schweizerisches Anwaltsrecht, Zürich 2009, N 823 f.). Es ist daher bei Mehrfachvertretungen im Einzelfall zu prüfen, ob die Mandatsinhalte und die Verteidigungsstrategie parallel laufen oder divergieren. Erst bei konkreten Umständen, welche die vorbehaltlose Interessenwahrung für jeden Mandanten beeinträchtigen oder kon- kret gefährden können, ist der Anwalt verpflichtet, die Mandate nie- derzulegen. Massgebend ist, ob der Anwalt jedes Mandat unabhängig vom andern und im uneingeschränkten Interesse seiner Mandanten führen kann. Im vorliegenden Fall bezogen sich die Differenzen in den (an- fänglichen) Aussagen von B. auf die Anzahl der Geldübergaben, die Höhe der Geldbeträge und die Häufigkeit der Übergabe von Mobil- telefonen. B. bestätigte mehrfach diese Vorhalte erst nach Konfron- tation mit den jeweiligen Aussagen von C.. Eine anfängliche Bestreitung von Vorhalten und die versuchte Schilderung eines in Einzelpunkten zu Zahlenangaben eines Mittä- ters abweichenden Sachverhalts lassen nicht auf einen konkreten, mit den Sorgfaltspflichten unvereinbaren Interessenkonflikt schliessen. B. hat teilweise noch an derselben Befragung seine Darstellung auf- gegeben. Die Anzahl von Drogen- und Geldwäschereigeschäften können sich zwar - wie die Anwaltskommission zu Recht festgehal- ten hat - im Falle einer Verurteilung nach Art. 19 Ziff. 2 BetmG oder nach Art. 305 bis StGB auf die Strafzumessung auswirken. Das In- teresse der Klienten des Beschwerdeführers an einer - auch im Ver- gleich zum Mitangeklagten - geringfügigen Strafe und wohlwollen- den Strafzumessung begründet indessen keinen aufsichtsrechtlich relevanten Interessenkonflikt des Anwalts. Divergierende Aussagen solcher Art schlossen eine unabhängige Mandatsführung nicht aus. Standesrechtlich relevante Interessenkonflikte bei divergierenden Aussagen in einer Strafuntersuchung liegen erst vor, wenn der An- walt einen seiner Mandanten nicht oder nicht mehr verteidigen kann, ohne die Interessen des andern Mandanten zu gefährden, z.B. wenn 2012 Anwaltsrecht 217 sich die Mandanten gegenseitig der Falschaussage bezichtigen, (zu- sätzlicher) strafbarer Handlungen beschuldigen oder die Angaben zu den jeweiligen Tatbeteiligungen so divergieren, dass sich eine Ge- genüberstellung (Art. 146 Abs. 2 StPO) aufdrängt. Die Aussagen von B. und C. entsprachen sich im Kern und die Widersprüche betrafen, was die Straftatbestände anbelangt, untergeordnete Punkte. Solche Abweichungen in den Aussagen zum Sachverhalt sind zu geringfügig und begründen - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - keine rele- vante Konfliktsituation des Anwalts (vgl. dazu Urteil des Bundes- gerichts vom 21. Juni 2011 [6B _ 1076/2010], Erw. 2.3.2 f.). Kein relevanter Interessenkonflikt besteht bei einer Mehrfachvertretung schliesslich, wenn die Mandanten von ihrem Aussageverweigerungs- recht (Art. 113 Abs. 1 StPO) Gebrauch machen. Der Anwalt findet sich daher auch nicht in einer konkreten Konfliktsituation, wenn bei einer Mehrfachvertretung seine Mandanten versuchen, sich nicht gegenseitig zu belasten. Der blosse Umstand, dass das Aussagever- halten eines angeschuldigten Mandanten aus der Sicht der Strafunter- suchungsbehörden "keinen guten Eindruck hinterlässt" oder dessen Glaubwürdigkeit in Frage stellt, kann keinen relevanten Interessen- konflikt begründen. Art. 12 BGFA dient vorab dem umfassenden öffentlich-rechtlichen Schutz der anwaltlichen Treuepflicht, dem Schutz des rechtsuchenden Publikums und der Wahrung des Anse- hens der Anwaltschaft (vgl. BGE 128 I 346, Erw. 2.2 mit Hinwei- sen). Es ist aber nicht Aufgabe der Verteidigung, den Fortgang des Verfahrens zu befördern (Wolfgang Wohlers, Die Pflicht der Vertei- digung zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person, in: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht [ZStrR] 130/2012, S. 57 mit Hinweisen). 4.3. Die Entscheidung der Oberstaatsanwaltschaft, mit welcher die amtliche Verteidigung widerrufen wurde, ist ohne präjudizielle Be- deutung für das Disziplinarverfahren. Auch mit Blick auf die An- zeige der Staatsanwaltschaft D. sind die unterschiedlichen Aufgaben der Verfahrensleitung in der Strafuntersuchung und des Verteidigers zu beachten. Gemäss Art. 62 Abs. 1 StPO obliegt der Verfahrenslei- tung die Sicherstellung eines gesetzmässigen und ordnungsgemässen 2012 Verwaltungsgericht 218 Strafverfahrens, wozu auch die Sicherstellung einer notwendigen oder amtlichen Verteidigung gehört (Art. 131 ff. StPO). Der Widerruf der amtlichen Verteidigung setzt nach Art. 134 Abs. 2 StPO u.a. vor- aus, dass eine wirksame Verteidigung nicht mehr gewährleistet ist. Eine Doppelvertretung kann die Verteidigungsrechte tangieren und die Verfahrensleitung ist grundsätzlich zur Bestellung einer neuen amtlichen Verteidigung berechtigt, wenn ein Interessenkonflikt mög- lich ist und geeignet erscheint, die Verteidigungsrechte des Betroffe- nen zu verletzen. Die Beurteilung der Staatsanwaltschaft ist damit präventiv und beruht im Hinblick auf den ordnungsgemässen Verfah- rensgang auf einem Anschein und der Möglichkeit einer Interessen- kollision. Auch wenn Mehrfachvertretungen im Strafprozess immer und grundsätzlich problematisch sind, bedeutet eine andere Beurtei- lung durch den betroffenen Anwalt, die sich objektiv auf die kon- krete Interessenlage seiner Mandanten stützen kann, noch keine Verletzung der Standespflichten. 4.4. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall, wo die Anzeichen einer möglichen Interessenkollision bei der ersten Einvernahme auftraten, zu beachten, dass die Mandatspflichten dem Beschwerdeführer grundsätzlich untersagten, den Abbruch der Einvernahme wegen möglicher Doppelvertretung zu provozieren. Eine Mandatsniederle- gung während der Einvernahme verbieten die Interessen beider Mandanten und seine Sorgfaltspflicht gemäss Art. 12 lit. a BGFA. Ein solches Verhalten könnte zudem das Berufsgeheimnis zumindest gegenüber einem Mandanten verletzen, da aufgrund einer solchen Mandatsniederlegung die Untersuchungsbehörden einen bisher nicht bekannten Zusammenhang zwischen zwei Angeschuldigten erkennen könnten. Die Sorgfaltspflichten gebieten vielmehr, dass der Be- schwerdeführer nach der Einvernahme eine Interessenkollision ge- wissenhaft prüfte und eine allfällige Mandatsniederlegung mit den betroffenen Mandanten besprach. Hätten sich allfällige divergierende Interessen nicht beseitigen lassen oder hätte der Beschwerdeführer in Zukunft mit Interessenkonflikten rechnen müssen, wäre eine Man- datsniederlegung unausweichlich gewesen. 2012 Anwaltsrecht 219 Im vorliegenden Fall fand die Besprechung mit den Mandanten am 3. März 2011 statt und der Beschwerdeführer kam zum Ergebnis, dass keine tatsächlichen Interessenkonflikte bestanden. Diese rechtli- che Beurteilung lag nicht ausserhalb einer korrekten rechtlichen In- terpretation der Mandanteninteressen (vgl. vorne Erw. 4.2). Es kann dem Beschwerdeführer daher nicht angelastet werden, dass er eine unzulässige Doppelvertretung bis zum Widerruf der amtlichen Ver- teidigung weitergeführt hätte. Voraussetzung einer Disziplinierung ist immer, dass der Anwalt die Pflichtwidrigkeit erkannte oder bei durchschnittlicher Sorgfalt hätte erkennen müssen. Dabei reicht die abstrakte Möglichkeit eines Konflikts (BGE 134 II 108, Erw. 4.2.2; AGVE 2008, S. 285) oder das allgemeine Risiko, dass ein solcher im Verlaufe des Mandats auftreten kann, für eine Verletzung der anwalt- lichen Berufspflichten gemäss BGFA nicht aus. Der Beschwerdeführer hätte schliesslich auch in der Lage sein müssen, sich pflichtgemäss zu verhalten. Nachdem die Staatsanwalt- schaft D. seine Abberufung bereits am 2. März 2011 der Oberstaats- anwaltschaft beantragt hatte, durfte für eine Disziplinierung die Frage nach dem pflichtgemässen Alternativverhalten nicht offen bleiben. 4.5. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Aussagediffe- renzen der beiden Mandanten des Beschwerdeführers keine konkre- ten tatsächlichen Interessenkonflikte erkennen lassen. Die Rechtspo- sitionen der Mandanten waren einheitlich und schlossen eine pa- rallele, unabhängige und unbeeinflusste Interessenwahrung durch den Beschwerdeführer nicht aus. Nur weil der Mitangeschuldigte B. die Aussagen der an der strafbaren Handlung Mitbeteiligten nicht ohne Weiteres bestätigte und einzelne seiner Aussagen nicht iden- tisch und widerspruchsfrei waren, liegt noch kein tatsächlicher In- teressenkonflikt vor (vgl. Schiller, a.a.O., N 805 ff.). Insbesondere abweichende Mengenangaben mehrerer Angeschuldigter bei Dro- gendelikten begründen allein keine relevanten Interessenkollisionen. Der Beschwerdeführer hat seine anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei und nach der Einvernahme vom 24. Februar 2011 gemäss BGFA 2012 Verwaltungsgericht 220 nicht verletzt. Sein Beschwerdeantrag ist daher gutzuheissen und der Entscheid der Anwaltskommission ist aufzuheben.
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2003 Verwaltungsrechtspflege 303 X. Verwaltungsrechtspflege 73 Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach § 52 Ziff. 11 VRPG (Zulassung zu einer Prüfung). - Bei der gerichtlichen Überprüfung der Zulassung zu einer Prüfung gemäss § 52 Ziff. 11 VRPG geht es um die Beurteilung von Prüfungs- voraussetzungen, welche rein formaler Natur sind und keine Bewer- tungskomponenten beinhalten (Erw. 2/c/bb). - Der Begriff der Prüfung in § 52 Ziff. 11 VRPG beschränkt sich nach heutigem Verständnis nicht auf einen einheitlichen, zeitlich eng be- grenzten Prüfungsakt, sondern kann in verschiedene Teilelemente, wie Testate, Vordiplomprüfungen, Diplomprüfungen aufgeteilt sein, die sich auf die ganze Länge des Studiums verteilen (Erw. 2/c/cc). - Die Erteilung eines Testats als Ausdruck für genügende Leistungen kann nicht Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung gemäss § 52 Ziff. 11 VRPG sein (Erw. 2/d). - Ist das Testat Voraussetzung zur Zulassung zur Diplomarbeit und wurde es nicht erteilt, ist die Überprüfung der Frage, ob jemand zur Diplomarbeit zuzulassen sei, ebensowenig Sache des Verwaltungsge- richts wie die Frage, ob das Testat zu Recht nicht erteilt wurde (Erw. 3). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 22. Januar 2003 in Sa- chen R.P. gegen Entscheid des Regierungsrates. Aus den Erwägungen 1. Der Beschwerdeführer stützt seine Beschwerde formell auf § 52 Ziff. 11 VRPG. Die Vorinstanz bejaht eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gestützt auf § 52 Ziff. 11 VRPG, allerdings unter Vorbehalt (siehe hinten, Erw. 2/a). Das Verwaltungsgericht prüft seine Zuständigkeit indessen von Amtes wegen (§ 6 VRPG). Es darf 2003 Verwaltungsgericht 304 Beschwerden nur in Fällen beurteilen, welche das VRPG oder ein anderes Gesetz bestimmt (§ 51 Abs. 1 VRPG). 2. a) Gemäss § 52 Ziff. 11 VRPG urteilt das Verwaltungsgericht über die Zulassung zu einer Prüfung, soweit sie nicht von der Be- wertung der Schulleistungen abhängt, und unter Ausschluss der Frage, ob die Prüfung bestanden wurde, auch wenn davon die Ertei- lung einer Bewilligung gemäss Ziffer 8 abhängt. Die Vorinstanz führt in ihrem Entscheid aus, es sei unklar, in- wiefern eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestützt auf § 52 Ziff. 11 VRPG zulässig sei. Im vorliegenden Fall gehe es um die Nichterteilung des Testats, welches zur Erlangung des Fachhoch- schuldiploms vorausgesetzt werde. Eine Bewertung einer Schulleis- tung stehe dabei nicht zur Diskussion. Dieser Sachverhalt sei zumin- dest mit der Zulassung zu einer Prüfung gemäss § 52 Ziff. 11 VRPG vergleichbar, weshalb dem Entscheid eine entsprechende Rechtsmit- telbelehrung angefügt worden sei, allerdings mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass einzig das Verwaltungsgericht verbindlich darüber entscheiden könne, ob diese Rechtsmittelmöglichkeit auch tatsäch- lich bestehe. Auch nach Ansicht des Beschwerdeführers ist im vorliegenden Fall keine Bewertung von Schulleistungen zu überprüfen; es gehe auch nicht darum zu entscheiden, ob eine Prüfung bestanden sei oder nicht. Effektiv streitig sei, ob dem Beschwerdeführer das für die Erteilung des Diploms noch fehlende Testat "Labor Systempro- grammierung" wegen angeblich nicht fristgerechter Abgabe der Übung "CORBA" zu Recht verweigert worden sei. Dabei handle es sich nicht um Bewertungen, die sich für die gerichtliche Überprüfung nicht eignen. Inwiefern es sich um eine "Zulassung zu einer Prüfung" im Sinne von § 52 Ziff. 11 VRPG handelt, führt der Beschwerdefüh- rer nicht weiter aus. b) Die beiden Rechtsbegehren des Beschwerdeführers und die damit im Zusammenhang stehende Nichterteilung des Diploms fallen zeitlich auf das Jahr 2001. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Studien- gang im Bereich Informatik durch die Verordnung über die Fach- hochschule Technik, Wirtschaft und Gestaltung vom 29. Oktober 1997 (Fachhochschulverordnung I, AFHV I) geregelt. Neu wird der 2003 Verwaltungsrechtspflege 305 Studiengang in der Verordnung über die Diplomstudiengänge Elek- tro- und Informationstechnik, Informatik sowie Maschinenbau (AFHV Elektro- und Informationstechnik, Informatik, Maschinen- bau; SAR 426.715) vom 10. Juli 2002, in Kraft seit 1. Oktober 2002 geregelt. Dieser neuen Verordnung sind keine Übergangsbestimmun- gen zu entnehmen, weshalb nach den allgemeinen intertemporal- rechtlichen Regeln im vorliegenden Fall die AFHV I zur Anwendung kommt (vgl. Ulrich Häfelin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungs- recht, 4. Auflage, Zürich 2002, Rz. 325 ff.). c) aa) In seiner Botschaft vom 3. Mai 1967 führt der Regie- rungsrat zu § 52 Ziff. 11 VRPG (§ 46 Ziff. 11 Entwurf) aus, dass die Frage der Zulassung zu einer Prüfung bei gewissen Berufsprüfungen eine Rolle spiele, wo zum Akzess bestimmte Voraussetzungen ver- langt würden. So würden z.B. an die Zulassung zum Notariatsex- amen Voraussetzungen betreffend Schulbildung, Art der Berufslehre und Praktika geknüpft. Soweit die Zulassung von der Bewertung schulischer Leistungen abhänge, werde die Zuständigkeit des Ver- waltungsgerichts ausgeschlossen. Das Gleiche gelte für die Frage, ob eine Prüfung bestanden worden sei. Es handle sich hier um Bewer- tungen, die sich einer gerichtlichen Überprüfung entzögen (Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossrat vom 3. Mai 1967, S. 36). Die Grossratskommission Verwaltungsrechtspflege genehmigte § 52 Ziff. 11 (§ 46 Ziff. 11 Entwurf) diskussionslos (Protokoll der Grossratskommission Verwaltungsrechtspflege vom 14. bis 16. September 1967, S. 13). Die übrigen Materialien enthal- ten keine weiteren Hinweise. bb) Das Beispiel der Notariatsprüfung belegt, dass der Gesetz- geber unter der "Zulassung zu einer Prüfung" nur jene Prüfungsvor- aussetzungen verstanden wissen wollte, welche im strengen Sinne rein formaler Natur sind und jedenfalls keine Bewertungskompo- nenten beinhalten. Es geht also (lediglich) darum, ob ein Bewerber bestimmte Schulen oder Kurse besucht, Praktika von vorgegebener Länge absolviert hat usw. Es leuchtet auch durchaus ein, dass in die- sem Bereich Justiziabilität besteht. Auf die Bewertung von Leistun- gen im Rahmen einer Prüfung dagegen ist eine richterliche Überprü- fung nicht zugeschnitten. Ähnliche Beispiele wie die Notariatsprü- 2003 Verwaltungsgericht 306 fung sind etwa das Anwaltsexamen, die Wirtefachprüfung oder die Jägerprüfung. cc) Nach heutigem Verständnis muss nun der angestammte Be- griff der Prüfung, welche wie die vorhin genannten Beispiele in Form eines einheitlichen, zeitlich eng begrenzten Prüfungsakts durchgeführt wird, allerdings ausgeweitet werden. Gerade im Fach- hochschulbereich sind die Prüfungen aufgeteilt in verschiedene Teil- elemente, die sich auf die ganze Länge des Studiums verteilen. So müssen sich die Studierenden Leistungsbeurteilungen unterziehen, wobei die genügenden Leistungen mittels Testaten bezeugt werden (vgl. § 9a Abs. 2 AFHV I bzw. neu § 9 AFHV Elektro- und Informa- tionstechnik, Informatik, Maschinenbau), sie müssen weiter Vordi- plomprüfungen und Diplomprüfungen absolvieren (siehe Informa- tionsbroschüre der Fachhochschule Aargau Nordwestschweiz "Stu- diengang Informatik"). Den Abschluss des Studiums bildet das Di- plom; es wird erteilt, wenn alle erforderlichen Testate vorliegen, der vorgegebene Durchschnitt aller Prüfungsnoten erreicht ist und auch die Diplomarbeit genügend ist (vgl. § 15 AFHV I bzw. neu § 21 AFHV Elektro- und Informationstechnik, Informatik, Maschinen- bau). Diese Prüfungselemente sind alle mit Bewertungen verbunden. Dies gilt auch für die Testate, welche wie erwähnt Ausdruck für die Leistungsbeurteilungen sind. Es handelt sich also um eine andere Art von Testaten als jene, welche an den Universitäten erteilt werden und nur die Tatsache des Vorlesungsbesuchs bestätigen. Im Unterschied zu den Prüfungen (in einem moderneren Sinne) gibt es auch an der Fachhochschule eigentliche Zulassungsvoraussetzungen bzw. Anfor- derungen, welche den prüfungsfreien Übertritt regeln (§ 4 AFHV I bzw. neu § 2 AFHV Elektro- und Informationstechnik, Informatik, Maschinenbau); deren Einhaltung ist aufgrund von § 52 Ziff. 11 VRPG durch das Verwaltungsgericht überprüfbar. d) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet die Erteilung bzw. Nichterteilung des Testats "Labor Systemprogrammierung". Nach dem Gesagten kann die Erteilung dieses Testats nicht Gegen- stand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung sein, weil hier kla- rerweise eine Bewertungskomponente hineinspielt. In diesem Zu- sammenhang ist speziell darauf hinzuweisen, dass eine schriftliche 2003 Verwaltungsrechtspflege 307 Arbeit nicht nur inhaltlichen Anforderungen genügen, sondern auch zeitgerecht abgeliefert werden muss; auch dies gehört zur - zu be- wertenden - schulischen Leistung. Auf die Beschwerde darf deshalb mangels rechtlicher Zuständigkeit nicht eingetreten werden. 3. Der Beschwerdeführer verlangt auch, dass ihm das Ergebnis seiner Diplomarbeit bekanntgegeben werde. Die Zulassung zur Di- plomarbeit setzt voraus, dass der Studierende am Ende des 6. Semesters alle erforderlichen Testate vorweist und die Diplom- prüfung bestanden hat. Der Beschwerdeführer durfte die Diplomar- beit nur unter Vorbehalt einreichen, weil die Frage des Vorliegens des Testats und seine Zulassung nicht rechtsgültig geklärt war. Die Zulassung zur Diplomarbeit und deren Korrektur stand un- ter der Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer die Zulassungs- voraussetzungen erfüllt. Da das Testat "Labor Systemprogrammie- rung" fehlt, bestand keine Verpflichtung zur Korrektur der Diplom- arbeit. Die Überprüfung der Frage, ob der Beschwerdeführer zur Diplomarbeit zuzulassen bzw. die vorsorglich eingereichte Diplom- arbeit zu korrigieren ist, kann ebensowenig Sache des Verwaltungs- gerichts sein wie die Frage, ob dem Beschwerdeführer das Testat zu Recht nicht erteilt wurde. 4. Zusammenfassend ergibt sich, dass auf die vorliegenden Be- schwerdeanträge gestützt auf § 52 Ziff. 11 VRPG nicht eingetreten werden darf. Der Fall kann auch nicht unter eines der anderen Sach- gebiete in § 52 VRPG subsumiert werden. Da keine Beschwerde- gründe gemäss § 53 VRPG geltend gemacht wurden, ist auch eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gestützt auf diese Bestim- mung zu verneinen. Redaktionelle Anmerkung Das Bundesgericht, II. Öffentlichrechtliche Abteilung, hat eine gegen den Entscheid vom 22. Januar 2003 erhobene staatsrechtliche Beschwerde mit Urteil vom 6. Juni 2003 abgewiesen (BGE 2P.148/2003).
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2014 Kantonale Steuern 83 10 § 177 Abs. 3 lit. b StG Einreichen einer Steuererklärung als verjährungsunterbrechende Hand- lung Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 26. Juni 2014 in Sachen KStA gegen A.X. und B.X. (WBE.2014.14). Aus den Erwägungen 1. Materiell ist umstritten, ob die Veranlagungsverjährung betref- fend die Kantons- und Gemeindesteuern 2005 gemäss § 177 StG ein- getreten ist. Die fünfjährige Verjährungsfrist für die Veranlagung der Kantons- und Gemeindesteuern 2005 begann am 1. Januar 2006 zu laufen und wäre ohne Unterbrechung am 31. Dezember 2010 abge- laufen. Die Veranlagung im vorliegenden Fall erfolgte erst am 20. November 2012 und ist daher nur rechtzeitig, wenn zuvor die Verjährung unterbrochen wurde. 1.1. Die Beschwerdeführerin sieht im vorbehaltlosen Einreichen der Steuererklärung eine die Verjährung unterbrechende Handlung, da so die Steuerforderung im Sinne von § 177 Abs. 3 lit. b StG ausdrück- lich anerkannt werde. Der von der Vorinstanz zitierte Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 17. März 2010 (WBE.2009.198) betreffe einen mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbaren Sachver- halt. Die Beschwerdegegner bestreiten die Unterbrechungswirkung der Einreichung einer Steuererklärung, da mit dem Einreichen der- selben keine betraglich fixierte Steuerforderung entstehe und somit auch nicht anerkannt werden könne. Das Einreichen an sich stelle keine ausdrückliche, sondern, wenn überhaupt, eine konkludente Anerkennung dar. 1.2. Die Vorinstanz ist unter Berufung auf ein Urteil des Verwal- tungsgerichts vom 17. März 2010 (WBE.2009.198) zur Auffassung 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 84 gelangt, in diesem Entscheid habe das Verwaltungsgericht die Einrei- chung einer Steuererklärung nicht als Anerkennungshandlung im Sinne von Art. 120 Abs. 3 lit. b DBG genügen lassen. Dementspre- chend sei auch hier im Rahmen der Anwendung von § 177 Abs. 3 lit. b StG gleich zu entscheiden. 1.2.1. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht erkannt hat, wurde im angeführten Entscheid beurteilt, ob mit dem Einreichen der einmali- gen Übergangssteuererklärung 2001 für die ordentlich und perio- disch erhobene Einkommenssteuer zugleich eine Anerkennung für eine ausnahmsweise und nur unter besonderen Voraussetzungen ge- schuldete Sondersteuer einherging. Speziell war insbesondere, dass dazumal das Steuersystem von der zweijährigen Vergangenheitsbe- messung auf die einjährige Gegenwartsbemessung umgestellt wurde, wobei ordentliche Einkünfte in eine Bemessungslücke fielen und steuerfrei blieben. Das Verfahren war in dieser Periode darauf ausge- richtet, im Normalfall keine Steuerforderung entstehen zu lassen, was zur Folge hatte, dass auch keine Steuerforderung hätte anerkannt werden können. Nur die Deklaration von ausserordentlichen Einkünften hätte eine Sondersteuer auslösen können und eine Steuer- forderung nach sich gezogen, welche einer Anerkennung zugänglich gewesen wäre. Damit konnte das Einreichen einer Steuererklärung in dieser speziellen Ausnahmesituation lediglich für den Fall, dass ausseror- dentliche Einkünfte deklariert wurden, zu einer Anerkennung einer Steuerforderung führen. Die Deklaration von ordentlichen Einkünf- ten in der Übergangssteuererklärung war nicht geeignet, eine Steuer- forderung entstehen zu lassen. Aus diesem Grund geht auch der Ein- wand der Beschwerdegegner fehl, wonach eine unterschiedliche Qualifikation einer Erklärung Steuerpflichtiger nach der Natur des Steuerobjekts nicht gerechtfertigt sei. In der besonderen Konstella- tion des zitierten Entscheids musste zwingend eine unterschiedliche Qualifikation vorgenommen werden, da dort ausnahmsweise ordent- liche Einkünfte zu keiner Steuerforderung führen konnten. Im vorlie- genden Fall führen jedoch ordentliche Einkünfte zu einer Steuer- forderung. Die unterschiedliche Qualifikation wird denn auch nicht 2014 Kantonale Steuern 85 aufgrund einer unterschiedlichen Natur des Steuerobjekts vorgenom- men, sondern ausschliesslich aufgrund der unterschiedlichen Folgen des Deklarationsverhaltens im Falle einer Bemessungslücke. Der aktuelle Fall und der von der Vorinstanz zitierte Entscheid unterscheiden sich somit erheblich. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend macht, kann daher der zitierte Entscheid nicht ohne weiteres für die Entscheidfindung des vorliegenden Falls herangezo- gen werden. 1.2.2. Genau betrachtet, ist für den vorliegenden Fall nur Erwägung 3.2. des zitierten Entscheids relevant, wo das Gericht allgemein fest- hält, dass unter früherem Recht neben ausdrücklichen auch konklu- dente Handlungen, wie das Einreichen der Steuererklärung, als Aner- kennung in Betracht gekommen seien, während gemäss heutiger Re- gelung ausschliesslich eine ausdrückliche Handlung die Verjährung unterbrechen könne. Demnach hätte damals das Verwaltungsgericht es im zitierten Entscheid jedoch bei der Feststellung belassen kön- nen, wonach das Einreichen der Steuererklärung den Lauf der Ver- jährung nicht unterbreche und die Beschwerde gutheissen können. Es prüfte dennoch, ob die von den Beschwerdeführern in der Steuer- erklärung aufgeführten Bemerkungen eine ausdrückliche Anerken- nung darstellten. Daraus wird ersichtlich, dass das Gericht nicht von vornherein ausschliessen wollte, dass dem Einreichen einer Steuer- erklärung unter gewissen Umständen verjährungsunterbrechende Wirkung zukommen kann. 2. Zu prüfen ist daher, ob die Beschwerdeführerin bei richtiger Auslegung von Art. 177 Abs. 3 lit. b StG etwas für ihren Standpunkt ableiten kann. 2.1. Das Recht, eine Steuer zu veranlagen, verjährt - abgesehen von hier nicht zutreffenden Ausnahmen - fünf Jahre nach Ablauf der Steuerperiode (Veranlagungsverjährung, § 177 Abs. 1 StG). Die Ver- jährung beginnt nicht oder steht still insbesondere während eines Einsprache-, Rekurs-, Beschwerde- oder Revisionsverfahrens (§ 177 Abs. 2 lit. a StG). Der Lauf der Verjährungsfrist kann unterbrochen 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 86 werden und die Verjährung beginnt neu u.a. mit jeder auf Feststel- lung oder Geltendmachung der Steuerforderung gerichteten Amts- handlung, die einer steuerpflichtigen oder einer mithaftenden Person zur Kenntnis gebracht wird (§ 177 Abs. 3 lit. a StG) sowie mit der ausdrücklichen Anerkennung der Steuerforderung durch die steuer- pflichtige Person (§ 177 Abs. 3 lit. b StG). Die absolute Verjährung beträgt 15 Jahre (§ 177 Abs. 4 StG). 2.2. Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestim- mung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegun- gen möglich, so muss nach der wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustellen ist namentlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm und ihren Zweck sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit ande- ren Bestimmungen zukommt. Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und hat nur dann allein auf den Wortlaut abgestellt, wenn sich daraus zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung ergibt. Sind mehrere Interpretationen denkbar, soll jene gewählt werden, welche die verfassungsrechtlichen Vorgaben am besten berücksichtigt (BGE 135 II 416 Erw. 2.2 mit weiteren Hinweisen). 2.2.1. Gemäss § 177 Abs. 3 lit. b StG beginnt die Verjährung mit jeder ausdrücklichen Anerkennung der Steuerforderung durch den Steuer- pflichtigen neu. Der Begriff der Anerkennung findet sich in Art. 135 Ziff. 1 OR). Die Anerkennung ist eine Erklärung oder Handlung des Schuldners bzw. des von ihm ermächtigten Vertreters, mit der gegen- über dem Gläubiger das Bewusstsein zum Ausdruck gebracht wird, dass gegenüber dem Gläubiger eine bestimmte rechtliche Leistungs- pflicht besteht. Eine wirksame Anerkennung setzt u.a. das Verpflich- tungsbewusstsein des Schuldners, Bestimmtheit und Kenntnisnahme der Anerkennung voraus. Unter Anerkennung kann nur ein solches Verhalten verstanden werden, das klar und unzweideutig in einer er- kennbaren Weise das Bewusstsein von der Existenz der Schuld be- zeugt (vgl. zum Ganzen: S TEPHEN V. B ERTI , in: Zürcher Kommentar, Obligationenrecht, Teilband V1h: Das Erlöschen der Obligationen, 2014 Kantonale Steuern 87 Art. 127 - 142 OR, 3. Aufl., Zürich 2002, Art. 135 Rz. 11 ff. mit Hin- weisen; vgl. auch BGE 134 III 591 Erw. 5.2.1). Eine Anerkennungs- handlung nach Art. 135 Ziff. 1 OR setzt keinen auf Unterbrechung der Verjährung gerichteten Willen voraus. Als Anerkennung mit Un- terbrechungswirkung gilt jedes Verhalten des Schuldners, das vom Gläubiger nach Treu und Glauben im Verkehr als Bestätigung seiner rechtlichen Verpflichtung aufgefasst werden darf (BGE 119 II 368 Erw. 7b; BGE 110 II 176 Erw. 3). 2.2.2. Im Unterschied zu Art. 135 OR, der generell von der "Anerken- nung der Forderung von seiten des Schuldners" spricht, verlangt § 177 Abs. 3 lit. b StG, der von Art. 120 Abs. 3 lit. b DBG inspiriert ist (vgl. Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 21. Mai 1997 zur Totalrevision des aargauischen Steuergesetzes, Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, S. 115) und sich im Wortlaut weitgehend an diese Vorschrift anlehnt, für die Un- terbrechung der Verjährung eine "ausdrückliche Anerkennung der Steuerforderung". Daraus wird in der Lehre zum Teil geschlossen, konkludente Anerkennungshandlungen zeitigten bei der Kantons- und Gemeindesteuer sowie bei der direkten Bundessteuer keine Unterbrechungswirkung (so M ARKUS B INDER , Die Verjährung im schweizerischen Steuerrecht, Dissertation Zürich 1985, § 11 VI.B.3. S. 283; ebenso für § 177 Abs. 3 lit. b StG - mit unzutreffender Beru- fung auf einen Entscheid des Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 1970 [AGVE 1970, 209, wo das Verwaltungsgericht auf einen Entscheid des Bundesgerichts Bezug nimmt, in dem dieses ausdrücklich die Möglichkeit einer konkludenten Anerkennung anerkennt] - D IETER E GLOFF , in: M ARIANNE K LÖTI -W EBER /D AVE S IEGRIST /D IETER W EBER , Kommentar zum Aargauischen Steuergesetz, 3. Aufl., Muri 2009, [Kommentar StG] § 177 N 38). 2.2.3. Dieser Auffassung kann mit Blick auf die weiteren Auslegungs- methoden (systematische, teleologische und historische Auslegung) nicht gefolgt werden: Zum einen enthalten verschiedene andere Bun- desgesetze Bestimmungen, wonach die Verjährung durch Anerken- nungshandlungen unterbrochen wird (vgl. die Zusammenstellung bei 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 88 T HOMAS M EIER , Verjährung und Verwirkung öffentlich-rechtlicher Forderungen, Fribourg 2013, S. 215, der neben der Regel des DBG Normen aus weiteren sechs Bundesgesetzen auflistet). Alle diese Bestimmungen machen die Unterbrechungswirkung nicht von einer ausdrücklichen Anerkennung abhängig. Ebenso wird in der allgemei- nen Bestimmung des kantonalen Rechts zur Verjährung öffentlich- rechtlicher Forderungen (§ 5 Abs. 3 lit. c VRPG) für die Unterbre- chung der Verjährung lediglich die Anerkennung, nicht hingegen eine ausdrückliche Anerkennung verlangt. Angesichts dessen be- dürfte es starker Indizien dafür, dass und warum der Gesetzgeber beim Erlass von Art. 120 Abs. 3 lit. b DGB sowie § 177 Abs. 3 lit. b StG nur die ausdrückliche Anerkennung hätte genügen und damit konkludente Anerkennungshandlungen als verjährungsunterbre- chende Tatbestände ausschliessen wollen. Hinweise auf einen ent- sprechenden Willen des Gesetzgebers und allfällige unterliegende Motive sind indessen den Materialien zum DBG (vgl. Botschaft des Bundesrats zu Bundesgesetzen über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden sowie über die direkte Bundes- steuer, BBl 1983 III 1 ff, 207) nicht zu entnehmen und auch in den Materialien zum StG fehlen entsprechende Anhaltspunkte (vgl. Bot- schaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 21. Mai 1997 zur Totalrevision des aargauischen Steuergesetzes, Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, S. 115). Unter diesen Umstän- den müssen auch konkludente Anerkennungshandlungen, d.h. jedes Verhalten, das nach Treu und Glauben als Bestätigung der rechtli- chen schuldnerischen Verpflichtung aufgefasst werden kann, unter den Begriff der ausdrücklichen Anerkennung gemäss § 177 Abs. 3 lit. b StG subsumiert werden (so auch die generelle Aussage für das Steuerrecht bei M ICHAEL B EUSCH , Der Untergang der Steuerforde- rung, Zürich, 2012, S. 298 mit Hinweisen [FN 2454]). Das Einreichen der Steuererklärung ist, wie die Beschwerde- gegner selber ausführen, eine konkludente Anerkennungshandlung und nach dem Gesagten geeignet, die Verjährung zu unterbrechen. 2.2.4. Die Beschwerdeführerin wirft zu Recht die Frage auf, welche Handlungen der Steuerpflichtigen denn noch als ausdrückliche Aner- 2014 Kantonale Steuern 89 kennung einer Steuerforderung zu qualifizieren seien, wenn das vorbehaltlose Einreichen der Steuererklärung dazu nicht ausreiche. Übrig blieben wohl ausschliesslich schriftliche oder mündliche Äusserungen von Steuerpflichtigen gegenüber der Steuerbehörde mit dem Wortlaut, sie würden "die Steuerforderung anerkennen". Der Anwendungsbereich von § 177 Abs. 3 lit. b StG wäre damit aber im Wesentlichen auf theoretische Fälle beschränkt, macht es doch für ei- nen Steuerpflichtigen keinen Sinn, die Steuerforderung ausdrücklich anzuerkennen, wenn das Einreichen der Steuererklärung bereits eine (mindestens konkludente) Anerkennungshandlung darstellt. Mit der Abgabe der Steuererklärung hat der Steuerpflichtige seine Verfah- renspflichten vorläufig erfüllt und der Steuerbehörde einen Antrag auf Veranlagung gestellt. Er muss daher erst wieder reagieren, wenn die Steuerbehörde ihn dazu auffordert, beispielsweise wenn er ver- gessen hat, die Steuererklärung zu unterzeichnen. Die entsprechende Aufforderung der Steuerbehörde ist im Übrigen verjährungsunter- brechend (D IETER E GLOFF , Kommentar StG, § 177 Rz. 32). Es be- steht somit für die steuerpflichtige Person keine Veranlassung, die Steuerforderung, nachdem sie diese bereits mittels Einreichung der Steuererklärung (mindestens konkludent) anerkannt hat, zusätzlich separat nochmals anzuerkennen. Anders verhält es sich lediglich hin- sichtlich der Bezugsverjährung: So ist im Einreichen eines Erlassge- suchs (auch) eine Anerkennung der bereits rechtskräftig veranlagten Steuer zu erblicken (vgl. dazu M ARTIN Z WEIFEL /H UGO C ASANOVA , Schweizerische Steuerverfahrensrecht Direkte Steuern, Zürich 2008, S. 250 FN 855). Neben dem Einreichen der Steuererklärung ist kein vernünftiger Anwendungsfall ersichtlich, welcher als ausdrückliche, verjährungsunterbrechende Forderungsanerkennung gemäss § 177 Abs. 3 lit. b StG zu qualifizieren wäre. Der in der Steuererklärung enthaltene Antrag auf Veranlagung gemäss den deklarierten Faktoren stellt somit eine Anerkennung der auf Selbstdeklaration fussenden und bereits im Einreichungszeitpunkt umrissenen Steuerforderung dar. 2.2.5. Für die Qualifizierung der Steuererklärung als ausdrückliche Anerkennung der Steuerforderung spricht auch die rechtliche Bedeu- 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 90 tung der Steuererklärung und ihrer Einreichung, welche zweifacher Natur ist. Sie ist Wissens- und Willenserklärung und stellt einen integrierenden Bestandteil des Veranlagungsverfahrens dar. Die Steuererklärung bildet eine Form der persönlichen Teilnahme am Veranlagungsverfahren (E RNST B LUMENSTEIN /P ETER L OCHER , Sys- tem des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., Zürich 2002, S. 413). Mit der Steuererklärung beantragt die steuerpflichtige Person die Steuerfaktoren entsprechend der Selbstdeklaration festzusetzen (M ARTIN S CHADE , Kommentar StG, § 180 Rz. 13). 2.2.6. Die Beschwerdegegner reichten ihre Steuererklärung ohne Vor- behalt ein und beantragten damit, gestützt auf die von ihnen dekla- rierten Steuerfaktoren veranlagt zu werden (Wissens- und Willens- erklärung). Mit dem Einreichen der unterzeichneten Steuererklärung wird gegenüber der Steuerverwaltung das Bewusstsein zum Aus- druck gebracht, dass eine bestimmte rechtliche Leistungspflicht be- steht. Durch das eigenhändige Unterzeichnen bezeugt der Steuer- pflichtige, die Steuererklärung wahrheitsgemäss und vollständig ausgefüllt zu haben und stellt gleichzeitig den Antrag, gemäss diesen Angaben veranlagt zu werden. Das Erfordernis der Schriftlichkeit unterstreicht einerseits die Bedeutung des Deklarationsverfahrens und andererseits liegt damit eine explizite Erklärung des Steuer- pflichtigen vor. Diese ausdrückliche Erklärung erstreckt sich auf die Angaben in der Steuererklärung sowie auf die bereits mit der Einrei- chung der Steuererklärung konkretisierte Steuerforderung. Damit ist das Einreichen der Steuererklärung als verjährungsunterbrechende ausdrückliche Anerkennung einer Steuerforderung im Sinne von § 177 Abs. 3 lit. b StG zu qualifizieren. 2.2.7. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdegegner ist es für eine verjährungsunterbrechende Anerkennung durch den Steuer- pflichtigen nicht notwendig, dass der Steuerbetrag, respektive die Steuerforderung bereits feststehen. Der steuerbegründende Tatbe- stand muss bloss im Wesentlichen umrissen sein - der Steuerpflich- tige muss wissen, worum es geht - und die Steuer braucht noch nicht einmal ziffernmässig festgelegt zu sein (M ICHAEL B EUSCH , in: 2014 Kantonale Steuern 91 M ARTIN Z WEIFEL , P ETER A THANAS [Hrsg], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, I/2b, 2. Auflage, Basel 2008, Art. 120 DBG N 47, mit Hinweis auf BGE 126 II 1). Der mit dem Einreichen der Steuererklärung einhergehende Antrag der Beschwerdegegner auf Veranlagung gemäss den deklarierten Faktoren bestimmt nun aber bereits den mutmasslich zu bezahlenden Steuerbetrag, zumal das Steueramt im Internet einen Steuerrechner anbietet und in der Wegleitung zur Steuererklärung Auszüge aus dem Steuertarif ab- druckt, wodurch der Steuerpflichtige in der Lage ist, die zu bezah- lende Steuer zu berechnen. Ausserdem ist sich die Lehre einig, dass das Einreichen der Steuererklärung zumindest eine konkludente Anerkennung der Steuerforderung beinhaltet (M ARKUS B INDER , a.a.O., § 11 VI.B.2, S. 282 f.; D IETER E GLOFF , Kommentar StG, § 177 Rz. 38). Damit ist auch der Einwand der Beschwerdeführer, es entstehe mit dem Einreichen der Steuererklärung gar keine Steuerfor- derung, nicht stichhaltig. 2.2.8. Im Ergebnis unterbrachen die Beschwerdegegner wie dargelegt mit dem Einreichen der Steuererklärung am 20. Februar 2007 die Veranlagungsverjährung ein erstes Mal, wodurch der Ablauf der Ver- jährung auf den 20. Februar 2012 zu liegen kam. Das Gemein- desteueramt unterbrach sodann die laufende Verjährung mit Schrei- ben vom 8. Dezember 2011 an die Beschwerdegegner, respektive de- ren Vertreterin, womit die relative Verjährungsfrist von fünf Jahren wiederum neu zu laufen begann. Dieses Schreiben ist, wie die Be- schwerdegegner selber ausführen, zur Unterbrechung der Verjährung geeignet, sodass sich weitere Ausführungen dazu erübrigen. Die Be- schwerde ist demnach gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben.
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AG_VG_001_AGVE-2014-10_2014-06-02
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2003 Verwaltungsgericht 258 [...] 61 Preisbewertung; Vorbehalte mit Kostenauswirkungen. - Vorbehalte bezüglich Mehrkosten, die nicht ohnehin zusätzlich vergü- tet werden müssen (wie beispielsweise Mehrkosten wegen ausseror- dentlicher Umstände im Sinne von Art. 373 Abs. 2 OR, schuldhaften Verhaltens des Bestellers, Annahmeverzugs oder Bestellungsänderun- gen) können einen Abzug bei der Preisbewertung rechtfertigen. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 25. November 2003 in Sachen K. AG gegen Gemeinderat Windisch. Aus den Erwägungen 3. a) Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Offerte u.a. die fol- genden "Ergänzungen und Bemerkungen zum Angebot" angebracht: 2003 Submissionen 259 - Allfällige Behandlungskosten für schadstoffhaltiges Material ist in unseren Preisen nicht enthalten. Ebenso die möglichen Erschwer- nisse wegen archäologischen Funden. - Die Einheitspreise verstehen sich ohne Mehrwertsteuer. - Das Freilegen der Grenzsteine und das Abstecken der Hauptachse ist Sache der Bauleitung. - Die Transportpreise basieren auf vollen Ladungen des jeweiligen Transportfahrzeuges. - Unserer Kalkulation liegt zu Grunde, dass die öffentlichen Strassen ohne Behinderungen befahren werden können. Die Beschwerdeführerin verneint, dass es sich dabei um kosten- relevante Vorbehalte handle. Vielmehr sei damit ausschliesslich darauf hingewiesen worden, dass Bestellungsänderungen mit Kos- tenfolgen verbunden seien. Das allfällige Vorfinden von ver- schmutztem Material oder das Vorhandensein archäologischer Funde habe Bestellungsänderungen zur Folge, die alle Anbieter zu Mehrfor- derungen berechtigen und zur Anpassung der Werkpreise führen würden. Es handle sich somit lediglich - im Sinne einer Dienstleis- tung - um einen Hinweis auf allfällige Kostenrisiken, welche aus- schliesslich in der Sphäre der Vergabestelle liegen würden. b) aa) Grundlage der Offerte bildeten im vorliegenden Fall zu- nächst die Besonderen Bestimmungen der I., sodann u.a. die SIA- Norm 118 und einschlägigen Bestimmungen des OR. bb) Gemäss den Besonderen Bestimmungen verpflichteten sich die Anbieter mit ihrer Offerte "in rechtsverbindlicher Weise, sämtli- che genannte Arbeiten zu den eingesetzten Einheitspreisen zu über- nehmen und vertragsgemäss in allen Teilen sach- und fachgemäss fertig zu stellen". Auch ein Unter- oder Überschreiten der (approxi- mativen) Ausmasse berechtigte den Unternehmer nicht zur Ände- rung. Mithin waren die eingesetzten Einheitspreise fest vereinbart, d.h. es liegt eine feste Übernahme der Werkausführung zu genau bestimmten Einheitspreisen vor (Peter Gauch, Der Werkvertrag, 4. Auflage, Zürich 1996, S. 258 Rz. 915). Der Unternehmer hat An- spruch auf Bezahlung des zum Voraus genau bestimmten Preises je geleisteter (erforderlicher) Einheit, nicht mehr und nicht weniger (Art. 373 Abs. 1 und 3 OR; SIA-Norm 118, Art. 38 Abs. 2 und 58 2003 Verwaltungsgericht 260 Abs. 1; Gauch, a.a.O., S. 262 Rz. 929). Der vereinbarte Einheitspreis ist unabhängig von den tatsächlichen Erstellungskosten und unabän- derlich, mögen dem Ersteller auch grössere oder geringere Kosten erwachsen als vorgesehen war. Der umschriebene Festpreischarakter des Einheitspreises ist allerdings nicht ein absoluter. Zur Mehrver- gütung führen können u.a. das Vorliegen ausserordentlicher Um- stände im Sinne von Art. 373 Abs. 2 OR, schuldhaftes Verhalten des Bestellers, Annahmeverzug oder Bestellungsänderungen (Gauch, a.a.O., S. 262, Rz. 930, S. 291, Rz. 1045). Gemäss Art. 372 Abs. 2 OR kann das Gericht nach seinem Ermessen eine Erhöhung des Prei- ses (oder sogar die Auflösung des Vertrages) bewilligen, falls ausser- ordentliche Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten oder die nach den von beiden Beteiligten angenommenen Voraussetzun- gen ausgeschlossen waren, die Fertigstellung hindern oder übermäs- sig erschweren. Eine ähnliche Regelung enthält Art. 59 Abs. 1 SIA- Norm 118. Danach gehören zu den ausserordentlichen Umständen z.B. Wassereinbrüche, Erdbeben, Sturm, Gasaustritte, hohe unterirdi- sche Temperatur, Radioaktivität, einschneidende behördliche Mass- nahmen, Störung des Arbeitsfriedens. Zu den ausserordentlichen Umständen nach Art. 373 Abs. 2 OR können auch Schwierigkeiten des Baugrundes gehören, wie z.B. Kontamination von Abbruch- oder Aushubmaterialien (Gauch, a.a.O., S. 297, Rz. 1071; vgl. auch Peter Gauch, in Kommentar zur SIA-Norm 118, Art. 38 - 156, hrsg. von Peter Gauch, Zürich 1992, Art. 58 N 12 und N 17). Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn der Unternehmer das Aushub- und Ab- bruchmaterial zu Eigentum erwirbt und auf einen selbstgewählten Deponieplatz wegzuschaffen hat. In diesem Fall obliegen die erfor- derlichen Entsorgungsmassnahmen von vornherein dem Unterneh- mer, der sich bei gegebenen Voraussetzungen auf Art. 372 Abs. 2 OR berufen und eine Mehrvergütung geltend machen kann. Ist der Un- ternehmer hingegen nur zur Ablagerung des Materials auf dem Bau- platz oder zum Abtransport auf eine Deponie des Bauherrn ver- pflichtet, so liegt eine Bestellungsänderung vor, wenn der Bauherr eine zusätzliche Entsorgungsmassnahme (z.B. Abtransport auf eine Sonderdeponie) verlangt (Gauch, a.a.O., S. 319, Rz. 1150). 2003 Submissionen 261 cc) Mit der Einreichung der Offerte erklärten die Unternehmer ausdrücklich, über den Inhalt derselben orientiert zu sein und die allgemeinen und speziellen Bedingungen, den Arbeitsbeschrieb so- wie alle Zeichnungen und evtl. Muster eingesehen zu haben. Der Unternehmer hatte sich auch über die Lage des Bauplatzes, die Zu- fahrt und Depotmöglichkeiten, die Verhältnisse bezüglich eventuell nötiger Werkanschlüsse sowie über die Transportverhältnisse an Ort und Stelle und nach den vorliegenden Unterlagen zu orientieren. Die Ausschreibungsunterlagen enthalten keinerlei Hinweise auf ein mög- liches Vorhandensein schadstoffhaltigen Materials (vgl. Gauch, SIA- Norm 118, Art. 58 N 12). Es ist davon auszugehen, dass das Vorhan- densein von schadstoffbelastetem Material von der Vergabebehörde ausgeschlossen wurde, worauf sich die Anbieter bei der Kalkulation der Einheitspreise verlassen durften. Eine Veranlassung oder gar eine Verpflichtung der Anbieter, den Baugrund vorgängig der Offert- stellung selbst auf solches Material hin untersuchen zu lassen, be- stand im vorliegenden Fall (Erneuerung der Werkleitungen und Sa- nierung des Strassenbelags) nicht; die Bauherrschaft bzw. die örtliche Bauleitung muss diesbezüglich als (ausreichend) sachverständig qualifiziert werden (vgl. Art. 25 Abs. 3 SIA-Norm 118; ferner Gauch, SIA-Norm 118, Art. 58 N 17). Sollte daher im Verlaufe der Arbeitsausführung wider Erwarten doch schadstoffbelastetes Mate- rial aufgefunden werden, das einer speziellen Behandlung oder Ent- sorgung bedarf, so führt dies entweder zu einer Bestellungsänderung mit entsprechenden Kostenfolgen oder aber - soweit dieses Material ins Eigentum des Unternehmers übergeht - zur Mehrvergütung we- gen ausserordentlicher Umstände im Sinne von Art. 373 Abs. 2 OR zu Gunsten des Unternehmers. Gleiches muss für die erwähnten allfälligen Erschwernisse wegen archäologischer Funde geltend. Obwohl im Gemeindegebiet von Windisch solche Funde keineswegs unüblich sind, muss im vorliegenden Fall, in dem es um Erneue- rungs- und Sanierungsarbeiten und nicht um Neubauten geht, nicht damit gerechnet werden. Der Beschwerdeführerin ist darin beizu- pflichten, dass die unvorhergesehene Anpassung der Leitungsfüh- rung wegen solcher Funde einer Bestellungsänderung gleichkommen würde, die den ausführenden Unternehmer zu einer Mehrforderung 2003 Verwaltungsgericht 262 berechtigen würde. Der Umstand, dass die übrigen Unternehmer in ihren Angeboten keine entsprechenden Vorbehalte anbrachten, ändert nichts daran, dass sie im Falle des Eintretens solcher unvorhersehba- rer Ereignisse bzw. Erschwernisse ebenfalls berechtigt wären, ent- sprechende Mehrforderungen auf Grund ausserordentlicher Verhält- nisse oder Bestellungsänderungen geltend zu machen. dd) Die Ausschreibungsunterlagen enthalten keine Hinweise auf Einschränkungen in Bezug auf die Beladbarkeit der einzusetzenden Transportfahrzeuge oder die Benutzung der Zufahrtswege. Sie äussern sich zu den (einschränkenden) Verkehrsmassnahmen im Baustellenbereich und halten allgemein fest, dass der Werkverkehr des Unternehmers ohne spezielle Bewilligung die Verkehrsvorschrif- ten einzuhalten habe. Im Leistungsverzeichnis wird festgehalten, als Transportdistanz gelte die kürzeste benutzbare Verbindung der Mas- senschwerpunkte. Denkbar sind für den Unternehmer entstehende Mehrkosten, falls sich im Verlaufe der Auftragsausführung zeigen sollte, dass die Zufahrtsstrassen der Belastung durch den (zusätzli- chen) Lastwagenverkehr nicht gewachsen sind oder wenn gewisse öffentliche Strasse dem Werkverkehr - aus Gründen der Verkehrssi- cherheit oder des Immissionsschutzes bzw. auf Grund von Be- schwerden der Anwohner - nicht (mehr) zugänglich sind und Um- wege gefahren werden müssen. In diesem Sinne sind offenbar auch die Hinweise der Beschwerdeführerin zu verstehen. Indessen waren die Unternehmer verpflichtet, sich über die Lage des Bauplatzes, die Zufahrt und Depotmöglichkeiten, die Verhältnisse bezüglich even- tuell nötiger Werkanschlüsse sowie über die Transportverhältnisse an Ort und Stelle zu orientieren. Ebenso hatten sie die Möglichkeit, bei der Vergabebehörde entsprechende Auskünfte einzuholen. Die Be- schwerdeführerin kam auf Grund ihrer Abklärungen offensichtlich zur Überzeugung, dass ein Befahren der Zufahrtswege mit voll bela- denen Fahrzeugen möglich sei und kalkulierte die Einheitspreise für die Transporte dementsprechend, sie brachte aber einen entsprechen- den Hinweis bzw. Vorbehalt an. Wenn ein Unternehmer auf Grund der Besichtigung der Baustelle mit der Möglichkeit, dass solche Er- schwernisse eintreten könnten, rechnet, liegt es indessen nahe, dass er sich diesbezüglich bei der Auftraggeberin erkundigt und nähere 2003 Submissionen 263 Abklärungen macht. Tut er dies nicht, und kommt es später zu be- hördlichen Beschränkungen, sei dies in Bezug auf die Zufahrtswege oder in Bezug auf die Höchstbeladung der Fahrzeuge, so rechtfertigt sich eine Mehrvergütung nicht, sondern der Anbieter hat die damit verbundenen Mehrkosten selber zu tragen. Wird ihm jedoch seitens der Vergabebehörde ausdrücklich versichert, dass er nicht mit sol- chen Einschränkungen zu rechnen hat, muss er berechtigt sein, sich die Mehrkosten vergüten zu lassen, falls es in der Folge wider Er- warten trotzdem zu Einschränkungen kommt. Die Beschwerdeführerin hat im vorliegenden Fall darauf ver- zichtet, sich bei der Vergabebehörde nach möglichen Beschränkun- gen zu erkundigen. Insofern wäre sie nicht berechtigt, Mehrkosten geltend zu machen, falls es zur Anordnung von Beschränkungen kommen sollte. Die beiden Vorbehalte bezüglich Beladbarkeit der Fahrzeuge und Befahrbarkeit der öffentlichen Strassen müssen des- halb als kostenwirksam qualifiziert werden und berechtigen die Ver- gabebehörde zu einem entsprechenden Abzug bei der Bewertung. ee) Einen weiteren Hinweis hat die Beschwerdeführerin dahin- gehend gemacht, dass das Freilegen der Grenzsteine und das Ab- stecken der Hauptachse Sache der Bauleitung sei. Den Ausschrei- bungsunterlagen ist zu entnehmen, dass die für die Bauausführung nötige Absteckung der Hauptachsen und die Bezeichnung von Hö- henbezugspunkten durch die Bauleitung erfolgt, der Unternehmer aber für diese Arbeiten das nötige Hilfspersonal und Material unent- geltlich zur Verfügung stellt. Insofern stellt der von der Beschwerde- führerin gemachte Vorbehalt eine kostenrelevante Einschränkung der Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen dar. ff) Nicht kostenrelevant ist hingegen der Hinweis, die Ein- heitspreise verstünden sich ohne Mehrwertsteuer. Er stimmt mit den Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen überein. gg) Als im Hinblick auf den offerierten Preis möglicherweise kostenwirksam erweisen sich somit die Hinweise bezüglich der Transportkosten (volle Beladbarkeit der Fahrzeuge; uneinge- schränkte Befahrbarkeit der öffentlichen Strassen) sowie der Vorbe- halt in Bezug auf das Abstecken der Hauptachsen und das Freilegen der Freilegen der Grenzsteine, nicht aber die restlichen Hinweise und 2003 Verwaltungsgericht 264 Bemerkungen. Das heisst, die Vergabebehörde hätte lediglich bei den Transportkosten, die (zusammen mit den Einfüllungen) höchstens einen Drittel der gesamten Offertsumme ausmachen, mit allfälligen Mehrkosten zu rechnen. Die Bewertung des Angebots der Be- schwerdeführerin mit der Note 1 erscheint unter diesen Umständen nicht lediglich unangemessen, sondern stellt eine Ermessenüber- schreitung dar. Richtigerweise hätte hier die Bewertung mit der Note 2 ("befriedigend mit geringfügigen Abstrichen") erfolgen müssen. Dies führt dazu, dass die Beschwerdeführerin beim Zuschlags- kriterium "Preis" 300 Punkte (statt 290) hätte erhalten sollen.
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2006 Opferhilfe 243 IX. Opferhilfe 48 Opferhilfe, Genugtuung (Art. 12 Abs. 2 OHG). - Grundsätzliche Verbindlichkeit des Zivil- oder Strafurteils hinsicht- lich der Frage, wer als indirektes Opfer Anspruch auf Genugtuung hat, ebenso hinsichtlich der Höhe der Genugtuung, sofern diese vom Zivil- oder Strafrichter in einem streitigen Verfahren festgesetzt wurde. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. Mai 2006 in Sa- chen C.B. gegen Kantonalen Sozialdienst. Sachverhalt Der Vater der damals 16-jährigen Beschwerdeführerin versuchte seine Ehefrau (Mutter der Beschwerdeführerin) zu töten und ver- letzte sie schwer. Im Strafverfahren wurde der Täter verurteilt, der Beschwerdeführerin eine Genugtuungssumme von Fr. 7'500.-- zu zahlen, doch war das Geld bei ihm nicht eintreibbar. Aus den Erwägungen 1./1.1. Gemäss Art. 12 Abs. 2 OHG kann dem Opfer einer Straftat unabhängig von seinem Einkommen eine Genugtuung ausge- richtet werden, wenn es (kumulativ) schwer betroffen ist und beson- dere Umstände es rechtfertigen. Dem direkten Opfer (Art. 2 Abs. 1 OHG) werden sein Ehegatte, seine Kinder und Eltern sowie andere Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahe stehen, bezüglich der Geltendmachung von Entschädigung und Genugtuung gleichgestellt, soweit ihnen Zivilansprüche gegenüber dem Täter zustehen (Art. 2 Abs. 2 lit. c OHG). Dazu hat das Bundesgericht festgehalten, dass - 2006 Verwaltungsgericht 244 entsprechend dem Zweck der Opferhilfe - dem direkten Opfer nahe stehende Personen Entschädigung und Genugtuung gemäss Art. 11 ff. OHG nur geltend machen können, soweit ihnen ein entsprechen- der Zivilanspruch zusteht. Ein opferhilferechtlicher Genugtuungsan- spruch darf nicht von weniger strengen Voraussetzungen abhängig gemacht werden als ein zivilrechtlicher. Das bedeutet, dass als indi- rektes Opfer nur Genugtuung nach Art. 12 Abs. 2 OHG geltend ma- chen kann, wer nach Art. 47 oder allenfalls 49 OR Anspruch auf eine Genugtuung hat (BGE vom 8. Juni 2005, 1A.69/2005, Erw. 2.2; BGE vom 7. Dezember 2000, 1A.196/2000, Erw. 2b, in ZBl 102/2001, S. 494 f.). 1.2./1.2.1. Zu beurteilen, ob einer Person, die dem direkten Op- fer nahe steht, ein Zivilanspruch gegenüber dem Täter zusteht (Art. 2 Abs. 2 lit. c OHG), fällt in die Kompetenz des Zivilrichters (oder des Strafrichters, wenn dieser gleichzeitig über Zivilansprüche entschei- det; diese Konstellation ist im Folgenden mitgemeint, wenn einfach vom Zivilrichter oder Zivilprozess die Rede ist). Für die Opferhilfe- behörde handelt es sich um eine Vorfrage ausserhalb ihres Sachkom- petenzbereichs. Nach einem allgemein geltenden Grundsatz ist sie berechtigt, über eine solche Vorfrage selbstständig zu entscheiden (und insbesondere bei Verfahren, die eine speditive Erledigung er- fordern und daher eine Sistierung nur ausnahmsweise zulassen, ist sie dazu sogar verpflichtet), wenn die sachkompetente Behörde dar- über noch nicht entschieden hat; an einen bereits ergangenen Ent- scheid der sachkompetenten Behörde ist sie dagegen grundsätzlich gebunden (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungs- recht, 4. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2002, Rz. 58 ff. m.H.). Diese Grundsätze müssen auch im Bereich von Art. 2 Abs. 2 lit. c OHG gelten, zumal dort ausdrücklich auf das Zivilrecht verwiesen wird (" Zivilanspruch gegenüber dem Täter"). Das Bundesgericht hat denn auch festgehalten, dass hier das OHG "fait toutefois clairement réfé- rence aux notions de droit civile" (BGE vom 8. Juni 2005, 1A.69/2005, Erw. 2.2), und demgemäss die Bindung an den Ent- scheid des Zivilrichters betont, jedenfalls insoweit, als gestützt auf das OHG keine Genugtuung zugesprochen werden darf an Personen, deren Anspruch vom Zivilrichter verneint wurde (erwähnter BGE 2006 Opferhilfe 245 vom 8. Juni 2005, Erw. 2.2; vgl. auch BGE vom 12. Juni 2003, 1A.208/2002, Erw. 3.2, sowie erwähnter BGE vom 7. Dezember 2000, Erw. 2b, in ZBl 102/2001, S. 494 f.). Angesichts des in Art. 2 Abs. 2 lit. c OHG statuierten direkten Zusammenhangs mit der Re- gelung im Zivilrecht kann dies nicht nur einseitig zu Lasten der Op- fer gelten, sondern bedeutet konsequenterweise ebenfalls, dass die Genugtuung nach OHG bei Personen, deren Anspruch vom Zivil- richter rechtskräftig bejaht wurde, grundsätzlich nicht verweigert werden darf (VGE II/10 vom 24. Februar 2005 [BE 2005.00256], S. 6). 1.2.2. Der KSD lehnt diesen Schluss ab mit der Begründung, nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung bestehe in reinen Rechts- fragen keine Bindung (BGE 129 II 312 ff.; erwähnter BGE vom 12. Juni 2003, Erw. 2.2). Die Präjudizien beschlagen indessen nicht den vorliegend streitigen Sachverhalt und lassen sich auf diesen nicht übertragen. Das Bundesgericht hat erkannt, dass die vom Zivilrichter festgesetzte Höhe der Entschädigung für das direkte Opfer für den OHG-Bereich nicht verbindlich sei (BGE 129 II 315 ff.), was ange- sichts der unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen (siehe Art. 13 Abs. 1 OHG; BGE 129 II 315; 125 II 173 f.) nichts als selbstver- ständlich ist. Ebenso leuchtet es ohne weiteres ein, dass eine Bin- dungswirkung nur besteht, soweit der Zivilrichter über eine strittige Frage entschieden hat, nicht aber wo sein Urteil auf einem gericht- lich nicht überprüften Vergleich oder einer Vereinbarung der Parteien beruht (BGE 124 II 11 ff.; erwähnter VGE vom 24. Februar 2005, S. 6). Bezüglich der Höhe der Genugtuung für das direkte Opfer hat das Bundesgericht gleich entschieden und dies ebenfalls damit be- gründet, dass die Entschädigungssysteme unterschiedlich seien. Es ist aber nicht zu verkennen, dass - anders als bei der Entschädigung - die rechtlichen Grundlagen bei der Genugtuung denjenigen im Zivil- recht weitgehend entsprechen. Deshalb hat das Bundesgericht hier zu Recht festgehalten, dass die Anwendung der zivilrechtlichen Krite- rien "grundsätzlich gerechtfertigt" bzw. dass davon "nicht zu weit" abzuweichen sei (erwähnter BGE vom 12. Juni 2003, Erw. 2.4; 128 II 53 ff.; 125 II 173; 123 II 216). Bei der Frage, wer als dem direkten 2006 Verwaltungsgericht 246 Opfer nahe stehende Person einen eigenen Anspruch auf Genugtu- ung habe, ist der Konnex zum Zivilrecht, wie bereits ausgeführt, noch enger. 1.2.3. Damit ist noch nicht gesagt, von der Regel, dass der vom Zivilrichter in einem streitigen Verfahren anerkannte Anspruch eines Opferangehörigen auf Genugtuung für den Bereich der Opferhilfe verbindlich ist, dürfe überhaupt nie abgewichen werden. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Abweichen zulässig erscheint, muss hier nicht näher erörtert werden. Spezielle Umstände, die den vorliegenden Fall zu einem solchen Ausnahmefall stempeln könnten, werden nicht angeführt und sind denn auch nicht ersichtlich. 1.3. Im Berufungsverfahren vor Obergericht beantragte der Tä- ter, die Genugtuungsforderung der Beschwerdeführerin sei vollum- fänglich abzuweisen. Dieser Antrag wurde abgewiesen mit der - nä- her ausgeführten - Begründung, die Beeinträchtigungen, welche die Beschwerdeführerin durch die Taten erlitten habe, erreichten die In- tensität, welche für die Zusprechung einer Genugtuung gemäss Art. 49 OR gefordert werde. Dem ist aufgrund der bejahten Bin- dungswirkung zu folgen. Im Übrigen würde sich diese Beurteilung ohnehin auch bei materieller Überprüfung als zutreffend erweisen. Die Ungewissheit, ob die schwer verletzte Mutter ihre Verletzungen überleben würde, der spätere Suizidversuch der Mutter aus Angst vor einer Folgetat, dazu auch die eigene Angst wegen der anhaltenden massiven Drohungen des Vaters waren geeignet, bei der im Zeitpunkt der Tat 16-jährigen Beschwerdeführerin eine tiefe und länger dau- ernde existenzielle Verunsicherung auszulösen und sie in ihrer Ent- wicklung nachhaltig zu beeinträchtigen; sie musste sich denn auch in psychotherapeutische Behandlung begeben ... Derartige Existenz- ängste von Unmündigen beim drohenden Verlust der Eltern oder ei- nes Elternteils rücken den Sachverhalt in die Nähe des tatsächlichen Verlusts, wie dies von der Rechtsprechung zu Art. 49 OR und Art. 12 Abs. 2 OHG als Voraussetzung einer Genugtuung für Personen, die einem körperlich geschädigten Opfer nahe stehen, verlangt wird (er- wähnter BGE vom 12. Juni 2003, Erw. 3.2; 125 III 417 und insbe- sondere 419 ff.). Sie stellen einen entscheidenden Unterschied zu denjenigen Fällen dar, auf die sich der KSD beruft (erwähnte BGE 2006 Opferhilfe 247 vom 8. Juni 2005 und 12. Juni 2003), wo Eltern wegen der Verlet- zung ihres Kindes Genugtuung verlangten. Die angefochtene Verfügung ist demzufolge aufzuheben. 2. Die Beschwerdeführerin fordert eine Genugtuung in der Höhe, wie sie im Straf- bzw. Adhäsionsverfahren zugesprochen wurde. Der KSD hat sich dazu nicht, auch nicht eventualiter, geäus- sert. Wurde in einem streitigen Zivilverfahren eine Genugtuungs- summe festgesetzt, so ist grundsätzlich von dieser auszugehen. Wohl trifft es zu, dass der Rechtsgrund der Leistungen nach OR und nach OHG nicht identisch ist und dass in einem Fall der Täter, im anderen der Staat leistungspflichtig ist; doch rechtfertigt dies nicht, die Ge- nugtuung nach OHG generell tiefer festzusetzen (vorne Erw. 1.2.2). Ein allgemeiner Vorbehalt ist nach der Rechtsprechung des Verwal- tungsgerichts lediglich dort angebracht, wo der Genugtuung wegen des schweren Täterverschuldens (auch) eine pönale Funktion zu- kommen soll, da diese nur möglich ist, wenn der Täter selber die Ge- nugtuung bezahlen muss (VGE II/53 vom 11. Juni 1999 [BE 98.00399], S. 10). Im Urteil des Bezirksgerichts wurde das schwere Verschulden des Täters bejaht. Soweit dieses auch als genugtuungserhöhend ge- würdigt wurde, standen keine pönalen Überlegungen dahinter. Die Beurteilung bezog sich auf das Erleben und die Beeinträchtigung der Opfer, besonders deutlich bei der Beschwerdeführerin. Das Gleiche gilt für das Obergerichtsurteil. Dem Sachrichter steht bei der Bemes- sung der Genugtuungssumme in Würdigung der massgebenden Um- stände ein weiter Beurteilungsspielraum zu, und direkte Vergleiche zu anderen Fällen von Persönlichkeitsverletzungen infolge Tötung oder Verletzung der körperlichen Integrität eines nahen Angehörigen sind nur beschränkt möglich (vgl. BGE 125 III 421). In Anbetracht der erlittenen Beeinträchtigungen (vorne Erw. 1.3) erscheint die der Beschwerdeführerin zugesprochene Summe angemessen. Es ist kein Grund ersichtlich, sie herabzusetzen, gerade im Vergleich mit den höheren Summen beim Verlust eines Elternteils (vgl. Peter Gomm, in: Kommentar zum Opferhilfegesetz, 2. Auflage, Bern 2005, Art. 12 N 38) und den im Fall BGE 125 III 412 zugesprochenen Fr. 20'000.-. 2006 Verwaltungsgericht 248 Somit ist die Beschwerde vollumfänglich gutzuheissen (zur Verzin- sung siehe BGE 131 II 227 f.; 129 IV 152 f.; Gomm, a.a.O., Art. 12 N 36).
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2006 Kantonale Steuern 99 IV. Kantonale Steuern 22 Feststellungsverfügung. Intertemporales Recht. Auswirkung früherer Ersatzbeschaffungen auf die nach neuem Recht erfolgende Besteuerung von Gewinnen aus der Veräusserung von landwirtschaftlichen Grundstücken des Geschäftsvermögens (§ 27 Abs. 4; § 106 Abs. 1 StG). - Ausreichendes Interesse, um beim Übergang zum neuen Recht die Buchwerte und kumulierten Abschreibungen der landwirtschaftli- chen Grundstücke mittels Feststellungsverfügung verbindlich fest- zulegen (Erw. 1). - Kapitalgewinne, die noch unter altem Recht veranlagt wurden, deren Besteuerung aber zufolge Ersatzbeschaffung (mit Sofortabschrei- bung auf dem Ersatzgut) hinausgeschoben wurde, unterliegen bei der Veräusserung des ersatzbeschafften Grundstücks als wieder ein- gebrachte Abschreibungen der Einkommenssteuer (Erw. 2-4). - Die Rückwirkung des neuen Rechts (auch die zulässige "unechte") muss sich klar aus dem Gesetz ergeben (Erw. 4.4). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. Dezember 2006 in Sachen A.H. gegen Steuerrekursgericht. Aus den Erwägungen 1. Zu Recht bestreiten die Beschwerdeführer nicht mehr, dass eine Feststellungsverfügung hinsichtlich der Anlagekosten, Ab- schreibungen und Buchwerte per 1. Januar 2002 zulässig war. Wie im angefochtenen Entscheid zutreffend ausgeführt, liegt zwar kein Anwendungsfall von § 266 Abs. 2 StG (eine Regelung im Zusam- menhang mit dem Übergang von der Wertzerlegungs- zur Präpon- deranzmethode) vor, da alle Grundstücke der Beschwerdeführer gleich wie zuvor vollumfänglich Geschäftsvermögen darstellen. In- dessen reicht es aus (vgl., ausserhalb des Steuerrechts, AGVE 2001, 2006 Verwaltungsgericht 100 S. 385 f., 388), dass sich das Interesse an der Aktualisierung der An- lagekosten und der kumulierten Abschreibungen im Zusammenhang mit dem im StG statuierten Wechsel der Besteuerung (siehe hinten Erw. 2) mit guten Gründen bejahen lässt. Natürliche Personen mit Einkommen aus selbstständiger Er- werbstätigkeit und juristische Personen müssen der Steuererklärung die unterzeichneten Jahresrechnungen der Steuerperiode oder, wenn sie nach dem Obligationenrecht nicht zur Führung von Geschäftsbü- chern verpflichtet sind, Aufstellungen über Aktiven und Passiven, Einnahmen und Ausgaben sowie Privatentnahmen und Privateinla- gen beilegen (§ 181 Abs. 2 StG, praktisch übereinstimmend mit Art. 42 Abs. 3 StHG). Unter früherem kantonalem Recht hat das Verwaltungsgericht die den Steuerpflichtigen bis und mit Jahrgang 1932, welche eine selbstständige landwirtschaftliche Erwerbstätig- keit ausüben und einen auslaufenden Betrieb bewirtschaften, zuge- standene Ausnahme von der Aufzeichnungspflicht (siehe Richtlinien Aufzeichnungspflicht Landwirte des KStA vom 20. August 1992) als mit § 128 Abs. 4 lit. b 2. Satzteil aStG vereinbar erklärt (VGE II/38 vom 1. Juni 2005 [BE.2004.00132], S. 5 f.). Ob dies auch nach neuem, StHG-konformem Recht zutrifft, ist zweifelhaft. Umso eher ist es gerechtfertigt, die Anlagekosten, Abschreibungen und Buch- werte auf eine gesicherte Grundlage zu stellen, wenn anlässlich des Übergangs zum neuen Recht nicht mit der Buchführung oder mit Aufzeichnungen begonnen wird. 2./2.1. Nach dem bis Ende 2000 geltenden aStG wurde bei der Veräusserung von landwirtschaftlichen Grundstücken die Differenz zwischen dem Erlös und dem Buchwert (bzw., beim Fehlen einer Buchhaltung, dem [Rest-] Anlagewert oder Einkommenssteuerwert) als Kapitalgewinn der Einkommenssteuer unterworfen, sei es als Teilveräusserungsgewinn zusammen mit dem übrigen Einkommen (§ 22 Abs. 1 lit. b aStG; Walter Koch, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 1. Aufl., Muri/Bern 1991, § 22 aStG N 221, 238 ff., § 40 aStG N 1 ff.), sei es als Liquidationsgewinn mit einer Jahres- steuer (§ 34 Abs. 1 lit. c aStG). Durch Ersatzbeschaffung von Geschäftsvermögen (§ 24 bis aStG) wurde die Besteuerung des Kapitalgewinns hinausgeschoben 2006 Kantonale Steuern 101 (siehe dazu AGVE 1985, S. 182 ff., 187 ff.). Die bei der Veräusse- rung zutage getretenen stillen Reserven wurden auf das Ersatzgut übertragen und führten dort zu einer Sofortabschreibung (§ 24 bis Abs. 1 Satz 2 aStG; AGVE 1985, S. 182; Koch, a.a.O., § 24 bis aStG N 4, 21). 2.2. Neu wird, aufgrund der Vorgaben in Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 StHG, bei Gewinnen aus der Veräusserung von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken des Geschäftsvermögens nur die Differenz zwischen den Anlagekosten und dem steuerlich mass- gebenden Buchwert den Einkünften aus selbstständiger Erwerbstä- tigkeit zugerechnet (§ 27 Abs. 4 StG), während der restliche Gewinn unter die Grundstückgewinnsteuer fällt, indem sich dort die mass- geblichen Anlagekosten aus "dem Buchwert zuzüglich der bisher vorgenommenen Abschreibungen nach § 27 Abs. 4" zusammensetzen (§ 106 Abs. 1 StG). Anders ausgedrückt werden nur die wieder eingebrachten Abschreibungen der Einkommenssteuer unterworfen (Jürg Altorfer/Julia von Ah, in: Kommentar zum Aargauer Steuerge- setz, 2. Aufl., Muri/Bern 2004, § 27 N 160; Markus Reich, in: Kom- mentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/1 [StHG], 2. Aufl., Basel/Genf/ München 2002, Art. 8 N 45), also der Betrag, um den die buchhalterisch vorgenommenen oder die bei der Veranlagung nach dem volkswirtschaftlichen Einkommen (nach aStG) eingerech- neten Abschreibungen (siehe dazu AGVE 1987, S. 167 ff.; 1981, S. 165 ff.; 1975, S. 334 ff.; Koch, a.a.O., § 22 N 120 f.) das steuer- bare Einkommen reduzierten. 3. Bei der Frage, wie sich die früher unter altem Recht vorge- nommenen Ersatzbeschaffungen auf die Besteuerung, d.h. auf die Abgrenzung der Gewinnerfassung nach § 27 Abs. 4 und § 106 StG auswirken, werden zwei entgegengesetzte Meinungen vertreten: Die Beschwerdeführer stützen sich auf die von Marianne Klöti- Weber (Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, [2. Aufl.] § 106 N 5, 7 f.) vertretene Ansicht, das neue Grundstückgewinnsteuerrecht, im Speziellen § 106 StG, sei nach § 272 StG auf Veräusserungen ab 2001 integral anzuwenden. Obwohl bei der Kommentierung zu § 106 Abs. 3 StG aufgeführt, basiert das Beispiel 2 offenkundig auf der Umschreibung der massgeblichen Anlagekosten in § 106 Abs. 1 StG, 2006 Verwaltungsgericht 102 die sämtliche Wertzuwachsgewinne auf land- und forstwirtschaftli- chen Grundstücken - sowohl auf dem veräusserten als auch auf frü- heren, mittels Ersatzbeschaffung ersetzten Grundstücken - der Grundstückgewinnsteuer zuweise und damit die Unterwerfung unter die Einkommenssteuer ausschliesse. Demgegenüber halten die Steuerbehörden dafür, dass mit der noch unter altem Recht erfolgten Festlegung des Kapitalgewinns und der erfolgten Ersatzbeschaffung (verbunden mit entsprechender So- fortabschreibung) die rechtliche Qualifikation als der Einkommens- steuer unterworfener Kapitalgewinn unabänderlich feststehe, selbst wenn dessen Besteuerung als Folge der Ersatzbeschaffung aufge- schoben worden sei. Andernfalls komme es zu einer Rückwirkung des StG. Als Konsequenz hieraus sei nicht mehr zu prüfen, wie sich der seinerzeit erzielte und zur Ersatzbeschaffung verwendete Kapi- talgewinn zusammensetzte (Wertzuwachs einerseits, wieder einge- brachte Abschreibungen andererseits). 4./4.1./4.1.1. § 272 Abs. 1 StG als formelle Übergangsbestim- mung erklärt das Datum der öffentlichen Beurkundung als intertem- poralrechtlich massgeblich. Damit steht zwar fest (was auch gar nicht streitig ist), dass bei einer Veräusserung von Grundstücken das StG zum Zuge kommt, doch besagt dies mangels einer konkreteren Re- gelung nichts darüber aus, ob bestimmte steuerlich bedeutungsvolle Eigenschaften (ein "steuerlicher Status"), die sich aus dem bisherigen Recht ergaben und den Grundstücken bzw. Grundstückwerten des- halb beim Inkrafttreten des neuen Rechts zukamen, durch den Rechtswechsel eine Änderung erfahren. 4.1.2. Die Folgen bei früherer Ersatzbeschaffung werden in § 106 Abs. 3 StG explizit nur für "Ersatzbeschaffungen nach Grund- stückgewinnsteuerrecht" (§ 99 StG) geregelt. Dies bezieht sich auf Ersatzbeschaffungen nach neuem Recht; denn im früheren Recht fielen sie nur für selbst bewohntes Grundeigentum im Privatvermö- gen - und damit grundsätzlich nicht für land- oder forstwirtschaftli- che Grundstücke - in Betracht (§§ 67 und 70 aStG). Über die Folgen von Ersatzbeschaffungen nach (altem) Einkommenssteuerrecht (§ 24 bis aStG) lässt sich daraus nichts ableiten. 2006 Kantonale Steuern 103 Der bei der Veräusserung eines Grundstücks erzielte Gewinn entspricht der Differenz zwischen den Anlagekosten und dem höhe- ren Erlös (§ 101 StG). Bei land- und forstwirtschaftlichen Grund- stücken setzen sich die Anlagekosten gemäss § 106 Abs. 1 StG aus dem "Buchwert zuzüglich der bisher vorgenommenen Abschreibun- gen nach § 27 Abs. 4" zusammen. Vom reinen Wortlaut her könnte dies bedeuten, dass lediglich die ab 2001 unter der Herrschaft des StG vorgenommenen Abschreibungen (indirekt) der Einkommens- steuer unterworfen werden und der gesamte restliche Gewinn mit der Grundstückgewinnsteuer erfasst wird. Dies kann aber nicht der Sinn der Norm sein; aus Art. 8 Abs. 1 Satz 1 StHG und § 27 Abs. 4 StG geht klar hervor, dass die gesamten wieder eingebrachten Abschrei- bungen der Einkommenssteuer unterstehen, also auch die vor dem Rechtswechsel vorgenommenen. Die Formulierung des § 106 Abs. 1 StG bedeutet demnach einfach, dass sich die Definition der dort er- wähnten Abschreibungen nach § 27 Abs. 4 StG richtet, also als Dif- ferenz zwischen den Anlagekosten und dem steuerlich massgebenden Buchwert (Klöti-Weber, a.a.O., § 106 N 1). Einen intertemporalen Bezug weist die Bestimmung nicht auf. § 106 StG regelt somit insgesamt keine intertemporalrechtli- chen Sachverhalte. 4.1.3. Hieraus folgt, dass sich dem StG keine konkrete Antwort auf die hier gestellte Frage entnehmen lässt. 4.2. In der Botschaft des Regierungsrats vom 21. Mai 1997 zur Totalrevision der aargauischen Steuergesetze ist zu § 103 des Ent- wurfs (mit Ausnahme einer geringfügigen stilistischen Änderung wörtlich dem jetzigen § 106 StG entsprechend) ausgeführt (S. 95): "Fand unter dem bisherigen Recht eine steueraufschiebende Er- satzbeschaffung statt, ist das Steuersubstrat der Einkommenssteuer tan- giert. Deshalb hat die Besteuerung der bisher vorgenommenen Ab- schreibungen systemkonform mit der Einkommenssteuer zu erfolgen. Hingegen ist bei den nach neuem Recht erfolgten Ersatzbeschaffungen zu berücksichtigen, dass der Wertzuwachs mit der Grundstückgewinn- steuer zu erfassen ist und somit bei Ersatzbeschaffungen auch dem Grundstückgewinnsteuersubstrat erhalten bleibt. Das stellt Abs. 3 si- cher ..." 2006 Verwaltungsgericht 104 Diesen Ausführungen entspricht das Berechnungsbeispiel 1 im Anhang 6 (wiedergegeben bei Klöti-Weber, a.a.O., § 106 N 7). In der grossrätlichen Kommission wie auch nachher im Grossen Rat wurde § 103 des Entwurfs weder diskutiert noch abgeändert. In- sofern entspricht es dem klar ausgedrückten Willen des Gesetzge- bers, sämtliche unter dem alten Recht vorgenommenen Abschrei- bungen der Einkommenssteuer zu unterwerfen, insbesondere auch die im Zusammenhang mit Ersatzbeschaffungen vorgenommenen Sofortabschreibungen auf dem neuen Gegenstand des Geschäftsver- mögens, wenn dieser nach Inkrafttreten des StG veräussert wird. 4.3./4.3.1. Unter dem Steuergesetz von 1945 löste bei Landwirt- schaftsbetrieben die Überführung von Geschäftsvermögen ins Pri- vatvermögen keine Einkommensbesteuerung aus, wohl aber unter dem nachfolgenden Steuergesetz von 1966. Das Verwaltungsgericht führte dazu aus, das Steuergesetz 1966 könne nur Geltung beanspru- chen für die Festsetzung der Einkommenssteuern ab 1967. Aus sei- nen Bestimmungen lasse sich nicht ableiten, dass auch für Vorgänge vor seinem Inkrafttreten festgelegt werden sollte, wieweit sie einen Übergang vom Geschäfts- ins Privatvermögen oder umgekehrt dar- stellen könnten; ebenso wenig ergebe sich daraus, dass durch das In- krafttreten des neuen Gesetzes eine Um- oder Rückwandlung von Privat- in Geschäftsvermögen erfolge. Vielmehr sei der beim In- krafttreten bestehende Zustand bezüglich der Aufteilung Geschäfts- /Privatvermögen als gegeben hinzunehmen. Nur soweit in diesem Zeitpunkt Geschäftsvermögen bestanden habe, sei gestützt auf das Steuergesetz 1966 eine Besteuerung bei der Überführung ins Privat- vermögen zulässig (AGVE 1976, S. 174 f.). 4.3.2. Ein Geschäftsgrundstück wurde 1982 veräussert, als noch das Steuergesetz 1966 in Kraft war; es wurde eine Ersatzbeschaf- fungsrückstellung gebildet, die 1984 aufgelöst wurde und somit beim Einkommen des Bemessungsjahres 1984, nun unter der Geltung des aStG, aufzurechnen war. Der Besitzesdauerabzug auf Kapitalgewin- nen, der durch das aStG neu eingeführt worden war, wurde dem Steuerpflichtigen verwehrt. Das Verwaltungsgericht hielt fest, der Kapitalgewinn sei 1982 erzielt worden und habe bei der Veranlagung 1983/84 festgesetzt werden müssen. Auch wenn die Besteuerung 2006 Kantonale Steuern 105 wegen der vorgesehenen Ersatzbeschaffung hinausgeschoben worden sei, dürfe der Kapitalgewinn nicht neu auf Grundlage des aStG statt des Steuergesetzes 1966 berechnet werden (AGVE 1990, S. 201). 4.3.3. Die Sachverhalte, über die das Verwaltungsgericht in die- sen früheren Entscheiden zu befinden hatte, sind zwar mit dem jetzt streitigen Sachverhalt nicht direkt vergleichbar, weisen aber doch er- hebliche Ähnlichkeiten auf. Dies gilt insbesondere für den zweiten Entscheid. Wie im jetzt vorliegenden Fall war dort unter altem Recht ein (der Einkommenssteuer unterliegender) Kapitalgewinn festge- setzt worden, wenn auch unter Aufschub der Besteuerung im Hin- blick auf die vorgesehene oder bereits erfolgte Ersatzbeschaffung. In beiden angeführten Fällen lehnte es das Verwaltungsgericht ab, dem neuen Recht - unter dem die Besteuerung erfolgte - Auswir- kungen auf die Beurteilung der früheren Verhältnisse, die weiterhin eine Rolle spielten, zuzubilligen. In der Tat besteht eine Verwandt- schaft zu den Tatbeständen der sog. unechten Rückwirkung (siehe dazu Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich 2006, Rz. 337 ff.). 4.4. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der ge- setzgeberische Wille klar darauf gerichtet war, die noch unter dem aStG erfolgten Abschreibungen, einschliesslich derjenigen bei Er- satzbeschaffungen, im Rahmen der Gewinnaufteilung zwischen § 27 Abs. 4 und § 106 Abs. 1 StG vollumfänglich der Einkommenssteuer zu unterwerfen. Dieser Wille fand im Gesetz keinen deutlichen Aus- druck. Dies schadet angesichts der Nähe zu Tatbeständen der unech- ten Rückwirkung jedoch nicht, da die Rückwirkung neuen Rechts - auch die zulässige "unechte" - und nicht deren Ausschluss im Gesetz angeordnet werden (oder sich zumindest klar aus dem Gesetz erge- ben) muss; dieser Grundsatz liegt auch der Rechtsprechung des Ver- waltungsgerichts zu früher beurteilten übergangsrechtlichen Proble- men im Steuerrecht zugrunde. 5. Die Auslegung von § 106 StG durch die Steuerbehörden, die auch dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegt, ist somit zu be- stätigen. (Hinweis: Gegen diesen Entscheid wurde beim Bundesgericht Beschwerde erhoben.)
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2010 Verwaltungsgericht 206 [...] 38 Rückwirkende Einstellung der materiellen Hilfe. - Rückwirkende Einstellung der materiellen Hilfe ist nur ausnahms- weise zulässig. - Formell müssen die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Wiedererwägung erfüllt sein. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 15. Dezember 2009 in Sa- chen R.G. gegen Gemeinderat F. und Bezirksamt L. (WBE.2009.176). 2010 Sozialhilfe 207 Aus den Erwägungen 2.3. Sozialhilfeleistungen werden nach dem Bedarfsdeckungsprinzip für die Zukunft ausgerichtet (§ 5 Abs. 1 SPG; Richtlinie für die Aus- gestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (herausgegeben von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe [SKOS-Richtlinien], 3. Auflage, Dezember 2000, Kapitel A.4.2; VGE IV/23 vom 6. April 2009 [WBE.2008.182], S. 7 f.). Eine rückwirkende Auszahlung ist nicht vorgesehen und auch eine rückwirkende Einstellung der mate- riellen Hilfe ist nur ausnahmsweise und unter bestimmten formellen und materiellen Voraussetzungen möglich. Die Begründung der Einstellung in der Anspruchsberechtigung geht dahin, dass der Beschwerdeführerin seit 25. April 2008 faktisch keine Sozialleistungen mehr ausbezahlt wurden. Das Kontoblatt "So- zialhilfe" vom 15. Mai 2009 belegt, dass seit Mai 2008 keine Aus- zahlungen an die Beschwerdeführerin erfolgt sind, da ihr Lohnein- kommen den Sozialhilfeanspruch - unter Berücksichtigung einer Rückzahlungsvereinbarung - überstieg. Der aufgrund des unter- schiedlichen Lohneinkommens ungewissen Höhe der monatlichen materiellen Hilfe wurde in den Entscheiden der Sozialbehörde Rech- nung getragen, indem die materielle Hilfe unter Vorbehalt des Ein- kommens festgesetzt wurde. Dieses Vorgehen zur Bestimmung der monatlichen Hilfe wurde schon in den vorangegangen, rechtskräf- tigen Verfügungen vom 28. April 2008 und 26. Mai 2008 gewählt. Die Finanzverwaltung der Gemeinde hat die Anordnungen in diesen Verfügungen vollzogen, indem der monatliche Anspruch auf mate- rielle Hilfe im Vergleich zur Lohnabrechnung der Beschwerdeführe- rin berechnet wurde. Die Höhe der monatlichen Lohneinkommen war und blieb auch für die Zukunft ungewiss. Hingegen haben sich die Anspruchsvoraussetzungen rückwirkend nicht verändert, weshalb die Auszahlungsmodalitäten an den materiellen Anspruchsvorausset- zungen nichts zu ändern vermochten. Die Beschwerdeführerin war 2010 Verwaltungsgericht 208 und blieb auf materielle Hilfe angewiesen, sobald und soweit ihr Einkommen bei der "P." das soziale Existenzminimum nicht deckt. Die Verfügung vom 30. März 2009 ist aber auch in formeller Hinsicht zu beanstanden. Gemäss § 37 VRPG können Entscheide nur widerrufen oder aufgehoben werden, wenn sie der Rechtslage oder den sachlichen Erfordernissen nicht (mehr) entsprechen und die öf- fentlichen Interessen überwiegen (Abs. 1). Entscheide, die ihrer Na- tur nach oder nach den gesetzliche Vorschriften nicht oder nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen werden kön- nen, sind ohnehin vorbehalten (§ 37 Abs. 2 VRPG). Die Wiedererwä- gung durch die erste Instanz ist, wenn wie im vorliegenden Fall Ent- scheide einer Rechtsmittelinstanz betroffen sind, nur zulässig, wenn sich die Rechtslage oder der Sachverhalt erheblich und entscheidrele- vant verändert haben (§ 39 Abs. 2 VRPG). Solche Gründe liegen nicht vor, nachdem der Gemeinderat F. den Anspruch auf materielle Hilfe in der Höhe der Differenz zwischen Anspruch und Lohn fest- legte. Auch die formellen Voraussetzungen für einen Widerruf oder die Wiedererwägung der vom Gemeinderat F. erlassenen Verfügun- gen über die Sozialhilfe für die Zeit zwischen April 2008 und März 2009 fehlen. Die rückwirkende Einstellung der Sozialhilfe und die Anwei- sung der Finanzverwaltung zur Einstellung der Sozialhilfegelder er- wiesen sich damit als unrechtmässig.
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2010 Gesundheitsrecht 213 VIII. Gesundheitsrecht 40 Medikamentenabgabe; Normenkontrollverfahren. - Für die Besserstellung von Ärzten der medizinischen Grundversor- gung bei der Selbstdispensation gemäss § 24 Abs. 3 HBV besteht keine zureichende gesetzliche Grundlage. - Weil eine erleichterte Zulassung der Ärzte zur Medikamentenabgabe auch keine Grundlage in den Massnahmen zur Sicherstellung der ärztlichen Grundversorgung im ambulanten Bereich (§ 40 GesG) findet, ist § 24 Abs. 2 HBV aufzuheben. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 25. Mai 2010 in Sachen H. gegen Kanton Aargau (WNO.2010.1). Aus den Erwägungen 4.2. Am 1. Januar 2002 ist das Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte vom 15. Dezember 2000 (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) in Kraft getreten, womit der Bund die Vorschriften im Rahmen seiner Zuständigkeiten gemäss Art. 118 Abs. 2 BV erlassen hat. Art. 24 Abs. 1 lit. a HMG sieht als Regel die Abgabe von ver- schreibungspflichtigen Arzneimitteln durch die Apotheker vor. Die Abgabe durch die Ärzte (weitere Medizinalpersonen) erfolgt nach den Bestimmungen über die Selbstdispensation (Art. 24 Abs. 1 lit. b HMG). Als Grundsatz gelten sodann gemäss Art. 26 Abs. 1 HMG, dass bei der Verschreibung und der Abgabe von Arzneimittel die an- erkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissen- schaften beachtet werden müssen. In den Bestimmungen des KVG wird zwischen der Abgabeberechtigung der Apotheken als primäre Leistungserbringer für Medikamente und der Selbstdispensation der Ärzte differenziert. Art. 37 Abs. 3 KVG weist die Regelung der 2010 Verwaltungsgericht 214 Selbstdispensation den Kantonen zu (vgl. BGE 131 I 198 Erw. 2.5 mit Hinweisen). Dabei wird das Hauptkriterium dieser Regelung vorgegeben, nämlich die Möglichkeit des Zugangs von Patienten zu einer öffentlichen Apotheke. Nachdem der Bundesgesetzgeber auch in den Ausführungsver- ordnungen auf eine Normierung der Selbstdispensation verzichtete, haben die Kantone die entsprechenden Bestimmungen zu erlassen (Art. 83 Abs.1 lit. b HMG; vgl. Moritz W. Kuhn/Tomas Poledna, Arztrecht in der Praxis, 2. Aufl., 2007, S. 475). Die Bestimmungen über die Selbstdispensation sind damit selbstständiges kantonales Recht. 4.3. Gemäss § 44 Abs. 2 GesG kann der Kantonsarzt Ärzten die Führung einer Privatapotheke in Ortschaften ohne öffentliche Apo- theke bewilligen, wenn die rasche und für jedermann mögliche Ver- sorgung mit Arzneimitteln nicht durch eine öffentliche Apotheke einer nahe gelegenen Ortschaft gewährleistet ist. Im Rahmen der Totalrevision des Gesundheitsgesetzes war die Selbstdispensation umstritten. Dem Vernehmlassungsentwurf vom 5. September 2007 ist zu entnehmen, dass die neue Bestimmung (§ 45 E-GesG heute: § 44 GesG) die bisherige Ordnung in § 32 Abs. 1 und 2 aGesG unverändert übernehme (Botschaft des Regie- rungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 21. Mai 2008, Gesundheitsgesetz [08.141], nachfolgend: Botschaft 1 GesG, S. 77). Anlässlich der 1. Beratung im Grossen Rat am 16. Septem- ber 2008 plädierte die Mehrheit für die Beibehaltung der bisherigen Ordnung (Theres Lepori-Scherrer ["...Beibehaltung des bisherigen Medikamentenversorgungssystems..."]; Dr. Rudolf Jost ["...dass an diesem bewährten System nicht gerüttelt werden soll"]; Hans Dös- segger ["...beim bewährten System Aargau zu bleiben,..."]; Dr. Andreas Brunner ["Die bisherige Lösung (...) hat sich be- währt"]). Anträge im Parlament auf Lockerung der bisherigen Ordnung, darunter auch der Prüfungsantrag von Dr. Robert Rhiner betreffend Wahlfreiheit der Patienten beim Medikamentenbezug, welcher Unterstützung von Susanne Hochuli erhielt, wurden ab- gelehnt. Regierungsrat Ernst Hasler verwies auf die gefestigte und 2010 Gesundheitsrecht 215 jahrelange Praxis zur Bedeutung der Begriffe "rasch" und "für jeder- mann zugänglich" (vgl. 141. Sitzung, Art. 1869-1871; AGVE 2001, S. 127 Erw. 6a; vgl. auch VGE III/121 vom 12. September 2000 [BE.1999.00160] Erw. 7b, bestätigt in: Urteil des Bundesgerichts vom 24. Oktober 2001 [2P.52/2001] = ZBl 2002, S. 322). Der Grosse Rat hat die Regelung des Selbstdispensationsverbots in der Schluss- abstimmung praktisch wortwörtlich (ausser: "Arzneimittel" statt "Medikamente") vom aGesG übernommen. Es darf daher davon ausgegangen werden, dass die langjährig entwickelte Praxis zu den Begriffen der "raschen" und "für jedermann mögliche Versorgung" bestätigt wurden. Aus den Materialien nicht ersichtlich ist, ob der Gesetzgeber von einer abschliessenden Regelung im Gesetz ausging, wie dies der Gesuchsteller behauptet. Im Rahmen einer Ausführungs- und Vollziehungsverordnung können im Interesse der Rechtsgleichheit eine Verwaltungspraxis festgehalten oder unbestimmte Rechtsbegriffe konkretisiert werden. Von dieser Befugnis hat der Regierungsrat mit Bezug auf die Abgabe von Medikamenten in § 24 Abs. 2 HBV Gebrauch gemacht und die Voraussetzungen der Selbstdispensation näher umschrieben. Dem- nach gilt die rasche und für jedermann mögliche Versorgung mit Arz- neimitteln durch eine öffentliche Apotheke in einer nahe gelegenen Ortschaft als gewährleistet, wenn der Zeitaufwand für den einfachen Weg bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in der Regel nicht mehr als eine Stunde beträgt und ungefähr stündlich ein öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung steht. Die Parteien sind sich einig, dass mit dieser Bestimmung die unter dem früheren Recht entwickelte und vom Verwaltungsgericht bestätigte Praxis, rechtsatzmässig ver- ankert wurde und zum Ausdruck bringt, dass das Selbstdispensa- tionsverbot nach der bisherigen Praxis (...) vollzogen wird. Damit ist auch erstellt, dass für die Konkretisierung der Voraussetzungen für den Betrieb einer Privatapotheke durch Ärzte gemäss § 44 Abs. 2 GesG für den Gesetzgeber der Zeitaufwand von nicht mehr als einer Stunde zur Beschaffung eines Medikaments massgebend war. Die Zeitlimite muss zudem unter Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erfüllbar sein (AGVE 1993, S. 246 mit Hinweisen; AGVE 2001, S. 142). Mit der Ausführungsbestimmung in § 24 Abs. 2 HBV 2010 Verwaltungsgericht 216 wurden die inhaltlichen Vorgaben der gesetzlichen Regelung zur Selbstdispensation umgesetzt und mit dieser Verordnungsbestim- mung hat der Regierungsrat die generelle Ermächtigung zum Erlass von Ausführungsvorschriften (§ 57 GesG) hinsichtlich der Selbst- dispensation auch ausgeschöpft. Ein Vorbehalt oder eine Differenzierung des gesetzlichen Distri- butionsmodells nach Art der Arztpraxen (Grundversorgung) oder der Ausbildung der Ärzte (§ 29 Abs. 1 lit. a-d GesV) findet sich im Ge- setz nicht. Die Regelung der Ausnahmen zum Selbstdispensations- verbot sieht auch keine weiteren Lockerungsmöglichkeiten bzw. "Ausnahmen von der Ausnahme" bei der Abgabe von Medikamenten durch Ärztinnen und Ärzte vor. Ein Handlungsspielraum im Sinne ei- ner Lockerung der Voraussetzungen für die Bewilligung einer Privat- apotheke für bestimmte Arztpraxen geht über die im Gesetz um- schriebenen Grundzüge der Selbstdispensation hinaus. Die gesetzli- chen Vorgaben schliessen auch eine unterschiedliche Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe nach Ärztekategorien aus. Für eine Besserstellung von Ärzten der medizinischen Grund- versorgung bei den Voraussetzungen der Selbstdispensation besteht in § 44 GesG keine gesetzliche Grundlage. Die Kompetenz zum Er- lass von Ausführungsvorschriften in § 57 GesG erlaubt kein Abwei- chen von der gesetzlichen Ordnung der Selbstdispensation. Die Ein- führung einer erleichterten Selbstdispensationsbewilligung für be- stimmte Ärzte(-gruppen) tangiert auch den Grundsatz, wonach nur die Möglichkeit der Patienten zum Zugang zu Medikamenten das Kriterium für eine Bewilligung ist (Erw. II./4.2). 4.4. 4.4.1. Der Ausnahmetatbestand in § 24 Abs. 3 HBV stützt sich nach Darstellung des Regierungsrates auf § 40 Abs. 3 GesG. Diese Be- stimmung ist im Ingress der HBV auch aufgeführt. Zur Sicherstellung der ärztlichen Grundversorgung im ambu- lanten Bereich trifft der Kanton Massnahmen (§ 40 Abs. 1 GesG). Zu diesem Zweck kann der Kanton finanzielle Mittel für Massnahmen im Bereich der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärzten, der Orga- nisation des Notfalldiensts und weiteren Anreizmassnahmen, die der 2010 Gesundheitsrecht 217 Förderung der ärztlichen Grundversorgung dienen (§ 40 Abs. 2 lit. a bis c GesG), einsetzen. Die Delegationsnorm (§ 40 Abs. 3 GesG) überträgt dem Regierungsrat die Regelung der Einzelheiten. Die in Buchstabe a (Aus-, Weiter- und Fortbildung) und b (Or- ganisation Notfalldienst) erwähnten Massnahmen kommen als ge- setzliche Grundlage für die besondere Regelung der Selbstdispensa- tion nicht in Betracht. Zu prüfen ist, ob sich die umstrittene, modifi- zierte Ausnahme vom Selbstdispensationsverbot als "weitere Anreiz- massnahme, die der Förderung der ärztlichen Grundversorgung dient", auf § 40 GesG stützen kann. 4.4.2. Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Be- stimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Inter- pretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustel- len ist dabei namentlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm und ihren Zweck, auf die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen so- wie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen Be- stimmungen zukommt. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht un- mittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich bei neueren Texten kommt den Ma- terialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger na- helegen. Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann al- lein auf das grammatische Element abgestellt, wenn sich daraus zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung ergab (BGE 133 V 10 f. mit Hinweisen; vgl. auch AGVE 2003, S. 191 f. mit Hinweisen). 4.4.3. Nach dem Wortlaut in § 40 GesG geht es um Massnahmen zur Sicherstellung einer ärztliche Grundversorgung im ambulanten Be- reich (Marginale und Abs. 1) und bei den Massnahmen handelt es sich um den Einsatz von finanziellen Mitteln für zweckorientierte Anreize (Abs. 2). Diese Beschränkung der Massnahmen auf den Ein- satz staatlicher Mittel findet sich in den Materialien bestätigt. Ge- mäss Botschaft wurden im Rahmen eines Pilotprojekts seit 2008 und 2010 Verwaltungsgericht 218 mit Mitteln des Lotteriefonds (Ausbildungs-) Beiträge für Praxisassi- stenzen in Hausarztpraxen finanziert. Das neue Gesundheitsgesetz sah für diese Massnahmen die Finanzierung aus dem ordentlichen Staatshaushalt vor. Was den Einsatz finanzieller Mittel für weitere Anreizmassnahmen zur Förderung der ärztlichen Grundversorgung gemäss § 40 Abs. 2 lit. b GesG angeht, geht es nach Darstellung des Regierungsrates vor allem um die Erteilung eines entgeltlichen Leis- tungsauftrags an den Aargauischen Ärzteverband für die Organisa- tion der notfalldienstlichen Grundversorgung (Botschaft 1 GesG, S. 73). Der Delegationsvorbehalt in § 40 Abs. 3 GesG umfasst daher den Einsatz finanzieller staatlicher Hilfe an die ärztliche Grundver- sorgung und beschränkt sich auch auf solche Anreize. Einen Hand- lungsspielraum zu andern Massnahmen als den Einsatz finanzieller Mittel lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Insbesondere fehlt je- der Bezug oder Hinweis zur Marktordnung für die Abgabe von Me- dikamenten. Aus der systematischen Stellung von § 40 GesG ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Förderung der ärztlichen Grundversorgung ist im Kapitel 7 (Versorgungssicher- heit) geregelt, während die kantonalen Bestimmungen über das Heil- mittelwesen in einem separaten Kapitel 8 zusammengefasst sind. Ge- rade die Antwort des Regierungsrats auf das Postulat der SP-Fraktion betreffend Strategie gegen Ärztemangel bestätigt, dass die Förderung der Hausarztmedizin finanzielle Massnahmen und nicht strukturpoli- tische Massnahmen im Medikamentenhandel beinhaltet. Der Re- gierungsrat sieht vor, die Entwicklung der Hausarztmedizin in den kommenden Jahren aufmerksam zu verfolgen und bei Bedarf von den im kantonalen Kompetenzbereich liegenden Möglichkeiten Ge- brauch zu machen (vgl. Entgegennahme des Postulats der SP-Frak- tion vom 31. März 2009 [GR.09.106]). In der Sache fraglich er- scheint, ob eine Lockerung der Medikamentenabgabe nicht eher die Versorgung mit Medikamenten als die ärztliche Grundversorgung fördert. 4.5. Ob dem Regierungsrat in § 40 GesG die Befugnis zu andern Massnahmen als die im Gesetz erwähnten finanziellen Leistungen 2010 Gesundheitsrecht 219 eingeräumt wurde, muss im vorliegenden Fall nicht abschliessend beurteilt werden. Die Regelung der Selbstdispensation in § 44 Abs. 2 GesG lässt - auch aus Gründen der Rechtsgleichheit - unterschied- liche Voraussetzungen für Grundversorger oder Arztpraxen im länd- lichen Gebiet nicht zu. Eine Förderung der ärztlichen Grundversor- gung mittels einer erleichterten Zulassung der Ärzte zur Medikamen- tenabgabe überschreitet die Grenzen der gesetzlichen Befugnisse des Regierungsrates aus § 40 GesG und die (Förder-) Massnahme in der Verordnung verletzt die Grundordnung der Selbstdispensation in § 44 GesG und damit den Grundsatz der Gewaltenteilung.
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2009 Straf-undMassnahmenvollzug 97 II. Straf- und Massnahmenvollzug 24 Arbeitspflicht im Straf- bzw. Massnahmenvollzug - Im Straf- und Massnahmenvollzug besteht auch nach Erreichen des ordentlichen Pensionsalters eine Arbeitspflicht; dies gilt auch für verwahrte Täter (Erw. II/1). - Der Verurteilte wird in angemessener Weise an den Kosten des Voll- zugs beteiligt, wenn er grundlos eine ihm zugewiesene Arbeit verwei- gert (Erw. II/2). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. September 2009 in Sachen K.W. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und In- neres (WBE.2009.181). Aus den Erwägungen II. 1. 1.1. Im vorliegenden Verfahren gilt es, die Frage zu klären, ob der Beschwerdeführer, welcher das ordentliche Pensionsalter bereits überschritten hat und über den die Verwahrung angeordnet worden ist, zur Arbeit verpflichtet werden kann. Gemäss § 58a Abs. 2 SMV wird die Verwahrung gemäss den Bestimmungen über den Normalvollzug in einer geschlossenen Vollzugsanstalt vollzogen. 1.2. 1.2.1. Die Vorinstanz führt im angefochtenen Entscheid aus, die Ar- beitspflicht bestehe nach schweizerischer Rechtstradition auch für Inhaftierte, welche das ordentliche Pensionsalter erreicht haben. Beim Beschwerdeführer sei die Arbeitsfähigkeit weiterhin gegeben - 2009 Verwaltungsgericht 98 auch nach Überschreitung des AHV-Pensionsalters und bei Beein- trächtigung durch eine schwere psychische Störung. Der Gesund- heitszustand des Beschwerdeführers lasse einen Arbeitseinsatz - insbesondere in einem körperlich weniger anstrengenden Bereich - weiterhin zu. 1.2.2. Der Beschwerdeführer hingegen macht geltend, er habe (...) das ordentliche AHV-Alter von 65 Jahren erreicht; es sei "äusserst stossend", wenn ein seit mehreren Jahren pensionierter Insasse zur Arbeit verpflichtet werde. Es könne nicht sein, dass von einem Insas- sen Arbeit verlangt werde und diese angebliche Arbeitspflicht mit der schweizerischen Rechtstradition begründet werde, wenn gemäss geltender AHV-Gesetzgebung nach Vollendung des 65. Lebensjahres keine Arbeitspflicht mehr bestehe. Aufgrund der Erreichung des or- dentlichen Pensionsalters könne der Beschwerdeführer nicht zur Ar- beit angehalten werden. 1.3. 1.3.1. (...) Das geltende Schweizerische Strafgesetzbuch nennt als allge- meines Vollzugsziel in Art. 75 Abs. 1 Satz 1, das soziale Verhalten des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben. Mit anderen Worten soll der Strafvollzug auf Resozialisierung und Rückfallsvermeidung ausgerichtet sein. Die Gefangenen sind gemäss dem Wortlaut des Strafgesetzbuches verpflichtet, aktiv bei den Sozialisierungsbemühungen und Entlassungsvorbereitungen mit- zuwirken. Der Gesetzgeber geht somit davon aus, dass die Fähigkeit, sozialadäquat zu handeln, die Aussicht, ein straffreies Leben nach der Entlassung führen zu können, befördert. Dies wird am wirkungs- vollsten erreicht, wenn der Inhaftierte während des Vollzuges erken- nen lernt, dass ein selbstverantwortliches Leben ohne Delinquenz seinem bisherigen vorzuziehen ist, und er somit das Ziel, künftig straffrei zu leben, zu seinem persönlichen Lebensentwurf macht. Die persönliche Mitwirkung bei der Gestaltung des Vollzugsaufenthaltes und die persönliche Einsicht des Strafgefangenen in sein begangenes Unrecht erscheinen somit als unumgängliche Prämisse bei der Um- 2009 Straf-undMassnahmenvollzug 99 setzung des allgemeinen Vollzugszieles (vgl. Benjamin F. Brägger, Der neue Allgemeine Teil des Schweizerischen Strafgesetzbuches - erste Erfahrungen mit dem Vollzugsplan: Nur ein gordischer Knoten oder unerlässliches Koordinationsinstrument? publiziert in: Schwei- zerische Zeitschrift für Kriminologie (SZK) 1/2008, S. 26 - 33). 1.3.2. Die Arbeitspflicht ist seit jeher im Schweizerischen Strafge- setzbuch verankert (vgl. dazu ausführlich Andrea Baechthold, Die Arbeitspflicht im Strafvollzug - ein Grundpfeiler der Freiheitsstrafe oder eine überkommene Ideologie? in: ZStrR, Aktuelle Probleme der Kriminalitätsbekämpfung; Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Schweizerischen Kriminalistischen Gesellschaft, Bern 1992, S. 383 ff.). Art. 81 Abs. 1 des geltenden Schweizerischen Strafgesetz- buches hält fest, dass der Gefangene zur Arbeit verpflichtet ist, wobei die Arbeit so weit als möglich seinen Fähigkeiten, seiner Ausbildung und seinen Neigungen zu entsprechen hat. Gemäss Art. 90 Abs. 3 StGB (Marginalie: "Vollzug von Massnahmen") wird der Eingewie- sene zur Arbeit angehalten, sofern er arbeitsfähig ist und soweit seine stationäre Behandlung oder Pflege dies erfordert oder zulässt. Die Artikel 81 bis 83 StGB werden in diesem Zusammenhang als sinnge- mäss anwendbar erklärt. 1.3.3. Entsprechend Art. 81 Abs. 1 StGB hält § 66 SMV das Folgende fest: " 5. Arbeit und Ausbildung 1 Die Gefangenen im Normalvollzug sind zur Arbeit oder Ausbildung ver- pflichtet, soweit die Vollzugsanstalt über ein entsprechendes Angebot verfügt (...). 2 Für die geleistete Arbeit beziehungsweise für an deren Stelle besuchte Aus- beziehungsweise Weiterbildung erhalten die Gefangenen ein angemessenes Entgelt beziehungsweise eine angemessene Vergütung. Die Vollzugsanstalt bestimmt die Höhe des Entgelts oder der Vergütung anhand der erbrachten Leistung und unter Berücksichtigung der Richtlinien des Strafvollzugskon- kordats über das Arbeitsentgelt. Sie legt die Art der Auszahlung oder Gut- schrift fest." 2009 Verwaltungsgericht 100 1.3.4. Gemäss Art. 83 StGB (vgl. auch den hiervor zitierten § 66 Abs. 2) erhält der Gefangene für seine Arbeit ein von seiner Leistung ab- hängiges und den Umständen angepasstes Entgelt (Abs. 1). Der Ge- fangene kann während des Vollzugs nur über einen Teil seines Ar- beitsentgeltes frei verfügen. Aus dem anderen Teil wird für die Zeit nach der Entlassung eine Rücklage gebildet (Abs. 2). 1.3.5. Das Gesetz sieht keine Altersbegrenzung für die Arbeitspflicht im Strafvollzug vor. In diesem Zusammenhang führen Hans-Ulrich Meier / Ernst Weilenmann im Basler Kommentar Strafrecht I (Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kom- mentar Strafrecht I, 2., überarbeitete Auflage, Basel 2007) aus, die Arbeitspflicht bestehe nach schweizerischer Rechtstradition auch für Inhaftierte, welche vor dem Haftantritt Leistungen der Invalidenver- sicherung bezogen oder bereits das ordentliche Pensionierungsalter gemäss AHV erreicht haben. Diese seien im Rahmen von arbeitsthe- rapeutischen Massnahmen gezielt zu fördern. Somit seien grundsätz- lich auch pensionierte Strafgefangene während des Vollzugs zur Ar- beit verpflichtet, welche ihrem körperlichen und geistigen Zustand entspricht. Gerade bei längeren Strafen bilde die Arbeit eine will- kommene Abwechslung und Strukturierung des Anstaltsalltages (a.a.O., Art. 82 Rz. 8). 1.4. 1.4.1. Zweifellos ist der Arbeitseinsatz im Straf- und Massnahmen- vollzug nicht mit einem ordentlichen Arbeitsverhältnis auf dem freien Arbeitsmarkt vergleichbar. Bei der Arbeitspflicht gemäss Art. 81 Abs. 1 StGB handelt es sich um einen Arbeitseinsatz in einem ge- schlossenen System, der mit der Arbeit im Erwerbsleben auch lohn- mässig nicht vergleichbar ist (vgl. dazu auch das Urteil des Bundes- gerichts vom 25. Oktober 2007 [8C_176/2007], Erw. 4.2). Das Ver- waltungsgericht stimmt den Ausführungen der Vorinstanz in ihrer Beschwerdeantwort (...) zu, wonach eine den Fähigkeiten des Ge- fangenen angemessene Arbeit auch als eine arbeitstherapeutische Be- schäftigung für körperlich und geistig minder leistungsfähige Insas- 2009 Straf-undMassnahmenvollzug 101 sen ausgestaltet sein kann, und dass sie in der Regel weit über das blosse Erbringen einer Arbeitsleistung hinaus geht, indem sie dem Gefangenen eine sinnvolle Tagesstruktur vorgibt, er sich in einem so- zialen Gefüge bewegen muss und so seine geistige und körperliche Leistungsfähigkeit besser erhalten kann. Dass die Beschäftigung auch der Erhaltung und Förderung von sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten dient, die zur allfälligen späteren Wiedereingliederung in die Gesellschaft notwendig sind, ist wohl unbestritten. Durch die sinnvolle Einsetzung in einen Arbeitsprozess vermittelt die Anstalt Techniken im Arbeits- und auch im Sozialverhalten, die der Wie- dereingliederung dienen. Dies fördert die Resozialisierung und er- höht deshalb die Sicherheit der Bevölkerung während und auch nach dem Vollzug. Es ist der Vorinstanz zuzustimmen, indem sie die Be- schäftigung im Straf- und Massnahmenvollzug aus diesen Gründen als wichtigen Bestandteil für das Erreichen des Vollzugsziels, das so- ziale Verhalten und die Fähigkeit, straffrei zu leben, zu fördern, sieht, zumal die Arbeit auch auf die Stärkung der Eigenverantwortung und Sicherung der sozialen Integration zielt. Denn nicht zuletzt soll der Vollzug der Freiheitsstrafe dazu beitragen, die Eingliederungschan- cen der Gefangenen zu verbessern, denn die primäre Legitimation der staatlichen Strafe liegt in der Verhinderung künftiger Straftaten (vgl. dazu auch Baechthold, a.a.O., S. 388). 1.4.2. Dementsprechend beschreibt § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Organisation der Strafanstalt Lenzburg vom 21. Januar 2004 un- ter dem Titel "Vollzugsziele", dass der Vollzug durch Erziehung, Be- treuung, Behandlung, Bildung, sinnvolle Freizeitgestaltung sowie durch Arbeit bessernd auf die Gefangenen wirken soll, um diesen nach der Entlassung ein deliktfreies Leben zu ermöglichen. So sollen Fähigkeiten gefördert werden, die auch nach der Entlassung nützlich sind; d.h. eingeübte Fähigkeiten (fachliche Kompetenzen, Disziplin, Einsatz) sollen nach der Entlassung nutzbringend eingesetzt werden können. Auf der Homepage der Justizvollzugsanstalt Lenzburg wird die Arbeit nicht nur als Beitrag an die Kosten des Freiheitsentzugs be- schrieben, sondern u.a. auch als "Methode, haftbedingten Persönlich- 2009 Verwaltungsgericht 102 keitsveränderungen entgegenzuwirken" (http://www.jvalenzburg.ch/ sites/betriebe_arbeit.html). Denn je länger Menschen unter den ein- geschränkten Lebensbedingungen der Haft verbringen, je weniger sie Kontakt zur Außenwelt haben und je geringer die Möglichkeiten sind, zu lernen oder auch im Sinn der Außenwelt sinnvollen Be- schäftigungen nachzugehen, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach der Haft mit dem Leben in Freiheit überfordert sind. Mit dem Verlust der Freiheit ist auch ein Verlust der persönlichen, frei bestimmbaren Zeit und der Zeitwahrnehmung verbunden. Im Strafvollzug wird die Zeit gänzlich von der Institution strukturiert. Der Verlust der eigenen, persönlichen Zeit führt oft dazu, dass die Menschen verlernen, zu planen und zielgerichtet zu handeln (vgl. dazu den Aufsatz "Was bringen lange Freiheitsstrafen?" von Walter Hammerschick, Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Wien [http://www.paulus-akademie.ch/berichte/was_bringen_lange_frei- heitsstrafen-hammerschick.pdf]). Diesen sogenannten "Haftschäden" gilt es entgegenzuwirken, wobei die regelmässige Arbeitsbeschäf- tigung im Strafvollzug einen wichtigen Teil dazu beitragen kann. 1.4.3. Wir bereits erwähnt (vgl. Erw. 1.1 hiervor), wird gemäss § 58a Abs. 2 SMV die Verwahrung gemäss den Bestimmungen über den Normalvollzug vollzogen. Das Vollzugsziel der Resozialisierung muss deshalb auch für Verwahrte Geltung haben; dies nicht zuletzt deshalb, weil gemäss Art. 64a StGB der Täter aus der Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1 StGB bedingt entlassen wird, sobald zu er- warten ist, dass er sich in der Freiheit bewährt. Gemäss Art. 64b StGB prüft die zuständige Behörde auf Gesuch hin oder von Amtes wegen mindestens einmal jährlich, und erstmals nach Ablauf von zwei Jahren, ob und wann der Täter aus der Verwahrung bedingt ent- lassen werden kann (lit. a) und mindestens alle zwei Jahre, und erst- mals vor Antritt der Verwahrung, ob die Voraussetzungen für eine stationäre therapeutische Behandlung gegeben sind und beim zustän- digen Gericht entsprechend Antrag gestellt werden soll (lit. b). Ent- sprechend finden sich Bestimmungen über die Aufhebung bzw. Ent- lassung aus der Verwahrung in § 58b SMV. Von dem her besteht theoretisch die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer eines Tages 2009 Straf-undMassnahmenvollzug 103 wieder in Freiheit leben wird, weshalb es unabdingbar ist, dass wäh- rend des Strafvollzuges u.a. durch Arbeit sein soziales Verhalten und die Fähigkeit, straffrei zu leben, gefördert werden. Entsprechend wurde beim Beschwerdeführer im Rahmen der Vollzugsplanung als allgemeine Zielsetzung u.a. auch die "berufliche und soziale Wiedereingliederung soweit möglich" genannt. 1.4.4. Gemäss Art. 81 Abs. 1 Satz 2 StGB hat die Arbeit so weit als möglich den Fähigkeiten, der Ausbildung und den Neigungen des Gefangenen zu entsprechen. § 62 Abs. 3 SMV spricht davon, dass bei kranken, gebrechlichen und betagten Personen sowie bei Schwangeren und Müttern mit Kleinkindern zugunsten der Gefange- nen von den Regeln des Vollzugs von Strafen und Massnahmen ab- gewichen werden könne. Grundsätzlich ist also jeder arbeitsfähige Strafgefangene und Verwahrte verpflichtet, Arbeit zu leisten - dies unabhängig vom Alter. Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers einen Arbeitseinsatz, insbesondere in einem kör- perlich weniger anstrengenden Bereich, weiterhin zulasse; dies trotz der Tatsache, dass er das AHV-Pensionsalter bereits seit mehreren Jahren überschritten habe und eine Beeinträchtigung durch eine schwere psychische Störung bestehe. Der Beschwerdeführer wehrt sich nicht gegen diese Feststellung an sich. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass der Gesund- heitszustand des Beschwerdeführers die Anwesenheit am Arbeits- platz und eine durchschnittliche Arbeitsleistung ohne Weiteres zu- lässt. Dass ein Arbeitseinsatz in der Landswirtschaft, wie ihn der Be- schwerdeführer offenbar gewünscht hat, aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist, dürfte auch dem sich in Verwahrung befindlichen Beschwerdeführer klar (gewesen) sein. Zur Arbeit außerhalb einer Anstalt dürfen nur Strafgefangene herangezogen werden, von denen ein Missbrauch der mit der Außenarbeit verbundenen Lockerung des Vollzuges nicht zu befürchten ist. Entsprechend sieht § 3 der Verord- nung über die Organisation der Strafanstalt Lenzburg vor, dass beim Vollzug u.a. stets das Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit zu be- 2009 Verwaltungsgericht 104 rücksichtigen ist. Die Justizvollzugsanstalt Lenzburg hält in ihrer Stellungnahme in diesem Zusammenhang fest, dass der Beschwerde- führer als Verwahrungsgefangener ohne ausdrückliche Zustimmung der Fachkommission und der Vollzugsbehörde nicht ausserhalb der Anstaltsmauern beschäftigt werden dürfe. Auf der Homepage der Justizvollzugsanstalt Lenzburg sind die zahlreichen Betriebe aufgelistet, welche Beschäftigungsmöglichkei- ten anbieten. Es sind dies (neben der Landwirtschaft): Atelier, Buch- binderei, Druckerei/Ausrüsterei, Korberei/Stuhlflechterei, Malerei/ Ablaugerei, Industriemontage, Schlosserei/Metallgewerbe, Schreine- rei, Wäscherei, Glätterei/Näherei, Küche/Bäckerei, Hausdienst und Unterhalt (http://www.jvalenzburg.ch/sites/betriebe_arbeit.html). Oh- ne Zweifel gibt es in einem dieser Betriebe in einem körperlich we- niger anstrengenden Bereich eine für den Beschwerdeführer geeigne- te, seinem körperlichen und geistigen Zustand entsprechende Be- schäftigungsmöglichkeit, bei welcher auch dem Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit genüge getan werden kann. 1.4.5. Im Übrigen ist die Aussage des Beschwerdeführers, gemäss gel- tender AHV-Gesetzgebung bestehe nach Vollendung des 65. Lebens- jahres keine Arbeitspflicht mehr, in dieser Form nicht zutreffend. Art. 21 AHVG besagt lediglich, dass Männer, welche das 65. Alters- jahr vollendet haben, Anspruch auf eine Altersrente haben. Entspre- chend formuliert Art. 3 AHVG, dass die Versicherten beitragspflich- tig sind, solange sie eine Erwerbstätigkeit ausüben. Ein grundsätzli- cher Anspruch auf Rentenleistungen, seien es Leistungen der AHV, der IV oder anderer Leistungsgerbringern, vermag daher für sich al- lein keine Entbindung von der Arbeitspflicht begründen, soweit der Insasse gesundheitlich zur Arbeit fähig ist. 1.5. Zusammenfassend kommt das Verwaltungsgericht in Überein- stimmung mit der Vorinstanz zum Schluss, dass für den verwahrten Beschwerdeführer auch nach Erreichen des Pensionsalters eine Ar- beitspflicht besteht. 2009 Straf-undMassnahmenvollzug 105 2. 2.1. Die Vorinstanz stützt die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Beteiligung an den Vollzugskosten auf Art. 380 Abs. 2 lit. b StGB sowie auf § 242 StPO. 2.2. Ob und inwieweit der Verurteilte die Vollzugskosten zu tragen hat, richtet sich nach Art. 380 StGB: Die Kantone tragen die Kosten des Straf- und Massnahmenvollzugs, wobei der Verurteilte nur unter eingeschränkten Voraussetzungen und in angemessener Weise an den Kosten beteiligt wird (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom 19. Juni 2007 [6S.530/2006], Erw. 6.4). Wörtlich lautet Art. 380 StGB folgendermassen: " 1 Die Kosten des Straf- und Massnahmenvollzugs tragen die Kantone. 2 Der Verurteilte wird in angemessener Weise an den Kosten des Vollzugs beteiligt: a. durch deren Verrechnung mit seiner Arbeitsleistung im Straf- oder Mass- nahmenvollzug; b. nach Massgabe seines Einkommens und Vermögens, wenn er eine ihm zu- gewiesene Arbeit verweigert, obwohl sie den Vorgaben der Artikel 81 oder 90 Absatz 3 genügt; oder c. durch Abzug eines Teils des Einkommens, das er auf Grund einer Tätig- keit im Rahmen der Halbgefangenschaft, des Arbeitsexternats oder des Wohn- und Arbeitsexternats erzielt. 3 Die Kantone erlassen nähere Vorschriften über die Kostenbeteiligung der Verurteilten." Die entsprechende Regelung findet sich im kantonalen Recht in der Strafprozessordnung. § 242 StPO, der gemäss § 244 StPO sinn- gemäss auch für die Kosten der Verwahrung gemäss Art. 64 StGB gilt, lautet: " 1 Die Kosten des Vollzuges der Freiheitsstrafen, unter Einschluss der Kosten der auf die Strafe angerechneten Untersuchungshaft, trägt der Staat. (...) 2 Das zuständige Departement verpflichtet den Verurteilten nach Massgabe seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse ganz oder teilweise zum Ersatz, wenn er eine ihm zugewiesene Arbeit verweigert oder ausserhalb der Vollzugseinrichtung arbeitet." 2009 Verwaltungsgericht 106 In diesem Sinne konkretisiert § 98 SMV unter dem Titel "Ko- stenverlegungsverfahren", dass die Kosten des Strafvollzugs und der Verwahrung gemäss Art. 64 StGB vorbehältlich der Fälle gemäss § 100 SMV im Grundsatz der Kanton trägt, wobei nach § 100 SMV ("Normalvollzug und Verwahrung") die Vollzugsbehörde die Ein- kommens- und Vermögensverhältnisse der Verurteilten prüft, wenn eine Kostenbeteiligung gemäss Art. 380 Abs. 2 lit. b oder c StGB in Betracht kommt. Die Rechtslage ist mit Blick auf das Gesetz klar: Der Verurteilte wird in angemessener Weise an den Kosten des Vollzugs beteiligt, wenn er grundlos eine ihm zugewiesene Arbeit verweigert. Dies scheint konsequent. Die Bestimmung des Art. 380 StGB hat eher disziplinarischen Charakter, will aber auch eine Benachteiligung der mitarbeitenden Gefangenen vermeiden, die mit ihrer Arbeitsleistung an die Vollzugskosten beitragen (Thomas Maurer, in: Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Strafrecht II, 2., überarbeitete Auflage, Basel 2007, Art. 380 Rz. 7). 2.3. 2.3.1. Im Zusammenhang mit der Höhe der Kostenbeteiligung hat die Vorinstanz festgehalten, eine solche solle einerseits der finanziellen Leistungsfähigkeit und andererseits den persönlichkeitsspezifischen Möglichkeiten eines Gefangenen entsprechen. Die Kostenbeteiligung dürfe nicht höher ausfallen als die Arbeitsleistungen, die der Insasse zugunsten der Vollzugseinrichtung erbringen könnte. Für die Be- rechnung der Kostenbeteiligung hat die Vorinstanz den durchschnitt- lichen Nettoertrag für die internen Gewerbebetriebe der Justizvoll- zugsanstalt Lenzburg herangezogen und anhand der zur Verfügung stehenden Zahlen für das Rechnungsjahr 2007 erkannt, dass ein In- sasse durchschnittlich ca. Fr. 52.-- pro geleisteten Arbeitstag erwirt- schaftet, wobei den Insassen gemäss Richtlinien für das Arbeitsent- gelt (Pekulium) des Strafvollzugskonkordats der Nordwest- und In- nerschweiz vom 5. Mai 2006 durchschnittlich Fr. 26.-- pro Arbeitstag als Arbeitsentgelt ausbezahlt werden (a.a.O., Fussnote, S. 2). Die Kostenbeteiligung durch Arbeitsleistung im Sinne von Art. 380 StGB liege durchschnittlich bei Fr. 26.-- pro Arbeitstag. Da der Be- 2009 Straf-undMassnahmenvollzug 107 schwerdeführer jedoch das AHV-Pensionsalter bereits seit mehreren Jahren überschritten habe und nachweislich eine Beeinträchtigung durch eine schwere psychische Störung bestehe, sei eine wesentliche Reduktion auf die Hälfte des ursprünglichen Betrages, d.h. auf Fr. 13.-- pro Arbeitstag, den Umständen entsprechend angemessen. 2.3.2. Eine Kostenbeteiligung im Umfang von Fr. 13.-- pro nicht ge- leisteten Arbeitstag erscheint dem Verwaltungsgericht sachlich ge- rechtfertigt, zumal die Berechnung der Kostenbeteiligung durch die Vorinstanz vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten wird. 3. Zusammenfassend kommt das Verwaltungsgericht zum Schluss, dass der Beschwerdeführer trotz Erreichens des ordentlichen Pen- sionsalters arbeitspflichtig und eine Kostenbeteiligung im Umfang von Fr. 13.-- pro nicht geleisteten Arbeitstag rechtmässig ist. Die Be- schwerde ist somit abzuweisen.
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2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 238 [...] 39 Sozialhilfe; interkantonale Zuständigkeit - Zuständigkeit des Kantonalen Sozialdienstes bei negativem inter- kantonalem Kompetenzkonflikt gestützt auf § 6 Abs. 2 SPG - Wird ein Entscheid, mit welchem eine Sozialbehörde ihre Zuständig- keit verneint, durch die Aufsichtsbehörde widerrufen, ist das Zustän- digkeitsverfahren von Amtes wegen einzuleiten. 2016 Sozialhilfe 239 Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 7. Dezember 2016 in Sachen Einwohnergemeinde A. gegen B. und Departement Gesundheit und Soziales (WBE.2016.346). Aus den Erwägungen 1. 1.1. Die Vorinstanz hat den Entscheid des Gemeinderats A. in An- wendung von § 37 VRPG von Amtes wegen aufgehoben. Entscheide, die der Rechtslage oder den sachlichen Erfordernissen nicht entspre- chen, können durch die erlassene Behörde oder die Aufsichtsbehörde geändert oder aufgehoben werden, wenn das Interesse an der richti- gen Rechtsanwendung die Interessen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes überwiegt (§ 37 Abs. 1 VRPG). Der Kantonale Sozialdienst nimmt im Auftrag des DGS die Aufgabe als Aufsichtsin- stanz über die Sozialbehörden wahr. 1.2. Das ZUG bestimmt, welcher Kanton für die Unterstützung eines Bedürftigen, der sich in der Schweiz aufhält, zuständig ist (Art. 1 Abs. 1 ZUG). Das ZUG sieht jedoch kein spezielles Verfah- ren für die Klärung von negativen Kompetenzkonflikten vor. Diese Lücke ist durch (analoge) Anwendung von Instrumenten, welche das ZUG zur Verfügung stellt, zu füllen. In Frage kommen dazu grund- sätzlich zwei Varianten, nämlich die Klärung der Zuständigkeit auf dem Weg der Einreichung von Unterstützungsanzeigen oder mit einem dem Richtigstellungsbegehren zufolge Abschiebung (Art. 28 Abs. 2 ZUG) nachgebildeten Begehren (SKOS, Kommission Rechts- fragen, Negative Kompetenzkonflikte im interkantonalen Bereich: Wer ist zuständig für die Unterstützung?, Januar 2012, S. 1). Gemäss § 5 Abs. 3 SPV tritt die Gemeinde, welche ihre Zustän- digkeit als Wohnsitz- oder Aufenthaltsgemeinde verneint, umgehend mit der ihrer Meinung nach zuständigen Gemeinde in Kontakt. Wenn keine Einigung zustande kommt, wird die Zuständigkeitsfrage dem kantonalen Sozialdienst zum Entscheid unterbreitet, welcher die 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 240 erforderlichen vorsorglichen Anordnungen trifft (vgl. auch § 6 Abs. 2 SPG). Das Gleiche gilt auch für interkantonale Zuständigkeitskon- flikte: Ist die interkantonale Zuständigkeit nach einem gegenseitigen Austausch auf Ebene Sozialdienst nicht klar, treten die beteiligten Kantonalen Sozialämter miteinander in Kontakt. Diese sollen - wenn möglich - eine Einigung über die Zuständigkeit herbeiführen. Kann keine Einigung erzielt werden, muss der unterstützende Aufenthalts- kanton zuhanden des mutmasslich zuständigen Kantons eine Notfall- unterstützungsanzeige im Sinne von Art. 30 ZUG einreichen. Wenn der Kanton vorläufig unterstützt, in dem sich die hilfebedürftige Per- son nicht mehr aufhält (in der Regel der letzte Wohnkanton), empfiehlt die Kommission Rechtsfragen, ein Richtigstellungsbe- gehren gemäss Art. 28 ZUG beim seiner Meinung nach neu zuständi- gen Kanton einzureichen. Alternativ führt die Kommission Rechtsfragen der SKOS auf Antrag der Parteien ein Schlichtungsver- fahren durch (vgl. Negative Kompetenzkonflikte im interkantonalen Bereich, a.a.O., S. 2). 1.3. Der Gemeinderat A. war nicht zuständig, über die interkanto- nale Zuständigkeit für die Leistung materieller Hilfe zu befinden. Gemäss Art. 29 Abs. 1 ZUG geht der Verkehr zwischen den Kanto- nen über die zuständigen kantonalen Amtsstellen. Im Kanton Aargau obliegt der Amtsverkehr mit anderen Kantonen dem Kantonalen So- zialdienst (§ 42 Abs. 1 lit. b SPG). Die Gemeinde A. hätte sich zu- nächst mit dem Sozialdienst C. austauschen müssen. Hätte dies zu keiner Klärung der interkantonalen Zuständigkeit geführt, hätte der Gemeinderat den Kantonalen Sozialdienst über den Sachverhalt informieren müssen. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass eine bedürftige Person die von ihr benötigte Hilfe (recht- zeitig) erhält. Negative Kompetenzkonflikte sollen sich nicht zu Las- ten der hilfesuchenden Person auswirken. Um dies sicherzustellen, ist das vorgeschriebene Zuständigkeitsverfahren einzuhalten. Dementsprechend war der Widerruf des Entscheids durch die Vorin- stanz rechtmässig. 2016 Sozialhilfe 241 2. Zu beanstanden ist jedoch die Anweisung der Vorinstanz an den Gemeinderat A., entweder die in Frage stehende Kostengutsprache subsidiär zu leisten oder aber umgehend die Zuständigkeitsfrage dem Kantonalen Sozialdienst zum Entscheid zu unterbreiten. Die Vorin- stanz hätte die Beschwerde als Antrag um Prüfung der Zuständigkeit entgegennehmen und der Kantonale Sozialdienst ein Zuständigkeits- verfahren einleiten müssen. Dieser wäre gehalten gewesen, mit der nach Art. 29 Abs. 1 ZUG zuständigen kantonalen Amtsstelle von C. eine Klärung der Zuständigkeit herbeizuführen. 3. Zusammenfassend ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und sind Anweisung und Kostenverlegung im angefochtenen Ent- scheid aufzuheben. Die Angelegenheit ist an den Kantonalen Sozial- dienst zur Durchführung eines Zuständigkeitsverfahrens zurückzu- weisen. In diesem Verfahren kann unter Beteiligung und Wahrung der Verfahrensrechte der involvierten Gemeinwesen geklärt werden, ob der Unterstützungswohnsitz der Beschwerdegegnerin im Kanton Aargau beendet wurde.
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2011 Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht 141 37 Erleichterte Ausnahmebewilligung im Unterabstand von Strassen (§ 67a BauG) Vorausgesetzt wird eine untergeordnete Baute und dass kein überwie- gendes, aktuelles öffentliches Interesse entgegenstehen darf; Anwen- dungsfall eines Garten- bzw. Gerätehauses. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 4. Juli 2011 in Sachen Gemeinderat A. gegen B. und C. (WBE.2010.386). Aus den Erwägungen 1. 1.1. (...) 1.2. Die Beschwerdegegner beabsichtigen, auf der Parzelle Nr. (...) ein Garten- bzw. Gerätehaus zu erstellen. Gemäss den Akten handelt es sich um ein Blockbohlenhaus mit einer Grundfläche von 5.04 m x 3.11 m (inkl. Dachvorsprünge und einseitig offener Unterstand) und einer maximalen Höhe von 2.40 m, wobei die Beschwerdegegner von einer effektiven Höhe der Baute von 2.20 m sprechen. Das Gerätehaus soll im Abstand von 2 m zum D.-weg und da- mit innerhalb der Baulinie zum D.-weg (5 m) und im Unterabstand zur Gemeindestrasse (§ 111 Abs. 1 lit. a BauG) erstellt werden. Das Vorhaben ist somit keiner ordentlichen Bewilligung zugänglich. Ebenso fällt eine Ausnahmebewilligung nach § 67 BauG ausser Be- tracht, da weder aussergewöhnliche Verhältnisse noch ein Härtefall vorliegen (vgl. dazu etwa AGVE 2006, S. 165 f.). Umstritten ist hingegen die Frage, ob die Bauherrschaft eine erleichterte Ausnah- mebewilligung nach § 67a BauG (in Kraft seit 1. Januar 2010) beanspruchen kann. 1.3. Für untergeordnete Bauten und Anlagen wie namentlich Klein- und Anbauten kann nach § 67a BauG eine erleichterte Ausnahme- bewilligung betreffend Abstände gegenüber Strassen oder Baulinien 2011 Verwaltungsgericht 142 erteilt werden, sofern kein überwiegendes, aktuelles öffentliches In- teresse entgegensteht (§ 67a Abs. 1 BauG). Die Bauten und Anlagen, die gestützt auf diese Bestimmung bewilligt worden sind, müssen vom Eigentümer auf erstmalige Aufforderung hin sowie auf eigene Kosten und entschädigungslos entfernt oder versetzt werden, wenn die überwiegenden Interessen eines öffentlichen Werkes es erfordern. In der Baubewilligung ist dies zur Auflage zu machen (§ 67a Abs. 2 BauG). 2. (...) 3. 3.1. 3.1.1. Voraussetzung für eine erleichterte Ausnahmebewilligung im Unterabstand von Strassen oder Baulinien ist nach § 67a BauG das Vorliegen einer " untergeordneten " Baute oder Anlage. Als Beispiel von untergeordneten Bauten erwähnt das Gesetz Klein- und An- bauten. Der Begriff der Klein- und Anbaute taucht auch in § 18 ABauV auf. Zwar regelt diese Vorschrift den Grenz- und Gebäude- abstand von Klein- und Anbauten, es ist jedoch anzunehmen, dass der Gesetzgeber diese Definition vor Augen hatte, als er in § 67a BauG den gleichlautenden Begriff der Klein- und Anbaute über- nommen hat. Aufgrund der bloss beispielhaften Erwähnung der Klein- und Anbauten steht vorab fest, dass auch andere Bauten und Anlagen "untergeordnet" sein können. Wie den Materialien zu § 67a BauG zu entnehmen ist, kommt eine erleichterte Ausnahmebewilligung nur bei Bagatellbauten in Betracht, die sich im Falle eines Strassenausbaus mit wenig Aufwand entfernen lassen, wie z. B. Reklametafeln, Schaukästen, Geräte- häuschen oder Autounterstände (Botschaft des Regierungsrats vom 5. Dezember 2007 zur Teilrevision des BauG [Ges.-Nr. 07.314] [Bot- schaft], S. 89). Ob sich eine Baute oder Anlage noch als "untergeord- net" im Sinne von § 67a Abs. 1 BauG bezeichnen lässt, richtet sich somit nach dem Aufwand, der bei einer späteren Beseitigung nach § 67a Abs. 2 BauG anfiele. Die Erfahrung lehrt nämlich, dass Besei- tigungsaufforderungen, selbst wenn sie aufgrund eines Reverses er- folgen, meistens nicht widerstandslos befolgt werden. Das gilt insbe- 2011 Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht 143 sondere dann, wenn erhebliche wirtschaftliche Interessen im Spiel sind (vgl. AGVE 2006, S. 164). Je aufwändiger die spätere Beseiti- gung ist, desto eher ist mit Widerstand des Eigentümers zu rechnen, weshalb es sachgerecht erscheint, eine erleichterte Ausnahmebewilli- gung nach § 67a BauG nur dann zu erteilen, wenn sich die Baute oder Anlage mit wenig Aufwand beseitigen lässt (AGVE 2010, S. 166). 3.1.2. Im konkreten Fall steht ausser Frage, dass das projektierte Gar- ten- bzw. Gerätehaus eine "untergeordnete" Baute im Sinne von § 67a BauG darstellt: Mit rund 15.67 m2 weist das Garten- bzw. Gerätehaus eine Bruttofläche von deutlich weniger als 40 m2 auf, und mit 2.40 bzw. 2.20 m eine Höhe von deutlich weniger als 3 m, womit die Anforderungen an eine Kleinbaute im Sinne von § 18 Abs. 1 ABauV erfüllt sind. Material und Bauweise weisen zudem auf eine einfache Beseitigung hin. Die Beseitigungskosten wurden am vorinstanzlichen Augenschein auf rund Fr. 1'500.00 geschätzt. Das geplante Garten- bzw. Gerätehaus kann also mit wenig Aufwand und Kosten entfernt werden. Seitens der Gemeinde wurde am vor- instanzlichen Augenschein ebenfalls bestätigt, dass es sich um eine Bagatell- bzw. Kleinbaute handle. 3.2. 3.2.1. Nach dem Wortlaut von § 67a Abs. 1 BauG genügt es, dass es sich um eine untergeordnete Baute oder Anlage handelt und der Strassenabstands- bzw. Baulinienunterschreitung kein überwiegen- des, aktuelles öffentliches Interesse entgegensteht . Ausserordentliche Verhältnisse oder ein Härtefall wie bei § 67 BauG werden nicht verlangt. Die "erleichterte" Ausnahmebewilligung sieht gegenüber § 67 BauG bei den Voraussetzungen graduelle Unterschiede vor, indem die Anforderungen an eine erleichterte Ausnahmebewilligung weniger streng sind. Nach dem Gesetzestext ist auch der Nachweis eines speziellen / spezifischen objektivierbaren Bedürfnisses für die Abstands- oder Baulinienunterschreitung nicht erforderlich. Das BauG verlangt ausdrücklich aktuelle öffentliche Interessen. Das kann nur bedeuten, dass die "normalen" öffentlichen Interessen, welche 2011 Verwaltungsgericht 144 den Abstandsvorschriften allgemein zugrunde liegen (z. B. Einhal- tung der gesetzlichen Vorschriften, Freihalten des Strassenraums, Er- haltung der Planungsfreiheit), nicht genügen, um eine erleichterte Ausnahmebewilligung zu verweigern. Die "normalen" öffentlichen Interessen müssen im konkreten Anwendungsfall auch aktuell sein, damit sie Privatinteressen zu überwiegen vermögen. Die Gesetzesmaterialien verweisen als Interpretationshilfe auf die "analoge" Vorschrift von § 139 des Baugesetzes des Kantons Aar- gau vom 2. Februar 1971 (aBauG), welche von "besonderen Verhält- nissen" gesprochen habe; der Kommentar von Erich Zimmerlin (Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, S. 330) halte dazu fest, damit seien Fälle ge- meint, "in denen die öffentlichen Interessen weniger schwer wiegen, so dass ein striktes Beharren auf durch Baulinien oder geschriebenen Normen festgelegte Abstände sich nicht rechtfertigen lässt und die entgegenstehenden privaten Interessen mehr Schutz verdienen" (Bot- schaft, S. 89). Diese Interpretation lasse sich auf den neuen § 67a BauG übertragen (vgl. Botschaft, S. 89). Demgemäss soll der ge- nannte Wertungsgedanke übernommen werden und eine erleichterte Ausnahmebewilligung ist dann zu erteilen, wenn im konkreten An- wendungsfall die aktuellen öffentlichen (einer Strassenabstands- bzw. Baulinienunterschreitung entgegenstehenden) Interessen nicht überwiegen. Von einer Wiedereinführung des § 139 aBauG kann demgegenüber nicht die Rede sein. Der Wortlaut von § 67a Abs. 1 BauG unterscheidet sich von demjenigen des § 139 Abs. 1 aBauG klar. § 67a BauG verlangt insbesondere nicht das Vorliegen "beson- derer Verhältnisse", sondern fordert ausdrücklich, dass "kein über- wiegendes, aktuelles öffentliches Interesse" entgegensteht. Damit ist aber dem Haupteinwand des Gemeinderats, er wolle im Anwen- dungsbereich von § 67a BauG ein objektives Bedürfnis bzw. spezi- fische Interessen des Baugesuchstellers verlangen und hierzu eine eigene Praxis entwickeln, das Fundament entzogen. Die Erteilung einer erleichterten Ausnahmebewilligung betref- fend Abstände gegenüber Strassen oder Baulinien für untergeordnete Bauten und Anlagen (§ 67a BauG) setzt somit voraus, dass der Stras- senabstand (zu den Abstandsvorschriften vgl. § 111 Abs. 1 lit. a 2011 Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht 145 BauG) oder die Baulinie zur Zeit keinen überwiegenden, aktuellen öffentlichen Interessen dient. Das heisst, eine vorübergehende tat- sächliche Verletzung des Strassenabstands oder der Baulinie schaden nach dem Willen des Gesetzgebers den öffentlichen Interessen nicht, oder bloss in einem vernachlässigbaren Umfang. Diese Beurteilung verlangt im Anwendungsfall eine sorgfältige und umfassende Inte- ressenabwägung. Beim Ausnahmecharakter von § 67a BauG bleibt es, da diese Bestimmung nur für untergeordnete Bauten und Anla- gen, auf Zeit und gegen Revers, denen aktuell keine öffentlichen Interessen entgegenstehen, anwendbar ist (vgl. § 67a Abs. 1 und 2 BauG). Insofern lässt sich die These des Gemeinderats, die Aus- nahme werde zur Regel, nicht halten. Manifestieren sich zu einem späteren Zeitpunkt öffentliche Interessen eines öffentlichen Werkes, welche die privaten Interessen überwiegen, aktualisiert sich der Revers und die als erleichterte Ausnahme bewilligte Baute muss dann beseitigt werden. 3.2.2. Zur Interessenabwägung ergibt sich vorliegend was folgt: Zur Beurteilung steht ein Garten- bzw. Gerätehaus mit einer Grundfläche von rund 15.67 m2 und einer Höhe von 2.40 bzw. 2.20 m (vgl. Erw. 1.2.). Das projektierte Blockbohlenhaus soll im Abstand von 2.0 m zum D.-weg und im Abstand von 2.0 m zur Nachbarparzelle (Nr. [...]) in der Süd-Ost-Ecke des dreieckigen Grundstücks (Parzelle Nr. [...]) erstellt werden. Gegenüber dem Nachbargrundstück ist dies ohne weiteres zulässig (vgl. § 18 Abs. 2 ABauV i. V. m. Fussnote 11 zu § 27 der Bauordnung der Gemeinde A. vom 25. Juni 1998 / 14. Juni 2000; mit schriftlicher Zustimmung des Nachbarn könnte der Grenzabstand weiter reduziert werden). Das private Interesse der Beschwerdegegner liegt in der optimalen bzw. vernünftigen Nutzung ihres Gartenraums, sie wollen einen ge- wissen Spielraum für allfällige künftige Bauten bzw. Gartenumge- staltungen (z. B. Schwimmteich oder Gartenpavillon) freihalten kön- nen. Ausserdem kann mit der Positionierung des Garten- bzw. Gerä- tehauses die spitzwinklige, schattige Eckfläche des dreieckigen Grundstücks geeignet genutzt und eine grössere nutzbare Rasen- fläche am Stück erreicht werden. Auch wenn das Garten- bzw. Ge- 2011 Verwaltungsgericht 146 rätehaus auf dem Grundstück an anderer Stelle unter Einhaltung der Strassenabstandsvorschriften erstellt werden könnte, steht hinter der beabsichtigten Positionierung ein einleuchtender Grund, weshalb dem privaten Interesse ein gewisses Gewicht zuzuerkennen ist. Dem Interesse der Beschwerdegegner an einer Baulinien- bzw. Strassenabstandsunterschreitung stellt die Gemeinde lediglich das formelle, generell-abstrakte gesetzliche Interesse an der Einhaltung der Strassenabstandsvorschriften entgegen. Aktuelle öffentliche In- teressen, welche am fraglichen Ort die Einhaltung der Strassenab- standsvorschriften - sei dies die Baulinie oder der gesetzliche Nor- malabstand - erforderten, bringt die Gemeinde nicht vor. Am vorin- stanzlichen Augenschein wurde seitens der Gemeinde bestätigt, dass der Verkehr durch die projektierte Baute nicht gestört und der Pla- nungsspielraum durch das Bauvorhaben nicht gefährdet werde. Die Vorinstanz legte im Weiteren überzeugend dar, dass auch keine ak- tuellen siedlungsgestalterischen Interessen erkennbar sind, die der Abstandsunterschreitung entgegenstehen. Der Gemeinderat bestreitet diese Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht. Im konkreten Fall kann somit nicht gesagt werden, dass der beabsich- tigten Abstandsunterschreitung auf 2 m Strassenabstand aktuelle öffentliche Interessen (wie z. B. ungehinderte Abwicklung des Ver- kehrs, Erhaltung des Planungsspielraums und der Landerwerbsmög- lichkeit für zukünftigen Strassenbau oder siedlungsgestalterische Ge- sichtspunkte; vgl. AGVE 2000, S. 260; 1997, S. 332 f. mit Hinwie- sen; 1990, S. 237 f. mit Hinweisen) entgegenstehen würden. Viel- mehr kann festgestellt werden, dass die Strassenabstandsvorschriften am fraglichen Ort zur Zeit und bis auf weiteres keine konkreti- sierbaren öffentlichen Interessen erfüllen. Demgemäss steht fest, dass der Erstellung des strittigen Garten- bzw. Gerätehauses im Strassenabstand von 2 m - d. h. in Unter- schreitung der Strassenabstandsvorschriften - kein aktuelles, öffent- liches Interesse von Bedeutung entgegensteht. Die Voraussetzungen einer erleichterten Ausnahmebewilligung nach § 67a Abs. 1 BauG sind erfüllt. Der vorinstanzliche Entscheid, mit welchem der Ge- meinderat A. angewiesen wurde, das Baugesuch für das Garten- bzw. Gerätehaus auf der Parzelle Nr. (...) unter einer entsprechenden Be- 2011 Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht 147 seitigungsauflage (vgl. § 67a Abs. 2 BauG) zu bewilligen, ist nicht zu beanstanden.
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2001 Verwaltungsrechtspflege 367 [...] 78 Rechtliches Gehör. - Eine Gemeinde kann sich auf diesen Anspruch berufen, wenn sie wie eine Privatperson betroffen ist oder wenn es um den Umfang der ihr zustehenden Autonomie geht (Erw. 4/b). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. November 2000 in Sachen Einwohnergemeinde B. gegen Regierungsrat. Aus den Erwägungen 4. a) Die Beschwerdeführerin bezichtigt den Regierungsrat einer Gehörsverletzung, weil im vorinstanzlichen Entscheid auf die Problematik der Einhaltung der Sonntagsruhe nicht eingegangen worden sei. Gerügt wird also eine Verletzung der Begründungs- pflicht, welche allgemein aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleitet wird (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Grundriss des Allge- meinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, Rz. 1293; BGE 112 Ia 109; AGVE 1998, S. 426). b) Art. 29 Abs. 2 BV billigt den Parteien einen Anspruch auf rechtliches Gehör zu. Auch § 22 Abs. 1 KV schreibt fest, dass die Betroffenen in behördlichen Verfahren Anspruch auf rechtliches Gehör und faire Behandlung haben. In beiden Verfassungen sind die angeführten Bestimmungen im Kapitel bzw. Abschnitt über die ,,Grundrechte" eingeordnet. Diese bringen zum Ausdruck, dass jeder 2001 Verwaltungsgericht 368 Mensch voraussetzungslos Inhaber bestimmter Rechte ist; er gilt als Rechtsperson und ist Träger einer besonderen Würde (Jörg Paul Müller, in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 [im Folgenden: Kommentar BV], Basel/Zürich/Bern 1996, Einleitung zu den Grundrechten, N 1). Die gemäss Art. 29 Abs. 2 BV bzw. § 22 Abs. 1 KV anspruchsbe- rechtigten ,,Parteien" bzw. ,,Betroffenen" sind also Private, die in Verfahren involviert sind, deren Ergebnisse sie mehr als Andere be- lasten können (Georg Müller, in: Kommentar BV, Art. 4 N 101; Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz [im Folgenden: Grund- rechte], 3. Auflage, Bern 1999, S. 509). Auch gemäss aargauischem Verfassungsverständnis gelten die allgemeinen Verfahrensgarantien (nur) für ,,Betroffene", d. h. für subjektiv-rechtlich Beschwerte (Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, § 22 N 9, 11). Demzufolge kann sich eine Gemeinde auf die Garantien verfahrensrechtlicher Kommunikation berufen, wenn sie wie eine Privatperson betroffen ist, z. B. in ihrer Rechtsstellung als Grundeigentümerin oder als Bauherrin. Darüber hinaus wird den Gemeinden ein Anspruch auf rechtliches Gehör im Verfahren über den Umfang der ihr zustehenden Autonomie zugebil- ligt; in dieser Hinsicht hat der erwähnte Anspruch dieselbe Tragweite wie der verfassungsrechtlich verankerte Gehörsanspruch der Privaten (Jörg Paul Müller, Grundrechte, S. 511 mit Fn. 10; Michele Albertini, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Ver- waltungsverfahren des modernen Staates, Bern 2000, S. 140; Pra 81/1992, S. 103; Bundesgericht, in: ZBl 98/1997, S. 261). Im vorlie- genden Fall geht es um die Wahrung der Sonn- und Festtagsruhe bzw. um die Anwendung des kantonalen Gesetzes über die Feier der Sonn- und Festtage (SFG) vom 7. November 1861. In diesem Be- reich sind die Gemeinden nach Massgabe von § 106 Abs. 2 KV au- tonom. Mit der ersatzlosen Aufhebung von Ziffer B/9 Abs. 2 der Baubewilligung vom 4. Januar 1999 (soweit die Schliessung der Autowaschanlage an Sonn- und allgemeinen Feiertagen betreffend) hat der Regierungsrat in diesen Autonomiebereich eingegriffen. Er war daher auch in Bezug auf Argumente, welche der Gemeinderat im vorinstanzlichen Verfahren vorbrachte, begründungspflichtig. 2001 Verwaltungsrechtspflege 369 Die Begründungspflicht ist zudem noch aus einer andern Über- legung zu bejahen. Zweck und Leitgedanke dieser Pflicht ist es u.a., dass die Betroffenen die getroffene Entscheidung verstehen und sachgerecht anfechten können; durch die angemessene Begründung einer Verfügung soll dem Betroffenen ermöglicht werden, sich über die Tragweite eines Entscheides Rechenschaft zu geben und in voller Kenntnis der Gründe ein Rechtsmittel zu ergreifen (Albertini, a.a.O., S. 403; BGE 122 II 362 f.; AGVE 1998, S. 426). Auf die Begrün- dungspflicht müssen sich deshalb alle potentiell zur Beschwerdefüh- rung Legitimierten berufen können, und dazu gehört klarerweise auch ein Gemeinderat, der in seiner Eigenschaft als erstinstanzlich verfügende Behörde in das Verfahren einbezogen wird (vgl. auch Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem Aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Diss. Zürich 1998, § 41 Rz. 25).
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2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 206 17 Anlieferungsverbot für ein Ladengeschäft wegen nächtlicher Lärm- immissionen Der durch den nächtlichen Güterumschlag eines Verkaufsgeschäfts mit Frischprodukten erzeugte Lärm ist nach Anhang 6 LSV zu beurteilen, auch wenn der Anlieferungsvorgang nur relativ kurz andauert. Eine Ein- zelfallbeurteilung direkt gestützt auf das USG (unter Zuhilfenahme der BAFU-Vollzugshilfe für die Beurteilung von Alltagslärm), mit der Be- gründung, Anhang 6 LSV und die dort vorgesehene Ermittlung des mass- gebenden Beurteilungspegels (energieäquivalenter Dauerschallpegel) bil- deten den Lärm eines nur wenige Minuten andauernden Güterumschlags nicht angemessen ab, drängt sich nicht auf. Der Störungswirkung von Spitzenwerten und der Impulshaltigkeit scheppernder Geräusche kann mit Pegelkorrekturen Rechnung getragen werden. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. März 2018, in Sachen A. AG und B. AG gegen C., Gemeinderat E. und Departement Bau, Verkehr und Umwelt (WBE.2016.390). 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 207 Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdeführerin 1 ist Stockwerkeigentümerin eines La- denlokals im Erdgeschoss des Gebäudes Nr. UUU auf der Parzelle Nr. XXX der Gemeinde E. Das betreffende Grundstück befindet sich in der Dorfzone D, wo namentlich mässig störende Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe sowie Verkaufsgeschäfte bis 500 m2 Nettola- denfläche zulässig sind und die Empfindlichkeitsstufe III (gemäss Art. 43 Abs. 1 lit. c LSV gilt [§§ 6 Abs. 1 und 8 Abs. 2 BNO]). Die Beschwerdeführerin 1 vermietet das Ladenlokal an die Beschwerde- führerin 2, die dort eine F.-Filiale betreibt. Im Dachgeschoss des glei- chen Gebäudes (Nr. UUU) wohnt die Beschwerdegegnerin. Sie ist ebenfalls Stockwerkeigentümerin und wehrt sich gegen Nachtruhe- störungen, die durch Geräusche während der Anlieferung von Frisch- produkten für den F.-Laden in der Nachtruhephase (zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr) verursacht werden. Die Vorinstanz hat die gerügten Lärmimmissionen unter drei Aspekten gewürdigt: die Vereinbarkeit mit dem Bundesumwelt- schutzrecht, den kommunalen Zonenvorschriften und den Bestim- mungen im Polizeireglement (...). 2. 2.1. In Erw. 3.2 des angefochtenen Entscheids hat die Vorinstanz das in Frage stehende Verkaufslokal zutreffend als neue ortsfeste Anlage im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung (Art. 7 Abs. 7 USG und Art. 7 und 47 LSV) qualifiziert. Die Lärmemissionen einer neuen ortsfesten Anlage müssen nach den Anordnungen der Vollzugsbehörde so weit begrenzt wer- den: (a) als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaft- lich tragbar ist und (b) dass die von der Anlage allein erzeugten Lärmimmissionen die Planungswerte nicht überschreiten (Art. 7 Abs. 1 LSV; vgl. auch Art. 25 Abs. 1 USG). Diese beiden Anforde- rungen gelten kumulativ; Art. 7 Abs. 1 lit. a LSV ist Ausdruck des bereits in Art. 11 Abs. 2 USG als allgemeiner Grundsatz statuierten umweltschutzrechtlichen Vorsorgeprinzips (ANDRÉ SCHRADE/THEO 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 208 LORETAN, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2004, Art. 11 N 34b). Die Planungswerte bilden die niedrigste Schwelle der in drei Kategorien unterteilten Belastungsgrenzwerte, gefolgt von den Im- missionsgrenzwerten und den noch höheren Alarmwerten. Für be- stimmte Lärmarten (Strassenverkehrslärm, Eisenbahnlärm, zivile Flugplätze, Industrie- und Gewerbelärm, zivile Schiessanlagen, Mili- tärflugplätze sowie militärische Waffen-, Schiess- und Übungsplätze) werden in den Anhängen 3-9 LSV Belastungsgrenzwerte definiert. Fehlen gesetzlich festgelegte Belastungsgrenzwerte (für andere Lärmarten), so erfolgt die Beurteilung der Lärmimmissionen unmit- telbar gestützt auf das USG. Zu beachten ist vorab Art. 23 USG, wo- nach die Planungswerte unter den Immissionsgrenzwerten liegen müssen; nach den Art. 15 und 13 Abs. 2 USG sind die Immissions- grenzwerte so festzulegen, dass nach dem Stand der Wissenschaft oder der Erfahrung Immissionen unterhalb dieser Werte die Bevölke- rung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören, unter Berück- sichtigung der Wirkungen auf Personengruppen mit erhöhter Emp- findlichkeit, wie Kinder, Kranke, Betagte und Schwangere; Art. 19 USG regelt die Alarmwerte, die über den Immissionsgrenzwerten lie- gen und der Beurteilung der Dringlichkeit von Sanierungen dienen (vgl. Art. 40 Abs. 3 LSV). Dabei muss sich die Vollzugsbehörde um eine objektivierte Betrachtung bemühen und darf nicht auf das sub- jektive Empfinden einzelner Nachbarn abstellen. Amtliche Richtli- nien können die Vollzugsbehörde bei ihrer Aufgabe unterstützen. Als Entscheidungshilfe können ferner fachlich genügend abgestützte aus- ländische oder private Richtlinien herangezogen werden, sofern die Kriterien, auf welchen sie beruhen, mit jenen des schweizerischen Lärmschutzrechts vereinbar sind. Eine analoge Anwendung von Be- lastungsgrenzwerten anderer Lärmarten ist jedoch grundsätzlich pro- blematisch, weil Belastungsgrenzwerte typisierbare Situationen vo- raussetzen, die sich auf einfache Weise durch akustische Beschrei- bungsgrössen zuverlässig erfassen lassen (BGE 133 II 292, Erw. 3.3; 123 II 325, Erw. 4d/bb; Urteil des Bundesgerichts vom 27. Februar 2014 [1C_161/2013, 1C_162/2013, 1C_163/2013, 1C_164/2013], Erw. 3.3). 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 209 Auf dieselbe Weise ist vorzugehen, wenn ein in der LSV festge- legter Grenzwert nicht gesetzeskonform ist, weil er den Kriterien des USG nicht oder nicht mehr entspricht. Die rechtsanwendende Behör- de hat sich in diesem Fall jedoch möglichst weitgehend an den vom Verordnungsgeber getroffenen Wertungen zu orientieren und nur die zur Beachtung des Gesetzes notwendigen Anpassungen vorzuneh- men (CHRISTOPH ZÄCH/ROBERT WOLF, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, a.a.O., Art. 15 N 45). Im Rahmen der Einzelfallbeurteilung sind der Charakter des Lärms, Zeitpunkt und Auftreten sowie die Lärmempfindlichkeit bzw. Lärmvorbelastung zu berücksichtigen. Neue Anlagen dürfen im Hin- blick auf die Einhaltung der Planungswerte während der Nacht höch- stens geringfügige Störungen verursachen (BGE 137 II 30, Erw. 3.4; Urteile des Bundesgerichts vom 9. August 2016 [1C_521/2015], Erw. 6.2, und vom 13. Juli 2011 [1C_58/2011], Erw. 4.1). 2.2. Die Vorinstanz gelangte in Erw. 3.3.1 des angefochtenen Ent- scheids unter Bezugnahme auf einen vom Verwaltungsgericht beur- teilten Präzedenzfall (VGE vom 28. August 2007 [WBE.2006.300]) zum Schluss, die LSV, Anhang 6 (Belastungsgrenzwerte für Indu- strie- und Gewerbelärm), erfasse die von der Beschwerdegegnerin kritisierten Lärmimmissionen, die bei der nächtlichen Belieferung des F.-Ladens mit Frischprodukten entstünden, nicht angemessen. Da die von der Beschwerdegegnerin beklagten, mit Ausnahme des Sonn- tags jede Nacht (zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr) auftretenden Ge- räusche (Motorenlärm des Lastwagens, Gespräche, Zuschlagen von Türen, Absenken und Anheben der hydraulischen Hebebühne, Auf- schlagen der Hebebühne auf dem Asphaltboden, das Schie- ben/Ziehen von Rollwagen über die geriffelte Hebebühne samt Ein- und Ausrasten und danach über den körnigen Asphaltbelag bis zum Lieferanteneingang) jeweils nur relativ kurze Zeit (rund zehn Minu- ten) andauerten, fielen sie bei der Beurteilung des Lärms nach den gemittelten Pegeln gemäss Anhang 6 LSV kaum ins Gewicht, so dass die dort geregelten Planungswerte der massgeblichen Empfindlich- keitsstufe III eingehalten würden. Würden jedoch derart kurzzeitige und wiederholt auftretende Störungen in der Schlafperiode die bei 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 210 45-50 dB(A) liegende Weckschwelle überschreiten, könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass dadurch das Wohlbefinden der schlafenden Bevölkerung beeinträchtigt werde. Vor diesem Hin- tergrund sei festzuhalten, dass die Belastungsgrenzwerte für Indu- strie- und Gewerbelärm nicht auf Immissionen der hier streitigen Art zugeschnitten seien und diesbezüglich keine sachgerechten Ergebnis- se lieferten. Das habe auch die beim vorinstanzlichen Augenschein anwesende kantonale Fachperson bestätigt. Deshalb seien vorliegend nicht die in Anhang 6 der LSV enthaltenen Planungswerte massgeb- lich, sondern es sei eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen. Stattdessen hat die Vorinstanz auf die vom Bundesamt für Um- welt (BAFU) im Jahr 2014 herausgegebene Vollzugshilfe im Um- gang mit Alltagslärm ( Beurteilung Alltagslärm ; nachfolgend: Voll- zugshilfe Alltagslärm) zurückgegriffen. Diese beschreibe - so die Vorinstanz - einen gangbaren Weg zur Beurteilung von Störwir- kungen von Lärmsituationen, für welche Belastungsgrenzwerte fehl- ten bzw. keine sachgerechten Ergebnisse lieferten. Ziel der darin dar- gestellten Methode sei die Ermittlung einer objektivierten Quantifi- zierung der Störwirkung. Bei der Störung des Schlafes orientiere sich die Vollzugshilfe Alltagslärm an den lärmbedingten Aufwachreaktionen (AWR). Nach dem Stand der Wissenschaft und der Erfahrung liessen mehr als eine AWR pro Nacht auf eine Überschreitung der Immissionsgrenzwerte und mehr als drei AWR pro Woche auf eine Überschreitung der Pla- nungswerte schliessen. Nebst der Anzahl AWR berücksichtige die Vollzugshilfe Alltagslärm die Empfindlichkeitsstufe des betroffenen Gebiets (ES), die erhöhte Lärmempfindlichkeit spezieller Personen- gruppen (SP) sowie die örtlichen Gegebenheiten (ÖG) respektive die Lärmvorbelastung. Die Erheblichkeit der Störung ergebe sich aus der Summe der für die genannten Parameter (AWR/ES/SP/ÖG) einge- setzten, in der Vollzugshilfe Alltagslärm angegebenen Werte. Unter- schieden werde zwischen sehr stark störend bei einer Summe von 3 (= über Alarmwert), erheblich störend bei einer Summe von 2 (= zwischen Immissionsgrenzwert und Alarmwert), störend bei einer Summe von 1 (= zwischen Planungswert und Immissionsgrenzwert) 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 211 und höchstens geringfügig störend bei einer Summe von 0 (= unter Planungswert). Für den Parameter AWR hat die Vorinstanz den Wert 2 in die auf S. 55 der Vollzugshilfe Alltagslärm wiedergegebene Formel (für die Beurteilung nächtlicher Störungen) eingesetzt; dies mit der Be- gründung, die von der Fachperson der Abteilung für Umwelt des BVU beim Augenschein vom 15. April 2015 gemessenen Schallpe- gelwerte der lautesten Geräusche von 55-58 dB(A), mithin rund 5- 10 dB(A) über der Weckschwelle, könnten - wie das Beispiel der Beschwerdegegnerin zeige - zu einer Aufwachreaktion pro Nacht führen. Dem Parameter ES hat die Vorinstanz den Wert -1 (= Emp- findlichkeitsstufe III) und den Parametern SP und ÖG die Werte 0 (keine sensiblen Bevölkerungsgruppen und keine spezielle örtliche Gegebenheiten, bzw. Lärmbelastung entspricht der Empfindlichkeits- stufe) zugeordnet. Auf diese Weise resultiere eine Summe von 1 (2 + -1+ 0 +0), die einer Störung entspreche, die zwischen dem Planungs- wert und dem Immissionsgrenzwert liege, also den Planungswert überschreite. 2.3. Die Beschwerdeführerinnen sind demgegenüber der Auffas- sung, beim durch die Warenlieferung an einen Detailhändler verur- sachten Lärm handle es sich um Gewerbelärm, auf den Anhang 6 der LSV anwendbar sei, nicht um Alltagslärm im Sinne der Vollzugshilfe Alltagslärm. (...) 2.4. 2.4.1. Die Vollzugsbehörden haben die ermittelten Aussenlärmimmis- sionen ortsfester Anlagen grundsätzlich anhand der Belastungsgrenz- werte nach den Anhängen 3 ff. der LSV zu beurteilen (Art. 40 Abs. 1 LSV). Vorbehalten bleiben - wie erwähnt - Fälle, in denen diese Be- lastungsgrenzwerte kein gesetzeskonformes Ergebnis liefern (siehe Erw. 2.1 vorne). Anhang 6 LSV regelt die Belastungsgrenzwerte für Industrie- und Gewerbelärm. Darunter fällt gemäss Ziff. 1 Abs. 1 Lärm von An- lagen der Industrie, des Gewerbes und der Landwirtschaft (lit. a), des Güterumschlages bei Anlagen der Industrie, des Gewerbes und der 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 212 Landwirtschaft sowie bei Bahnhöfen und Flugplätzen (lit. b), des Verkehrs auf dem Betriebsareal von Industrie- und Gewerbeanlagen sowie auf dem Hofareal von Landwirtschaftsbetrieben (lit. c), von Parkhäusern sowie von grösseren Parkplätzen ausserhalb von Stras- sen (lit. d) und von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen (lit. e). Daneben werden eine ganze Reihe weiterer Anlagen den Industrie- und Gewerbeanlagen gleichgestellt, namentlich Energie-, Entsor- gungs- und Förderanlagen, Luft- und Standseilbahnen, Skilifte, Schwimmbad- und Wärmepumpen sowie Motorsportanlagen, die re- gelmässig während längerer Zeit betrieben werden. Auch der Lärm von Reparaturwerkstätten, Unterhaltsbetrieben und ähnlichen Betrie- ben auf Bahnarealen, zivilen und militärischen Flugplätzen und mili- tärischen Waffen-, Schiess- und Übungsplätzen wird nach Anhang 6 LSV beurteilt. Der Geltungsbereich von Anhang 6 LSV ist demnach ziemlich umfassend und erstreckt sich auf die verschiedensten Arten von Lärm, die vom Betrieb von Industrie- und Gewerbeanlagen oder anderen Anlagen mit vergleichbarem Lärm ausgehen. Hingegen kön- nen Lärmarten, die sich wesentlich von der Natur des Industrie- und Gewerbelärms unterscheiden, wie Gaststättenlärm, Sport- und Frei- zeitlärm, Lärm von Recyclingsammelstellen sowie sonstigem All- tagslärm, nicht nach Anhang 6 LSV ermittelt und beurteilt werden. Diese Lärmarten sind im Einzelfall zu beurteilen. Dabei können ent- sprechende Vollzugshilfen, etwa die Vollzugshilfe Alltagslärm, und andere Hilfsmittel beigezogen werden (Vollzugshilfe Ermittlung und Beurteilung von Industrie- und Gewerbelärm des BAFU, Bern 2016 [nachfolgend: Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm], S. 16). Ferner ist eine Beurteilung nach Anhang 6 LSV dann nicht störungsgerecht, wenn die Zahl der jährlichen Betriebstage, an denen der Lärm auftritt, dermassen klein ist, dass von eigentlichen Einzele- reignissen gesprochen werden muss. Auch in diesem Fall hat eine Einzelfallbewertung direkt gestützt auf Art. 15, 19 und 23 USG statt- zufinden (Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm, S. 20). Der Lärm von Industrie- und Gewerbeanlagen kennzeichnet sich dadurch, dass die charakteristischen Lärmeigenschaften nicht nur von Betrieb zu Betrieb variieren, sondern sogar innerhalb eines Betriebes Phasen mit unterschiedlichem Lärmcharakter auftreten 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 213 können. Zur möglichst störungsgerechten Ermittlung der am Immis- sionsort einwirkenden Belastung wird der Lärm von Industrie- und Gewerbeanlagen daher in verschiedene Lärmphasen (i) unterteilt. Als Lärmphasen werden dabei Zeitabschnitte bezeichnet, in denen am Immissionsort hinsichtlich Schallpegelhöhe, Ton- und Impulshaltig- keit ein einheitlicher Lärm einwirkt. Erzeugt beispielsweise eine An- lage in ihrem normalen Betriebszustand einen einigermassen gleich- mässigen, sich durch keine besonderen Lärmeigenschaften auszeich- nenden Betriebslärm, so wird dieser Zeitabschnitt als eine Lärmpha- se behandelt. Erfolgt nun in diesem Betrieb eine regelmässige Wa- renanlieferung, die während einer bestimmten Zeit schlagenden und scheppernden Lärm erzeugt, so wird diese Zeit der Warenanlieferung als eine weitere Lärmphase behandelt. Der Beurteilungspegel des Gesamtbetriebes (Lr) wird berechnet, indem die Teilbeurteilungspe- gel (Lr,i) der verschiedenen Lärmphasen energetisch addiert werden. Diese Teilbeurteilungspegel wiederum setzen sich - wie bei den meisten anderen Lärmarten - aus einem Mittelungspegel (Leq,i) und den jeweils massgebenden Pegelkorrekturen (K1,i; K2,i; K3,i) zu- sammen. Untersuchungen haben gezeigt, dass der variable Charakter von Industrie- und Gewerbelärm generell störender wirkt als dies durch den reinen Mittelungspegel abgebildet wird. Diese Erkenntnis hat zur Pegelkorrektur K1,i geführt. Mit den Pegelkorrekturen K2,i und K3,i wird berücksichtigt, dass sich tonhaltige Lärmereignisse be- sonders störend auswirken und impulshaltige, schlagende Geräusche ebenfalls zu einer erhöhten Belästigung beitragen. Schliesslich er- folgt eine Betriebszeitkorrektur mit dem Term 10 · log (ti/to), der die Dauer einer Lärmphase berücksichtigt (vgl. zum Ganzen Anhang 6 LSV, Ziff. 3, und Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm, S. 17 ff.). 2.4.2. Von seiner Natur her handelt es sich bei den von der Vorinstanz beim Augenschein vom 15. April 2015 festgestellten, durch die An- lieferung von Frischprodukten für den F.-Laden verursachten Geräu- schen um Lärm, der die charakteristischen Eigenschaften von Ge- werbelärm, konkret des in Anhang 6 LSV explizit genannten Lärms des Güterumschlages bei Gewerbeanlagen aufweist. Die registrierten 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 214 Geräusche (Motorenlärm des Lastwagens, Zuschlagen von Türen, Absenken und Anheben der hydraulischen Hebebühne, Aufschlagen der Hebebühne auf dem Asphaltboden, das Schieben/Ziehen von Rollwagen über die geriffelte Hebebühne samt Ein- und Ausrasten und danach über den körnigen Asphaltbelag bis zum Lieferantenein- gang) sind keineswegs dermassen singulär, als dass eine Anwendung von Anhang 6 LSV schon wegen der Andersartigkeit des Lärms im Vergleich mit dem Güterumschlag anderer Gewerbebetriebe ausge- schlossen wäre. Auch andernorts werden für die Anlieferung von Waren typischerweise Lastwagen mit hydraulischer Hebebühne, die oftmals geriffelt und - aus Sicherheitsgründen - mit einer Vorrich- tung für die Befestigung von rollbarem Material ausgestattet ist, so- wie für den Transport der Ware vom Lastwagen zum Warenlager des belieferten Verkaufsgeschäfts Holzpaletten (mit Gabelstaplern) oder - wie im vorliegenden Fall - mit Plastikrädern versehene Metallrost- körbe eingesetzt. Die Vorinstanz hat denn auch nur deshalb von einer Anwendung der LSV abgesehen, weil sie die nächtliche Lärmphase als zu kurz erachtet, um mit der in Anhang 6 LSV vorgesehenen Berechnungs- methode ein brauchbares (repräsentatives) Ergebnis zu erhalten, das die tatsächlich auftretenden Störungen gebührend reflektiert. Diese Sichtweise greift jedoch aus den folgenden Überlegungen zu kurz. Der Hauptvorteil des in der LSV für die Ermittlung des Beurtei- lungspegels (Lr) der meisten Lärmarten verwendeten Mittelungspe- gels (Leq; auch energieäquivalenter Dauerschallpegel oder Intensi- tätsmittel genannt) besteht darin, dass damit ein zeitlich schwanken- des Schallereignis mit einer einzigen Beurteilungsgrösse charakteri- siert werden kann. Als Beurteilungsgrösse ist der Leq für verschie- denste Lärmarten sinnvoll. Bei Industrie- und Gewerbelärm mit be- deutender Impulshaftigkeit der Schallereignisse kann der Leq proble- matisch sein, weil dann die störenden Spitzenwerte quasi verdünnt werden können. Trotzdem wird der Leq auch bei solchen Lärmarten angewandt. Die subjektive Störwirkung durch die Impulse kann nachträglich mit einer Pegelkorrektur ausgeglichen werden (http://www.laermorama.ch/m1_akustik/schallpegel_ w.html#leq). Eine derartige Pegelkorrektur ist - wie dargelegt - auch in Anhang 6 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 215 LSV vorgesehen. Mit der Pegelkorrektur K1 wird der Beurteilungs- pegel mit Bezug auf Lärm des Güterumschlages ohne weiteres um 5 dB(A) angehoben. Mit der Pegelkorrektur K3 kann der Beurteilungs- pegel für Lärm mit stark hörbarem Impuls, der insbesondere für Wa- renanlieferungen typisch ist, um weitere 6 dB(A) erhöht werden (An- hang 6 LSV, Ziff. 33, und Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm, S. 24). Das lässt den Beurteilungspegel um nicht weniger als insge- samt 11 dB(A) ansteigen. Damit wird dem Umstand, dass sich pri- mär die vereinzelten Spitzenwerte (und weniger der durchschnittli- che Schallpegel) störend auswirken, hinreichend Rechnung getragen. Die Verdünnung bezieht sich sodann auf den gemessenen Zeitraum (Mittelung über die Messdauer). Weniger Schallereignisse während einer kürzeren Lärmphase werden auch auf eine kleinere Zeiteinheit verteilt. Die Dauer der Lärmphase spielt vor allem bei der sog. Be- triebszeitkorrektur eine Rolle. Die Korrektur wird aus dem Verhält- nis der effektiven täglichen Betriebsdauer (ti) zur maximal mögli- chen Betriebszeit (to) von 12 Stunden bzw. 720 Minuten pro Tag/ Nacht berechnet (Anhang 6 LSV, Ziff. 31, und Vollzugshilfe Indu- strie- und Gewerbelärm, S. 19). Kürzere effektive Betriebsdauern führen somit zu einem tieferen Beurteilungspegel. Das ist gewollt, weil supponiert wird, dass ein Geräusch umso störender beurteilt werden soll, je länger es im Mittel dauert (Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm, S. 19). Würde man hingegen die Ansicht vertre- ten, dass die Störwirkungen von kürzeren und längeren Lärmphasen die gleichen sind oder sich zumindest nicht in genügendem Masse voneinander unterscheiden, um die in Anhang 6 LSV vorgesehene Betriebszeitkorrektur zu rechtfertigen, so könnte dort angesetzt und diese verändert werden, um für eine Annäherung bis hin zu einem Ausgleich der Beurteilungspegel von kürzeren und längeren Lärm- phasen zu sorgen. Auf S. 25 geht die Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm darauf ein, wie der Beurteilungspegel von Güterumschlag in der Nacht zu bestimmen ist. Beschrieben wird die folgende Situation: Ein neuer Frischproduktebetrieb in der Kernzone beginnt um 3.00 Uhr morgens mit dem Güterumschlag. Der Vorgang dauert eine 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 216 Stunde. Die Betriebszeitkorrektur (Mittelung des Schallpegels über die ganze Nacht) sorgt dafür, dass der Planungswert eingehalten wird. Basierend darauf wird die Frage aufgeworfen, ob dem Betrieb die Betriebszeitkorrektur zugestanden werden muss. Die Antwort lautet, dass die Beurteilung nach Anhang 6 LSV erfolgt und der Mit- telungspegel (Leq) über die gesamte Nacht (12 Stunden) zeitlich zu mitteln ist. Zusätzlich wird auf die Möglichkeit emissionsbegrenzen- der Massnahmen im Rahmen des Vorsorgeprinzips (Art. 11 Abs. 2 USG) oder verschärfter Massnahmen (Art. 11 Abs. 3 USG) hinge- wiesen. Weshalb ein nächtlicher Güterumschlag, der - wie hier - nur einige Minuten bis maximal eine halbe Stunde dauert anders behan- delt werden sollte, ist nicht ersichtlich. Zwar bewirkt die Verkürzung der Lärmphase wegen der Betriebszeitkorrektur , dass der Beurtei- lungspegel im Vergleich zu einer Lärmphase von einer Stunde noch mehr abnimmt. Das ist zumindest bis zu einem gewissen Grad auch sachgerecht, weil die Störungswirkungen eines längeren Anlie- ferungsprozesses klar intensiver sind. Ein solcher führt tendenziell zu mehr Aufwachreaktionen und hindert die betroffenen Anwohner län- gere Zeit daran, wieder einzuschlafen. Man könnte jedoch die Be- triebszeitkorrektur nach oben begrenzen, um zu vermeiden, dass sehr kurz andauernde nächtliche Güterumschläge überhaupt nicht mehr ins Gewicht fallen, indem beispielsweise Lärmphasen von we- niger als einer halben Stunde auf eine halbe Stunde aufgerundet wer- den, weil hinsichtlich der Störungswirkung kein signifikanter Unter- schied zwischen einer Lärmphase von einer Viertelstunde und einer solchen von einer halben Stunde besteht. Solche Korrekturen sind im System der LSV durchaus möglich, ohne dass auf eine Einzelfallbe- urteilung und in deren Rahmen auf eine Vollzugshilfe ausgewichen werden muss, die - wie die Vollzugshilfe Alltagslärm - für andere (nicht gewerbliche) Lärmarten konzipiert ist (Freizeitaktivitäten, Glocken, Tierhaltungen, Tierschreckanlagen etc.). 2.4.3. Namentlich der Glockenschlag von Kirchturmuhren lässt sich von seiner Charakteristik her nicht mit Lärm vergleichen, der durch Warenanlieferungen erzeugt wird. Die einzelnen, in sich abgeschlos- 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 217 senen Lärmphasen sind noch einmal deutlich kürzer, wiederholen sich dafür umso öfter über die ganze Nacht verteilt (vor allem beim Viertelstundenschlag mit 32 Mal zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr), und beinhalten ausschliesslich ausgesprochen impulshaltige Geräu- sche. Aufgrund dessen ist es schlechterdings unmöglich, die tatsäch- lichen Störungswirkungen von Glockenschlägen mit dem Mitte- lungspegel Leq zu erfassen. Eine Betriebszeitkorrektur fällt ohne- hin ausser Betracht. In diesem von der LSV nicht geregelten Bereich macht es Sinn, in Anwendung der Vollzugshilfe Alltagslärm auf die Anzahl lärmbedingter Aufwachreaktionen (AWR) pro Nacht abzu- stellen. Wegen der Andersartigkeit des Lärms können die Resultate der ETH-Studie zur Ermittlung von Aufwachreaktionen durch Glo- ckenläuten (MARK BRINK/SARAH OMLIN/CHRISTIAN MÜLLER/RETO PIEREN/MATHIAS BASNER, An event-related analysis of awakening reactions due to nocturnal church bell noise, Science oft he Total Environment, 409 [24], 5210-5220) nicht unbesehen auf den durch einen Güterumschlag erzeugten Lärm übertragen werden. Aus dieser Studie hat sich ergeben, dass die Anzahl Aufwachreaktionen pro Nacht erstens von der Dauer des Schlafs und zweitens - in noch viel stärkerem Mass - davon abhängt, ob die Kirchturmuhr stündlich, halbstündlich oder im Viertelstundentakt schlägt. Bei einem viertel- stündlichen Glockenschlag führt schon ein Schallpegel von 40- 45 dB(A) zu mindestens einer Aufwachreaktion pro Nacht; beim halbstündlichen Glockenschlag bedarf es dafür eines Schallpegels von 45-50 dB(A) und beim stündlichen Glockenschlag von 55-60 dB(A) (vgl. Vollzugshilfe Alltagslärm, S. 56). Im Gegensatz zum Glockenschlag, der die ganze Nacht über zu verzeichnen ist, konzen- trieren sich die Geräusche der vorliegend zu beurteilenden Warenan- lieferung auf eine einzige nächtliche Lärmphase von ca. (je nach Lie- ferumfang) 10-25 Minuten Dauer. Auch wenn innerhalb dieser Lärmphase mehrere stark impulsartige Geräusche auftreten, welche für die Spitzenwerte sorgen, ist die Störungswirkung doch eine ande- re als bei den über einen wesentlich längeren Zeitraum verteilten Glockenschlägen. Insofern bestehen keine gesicherten (wissenschaft- lichen, auf entsprechenden Untersuchungen basierenden) Erkenntnis- se dazu, wo genau die Weckschwelle bei Geräuschen des Güterum- 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 218 schlags liegt bzw. ab welchem Schallpegel mit mindestens einer Auf- wachreaktion pro Nacht zu rechnen ist. Eine allgemein gültige Weck- schwelle von 45-50 dB(A) existiert aufgrund der neuesten Erkennt- nisse der erwähnten ETH-Studie selbst innerhalb der gleichen Lärm- kategorie (Glockenläuten) offenbar nicht (vgl. dazu auch das Urteil des Bundesgerichts vom 13. Dezember 2017 [1C_383/2016, 1C_409/2016], Erw. 5.3 und 5.6). Das muss erst recht für verschiede- ne Lärmarten gelten. Im Zusammenhang mit Fluglärm z.B. wurde die kritische Weckschwelle bis anhin immer erst bei 60 dB(A) angenommen (BGE 137 II 58, Erw. 5.3.5; Urteil des Bundesgerichts vom 18. Januar 2010 [1C_297/2009], Erw. 3.1 und 4). Von einer Weck- schwelle von 45-50 dB(A) hat das Bundesgericht bei Strassenlärm mit sog. stochastischen Geräuschen, an die sich der Mensch nicht ge- wöhnt (BGE 101 Ib 405, Erw. 3a/aa und BGE 102 Ib 271, Erw. 3a), gesprochen. In einem späteren Entscheid (BGE 110 Ib 340) zitierte das Bundesgericht allerdings aus einem Schallgutachten, in welchem sich der Experte dahingehend äusserte, dass die Frage der Schlafstö- rung durch Lärm ein seit Jahrzehnten kontroverses Thema sei. Ob ein Geräusch einen Schlafenden wecke, hänge von derart vielen Fak- toren ab, dass verbindliche Aussagen kaum möglich seien; jedenfalls lasse sich angesichts der unterschiedlichen Untersuchungsergebnisse die Annahme einer allgemein gültigen Weckschwelle von 45-50 dB(A) nicht stichhaltig begründen (a.a.O., Erw. 8). In Anbetracht dessen bestehen keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dass die Belastungsgrenzwerte in Anhang 6 LSV für Lärm von (nächtlichem) Güterumschlag nicht störungsgerecht festgelegt wur- den. Eine Einzelfallbeurteilung direkt gestützt auf das USG unter Zu- hilfenahme der für andersartigen Lärm konzipierten Vollzugshilfe Alltagslärm drängt sich nicht auf, zumal die Anzahl Aufwachreaktio- nen pro Nacht für diese spezifische Art von Lärm nicht oder zu we- nig erforscht ist und die LSV selber (Pegel-)Korrekturen vorsieht, die den impulshaltigen Geräuschen (das Einhaken der Rollwagen auf der Hebebühne, das Aufschlagen der Hebebühne auf dem Asphalt und das Ziehen der Rollwagen über den körnigen Asphalt) Rechnung tragen. Schliesslich kann durch eine Begrenzung der Betriebszeit- 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 219 korrektur vermieden werden, dass Anlieferungen von sehr kurzer Dauer nicht mehr ins Gewicht fallen. Vom Sachverhalt, den das Ver- waltungsgericht im Urteil vom 28. August 2007 (WBE.2006.300) zu beurteilen hatte, unterscheidet sich der vorliegende insofern, als es um regelmässige (praktisch allnächtliche), nicht bloss um sporadi- sche Anlieferungen geht, für die eine Beurteilung nach Anhang 6 LSV ein weniger störungsgerechtes Resultat liefert (Vollzugshilfe In- dustrie- und Gewerbelärm, S. 20 unten). Zudem stellt menschlicher Verhaltenslärm (lautes Zurufen), der wegen seines Informationsge- haltes als stark störend empfunden werden kann, was sich aber in den Belastungsgrenzwerten nicht niederschlägt (BGE 123 II 325, Erw. 4d/aa; ROBERT HOFMANN, Keine Grenzwerte - kein Lärm? in: URP 1994, S. 428), gemäss den Feststellungen der Vorinstanz im vorliegenden Fall kein Problem dar. Demnach ist die Einhaltung der Planungswerte anhand von Anhang 6 LSV zu beurteilen. Die Voll- zugshilfe Alltagslärm ist demgegenüber nicht anwendbar. 2.5. Die Vorinstanz hielt in Erw. 3.3.1 des angefochtenen Entscheids fest, die in Anhang 6 LSV (...) enthaltenen Planungswerte würden mit den am Augenschein vom 15. April 2015 gemessenen Schallpe- geln der Geräusche der Belieferung des F.-Ladens mit Frischproduk- ten nicht überschritten. Sie äussert sich jedoch nicht dazu, welcher Beurteilungspegel gestützt auf die LSV konkret ermittelt wurde, in- wieweit Pegelkorrekturen (K1; K2; K3) berücksichtigt und eine Be- triebszeitkorrektur vorgenommen wurde. (...) Bei der Messung hat die Fachperson des BVU das Mikrophon des Schallpegelmessers auf dem Kopfkissen im Bett der Beschwerdegegnerin platziert. Das ist zweifelsohne richtig, wenn der Beurteilungspegel hernach aufgrund einer Einzelfallbeurteilung anhand der Vollzugshilfe Alltagslärm be- rechnet wird. In diesen Fällen ist eine Gesamtbetrachtung vorzuneh- men, die unterschiedlichen Situationen mit stärkeren und schwäche- ren Lärmbelastungen Rechnung trägt. (...) Im Anwendungsbereich der LSV sind hingegen die Lärmimmissionen in der Mitte der offe- nen Fenster lärmempfindlicher Räume zu ermitteln (Art. 39 Abs. 1 LSV; ALAIN GRIFFEL/HERIBERT RAUSCH, Kommentar zum Umwelt- schutzgesetz, Ergänzungsband zur 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 220 2011, Art. 15 N 27). Das betrifft nicht nur die lärmempfindlichen Räume in der Wohnung der Beschwerdegegnerin, sondern auch die- jenigen an allenfalls noch exponierterer Lage, etwa in den Woh- nungen im ersten und zweiten Obergeschoss des gleichen Gebäudes. Dort dürften höhere Werte zu erwarten sein. Aus diesem Grund müs- sen die Messungen wiederholt werden. Dabei ist insbesondere sicherzustellen, dass sich die Bedingungen am Messtermin möglichst wenig von denjenigen einer alltäglichen Situation unterscheiden, was wohl am ehesten gewährleistet werden kann, indem der Chauffeur nichts von der Durchführung der Messungen weiss und die Beschwerdeführerin 2 verpflichtet wird, jenen Lastwagen zu verwen- den, der auf der Anlieferungstour mit E. üblicherweise oder überwie- gend zum Einsatz kommt. 2.6. In einem weiteren Schritt wäre selbst bei Einhaltung der Pla- nungswerte gemäss Anhang 6 LSV zu prüfen, ob von der Beschwer- deführerin 2 im Rahmen des umweltrechtlichen Vorsorgeprinzips (Art. 11 Abs. 2 USG und Art. 7 Abs. 1 lit. a LSV) emissionsbegren- zende Massnahmen verlangt werden können, die technisch und be- trieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar sind. Technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar sind in der Regel lärmmindernde Kunststoffmatten im Abladebereich sowie die Schu- lung der Mitarbeitenden, lärmarm zu arbeiten. Bei Betrieben mit täg- lichem (oder nächtlichem) Güterumschlag sollte der Umschlagbe- reich abgeschlossen gestaltet werden. Eine weitere Massnahme im Sinne der Vorsorge ist der Ersatz von tonalen Rückfahrwarnsystemen mit lärmärmeren Alternativen (Breitband-Alarme oder Rückfahr- kameras oder Fahrzeuge, die den PIEK-Standard einhalten (Voll- zugshilfe Industrie- und Gewerbelärm, S. 25). Denkbar wären so- dann die von den Beschwerdeführerinnen selber und von der Vorin- stanz in den Rechtsschriften im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgeschlagenen Massnahmen, z.B. der Einsatz von Rollwagen mit Flüster- oder Vollgummirollen, ein lärmarmer Asphaltbelag im An- lieferungsbereich, die Verwendung nicht geriffelter Hebebühnen, die Beschichtung der Hebebühne mit einem Gummibezug, damit das Geräusch beim Aufschlagen auf dem Boden gedämpft wird, Gummi- 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 221 puffer am Fahrzeug, um die Geräusche beim Schliessen der Hebe- bühne zu reduzieren etc. Die Ergreifung solcher Massnahmen kann entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin durchgesetzt und kontrolliert werden. (...)
7,897
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AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2018-17_2018-03-03
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-17.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-17.pdf
AGVE_2018_17
null
nan
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2004 Verwaltungsgericht 154 [...] 43 Rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; § 15 Abs. 1 VRPG). Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands (§ 159 Abs. 1 BauG). - Zulässigkeit der antizipierten Beweiswürdigung (Erw. 1/a). - Fehlende Stichhaltigkeit einer Gehörsrüge, wenn sie auf einer materiell unzutreffenden Begründungslinie im angefochtenen Entscheid basiert und keine Gehörsverletzung vorläge, wenn die Begründung schlüssig wäre (Erw. 1/b). - Bei bewilligungs- und planwidriger Bauausführung besteht Anspruch auf materielle Behandlung eines nachträglichen Baugesuchs; der formelle Verstoss gegen öffentliches Baurecht ist ausschliesslich mit Verwaltungsstrafe (§ 160 BauG) zu ahnden (Erw. 2). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. März 2004 in Sa- chen S. gegen Baudepartement. Sachverhalt A. a) Mit Beschluss vom 1. Dezember 1998 erteilte der Ge- meinderat Suhr den Eheleuten S. die Baubewilligung für die Erstel- lung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf der Parzelle Nr. 3097. In Ziffer VI/3 dieser Bewilligung ("Besondere Auflagen und Bedingungen") wurde festgehalten, dass für Böschungen und Einfriedigungen § 19 ABauV gelte. Anlässlich der Schlusskontrolle vom 30. Oktober 2000 wurde u.a. festgestellt, dass an der nordwestlichen Grundstücksgrenze das Terrain nicht im Verhältnis 2:3 erstellt worden sei. Einer Aufsichts- beschwerde von H., Eigentümer der nordwestlich angrenzenden Parzelle Nr. 1213, leistete das Baudepartement mit Entscheid vom 25. Juni 2002 insofern Folge, als es den Gemeinderat anwies, die 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 155 Abböschungspflicht durchzusetzen. In der Folge forderte der Ge- meinderat die Eheleute S. mit Beschluss vom 8. Juli 2002 auf, bis zum 31. Oktober 2002 die Terrainabböschung im Verhältnis 2:3 (Höhe:Breite) vorzunehmen oder bis zum 15. August 2002 ein Bau- gesuch für die vorgenommene Terrainveränderung bzw. für eine Stützmauer einzureichen. b) Die Eheleute S. entschieden sich hierauf für die zweitge- nannte Variante und reichten dem Gemeinderat am 12. Juli 2002 ein nachträgliches Baugesuch für die Terraingestaltung gegenüber der Parzelle Nr. 1213 ein. Dieses Baugesuch lag vom 26. Juli bis zum 16. August 2002 öffentlich auf. Während der Auflagefrist erhoben die Eheleute H. Einsprache, in welcher sie die Abböschung des Terrains auf das ursprünglich gewachsene Niveau verlangten. Der Gemeinderat beschloss am 21. Oktober 2002: "1. Das Baugesuch wird auf Grund der Erwägungen abgewiesen. 2. Das Terrain gegen Parzelle 1213 (Grenze Nordwest) ist bis 31. März 2003 im Verhältnis 2:3 abzuböschen. (...)" B. Das Baudepartement wies eine Verwaltungsbeschwerde der Eheleute S. ab, soweit es darauf eintrat. Auf Beschwerde der Ehe- leute S. hin hob das Verwaltungsgericht den Entscheid des Baude- partements vom 12. Juni 2003 und den Beschluss des Gemeinderats Suhr vom 21. Oktober 2002 auf und wies die Beschwerdesache an den Gemeinderat Suhr zurück mit der Anweisung, das nachträgliche Baugesuch der Beschwerdeführer materiell zu behandeln. Aus den Erwägungen 1. In formeller Hinsicht rügen die Beschwerdeführer eine Ver- letzung des rechtlichen Gehörs durch das Baudepartement; obwohl im vorinstanzlichen Verfahren beide Parteien eine Augenscheins- verhandlung beantragt hätten, sei unzulässigerweise darauf verzichtet worden. a) Der durch § 15 Abs. 1 VRPG und Art. 29 Abs. 2 BV ge- währleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass die 2004 Verwaltungsgericht 156 rechtsanwendende Behörde die Argumente und Verfahrensanträge der Parteien entgegennimmt, prüft und die rechtzeitig und formrich- tig angebotenen Beweismittel abnimmt, soweit diese nicht rechtlich unerhebliche Tatsachen betreffen oder von vornherein untauglich sind, über die streitigen Tatsachen Beweis zu erbringen. Die Behörde darf also im Wege einer sogenannten antizipierten (vorweggenom- menen) Beweiswürdigung zum Schluss kommen, weitere Abklä- rungen seien unnötig, weil sie am Ergebnis nichts zu ändern ver- möchten (Michele Albertini, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Diss. Bern 2000, S. 372 f.; BGE 122 I 55; 122 V 162; 121 I 111 f.; 117 Ia 268 f.; BGE vom 12. Oktober 2001 [2P.175/2001], in: ZBl 103/2002, S. 484; AGVE 1999, S. 363; 1991, S. 365 f.; VGE III/109 vom 15. Dezember 2003 [BE.2003.00063] in Sachen P., S. 11). b) Das Baudepartement kam in seinem Entscheid zum Schluss, die Beschwerdeführer hätten keinen Anspruch auf materielle Neube- urteilung der rechtskräftigen Baubewilligung vom 1. Dezember 1998. Eine materielle Beurteilung wurde demzufolge gar nicht vor- genommen. Es wird sich zwar zeigen, dass dies ein rechtlich falscher Ansatz war (hinten Erw. 2), doch ist dies im hier zu beurteilenden Zusammenhang ohne Belang. Massgebend ist einzig, ob das Baude- partement, wenn von der von ihm gewählten Begründungslinie aus- gegangen wird, einen Augenschein hätte durchführen müssen. Dies war nun aber nicht nötig, weil ausschliesslich Rechtsfragen zu be- urteilen waren. Im Übrigen wurde den Beteiligten der Verzicht auf eine Augenscheinsverhandlung mit Schreiben des Baudepartements vom 9. Mai 2003 angezeigt; sie haben dagegen nicht remonstriert. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt somit nicht vor. 2. a) In materieller Hinsicht ist die Terraingestaltung entlang der Grenze zwischen den Parzellen Nrn. 3097 (Beschwerdeführer) und 1213 (Beschwerdegegnerin H.) umstritten. Nebst dem Hinweis auf § 19 ABauV in der Baubewilligung vom 1. Dezember 1998 (vorne lit. A/a) wurde im Bauprojektplan 1:100 vom 21. September 1998 betreffend die Südwestfassade von Hand das Neigungsverhältnis 2:3 für die Böschung festgehalten. Statt dessen füllten die Beschwerdeführer das Terrain an der nordwestlichen Grundstücks- 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 157 grenze an die auf der Grenze stehende Gartenmauer auf mit einer kleinen Böschung ab der Oberkante der Mauer. Die Beschwerde- gegnerin stellt sich nun auf den Standpunkt, die Beschwerdeführer seien auf Grund der Baubewilligung verpflichtet, eine Böschung zu erstellen, bei welcher der Böschungsfuss auf das gewachsene Terrain zu liegen kommt. b) Der Gemeinderat hat im Beschluss vom 21. Oktober 2002 das nachträgliche Baugesuch der Beschwerdeführer zur Bewilligung der aktuellen Terraingestaltung zwar abgewiesen, die Abweisung aber im Wesentlichen damit begründet, dass die Beschwerdeführer gegen Ziffer VI/3 der Baubewilligung vom 1. Dezember 1998 kein Rechtsmittel ergriffen hätten und dieser Entscheid nicht mittels eines neuen Baugesuchs umgangen werden dürfe; eine (materielle) Prü- fung der Frage, ob die Terraingestaltung, wie sie im nachträglichen Baugesuch beantragt worden war, mit den geltenden öffent- lichrechtlichen Bauvorschriften vereinbar und somit auch bewilli- gungsfähig sei, fand nicht statt. Dieser Begründung hätte an sich ein Nichteintretensentscheid entsprochen (siehe AGVE 1994, S. 460). Das Baudepartement fuhr dann auf dieser Begründungsschiene wei- ter und prüfte in der Folge nur, ob die Beschwerdeführer Anspruch auf Wiedererwägung bzw. Behandlung eines neuen Baugesuchs ge- habt hätten. Wird durch die Errichtung von Bauten ohne Bewilligung, unter Verletzung einer solchen oder auf andere Weise ein unrechtmässiger Zustand geschaffen, so können u.a. die Einreichung eines Bauge- suchs sowie die Herstellung des rechtmässigen Zustands, insbeson- dere die Beseitigung oder Änderung der rechtswidrigen Bauten an- geordnet werden (§ 159 Abs. 1 BauG). Diese Bestimmung hat das Verwaltungsgericht stets so ausgelegt, dass eine Beseitigungsanord- nung erst erlassen werden darf, wenn feststeht, dass die eigenmächtig ausgeführten Bauarbeiten dem objektiven Recht widersprechen; vorausgesetzt ist also die materielle Rechtswidrigkeit der bewilli- gungswidrig getroffenen baulichen Vorkehren (AGVE 1996, S. 326 mit Hinweisen; 1993, S. 390 f.). Die Tatsache des eigenmächtigen Vorgehens darf unter diesem Gesichtspunkt keine Rolle spielen; wer als Bauherr gegen formelle Vorschriften verstösst, ist im Wege der 2004 Verwaltungsgericht 158 Verwaltungsstrafe (§ 160 BauG) und nur so zur Rechenschaft zu ziehen (VGE III/34 vom 19. Mai 1994 [BE.1993.00086] in Sachen St. und Mitb., S. 11). Richtig war es deshalb, den Beschwerdeführern im Sinne von Ziffer 1/b des Beschlusses vom 8. Juli 2002 eine Frist für die Einreichung eines nachträglichen Baugesuchs einzuräumen. Die Beschwerdeführer sind dieser Aufforderung gefolgt und haben das verlangte Baugesuch am 12. Juli 2002 eingereicht. An den Baubewilligungsbehörden ist es nun, das eingeleitete Baugesuchsverfahren auch durchzuführen und mit einem anfechtba- ren Entscheid abzuschliessen. Kann die Baute wegen materieller Rechtswidrigkeit auch nachträglich nicht bewilligt werden, ist über die Herstellung des rechtmässigen Zustands zu befinden (§ 159 Abs. 1 BauG). Dabei sind namentlich die Grundsätze der Verhältnis- mässigkeit und des Gutglaubensschutzes zu beachten (BGE 123 II 255; 111 Ib 221 ff.; AGVE 2001, S. 279 f.).
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2000 Submissionen 295 [...] 69 Zulässigkeit von Teilangeboten. - Wenn die Vergabestelle in der Ausschreibung nicht etwas anderes verlangt, sind selbständige Teilangebote unabhängig von einem Ge- samtangebot zulässig (Erw. 3/c/cc/ccc). - Bei der Präqualifikation besteht - anders als beim Teilangebot selbst - keine gesetzliche Vermutung für die Zulässigkeit von Teilbewer- bungen (Erw. 3/d/cc). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 22. Juni 2000 in Sachen K. gegen die Verfügung der Gemeinderäte Villmergen und Walten- schwil. Aus den Erwägungen 3. a) Der Beschwerdeführer sieht im Umstand, dass die Verga- bestelle seine Bewerbung für einen Teilauftrag nicht bewertet, son- dern vom weiteren Verfahren ausgeschlossen hat, eine unzulässige Diskriminierung nach § 1 Abs. 1 SubmD und eine Verletzung von § 16 Abs. 1 SubmD. Die Vergabestelle vertritt dagegen die Auffas- sung, der Beschwerdeführer habe kein Teilangebot, sondern eine Variante eingereicht, indem er die Ersterfassung der Daten im Sys- tem C-Plan und nicht - wie ausgeschrieben - im System ,,Small- world" angeboten habe. Ohne Grundangebot sei die Variante ungül- tig. Aber auch bei einer Qualifikation als Teilangebot sei das Angebot des Beschwerdeführers ungültig, weil unvollständig. Wie Varianten seien auch Teilangebote nur gültig, wenn mit ihnen zugleich ein vollständiges Grundangebot eingereicht werde. b) aa) Festzuhalten ist vorab, dass der Beschwerdeführer nicht ein Angebot eingereicht hat, sondern lediglich einen ,,Antrag auf Teilnahme" im Sinne von § 7 Abs. 2 SubmD gestellt hat. Damit be- wirbt er sich für die Offertstellung zur Ausarbeitung eines Teilange- 2000 Verwaltungsgericht 296 bots gemäss § 16 SubmD. Zu prüfen ist im Folgenden zunächst die Frage, ob ein Teilangebot selbständig oder - wie die Vergabestelle behauptet - nur zusammen mit einem Grundangebot zulässig ist. Ist diese Frage zu bejahen, erweist sich die Bewerbung des Beschwer- deführers als unzulässig, da er sich unbestrittenermassen nur um einen Teil des Auftrags beworben hat. Die Frage, ob das Teilangebot bzw. der Antrag, ein Teilangebot einreichen zu können, auch Vari- antencharakter hat, stellt sich nur und erst dann, wenn sich das Teil- angebot als solches als zulässig erweist. bb) Den Anbietenden steht es frei, Offerten für Varianten und Teilangebote einzureichen (§ 16 Abs. 1 SubmD). Die Vergabestelle bezeichnet in den Ausschreibungsunterlagen die Mindestanfor- derungen an Varianten und Teilangebote (§ 16 Abs. 2 SubmD). Das Angebot einer Variante ist ungültig, wenn damit nicht eine Offerte für das Grundangebot eingereicht wird (§ 16 Abs. 3 SubmD). Ge- mäss Ziff. 6 des Anhangs 5 zum SubmD enthalten die in einem offenen oder selektiven Verfahren abgegebenen Ausschreibungs- unterlagen ,,besondere Vorschriften, insbesondere über Zulässigkeit und Bedingungen für Bietergemeinschaften, Teilangebote , Pauschal- und Globalangebote und Varianten sowie die Aufteilung des Auf- trags" (Hervorhebungen beigefügt). IVöB und GATT-Übereinkom- men enthalten in Bezug auf Teilangebote keine besonderen Bestim- mungen. cc) Die Vergabestelle argumentiert, auch Teilangebote könnten nur zusammen mit einem vollständigen Grund- bzw. Gesamtangebot gültig eingereicht werden. Daran ändere der Umstand, dass in § 16 Abs. 3 SubmD lediglich Varianten ohne Grundangebot für ungültig erklärt würden, nichts. Es sei gar nicht notwendig gewesen, hier auch Teilangebote ohne Grundangebote für ungültig zu erklären; das Er- fordernis des Vollangebots ergebe sich schon aus § 14 Abs. 1 SubmD. Die Variante sei im Gegensatz zum Teilangebot ein Vollan- gebot und genüge den Anforderungen von § 14 Abs. 1 SubmD be- 2000 Submissionen 297 züglich Vollständigkeit, was die spezielle Regelung in § 16 Abs. 3 SubmD notwendig gemacht habe. Der Beschwerdeführer erachtet dieses Verständnis von § 16 SubmD als falsch. Variantenangebote und Teilangebote seien zwei grundsätzlich verschiedene Dinge. Bei der Variante bedürfe es des Grundangebots, damit überhaupt ein Vergleich mit den übrigen An- bietern möglich sei; bei einem Teilangebot sei die Vergleichbarkeit der Teilleistungen in der Regel ohne weiteres gegeben. § 16 Abs. 3 SubmD sei insofern klar und enthalte bezüglich des Teilangebots ein qualifiziertes Schweigen. § 16 SubmD erweist sich angesichts dieser gegensätzlichen Auffassungen als auslegungsbedürftig. c) aa) Nach dem Wortlaut von § 16 Abs. 3 SubmD ist ,,das An- gebot einer Variante" ungültig, wenn damit nicht eine Offerte für das Grundangebot eingereicht wird. Teilangebote werden in § 16 Abs. 3 SubmD nicht genannt; nach dem reinen Wortlaut sind sie also im Gegensatz zur Variante nicht an ein Grundangebot gekoppelt. Der Randtitel zu § 16 SubmD lautet indessen ebenfalls lediglich ,,Varian- ten" und nicht etwa ,,Varianten und Teilangebote". Daraus könnte ge- schlossen werden, dass der Dekretgeber auch die in § 16 Abs. 1 und 2 SubmD genannten Teilangebote im Verhältnis zum Grundangebot gemäss Ausschreibungsunterlagen letztlich lediglich als eine beson- dere Art der Variante ansah (vgl. auch Entscheid des Verwaltungsge- richts des Kantons Zürich vom 17. Februar 2000, in: Baurechtsent- scheide Kanton Zürich [BEZ] 20/2000, S. 48). Allein aus der fehlen- den Erwähnung der Teilangebote in § 16 Abs. 3 SubmD folgt jeden- falls - entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - nicht zwin- gend, dass diese auch ohne Grundangebot zulässig sind, und es sich um ein qualifiziertes Schweigen des Dekrets handelt. Dem Wortlaut der Bestimmung kann somit keine eindeutige Lösung entnommen werden. Auch die einschlägigen Materialien enthalten - soweit er- sichtlich - keine Äusserungen zur zu beantwortenden Frage (vgl. 2000 Verwaltungsgericht 298 Botschaft des Regierungsrats zum Submissionsdekret vom 22. Mai 1996, S. 15). bb) Die Vergabestelle beruft sich sinngemäss auf die Systematik des Submissionsdekrets, wenn sie geltend macht, das ausdrückliche Erwähnen der Teilangebote in § 16 Abs. 3 SubmD sei deshalb unnö- tig, weil hier die Notwendigkeit eines Grund- bzw. Vollangebots bereits durch das in § 14 Abs. 1 SubmD statuierte Gebot der Voll- ständigkeit des Angebots vorgegeben sei. Diese Überlegung hat zwar eine gewisse formale Logik. Andererseits ist die Sichtweise der Vergabestelle nicht zwingend und ob sie tatsächlich sachgerecht ist und der Förderung eines möglichst breiten Wettbewerbs dient, er- scheint eher fraglich (vgl. Erw. cc/ccc hienach). Auch die gegentei- lige Meinung liesse sich im Übrigen mit logischer Argumentation vertreten: Schon § 14 Abs. 1 SubmD liesse sich auch so auslegen, dass sich die Frage nach der Vollständigkeit nur auf die offerierten (und nicht auf die ausgeschriebenen) Leistungen bezieht; so ver- standen könnte also auch ein Teilangebot vollständig sein und wäre nur dann unvollständig, wenn innerhalb desselben wiederum für Teilbereiche das geplante Vorgehen oder die damit verbundenen Kosten nur ungenügend spezifiziert würden. Zudem könnte es die sich aus dem Submissionsdekret selbst ergebende Zulässigkeit des Einreichens von Teilangeboten (§ 16 Abs. 1 SubmD), die im Ver- gleich zum Gesamtangebot per definitionem unvollständig sind, der Vergabestelle grundsätzlich verbieten, solche Teilangebote gestützt auf § 28 Abs. 1 lit. g SubmD in Verbindung mit § 14 Abs. 1 SubmD allein wegen Unvollständigkeit vom Verfahren auszuschliessen. Die systematische Auslegung führt somit ebenfalls nicht zu einem ein- deutigen Ergebnis. cc) Es stellt sich schliesslich die Frage nach dem Zweck der Regelung von § 16 SubmD bzw. nach dem durch das grundsätzliche Zulassen von Teilangeboten und Varianten angestrebten Ziel. aaa) Fest steht zunächst, dass die öffentliche Vergabebehörde als Auftraggeberin bestimmen können muss, welche Bau-, Liefer- 2000 Submissionen 299 oder Dienstleistungen sie benötigt und welche konkreten Anforde- rungen sie bezüglich Umfang, Qualität, Ausstattung usw. stellt, was also im Einzelnen Gegenstand und Inhalt der Submission ist (AGVE 1998, S. 404). Sie legt dies in aller Regel mehr oder weniger detail- liert in den Ausschreibungsunterlagen fest, sei dies in einem Leis- tungsverzeichnis, in einem Pflichtenheft oder auf andere Weise (vgl. § 12 Abs. 2 und 3 SubmD; Anhang 5 Ziff. 1 zum SubmD). An diese Vorgaben sind die Anbietenden grundsätzlich gebunden; die Ver- gabestelle ist jedenfalls nicht verpflichtet, ein Angebot zu berück- sichtigen, das inhaltlich oder in Bezug auf den Leistungsumfang nicht dem entspricht, was sie gemäss Ausschreibung haben will. Die Prüfung von vom Grundangebot abweichenden Varianten und von Teilangeboten - und später erst recht auch deren Realisierung - ist möglicherweise mit zusätzlichem Aufwand für die Vergabestelle ver- bunden, den auf sich zu nehmen sie nicht gewillt ist und den sie auch nicht auf sich nehmen muss. Folgerichtig muss die Vergabestelle das Einreichen von Varianten oder Teilangeboten von vornherein verhin- dern können, wenn sie keine solchen berücksichtigen will. Gemäss Ziffer 6 des Anhangs 5 zum SubmD bestimmt die Vergabestelle denn auch in den Ausschreibungsunterlagen die Zulässigkeit und Bedin- gungen u. a. von Teilangeboten und Varianten (vgl. auch § 16 Abs. 2 SubmD). Die Anbietenden können aus § 16 Abs. 1 SubmD, wonach es ihnen frei steht, Offerten für Varianten und Teilangebote einzu- reichen, somit keine unbedingte und uneingeschränkte Verpflichtung der Vergabestelle auf Zulassung von Varianten oder Teilangeboten herleiten. Der Vergabestelle muss das Recht zukommen, die Mög- lichkeit von Varianten und Teilangeboten in der Ausschreibung auszuschliessen oder zu beschränken. Dies entspricht auch der Rege- lung im Bund und in anderen Kantonen (vgl. Art. 22 VoeB; Art. 10 der Submissionsverordnung (SubV) des Kantons Graubünden vom 23. Juni 1998; Art. 27 Abs. 2 der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen des Kantons St. Gallen vom 21. April 1998; Peter Galli / Daniel Lehmann / Peter Rechsteiner, Das öffentliche 2000 Verwaltungsgericht 300 Beschaffungswesen in der Schweiz, Zürich 1996, Rz. 288). Sieht die Vergabestelle allerdings davon ab, in der öffentlichen Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen Varianten und Teilangebote ausdrücklich auszuschliessen, sind solche aufgrund von § 16 Abs. 1 SubmD zulässig und müssen von der Vergabestelle grundsätzlich gemäss § 17 SubmD geprüft und in die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots im Sinne von § 18 SubmD miteinbezogen wer- den (vgl. auch Galli/Lehmann/Rechsteiner, a.a.O.). Dies entspricht nebst Art. 16 Abs. 1 SubmD auch dem Grundsatz der Transparenz des Vergabeverfahrens. bbb) Mit einer Unternehmervariante wird in der Regel eine in- haltlich von der Ausschreibung abweichende Leistung angeboten (vgl. zum Ganzen: Roland Hürlimann, Unternehmervarianten - Risi- ken und Problembereiche, in: Baurecht 1996, S. 3 f.; VGE III/64 vom 11. Mai 1998 in Sachen H. AG, S. 10 f.). Das Erfordernis, neben einer Variante auch das verlangte Grundangebot einzureichen, wird damit begründet, dass nur so alle Anbieter die gleichen Vorausset- zungen hätten und die Vergabestelle geeignete Vergleichsmöglich- keiten habe (Protokoll der nichtständigen Kommission Nr. 19 des Grossen Rats vom 4. September 1996 [3. Sitzung], S. 11 [Voten Rüegger und Frey]). Im Vernehmlassungsentwurf bzw. den Erläute- rungen zur VoeB wurde festgehalten, das Einreichen einer Offerte auch für die ausgeschriebenen Leistungen ermögliche eine objektive Beurteilung der Konkurrenzfähigkeit. Zudem solle damit sicherge- stellt werden, dass sich sämtliche offerierenden Anbieter fundiert mit allen Fragen auseinandersetzen würden, die mit dem ausgeschrie- benen Auftrag verbunden seien (Erläuterungen zur Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen, in: Öffentliches Beschaffungs- recht, Submissionsrecht, hrsg. von Christian Bock, Basel 1996, S. 97 [im Folgenden: Erläuterungen]; Galli/Lehmann/Rechsteiner, a.a.O., Anm. 14 zu Rz. 288). ccc) Das Teilangebot weicht demgegenüber nicht inhaltlich, sondern lediglich umfangmässig (quantitativ) vom verlangten Ange- 2000 Submissionen 301 bot ab; die Vergleichbarkeit mit den übrigen Angeboten erweist sich damit - wie dies auch der Beschwerdeführer zutreffend feststellt (Bemerkungen, S. 5) - von vornherein als wesentlich weniger proble- matisch. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das Abhängigmachen der Zulässigkeit eines Teilangebots von der gleichzeitigen Einrei- chung eines Gesamtangebots sachlich jedenfalls weniger eindeutig geboten als bei der Variante. Klar ist aber, dass die Vergabestelle, wenn sie in der Ausschreibung Teilangebote für nicht zulässig erklä- ren kann (vgl. Erw. aaa hievor), deren Zulässigkeit auch von der gleichzeitigen Einreichung eines Grundangebots abhängig machen kann. Unklar bleibt, ob die Koppelung des Teilangebots an ein (voll- ständiges) Grundangebot auch gilt, wenn in den Ausschreibungsun- terlagen nichts geregelt ist. Eine diesbezüglich unmissverständliche Regelung enthält Art. 27 Abs. 1 der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen des Kantons St. Gallen vom 21. April 1998. Da- nach kann der Anbieter zusätzlich zum verlangten Angebot Varianten oder Teilangebote einreichen. Gemäss § 23 Abs. 3 des Gesetzes über öffentliche Beschaffungen des Kantons Basel-Stadt vom 20. Mai 1999 und § 23 Abs. 4 des Gesetzes über öffentliche Beschaffungen des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999 sind Teilangebote und Varianten zulässig. Sie sind separat und deutlich gekennzeichnet einzugeben. Auch diese Formulierung lässt darauf schliessen, dass Varianten und Teilangebote nur zusätzlich zum Grundangebot zuläs- sig sein sollen, setzt sie doch die Eingabe eines solchen voraus. Eine gegenteilige Lösung enthält Art. 22 Abs. 3 VoeB. Danach kann die Auftraggeberin bei Teilangeboten auf ein Gesamtangebot verzichten, wobei sie dies in der Ausschreibung anzukünden hat. In den Erläute- rungen zur VoeB wird hiezu ausgeführt, Anbietende, die nicht in der Lage seien, die gesamte ausgeschriebene Leistung zu erbringen, sollten sich selbst um eine Bietergemeinschaft bemühen; dies könne grundsätzlich nicht Sache des Auftraggebers sein. Habe dieser jedoch ein spezielles Interesse daran, dass Teilangebote eingereicht würden, so könne er dies in der Ausschreibung kund tun, damit der Markt 2000 Verwaltungsgericht 302 entsprechend vergrössert werde (Erläuterungen, S. 97). Die Vergabestelle behält sich damit das Recht vor, eingegangene Ge- samtangebote unberücksichtigt zu lassen. Für die Anbietenden stellt sich die Frage, ob sie ein Gesamtangebot, ein Teilangebot oder ein Angebot einreichen wollen, das beide Alternativen umfasst (Galli/Lehmann/Rechsteiner, a.a.O., Rz. 289). Sachlich möglich und vertreten werden somit beide Lösungen. Angesicht der Formulierung von § 16 Abs. 1 SubmD, der sich im Grundsatz für die Zulässigkeit von Teilangeboten ausspricht, und es der Vergabestelle überlässt, diese explizit auszuschliessen, wenn sie keine solchen wünscht, ist diejenige Lösung zu bevorzugen, die selbständige Teilangebote un- abhängig von einem Gesamtangebot zulässt, wenn die Vergabestelle in der Ausschreibung nicht etwas anderes verlangt. Dies bedeutet eine Erweiterung des Markts und damit eine Verstärkung des Wett- bewerbs, indem der Anbieterkreis um Anbietende erweitert wird, die wohl ein Teilangebot machen können, aber nicht in der Lage sind, die Gesamtleistung zu erbringen. Diese Lösung entspricht damit auch eher dem Grundgedanken des Submissionsrechts, einen wirk- samen Wettbewerb zu fördern (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SubmD). Sie trägt dazu bei, das für die Vergabestelle tatsächlich wirtschaftlich günstig- ste Angebot zu ermitteln (§ 18 Abs. 1 SubmD). Für die Vergabestelle sind damit grundsätzlich keine Nachteile im Sinne eines un- erwünschten erhöhten Aufwands verbunden; ihr bleibt es unbenom- men, in der Ausschreibung Teilangebote für unzulässig zu erklären oder sie an Bedingungen zu knüpfen. d) aa) Der Beschwerdeführer hat nun nicht ein Teilangebot, sondern eine Teilbewerbung eingereicht. Er hat sich also im Rahmen eines selektiven Verfahrens darum beworben, ein Teilangebot im Sinne von § 16 Abs. 1 SubmD einreichen zu können. Er macht gel- tend, dass die Möglichkeit, ein Teilangebot einzureichen, beim se- lektiven Verfahren auch die Möglichkeit, sich im Rahmen der Präqualifikation für ein Teilangebot zu bewerben und diesbezüglich die Eignung nachweisen zu können, umfassen müsse. Die Vergabe- 2000 Submissionen 303 stelle könne nicht verlangen, dass in der ersten Stufe die Qualifika- tionsbedingungen für die gesamte Submission erfüllt sein müssten, ansonsten sie es in der Hand hätte, durch die Wahl des zweistufigen Verfahrens § 16 Abs. 1 SubmD auszuschalten. Dies könne nicht im Sinne des Gesetzes liegen, das darauf abziele, im Interesse des Steu- erzahlers wirksamen Wettbewerb zu fördern und auch jungen Unter- nehmungen den Marktzutritt zu gewährleisten. bb) Die Argumentation des Beschwerdeführers erschiene dann zwingend, wenn davon auszugehen wäre, dass es den Vergabestellen verwehrt ist, Teilangebote im Voraus als unerwünscht zu bezeichnen und damit auszuschliessen. Dies lässt sich indessen - wie soeben ausgeführt (Erw. c/cc/aaa hievor) - aus § 16 Abs. 1 SubmD gerade nicht ableiten (vgl. auch Ziff. 6 des Anhangs 5 zum SubmD). Die Vergabestelle muss somit nicht den Umweg über das zweistufige Verfahren wählen, nur um Teilangebote auszuschliessen; sie kann dies in jedem - auch im offenen - Verfahren durch eine entspre- chende Vorschrift in den Ausschreibungsunterlagen tun. Den Ent- scheid, ob sie Teilangebote ausschliessen will oder nicht, muss die Vergabestelle gemäss § 16 Abs. 2 SubmD und Ziff. 6 des Anhangs 5 zum SubmD spätestens beim Erstellen der Ausschreibungsunterlagen fällen. In diesen muss sie den Anbietenden explizit zur Kenntnis bringen, dass sie keine Teilangebote zulässt oder dass sie diese an die Einhaltung gewisser Mindestanforderungen knüpft (§ 16 Abs. 2 SubmD). Sie kann hier - wie erwähnt - auch verlangen, dass zu- gleich ein Gesamtangebot eingereicht werden muss (Erw. c/cc/ccc hievor). Andernfalls kommt die Vermutung von § 16 Abs. 1 SubmD zum Tragen. Es besteht hingegen aufgrund des Submissionsdekrets keine Verpflichtung der Vergabestelle, sich bereits zu Beginn des selektiven Verfahrens, d. h. bei der öffentlichen Ausschreibung oder in den Präqualifikationsunterlagen, für oder gegen die Zulässigkeit von späteren Teilangeboten auszusprechen. § 10 SubmD hält unter dem Marginale "Eignungskriterien für das selektive Verfahren" le- diglich fest, die Vergabestelle könne für jeden Auftrag oberhalb der 2000 Verwaltungsgericht 304 Schwellenwerte gemäss § 8 Abs. 1 SubmD in der Ausschreibung bzw. in den Ausschreibungsunterlagen festlegen, welche für die Aus- führung des betreffenden Auftrags wesentlichen Eignungskriterien die Anbietenden erfüllen und welche unerlässlichen Nachweise ins- besondere bezüglich der finanziellen, wirtschaftlichen und fachlichen Leistungsfähigkeit sie erbringen müssen. Jungen oder sonst neu im Markt Auftretenden sei eine angemessene, niemanden diskrimi- nierende Chance einzuräumen. Die Bewerber haben somit gemäss § 10 SubmD den Nachweis zu erbringen, dass sie zur Ausführung des nach dem Willen der Vergabestelle zu vergebenden Auftrags, mit dem Inhalt und dem Umfang, wie ihn die Vergabestelle in der öf- fentlichen Ausschreibung oder in den Präqualifikationsunterlagen bestimmt, befähigt und in der Lage, d. h. geeignet, sind. Entspricht die Bewerbung bzw. der Antrag auf Teilnahme inhaltlich und um- fangmässig nicht den Vorgaben der Vergabestelle, ist diese berech- tigt , sie als unvollständig vom weiteren Verfahren auszuschliessen (§ 14 Abs. 1 SubmD). Dies muss jedenfalls in jenen Fällen gelten, in denen die Vergabestelle beabsichtigt, im Zuschlagsverfahren Teilan- gebote entweder nicht zuzulassen oder deren Zulässigkeit an die Bedingung zu knüpfen, dass auch ein Gesamtangebot eingereicht wird. Die Antwort auf die Frage, ob Teilangebote für die Vergabe- stelle allenfalls von Interesse sein können, ob sie solche also zulassen oder aber ausschliessen soll, wird sich im selektiven Verfahren häufig erst aufgrund der eingereichten Bewerbungen in der Präquali- fikation ergeben. Entsprechend hat sie dann die Ausschreibungs- unterlagen abzufassen oder zu ergänzen. cc) Der Grundgedanke, dass die Vergabestelle über Inhalt und Umfang des von ihr zu vergebenden Auftrags bzw. über die von den Anbietern zu erbringenden Leistungen entscheidet und nicht die An- bieter diese bestimmen können, führt letztlich zum Schluss, dass die Vergabestelle im Rahmen der Präqualifikation ohne weiteres ver- langen kann, dass die Bewerber die Qualifikationsbedingungen für den gesamten zu vergebenden Auftrag erfüllen müssen. Sofern die 2000 Submissionen 305 Vergabestelle nicht bereits in der öffentlichen Ausschreibung oder in den Präqualifikationsunterlagen ihre Bereitschaft kund tut, auch Teil- angebote im Sinne von § 16 Abs. 1 SubmD zu berücksichtigen, ha- ben die Interessenten ihre Eignung für den gesamten Auftrag nach- zuweisen. Es besteht - anders als beim Teilangebot selbst - keine gesetzliche Vermutung für die Zulässigkeit von Teilbewerbungen. Damit kann die Vergabestelle in der Ausschreibung offen lassen, ob sie Bewerbungen, ein Teilangebot im Sinne von § 16 Abs. 1 SubmD einzureichen, akzeptieren werde. Weiss die Vergabestelle indessen bereits zu Beginn des selektiven Verfahrens, dass sie keine Teilbe- werbungen wünscht, erscheint es zweckmässig, in der Ausschreibung oder in den Präqualifikationsunterlagen darauf hinzuweisen. Die Interessenten können sich in aller Regel auch zu Arbeitsge- meinschaften zusammenschliessen, um die verlangten Eignungsan- forderungen in allen Teilen zu erfüllen. Dies war auch im vorliegen- den Fall gestattet. Der Beschwerdeführer wendet diesbezüglich ein, Arbeitsgemeinschaften seien erfahrungsgemäss eher schwerfällig und unter Umständen friktionsanfällig, weshalb er es vorziehe, sich um ein Teilangebot im Rahmen seiner Kernkompetenz zu bewerben. Das Zusammenfügen bzw. spätere Zusammenarbeiten mit einem Elektrizitätsunternehmen im Elektrizitätsbereich biete keine Schwie- rigkeiten (Verwaltungsgerichtsbeschwerde, S. 13). Zum einen er- scheint die Argumentation in sich widersprüchlich, worauf die Ver- gabestelle zu Recht hinweist. Zum anderen kann es nicht richtig sein, einer Vergabestelle, die bewusst einen Gesamtauftrag ausgeschrieben hat, den zusätzlichen Koordinationsaufwand, der mit einer Vergabe an einzelne Teilangebote bzw. Teilanbieter verbunden ist, gegen ihren Willen zu überbinden. Hätte sie die separate Vergabe der ein- zelnen Leistungen in Betracht gezogen, wäre es ihr unbenommen gewesen, diese auch so auszuschreiben. Es ist somit grundsätzlich Sache des Anbieters, der - aus welchen Gründen auch immer - nicht in der Lage ist, die gesamten ausgeschriebenen Leistungen zu er- 2000 Verwaltungsgericht 306 bringen, und nicht der Vergabestelle, für einen ergänzenden Partner zu sorgen. Dies gilt insbesondere für das Präqualifikationsverfahren. dd) Sachlich richtig ist es, dass die Vergabestelle unzulässige Bewerbungen für Teilangebote bereits gestützt auf § 14 Abs. 1 SubmD ausschliesst und sie nicht der Eignungsprüfung unterzieht. Auf das Gesamtangebot bezogen sind solche Teilbewerbungen von vornherein unvollständig. Ausserdem wird ein Anbieter sich in der Regel um ein Teilangebot bewerben, weil er - sei es aus fachlichen Gründen oder aus Gründen der Kapazität - nicht imstande bzw. ge- eignet ist, die gesamten verlangten Leistungen zu erbringen. Wird die Teilbewerbung hingegen in das Prüfungsverfahren miteinbezogen mit dem Ergebnis, dass sich der Anbieter hinsichtlich eines Teilan- gebots als geeignet erweist, und erhält dieser einen entsprechenden Bescheid der Vergabestelle, muss er grundsätzlich zum Zuschlags- verfahren mit einem Teilangebot zugelassen werden. Die Vergabe- stelle darf diesfalls in den Ausschreibungsunterlagen Teilangebote weder ausschliessen noch ihre Zulässigkeit vom gleichzeitigen Ein- reichen eines Gesamtangebots abhängig machen. Durch die Zulas- sung von Teilbewerbungen zur Präqualifikation trifft sie diesbezüg- lich also einen Vorentscheid. e) Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Beschwerde- führer sich für die Offertstellung zur Ausarbeitung eines Teilangebots für die Bereiche Wasser, Erdgas und Abwasser (Datenersterfassung und Erstellung Leitungskataster), aber ohne den Bereich Elektrizität, beworben hat. Die Vergabestelle hat die Bewerbung mit dem Hinweis, sie könne nicht bewertet werden, vom weiteren Verfahren ausgeschlossen. Dieses Vorgehen lässt sich aufgrund der vorstehen- den Erwägungen rechtlich nicht beanstanden; es hält sich an den der Vergabestelle zukommenden Ermessensspielraum. Eine Rechtsver- letzung besteht nicht. Der Beschwerdeführer wird durch den Aus- schluss weder diskriminiert noch liegt darin ein Verstoss gegen § 16 Abs. 1 SubmD, denn wie dargelegt lässt sich aus § 16 Abs. 1 SubmD keine Verpflichtung der Vergabestelle, Teilbewerbungen zuzulassen, 2000 Submissionen 307 ableiten. Sie muss auch nicht im Voraus ankündigen, dass sie keine Bewerbungen, ein Teilangebot einzureichen, zu berücksichtigen gedenkt. Immerhin ist festzustellen, dass bereits der Hinweis der Vergabestelle in den Präqualifikationsunterlagen, falls für gewisse Arbeiten Unterlieferanten berücksichtigt oder Arbeitsgemeinschaften gebildet würden, seien diese namentlich aufzuführen, den Schluss nahe legte, dass Teilangebote aus der Sicht der Gemeinderäte Vill- mergen und Wohlen nicht erwünscht waren.
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2010 Bau-,Raumentwicklungs-u.Umweltschutzrecht 153 [...] 28 Gleichbehandlung im Unrecht (Rechtsgleichheit). Vermutung, Gemeinderat werde von seiner rechtswidrigen Praxis ent- sprechend dem Entscheid der Rechtsmittelinstanz (und Aufsichtsbe- hörde) künftig Abstand nehmen. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. März 2010 in Sachen A. und B. gegen X. und Y. (WBE.2009.99). Aus den Erwägungen 3. 3.1.-3.2. (...) 3.3. Der in Art. 8 BV verankerte Gleichheitssatz verlangt, dass Glei- ches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Es dürfen keine Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen, über die zu entscheiden ist, nicht gefunden werden kann. Die Rechtsgleichheit ist verletzt, wenn zwei gleiche tatsächliche Situationen ohne sachlichen Grund unter- schiedlich behandelt werden (BGE 131 I 103; 129 I 125 f.; AGVE 2010 Verwaltungsgericht 154 1999, S. 210; VGE III/40 vom 17. Juni 2009 [WBE.2008.85], S. 15; VGE III/28 vom 19. Juni 2008 [WBE.2007.136], S. 13; je mit Hin- weisen). Sodann geht nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesge- richts der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung in der Re- gel der Rücksicht auf gleichmässige Rechtsanwendung vor. Der Um- stand, dass das Gesetz in anderen Fällen nicht oder nicht richtig an- gewandt worden ist, gibt dem Bürger grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ebenfalls abweichend vom Gesetz behandelt zu werden. Auf V 392; je mit Hinweisen). Selbst wenn die Voraussetzungen für eine unrechtsgleiche Behandlung erfüllt sind, können öffentliche Interes- sen oder berechtigte Interessen Dritter entgegenstehen (BGE 123 II 254; 117 Ib 270; 116 Ib 234 f.; vgl. zum Ganzen auch: VGE III/40 vom 17. Juni 2009 [WBE.2008.85], S. 15; VGE III/28 vom 19. Juni 2008 [WBE.2007.136], S. 13; VGE III/77 vom 2. September 2004 [BE.2003.00257], S. 19; je mit Hinweisen). 3.4. 3.4.1. Es ist unbestritten, dass der Gemeinderat in den Baugesuchen Nrn. 613, 602, 557 und 508 über den ummantelten Bereich des ober- sten Geschosses hinauskragende Dachvorsprünge mit umfangreicher Fläche und Tiefe bewilligte, obschon der ummantelte Bereich die nach § 16a ABauV zulässige Grundfläche eines Attikageschosses je- weils bereits ausschöpfte und die darunterliegenden Vollgeschosse die maximale Anzahl Vollgeschosse bereits erreichten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer bewilligte der Gemeinderat solche auskragende Dächer nicht nur bei "Mehrfamilienhäusern" bzw. in "Mehrfamilienhauszonen". Auch in der Wohnzone EF - in welcher Zone das zu beurteilende Bauprojekt liegt - wurden solche Bauten offenbar bewilligt. Es liegt deshalb nahe, dass der Gemeinderat eine § 16a Abs. 2 ABauV widersprechende gesetzwidrige Praxis ent- wickelt hat. Abschliessend braucht diese Frage indessen nicht beur- teilt zu werden, denn ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht 2010 Bau-,Raumentwicklungs-u.Umweltschutzrecht 155 besteht - wie ausgeführt (Erw. 3.3.) - nur dann, wenn die Behörde, welche die gesetzwidrige Praxis entwickelt hat, es ablehnt, diese aufzugeben (siehe dazu Erw. 3.4.2.) und wenn keine öffentlichen In- teressen oder berechtigte Interessen Dritter entgegenstehen. 3.4.2. Die Berufung auf Gleichbehandlung im Unrecht ist namentlich dann nicht zulässig, wenn eine Behörde bisher eine gesetzwidrige Praxis geübt hat, diese durch eine Rechtsmittelinstanz als unzulässig beurteilt worden ist und - was in der Regel zutrifft - anzunehmen ist, die Behörde werde sich in Zukunft an die oberinstanzlich festgelegte Praxis halten. Äussert sich die Verwaltung nicht über ihre Absicht, ist anzunehmen, sie werde aufgrund der Erwägungen des richterlichen Urteils zu einer gesetzmässigen Praxis übergehen (Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. Januar 2008 [VB.2007.00309], Erw. 3.2; vgl. auch BGE 122 II 451 f.; Urteil des Bundesgerichts vom 21. März 2007 [2P.247/2006], Erw. 5.5; Urteil des Bundesgerichts vom 12. März 2004 [2A.449/2003], Erw. 5.2; je mit Hinweisen). Die Vorinstanz führte aus, der Gemeinderat gedenke an der ge- setzwidrigen Praxis festzuhalten, begründete dies indessen nicht weiter. Ob sich der Gemeinderat im vorinstanzlichen Verfahren überhaupt bewusst war, dass seine Praxis gesetzwidrig ist, erscheint fraglich. Im Protokollauszug vom 19. Januar 2009 hielt er lediglich fest, er habe seit längerer Zeit eine "relativ tolerante Haltung" in Be- zug auf die Zulassung von grösseren Dachvorsprüngen bewiesen. Zudem äusserte er sich nie dazu, ob er an einer (allenfalls) gesetz- widrigen Praxis auch in Zukunft festhalten würde. Entgegen der Auf- fassung der Vorinstanz lassen diese Gegebenheiten den Schluss nicht zu, dass der Gemeinderat an der gesetzwidrigen Praxis auch in Zukunft festzuhalten gedenke. Die Vorinstanz legte im angefochtenen Entscheid die gesetz- widrige Praxis dar und forderte den Gemeinderat - obschon sie für den konkreten Fall den Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht bejahte - auf, von seiner rechtswidrigen Praxis zukünftig Abstand zu nehmen. Die Beschwerdeführer machen in ihrer Verwaltungsge- richtsbeschwerde geltend, wenn sich eine Behörde nicht über ihre 2010 Verwaltungsgericht 156 Absicht, von ihrer Praxis abzuweichen äussere, nehme das Bundes- gericht an, dass der Gemeinderat auf Grund der bundesgerichtlichen Erwägungen zu einer gesetzeskonformen Praxis übergehen werde. Nachdem dem Gemeinderat seine unrichtige Rechtsauffassung von der Vorinstanz dargelegt worden sei und er vom BVU als Aufsichts- behörde aufgefordert worden sei, das kantonale Recht zukünftig an- zuwenden, müsse davon ausgegangen werden, dass eine Praxisände- rung stattfinden werde bzw. müsse. In der Beschwerdeantwort äus- serte sich der Gemeinderat zu diesen Vorbringen nicht. Er verwies lediglich auf zwei Baubewilligungen, in welchen Einfamilienhäuser mit vergrössertem Dachvorsprung bewilligt worden seien (Be- schwerdeantwort Gemeinderat). Damit hat er zwar seine allfällige (gesetzwidrige) Praxis erneut untermauert, sich jedoch nicht zur Frage geäussert, ob er an seiner (ihm aufgrund des vorinstanzlichen Entscheids mittlerweile klar bekannten) gesetzwidrigen Praxis fest- zuhalten gedenke. Mangels einer gegenteiligen Äusserung des Ge- meinderats muss deshalb davon ausgegangen werden, dass er auf- grund der Feststellung im vorinstanzlichen Entscheid, wonach eine gesetzwidrige Praxis vorliege, und der ausdrücklichen Anweisung durch die Vorinstanz (und Aufsichtsbehörde), von dieser rechtswid- rigen Praxis zukünftig Abstand zu nehmen, zu einer gesetzmässigen Praxis übergehen wird. Das Erfordernis, dass der Gemeinderat es ablehnt, seine ge- setzwidrige Praxis aufzugeben, kann somit nicht als erfüllt betrachtet werden.
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2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 203 VII. Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 54 Beschwerdelegitimation in Baubewilligungssachen (§ 38 Abs. 1 VRPG). Parteientschädigung an die Gemeinwesen (§ 36 VRPG). - Kein widersprüchliches Verhalten des Gemeinderats, wenn er die Legitimation erst im zweitinstanzlichen Beschwerdeverfahren be- streitet (Erw. II/2/c). - Legitimationspraxis des Verwaltungsgerichts (Erw. II/2/d) und des Bundesgerichts (Erw. II/2/e), insbesondere bei Beschwerden wegen Lärmimmissionen. - Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall: Kein rechtserheblicher Nachteil aufgrund des Erscheinungsbildes des Bauvorhabens, das bei beschränkter Sichtverbindung 140 m vom Grundstück des Be- schwerdeführers entfernt ist (Erw. II/2/f/bb), und aufgrund der zu er- wartenden Lärm- und anderen Immissionen (Erw. II/2/f/cc). Vgl. AGVE 2000, S. 365, Nr. 88
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2002 Submissionen 331 [...] 80 Selektives Verfahren; Bewertung der Eignungskriterien; Beschränkung der Anbieterzahl. - Selektives Verfahren (Erw. 3). - Mittelwertberechnung bei der Bewertung von Planergemeinschaften (Erw. 4/a-d). - Berücksichtigung neuer oder junger Anbieter (Erw. 4/e). - Voraussetzungen für eine Beschränkung der Anbieterzahl (Erw. 5). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. Oktober 2002 in Sachen Planergemeinschaft I. und Mitb. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 3. a) Beim selektiven Verfahren können alle Anbietenden einen Antrag auf Teilnahme einreichen. Die Vergabestelle bestimmt auf Grund der Eignung nach § 10 SubmD (vgl. Erw. b unten) die An- bietenden, die ein Angebot einreichen dürfen. Sie kann die Zahl der zur Angebotsabgabe eingeladenen Anbietenden beschränken, wenn der Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand für das Vergabeverfahren an- dernfalls in einem Missverhältnis zum Wert der Leistung stehen würde (§ 7 Abs. 2 Satz 4 SubmD; vgl. auch Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB und unten Erw. 5). Dabei muss jedoch ein wirksamer Wettbewerb ge- währleistet sein (Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB); die Zahl darf, wenn es genügend geeignete Anbietende gibt, nicht kleiner als drei sein (§ 7 2002 Verwaltungsgericht 332 Abs. 2 Satz 5 SubmD; § 7 Abs. 3 Satz 2 der Vergaberichtlinien auf Grund der IVöB [VRöB]). Zu beachten ist im vorliegenden Fall auch Art. X Ziff. 1 des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (ÜoeB; SR 0.632.0231.422) vom 15. April 1994. Nach dieser Bestimmung laden die Beschaffungsstellen für jede geplante Beschaffung die grösstmögliche mit einer effizienten Ab- wicklung der Beschaffung zu vereinbarende Zahl von in- und aus- ländischen Anbietern zur Angebotsabgabe ein. Sie wählen die An- bieter, die an dem Verfahren teilnehmen sollen, in gerechter und nicht diskriminierender Weise aus. b) § 10 SubmD hält unter der Marginalie "Eignungskriterien für das selektive Verfahren" fest, die Vergabestelle könne für jeden Auftrag oberhalb der Schwellenwerte gemäss § 8 Abs. 1 SubmD in der Ausschreibung bzw. in den Ausschreibungsunterlagen festlegen, welche für die Ausführung des betreffenden Auftrags wesentlichen Eignungskriterien die Anbietenden erfüllen und welche unerlässli- chen Nachweise, insbesondere bezüglich der finanziellen, wirt- schaftlichen und fachlichen Leistungsfähigkeit, sie erbringen müs- sen. Jungen oder sonst neu im Markt Auftretenden sei eine angemes- sene, niemanden diskriminierende Chance einzuräumen. Die Eig- nungskriterien und die verlangten Eignungsnachweise sind im Vor- aus bekannt zu geben. Sie müssen - wie die Zuschlagskriterien - in der Reihenfolge ihrer Bedeutung, vollständig und in präziser Form veröffentlicht werden. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass bei der Eignungsprüfung nicht einzelne Bewerber bevorzugt werden, und den Anbietenden ist es möglich, ihren Teilnahmeentscheid in Kenntnis der gestellten Anforderungen zu fällen (vgl. AGVE 1999, S. 295; 1998, S. 375 f.; VGE III/84 vom 9. Juni 2000 [BE.2000.00106] in Sachen R. AG, S. 8, und III/131 vom 27. Dezem- ber 2001 [BE.2001.00388] in Sachen R. AG, S. 4 f.; Peter Gauch / Hubert Stöckli, Vergabethesen, Thesen zum neuen Vergaberecht des Bundes, Freiburg 1999, S. 20). c) Bei der Festlegung, Gewichtung und Bewertung der einzel- nen Eignungskriterien steht der Vergabebehörde ein weiter Ermes- sensspielraum zu, in den das Verwaltungsgericht nicht eingreifen darf. Das Verwaltungsgericht hat sich zudem bei der Überprüfung 2002 Submissionen 333 technischer und betrieblicher Aspekte, welche die Vergabebehörde auf Grund ihres Fachwissens besser beurteilen kann, Zurückhaltung aufzuerlegen (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 11. August 1997, in: BVR 1998, S. 64). Anzuwenden sind aber objektive, überprüfbare und auf die ausgeschriebene Leistung kon- kret bezogene Kriterien; leistungsfremde Merkmale der Anbieter, die deren Eignung für die Ausführung des konkreten Auftrags nicht beeinflussen, dürfen nicht berücksichtigt werden (Gauch/Stöckli, a.a.O., S. 19). Grundsätzlich unzulässig ist es daher, sachfremde Eignungskriterien heranzuziehen, d.h. Kriterien, die nicht die leis- tungsbezogene Eignung des Anbieters betreffen; dazu zählen na- mentlich regional-, steuer- oder strukturpolitische Überlegungen. Andernfalls begeht die Vergabestelle eine Rechtsverletzung (AGVE 1999, S. 295 f.; 1998, S. 376; erwähnter VGE [BE.2001.00388] in Sachen R. AG, S. 5 f.; Gauch/Stöckli, a.a.O., S. 20, 27). Namentlich auch bei der Bewertung der Bewerbungen anhand der einzelnen Eig- nungskriterien kommt der Vergabebehörde ein grosser Ermessens- spielraum zu. Indessen muss auch die Bewertung in sachlich haltba- rer und begründbarer Weise erfolgen, ansonsten der Vergabestelle eine Ermessensüberschreitung oder sogar ein Ermessensmissbrauch anzulasten ist (AGVE 1998, S. 384). Hingegen kann es nicht Sache des Verwaltungsgerichts sein, anstelle der Vergabestelle eine eigene Bewertung vorzunehmen (erwähnter VGE [BE.2001.00388] in Sachen R. AG, S. 6 mit Hinweisen). 4. Zu überprüfen ist zunächst die von den Beschwerdeführe- rinnen als diskriminierend erachtete Mittelwertbildung bei der Be- wertung von Planer- bzw. Ingenieurgemeinschaften. a) Das Verwaltungsgericht hat in einem früheren Entscheid festgehalten, dass das Vorgehen der Vergabestelle, bei der Beurtei- lung einer Arbeitsgemeinschaft generell nur den Durchschnitt der Bewertung der Beteiligten als Bewertungsgrundlage heranzuziehen, grundsätzlich das Ermessen der Vergabebehörde nicht überschreite. Eine Ermessensüberschreitung liege jedenfalls dann nicht vor, wenn nicht im Voraus angegeben werde, welcher Teil des Projekts durch welche der beteiligten Partnerinnen erarbeitet werde. Anders verhalte es sich dann, wenn Bewerber sich - ihrer jeweiligen Stärken und 2002 Verwaltungsgericht 334 Schwächen bewusst - die Aufgabenbereiche entsprechend aufteilten und dies der Vergabebehörde auch so kundtäten. So würden sie der Vergabestelle Gewähr dafür bieten, dass tatsächlich ein Sy- nergieeffekt eintrete. In gleicher Weise zu bewerten seien Bewerber, die gerade um Schwächen auszugleichen, Arbeitsgemeinschaften bildeten und Spezialisten beizögen, jedenfalls wenn dies für die Ver- gabestelle offensichtlich sei (VGE III/17 vom 2. März 1999 [BE.98.00381] in Sachen ARGE Sch. AG und P. AG, S. 12). b) aa) Im vorliegenden Fall hat die Vergabebehörde bei den Teilkriterien Firmenstruktur (Kompetenz I), objektbezogene Fir- menreferenzen (Kompetenz I) und Leistungsfähigkeit (Projektorga- nisation) die einzelnen Fachgebiete Tunnelbau, Strassenbau und elektromechanische Anlagen separat bewertet. Bei Ingenieurgemein- schaften wurde die einzelne Partnerfirma in den Fachbereichen (ge- mäss Organigramm) bewertet, für welche sie gemäss den Angaben in den Bewerbungsunterlagen verantwortlich war. Waren mehrere Part- ner im gleichen Fachbereich tätig bzw. für das gleiche Teilprojekt verantwortlich, wurde jeder Partner separat bewertet und für die Ge- samtbewertung der Mittelwert gebildet. Für die Bewertung unerheb- lich waren Erfahrung und Referenzen eines Partners in Fachberei- chen, in denen er nicht tätig sein wird. bb) Die detaillierte Bewertung der Beschwerdeführerinnen an- hand der Vorgaben der Vergabebehörde stellt sich folgendermassen dar: [Tabellarische Darstellung der Bewertungsmatrix]. Die Abzüge bei den Eignungskriterien im Fachgebiet Tunnelbau betreffen vor allem die H. AG, die bei den objektbezogenen Firmenreferenzen mit 0 Punkten und bei der Leistungsfähigkeit (Personalbestand, Hochschul/FH-Abschluss) mit 75 Punkten bewer- tet wurde. Im Fachbereich Strassenbau wurden Abzüge bei der Leistungsfähigkeit der E. AG gemacht, die über einen eher kleinen Personalbestand verfügt. Die übrigen Abzüge betreffen entweder die I. AG (Firmenstruktur elektromechanische Anlagen, Schlüsselper- sonen) oder das Planerteam als Gesamtes (Beschreibung Führungs- struktur/Aufgabenteilung, QS-Referenzen) und werden von den Be- schwerdeführerinnen nicht in Frage gestellt. 2002 Submissionen 335 c) aa) Aus dem Organigramm sowie dem Beschrieb der Organi- sation des Projektteams geht hervor, dass die Verantwortlichkeiten im Fachbereich Tunnelbau bei der I. AG (Tunnelbau bergmännisch) und bei der H. AG (Tunnelbau Tagbau), im Fachbereich Strassenbau zu je 50% bei der I. AG und bei der E. AG und im Fachbereich elek- tromechanische Anlagen bei der I. AG (Elektromechanik) und der Subplanerin B. AG (Tunnellüftung) liegen. Die Gesamtprojektleitung (Projektleiter und Projektleiter-Stellvertreter) wird durch die I. AG wahrgenommen. Die Qualitätssicherung obliegt ebenfalls der I. AG. bb) Bei dieser Sachlage lassen sich die von der Vergabebehörde gemachten Abzüge entgegen der Auffassung der Beschwer- deführerinnen nicht als diskriminierend bezeichnen. Auch die Be- schwerdeführerinnen bestreiten nicht, dass es sich bei der H. AG und der E. AG um unter dem im vorliegenden Fall vor allem massgeben- den Aspekt der Realisierungsphase neu auf dem Markt auftretende Firmen handelt. Die H. AG, der innerhalb des Planerteams die Ver- antwortung für die Realisierung des im Tagbau zu erstellenden inner- städtischen Tunnelteils zukommt, verfügt nicht über einschlägige Referenzen. Alle drei in den Präqualifikationsunterlagen für den Bereich Tunnelbau ausgewiesenen Firmenreferenzen sind der I. AG zuzuordnen. Dieser Tatsache darf und muss die Vergabestelle bei der Bewertung der Eignung angemessen Rechnung tragen. Die Vergabebehörde weist zu Recht daraufhin, dass andernfalls Bewerber diskriminiert würden, die im Bereich, in dem sie tätig werden, über grosse oder zumindest mittlere Erfahrung verfügen. Der beim Teilkriterium Objektbezogene Firmenreferenzen Tunnelbau ge- machte Punkteabzug ist somit weder in Überschreitung des der Ver- gabebehörde zukommenden Ermessens erfolgt noch liegt ein Er- messensmissbrauch vor. Gleiches gilt für den (geringen) Abzug bei der Leistungsfähigkeit Tunnelbau, der bei der H. AG vorgenommen wurde. Der Strassenbau fällt gemäss Organigramm zu je 50% in den Aufgabenbereich der I. AG und der E. AG. Letztere verfügt nach ihren Angaben (Personalliste) über acht Mitarbeiter, wovon eine kaufmännische Angestellte und ein Lehrling. Über einen Hochschul- /Fachhochschulabschluss verfügen drei Mitarbeiter. Das Punktema- 2002 Verwaltungsgericht 336 ximum erhielt bei der Leistungsfähigkeit Strassenbau, wer einen Per- sonalbestand im fraglichen Tätigkeitsbereich von mehr als 15 Perso- nen, wovon mindestens acht mit einem Hoch- oder Fach- hochschulabschluss, aufwies. Auch hier erweisen sich sowohl der bei der E. AG vorgenommene Bewertungsabzug als auch die Mittel- wertbewertung der beiden je zu 50% tätig werdenden Unternehmen als vertretbar und nicht in Überschreitung des der Vergabebehörde zukommenden Ermessens erfolgt. cc) Zu berücksichtigen ist sodann auch, dass sich die von den Beschwerdeführerinnen in Frage gestellte Mittelwertbewertung beim Teilkriterium Firmenstruktur im Sachbereich elektromechanische Anlagen zugunsten des Planerteams ausgewirkt hat, indem hier die mehr als zwanzigjährige Erfahrung der für den Bereich Tunnellüf- tung vorgesehenen Subunternehmerin B. AG zu einer besseren Be- wertung des Planerteams insgesamt geführt hat. d) Die von der Vergabebehörde gewählte Methode zur Bewer- tung von Planerteams ist sachgerecht, indem sie die Stärken und Schwächen der beteiligten Partner in denjenigen Bereichen, in denen sich diese effektiv auch auswirken können, berücksichtigt. Dem durch den Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft ange- strebten Synergieeffekt wird mit dieser Bewertungsmethode durch- aus angemessen Rechnung getragen. Die Vergabebehörde weist zu Recht daraufhin, dass indessen nicht nur die spezifischen Vorteile eines Zusammenschlusses, z.B. die besondere Fachkompetenz oder Erfahrung einer Partnerfirma, sondern auch die jeweiligen Schwä- chen, soweit sie sich tatsächlich auswirken können, berücksichtigt werden müssen. Eine Diskriminierung von Planergemeinschaften gegenüber Einzelanbietern erfolgt deswegen nicht. Die Tatsache, dass die E. AG und die H. AG im Zusammenhang mit der Ausarbei- tung des Generellen Projekts und des Bauprojekts der Ortskernum- fahrung bereits verschiedene Planerleistungen erbracht haben, ver- mögen nichts daran zu ändern, dass diese beiden Partnerinnen die genannten Teilkriterien Objektbezogene Firmenreferenzen Tunnel- bau bzw. Leistungsfähigkeit Strassenbau - wie ausgeführt - nicht bzw. nur teilweise erfüllen. Dasselbe gilt für den Umstand, dass die E. AG und die I. AG über eine Beteiligungsgesellschaft verbunden 2002 Submissionen 337 sind. Es handelt sich bei den Partnerfirmen dessen ungeachtet um selbständige Unternehmungen, die sich für den vorliegenden Auftrag zu einer Ingenieurgemeinschaft zusammengefunden haben und die in den Präqualifikationsunterlagen auch als drei eigenständige Firmen in Erscheinung treten. e) Die Beschwerdeführerinnen verlangen unter Hinweis auf § 10 SubmD, die Bewertung sei so zu modifizieren, dass neu auf dem Markt auftretende Firmen eine angemessene, niemanden diskri- minierende Chance bei der Zulassung im Rahmen eines selektiven Verfahrens hätten. § 10 Satz 2 SubmD besagt, dass bei der Festle- gung der Eignungsanforderungen "jungen oder sonst neu im Markt Auftretenden (...) eine angemessene, niemanden diskriminierende Chance einzuräumen" ist. Dies kann z.B. durch einen Verzicht auf einschlägige Referenzen geschehen. Eine zwingende Verpflichtung der Vergabestelle, dies in jedem Fall zu tun, lässt sich aus § 10 SubmD indessen nicht ableiten. Wie ausgeführt, sind die Eignungs- kriterien jeweils im Einzelfall und im Hinblick auf die konkrete Ver- gabe in objektiver Art zu bestimmen (Botschaft des Regierungsrats zum Submissionsdekret vom 22. Mai 1996, S. 14), wobei der Verga- bebehörde ein grosser Ermessensspielraum zusteht, in den das Ver- waltungsgericht nicht eingreifen darf (vgl. Erw. 3c oben). Wenn die Vergabebehörde im vorliegenden Fall, indem es unbestreitbar um die Realisierung eines bedeutenden und komplexen Strassen- und Tun- nelbauprojekts geht, der einschlägigen Erfahrung der Bewerber ein sehr grosses Gewicht beimisst, so lässt sich dies nicht als Ermes- sensüberschreitung oder in anderer Weise rechtsfehlerhaft beanstan- den. Die Vergabestelle hat ihren diesbezüglich hohen Anspruch auch konsequent kundgetan, zum einen allein schon mit der Tatsache, dass sie sich für die Durchführung eines selektiven Verfahrens entschie- den hat, und zum andern, indem sie sowohl in der öffentlichen Aus- schreibung als auch in den Präqualifikationsunterlagen klar darauf hinwies, dass spezifische Fachkompetenz in der Projektierung und Bauleitung von Strassentunnels erforderlich seien. Im Umstand, dass das Fehlen von vergleichbaren Referenzobjekten bei der H. AG zu einer Schlechterbewertung führte, ist im vorliegenden Fall kein Ver- stoss gegen § 10 Satz 2 SubmD zu erblicken. 2002 Verwaltungsgericht 338 f) Damit erweist sich die Bewertung der Beschwerdeführerin- nen als sachgerecht; eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermes- sensmissbrauch liegt nicht vor. 5. a) Die Vergabestelle hat im vorliegenden Fall lediglich drei Anbieter für die zweite Stufe und damit zur Einreichung einer Of- ferte zugelassen. Den restlichen neun Bewerbern wurde mitgeteilt, dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne. Weder aus den verschiedenen Absageschreiben noch aus den übrigen dem Ver- waltungsgericht zur Verfügung stehenden Unterlagen geht hervor, ob die Vergabestelle diese Bewerber als nicht geeignet erachtet oder aber aus verfahrensökonomischen Gründen vom weiteren Verfahren ausgeschlossen hat. Lediglich in Bezug auf eine Ingenieurgemein- schaft wird festgehalten, diese erfülle die zwingenden Anforderungen nicht, weil sie die elektromechanischen Anlagen nicht durch einen Partner, sondern durch Subunternehmer bearbeiten lassen wolle. Klar erscheint, dass diejenigen Bewerber, welche die zwingen- den Anforderungen gemäss Ziffer 1.10.1 der Präqualifikationsun- terlagen nicht erfüllen, zur Auftragsausführung nicht geeignet sind. Demgegenüber erachtet die Vergabestelle offensichtlich alle Anbie- ter, welche die zwingenden Anforderungen erfüllen, als geeignet. Sie hat es jedenfalls unterlassen, festzulegen, welches Punktetotal im Minimum erreicht werden musste, um die Eignungsanforderungen zu erfüllen. Aus den dem Verwaltungsgericht zur Verfügung stehenden Unterlagen ergeben sich denn auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vergabebehörde die Eignung der Beschwerdeführerinnen in grundsätzlicher Weise in Frage stellen würde. Die Be- schwerdeführerinnen haben 81.3 Punkte erreicht, also mehr als vier Fünftel des Punktemaximums. Die Eignung zur Auftragsausführung kann ihnen deshalb nicht abgesprochen werden. b) Die Vergabebehörde hat die Anzahl der zur Offerteinreichung zugelassenen Anbieter auf deren drei beschränkt. Die Be- schwerdeführerinnen stellen angesichts der Grösse und der Komple- xität des Projektes Ortskernumfahrung Aarburg mit ausgewiesenen Baukosten in der Grössenordnung von Fr. 80 - 90 Mio. diese Be- schränkung der Teilnehmerzahl für die zweite Vergabephase in 2002 Submissionen 339 Frage. Diese Grösse rechtfertige es, die Anzahl der zur Angebotsan- gabe Einzuladenden angemessen zu erhöhen. c) Zunächst ist festzustellen, dass weder die öffentliche Aus- schreibung noch die Präqualifikationsunterlagen im vorliegenden Fall einen (ausdrücklichen) Hinweis auf die Absicht der Vergabebe- hörde enthalten, die Zahl der zur Angebotsabgabe eingeladenen An- bietenden zu limitieren. In den Präqualifikationsunterlagen sind unter dem Titel "Angabe zur Präqualifikation" die folgenden Hinweise ent- halten: "Für die Ausschreibung der Ingenieurleistungen kommt das selektive Verfahren zur Anwendung. Die Auswahl der Firmen oder Ingenieur- gemeinschaften, die zur Offertstellung eingeladen werden, erfolgt auf Grund einer Bewertung der Präqualifikationsunterlagen, die gemäss dem speziellen Formular für die Bewerbung einzureichen ist. Grundsätzlich steht die Ausschreibung allen Bewerbern mit der spezi- fischen Fachkompetenz in der Projektierung und Bauleitung von Strassentunnels, Strassenbauwerken und elektromechanischen Ein- richtungen und mit den nötigen Kapazitäten offen." Ein Hinweis auf eine Beschränkung der Teilnehmerzahl kann diesen Ausführungen nicht entnommen werden. Sie lassen sich im Gegenteil ohne weiteres dahingehend verstehen, dass alle geeigneten Bewerber an der Ausschreibung teilnehmen und eine Offerte einreichen können. Es stellt sich damit die Frage, ob die Vergabebe- hörde die Anbieterzahl nachträglich überhaupt limitieren durfte. d) Das Vergaberecht des Bundes enthält in Art. 15 Abs. 4 des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen vom 16. Dezember 1994 (BoeB; SR 172.056.1) eine mit § 7 Abs. 2 SubmD und Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB inhaltlich vergleichbare Bestimmung. Die Eidgenössische Rekurskommission für das öffent- liche Beschaffungsrecht (BRK) hat im Zusammenhang mit der mög- lichen Beschränkung der Anbieterzahl nach Massgabe von Art. 15 Abs. 4 BoeB festgehalten, dass grundsätzlich alle Bewerber, welche die in der Ausschreibung angegebenen Eignungskriterien erfüllten, einzuladen seien, ihre Offerte in der zweiten Vergabephase ein- zureichen. Das Gesetz erlaube einzig die Teilnehmerzahl zu be- schränken, wenn sonst die Auftragsvergabe nicht effizient abge- 2002 Verwaltungsgericht 340 wickelt werden könne. Gestützt auf den Grundsatz der Transparenz habe die Vergabebehörde die Absicht zur Beschränkung bereits in der Ausschreibung bekannt zu geben. Fehle eine solche Erwähnung, so sei eine weitergehende Einschränkung grundsätzlich ausgeschlossen. Sie sei nur unter aussergewöhnlichen Umständen zuzulassen, so wenn die Vergabebehörde sich mit einer aussergewöhnlich grossen Anzahl von Bewerbern, welche die Eignungskriterien erfüllten, konfrontiert sehe (Entscheid der BRK vom 26. Mai 1997, in BR 1997, S. 120). e) Weder § 7 Abs. 2 SubmD noch die Anhänge 3, 4 und 5 zum SubmD noch die Bestimmungen des ÜoeB (vgl. insb. Art. IX Ziff. 6 und Art. X Ziff. 1), der IVöB oder der VRöB verlangen ausdrücklich, dass die Vergabebehörde in der öffentlichen Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen ihre Absicht, die Anzahl Teilnehmer im selektiven Verfahren zu limitieren, bekannt gibt. Es stellt sich da- mit die Frage, ob eine Gesetzeslücke oder aber ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers vorliegt. Die BRK geht für die ver- gleichbare bundesrechtliche Regelung (unausgesprochen) vom Be- stehen einer ausfüllungsbedürftigen Lücke aus und füllt diese, indem sie die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Limitierungsabsicht in der öffentlichen Ausschreibung aus dem Grundsatz der Transparenz herleitet (vgl. die Kritik an diesem Vorgehen bei Peter Gauch, in BR 1997, S. 120, Anmerkung zum vorerwähnten Urteil der BRK; ferner Gauch/Stöckli, a.a.O., S. 39 f.). Die einschlägigen Materialien zum Submissionsdekret äussern sich zur Frage, ob die Limitierungsabsicht in der Ausschreibung bekannt gegeben werden muss, nicht. In diesem Zusammenhang ist aber festzustellen, dass § 7 Abs. 2 SubmD in der ursprünglichen Fassung vom 26. November 1996 eine Beschränkung der Anzahl der Anbieter ohnehin nur bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwert von Fr. 500'000.-- für Bauaufträge und Fr. 150'000.-- für Liefer- und Dienstleistungsaufträge zuliess; im Bereich oberhalb dieser Schwellenwerte war eine Beschränkung nicht möglich (vgl. dazu VGE III/28 vom 15. März 1999 [BE.1998.00388] in Sachen T. GmbH und L. AG, S. 11 ff.). Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Schweigen des Dekrets im fraglichen Punkt in dem Sinn, dass der 2002 Submissionen 341 Dekretgeber bewusst keine Bekanntgabe der Limitierungsabsicht verlangen wollte, lassen sich den Materialien (zum ursprünglichen Dekret und zur Revision vom Januar 2000) jedenfalls nicht entneh- men. Mithin erscheint es zulässig, zur Beantwortung der Frage auf die grundlegenden Prinzipien des Vergaberechts zurückzugreifen. Dazu gehören die Förderung des wirksamen Wettbewerbs, das Ver- bot der Diskriminierung (vgl. § 1 Abs. 1 SubmD) und der Grundsatz der Transparenz. Aus diesen Prinzipien, namentlich aus dem Trans- parenzgebot, lässt sich die Verpflichtung der Vergabebehörde, die Beschränkungsabsicht in der öffentlichen Ausschreibung oder aber jedenfalls in den Präqualifikationsunterlagen den Interessenten bekannt zu geben, ohne weiteres ableiten. Einerseits kann es durch- aus im berechtigten Interesse der Bewerber liegen, zu wissen, ob die Vergabestelle beabsichtigt, alle geeigneten Teilnehmer oder nur eine beschränkte Anzahl zur Offertstellung zuzulassen. Die Chancen auf eine Zulassung sind je nach dem unterschiedlich gross. Namentlich bei grösseren und komplexeren Aufträgen, bei denen das selektive Verfahren seinen Hauptanwendungsbereich hat, ist für die Interes- senten bereits das Beibringen der verlangten Präqualifikationsunter- lagen mit erheblichem Aufwand verbunden; unter Umständen kann sogar der Hauptteil des Aufwands bereits auf dieser Stufe des Ver- fahrens anfallen. Die Interessenten müssen sich gegebenenfalls auch bereits in diesem Zeitpunkt zu Bietergemeinschaften zusammen- schliessen, was ebenfalls mit Aufwand verbunden ist. Anderseits wird die Vergabebehörde durch die Bekanntgabe der Anzahl Teil- nehmer, die sie zuzulassen beabsichtigt, gebunden. Dadurch wird z.B. verhindert, dass die Limite durch die Vergabebehörde bewusst so festgesetzt werden kann, um die Teilnahme eines unerwünschten Bewerbers willkürlich zu verhindern. Durch die vorgängige Ankün- digung der Limitierungsabsicht werden mit andern Worten auch Ma- nipulationsmöglichkeiten ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall hat die Vergabebehörde die Limitierungs- absicht weder in der öffentlichen Ausschreibung noch in den Aus- schreibungsunterlagen bekannt gegeben. Die Ausschreibungsun- terlagen legen - wie schon erwähnt - im Gegenteil sogar den Schluss nahe, alle geeigneten Bewerber würden zur Offertstellung eingela- 2002 Verwaltungsgericht 342 den. Insofern erweist sich die nachträgliche Limitierung der Anbie- terzahl als nicht zulässig. Nur mehr am Rande ist darauf hinzuwei- sen, dass in sämtlichen ausserkantonalen Präqualifikationsverfahren, welche das Baudepartement als Beispiele anführt, die Limitierung der Teilnehmerzahl offensichtlich spätestens in den Präqualifikati- onsunterlagen zum Voraus bekannt gegeben wurde. f) Die nachträgliche Beschränkung auf das Minimum von nur drei Anbietern erweist sich im vorliegenden Fall überdies auch sach- lich nicht als gerechtfertigt. Grundsätzlich ist für jede geplante Be- schaffung die grösstmögliche mit einer effizienten Abwicklung der Beschaffung zu vereinbarende Zahl von Anbietern zur Angebotsab- gabe einzuladen (erwähnter VGE in Sachen T. GmbH/L. AG, S. 12; erwähnter Entscheid der BRK in BR 1997, S. 120; Urteil des Ver- waltungsgerichts des Kantons Zürich vom 17. Februar 2000 [VB.1999.00359] E. 3b/bb; Peter Galli / Daniel Lehmann / Peter Rechsteiner, Das öffentliche Beschaffungswesen in der Schweiz, Zü- rich 1996, Rz. 154; Gauch/Stöckli, a.a.O., S. 39). Limitieren kann die Vergabestelle die Teilnehmeranzahl dann, "wenn der Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand für das Vergabeverfahren andernfalls in einem Missverhältnis zum Wert der Leistung stehen würde" (§ 7 Abs. 2 SubmD) bzw. "wenn sonst die Auftragsvergabe nicht effizient abge- wickelt werden kann" (Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB; vgl. auch Art. X Ziff. 1 ÜoeB). Die Beschränkung der Teilnehmerzahl zielt somit in erster Linie darauf ab, den bei der auftraggebenden Amtsstelle an- fallenden Aufwand für die Abwicklung des Vergabeverfahrens in einem tragbaren Rahmen zu halten. Beim Entscheid darüber, ob sich eine Beschränkung der Teilnehmerzahl rechtfertigt, ist einerseits die Komplexität der durchzuführenden Beschaffung, anderseits der Wert des zu vergebenden Auftrags zu berücksichtigen. Je komplexer die Beschaffung und je geringer der Auftragswert, umso eher ist eine Be- schränkung der Teilnehmerzahl gerechtfertigt (Urteil des Verwal- tungsgerichts des Kantons Zürich vom 13. April 2000 [VB.1999.00385], E. 3c/aa mit Hinweis). Die Mindestzahl von drei Anbietern darf nur dann zur Anwendung gelangen, wenn eine grös- sere Zahl von Anbietern eine effiziente Abwicklung der Auftragsver- 2002 Submissionen 343 gabe verunmöglichen würde (Galli/Lehmann/Rechsteiner, a.a.O., Rz. 141; vgl. auch Gauch, in BR 1997, S. 120 mit Hinweisen). Die Vergabebehörde begründet die Limitierung auf drei Anbie- ter in der Vernehmlassung hauptsächlich mit den Kosten, die den betreffenden Planern mit der Erarbeitung einer Offerte entstünden. So wird davon ausgegangen, dass pro Anbieter mit einem Aufwand von Fr. 40'000.-- bis Fr. 75'000.-- gerechnet werden müsse. Würde im Rahmen der 1. Stufe (Präqualifikation) des Submissionsverfah- rens die Anzahl Anbieter nicht eingeschränkt, so würden zusätzliche Gesamtkosten (Aufwände Bewerber und interne Kosten des Baude- partements) von gegen Fr. 500'000.-- entstehen. Dies erscheine der Vergabestelle aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht gerechtfertigt, sondern es entstehe ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Wert der Leistung. Die den einzelnen Anbietern im Zusammenhang mit der Ausar- beitung ihrer Offerten entstehenden Kosten vermögen nun jedoch die Limitierung der Teilnehmerzahl nicht zu rechtfertigen. Die Ver- gabebehörde darf den Kreis der geeigneten Bewerber und damit den Wettbewerb nicht mit dem Argument einschränken, die Anbieter vor Kosten zu bewahren. Der unternehmerische Entscheid darüber, ob er an einem Submissionsverfahren mit einem Angebot teilnehmen und die damit verbundenen Kosten auf sich nehmen will oder nicht, liegt ausschliesslich beim einzelnen Anbieter. Die Beschwerdeführerinnen machen hier völlig zu Recht geltend, dass die Vergabebehörde es im Interesse des freien Wettbewerbs den Bewerbern überlassen müsse, zu entscheiden, ob es für sie wirtschaftlich vertretbar sei oder nicht, eine Offerte einzureichen. Die erwähnte Berechnung des Baudepartements zeigt, dass die Kosten der Vergabestelle selbst im Zusammenhang mit der zweiten Stufe des Vergabeverfahrens keinesfalls sehr erheblich sein können. Von den geschätzten Gesamtkosten von rund Fr. 500'000.-- sind die Kosten der zusätzlichen neun Bewerber von Fr. 40'000.-- bis Fr. 75'000.-- für den Offertaufwand in Abzug zu bringen. Damit ver- bleiben für die Vergabestelle nach ihrer eigenen Schätzung ohne Be- schränkung der Teilnehmerzahl zusätzliche Kosten von höchsten Fr. 140'000.--. Dieser zusätzliche finanzielle Aufwand für das Ver- 2002 Verwaltungsgericht 344 fahren erscheint bei einer Bausumme von Fr. 80 - 90 Mio. ohne wei- teres vertretbar. Im Interesse eines wirksamen Wettbewerbs wäre es im vorliegenden Fall wohl angezeigt gewesen, alle geeigneten Be- werber zur zweiten Verfahrensstufe zuzulassen und diesen die Ent- scheidung darüber, ob sie den mit der Offerterstellung verbundenen Aufwand erbringen wollen oder nicht, zu überlassen. Die Beschrän- kung auf das Minimum von drei zugelassenen Bewerbern jedenfalls lässt sich nicht rechtfertigen; sie verstösst gegen § 7 Abs. 2 SubmD, Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB und Art. X Ziff. 1 ÜoeB.
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2009 Verwaltungsgericht 156 [...] 32 Erschliessungsplanung; Gemeindeautonomie - Die verkehrstechnische Dimensionierung einer Erschliessungsstrasse steht nicht im "freien Ermessen" der Gemeinde. - Bedeutung der "Sockellinie". - Rechtsgrundsätze für die Interessenabwägung. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 30. Juni 2009 in Sachen A.M. gegen den Regierungsrat (WBE.2007.134). Aus den Erwägungen 1. 1.1. Der Erschliessungsplan "Gatterächer" sieht u.a. den teilweisen Ausbau des südlichen Teils der (bestehenden) Haselstrasse auf eine Breite von 5 m vor. Entlang der West- und Nordseite des auszubau- enden Teils soll ein 2 m breites Trottoir, abgetrennt durch einen 1 m breiten Grünstreifen und von 6 Parkplätzen, erstellt werden. An- schliessend sind Trottoir und Haselstrasse rund 83 m ungetrennt ge- führt und die Strasse (ohne Trottoir) geht weiter in eine Ringstrasse, welche in süd- bzw. westlicher und nördlicher Richtung wieder in die Haselstrasse einmündet und ebenfalls eine Breite von 5 m aufweisen soll. Das Trottoir wird demgegenüber als Rad- und Fussweg- verbindung in die Gatterächerstrasse weitergeführt (Erschliessungs- plan "Gatterächer", Situationsplan 1:500, vom Regierungsrat geneh- migt am 14. März 2007). 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 157 1.2. Die im umstrittenen Perimeter des Erschliessungsplans "Gat- terächer" zu erschliessenden Parzellen sind zur Hauptsache den Wohnzonen E2 und anfangs Haselstrasse der W2 und der Dorfzone, zugewiesen. Die Haselstrasse dient auch der Erschliessung des Kin- dergartens in der Zone für öffentliche Bauten (Bauzonenplan vom 5. März 2002 vom Grossen Rat genehmigt [Stand 15. Februar 2005]). 2. 2.1. Der Beschwerdeführer beanstandet die geplante Breite der Ha- sel- und der Ringstrasse von 5 m. Er anerkennt, dass die Breite der Ringstrasse bzw. der Haselstrasse so beschaffen sein müsse, dass die Interessen aller Verkehrsteilnehmer gewahrt seien. Mit einer Breite von 4 m für die Ring- bzw. 4,5 m für die Haselstrasse, wie dies die VSS-Normen maximal vorsähen, sei diesen Interessen genüge getan. Es bedürfe überzeugender Argumente, um von den Normen abzu- weichen. Sowohl der Gemeinderat X. als auch der Regierungsrat, welcher im Übrigen auch keine Ermessensüberprüfung vorgenom- men habe, hätten es unterlassen, eine umfassende Abwägung der beteiligten Interessen vorzunehmen. Im Weiteren sei dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit mangelhaft Rechnung getragen worden. 2.2. Die Gemeinde X. macht geltend, die Schätzung der Fachperson der Abteilung Verkehr des BVU, wonach höchstens 30 Wohnein- heiten zu erschliessen seien, habe sich nur auf die Ring-, nicht auf die Haselstrasse bezogen. Die Haselstrasse werde im Endausbau des Gebiets offensichtlich mehr als 30 Wohneinheiten erschliessen. Die Ringstrasse weise enge Kurven und relativ kurze gerade Teilstücke auf. Ausweich- und Abstellmöglichkeiten für Lastwagen seien keine vorgesehen. Es sei unübersehbar, dass sich in Wohnquartieren - abgesehen von den kommunalen Ver- und Entsorgungsfahrzeugen - mehr und mehr auch Lastwagen bewegten und abgestellt werden müssten, so z.B. Umzugs-, Zuliefer- und Servicefahrzeuge. Im Übri- gen lasse die Zonenordnung auch nicht störendes Gewerbe zu. Zur Breite von 5 m führt der Gemeinderat X. aus, auf Erschlies- 2009 Verwaltungsgericht 158 sungsstrassen sei der Sicherheit der Fussgänger und Radfahrer Vor- rang einzuräumen. Dies sei vorliegend umso mehr geboten, als aus Süden und Osten Fussgängerverbindungen in die Ringstrasse ein- mündeten. Mit zu geringen Erschliessungsstrassenbreiten habe der Gemeinderat X. schlechte Erfahrungen gemacht. 2.3. Der Regierungsrat stützt sich in seinem Beschwerdeentscheid auf die Ausführungen der Gemeinde X. ab, wonach diese mit Stras- senbreiten von 4,5 m schlechte Erfahrungen gemacht habe, den Schutzbedürfnissen der Fussgänger und Fahrradfahrer Rechnung ge- tragen werden solle und sich in unmittelbarer Nähe des streitigen Be- reichs ein Kindergarten befinde. Zudem werde der bestehende Geh- weg entlang der Bahnlinie aufgehoben und durch den neuen Gehweg ersetzt, welcher insbesondere für den Kindergarten und die darin situierte Mütterberatung wichtig sei. Die Ausführungen der Ge- meinde seien nachvollziehbar und in sich schlüssig. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass 5 m breite Strassen zwar zu einer Erhöhung der Geschwindigkeit verleiten könnten, die Anordnung des Erschlies- sungsrings und die Kürze des vom Ausbau betroffenen Teils der Haselstrasse jedoch eine starke Erhöhung der Geschwindigkeiten verhinderten. Insgesamt sei die Erschliessungsplanung im Bereich der Haselstrasse und des Erschliessungsrings zwar als eher gross- zügig einzustufen, die Gemeinde X. habe ihr Ermessen aber nicht überschritten. 3. 3.1. Die Erschliessung hat grundsätzlich im Rahmen von Sondernut- zungsplänen zu erfolgen, damit der Boden umweltschonend, landsparend und wirtschaftlich genutzt wird (§ 33 Abs. 1 BauG; siehe auch § 16 Abs. 1 Satz 1 BauG; Art. 19 Abs. 2 RPG). Der Er- schliessungsplan im Besonderen bezweckt, Lage und Ausdehnung von Erschliessungsanlagen und Bahngleisen festzulegen und das hiezu erforderliche Land auszuscheiden. Erschliessungspläne können Bau-, Strassen-, Niveau- und Leitungslinien sowie Sichtzonen enthalten (§ 17 Abs. 1 und 2 BauG). Sodann können Erschliessungs- pläne mit der Erschliessung zusammenhängende Anordnungen ent- 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 159 halten, insbesondere über die Erstellung von Fuss- und Radweg- verbindungen, über die Gestaltung und Bepflanzung des Strassen- raumes und der Abstellplätze, über Lärmschutzmassnahmen sowie über Ver- und Entsorgungseinrichtungen (§ 1 ABauV i.V.m. § 17 Abs. 4 BauG). Mit der Genehmigung von Erschliessungs- und Ge- staltungsplänen ist das Enteignungsrecht für die darin mit genügen- der Bestimmtheit festgelegten, im öffentlichen Interesse liegenden Werke erteilt (§ 132 Abs. 1 BauG). 3.2. Land ist erschlossen, wenn die für die betreffende Nutzung hin- reichende Zufahrt besteht (Art. 19 Abs. 1 RPG; § 32 Abs. 1 lit. b BauG). Das Erfordernis der genügenden strassenmässigen Erschlies- sung (Art. 19 Abs. 1 RPG; § 32 Abs. 1 lit. b BauG) soll den An- schluss der Bauten an das öffentliche Strassennetz unter ver- kehrs-, feuer-, sicherheits- und gesundheitspolizeilichen sowie raum- planerischen Gesichtspunkten sicherstellen (AGVE 1999, S. 202 mit Hinweisen). Richtschnur für die Beurteilung, ob eine Erschliessung als genügend zu beurteilen ist, bildet der Grundsatz der Verhält- nismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV; § 2 Satz 2 KV; § 3 Abs. 1 aVRPG, wobei die Erschliessungsanforderungen je nach Nutzungszone unter- schiedlich sein können (Peter Hänni, Planungs-, Bau- und besonderes Umweltschutzrecht, 5. Auflage, Bern 2008, S. 269 f.). Einerseits be- stimmt sich die Erschliessung nach der beanspruchten Grundstücks- nutzung, andererseits nach den massgeblichen Umständen des Ein- zelfalls (BGE 116 Ib 159 Erw. 6b; Walter Haller / Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 575). 3.3. Eine Erschliessung hat im Weiteren das in § 33 Abs. 1 Satz 2 BauG festgehaltene Gebot zu beachten, wonach der Boden umwelt- schonend, landsparend und wirtschaftlich zu nutzen ist. Im gleichen Sinne hält § 92 Abs. 1 Satz 1 BauG fest, dass Strassen möglichst flächensparend zu erstellen, zu ändern und zu erneuern sind. 2009 Verwaltungsgericht 160 4. 4.1. Der Massstab für die Anforderungen an die strassenmässige Er- schliessung bestimmt sich im Rahmen der jeweiligen Verkehrsver- hältnisse und des Standes der Strassenbautechnik nach den VSS- Normen (AGVE 2005, S. 203 ff. mit Hinweisen, siehe auch § 92 Abs. 4 BauG i.V.m. § 44a Abs. 1 ABauV). Die VSS-Normen sind je- doch nicht völlig schematisch und stur zu übernehmen; deren An- wendung muss im Einzelfall vor den allgemeinen Rechtsgrundsät- zen, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, stand- halten. Das Erfordernis Land sparender und wirtschaftlicher Lösun- gen lässt Ausnahmen zu (Entscheid des Bundesgerichts vom 26. Oktober 2004 [1P.40/2004], Erw. 3.2.1; AGVE 2005, S. 204; AGVE 1990, S. 251). Da es vorliegend um die Erschliessung eines Wohnquartiers geht, ist mit der Vorinstanz auf die VSS-Norm 640'045 "Strassentyp Erschliessungsstrasse" abzustellen (lit. A Zif- fer 4). Diese unterscheidet zwischen den Typen Quartiererschlies- sungsstrasse, Zufahrtsstrasse und Zufahrtsweg. Die Zufahrtsstrasse ist zur Erschliessung von Siedlungsgebieten in der Grösse bis zu 150 Wohneinheiten oder bei Verkehrsaufkommen gleichwertiger Quellen anzuwenden (lit. C Ziffer 8 Abs. 2); er weist einen oder zwei Fahr- streifen auf, ist in der Regel nicht durchgehend befahrbar, basiert be- züglich Wegbreite auf dem Grundbegegnungsfall Personenwagen/ Personenwagen und kann einen durchschnittlichen stündlichen Ver- kehr von 100 Fahrzeugen verkraften (Tabelle 1). Der Typ Zufahrts- weg ist zur Erschliessung von Siedlungsgebieten in der Grösse bis zu 30 Wohneinheiten anzuwenden (lit. C Ziffer 8 Abs. 5); er weist einen Fahrstreifen auf, ist nicht durchgehend befahrbar, basiert bezüglich der Wegbreite auf dem Grundbegegnungsfall Personenwagen/Fahr- rad und kann einen durchschnittlichen stündlichen Verkehr von 50 Fahrzeugen verkraften (Tabelle 1; AGVE 1999, S. 206 f.). 4.2. Der Ausbau der Haselstrasse mit der geplanten Ringstrasse dient der Erschliessung der Parzellen in der östlichen Hälfte des Er- schliessungsperimeters. Anlässlich der Augenscheinsverhandlung vor der Vorinstanz führte die Fachperson des BVU, Abteilung Verkehr, 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 161 aus, bei der Ringstrasse handle es sich um eine Erschliessungs- strasse. Da nicht mehr als 30 Wohneinheiten erschlossen seien, genü- ge ein Zufahrtsweg mit einer Breite von 3 bis 3,5 m. Laut der Richt- linie müsse aber bei einem Begegnungsfall Personenwagen/Perso- nenwagen (PW/PW) das angrenzende Land, d.h. Land eines Priva- ten, beansprucht werden. Dies sei nicht erwünscht, weshalb von der nächst höheren Strassenkategorie mit 4 bis 4,5 m auszugehen sei. In der Gemeinde X. sei zudem eine Strassenbreite von 4,5 m üblich. Die vorgesehene Breite von 5 m sei ein Grenzfall. Auch der von der Gemeinde X. beauftragte Planer führte aus, östlich der Haselstrasse sei mit etwa 15 zusätzlichen Wohneinheiten zu rechnen, wobei eher nicht mit über 30 Wohneinheiten zu rechnen sei. Der Beschwerde- führer räumt ein, dass die Zufahrt Haselstrasse und die Ringstrasse die Interessen aller Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen habe, sieht aber diese Interessen mit einer Breite von 4 m (Ringstrasse) bzw. 4,5 m (Zufahrt Haselstrasse), wie dies die VSS-Normen maximal vorsehen, als ausreichend gewahrt. 4.3. 4.3.1. Die Verfahrensbeteiligten sind sich mit dem Sachverständigen dahingehend einig, dass im vorliegenden Fall vom Grundbegeg- nungsfall PW/PW auszugehen ist. Das Verwaltungsgericht hat keine Veranlassung von dieser Beurteilung abzuweichen. Die Hasel-, mit der Ringstrasse, ist rund 350 m lang und er- schliesst Wohneinheiten in der Wohnzone E2, welche für den Bau von alleinstehenden Ein-, Zwei- und Doppeleinfamilienhäusern be- stimmt ist und in der auch nichtstörende Betriebe zulässig sind (§ 11 der Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde X. vom 26. Oktober/ 12. Dezember 2000, genehmigt durch den Grossen Rat am 5. März 2002 [BNO]). Der auszubauende Teil der Haselstrasse dient zudem der Erschliessung von Parzellen in der Dorfzone (D) und der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (ÖB), auf der sich der Kinder- garten befindet. Die Dorfzone ist für Wohnbauten, Kleingewerbe, Dienstleistungsbetriebe, Landwirtschaft und öffentliche Dienste be- stimmt. Mässig störende Betriebe werden unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zugelassen (§ 9 Abs. 2 und 3 BNO). Aus den 2009 Verwaltungsgericht 162 Nutzungsbestimmungen der BNO lässt sich nicht zwingend ein Grundbegegnungsfall Lastwagen/Personenwagen (LW/ PW) an- nehmen, zumal nur kleinere Gewerbe- bzw. Dienstleistungsbetriebe zugelassen sind. Es ist daher höchstens mit gelegentlichem Lieferwa- genverkehr zu rechnen und Lastwagenverkehr ist allenfalls im Zu- sammenhang mit der Kehrichtabfuhr oder einem Umzugstransport zu erwarten. Diese seltenen Liefer- oder Lastwagenfahrten können kei- nen Grundbegegnungsfall LW/PW begründen, auch wenn berück- sichtigt wird, dass grosse Fahrzeuge nach der Einfahrt in die Hasel- strasse mangels Wendemöglichkeit über die Ringstrasse ausfahren müssen. Im Gebiet "Gatterächer" ist auf sämtlichen Erschliessungs- strassen, d.h. u.a. auch auf der Hasel- und der Ringstrasse, ein Ge- schwindigkeitslimit von 30 km/h geplant. Zusammenfassend ist sowohl für den auszubauenden Teil der Haselstrasse als auch für die Ringstrasse vom Grundbegegnungsfall PW/PW auszugehen. Eine Erschliessungstrasse, welche im überbau- ten bzw. überbaubaren Abschnitt eine Länge von über 300 m, enge Kurven mit kurzen geraden Abschnitten aufweist, muss gewährleis- ten, dass sich zwei PW gefahrlos kreuzen können. Das Verwaltungsgericht berechnete gestützt auf die VSS-Norm 640'201 in AGVE 1999, S. 208 für den Grundbegegnungsfall von zwei Personenwagen 4,40 m als Mindestbreite, wobei es zum Schluss kam, dass auch 4 m genügen würden, sofern die Seitenfrei- heit gewährleistet sei bzw. der Fahrbahnrand ausgefahren werden könne. Eine unter diesem Mindestmass liegende Breite hielt es in der Regel für nicht verantwortbar. An dieser Rechtsprechung hat das Ver- waltungsgericht auch in neueren Entscheiden festgehalten (AGVE 2005, S. 203 ff.; VGE III/65 vom 21. August 2002 [WBE.2001.389]). Üblich ist für diesen Grundbegegnungsfall eine Strassenbreite von 4,5 m, die auch vom BVU empfohlen wird. Ent- gegen der Ansicht des Beschwerdeführers und der Gemeinde X. be- steht, soweit es um die verkehrstechnische Dimensionierung einer Erschliessungsstrasse nach den VSS-Normen geht, kein "freies" Er- messen der Gemeinde. Abweichungen von den verkehrtechnisch er- forderlichen Strassenbreiten erfordern vielmehr eine sachliche Be- 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 163 gründung und die Abwägung der involvierten Interessen (AGVE 2005, S. 203 f.; siehe auch AGVE 1990, S. 251). 4.3.2. Nach § 111 Abs. 1 lit. c BauG haben Einfriedungen bis 80 cm Höhe gegenüber Gemeindestrassen einen Abstand von 60 cm einzu- halten. Für Einfriedungen von mehr als 80 cm bis zur Höhe von 180 cm und einzelne Bäume beträgt der Abstand vom Strassenmark ge- genüber Gemeindestrassen ebenfalls 60 cm (§ 111 Abs. 1 lit. d BauG). Diese gesetzlichen Abstandsvorschriften haben zur Folge, dass gegenüber der Strasse eine Seitenfreiheit von je 60 cm besteht und eine Mindestbreite der befahrbaren und mit Belag versehenen Verkehrsfläche von 4 m ausreichen würde. Die Strassenabstände können gemäss § 111 Abs. 2 BauG u.a. durch Nutzungspläne erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben werden. Nach dem Erschliessungsplan sind die Strassenlinien gleichzei- tig sogenannte Sockellinien (Legende zum Erschliessungsplan "Gatterächer", Situationsplan 1:500, vom Regierungsrat genehmigt am 14. März 2007). Der Begriff "Sockellinie" ist allerdings weder in der ABauV, noch in den kommunalen Bauvorschriften näher defi- niert. Zum Genehmigungsinhalt des Erschliessungsplanes "Gatter- ächer" gehören nebst den Strassen- und Sockellinien auch Baulinien gemäss § 111 Abs. 1 lit. a BauG (vgl. Erschliessungsplan). Diese Baulinien setzen ausdrücklich den Abstand für Bauten gegenüber der Hasel- und Ringstrasse fest und folgen teilweise den bisherigen Baulinien im aufgehobenen Überbauungsplan "Zelgli/Gatter-Äcker" oder wurden zum Teil neu im Abstand von drei bis vier Metern von der Strassenlinie festgelegt. Die Sockellinien in der Sonder- nutzungsplanung "Gatterächer" haben daher nur die Herabsetzung der Abstandsvorschriften für Einfriedungen und einzelne Bäumen gemäss §§ 111 Abs. 1 lit. c und d BauG zum Inhalt, mit dem Ergeb- nis, dass Einfriedungen und einzelne Bäume gegenüber dem befahr- baren und mit Belag versehenen Strassenraum von 5 m keinen (zu- sätzlichen) Abstand einzuhalten haben. Diese Sockellinien sind somit besondere Baulinien für Einfriedungen und Bäume. Die Möglichkeit neben den klassischen Baulinien, welche den Mindestabstand be- zeichnen, "weitere" Baulinien vorzuschreiben, ist im Baugesetz vor- 2009 Verwaltungsgericht 164 gesehen (§ 18 Abs. 2 BauG) und solche Baulinien können Bestand- teil einer Sondernutzungsplanung sein (§ 17 Abs. 2 und § 111 Abs. 2 BauG). Die Sicherstellung des Strassenraumes mit zusammenfal- lenden Strassen- und Sockellinien für Einfriedungen und Bäume im angefochtenen Erschliessungsplan bedeutet, dass im Perimeter des Erschliessungsplanes "Gatterächer" Einfriedungen und einzelne Bäume an die Strassenlinie gebaut bzw. gepflanzt werden dürfen und die Einhaltung von Abständen gemäss § 111 Abs. 1 lit. c und d BauG die Änderung des Erschliessungsplanes erfordert. Nachdem für Ein- friedungen und einzelne Bäume die gesetzlichen Abstände von 60 cm gegenüber dem Strassenmark der projektierten Hasel- und Ringstrasse nicht eingehalten werden muss, ist - mangels Seitenfrei- heit - verkehrtechnisch eine Strassenbreite von mindestens 4,5 m er- forderlich. 4.4. 4.4.1. Als Begründung für die Strassenbreite von 5 m führt die Ge- meinde X. an, dem Gebot flächensparender Erschliessung gemäss § 92 Abs. 1 BauG stehe die Anweisung des Abs. 2 gegenüber, wo- nach auf Erschliessungsstrassen der Sicherheit der Fussgänger und Radfahrer Vorrang einzuräumen sei. Der Gemeinderat gewichte im Zweifelsfall Letzteres höher. Dies sei im vorliegenden Fall umso mehr geboten, als in die Ringstrasse aus Richtung Süden und Osten auch Fussgängerverbindungen einmündeten. Sodann führt die Ge- meinde an, die ausgeschiedene Ringstrasse weise enge Kurven und relativ kurze gerade Teilstücke auf. Ausweich- und Abstellmöglich- keiten für Lastwagen seien keine vorgesehen. Es sei unübersehbar, dass sich in Wohnquartieren mehr und mehr auch Lastwagen be- wegten und abgestellt werden müssten. 4.4.2. Eine Erschliessungsstrasse hat grundsätzlich eine Vielzahl von Anforderungen zu erfüllen. So muss sie die örtlichen Verhältnisse berücksichtigen und die Verkehrssicherheit aller Benutzer (Fussgän- ger, Radfahrer, Personenwagen, öffentliche Dienste wie Sanität, Feuerwehr, Kehrichtabfuhr) gewährleisten (Haller / Karlen, a.a.O., Rz. 577). Des Weiteren sind die Anforderungen des Natur- und Hei- 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 165 matschutzes, des Umweltschutzes sowie weitere wichtige Anforde- rungen der Raumplanung, insbesondere die haushälterische Boden- nutzung, zu berücksichtigen (Art. 1 und 3 RPG; Art. 11 und 25 USG). Die genannten Erfordernisse können im Einzelfall miteinan- der kollidieren. Da keinem von ihnen ein absoluter Vorrang zu- kommt, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Unter verschie- denen möglichen Varianten ist jene zu wählen, welche unter Berück- sichtigung aller Umstände den Verhältnissen am Besten angepasst ist. Dabei kommt den Gemeinden ein grosser Ermessensspielraum zu (Art. 2 Abs. 3 RPG; zum Ganzen: BGE vom 6. Mai 1993 [1P.115/1992], in: ZBl, S. 91; VGE IV/32 vom 1. September 2005 [WBE.2003.347], S. 15 f.). Das heisst allerdings nicht, dass beliebige Anforderungen gestellt werden dürfen, die Planungsbehörde ist an Gesetz und Recht gebunden (§ 2 Abs. 1 aVRPG). Auch dort, wo eine Norm der rechtsanwendenden Behörde Ermessen einräumt, besteht eine Bindung der Ermessensbetätigung an das Gesetz und die Verfassung (Ulrich Häfelin / Georg Müller / Felix Uhlmann, All- gemeines Verwaltungsrecht, 5. Auflage, Zürich 2006, Rz. 441; AGVE 2005, S. 152; AGVE 2003, S. 190 mit Hinweis). Trotz ihrer durch die Kantonsverfassung begründeten autonomen Stellung müs- sen die Gemeinden die Nutzungsplanung in ihrem Gemeindegebiet daher nach den bundesrechtlichen Grundsätzen und Zielen sowie den kantonalen Vorgaben der Raumplanung ausrichten. Die auch durch Art. 2 Abs. 3 RPG normierte Zurückhaltung verlangt von den Ge- nehmigungs- und Rechtmittelinstanzen nicht, bei Planungsentschei- den der Gemeinden erst einzuschreiten, wenn sich diese als unsach- lich oder unhaltbar erweisen. Korrekturen sind vielmehr schon dann möglich, wenn sich die gemeindeseitig getroffene Lösung auf Grund überkommunaler Interessen als unzweckmässig erweist oder wenn sie den wegleitenden Grundsätzen und Zielen der Raumplanung nicht entspricht oder diesen unzureichend Rechnung trägt (Wald- mann Bernhard / Hänni Peter, Handkommentar Raumplanungsge- setz, Art. 33 N 64 f. mit Hinweisen; BGE 127 II 238 Erw. 3.b.aa; BGE 119 Ia 321 Erw. 5.a). Auch die Genehmigungsbehörde hat die Nutzungsplanung der Gemeinde vollumfänglich, aber differenzie- rend nach Massgabe der Rolle, die sie im betreffenden Sachzusam- 2009 Verwaltungsgericht 166 menhang sachlich und institutionell erfüllt, zu prüfen. Die Über- prüfung hat sich dabei in dem Umfang zurückzuhalten, als es um rein lokale Anliegen und örtlich spezifische Interessen geht und weder überörtliche Interessen noch überwiegende Rechtsschutzanliegen berührt sind (AGVE 1994, S. 369 f.). Im Rechtsschutzverfahren schreibt § 26 BauG eine vollum- fängliche Überprüfung des Planungsentscheides der Gemeinde ein- schliesslich der Ermessenskontrolle vor (Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG; § 26 i.V.m. § 4 Abs. 1 BauG und § 49 aVRPG). Auch die Beschwer- deinstanz ist indessen und insbesondere bei der Beurteilung von kommunalen Interessen zur Zurückhaltung verpflichtet, was bedeu- tet, dass der Gemeinde ihre Gestaltungsfreiheit in der Planung auch im Rechtsmittelverfahren zu belassen ist (Art. 2 Abs. 3 RPG; BGE 121 I 117 Erw. 4.c; BGE 116 Ia 221 Erw. 2; Pierre Tschannen, in: Heinz Aemissegger / Alfred Kuttler / Pierre Moor / Alexander Ruch [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Zürich 1999 [im Folgenden: Kommentar RPG], Art. 2 N 60 f.). Die Gestaltungsfreiheit konkretisiert sich daher bei der Wahl unter meh- reren zur Verfügung stehenden angemessenen Vorkehren und soll grundsätzlich der Gemeinde als nachgeordnete Behörde überlassen bleiben (Art. 2 Abs. 3 RPG). Der Regierungsrat als übergeordnete Behörde darf im Beschwerdeverfahren auch eine unangemessene Lösung der Gemeinde nicht aus ihrem eigenen Ermessen ersetzen, solange sachliche Gründe für den Entscheid der Planungsbehörde vorliegen (Tschannen, a.a.O., Art. 2 N 64; AGVE 1996, S. 307; AGVE 2002, S. 286; VGE IV/67 vom 13. November 2001 [BE.1996.284], S. 15; VGE IV/52 vom 11. Dezember 2002 [WBE.2000.271], S. 33 f.). Entsprechend kann der Planungsentscheid der Gemeinde X. auf Erweiterung der Strassenbreite um 50 cm nicht bereits unter Verweis auf ihre verfassungsrechtlich garantierte Entscheidungsfreiheit sank- tioniert werden. Vielmehr müssen sich sowohl Genehmigungsbehör- de wie auch Beschwerdeinstanz auf der Grundlage der bundes- und kantonalrechtlichen Planungs- und Erschliessungsgrundsätze mit dem Sondernutzungsplan auseinandersetzen und entsprechend ihren 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 167 Funktionen das kommunale Planungsermessen zwar beachten, aber die Rechtmässigkeit der Ermessensbetätigung prüfen. 4.4.3. Zum Vornherein wenig überzeugend ist das Argument der Ge- meinde, der Erschliessungsplan lege die Maximaldimensionierung fest und schaffe einen Planungsspielraum. Zwar trifft es zu, dass über die definitive Strassenbreite erst anhand der konkreten Überbauung und Nutzung definitiv entschieden wird. Der Erschliessungsplan mit den Strassen- und Baulinien verschafft der Gemeinde das Enteig- nungsrecht (§ 132 Abs. 1 BauG) und hat u.a. den Zweck die Ausdeh- nung von Strassen festzulegen und das hierzu erforderliche Land auszuscheiden (§ 17 Abs. 1 BauG). Mit dem Eingriff in das Eigen- tum nicht vereinbar ist daher die Ausscheidung von Land zur Schaffung eines Planungsspielraums. Die Gemeinde führt zur Begründung der Erweiterung der Stras- senbreite ihre (schlechten) Erfahrungen in anderen Quartieren mit Strassenbreiten unter 5 m an. Insbesondere für die Ringstrasse (Schlaufe) wird sodann auf das fehlende Trottoir hingewiesen. Er- gänzend wird angeführt, mit den Fahrbahnbreiten sollen auch die Voraussetzungen für Strassen als "Begegnungszonen" geschaffen werden. Betont wird weiter das Schutzbedürfnis der Fussgänger und Radfahrer, insbesondere zur Erschliessung des Kindergartens und der darin situierten Mütterberatung. 4.4.4. Das Gebiet "Gatterächer" liegt zentral im Siedlungsgebiet der Gemeinde X.. Die Haselstrasse dient in nordsüdlicher Richtung als zentrale Fuss- und Radwegachse für die Schüler aus dem Gebiet "Flüh" und "Zelgli" zu den Schulhäusern "Ländli". Die mit 5 m vor- gesehene Strassenbreite für die Haselstrasse und dem zusätzlichen Trottoir dient auch der Erschliessung des Kindergartens, dabei ist dem erhöhten Schutzbedürfnis der Kinder Rechnung zu tragen. Das Trottoir wurde in der Breite auf 2 m reduziert, weshalb der Fahr- radverkehr auf die Strasse verwiesen wird. Geplant sind auch in Ost- Westrichtung durchgehende Fuss- und Radwege zur Verbindung der östlich an den Perimeter angrenzenden Wohngebiete mit dem Zentrum an der Kantonsstrasse. Diese Argumente sind nachvollzieh- 2009 Verwaltungsgericht 168 bar. Zunächst stellt das Gesetz selber den Grundsatz auf, dass auf Strassen, die vorwiegend der Erschliessung dienen, die verschiede- nen Verkehrsteilnehmer grundsätzlich gemischt werden (§ 92 Abs. 2 Satz 1 BauG). Der Sicherheit der Fussgänger und Radfahrer ist zudem Vorrang einzuräumen (§ 92 Abs. 2 BauG). Im Weiteren erscheint die Annahme, dass mit der Aufhebung des Gehwegs entlang der Bahnlinie, der Fuss- und Fahrradverkehr von den östlichen Wohngebieten vermehrt von der neuen Erschliessung aufgenommen werden muss, nicht abwegig. In zentral gelegenen Wohngebieten besteht auch an der Schaffung von "Begegnungs- zonen" im Interesse der Kinder ein legitimes Interesse. Das Argument der erhöhten Sicherheitsanforderungen der Fussgänger und Radfahrer, rechtfertigt daher die Verbreiterung um 50 cm, auch soweit es um die Ringstrasse geht. Zusätzlich zu berücksichtigen sind hier die Fusswegverbindung, die von der Strasse "Am Bach" in die Ringstrasse führt und auch der Nord-Süd-Verbindung dient, sowie die engen Kurven. Auch wenn die schlechten Erfahrungen der Gemeinde X. im Einsprache- und den Rechtsmittelverfahren nicht substantiiert wurden, bestehen hinreichend sachliche Argumente für eine Verbreiterung um 0,5 m. Der Beschwerdeführer wendet zwar mit Recht ein, dass auch das Interesse an einem Landflächen sparenden und wirtschaftlichen Strassenbau ein gewichtiges öffent- liches Interesse darstellt (§ 92 Abs. 1 BauG). Es ist aber nicht zu beanstanden, dass die Gemeinde X. die Sicherheitsaspekte und die Siedlungsgestaltung im Vergleich zu den in Frage stehenden rund 175 m 2 höher gewichtet. Sie folgt damit bei der Interessenabwägung den Zielvorstellungen des Gesetzgebers (siehe vorne Erw. 4.4.2) und entscheidet mit haltbaren Gründen, wenn sie dem Sicherheits- bedürfnis der Radfahrer und Fussgänger, insbesondere den Kindern, ein relativ starkes Gewicht beimisst. Eine solche Entscheidung muss der Gemeinde X. infolge ihrer Sachnähe, Ortskenntnis, und auch der Gemeindeautonomie zugebilligt werden. Sind solche lokalen Aspek- te von Bedeutung, hat sich die Planprüfung im Beschwerdeverfahren auf die Frage zu beschränken, ob eine angemessene Lösung getroffen wurde (Heinz Aemisegger / Stephan Haag, in: Kommentar RPG, Art. 33 N 61 f.). 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 169 4.4.5. In der Interessenabwägung sind auch die privaten Interessen des Beschwerdeführers und der betroffenen Grundeigentümer einzube- ziehen. Hinsichtlich des Schopfes auf Parzelle Nr. Y. ist festzuhalten, dass dieser selbst bei einer Strassenbreite von 4,5 m und einer Re- duktion der Breite auf dieser Seite der Ringstrasse dem Er- schliessungsvorhaben weichen muss. Gewichtiger erscheint das In- teresse des Beschwerdeführers, soweit die Parzelle Nr. Y. direkt ent- eignungsrechtlich tangiert wird. Die zusätzliche Breite von 50 cm beansprucht eine zusätzliche Fläche von ca. 42 m 2 dieses Grund- stücks bzw. insgesamt von rund 175 m 2 . Das Interesse des Be- schwerdeführers und der übrigen Grundeigentümer ist damit nicht als derart erheblich einzustufen, dass die Gemeinde X. mit der vor- genommenen Interessenabwägung ihr Ermessen überschritten hat.
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2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 105 III. Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 30 Voranfrage i.S.v. § 28 AbauV. - Keine Befangenheit der mit der Voranfrage befassten Behörde im nachfolgenden Baubewilligungsverfahren (Erw. 2.4 und 2.5). - Gegenstand einer Voranfrage (Erw. 2.6). - Keine Pflicht zur öffentlichen Auflage von Voranfrageakten (Erw. 2.7). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 9. August 2007 in Sa- chen H. und Mitbeteiligte gegen Eheleute R. (WBE.2006.173). Aus den Erwägungen Die Beschwerdegegner beabsichtigen den Abbruch ihres Einfa- milienhauses und den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tief- garage auf der Parzelle Nr. 3548. Die Vorinstanz beschreibt das Bauprojekt der Beschwerdegegner zutreffend wie folgt: "Die Parzelle 3548 liegt in der Allmend, im Westen des Gemeindegebietes von Baden. Sie weist eine Fläche von 1'057 m 2 auf und grenzt im Norden an die Rehhalde, im Süden an die Hägeler- strasse und im Osten und Westen unmittelbar an Wohngebiet. Auf dem Grundstück befindet sich gegenwärtig ein Einfamilienhaus (Ge- bäude Nr. 2067), welches von den Eigentümern (Beschwerdegeg- nern) zu Wohnzwecken genutzt wird. Das umstrittene Bauvorhaben umfasst den vollständigen Ab- bruch des Gebäudes 2067 und die Erstellung eines modernen Neu- baus mit Flachdach. Geplant ist ein zweigeschossiges Mehrfamilien- haus (für 5 Wohneinheiten) inkl. Attikageschoss und Tiefgarage. In den unteren beiden Stockwerken sind drei 4 1⁄2 - Zimmer-Wohnungen und eine 3 1⁄2 - Zimmer-Wohnung vorgesehen. Im Attikabereich soll eine grosszügige 5 1⁄2 - Zimmer-Wohnung entstehen, welche von den 2007 Verwaltungsgericht 106 Beschwerdegegnern selbst wiederum zu Wohnzwecken beansprucht wird. Während der Zugang zum Gebäude für Fussgänger von der Rehhalde erfolgt bzw. der Eingangsbereich dort angeordnet ist, wird die verkehrsmässige Erschliessung für PWs über die Hägelerstrasse sichergestellt (Einfahrt Tiefgarage)." 1.2. Das Grundstück der Beschwerdegegner liegt gemäss Bauzonen- plan der Stadt Baden in der Wohnzone W2 (zwei Geschosse). In den Wohnzonen sind neben dem vorgeschriebenen Wohnflächenanteil Läden, Kleingewerbe, Ateliers und dergleichen zulässig, sofern sie nicht stören (§ 12 Abs. 1 der Bau- und Nutzungsordnung der Stadt Baden vom 23. Oktober 2001 / 2. April 2003 [BNO]). Die Vorinstanz hat die Zonenkonformität des geplanten Mehrfamilienhauses festge- stellt; diese wird von den Beschwerdeführern nicht mehr bestritten. 2. 2.1. Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, der Stadtrat Baden habe die Bestimmungen über die Voranfrage verletzt. Sie führen in diesem Zusammenhang aus: Das Bauvorhaben der Beschwerdegeg- ner sei kein zulässiger Gegenstand für eine Anfrage im Sinne von § 28 ABauV, da es sich nicht um ein komplexes und grösseres Bau- vorhaben handle; selbst wenn dem so wäre, hätte sich die Anfrage zumindest auf wichtige Fragen beschränken müssen. Ausserdem sei der Stadtrat bei Erteilung der Baubewilligung voreingenommen ge- wesen. Aus diesen Gründen sei die Baubewilligung aufzuheben. Die Beschwerdeführer kritisieren schliesslich, die vorläufige Stellung- nahme des Stadtrats und die Voranfrage seien nicht öffentlich aufge- legt worden. Die Vorinstanz habe es versäumt zu prüfen, ob der Stadtrat damit gegen § 72 BNO verstossen habe. Sie habe lediglich festgehalten, dass sich die Aufhebung der Baubewilligung allein wegen einer allfälligen Verletzung von § 72 BNO nicht rechtfertigen liesse. Hätten die Beschwerdeführer oder weitere Interessierte bei der Einsicht in die öffentlich aufgelegten Baugesuchsakten festgestellt, dass sich der Stadtrat in der vorläufigen Stellungnahme positiv zum Bauvorhaben gestellt habe, so hätte das durchaus Einfluss auf den weiteren Fortgang der Angelegenheit haben können. Es sei nicht 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 107 auszuschliessen, dass sich weitere Personen mit einer Einsprache gegen das Bauvorhaben gewehrt hätten. Zudem hätte das Gespräch mit der Baukommission und dem Stadtrat gesucht werden können. Letztlich hätte auch das Quartier für das Problem sensibilisiert wer- den können, was zweifellos zu einer Petition o.a. beim Stadtrat ge- führt hätte. Jedenfalls wäre es zu Interventionen gekommen. Das al- les sei durch das heimliche Vorgehen verhindert worden. Die Vorin- stanz hätte die Baubewilligung schon wegen der Verletzung von § 72 BNO aufheben müssen. 2.2. Demgegenüber führen die Beschwerdegegner aus, Sinn und Zweck von § 28 ABauV lägen in einer pragmatischen, bürger- freundlichen Verfahrensabwicklung. In welchem Umfang die Behör- den davon Gebrauch machten, sei Ermessenssache. Nicht nur bei komplexen und grösseren Bauvorhaben, sondern generell sollten Bauherrschaften ihr Bauvorhaben mit den Behörden besprechen. Diese Haltung sei eine Konkretisierung der wirkungsorientierten Verwaltungsführung und stelle keine Verletzung von § 28 ABauV dar. Dass durch diese Zusammenarbeit eine Vorbefassung stattfinde, liege in der Natur der Sache und schade nicht. Die Vorinstanz habe zwar bezüglich einzelner Begründungspunkte eine Gehörsverletzung festgestellt, sie sei aber zur Recht von einer Heilung dieser Mängel im Rechtsmittelverfahren ausgegangen. Zwar habe es die Baubehör- de anfänglich gegenüber den Einsprechern an Transparenz fehlen lassen, doch sei dieser Fehler noch vor Einreichung der Beschwerde beim BVU korrigiert worden. 2.3. Die Vorinstanz erwog im angefochtenen Entscheid, das von den Beschwerdeführern beanstandete Voranfrageverfahren lasse sich ohne weiteres unter § 28 Abs. 2 ABauV subsumieren, sei im Gesetz vorgesehen und grundsätzlich zulässig. Der Frage, welche oder wie viele baurechtlich relevanten Punkte bereits im Voranfrageverfahren geprüft würden, komme eher weniger Bedeutung zu. Dass der Wort- laut der vorläufigen Stellungnahme und der Baubewilligung teilwei- se übereinstimmten, bedeute nicht, dass der Stadtrat eine vorgefasste Meinung gehabt habe. Das Projekt sei im Einspracheverfahren erneut 2007 Verwaltungsgericht 108 detailliert geprüft und auch die Einsprachen seien (zumindest teilwei- se) in die Beurteilung einbezogen worden. Inhaltlich gehe die Baube- willigung auch über den Gegenstand der Voranfrage hinaus. Es be- stünden keine genügenden Anhaltspunkte für eine Voreingenommen- heit des Stadtrates. Es bestehe grundsätzlich keine Pflicht, allfällige vorläufige Stel- lungnahmen der Behörden im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben zu publizieren und öffentlich aufzulegen. Dennoch könne betroffe- nen Dritten ein gewisses Interesse, von behördlichen Stellungnahmen zu Bauprojekten Kenntnis zu erhalten, nicht abgesprochen werden. Das gelte selbst dann, wenn die behördliche Stellungnahme unver- bindlich sei. Auch unter dem Gesichtspunkt der "Waffengleichheit" empfehle es sich, derartige Unterlagen ebenfalls öffentlich aufzule- gen, werde doch allfälligen Einsprechern so die Möglichkeit gege- ben, vor Einreichen einer Einsprache denselben Wissensstand zu er- langen wie die Bauherrschaft. Dies müsse umso mehr gelten, wenn eine Gemeinde, wie vorliegend die Stadt Baden, die transparente Verfahrensabwicklung als Grundsatz explizit in ihrer BNO nenne. In- des könne nicht ernsthaft behauptet werden, dass den Beschwerde- führern ein nicht wiedergutzumachender Nachteil entstanden sei. Selbst im Falle einer Verletzung von § 72 BNO liesse es sich nicht rechtfertigen, die Baubewilligung allein aus diesem Grund aufzuhe- ben. 2.4. (...) 2.5. Eine Befangenheit kann sich aus Gründen ergeben, die im Ge- setz angelegt sind (Erw. 2.5.1.-2.5.3.), oder aus besonderen Fallum- ständen (Erw. 2.5.4.). 2.5.1. Nach § 62 BauG kann der Gemeinderat um einen Vorentscheid über wichtige Bau- und Nutzungsfragen ersucht werden (Abs. 1). Der Vorentscheid ist im gleichen Verfahren zu treffen wie der Ent- scheid über das Baugesuch (Abs. 2). Beim Vorentscheid im Sinn von § 62 BauG handelt es sich um einen Teilentscheid über einzelne, konkrete, wichtige Aspekte eines Projekts (AGVE 2005, S. 542 mit 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 109 Hinw.). Da er im gleichen Verfahren zu erteilen ist wie der Entscheid über das Baugesuch, ist er grundsätzlich auch für Dritte rechtsver- bindlich. Von diesem Vorentscheid ist die Auskunft zu unterscheiden, welche die Baubewilligungsbehörde auf eine Voranfrage hin erteilt (vgl. zu dieser Unterscheidung Protokoll der Spezialkommission Baugesetzrevision, Sitzung vom 24. Oktober 1991, S. 443 f., Votum Regierungsrat Pfisterer). Mit der Auskunft befasst sich § 28 ABauV. Diese Bestimmung lautet: "Beratung und 1 Die am Verfahren beteiligten Privaten und Behörden Zusammenarbeit arbeiten zusammen. (§ 60 BauG) 2 Im Interesse einer zügigen Verfahrensabwicklung und der Koordination können der Gemeinderat, sowie für kantonale und eidgenössische Bewilligungen und Zustimmungen die kantonale Koordinationsstelle, vor Einreichung von Gesuchen für komplexe und grössere Bauvorhaben um unverbindliche Auskünfte und Stel- lungnahmen ersucht werden. Dies gilt namentlich für Gewerbe- und Industriebauten, Arealüberbauungen, Bauten ausserhalb der Bauzonen und für Vorhaben, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterstehen. 3 Diese Beratung bezieht sich insbesondere auf wichti- ge Fragen zur Zulässigkeit des Vorhabens, die Ge- suchsunterlagen und die Verfahrensabläufe. Die Ge- suchsteller können die Mitwirkung der Behörde bei der Ausarbeitung eines Ablaufprogramms verlangen. 4 Die Einreichung eines Gesuches verpflichtet zur Zu- sammenarbeit mit den Bewilligungsbehörden, insbe- sondere dazu, die erforderlichen Angaben und Unterla- gen einzureichen und an einer beförderlichen und ko- ordinierten Behandlung des Gesuches mitzuwirken. Dies hilft mit, Verzögerungen zu vermeiden." 2007 Verwaltungsgericht 110 Sowohl das Vorentscheid- als auch das Voranfrageverfahren dienen dazu, wichtige Vorfragen vorweg abzuklären, bevor dem Bau- herrn bedeutender Aufwand für Projektierung und Umtriebe entste- hen (für das Vorentscheidverfahren AGVE 1996, S. 509; 1981, S. 210; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Feb- ruar 1971, 2. Aufl., Aarau 1985, § 152 N 9). Im Gegensatz zum Vor- entscheid fehlt der Auskunft aber die rechtliche Verbindlichkeit, wie schon aus dem Wortlaut von § 28 Abs. 2 ABauV hervorgeht. Der Grund liegt darin, dass Dritte in das Voranfrageverfahren nicht einbe- zogen werden. Es handelt sich somit bei der Auskunft lediglich um eine vorläufige (nicht bindende) Stellungnahme. 2.5.2. Wird die Baubewilligungsbehörde vor der Einleitung eines Bau- bewilligungsverfahrens um Auskunft ersucht, führt dies im nachfol- genden Baubewilligungsverfahren systembedingt zu einer Vorbefas- sung. Der Zweck der mehrfachen Befassung liegt hier gerade darin, eine einheitliche Beurteilung zu ermöglichen. Ob in dieser Vorbefas- sung ein Ausstandsgrund zu erblicken ist, beurteilt sich nach dem kantonalen Recht (Ziff. 2.5.2.1.) und den aus Art. 29 BV herzuleiten- den Grundsätzen (Ziff. 2.5.2.2.). 2.5.2.1. § 5 VPRG regelt die Frage des Ausstandes wie folgt: "2. Ausstand 1 Behördemitglieder und Sachbearbeiter dürfen beim Erlass von Verfügungen und Entscheiden nicht mitwirken, wenn ein Ausstandsgrund im Sinne der Zivilprozessordnung vorliegt. 2 Sie haben sich insbesondere in Ausstand zu begeben, wenn sie selbst oder ihnen nahe verbundene Personen an der Ver- fügung oder dem Entscheid persönlich interessiert sind, sowie in Angelegenheiten von juristischen Personen, deren Verwal- tung sie oder ihnen nahe verbundene Personen angehören, ferner wenn sie in der Sache schon in einer untern Instanz, oder als Berater oder Vertreter eines Beteiligten mitgewirkt haben. 3 Wird die Verfügung einer Regierungsdirektion [heute: De- 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 111 partement] beim Regierungsrat angefochten, hat der betref- fende Direktionsvorsteher [heute: Departementsvorsteher] be- ratende Stimme. " Der in § 5 Abs. 2 VRPG geregelte Ausstandsgrund der Vorbe- fassung kann sich nur aktualisieren, wenn einzelne Behörden- mitglieder in der gleichen Sache schon in einer unteren Instanz mitgewirkt haben bzw. wenn ein Behördenmitglied auf zwei hierar- chisch unterschiedlichen Verfahrensstufen tätig war (vgl. auch AGVE 2000, S. 394). Das trifft vorliegend nicht zu. Auf Grund der bloss beispielhaften Aufzählung in § 5 Abs. 2 VRPG und des Verwei- ses in § 5 Abs. 1 VRPG ist jedoch anzunehmen, dass sich ein Behör- denmitglied auch dann in den Ausstand zu begeben hat, wenn andere Umstände vorliegen, die es als befangen erscheinen lassen (§ 5 Abs. 1 VRPG i.V.m. § 3 lit. c ZPO). Es stellt sich somit die grundlegende Frage, ob Behördenmitglieder, die eine Auskunft erteilen oder eine Meinungsäusserung abgeben, damit automatisch für den eigentlichen formellen und anfechtbaren Entscheid als befangen zu betrachten sind. Bis anhin wurde die Zulässigkeit behördlicher Auskünfte von Lehre und Praxis auch unter diesem Gesichtspunkt nie in Frage gestellt. Die Möglichkeit der Voranfrage wird sogar befürwortet, weil sie im Interesse der Verfahrensökono- mie und der bürgernahen Verwaltung liegt. Eine solche Vorbefassung wird erst dann als kritisch eingestuft, wenn ausserhalb eines Baube- willigungsverfahrens und somit unter Ausschluss der an diesem Ver- fahren zu beteiligenden Dritten Zusagen abgegeben werden, die ge- eignet sind, beim Adressaten eine Vertrauensposition zu schaffen, so dass sich dieser im nachfolgenden Baubewilligungsverfahren ver- anlasst sieht, sich auf die Verbindlichkeit der Zusage zu berufen. Auch wenn eine solche Zusage für nicht einbezogene Dritte keine verbindliche Wirkung entfalten kann, so dürfte sie doch die Behörde im nachfolgenden Baubewilligungsverfahren als voreingenommen erscheinen lassen BVR 1992, S. 219 f.). Eine solche vertrauens- begründende Zusage ist aber im konkreten Fall nicht erteilt worden. Vielmehr hat der Stadtrat in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2004 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um eine 2007 Verwaltungsgericht 112 vorläufige Stellungnahme handelt. Er hat zudem Änderungen der Rechtsverhältnisse, allfällige berechtigte Einsprachen Dritter sowie die Bedingungen und Auflagen der Baubewilligung ausdrücklich vorbehalten. Nachdem auch keine anderen Umstände vorliegen, die den Vorwurf der Befangenheit untermauern könnten, liegt kein Ausstandsgrund nach kantonalem Prozessrecht vor. 2.5.2.2. Zu prüfen bleibt, ob sich aus dem Bundesrecht eine Ausstands- pflicht ergibt. Während die Ausstandspflicht richterlicher Behörden nach Art. 30 Abs. 1 BV zu beurteilen ist, richtet sich diejenige von Verwaltungsbehörden nach Art. 29 Abs. 1 BV (BGE 127 I 198). Nach den in dieser Bestimmung verankerten "Allgemeinen Verfah- rensgarantien" hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Ver- waltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. Aus dieser Bestim- mung lässt sich für den Fall einer (relevanten) Vorbefassung eine Ausstandspflicht von Verwaltungsbehörden ableiten. Neuere Ent- scheide des Bundesgerichts deuten zudem darauf hin, dass es die Grundsätze über die Vorbefassung von Richtern auch auf Entscheid- träger der Verwaltung anwenden will, die vornehmlich oder aus- schliesslich Rechtsprechungsfunktionen wahrnehmen (vgl. BGE 125 I 119 ff. = Pra 88/1999, S. 867 ff.; vgl. auch Benjamin Schindler, Die Befangenheit der Verwaltung, Der Ausstand von Entscheidträgern der Verwaltung im Staats- und Verwaltungsrecht von Bund und Kan- tonen, Diss. Zürich 2002, S. 144 f. mit Hinw.). Es ergibt sich somit für das verwaltungsinterne und -externe Verfahren ein vergleichbarer Anspruch auf Ausstand vorbefasster Entscheidträger (Schindler, a.a.O., S. 145). Allerdings ist davon auszugehen, dass in der verwal- tungsinternen Rechtspflege nicht die gleich strengen Massstäbe gel- ten wie in Verfahren vor verwaltungsunabhängigen Organen (AGVE 2000, S. 394 f. mit Hinw.). Es liegt in der Natur der Sache, dass die verwaltungsinterne Rechtspflege nicht die gleichen prozessualen Ga- rantien zu bieten vermag wie die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte. Gerade solche systembedingten Unzulänglichkeiten des verwaltungsinternen Rechtsschutzes haben zur Schaffung unabhängi- 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 113 ger Verwaltungsgerichte geführt (BGE vom 8. September 2000 [5P.284/2000], Erw. 3b mit Hinw.). Nach der in Art. 30 Abs. 1 BV enthaltenen Garantie des verfas- sungsmässigen Richters hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbe- fangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände ent- schieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenhei- ten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt. Solche Umstände können auch in funktionellen oder organi- satorischen Gegebenheiten begründet sein. Bei der Beurteilung der Umstände, welche die Gefahr der Voreingenommenheit schaffen, kann nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abgestellt wer- den; das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Ob sich ein Richter durch seine Mitwirkung an früheren Entscheidungen in einzelnen Punkten bereits in einem Mass festgelegt hat, das ihn als voreingenommen und das Verfahren als nicht mehr offen erscheinen lassen, kann nicht generell gesagt werden. Es ist nach der Rechtsprechung vielmehr in jedem Einzelfall zu untersuchen, ob die konkret zu entscheidende Rechtsfrage trotz Vorbefassung als offen erscheint (BGE 126 I 73 mit Hinw.; BGE vom 25. Oktober 2004 [4P.83/2004], Erw. 1.2). Vorliegend konnte der Stadtrat Baden auf die Anfrage der Bau- herrschaft hin von Gesetzes wegen nur eine unverbindliche Auskunft erteilen (vgl. § 28 Abs. 2 ABauV). Der Stadtrat hielt ausserdem in seiner Auskunft explizit fest, dass es sich um eine vorläufige Beurtei- lung handelt. Ausserdem verknüpfte er die Auskunft namentlich mit dem Vorbehalt allfälliger berechtigter Einsprachen Dritter und mit den im Baubewilligungsverfahren anzuordnenden Bedingungen und Auflagen. Damit war der Inhalt der Baubewilligung trotz Voranfrage weiterhin offen, weshalb auch keine verfassungswidrige Vorbefas- sung vorliegt. In solchen Fällen kann von der Baubewilligungsbehör- de erwartet werden, dass sie ihre Beurteilung des Bauvorhabens bei begründeten Einwendungen Dritter im Verlauf des Verfahrens revi- diert und das Baugesuch trotz der vorgängig erteilten (unverbindli- chen) Auskunft objektiv und unparteiisch beurteilt. 2007 Verwaltungsgericht 114 2.5.3. (Befangenheit als Folge besonderer Fallumständen verneint). 2.5.4. Es kann somit weder aus Gründen, die im Gesetz angelegt sind, noch aus besonderen Fallumständen auf eine Befangenheit des Stadt- rats Baden geschlossen werden. Der Einwand der Beschwerdeführer erweist sich als unbegründet. 2.6. Es bleibt zu untersuchen, ob die Voranfrage im konkreten Fall den Rahmen des Zulässigen gesprengt hat oder nicht. Nach § 28 Abs. 2 ABauV kann "vor Einreichung von Gesuchen für komplexe und grössere Bauvorhaben um unverbindliche Auskünfte und Stellungnahmen ersucht werden". Es stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber mit der Beschränkung der Voranfrage auf "komplexe und grössere Bauvorhaben" die Gefahr der Vorbefassung eindämmen wollte, wie dies die Beschwerdeführer behaupten. Das ist zu verneinen. Hätte der Gesetzgeber mit dieser Beschränkung die Gefahr der Vorbefassung minimieren wollen, hätte er das Voranfra- geverfahren nicht nach der Grösse und Komplexität des Bauvor- habens, sondern nach der Bedeutung der Frage eingrenzen müssen, die dem vorfrageweise unterbreiteten Punkt für die Bewilligungsfä- higkeit des Bauvorhabens zukommt. Er hätte in diesem Fall Fragen, die für die Bewilligungsfähigkeit des Bauvorhabens von entschei- dender Bedeutung sind, von der Möglichkeit der Voranfrage ausneh- men müssen, und zwar auch bei kleinen und einfachen Projekten. Grösse und Komplexität eines Bauvorhabens haben keine Auswir- kungen auf das Ausmass der Vorbefassung. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Einschränkung nach Grösse und Komplexität nicht der Vorbefassung entgegen wirken, sondern der Beurteilung des Rechtsschutzinteresses an der Voranfrage dienen soll. Während der Bauherr bei Bauvorhaben mit grossem Projektie- rungsaufwand ein erhebliches Interesse hat, gewisse Fragen noch vor dem Ausarbeiten der Baugesuchsunterlagen abzuklären (vgl. für den Vorentscheid Zimmerlin, a.a.O., § 152 N 10), ist ihm bei leicht projektier- und beurteilbaren Bagatellprojekten im Allgemeinen die direkte Einreichung eines Baugesuchs ohne Voranfrage zumutbar. In 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 115 diesem Fall soll die Verwaltung nicht mit unnötigen Voranfragen belastet werden, so dass dem Bauherrn das erforderliche Rechts- schutzinteresse an der Beantwortung der Voranfrage abzusprechen ist. Im konkreten Fall zeigen jedoch schon die zahlreichen Argumen- te der Beschwerdeführer, welche diese gegen die Bewilligungsfähig- keit des Bauvorhabens vorbringen, dass es sich nicht um ein leicht beurteilbares Bagatellprojekt handelt. § 28 Abs. 3 ABauV, wonach sich die Beratung insbesondere auf wichtige Fragen zur Zulässigkeit des Vorhabens, die Gesuchsun- terlagen und die Verfahrensabläufe bezieht, beschränkt die Zulässig- keit der Voranfrage wohl ebenfalls nur unter dem Aspekt des Rechts- schutzinteresses. Ob es sich tatsächlich so verhält, kann jedoch offen bleiben, weil die in der Voranfrage thematisierten Punkte im konkre- ten Fall ohnehin nicht als unwichtig bezeichnet werden können. 2.7. Es bleibt zu erörtern, ob die Baubewilligungsbehörde auch die Voranfrage-Akten hätte öffentlich auflegen müssen. 2.7.1. Nach § 60 Abs. 2 BauG wird das Baugesuch vom Gemeinderat veröffentlicht und bei Vorhaben, die nicht der Umweltverträglich- keitsprüfung unterliegen, während 20 Tagen öffentlich aufgelegt. Welche Angaben zu publizieren sind, hat der Gesetzgeber auf der Verordnungsstufe geregelt (§ 35 Abs. 3 ABauV). Danach sind fol- gende Angaben zu veröffentlichen bzw. nicht ortsansässigen An- stössern schriftlich mitzuteilen: Name und Adresse der Gesuchsteller, Lage des Baugrundstücks, Umschreibung des Vorhabens, Gesuche für weitere Bewilligungen und Zustimmungen kantonaler oder eidge- nössischer Behörden und Ort sowie Zeit der öffentlichen Auflage, Einsprachemöglichkeit, Einsprachestelle, Einsprachefrist und formel- le Anforderungen an Einsprachen. Dagegen wird der Umfang der Auflage auch auf der Verordnungsstufe nicht näher umschrieben. 2.7.2. Die Publikation und die öffentliche Auflage bilden wichtige Mittel, durch das Nachbarn und weitere Interessenten von einem Bauvorhaben Kenntnis und damit Gelegenheit erhalten, sich durch eine Einsprache zu wehren. Die Einsprache dient der formalisierten 2007 Verwaltungsgericht 116 Gewährung des rechtlichen Gehörs. An diesem Zweck hat sich auch die Antwort auf die Frage auszurichten, welche Akten zu publizieren und öffentlich aufzulegen sind. Publikation und öffentliche Auflage müssen die zur Einsprache legitimierten Personen in die Lage verset- zen, sich in Kenntnis aller wesentlicher Sachumstände gegen das Bauvorhaben wehren zu können. Während sich der Gegenstand der Publikation schon aus praktischen Gründen beschränken muss, be- steht im Allgemeinen kein Anlass, den Umfang der aufzulegenden Baugesuchsakten einzugrenzen. Nach dem Wortlaut von § 60 Abs. 2 BauG wird das "Baugesuch" (d.h. mit all seinen Bestandteilen) öffentlich aufgelegt. Aus dem Wortlaut von § 60 Abs. 2 BauG lässt sich hingegen keine Rechtspflicht der Baubewilligungsbehörde ablei- ten, Vorakten zum Baugesuch (wie Voranfragen und behördliche Auskünfte) öffentlich aufzulegen. Eine solche Pflicht folgt auch nicht aus Sinn und Zweck der öffentlichen Auflage. Der Grund liegt darin, dass sich die Einsprache nach der Konzeption des Gesetzes nicht gegen einen behördlichen Entscheid richtet (der in diesem Ver- fahrensstadium noch gar nicht vorliegt), sondern gegen das Bauvorhaben. Die Angaben zu diesem sind im Baugesuch enthalten, weshalb die Baugesuchsakten dem legitimierten Nachbarn eine ge- nügende Grundlage bieten, um von der Möglichkeit der Einsprache bestimmungsgemäss Gebrauch zu machen. Um sich gegen das Bauvorhaben wehren und seine Interessen im Einspracheverfahren adäquat wahren zu können, bedarf er keiner Kenntnisse über Voran- fragen und über unverbindliche Auskünfte der Behörden im Sinn von § 28 Abs. 2 ABauV. Nachdem sich die Baubewilligungsbehörde im Entscheid über das Baugesuch trotz vorläufiger Stellungnahme bzw. unverbindlicher Auskunft im Sinn von § 28 ABauV zu sämtlichen relevanten Punkten zu äussern und ihre Haltung zu begründen hat, erleidet der Einsprecher bei Unkenntnis über Vorakten der erwähnten Art auch für den weiteren Verlauf des Verfahrens keinen Rechts- nachteil. Der Einspracheentscheid bzw. der Entscheid über die Bau- bewilligung eröffnet ihm die Möglichkeit, sich gegen die Beurteilung der Baubewilligungsbehörde zu wehren. Mit der Vorinstanz ist daher davon auszugehen, dass keine Rechtspflicht besteht, Voranfragen und vorläufige Stellungnahmen zu solchen öffentlich aufzulegen. Etwas 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 117 anderes kann auch nicht aus dem Grundsatz der "Waffengleichheit" abgeleitet werden. Da sich die Einsprache gegen ein Bauvorhaben und nicht gegen einen behördlichen Entscheid richtet, wirkt sich die Nichtauflage der Voranfrageakten nicht auf die Chancengleichheit der Parteien im Einspracheverfahren aus. Der Grundsatz der Waffen- gleichheit wird aber möglicherweise dann tangiert, wenn die vorläu- fige Stellungnahme zur Voranfrage über die Begründung im nachfol- genden Baubewilligungsentscheid hinausgeht. Alsdann bestünde die Gefahr, dass sich der unterschiedliche Wissenstand des Bauherrn und des Dritten im Beschwerdeverfahren zum Nachteil des Zweitgenann- ten auswirkt. Diese Gefahr hat sich jedoch im konkreten Fall nicht verwirklicht, haben die Beschwerdeführer doch noch im Einspra- cheverfahren von der Voranfrage und der vorläufigen Stellungnahme Kenntnis erhalten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer lässt sich auch aus § 72 BNO keine Pflicht ableiten, Voranfragen und vorläufige Stellungnahmen zu solchen öffentlich aufzulegen. § 72 BNO ist als Zielnorm konzipiert. Sie nennt lediglich Zielvorstellungen für das Baubewilligungsverfahren, ohne konkrete Verhaltenspflichten zu be- gründen. Als zielbestimmte Vorschrift kommt sie deshalb nicht allei- ne zur Anwendung, sondern nur (aber immerhin) bei der Anwendung und Auslegung anderer Normen. § 72 BNO bezieht sich sodann auf Grund seines Wortlauts und der systematischen Stellung auf das Baubewilligungsverfahren. Sie ist nicht auf das Voranfrageverfahren zugeschnitten, das dem Baubewilligungsverfahren zeitlich vorgela- gert und in der BNO selber nicht geregelt ist. (Hinweis: Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.)
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AG_VG_001
AG_VG
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AG_VG_001_AGVE-2007-30_2007-08-03
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2004 Kantonale Steuern 135 [...] 36 Korrekturveranlagung (Rektifikat). - Eine während laufendem Einspracheverfahren erfolgende neue Ver- anlagung (Korrekturveranlagung, Rektifikat) ist nach Ablauf der Rechtsmittelfrist auch für die Steuerbehörden verbindlich. - Gegen eine äusserlich als Veranlagung der Gemeindesteuerkommis- sion erscheinende Veranlagung können die Steuerbehörden nicht nachträglich einwenden, sie sei vom Gemeindesteueramt eigenmäch- tig erlassen worden und basiere nicht auf einem entsprechenden Be- schluss der Steuerkommission. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 4. März 2004 in Sa- chen A.W. gegen Steuerrekursgericht. Aus den Erwägungen 2. Streitig ist die Bedeutung der Korrekturveranlagung vom 18. Januar 2001. 2004 Verwaltungsgericht 136 a) aa) Die Beschwerdeführer bringen vor, damit sei die ur- sprüngliche Veranlagung vom 20. Dezember 1995 aufgehoben und das Verfahren abgeschlossen worden. ... Es sei keinesfalls unüblich, dass bei Gutheissung einer Einsprache lediglich eine Korrekturver- anlagung (Rektifikat) anstelle eines formellen Einspracheentscheids - dem sie inhaltlich gleichkomme - zugestellt werde. Der Steuer- pflichtige müsse sich darauf verlassen dürfen, dass es sich dabei um eine gültige neue Veranlagung handle. bb) Das Regionale Steueramt X. als zuständiges Gemeindesteu- eramt hat im Rekursverfahren zur Erklärung ausgeführt, nach Inter- ventionen der Beschwerdeführer sei entgegenkommenderweise "die Steuerrechnung der Veranlagung Liquidationsgewinn 1993 momen- tan sistiert (worden), damit die Zinspflicht nicht weiterläuft, da der Pflichtige sich weigerte die definitive Rechnung in der Höhe von Fr. 156'430.-- trotz Gesetzgebung zu begleichen". Zu diesem Zeitpunkt sei der Ausgang des Einspracheverfahrens noch ungewiss gewesen. Es sei den Beschwerdeführern und insbesondere ihrem Vertreter bewusst gewesen, "dass dieser durch das Steueramt vorgenommene Akt keine Behandlung der Einsprache war, sondern unter anderem lediglich ein Entgegenkommen seitens der Amtsstelle. Die Zustellung der diesbezüglichen Korrektur erfolgte lediglich an den Pflichtigen zur Kenntnisnahme." Der Einspracheentscheid sei erst später erfolgt und korrekt eröffnet worden. cc) Das KStA vertritt die Auffassung, bei der "korrigierten Rechnung" vom 18. Januar 2001 könne es sich nicht um einen Ein- spracheentscheid handeln, denn zu jenem Zeitpunkt habe es an einem entsprechenden Entscheid der Steuerkommission Y. gefehlt, und die Formalien eines Einspracheentscheides gingen der Rechnung ab. In der Praxis würden in Ausnahmefällen Einsprachen auf dem Rektifikatswege (mit Korrekturveranlagung) erledigt. Dabei korri- giere das Gemeindesteueramt die im Einspracheverfahren beanstan- deten Faktoren entsprechend dem Einsprachebegehren oder dem Ergebnis aus der Korrespondenz oder der Besprechung mit der steu- erpflichtigen Person von sich aus, ohne dass hierüber die Ge- samtsteuerkommission einen förmlichen Beschluss fasse. Die Steu- erkommission und der (in der Regel zuvor orientierte) kantonale 2004 Kantonale Steuern 137 Steuerkommissär billigten dieses Verfahren stillschweigend, das grundsätzlich nur zur Anwendung komme, wenn aufgrund einer Einsprache eine Verhandlung zu einem übereinstimmenden Ergebnis geführt habe oder die Veranlagung mit einem offensichtlichen Fehler behaftet sei. Bei grösseren Differenzen, die nicht auf dem Verhand- lungsweg bereinigt werden könnten, erfolge nie eine Korrekturver- anlagung. dd) Das Steuerrekursgericht hat im angefochtenen Entscheid ausgeführt, das Einspracheverfahren sei durch einen Einspracheent- scheid abzuschliessen, und dass die Korrekturveranlagung keinen solchen darstelle, sei schon äusserlich klar erkennbar, zumal sie kei- nen Hinweis auf das Einspracheverfahren enthalte. Zwar komme es in der Praxis vor, dass statt eines förmlichen Einspracheentscheids ein sog. Rektifikat erlassen werde; diese im StG nicht vorgesehene Erledigungsart werde aber nur angewendet, wo sich die Steuerbe- hörde und der Steuerpflichtige über die Einspracheerledigung einig seien. Auch wenn die Zustellung der Verfügung vom 18. Januar 2001 etwas problematisch erscheine, könne ihr nicht die Bedeutung eines Einspracheentscheids beigemessen werden. b) Einem Entscheid des Verwaltungsgerichts im Jahre 2001 lag der Sachverhalt zugrunde, dass das Gemeindesteueramt gestützt auf einen gutheissenden Rekursentscheid die sich daraus ergebende neue Veranlagung eröffnet hatte, während noch die Beschwerdefrist lief. Das KStA führte etwas später Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Änderung des Rekursentscheids; die neue Veranla- gung ihrerseits blieb unangefochten und erwuchs in formelle Rechts- kraft. Das Verwaltungsgericht entschied, da es sich bei der neuen Veranlagung nach Text und Erscheinungsbild um eine Veranlagung der Steuerkommission handle, müssten sich die Steuerbehörden hier- bei behaften lassen und seien gehindert, geltend zu machen, die Steuerkommission habe gar keinen entsprechenden Beschluss ge- fasst, vielmehr habe das Gemeindesteueramt eigenmächtig gehan- delt. Wenn zwecks Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit die Ver- anlagungen, anders als die Einspracheentscheide, ohne Unterzeich- nung gültig seien, werde es dem Steuerpflichtigen verunmöglicht, zu erkennen, ob ein (durch die Unterschrift des Steuerkommissionsprä- 2004 Verwaltungsgericht 138 sidenten bekräftigter) Beschluss der Steuerkommission existiere. Die dadurch geschaffene Unsicherheit dürfe nicht zu Lasten des Steuer- pflichtigen gehen. Die Veranlagungsverfügung sei nicht nichtig, selbst wenn sie tatsächlich nicht auf einem Beschluss der zuständi- gen Steuerkommission beruhe, da der Mangel weder offensichtlich noch leicht erkennbar sei und zudem überwiegende Rechtssicher- heitsinteressen dagegen sprächen. Bei einer Gutheissung der Ver- waltungsgerichtsbeschwerde entstünde ein unerträglicher Wider- spruch zwischen dem (noch auf der ursprünglichen Veranlagung basierenden) Entscheid des Verwaltungsgerichts und der rechtskräf- tigen neuen Veranlagung. Dem KStA, das die rechtzeitige Anfech- tung der neuen Veranlagung unterlassen hatte, wurde das schutzwür- dige Interesse, einen solchen Widerspruch hervorzurufen, abgespro- chen und als Folge auf seine Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten (AGVE 2001, S. 379 ff. mit ausführlicher Begründung). Bereits früher hatte sich das Verwaltungsgericht mit dem Sach- verhalt zu befassen, dass nach Einspracheerhebung eine neue Veran- lagungsverfügung ohne entsprechenden Beschluss der Steuerkom- mission eröffnet worden war. Es konnte letztlich offen lassen, ob die neue Veranlagung nichtig gewesen wäre, wurde diese doch durch die Steuerkommission noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist, also bevor sie in Rechtskraft erwuchs, förmlich widerrufen bzw. rückgängig gemacht (VGE II/26 vom 17. März 1986 in Sachen J. W.). c) aa) Das Regionale Steueramt vertritt die - vom KStA über- nommene - Ansicht, mit dem "Akt" vom 18. Januar 2001 sei keine Behandlung der Einsprache verbunden gewesen, sondern es handle sich lediglich um eine entgegenkommenderweise erfolgte Sistierung der Steuerrechnung (siehe vorne Erw. a/bb). Daran ist so viel richtig, dass die Korrekturveranlagung keinen Einspracheentscheid darstellt und nicht in einen solchen umgedeutet werden kann (erwähnter VGE vom 17. März 1986, S. 7, 10). Offensichtlich unzutreffend ist dagegen die Interpretation, es handle sich nur um eine vorübergehende Sistierung der Steuerrechnung. Das ganze äussere Erscheinungsbild, auf das es ankommt (AGVE 2001, S. 380 f.), lässt keinen Zweifel offen, dass die Steuerkommission Y. eine Veranlagungsverfügung erliess und darin den steuerbaren Liqui- 2004 Kantonale Steuern 139 dationsgewinn auf Fr. 0.-- festsetzte; ... Nach der Rechtsprechung sind die Steuerbehörden gehindert, geltend zu machen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass eine äusserlich ordnungsgemäss erlassene Veranlagung nicht auf einem entsprechenden Beschluss der Steuerkommission beruht (AGVE 2001, S. 382 f.). Eine Änderung dieser Rechtsprechung ist abzulehnen, denn sie würde zu immenser Rechtsunsicherheit führen; die Steuerbehörden könnten alle rechtskräftigen Veranlagungen nachträglich mit der Behauptung in Frage stellen, die Steuerkommission habe darüber nicht entschieden, und das gleiche Recht müsste den Steuerpflichtigen zugebilligt werden; ob die Sitzungsprotokolle, bei denen weder garantiert werden kann, dass sie unmittelbar nach der Sitzung erstellt werden, noch dass nie eine nachträgliche Korrektur erfolgt, genügenden Beweis erbrächten, ist ungewiss. Somit ist für den vorliegenden Fall festzuhalten, dass im Verlauf des Einspracheverfahrens, vor der Eröffnung eines Einspracheentscheids, eine Korrekturveranlagung eröffnet wurde, die inhaltlich dem Hauptbegehren der Einsprache entsprach, nicht nichtig war (AGVE 2001, S. 383) und mangels Anfechtung in formelle Rechtskraft erwuchs. bb) Das Einspracheverfahren ist durch Einspracheentscheid der veranlagenden Steuerkommission abzuschliessen (§ 148 aStG). Es wurde zuvor ausgeführt, dass die Korrekturveranlagung vom 18. Januar 2001 keinen Einspracheentscheid darstellt. Wie dem Ver- waltungsgericht und dem Steuerrekursgericht aus anderen Verfahren bekannt ist und vom KStA auch zugestanden wird, ist es Praxis, dass die Gemeindesteuerämter "in Ausnahmefällen", tatsächlich aber durchaus nicht so selten, Einsprachen ohne Beschluss der Steuer- kommission "auf dem Rektifikatswege" mittels Korrekturveranla- gung erledigen, so wie es - anscheinend ungewollt - auch hier ge- schehen ist. Vorgesehen ist diese Vorgehensweise zwar nur, wenn sich aufgrund der Einsprache ein offensichtlicher Veranlagungsfehler zeigt oder wenn im Laufe des Einspracheverfahrens Übereinstim- mung mit dem Steuerpflichtigen erzielt wurde (Vernehmlassung KStA), wobei auf Seiten der Steuerbehörden die für den Einsprache- entscheid verantwortliche Steuerkommission offensichtlich nicht immer einbezogen wird. Wenn gegen die Korrekturveranlagung 2004 Verwaltungsgericht 140 keine Einsprache erhoben wird, wird das Einspracheverfahren gegen die ursprüngliche Veranlagung entweder formlos abgeschlossen oder ein Abschreibungsbeschluss zufolge Gegenstandslosigkeit erlassen (Vernehmlassung KStA); ein materieller Einspracheentscheid ent- fällt. Diese Folge ist unausweichlich, bedeutet doch die Korrektur- veranlagung logisch zwingend, dass damit die ursprüngliche Veran- lagung (gegen die sich die Einsprache richtete) aufgehoben wird. Dieser Praxis ist das Risiko inhärent, dass Korrekturveranla- gungen ergehen, bei denen die vorausgesetzten Rahmenbedingungen nicht erfüllt sind. Es kann nicht in Frage kommen, in die Korrektur- veranlagungen eine stillschweigende Bedingung hineinzuinterpretie- ren, wonach sie nur gelten, soweit die Steuerkommission bzw. die Steuerbehörden nicht nachträglich zum Schluss kommen, es habe an den Voraussetzungen gefehlt. Werden Korrekturveranlagungen zwecks Verfahrenserleichterung toleriert, so haben sie auch Geltung, wenn sie eigentlich nicht hätten erfolgen sollen (vgl. analog AGVE 2001, S. 382 f.); dann lässt sich nur über Anweisungen und Aufsicht verhindern, dass Gemeindesteuerämter auch in ungeeigneten Fällen dem Einspracheentscheid mit einer Korrektur- veranlagung zuvorkommen. cc) Nachdem die Korrekturveranlagung rechtskräftig geworden war, war als Konsequenz der beschriebenen Steuerpraxis kein Platz mehr für einen materiellen Einspracheentscheid; inhaltlich blieb es bei der Korrekturveranlagung vom 18. Januar 2001. Um dies zu ver- hindern, hätte innerhalb der Einsprachefrist entweder die Steuer- kommission Y. die Korrekturveranlagung rückgängig machen (ana- log dem Sachverhalt im erwähnten VGE vom 17. März 1986) oder das KStA Einsprache erheben müssen (§ 145 lit. a aStG; vgl. auch AGVE 2001, S. 382).
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2001 Abgaben 187 [...] 44 Beitragsplan. - Folgen beim Fehlen einer genügenden gesetzlichen Grundlage und deren nachträglicher Schaffung (Erw. 1/a). - Rad- und Fusswege sowie Beleuchtung als Bestandteil der Strasse und damit der massgeblichen Strassenbaukosten (Erw. 5/b). - Zu kleiner Perimeter, Folgen für den Beitragsplan (Erw. 6/d/cc). - Behandlung freiwilliger Beiträge von Privaten im Beitragsplan (Erw. 6/e). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 26. Juni 2001 in Sachen J. AG und Z. AG gegen Entscheid des Baudepartements. Sachverhalt Mit Entscheid vom 9. September 1998 hiess das Verwaltungs- gericht die Beschwerde der J. AG und der Z. AG gegen die ihnen mit dem Beitragsplan auferlegten Beiträge an die Kosten der S.-Strasse gut, weil die Bestimmungen im Bundes- und im kantonalen Recht dafür keine ausreichende Grundlage bildeten und es an einer gesetz- lichen Grundlage im kommunalen Recht fehlte (zur Begründung vgl. 2001 Verwaltungsgericht 188 AGVE 1998, S. 181 ff.). In der Folge erliess die Gemeindever- sammlung M. ein "Übergangsreglement für die Erhebung von Stras- senbaubeiträgen". Gestützt auf dieses legte der Gemeinderat erneut einen Beitragsplan auf. Aus den Erwägungen 1. a) Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat die Fest- stellung, dass eine Abgabenverfügung auf einer ungenügenden ge- setzlichen Grundlage beruht (sodass es an der gesetzlichen Grund- lage fehlt), nicht zur Folge, dass der beschwerdeführende Private überhaupt keine Abgabe bezahlen muss. Vielmehr bestehen ver- schiedene Möglichkeiten, die Abgabe trotzdem zu erheben, u.a. durch die Schaffung einer rückwirkenden neuen Abgabenordnung (URP 1998, S. 741 f.). Im VGE vom 9. September 1998 hat das Ver- waltungsgericht denn auch ausdrücklich festgehalten, die Gutheis- sung der Beschwerde schliesse die Erhebung eines Beitrags gestützt auf eine noch zu schaffende, ausreichende gesetzliche Grundlage nicht aus. Das von der Gemeinde M. erlassene Übergangsreglement sieht vor, dass es bis zum Inkrafttreten einschlägiger kantonaler Vor- schriften für die Beitragserhebung an Kosten des Strassenbaues gilt (§ 1) und dass es rückwirkend für alle hängigen Verfahren zur Festsetzung von Grundeigentümerbeiträgen Anwendung findet (§ 4). Zu Recht machen die Beschwerdeführerinnen nicht geltend, die ge- setzliche Grundlage für die angefochtenen Beiträge sei ungenügend. (...) 5. b) aa) Öffentliche Strassen sind alle dem Gemeingebrauch offen stehenden Strassen, Wege und Plätze mit ihren Bestandteilen (§ 80 Abs. 1 BauG). Bestandteile sind alle Bauten und Vorrichtun- gen, die zur technisch zweckmässigen und umweltschonenden Aus- gestaltung dienen (§ 80 Abs. 2 BauG), so die für den Schutz der Fussgänger und Radfahrer notwendigen Anlagen (lit. a; vgl. auch § 84 Abs. 2 BauG) sowie Anlagen für die Einpassung in die Land- schaft (lit. f). Dass im vorliegenden Fall die Rad- und Fusswege (die bei einer Sammelstrasse im Industriegebiet aus Sicherheitsgründen 2001 Abgaben 189 klarerweise notwendig sind) sowie die Grünstreifen als Bestandteile zur Strasse gehören, kann demnach nicht zweifelhaft sein. Wenn die Erstellung (auch) im Interesse der Öffentlichkeit erfolgt, hat dies nicht zur Folge, dass die entsprechenden Kosten aus dem Beitrags- plan auszuscheiden wären, sondern beeinflusst vielmehr die Höhe des Gemeindeanteils. bb) Auch die Beleuchtung gehört, soweit sie notwendig ist, zu den Strassenbestandteilen (vgl. Ernst Kistler/René Müller, Baugesetz des Kantons Aargau [Kommentar], 1994, § 80 N 6 i.V.m. § 37 Abs. 1 des Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 [altes Baugesetz; aBauG]; Erich Zimmerlin, [Kommentar zum alten] Bau- gesetz des Kantons Aargau, 2. Auflage, Aarau 1985, § 11 N 5, § 37 N 1). Den Ausführungen der Gemeinde, bei der S.-Strasse sei die Beleuchtung aus Gründen der Verkehrssicherheit notwendig, ist bei- zupflichten. Die Ansicht der Beschwerdeführerinnen, die Gemeinde müsse die Kosten der Beleuchtung vollumfänglich tragen (sodass sie richti- gerweise gar nicht in den Beitragsplan aufzunehmen wären), dürfte auf das frühere Recht zurückgehen, wo aus § 37 Abs. 3 aBauG ab- geleitet wurde, die Kostentragung bei der Beleuchtung sei unabhän- gig von derjenigen der Strassen geregelt, weshalb diese Kosten bei der Beitragserhebung gemäss § 31 ff. aBauG nicht einbezogen wer- den dürften (vgl. Zimmerlin, a.a.O., § 37 N 1 i.V.m. Vorbemerkungen zu §§ 23-25; Armin Knecht, Grundeigentümerbeiträge an Strassen im aargauischen Recht, Berner Diss., Aarau 1975, S. 54). Ob diese Interpretation zwingend sei, kann hier offen bleiben. Das BauG ent- hält keine Spezialbestimmungen zur Tragung der Kosten für die Er- stellung der Beleuchtungsanlagen, sodass diese wie andere Strassen- bestandteile zu behandeln sind; § 99 Abs. 2 BauG, auf den sich die Beschwerdeführerinnen beziehen, beschlägt einzig den Unterhalt. (...) 6. d) cc) (...) Somit wurde der Beitragsperimeter im nördlichen Teil zu eng gezogen. Konsequenz davon ist, dass der Kostenanteil, der schätzungsweise auf die fälschlicherweise befreiten Grundstücke entfiele, dem Gemeindeanteil zugeschlagen wird, da ein Verzicht der Gemeinde auf mögliche Einnahmen nicht zu Lasten der beitrags- 2001 Verwaltungsgericht 190 pflichtigen Grundeigentümer gehen darf (vgl. AGVE 1982, S. 158); die mögliche Alternative, nämlich die Aufhebung des gesamten Bei- tragsplans und Rückweisung zur Überarbeitung, steht dem Verwal- tungsgericht nicht offen, da es nicht über die Beschwerdebegehren hinausgehen darf (§ 43 Abs. 2 VRPG) und die Beschwerdeführerin- nen nur ihre eigenen Beiträge, nicht aber den gesamten Beitragsplan anfechten können (vgl. AGVE 1981, S. 152; 1982, S. 154 f.). (Durch den Einbezug der fälschlicherweise nicht einbezogenen Grundstücke) würde sich die Perimeterfläche um rund 15'000 m 2 erhöhen. ( ...) Dementsprechend wäre der auf die Privaten entfallende Kostenanteil von Fr. 1'800'000.-- statt auf 85'339 m 2 gewichteter Fläche auf 100'339 m 2 zu verteilen, entsprechend Fr. 17.939/m 2 ge- wichteter Fläche. (Die Erhöhung des Gemeindeanteils um 15'000 x Fr. 17.939 = rund Fr. 270'000.-- hebt diesen auf knapp 44 % an.) e) Der Gemeinderat hat durch Verhandlungen erreicht, dass ver- schiedene Grundeigentümer freiwillige Beiträge zusicherten, was nach der Beurteilung des Gemeinderats den Strassenbau bzw. dessen Finanzierung überhaupt erst ermöglichte. Dass die Gemeinde diese Beiträge auf ihren Gemeindeanteil anrechnen will, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (AGVE 1981, S. 162 f.). Unzulässig wäre es allerdings, diese Grundeigentümer im Gegenzug von ihrem gesetzli- chen Beitrag zu entlasten, weil dies zu einer unzulässigen Benachtei- ligung der übrigen Beitragspflichtigen führen würde (vgl. AGVE 1982, S. 158; 1981, S. 163 oben). Im vorliegenden Fall enthält der Beitragsplan und insbesondere die Perimeterabgrenzung nicht die geringsten Hinweise auf eine unzulässige Privilegierung der leisten- den Grundeigentümer (der Rückzug ihrer Beitragszusage durch die A. SA erfolgte gerade deshalb, weil der Gemeinderat keine Gegen- leistungen zugestand). Sie wurden mit ihren Grundstücken offen- sichtlich gleich behandelt wie alle anderen. Dies anerkennen letztlich auch die Beschwerdeführerinnen. Ihr ganz generell gehaltenes Ar- gument, solche Leistungen von Firmen seien immer irgendwie suspekt, genügt nicht, um das Vorgehen der Gemeinde als unzulässig erscheinen zu lassen.
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2018 Vollstreckung 327 XI. Vollstreckung 34 Vollstreckung; Parteiwechsel - Wird die streitbetroffene Liegenschaft während des Beschwer- deverfahrens gegen einen Vollstreckungsentscheid veräussert, richten sich angeordnete Vollstreckungsmassnahmen wie die Nach- fristansetzung und das Androhen der Ersatzvornahme sowie der Bestrafung wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen nun- mehr gegen den Erwerber. - Das Beschwerdeverfahren wird auch gegen den Willen des Erwer- bers mit diesem fortgeführt (zwangsweiser Parteiwechsel). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 7. November 2018, in Sachen A. und B. gegen Gemeinderat C. (WBE.2018.98). Aus den Erwägungen 2. Wenn das Streitobjekt während des Beschwerdeverfahrens ver- äussert wird und auf eine andere Partei übergeht, kann sich die Frage eines Parteiwechsels stellen (vgl. ISABELLE HÄNER, Die Beteiligten im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Zürich 2000, Rz. 369 ff.). Nach der Lehre und Rechtsprechung entfalten vor dem Ver- kauf einer Liegenschaft auferlegte übertragbare Pflichten, welche den Besitz oder das Eigentum daran voraussetzen, Wirkung gegen- über dem Erwerber (vgl. VGE vom 7. März 2018 [WBE.2017.455], Erw. I/5.1; REGINA KIENER/BERNHARD RÜTSCHE/MATTHIAS KUHN, Öffentliches Verfahrensrecht, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2015, Rz. 594). Dies gilt entsprechend der verwaltungsgerichtlichen Rechtspre- chung auch für Vollstreckungsanordnungen wie die Nachfristan- setzung und das Androhen der Ersatzvornahme sowie der Bestrafung nach Art. 292 StGB (vgl. VGE vom 7. März 2018 [WBE.2017.455], 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 328 Erw. I/5.1 f.). Wird eine streitbetroffene Liegenschaft während des Beschwerdeverfahrens veräussert, richten sich angefochtene Voll- streckungsanordnungen infolge eines zwangsweisen Parteiwechsels nunmehr gegen den Erwerber (vgl. VGE vom 7. März 2018 [WBE.2017.455], Erw. I/5.1; MICHAEL MERKER, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38-72 [a]VRPG, Zürich 1998, Vorbem. zu § 38 N 31; VERA MARANTELLI/SAID HUBER, in: BERNHARD WALDMANN/PHILIPPE WEISSENBERGER [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrens- gesetz, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 6 N 48). Dieser kann gegen seinen Willen in das Beschwerdeverfahren einbezogen werden; nach dem Parteiwechsel wird das Verfahren mit der neu ein- getretenen Partei weitergeführt (vgl. VGE vom 7. März 2018 [WBE.2017.455], Erw. I/5.1; KIENER/RÜTSCHE/KUHN, a.a.O., Rz. 596). (...)
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AG_VG_001
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Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2018-34_2018-11-03
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2004 Verwaltungsgericht 158 [...] 44 Rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; § 15 Abs. 1 VRPG). Nutzungs- verbot (§ 159 Abs. 1 BauG). - Gehörsverletzung durch Vorenthaltung entscheidwesentlicher Akten und durch unzulässiges "Berichten" (Erw. 1/b). - Heilung des Verfahrensmangels bejaht (Erw. 1/c). - Eigenmächtigen Nutzungen oder Nutzungsänderungen ist mit Nut- zungsverboten entgegenzuwirken (Bestätigung der Rechtsprechung); Schranke der behördlichen Duldung eines nicht bewilligten Nut- zungsvorhabens (Erw. 2/b/bb). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 20. April 2004 in Sa- chen K. und Mitb. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. a) (...) b) Ferner beanstanden die Beschwerdeführer, dass sich der vor- instanzliche Entscheid auf Eingaben abstütze, die ihnen vorenthalten worden seien; einerseits geht es um der Eingabe der Beschwerde- 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 159 gegnerin vom 4. Dezember 2002 beigelegte Datenblätter zum Schiessbetrieb, anderseits um Auskünfte der Abteilung für Umwelt. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung und stellt anderseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, der in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift; der Betroffene hat das Recht, sich vor Erlass eines solchen Entscheids zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mit- zuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 56; 124 I 242 mit weiteren Hinweisen). Diese Grundsätze hat das Baudepartement in der Tat nicht beachtet. In Bezug auf die erwähn- ten Datenblätter rechtfertigt es sich mit dem Hinweis darauf, dass die in der Eingabe vom 4. Dezember 2002 angegebenen Schiesszeiten und Schussabgaben der Sicherheitsdienste der Kernkraftwerke Beznau und Leibstadt mit früher gemachten Angaben, welche den Beschwerdeführern zugänglich gemacht worden seien, korrespon- dierten; hinzu komme, dass die fraglichen Abgaben insofern nicht entscheidrelevant gewesen seien, als nach den Berechnungen der Abteilung für Umwelt die massgebenden Grenzwerte selbst bei den von den Beschwerdeführenden in der Eingabe vom 3. Dezember 2002 behaupteten Schiesszeiten eingehalten seien. Das ist nicht stichhaltig. Um der Gehörspflicht zu genügen, hätte den Beschwer- deführern zumindest das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 4. Dezember 2002 zur Kenntnis zugestellt werden sollen, da die Schiessdaten fraglos eine wesentliche Beurteilungsgrundlage bilden; der Beschwerdeführer muss im Übrigen die Möglichkeit haben, die Übereinstimmung bestimmter Aktenstücke selber festzustellen bzw. zu überprüfen. Begründet ist die Gehörsrüge aber auch hinsichtlich der departementsinternen Auskünfte. Die Rechtsabteilung des Bau- departements hatte die Abteilung für Umwelt mit Schreiben vom 23. August und 3. September 2002 darum ersucht, zu verschiedenen offenen Fragen Stellung zu beziehen. Die kantonale Fachstelle ant- wortete mit Amtsberichten vom 29. August und 5. September 2002. Diese Stellungnahmen wurden den Beschwerdeführern anerkannter- 2004 Verwaltungsgericht 160 massen nicht zur Kenntnis gebracht. Nach dem vorhin Gesagten hat der Betroffene indessen das Recht, grundsätzlich in alle für den Ent- scheid wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen, d.h. in jene Akten, welche Grundlage einer Entscheidung bilden (siehe auch BGE 121 I 227 mit Hinweisen). Dies ist hier offensichtlich, werden doch die fraglichen Auskünfte auf S. 9 f. des vorinstanzlichen Ent- scheids als Beleg dafür zitiert, dass mit den grosskalibrigen Waffen der Immissionsgrenzwert bei der Liegenschaft "Im Winkel 73" nicht oder nur unwesentlich überschritten wird, soweit sie im bisherigen Umfang eingesetzt werden. Die Thematisierung dieses Punktes an der Augenscheinsverhandlung vom 3. Dezember 2002 in Anwesen- heit des Vertreters der kantonalen Fachstelle - dieser bestätigte ge- mäss Protokoll ganz kurz, dass die Lärmmessungen der Härdi & Fritschi AG von 1991 und die Berechnungen der Beschwerdegegne- rin korrekt vorgenommen worden seien - bildet entgegen der Auffas- sung des Baudepartements nur einen unvollkommenen Ersatz. Ver- waltungsinterne Meinungsäusserungen sind den Betroffenen in je- dem Falle förmlich zur Kenntnis zu bringen; das sog. "Berichten" ist gehörswidrig (siehe Klaus Reinhardt, Das rechtliche Gehör in Ver- waltungssachen, Zürcher Beiträge zur Rechtswissenschaft, Neue Folge Heft 291, Zürich 1968, S. 161 f., 194, 202; VGE III/154 vom 14. Dezember 2000 in Sachen W. AG, S. 9; AGVE 2002, S. 415 f.). Auch muss es der Betroffene ganz generell nicht hinnehmen, dass er zur Wahrnehmung seines Gehörsanspruchs auf den Beschwerdeweg verwiesen wird (AGVE 1986, S. 182; VGE III/35 vom 20. Mai 1997 [BE.1995.00109] in Sachen S., S. 14 f.). c) Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur; seine Verletzung führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 120 Ib 383 mit Hinweisen). Eine Heilung in einem Rechtsmittelverfahren ist nur ausnahmsweise möglich; dies hängt namentlich von der Schwere und Tragweite der Gehörsverletzung so- wie davon ab, ob die Rechtsmittelinstanz den angefochtenen Ent- scheid in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht frei überprüfen kann (BGE 120 V 362 f. und 121 V 156, je mit Hinweisen; AGVE 1997, S. 374; 2002, S. 416 f.). 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 161 Die dem Baudepartement anzulastenden Gehörsverletzungen sind nicht gravierend; die Beschwerdeführer stellen denn auch selber kein Rückweisungsbegehren. Im Weitern kann das Verwaltungsge- richt den angefochtenen Entscheid umfassend überprüfen. Einer Heilung des Verfahrensmangels steht daher nichts im Wege, zumal sonst offensichtlich ein prozessualer Leerlauf betrieben würde (siehe BGE 107 Ia 2 f.; Bundesgericht in: ZBl 90/1989, S. 367). Die Ge- hörsverletzung ist aber beim Kostenentscheid angemessen zu berück- sichtigen (AGVE 1974, S. 362). 2. a) (...) b) aa) (...) bb) aaa) Das frühere Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 enthielt in § 154 Abs. 2 die Vorschrift, dass vor der Rechtskraft der Baubewilligung mit den Bauarbeiten nicht begonnen werden darf. Im Gesetz über Raumplanung, Umweltschutz und Bau- wesen vom 19. Januar 1993 (BauG) findet sich eine analoge Be- stimmung nicht mehr; der Gesetzgeber erachtete diesen "allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts" als "selbstverständlich" und sah deshalb von einer Regelung ab (Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat vom 17. August 1992, S. 23 zu § 63 des Gesetzesent- wurfs). Das Verbot, von einer Baubewilligung vor dem Eintritt der formellen Rechtskraft Gebrauch zu machen, ergibt sich im Übrigen aus § 159 Abs. 1 BauG, wonach die Errichtung von Bauten ohne Bewilligung einen unrechtmässigen Zustand darstellt. Was für eine Baute gilt, muss nach Massgabe von § 59 Abs. 1 Satz 1 BauG auch für eine (bewilligungspflichtige) Nutzungsänderung gelten (siehe AGVE 1988, S. 416). bbb) § 159 Abs. 1 BauG sieht bei Verletzung des erwähnten Verbots als Massnahme des Verwaltungszwangs u.a. "die Einstellung der Bauten" vor. Dem entspricht bei unerlaubten Nutzungsänderun- gen ein Nutzungsverbot (AGVE 1988, S. 416). Das Verwaltungsge- richt hat bisher solche Verbote mit dem Hinweis darauf geschützt, wenn die Behörde eigenmächtige Handlungen im Bereich des öf- fentlichen Baurechts nicht mit den Mitteln des Verwaltungszwangs unterbinde, laufe sie wegen der Präjudizwirkung Gefahr, das Gesetz gar nicht mehr richtig durchsetzen zu können (AGVE 1988, S. 416 2004 Verwaltungsgericht 162 mit Hinweisen; VGE III/10 vom 21. Februar 1994 [BE.1994.00019/20] in Sachen D. und Mitb., S. 9). Wer eigenmäch- tig bauliche Vorkehren treffe oder Umnutzungen vornehme, müsse auch das Risiko finanzieller und anderer Nachteile bei einer erzwungenen Wiederherstellung des früheren Zustandes in Kauf nehmen; andernfalls würde das rechtswidrige Vorgehen allzu attrak- tiv, verbunden mit der Konsequenz, dass das Baubewilligungsverfah- ren weitgehend unterlaufen werden könnte (AGVE 1989, S. 254; erwähnter VGE in Sachen D. und Mitb., S. 10). In diesem Sinne wurde der Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips nur noch ein enger Raum belassen (siehe auch AGVE 1988, S. 416, wo - allerdings im Zusammenhang mit dem Suspensiveffekt einer Be- schwerde und damit beschränkt auf die Dauer des Beschwerdever- fahrens - gesagt wurde, die Verhältnismässigkeit der Massnahme müsse gar nicht mehr geprüft werden). Ähnliche Überlegungen hat das Verwaltungsgericht zur Tragweite des Vertrauensschutzes ange- stellt (siehe dazu und zum Folgenden: AGVE 1998, S. 335 f.): Es lasse sich ernsthaft fragen, ob bezüglich der Gut- oder Bösgläubig- keit des Bauherrn bei einer Baueinstellung analoge Massstäbe anzu- legen seien wie beim Entscheid über die Herstellung des rechtmässi- gen Zustandes und ob diese bei der Baueinstellung überhaupt eine Rolle spielen dürften. Mit der vorsorglichen Massnahme der Bau- einstellung werde ja nichts anderes bezweckt, als die zukünftige Vollstreckung zu erleichtern, d.h. Abbruchbefehle zu vermeiden oder leichter durchsetzbar zu machen; es solle die Durchführung eines korrekten Baubewilligungsverfahrens ermöglicht werden. Subjektive Gesichtspunkte wie Gut- oder Bösgläubigkeit bzw. Beachtung von Sorgfaltspflichten träten hier stark in den Hintergrund, und es gebe gute Gründe, sie bei der Baueinstellung überhaupt für unbeachtlich zu halten. Zudem erscheine der durch eine Baueinstellung bewirkte Eingriff in die Eigentumsrechte (Verzögerung des Bauvorhabens) erheblich geringer als eine Beseitigungsanordnung. Die Frage wurde dann freilich nicht abschliessend behandelt. Schliesslich erwog das Verwaltungsgericht, eine etwas andere Betrachtungsweise möge höchstens dann angezeigt sein, wenn die eigenmächtig erstellte Baute behördlicherseits über längere Zeit geduldet worden sei und 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 163 der Bauherr deswegen eine gewisse Vertrauensposition erlangt habe (AGVE 1989, S. 254). Diese Rechtsprechung erweist sich nach wie vor als zutreffend. In aller Regel ist es dem Gesuchsteller zumutbar, bis zur Erteilung einer rechtskräftigen Bau- oder Nutzungsbewilligung mit der Reali- sierung seines Vorhabens zuzuwarten. Das öffentliche Interesse, einer Aufweichung der gesetzlichen Ordnung durch konsequente Durchsetzung des Bewilligungsvorbehalts entgegenzuwirken, haben sowohl das Bundes- als auch das Verwaltungsgericht stets als hoch bewertet (BGE 123 II 255 mit Hinweis; AGVE 2001, S. 280). Zwar kann das Verhältnismässigkeitsprinzip als Verfassungsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV) nicht ausgeschaltet werden, doch ist im Normal- fall kaum denkbar, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des Bauherrn ausfällt, und zwar selbst dann, wenn ihm keine Bösgläubigkeit unterstellt werden kann (wobei in vielen Fällen über die Bewilligungspflicht Gewissheit bestehen muss). Etwas differen- zierter zu betrachten ist der Vertrauensschutz im Zusammenhang mit der behördlichen Duldung eines unbewilligten Nutzungsvorhabens. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erlischt der Anspruch der Behörde auf Beseitigung eines baurechtswidrigen Zustands bzw. auf Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands in jedem Falle nach dreissig Jahren (in Analogie zur ausserordentlichen Ersitzung gemäss Art. 662 ZGB) bzw. schon vorher, wenn der rechtswidrige Zustand von der zuständigen Behörde über Jahre hinweg geduldet worden ist, obschon ihr die Gesetzwidrigkeit bekannt war oder sie diese bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte kennen müssen, und wenn zudem die durch den gesetzwidrigen Zustand bewirkte Verletzung öffentlicher Interessen nicht schwer wiegt (BGE 107 Ia 124; Bundesgericht, in: ZBl 81/1980, S. 73 f.; AGVE 2000, S. 256 f. und 263 f., je mit weiteren Hinweisen). Ein Nutzungsverbot ist in diesen Fällen unzulässig. Im Übrigen wird dieser Tatbestand bei der Erstellung eines Gebäudes kaum je vorkommen, weil der Bauherr normalerweise daran interessiert ist, ein Bauwerk raschmöglichst zu realisieren und jedenfalls die Zeiträume, die im Zusammenhang mit der Tolerierung relevant sind, hier keine Rolle spielen.
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Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 14. Mai 2013 (WBE.2013.263) Im Rahmen einer FU ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit auch bei urteilsfähigen Personen möglich. 1. 1.1. Gemäss Art. 438 ZGB sind auf Massnahmen, die die Bewegungsfreiheit einschränken, die Bestimmungen über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Wohn- und Pflegeeinrichtungen sinngemäss anwendbar (vgl. Art. 383 ff. ZGB). 1.2. Der Begriff der Einschränkung der Bewegungsfreiheit gemäss Art. 383 ZGB ist gemäss Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht) vom 28. Juni 2006 (nachfolgend: Botschaft Erwachsenenschutz) weit zu verstehen. Als Beispiel werden elektronische Überwachungsmassnahmen, das Abschliessen von Türen oder das Anbringen von Bettgittern aufgeführt (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7039). Als bewegungseinschränkende Massnahmen gelten somit sachliche Mittel mechanischer, elektronischer oder anderer Art, die betroffene Personen daran hindern, sich frei zu bewegen oder die ihren Bewegungsradius einschränken (BÜCHLER ANDREA ET AL. [Hrsg.], Familienrechtskommentar [FamKomm] Erwachsenenschutz, Art. 428 N 5). 1.3. Wie bereits erwähnt (vorne lit. C/4), entschied sich der zuständige Oberarzt am 13. Mai 2013 für die Aufrechterhaltung der Isolation des Beschwerdeführers, was bedeutet, dass dieser sich weiter in einem verschlossenen Zimmer aufhalten muss. Diese Massnahme schränkt die Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers ein und ist daher unter Art. 383 ZGB bzw. § 67q Abs. 1 lit. f EG ZGB zu subsumieren. Das ist folglich zur Beurteilung der Beschwerde gemäss Art. 439 Abs. 1 Ziff. 5 ZGB zuständig. 2. Mit der Beschwerde können Rechtsverletzungen, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und Unangemessenheit gerügt werden (Art. 450a Abs. 1 ZGB). Soweit das ZGB und das EG ZGB keine Regelungen enthalten, sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung anwendbar (Art. 450f ZGB). 3. Grundlage für die Isolation des Beschwerdeführer ist Art. 383 ZGB, welcher folgendermassen lautet: "1 Die Wohn- oder Pflegeeinrichtung darf die Bewegungsfreiheit der ur- teilsunfähigen Person nur einschränken, wenn weniger einschneiden- de Massnahmen nicht ausreichen oder von vornherein als ungenü- gend erscheinen und die Massnahme dazu dient: 1. eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder die körperliche Integrität der betroffenen Person oder Dritter abzuwenden; oder 2. eine schwerwiegende Störung des Gemeinschaftslebens zu beseitigen. 2 Vor der Einschränkung der Bewegungsfreiheit wird der betroffenen Person erklärt, was geschieht, warum die Massnahme angeordnet wurde, wie lange diese voraussichtlich dauert und wer sich während dieser Zeit um sie kümmert. Vorbehalten bleiben Notfallsituationen. 3 Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit wird so bald wie möglich wieder aufgehoben und auf jeden Fall regelmässig auf ihre Berechti- gung hin überprüft." (...) 5.6. 5.6.1. Schliesslich wird in Art. 383 Abs. 1 ZGB die Urteilsunfähigkeit der betroffenen Person als Voraussetzung genannt. Gemäss Art. 12 ZGB ist urteilsfähig, wer vernunftgemäss handeln kann. Urteilsfähig ist, wer einerseits über die Fähigkeit verfügt, den Sinn und Nutzen sowie die Wirkungen eines bestimmten Verhaltens einsehen und abwägen zu können. Andererseits muss ein Willensmoment gegeben sein, nämlich die Fähigkeit, gemäss der Einsicht nach freiem Willen handeln zu können (MARGRITH BIGLER-EGGENSBERGER, in: Honsell/Vogt/Geiser [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Basel 2010, 4. Aufl., Art. 16 N 3). Dabei beurteilt sich die Urteilsfähigkeit nach konstanter Rechtsprechung und Lehre nie abstrakt oder ein für alle Mal gleich bezüglich einer Person, sondern stets relativ. Es kommt somit darauf an, ob die Urteilsfähigkeit für eine konkrete Handlung und zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben ist (MARGRITH BIGLER-EGGENSBERGER, a.a.O., Art. 16 N 34). Für Art. 383 ZGB kann dies nur bedeuten, dass die betroffene Person bezüglich der Notwendigkeit der Anordnung und Umsetzung der bewegungseinschränkenden Massnahme urteilsunfähig sein muss, und zwar in dem Zeitpunkt, in welchem die Massnahme angeordnet und umgesetzt wird. Eine allgemeine Urteilsunfähigkeit existiert nicht und kann daher auch nicht vorausgesetzt werden (vgl. auch Art. 434 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB, wo Urteilsunfähigkeit betreffend Behandlungsbedürftigkeit wird). 5.6.2. Wie bereits erwähnt, bestimmt Art. 438 ZGB, dass auf Massnahmen, die die Bewegungsfreiheit der betroffenen Personen in der Einrichtung einschränken, die Bestimmungen über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen – also Art. 383 ff. – sinngemäss anwendbar sind. Ob das Kriterium der Urteilsunfähigkeit (Art. 383 Abs. 1 ZGB) auch bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit im einer fürsorgerischen Unterbringung Geltung hat, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Die Botschaft äussert sich nicht explizit dazu. Der Basler Kommentar zum Erwachsenenschutz vertritt die Auffassung, dass die bewegungseinschränkenden Massnahmen immer voraussetzen, dass die betroffene Person urteilsunfähig ist, sie damit keine Rechtsgrundlage für die Bewegungsfreiheit einer Person darstellen, welche auf ihrer Bewegungsfreiheit besteht und insoweit als urteilsfähig angesehen werden muss (a.a.O., Art. 438 N 5). Auch der Familienrechtskommentar Erwachsenenschutz spricht sich dafür aus, dass Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit auch bei fürsorgerisch untergebrachten Personen nur bei Urteilsunfähigkeit zulässig ist, mit der Begründung, dass Art. 383 ZGB, auf den Art. 438 ZGB verweist, ausschliesslich urteilsunfähige Personen erwähne (a.a.O., Art. 438 N 15). Gemäss Praxisanleitung zum Erwachsenenschutzrecht der KOKES hingegen können bewegungseinschränkende Massnahmen im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung auch bei einer urteilsfähigen Person angeordnet werden können (KOKES – Praxisanleitung Erwachsenenschutzrecht, a.a.O., Ziff. 11.12). Auch Dr. iur. Patrick Fassbind gelangt in seinem Werk zur Überzeugung, dass anders als bei Art. 383 ff. ZGB bei Art. 438 ZGB die Urteilsunfähigkeit der betroffenen Person kein Erfordernis darstellt (Patrick Fassbind, Erwachsenenschutz, Zürich 2012, S. 349). Auch der Erwachsenenschutz-Kommentar von Daniel Rosch et al. hält explizit fest, dass die Bestimmungen des Art. 383 ff. sinngemäss anwendbar seien: Abweichend von diesen Bestimmungen sei u.a., dass die Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Rahmen einer FU nicht von der Urteilsfähigkeit abhänge (DANIEL ROSCH ET AL. (Hrsg.), Das neue Erwachsenenschutzrecht, Einführung und Kommentar zu Art. 360 ff. ZGB, Basel 2011, Art. 438 N 2). 5.6.3. Art. 438 i.V.m. Art. 383 ZGB erfasst ausschliesslich Massnahmen, die keine Behandlung sind (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7039; Basler Kommentar, a.a.O., Art. 438 N 3). Bei einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit handelt es sich demnach in aller Regel nicht um eine therapeutische Massnahme für den Betroffenen. Vielmehr geht es insbesondere um den Schutz Dritter und darum, dass das Gemeinschaftsleben auf der Abteilung nicht schwerwiegend gestört wird. Im Gegensatz dazu geht es bei der Behandlung ohne Zustimmung gemäss Art. 434 ZGB ausschliesslich um therapeutische Massnahmen gemäss Behandlungsplan, nämlich um eine medizinische Behandlung im eigentlichen Sinne. Hier wird denn auch zu Recht beim Betroffenen die Urteilsunfähigkeit betreffend Behandlungsbedürftigkeit vorausgesetzt (Art. 434 Abs. 1 Ziff. 2). Wenn der Basler Kommentar anfügt, eine bewegungseinschränkende Massnahme bei einem urteilsfähigen Betroffenen müsse entweder als Vollstreckung der fürsorgerischen Unterbringung angesehen werden oder Teil einer Behandlung nach Art. 434 f. ZGB darstellen (Basler Kommentar, a.a.O., Art. 438 N 5), überzeugt dies nach dem hiervor Ausgeführten nicht, nachdem der Kommentar in N 3 und 4 zu Art. 438 – zutreffenderweise – ausführt, die blosse Umsetzung der Anordnungen nach Art. 426 - 429 ZGB werde nicht von Art. 438 ZGB erfasst (a.a.O., N 4), und Art. 438 ZGB erfasse ausschliesslich Massnahmen, die keine Behandlung seien (a.a.O., N 3). Es drängt sich daher die Frage auf, wie die Einrichtung reagieren kann, wenn jemand im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung in der Klinik hospitalisiert ist und die Voraussetzungen gemäss Art. 383 ZGB erfüllt sind, der Betroffene jedoch gleichzeitig urteilsfähig ist bezüglich der der Anordnung und Umsetzung der Massnahme. Folgt man der Lehrmeinung gemäss Basler Kommentar und Familienrechtskommentar, könnte die Einrichtung keine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zum Schutz Dritter bzw. zur Beseitigung einer schwerwiegende Störung des Gemeinschaftslebens auf der Abteilung anordnen, und es blieben wohl nur strafrechtliche Sanktionen. Dies kann nicht Sinn und Zweck sein, wenn eine Person zur Behandlung einer psychischen Störung per fürsorgerischer Unterbringung in eine Einrichtung eingewiesen ist. Deshalb ist das Verwaltungsgericht davon überzeugt, dass das Kriterium der Urteilsunfähigkeit bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung keine Geltung haben kann (so auch KOKES-Praxisanleitung, a.a.O., Ziff. 11.12, PATRICK FASSBIND, a.a.O., S. 349, DANIEL ROSCH ET AL., a.a.O., Art. 438 N 2).
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2004 Kantonale Steuern 117 III. Kantonale Steuern 28 Beschwerdelegitimation. Ersatzbeschaffungsfrist. Zeitpunkt des Zuflus- ses von Einkünften. - Keine Legitimation (mangels formeller Beschwer) zu einem Begehren, das bereits im vorinstanzlichen Verfahren gestellt und gutgeheissen wurde (Erw. I/4/a,b). - Keine Legitimation zu einem Begehren, das einem im vorinstanzlichen Verfahren gutgeheissenen eigenen Begehren widerspricht (Erw. I/4/c). - Beim Verkauf eines Grundstücks unter einer Suspensivbedingung fliesst der Verkaufserlös erst im Zeitpunkt des Eintritts der Be- dingung zu. Dieser Zeitpunkt ist auch für die Berechnung der Ersatz- beschaffungsfrist massgeblich (Erw. II/1,2). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 21. Juli 2004 in Sa- chen E.S. gegen Steuerrekursgericht. Aus den Erwägungen I. 4. a) Verfügungen und Entscheide kann jedermann durch Be- schwerde anfechten, der ein schutzwürdiges eigenes Interesse gel- tend macht (§ 38 Abs. 1 VRPG). Die Beschwerdelegitimation setzt neben einer materiellen Beschwer auch eine solche im formellen, prozessualen Sinne voraus. Formell beschwert ist, wer mit seinen Begehren vor der Vorinstanz nicht oder zumindest nicht vollständig durchgedrungen ist. Im Rechtsmittelverfahren ist somit nicht be- schwerdebefugt, wer mit seinen im vorinstanzlichen Verfahren ge- stellten Anträgen durchgedrungen ist, gleichgültig, ob er durch den Entscheid in materieller Hinsicht beschwert ist oder nicht (VGE III/57 vom 30. Juni 2003 [BE.2002.00381] in Sachen U.G., S. 6 f. mit Hinweisen; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die 2004 Verwaltungsgericht 118 Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 38 N 146). b) Der im vorliegenden Beschwerdeverfahren gestellte Eventualantrag entspricht demjenigen, der bereits von der Vorinstanz gutgeheissen wurde. Den Beschwerdeführern fehlt es damit an der formellen Beschwer, weshalb auf die Beschwerde insoweit nicht einzutreten ist. c) Der Subeventualantrag (der bereits insofern schwer ver- ständlich ist, als er für den Fall der Gutheissung und nicht der Ab- weisung des Eventualantrags gestellt wird) ist mit dem von der Vor- instanz gutgeheissenen Eventualantrag nicht vereinbar. Dort wurde antragsgemäss der in unbestrittener Höhe von Fr. 1'291'550.-- für Ersatzbeschaffung zur Verfügung stehende Betrag vollumfänglich zur Bildung einer Ersatzbeschaffungsreserve per Ende 1994 in glei- cher Höhe verwendet. Mit diesem Antrag wurde - logisch zwingend und verbindlich - auf die Geltendmachung von Ersatzbeschaffungen bis zu diesem Zeitpunkt verzichtet. Eine neue Veranlagung anzuord- nen, damit dieser Betrag doch noch in der Bemessungsperiode 1993/94 auf Ersatzbeschaffungen angerechnet werden kann, kommt nicht mehr in Frage. Mangels Vereinbarkeit mit dem bereits in der Vorinstanz gutgeheissenen und nicht angefochtenen Eventualantrag fehlt es den Beschwerdeführern an einem schutzwürdigen Interesse, weshalb auf den Subeventualantrag nicht einzutreten ist. II. 1. a) Im vorliegenden Fall ist - wie bei der Vorinstanz - im Hauptpunkt strittig, ob der im Dezember 1993 erworbene Landwirt- schaftsbetrieb in B. als Ersatzbeschaffung für die mit Kaufvertrag vom 26. September 1994 veräusserte Parzelle Nr. 352 betrachtet werden kann. Dies hängt davon ab, ob die Ersatzbeschaffungsfrist gemäss § 24 bis Abs. 1 aStG (in der Fassung vom 26. Januar 1988) eingehalten worden ist. b) Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit, einschliess- lich der Gewinne bei Veräusserung von Geschäftsvermögen, unter- liegen der Einkommenssteuer (§ 22 Abs. 1 lit. b aStG). Gemäss § 24 bis Abs. 1 aStG können Gewinne aus der Veräusserung von be- triebsnotwendigem Anlagevermögen, soweit sie für Ersatzbeschaf- fungen im Kanton Aargau verwendet werden, vom Roheinkommen 2004 Kantonale Steuern 119 abgezogen werden; als Ersatzbeschaffung gilt die Übertragung der stillen Reserven auf betriebsnotwendiges Anlagevermögen, das in- nert einem Jahr vor oder innert drei Jahren nach der Veräusserung für das gleiche Unternehmen erworben worden ist. Diese gesetzliche Befristung setzt klare Grenzen für die zulässige Dauer der Ersatzbe- schaffung (AGVE 1995, S. 452 mit Hinweis). c) Für die Berechnung der vorgängigen wie der nachfolgenden Ersatzbeschaffungsfrist ist der Zeitpunkt massgebend, in dem der verwendbare Kapitalgewinn erzielt wird. Dies ist, wie die Beschwer- deführer zutreffend ausführen, in der Regel der Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrages bzw. bei Grundstücken das Datum der öffentlichen Beurkundung (AGVE 1995, S. 451 f.; Walter Koch, in: Kommentar zum [alten] Aargauer Steuergesetz, Muri/Bern 1991, § 24 bis aStG N 10). Voraussetzung dafür ist jedoch das Vorliegen eines abgeschlossenen Rechtserwerbs, die blosse Anwartschaft oder der Erwerb einer bedingten Forderung genügen nicht. Ist eine Forde- rung mit einer Suspensivbedingung verknüpft, erfolgt der steuerliche Einkommenszufluss erst, wenn die Bedingung eintritt (VGE II/49 vom 29. April 1998 [BE.96.00185] in Sachen U.W., S. 8 f.; vgl. auch AGVE 2002, S. 175 f.; Koch, a.a.O., Vorbem. zu §§ 22-36 aStG N 13). Unter einer Bedingung wird ein objektiv ungewisses Ereignis verstanden, von dem nach dem Parteiwillen die Wirksamkeit eines Vertrages oder eines sonstigen Rechtsgeschäfts abhängt. Sowohl Geschäfte unter einer Suspensiv- als auch solche unter einer Resolu- tivbedingung begründen einen Schwebezustand (Felix R. Ehrat, in: Basler Kommentar, OR I, 3. Auflage, Basel 2004, Vorbem. zu Art. 151-157 N 1, 5 ). Ein Vertrag, dessen Verbindlichkeit von der späteren Erteilung einer Baubewilligung abhängig gemacht wird, ist als (suspensiv) bedingtes Rechtsgeschäft zu qualifizieren (BGE 95 II 527 f.; Peter Gauch, Der Werkvertrag, 4. Auflage, Zürich 1996, S. 118). 2. a) Als Kaufpreis für die Parzelle Nr. 352 vereinbarten der Be- schwerdeführer (im Folgenden auch als Verkäufer bezeichnet) und die G. AG als Käuferin im öffentlich beurkundeten Kaufvertrag vom 26. September 1994 Fr. 2'430'000.--. Zur Tilgung dieses Betrags 2004 Verwaltungsgericht 120 hatte die Käuferin bei Unterzeichnung des Kaufvertrages eine An- zahlung von Fr. 100'000.-- (Ziff. III/1), 30 Tage nach Rechtskraft der Baubewilligung eine Teilzahlung von Fr. 1'300'000.-- (Ziff. III/2) und 360 Tage nach der Baubewilligung eine Schlusszahlung von Fr. 1'030'000.-- (Ziff. III/3) zu leisten. Die Käuferin verpflichtete sich, bis zum 15. Februar 1995 ein der damals gültigen Bauzo- nenordnung entsprechendes Baugesuch für die Überbauung des Ge- samtgrundstücks einzureichen. Für den Fall, dass bis spätestens 31. August 1995 keine rechtskräftige Baubewilligung vorliegen sollte, räumten sich die Vertragsparteien gegenseitig das Recht ein, entschädigungslos und ohne Kostenrückerstattung vom Kaufvertrag zurückzutreten. Die geleistete Anzahlung von Fr. 100'000.-- (zuzüg- lich eines allfällig geleisteten Zinses) sollte jedoch als Reugeld dem Verkäufer verbleiben, falls die Gründe für die Nichterteilung der Baubewilligung bei der Käuferin liegen sollten; der Verkäufer hatte demgegenüber die Anzahlung zurückzuerstatten, falls der Vollzug der Anmeldung im Grundbuch aus bei ihm liegenden Gründen nicht erfolgen konnte (Ziff. IV/5). Die Urkundsperson wurde beauftragt, die Handänderung dem Grundbuchamt erst dann zur Eintragung anzumelden, wenn eine rechtskräftige Baubewilligung für die Über- bauung des Kaufobjekts vorliege (Ziff. IV/1). b) Die konkrete Ausgestaltung zeigt, dass die Vertragsparteien die Wirksamkeit dieses Vertrages von der Baubewilligung abhängig machen wollten. Atypisch für ein suspensiv bedingtes Rechtsgeschäft ist einzig die vereinbarte Regelung (Ziff. IV/5), wonach der Vertrag bei Nichterteilung der Baubewilligung nicht automatisch dahinfiel, sondern den Vertragsparteien ein Rücktrittsrecht eingeräumt wurde. Gleichwohl rechtfertigt es sich, für die steuerlichen Folgen von einem suspensiv bedingten Vertrag auszugehen. Diese Gleichstellung ergibt sich insbesondere daraus, dass sowohl die Leistung des Kaufpreises (Ziff. III/2, 3) als auch die Anmeldung der Handänderung beim Grundbuchamt (Ziff. IV/1) von der Erteilung der Baubewilligung abhängig gemacht wurden, was verhinderte, dass der Vertrag vor diesem Zeitpunkt irgendwelche Wirkungen entfaltete (mit Ausnahme der Anzahlung von Fr. 100'000.-- gemäss Ziff. III/1). Die Aussage der Beschwerdeführer, die Vertragsparteien seien sich 2004 Kantonale Steuern 121 von Beginn weg einig gewesen, dass die Parzelle Nr. 352 in jedem Falle veräussert und überbaut werden sollte, da es lediglich eine Frage der Zeit gewesen sei, bis die rechtskräftige Baubewilligung vorgelegen habe, steht einerseits in klarem Widerspruch zu ihrer im öffentlich beurkundeten Kaufvertrag getroffenen Vereinbarung (vgl. Art. 9 ZGB) und beruht andererseits auf einer falschen Vorstellung von Bedeutung und Tragweite des Baubewilligungsverfahrens (vgl. dazu Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs- und Baurecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 756 ff.). Dass die Käuferin dann doch nicht vom Vertrag zurücktrat, als am 31. August 1995 noch keine rechtskräftige Baubewilligung vorlag, vermag an der Auslegung des Vertrages nichts zu ändern und ist als Einwand genau so unbehelflich wie das letztlich vom Zufall abhängende Argument, der Kaufvertrag sei zum Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklä- rung 1995/1996 bereits abgewickelt gewesen. c) Die Wirkungen des Kaufvertrages vom 26. September 1994 und damit der definitive Forderungserwerb traten demzufolge nicht zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sondern erst mit dem Vorlie- gen der rechtskräftigen Baubewilligung (zusammen mit dem Ver- zicht der G. AG auf den Rücktritt vom Vertrag), also am 3. Dezember 1995 ein. Eine vorgängige Ersatzbeschaffung war erst ab dem 3. Dezember 1994 möglich, womit der Kauf des Landwirtschaftsbe- triebes in B. vom 15. Dezember/29. Dezember 1993 ausserhalb der Ersatzbeschaffungsfrist liegt. Der Gewinn aus dem Verkauf der Par- zelle Nr. 352 kann demzufolge nicht für den ersatzbeschaffungswei- sen Erwerb des Landwirtschaftsbetriebs in B. verwendet werden.
2,422
1,873
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2004-28_2004-07-02
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AGVE_2004_28
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nan
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1
412
869,957
1,072,915,200,000
2,004
de
2004 Verwaltungsrechtspflege 277 74 Rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; § 15 Abs. 1 VRPG). Nutzungsverbot (§ 159 Abs. 1 BauG). - Gehörsverletzung durch Vorenthaltung entscheidwesentlicher Akten und durch unzulässiges "Berichten" (Erw. 1/b). - Heilung des Verfahrensmangels bejaht (Erw. 1/c). - Eigenmächtigen Nutzungen oder Nutzungsänderungen ist mit Nutzungsverboten entgegenzuwirken (Bestätigung der Rechtspre- chung); Schranke der behördlichen Duldung eines nicht bewilligten Nutzungsvorhabens (Erw. 2/b/bb). vgl. AGVE 2004 44 158
157
116
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2004-74_2004
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AGVE_2004_74
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1
412
871,728
1,001,894,400,000
2,001
de
2001 Verwaltungsgericht 232 [...] 57 Zwangsmassnahmen im Rahmen der fürsorgerischen Freiheitsent- ziehung; Richtwerte für die Dauer der verschiedenen Zwangsmassnah- men. - Zwangsmedikation (Erw. 3/a/bb/bbb). - Isolation (Erw. 3/b/bb). - Fixation (Erw. 3/c/bb). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 2. Oktober 2001 in Sachen L.F. gegen Verfügung des Bezirksarzt-Stellvertreters L. und Entscheid der Klinik Königsfelden. Aus den Erwägungen 3/a/bb/bbb) Bei der Zwangsmedikation ist dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht Rech- nung zu tragen. Das Verwaltungsgericht erachtet es als zulässig, be- stimmte Medikationen bereits in einem einzigen Zwangsmassnah- men-Entscheid anzuordnen, selbst wenn sich deren Vollzug in der Folge über einen gewissen Zeitraum erstreckt und die Veränderungen im Zustand der betroffenen Person naturgemäss nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden können, solange es sich dabei um eine medizi- 2001 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 233 nische Behandlungseinheit handelt (vgl. VGE I/21 vom 13. Februar 2001 i.S. A.R., S. 32 f.) Die Notwendigkeit, eine konkrete Medika- tion im Voraus für eine bestimmte Zeitdauer anzuordnen, bedarf jedoch stets einer ausreichenden Begründung, wobei der Zusammen- hang zwischen der angeordneten Dauer einerseits sowie der be- zweckten und erwarteten Wirkung des Medikaments auf den Patien- ten andererseits aufzuzeigen ist. Die für eine Zwangsbehandlung in Frage kommenden Medika- mente unterscheiden sich u.a. auch hinsichtlich ihrer Wirkungsdauer. Während sich z.B. das vornehmlich der Initialbehandlung akuter psy- chotischer Erregungszustände dienende Medikament "Clopixol-Acu- tard" durch eine relativ kurze Wirkungsdauer auszeichnet, ist diese z.B. beim Medikament "Clopixol Depot", welches vor allem für die Erhaltungstherapie eingesetzt wird, wesentlich länger. Zudem spre- chen nicht alle Patienten in gleichem Masse auf eine bestimmte Dosis desselben Medikaments an. Es ist deshalb nicht möglich, die für eine Zwangsmedikation zulässige Höchstdauer in absoluten Zah- len festzulegen. Als Richtlinie erachtet das Verwaltungsgericht einen auf die Dauer von 3 - 10 Tagen (entspricht der voraussichtlichen Wirkungsdauer von einer bis drei Injektionen Clopixol-Acutard) bis maximal 4 Wochen (entspricht der voraussichtlichen Wirkungsdauer von zwei bis drei Injektionen mit einem Depotneuroleptikum) befristeten und begründeten Entscheid betreffend Zwangsmedikation in der Regel als verhältnismässig. 3/b/bb) Isolation ist eine "andere Vorkehr" i.S. von § 67e bis EG ZGB und damit eine Zwangsmassnahme, die den Schutz der betrof- fenen Person - und damit einhergehend den Schutz ihrer Mitmen- schen - vor körperlichen und seelischen Schäden bezweckt (vgl. Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau vom 4. August 1999 [Botschaft], S. 6). Mit der Anordnung dieser Massnahme wird in einschneidender Weise in das Grundrecht der persönlichen Frei- heit der betroffenen Person eingegriffen. Dem Grundsatz der Ver- hältnismässigkeit ist vor allem durch eine Beschränkung dieser Massnahme in zeitlicher Hinsicht auf die absolut notwendige Dauer Rechnung zu tragen. 2001 Verwaltungsgericht 234 Die Isolation stellt von ihrem Wesen her eine grundlegend an- dere Zwangsmassnahme dar als eine medikamentöse Zwangsbe- handlung. Isolation bedeutet, in einem (oft ausser einem Bett unmöb- lierten) Raum alleine eingeschlossen zu werden. In der Regel soll damit einer drohenden Selbst- oder Fremdgefährdung begegnet wer- den, d.h. sie geschieht zum Selbstschutz des Betroffenen, aber auch zum Schutz von Personal, Patienten und Gegenständen. Allenfalls kann die mit der Isolation verbundene Reizabschirmung zusätzlich zu einer Beruhigung eines Patienten führen. Bleuler führt aus, unter der heutigen Therapie seien langdauernde Isolierungen nicht mehr nötig, da eine Beruhigung des Patienten mittels Anwendung von Medikamenten erreicht werden könne; hingegen seien ganz kurze Isolierungen in akuten, schweren Erregungszuständen für die Mitpa- tienten oft eine Notwendigkeit (Eugen Bleuler, Lehrbuch der Psy- chiatrie, Neubearbeitung von Manfred Bleuler, Berlin/Heidel- berg/New York 1983, S. 193). In einem beschränkten zeitlichen Rahmen kann deshalb in bestimmten Fällen eine Verbindung von Zwangsmedikation und Isolation verhältnismässig sein (vgl. BGE 126 I 120). Sobald jedoch die medikamentöse Behandlung ihre gewünschte Wirkung entfaltet, ist die Isolation aufzuheben. Eine Isolation wird sich deshalb in den meisten Fällen nur während eini- gen Tagen als verhältnismässig erweisen und kann deshalb in der Regel höchstens für die Dauer einer Woche angeordnet werden. Sollte sich nach dieser Dauer eine Fortsetzung der Isolation trotzdem noch als notwendig erweisen, wäre diese mit einem neuen Zwangs- massnahmen-Entscheid anzuordnen und entsprechend zu begründen. 3/c/bb) Bei der Fixation handelt es sich ebenfalls um eine "an- dere Vorkehr" i.S. von § 67e bis EG ZGB und damit um eine Zwangsmassnahme. Mit der Anordnung dieser Massnahme wird in noch einschneidenderer Weise als mittels Isolation in die Freiheits- rechte einer betroffenen Person eingegriffen. Deshalb sind vom Grundsatz der Verhältnismässigkeit her noch strengere Anforderun- gen an die Anordnung einer solchen Massnahme zu stellen, dies insbesondere dann, wenn diese Zwangsmassnahme zusätzlich zur Isolation angeordnet wird. Weil das Fixieren mit einem Gurt den Kerngehalt der Bewegungsfreiheit als Aspekt der persönlichen Frei- 2001 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 235 heit in extremster Form betrifft, kann es als Massnahme nur bei einer konstanten Gefahr für Leib und Leben verhältnismässig sein (AGVE 2000, S. 194). Die Fixation ist deshalb nur in konkreten Notfallsitua- tionen und in der Regel höchstens für die Dauer von drei Tagen an- zuordnen.
1,310
1,052
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2001-57_2001-10-01
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AGVE_2001_57
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nan
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1
412
871,549
1,038,787,200,000
2,002
de
2002 Kantonale Steuern 185 [...] 51 Abzugsfähigkeit von BVG-Einlagen (§ 26 Abs. 1 StG). Steuerumgehung. - Kapitaleinlagen zum Einkauf von Lohnaufbesserungen oder zusätz- licher Beitragsjahre sind grundsätzlich ohne Beschränkung abzieh- bar, soweit sie reglementarisch vorgesehen und angemessen sind. Dies gilt selbst dann, wenn die Einlage nur rund 1 Jahr vor dem re- glementarischen Schlussalter erfolgte und die BVG-Leistung in Ka- pitalform bezogen wurde. - Keine Steuerumgehung, falls die Kapitaleinlage mit einem ausrei- chenden wirtschaftlichen Vorteil verknüpft ist. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. Dezember 2002 in Sachen KStA gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Zur Publikation vor- gesehen in StE 2003.
175
135
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
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412
871,988
1,378,080,000,000
2,013
de
2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 352 [...] 58 Unentgeltliche Rechtspflege im Straf- und Massnahmenvollzug Die Praxis, wonach Strafgefangenen grundsätzlich keine vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege gewährt wird, verletzt den verfassungsrecht- lich garantierten Mindestanspruch gemäss Art. 29 Abs. 3 BV. Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. September 2013 in Sa- chen X. (WBE.2013.317). Aus den Erwägungen 10.1. 10.1.1. Die Vorinstanz gewährte dem Beschwerdeführer die unentgeltli- che Rechtspflege nur teilweise und auferlegte dem - anwaltlich nicht vertretenen - Beschwerdeführer reduzierte Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 150.00. 10.1.2. Sie wies - unter Verweis auf unpublizierte frühere Regierungs- ratsbeschlüsse, welche ihrerseits auf einen publizierten Entscheid des Regierungsrats vom 24. Oktober 1983 (AGVE 1983, S. 470 ff.) ver- weisen - darauf hin, dass der Regierungsrat praxisgemäss Strafge- fangene als in der Lage erachte, mit ihrem Pekulium geringe Verfah- renskosten zu bezahlen, weshalb er ihnen grundsätzlich auch keine 2013 Verwaltungsrechtspflege 353 vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege gewähre. Damit sollten Strafgefangene für die mit dem Strafvollzug zusammenhängenden Beschwerdeverfahren einem gewissen, auf ihre finanziellen Mög- lichkeiten zugeschnittenen Kostenrisiko unterworfen werden, um sicherzustellen, dass sie von den ihnen zustehenden Rechtsmitteln einen vernünftigen Gebrauch machten. Allerdings werde bei der Be- messung der Staatsgebühr der besonderen Situation und finanziellen Lage der Strafgefangenen Rechnung getragen. Der Beschwerdefüh- rer erhalte pro Monat ein Arbeitsentgelt von Fr. 520.00, wobei dieses zu 75 % dem Frei- und zu 25 % dem Sperrkonto gutgeschrieben wer- de. Somit stünden dem Beschwerdeführer pro Monat durchschnitt- lich Fr. 390.00 zur Verfügung. Damit müsse er nebst den üblichen Beschaffungen für sämtliche anfallenden Krankenkosten von seinem Freikonto selber aufkommen (Krankenkassenprämien, Franchise, Selbstbehalt). Das Freikonto habe per 8. Januar 2013 einen Saldo von Fr. 815.25 aufgewiesen. Der Saldo des Sperrkontos habe Fr. 22'716.15 betragen. Angesichts des vorhandenen Guthabens auf dem Freikonto sei es gerechtfertigt, dem Beschwerdeführer im Sinne einer teilweisen Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege eine reduzierte Staatsgebühr von Fr. 150.00 aufzuerlegen. 10.2. 10.2.1. Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechts- pflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht als aussichtslos erscheint. So- weit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Diese Ansprüche gründen überdies in § 34 VRPG. § 34 Abs. 3 VRPG verweist auf die Bestimmungen des Zivilprozessrechts, d.h. auf Art. 117 ff. ZPO. 10.2.2. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Unentgeltlichkeit von Rechtspflege und Rechtsbeistand gemäss Art. 29 Abs. 3 BV gewähr- leistet jedem Betroffenen ohne Rücksicht auf seine finanzielle Situa- tion tatsächlichen Zugang zum (Gerichts-)Verfahren und effektive Wahrung seiner Rechte (BGE 131 I 350, Erw. 3.1). Chancengleich- heit als Element eines gerechten rechtsstaatlichen Verfahrens erfor- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 354 dert die Unterstützung bedürftiger Personen im Hinblick auf eine sachgerechte Prozessführung (G EROLD S TEINMANN , in: Die Schwei- zerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 2. Auflage 2008, Art. 29 BV Rz. 34). Eine partielle Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie bedeutet eine Einschrän- kung der durch die unentgeltliche Rechtspflege vermittelten An- sprüche in sachlicher Hinsicht, indem die Bewilligung nur für einen Teil der Prozesskosten erteilt und der Beschwerdeführer hinsichtlich des anderen Teils zur Kostenübernahme verpflichtet wird. Die par- tielle unentgeltliche Rechtspflege erklärt sich aus der Relativität der Mittellosigkeit, welche es gebietet, auf die konkreten finanziellen Verhältnisse des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Sie kommt in Frage, wenn aus der Gegenüberstellung von Einkommen und Vermö- gen einerseits und notwendigem Lebensunterhalt andererseits ein ge- wisser Überschuss resultiert, der es dem Beschwerdeführer erlaubt, einen Teil der Prozesskosten selbst zu bestreiten (S TEFAN M EICHSSNER , Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege [Art. 29 Abs. 3 BV], Basel 2008, S. 165 f.). 10.3. 10.3.1. Die vom Regierungsrat angeführte Praxis, den Strafgefangenen grundsätzlich keine vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, um auf diese Weise sicherzustellen, dass sie von den ih- nen zustehenden Rechtsmitteln einen vernünftigen Gebrauch mach- ten, verletzt den verfassungsrechtlich garantierten Mindestanspruch gemäss Art. 29 Abs. 3 BV. Sie stellt eine nicht zu rechtfertigende Un- gleichbehandlung von Strafgefangenen im Vergleich zu den übrigen (natürlichen) Personen dar, indem dadurch Strafgefangene, selbst wenn ihre Beschwerde nicht aussichtslos erscheint und ihre Mittello- sigkeit erwiesen ist - im Gegensatz zu allen anderen natürlichen Per- sonen - einen Teil der Verfahrenskosten selbst tragen müssen. Die Praxis des Regierungsrats berücksichtigt nicht, dass auch Strafge- fangenen der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nur dann zu- steht, wenn ihre Beschwerde nicht aussichtslos erscheint. Des Weite- ren ist zu bedenken, dass die unentgeltliche Rechtspflege nur für ein 2013 Verwaltungsrechtspflege 355 konkretes Verfahren beansprucht werden kann, nicht aber generell für die gesamte Dauer des Massnahmenvollzugs (BGE 128 I 225, Erw. 2.4. ff.). Die Argumentation des Regierungsrats berücksichtigt zudem nicht, dass der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege dem Mittellosen keine definitive Übernahme der Kosten durch den Staat garantiert und damit zulässt, dass die im Endentscheid verlegten Pro- zesskosten bloss gestundet werden und nach Prozessende aufgrund einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen von diesem zurückgefordert werden können (BGE 122 I 322, Erw. 2c; M EICHSSNER , a.a.O., S. 175 f.).
1,376
1,061
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2013-58_2013-09-02
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-58.html
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870,425
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2,010
de
2010 Verwaltungsrechtspflege 263 [...] 50 Beschwerdelegitimation in Baubewilligungssachen (§ 38 Abs. 1 aVRPG). - Zur Begründung des Anfechtungsinteresses in Ästhetikfragen ist eine Sichtverbindung zwar erforderlich, jedoch nicht in jedem Fall genü- gend. - Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall: Der an sich markante Bau ist vom Grundstück der Beschwerdeführerin aus sichtbar, in- folge der durch Bäume eingeschränkten Sicht, des dazwischen lie- genden Raumes (rund 100 m) und der Anordnung des Neubaus rela- tiviert sich jedoch die optische Wirkung des Neubaus so stark, dass 2010 Verwaltungsgericht 264 seine Fernwirkung auf die Liegenschaft der Beschwerdeführerin bei objektiver Betrachtung nicht als Nachteil empfunden werden kann. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 9. November 2010 in Sa- chen X. gegen A., B., C. und D. (WBE.2010.133). Aus den Erwägungen 2. 2.1. 2.1.1. Verfügungen und Entscheide kann jedermann durch Be- schwerde anfechten, der ein schutzwürdiges eigenes Interesse gel- tend macht (§ 38 Abs. 1 aVRPG). Zur Auslegung von § 38 Abs. 1 aVRPG in Baubewilligungssachen besteht eine langjährige Praxis (AGVE 2000, S. 365 ff.; 1998, S. 326; 1997, S. 288 ff.; 1993, S. 409 ff.; 1991, S. 363 ff.; ferner Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss., Zürich 1998, § 38 N 150 ff.), die sich an der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Beschwerdelegitimation in bundesgerichtli- chen Verfahren orientiert. Das kantonale Recht muss die Legitima- tion im gleichen Umfang gewährleisten wie für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht (Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG). Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefoch- tenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges In- teresse an dessen Aufhebung oder Änderung besitzt (Art. 89 Abs. 1 BGG). Verlangt ist somit neben der formellen Beschwer (Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG), dass der Beschwerdeführer über eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt (Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG) und einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids zieht (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG). Die 2010 Verwaltungsrechtspflege 265 Nähe der Beziehung zum Streitgegenstand muss bei Bauprojekten insbesondere in räumlicher Hinsicht gegeben sein. Ein schutzwürdi- ges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Si- tuation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann. Die Voraussetzungen von Art. 89 Abs. 1 lit. b und lit. c BGG hängen eng zusammen; insgesamt kann insoweit an die Grundsätze angeknüpft werden, die zur Legitimationspraxis bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 103 lit. a des früheren Organisationsgesetzes vom 16. Dezember 1943 (OG; BS 3 S. 531) entwickelt worden sind (vgl. BGE 133 II 404 f. mit Hinweisen). 2.1.2. Die enge räumliche Beziehung hängt nicht allein von einer in Metern gemessenen Distanz ab (Urteil des Bundesgerichts vom 9. März 2010 [1C_40/2010], Erw. 2.3; AGVE 2000, S. 367), sondern davon, auf welche Entfernung sich das streitige Bauvorhaben unter dem geltend gemachten Anfechtungsinteresse auswirken kann (BGE 112 Ia 123; Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 10. Juli 2008 [VB.2008.00051], Erw. 3.1; Attilio R. Gadola, Das verwal- tungsinterne Beschwerdeverfahren, Diss. Zürich 1991, S. 221). Be- fürchtet der Beschwerdeführer etwa eine übermässige Beschattung, muss er sich näher an der Bauparzelle befinden, als wenn er geltend macht, das Vorhaben löse auf einer gemeinsamen Erschliessungs- strasse unzumutbaren Mehrverkehr bzw. Verkehrslärm aus. Die Aus- wirkungen des beanstandeten Bauvorhabens auf die Liegenschaft des Beschwerdeführers müssen nach ihrer Art und Intensität so beschaf- fen sein, dass sie auch bei objektivierter Betrachtungsweise als Nach- teil empfunden werden müssen (BGE 112 Ia 123; AGVE 2000, S. 368). Eine besondere subjektive Empfindlichkeit des Betroffenen verdient keinen Rechtsschutz (BGE 112 Ia 123; Urteil des Bundes- gerichts vom 8. November 2001 [1A.244/2000], Erw. 3a). Im Allge- meinen dürften mit zunehmender räumlicher Distanz auch die Anfor- derungen an die Glaubhaftmachung eines besonderen Berührtseins steigen (Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 10. Juli 2008 [VB.2008.00051], Erw. 4.3.; Urteil des Kantonsgerichts Basel-Land- schaft vom 14. Oktober 2009 [810 09 68], Erw. 2.3). 2010 Verwaltungsgericht 266 2.1.3. Ist das Anfechtungsinteresse nicht offensichtlich, liegt es am Beschwerdeführer, die legitimationsbegründende räumliche Bezie- hung und die schutzwürdigen Interessen im Verfahren aufzuzeigen. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanz anhand der Akten oder weiterer, noch beizuziehender Unterlagen nachzuforschen, ob und inwiefern der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Anfechtungs- interesse haben könnte (vgl. BGE 133 II 404; Urteil des Verwal- tungsgerichts Zürich vom 10. Juli 2008 [VB.2008.00051], Erw. 3.1, mit Hinweisen). Die Behauptung allein, er sei von den Folgen einer Baubewilligung betroffen, genügt nicht, um die Beschwerdebefugnis zu begründen. Ansonsten stünde jedermann, der eine unzutreffende Behauptung aufstellt, die Beschwerdeberechtigung zu. Dies liefe im Ergebnis auf eine unzulässige Popularbeschwerde hinaus (Urteil des Bundesgerichts vom 9. März 2010 [1C_40/2010], Erw. 2.3; Urteil des Bundesgerichts vom 1. Februar 2010 [1C_500/2009], Erw. 2.3). 2.2. 2.2.1. Die Beschwerdeführerin begründet ihre Legitimation mit dem Volumen und der Anordnung des geplanten Baukörpers, der Ausnut- zung der Bauparzelle und mit dem Ortsbild. Sie beruft sich damit ausschliesslich auf den Gesichtspunkt der Ästhetik. Weitere Aspekte, wie namentlich Immissionen durch Lichtentzug, Beschattung, Ver- kehrslärm oder ähnliches, führt sie nicht an. Die Frage der Be- schwerdebefugnis ist somit ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt der Ästhetik zu beurteilen. Nach weiteren legitimationsbegründenden Beeinträchtigungen muss nach dem zuvor Gesagten nicht geforscht werden. 2.2.2. Den Ausführungen der Beschwerdeführerin ist insofern beizu- pflichten, als das geplante, viergeschossige Gebäude als markanter Baukörper in Erscheinung treten wird. Auch das Fachgutachten Y. spricht von einem grossen Volumen bzw. von einem starken Akzent als Abschluss des Z.-Parkplatzes. Das Vorhaben nützt sodann die für Arealüberbauung erhöhte Ausnützungsziffer mit einer Bruttoge- schossfläche von 701 m2 vollständig aus. Bezüglich Ausnutzung und 2010 Verwaltungsrechtspflege 267 Volumen hebt sich das geplante Gebäude somit klar vom beste- henden Wohnhaus ab. Das veranschaulichen auch die Fassadenan- sichten und die Fotosimulationen des geplanten Gebäudes. Richtig und allseits unbestritten ist ferner die Tatsache, dass zwischen dem Grundstück der Beschwerdeführerin und der Bauparzelle Sichtver- bindung besteht. Eine solche Sichtverbindung ist zwar zur Begrün- dung des Anfechtungsinteresses in Ästhetikfragen erforderlich, aber nicht in jedem Fall genügend. Ob eine Sichtverbindung besteht oder nicht, stellt nur ein Indiz zur Beurteilung der Legitimationsfrage dar (AGVE 1997, S. 290; VGE III/72 vom 22. September 1995 [BE.94.00215/226], S. 8; VGE III/123 vom 16. Dezember 1996 [BE.96.00297], S. 4; VGE III/27 vom 9. April 1997 [BE.96.00134], S. 5). 2.2.3. Zwar handelt es sich beim geplanten Gebäude um einen mar- kanten Bau mit entsprechender Nahwirkung. Die Fernwirkung des Vorhabens von der Liegenschaft der Beschwerdeführerin aus ist je- doch aus verschiedenen Gründen stark abgeschwächt. Erstens liegen zwischen der Terrasse der Beschwerdeführerin und der Fassade des projektierten Mehrfamilienhauses rund 100 Meter, was die optische Wirkung des geplanten Neubaus erheblich relativiert. Zwischen der Liegenschaft der Beschwerdeführerin und dem geplanten Mehrfami- lienhaus liegt ein grosszügiger Raum, bestehend aus einer Strasse (Z.), einer Tartanbahn, einem Fussballplatz und einem Parkplatz, so dass bei einer objektiven Betrachtung keinerlei Gefahr besteht, dass die Liegenschaft der Beschwerdeführerin durch den Neubau optisch "erdrückt" werden könnte. Zweitens ist die Sichtverbindung zwi- schen dem Grundstück der Beschwerdeführerin und der Bauparzelle durch den dazwischenliegenden Baumbestand erheblich einge- schränkt. Das gilt selbst in der kalten Jahreszeit, in der die Bäume (wie auf den aktenkundigen Fotografien) keine Blätter tragen. Der dazwischenliegende Raum und der Baumbestand haben - wie die Vorinstanz zutreffend festhält - eine trennende sowie kaschierende Wirkung. Drittens zeigt nur die Schmalseite des geplanten Mehrfa- milienhauses gegen die Parzelle der Beschwerdeführerin, so dass der neue Hauptkörper mit seiner Länge von fast 22 m auch aus diesem 2010 Verwaltungsgericht 268 Grund nicht als Riegel wirkt. Viertens nimmt der Neubau der Be- schwerdeführerin keine freie Aussicht, ist doch diese gegen Süden schon heute durch den Baumbestand stark eingeschränkt. Ausserdem liegt das Grundstück der Beschwerdeführerin rund 5 m höher, was die optischen Auswirkungen des Neubaus ebenfalls reduziert. 2.2.4. Die Beschwerdeführerin beruft sich ferner darauf, der Neubau mit 4 Geschossen beeinträchtige das Quartierbild. Angesichts der räumlichen Distanz und der eingeschränkten Sichtverbindung zur Bauparzelle und zu den übrigen Bauten im Süden ist jedoch nicht er- sichtlich, inwiefern die Beschwerdeführerin durch den behaupteten Einordnungsmangel in besonderer Weise betroffen sein könnte. Eine relevante Möglichkeit, durch den behaupteten Einordnungsmangel beeinträchtigt zu werden, besteht nicht. Bei einer materiellrecht- lichen Beurteilung der Ortsbildfrage wäre im Übrigen zu beachten, dass sich der Massstab für den Schutz des Orts-, Quartier- und Landschaftsbildes in erster Linie aus der Zonenordnung ergibt, nicht aus dem Zustand der tatsächlichen Bebauung (AGVE 1983, S. 209; 1980, S. 297; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 159 N 3b). Unter diesem Gesichtspunkt wäre bei einer materiellen Würdigung der Ortsbildfrage zu berücksichtigen, dass auf den umliegenden Parzellen nach den massgebenden Zonenvorschriften ebenfalls höher gebaut werden könnte. Bauten, die den geltenden Zonenvorschriften entsprechen, können nicht schon deshalb als störend bezeichnet werden, weil sie grössere Ausmasse und eine grössere Nut- zungsdichte aufweisen als die umstehenden Gebäude (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 21. Juni 2005 [1P.678/2004], Erw. 4.3, mit Hinweisen; VGE III/39 vom 16. Juni 2009 [WBE.2008.158/159], S. 18). 2.3. Zusammenfassend ist der an sich markante Bau vom Grund- stück der Beschwerdeführerin aus sichtbar, infolge der durch Bäume eingeschränkten Sicht, des dazwischen liegenden Raumes und der Anordnung des Neubaus relativiert sich jedoch die optische Wirkung des Neubaus so stark, dass seine Fernwirkung auf die Liegenschaft 2010 Verwaltungsrechtspflege 269 der Beschwerdeführerin bei objektiver Betrachtung nicht als Nachteil empfunden werden kann. Die Beschwerdeführerin legt zwar in nachvollziehbarer Weise dar, dass sie den markanten Neubau wird sehen können, macht jedoch nicht in substanziierter Weise glaubhaft, dass eine relevante Beeinträchtigungsmöglichkeit besteht. Die Behauptung allein, sie sehe den markanten Neubau und sei davon ästhetisch betroffen, genügt nicht, um die Beschwerdebefugnis zu begründen.
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AG_VG_001
AG_VG
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AG_VG_001_AGVE-2010-50_2010-11-03
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2004 Verwaltungsrechtspflege 271 [...] 68 Beschwerdelegitimation (§ 38 Abs. 1 VRPG). - Bei bestimmten Sachverhalten besteht ein schutzwürdiges Interesse für den Antrag des Steuerpflichtigen, die Steuerveranlagung sei zu seinen Ungunsten abzuändern (Erw. 2/a). - Für die Beschwerdeführung muss ein eigenes Interesse vorliegen. Daran fehlt es, wenn die beschwerdeführende "Einmann-AG" ledig- lich Interessen ihres Aktionärs verfolgt (Erw. 2/b). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 14. Mai 2004 in Sa- chen M. AG gegen Steuerrekursgericht. Publiziert in StE 2005, B 96.21 Nr. 13. Aus den Erwägungen 2. a) Die Beschwerdeführerin beantragt den veranlagten Rein- ertrag heraufzusetzen, was eine (minim) höhere Steuerbelastung ergäbe. Zu prüfen ist, ob sie dazu legitimiert ist, was ein eigenes 2004 Verwaltungsgericht 272 schutzwürdiges Interesse voraussetzt (vgl. Martin Zweifel, in: Kom- mentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2b [DBG], Art. 132 N 12; § 38 Abs. 1 VRPG). Dieses liegt auf der Hand, wenn eine tiefere Veranlagung angestrebt wird, nicht aber im umgekehrten Fall. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass ein schutzwürdiges Interesse an einer Höherveranlagung besteht, beispielsweise wenn dies in einer folgenden Steuerperiode zu tieferen Steuern führt oder wenn die Steuerpflichtige dadurch ein Nachsteuer- und Hinterzie- hungsverfahren vermeiden kann (vgl. ASA 43/1974-75, S. 344 ff.; VGE II/15 vom 4. März 2004 [BE.2002.00294] in Sachen E. AG, S. 6; Ernst Känzig/Urs R. Behnisch, Die direkte Bundessteuer [Wehrsteuer] [Kommentar], III. Teil, 2. Auflage, Basel 1992, Art. 106 N 8; Zweifel, a.a.O., Art. 132 N 12; Richner/Frei/Kaufmann, Handkommentar zum DBG, Zürich 2003, Art. 132 N 14); doch muss im Fall der beantragten Höherveranlagung ein solches konkretes Interesse dargetan sein. b) Die Beschwerdeführerin führt dazu aus, die Veranlagungsbe- hörde verfolge das Ziel, den Zeitpunkt einer Dividendenausschüttung festzulegen, die beim Aktionär zu einer Einkommensbesteuerung führen solle. Für die Beschwerdeführerin selber bleibe die Steuerbe- lastung gleich. Damit bestätigt sie selber, dass das Interesse an der Beschwerdeführung ausschliesslich bei ihrem Aktionär liegt. Zudem ist die Aufrechnung einer geldwerten Leistung bei der Gesellschaft keine unerlässliche Voraussetzung für eine Besteuerung beim Aktio- när (VGE II/39 vom 20. Juni 2003 [BE.2002.00171] in Sachen KStA/K.S., S. 6; VGE II/11 vom 28. Februar 2000 [BE.98.00392] in Sachen Erben P.K., S. 5), sodass ein Obsiegen der Beschwerdeführe- rin im vorliegenden Verfahren die Besteuerung ihres Aktionärs gar nicht zwingend zu beeinflussen vermag. Da die Beschwerdeführerin selber steuerlich nicht beschwert ist, ist auf ihre Beschwerde mangels eines Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten.
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AG_VG_001
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AG_VG_001_AGVE-2004-68_2004-05-02
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2011 Verwaltungsrechtspflege 253 [...] 59 Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ein Rückweisungsentscheid des BVU bildet taugliches Anfechtungsobjekt vor Verwaltungsgericht. Die Anfechtungsvoraussetzungen des BGG gel- ten im kantonalen Verfahren nicht. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. Juni 2011 in Sachen A. gegen B. (WBE.2010.390). Aus den Erwägungen I. 1. Angefochten ist ein Rückweisungsentscheid des BVU. Das BVU macht geltend, die Auffassung, wonach Rückweisungsentschei- de vor Verwaltungsgericht grundsätzlich taugliches Anfechtungs- objekt darstellten, sei aufgrund der zwischenzeitlichen Totalrevision der Bundesrechtspflege nicht mehr zeitgerecht. Auf die Beschwerde sei im konkreten Fall nicht einzutreten. Für das Verfahren vor Bundesgericht sind die anfechtbaren Ent- scheide in Art. 90-94 BGG geregelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum BGG stellen Rückweisungsentscheide in der Regel Zwischenentscheide dar, die nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG selbständig angefochten werden können (BGE 135 III 216 f.; 134 II 127 f.; 133 II 412; 133 V 481 f.; Urteil des Bundesgerichts vom 29. September 2010 [1C_8/2010], Erw. 1.2 und 1.3). Diese unter Geltung des BGG für das bundesgerichtliche Verfahren entwickelte Rechtsprechung lässt sich jedoch nicht auf das kantonale Verfahren vor Verwaltungsgericht übertragen. Die Be- schwerde an das Verwaltungsgericht bestimmt sich nach dem kanto- 2011 Verwaltungsgericht 254 nalen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege vom 4. Dezember 2007 (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRPG; SAR 271.200). Die massgebliche Regelung in §§ 54 ff. VRPG (Beschwerde an das Ver- waltungsgericht) unterscheidet sich von derjenigen in Art. 90-94 BGG. Eine Praxis, welche bezüglich Rückweisungsentscheiden an die Anforderungen von Art. 93 Abs. 1 BGG anknüpfen würde, be- steht auf kantonaler Ebene nicht und bestand auch unter Geltung des aVRPG nicht. Nach § 54 Abs. 1 VRPG ist u. a. gegen letztinstanzliche Ent- scheide der Verwaltungsbehörden die Verwaltungsgerichtsbeschwer- de zulässig. Das gilt auch in Bausachen (vgl. § 41 ABauV). Ein Sonderfall gemäss § 54 Abs. 2 VRPG liegt nicht vor, auch sind keine vorbehaltenen Sonderbestimmungen in anderen Gesetzen im Sinne von § 54 Abs. 3 VRPG erkennbar. Die Wirkungen eines Rückwei- sungsentscheids lassen sich mit denjenigen eines Vorentscheids ver- gleichen, da die materiellen Erwägungen in Rückweisungsentschei- den die Vorinstanz wie auch die Rechtsmittelinstanz binden, sollte letztere im gleichen Verfahren erneut angerufen werden (Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege vom 9. Juli 1968, Kommentar zu den §§ 38-72 [a]VRPG, Diss., Zürich 1998, § 38 N 62). Rückweisungsentscheide sind im Grundsatz taugliches Anfechtungsobjekt vor Verwaltungsgericht und unterscheiden sich insofern nicht vom reformatorischen Entscheid (Merker, a. a. O., § 38 N 63). Mit dem angefochtenen Rückweisungsentscheid wurde das Verfahren vor BVU abgeschlossen und der Gemeinderat an- gewiesen, das Baugesuch auf die Vereinbarkeit mit den Vorschriften zur Ausnützungsziffer hin zu überprüfen. Dies, weil das BVU zum Schluss gelangte, dass die gewerblich genutzte Aussenverkaufsfläche zur Bruttogeschossfläche zu zählen sei. Der strittige Rückweisungs- entscheid bildet somit taugliches Anfechtungsobjekt und das Verwal- tungsgericht ist zur Beurteilung der dagegen erhobenen Beschwerde zuständig.
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AG_VG_001
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2009 Verwaltungsgericht 236 [...] 45 Sozialhilferechtliche Stellung von anerkannten Flüchtlingen - Fehlende Zuständigkeit des Kantonalen Sozialdienstes für die Fest- setzung der materiellen Hilfe an anerkannte Flüchtlinge - Anwendung der Mietzins-Richtlinien auf "Junge Erwachsene" mit Flüchtlingsstatus - Keine Rückweisung, wenn eine Anordnung für die Zukunft neu ver- fügt werden muss Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 30. Juni 2009 in Sachen I.T. gegen das Bezirksamt Aarau (WBE.2008.406). Aus den Erwägungen 2. Die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Schweiz richtet sich grundsätzlich nach dem für Ausländerinnen und Ausländer geltenden Recht (Art. 58 AsylG). Zur Festsetzung, Ausrichtung und Ein- schränkung von Fürsorgeleistungen für anerkannte Flüchtlinge gilt das SPG sowie die SPV (Art. 82 und 83 AsylG; Art. 3 der Asylver- ordnung 2 über Finanzierungsfragen vom 11. August 1999 [AsylV 2; SR 142.12]; Art. 4 der Vollzugsweisungen zur Asylverordnung 2, Ausrichtung und Abgeltung von Fürsorgeleistungen für Personen des Asylrechts vom 10. September 1999 [Asyl 80 1.2]). Mit der Revision des Asylgesetzes ging die Zuständigkeit für die Betreuung anerkannter Flüchtlinge mit Aufenthaltsbewilligung (B-Bewilligung) per 1. Oktober 2001 vom Bund an die Kantone über. Mit der kantonalen Umsetzung der AsylV 2 wurde die Fürsorge und Betreuung anerkannter Flüchtlinge ab 1. Oktober 2001 in die Zuständigkeit der Wohngemeinden gestellt (Kreisschreiben des Kantons Aargau, Gesundheitsdepartement, Kantonaler Sozialdienst [nachfolgend Kreisschreiben] 3/2001 und Kreisschreiben 5/2001). 2009 Sozialhilfe 237 Die Gewährung von Sozialhilfe an Flüchtlinge richtet sich nach den ordentlichen Bestimmungen des SPG (§ 16 Abs. 2 SPG). Ge- mäss § 10 SPG i.V.m. § 10 SPV gelten für die Bemessung der mate- riellen Hilfe die Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (herausgegeben von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe [SKOS-Richtlinien], 3. Auflage, Dezember 2000). Diese finden auch Anwendung für anerkannte Flüchtlinge (SKOS- Richtlinien, S. 4 "Zur Bedeutung dieser Richtlinien"). Anerkannte Flüchtlinge sind demnach fürsorgerechtlich den Einwohnern gleich- zustellen. 3.1.-3.2. (...) 3.3. Die sich in einer Notlage befindende und Sozialhilfe bean- spruchende Person hat keinen Anspruch auf Übernahme der Miet- kosten einer beliebigen Wohnung durch das Gemeinwesen (Urteil des Bundesgerichts vom 3. Juni 2005 [2P.143/2005], Erw. 2.2). In diesem Sinne sehen auch die SKOS-Richtlinien vor, dass überhöhte Wohnkosten nur so lange zu übernehmen sind, bis eine zumutbare günstigere Lösung zur Verfügung steht. Bevor der Umzug in eine günstigere Wohnung verlangt wird, ist jedoch die Situation im Ein- zelfall zu prüfen (SKOS-Richtlinien, Kapitel B.3; zum Ganzen: AGVE 2003, S. 283). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Hilfe suchende Personen bei der Berechnung der Wohnkosten für Sozial- hilfe keine höheren Ansprüche stellen können als Familien oder Personen, die sich in knappen finanziellen Verhältnissen selber durchbringen und entsprechende Einschränkungen hinnehmen müssen (AGVE 2004, S. 253 ff. mit Hinweisen; SKOS-Richtlinien, Kapitel A.4-2). Für junge Erwachsene zwischen dem vollendeten 18. Altersjahr und dem vollendeten 25. Altersjahr ohne Erstausbildung sehen die SKOS-Richtlinien günstige Wohngelegenheiten, wie eine Zimmer- benutzung im Rahmen einer Wohngemeinschaft vor (SKOS-Richt- linien, Kapitel H.11). 2009 Verwaltungsgericht 238 4. 4.1. Dem Beschwerdeführer wurde mit Verfügung vom 28. April 2008 die 2 -Zimmerwohnung mit Mietkosten von effektiv Fr. 1'105.-- (inkl. Nebenkosten) bewilligt und gleichzeitig festge- stellt, dass der Mietzins den gemäss Richtlinien angemessenen Miet- zins von Fr. 900.-- pro Monat übersteigt. Der Gemeinderat X. kürzte deshalb die materielle Bedarfsrechnung um Fr. 205.-- (d.h. um die Überschreitung des maximalen monatlichen Mietzinslimits von Fr. 900.--). Diese Kürzung dauert solange bis der Beschwerdeführer eine neue Wohnung mit Mietkosten gemäss den Richtlinien gefunden hat. Diese Verfügung ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. 4.2. 4.2.1. Zuständig für die Gewährung der Sozialhilfe sind die Gemein- debehörden (§ 6 Abs. 1 SPG). Der Gemeinderat oder eine von ihm eingesetzte Sozialkommission ist die zuständige Sozialbehörde, so- weit nicht die Zuständigkeit einer anderen Behörde vorbehalten ist (§ 44 Abs. 1 und 2 SPG). Die Zuständigkeiten des kantonalen So- zialdiensts umschreibt allgemein § 42 Abs. 1 lit. a ff. SPG und um- fasst u.a. die Beratung der Gemeindebehörden (lit. a), die Koordi- nation sozialer Tätigkeiten (lit. c) und die Weiterbildung (lit. d). Gemäss § 18 Abs. 2 SPG fällt die Betreuung und die finanzielle Unterstützung für Personen gemäss § 16 Abs. 1 SPG (Asylsuchende etc.) bis zur Zuweisung an die Gemeinde in die Zuständigkeit des Kantons (§ 18 Abs. 3 SPG). Dem Kantonalen Sozialdienst fehlt daher die Zuständigkeit zum Erlass von Verfügungen und Entscheiden für die materielle Hilfe an anerkannte Flüchtlinge. Auch für eine Zuständigkeit zum Erlass von Richtlinien für kantons- oder ortsüblich angemessene Mietkosten für Sozialhil- feempfänger fehlt eine ausdrückliche Bestimmung im Gesetz. In sei- ner Stellungnahme vom 6. Februar 2009 weist auch der Kantonale Sozialdienst auf die fehlende formelle gesetzliche Grundlage hin. Diese Zuständigkeitsfrage ist aber vorliegend nicht abschliessend zu beurteilen. 2009 Sozialhilfe 239 4.2.2. Der Kantonale Sozialdienst erstattet nach "langjähriger und be- währter" Praxis den Gemeinden für die Betreuung der Flüchtlinge maximal einen Mietbeitrag von Fr. 750.-- pro Einzelperson über 25 Jahre. Diese Praxis beruht auf den Abrechnungsmodalitäten zwi- schen den betreuenden Gemeinden, dem Kanton und den Bundesbe- hörden. Der Kantonale Sozialdienst erstattet den Gemeinden die vollen Kosten für anerkannte Flüchtlinge (§ 47 Abs. 2 SPG und § 34 Abs. 1 SPV) und rechnet mit dem Bund nach Massgabe des Bundes- rechts ab. Für die Abrechnung zwischen dem Bund und den Kanto- nen sind Pauschalbeträge vorgesehen (Art. 24 f. AsylV 2; Handbuch Sozialhilfe, Kapitel 13, S. 5). Eine gesetzliche Bestimmung oder eine andere Rechtsgrundlage für die direkte Anwendung dieser (Be- rechnungs-) Praxis auf die Festsetzung der angemessenen Woh- nungskosten für Sozialhilfeempfänger besteht nicht und die Regeln, welche die Rückerstattung der materiellen Hilfe unter den Behörden regeln und/oder den Kostenträger bestimmen, sind weder direkt noch indirekt für die Bemessung der Wohnkosten massgebend. Die angemessenen Wohnungskosten sind vielmehr nach den Bestim- mungen des Sozialhilferechts (SPG, SPV) und den SKOS-Richtlinien (§ 10 SPV) im Einzelfall festzusetzen. Der Regierungsrat hat von der Möglichkeit weitere Pauschalregelungen zu erlassen (§ 10 Abs. 6 SPV), bis anhin nicht Gebrauch gemacht. Im vorliegenden Fall hat der Gemeinderat X. die ortsüblichen Mietzinse für Sozialhilfebezüger allgemein festgesetzt. Die Regelung unterscheidet in der Haushaltsgrösse (1 bis 5 und mehr Perso- nenhaushalt) und gewährt aufgrund der ortsüblichen Verhältnisse ei- nem 1-Personenhaushalt monatlich maximal Fr. 900.-- (inkl. Neben- kosten). Diese Bestimmungen gelten grundsätzlich für alle Sozial- hilfebezüger - auch für den Beschwerdeführer - und sind rechtsgleich anzuwenden. Eine Differenzierung nach Kategorien von So- zialhilfeempfängern ("Working-poor"), die in der Gemeinde X. ver- wurzelt sind und anerkannten Flüchtlingen, oder unter dem Aspekt des Sozialhilfetourismuses, ist in der Richtlinie nicht vorgesehen. Solche Unterscheidungen wären mit den Grundsätzen des Sozial- 2009 Verwaltungsgericht 240 hilferechts und der Rechtsstellung der Flüchtlinge (§ 1 Abs. 2, § 5 SPG; § 3 SPV und vorne Erw. 2) auch kaum zu vereinbaren. Die Mietzinslimite von Fr. 750.-- nach der Praxis des Kantona- len Sozialdienstes entspricht daher nicht gesetzlichen Vorgaben zur Bestimmung der angemessenen Wohnungskosten und trägt insbe- sondere den örtlichen Gegebenheiten und dem Einzelfall nicht Rechnung. 4.2.3. Die Richtlinie über ortsübliche Mietzinse für Sozialhilfe- empfänger der Gemeinde X. enthält keine Differenzierung zwischen einem 1-Personenhaushalt und einem 1-Personenhaushalt für junge Erwachsene ohne Erstausbildung. Der Richtlinie lässt sich auch nicht entnehmen, dass sie für junge Erwachsene keine Anwendung findet. Eine Reduktion des angemessenen Mietzinses für den Be- schwerdeführer ist, unter Berufung auf die Richtlinie der Gemeinde, daher nicht zulässig. Abweichungen von diesen Richtlinien im Einzelfall sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen, bedürfen aber im Hinblick auf die Rechtsgleichheit einer besonderen Begründung. Ein blosser Verweis auf eine "Praxis" des Kantonalen Sozialdiensts oder auf die SKOS- Richtlinien ersetzt die unabdingbare Prüfung und Beurteilung der Umstände im Einzelfall nicht und genügt den Anforderungen an die Bemessung eines angemessenen und zumutbaren Mietzinses für den Beschwerdeführer nicht. Damit erweist sich die Beschwerde in Bezug auf den angemes- senen Mietzins des Beschwerdeführers als begründet. Ziffer 2 des Beschlusses des Gemeinderates X. vom 1. September 2008 ist daher in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben. 4.3. (...) 5. Gemäss § 58 aVRPG kann das Verwaltungsgericht entweder selbst urteilen oder die Sache zum Erlass eines neuen Entscheides an die Vorinstanz zurückweisen. Die Frage, welches Vorgehen gewählt werden soll, ist nach der Praxis auf Grund einer Interessenabwägung zu entscheiden, wobei namentlich die Rechtsschutzbedürfnisse der Betroffenen, funktionelle bzw. institutionelle Überlegungen sowie 2009 Sozialhilfe 241 die Interessen an einem raschen Entscheid und jene der Prozessöko- nomie von Bedeutung sein können (AGVE 2004, S. 143 f. mit Hin- weisen). Vorliegend wird die Auflage mit der Bestimmung der angemes- senen Mietkosten aufgehoben. Die Festsetzung der Mietkosten fällt in die Zuständigkeit des Gemeinderates X., dem dabei auch das Er- messen zusteht, in welches das Verwaltungsgericht nicht eingreifen kann. Es obliegt der Gemeinde X., die Richtlinie anzupassen oder mit einem (allgemein) angemessenen Mietzins für junge Erwachsene in Erstausbildung zu ergänzen (siehe vorne Erw. 3.3). Auf den bisheri- gen Grundlagen besteht nur die weitere Möglichkeit, in einer neuen Verfügung, den für den Beschwerdeführer angemessenen Mietzins, in Abweichung der (unveränderten) Richtlinie, durch eine Beurtei- lung im Einzelfall (zumutbare Wohnungsgrösse; Verfügbarkeit von entsprechenden Wohnungen; Zumutbarkeit eines Wohnungswech- sels; siehe dazu AGVE 2003, S. 283) neu festzulegen. Eine solche Beurteilung erfordert eine neue Verfügung, unter Berücksichtigung der aktuellen Situation, und kann Wirkungen nur für die Zukunft entfalten. Die Wahl des geeigneten Vorgehens ist der Gemeinde frei- gestellt. Von einer formellen Rückweisung kann unter diesen Um- ständen abgesehen werden.
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2008 Anwaltsrecht 275 49 Disziplinarverfahren; Doppelfunktion als Rechtsanwalt des Mandanten und Verwaltungsratspräsident des Prozessfinanzierers. - Örtliche Zuständigkeit des Kantons Aargau als Registerkanton (Erw. I/2). - Unabhängigkeit gemäss Art. 12 lit. b BGFA (Erw. 2). - Kein verbotener Interessenkonflikt gemäss Art. 12 lit. c BGFA im konkreten Fall (Erw. 3). - Verletzung von Art. 12 lit. e BGFA (Erw. 4) Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 13. Mai 2008 in Sachen X. gegen die Anwaltskommission (WBE.2006.407). Aus den Erwägungen I. 1. (...) 2. 2.1. Der Beschwerdeführer bringt in seiner Stellungnahme vom 26. März 2007 vor, die Vorinstanz hätte auf die vorliegende Beurtei- lung aufgrund mangelnder örtlicher Zuständigkeit nicht eintreten dürfen. Der Aargau als Registerkanton wäre vorliegend nur zu einer disziplinarischen Beurteilung befugt, wenn es um einen Vorfall gin- ge, welcher sich vor einer eidgenössischen Verwaltungs- oder Ge- richtsbehörde zugetragen hätte und eine entsprechende Meldung er- folgt wäre. In diesem Fall gehe es indes unbestrittenermassen um eine Tätigkeit ausserhalb des Anwaltsmonopols, welche zudem vor keiner Gerichts- oder Verwaltungsbehörde stattgefunden habe. Im vorliegenden Fall liege die ausschliessliche Kompetenz zur diszipli- narischen Massregelung des beschwerdeführerischen Verhaltens 2008 Verwaltungsgericht 276 beim Kanton Zürich. Dieser habe nach summarischer (inhaltlicher) Würdigung und aus formellen Gründen die Notwendigkeit der Eröff- nung eines Verfahrens verneint. Eine Akkreszenz disziplinarischer Befugnisse bei der Vorinstanz habe nach der Ordnung des BGFA da- durch nicht stattgefunden, weshalb sie auf die Beurteilung nicht hätte eintreten dürfen. 2.2. Jeder Kanton bezeichnet gemäss Art. 14 BGFA eine Behörde, welche die Anwältinnen und Anwälte beaufsichtigt, die auf seinem Gebiet Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten. Die Aufsicht dieser Behörde erstreckt sich, wie die Anwaltskommission richtig aus- führte, auf die gesamte Anwaltstätigkeit und beschränkt sich nicht auf Tätigkeiten im Rahmen des kantonalen Anwaltsmonopols (Bot- schaft zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte vom 28. April 1999 [Botschaft BGFA], in: BBl 1999 IV 6059). Den Ausführungen des Beschwerdeführers kann nicht gefolgt werden. Bei Tätigkeiten ausserhalb des Registerkantons ist die Auf- sichtsbehörde des Registerkantons nicht lediglich für Vorfälle vor eidgenössischen Gerichts- und Verwaltungsbehörden zuständig. Bei der Zuständigkeit von kantonalen Aufsichtsbehörden müssen die aus- schliessliche und die konkurrenzierende Zuständigkeit unterschieden werden. Beim zuvor genannten Fall (Vorfälle vor eidgenössischen Gerichts- und Verwaltungsbehörden) handelt es sich um eine aus- schliessliche Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde des Registerkann- tons (Art. 15 Abs. 2 BGFA; Tomas Poledna, in: Walter Fellmann / Gaudenz Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich / Basel / Genf 2005, Art. 16 N 2). Bei anderen Tätigkeiten ausserhalb des Registerkantons besteht eine Zuständigkeit der Aufsichtsbehör- den des Registerkantons. Diese Zuständigkeit kommt zum Tragen, wenn die Aufsichtsbehörde des Kantons, in welcher die Tätigkeit ausgeführt wird, auf die Einleitung eines Verfahrens verzichtet, d.h. kein Verfahren eröffnet (vgl. Poledna, a.a.O., Art. 16 N 2 und 4). Art. 16 BGFA kommt nur zum Zuge, wenn ein Disziplinarverfahren eröffnet wurde. 2008 Anwaltsrecht 277 2.3. Weder die Aufsichtskommission über die Anwältinnen und An- wälte des Kantons Zürich noch die Anwaltskommission des Kantons Schwyz haben ein Verfahren eröffnet bzw. auf die Einleitung eines Verfahrens verzichtet. Die Aufsichtskommission über die Anwältin- nen und Anwälte des Kantons Zürich hätte, auch wenn keine Tätig- keit vor einer Gerichts- oder Verwaltungsbehörde zur Diskussion stand, ein Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer einlei- ten können, da sich die Aufsicht - wie zuvor aufgezeigt - nicht auf Tätigkeiten im Rahmen des kantonalen Anwaltsmonopols be- schränkt. Nach deren Verzicht stand es jedoch der Anwaltskommis- sion des Kantons Aargau frei, bei anderer Einschätzung der Sachlage ein Disziplinarverfahren einzuleiten (vgl. Poledna, a.a.O., Art. 16 N 4 a.E.). Die örtliche Zuständigkeit der Anwaltskommission des Kann- tons Aargau war daher gegeben. II. 1. (...) 2. Die mit dem angefochtenen Entscheid ausgesprochene Diszi- plinierung beruht auf dem Vorwurf, der Beschwerdeführer habe u.a. Art. 12 lit. b BGFA (Unabhängigkeit der Berufsausübung) verletzt, indem er eine Doppelfunktion als Rechtsanwalt des Mandanten und Verwaltungsratspräsident des Prozessfinanzierers eingenommen habe. Durch das Aushandeln der Konditionen des Prozessfinanzie- rungsvertrags sei der Beschwerdeführer nicht mehr unabhängig ge- wesen, weil er Diener zweier Herren gewesen sei. 2.1. Anwältinnen und Anwälte üben ihren Beruf gemäss Art. 12 lit. b BGFA unabhängig, in eigenem Namen und auf eigene Verant- wortung aus. Wie bereits die Anwaltskommission richtig ausführte, wird der Begriff der Unabhängigkeit in Art. 12 lit. b BGFA nicht nä- her definiert. Gemäss den Schweizerischen Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbands (SAV), die beschränkt als Ausle- gungshilfe herangezogen werden können (vgl. BGE 130 II 270 Erw. 3.1.3), bedingt die Unabhängigkeit insbesondere, dass keine Bindungen bestehen, welche Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte 2008 Verwaltungsgericht 278 bei der Berufsausübung irgendwelchem Einfluss von Dritten, die nicht in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen sind, ausset- zen (Art. 10 Abs. 2 der Standesregeln vom 10. Juni 2005). Die ein- zige gesetzliche Konkretisierung besteht in Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA, wonach Anwälte, die bei einer Person angestellt sind, die ihrerseits nicht in einem kantonalen Register eingetragen ist, ihren Beruf ver- mutungsweise nicht unabhängig ausüben können. Ausschlaggeben- des Kriterium für die gesetzliche Vermutung für das Fehlen der Un- abhängigkeit beim angestellten Anwalt ist das Subordinationsverhält- nis und die Weisungsgebundenheit im Anstellungsverhältnis (vgl. u.a. BGE 130 II 87 Erw. 4.3.3 mit Hinweisen; BGE vom 13. April 2004 [2A.126/2003], Erw. 4.3). Die unabhängige Ausübung der An- waltstätigkeit soll gewährleisten, dass sich die Anwältinnen und An- wälte ausschliesslich von sachgemässen Überlegungen leiten lassen, nur dem eigenen Denken und Urteilen sowie den Berufspflichten fol- gen und frei bleiben von Einflüssen, die sachgemäss mit dem Mandat nicht zusammenhängen. Das Gebot der Unabhängigkeit verbietet den Anwälten daher, rechtliche oder tatsächliche Bindungen einzugehen, die die berufliche Unabhängigkeit gefährden (BGE 130 II 87 Erw. 4; Walter Fellmann, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, a.a.O., Art. 12 N 56). 2.2. Die Beurteilung der Unabhängigkeit eines Anwalts bei gleich- zeitiger Tätigkeit als Verwaltungsrat eines Unternehmens, insb. bei einem Prozessfinanzierunternehmen, wurde - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung nicht vertieft behandelt. Das Bundesgericht führte lediglich aus, es sei nicht ausgeschlossen, dass je nach konkre- ter Ausgestaltung eines Prozessfinanzierungssystems die anwaltliche Unabhängigkeit beeinträchtigt werde. Problematisch könnte sein, wenn Anwälte als Gesellschafter oder Verwaltungsräte an Prozessfi- nanzierungsgesellschaften beteiligt seien (BGE 131 I 223 Erw. 4.6.4). Eine grundlegende oder "institutionelle" Abhängigkeit gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA steht im vorliegenden Verfahren nicht (mehr) zur Diskussion. Die Anwaltskommission hat von einer Über- prüfung des Registereintrags abgesehen, und Anhaltspunkte für ein 2008 Anwaltsrecht 279 arbeitsvertragliches Verhältnis des Beschwerdeführers zur X. AG fehlen. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer Verwaltungsrats- präsident der X. AG war, begründet nicht automatisch eine Verlet- zung der Unabhängigkeitsregel in Art. 12 lit. b BGFA. Es ist viel- mehr zu prüfen, ob mit dem konkreten Prozessfinanzierungsvertrag oder aus den konkreten Umständen beim Abschluss des Vertrags die Unabhängigkeit des Beschwerdeführers nicht mehr zureichend ge- wahrt war. 2.3. Aus dem Prozessfinanzierungsvertrag vom 15. März 2005 zwi- schen der Y. und der X. AG folgt unmittelbar keine Einflussnahme auf die Berufs- oder Mandatsausübung. Der Beschwerdeführer war gemäss Ziff. 5 des Prozessfinanzierungsvertrags der prozessführende Anwalt. Er unterstand für die Prozessführung auch keinem Wei- sungsrecht der X. AG noch hat sich Letztere eine direkte Einfluss- nahme auf die Art und Weise der Mandatsführung vorbehalten. Die in Ziff. 3 vorgesehene Möglichkeit zur Einstellung der Prozessfinan- zierung behält ausdrücklich die Neubeurteilung der Prozesschancen durch den Beschwerdeführer vor. Die Vereinbarungen bezüglich der Mitwirkung der X. AG bei Verfügungen über die Klageforderung (Ziff. 4 der Vereinbarung) und über die Informationsrechte (Ziff. 5) tangieren die anwaltliche Unabhängigkeit des Beschwerdeführers ebenfalls nicht. Sie bewegen sich im Rahmen der üblichen Abma- chungen bei Finanzierungsvereinbarungen, die auch im Verhältnis zu Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherungen anzutreffen sind (vgl. BGE 131 I 223 Erw. 4.5). Insbesondere ist im Umstand, dass sich die X. AG vorbehalten hat, auf eine Weiterführung eines Prozesses zu verzichten, keine Beeinträchtigung der anwaltlichen Unabhängigkeit zu erblicken. Die Art und Weise der Finanzierung der Prozesskosten ist Sache des Klienten. Fehlen dem Klienten die Eigenmittel, ist er auf eine Fremdfinanzierung oder Unterstützung durch Dritte bzw. die unentgeltliche Rechtspflege angewiesen. Jede Fremdfinanzierung und jede Unterstützung begründet die Möglichkeit zur Einfluss- nahme auf den Entscheid des Klienten hinsichtlich der gerichtlichen Verfolgung seiner Ansprüche und Weiterführung eines Prozesses. Diese Zustimmung des Dritten oder die (negative) Beurteilung des 2008 Verwaltungsgericht 280 Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege tangieren die anwaltliche Unabhängigkeit indessen nicht grundsätzlich, sondern betreffen nur das Verhältnis des Prozessfinanzierers zum Klienten. Mit der mögli- chen Ablehnung einer weiteren Finanzierung des Verfahrens wurde auch kein unzulässiges Abhängigkeitsverhältnis begründet. (...) Es ist überdies nicht ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer beim Abschluss des Vertrags von unsachgemässen Überlegungen lei- ten liess und nicht unabhängig von Weisungen der X. AG gehandelt hat (siehe hinten Erw. 3). Der Vertrag sieht kein Weisungsrecht der X. AG hinsichtlich Ausübung, Übernahme und Beendigung des Man- dats vor und respektiert auch den Vorrang der Berufspflichten, insbe- sondere der Treuepflicht des Beschwerdeführers gegenüber der Klientin. Im Weiteren gibt auch der Umstand, dass die Geschäfts- adresse der X. AG mit der Geschäftsadresse des Beschwerdeführers in A. identisch ist, keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit. Eine Verletzung der Unabhängigkeit des Anwalts gemäss Art. 12 lit. b BGFA ist daher zu verneinen. 3. 3.1. Die mit dem angefochtenen Entscheid ausgesprochene Diszipli- nierung beruht weiter auf dem Vorwurf, der Beschwerdeführer habe Art. 12 lit. c BGFA (Vermeidung eines Interessenkonflikts) verletzt. Die Anwaltskommission führt aus, bei der Aushandlung des zur Diskussion stehenden Prozessfinanzierungsvertrags habe der Be- schwerdeführer als Vertreter seiner Mandantin deren Interessen best- möglich wahren müssen. Auf der anderen Seite habe er als Ver- waltungsratspräsident der X. AG ein Interesse daran, dass aus der Prozessfinanzierung ein Gewinn für die Aktiengesellschaft resul- tierte. Damit bestehe aber ein unlösbarer Interessenkonflikt bei der Ausübung dieser beiden Funktionen. Weiter bestehe eine gewisse Diskrepanz zwischen den Interessen, indem die Prozessfinanziererin wegen der entstehenden Kosten ein grösseres Vergleichsinteresse habe als die Klientin. 2008 Anwaltsrecht 281 3.2. 3.2.1. Nach Art. 12 lit. c BGFA haben Anwälte jeden Konflikt zwi- schen den Interessen ihrer Klientschaft und Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen, zu meiden. Das BGFA will mit dieser weit gefassten Bestimmung sicherstellen, dass der Anwalt unabhängig von entgegenstehenden Drittinteressen die Inter- essen seines Klienten nach bestem Wissen und Können wahrnehmen kann (BGE 130 II 87 Erw. 4.2 mit Hinweisen). Die Pflicht zur Ver- meidung von Interessenkonflikten ist Ausfluss der Treuepflicht des Anwalts gegenüber dem Klienten (vgl. dazu § 15 des [alten] An- waltsgesetzes vom 18. Dezember 1984 und AGVE 1996, S. 75 f.). Diese Berufspflichten gehen weiter als die vertragliche Treuepflicht gemäss Art. 398 Abs. 2 OR und setzen keinen Mandatsvertrag zwi- schen Klient und Anwalt voraus, sondern gelten auch vor Vertrags- schluss sowie nach Beendigung des Mandats (vgl. Giovanni Andrea Testa, Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, Diss. Zürich 2001, S. 93 f.; Martin Sterchi, Kommentar zum bernischen Fürsprecher-Gesetz, Bern 1992, Art. 10 N 7). Eine ähnliche Regelung sehen die Schweizerischen Standesre- geln des Anwaltsverbandes vor (vgl. Art. 11 der Standesregeln SAV vom 10. Juni 2005). Ein verbotener Interessenkonflikt liegt vor, wenn der Anwalt die Wahrung der Interessen eines Klienten über- nommen hat und dabei Entscheidungen zu treffen hat, mit denen er sich potentiell in Konflikt zu eigenen oder anderen ihm zur Wahrung übertragenen Interessen begibt (BGE vom 8. Januar 2001 [2P.187/2000], Erw. 4c = Pra 90/2001, S. 842, Fellmann, a.a.O., Art. 12 N 84). Dem Anwalt ist es demnach untersagt, in derselben Streitsache Parteien mit widerstreitenden Interessen gegeneinander zu vertreten. Er kann seine Treuepflicht gegenüber keinem Mandan- ten voll erfüllen, wenn er für beide Parteien tätig wird (BGE vom 28. Oktober 2004 [2A.594/2004], Erw. 1.2; VGE II/81 vom 25. August 2004 [BE.2004.00161], S. 7). Diese Grundsätze lassen sich nicht einfach auf die beratende Tätigkeit des Anwalts übertragen (Testa, a.a.O., S. 103 ff.; Felix Wolffers, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Zürich 1986, S. 141 f.; 2008 Verwaltungsgericht 282 Walter Fellmann / Oliver Sidler, Standesregeln des Luzerner An- waltsverbandes, Bern 1996, Art. 23 Ziff. 5; Niklaus Studer, Die Dop- pelvertretung nach Art. 12 lit. c BGFA, in: Anwaltsrevue 2004, S. 234 f.). Wird der Anwalt in nicht prozessualen Rechtsangelegen- heiten von Parteien mit an sich gegensätzlichen Interessen angegan- gen (z.B. damit er für sie eine juristisch einwandfreie Fassung ihres mündlich geschlossenen Vertrags erarbeite), darf er das Mandat an- nehmen, sofern ihm diese Aufgabe von allen Beteiligten übertragen wurde und er nicht bereits vorher eine der Parteien in der betreffen- den Sache vertreten oder beraten hat. Er hat dabei alles zu vermei- den, was den Eindruck erwecken könnte, er bevorzuge die eine Partei gegenüber der anderen. In diesem Sinne erklären auch die Standesre- geln des SAV in Art. 12 die Tätigkeit des Anwalts als Berater, Ver- treter oder Verteidiger mehrerer Mandanten als zulässig, sofern kein Interessenkonflikt besteht oder droht. Gleiche Verhaltensvorschriften gelten auch nach Ziff. 3.2 der Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union (angenommen von der CCBE-Vollversammlung am 28. Oktober 1988, Fassung vom 19. Mai 2006). Kommt es zu ei- nem Interessenkonflikt oder drohen andere Beeinträchtigungen des Mandatsverhältnisses, ist der Anwalt gehalten, alle betroffenen Man- date niederzulegen (Art. 12 Abs. 1 der Standesregeln SAV; vgl. Testa, a.a.O., S. 104; Wolffers, a.a.O., S. 141; Paul Wegmann, Die Berufs- pflichten des Rechtsanwalts unter besonderer Berücksichtigung des zürcherischen Rechts, Diss. Zürich 1969, S. 190 f.). 3.2.2. Ein berufsrechtlich relevanter Interessenkonflikt bei gleichzeiti- ger Verwaltungsratstätigkeit bei einer Prozessfinanzierungsgesell- schaft kann vorliegen, wenn ein Anwalt im Verwaltungsrat an Ge- schäften mitwirkt, die die Interessen eines Klienten berühren. Dabei müssen sich die Interessen der Gesellschaft und diejenigen des Kli- enten nicht diametral widersprechen, und eine aktienrechtliche Aus- standspflicht ist nicht Voraussetzung. Eine blosse Befangenheit kann ausreichen, d.h. wenn Umstände oder mögliche Interessenkonflikte auf den Entscheid des Anwalts einwirken können, die ausserhalb des Mandatsverhältnisses liegen (Walter Fellmann, Kollision von Be- rufspflichten mit anderen Gesetzespflichten am Beispiel des Anwal- 2008 Anwaltsrecht 283 tes als Verwaltungsrat, in: Bernhard Ehrenzeller [Hrsg.], Das An- waltsrecht nach dem BGFA, St. Gallen 2003, S. 177 f.). Die Beteili- gung des Anwalts an einem Prozessfinanzierer muss gemäss Pelle- grini differenziert betrachtet werden. Unproblematisch erscheine die reine Kapitalbeteiligung an einer Publikumsgesellschaft, die das Ge- schäft der Prozessfinanzierung betreibt. Unzulässig, weil im Ergeb- nis auf eine Simulation des pactum de quota litis hinauslaufend, wäre z.B. die Bildung einer stillen Gesellschaft (oder die Gründung einer Aktiengesellschaft) durch kapitalkräftige Anwälte, die wechselseitig intern für die Finanzierung eigener Prozesse sorgen. Bei einem fi- nanziellen Engagement von Anwälten bei einem Prozessfinanzierer sei Zurückhaltung angezeigt, namentlich bei kleinem Eigentümer- kreis (Bruno Pellegrini, Zusammenarbeit mit Prozessfinanzierern, in: Anwaltsrevue 2001, S. 43). Auch das Bundesgericht erachtet die Beteiligung von Anwälten als Gründer, Gesellschafter oder Verwal- tungsräte von Prozessfinanzierungsgesellschaften und Rechtsschutz- versicherungen als problematisch (BGE 131 I 223 Erw. 4.6.4 mit Hinweisen). Offensichtliche Fälle von Interessenkollisionen liegen in allge- meiner Weise vor, wenn der Anwalt einen Klient vertritt, der in Kon- kurrenz steht mit dem Unternehmen, bei dem der Anwalt als Ver- waltungsrat engagiert ist (vgl. Fellmann, Kollision, a.a.O., S. 176). Ebenso werden die Berufsregeln verletzt, wenn der Anwalt einen Klienten vertritt, dessen Gegenpartei eine Prozessfinanzierungsver- einbarung mit dem Unternehmen, bei dem der Anwalt als Verwal- tungsrat engagiert ist, eingegangen ist. Für eine Interessenkollision bedarf es jedoch nicht notwendigerweise solch eindeutiger Konflikt- situationen. 3.3. 3.3.1. Aus dem Verwaltungsratsmandat des Beschwerdeführers bei der X. AG kann nicht direkt eine unzulässige Doppelvertretung und Verletzung der Berufsregeln nach Art. 12 lit. c BGFA abgeleitet wer- den, da keine Fallkonstellation mit offensichtlichem Interessenkon- flikt vorliegt. Die mögliche Gefahr von Interessenkollisionen ist 2008 Verwaltungsgericht 284 vielmehr anhand der konkreten Umstände zu prüfen (AGVE 2001, S. 67). 3.3.2. Die Y. machte im Jahre 2003, vertreten durch den Beschwerde- führer, gegenüber der Z. eine Forderung in der Höhe von Fr. 18'732.10 zuzüglich Zins im Rechtsöffnungsverfahren vor dem Bezirksgericht Zürich geltend. In diesem Verfahren kam es zu einem Vergleich über Fr. 4'000.--, den die Y. später widerrief. Das Rechts- öffnungsbegehren wurde in der Folge mit Verfügung vom 14. März 2003 abgewiesen. Die Y. konnte mangels finanzieller Mittel ihren Forderungsanspruch auch nicht mehr geltend machen, als weitere Beweisunterlagen zum Vorschein kamen. Als Aktiengesellschaft war ihr eine Prozessführung mit unentgeltlicher Rechtspflege verwehrt, und eine Prozessfinanzierung durch andere Anbieter war wegen der geringen Höhe der Prozessforderung nicht möglich. Das Interesse der Y. an der Durchsetzung ihrer Forderung ist of- fensichtlich und war aufgrund des abgelehnten Vergleichsvorschlags auf einen Betrag von mehr als Fr. 4'000.-- gerichtet. Dem Beschwer- deführer ist insoweit zu zustimmen, als der Y. wegen der fehlenden Mittel zur Prozessführung alternativ nur der Verzicht auf ihre An- sprüche offen stand. 3.3.3. Der Beschwerdeführer hatte als Mitglied des Verwaltungsrats und insbesondere als Verwaltungsratspräsident die Interessen der X. AG in guten Treuen zu wahren und eigene Interessen und auch die Interessen der Y. zurückzustellen, wenn sie nicht den Gesellschafts- interessen entsprechen (Art. 717 Abs. 1 OR; BGE vom 14. Dezember 1999 [4C.402/1998], Erw. 2a = Pra 89/2000, S. 288). Die Interessen einer Prozessfinanzierungsgesellschaft unter- scheiden sich von jenen einer Rechtsschutzversicherung. Die Rechts- schutzversicherung prüft zwar auch die Erfolgschancen in einem Prozess, fokussiert jedoch nicht primär auf die Höhe eines Prozesser- folgs, da ihr eine Prozessbeteilung bei Obsiegen verwehrt ist (vgl. Art. 170 der Verordnung über die Beaufsichtigung von privaten Ver- sicherungsunternehmen vom 9. November 2005 [Aufsichtsverord- nung, AVO; SR 961.011]) und der Unternehmenserfolg nicht aus- 2008 Anwaltsrecht 285 schliesslich vom Prozessausgang abhängig ist. Demgegenüber stellt bei einer Prozessfinanzierungsgesellschaft die Beteiligung am Pro- zessgewinn die einzige Einnahmequelle dar. Sie fokussiert ihre Be- urteilung deshalb (noch) mehr als die Rechtschutzversicherung auf die Prozessaussichten und Kosten im Einzelfall. Bei der Rechts- schutzversicherung geht dagegen die Betrachtungsweise auf die all- gemeine Gewinnorientierung aus dem Verhältnis von Prämien und Kosten, wobei auch hier die Rechtsschutzversicherung und die An- wälte grundsätzlich das gleiche Ziel verfolgen (vgl. Daniel Bandle, Das ambivalente Verhältnis zwischen Anwälten und Rechtsschutz- versicherern, in: Haftung und Versicherung [HAVE], Heft 1/2008, S. 2 ff., insb. S. 7 f.). Die Überlegungen, die sich die Prozessfinan- zierungsgesellschaft in Bezug auf Prozesserfolg und Prozesschancen macht, sind somit grundsätzlich mit dem Interesse des Klienten gleichgerichtet (Pellegrini, a.a.O., S. 43). Die Gewinnorientierung der X. AG schaffte damit keine Gefahr unlösbarer Konflikte mit den Interessen der Y. Der Anwaltskommission ist insoweit zuzustimmen, als es unter dem Aspekt der anwaltlichen Interessenwahrungspflicht nicht auf die Lösung eines konkreten Konflikts ankommen kann. Anderseits ge- nügt nicht jeder Anschein einer Interessenkollision zur Begründung einer Verletzung der Berufsregel in Art. 12 lit. c BGFA (Fellmann, a.a.O., Art. 12 N 87). Der Beschwerdeführer macht daher zutreffend geltend, dass die tatsächlichen Interessenkonflikte abzuklären und dabei auch die Ausgestaltung des Prozessfinanzierungsvertrags zu betrachten ist. Gemäss Ziff. 3 dieses Vertrags ist es der Y. unbenom- men, bei einer Einstellung der Prozessfinanzierung durch die X. AG das Verfahren auf eigene Kosten weiterzuführen. Beabsichtigt dage- gen die Y., den Anspruch nicht mehr weiterzuführen, so hat sie ihn gemäss Ziff. 4 der X. AG auf deren schriftliches Ersuchen hin durch Abgabe einer schriftlichen Abtretungserklärung unentgeltlich zu übertragen. Wie zuvor bereits ausgeführt, ist der Beschwerdeführer gemäss Ziff. 5 der prozessführende Anwalt. Ein Wechsel des Pro- zessvertreters bedarf der Zustimmung der X. AG. Diese Regelung ermöglicht der Y. eine Beendigung der Prozessfinanzierung ohne Nachteile, die über den Verlust der Finanzierungszusage hinausge- 2008 Verwaltungsgericht 286 hen. Beide Vertragsparteien können einen Prozess eigenständig wei- terführen, und auch ein Anwaltswechsel ist nicht ausgeschlossen (Ziff. 5). Verfügungen über die Forderung, insbesondere auch ein Vergleich, bedürfen der Zustimmung der X. AG, im Widerhandlungs- fall verliert die Y. die Ansprüche auf die Prozessfinanzierung (Ziff. 4 Abs. 1), und bei einem Verzicht auf die Weiterverfolgung verpflich- tete sich die Y. zur Abtretung der Forderung (Ziff. 4 Abs. 2). Diese Regelungen in der Vereinbarung wahren die Interessen der Y. und lassen keine Gefahr der Übervorteilung erkennen. Insbesondere ent- halten sie keine Vereinbarungen zum Vorrang allfälliger Vergleichs- interessen der X. AG. Die Y. hätte unter Verzicht auf die Finanzie- rungszusage einen Vergleich ablehnen können. Die mögliche Alternative zum Prozessfinanzierungsvertrag durch die X. AG war der vollständige Verzicht auf die Geltend- machung der Forderung und damit ein Verzicht der Y. auf jeglichen Rechtsschutz. In Frage stand die Finanzierung eines Rechtsöffnungs- verfahrens mit relativ bescheidenen Verfahrens- und Parteikosten. Mit der hälftigen Aufteilung des Streitergebnisses war das Interesse der Y. an einem Forderungsbetrag von über Fr. 4'000.-- im Erfolgsfall gewahrt. Dem Beschwerdeführer kann daher auch bei der Ver- tragsgestaltung mit der X. keine unzulässige Interessenkollision vor- geworfen werden. Seine Tätigkeit in der Vermittlung der Finanzie- rungszusage lässt auch keine Gefährdung der Klienteninteressen er- kennen. 3.3.4. Zu der von der Anwaltskommission gerügten Doppelvertretung ist Folgendes zu ergänzen: Der Beschwerdeführer hat die X. AG nicht als Anwalt im Mandatsverhältnis vertreten. Der einzige Ver- waltungsrat der Y. hat die Prozessfinanzierung mit hälftiger Beteili- gung am Prozessergebnis angeregt und war über die X. AG und die Beziehungen des Beschwerdeführers zu dieser Firma orientiert. Das Vorgehen des Beschwerdeführers geschah im Wissen und Einver- ständnis der Y. Die Mandatsführung des Beschwerdeführers und die Vermittlung der Prozessfinanzierung erweist sich daher auch nach der allgemeinen beruflichen Sorgfaltspflicht (Art. 12 lit. a BGFA) nicht als unzulässig. 2008 Anwaltsrecht 287 4. Eine Verletzung der Berufsregeln könnte darin erblickt werden, wenn mit dem Prozessfinanzierungsvertrag und dem Verwaltungs- ratsmandat der X. AG das Verbot des Erfolgshonorars und der Betei- ligung am Prozessgewinn (Art. 12 lit. e BGFA) umgangen worden wäre. Die Anwaltskommission macht, allerdings im Zusammenhang mit dem Verschulden, geltend, die Prozessfinanzierung hätte zumin- dest indirekt Auswirkungen auf das anwaltliche Honorar des Be- schwerdeführers. Eine Umgehung des genannten Verbots liegt dann vor, wenn der Anwalt als Verwaltungsrat gleichzeitig als Gründer und Grossaktio- när der Träger der Gesellschaft ist. Das Verlieren des Prozesses wür- de damit nämlich im finanziellen Ergebnis eine verbotene Übernah- me des Prozessrisikos bedeuten. Bei Obsiegen käme der Erfolg in- direkt auch wieder dem Anwalt zu (vgl. BGE 98 Ia 144 Erw. 2d). Der Beschwerdeführer ist Verwaltungsratspräsident der X. AG. Gemäss Aktionärsverzeichnis wurde dem Beschwerdeführer eine Aktie zur treuhänderischen Führung als Qualifikationsaktie übergeben. Dies war bis zum 1. Januar 2008 aufgrund von Art. 707 OR obligatorisch. Aufgrund der Aktionärslage kann daher nicht von einer Umgehung des Verbots von Art. 12 lit. e BGFA gesprochen werden. Der Be- schwerdeführer bezog als Verwaltungsratspräsident einen Fixbetrag von Fr. 1'500.--. Es bestehen daher keinerlei Anzeichen für ein Zu- satzhonorar bei Obsiegen im Prozess oder einer direkten oder in- direkten Beteiligung des Beschwerdeführers am Prozessergebnis.
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2005 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 189 [...] 39 Gebäudehöhe und Geschossigkeit (gewachsenes Terrain). - Auslegung von § 13 Abs. 2 ABauV (Kodifizierung der bisherigen Pra- xis); durch eine formell rechtskräftig bewilligte Terrainveränderung wird ein neuer, auch für allfällige Neubauten geltender Terrainverlauf definiert (Erw. 2). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 31. August 2005 in Sachen H. & Co. Immobilien gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdeführerin plant auf den Parzellen Nrn. 216, 217 und 218 die Erstellung von vier nach Südwesten ausgerichteten Mehrfamilienhäusern (Häuser A, B, C und D). In jedem Haus sind eine Wohnung zu 5 1⁄2 Zimmern, vier Wohnungen zu 4 1⁄2 Zimmern und zwei Wohnungen zu 3 1⁄2 Zimmern vorgesehen; die Gesamtzahl der Wohneinheiten beträgt somit 28. Die Häuser weisen je ein Erdge- schoss, ein 1. Obergeschoss und ein Attikageschoss auf und sind mit Flachdächern bedeckt. Die Grundrisse sind identisch. Die Fassaden- längen betragen 27.74 m bzw. 16.49 m. Im Untergeschoss befindet sich eine Sammelgarage mit insgesamt 43 Autoabstellplätzen; die Ausfahrtsrampe mündet auf der Höhe des Hauses A in die Chören- mattstrasse. Oberirdisch sind neun Autoabstellplätze für Besucher vorgesehen. 2. 2.1. Die Baugrundstücke liegen in der Wohnzone 2-ge- schossig (W 2) gemäss dem Bauzonenplan der Gemeinde Berikon vom 5. Dezember 1991 / 18. Januar 1994 (letztmals revidiert am 1. Dezember 1994 / 23. Januar 1996); dort sind maximal zwei Vollgeschosse zulässig, und die maximal zulässige Gebäudehöhe beträgt in der Ebene 7.0 m und am Hang 7.4 m (Art. 42 der Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde Berikon [BNO] mit denselben Beschluss- und Genehmigungsdaten wie der Bauzonenplan). In Be- 2005 Verwaltungsgericht 190 zug auf die Geschossigkeit und die Gebäudehöhen hielt das Baude- partement Folgendes fest: Das Haus A sei rechtmässig. Die Häuser B und C dagegen seien dreigeschossig, weil das unterste Geschoss auf weiten Teilen das in den Fassaden- und Schnittplänen als gewachse- nes Terrain bezeichnete Gelände vollständig bzw. weitgehend über- schreite, und auch zu hoch. Das Haus D wiederum sei dreige- schossig, weil an der Nordfassade auf mehr als einem Drittel der Fassadenlänge abgegraben werde; auch rage das unterste Geschoss mehr als 0.8 m aus dem als gewachsenes Terrain bezeichneten Ge- lände, während die Gebäudehöhe bei Zugrundelegung dieses Ter- rains in Ordnung sei. Nun sei allerdings nicht vom aktuell bestehen- den (und in den Plänen fälschlicherweise als gewachsen bezeichne- ten) Terrain auszugehen, sondern von jenem, das vor der im Jahre 1984 bewilligten Aufschüttung vorgelegen habe. Dies führe dazu, dass sich die Abweichungen vom Erlaubten in Bezug auf Geschos- sigkeit und Gebäudehöhe noch akzentuierten. 2.2. Vorab ist somit klarzustellen, welches das hier massge- bende gewachsene Terrain ist. 2.2.1. Über die Messweise bei der Bestimmung der Bauhöhen bestimmt § 12 ABauV (in der Fassung vom 12. Juli 2000) Folgendes: " 1 Die Gebäudehöhe wird vom anschliessenden gewachsenen Terrain bis zum Schnitt der Fassade mit der Dachoberfläche (...) gemessen. 2 Die Firsthöhe wird vom anschliessenden gewachsenen Terrain bis zum höchsten Punkt der Dachoberfläche gemessen. 3 Am Hang werden Gebäudehöhe, Firsthöhe und Geschosszahl tal- seitig gemessen. (...)" Weiter enthält § 13 ABauV die folgende Definition des gewachsenen Terrains: " 1 Das gewachsene Terrain ist der bei Einreichung des Baugesuches bestehende Verlauf des Bodens. Kleine Geländeunebenheiten inner- halb des Gebäudegrundrisses werden vernachlässigt. 2 Auf frühere Verhältnisse ist zurückzugreifen, wenn das Terrain im Hinblick auf das Bauvorhaben verändert worden ist." 2.2.2. Die Diskussion über die Lage des gewachsenen Terrains ist durch die folgende Vorgeschichte ausgelöst worden: Mit Datum vom 18. Juli 1983 reichte die Kollektivgesellschaft H. & Co. Immo- 2005 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 191 bilien ein Baugesuch für eine Terrain-Auffüllung auf der Parzelle IR 117 ein, und zwar teilweise innerhalb, teilweise ausserhalb des Bau- gebiets. Gestützt auf die Teilverfügung der Baugesuchszentrale des Baudepartements vom 15. November 1983, wonach der Terrainver- änderung ausserhalb des Baugebiets nur zugestimmt wurde, soweit sie 1 m ab gewachsenem Terrain nicht überstieg, verlangte der Ge- meinderat mit Beschluss vom 28. November 1983 eine neue Bauein- gabe. Diese erfolgte mit Schreiben der Bauherrschaft vom 16. De- zember 1983. Einsprachen während der öffentlichen Auflage vom 5. bis zum 25. Januar 1984 wurden keine erhoben. Mit Beschluss vom 6. Februar 1984 erteilte der Gemeinderat die Baubewilligung, unter Beifügung u.a. der folgenden Nebenbestimmung: "2. Bei künftigen Bauvorhaben im Bereiche der Aufschüttung ist das ursprünglich gewachsene Terrain zu berücksichtigen. Der Plan, Terrainprofile Mst. 1 : 200 vom 14. Dezember 1983, ist für die Be- stimmung des ursprünglich gewachsenen Terrains massgebend." In der Folge focht die Bauherrschaft die erwähnte Klausel mit folgender Begründung beim Baudepartement an: "Die Auflage des Gemeinderates besitzt keine gesetzliche Grundlage. Unser Land wurde 'verlocht' wegen des Baues der neuen und hochgelegenen Erschliessungsstrasse. Die geplante Auffüllung be- zweckt lediglich die Anpassung an das neue Strassenniveau. Sicher hat aus diesem Grund auch die Baugesuchszentrale in ihrem Schrei- ben vom 15.11.83 (...) der Auffüllung zugestimmt. Wenn man auf- füllen darf, so muss doch das neue Niveau für eine neue Überbauung gelten. Das alte Niveau wurde durch den Strassenbau überholt." Auf ein bei ihm eingereichtes Wiedererwägungsgesuch gleichen Inhalts hin beschloss der Gemeinderat am 27. Februar 1984, den Satz "Bei künftigen Bauvorhaben im Bereiche der Aufschüttung ist das ursprünglich gewachsene Terrain zu berücksichtigen." in Ziffer 2 der Verfügung vom 6. Februar 1984 zu streichen. Er begründete dies wie folgt: "Der Gemeinderat stellt fest, dass lediglich die Terrainauffüllung Gegenstand des Gesuches war. Der Gemeinderat hat somit seine Ver- fügungsberechtigung überschritten, wenn er bereits in die Verfügung zur Terrainauffüllung Dispositionen betreffend künftige Bauvorha- 2005 Verwaltungsgericht 192 ben aufnimmt. - Er ist deshalb ohne weiteres bereit, auf den Wieder- erwägungsantrag einzutreten und den Satz betreffend künftige Bau- vorhaben aus Zif. II.2 der Bewilligung vom 6. Februar 1984 zu strei- chen. Seine im Beschluss vom 6. Februar 1984 enthaltene Meinung be- treffend Hochbauten im Bereiche der Aufschüttung ändert er nicht, resp. es wird darüber in diesem Verfahren nicht weiter beraten. - So- fern die H. & Co. einen verbindlichen Entscheid zur Frage der Ge- schosszahl künftiger Bauvorhaben erwirken will, müsste sie ein Baugesuch oder zumindest einen Vorentscheid unterbreiten. (...)" 2.2.3. 2.2.3.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Norm in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihr zu Grunde liegenden Wertungen, aber auch nach der Entstehungsgeschichte auszulegen. Auszugehen ist vom Wortlaut, doch kann dieser nicht allein massgebend sein. Be- sonders wenn der Text unklar ist oder verschiedene Deutungen zu- lässt, muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Be- rücksichtigung weiterer Auslegungselemente, wie namentlich der Entstehungsgeschichte der Norm, ihrem Zweck und ihrem Zusammenhang mit andern Bestimmungen (Bundesgericht, in: ZBl 102/2001, S. 84 und BGE 125 II 152, je mit Hinweisen; siehe auch AGVE 2003, S. 191 f.). Nach Massgabe dieser Grundsätze ist auch § 13 ABauV zu deuten. 2.2.3.2. Schon aus dem Wortlaut der Bestimmung lassen sich verschiedene Schlüsse ziehen. Klar ist zunächst, dass Abs. 1 den Grundsatz wiedergibt und Abs. 2 einen Sondertatbestand regelt; dies spricht für eine eher restriktive Auslegung. Im Weiteren setzt die Ausnahmesituation voraus, dass die Terrainveränderung mit einem konkreten Baugesuch in Verbindung gebracht werden kann ("[...] im Hinblick auf das Bauvorhaben [...]"), d.h. im Zeitpunkt der Terrain- veränderung muss sich die Planungsidee so weit verfestigt haben, dass die wesentlichen Randbedingungen der in Aussicht genomme- nen Baute bekannt sind. Damit scheiden länger zurückliegende Terrainveränderungen in aller Regel aus. Ihre Berücksichtigung wäre namentlich darum problematisch, weil der ursprüngliche Terrain- 2005 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 193 verlauf häufig gar nicht mehr zuverlässig rekonstruiert werden könnte und es aus naheliegenden Gründen - Zeugen nicht mehr verfügbar, mangelndes Erinnerungsvermögen - auch nicht einfach ist, auf längere Zeit zurück eine bestimmte Absicht zu ergründen. Unter diesem Aspekt ist also ein enger zeitlicher Zusammenhang erforderlich. Auf der andern Seite soll sichergestellt werden, dass der Bauherr nicht mittels einer gezielt vorgenommenen Aufschüttung die Vorschriften über die Gebäude- und Firsthöhe unterlaufen kann. Bereits in einem älteren Urteil hat das Verwaltungsgericht die Sache wie folgt auf den Punkt gebracht (siehe AGVE 1984, S. 405 f.): "Auch das Gebiet der Gemeinde Fislisbach ist seit Jahrhunderten vielfältigst von Menschen verändert worden; der Urzustand ist end- gültig verloren. Diskutieren kann man bloss, ob irgendeine be- stimmte frühere, historische und damit immer nur relativ natürliche Terraingestaltung massgebend sein muss. Im Grundsatz kann dem nicht so sein. Dies führte zu völlig unpraktikablen Lösungen. Das Ergebnis wäre dem Zufall ausgeliefert, könnte doch kein einheitli- cher Zeitpunkt bestimmt und die seitherige Entwicklung oft nicht genügend ermittelt werden. Normalerweise muss daher als unterer Bezugspunkt der Höhenmessung die effektive Oberfläche des Bau- grundstückes angenommen werden, so wie sie sich im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung präsentiert. Nur dieser tatsächliche Ausgangspunkt erlaubt es, den Sinn des Gesetzes zu verwirklichen. Es will unter den heutigen Gegebenheiten Licht, Luft und Sonne er- möglichen und eine siedlungsgestalterisch befriedigende Über- bauung erreichen. Massgebend ist also grundsätzlich nicht irgend ein früherer, sondern der heutige Zustand des Terrains, d.h. das Terrain, wie es sich darstellt, bevor es der jetzt Bauwillige verändert. Immer- hin sind allenfalls Terrainveränderungen, die der Bauherr im Zu- sammenhang mit der Vorbereitung eines Baugesuches oder einer Überbauung vornimmt, dementsprechend zu berücksichtigen, auch wenn sie früher vorgenommen wurden. So soll namentlich verhindert werden, dass die Vorschriften über die Gebäudehöhe umgangen werden können." Es ist offensichtlich, dass es der Wille des Verordnungsgebers war, diese Praxis beim Erlass der ABauV zu kodifizieren. 2005 Verwaltungsgericht 194 2.2.4. Nach Auffassung des Baudepartements ist auf das alte, vor der Aufschüttung vorhandene Terrain abzustellen. Projektver- fasser U.H. habe anlässlich der Einspracheverhandlung vom 22. Oktober 2003 ausgesagt, die Aufschüttung sei vorgenommen worden, damit im Hinblick auf eine zukünftige Überbauung die Ge- bäude nicht zu tief zu liegen kämen. Den gleichen Schluss legten auch die Schreiben der Beschwerdeführerin vom 2. September 1983 und 28. Februar 1984 sowie die Tatsache nahe, dass sie den gemein- derätlichen Beschluss vom 6. Februar 1984 angefochten habe. Die Aufschüttung sei nicht in erster Linie erfolgt, um die bestehende Senke aufzufüllen. Im nördlichsten Teil des Bauplatzes möge dies der Fall gewesen sein, doch im Übrigen habe die Aufschüttung hauptsächlich dazu gedient, das Terrain insbesondere bis zur (dama- ligen) Bauzonengrenze teilweise massiv anzuheben. Dabei habe es sich nicht um eine gleichmässige Anhebung gehandelt, sondern das Terrain sei insbesondere bis zum Bauzonenrand mit anschliessender Böschung zur Nichtbauzone angehoben worden. Aus der wiederer- wägungsweisen Aufhebung von Ziffer 2 des Gemeinderatsbe- schlusses vom 6. Februar 1984 im Beschluss vom 27. Februar 1984 könne die Beschwerdeführerin angesichts der Erwägungen in diesem Beschluss nichts zu ihren Gunsten ableiten; es resultiere daraus keine Vertrauensgrundlage. Es erscheint müssig, im Zusammenhang mit der Festlegung des massgebenden gewachsenen Terrains Motivforschung zu betreiben, wie dies das Baudepartement tut. Die Terraingestaltung, um welche es heute geht, ist am 6. Februar 1984 formell rechtskräftig bewilligt worden, und zwar - wenn auch der Wiedererwägungsentscheid vom 28. November 1984 in Betracht gezogen wird - ohne jeden Vorbehalt in Bezug auf das für künftige Überbauungen massgebende gewachsene Terrain. Derartigen, rechtlich abgesicherten Terrainver- änderungen ist immanent, dass sie einen neuen Terrainverlauf definieren, der auch für allfällige Neubauten gilt. Der gemeinderätli- chen "reservatio mentalis" im Beschluss vom 28. November 1984 (siehe vorne Erw. 2.2.2.) kommt keinerlei verbindliche Bedeutung zu, weil sie nicht im Beschlussdispositiv enthalten ist (siehe AGVE 1992, S. 351 mit Hinweisen). Überdies hat der Gemeinderat 2005 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 195 im Baubewilligungsentscheid vom 15. Dezember 2003 bekundet, dass er entgegen seinem früheren "obiter dictum" nunmehr der Meinung ist, dass der heutige Terrainverlauf als "gewachsenes Terrain" zu gelten habe. Er hat dabei richtigerweise auch darauf hingewiesen, dass seit nicht weniger als 20 Jahren der gleiche, 1984 bewilligte Terrainverlauf bestehe. Unbestritten ist schliesslich, dass die im Jahre 1984 vorgenommene Terrainaufschüttung nicht mit ei- nem konkreten Bauvorhaben auf den Parzellen Nrn. 216, 217 und 218 zusammenhängt, wenn sich dadurch auch die Chance eröffnete, später vom erhöhten Terrain aus zu bauen. Auch unter diesen allgemeinen Gesichtspunkten erweist sich der angefochtene Entscheid nicht als haltbar (siehe vorne Erw. 2.2.3.2.). (...)
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2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 209 56 Öffentliches Interesse an der Pfadfinderbewegung und an einem Pfadfinderhaus. - Der Betrieb eines Pfadihauses liegt im öffentlichen Interesse und ist in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zonenkonform. Der Ent- scheid, in welche Zone zugewiesen wird, obliegt der Gemeinde, wenn mehrere zur Auswahl stehende Zonen planungsrechtlich konform sind. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 7. November 2000 in Sachen R.F. und Mitbeteiligte gegen Entscheid des Regierungsrats und Ent- scheid des Grossen Rats. Aus den Erwägungen 2. Streitig ist die Zuweisung der bisher in der Grünzone und im "übrigen Gemeindegebiet" gelegenen Parzelle Nr. ... zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (OEB). a) Gemäss § 15 Abs. 1 BauG erlassen die Gemeinden allge- meine Nutzungspläne und allgemeine Nutzungsvorschriften, die das Gemeindegebiet in verschiedene Nutzungszonen einteilen und Art und Mass der Nutzung regeln. Die Gemeinden können u. a. auch Zonen für öffentliche Bauten ausscheiden (§ 15 Abs. 2 lit. a BauG). Sie entsprechen damit Art. 3 Abs. 4 RPG, der bestimmt, dass für die öffentlichen oder im öffentlichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen sachgerechte Standorte zu bestimmen sind, was sinnvoller- weise bereits in den Nutzungsordnungen geschieht (Eidg. Justiz- und Polizeidepartement/Bundesamt für Raumplanung, Erlauterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung [im Folgenden: Erläute- rungen], Bern 1981, Art. 3 RPG N 59). Die Gemeinde O. weist ge- mäss Bauzonenplan eine Zone für öffentliche Bauten mit einer Flä- che von total 23,3 ha auf; davon sind 1,5 ha unüberbaut. Geregelt ist die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (OEB) in § 12 BNO wie folgt: 2000 Verwaltungsgericht 210 " 1 Die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen ist für die dem öffent- lichen Interesse dienenden Bauten und Anlagen bestimmt. 2 Der Gemeinderat legt die Baumasse und Abstände, unter Berück- sichtigung privater und öffentlicher Interessen, fest. Gegenüber an- grenzenden Zonen sind deren Abstand- und Höhenvorschriften ein- zuhalten. 3 Solange kein anderer öffentlicher Bedarf besteht, kann der Gemein- derat in der Zone OEB Bauten und Anlagen für die Freizeitbetätigung und Erholung der Bevölkerung (Kleintierhaltung, Sportanlagen, Tennis- und Squash-Hallen, Minigolfanlagen usw.) befristet bewil- ligen. 4 In der Zone OEB im Nuechtal ist das Erstellen eines Pfadihauses, nicht jedoch eines Pfadiheimes, zulässig." b) Nach Auffassung der Beschwerdeführer dient ein Pfadihaus nicht dem öffentlichen Interesse, weshalb es in der Zone für öffent- liche Bauten und Anlagen nicht zonenkonform sein könne. aa) In den Zonen für öffentliche Bauten und Anlagen dürfen nur öffentliche und öffentlichen Zwecken bzw. Interessen dienende Werke erstellt werden (vgl. BGE 108 Ia 298 f.; 114 Ia 339; AGVE 1988, S. 342; Leo Schürmann/Peter Hänni, Planungs-, Bau- und besonderes Umweltschutzrecht, 3. Auflage, Bern 1995, S. 141; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 134 aBauG N 4). Private Vorhaben sind nicht zulässig; auch nicht als "provisorische", mit Beseitigungsrevers belastete Bauten (Bundesgericht, in: ZBl 82/1981, S. 531 f.). Voraussetzung zur Festsetzung einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen ist auch, dass das geltend gemachte zukünftige Bedürfnis genügend konkretisiert ist. Es ist vom Gemeinwesen so genau wie möglich anzugeben, und die Errichtung der öffentlichen Baute muss mit eini- ger Sicherheit zu erwarten sein (Bundesgericht, in: ZBl 97/1996, S. 116; BGE 114 Ia 340 mit Hinweisen). bb) § 15 BauG bestimmt, dass die Gemeinden für die Ausschei- dung von Nutzungszonen zuständig sind. Zu berücksichtigen ist, dass den Gemeinden bei der Auslegung der für die Zonen für öffentliche 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 211 Bauten und Anlagen aufgestellten Nutzungsvorschriften eine "relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit" zusteht (AGVE 1988, S. 342). Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Gemeindeautonomie (Art. 50 Abs. 1 BV; § 106 Abs. 1 KV) und aus der Tatsache, dass die mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Behörden und Organe die Frage, ob eine geplante Baute oder Anlage den kommunalen oder lokalen öffentlichen Interessen dient, besser beurteilen können als eine kan- tonale Rechtsmittelinstanz (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, Rz. 452). Angesichts des der Gemeinde zustehenden Beurteilungs- spielraums muss das Verwaltungsgericht eine rechtlich vertretbare Auslegung akzeptieren, auch wenn eine andere Auffassung ebenfalls denkbar ist. cc) Die Arten der dem öffentlichen Interesse dienenden Bauten und Anlagen sind dementsprechend äusserst vielfältig. Die öffentli- che Bauten und Anlagen, d. h. Bauwerke, welche die öffentliche Hand in Erfüllung verfassungsmässiger Aufgaben erstellt, dienen dem Gemeinwesen unmittelbar durch ihren Gebrauchswert, entweder als Verwaltungsvermögen oder als Sachen im Gemeingebrauch (Er- läuterungen, a.a.O., Art. 3 RPG N 56; vgl. auch Zimmerlin, a.a.O., § 134 aBauG N 4). Dazu gehören Schulhäuser, Spitäler, Gefängnisse, öffentliche Verwaltungsgebäude, Alters- und Pflegeheime, etc. Sol- che Bauten dienen fraglos öffentlichen Zwecken. Zu den im öffent- lichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen gehören aber auch Bauten privater Bauherren, die im weitesten Sinne Aufgaben des modernen Leistungs- und Sozialstaates wahrnehmen helfen (Erläute- rungen, a.a.O., Art. 3 RPG N 56). Zu den öffentlichen Bauten und Anlagen zählen daher auch Schwimmbäder, Tennisanlagen (AGVE 1976, S. 238 ff.), oder Schrebergartenanlagen (AGVE 1988, S. 340 ff.); an ihrem Bestehen wurde ein Allgemeininteresse bejaht. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat in einem den Bau eines Pfadfinderheims betreffenden Entscheid festgestellt, es liessen sich gute Gründe dafür anführen, dass die Förderung der Pfadfinderbe- 2000 Verwaltungsgericht 212 wegung "in der heutigen Zeit als Teilaspekt der kommunalen Jugend- arbeit erscheint und daher auch im öffentlichen Interesse liegt" (Ur- teil vom 27. Juni 1983, in: BVR 1983, S. 475). dd) Dass die Pfandfinderbewegung im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben wahrnimmt, stellen auch die Beschwerdeführer nicht in Frage; sie machen aber geltend, dass die vorgesehene Baute für die sinnvolle Freizeitbeschäftigung keine Voraussetzung darstelle, sondern die Pfadfinder ihren Tätigkeiten auch ohne sie ausüben könnten. Insofern bestehe kein öffentliches Interesse an der Errichtung eines Pfadihauses. Darin unterscheide sich der hier zu beurteilende Fall von der vom Verwaltungsgericht in AGVE 1988, S. 343, als im öffentlichen Interesse liegend anerkannten Anlage von Schrebergärten, welche die notwendige Voraussetzung für die gärtne- rische Tätigkeit bildeten. ee) Die Pfadfinderabteilung S. ist ein Verein im Sinne von Art. 60 ff. ZGB (Statuten der Pfadfinderabteilung S. vom September 1993 [Statuten]. Sie zählt rund 65 aktive Mitglieder im Alter zwi- schen 8 und 25 Jahren. Der normale Pfadibetrieb findet jeweils am Samstagnachmittag statt. Die verschiedenen Aktivitäten werden meist in der Natur, d.h. im Freien, ausgeübt. Der Aufenthaltsort Wald und die Verbundenheit zur Natur sind zentrale Punkte der Pfadi- arbeit. Indessen findet der Pfadibetrieb grundsätzlich während des ganzen Jahres, auch im Winter, und auch bei schlechtem Wetter statt. Der Wunsch nach einem geeigneten, auch heizbaren, Lokal ist schon unter diesem Gesichtspunkt verständlich. Seitens der Pfadi S. wird auch geltend gemacht, es würde Raum für die Vorbereitungsarbeiten und die anfallenden administrativen Aufgaben der Leiter sowie für die Pflege und Aufbewahrung des Materials benötigt. Den "Wölfen" und "Bienli" solle die Möglichkeit zum Basteln und eine Alternative bei schlechter Witterung geboten werden. Die Pfadfinder sind für die Ausübung ihrer Aktivitäten somit zwar nicht im Sinne einer aus- schliesslichen Voraussetzung auf ein Pfadihaus angewiesen, jedoch entspricht ein solches Gebäude einem klaren Bedürfnis, indem es als 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 213 Begegnungs- und Aufenthaltsort der Jugendlichen, als Ort für die Durchführung von Übungen sowie als Materialdepot dient. Die Aus- übung der Aktivitäten würde ohne ein Pfadihaus auf Anlässe im Freien beschränkt und einen Grossteil der Veranstaltungen (Leitersit- zungen, Elternabende, Elternbeirat, Altpfaderbewegung, etc.) ver- hindert oder doch erheblich erschwert. Der Zweck der Pfadibewe- gung umfasst in diesem Sinn den Betrieb eines Pfadihauses. Insofern lässt sich - entgegen der etwas widersprüchlichen Argumentation der Beschwerdeführer - nicht sagen, an einem Pfadihaus bestünden kei- nerlei öffentliche Interessen. Ein Pfadihaus und dessen Betrieb gehö- ren untrennbar zur Bewegung. Die offenkundigen Bedürfnisse einer Organisation, die anerkanntermassen in nicht unwesentlichem Um- fang Aufgaben im Rahmen der kommunalen Jugendarbeit wahr- nimmt, sind durch die Interessen der Allgemeinheit an der Pfadibe- wegung selbst ebenfalls abgedeckt, auch wenn die Bevölkerung aus dem Pfadihaus in der Regel keinen direkten, unmittelbaren Nutzen zieht. Für das Vorhandensein eines allgemeinen Interesses spricht im Übrigen auch die einhellige Zustimmung, die die Umzonung zugun- sten des Pfadihauses im Einwohnerrat erfahren hat. Am zu bejahenden öffentlichen Interesse ändert auch nichts, dass die Abteilung S. derzeit im Gebiet Nuechtal, auf der Grenze zum Naturschutzgebiet, noch über eine Pfadihütte verfügt. Es handelt sich um eine alte, containerähnliche Baracke, die 1960 bewilligt wurde, und ohne Wasser, Strom oder sanitarische Einrichtungen ist. Sie befindet sich einem baufälligen Zustand und ist seit Jahren kaum mehr benutzbar. Wenn der Gemeinderat und der Einwohnerrat ange- sichts der Grösse und der Bedeutung der Pfadfinderabteilung S. der Auffassung sind, die Erstellung eines neuen Pfadihauses stelle ein öffentliches Interesse dar, so ist dies vertretbar. Das alte Pfadihaus erfüllt die Ansprüche an eine Pfadfinderbewegung, wie sie die Pfadi S. darstellt, nicht und soll auch in der Folge abgebrochen werden. ff) Im vorliegenden Fall fraglos erfüllt ist auch die Vorausset- zung, dass das geltend gemachte zukünftige Bedürfnis genügend 2000 Verwaltungsgericht 214 konkretisiert ist. Zurzeit bestehen zwar Vorstellungen vom neuen Pfadihaus; ein konkretes Projekt ist noch nicht vorhanden und ver- tragliche Vereinbarungen bestehen derzeit offenbar auch noch nicht. Geplant ist eine zweigeschossige Baute, die der Pfadfinderabteilung S. als Pfadihaus dienen soll. Die beiden Geschosse sollen je eine Fläche von 70 - 100 m 2 aufweisen. Vorgesehen sind ein Aufenthalts- raum, ein Sitzungszimmer, ein Materialraum sowie eine kleine Kü- che. Die Beschwerdeführer vermuten, "es seien noch ganz andere Bauvorhaben auf der Parzelle Nr. ... geplant", ohne allerdings kon- krete Anhaltspunkte für ihre Befürchtungen zu nennen. Dass die Umzonung der Teilfläche von 20,6 a in die Zone OEB zur Verwirkli- chung des geplanten Pfadihauses und nicht zu anderen, unbestimm- ten Zwecken erfolgt, ergibt sich einerseits aus der Tatsache, dass die Pfadfinderabteilung S. mehr als 10 Jahre nach einem geeigneten Standort für ein Pfadihaus gesucht hat, und auch das Begehren, es seien durch Umzonierung der Parzelle Nr. ... die entsprechenden zonenmässigen Voraussetzungen zu schaffen, gestellt hat. Anderseits lassen aber auch schon die eher geringe Grösse und die Lage der Parzelle die Realisierung anderer auf einen Standort in der Zone OEB angewiesenen Bauvorhaben wenig wahrscheinlich erscheinen. Auch der Wortlaut von § 12 Abs. 4 BNO, mit dem man den damali- gen Einsprechern entgegenkommen wollte, lässt sich vor diesem Hintergrund vernünftigerweise nur dahingehend verstehen, dass ein Pfadihaus und nicht ein Pfadiheim (mit Lagerbetrieb), aber auch keine andere öffentliche Baute oder Anlage, erstellt werden soll. Dies bestätigte der Vertreter des Gemeinderats auch anlässlich der Verhandlung ausdrücklich. gg) Die Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde O. kennt eine spezielle Zone "Sport und Freizeit SF". Gemäss § 13 Abs. 1 BNO ist diese Zone für "gemeindeeigene oder private Bauten und Anlagen bestimmt, die im Zusammenhang mit Sport und Freizeit einem engeren oder weiteren Kreis der Allgemeinheit dienen". Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, das projektierte Pfadihaus 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 215 erfülle sämtliche Voraussetzungen der Zone SF; es sei (mit der OEB) die falsche Zone gewählt worden. Gestützt auf die ihr zustehende Gemeindeautonomie habe die Gemeinde O. mit dem Erlass von § 13 BNO auch ausdrücklich festgelegt, dass der Freizeitbeschäftigung dienende Bauten und Anlagen in der Zone OEB nicht zulässig seien. Die Argumentation der Beschwerdeführer vermag nicht zu überzeu- gen. Die Tatsache, dass das Pfadihaus gestützt auf § 13 Abs. 1 BNO zweifellos auch in der Zone SF zonenkonform und grundsätzlich bewilligungsfähig wäre, führt nicht zwangsläufig zu seiner Unzuläs- sigkeit in der Zone OEB. Wie dargelegt, ist die Auffassung der Ge- meinde, beim geplanten Pfadihaus handle es sich um eine öffentli- chen Interessen dienende Baute, welche in der Zone OEB zulässig ist, zumindest vertretbar. Kommen rechtlich beide Zonenarten in Betracht, liegt der Entscheid darüber, welche Zone für das konkrete Bauvorhaben die geeignetere ist, im Beurteilungsspielraum der Ge- meinde, den das Verwaltungsgericht zu respektieren hat. Die Ge- meinde hat sich für die Zone OEB entschieden. Zu berücksichtigen ist sodann, dass es der Gemeinde jedenfalls im Grundsatz wohl un- benommen gewesen wäre, die als sachgerechten Standort für das Pfadihaus evaluierte Parzelle Nr. ... statt der Zone OEB der Zone Sport und Freizeit SF zuzuweisen.
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2017 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 171 31 Nutzungsplanung; Landwirtschaftszone - Rechtswidrigkeit einer Zonenvorschrift, welche in der Landwirt- schaftszone eine Gestaltungsplanpflicht für Bauten und Anlagen mit Intensivtierhaltungsformen vorsieht - Landwirtschaftliche Bauten und Anlagen zur bodenabhängigen Pro- duktion oder inneren Aufstockung dürfen keinen Nutzungsvorschrif- ten unterworfen werden, welche der bundesrechtlich vorgegebenen Grundnutzung in der Landwirtschaftszone widersprechen. - Eine Gestaltungsplanpflicht für die gesamte Landwirtschaftszone ist mit § 21 BauG unvereinbar, wenn weder ein bestimmtes Gebiet innerhalb der (allgemeinen) Landwirtschaftszone mit der Sondernut- zungsplanpflicht ausgeschieden wird noch die Planungsziele und -grundsätze positiv formuliert werden. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 14. Septem- ber 2017, i.S. A. gegen Einwohnergemeinde B. und Regierungsrat (WBE.2014.359) Aus den Erwägungen 1. Die revidierte BNO der Gemeinde B. enthält in § 19 folgende Nutzungsbestimmung für Bauten in der Landwirtschaftszone: 1 Für alle Bauten und Anlagen ist ein in Abwägung sämtlicher betroffener Interessen optimaler Standort zu wählen. Sie haben sich unter Wahrung der betrieblichen Erfordernisse in Bezug auf Ausmass, Gestaltung, Stel- lung sowie Bepflanzung in die Landschaft einzufügen. 2 Der Neubau und die Umnutzung bestehender Bauten und Anlagen für die landwirtschaftliche Intensivtierhaltung setzen einen Gestaltungsplan voraus. Im Rahmen eines Gestaltungsplanes sind Bauten und Anlagen für die Intensivtierhaltung nur zulässig, wenn die Immissionsentwicklung der geplanten Anlage zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen des Sied- lungsgebietes führt, die angestrebte Siedlungsentwicklung nicht einge- schränkt wird, die landwirtschaftlichen Aspekte nicht gegen die Errichtung derartiger Anlagen sprechen und die Funktionen der Landwirtschaftszone, 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 172 des Erholungsraumes und ökologischen Ausgleichs nicht beeinträchtigt werden. Landwirtschaftliche Intensivtierhaltung liegt vor, wenn Tiere be- stimmter Arten in solcher Anzahl gehalten werden, dass die Auswirkungen auf die Umwelt und die räumliche Ordnung das bei Landwirtschaftsbetrie- ben übliche Mass sprengen. Im Rahmen des Gestaltungsplanes werden insbesondere Stellung und Ausmass der geplanten Bauten und Anlagen so- wie nötige technische Vorkehren festgesetzt. 3 (Wohngebäude) 4 (Empfindlichkeitsstufe gemäss LSV) 2. (...) 3. 3.1. Das Raumplanungsgesetz umschreibt in Art. 14 ff. Zweck und Inhalt der wichtigsten Nutzungszonen, nämlich der Bau-, der Land- wirtschafts- und der Schutzzonen. Mit den Teilrevisionen des Raum- planungsgesetzes vom 20. März 1998 (in Kraft seit 1. September 2000 [AS 2000 2042; BBl 1996 III 513]) und vom 23. März 2007 (in Kraft seit 1. September 2007 [AS 2007 3637; BBl 2005 7097]) sind die Bestimmungen über die Landwirtschaftszonen neu gefasst und der Begriff der Landwirtschaftszone erweitert worden (Art. 16 ff. RPG). Mit dieser Änderung verbunden ist die Abkehr von einem rei- nen "Produktionsmodell", gemäss welchem die bodenabhängige Pro- duktionsweise das Hauptcharakteristikum der landwirtschaftlichen Nutzung darstellte, in Richtung eines "Produktemodells", wonach in der Landwirtschaftszone grundsätzlich auch bodenunabhängige Be- wirtschaftungsformen zugelassen sind, die der langfristigen Siche- rung der Ernährungsbasis des Landes dienen (vgl. Botschaft des Bundesrats zu einer Teilrevision des Bundesgesetzes über die Raum- planung vom 22. Mai 1999, in: BBl 1996 III 523 f.; A LEXANDER R UCH /R UDOLF M UGGLI , in: H EINZ A EMISEGGER /P IERRE M OOR /A LEXANDER R UCH /P IERRE T SCHANNEN [Hrsg.], Praxiskom- mentar RPG: Bauen ausserhalb der Bauzone, Zürich/Basel/Genf 2017, Art. 16 N 22; P AUL R ICHLI , Unvollendetes Produktemodell für die Landwirtschaft?, in: BlAR 3/2014, S. 181 f.). Die Zonenkonformität von Bauten und Anlagen in der Landwirtschaftszone richtet sich indes nicht unmittelbar nach dem in 2017 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 173 Art. 16 RPG festgelegten Zonenzweck, sondern wird in Art. 16a RPG besonders umschrieben. Zonenkonform sind grundsätzlich Bau- ten und Anlagen, die zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung oder für den produzierenden Gartenbau nötig sind (Abs. 1 Satz 1). Bauten und Anlagen für die boden un abhängige Nutzung sind nur unter den Voraussetzungen von Abs. 2 (innere Aufstockung) oder Abs. 3 (Intensivlandwirtschaftszone) zonenkonform. Diese Auslegung von Art. 16a RPG wird durch Art. 34 Abs. 1 RPV bestätigt, wonach aus- ser in den Fällen von Art. 16a Abs. 2 und 3 RPG die Bodenabhängig- keit der Bewirtschaftung die grundlegende Voraussetzung für die Zo- nenkonformität in der Landwirtschaftszone bildet (vgl. R UCH /M UGGLI , a.a.O., Art. 16a N 9, 30 ff. und 34 ff.). Die in BGE 120 Ib 266 zu Art. 16 RPG (in der bis zum 1. September 2000 gelten- den Fassung) entwickelten Kriterien zur Abgrenzung zwischen bodenabhängiger und bodenunabhängiger Produktion sind auch nach der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes vom 20. März 1998 massgebend, da diese nichts daran geändert hat, dass Bauten und Anlagen (ausser in den Fällen von Art. 16a Abs. 2 und 3 RPG) in der Landwirtschaftszone nur zonenkonform sind, wenn sie der bodenab- hängigen Bewirtschaftung dienen (vgl. hierzu auch BGE 129 II 413, Erw. 3.1). Als bodenabhängige Bewirtschaftung gilt, wenn ein enger Bezug zum natürlichen Boden besteht. Dies ist bei der Tierhaltung der Fall, wenn die Tiere im Wesentlichen auf der Grundlage der auf dem Betrieb produzierten Futtermittel ernährt werden (Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 2015 [1C_71/2015], Erw. 4 und 5.2; BGE 133 II 370, Erw. 4.2). Als innere Aufstockung werden jene Fälle bezeichnet, in denen einem überwiegend bodenabhängig geführten Betrieb Bauten und Anlagen für die bodenunabhängige Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse angegliedert werden, um auf diese Weise dessen Existenzfähigkeit zu sichern (B ERNHARD W ALDMANN /P ETER H ÄNNI , Raumplanungsgesetz, Bern 2006, Art. 16a N 17 ff.). Bauten und Anlagen, die über eine innere Auf- stockung hinausgehen, können als zonenkonform bewilligt werden, wenn sie in einem Gebiet der Landwirtschaftszone erstellt werden sollen, das vom Kanton in einem Planungsverfahren dafür freigege- ben wird (Art. 16a Abs. 3 RPG). 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 174 3.2. Die Zonenkonformität in der Landwirtschaftszone wird somit grundsätzlich durch das Bundesrecht bzw. durch Art. 16, 16a und 16b RPG sowie Art. 34 bis 38 RPV bestimmt. Kantonale Konkretisierungen der Landwirtschaftszone sind nur im Rahmen und den Grenzen des Bundesrechts zulässig (W ALDMANN /H ÄNNI , a.a.O., Art. 16 N 4). Konkret bedeutet dies, dass die bundesrechtlichen Kriterien weder zugunsten noch - unter Vorbehalt einschränkender kantonaler Bestimmungen gemäss Art. 27a RPG - zuungunsten der Landwirtschaft geändert werden dürfen (G IERI C AVIEZEL /J EANNETTE F ISCHER , in: A LAIN G RIFFEL /H ANS U. L INIGER /H ERIBERT R AUSCH /D ANIELA T HURNHERR [Hrsg.], Fach- handbuch Öffentliches Baurecht, Zürich/Basel/Genf 2016, S. 106 f., Rz. 3.39 und 3.42 f.; M EINRAD H USER , Planen in der Landwirtschaftszone, in: BlAR 2-3/2015, S. 70 f.). Sämtliche auf den Boden als Produktionsfaktor angewiesenen Nutzungsformen und die Errichtung aller dazu notwendigen Bauten und Anlagen sind folglich aufgrund des übergeordneten (Bundes-)Rechts in der Landwirt- schaftszone grundsätzlich gestattet. Dasselbe gilt für Bauten und Anlagen, die der inneren Aufstockung dienen (Art. 16a Abs. 2 RPG). Dementsprechend hat der Betriebsinhaber im Grundsatz die Wahl, welche landwirtschaftliche Nutzung er auf dem ihm zur Verfügung stehenden Land in der Landwirtschaftszone betreiben will. Die Zonenkonformität von Bauten und Anlagen in der Landwirtschafts- zone setzt voraus, dass sie für die in Frage stehende Bewirtschaftung nötig sind, ihnen am vorgesehenen Standort keine überwiegenden In- teressen entgegenstehen und der Betrieb voraussichtlich längerfristig bestehen kann (Art. 34 Abs. 4 RPV; C AVIEZEL /F ISCHER , a.a.O., S. 107 ff., Rz. 3.42 und 3.62). Es ist unbestritten, dass in der Gemeinde B. keine Intensivland- wirtschaftszone vorgesehen ist; auf diese Zone ist daher im Folgen- den nicht näher einzugehen. Die Erstellung von Bauten und Anlagen zur bodenabhängigen Tierhaltung und zur bodenunabhängigen Tier- haltung im Rahmen der inneren Aufstockung ist - wie oben darge- stellt - Teil der bundesrechtlich festgelegten zulässigen Grund- nutzung der Landwirtschaftszone. Diese Grundnutzung kann von den 2017 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 175 dem Bundesgesetzgeber nachgeordneten kantonalen Gesetzgebern nur in Bezug auf Art. 16a Abs. 2 (innere Aufstockung), 24b (nicht- landwirtschaftliche Nebenbetriebe ausserhalb der Bauzonen), 24c (bestehende zonenwidrige Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen) und 24d RPG (landwirtschaftsfremde Wohnnutzung und schützenswerte Bauten und Anlagen) eingeschränkt werden (Art. 27a RPG). Möglich ist zudem eine Differenzierung innerhalb der Landwirtschaftszone nach Art und Mass der Nutzung und der Inan- spruchnahme des Bodens durch Bauten und Anlagen. Es können die Landwirtschaftszone überlagernde Nutzungszonen des RPG (Schutzzonen) oder des kantonalen Rechts vorgesehen werden, wodurch die Errichtung von Bauten und Anlagen weiter beschränkt oder ausgeschlossen wird (Art. 18 RPG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 BauG; R UCH /M UGGLI , a.a.O., Art. 16 N 11; vgl. auch C HRISTIAN H ÄUPTLI , in: A NDREAS B AUMANN /R ALPH VAN DEN B ERGH /M ARTIN G OSSWEILER /C HRISTIAN H ÄUPTLI /E RICA H ÄUPTLI - S CHWALLER /V ERENA S OMMERHALDER F ORESTIER [Hrsg.], Kom- mentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, N 100 zu § 15 BauG). Der Begriff der Bauten und Anlagen ist in Art. 22 RPG im Sinne einer Minimaldefinition bundesrechtlich geregelt; er kann von den Kantonen und den Gemeinden nicht unterschritten, d.h. nicht enger gefasst werden (W ALDMANN /H ÄNNI , a.a.O., Art. 22 N 13; Eid- genössisches Justiz- und Polizeidepartement, Erläuterungen RPG, 1981, Art. 22 N 6). 3.3. Die umstrittene Bestimmung von § 19 Abs. 2 BNO unterstellt die "Intensivtierhaltung" in der gesamten Landwirtschaftszone der Gemeinde B. einer Gestaltungsplanpflicht. Zusätzlich werden Krite- rien definiert, die erfüllt sein müssen, damit eine "Intensivtierhal- tung" zulässig sein soll. Eine "Intensivtierhaltung" liegt gemäss § 19 Abs. 2 BNO vor, "wenn Tiere bestimmter Arten in solcher Anzahl gehalten werden, dass die Auswirkungen auf die Umwelt und die räumliche Ordnung das bei Landwirtschaftsbetrieben übliche Mass sprengen." 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 176 § 19 Abs. 2 BNO läuft darauf hinaus, dass grundsätzlich zuläs- sige Tiermast- und Tierhaltungsbetriebe, die entweder bodenab- hängig oder im Sinne eines Zuerwerbs (innere Aufstockung) boden- unabhängig produzieren, einschränkenden Bestimmungen unter- worfen werden bzw. hierfür ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ein- geführt wird. Die Norm widerspricht insofern der bundesrechtlich zulässigen Grundnutzung innerhalb der Landwirtschaftszone (vgl. vorne Erw. 3.1 und 3.2). 3.4. 3.4.1. Der Richtplan des Kantons Aargau (Richtplan 2011) äussert sich in Kap. L 3.1 zum Landwirtschaftsgebiet und zu den Fruchtfolgeflächen, in Kap. L 3.2 zu den Entwicklungsgebieten Landwirtschaft. Das Landwirtschaftsgebiet gemäss Richtplankarte wird festgesetzt (Kap. L 3.1, Beschluss 1.1). Die Gemeinden sichern mit ihrer Nutzungsplanung das Landwirtschaftsgebiet, indem sie die- ses den Landwirtschaftszonen zuweisen (Kap. L 3.1, Beschluss 1.2). Zu bestehenden Landwirtschaftsbetrieben ist ohne Planungsverfah- ren sowohl die bodenabhängige als auch die bodenunabhängige Pro- duktion über die innere Aufstockung hinaus bis zu einer durch den Betrieb beanspruchten Gesamtfläche von 0,5 ha möglich (Kapitel L 3.2, Beschluss 1.1). Planungspflichtige Bauvorhaben in der Land- wirtschaftszone erfordern eine planerische Ausscheidung im Kultur- landplan. Die Umsetzung erfolgt über Speziallandwirtschaftszonen, Entwicklungsstandorte Landwirtschaft (ESL) oder in speziellen Fäl- len einen Gestaltungsplan (Kap. L 3.2, Planungsgrundsatz A). Einer Planungspflicht unterstehen (Kap. L 3.2, Beschluss 1.2): Bauvorhaben an neuen Standorten, die eine Gesamtfläche von mehr als 0,5 ha beanspruchen. Dies sind beispielsweise neue Grossanlagen mit Gewächshäusern. Herkömmliche Aussiedlungen werden in aller Regel nicht planungspflichtig, da die beanspruchte Fläche meist unter 0,5 ha liegt (Kap. L 3.2, S. 1). Bauvorhaben von bestehenden landwirtschaftlichen Betrie- ben, welche zusammen mit dem bestehenden Betrieb eine Gesamtfläche von mehr als 0,5 ha beanspruchen und über 2017 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 177 die innere Aufstockung hinausgehen oder neue Nutzungen (Tierhaltung, Pflanzenproduktion in festen Gewächshäusern) umfassen. Für planungspflichtige Bauvorhaben der Landwirtschaft können die Gemeinden in der Nutzungsplanung Speziallandwirtschaftszonen bezeichnen. Bei planungspflichtigen Vorhaben zu bestehenden Land- wirtschaftsbetrieben können die Gemeinden die planungsrechtlichen Voraussetzungen im Gestaltungsplanverfahren schaffen (Kap. L 3.2, S. 1). Zusammenfassend lässt sich zum einen festhalten, dass der Richtplan die planungspflichtigen Bauvorhaben bezeichnet. Zum anderen ist wesentlich, dass nach Massgabe des Richtplans die Ge- meinden im Rahmen ihrer Nutzungsplanung lediglich Konkreti- sierungen für bestimmte Projekte oder für bestimmte Teilflächen vornehmen können; generelle Abweichungen von der bundesrecht- lich statuierten Grundnutzung innerhalb der Landwirtschaftszone sind demgegenüber nicht vorgesehen. Vielmehr wird für die boden- abhängige Produktion als auch die innere Aufstockung bis zu einer Gesamtfläche von 0,5 ha ausdrücklich statuiert, dass keine weiteren Planungsverfahren zu durchlaufen sind. § 18 Abs. 1 BNO verweist für die Zulässigkeit von anderen Produktionsmethoden als die bodenabhängige Produktion in den Bereichen Acker- und Futterbau, Tierhaltung etc. explizit auf die bundesrechtlichen Bestimmungen (Art. 16 und Art. 16a Abs. 1, 1 bis und 2 RPG; vgl. Art. 34 RPV; Erläuterungen zum Bau- und Nutzungsrecht des Kantons Aargau [BNR], Version 3.1, Juni 2012/Januar 2014, S. 24 f.). 3.4.2. Mit der neuen Zonenbestimmung wurde nicht das im Richtplan vorgesehene Verfahren gewählt, wonach im Hinblick auf planungs- pflichtige Bauvorhaben für konkrete Gebiete planerische Ausschei- dungen im Kulturlandplan vorgenommen werden können (durch die Festlegung von Spezialzonen oder Entwicklungsgebieten Landwirt- schaft bzw. unter bestimmten Umständen durch das Statuieren einer Gestaltungsplanpflicht). Vielmehr werden durch die Bestimmung in § 19 Abs. 2 BNO Tiermast- und Tierhaltungsbetriebe, die in der Landwirtschaftszone grundsätzlich zulässig sind (weil sie bodenab- 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 178 hängig oder im Sinne eines Zuerwerbs [innere Aufstockung] bodenunabhängig produzieren), generell einer Sondernutzungs- planpflicht unterstellt. Grundlage der Gestaltungsplanpflicht bildet auch nicht eine Präzisierung der Raumnutzung durch überlagernde andere Nutzungszonen des RPG (Schutzzonen) oder des kantonalen Rechts. Entgegen der Auffassung der Gemeinde bildet auch § 13 Abs. 2 BauG keine hinreichende Rechtsgrundlage, welche den Gemeinden die Einführung von Sondernutzungsplanungen, die von den Richtplanbeschlüssen gemäss Kap. L 3.2 abweichen, erlauben würde. Seit der Revision des Baugesetzes 2009 gibt diese Bestim- mung inhaltlich lediglich die Bundesnorm in Art. 2 Abs. 1 RPG wieder (H ÄUPTLI , a.a.O., N 45 zu § 13 BauG mit Hinweisen auf die Materialien). 3.5. Insgesamt ergibt sich, dass die in § 19 Abs. 2 BNO statuierte Gestaltungsplanpflicht der bundesrechtlich vorgegebenen Grund- nutzung in der Landwirtschaftszone widerspricht und keine genü- gende Grundlage im kantonalen Recht hat. Entsprechend erweist sich die Bestimmung als rechtswidrig und ist aufzuheben. 4. 4.1. Die Vorinstanz sieht die gesetzliche Grundlage für die umstrit- tene Gestaltungsplanpflicht vorab in § 16 Abs. 1 BauG. Da Satz 1 dieser Bestimmung die zweckmässige Erschliessung behandelt und die Erschliessung nicht Gegenstand der angefochtenen Sonder- nutzungsplanpflicht ist, kann sich der Verweis nur auf § 16 Abs. 3 BauG beziehen, der die Gemeinden ermächtigt, in der allgemeinen Nutzungsplanung Gebiete zu bezeichnen, in denen eine Überbauung eine Sondernutzungsplanung voraussetzt. 4.2. 4.2.1. Gestaltungspläne werden in erster Linie für Teilbereiche des Baugebiets erstellt. Sie können erlassen werden, wenn ein wesent- liches öffentliches Interesse an der Gestaltung der Überbauung be- steht (§ 21 Abs. 1 BauG). Gestaltungspläne können von den allgemeinen Nutzungsplänen und -vorschriften abweichen, wenn 2017 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 179 dadurch ein siedlungs- und landschaftsgestalterisch besseres Ergeb- nis erzielt wird, die zonengemässe Nutzungsart nicht übermässig be- einträchtigt wird, keine überwiegenden Interessen entgegenstehen und die allgemeine Nutzungsordnung Abweichungen nicht explizit ausschliesst oder besondere Voraussetzungen für ein Abweichen von den Nutzungsplänen und -vorschriften umschreibt (§ 21 Abs. 2 BauG). § 8 Abs. 1 BauV verdeutlicht, dass ein Gestaltungsplan ins- besondere Vorschriften über Art und Mass der Nutzung (lit. b) und Bestimmungen im Interesse des Umweltschutzes und der Siedlungs- qualität (lit. c) enthalten kann (vgl. dazu AGVE 2007, S. 143 f. mit Hinweisen; H ÄUPTLI , a.a.O., N 11 f. zu § 21 BauG). Sondernutzungspläne sind auch im Nichtbaugebiet, d.h. aus- serhalb des Siedlungsgebiets, nicht ausgeschlossen. Die Sonder- nutzungsplanung ist aber an die Grundnutzung gebunden (vgl. AGVE 2007, S. 143; H ÄUPTLI , a.a.O., N 12 zu § 21 BauG). Das Bundesrecht verlangt bei zonenkonformen Bauten grundsätzlich kein Sondernutzungsplanungsverfahren (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 1. April 2015 [1C_892/2013], Erw. 2.1, mit Hinweisen). Bei Abweichungen vom allgemeinen Nutzungsplan zeigt der Gemeinderat auf, wie jene zu einem siedlungs- und landschafts- gestalterisch besseren Ergebnis führen. Er beauftragt eine quali- fizierte Fachperson mit der Ausarbeitung der Stellungnahme; diese ist mit dem Entwurf öffentlich aufzulegen (§ 8 Abs. 3 BauV). 4.2.2. Der Gestaltungsplan gemäss § 21 BauG ist vornehmlich ein In- strument zur differenzierten Nutzungsplanung innerhalb des Bauge- bietes. Seine Aufgabe und sein Zweck bestehen in der Konkretisie- rung der Nutzung im Hinblick auf besondere öffentliche Anliegen, welche in § 21 Abs. 1 lit. a bis c BauG aufgeführt sind. Der Gestal- tungsplan soll ein qualitativ besseres Ergebnis ermöglichen als der allgemeine Nutzungsplan mit der parzellenweisen "Regelbauweise". Insbesondere die Verwirklichung städtebaulicher Ziele verlangt oft- mals besondere, detaillierte planerische Regelungen, welche den Rahmen der allgemeinen Nutzungsordnung schon aus praktischen Gründen sprengen. Auch nicht endgültig abgeschlossene Planungen in einem Gebiet können Anlass für einen Gestaltungsplan bilden, um 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 180 damit sicherzustellen, dass der Planungsprozess abgeschlossen und konkrete Planungsziele realisiert werden können (vgl. E RIC B RANDT /P IERRE M OOR , in: H EINZ A EMISEGGER /A LFRED K UTTLER /P IERRE M OOR /A LEXANDER R UCH [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Zürich 1999, Art. 18 N 96; W ALTER H ALLER /P ETER K ARLEN , Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 357). 4.2.3. Die BNO der Gemeinde B. enthält in § 3 Abs. 2 verschiedene Festlegungen zu einzelnen gestaltungsplanpflichtigen Arealen. Darin werden die mit der Sondernutzungsplanung zu lösenden Konflikte und der Zweck der Planung konkret umschrieben. Abweichungen oder Änderungen gegenüber der Grundordnung werden nicht ausge- schlossen. Die Gestaltungsplanpflicht in der Landwirtschaftszone (§ 19 Abs. 2 BNO) wird in § 3 Abs. 2 BNO nicht erwähnt und insbe- sondere nicht präzisiert. Selbst in § 19 Abs. 2 BNO werden die zu lösenden Konflikte sowie der Zweck der Planung nicht konkret umschrieben. Die Bestimmung sieht für die gesamte Landwirtschaftszone der Ge- meinde B. eine Abweichung von der Grundordnung vor, indem gene- rell für die "Intensivtierhaltung" ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt eingeführt wird. Solche Anlagen sind nur zulässig, wenn die Immis- sionsentwicklung zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen des Siedlungsgebietes führt, die angestrebte Siedlungsentwicklung nicht eingeschränkt wird, keine landschaftlichen Aspekte gegen ihre Errichtung sprechen und die Funktionen der Landwirtschaftszone, des Erholungsraumes und des ökologischen Ausgleichs nicht beein- trächtigt werden (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BNO). Nach Darstellung des Gemeinderates geht es bei diesem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für Betriebe der "Intensivtierhaltung" vor allem darum, den erheblichen Interessenkonflikt zwischen intensiver landwirtschaftlicher (Mas- sen-)Tierhaltung und der angestrebten Siedlungsentwicklung zu lö- sen, sowie um den Schutz der Bevölkerung vor übermässigen Immis- sionen. Das wichtigste Ziel und der Hauptzweck der Gestaltungsplanpflicht sei die Erhaltung "der hohen Standortattrakti- 2017 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 181 vität und der angenehmen Wohnlagen", weshalb störende Betriebe in der Landwirtschaftszone nicht zugelassen werden sollen. 4.3. Die Gestaltungsplanpflicht für die gesamte Landwirtschaftszone ist mit § 21 BauG unvereinbar, da weder ein bestimmtes Gebiet innerhalb der (allgemeinen) Landwirtschaftszone mit der Sondernut- zungsplanpflicht ausgeschieden wird, noch die Planungsziele und - grundsätze positiv formuliert werden. Entgegen der Darstellung der Gemeinde lässt auch der Planungsbericht keine hinreichende Kon- kretisierung der gewünschten Ordnung erkennen. Unter der ange- strebten Siedlungsentwicklung wird eine langfristige Entwicklung verstanden, die über 2 bis 3 Planungshorizonte geht und einen Zeit- raum von 30 bis 40 Jahren umfasst, der jedoch nach den eigenen An- gaben "raumplanerisch noch nicht festlegbar ist". Lässt sich das Pla- nungsziel nicht definieren, kann dafür dem Grundeigentümer oder dem Betriebsinhaber eines Tierhaltungsbetriebs auch keine Sonder- nutzungsplanpflicht auferlegt werden. Insgesamt erscheint zumindest fraglich, ob nicht auch aus die- sen Gründen (das Gebiet, das der Sondernutzungsplanung unterlie- gen soll, wurde nicht ausgeschieden; keine positiv formulierten Pla- nungsziele und -grundsätze) die umstrittene Gestaltungsplanpflicht in § 19 Abs. 2 Satz 1 BNO ersatzlos zu streichen ist.
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-31.html
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2014 Verwaltungsrechtspflege 303 52 Wiederaufnahme - Von Bundesrechts wegen schliesst eine hängige Beschwerde in öffent- lich-rechtlichen Angelegenheiten die Wiederaufnahme des verwal- tungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens für sich alleine nicht aus; die Voraussetzung des rechtskräftig erledigten Verfahrens nach § 65 Abs. 1 VRPG steht einer Wiederaufnahme insoweit nicht entgegen. - Die Subsidiarität der Wiederaufnahme ist formelles Gültigkeitserfor- dernis, bei dessen Fehlen auf das Gesuch nicht einzutreten ist. - Unechte Noven nach § 65 Abs. 1 lit. a VRPG rechtfertigen eine Wiederaufnahme nur, wenn der Gesuchsteller darlegt, dass ihm die Beweise oder Tatsachen trotz hinreichender Sorgfalt ebenfalls nicht bekannt oder nicht zugänglich waren. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. August 2014 in Sachen A. gegen Regierungsrat (WBE.2014.222). Aus den Erwägungen 1. 1.1. Ein rechtskräftig erledigtes Verfahren ist nach § 65 Abs. 1 VRPG auf Begehren einer Partei durch die letzte Instanz, die entschieden hat, wieder aufzunehmen, wenn nachgewiesen wird, dass erhebliche Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die zur Zeit des Entscheids wohl bestanden, den Behörden aber nicht bekannt waren (lit. a), die Vorschriften über die rechtmässige Zusammen- setzung der entscheidenden Behörde verletzt oder erhebliche Tatsa- chen, die sich aus den Akten ergaben, versehentlich nicht berücksich- 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 304 tigt worden sind (lit. b) oder der Entscheid durch Arglist oder straf- bare Handlungen beeinflusst wurde (lit. c). Die Beurteilung eines Wiederaufnahmegesuchs erfolgt in drei Schritten: a) Vorab ist, wie in allen verwaltungsgerichtlichen Verfahren, darüber zu befinden, ob die Verfahrensvoraussetzungen erfüllt sind. Darunter fällt die Prüfung der Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Begehrens (Legitimation, Antrag und Begründung, Fristwahrung), welche im Wiederaufnahmeverfahren insbesondere auch die Sub- sidiarität (d.h. die Subsidiarität des Wiederaufnahmeverfahrens gegenüber dem ursprünglichen Verfahren einschliesslich der damali- gen Rechtsmittelmöglichkeiten) mitumfasst. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist auf das Gesuch nicht einzutreten (AGVE 2001, S. 390 mit Hinweisen; M ARTIN B ERTSCHI , in: A LAIN G RIFFEL [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kan- tons Zürich [VRG], 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, § 86d N 2; T HOMAS M ERKLI /A RTHUR A ESCHLIMANN /R UTH H ERZOG , Kom- mentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 98 N 1; vgl. zur Subsidiarität insbesondere: R UDOLF W EBER , Grundsätzliches zur Wiederaufnahme nach § 27 VRPG, in: Festschrift für Dr. Kurt Eichenberger, alt Oberrichter, Beinwil am See, Aarau 1990, S. 348 ff.). b) In einem zweiten Schritt ist darüber zu befinden, ob das Revisionsgesuch begründet ist (AGVE 2001, S. 391 mit Hinweis). Geht es wie hier um die Anwendung von § 65 Abs. 1 lit. a VRPG, hat sich das Gericht insbesondere von der Erheblichkeit der geltend gemachten, nicht berücksichtigten Tatsachen zu überzeugen. Diese Prüfung der Erheblichkeit umfasst die Prognose, ob der gerügte Wie- deraufnahmetatbestand zu einer für den Gesuchsteller günstigeren Beurteilung führen kann. Die Tatsache muss geeignet sein, den von der rechtsanwendenden Behörde zugrunde gelegten Sachverhalt zu verändern und so zu einer anderen Entscheidung in der Sache zu führen (AGVE 1987, S. 330). Erweisen sich die vorgebrachten Revisionsgründe als nicht rechtserheblich, ist das Wiederaufnahme- begehren abzuweisen (AGVE 2001, S. 390 f.; U RSINA B EERLI - B ONORAND , Die ausserordentlichen Rechtsmittel in der Verwal- 2014 Verwaltungsrechtspflege 305 tungsrechtspflege des Bundes und der Kantone, Zürich 1985, S. 163; VGE III/21 vom 20. Februar 2001 [BE.2000.00369], S. 7 f. mit Hin- weisen). Wird demgegenüber die Erheblichkeit der geltend gemach- ten Wiederaufnahmegründe bejaht, sind der Entscheid oder Teile davon aufzuheben und ist zu entscheiden, welche Instanz neu in der Sache befindet (vgl. § 68 VRPG). c) Die Aufhebung beendet das Wiederaufnahmeverfahren im engeren Sinn, und es ist in einem dritten Verfahrensabschnitt eine materielle Neubeurteilung des nunmehr wieder hängigen früheren Verfahrens vorzunehmen. Im hier zu beurteilenden Fall wäre somit bei einer Gutheissung des Wiederaufnahmegesuchs über die Verwal- tungsgerichtsbeschwerde neu zu befinden. 1.2. Die Wiederaufnahme kann sich nur gegen rechtskräftig erle- digte Verfahren richten (§ 65 Abs. 1 VRPG). Der Entscheid des Ver- waltungsgerichts ist mit seiner Eröffnung formell nicht rechtskräftig geworden. Die Gesuchstellerin hat dagegen Beschwerde in öffent- lich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG erhoben. Das Verfahren vor dem Bundesgericht ist noch nicht abgeschlossen. Das ordentliche Rechtsmittel hindert den Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts (Art. 103 BGG; § 76 Abs. 1 VRPG; U LRICH M EYER /J OHANNA D ORMANN , in: M ARCEL A LEXANDER N IGGLI /P ETER U EBERSAX /H ANS W IPRÄCHTIGER [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Auflage, 2011, Art. 103 N 5). Nach Art. 125 BGG kann die Revision eines Bundesgerichtsent- scheids, der den Entscheid der Vorinstanz bestätigt, nicht aus einem Grund verlangt werden, der schon vor der Ausfällung des bundesge- richtlichen Entscheids entdeckt worden ist und mit einem Revisions- gesuch bei der Vorinstanz hätte geltend gemacht werden können. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 125 BGG dürfen Vorinstanzen nicht einzig aus dem Grunde nicht auf Wieder- aufnahmebegehren eintreten, weil gegen den zu revidierenden Entscheid Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht erhoben worden und hängig ist (BGE 138 II 386, Erw. 4 und 6.4; E LISABETH E SCHER , in: Basler Kommentar, a.a.O., Art. 125 N 3). Die kantonale Verfahrensbeschränkung der 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 306 Wiederaufnahme, das "rechtskräftig erledigte Verfahren" (§ 65 Abs. 1 VRPG), steht daher insoweit der Anhandnahme eines Wieder- aufnahmegesuchs gegen einen Entscheid des Verwaltungsgerichts vor der rechtskräftigen Erledigung des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesgericht nicht entgegen. 1.3. (...) 2.-4. (...) 5. 5.1. (...) 5.2. Vorab ist unter dem Aspekt der Subsidiarität zu prüfen, ob die Wiederaufnahmegründe im Verfahren, das dem Entscheid vorausging oder mit einem Rechtsmittel gegen den Entscheid hätten geltend gemacht werden können (§ 65 Abs. 3 VRPG; Botschaft des Regie- rungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 14. Februar 2007 [Botschaft], 07.27, S. 78). Die Subsidiarität der Wiederauf- nahme ist ein formelles Gültigkeitserfordernis, bei dessen Fehlen auf das Gesuch nicht eingetreten wird (vgl. AGVE 2001, S. 390 f.). Selbst Beweismittel und Tatsachen, die vor der Entscheidfällung bereits bestanden, den Behörden im Zeitpunkt ihres Entscheides nicht bekannt waren und damit in Hinblick auf § 65 Abs. 1 lit. a VRPG als unechte Noven gelten, rechtfertigen eine Wiederaufnahme nur dann, wenn die Gesuchstellerin darlegt, dass ihr die Beweise oder Tatsachen trotz hinreichender Sorgfalt ebenfalls nicht bekannt oder nicht zugänglich waren (vgl. A LFRED K ÖLZ /I SABELLE H ÄNER / M ARTIN B ERTSCHI , Verwaltungsverfahren und Verwaltungs- rechtspflege des Bundes, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 1340; A NDRÉ M OSER /M ICHAEL B EUSCH /L ORENZ K NEUBÜHLER , Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Auflage, Basel 2013, Rz. 5.47). Auch vor dem Hintergrund des Untersuchungsgrundsatzes nach § 17 VRPG ist das Verwaltungsgericht nicht gehalten, nach Tatsa- chen zu forschen, von deren angeblichem Vorhandensein es nichts weiss und aufgrund der vorhandenen Akten auch nichts wissen kann. So entbindet die Pflicht des Richters, den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen (§ 17 Abs. 1 VRPG), die Parteien nicht von ihrer 2014 Verwaltungsrechtspflege 307 Mitwirkungspflicht bei der Feststellung der Tatsachen und der Be- schaffung von Beweismitteln (§ 23 Abs. 1 VRPG) (AGVE 1997, S. 377). Die Gesuchstellerin kann sich also nicht wiederaufnahme- weise auf Tatsachen und Beweismittel berufen, die sie aufgrund der Mitwirkungspflicht bereits im vorgegangenen Verfahren hätte vor- bringen müssen (vgl. Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts vom 20. August 2008 [VB.2008.00204], Erw. 4.2). Wiederaufnahmegesuche dürfen nicht dazu dienen, früher nicht ergriffene, ordentliche Rechtsmittel zu ersetzen, damalige vermeid- bare Unterlassungen der Gesuchstellerin zu korrigieren oder umstrit- tene Anordnungen stets wieder zur Diskussion zu stellen. Andernfalls hätte es jedermann in der Hand, die Rechtsmittelfristen zu unterlau- fen und die Wiederaufnahme verkäme zu einem Instrument, das ein- zig dazu da wäre, den funktionellen Instanzenzug zu verlängern (vgl. AGVE 2011, S. 255, Erw. 3.3; 2001, S. 390; R UDOLF W EBER , a.a.O. S. 348 ff.; B EERLI -B ONORAND , a.a.O., S. 45). Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Wiederaufnahme als ausserordentliches Rechtsmittel (vgl. dazu W EBER , a.a.O., S. 360) muss sich der Betroffene auch gegen die Verletzung von Verfahrens- vorschriften in erster Linie innerhalb des Verfahrens und mittels der ordentlichen Rechtsmittel wehren.
2,287
1,843
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2014-52_2014-08-03
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2,007
de
2007 Kantonale Steuern 91 [...] 25 Allgemeine Abzüge. - Zuwendungen an die steuerbefreiten politischen Parteien sind abzugsfähig. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 7. Februar 2007 in Sachen Kantonales Steueramt gegen Steuerrekursgericht und E.T. (WBE.2006.208). Publiziert in StE 2007, B 27.4 Nr. 18. (Hinweis: das Bundesgericht hat später entgegengesetzt entschieden: Urteil 2A.647/2005 = StE 2007, A 23.14)
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89
AG_VG_001
AG_VG
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Northwestern_Switzerland
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2,007
de
2007 Verwaltungsgericht 86 [...] 24 Anschlussbeschwerde. Abzug von Beiträgen zum Einkauf in BVG- Leistungen. - Eine Anschlussbeschwerde ist im verwaltungsgerichtlichen Be- schwerdeverfahren unzulässig (Erw. I/4). - Bei der Berechnung des maximal zulässigen Einkaufs sind die bei ei- ner Vorsorgeeinrichtung gestützt auf Art. 13 Abs. 2 FZG liegenden Beträge zu berücksichtigen (Erw. II/3). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 7. Dezember 2007 in Sachen Kantonales Steueramt gegen Steuerrekursgericht und R.W. (WBE.2007.61). Zur Publikation vorgesehen in StE 2008. Sachverhalt R.W. war im Jahr 2001 bei verschiedenen Arbeitgebern in un- selbstständiger Erwerbstätigkeit beschäftigt: Bis zum 31. Januar 2001 arbeitete er für die A. AG in leitender Stellung, vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2001 im Nebenerwerb für deren Schwestergesell- schaft B. AG; zudem war er während des gesamten Kalenderjahres 2001 für die von ihm und seiner Frau beherrschte C. AG tätig. Dane- ben führte er als Unternehmensberater in selbstständiger Erwerbstä- tigkeit eine Einzelfirma. Nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei der A. AG wurde sein Freizügigkeitsguthaben in Höhe von Fr. 750'205.-- vollumfänglich auf sein Vorsorgekonto bei der Vorsorgeeinrichtung der B. AG übertragen, für das dortige neue Arbeitsverhältnis bestand 2007 Kantonale Steuern 87 indessen bis Ende 2001 ein Einkaufsbedarf von lediglich Fr. 129'600.--. Bei der Vorsorgeeinrichtung der C. AG kaufte sich W. am 27. Dezember 2001 mit Fr. 1'200'000.-- ein, wobei er das Freizü- gigkeitsguthaben bei der Vorsorgeeinrichtung der B. AG unangetastet liess. Der Steuerpflichtige beantragte, der Einkaufsbetrag in die 2. Säule von Fr. 1'200'000.-- sei vollumfänglich vom steuerbaren Einkommen in Abzug zu bringen. Das Steuerrekursgericht aner- kannte, in teilweiser Gutheissung des gegen den Einspracheentscheid der Steuerkommission erhobenen Rekurses, unter diesem Titel lediglich Fr. 307'409.--. Gegen den Rekursentscheid führte das KStA Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Aus den Erwägungen I/4. Die Vernehmlassung eröffnet der Vorinstanz sowie weiteren am Verfahren beteiligten Parteien die Möglichkeit, innerhalb des durch die Beschwerdebegehren begrenzten Verfahrens Anträge zu stellen, berechtigt aber nicht zu weitergehenden, selbständigen An- trägen (§ 43 Abs. 2 VRPG). Eine Anschlussbeschwerde ist im VRPG nicht vorgesehen und deshalb unzulässig (AGVE 1981, S. 278). Der Entscheidungsspielraum des Gerichts ist auf der einen Seite durch das Ergebnis im angefochtenen Entscheid, andererseits durch den Beschwerdeantrag begrenzt; es darf nicht über die Anträge des Be- schwerdeführers hinausgehen, noch darf es den angefochtenen Ent- scheid zum Nachteil des Beschwerdeführers abändern. In ihrer - nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereichten - Ver- nehmlassung beantragten die Beschwerdegegner, der Einkaufsbeitrag in die Vorsorgeeinrichtung der C. AG in Höhe von Fr. 1'200'000.-- sei vollständig zum Abzug zuzulassen. Damit verlangen sie eine Herabsetzung des steuerbaren Einkommens, also eine Änderung des angefochtenen Entscheids zum Nachteil des beschwerdeführenden KStA, was eine unzulässige Anschlussbeschwerde darstellt. Soweit die Beschwerdegegner mehr verlangen als die Abweisung der Be- schwerde, ist auf ihre Anträge nicht einzutreten. Dies schliesst aller- dings nicht aus, dass auf ihre Begründungen einzugehen ist, soweit diese auch geeignet sind, zur Abweisung der Beschwerde zu führen. 2007 Verwaltungsgericht 88 II/1. Gemäss § 40 lit. d StG können die gemäss Gesetz, Statut und Reglement geleisteten Einlagen, Prämien und Beiträge zum Er- werb von Ansprüchen aus der Alters-, Hinterlassenen- und Invali- denversicherung und aus Einrichtungen der beruflichen Vorsorge von den Einkünften abgezogen werden. Aufgrund der Verweisung auf das Gesetz gilt für die Abzugsfähigkeit von Leistungen an die berufliche Vorsorge ... die Begrenzung des Umfangs bei Beiträgen für Einkäufe von Lohnerhöhungen und von Beitragsjahren in Einrichtungen der beruflichen Vorsorge gemäss Art. 79a BVG in der Fassung vom 19. März 1999, in Kraft seit dem 1. Januar 2001 (seither wurde sie im Rahmen der 1. BVG-Revision mit Wirkung ab 1. Januar 2006 wieder geändert). Dazu gibt es das Kreisschreiben der ESTV Nr. 3 vom 22. Dezember 2000 "Die Begrenzung des Einkaufs für die berufliche Vorsorge nach dem Bundesgesetz vom 19. März 1999 über das Stabilisierungsprogramm 1998" (publiziert in ASA 69/2001-2002, S 703 ff.; in der Folge: Kreisschreiben ESTV). Die Leistungen, in die sich der Versicherte einkaufen kann, werden auf den oberen Grenzbetrag nach Art. 8 Abs. 1 BVG, multipliziert mit der Anzahl Jahre bis zum Erreichen des reglementarischen Rücktrittsalters, begrenzt (Art. 79a Abs. 2 BVG). Es darf nur die im Einzelfall effektiv benötigte Einkaufssumme (Finanzierungsbedarf) geleistet werden (Kreisschreiben ESTV, S. 2). Gleicherweise wird steuerlich nur der zulässige Höchstbetrag des Einkaufs zum Abzug zugelassen. 2./2.1. Die maximale zulässige Einkaufssumme entspricht der Differenz zwischen der reglementarisch benötigten Eintrittsleistung (unter Berücksichtigung der Begrenzung gemäss Art. 79a Abs. 2 BVG) und der zur Verfügung stehenden Eintrittsleistung (Art. 79a Abs. 3 BVG; vgl. Kreisschreiben ESTV, S. 2). Die zulässige Ein- kaufssumme wird für jedes Ereignis, das zu einem Einkauf führt, ge- sondert festgesetzt (Art. 60a Abs. 1 lit. c BVV 2); bei einem Ver- dienst, welcher bei mehreren Vorsorgeeinrichtungen versichert ist, gilt die maximal zulässige Einkaufssumme insgesamt für alle Ein- käufe, die auf dasselbe Ereignis zurückzuführen sind (Art. 60a Abs. 1 lit. d BVV 2; Kreisschreiben ESTV, S. 4). Steht der Versicherte im Dienste mehrerer voneinander unabhängiger Arbeitgeber und ist deshalb bei verschiedenen Vorsorgeeinrichtungen versichert, sind die 2007 Kantonale Steuern 89 höchstzulässigen Einkaufssummen gesondert zu ermitteln, weil der Einkauf nicht auf dasselbe Ereignis zurückgeführt werden kann (Kreisschreiben ESTV, S. 4). 2.2. Das Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 17. Dezember 1993 (Freizügigkeitsgesetz; FZG) regelt die Behandlung der BVG- Ansprüche beim Austritt aus einer und beim Eintritt in eine andere Vorsorgeeinrichtung. Wer die Vorsorgeeinrichtung verlässt, hat An- spruch auf eine Austrittsleistung (Art. 2 Abs. 1 FZG). Diese ist an die neue Vorsorgeeinrichtung zu überweisen (Art. 3 Abs. 1 FZG). Ist dies nicht möglich, weil der Versicherte nicht in eine andere Vorsor- geeinrichtung eintritt, hat grundsätzlich die Überweisung an eine Freizügigkeitseinrichtung zu erfolgen (Art. 4 FZG; Art. 10 der Ver- ordnung über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlas- senen- und Invalidenvorsorge vom 3. Oktober 1994 [Freizügigkeits- verordnung; FZV). Kann die Austrittsleistung nicht vollumfänglich zum Einkauf in die reglementarischen Leistungen der neuen Vorsor- geeinrichtung benützt werden, weil sie höher ist als die benötigte Eintrittsleistung, so kann sie einer Freizügigkeitseinrichtung über- wiesen werden (Art. 13 Abs. 1 FZG) oder der Versicherte kann damit bei der neuen Vorsorgeeinrichtung "künftige reglementarisch höhere Leistungen erwerben" (Art. 13 Abs. 2 FZG), also den künftigen Ein- kauf in allfällige Erhöhungen der reglementarischen Leistungen (Art. 6 Abs. 2 FZG spricht von Erhöhungsbeiträgen infolge einer Leis- tungsverbesserung) im Voraus sicherstellen. In beiden Fällen des Art. 13 FZG bleibt das Geld dem Vorsorgezweck verhaftet und wird gleichsam "parkiert", weil es zur Zeit nicht zum Erwerb von Leistun- gen benötigt wird. Mit dem Stabilisierungsprogramm 1998 wurden gleichzeitig Änderungen am FZG (Art. 4 Abs. 2 bis , Art. 11 Abs. 2) vorgenommen mit dem Zweck, die Überweisung des gesamten Vorsorgekapitals (Austrittsleistungen; Kapital bei Freizügigkeitseinrichtungen) an die neue Vorsorgeeinrichtung sicherzustellen. 3./3.1. Die von der X. als Vorsorgeeinrichtung der C. AG er- stellte Berechnung der maximal zulässigen Einkaufssumme weist als höchstmögliches Spar- oder Deckungskapital im Zeitpunkt des Ein- 2007 Verwaltungsgericht 90 kaufsbegehrens Fr. 1'428'013.90 aus. Nach Abzug des bei der X. be- reits zur Verfügung stehenden Spar- oder Deckungskapitals in Höhe von Fr. 86'552.70 ergibt sich die maximal zulässige Einkaufssumme (Finanzierungsbedarf) in Höhe von Fr. 1'341'461.20. 3.2. Die Vorinstanz nahm die Berechnung des maximal zulässi- gen und steuerlich abzugsfähigen Einkaufsbetrages wie folgt vor: Total gemäss Reglement Fr. 1'428'014.-- ./. WEF-Vorbezug Fr. 500'000.-- ./. aus freiwilliger Übertragung Fr. 620'605.-- Total möglicher Einkauf Fr. 307'409.-- Die Fr. 500'000.-- betreffen einen im Jahr 2000 getätigten Vor- bezug für Wohneigentumsförderung (WEF), der anzurechnen ist (an- gefochtener Entscheid, S. 11 mit Hinweisen). Die Fr. 620'605.-- stellen die betraglich unbestrittene Differenz zwischen der auf die Vorsorgeeinrichtung der B. AG übertragenen Freizügigkeitsleistung und dem Einkaufsbedarf dar. 3.3./3.3.1. Das Steuerrekursgericht hat übersehen, dass bei der Vorsorgeeinrichtung der C. AG im Zeitpunkt des Einkaufsbegehrens bereits ein Kapital von Fr. 86'552.70 vorhanden war, sodass der Ein- kauf nur für die Differenz zwischen dem höchstmöglichen und dem bereits vorhandenen Spar- und Deckungskapital zu erfolgen hatte. 3.3.2./3.3.2.1. Mit dem Stabilisierungsprogramm 1998 wurden die steuerbefreiten BVG-Einkäufe betraglich begrenzt. Dazu war es erforderlich, bereits vorhandenes BVG-Kapital, das nicht (mehr) der Deckung von Vorsorgeleistungen dient - also "Gelder, die sich schon im 'Vorsorgekreislauf' befinden und steuerlich bereits zum Abzug gebracht worden sind" (Kreisschreiben ESTV, S. 2) - in die neue Versicherungseinrichtung (in welche der Einkauf erfolgen sollte) überzuführen. Auch für den Fall, dass dies nicht geschah, war den steuerlichen Folgen eine solche Überführung zugrunde zu legen, um die Begrenzung der steuerbefreiten BVG-Einkäufe auch tatsächlich durchsetzen zu können. Wie bereits ausgeführt (vorne Erw. 2.2), be- steht kein sachlicher Unterschied zwischen den gemäss Art. 13 Abs. 1 FZG bei einer Freizügigkeitseinrichtung und den gemäss Art. 13 Abs. 2 FZG bei einer Vorsorgeeinrichtung für künftige Einkäufe "parkierten" Beträgen. Selbst wenn lediglich die Überweisung des 2007 Kantonale Steuern 91 bei Freizügigkeitseinrichtungen vorhandenen Kapitals vorgeschrie- ben ist (Art. 4 Abs. 2 bis FZG), ist somit bei beiden Tatbeständen eine identische steuerliche Behandlung sachlich geboten. Wenn es um die Höhe des zulässigen Einkaufs in eine andere Vorsorgeeinrichtung geht, ist alles gestützt auf Art. 13 Abs. 1 und 2 FZG vorhandene Ka- pital als bereits zur Verfügung stehendes Spar- oder Deckungskapital zu behandeln. Daran ändert Art. 60a Abs. 1 lit. c BVV 2, wonach die zulässige Einkaufssumme für jedes Ereignis, das zu einem Einkauf führt, gesondert festzusetzen ist, nichts; diese Bestimmung besagt nichts über die Anrechenbarkeit des vorhandenen BVG-Kapitals. 3.3.2.2. Die bei der Vorsorgeeinrichtung der B. AG gemäss Art. 13 Abs. 2 FZG vorhandenen Fr. 620'605.-- sind somit entgegen den Darlegungen der Beschwerdegegner in die Berechnung einzube- ziehen. 3.3.2.3. Bei dieser Auslegung ist es konsequent, spätere Ein- käufe in die Vorsorgeeinrichtung, bei der das Kapital nach Art. 13 Abs. 2 FZG nach wie vor liegt, selbst dann steuerlich vollumfänglich anzuerkennen, wenn der Einkauf mit diesem Kapital finanziert wird. Beim Beschwerdegegner spielt dies allerdings keine Rolle, da sich schon nach kurzer Zeit ergab, dass sich die (behauptungsweise) vor- gesehene Aufstockung seines Engagements bei der B. AG, die zu ei- nem höheren Gehalt und damit verbunden zu einem Einkauf in die höheren Vorsorgeleistungen (zu finanzieren mit dem bei der Vorsor- geeinrichtung der B. AG liegenden Art. 13 Abs. 2 FZG-Kapital) ge- führt hätte, nicht verwirklichte.
2,845
2,153
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2007-24_2007-12-02
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AGVE_2007_24
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nan
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1
412
871,138
1,470,182,400,000
2,016
de
2016 Verwaltungsrechtspflege 323 52 Ausstand - Für die Mitglieder beratender Kommissionen gelten die Ausstands- regeln des VRPG. Sie wirken an der Vorbereitung des Entscheids mit und fallen somit unter den Anwendungsbereich von § 16 VRPG. - Anwendungsfall: Im Unterschutzstellungsverfahren von Baudenk- mälern gemäss § 27 VKG darf der Bauberater der Gesuchstellerin nicht gleichzeitig in der Kommission für Denkmalpflege und Archäologie mitwirken. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 16. August 2016 in Sachen Einwohnergemeinde A. gegen Regierungsrat (WBE.2015.427).
132
103
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2016-52_2016-08-03
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870,825
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2,006
de
2006 Verwaltungsrechtspflege 277 [...] 53 Legitimation Dritter. - Legitimation im Falle einer Drittbeschwerde zugunsten des Verfü- gungsadressaten (Erw. I/3). - Ausstand eines Gemeinderats, der von Amtes wegen Präsident der Forstbetriebskommission Y. ist und dessen Forstbetrieb Y. für den Flurstrassenunterhalt seiner Einwohnergemeinde ein Angebot einge- reicht hat (Erw. II/4.1). vgl. AGVE 2006 39 204
109
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AG_VG_001
AG_VG
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AG_VG_001_AGVE-2006-53_2006
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1
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869,954
1,478,131,200,000
2,016
de
2016 Übriges Verwaltungsrecht 317 50 Betreuungsgesetz; ausländisches Pflegekind - § 27 Abs. 2 des Betreuungsgesetzes (Elternbeiträge an stationäre Sonderschulen und Einrichtungen) ist auf Pflegeeltern nicht anwend- bar. - Keine Verfügungskompetenz bezüglich der Verpflichtung der Pflege- eltern, für den Unterhalt eines ausländischen Pflegekindes in der Schweiz aufzukommen; im Falle einer Fremdplatzierung als Kindes- schutzmassnahme ist der Kostenersatzanspruch des Gemeinwesens auf dem Weg der verwaltungsrechtlichen Klage geltend zu machen. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 3. November 2016 in Sachen A. und B. gegen Stadt C. und Regierungsrat (WBE.2016.243). Aus den Erwägungen 1. Gemäss § 27 Abs. 2 des Gesetzes über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen vom 2. Mai 2006 (Betreuungsgesetz; SAR 428.500) leisten die Eltern den stationären Einrichtungen gemäss § 2 Abs. 1 lit. b und c für den Aufenthalt ihrer Kinder eine vom Regierungsrat auf maximal Fr. 30.00 pro Kind und Nacht festgesetzte Pauschale, wobei der Regierungsrat diesen Eltern- beitrag auf Fr. 25.00 pro Übernachtung festsetzte (§ 54 Abs. 1 der Verordnung über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen vom 8. November 2006 [Betreuungsverord- nung; SAR 428.511]). Dabei haben alle Eltern von Kindern, Jugend- lichen und jungen Erwachsenen im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht einen Beitrag an den Aufenthalt einer Einrichtung zu leisten (vgl. Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 28. September 2005, GR.05.256, S. 54 f.). Die Wohnsitz- gemeinden bevorschussen den Einrichtungen die Elternbeiträge und beziehen diese von den Eltern (§ 27 Abs. 3 i.V.m. § 25 Abs. 2 Betreuungsgesetz). 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 318 2. 2.1. Die Beschwerdeführer bestreiten die Zuständigkeit des Regie- rungsrats zur Beurteilung dieser Streitsache. Dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 i.V.m. § 27 des Betreuungsgesetzes folgend, beziehe sich der Rechtsschutz nicht auf Streitigkeiten betreffend die Kostentragung zwischen nicht leiblichen Eltern (wie etwa Pflegeeltern) und der Ge- meinde. Grundlage von § 27 Betreuungsgesetz sei die gesetzlich geregelte Unterhaltspflicht der Eltern (Art. 276 ZGB). Zu Eltern werde man durch Geburt des Kindes, Ehelichkeitsvermutung des mit der Mutter verheirateten Mannes, Anerkennung der Vaterschaft, Vaterschaftsurteil oder Adoption. Andere Möglichkeiten gebe es nicht. 2.2. Das BKS führte in seinem Entscheid aus, ihm komme keine Kompetenz zu, gestützt auf das Betreuungsgesetz gegenüber den Pflegeeltern Elternbeiträge zu verfügen, da D. weder der leibliche Sohn noch das Adoptivkind der Beschwerdeführer sei und diese so- mit nicht als Eltern im Sinne von § 27 Abs. 2 Betreuungssetz gälten. 2.3. Für die Vorinstanz sind Konstellationen denkbar, in denen "Nicht-Eltern" in Bezug auf die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern kraft einer rechtlichen Grundlage oder einer privatrechtlichen Verein- barung den leiblichen Eltern gleichgestellt sind. Das BKS sei daher von Gesetzes wegen nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet, bei Streitigkeiten unter anderem über den Bestand von Beiträgen und Leistungspflichten im Sinne von § 27 Betreuungsgesetz materiell zu entscheiden. Die Vorinstanz führt in ihrem Entscheid zwar aus, dass aus dem Umstand, dass das Pflegeverhältnis während des Aufenthalts von D. im Internat X. noch bestand, kein Anspruch gegenüber den Pfle- geeltern auf Rückerstattung der bevorschussten Elternbeiträge im Sinne von § 27 Abs. 2 Betreuungsgesetz abgeleitet werden könne. Die Vorinstanz sieht aber in der von den Beschwerdeführenden am 30. Januar 2001 unterzeichneten Verpflichtungserklärung im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Verordnung über die Aufnahme von Pflege- 2016 Übriges Verwaltungsrecht 319 kindern vom 19. Oktober 1977 (Pflegekinderverordnung, PAVO; SR 211.222.338; alte Fassung) eine gültige Rechtsgrundlage für die Begründung der Leistungspflicht nach § 27 Abs. 2 Betreuungsgesetz und somit die Rechtsgrundlage für die Zuständigkeit des BKS und des Regierungsrats gemäss § 31 Abs. 1 Betreuungsgesetz. Da die Beschwerdeführer gemäss der genannten Verpflichtung "für sämt- liche Kosten des Unterhalts" aufzukommen hätten, seien sie den leiblichen Eltern im Sinne von § 27 Abs. 2 Betreuungsgesetz gleich- gestellt. 2.4. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Wie der Regierungsrat in einem anderen Entscheid richtig ausführte, wird die Elternschaft im ZGB indirekt mit den Bestimmungen über die Ent- stehung des Kindsverhältnisses definiert (Art. 252 ZGB). Somit gel- ten als Vater und Mutter und damit im rechtlichen Sinn als Eltern eines Kindes diejenigen Personen, zu denen ein zivilrechtliches Kindsverhältnis besteht. Pflege-, Tages-, Gross- und Stiefeltern so- wie jegliche in der Alltagssprache genannten Eltern gelten hingegen in zivilrechtlicher Hinsicht nicht als Eltern. Eine andere Definition des Wortes "Eltern" lasse sich weder dem Betreuungsgesetz noch der Botschaft entnehmen. Der Gesetzeswortlaut selber erwähne lediglich "die Eltern" und es folge kein Hinweis darauf, dass der verwendete Begriff "Eltern" weit auszulegen sei, so dass auch "Nicht-Eltern" da- runter fallen würden. Der Gesetzeswortlaut umfasse damit lediglich das zivilrechtlich definierte Elternpaar, d.h. die leiblichen Eltern, so- fern keine Adoptiveltern bestehen (Regierungsratsbeschluss Nr. 2010-000400 vom 17. März 2010, Erw. 2.3). Diesen Ausfüh- rungen des Regierungsrats ist zu folgen. Die Beschwerdeführer wa- ren die Pflegeeltern von D.. Das Vorgehen der Vorinstanz, die Pflege- eltern gestützt auf eine unterzeichnete Verpflichtungserklärung den zivilrechtlich definierten Eltern gleichzusetzen, ist nicht zulässig. Da die Beschwerdeführer nicht als Eltern im Sinne von § 27 Abs. 2 Be- treuungsgesetz zu qualifizieren sind, ist die Zuständigkeit des BKS und des Regierungsrats nach § 31 Abs. 1 Betreuungsgesetz nicht gegeben. 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 320 Über allfällige Ansprüche der Gemeinde C. gegenüber den Ehe- gatten A. und B. gestützt auf die Verpflichtungserklärung ist auf dem Klageweg zu befinden. Die Gemeinde macht einen vertraglichen An- spruch geltend (vgl. § 60 lit. a VRPG).
1,360
1,115
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2016-50_2016-11-03
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2017 Migrationsrecht 121 IV. Migrationsrecht 19 Ausschaffungshaft; Beschleunigungsgebot und Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden Das Beschleunigungsgebot wird verletzt, wenn die Migrationsbehörden während hängiger Herkunftsabklärungen neue Angaben zur Identität der inhaftierten Person länger als zwei Monate nicht an die zuständigen aus- ländischen Behörden weiterleiten. Auch wenn im Rahmen der Papierbe- schaffung bei einigen ausländischen Behörden eine gewisse Zurückhal- tung beim Nachfragen angebracht ist, sind neue Erkenntnisse bezüglich der Herkunft des Betroffenen raschmöglichst zu übermitteln. Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 2. Februar 2017, i.S. Amt für Migration und Integration gegen A. (WPR.2017.9) Aus den Erwägungen 2.3. Aus den Akten geht hervor, dass die algerischen Behörden am 28. Oktober 2016 durch das SEM ersucht worden sind, betreffend den Gesuchsgegner Identifikationsabklärungen vorzunehmen. Zum Zeitpunkt der letzten Bestätigung der Ausschaffungshaft standen die Abklärungen bei den algerischen Behörden somit erst am Anfang. Die vom Gesuchsgegner angegebene neue Identität wurde dem SEM mit Schreiben vom 4. November 2016 mit dem Hinweis übermittelt, dass an der Richtigkeit der neuen Angaben Zweifel bestehen würden. Der Vertreter des Gesuchsgegners moniert in seiner Stellung- nahme vom 25. Januar 2017, aus den Akten gehe nicht hervor, ob und inwiefern das SEM die neuen Angaben an die algerischen Be- hörden weitergeleitet habe. Mit Blick auf das Beschleunigungsgebot forderte der Einzelrichter das MIKA zudem gleichentags auf, eine 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 122 Aufstellung sämtlicher konkreten Bemühungen der Schweizer Be- hörden gegenüber den algerischen Behörden zur Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes für den Gesuchsgegner bzw. seiner Identitäts- abklärung vorzulegen. In der Folge reichte das MIKA seine Korres- pondenz mit dem SEM, datierend vom 25. Januar 2017 und 27. Januar 2017, ein. Aus den aufgrund der Beweisanordnung des Verwaltungsge- richts vom 25. Januar 2017 eingereichten Unterlagen geht hervor, dass die algerischen Behörden durch das SEM lediglich im Drei- monatsrhythmus gemahnt würden. Trotzdem erfolgte die Mahnung im vorliegenden Fall unmittelbar nach der Beweisanordnung des Verwaltungsgerichts und vor Ablauf dieser Frist von drei Monaten, jedoch ohne den algerischen Behörden die neu durch den Gesuchs- gegner angegebene Identität zu übermitteln. Zwar trifft zu, dass das Verwaltungsgericht grundsätzlich nicht beanstandet, wenn das SEM die bundesgerichtliche Frist von zwei Monaten, innerhalb welcher eine ausstehende Anfrage moniert wer- den muss, bezüglich der algerischen Behörden nicht einhält, sondern nur alle drei Monate die ausstehende Anfrage anzeigt. Dies gilt je- doch nur in Fällen, in denen keine neuen Erkenntnisse bezüglich der Identität vorliegen. Gibt der Betroffene eine andere Identität an, ist diese den heimatlichen Behörden raschmöglichst zu übermitteln. Dies umso mehr, wenn es um Abklärungen in Algerien geht, da diese bekanntermassen überdurchschnittlich viel Zeit in Anspruch nehmen. Weder das SEM noch das MIKA legen dar, weshalb die neuen Identi- tätsangaben nicht an die algerische Vertretung weitergeleitet wurden. Der blosse Vermerk des Gesuchstellers im Schreiben vom 4. November 2016, dass die neu angegebenen Personalien wohl falsch seien, reicht jedenfalls als Begründung für die ausgebliebene Übermittlung nicht aus. Auch wenn die Erfahrung mit den algeri- schen Behörden zeigt, dass eine gewisse Zurückhaltung beim Nachfragen angebracht ist, hätte das SEM den neuen Hinweis über- mitteln müssen (vgl. AGVE 2008, S. 390 ff.). 2.4. Nach dem Gesagten steht fest, dass das SEM zwischen dem 28. Oktober 2016 und dem 27. Januar 2017 keinerlei konkrete Bemü- 2017 Migrationsrecht 123 hungen unternommen hat, die Identität des Gesuchsgegners abzuklä- ren, obschon neue Identitätsangaben vorlagen. Unter diesen Umständen wurde das Beschleunigungsgebot ver- letzt und der Gesuchsgegner ist unverzüglich aus der Haft zu entlas- sen. Die Prüfung der weiteren Haftvoraussetzungen - auch bezüglich einer Durchsetzungshaft - erübrigt sich damit.
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2014 Kantonale Steuern 75 III. Kantonale Steuern 9 Art. 56 lit. g DBG, § 14 Abs. 1 lit. c StG Weder Verfolgung öffentlicher noch gemeinnütziger Zwecke durch Jagd- gesellschaft, daher keine Steuerbefreiung Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 29. Januar 2014 in Sachen KStA gegen Verein X. (WBE.2013.307). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Von der Steuerpflicht befreit sind im Bereich der direkten Bun- dessteuer insbesondere juristische Personen, die öffentliche oder ge- meinnützige Zwecke verfolgen, für den Gewinn, der ausschliesslich und unwiderruflich diesen Zwecken gewidmet ist (Art. 56 lit. g DBG). 2.2. 2.2.1. Neben der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke bildet die Ver- folgung öffentlicher Zwecke eine eigenständige steuerprivilegierte Zielsetzung. Dabei handelt es sich um eine mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Allgemeinheit der Steuern (Art. 127 Abs. 2 BV) restriktiv zu fassende Kategorie von Aufgaben, die sich eng an die Staatsaufgaben anlehnen müssen. Juristische Personen, die in erster Linie Erwerbs- oder Selbsthilfezwecke verfol- gen, haben grundsätzlich - unter Vorbehalt einer teilweisen Befrei- ung, sofern eine rechnungsmässig klare Trennung besteht - keinen Anspruch auf Steuerbefreiung, selbst wenn sie zugleich öffentlichen Zwecken dienen. Art. 56 lit. g DBG wird durch das Kreisschreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 8. Juli 1994 näher 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 76 konkretisiert. Damit eine Steuerbefreiung beansprucht werden kann, muss - nebst hier nicht interessierenden allgemeinen Voraussetzun- gen - bei juristischen Personen mit öffentlicher Zwecksetzung vor allem dieser "öffentliche Zweck" gegeben sein. Dabei sind bei Ein- richtungen ohne Erwerbs- oder Selbsthilfezweck alle Zwecke öffent- lich, die in den ordentlichen Aufgabenkreis eines Gemeinwesens fal- len, selbst wenn sie dem Gemeinwesen nicht durch Gesetz übertra- gen wurden, sondern nach allgemeiner Auffassung als dessen Angelegenheit betrachtet werden. Bei Institutionen mit Erwerbs- oder Selbsthilfezweck ist zudem in der Regel erforderlich, dass sie durch einen öffentlich-rechtlichen Akt (z.B. ein Gesetz) mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe betraut wurden, diese öffentli- che Aufgabe in konkret überprüfbarer Weise tatsächlich erfüllen, keine Dividenden ausschütten, einer gewissen Aufsicht des Ge- meinwesens unterliegen und ihr Eigenkapital statutarisch aus- schliesslich und unwiderruflich den öffentlichen Zwecken gewidmet haben. Jede Steuerbefreiung, auch eine teilweise, ist ausgeschlossen, wenn die juristische Person Erwerbs- oder Selbsthilfezwecke ver- folgt, die ein gewisses Ausmass übersteigen (Urteil des Bundesge- richts vom 28. Dezember 2010 [2C_383/2010], Erw. 2.2; BGE 131 II 6 f., Erw. 3.3). Unter diesen Voraussetzungen können auch private Institutionen, die aufgrund einer Monopolkonzession einen öffentli- chen Zweck erfüllen, steuerbefreit werden (M ARCO G RETER , in: M ARTIN Z WEIFEL /P ETER A THANAS [Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die direkte Bundes- steuer, 2. Aufl., Basel/Genf/München 2008 [Kommentar DBG], Art. 56 N 36). Nicht genügend für die Qualifikation als öffentliche Aufgabe im Sinne von Art. 56 lit. g DBG ist die Ausübung einer Tätigkeit im öffentlichen Interesse (R ETO K USTER , Steuerbefreiung von Institutionen mit öffentlichen Zwecken, Diss. Zürich 1998, S. 224) 2.2.2. 2.2.2.1. Gemäss Art. 79 BV legt der Bund Grundsätze fest über die Aus- übung der Fischerei und der Jagd, insbesondere zur Erhaltung der Artenvielfalt der Fische, der wild lebenden Säugetiere und der Vö- 2014 Kantonale Steuern 77 gel. Diese Bestimmung geht somit davon aus, dass die Jagd (d.h. die Nutzung des Wilds durch fachkundiges Hegen und Erlegen) in den Schranken der Rechtsordnung zulässig ist, und übernimmt materiell vollständig die Vorläuferbestimmung von Art. 25 aBV. Die Ausfüh- rungsgesetzgebung des Bundes enthält Grundsätze über die Aus- übung der Jagd, wobei der Schutz der betroffenen Tierarten im Vor- dergrund steht, aber auch Vorschriften über die Schadenverhütung und Haftpflicht aufgestellt werden (A RNOLD M ARTI , in: B ERNHARD E HRENZELLER /P HILIPPE M ASTRONARDI /R AINER J. S CHWEIZER / K LAUS A. V ALLENDER , Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Auflage, Zürich 2008 [Kommentar BV], Art. 79 N 2 f.). Im Rahmen der bundesrechtlichen Schutzvorschriften bestim- men die Kantone, nach welchen Grundsätzen die Berechtigung für die Jagd in ihrem Gebiet erteilt wird und welche Regeln für die Aus- übung dieser Tätigkeit im Einzelnen gelten. Grundsätzlich kommen dafür die Patentjagd (Einzelbewilligung für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Umfang) oder die Revierjagd (Sonderrecht der Jagdpächter auf einem bestimmten Gebiet) in Frage (M ARTI , Kom- mentar BV, Art. 79 N 6). Das Reviersystem gibt dem Pächter das alleinige Recht auf die in seinem Revier befindlichen Tiere. Damit wird erreicht, dass eine bestimmte Anzahl von Berechtigten für län- gere Zeit an ein bestimmtes Gebiet gebunden und für Hege und Pflege verantwortlich ist (T HOMAS F LEINER -G ERSTER , in: J EAN - F RANÇOIS A UBERT et al., Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 [Stand Okto- ber 1989], Art. 25 N. 18). 2.2.2.2. Im Kanton Aargau steht die Jagd als sog. Regalrecht dem Kan- ton zur ausschliesslichen wirtschaftlichen Betätigung zu (§ 55 Abs. 1 lit. a KV). Der Kanton kann diese Befugnis selber ausüben oder durch Gesetz oder Konzession auf Dritte übertragen (§ 55 Abs. 2 KV). Gemäss § 2 AJSG überträgt der Kanton das Recht zur Aus- übung der Jagd und die damit verbundenen Pflichten revierweise an Jagdgesellschaften. Die Jagdreviere werden durch den Kanton 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 78 öffentlich ausgeschrieben und für die Dauer von acht Jahren an Jagd- gesellschaften verpachtet (§ 4 Abs. 1 AJSG). Als Jagdgesellschaft gilt ein Zusammenschluss von Jagdberechtigten in der Rechtsform eines Vereins (§ 5 Abs. 1 AJSG). 2.2.2.3. Die Jagdgesellschaften sind verpflichtet, dem Kanton für die einzelnen Reviere Pachtzinsen zu bezahlen (§ 6 AJSG). Sie sind für Jagdplanung und Jagdbetrieb in ihren Revieren zuständig und dafür verantwortlich, dass die Wildtierbestände den örtlichen Verhältnissen angepasst sind sowie keine übermässigen Schäden an Wald, land- wirtschaftlichen Kulturen und Nutztieren auftreten. Sie unterstützen ausserdem Bestandesregulierungen nichteinheimischer Wildtiere, er- fassen die Bestände der wichtigsten Wildtierarten in den Jagdrevie- ren und liefern die für die Jagdstatistik benötigten Angaben (§ 15 Abs. 1 - 4 AJSG). Die Jagdaufsicht im Jagdrevier wird ebenfalls durch die betreffende Jagdgesellschaft sichergestellt. Jede Jagdge- sellschaft bestimmt eine Jagdaufseherin oder einen Jagdaufseher so- wie eine Stellvertretung und holt die Zustimmung der betroffenen Gemeinden ein (§ 31 Abs. 1 und 2 AJSG). Ausserdem fördern und begleiten die Jagdgesellschaften Kandidierende für die Jagdprüfung (§ 33 Abs. 3 AJSG), und sie informieren die Gemeinden im Revier periodisch über ihre jagdlichen Tätigkeiten und die geplanten Mass- nahmen (§ 34 Abs. 2 AJSG). Jagdaufseherinnen und Jagdaufseher müssen im Kanton jagdbe- rechtigt und für diese Aufgabe geeignet sein sowie das Jagdrevier in- nert nützlicher Frist erreichen können. Sie können Mitglied einer Jagdgesellschaft sein. Die Jagdaufseherinnen und Jagdaufseher üben im Jagdrevier die zum Schutz der Wildtiere und zur Gewährleistung der Jagd nötigen Aufsichts-, Vollzugs- und Kontrollaufgaben aus, so- weit diese nicht einer anderen Behörde obliegen. Das zuständige De- partement kann für kantonale Aufgaben Jagdaufseherinnen und Jagd- aufseher beiziehen und einsetzen. Es legt zu diesem Zweck die Auf- sichtsgebiete und eine allfällige Entschädigung fest (§ 31 Abs. 3 - 5 AJSG). Jagdaufseherinnen und Jagdaufseher haben gemäss § 27 Abs. 1 der Verordnung zum Jagdgesetz des Kantons Aargau vom 23. Sep- 2014 Kantonale Steuern 79 tember 2009 (AJSV, SAR 933.211) folgende Aufgaben zu erfüllen: Aufsicht über die Einhaltung der Bestimmungen zu den Schonzeiten jagdbarer Wildtiere, zum Arten- und Lebensraumschutz und zur Lei- nenpflicht für Hunde; Mitwirkung bei Erhebungen zur Jagdstatistik, bei Abschussplanungen, bei der Bekämpfung von Tierseuchen und beim Vollzug jagdrechtlicher Anordnungen; Beratung der Grundei- gentümerinnen und Grundeigentümer beziehungsweise der für die Bewirtschaftung des Grundeigentums zuständigen Personen in der Anwendung von Verhütungs- und Selbsthilfemassnahmen; Unter- stützung der Jagdgesellschaften bei der Kontrolle der Jagdpässe und -karten; Melde- und Koordinationsstelle bei Fragen und Problemen im Zusammenhang mit Wildtieren, insbesondere bei Unfällen mit Wildtieren. Sie sind verpflichtet, Widerhandlungen gegen das Jagd- recht nachzugehen und diese den Strafverfolgungsbehörden anzuzei- gen (§ 36 Abs. 3 AJSG). 2.3. Der Beschwerdegegner ist gemäss § 1 seiner Statuten ein Verein im Sinne von Art. 60 ff. ZGB und erfüllt damit die gesetzlichen Anforderungen an die Rechtsform der Jagdgesellschaften (§ 5 Abs. 1 AJSG). Aus den eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass er die ihm gesetzlich und vertraglich auferlegten Pflichten bzw. Aufgaben er- füllt. Die Zahlung des Pachtzinses (Hauptpflicht) und die Erfüllung der übrigen Aufgaben (Nebenpflichten) durch den Beschwerdegeg- ner bzw. seine Mitglieder sind dabei als Gegenleistungen für das vom Kanton gewährte Recht zur Ausübung der Jagd zu betrachten. Aus § 55 KV und Art. 79 BV ergibt sich, dass die Ausübung der Jagd primär als eine wirtschaftliche Tätigkeit verstanden wird, welche di- verse Rahmenbedingungen auf dem Gebiet des Natur- und Tierschut- zes einhalten muss. Dem in AJSG und AJSV statuierten Aufgabenkatalog (Erw. 2.2.2.3.) ist zu entnehmen, dass die Jagdaufsicht zu einem er- heblichen Teil (jagd- und gesundheits-)polizeiliche Tätigkeiten bein- haltet und insoweit eine öffentliche Aufgabe darstellt. Sie wird indes- sen nur von einzelnen Jagdberechtigten (pro Revier ist ein Jagdaufse- her und ein Stellvertreter zu bezeichnen) ausgeübt, die zudem nicht Mitglieder des Beschwerdegegners sein müssen (§ 28 Abs. 1 der Sta- 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 80 tuten vom 28. Juli 2011; Ziff. 7.2 und 7.3 der jeweiligen Pachtver- träge). Indem der Beschwerdegegner u.a. dafür sorgt, dass die Wild- tierbestände weder zu gross noch zu klein sind und keine übermässi- gen Schäden an Wald, landwirtschaftlichen Kulturen und Nutztieren auftreten, nimmt er weitere Aufgaben wahr, die nicht nur privaten Dritten (insbesondere Landwirten und privaten Waldeigentümern), sondern auch der Allgemeinheit dienen und somit im öffentlichen Interesse liegen. Bei all diesen Aufgaben handelt es sich jedoch lediglich um Nebenpflichten des Beschwerdegegners. Die Ausübung der Jagd steht demnach im Vordergrund. Dies ergibt sich bereits aus § 2 der Statuten vom 28. Juli 2011, wonach der Beschwerdegegner die Ausübung der Jagd in einem oder mehreren aargauischen Jagdrevieren nach Massgabe der gesetzlichen Bestim- mungen und nach weidmännischen Grundsätzen bezweckt und dafür die Pacht eines oder mehrerer Jagdreviere vom Kanton Aargau und damit die Ausübung der hoheitlichen Jagdberechtigung übernimmt. Der Beschwerdegegner bezweckt mithin primär, seinen Mitgliedern die Ausübung ihres Hobbys zu ermöglichen. Dies zeigt sich auch da- rin, dass gemäss den eingereichten Jahresrechnungen in den Jahren 2011 und 2012 bei einem Gesamtaufwand von rund Fr. 30'000.00 bzw. Fr. 35'000.00 lediglich Fr. 2'250.00 für die Besoldung der Jagd- aufseher verwendet wurden, während allein die Pachtzinsen Fr. 18'800.00 ausmachten, was in etwa der Höhe der Mitgliederbei- träge ("Pächterbeiträge") entsprach. 2013 werden die Zahlen gemäss Budget voraussichtlich in ungefähr gleicher Höhe liegen. Gemäss den Jahresrechnungen 2011 und 2012 resultierte sodann ca. ein Drit- tel der Einnahmen des Beschwerdegegners aus dem Verkauf von Wildfleisch (Wildbreterlös). Daraus ist zu schliessen, dass die Tätig- keit des Beschwerdegegners vorwiegend im privaten Interesse seiner Mitglieder liegt. Der Beschwerdegegner verfolgt demnach in erster Linie einen Selbsthilfezweck. Demzufolge kann er nach Massgabe der in Erw. 2.2.1. zitierten Rechtsprechung weder ganz noch teil- weise wegen Verfolgung öffentlicher Zwecke gemäss Art. 56 lit. g DBG von der Steuerpflicht befreit werden. 2014 Kantonale Steuern 81 2.4. Gemeinnützigkeit setzt voraus, dass die Tätigkeit der juristi- schen Person im Interesse der Allgemeinheit liegt und dass dem Wir- ken uneigennützige Motive zugrunde liegen (G RETER , Kommentar DBG, Art. 56 N 29). Die Tätigkeit muss somit aus selbstlosen, altruistischen Motiven erbracht werden. Das subjektive Element der Uneigennützigkeit verlangt, dass mit der gemeinnützigen Zweckset- zung nicht Erwerbszwecke oder sonst eigene unmittelbare (wirt- schaftliche oder persönliche) Interessen der juristischen Person oder ihrer Mitglieder verknüpft sind. Uneigennützigkeit im steuerrechtli- chen Sinne ist nicht gegeben, wenn ausschliesslich oder neben gemeinnützigen Zielen unmittelbare Eigeninteressen der juristischen Person oder Sonderinteressen ihrer Mitglieder verfolgt werden (G RETER , Kommentar DBG, Art. 56 N 31 f.; K USTER , a.a.O., S. 204 f.). Wegen überwiegender Verfolgung eines Selbsthilfezwecks (Sonderinteressen seiner Mitglieder) kann der Beschwerdegegner auch nicht wegen Gemeinnützigkeit i.S.v. Art. 56 lit. g DBG von der Steuerpflicht befreit werden. 2.5. 2.5.1. Eine Steuerbefreiung juristischer Personen, die öffentliche oder gemeinnützige Zwecke verfolgen, kann nach Art. 56 lit. g DBG nur erfolgen für den Gewinn, der ausschliesslich und unwiderruflich die- sen Zwecken gewidmet ist. Somit muss insbesondere die Mittelver- wendung ausschliesslich auf die öffentliche Aufgabe oder das Wohl Dritter ausgerichtet sein, und die der Zweckbindung gewidmeten Mittel müssen unwiderruflich steuerbefreiten Zwecken verhaftet sein (Urteil des Bundesgerichts vom 16. August 2013 [2C_143/2013 und 2C_144/2013], Erw. 3.3 und 4.2). Entgegen der Auffassung des Be- schwerdegegners ist es daher nicht überspitzt formalistisch, für die Steuerbefreiung einer juristischen Person zu verlangen, dass ein allfälliges Liquidationsergebnis einer steuerbefreiten juristischen Person mit öffentlichem bzw. gemeinnützigem Zweck zukommen soll. 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 82 2.5.2. In § 31 Abs. 3 der Statuten des Beschwerdegegners vom 28. Juli 2011 wird bestimmt, dass im Fall einer Liquidation die Mitglieder- versammlung über die konkrete Verwendung eines allfälligen Aktivenüberschusses entscheidet, wobei das vorhandene Vermögen an eine andere Organisation mit gemeinnützigem und/oder öffentli- chem Zweck mit ähnlicher Zielsetzung zu übertragen ist. Eine unwi- derrufliche Zuwendung des Liquidationsergebnisses an eine steuer- befreite Institution mit öffentlichem oder gemeinnützigem Zweck ist mit dieser statutarischen Bestimmung nicht gewährleistet. Eine Steuerbefreiung kann dem Beschwerdegegner folglich auch aus die- sem Grund nicht gewährt werden. 2.6. Demnach erfüllt der Beschwerdegegner die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung wegen Verfolgung öffentlicher oder gemein- nütziger Zwecke gemäss Art. 56 lit. g DBG nicht. In Bezug auf die direkte Bundessteuer ist die Beschwerde deshalb gutzuheissen. 3. § 14 Abs. 1 lit. c StG entspricht Art. 23 Abs. 1 lit. f StHG. Die- ser stimmt - abgesehen davon, dass sich die Steuerbefreiung im kantonalen Recht nicht nur auf den Gewinn, sondern auch auf das Kapital der juristischen Person erstreckt - mit Art. 56 lit. g DBG überein. Daraus folgt, dass die Erwägungen zur direkten Bundes- steuer für die Kantons- und Gemeindesteuer analog massgebend sind (Urteil des Bundesgerichts vom 16. August 2013 [2C_143/2013 bzw. 2C_144/2013], Erw. 6.1). Für die Kantons- und Gemeindesteuer ergibt sich mithin dasselbe Ergebnis wie bei der direkten Bundes- steuer. Somit erweist sich die Beschwerde des KStA hinsichtlich der Kantons- und Gemeindesteuern gleichermassen als begründet und ist ebenfalls gutzuheissen. Das Urteil des Spezialverwaltungsgerichts, Abteilung Steuern, vom 25. April 2013 ist demzufolge vollumfäng- lich aufzuheben.
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2009 Verwaltungsgericht 280 [...] 52 Entzug des Führerausweises; vorsorglicher Sicherungsentzug - Kostenregelung gemäss Verwaltungsrechtspflegegesetz vom 4. De- zember 2007 bei Gegenstandslosigkeit eines Verfahrens betreffend vorsorglicher Sicherungsentzug des Führerausweises. - Es ist sachgerecht darauf abzustellen, wer das Verwaltungs- und Be- schwerdeverfahren veranlasst hat (summarische Prüfung), und in welchem Stadium (vor welcher Instanz) das Verfahren gegenstands- los geworden ist, wobei sich für das Verfahren vor dieser Instanz eine pauschale Kostenaufteilung aufdrängt, während der Kostenentscheid der Vorinstanz nicht zu korrigieren ist (Bestätigung der Rechtspre- chung, vgl. AGVE 1998, S. 160 ff.). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. Juni 2009 in Sa- chen C.I. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und Inneres (WBE.2009.151). Sachverhalt Das Strassenverkehrsamt hatte C.I. den Führerausweis wegen der Gefahr einer Trunksucht vorsorglich entzogen und eine fachärzt- liche Begutachtung in Auftrag gegeben. Nachdem die Vorinstanz eine dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen hatte und in der Folge das Verfahren beim Verwaltungsgericht hängig war, hob das Strassenverkehrsamt die angefochtene Verfügung gestützt auf das in- zwischen vorliegende Gutachten mit sofortiger Wirkung auf. 2009 Verwaltungsrechtspflege 281 Aus den Erwägungen 11. Nachdem das Strassenverkehrsamt (...) den (...) vorsorglichen Entzug des Führerausweises zur Abklärung der Fahreignung betref- fend einer allfälligen Trunksucht mit sofortiger Wirkung aufgehoben hat, ist das vorliegende Beschwerdeverfahren als gegenstandslos ge- worden von der Geschäftskontrolle abzuschreiben. 12. 12.1. Im Beschwerdeverfahren werden die Verfahrenskosten in der Regel nach Massgabe des Unterliegens und Obsiegens auf die Par- teien verlegt. Wer sein Rechtsmittel zurückzieht oder auf andere Weise dafür sorgt, dass das Verfahren gegenstandslos wird, gilt als unterliegende Partei. Wird ein Verfahren ohne Zutun einer Partei ge- genstandslos, sind die Verfahrenskosten nach den abgeschätzten Prozessaussichten zu verlegen oder aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise dem Gemeinwesen zu belasten (§ 31 Abs. 2 und 3 des auf den 1. Januar 2009 in Kraft getretenen VRPG vom 4. Dezember 2007). Das selbe gilt für die Parteikostenverlegung (§ 32 Abs. 2 und 3 VRPG). 12.2. Das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid IV/24 vom 20. Oktober 1998 in Sachen B. S. [WBE.1998.261] - teilweise publi- ziert in AGVE 1998, S. 160 ff. - noch unter Geltung des Verwal- tungsrechtspflegegesetzes vom 9. Juli 1968 (aVRPG), welches sich nicht ausdrücklich über die Frage der Verfahrenskosten und der Par- teientschädigung in Verfahren ohne Sachentscheid ausgedrückt hatte, festgehalten, dass in Verfahren betreffend vorsorglicher Führeraus- weisentzug weder eine Kostenverteilung nach dem Ausgang des Hauptverfahrens (Obsiegen/Unterliegen) noch nach dem Verursa- cherprinzip gerechtfertigt sei. Zur Begründung führte das Verwal- tungsgericht im erwähnten Entscheid an, dass die Gegenstandslosig- keit des Verfahrens in solchen Fällen regelmässig dadurch verursacht werde, dass die angeordnete Abklärung der Fahrtauglichkeit als Vor- aussetzung für den Hauptentscheid durchgeführt worden sei und die 2009 Verwaltungsgericht 282 Verwaltungsbehörde den definitiven Entscheid über den Sicherungs- entzug zu fällen habe. Die Massnahmen würden daher teilweise auch durch die Durchführung der Abklärungen gegenstandslos. Weiter sei auch der Zeitfaktor zu berücksichtigen; das Gutachten oder andere Abklärungen und der Entscheid im Hauptverfahren könnten in ver- schiedenen Stadien des Rechtsmittelverfahrens eintreffen oder einge- hen. Das Verwaltungsgericht hielt deshalb fest, dass bei Verfahren betreffend vorsorglicher Führerausweisentzug sachgerecht darauf ab- zustellen sei, wer das Verwaltungs- und Beschwerdeverfahren veran- lasst habe, und in welchem Stadium das Verfahren gegenstandslos geworden sei. Unter dem Aspekt der Veranlassung des Verwaltungs- verfahrens sei lediglich eine summarische Prüfung jener Umstände, die zur Einleitung des gesamten Verfahrens betreffend Sicherungs- entzug geführt haben, vorzunehmen. Bei der Frage des Zeitpunktes sei darauf abzustellen, vor welcher Instanz das Verfahren gegen- standslos geworden sei. Für das Verfahren vor dieser Instanz dränge sich eine pauschale Kostenaufteilung auf, während der Kostenent- scheid der Vorinstanz nicht zu korrigieren sei, da diese im Be- schwerdeverfahren bereits materiell entschieden habe. Aus diesem Grund müsse es bei der Kostenauflage im Beschwerdeentscheid sein Bewenden haben; dieses Ergebnis sei der zeitlichen Abfolge und der Pflicht der Verwaltung, mit dem Eintreffen des Gutachtens in der Hauptsache zu entscheiden, angemessen. Aufgrund dieser Erwägun- gen nahm deshalb das Verwaltungsgericht in jenem konkreten Fall für das verwaltungsgerichtliche Verfahren (in welchem die Gegen- standslosigkeit eintrat) eine pauschale Kostenaufteilung (Verfahrens- kosten werden je zur Hälfte dem Beschwerdeführer und dem Staat auferlegt; die Parteikosten werden dem Beschwerdeführer zur Hälfte ersetzt) vor. Der Kostenentscheid des Departements Volkswirtschaft und Inneres (vollumfängliche Auferlegung der Verfahrenskosten; keine Ausrichtung einer Parteientschädigung) wurde hingegen vom Verwaltungsgericht bestätigt (erwähnter VGE, S. 11). 13. Eine summarische Prüfung der Umstände, die zur Einleitung des vorliegenden Verfahrens betreffend Sicherungsentzug geführt ha- ben, ergibt, dass der Beschwerdeführer durch sein eigenes Verhalten 2009 Verwaltungsrechtspflege 283 - (...) seit 1983 sieben Führerausweisentzüge, wovon fünf in Zusam- menhang mit Alkohol standen; wiederum zwei davon waren definiti- ve Sicherungsentzüge wegen Alkoholismus - Anlass für die Einlei- tung des Verfahrens gegeben hat, da zahlreiche Verdachtsmomente bestanden, wonach eine die Fahreignung ausschliessende Trunksucht des Beschwerdeführers nicht ausgeschlossen werden konnte. In die- sem Sinne standen die Prozessaussichten im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung betreffend vorsorglicher Entzug ebenso wie bei Ein- reichung der Beschwerde an die Vorinstanz und bei Einreichung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schlecht. Dementsprechend hat die Vorinstanz materiell entschieden und die Beschwerde abgewiesen. Diese abgeschätzten Prozessaussichten haben zur Folge, dass der Kostenentscheid des Departements Volkswirtschaft und Inneres ([...] vollumfängliche Auferlegung der Verfahrenskosten; keine Ausrich- tung einer Parteientschädigung) nicht zu korrigieren ist. Weil das Verfahren während der Rechtshängigkeit vor Verwaltungsgericht gegenstandslos geworden ist und unter Berücksichtigung der in AGVE 1998, S. 160 ff. beschriebenen Besonderheiten des Verfahrens betreffend vorsorglicher Führerausweisentzug, rechtfertigt es sich je- doch, dem Beschwerdeführer aus Billigkeitsgründen lediglich die Hälfte der verwaltungsgerichtlichen Verfahrenskosten aufzuerlegen; die restlichen Verfahrenskosten trägt der Staat. Dem Beschwer- deführer ist die Hälfte der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entstandenen Parteikosten zu ersetzen.
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2000 Verwaltungsgericht 388 [...] 89 Überprüfung eines kommunalen Überbauungsplans auf seine Verfassungs- und Gesetzmässigkeit. - Kognition des Verwaltungsgerichts bei der inzidenten Normen- kontrolle (Erw. 2/b/aa). - Begriff der erheblichen Änderung in Art. 21 Abs. 2 RPG (Erw. 2/b/bb). - Nichtanwendung eines kommunalen Baulinienplans wegen Wegfalls des öffentlichen Interesses (Erw. 2/b/cc). Vgl. AGVE 2000, S. 257, Nr. 64
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2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 108 14 Stationäre automatische Verkehrsüberwachungsanlage ( Blitzer ) Von einer Gemeinde beabsichtigter Einsatz einer stationären automati- schen Verkehrsüberwachungsanlage (AVÜ) auf einer Kantonsstrasse in- nerorts; rechtliche Beurteilung unter besonderer Berücksichtigung der Gemeindeautonomie. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. März 2019, in Sachen Stadt Baden gegen Regierungsrat (WBE.2018.70). Aus den Erwägungen: 2. 2.1. Die Vorinstanz prüfte, ob für die Nutzung der kantonalen Infra- struktur eine kantonale Bewilligung erforderlich ist und gegebenen- falls ob diese erteilt werden kann. Dass für den Einsatz der AVÜ die kantonale Infrastruktur genutzt werden soll, trifft zunächst zu: Einer- seits ist vorgesehen, dass die Überwachungs- und Kontrollgeräte der Beschwerdeführerin an Bestandteilen der Kantonsstrasse (Signalträ- ger) installiert werden (vgl. § 80 Abs. 2 lit. c BauG); andererseits sol- len die Rotlichtmissachtungen ab dem Steuergerät der Lichtsignalan- lage (der Kantonsstrasse) erfasst werden. Es erscheint daher nach- vollziehbar, wenn mit Blick auf §§ 102 ff. BauG geprüft wurde, ob eine kantonale Bewilligung erforderlich ist und gegebenenfalls ob diese erteilt werden kann. Offen bleiben kann dabei, ob die AVÜ als Bestandteil der öffentlichen Strasse zu qualifizieren ist (vgl. § 80 Abs. 2 BauG). Selbst wenn dem nämlich so wäre, müsste geprüft werden, ob die Nutzung der kantonalen Infrastruktur durch die Be- schwerdeführerin - welche nicht Eigentümerin der Kantonsstrasse ist (vgl. § 81 Abs. 1 und 2 BauG) - einer kantonalen Bewilligung bedarf und, falls ja, ob eine solche Bewilligung erteilt werden kann. 2.2. 2019 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 109 Die Nutzung von öffentlichen Sachen richtet sich in erster Linie nach kantonalem Recht. Dieses umschreibt insbesondere, in wel- chem Rahmen und Ausmass öffentliche Sachen im Gemeingebrauch genutzt werden dürfen und wie namentlich öffentlicher Grund von der Allgemeinheit benützt werden darf. Dabei unterscheiden die kan- tonalen Rechtsordnungen und die Praxis meist zwischen schlichtem Gemeingebrauch, gesteigertem Gemeingebrauch und Sondernutzung. Die Rechtsprechung und die Verwaltungsrechtswissenschaft haben diese Einteilung konkretisiert (BGE 135 I 306 mit Hinweisen; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich/St. Gallen 2016, Rz. 2252 ff.; PIERRE TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI/MARKUS MÜLLER, Allge- meines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Bern 2014, § 51 N 1 ff.). Dies ändert nichts am Umstand, dass insbesondere die Begriffe des schlichten bzw. des gesteigerten Gemeingebrauchs kantonalrechtlich bestimmt sind (BGE 135 I 306 f.). Nach § 46 KV stellt der Kanton Vorschriften über die öffentli- chen Sachen sowie über deren Gebrauch und Nutzung auf. Die öffentlichen Strassen dürfen im Rahmen ihrer Zweckbestimmung, ihrer Gestaltung, der örtlichen Verhältnisse und der geltenden Vor- schriften durch jedermann unentgeltlich und ohne besondere Erlaub- nis benutzt werden (Gemeingebrauch; § 102 Abs. 1 BauG). Jede über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung einer öffentlichen Strasse ist nur mit Bewilligung und gegen Gebühr zulässig (bewilli- gungspflichtige Benutzung; § 103 Abs. 1 BauG). Durch Erlaubnis kann eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung einer öffentlichen Strasse gestattet werden (Erlaubnis; § 104 Abs. 1 BauG). Durch Verleihung schliesslich werden Rechtsverhältnisse an dauernden, fest mit dem Boden verbundene Bauten und Anlagen auf dem Gebiet von Strassen geordnet (Verleihung; § 105 Abs. 1 BauG). 2.3. 2.3.1. Zum Gemeingebrauch (§ 102 BauG) gehört die Benutzung einer öffentlichen Strasse, soweit sie bestimmungsgemäss und ge- meinverträglich ist. Ob der Gebrauch bestimmungsgemäss ist, muss mit Blick auf die Zweckbestimmung der Sache beurteilt werden. 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 110 Diese Zweckbestimmung ergibt sich ihrerseits aufgrund einer Wid- mung, aufgrund der natürlich gegebenen oder menschlich gestalteten Beschaffenheit oder aufgrund des traditionellen Gebrauchs der Sache. Die Gemeinverträglichkeit ist solange gegeben, als die gleichartige und gleichzeitige Benutzung der Sache durch mehrere interessierte Personen praktisch möglich ist, einzelne Interessierte mithin nicht erheblich an der Nutzung gehindert werden (vgl. BGE 135 I 307; zum Ganzen: TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O., § 51 N 3 ff.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., Rz. 2253 ff.; ANDREAS BAUMANN, in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013 [nachfolgend: Kommentar Baugesetz], § 102 N 2). Der Gemeingebrauch erstreckt sich bei der öffentlichen Strasse auf alle Bestandteile, die dem entsprechenden Verkehr zu dienen be- stimmt sind, d.h. auf die eigentlichen Verkehrsflächen (Fahrbahnen, Rad- und Gehwege, Kreuzungen, Über- und Unterführungen, Brü- cken, Tunnels, Treppen), nicht aber auf Bestandteile wie Böschun- gen, Dämme, Gräben, Stützmauern, Trenn- und Sicherheitsstreifen, Grünstreifen, Bepflanzungen etc. (vgl. ERICH ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 49 N 4; BAUMANN, Kommentar Baugesetz, § 102 N 9). Notwendigerweise erstreckt sich der Gemeingebrauch auch auf den Luftraum über den Verkehrsflächen, soweit er in Anspruch ge- nommen werden muss (ZIMMERLIN, a.a.O., § 49 N 4; BAUMANN, Kommentar Baugesetz, § 102 N 9). 2.3.2. Vorliegend sollen - wie dargelegt (Erw. 2.1) - die Signalträger als Bestandteile der Kantonsstrasse zur Installation der Überwa- chungs- und Kontrollgeräte sowie der Anschluss / die Schnittstelle zum Steuergerät der Lichtsignalanlage genutzt bzw. beansprucht werden. Weder die Signalträger noch der Anschluss / die Schnitt- stelle zum Steuergerät der Lichtsignalanlage bezwecken indes, von jedermann unentgeltlich und ohne besondere Erlaubnis benutzt zu werden. Ein Anwendungsfall von § 102 BauG fällt schon aus diesem Grund ausser Betracht. Abgesehen davon spricht auch die fixe Instal- 2019 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 111 lation von neuen, zusätzlichen Geräten (namentlich an den Signal- trägern) gegen (schlichten) Gemeingebrauch. 2.4. 2.4.1. Gehen Benutzungen öffentlicher Sachen über den Gemeinge- brauch hinaus, so unterscheiden Lehre und Praxis zwischen gestei- gertem Gemeingebrauch und Sondernutzung (vgl. Erw. 2.2). Da es aber oft schwierig ist, die Grenze zwischen diesen Benutzungsarten zu ziehen, wurde im Kanton Aargau darauf verzichtet, die Begriffe gesteigerter Gemeingebrauch und Sondernutzung ins Gesetz auf- zunehmen (vgl. ZIMMERLIN, a.a.O., §§ 50-53 N 2 [zum alten Bauge- setz vom 2. Februar 1971]). Was über den Gemeingebrauch (§ 102 BauG) hinausgeht, fällt unter den Begriff der bewilligungspflich- tigen Benutzung . Dabei geht es um Benutzungsarten, die der blossen Erlaubnis bedürfen (§ 104 BauG), und um solche, die eine Verleihung (Konzession) voraussetzen (§ 105 BauG) (vgl. ZIMMERLIN, a.a.O., §§ 50-53 N 2). Gemäss § 103 BauG ist jede über den Gemeingebrauch hinaus- gehende Benutzung einer öffentlichen Strasse nur mit Bewilligung und gegen Gebühr zulässig (Abs. 1). Die Bewilligung setzt voraus, dass ein beachtliches, auf andere Weise nicht oder nur mit unverhält- nismässigen Kosten zu befriedigendes Bedürfnis besteht und weder für die Strasse noch für den Verkehr schwerwiegende Nachteile er- wachsen (Abs. 2). Die Bewilligungspflicht dient nicht nur (oder nur mittelbar) dem Schutz von Polizeigütern, sondern vielmehr der Koordination und Prioritätensetzung zwischen verschiedenen Nutzungen an öffentlichen Strassen und Wegen (vgl. BGE 135 I 307; 127 I 169; BAUMANN, Kommentar Baugesetz, § 103 N 5; HÄFE- LIN /MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., Rz. 2285). 2.4.2. Die Vorinstanzen verweigerten die Bewilligung weder aus Gründen der Koordination und Prioritätensetzung zwischen ver- schiedenen Nutzungen an der öffentlichen Strasse noch mit der Be- gründung, dass durch die Nutzung der kantonalen Infrastruktur - d.h. durch die Installation der Überwachungs- und Kontrollgeräte am Signalträger sowie dem Anschluss zum Steuergerät der Lichtsignal- 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 112 anlage - für die Strasse oder den Verkehr schwerwiegende Nachteile entstünden. Die Vorinstanz verweigerte die Bewilligung vielmehr aus anderen Gründen, nämlich deshalb, weil ihrer Ansicht nach eine AVÜ nur dann zum Einsatz gelangen solle, wenn der Bedarf durch die Unfallstatistik und Unfallanalyse nachgewiesen und vom Ein- satz der Anlage eine signifikante Verbesserung der Verkehrssicher- heit zu erwarten sei, was vorliegend nicht der Fall sei. Die von der Vorinstanz vorgenommene Beurteilung bzw. Begründung ist sach- fremd, sie betrifft nicht die im Rahmen einer Bewilligung gemäss § 103 Abs. 2 BauG zu prüfenden Punkte (Erw. 2.4.1), sondern sie bezieht sich auf die Frage, ob beim Knoten Gstühl aus verkehrs- polizeilicher Sicht (ihrer Ansicht nach) eine AVÜ eingesetzt werden soll oder nicht. Die Beurteilung dieser Frage fällt indes in den Auf- gaben- und Autonomiebereich der Beschwerdeführerin (vgl. hinten Erw. 3.2 und 3.3.1). Dass die Beschwerdeführerin an der Nutzung der kantonalen Infrastruktur ein beachtliches Bedürfnis hat, zeigt sich bereits darin, dass die Überwachung und Kontrolle des fliessenden Strassenver- kehrs beim Knoten Gstühl in den Aufgaben- und Autonomie- bereich der Beschwerdeführerin fällt (Erw. 3.2 und 3.3.1). Weiter liegt auf der Hand, dass eine konstante Kontrolle rund um die Uhr nicht auf andere Weise bzw. nur mit unverhältnismässigen Kosten er- reicht werden könnte: Es wäre nicht realistisch, mit einer mobilen Kontrolle in vergleichbarer Weise konstant und gleichzeitig mehrere Spuren überwachen zu wollen; dies umso mehr, als Rotlicht und Ge- schwindigkeit kontrolliert werden müssten. Zudem wäre die mobile Kontrolle auch mit unverhältnismässigen Kosten (namentlich Perso- nalaufwand) verbunden. Dass ein beachtliches, auf andere Weise nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten zu befriedigendes Bedürfnis im Sinne von § 103 Abs. 2 BauG besteht, lässt sich bei richtiger Betrachtung somit nicht abstreiten. Mit der Inanspruchnah- me der kantonalen Infrastruktur erwachsen für die Strasse und den Verkehr auch keine schwerwiegenden Nachteile (vgl. § 103 Abs. 2 BauG). Im Gegenteil, soll mit der AVÜ doch gerade die Verkehrs- sicherheit erhöht werden (Standortdisziplinierung beim Knoten Gstühl ). 2019 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 113 Nach dem Gesagten sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung nach § 103 Abs. 2 BauG im Grundsatz somit er- füllt. In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob der Einsatz einer AVÜ auch in verkehrspolizeilicher Hinsicht zulässig ist. 3. 3.1. Gemäss Art. 82 Abs. 1 BV erlässt der Bund Vorschriften über den Strassenverkehr. Es steht ihm die umfassende Ge- setzgebungskompetenz im Bereich der polizeilichen Verkehrsrege- lung zu (BGE 127 I 69; Urteil des Bundesgerichts vom 14. Juni 2013 [6B_656/2012], Erw. 1.3.3). Der Vollzug der Strassengesetzgebung obliegt den Kantonen, welche die dafür notwendigen Massnahmen treffen und die zuständigen kantonalen Behörden bezeichnen (Art. 106 Abs. 2 SVG; Urteil des Bundesgerichts vom 14. Juni 2013 [6B_656/2012], Erw. 1.3.3; Urteil des Bundesgerichts vom 25. Juli 2002 [2P.34/2002], Erw. 2.3). Der Bundesrat wird in Art. 106 Abs. 1 SVG ermächtigt, die zum Vollzug dieses Gesetzes notwendigen Vor- schriften zu erlassen und das Bundesamt für Strassen (ASTRA) mit der Regelung von Einzelheiten zu betrauen. An entsprechende Rege- lungen, insbesondere an Vorschriften über technische Anforderungen zur verkehrspolizeilichen Überwachungen, sind die Kantone gebun- den (Urteil des Bundesgerichts vom 14. Juni 2013 [6B_656/2012], Erw. 1.3.3). Die Verkehrskontrollen, die damit zusammenhängenden Massnahmen, Meldungen und statistischen Erhebungen werden durch die Verordnung über die Kontrolle des Strassenverkehrs vom 28. März 2007 (Strassenverkehrskontrollverordnung, SKV; SR 741.013) geregelt (vgl. Art. 1 SKV). Die Kontrolle des Verkehrs auf öffentlichen Strassen obliegt der nach kantonalem Recht zustän- digen Polizei (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 SKV). Die kantonalen Behör- den richten die Kontrollen schwerpunktmässig nach sicherheitsrele- vantem Fehlverhalten, den Gefahrenstellen und der Unterstützung des Verlagerungsziels nach dem Bundesgesetz über die Verlagerung des alpenquerenden Güterschwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene vom 19. Dezember 2008 (Güterverkehrsverlagerungsgesetz, GVVG; SR 740.1) aus (Art. 5 Abs. 1 SKV). Die Kontrollen erfolgen stichprobenweise, systematisch oder im Rahmen von Grosskontrol- 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 114 len (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 SKV). Nach Möglichkeit sind bei den Kon- trollen technische Hilfsmittel einzusetzen, insbesondere bei der Kon- trolle der Geschwindigkeit (Art. 9 Abs. 1 lit. a SKV) oder der Beach- tung von Lichtsignalen (Art. 9 Abs. 1 lit. b SKV). Nach Art. 10 der Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung vom 22. Mai 2008 (VSKV-ASTRA; SR 741.013.1) dienen Rotlicht- überwachungssysteme in erster Linie der Feststellung von Wider- handlungen gegen das Haltegebot durch Lichtsignale (Abs. 1); sie können mit Systemen zur Geschwindigkeitsmessung kombiniert werden (Abs. 2). Bei den Messarten, welche bei der Durchführung von Geschwindigkeitskontrollen in erster Linie zu wählen sind, nennt Art. 6 VSKV-ASTRA u.a. explizit Messungen mit stationären Messsystemen, die autonom betrieben werden (Art. 6 lit. b VSKV- ASTRA). 3.2. 3.2.1. Art. 50 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Mass- gabe des kantonalen Rechts. Gemäss § 106 KV sind die Gemeinden im Rahmen von Verfassung und Gesetz befugt, sich selbst zu organi- sieren, ihre Behörden und Beamten zu wählen, ihre Aufgaben nach eigenem Ermessen zu erfüllen und ihre öffentlichen Sachen selbst- ständig zu verwalten. Nach der Praxis des Bundesgerichts sind Ge- meinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr in diesem Bereich eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (statt vieler: BGE 143 I 278; 142 I 180; 138 I 150; AGVE 2013, S. 269 f.; 2011, S. 199 f.; 2003, S. 470; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., Rz. 1910). Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Be- fugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften be- ziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung des kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufga- bengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus (vgl. BGE 142 I 180; 139 I 172 f.; 138 I 244 f.; 136 I 397). Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den ent- 2019 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 115 sprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Ge- setzesrecht (BGE 142 I 180; 136 I 397 f.). Verfassung und Gesetz , die den Rahmen gemäss § 106 Abs. 1 KV abgeben, sind grossteils kantonales Recht, können aber auch eidgenössisches, interkantonales und internationales sein. Das der Kantonsverfassung nachgeordnete kantonale Recht muss nicht ausschliesslich in Gesetzesform gegos- sen sein; es gelten die üblichen Regeln der Rechtsetzungszuständig- keiten, insbesondere § 78 (Grosser Rat: Gesetze; Dekrete) und § 91 KV (Regierungsrat: Entwürfe zu Verfassungsänderungen, Gesetzen und Dekreten; Verordnungen) (vgl. KURT EICHENBERGER, Verfas- sung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1986, § 106 N 4). 3.2.2. Nach § 27 KV gewährleisten Kanton und Gemeinden die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Sie schützen insbesondere Le- ben, Freiheit, Gesundheit und Sittlichkeit, wobei der Polizeigüter- schutz zu den klassischen Aufgaben der Gemeinden gehört (AGVE 2003, S. 453; ANDREAS BAUMANN, Aargauisches Polizeige- setz, Praxiskommentar, Zürich/Basel/Genf 2006 [nachfolgend: Poli- zeigesetz], Rz. 87; ANDREAS BAUMANN, Aargauisches Gemeinde- recht, 4. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2017 [nachfolgend: Gemeinde- recht], S. 287). Gestützt auf § 37 Abs. 2 lit. f GG obliegt dem Ge- meinderat die Sorge für die lokale Sicherheit gemäss Polizeigesetz sowie der Erlass eines entsprechenden Reglements. Das Gesetz über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit vom 6. Dezember 2005 (Polizeigesetz, PolG; SAR 531.200) bestimmt in § 4 Abs. 1 so- dann, dass die Gemeinden (nach Massgabe von § 19 PolG) die lokale Sicherheit auf dem Gemeindegebiet gewährleisten. Die lokale Sicherheit umfasst u.a. die Überwachung und Kontrolle des ruhenden Strassenverkehrs auf dem ganzen Gemeindegebiet sowie des flies- senden Strassenverkehrs innerorts und auf Gemeindestrassen ausser- orts (§ 4 Abs. 2 lit. c PolG; vgl. auch AGVE 2013, S. 258 f.). In § 3 Abs. 1 lit. b des Dekrets über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit vom 6. Dezember 2005 (Polizeidekret, PolD; SAR 531.210) wird abermals explizit festgehalten, dass die Überwa- chung und Kontrolle des fliessenden Strassenverkehrs auf dem Ge- 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 116 meindegebiet (ausgenommen Kantonsstrassen ausserorts) zu den verkehrspolizeilichen Aufgaben der Gemeinden gehört. Aus dem kantonalen Recht ergibt sich somit klar, dass die lo- kale Sicherheit, namentlich die Überwachung und Kontrolle des fliessenden Strassenverkehrs auf dem Gemeindegebiet (ausgenom- men Kantonsstrassen ausserorts), in den Aufgabenbereich der Ge- meinden fällt. Innerhalb der Schranken des höherrangigen Rechts haben die kommunalen Behörden in diesem Bereich eine relativ er- hebliche Entscheidungsfreiheit, d.h. sie geniessen Autonomie. § 2 Abs. 2 PolG sieht im Weiteren zwar vor, dass die Kantonspolizei die Führungsfunktion bei der allgemeinen Polizeitätigkeit im Kanton wahrnimmt und Weisungen zur Sicherstellung der Koordination und der einheitlichen Praxis der Polizeitätigkeit erlassen kann. Und § 1 Abs. 2 PolD hält fest, dass die Kantonspolizei eine einheitliche Ein- satzdoktrin aller Polizeikräfte sicherstellt. Blosse Weisungen und/oder eine Einsatzdoktrin der Kantonspolizei vermögen jedoch die sich aus dem kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht erge- bende Gemeindeautonomie (siehe Erw. 3.2.1) nicht zu beschränken. 3.3. 3.3.1. Der Knoten Gstühl liegt an der Kantonsstrasse K 117 im Innerortsbereich, womit die Überwachung und Kontrolle der Einhal- tung der Lichtsignale sowie der Geschwindigkeit an diesem Ort in den Autonomiebereich der Gemeinde, d.h. der Beschwerdeführerin, fällt. Nach der bundesrechtlichen Vorgabe von Art. 5 Abs. 1 SKV haben sich die Kontrollen schwerpunktmässig nach sicherheitsrele- vantem Fehlverhalten und den Gefahrenstellen (und der Unter- stützung des Verlagerungsziels nach dem GVVG) auszurichten. Die Kontrollen erfolgen stichprobenweise, systematisch oder im Rahmen von Grosskontrollen (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 SKV). Gemäss Art. 9 Abs. 1 SKV sind bei den Kontrollen zudem nach Möglichkeit tech- nische Hilfsmittel einzusetzen, insbesondere bei der Kontrolle der Geschwindigkeit (lit. a) sowie der Beachtung von Lichtsignalen (lit. b) (vgl. zum Ganzen bereits Erw. 3.1). Auf den Knoten Gstühl treffen von vier Seiten neun Fahrspu- ren, es hat vier Fussgängerstreifen mit je einer Mittelinsel und über 2019 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 117 die Kreuzung führt auch der Veloverkehr. Im Jahre 1994 wurde nörd- lich des Knotens Gstühl (auf der Bruggerstrasse) ein durchschnitt- licher täglicher Verkehr (DTV) von 25'300 gemessen, wobei die Vorinstanz darauf hinweist, dass die Strassenbelastung (seit 1994) grundsätzlich zugenommen habe. Von einem wenig befahrenen Knoten kann insoweit keine Rede sein. Eine Erhebung der Rotlicht- verstösse motorisierter Verkehrsteilnehmer beim Knoten Gstühl ergab sodann, dass an den drei kontrollierten Tagen - die Lichtsig- nalanlagen waren während insgesamt 55 Stunden in ordentlichem Betrieb - das Rotlicht 621-mal missachtet wurde, davon 473-mal in den Hauptfahrtrichtungen. 10 % der Rotlichtübertretungen waren von einer Dauer von mehr als 2 Sekunden, was selbst nach Darstel- lung der Vorinstanz zu einem direkten Konflikt mit andern Verkehrs- strömen führen könne. Auf der Bruggerstrasse ist - so die Beschwer- deführerin - zudem von rund 100 bis 200 Geschwin- digkeitsübertretungen pro Tag auszugehen. Unbestritten ist weiter, dass es beim Knoten Gstühl seit dem Jahr 2011 zu verschiedenen Unfällen gekommen ist. Die Antwort des Regierungsrats vom 5. April 2017 auf die Motion Martin Keller (betreffend Verhinderung von Radarfallen auf Kantonsstrassen; Grosser Rat, Ges.-Nr. 17.18) spricht - unter Hinweis auf die Unfallstatistik - z.B. von zwölf poli- zeilich registrierten Unfällen an der Gstühl -Kreuzung zwischen 1. Januar 2012 und 30. Juni 2016 (S. 2). Die Unfallkarte des ASTRA weist zwischen April 2011 und September 2017 neun Unfälle mit Personenschäden (Leichtverletzte) beim bzw. im näheren Bereich des Knotens aus (Karte abrufbar: https://www.astra.ad- min.ch/astra/de/home/dokumentation/unfalldaten.html [Seite besucht am 27. März 2019]); Unfälle mit blossen Sachschäden sind in dieser Karte (soweit ersichtlich) nicht eingetragen. Dass die Beschwerdeführerin vor diesem Hintergrund eine AVÜ einsetzen will, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, ist unter Be- achtung der rechtlichen Vorgaben - namentlich des relativ erheb- lichen Entscheidungsspielraums der Beschwerdeführerin (Gemein- deautonomie) - nicht zu beanstanden: Es sprengt den Spielraum der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht, wenn sie die Rotlichtmissach- tungen und die Geschwindigkeitsüberschreitungen beim Knoten 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 118 Gstühl als sicherheitsrelevantes Fehlverhalten und den Knoten als Gefahrenstelle einstuft und eine (systematische) stationäre Kontrolle als erforderlich erachtet (vgl. Art. 5 Abs. 1 und 2 SKV). Ob die in den letzten Jahren verzeichneten Unfälle beim Knoten Gstühl mit einer AVÜ mutmasslich verhindert worden wären, ist letztlich nicht entscheidend (und wäre teilweise wohl auch spekulativ). Es ent- spricht jedoch den gesetzlichen Vorgaben, wenn die für die Gewähr- leistung der lokalen Sicherheit zuständige Beschwerdeführerin (bzw. der Stadtrat) präventiv - im Sinne einer Standortdisziplinierung - das Risiko vermindern will, dass es beim Knoten Gstühl wegen Rot- lichtmissachtungen und Geschwindigkeitsüberschreitungen zu ge- fährlichen Situationen bzw. Unfällen kommt. Standorte von stationä- ren Kontrollanlagen sind erfahrungsgemäss relativ schnell bekannt, weshalb schon dieses Wissen allein disziplinierende Wirkung haben dürfte. Der Stadtrat rechnet z.B. mit einer Verbesserung der Rot- lichtmissachtungen von 95 % und bei den Geschwindigkeitsüber- schreitungen dürfte sich ebenfalls eine Verbesserung ergeben. Mit mobilen Rotlicht- und Geschwindigkeitskontrollen könnte das ver- folgte Ziel beim Knoten Gstühl im Übrigen nicht gleichwertig er- reicht werden. Mobile Kontrollen werden nur sporadisch und wäh- rend ein paar Stunden durchgeführt. Mit einer AVÜ kann dagegen sichergestellt werden, dass der Knoten konstant, d.h. rund um die Uhr, überwacht und kontrolliert wird. Ob hinter dem geplanten Einsatz einer AVÜ teilweise auch fiskalische Motive eine Rolle spie- len, ist mit Blick auf die Vorgeschichte zwar nicht auszuschliessen, ändert am ausgewiesenen öffentlichen Interesse an der Erhöhung der Verkehrssicherheit beim Knoten Gstühl (Standortdisziplinierung) jedoch nichts. Abgesehen davon sind allfällige finanzielle Interessen ohnehin zu relativieren, da Standorte von stationären Kontrollanla- gen - wie dargelegt - relativ schnell bekannt sind und die Anzahl Verfehlungen entsprechend abnehmen dürfte. Von selbst ergibt sich im Übrigen, dass das mit der AVÜ verfolgte öffentliche Interesse an der Erhöhung der Verkehrssicherheit (Standortdisziplinierung) höher wiegt als das private Interesse der fehlbaren Verkehrslenker, einer Ordnungsbusse bzw. Strafverfolgung zu entgehen. 2019 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 119 Der von der Beschwerdeführerin geplante Einsatz einer AVÜ beim Knoten Gstühl ist somit auch in verkehrspolizeilicher Hin- sicht zulässig, d.h. mit den massgeblichen gesetzlichen Vorgaben vereinbar. 3.3.2. Der aktenkundige Dienstbefehl 216 Policy für die Durchfüh- rung von Geschwindigkeitskontrollen der Kantonspolizei (letzte Änderung: 01.04.2017 [nachfolgend: Dienstbefehl 216]) ändert an diesem Ergebnis im Übrigen nichts. Blosse Weisungen und/oder die Einsatzdoktrin der Kantonspolizei (vgl. § 2 Abs. 2 PolG; § 1 Abs. 2 PolD) vermögen die Gemeindeautonomie nicht zu beschränken (vgl. Erw. 3.2.2). (...) 4. Soweit die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid unter Bezug- nahme auf die Beantwortung der Motion Keller festhielt, eine AVÜ solle nur dann zum Einsatz gelangen, wenn der Bedarf durch die Un- fallstatistik und Unfallanalyse nachgewiesen sei und vom Einsatz der Anlage eine signifikante Verbesserung der Verkehrssicherheit zu er- warten sei, ist darauf hinzuweisen, dass dies zwar die Meinung des Regierungsrats ist, dies jedoch gesetzlich so nicht ausdrücklich ver- ankert ist und von der Beschwerdeführerin in ihrem Autono- miebereich nicht mitgetragen werden muss (siehe Erw. 3.2). Wollte man solches im Zuständigkeitsbereich der Gemeinden erreichen, müsste eine stufengerechte und klare gesetzliche Grundlage geschaf- fen werden. Keiner vertieften Erwägungen bedarf es sodann zu den Ausfüh- rungen im Zusammenhang mit dem disziplinarischen Nutzen von fest installierten Blitzern , zumal selbst die Vorinstanz diesen Nutzen im Bereich des jeweiligen Standorts bejaht und es vorliegend gerade um die Erhöhung der Verkehrssicherheit konkret beim Knoten Gstühl geht (Standortdisziplinierung). Nicht gefolgt werden kann schliesslich den Ausführungen der Vorinstanz betreffend Gemeindeautonomie. Die Vorinstanz erwog, es könne keine Rede davon sein, dass das kantonale Recht die Nutzung und den Gebrauch der Kantonsstrasse nicht regle und der Beschwer- deführerin in diesem Bereich Autonomie zukomme. Die Beschwer- 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 120 deführerin machte dies jedoch gar nicht so geltend. Sie berief sich vielmehr bereits vor Vorinstanz darauf, dass für die Überwachung und Kontrolle des fliessenden Strassenverkehrs innerorts einzig die Gemeinde zuständig sei. Damit müsse es auch den Gemeinden über- lassen werden, auf welche Art und Weise sie diese verkehrspolizeili- chen Aufgaben gemäss PolG und PolD erfüllen möchten, zumal kei- ne gesetzliche Regelung ersichtlich sei, die den Handlungsspielraum der Gemeinden rechtmässig einschränke. Indem der Kanton die Be- willigung zur Nutzung der Signalanlage verweigere, schränke er den Handlungsspielraum der Gemeinde ein. Damit schreibe der Kanton den Gemeinden indirekt vor, wie sie ihre verkehrspolizeilichen Auf- gaben wahrnehmen müssten und greife in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinde ein. Die Einschränkung des Handlungsspielraums der Beschwerdeführerin stelle eine Verletzung der Gemeindeautonomie dar. Mit dieser Argumentation setzte sich die Vorinstanz nicht aus- einander. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, ist im Übrigen auch die pauschale Behauptung der Vorinstanz unzutreffend, wonach die Bestimmungen des Baugesetzes betreffend öffentliche Sachen dem § 4 Abs. 2 lit. c PolG offensichtlich vorgingen. 5. Zusammenfassend ist die Beschwerde gutzuheissen. Die Voraussetzungen für den Einsatz einer AVÜ sowie die Erteilung einer Bewilligung nach § 103 Abs. 2 BauG sind erfüllt, weshalb der Be- schwerdeführerin zu erlauben ist, die kantonale Infrastruktur für die Installation einer AVÜ auf der Kantonsstrasse K 117 beim Knoten Gstühl zu nutzen. Mit andern Worten sind die Signalträger für die Installation der Überwachungs- und Kontrollgeräte freizugeben, und der Zugang zum Steuergerät der Lichtsignalanlage zur Phasen- abnahme ist zu gewähren. Die Sache ist zur Erteilung einer entspre- chenden Bewilligung an das BVU zurückzuweisen. Das BVU wird zu entscheiden haben, ob dies in Form einer Erlaubnis oder einer Verleihung zu erfolgen hat (§ 104 bzw. § 105 BauG, § 59 BauV).
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2008 Submissionen 191 [...] 33 Einladungsverfahren; Beschwerdelegitimation. - In einem Einladungsverfahren ist die Vergabestelle berechtigt, nur Anbietende eines bestimmten Produkts einzuladen. Eine Unterak- kordantin, die das Produkt nicht anbietet, gehört nicht zu den po- tentiellen Anbietern und ist deshalb nicht befugt, den Inhalt der Sub- missionsunterlagen als diskriminierend anzufechten. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 25. November 2008 in Sachen E. GmbH gegen die Einwohnergemeinde Z. (WBE.2008.298). 2008 Verwaltungsgericht 192 Aus den Erwägungen 2. 2.1. 2.1.1. Verfügungen und Entscheide kann jedermann durch Beschwer- de anfechten, der ein schutzwürdiges eigenes Interesse geltend macht (§ 23 SubmD i.V.m. § 38 Abs. 1 VRPG). Der Rechtsschutz im öffentlichen Beschaffungswesen hat zum Zweck, dass die Anbie- tenden gegen vermutete Verletzungen von Submissionsvorschriften im Zusammenhang mit Beschaffungen, an denen sie ein Interesse haben oder gehabt haben, sollen Beschwerde führen können (AGVE 1998, S. 352). Zur Beschwerde legitimiert ist daher insbesondere ein Anbieter, dessen Offerte für den Zuschlag nicht berücksichtigt wurde oder der vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde. Unter Um- ständen können auch Dritte zur Beschwerdeführung legitimiert sein. Damit ihnen ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis zukommt, müssen sie durch die streitige Anordnung jedoch unmittelbar berührt sein und eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache haben. Dies ist z.B. dann nicht der Fall, wenn ein interessierter Dritter den Verga- beentscheid zugunsten eines Verfügungsadressaten anfechten will. Akzeptieren die am Verfahren beteiligten Konkurrenten die Vergabe an einen anderen Anbieter, so können Dritte - z.B. Arbeitnehmer oder Lieferanten als Vertragspartner der übergangenen Bewerber - kein eigenes Beschwerderecht haben (BGE vom 8. Juni 2001 [2P.42/2001], Erw. 2e/bb, in: Zentralblatt für Staats- und Verwal- tungsrecht [ZBl] 2002, S. 146 ff.; Peter Galli / André Moser / Elisabeth Lang / Evelyne Clerc, Praxis des öffentlichen Beschaf- fungsrechts, 1. Band, 2. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2007, Rz. 861). 2.1.2. Wird ein Auftrag freihändig oder im Einladungsverfahren ver- geben, so sind - wie bereits angetönt - auch nicht angefragte Dritte, d.h. alle möglichen Anbieter, insoweit zur Beschwerde legitimiert, 2008 Submissionen 193 als sie geltend machen, die Durchführung des vorgeschriebenen Ver- fahrens sei zu Unrecht unterblieben. Ein Anbieter ist in einem sol- chen Fall der unterlassenen Durchführung eines an sich vorge- schriebenen Vergabeverfahrens dann zur Beschwerdeführung legiti- miert, wenn er am Auftrag interessiert ist und dem Kreis der poten- tiellen Anbieter zugerechnet werden kann (BGE vom 2. März 2000 [2P.282/1999], Erw. 1b; vgl. auch AGVE 2003, S. 241 f. mit Hin- weisen). Bejaht hat das Verwaltungsgericht sodann die Legitimation einer Beschwerdeführerin, die offensichtlich zum Kreis der für eine Einladung in Frage kommenden Anbieter zählte und geltend machte, ihre Nichtberücksichtigung für das Einladungsverfahren stelle eine klare Diskriminierung dar (AGVE 2003, S. 241 f.). 2.2. 2.2.1. Gegenstand des vorliegenden Einladungsverfahrens, dessen Zu- lässigkeit als solches nicht in Frage gestellt ist, sind Baumeister- arbeiten im Zusammenhang mit Hochwasserschutzmassnahmen. Die Vergabestelle hat dafür acht Bauunternehmungen eingeladen. Bei der Beschwerdeführerin handelt sich nicht um eine Bauunternehmung. Sie stellt Betonartikel aller Art her, vertreibt solche und treibt ferner Handel mit diesen. Namentlich handelt sie mit Betonrohren, die sie unter dem Handelsnamen "A." vertreibt. Sie macht geltend, als Her- stellerin und Lieferantin von Betonrohren sei sie an der vorliegend angefochtenen Ausschreibung als potentielle Unterakkordantin inter- essiert. Durch den Ausschluss von Betonrohren der Marke "A." und die Vorschrift, es sei ausschliesslich das Konkurrenzprodukt "B." zu verwenden, sei sie in ihren schutzwürdigen Interessen unmittelbar betroffen. Werde ihr die Beschwerdebefugnis versagt, bedeute dies eine nach dem Willen des Gesetzgebers unzulässige "Diskriminie- rung zweiter Hand". Es dürfe nicht sein, dass die Vergabestelle den zu einer Submission eingeladenen Bauunternehmern vorschreibe, von welchem Lieferanten sie die Betonrohre zu beziehen hätten. Der Wille des Gesetzgebers bliebe aber toter Buchstabe, wenn jenen An- bietern von Rohren, die zu Unrecht als Lieferanten ausgeschlossen würden, keine Möglichkeit zur Beschwerde zustehen sollte. 2008 Verwaltungsgericht 194 2.2.2. Die Vergabebehörde ist der Auffassung, die Beschwerdelegiti- mation der Beschwerdeführerin sei zu verneinen, da die spezifische Nähe des Zulieferers zur Streitsache nicht gegeben sei. 2.2.3. Die Beschwerdeführerin ist weder Adressatin der Einladung noch kommt sie als Anbieterin für die zu vergebenden Baumeister- arbeiten in Betracht. Insofern kann sie aus der unter Erw. 2.1.2. hier- vor dargestellten Rechtsprechung, welche sich auf potentielle, d.h. für eine Einladung in Frage kommende Anbieter der nachgefragten Leistungen bezieht, nichts zu ihren Gunsten ableiten. Im Rahmen eines Einladungsverfahrens ist die Vergabestelle berechtigt, frei zu bestimmen, wen sie zur Einreichung eines Ange- bots auffordern will; sie muss, sofern möglich, mindestens drei An- gebote einholen (vgl. § 7 Abs. 3 SubmD; ferner AGVE 2003, S. 243 mit Hinweis). Einen Anspruch auf Teilnahme besitzt niemand unter den potentiellen Anbietenden. Die Vergabestelle ist auch nicht ver- pflichtet, die Gründe zu nennen, warum sie eine bestimmte Anbiete- rin eingeladen bzw. nicht eingeladen hat (vgl. Galli / Moser / Lang / Clerc, a.a.O., Rz. 205). Beim Einladungsverfahren wird immer nur eine sehr beschränkte Zahl der vorhandenen potentiellen und für den Auftrag in Frage kommenden Anbietenden berücksichtigt. Der Be- schränkung der Anzahl der Anbieter auf nur wenige ist gerade der Sinn und Zweck dieses Verfahrens, insofern ist eine "Ungleichbe- handlung" unvermeidbar (AGVE 2003, S. 243). Als Konsequenz der gegebenen Wahlfreiheit bezüglich der einzuladenden Anbietenden muss es der Vergabestelle grundsätzlich auch freistehen, in Bezug auf den zu beschaffenden Leistungsgegen- stand in einem wesentlich weitergehenden Ausmass einschränkende Vorgaben, z.B. bezüglich technischer Spezifikationen und zu ve- rwendender Produkte, zu machen als in einem Submissionsverfahren mit öffentlicher Ausschreibung, d.h. mit offenen Anbieterkreis. In einem offenen Verfahren sind genau definierte Produktevorgaben be- züglich Hersteller und Modell grundsätzlich nicht zulässig; sie ver- stossen gegen das Diskriminierungsverbot (vgl. dazu AGVE 1998, S. 402 ff.; Galli / Moser / Lang / Clerc, a.a.O., Rz. 244). Es soll hier 2008 Submissionen 195 ein möglichst offener Wettbewerb gewährleistet sein. Demgegenüber muss es in einem Einladungsverfahren zulässig sein, dass die Verga- bestelle sich vorab für ein bestimmtes Produkt, Fabrikat, System, eine bestimmte Marke oder eine bestimmte Ausführungsart entschei- det (dies jedenfalls in jenen Fällen, in denen dafür mehrere Anbieter auf dem Markt vorhanden sind) und - gestützt auf diesen Entscheid - hernach nur solche Unternehmen zur Submission einlädt, von denen sie weiss, dass sie diese Marke, dieses Produkt oder die gewählte Ausführungsart anbieten bzw. anzubieten gewillt sind. In diesem Sin- ne darf sie in den Submissionsunterlagen auch entsprechende Pro- duktevorgaben machen, ohne sich den Vorwürfen der Diskriminie- rung und Ungleichbehandlung auszusetzen. Einer Begründung bzw. einer Rechtfertigung dafür bedarf es genauso wenig wie für den Ent- scheid, welche Anbietenden für das Verfahren einzuladen sind. Mit anderen Worten ist es in einem Einladungsverfahren zulässig, wenn sich die Vergabestelle für das Produkt eines bestimmten Herstellers entscheidet und dafür dann verschiedene Anbieter dieses Produkts zur Offertstellung einlädt, um eine beschränkte Konkurrenzsituation zu schaffen. Die Vergabestelle hat zwar die Pflicht, die eingeladenen Anbieter gleich zu behandeln, ihnen einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten und Diskriminierungen zu vermeiden (ansonsten wäre das Schaffen einer beschränkten Konkurrenzsituation von vornherein sinn- und nutzlos); keine solche Pflicht besteht gegenüber nicht ein- geladenen Dritten. Zu den letzteren gehören sowohl Konkurrenz- unternehmen, die andere Produkte etc. anbieten als diejenigen, für deren Beschaffung sich die Vergabestelle entschieden hat, als auch allfällige Zulieferer und andere Subunternehmer. Bei diesen Dritten handelt es sich nicht um potentielle Anbieter oder potentielle Liefe- ranten derjenigen Produkte oder Leistungen, für deren Beschaffung sich die Vergabestelle im Rahmen des durchzuführenden Einladungs- verfahrens entschieden hat. Insofern fehlt es diesen Dritten im (zuläs- sigen) Einladungsverfahren von vornherein an der geforderten Beziehungsnähe zur Streitsache bzw. am unmittelbaren Betroffen- sein. 2008 Verwaltungsgericht 196 3. Zusammenfassend steht damit fest, dass die Beschwerde- führerin nicht zur Beschwerde legitimiert ist, da sie das Produkt, für deren Verwendung sich die Vergabestelle entschieden hat (was im Rahmen eines Einladungsverfahrens grundsätzlich möglich und keine unzulässige Diskriminierung von Anbietenden bedeutet), nicht herstellt und nicht anbietet. Damit gehört sie in Bezug auf das nach- gefragte Produkt - konkret Betonrohre der Marke B. - nicht zum Kreis der potentiellen Anbieter. Folglich fehlt es ihr für die An- fechtung des Einladungsverfahrens an der notwendigen beachtens- werten Beziehungsnähe zum Beschaffungsgegenstand, und sie ist als bestenfalls mittelbar Betroffene nicht befugt, den Inhalt der Sub- missionsunterlagen zu rügen. (...)
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2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 223 [...] 59 Wiederaufbau einer durch Brand zerstörten Baute ausserhalb der Bauzonen (§ 70 Abs. 2 BauG). - Die Fünfjahresfrist ist eine Verwirkungsfrist, die weder erstreckt noch unterbrochen werden kann (Erw. 3/c/dd). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 3. November 1999 in Sachen P. und W. gegen Regierungsrat. Aus den Erwägungen 3. c) dd) Im vorliegenden Falle sind seit der Zerstörung der Baute Ende 1988 und der Einreichung des Baugesuchs für die süd- ostseitigen Anbauten im September 1996 mehr als acht Jahre ver- gangen, weshalb die zeitliche Voraussetzung zur Geltendmachung des Wiederaufbaurechts nicht erfüllt ist. Die Beschwerdeführerin wendet hiegegen ein, bei der Fünfjahresfrist gemäss § 70 Abs. 2 BauG handle sich um eine Netto-Frist, d. h. der Fristenlauf werde durch die Einreichung eines Baugesuchs unterbrochen und verlän- gere sich - für den Fall der Nichtbewilligung - um die Behandlungs- dauer des Baugesuchs; würde während dieser Zeitspanne die grund- sätzliche Erlaubnis zum Wiederaufbau ablaufen, hätte es die Bewilli- 2000 Verwaltungsgericht 224 gungsbehörde in der Hand, nach Ablauf der Frist das Projekt abzu- lehnen und damit dem Bauherrn, weil die Frist abgelaufen sei, jede andere Baumöglichkeit zu nehmen. Die Beschwerdeführerin habe vorliegendenfalls mehrere Projekte geplant und entsprechende Ge- suche gestellt, die indessen allesamt abgelehnt worden seien. In der Tat hatte P., der frühere Eigentümer der Parzelle Nr. 2388, bereits anfangs Januar 1989 ein Baugesuch für den Wiederaufbau der zer- störten Büroräumlichkeiten eingereicht. Während sowohl die Bauge- suchszentrale als auch der Gemeinderat Villigen dem Wiederaufbau- gesuch zustimmten, hiess der Regierungsrat mit Entscheid vom 14. Oktober 1991 (RRB Nr. 2573) die gegen den Wiederaufbau gerichtete Beschwerde eines Nachbarn teilweise gut und bewilligte dem Beschwerdeführer lediglich den Wiederaufbau eines ,,Aufent- haltsraums mit WC" mit einer Grundfläche von 14 m 2 . Zur Begrün- dung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich aus der Besitz- standsgarantie - damals noch gemäss § 135 des Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 (aBauG) - kein Anspruch auf den Wiederaufbau der durch einen Brand zerstörten Baute herleiten lasse. Das Verbot, das abgebrannte Büro als Ganzes wiederaufzu- bauen, stelle für P. zudem auch keine unzumutbare Härte dar. Im gleichen Zuge forderte der Regierungsrat P. auf, für einen ohne Be- willigung errichteten Zwischenboden ein Baugesuch einzureichen, und weiter ordnete er die Beseitigung eines ebenfalls ohne Be- willigung aufgestellten Bürocontainers an. Anfang 1992 reichte P. dem Gemeinderat dann ein Baugesuch für den Zwischenboden und auch das Aufstellen des Bürocontainers ein. Der Zwischenboden wurde - im Sinne von Unterhalt und zeitgemässer Erneuerung - teil- weise (zu rund zwei Dritteln) bewilligt; die Bewilligung für den Bürocontainer wurde dagegen nicht erteilt. Die gegen die Nicht- erteilung der Bewilligung erhobenen Beschwerden wies der Regie- rungsrat mit Entscheid vom 24. November 1993 (RRB Nr. 2821) ab. Das hiegegen angerufene Verwaltungsgericht stellte mit Entscheid vom 14. Dezember 1994 fest, der noch streitige Teil des Zwischen- 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 225 bodens sei nicht bewilligungsfähig, und wies die Verwaltungsge- richtsbeschwerde diesbezüglich ab. Soweit die Beschwerde die Be- willigung des Bürocontainers zum Gegenstand hatte, wurde sie mit Schreiben vom 22. November 1994, d. h. während des verwaltungs- gerichtlichen Verfahrens, zurückgezogen. Zu prüfen ist im Folgenden die Rechtsnatur der Fünfjahresfrist von § 70 Abs. 2 BauG, nach deren Ablauf das Wiederaufbaurecht erlischt. In Rechtsprechung und Lehre werden dabei zwei Typen des Erlöschens eines Rechts wegen Zeitablaufs unterschieden: die Ver- wirkung und die Verjährung. Bei der Verwirkung geht ein Recht un- ter, wenn der Berechtigte eine Handlung, die er nach Gesetz innert einer bestimmten Frist zu vollziehen hat, unterlässt; Verwirkungsfris- ten können nicht gehemmt, unterbrochen, wiederhergestellt oder er- streckt werden. Die Verjährung öffentlichrechtlicher Ansprüche be- deutet zwar ebenfalls deren Erlöschen bzw. Untergang durch Zeitab- lauf, doch kann der Lauf einer Verjährungsfrist durch Handlungen des Anspruchsberechtigten unterbrochen oder gehemmt werden (Ulrich Häfelin / Georg Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwal- tungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, Rz. 627 ff. und 640 f.; René A. Rhinow / Beat Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtspre- chung, Ergänzungsband, Basel und Frankfurt a.M. 1990, Nr. 34 B VII mit Hinweisen). Ob es sich bei einer gesetzlichen Frist um eine Verjährungs- oder eine Verwirkungsfrist handelt, muss im Einzelfall geprüft werden. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, welche Vor- kehren nach dem Gesetz geeignet sind, die Folgen des Fristablaufs zu vermeiden. Schliesst das Gesetz ausdrücklich oder stillschwei- gend Unterbrechungshandlungen aus, ist auf eine Verwirkungsfrist zu schliessen (Max Imboden / René A. Rhinow, Schweizerische Ver- waltungsrechtsprechung, Band I, 6. Auflage, Basel und Frankfurt a. M. 1986, Nr. 34 B VII). Gemäss § 70 Abs. 2 BauG ist zur Wahrung der Fünfjahresfrist die Einreichung des Wiederaufbaugesuchs erforderlich. Wird das Ge- such bewilligt, ist der Wiederaufbau zulässig. Wird das Gesuch 2000 Verwaltungsgericht 226 formell rechtskräftig abgewiesen, kann der Eigentümer jedenfalls dann ohne weiteres ein neues Baubewilligungsgesuch stellen, wenn die Fünfjahresfrist seit der Zerstörung noch nicht abgelaufen ist. § 70 Abs. 2 BauG enthält aber keinen Hinweis darauf, dass durch die Ein- reichung des Baugesuchs der Fristenlauf als solcher unterbrochen, d. h. entweder neu zu laufen beginnen oder um die Dauer des hängigen Bewilligungsverfahrens verlängert würde. Anders ist die gesetzliche Regelung beispielsweise im Gebäudeversicherungsrecht, wo sich die Problematik des Wiederaufbaus unfreiwillig zerstörter Bauten eben- falls stellt. § 54 GebVG (in der Fassung vom 18. Juni 1996) regelt die Wiederherstellungsfrist im Zusammenhang mit der Entschädi- gung in Schadensfällen. So erfolgt für ein total beschädigtes Ge- bäude die Entschädigung zum Neuwert (§ 39 Abs. 1 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 GebVG) grundsätzlich nur, wenn das Gebäude inner- halb von drei Jahren am gleichen Standort wieder aufgebaut wird; ansonsten entspricht die Entschädigung dem Zeitwert zur Zeit des Schadeneintritts (§ 54 Abs. 1 GebVG). Beim Vorliegen wichtiger Gründe kann die Frist zur Wiederherstellung angemessen erstreckt werden (§ 54 Abs. 2 GebVG). Anders als das Baugesetz regelt das Gebäudeversicherungsgesetz die Möglichkeit zur Fristerstreckung also ausdrücklich. Der fehlende Hinweis auf mögliche Unterbre- chungshandlungen in § 70 Abs. 2 BauG deutet demgegenüber darauf hin, dass es sich hier um eine nicht unterbrech- bzw. erstreckbare Verwirkungsfrist handelt. Langfristiges Ziel der Zonenordnung ist es, dass die durch den Fortbestand zonenfremder Bauten erfolgte Durchbrechung der plane- rischen Ordnung irgendwann beseitigt und der rechtmässige Zustand hergestellt wird (vgl. AGVE 1996, S. 338). Vor diesem Hintergrund haben die sich aus der Besitzstandsgarantie ergebenden Unterhalts-, Änderungs-, Erweiterungs- oder Wiederaufbauansprüche des Eigen- tümers einer zonenwidrigen Baute gemäss den §§ 69-71 BauG letzt- lich Ausnahmecharakter. Das frühere Baugesetz kannte bei unfrei- willig zerstörten zonenwidrigen Bauten wie erwähnt kein ,,Recht der 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 227 alten Baustelle", während Art. 24 Abs. 2 RPG den Wiederaufbau von Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen gestattet, wenn dies mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar ist. Der kantonale Gesetzgeber wollte - in Ausschöpfung des vom Bundes- recht vorgegeben Spielraums (Spezialkommission Baugesetzrevi- sion, Protokoll der 16. Sitzung vom 19. Februar 1991 [im Folgenden: Protokoll Spezialkommission], S. 219 [Voten Rohr und Kocher]) - den Wiederaufbau plan- und vorschriftswidriger Altbauten unter be- stimmten Voraussetzungen gestatten; die Rechtswidrigkeit der zer- störten Baute sollte aber durch den Wiederaufbau nicht noch ver- grössert, sondern eher verringert werden (Botschaft des Regierungs- rats an den Grossen Rat zur Baugesetzrevision vom 21. Mai 1990, S. 35). Der Gesetzesentwurf vom 21. Mai 1990 sah zwischen Zerstö- rung der Baute und Baugesuch eine dreijährige Frist vor. In der Kommission wurde an einer zeitlichen Limitierung des Wiederauf- bauanspruchs bewusst festgehalten, ,,damit noch von einem Wieder- aufbau gesprochen werden kann" (Protokoll Spezialkommission, S. 221 [Votum Regierungsrat Siegrist]), jedoch wurde ein Antrag, die Frist sei von drei auf fünf Jahre zu verlängern, von der Kommis- sionsmehrheit deutlich gutgeheissen. Die dreijährige Frist wurde als knapp erachtet, falls sich planungs- und eigentumsrechtliche Pro- bleme stellten (Protokoll Spezialkommission, S. 222 [Votum Würg- ler]). Zur Frage der Unterbrechung der Frist äussern sich die Mate- rialien nicht. Auch dies weist darauf hin, dass der Gesetzgeber davon ausging, es handle sich um eine Verwirkungsfrist. Hätte er eine Unterbrechung der Frist zulassen wollen, hätte er sich im Zusam- menhang mit der Diskussion um die Dauer naheliegenderweise auch mit den diesbezüglichen Voraussetzungen auseinandersetzen müssen. Festzuhalten bleibt schliesslich, dass es sich bei der Fünfjahres- frist um eine durchaus grosszügig bemessene Zeitspanne handelt. Der Eigentümer der von einem Elementarereignis betroffenen Baute hat fünf Jahre Zeit, ein Baugesuch einzureichen. Der Wiederaufbau einer unfreiwillig zerstörten, bis zur Zerstörung benutzten Baute wird 2000 Verwaltungsgericht 228 aber in aller Regel möglichst rasch angestrebt werden, weil der Eigentümer auf einen Ersatzbau angewiesen ist. Ein allfälliges Ein- sprache- und Beschwerdeverfahren und dessen Dauer vermögen ihm grundsätzlich nicht zu schaden, ist doch die Frist bereits mit der Ein- reichung des Baugesuchs gewahrt. Stellt der Eigentümer sein Bau- bewilligungsgesuch bald nach dem Schadensereignis, wird er norma- lerweise selbst dann in der Lage sein, nach rechtskräftiger Abwei- sung des Gesuchs ein neues Gesuch innert der Fünfjahresfrist von § 70 Abs. 2 BauG einzureichen, wenn das erste Gesuch den ganzen Rechtsmittelweg mit den entsprechenden Verfahrensdauern durch- laufen hat. Unter diesen Gesichtspunkten erweist sich auch die Argu- mentation der Beschwerdeführerin, die der Baubewilligungsbehörde unterstellt, sie habe es in der Hand, durch Verfahrensverzögerung den Untergang des Wiederaufbaurechts herbeizuführen, als wenig stichhaltig. Die gesamthafte Würdigung von Wortlaut, Entstehungsge- schichte sowie Sinn und Zweck von § 70 Abs. 2 BauG führt somit zum Schluss, dass es sich bei der Fünfjahresfrist um eine Verwir- kungsfrist handelt, die weder erstreckt noch unterbrochen werden kann; mit dem Ablauf von fünf Jahren seit der Zerstörung der Baute erlischt also der Wiederaufbauanspruch. Daraus wiederum folgt für den vorliegenden Fall, dass der Regierungsrat zu Recht die zeitliche Voraussetzung zur Geltendmachung des Wiederaufbaurechts als nicht erfüllt erachtet hat. Das hier zu beurteilende Baugesuch datiert vom 17. September 1996, während sich der Brandfall Ende 1988 zu- getragen hat. Die Fünfjahresfrist ist somit klar nicht gewahrt. Daran vermögen die verschiedenen Baugesuche für den Wiederaufbau des Büroanbaus oder zumindest für eine Ersatzlösung, die der Beschwer- deführer unmittelbar nach dem Brand und dann auch später einge- reicht hat, nichts zu ändern. Für den Fristenlauf gemäss § 70 Abs. 2 BauG sind sie unbeachtlich; sie können ihn nicht unterbrechen. Für die Fristwahrung relevant ist einzig das erwähnte Baugesuch vom 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 229 17. September 1996, das erst rund acht Jahre nach dem Brandfall eingereicht wurde.
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2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 165 28 Nutzungsplanung; Besitzstandsgarantie - Die kantonale Besitzstandsgarantie nach § 68 BauG ist im Verhältnis zur kommunalen Nutzungsplanung abschliessend. - Eine Erweiterung durch kommunale Nutzungs- oder Ausnahmebe- stimmungen ist nicht zulässig. - Präzisierung der Rechtsprechung Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. Mai 2014 in Sachen A. AG gegen Regierungsrat und Einwohnergemeinde B. (WBE.2011.301). Aus den Erwägungen 2.2. Zentrales Anliegen der Revision der Bau- und Nutzungsord- nung der Gemeinde B. war die Anpassung der überdimensionierten Dorfzone in eine kleinere Zentrumszone und die Schaffung neuer Wohn- und Arbeitszonen. Den Wohn- und Arbeitszonen WA 2 und WA 3 wurden diejenigen Gebiete zugeteilt, welche sich aufgrund ihrer Lage und des ortsbaulichen Zusammenhangs gut für eine ge- mischte Nutzung eignen und meistens über einen gewissen Anteil Gewerbe- und Dienstleistungsflächen bereits verfügten. Die Zuweisungen aus der früheren Dorfzone in die Zonen WA 2 und WA 3 führten dazu, dass verschiedene bestehende Betriebsge- bäude - auch jene der Beschwerdeführerin - nach den neuen Zonen- 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 166 vorschriften für die Zonen WA 2 und WA 3 (§ 7 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 BNO) nicht mehr zonenkonform sind. In diesen Zonen gelten neue Nutzungsvorschriften, insbesondere strengere Massvorschrif- ten. Im Rahmen des Einsprache- bzw. Einwendungsverfahrens wur- den eine Ergänzung der Bau- und Nutzungsordnung ausgearbeitet und Absatz 3 zu § 10 BNO eingefügt. Ziel der Ergänzung ist die Ver- meidung einer "Versteinerung" des Status quo aufgrund der Besitz- standsgarantie. Es sollen den Betroffenen Anreize gesetzt werden, "überdimensionierte" zonenwidrige Gebäude im Hinblick auf eine gesamthaft bessere Lösung zu verändern. Mit der neuen Bestimmung sollen die baulichen Möglichkeiten über das Mass der kantonalen Besitzstandsgarantie ausgeweitet werden. Diese Regelung soll insge- samt die Probleme bei der Erweiterung oder Veränderung altrechtli- cher Bauten entschärfen, weil damit die baulichen Möglichkeiten über die Besitzstandsgarantie hinaus erweitert werden. Die Entstehung der umstrittenen Regelung und die Planungsab- sicht zeigen, dass § 10 Abs. 3 BNO die kantonale Besitzstandsgaran- tie in einzelnen Punkten erweitern will. Die Parteien sind auch über- einstimmend der Auffassung, dass sich der Normgehalt der Bestim- mung in dieser Erweiterung erschöpft. 3. 3.1. Nutzungspläne sind für jedermann verbindlich (Art. 21 Abs. 1 RPG); die Verbindlichkeit wird durch das Baubewilligungsverfahren gewährleistet (Art. 22 Abs. 2 RPG). Ausnahmen von der Zonenkon- formität innerhalb der Bauzonen erfordern eine Grundlage im kanto- nalen Gesetz (Art. 23 RPG). Letztere Bestimmung ist eine Verwei- sungsnorm und hat lediglich deklaratorische Bedeutung. Für die Ge- währung von Ausnahmen von dieser Zonenkonformität wird von der Lehre eine eigentliche Ausnahmesituation verlangt und die Aus- nahmebewilligung ist an relativ strikte Voraussetzungen zu knüpfen (B ERNHARD W ALDMANN /P ETER H ÄNNI , Handkommentar RPG, Bern 2006, Art. 23 N 3 mit Hinweisen). 2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 167 3.2. Das kantonale Recht regelt die Voraussetzungen für die Ausnah- men in § 67 BauG und § 67a BauG. Letztere Bestimmung erleichtert Ausnahmebewilligungen im Unterabstand von Strassen und ist hier nicht einschlägig. § 67 Abs. 1 BauG erlaubt eine Ausnahmebewilli- gung von den kommunalen Nutzungsplänen und damit unter ande- rem auch vom Erfordernis der Zonenkonformität innerhalb der Bauzone. Eine Ausnahmebewilligung erfordert nicht nur eine Interessenabwägung, sondern setzt kumulativ das Vorliegen ausseror- dentlicher Verhältnisse und einer unzumutbaren Härte voraus (vgl. dazu AGVE 2006, S. 159, Erw. 2.4; A NDREAS B AUMANN , Kommen- tar zum Baugesetz des Kantons Aargau [Kommentar BauG], Bern 2013, § 67 N 1 ff.). Die Ausnahmebestimmungen regeln die Rechtsanwendung im Baubewilligungsverfahren und sind daher für das Planfestsetzungs- verfahren nicht einschlägig. 3.3. Gemäss § 68 BauG dürfen rechtmässig erstellte Bauten und Anlagen, die den geltenden Plänen oder Vorschriften widersprechen, unterhalten und zeitgemäss erneuert werden, wobei die Nutzungsord- nung für bestimmte Schutzzonen die zeitgemässe Erneuerung ein- schränken oder verbieten kann (Abs. 1 lit. a). Sie dürfen angemessen erweitert, umgebaut oder in ihrem Zweck geändert werden, wenn dadurch ihre Rechtswidrigkeit nicht wesentlich verstärkt wird und keine besonderen Nutzungsvorschriften entgegenstehen (Abs. 1 lit. b). Schliesslich erlaubt § 68 Abs. 1 lit. c BauG den Wiederaufbau von zonenwidrigen Bauten und Anlagen bei Zerstörung durch Brand oder andere Katastrophen, wenn an ihrer Nutzung ein ununterbroche- nes Interesse besteht und keine überwiegenden Anliegen der Raum- entwicklung entgegenstehen. Dieser Wiederaufbau wird vom Gesetz zugelassen, wenn die zerstörte Baute oder Anlage hinsichtlich Art, Umfang und Lage beibehalten wird. Eine Änderung ist dann zuläs- sig, wenn damit der bisherige Zustand verbessert wird. Die Besitzstandsgarantie bezweckt den Schutz berechtigten Ver- trauens in eine ursprünglich rechtmässige Nutzung, die im Laufe der 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 168 Zeit durch Rechtsänderung rechtswidrig geworden ist (vgl. AGVE 1986, S. 301). Die Besitzstandsgarantie ermächtigt nicht dazu, anstelle der al- ten, freiwillig beseitigten eine neue, dem geltenden Recht erneut widersprechende Baute zu errichten; im Aargau gibt es kein Wieder- aufbaurecht (vgl. AGVE 1983, S. 178). Der Wiederaufbau rechts- widriger Bauten ist ausschliesslich für den Fall der Zerstörung durch Brand und andere Katastrophen gestattet (§ 68 Abs. 1 lit. c BauG; vgl. auch V ERENA S OMMERHALDER F ORESTIER , Kommentar BauG, § 68 N 25 f.; AGVE 2000, S. 253). Für verfallene, technisch abbruchreife Bauten besteht demnach keine Besitzstandsgarantie (E RICH Z IMMERLIN , Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aar- gau, 2. Auflage, Aarau 1985, § 224 N 4d). Vorkehrungen, durch die praktisch ein Neubau anstelle des bestehenden Baus gesetzt wird, sind ebenfalls nicht erlaubt (vgl. AGVE 1992, S. 354; VGE III/25 vom 17. April 2013 [WBE.2012.68], Erw. II/4.2). Der Anwendungsbereich der Besitzstandsgarantie gemäss § 68 BauG liegt im Baubewilligungsverfahren. 3.4. 3.4.1. Für die Zone WA 3 gelten gemäss § 7 BNO folgende Nutzungs- und Bauvorschriften: (...) Nach dem Wortlaut entbindet die Ausnahmebestimmung in § 10 Abs. 3 BNO nur von der Einhaltung der Nutzungsvorschriften in § 7 Abs. 1 BNO. Unberührt von der Ausnahmebestimmung bleiben die Bauvorschriften zu den Zonen WA 2 und WA 3 in den §§ 10 Abs. 1 BNO (Nutzungsart), 10 Abs. 2 BNO (Grenzabstand von 4 m für eingeschossige Gewerbebauten bis zu einer Gebäudehöhe von 4 m und einer Firsthöhe von 6 m) sowie die Grenzabstandsvorschriften in § 35 BNO. 3.4.2. (...) 3.4.3. Die Ausnahmebestimmung von § 10 Abs. 3 BNO bezieht sich nach Auffassung der Behörde primär auf die Gebäudelänge. Welche Auswirkungen die Erweiterung der Besitzstandgarantie mit Bezug auf die übrigen Bauvorschriften in der Zone WA 3 hat, konnte auch 2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 169 an der Augenscheinverhandlung nicht restlos geklärt werden. So blieben die zulässigen Abweichungen von der Ausnützungsziffer und bezüglich der Höhenvorschriften (§ 7 Abs. 1, § 10 Abs. 2 BNO) un- klar. Die Vertreter der Gemeinde hielten dafür, dass in dieser Bezie- hung keine quantitativen Beschränkungen bestehen. Grundsätzlich begründe auch die 25 %-Regel der Rechtsprechung zur Besitz- standsgarantie keine bestimmte Grenze. Bei Zweckänderungen seien die (bundesrechtlichen) Bestimmungen zum Immissionsschutz rele- vant und beim Zonenzweck (§ 10 Abs. 1 BNO) bestimme sich die Besitzstandsgarantie ausschliesslich nach § 68 Abs. 1 lit. a BauG. Massgebend sei allein die Frage, ob der aktuelle Betrieb der Beschwerdeführerin als mässig störender Gewerbebetrieb zu qualifi- zieren ist. Zwar bestimmt Alinea 3 von § 10 Abs. 3 BNO, dass neue Rechtswidrigkeiten nicht zulässig sind, indessen muss aufgrund der erklärten Intentionen der Gemeinde und der Auffassung der Vorin- stanz davon ausgegangen werden, dass "besitzstandsgeschützte" Ausnahmen über die kantonalen Grenzen hinaus im Baubewil- ligungsverfahren gewährt werden können. Massgebendes Kriterium bleibt nach Auffassung der Behörden einzig die "gesamthaft bessere Lösung, namentlich in architektonischer Hinsicht und bezüglich Ortsbild sowie nachbarschaftlicher Interessen". Am Beispiel der Ge- bäudelänge illustriert, könnte das Betriebsgebäude auf Parzelle 460 über die Parzellen 460 und 1832 bzw. 2212 und 2966 auf über 130 m hinaus erweitert werden, sofern dies zu einer gesamthaft besseren Lösung führen würde. Das bestehende Betriebsgebäude der Beschwerdeführerin auf Parzelle 461 weist aktuell eine Länge von rund 80 m auf. Allseits anerkannt ist, dass von den Grenzabstandsbestimmun- gen in § 35 BNO auch gemäss § 10 Abs. 3 BNO nicht abgewichen werden kann. § 10 Abs. 3 BNO will in Alinea 1 für Betriebsgebäude, die ge- gen § 7 Abs. 1 BNO verstossen, über die Besitzstandsgarantie ge- mäss § 68 Abs. 1 lit. b BauG hinaus, angemessene Erweiterungen und Umbauten sowie Zweckänderungen unabhängig von einer all- fälligen Verstärkung der Rechtswidrigkeit zulassen, sofern die Verän- 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 170 derungen zu einer gesamthaft besseren Lösung - namentlich in archi- tektonischer Hinsicht und bezüglich Ortsbild sowie nachbarschaftli- cher Interessen - führen. Alinea 2 dieser BNO-Bestimmung erlaubt unter der Voraussetzung der gesamthaft besseren und zumutbaren Lösung und unter dem Vorbehalt allfällig notwendiger kantonaler Zustimmungen den Wiederaufbau am bestehenden Standort auch mit einer anderen Volumenverteilung. Die Bestimmung in Alinea 3 schliesst "neue Rechtswidrigkeiten" aus. Der materielle Gehalt dieses Verbots und sein Verhältnis zur Verstärkung der Rechtswidrigkeit ge- mäss § 68 BauG bei den Erweiterungen und beim Wiederaufbau eines Betriebsgebäudes sind nicht klar. 3.4.4. Bestehende Bauten, die bei ihrer Vollendung formell und mate- riell rechtmässig waren, stellen grundsätzlich einen abgeschlossenen verwaltungsrechtlichen Tatbestand dar (Z IMMERLIN , a.a.O., § 224 N 4a). Die Besitzstandsgarantie gemäss § 68 BauG schützt den Eigentümer rechtmässig erstellter Bauten und Anlagen (sog. "altrechtliche Bauten"), wenn sie neuen Vorschriften und Plänen nicht mehr entsprechen (BGE 113 Ia 119, Erw. 2a; 109 Ib 116, Erw. 4; T HIERRY T ANQUEREL , in: H EINZ A EMISEGGER /P IERRE M OOR /A LEXANDER R UCH /P IERRE T SCHANNEN [Hrsg.], Kommentar RPG, Zürich 2010, Art. 21 N 54 f.). Die Besitzstandsgarantie schützt nicht eine vorbestehende Nutzung an sich, auch nicht eine gewerbli- che industrielle Nutzung, sondern die (vor-) bestehenden Investitio- nen in Bauten und Anlagen (vgl. BVR 2001, S. 125, Erw. 3). Die Besitzstandsgarantie (§ 68 BauG) erlaubt den (baulichen) Unterhalt und die zeitgemässe Erneuerung von rechtmässig erstellten Bauten und Anlagen, die den geltenden Plänen oder Vorschriften wi- dersprechen. Solche Bauten dürfen ausserdem angemessen erweitert, umgebaut oder in ihrem Zweck geändert werden, wenn dadurch ihre Rechtswidrigkeit nicht wesentlich verstärkt wird und keine besonde- ren Nutzungsvorschriften entgegenstehen (§ 68 Abs. 1 lit. a und b BauG). Die kantonale Besitzstandsgarantie schützt das berechtigte Vertrauen in eine ursprünglich rechtmässige bauliche Nutzung, die im Laufe der Zeit infolge einer Rechtsänderung rechtswidrig gewor- den ist (vgl. VGE III/32 vom 25. Mai 2010 [WBE.2009.293], S. 6; 2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 171 III/88 vom 18. November 2009 [WBE.2008.363], S. 7 f.; III/77 vom 15. September 2003 [BE.2003.00040], S. 12; III/73 vom 30. Mai 2000 [BE.1998.00317], S. 10; vgl. zum alten Recht AGVE 1990, S. 278 f.; 1986, S. 301; Z IMMERLIN , a.a.O., § 224 N 4a). Sinn und Zweck der Besitzstandsgarantie liegen somit darin, zwischen dem (privaten) Interesse am Schutz der im Vertrauen auf die Kontinuität der bisherigen Rechtsordnung getätigten Investitio- nen (Perpetuierung) und dem (öffentlichen) Interesse an der mög- lichst freien politisch-planerischen Gestaltung und baldigen Verwirklichung des neuen Rechts einen angemessenen Ausgleich zu finden (vgl. AGVE 1983, S. 178 f.). Einerseits soll dem Eigentümer die Weiternutzung im bisherigen Rahmen garantiert werden. Andererseits will der Gesetzgeber aber den faktischen Zustand mit der geltenden Rechtslage zur Deckung bringen. Das (Anpassungs-) Ziel soll (indirekt) dadurch erreicht werden, dass dem Eigentümer der normwidrigen Baute bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten entzo- gen werden und insoweit die Baute für ihn uninteressant gemacht wird (AGVE 1996, S. 336; 1994, S. 419; 1989, S. 237). Die Wirkung der Besitzstandsgarantie besteht vor allem darin, dass der durch sie geschützten Altbaute der Weiterbestand in ihrer derzeitigen inneren und äusseren Gestaltung und mit ihrer bisherigen Zweckbestimmung gewährleistet ist, und zwar grundsätzlich ebenso lange wie bei einer baurechtskonformen Baute. Bauliche Änderun- gen, nicht aber Erweiterungen, sind in den positiv-rechtlichen Gren- zen statthaft (Urteil des Bundesgerichts vom 9. Dezember 2010 [1C_258/2010], Erw. 2.7; Z IMMERLIN , a.a.O., § 224 N 5a). Die Be- sitzstandgarantie ist damit eine Konkretisierung der Eigentumsgaran- tie (Art. 26 BV). Die Eigentumsgarantie schützt als Bestandesgaran- tie nur die rechtmässige Ausübung des Privateigentums. Sie gewähr- leistet das Eigentum innerhalb der Schranken, die ihm im öffentli- chen Interesse durch die Rechtsordnung gezogen sind. Zu beachten sind namentlich die Anforderungen der Raumplanung (BGE 117 Ib 243, Erw. 3a mit Hinweisen). Die Baufreiheit und damit auch das Recht zur Erweiterung oder zum Ersatz einer Baute bestehen daher nur innerhalb der Vorschriften, die der Gesetzgeber über die Nutzung des Grundeigentums erlassen hat (Urteil des Bundesgerichts vom 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 172 7. Juni 2005 [1A.289/2004], Erw. 2.1.1 mit Hinweis; vom 24. Februar 2012 [1C_388/2011], Erw. 3 zu VGE III/37 vom 4. Juli 2011 [WBE.2008.37]). 3.5. Die kantonalen Bestimmungen über die Besitzstandsgarantie sind im Verhältnis zu den Gemeinden abschliessend (AGVE 2000, S. 250, Erw. 2c mit Hinweisen; 1986, S. 243, Erw. 3b; 1983, S. 174, Erw. 3 mit Hinweisen auf unveröffentlichte Entscheide). Sie erlauben den Gemeinden eine Einschränkung oder ein Verbot der zeitgemäs- sen Erneuerung in Schutzzonen. Die kommunalen Nutzungsvor- schriften können auch einer Erweiterung, einem Umbau oder einer Zweckänderung nur entgegenstehen. § 68 Abs. 1 BauG sieht keine Ausweitung des Schutzes von Bauten, die durch eine Rechtsände- rung vorschriftswidrig geworden, durch die Gemeinden vor. In den AGVE 2009, S. 182 (Erw. 4.3.3), 2000, S. 250 und 1986, S. 248 wurde dieser Grundsatz mit Bezug auf die konkrete Nutzungsordnung relativiert. Die kantonale Besitzstandsgarantie be- ziehe sich bloss auf die allgemeine, unabhängig von der zonenmässi- gen Differenzierung geltende Ordnung. Die Befugnis der Gemein- den, in einzelnen Zonen Vorschriften für den Neubau und für beste- hende Bauten zu erlassen, ändert an der abschliessenden kantonalen Kompetenz nichts. Im Einzelnen ergibt sich Folgendes: - In den publizierten Entscheiden wurde auf die unter dem früheren Bauge- setz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 (aBauG) geltende Bestim- mung in § 130 Abs. 2 aBauG verwiesen, wonach die Gemeinden für Alt- stadtgebiete und alte Dorfkerne zusätzliche Vorschriften zur Erhaltung des Bestandes aufstellen können (vgl. dazu auch Z IMMERLIN , a.a.O., §§ 130 bis 133 N 2). Diese Regelung fehlt im neuen Baugesetz. Sie wurde entge- gen der Auffassung der Gemeinde auch nicht durch § 40 Abs. 1 BauG oder § 13 Abs. 2 bis BauG ersetzt. Diese beiden Bestimmungen befassen sich mit Vorgaben für die Nutzungsplanung: § 40 Abs. 1 BauG hinsichtlich des Ortsbildschutzes und § 13 Abs. 2 bis BauG mit Bezug auf die Siedlungsqualität und Siedlungsentwicklung. Diese Planungsvorschriften bilden aber keine gesetzliche Grundlage, um die kantonale Besitzstandsga- rantie in der kommunalen Nutzungsordnung zu ergänzen oder auszuwei- ten. 2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 173 - Schon der Wortlaut von § 68 Abs. 1 lit. a BauG schliesst eine kommunale Erweiterung der Besitzstandsgarantie aus: Nur die Einschränkung oder ein Verbot in kommunalen Nutzungsordnungen für bestimmte Schutzzonen ist vorgesehen. Auch § 68 Abs. 1 lit. b BauG erlaubt die angemessene Erweiterung und den Umbau oder die Zweckänderung bestehender Bauten und Anlagen nur dann, wenn solchen Vorhaben keine besonderen kommu- nalen Nutzungsvorschriften entgegenstehen. - § 40 Abs. 1 BauG enthält klarerweise einen Auftrag, die Ortsbilder mit Massnahmen der Nutzungsplanung zu schützen (vgl. BGE 135 II 209; AGVE 2013, S. 173; E RICA H ÄUPTLI -S CHWALLER , Kommentar BauG, § 40 N 81). § 13 Abs. 2 bis BauG betrifft ebenfalls die Planungspflicht in der kommunalen Raumentwicklung. Planungsvorschriften über die zulässige Zonennutzung haben zwar Auswirkungen auf den Inhalt und den Umfang der kantonalen Besitzstandsgarantie, da sie die Zonenkonformität umschreiben. Das bedeutet aber umgekehrt nicht, dass § 40 BauG eine ge- setzliche Grundlage ist, welche den Gemeinden erlaubt, die kantonale Besitzstandsregelung auszudehnen. - Die erwähnten Urteile und weitere Entscheide des Verwaltungsgerichts zur Besitzstandsgarantie ergingen in Baubewilligungsverfahren und betra- fen die Zonenkonformität industrieller und gewerblicher (Alt-) Bauten in Kern- und Dorfzonen (vgl. auch VGE III/88 vom 18. November 2009 [WBE.2008.363], Erw. II/4.3; III/59 vom 31. August 2006 [WBE.2005.59], Erw. II/5.4.2). Diese Rechtsprechung gewährt im Rah- men der kantonalen Besitzstandsgarantie einzelnen Bauten eine Sonder- stellung im Hinblick auf eine Erhaltung von Industrie- und Gewerbebetrie- ben. Eine Erweiterung der besitzstandsgeschützten Bauten ist bei einem überwiegenden öffentlichen Interesse und unter restriktiven Voraussetzun- gen möglich, soweit keine Verstärkung der Rechtswidrigkeit vorliegt (vgl. AGVE 2009, S. 182, Erw. 4.3.4). Die Zonenkonformität muss auf der Grundlage der kommunalen Zonen- und Bauvorschriften geprüft werden. Der Umkehrschluss, dass die Gemeinden in ihrer Nutzungsordnung die kantonale Besitzstandsgarantie erweitern können, ist demgegenüber unzulässig. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus der von den Be- schwerdegegnern angeführten Literatur. W ALTER H ALLER und P ETER K ARLEN beziehen sich auf die zürcherische Regelung, wonach in Kernzo- nen der Umbau und Ersatz baurechtswidriger Bauten planungsrechtlich 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 174 abweichend geregelt werden können (W ALTER H ALLER /P ETER K ARLEN , Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 820; vgl. dazu auch R UDOLF K APPELER , Die baurechtliche Regelung bestehen- der Gebäude, Zürich 2001, Rz. 643 und hinten Erw. 3.6). Die Grundsätze der Besitzstandsgarantie sind von den Pla- nungskompetenzen der Gemeinde zu unterscheiden. Eine kommu- nale Kompetenz zur ergänzenden Rechtsetzung zu § 68 BauG kann aus der Rechtsprechung zur Dynamisierung der Besitzstandsgarantie für gewerbliche und industrielle Bauten nicht abgeleitet werden (a.A. S OMMERHALDER F ORESTIER , Kommentar BauG, § 68 N 8 ff. und N 40). Ohnehin kann die Rechtsprechung den Gemeinden keine Ge- setzgebungskompetenzen übertragen. 3.6. Im Baugesetz fehlt eine Kompetenz- oder Delegationsnorm, welche den Gemeinden erlauben würde, die kantonale Besitz- standsgarantie zu erweitern. § 164a BauG erlaubt dem Regierungsrat, Ausführungsvorschriften zum kantonalen Baugesetz zu erlassen. Nach § 68 BauG besteht - wie erwähnt (vgl. vorne Erw. 3.5) - nur die Möglichkeit, in der Nutzungsordnung den Anwendungsbereich der kantonalen Besitzstandsgarantie einzuschränken. Das Baubewilligungsverfahren dient der Abklärung und Prü- fung, ob Bauvorhaben den Ordnungsvorschriften der Nutzungspla- nung und -ordnung entsprechen. Es hat die einzelfallweise Planver- wirklichung zum Gegenstand (BGE 116 Ib 50, Erw. 3a), ist aber nicht geeignet, selbständige Planungsentscheide hervorzubringen. Das Baubewilligungsverfahren verfügt weder über das erforderliche Instrumentarium noch die demokratische Legitimität, einen Nutzungsplan zu ändern oder zu ergänzen (vgl. Urteil des Bundesge- richts vom 11. Juni 2012 [1C_7/2012], Erw. 2.3, in: ZBl 114/2013, S. 281). Die Entscheidungszuständigkeiten gelten nicht nur für Aus- nahmebewilligungen ausserhalb der Bauzone (vgl. dazu A RNOLD M ARTI , Die Planungspflicht für grössere Vorhaben ausserhalb der Bauzonen, in: ZBl 106/2005, S. 367 f.), sondern auch für das Baube- willigungsverfahren für Ausnahmen innerhalb der Bauzone (vgl. T SCHANNEN , Kommentar RPG, Art. 2 N 27 und 30). 2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 175 Eine andere gesetzliche Regelung gilt im Kanton Bern und im Kanton Zürich. Nach Art. 3 Abs. 4 des bernischen Baugesetzes kön- nen die Gemeinden die Besitzstandsgarantie für besondere Fälle re- geln (vgl. A LDO Z AUGG /P ETER L UDWIG , Baugesetz des Kantons Bern vom 9. Juni 1985, 3. Aufl., Bern 2007, Art. 3 N 8). Im Kanton Zürich besteht für Nutzungsbestimmungen in Kern- und Quartierer- haltungszonen ein Vorbehalt zugunsten kommunaler Sondervor- schriften (K ONRAD W ILLI , Die Besitzstandsgarantie für vorschrifts- widrige Bauten und Anlagen innerhalb der Bauzonen, Zürcher Studien zum öffentlichen Recht, Band 158, Zürich 2003, S. 81 mit Hinweisen). 3.7. Mit der Feststellung, dass das kantonale Baugesetz die Erweite- rung der kantonalen Besitzstandsgarantie durch kommunale Nutzungsvorschriften nicht nur grundsätzlich, sondern generell aus- schliesst, verliert § 10 Abs. 3 BNO die gesetzliche Grundlage, auf die sich die Gemeinde stützt. Der materielle Gehalt der massgebenden Bauvorschriften für besitzstandsgeschützte Betriebsgebäude in den Zonen WA 2 und WA 3 wird erst im Baubewilligungsverfahren vom Gemeinderat und gestützt auf ein Gutachten festgelegt. Aus dem Wortlaut von § 10 Abs. 3 BNO lässt sich daher nicht mit genügender Bestimmtheit ent- nehmen, bis zu welcher Grenze und in welchem Umfang die Besitz- standsgarantie gemäss § 68 BauG ausgeweitet und die Rechtswidrig- keit verstärkt werden darf (vgl. vorne Erw. 3.4.3 und 3.4.4). Eine sol- che Regelung ist mit § 68 lit. b BauG auch materiell nicht vereinbar. 3.8. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die von der Gemeinde in § 10 Abs. 3 BNO gewählte Regelung der Veränderung und für den Wiederaufbau bestehender grosser Gebäudevolumen mangels kompetenzgemässer Rechtsgrundlagen und wegen Verlet- zung von § 68 BauG nicht rechtmässig ist.
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AG_VG_001_AGVE-2014-28_2014-05-03
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2009 KantonaleSteuern 123 III. Kantonale Steuern 26 Abschreibungen auf dem Geschäftsvermögen gemäss § 36 Abs. 2 lit. a StG: - Die Aufrechnung eines Privatanteils an einer Abschreibung auf ei- nem mittels der Präponderanzmethode dem Geschäftsvermögen zu- geordneten Vermögenswert erweist sich als unzulässig (Erw. 6). - Der auf die untergeordnete private Nutzung entfallende Anteil der Entwertung ist im Rahmen des Privatanteils an den Betriebskosten zu berücksichtigen (Erw. 7). - Zum Nachweis einer derart überwiegenden geschäftlichen Nutzung, die ein Abweichen zu Gunsten des Beschwerdeführers vom im Merkblatt N1/2001 der ESTV festgesetzten Wert für ein wenig privat benütztes Auto rechtfertigen würde, ist ein eigentliches Fahrtenbuch mit detaillierten Angaben zu verlangen (Erw. 7.2). Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 21. Oktober 2009, in Sa- chen S. (WBE.2008.238). Aus den Erwägungen 6. 6.1 Nachdem der Beschwerdeführer Anfang August 2002 seinen BMW 325 ersetzte und in der Buchhaltung im Jahr 2002 an dem für Fr. 63'671.-- neu gekauften Fahrzeug (BMW 330) eine Sofortab- schreibung um Fr. 50'937.-- auf 20 Prozent des Kaufpreises (Buch- wert: Fr. 12'734.--) vorgenommen hatte (Konto 4410 "Amortisie- rung"), rechnete die Steuerkommission einen Privatanteil von 30 Prozent an der Abschreibung auf. Die Vorinstanz reduzierte den Pri- vatanteil auf 20 Prozent (Fr. 10'187.--), entsprechend dem Durch- schnitt der bisherigen Privatanteile. Zur Begründung des aufgerech- 2009 Verwaltungsgericht 124 neten Privatanteils führte sie aus, im bereits verbuchten Privatanteil an den Autokosten (Privatanteil an den laufenden Kosten) sei die Amortisation nicht enthalten. Es sei jedoch auch an den Fixkosten des Fahrzeugs ein Privatanteil auszuscheiden, unabhängig davon, ob es sich um jährliche Abschreibungen, eine Sofortabschreibung oder Leasingzinsen handle. 6.2 Der Beschwerdeführer bringt dagegen zusammengefasst vor, es sei unverständlich, weshalb ihm an der Sofortabschreibung ein Pri- vatanteil an einem Firmenfahrzeug aufgerechnet werde. Mit der Lo- gik dieses Urteils müssten sich alle Nutzer eines Geschäfts- oder Mietwagens nicht nur die gefahrenen Privatkilometer zum vollen Preis anrechnen lassen, sondern zusätzlich noch einen Anteil der ak- tuellen Amortisation für den Geschäfts- oder Mietwagen entrichten. Dies sei rechtlich und wirtschaftlich wohl kaum vertretbar, da damit die Amortisation mehrfach in Rechnung gestellt würde. 6.3 Gemäss § 36 Abs. 2 lit. a StG und § 19 StGV können bei selbst- ständiger Erwerbstätigkeit die geschäfts- und berufsmässig begrün- deten Kosten, insbesondere auch die ausgewiesenen Abschreibungen auf dem Geschäftsvermögen, abgezogen werden (so auch Art. 27 Abs. 2 lit. a DBG. Abschreibungen sind nur auf Geschäftsvermögen zulässig; auf Gegenständen des Privatvermögens sind sie ausgesch- lossen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juli 2009 [2C_475/2008], Erw. 2.1, zu Art. 27 ff. DBG). Der Gesetzgeber hat in Art. 8 Abs. 2 erster Satzteil StHG eine Legaldefinition des Geschäftsvermögens eingeführt. Danach gelten als Geschäftsvermögen "alle Vermögenswerte, die ganz oder vorwie- gend der selbstständigen Erwerbstätigkeit dienen" (ebenso Art. 18 Abs. 2 Satz 3 DBG). Daraus ergibt sich, dass bei gemischt genutzten Wirtschaftsgütern nach der sogenannten "Präponderanzmethode" der Vermögensgegenstand entweder voll dem Privat- oder voll dem Ge- schäftsvermögen zuzurechnen ist (M ARTIN A RNOLD , Geschäfts- und Privatvermögen im schweizerischen Einkommenssteuerrecht, in: ASA 75, S. 271 ff.). 2009 KantonaleSteuern 125 Mit Inkrafttreten des StG per 1. Januar 2001 wechselte der Kanton Aargau gestützt auf Art. 8 Abs. 2 StHG von der bis dahin geltenden Wertzerlegungsmethode zur Präponderanzmethode. Als Geschäftsvermögen gelten damit seither - auch im kantonalen Recht - alle Vermögenswerte, die ganz oder vorwiegend der selbständigen Erwerbstätigkeit dienen (§ 27 Abs. 2 Satz 3 StG). Die Präponderanz- methode gilt für sämtliche (unmittelbar) gemischt genutzten Vermögenswerte. Für die Zuordnung eines Vermögenswerts zum Privat- oder Geschäftsvermögen ist in der Regel auf das (aktuelle und überwiegende) Ertrags- oder Nutzungsverhältnis abzustellen (vgl. § 7 Abs. 1 StGV; M ARCO D USS / M ARCO G RETHER / J ULIA VON A H , Die Besteuerung Selbständigerwerbender, Zürich 2004, S. 45). Mit dem Wechsel zur Präponderanzmethode geht die Zugehörigkeit zum Geschäftsvermögen aus der Bilanz bzw. aus den Aufstellungen über Aktiven und Passiven hervor. Umgekehrt sind nach § 7 Abs. 3 StGV überwiegend privat genutzte Vermögenswerte per 1. Janu- ar 2001 auszubuchen. Dass die Verordnungsbestimmung nur Grund- stücke (anstelle von Vermögenswerten) nennt, muss als gesetzgeberi- sches Versehen angesehen werden (so auch J ÜRG A LTORFER , J ULIA VON A H , in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 3. Auflage, Muri-Bern 2009, Band 1, § 27 N 100). 6.4 Sowohl die Steuerkommission als auch das Steuerrekursgericht sind - zu Recht - von einer überwiegenden geschäftlichen Nutzung des Fahrzeugs (bzw. der Fahrzeuge) ausgegangen. Damit ist dessen Qualifikation als Geschäftsvermögen unbestritten. Aufgrund der geltenden Präponderanzmethode und der vollum- fänglichen Zuordnung zum Geschäftsvermögen kann der Auffassung der Vorinstanz, wonach auch an der Sofortabschreibung ein Privat- anteil auszuscheiden sei, nicht gefolgt werden. Nach § 19 Abs. 4 StGV sind Abschreibungen zulässig, wenn sie verbucht oder, bei Fehlen einer nach kaufmännischer Art geführter Buchhaltung, in besonderen Abschreibungstabellen ausgewiesen sind. Zulässig ist zudem nach § 20 StGV die Sofortabschreibung der Differenz zwischen dem Anlagewert und dem Endwert auf beweglichen Ge- genständen des Anlagevermögens. Endwert ist der Wert, den der ab- 2009 Verwaltungsgericht 126 zuschreibende Gegenstand in dem Zeitpunkt haben wird, in welchem er aus dem Betrieb ausscheidet; er beträgt in der Regel 20 Prozent des Anlagewerts. Die Einschränkung, dass Abschreibungen nur auf dem geschäftlich genutzten Teil zulässig seien, ist im Gegensatz zum alten Recht - § 14 Abs. 4 aStGV erlaubte nach der damals geltenden Wertzerlegungsmethode nur Abschreibungen auf dem geschäftlich genutzten Teil von Gegenständen des Geschäftsvermögens - nicht (mehr) vorgesehen. Dies lässt sich auch aus dem Kreisschreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) vom 12. November 1992 zum Übergang zur Präponderanzmethode ableiten, wonach bei einer vorwiegend geschäftlich genutzten Liegenschaft trotz eines ausge- wiesenen Privatanteils bei den Betriebskosten die Abschreibung vom Einkommenssteuerwert zugelassen wird und im Gegenzug bei vorwiegend privat genutzten Liegenschaften der Abzug von Ab- schreibungen auf dem geschäftlich genutzten Teil ausgeschlossen wird (vgl. dazu ausführlich Kreisschreiben ESTV vom 12. November 1992 "Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit nach Art. 18 DBG (Ausdehnung der Kapitalgewinnsteuerpflicht, Übergang zur Präponderanzmethode und deren Anwendung)" in: ASA 61 (1992/1993) S. 507 ff.). Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus den Vorgaben im StHG: Art. 10 Abs. 1 lit. a StHG sieht vor, dass die ausgewiesenen Abschreibungen des Geschäftsvermögens, abziehbar sind. Sowohl die Methode der Normalsätze mit linearen oder degressiven, als auch die Methoden der Sofortabschreibung oder der Einmalerledigung sind auch harmonisierungsrechtlich zulässig (vgl. M ARKUS R EICH in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG], 2. Auflage, Basel-Genf-München 2002, Art. 10 N 14 f.) 6.5 Da der Beschwerdeführer vorliegend sämtliche erwähnten Vor- aussetzungen für die Vornahme der Sofortabschreibung in der ge- samten Höhe von Fr. 50'937.-- erfüllt, ist die von der Vorinstanz auf Fr. 10'187.-- festgesetzte Aufrechnung betreffend den Privatanteil Abschreibung zu streichen. Die Beschwerde ist daher in diesem 2009 KantonaleSteuern 127 Punkt gutzuheissen. Bei der Festsetzung des Privatanteils Autokosten darf indessen nicht vernachlässigt werden, dass ein Teil der - von den Vorinstanzen im Rahmen der Abschreibung berücksichtigten - Abnutzung und Entwertung der Vermögensgegenstände des Ge- schäftsvermögens (Geschäftsfahrzeuge) auf die private Nutzung ent- fällt (zur Berücksichtigung der Amortisation im Rahmen des Pri- vatanteils Autokosten: siehe hinten Erw. 7.3). 7. 7.1 Streitig ist weiter der Privatanteil an den Betriebskosten des Fahrzeugs bzw. der Fahrzeuge, die der Beschwerdeführer im Konto 4770 "Autospesen" in seiner Buchhaltung aufgeführt hat. Dabei konzediert er selbst, dass der von ihm zu Grunde gelegte "km-Preis zu gering ist". Weiter anerkennt er, dass der private Gebrauch auch in Bezug auf die Amortisation zu berücksichtigen ist (Beschwerde S. 6). Der Beschwerdeführer ist indessen der Auffassung, dass die Steuerkommission und ebenso das Steuerrekursgericht von einer zu hohen Anzahl privat gefahrener Kilometer ausgegangen seien. 7.2. Der Beschwerdeführer hat für die beiden von ihm genutzten Geschäftsfahrzeuge eine Gesamtkilometerleistung von 23'637 km angegeben. Davon ist er nunmehr bereit, nachdem er anfänglich noch von 2'400 km für die private Nutzung ausgegangen war, eine private Kilometerleistung von 3'000 km zu akzeptieren. Die privaten Fahrzeugkosten (inkl. Amortisation und Betrieb) berechnet er auf Fr. 2'259.--, wobei er unzutreffend ausführt, dass in der Buchhaltung bereits 1'560.-- privat verrechnet wurden, zumal er im Konto 4770 "Autospesen" lediglich Fr. 1'200.-- als private Benutzung verbucht hatte. Erst im Laufe des Rechtsmittelverfahrens hatte er akzeptiert, dass er in der Buchhaltung von einem zu geringen Kilometerpreis ausgegangen sei, was richtigerweise zu dem entsprechend höheren Privatanteil hätte führen müssen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers vermögen seine privaten Aufzeichnungen in Excel-Tabellen keinen aus- reichenden Nachweis für die ganz überwiegend geschäftliche Nut- zung des Fahrzeugs zu erbringen, ohne dass insoweit auf die Aus- 2009 Verwaltungsgericht 128 führungen der Vorinstanz zur Kombination von Baustellenfahrten abgestellt werden müsste. Bei einer insgesamt nicht besonders hohen Laufleistung von 23'637 km beider Fahrzeuge ergibt sich bei der Annahme eines Anteils privater Fahrten von 20 Prozent ein Anteil von rund 4'727 km. Eine solche Kilometerleistung liegt, auch wenn der Beschwerdeführer noch ein privates Motorrad besitzt und ihm unbestrittenermassen für den diesbezüglichen privaten Gebrauch Kosten in der Höhe von Fr. 5'000.-- entstanden sind, nach der allge- meinen Lebenserfahrung eher an der unteren Grenze der üblichen privaten Nutzung eines Fahrzeugs. Die noch erheblich niedriger an- gesetzte behauptete private Fahrleistung von 3'000 km erscheint hingegen als unplausibel. An den Nachweis der entsprechenden Be- hauptung des Beschwerdeführers sind daher hohe Anforderungen zu stellen. Es wäre ein eigentliches Fahrtenbuch zu verlangen, dem ge- naue Angaben über Abfahrts- und Ankunftsort und -zeit, zurückge- legte Anzahl an Kilometern sowie den jeweiligen Anlass der Fahrten entnommen werden können müssten, damit eine so weitgehende ge- schäftliche Nutzung eines Geschäftsfahrzeugs als nachgewiesen gelten könnte, wie sie der Beschwerdeführer behauptet. Diese Vor- aussetzungen erfüllen die Aufzeichnungen des Beschwerdeführers indes nicht, sodass von einer privaten Fahrleistung von 5'000 km gemäss dem heranzuziehenden Merkblatt N1/2001 der ESTV über die Bewertung der Naturalbezüge und der privaten Unkostenanteile von Geschäftsinhaberinnen und Geschäftsinhabern (Merkblatt N1/2001) für ein wenig privat benütztes Auto auszugehen ist. 7.3 Hinsichtlich der Bemessung des Privatanteils ist sodann - wie erwähnt (siehe vorne Erw. 6.5) dem Umstand Rechnung zu tragen, dass neben den verbuchten Ausgaben, auch der Abnutzung und Ent- wertung der Geschäftsfahrzeuge Rechnung zu tragen ist. Da dafür, wie bereits dargelegt, nicht einfach eine Aufrechnung bei der vom Beschwerdeführer zulässigerweise verbuchten Sofortabschreibung vorgenommen werden kann - womit in der Sache der Hypothese eines stets gleich bleibenden Privatanteils bei ebenfalls gleich blei- bender Laufleistung gefolgt würde -, drängt es sich auf, für die Bemessung des Privatanteils nicht auf die - ohne Berücksichtigung 2009 KantonaleSteuern 129 der Abschreibung - verbuchten Betriebsausgaben für die beiden Fahrzeuge abzustellen, sondern ebenfalls hilfsweise das Merkblatt N1/2001 heranzuziehen, welches im Rahmen der Betriebskosten auch die festen Kosten mit berücksichtigt. Bei Zugrundelegung die- ses Merkblatts ergibt sich bei der pauschalen Ermittlung für die bei- den Fahrzeuge ein Privatanteil von abgerundet Fr. 3'200.--, wobei zu Gunsten des Beschwerdeführers auf eine gesamte Fahrleistung von 25'000 km und abgerundete Katalogpreise von Fr. 37'000.-- (BMW 325; in Gebrauch bis Ende Juli 2002) und Fr. 60'000.-- (BMW 330; in Gebrauch ab August 2002) abgestellt wurde. Wird zusätzlich in Erwägung gezogen, dass bereits ein Anteil von 20 Prozent an den verbuchten Betriebskosten den Betrag von Fr. 2'264.-- ergibt, so er- scheint der pauschal ermittelte Privatanteil als angemessen und es muss damit sein Bewenden haben. Abzüglich des bereits verbuchten Privatanteils von Fr. 1'200.-- beträgt die Aufrechnung damit neu Fr. 2'000.--.
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AG_VG_001
AG_VG
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Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2009-26_2009-10-02
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2,004
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2004 Verwaltungsrechtspflege 269 [...] 66 Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gemäss § 52 Ziff. 1 und 4 VRPG. - Ist das Schulgeld zwischen den Eltern und Schul- oder Wohngemeinde umstritten, ist gegen den Entscheid des Regierungsrats die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss § 52 Ziff. 1 VRPG möglich (Erw. 2/a). - Bei Differenzen zwischen der Schul- und Wohngemeinde ist der Be- schwerdeentscheid des Regierungsrats beim Verwaltungsgericht gemäss § 52 Ziff. 4 VRPG anfechtbar (Erw. 2/b). vgl. AGVE 2004 27 109
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AG_VG_001_AGVE-2004-66_2004
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870,148
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2,001
de
2001 Verwaltungsgericht 330 [...] 70 Eignungs- und Zuschlagskriterien; Grundsatz der Transparenz. - Auch in einem offenen Verfahren ist grundsätzlich bereits in der Aus- schreibung klar zwischen den von den Anbietenden zu erfüllenden Eignungskriterien und den leistungsbezogenen Zuschlagskriterien im Sinne von § 18 Abs. 2 SubmD zu unterscheiden (Erw. 3/c/aa). - Die Ausschreibung muss alle Zuschlagskriterien und deren Gewich- tung enthalten (Erw. 3/c/bb). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 10. April 2001 in Sachen S. AG gegen den Beschluss des Regierungsrats und die Verfügung der Psychiatrischen Dienste des Kantons Aargau. Aus den Erwägungen 2. a) Gemäss Ziffer 10 der öffentlichen Ausschreibung waren die folgenden Zuschlagskriterien massgebend: - Referenzinstallationen in der Schweiz im Gesundheitsbereich Kunden mit vergleichbarer Grösse und Struktur - Einführungs-, Entwicklungsplan für TARMED muss vorliegen - Vollständigkeit der Offerte - Preis (Investitions-, Betriebskosten)/Leistung - Genügend Ressourcen, auch im Fachbereich 2001 Submissionen 331 - Im Markt etabliertes Softwarehaus - Qualitätssicherung - Übernahme des Projektes als Generalunternehmer möglich - Erfahrung mit Ablösung von Systemen und Datenübernahme In Ziffer 6 der Ausschreibungsunterlagen wurde nebst diesen Kriterien als weiteres Zuschlagskriterium noch genannt: - Angebote im Bereich der Optionen b) Sieben der fristgerecht eingereichten Angebote - die beiden Angebote lediglich für die Leistungserfassung wurden vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen - wurden anhand der bekannt ge- gebenen Zuschlagskriterien beurteilt. Dabei erfolgte nicht eine eigentliche Bewertung, sondern die Angebote wurden daraufhin geprüft, ob sie die einzelnen Kriterien erfüllten (vgl. dazu Erw. 3/c hienach). Aufgrund dieser Beurteilung wurden zwei weitere Ange- bote, deren Ressourcen im Fachbereich als ungenügend angesehen wurden, ausgeschieden. Die verbleibenden fünf Angebote (Be- schwerdeführerin, M. & P., L. GmbH, E., E. & Y.) wurden nach den folgenden (gewichteten) Kriterien mit Punkten bewertet: - Kosten einmalige (ohne Leistungserfassung) [Gewicht: 2] - Kosten laufend (jährlich) [Gewicht: 1,5] - Systemeinführung, Projektleitung, Unternehmen, Sicherheit [Ge- wicht: 2] - Funktionalität Patientenadministration [Gewicht: 2,5] - Funktionalität Finanz- und Rechnungswesen [Gewicht: 2] Ausgegangen wurde bei den fünf Angeboten von den folgenden Investitionskosten (ohne Leistungserfassung) und Betriebskosten: (Tabellarische Zusammenstellung der Angebote) Um die drei Bereiche Systemeinführung etc., Funktionalität Pa- tientenadministration (PA) und Funktionalität Finanz- und Rech- nungswesen (FRW) punktemässig gleichwertig zu bewerten, wurde das jeweils höchste Resultat auf 1000 Punkte und die anderen Punkt- zahlen proportional aufgerechnet. Für die Kosten wurde der tiefste Betrag auf 1000 Punkte aufgerechnet und die Differenz der einzelnen 2001 Verwaltungsgericht 332 Beträge zum tiefsten Betrag punktemässig vom Maximum abgezo- gen. Auf diese Weise ergaben sich die folgenden Bewertungen: (Tabellarische Zusammenstellung der Bewertung) (...) 3 c) aa) Zunächst fällt auf, dass die Vergabestelle unter dem Ti- tel ,,Zuschlagskriterien" nicht nur ,,reine" Zuschlagskriterien im Sinne von § 18 Abs. 2 SubmD nennt, sondern auch Eignungskrite- rien, Rahmenbedingungen und Ausschlussgründe. Die verlangte Vollständigkeit der Offerte beispielsweise ist nach der verwaltungs- gerichtlichen Rechtsprechung kein Zuschlagskriterium, sondern wie die Wahrung der Eingabefrist eine formelle Anforderung an das An- gebot (§ 14 Abs. 1 SubmD). Unvollständige Angebote können vom weiteren Verfahren ausgeschlossen werden; betrifft die Unvollstän- digkeit wesentliche Punkte, müssen sie sogar ausgeschlossen werden (AGVE 1999, S. 345 ff.). Das verlangte Vorliegen eines Einfüh- rungs- und Entwicklungsplans für TarMed stellt letztlich eine Rah- menbedingung, die entweder erfüllt ist oder nicht, und nicht ein Zu- schlagskriterium dar. Die restlichen Kriterien haben, abgesehen vom Kriterium Preis/Leistung, weitaus eher den Charakter von Eignungs- kriterien denn von Zuschlagskriterien, beziehen sie sich doch auf die Anbieter und nicht auf deren Angebote. In einer ersten Runde hat die Vergabestelle die einzelnen Angebote denn auch im Sinne einer ,,Ja"/"Nein"-Beurteilung lediglich daraufhin geprüft, ob sie die ,,Zu- schlagskriterien" erfüllten oder nicht, was im Grunde einer Eig- nungsprüfung entspricht. Diese erste Runde hatte offensichtlich aus- schliesslich den Zweck, für die Ausführung des Auftrags ungeeignete Offerenten vom weiteren Verfahren auszuschliessen. Ein solches Vorgehen ist auch in einem offenen Verfahren zulässig, denn auch hier darf der Zuschlag nur an einen Anbieter erteilt werden, der in der Lage ist, die zu vergebenden Leistungen zu erbringen, was eine Überprüfung seiner Eignung voraussetzt (VGE III/161 vom 30. No- vember 1999 [BE.1999.00254] in Sachen E. AG, S. 11). Zu bean- standen ist allerdings, dass diese Eignungsprüfung im vorliegenden Fall anhand von Kriterien erfolgt ist, die von der Vergabestelle 2001 Submissionen 333 formell ausdrücklich als ,,Zuschlagskriterien" deklariert worden sind. Auch in einem offenen Verfahren ist - im Interesse der Transparenz des Verfahrens und um Missverständnisse oder Irreführungen der Anbietenden auszuschliessen - grundsätzlich bereits in der Aus- schreibung klar zwischen den von den Anbietenden zu erfüllenden Eignungskriterien und den leistungsbezogenen Zuschlagskriterien im Sinne von § 18 Abs. 2 SubmD zu unterscheiden. bb) Die für die Vergabestelle im Hinblick auf die verlangten Leistungen im Vordergrund stehenden Gesichtspunkte (,,Kosten ein- malig", ,,Kosten laufend", ,,Systemeinführung, Projektleitung, Unter- nehmen, Sicherheit", ,,Funktionalität Patientenadministration" und ,,Funktionalität Finanz- und Rechnungswesen" [vgl. Erw. 2/b hie- vor]) ergeben sich zum Teil aus den Ausschreibungsunterlagen. So wird unter dem Titel ,,Ausgangslage" zunächst festgehalten, das Projektteam wolle auf der Basis der Offerten die folgenden Punkte beurteilen können: - Verfügbarkeit der geforderten Applikationen (eigene oder Integra- tion von Drittprodukten) - Lösungskonzept technisch und applikatorisch - Zu erwartende Kosten (einmalige und wiederkehrende) aufgeglie- dert in einzelne Programm-Module auf der Basis des Standardpa- ketes inklusive Angabe allfällig erforderlicher Zusatzmodule Weitere Hinweise auf die wesentlichen Punkte sind in den Aus- schreibungsunterlagen unter Ziffer 4 - ,,Was wir von Ihnen erwarten" (,,4.1 Fragen und Informationen" / ,,4.2 Investitions- und Betriebs- kosten") - enthalten. Damit konnten die Anbietenden nur bedingt - und zwar nicht anhand der als solche deklarierten ,,Zuschlagskrite- rien", sondern durch die Ausschreibungsunterlagen als Gesamtes - in Erfahrung bringen, welche Aspekte für die Vergabestelle hinsichtlich der Zuschlagserteilung relevant sein sollten. Einzig erahnen liess sich, wo für die Vergabestelle die Beurteilungsschwerpunkte lagen. So lässt sich lediglich aus den Ausschreibungsunterlagen und dem Pflichtenheft insgesamt schliessen, dass den qualitativen Gesichts- punkten (Leistung, Zuverlässigkeit, Datenschutz, Sicherheit) ein grösseres Gewicht beigemessen wurde als dem Preis. Doch hätte aufgrund der bekannt gegebenen Zuschlagskriterien durchaus auch 2001 Verwaltungsgericht 334 davon ausgegangen werden dürfen, dass der Preis allein nicht in die Bewertung miteinbezogen wird, erweist sich doch das in diesem Kontext einzig angeführte Kriterium ,,Preis (Investititions-, Betriebs- kosten)/Leistung" letztlich als nichtssagend. Die Ermittlung des Preis-/Leistungsverhältnisses ist gerade Sinn und Zweck des ganzen Vergabeverfahrens, mithin der Würdigung aller Zuschlagskriterien (vgl. den Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungsrecht [ERKB] vom 1. September 2000, in: VPB 65/2001 Nr. 11, S. 130). Die grosse Streuung, welche bezogen auf die Eingabesummen der Angebote auszumachen ist, deutet da- rauf hin, dass einzelne Anbieter von einer noch höheren Gewichtung der Qualität gegenüber dem Preis ausgegangen sind. Auf jeden Fall waren die Formulierung und insbesondere die Reihenfolge der für den Zuschlag letztlich massgebenden Kriterien klarerweise nicht in dem in der öffentlichen Ausschreibung und in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Katalog der Zuschlags- kriterien aufgeführt. Insofern erweisen sich auch die Verfügungen vom 10. Januar 2001 als unrichtig, wird doch dort zur Begründung angeführt: ,,Nach den Zuschlagskriterien mit dem besten Preis-/Leistungsverhältnis". Als Zuschlagskriterien wurden nunmehr wieder die im Amtsblatt vom 31. Januar 2000 veröffentlichten Krite- rien zitiert. Bewertet wurden die fünf im Verfahren verbliebenen Angebote jedoch nicht anhand dieser Kriterien, sondern mittels eines vierseitigen Beurteilungsschemas, welches sich zumindest inhaltlich an die der Matrix vom Mai 2000 zugeordneten Kriterien Funktiona- lität Patientenadministration, Funktionalität Finanz- und Rech- nungswesen sowie Systemeinführung hält, und mittels der Kosten- vergleiche (vgl. Erw. 2/b hievor). Gesamthaft betrachtet erweist sich das Vorgehen der Vergabe- stelle sowohl bei der Festsetzung und Bekanntgabe der ,,Zuschlags- kriterien" in der öffentlichen Ausschreibung und in den Ausschrei- bungsunterlagen als auch bei der Beurteilung und Bewertung der Anbieter und der Angebote einerseits anhand der deklarierten ,,Zu- schlagskriterien" und anderseits aufgrund der nicht ausdrücklich bekanntgegebenen, sondern bestenfalls implizit aus den Ausschrei- bungsunterlagen zu entnehmenden Kriterien und deren massgeben- 2001 Submissionen 335 den Reihenfolge vor dem Hintergrund des fundamentalen Grundsat- zes der Transparenz - diesbezüglich in Art. 18 Abs. 3 SubmD, Art. 5 Abs. 3 BGBM, Art. XII Ziff. 2 lit. h GPA konkretisiert - als nicht mehr haltbar. cc) Zumindest fragwürdig erscheint das nachträgliche Aus- scheiden von zwei Anbieterinnen mangels Eignung, nachdem die Vergabestelle diese vorerst in die Bewertung miteinbezogen und sich das Angebot der einen dieser Anbieterinnen dabei als das wirtschaft- lich günstigste erwiesen hatte. Nicht zu beurteilen ist im vorliegen- den Fall, ob die Bedenken der Vergabestelle gegen diese Anbieterin- nen berechtigt sind (die entsprechenden Unterlagen wurden von der Vergabestelle entgegen der Aufforderung in der Instruktionsverfü- gung vom 22. Januar 2001, wonach sämtliche Vorakten einzureichen seien, dem Verwaltungsgericht nicht zur Verfügung gestellt). Die betreffenden Vorbehalte betreffen ausschliesslich die Eignung und hätten bei einer korrekt durchgeführten Vergabe bei eben dieser Prü- fung zum Ausschluss führen können. Wird die Eignung aber erst nach einer erstmaligen Bewertung des Angebots und in Kenntnis der ersten Rangierung eines Anbieters von neuem in Frage gestellt, so setzt sich die Vergabestelle zumindest dem Vorwurf eines nicht mehr transparenten Verfahrens, wenn nicht gar dem der Willkür aus. d) Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das Vorgehen der Vergabestelle sowohl bei der Festsetzung und Bekanntgabe der ,,Zu- schlagskriterien" als auch bei der Beurteilung und Bewertung der Angebote aufgrund der nicht ausdrücklich bekanntgegebenen Krite- rien sowie bezogen auf die zweite Eignungsprüfung nach erstmaliger Bewertung intransparent und infolgedessen vergaberechtswidrig ist.
2,420
2,001
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2001-70_2001-04-03
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1,280,620,800,000
2,010
de
2010 Strassenverkehrsrecht 89 [...] 20 Vorsorglicher Führerausweisentzug; Anordnung einer fachärztlichen Begutachtung. - Rechtmässigkeit der Anordnung einer fachärztlichen Begutachtung angesichts des eingestandenen Cannabiskonsumverhaltens (seit län- gerer Zeit in beträchtlichem Ausmass und gewohnheitsmässig). - Unverhältnismässigkeit der Anordnung eines vorsorglichen Führer- ausweisentzuges, wenn nach der Aktenlage mit den vom Beschwer- deführer eingestandenen Cannabiskonsumgewohnheiten allein und ohne hinzukommende manifeste Verdachtsgründe zu wenig intensive 2010 Verwaltungsgericht 90 Anhaltspunkte vorliegen, dass der Beschwerdeführer andere Ver- kehrsteilnehmer als Folge einer allfälligen Cannabisabhängigkeit in erhöhtem Mass gefährden könnte, wenn er bis zum Vorliegen der fachärztlichen Begutachtung weiterhin zum Verkehr zugelassen wür- de. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 12. August 2010 in Sachen K.A. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und In- neres (WBE.2010.160). Aus den Erwägungen 1. 1.1. (...) 1.2. Der vorsorgliche Führerausweisentzug kann nur dann angeord- net werden, wenn genügend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Fahrzeuglenker ein besonderes Risiko für die anderen Verkehrteil- nehmer darstellt, die erforderlichen Abklärungen zur Fahreignung aber nicht der Dringlichkeit entsprechend vorgenommen werden können. Beim vorsorglichen Führerausweisentzug handelt es sich lediglich um eine Zwischenverfügung im Rahmen eines Sicherungs- entzugsverfahrens. Gemäss Art. 30 VZV kann der Führerausweis vorsorglich entzogen werden, wenn ernsthafte Bedenken an der Fahreignung bestehen. Voraussetzung für einen vorsorglichen Füh- rerausweisentzug ist gemäss der Rechtsprechung, dass der Fahrzeug- führer andere Verkehrsteilnehmer im Vergleich zu den übrigen Fahr- zeugführern in erhöhtem Masse gefährden könnte, würde er während der Verfahrensdauer zum Verkehr zugelassen (BGE 106 Ib 115, Erw. 2b). Diese Regelung trägt der besonderen Interessenlage Rech- nung, welche bei der Zulassung von Fahrzeugführern zum Strassen- verkehr zu berücksichtigen ist. Angesichts des grossen Gefährdungs- potentials, welches dem Führen eines Motorfahrzeugs eigen ist, er- lauben schon Anhaltspunkte, die den Fahrzeugführer als besonderes Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer erscheinen lassen und 2010 Strassenverkehrsrecht 91 ernsthafte Bedenken an seiner Fahreignung erwecken, den vorsorg- lichen Ausweisentzug. Der strikte Beweis für die Fahreignung ausschliessende Um- stände ist nicht erforderlich; wäre dieser erbracht, müsste unmittelbar der Sicherungsentzug selber verfügt werden. Umgekehrt bedeutet dies, dass, sobald der Beschwerdeführer nachweisen kann, dass die Voraussetzungen eines Sicherungsentzuges mit grosser Wahrschein- lichkeit gestützt auf einen geänderten Sachverhalt nicht mehr gege- ben sind, er beim Strassenverkehrsamt die Aufhebung des vorsorgli- chen Führerausweisentzugs verlangen kann. Eine umfassende Aus- einandersetzung mit sämtlichen Gesichtspunkten, die für oder gegen einen Sicherungsentzug sprechen, braucht erst im anschliessenden Hauptverfahren zu erfolgen (BGE 125 II 492, Erw. 2b; 122 II 359, Erw. 3a mit Hinweisen). Falls die erforderlichen Abklärungen also nicht der Dringlichkeit entsprechend rasch und abschliessend getrof- fen werden können, soll der Ausweis bis zum Sachentscheid vorläu- fig entzogen werden können (BGE 122 II 359, Erw. 3a, 125 II 492, Erw. 2b). Die Wiedererteilung des Führerausweises wird vom günsti- gen Ausgang einer fachärztlichen Untersuchung abhängig gemacht. Wird anlässlich der Abklärung die Fahreignung wegen eines Alko- hol- oder Drogenproblems tatsächlich verneint, erfolgt ein "definiti- ver" Führerausweisentzug (Sicherungsentzug) auf unbestimmte Zeit, der mit einer Sperrfrist verbunden wird (Art. 16d Abs. 2 SVG). Der vorsorgliche Entzug während eines Sicherungsentzugsver- fahrens bildet zum Schutz der allgemeinen Verkehrssicherheit die Regel (BGE 127 II 122, Erw. 5; 125 II 396, Erw. 3 = Pra 89/2000, Nr. 88). Dies ergibt sich aus dem genannten Sinn und Zweck des Si- cherungsentzugs. 1.3. Nachdem der Beschwerdeführer die Aufhebung der vorinstanz- lichen Entscheide beantragt, ist nachfolgend zu prüfen, ob zu Recht eine fachärztliche Begutachtung angeordnet wurde (siehe hinten Erw. 3) und ob die Akten zu Recht begründete Zweifel an der Fahreignung des Beschwerdeführers aufkommen lassen und dement- sprechend genügend Anhaltspunkte für einen vorsorglichen Siche- rungsentzug vorliegen (siehe hinten Erw. 4). 2010 Verwaltungsgericht 92 2. 2.1. Das DVI ging in Anlehnung an die Strafakten von folgendem Sachverhalt aus: " 2. a) Am 13. Juni 2009 wurde der Beschwerdeführer als Lenker eines Personenwagens zur polizeilichen Kontrolle angehal- ten. Bei der Effektenkontrolle wurden 19 Minigrips Mari- huana mit einem Gesamtgewicht von 57 Gramm aufgefun- den und sichergestellt. Im Laufe von polizeilichen Befragun- gen in diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer ge- mäss den polizeilichen Feststellungen Anzeichen von Denk- und Konzentrationsstörung aufgewiesen. Zudem hat er zu Protokoll gegeben, dass er seit langer Zeit Cannabis (Mari- huana) konsumiere und jeweils nicht mehr genau wisse, was am vorangegangenen Tag passiert sei (...). b) Infolgedessen verzeigte die Kantonspolizei Aargau den Be- schwerdeführer beim Bezirksamt X. wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 BetmG), falscher Anschuldigung (Art. 303 StGB) und Irreführung der Rechts- pflege (Art. 304 StGB). Das entsprechende Strafverfahren ist noch hängig. 3. Gestützt auf diese Feststellungen, insbesondere den Äusse- rungen des Beschwerdeführers im polizeilichen Ermittlungs- verfahren, erliess das Strassenverkehrsamt die angefochtene Verfügung." 2.2. (...) 2.3. Gemäss Art. 30 i.V.m. Art. 108 Abs. 3 VZV kann der Führeraus- weis bis zur Abklärung von Ausschlussgründen sofort vorsorglich entzogen werden. Bei dieser Art des Entzuges handelt es sich um ei- nen Sicherungsentzug in Form einer vorsorglichen Massnahme. Er dient zur Sicherung des Verkehrs vor ungeeigneten Führern. Ob der 2010 Strassenverkehrsrecht 93 vorsorgliche Entzug des Führerausweises zu Recht erfolgt ist, hängt also davon ab, ob aufgrund der Aktenlage genügend konkrete An- haltspunkte bestehen, welche das Vorliegen eines Ausschlussgrundes wahrscheinlich erscheinen lassen (AGVE 1997, S. 472; 1982, S. 214 f.) Da die vorsorglichen Sicherungsentzüge im Interesse der Ver- kehrssicherheit unverzüglich zu erlassen sind, können sie grundsätz- lich unabhängig von einer Verkehrsregelverletzung oder einer ande- ren Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz angeordnet werden und dauern so lange, als der Ausschlussgrund anhält. Ein Si- cherungsentzugsverfahren erfolgt mithin allein aus Gründen der Ver- kehrssicherheit und ist unabhängig vom Verschulden des betroffenen Fahrzeuglenkers. Dementsprechend ist es, anders als bei einem War- nungsentzug, auch nicht angezeigt, den Abschluss eines allenfalls parallel durchzuführenden Strafverfahrens abzuwarten. Davon abge- sehen hat das Bundesgericht in BGE 122 II 359 ausdrücklich festge- halten, dass die Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK - insbesonde- re die Unschuldsvermutung gemäss Art. 6 Ziff. 2 EMRK - auf das Verfahren betreffend Erlass vorsorglicher Sicherungsentzüge keine Anwendung finden. Mithin darf ein Sicherungsentzugsverfahren ein- geleitet und allenfalls ein vorsorglicher Führerausweisentzug ange- ordnet werden, ohne dass ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt. Demzufolge braucht vorliegend der Ausgang des Strafverfahrens nicht abgewartet zu werden. 2.4. Aus den beigezogenen Akten geht hervor und ist vom Be- schwerdeführer auch in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unbe- stritten geblieben, dass er regelmässig Cannabis konsumierte. So konnten beim Beschwerdeführer anlässlich seiner Kontrolle als Len- ker des Personenwagens mit dem Kennzeichen (...) am 13. Juni 2009 19 Minigrip Marihuana mit einem Gesamtgewicht von 57 Gramm vorgefunden und sichergestellt werden. Bei der anschlies- send durchgeführten Hausdurchsuchung wurden am Wohnort des Beschwerdeführers weitere 39 Minigrip Marihuana mit einem Ge- samtgewicht von 117 Gramm sichergestellt. Im Rahmen des gegen ihn u.a. wegen des Verdachts auf Handel mit Marihuana angehobe- 2010 Verwaltungsgericht 94 nen Strafverfahrens anerkannte der Beschwerdeführer, regelmässig Marihuana zu konsumieren, letztmals am 7. Juni 2009, als er an sei- nem Wohnort in Y. einen "Joint" geraucht habe. Anlässlich seiner Einvernahme am 16. Juni 2009 gab der Beschwerdeführer hin- sichtlich seines Konsums zu Protokoll, vor ca. zwei Jahren das erste Mal Marihuana geraucht zu haben. Andere Drogen habe er hingegen - auch in der Vergangenheit - nicht konsumiert. Wegen Konsums von Marihuana sei er bereits zweimal angezeigt worden. Mit dem Konsum von Marihuana aufgehört habe er deswegen jedoch nicht. Pro Woche habe er durchschnittlich jeweils ungefähr drei Gramm Marihuana konsumiert, somit total rund 250 Gramm seit Januar/Fe- bruar 2008. 3. 3.1. Wie bereits erörtert (siehe vorne Erw. 2.3), kann ein Si- cherungsentzugsverfahren eingeleitet und allenfalls ein vorsorglicher Führerausweisentzug angeordnet werden, ohne dass ein rechtskräf- tiges Strafurteil vorliegt; dies muss ebenso für die Anordnung einer fachärztlichen Begutachtung gelten. Die Wiedererteilung des Führer- ausweises wird vom günstigen Ausgang einer fachärztlichen Unter- suchung abhängig gemacht. Wird anlässlich der Abklärung die Fahr- eignung tatsächlich verneint, erfolgt ein "definitiver" Führerausweis- entzug (Sicherungsentzug) auf unbestimmte Zeit, der mit einer Sperrfrist verbunden wird (Art. 16d Abs. 2 SVG). Der Führerausweis kann nur zurückgegeben werden, wenn die Person die Behebung des Mangels nachgewiesen hat, der die Fahreignung ausgeschlossen hat (Art. 17 Abs. 3 SVG). Der Sicherungsentzug greift damit tief in den Persönlichkeitsbereich des Betroffenen ein. Gemäss der bundesge- richtlichen Rechtsprechung ist daher eine genaue Abklärung der per- sönlichen Verhältnisse von Amtes wegen vorzunehmen. Das Aus- mass der notwendigen behördlichen Nachforschungen, namentlich die Frage, ob eine fachärztliche Begutachtung vorgenommen werden soll, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und liegt im pflichtgemässen Ermessen der Entzugsbehörde (BGE 126 II 185, Erw. 2a). 2010 Strassenverkehrsrecht 95 3.2. Nach der Rechtsprechung erlaubt ein regelmässiger, aber kon- trollierter und mässiger Haschischkonsum für sich allein noch nicht den Schluss auf eine fehlende Fahreignung (BGE 127 II 122, Erw. 4b; BGE 124 II 559, Erw. 4d und 4e). Ob diese gegeben ist, kann ohne Angaben über die Konsumgewohnheiten des Betroffenen, namentlich über Häufigkeit, Menge und Umstände des Cannabiskon- sums und des allfälligen Konsums weiterer Betäubungsmittel und/ oder von Alkohol, sowie zu seiner Persönlichkeit, insbesondere hin- sichtlich Drogenmissbrauch im Strassenverkehr, nicht beurteilt wer- den (BGE 124 II 559, Erw. 4e und 5a). Ein die momentane Fahr- fähigkeit beeinträchtigender Cannabiskonsum kann hingegen Anlass bieten, die generelle Fahreignung des Betroffenen durch ein Fachgut- achten näher abklären zu lassen (BGE 128 II 335, Erw. 4b m.w.H.). Die (blosse) Anordnung einer verkehrsmedizinischen Abklärung der Fahreignung (im Hinblick auf die Prüfung eines allfälligen Siche- rungsentzuges) setzt konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, dass der fragliche Inhaber des Führerausweises mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt ist, sich in einem Zustand ans Steuer eines Fahrzeuges zu setzen, der das sichere Führen nicht mehr gewähr- leistet (BGE 127 II 122, Erw. 3c; 124 II 559, Erw. 3d, je m.w.H.). Dies kann namentlich der Fall sein, wenn es sich um einen "starken" Konsumenten von Cannabis handelt und weitere Indizien auf verkehrsgefährdendes Verhalten hinweisen (BGE 127 II 122, Erw. 4b; 124 II 559, Erw. 4a-g, je m.w.H.). 3.3. 3.3.1. Aus den beigezogenen Akten erhellt, dass der Beschwerdefüh- rer seit Juni 2007 bzw. spätestens anfangs 2008 wöchentlich Mari- huana konsumierte. In mengenmässiger Hinsicht gestand der Be- schwerdeführer im Rahmen der Ermittlungen im Strafverfahren ei- nen Umfang von drei Gramm pro Woche zu. Obwohl der Beschwer- deführer gemäss eigenen Angaben in der Vergangenheit von der Po- lizei bereits zweimal wegen des Konsums von Marihuana verzeigt worden war und damit um dessen Strafbarkeit wusste bzw. wissen musste, und obwohl der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit 2010 Verwaltungsgericht 96 seinen Verfehlungen vom 13. Juni 2009, welche Anlass zu dem nach wie vor hängigen Strafverfahren gaben, neun Tage Untersuchungs- haft erstanden hatte, hörte er dennoch nicht mit dem Konsum von Marihuana auf und konsumierte er weiterhin Marihuana, wie er einerseits im Strafverfahren ausdrücklich zugegeben hatte und sich andererseits aus der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergibt, in wel- cher der Beschwerdeführer anführte, mittlerweile - d.h. seit Ende Dezember 2009 - kein Cannabis mehr zu konsumieren. Damit ge- steht der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren indes ein, solche Rauschmittel bis Ende Dezember 2009 zu sich genommen zu haben, und zwar auch nach dem am 4. Dezember 2009 durch das Strassenverkehrsamt angeordneten (vorsorglichen) Sicherungsent- zug. Davon abgesehen erscheint fraglich, inwiefern die Behauptung des Beschwerdeführers, seit Ende Dezember 2009 kein Cannabis mehr zu konsumieren, tatsächlich zutrifft. Einerseits ist bei der Wür- digung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Cannabisabstinenz auch zu berücksichtigen, dass er ein erhebliches Interesse an deren Feststellung hat, steht doch einerseits eine - im vorliegenden Verfah- ren nicht zu beurteilende - strafrechtliche Verurteilung und anderer- seits ein damit einhergehender Führerausweisentzug im Raum, so dass den Angaben des Beschwerdeführers, welcher um den Erhalt seines Führerausweises bangt, nicht ohne weiteres Glauben ge- schenkt werden kann. Andererseits blieb die behauptete Cannabisab- stinenz vom Beschwerdeführer bis heute gänzlich unbelegt und steht somit beweislos da, was insofern erstaunt, als sie sich in der Zwi- schenzeit mit der Verurkundung entsprechender Blut- oder Urintests problemlos hätte nachweisen lassen. Aus dem Umstand, dass das DVI auf das Schreiben des Vertreters des Beschwerdeführers vom 25. März 2010 in seinem Entscheid vom 21. April 2010 keinen Be- zug genommen hat, vermag der i.S.v. § 23 VRPG mitwirkungs- pflichtige Beschwerdeführer hier nichts zu seinen Gunsten abzulei- ten, da er anwaltlich vertreten war und sein rechtskundiger Vertreter um die Möglichkeit von Blut- oder Urintests wissen musste und sol- che Tests ohne weiteres als Beweise hätten ins Recht gelegt werden können. Demnach braucht im Rahmen des vorliegenden vorsorgli- 2010 Strassenverkehrsrecht 97 chen Sicherungsentzugsverfahrens nicht weiter auf den diesbezügli- chen Einwand des Beschwerdeführers eingegangen zu werden. 3.3.2. Es kommt hinzu, dass im Schlussbericht der Kantonspolizei Aargau vom 14. November 2009 bemerkt wird, die durch den Be- schwerdeführer in den protokollarischen Befragungen gemachten Aussagen seien mit der notwendigen Vorsicht zu werten, da er auf- grund seines längeren und fortwährenden Konsums von Marihuana bereits Anzeichen von Denk- und Konzentrationsstörungen aufweise. In der Konfrontationseinvernahme vom 18. Juni 2009 habe er selbst zu Protokoll gegeben: "Ich konsumiere seit langer Zeit und weiss morgen nicht mehr genau, was heute war". Wenn auch zutreffend ist, dass dem Beschwerdeführer im Straf- verfahren keine Aussage- oder Wahrheitspflicht obliegt, und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die entsprechenden Aussagen des Beschwerdeführers im Strafverfahren (auch) zu Verteidigungs- zwecken erfolgt waren, so bedeutet dies entgegen der Meinung des Beschwerdeführers dennoch nicht gleichzeitig, dass die im Schluss- bericht der Kantonspolizei Aargau vom 14. November 2009 rappor- tieren "Denk- und Konzentrationsstörungen" lediglich vorgetäuschte "Wissenslücken" darstellen und allein auf "Falschaussagen" beruhen, wie der Beschwerdeführer namhaft machen will. Mit Blick auf den Umstand, dass die befragenden Polizeibeamten medizinische Laien und damit nicht befähigt sind, rund um die rapportieren "Denk- und Konzentrationsstörungen" eine stichhaltige medizinische Beurteilung abzugeben und einzuschätzen, ob die "Wissenslücken" bloss vorge- täuscht oder durch den Cannabiskonsum des Beschwerdeführers in- diziert sind, sowie angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdefüh- rer im Strafverfahren - insbesondere während der Untersuchungshaft - zu den ihm angelasteten Verfehlungen widersprüchliche Angaben gemacht und frühere Aussagen zurückgezogen hatte, bestehen zwar zu wenig erhärtete und hinreichende Anhaltspunkte für den von der Vorinstanz geäusserten Verdacht, der Beschwerdeführer leide an (kognitiven) Gedächtnisstörungen. Die Vorinstanz übersieht in die- sem Zusammenhang, dass nicht unbesehen der beim Beschwerdefüh- rer bestehenden Cannabisproblematik einzig gestützt auf die erwähn- 2010 Verwaltungsgericht 98 ten Angaben im Schlussbericht vom 14. November 2009 auf das Vor- liegen eines Verdachts kognitiver Störungen geschlossen werden darf. Indes ist deswegen nicht ersichtlich, weshalb der eingangs ge- schilderte Eindruck der Polizeibeamten im Strafverfahren nicht als Indiz für die Beurteilung einer Suchtproblematik im vorliegenden Verfahren berücksichtigt werden darf, zumal kein Grund ersichtlich ist, weshalb die rapportierenden Polizeibeamten den Beschwer- deführer zu Unrecht hätten "Denk- und Konzentrationsstörungen" bezichtigen bzw. falsche Angaben im Protokoll anbringen sollen. Weder die Formulierungen im Schlussbericht vom 14. November 2009 noch die Ausführungen im Polizeirapport vom 16. Oktober 2009 lassen darauf schliessen, dass die rapportierenden Polizei- beamten ein besonderes Interesse an der Verzeigung und Bestrafung des Beschwerdeführers verfolgt hätten. Im Gegenteil, dem Be- schwerdeführer wird im Schlussbericht vom 14. November 2009 ein anständiges Verhalten während der Untersuchungshaft attestiert. 3.3.3. Aus den beigezogenen Akten erhellt unzweideutig, dass der heute 19 Jahre alte Beschwerdeführer als regelmässiger - und nicht bloss gelegentlicher - Cannabiskonsument zu gelten hat, wel- cher während mindestens zwei Jahren wöchentlich Marihuana in nicht zu vernachlässigendem Umfang von drei Gramm - so viel hat der Beschwerdeführer im Rahmen der Ermittlungen im Strafverfah- ren zumindest zugestanden - konsumierte. Dass der Beschwerdefüh- rer lediglich jeweils an den Wochenenden Cannabis konsumiert ha- ben soll, wie er vor Verwaltungsgericht vorbringt, findet mangels entsprechender Aussagen im Rahmen des Strafverfahrens in den Akten keine Stütze, so dass die entsprechende Behauptung nicht als erwiesen angesehen werden kann. Es kommt hinzu, dass es gesicherter wissenschaftlicher Er- kenntnis entspricht, dass der Cannabisrausch die Fahrtüchtigkeit be- einträchtigt. Der gelegentliche Cannabiskonsument, der nicht mit Al- kohol oder anderen Drogen mischt, ist jedoch in der Regel in der Lage, konsumbedingte Leistungseinbussen als solche zu erkennen und danach zu handeln. Demgegenüber ist bei andauerndem bzw. re- gelmässigem und gleichzeitig hohem Konsum von einer mindestens 2010 Strassenverkehrsrecht 99 geringen Bereitschaft und Fähigkeit auszugehen, zuverlässig zwi- schen dem Drogenkonsum und der Teilnahme am Strassenverkehr zu trennen (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 1 BvR 2062/96 vom 20. Juni 2002, Absätze 33 ff.). Die Neigung, unter Substanzeinfluss zu fahren, verstärkt sich mit zunehmendem Konsum. Deshalb kann regel- oder gar gewohnheitsmässiger Cannabiskonsum zumindest berechtigte Zweifel an der Fahreignung begründen, die gegebenen- falls weitere Abklärungen im Rahmen einer Eignungsprüfung (oder von Auflagen) rechtfertigen. Ausschliesslich vereinzelter Cannabis- konsum - wie er im Falle des Beschwerdeführers hier klar zu vernei- nen ist - ohne zusätzliche fahreignungsbeeinträchtigende Umstände wird dies demgegenüber regelmässig nicht zulassen. Allerdings ist der gelegentliche Konsument von Cannabisprodukten nicht ohne weiteres von einem regel- oder gewohnheitsmässigen Konsumenten zu unterscheiden, zumal entsprechende Erklärungen des Betroffenen nicht stets als wahr unterstellt werden können (Entscheid des Bundesgerichts vom 13. April 2006 [6A.11/2006], Erw. 3.3). Wenn die Vorinstanz bei den gegebenen Umständen die Anord- nung einer eingehenden fachärztliche Begutachtung des Beschwerde- führers bestätigte, so kann ihr keine Rechtsverletzung vorgeworfen werden. Die unbestrittene Tatsache, dass der Beschwerdeführer seit längerer Zeit in beträchtlichem Ausmass und gewohnheitsmässig Cannabis konsumierte und darauf selbst nach Eröffnung eines Straf- verfahrens und des vorliegenden Sicherungsentzugsverfahrens nicht verzichten konnte, und er anlässlich seiner Befragungen während der Untersuchungshaft in seinem (Aussage-)Verhalten nach Einschät- zung der rapportierenden Polizeibeamten Auffälligkeiten offenbarte, welche auf "Denk- und Konzentrationsstörungen" hinweisen könn- ten, bilden hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Be- schwerdeführer unter dem Einfluss von regelmässigem Cannabis- konsum die Tendenz haben könnte, gesetzliche Vorschriften zu miss- achten, die der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer dienen. Bei einem solchen Konsumverhalten ist zudem nicht auszuschliessen, dass der Betroffene ausser Stande ist, eine drogenkonsumbedingte zeitweilige Fahruntüchtigkeit rechtzeitig als solche zu erkennen oder trotz einer solchen Erkenntnis von der aktiven Teilnahme am Strassenverkehr 2010 Verwaltungsgericht 100 abzusehen. Jedenfalls darf diese Beurteilung aufgrund der entgegen- stehenden, hinreichend aussagekräftigen Anzeichen für den vom Be- schwerdeführer eingestandenen Verdacht, dass er mindestens regel- mässig Cannabis konsumiert, nicht leichthin als unbegründet abgetan werden. Angesichts seines eingestandenen Cannabiskonsums er- weckt der Beschwerdeführer vielmehr eine gewisse Befürchtung, dass er mehr als jede beliebige andere Person Gefahr laufen könnte, sich in einem Zustand ans Steuer zu setzen, der das sichere Lenken des Fahrzeuges nicht mehr gewährleistet, zumal auch eine blosse Suchtgefährdung für einen Sicherungsentzug genügen kann, und es lässt sich der Verdacht, dass der Beschwerdeführer Drogenkonsum und Strassenverkehr nicht ausreichend zu trennen vermöchte, ange- sichts der besonderen Schwierigkeiten des Nachweises sowohl des die Fahrfähigkeit beeinträchtigenden Konsums als auch der Ab- hängigkeit von Cannabis (vgl. BGE 124 II 559, Erw. 3c und d) nicht ausschliessen. Im Übrigen kann erst aufgrund der hier streitigen fachärztlichen Untersuchung geprüft werden, wie häufig und intensiv der Cannabiskonsum tatsächlich ist, ob der Beschwerdeführer zu- sätzlich andere Drogen bzw. Alkohol oder Medikamente konsumiert und wie sein psychischer und gesundheitlicher Gesamtzustand sich insgesamt auf die Frage der Fahreignung auswirkt. 3.3.4. Vorliegend wird nicht ausser Acht gelassen, dass nicht jeder Cannabiskonsum zwingend die Fahrfähigkeit beeinträchtigt und Can- nabiskonsumenten - ebenso wie solche von Alkohol - in der Lage sein können, die Gefährlichkeit der Droge im Strassenverkehr zu er- kennen und nach einem die Fahrfähigkeit beeinträchtigenden Kon- sum auf das Autofahren zu verzichten. Nach der dargelegten Praxis darf auch nicht gefolgert werden, präventive verkehrsmedizinische Abklärungen seien erst zulässig, wenn mehrere Anzeichen für eine pathologische Sucht bzw. schwere Gesundheitsstörungen vorliegen oder wenn es bereits zu einem Verkehrsunfall gekommen ist. Zwar darf nicht bei jedem Cannabiskonsumenten ohne weiteres eine man- gelnde Fahreignung vermutet und eine entsprechende verkehrsmedi- zinische Abklärung angeordnet werden. Diesbezüglich ist auch eine möglichst rechtsgleiche Praxis im Vergleich zum Alkoholmissbrauch 2010 Strassenverkehrsrecht 101 am Steuer anzustreben (vgl. BGE 126 II 185, Erw. 2; 124 II 559, Erw. 3c-d). Mögliche Anzeichen dafür, dass eine verkehrsmedi- zinische Abklärung der Fahreignung von regelmässigen Cannabis- konsumenten geboten sei, beschränken sich allerdings nicht zum Vornherein auf Resultate von Messungen des Cannabis-Wirkstoffge- halts (THC-Gehalt) im Blut des Lenkers. Vielmehr können sich ent- sprechende Anhaltspunkte - wie im vorliegenden Fall - auch aus dem eingestandenen Konsumverhalten des Lenkers ergeben. Bei An- zeichen von übermässigem Haschischkonsum, der zur Gefährdung der Verkehrssicherheit führt, darf eine Prüfung der Fahreignung an- geordnet werden (vgl. BGE 127 II 122, Erw. 4b; 124 II 559, Erw. 3d). Schliesslich ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Begutachtung nichts zu befürchten hat, sollten seine Angaben tatsächlich zutreffen, denn das Gutachten würde diesfalls seine Fahreignung bestätigen. Auf der anderen Seite könnte durch eine allfällige negative Begutachtung die Verkehrssicherheit für die anderen Verkehrsteilnehmer gewährleistet werden, indem der Be- schwerdeführer nach entsprechender Begutachtung mittels definiti- vem Sicherungsentzug vom Verkehr ferngehalten werden könnte. Eine Abwägung dieser Interessen ergibt zweifellos die Notwendig- keit, dass beim Beschwerdeführer eine eingehende fachärztliche Begutachtung durchgeführt wird. 3.3.5. Die Anordnung einer eingehenden fachärztlichen Begutachtung des Beschwerdeführers zur umfassenden Prüfung von dessen Fahr- eignung durch das Strassenverkehrsamt war unter diesen Umständen zu Recht erfolgt und ist auch heute noch angemessen. Es liegt darin weder eine unrichtige Rechtsanwendung noch eine Ermessens- überschreitung oder ein Ermessensmissbrauch. 4. 4.1. Es stellt sich die Frage, inwieweit der vom Strassenverkehrsamt angeordnete und von der Vorinstanz bestätigte vorsorgliche Entzug des Führerausweises (noch) gerechtfertigt ist. 2010 Verwaltungsgericht 102 4.2. Wie bereits geschildert, ist nach der Rechtsprechung des Bun- desgerichts der vorsorgliche Entzug des Führerausweises gerechtfer- tigt, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass ein Fahrer eine besondere Gefahr für die anderen Strassenbenützer darstellt und dass seine Fä- higkeit, ein Fahrzeug zu lenken, ernsthaft bezweifelt werden muss. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ärztliche Untersuchungen oder auch das Verhalten des Fahrzeugführers insgesamt konkrete Hinweise für eine Sucht ergeben (BGE 122 II 359, Erw. 3a; 125 II 396, Erw. 3). Wenn dabei gemäss Gesetz bis zur Abklärung von Ausschlussgründen der Führerausweis entzogen werden kann, so ist die Entzugsbehörde auf ihr Ermessen verwiesen und hat sie ungeachtet, dass der vorsorgliche Entzug in solchen Fällen die Regel bildet (BGE 125 II 396, Erw. 3), summarisch eine Abwägung der massgeblichen Interessen vorzunehmen und mindestens die Dring- lichkeit des Entzugs zu begründen (vgl. BGE 127 II 122, Erw. 5). Wie alle hoheitlichen Massnahmen muss auch ein (vorsorglicher) Führerausweisentzug dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit ge- recht werden. 4.3. 4.3.1. Weder das Strassenverkehrsamt noch die Vorinstanz haben in ihren Entscheiden die Dringlichkeit des angeordneten vorsorglichen Entzugs des Führerausweises hinreichend schlüssig begründet. Dass nicht unbesehen der beim Beschwerdeführer bestehenden Cannabis- problematik einzig gestützt auf die Angaben im Schlussbericht vom 14. November 2009 betreffend "Denk- und Konzentrationsstörun- gen" auf das Vorliegen eines Verdachts kognitiver Störungen ge- schlossen werden darf, wurde bereits erörtert (siehe vorne Erw. 3.3.2). Umstände, welche auch bei der gebotenen summari- schen Prüfung der für den sofortigen Entzug vorausgesetzten Ge- fährlichkeit des Beschwerdeführers für den Strassenverkehr mitzu- berücksichtigen sind, haben die Vorinstanzen nicht bzw. nicht aus- reichend gewürdigt. So ist zwar ausweislich der Akten nicht bekannt, ob der Beschwerdeführer schon einmal ein Motorfahrzeug unter Drogeneinfluss gelenkt hat. Fest steht indes, dass ihm bislang kein 2010 Strassenverkehrsrecht 103 Vorfall von Fahren unter Drogeneinfluss angelastet wurde und der Beschwerdeführer bisher nicht als Konsument illegaler Rauschmittel, welcher danach in fahrunfähigem Zustand als Lenker eines Motor- fahrzeugs am Strassenverkehr teilgenommen hatte, aktenkundig ge- worden ist. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer unbestrit- tenermassen über einen ungetrübten automobilistischen Leumund und es mussten gegenüber ihm bisher - auch aus anderen Gründen - noch keine Führerausweisentzüge oder andere Administrativmass- nahmen verhängt werden. Das Fahrverhalten des Beschwerdeführers anlässlich der polizeilichen Kontrolle am 13. Juni 2009 muss mangels entgegenstehender Anhaltspunkte in den beigezogenen Ak- ten als unauffällig gewertet werden. Ebenso wenig ergeben sich aus den Akten hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich an- lässlich der polizeilichen Kontrolle am 13. Juni 2009 eine merkbare Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit des Beschwerdeführers feststel- len liess, andernfalls von der Polizei wohl entsprechende Abklärun- gen, insbesondere ein Drogenschnelltest und eine ärztliche Unter- suchung, angeordnet worden wären, bzw. die Polizei diesfalls umge- hend entsprechende Mitteilung an das Strassenverkehrsamt gemacht hätte. Ferner ist auch nicht erwiesen, dass der Beschwerdeführer ne- ben Cannabis Alkohol konsumiert (was bereits bei geringeren Men- gen zu relevanten Ausfallerscheinungen führen kann; vgl. BGE 124 II 559, Erw. 4b m.w.H.), und es bestehen auch keine Hin- weise auf den Konsum sog. harter Drogen. Nach heutiger Aktenlage liegen jedoch mit den vom Beschwerdeführer eingestandenen Cannabiskonsumgewohnheiten allein und ohne hinzukommende manifeste Verdachtsgründe für die Annahme, der Beschwerdeführer sei gefährdet, in berauschtem Zustand als Lenker am motorisierten Strassenverkehr teilzunehmen, zu wenig intensive Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer andere Verkehrsteilnehmer als Folge einer allfälligen Cannabisabhängigkeit in erhöhtem Mass gefährden könnte, wenn er bis zum Vorliegen der fachärztlichen Begutachtung weiterhin zum Verkehr zugelassen würde. Die bestehenden Anhalts- punkte sind im jetzigen Zeitpunkt zu wenig erhärtet, als dass erheb- liche Zweifel an dessen Fahreignung aufkommen müssten, weil sich ein erhärteter Verdacht aufdrängte, dass der Beschwerdeführer Mühe 2010 Verwaltungsgericht 104 bekundete, Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme trennen zu kön- nen. 4.3.2. Einer gewissen Wahrscheinlichkeit einer besonderen Gefähr- dung des Strassenverkehrs steht der Entzug des Führerausweises ge- genüber, welcher, auch wenn er bloss provisorisch erfolgt, einen er- heblichen Eingriff in den Persönlichkeitsbereich des Betroffenen dar- stellt, dessen unmittelbare Folgen weit einschneidender sind als die angeordnete Abklärung von Ausschlussgründen. Da zudem diese Abklärung erfahrungsgemäss längere Zeit beansprucht, erweist sich der vorsorgliche Entzug des Führerausweises unter den hier gegebe- nen Umständen gestützt auf die vorliegende Aktenlage als unverhält- nismässig. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich das nicht auszuschliessende Restrisiko eines Fahrens unter Drogeneinfluss durch den bisherigen faktischen vorsorglichen Führerausweisentzug vermindert haben dürfte. Der angefochtene vorsorgliche Sicherungs- entzug ist deshalb zusammenfassend aufzuheben, wobei offen blei- ben kann, ob der vorsorgliche Führerausweisentzug unter den dama- ligen Umständen zu Recht angeordnet worden war. Diesbezüglich hat sich der Beschwerdeführer die für ihn nachteilige Ausgangslage durch seine nach eigener Darstellung Verteidigungszwecken dienen- den (Falsch-) Aussagen im Strafverfahren selber zuzuschreiben.
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-20.html
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2011 Einbürgerungen 231 XI. Einbürgerungen 55 Einbürgerungsverfahren - Die Einhaltung des Erfordernisses der Beachtung der schweizeri- schen Rechtsordnung kann nicht gestützt auf aus dem Strafregister entfernte Einträge verneint werden (Erw. 4.2.3.2). - Bei noch nicht entfernten, aber auf dem Privatauszug nicht mehr er- scheinenden, Strafregistereinträgen ist eine Abwägung zwischen der Schwere der Tat und der abgelaufenen Zeitdauer anzustellen (Erw. 4.2.3.3). - Auch die Häufung von Strassenverkehrsdelikten kann ein Hinweis darauf sein, dass der Bürgerrechtsbewerber das Erfordernis der Be- achtung der schweizerischen Rechtsordnung nicht erfüllt (Erw. 4.2.4). Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 21. April 2011 in Sachen K. (WBE.2011.13). Aus den Erwägungen 4.2.3. 4.2.3.1. Der Umstand, dass ein Gesuchsteller einen oder mehrere Straf- registereinträge aufweist, kann ein Indiz für eine mangelhafte Beach- tung der schweizerischen Rechtsordnung darstellen, zumal ein Straf- registereintrag in der Regel eine gewisse Mindestschwere des Delikts voraussetzt (vgl. zu den Voraussetzungen für einen Eintrag im Straf- register Art. 3 Abs. 1 VOSTRA-Verordnung [SR 331]; auch Über- tretungen werden ab einer Bestrafung mit einer Busse von mehr als Fr. 5'000.00 oder gemeinnütziger Arbeit von mehr als 180 Stunden im Strafregister verzeichnet; vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. c VOSTRA-Ver- ordnung). Auch wenn Delikte zu einem Eintrag im Strafregister ge- 2011 Verwaltungsgericht 232 führt haben, stellt sich jedoch die Frage, ob dann, wenn seit der Tat schon eine erhebliche Zeit verstrichen ist, nicht doch eine gute Pro- gnose über das zukünftige Verhalten gestellt werden kann und des- halb das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechts- ordnung als erfüllt zu betrachten ist. In diesem Sinn wird zum Teil verlangt, dass jedenfalls aus Unterlagen bekannte, aber im Straf- register nicht mehr enthaltene Strafen prinzipiell auch nicht mehr zum Nachteil der Bewerberin bzw. des Bewerbers verwendet werden dürfen (vgl. dazu K ARL H ARTMANN /L AURENT M ERZ , Einbürgerung, Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts, in: P ETER U EBERSAX /B EAT R UDIN /T HOMAS H UGI Y AR / T HOMAS G EISER , Ausländerrecht [Handbücher für die Anwaltspraxis], 2. Aufl., Basel 2009, § 12 Rz. 12.19 S. 598). 4.2.3.2. Das seit dem 1. Januar 2007 in Kraft stehende Strafregisterrecht (vgl. Art. 365 ff. StGB sowie die VOSTRA-Verordnung) sieht für die Entfernung von Strafregistereinträgen sehr lange Mindestfristen vor (mindestens 10 Jahre sogar bei Übertretungen; vgl. Art. 369 Abs. 3 StGB). Hat sich eine Gesuchstellerin bzw. ein Gesuchsteller während so langer Fristen nichts mehr (d.h. auch keine nicht eintragungsfähi- gen Delikte) zu Schulden kommen lassen, so dürfte es nicht haltbar sein, das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechts- ordnung zu verneinen, da Art. 369 Abs. 7 StGB ausdrücklich be- stimmt, dass entfernte Urteile dem Betroffenen nicht mehr entgegen- gehalten werden dürfen; zwischen Strafrecht und Bürgerrecht besteht insoweit grundsätzlich eine weitgehende Wertungskongruenz (vgl. aber immerhin die bundesgerichtliche Praxis im Migrationsrecht; Urteil vom 4. Dezember 2009 [2C_43/2009] Erw. 3.3.1. mit Hinwei- sen). 4.2.3.3. Angesichts der sehr langen Fristen für eine Entfernung von Strafregistereinträgen stellt sich umgekehrt die Frage, ob es nicht unverhältnismässig sein kann, einer Gesuchstellerin bzw. einem Ge- suchsteller generell die Aufnahme ins Bürgerrecht innerhalb von zehn oder mehr Jahren seit einer entsprechenden Eintragung zu ver- 2011 Einbürgerungen 233 wehren, d.h. die Dauer der Eintragung generell als Sperrfrist für eine Einbürgerung anzusehen. Das neue Strafregisterrecht kennt neben dem Einsichtsrecht je- des Betroffenen in seinen vollständigen Eintrag (Art. 370 Abs. 1 StGB) das Recht auf Ausstellung eines Auszugs aus dem Strafre- gister (sog. Strafregisterauszug für Privatpersonen [Privatauszug]; vgl. Marginale von Art. 371 StGB). Auf dem Privatauszug erschei- nen Eintragungen wegen Übertretungen nur im Ausnahmefall (Art. 371 Abs. 1 StGB: wenn gleichzeitig ein Berufsverbot verhängt wurde). Urteile, die eine Strafe enthalten, werden nicht mehr in den Auszug aufgenommen, wenn zwei Drittel der für die Entfernung nach Art. 369 StGB massgebenden Dauer abgelaufen sind. Auch Ein- tragungen, welche eine bedingte oder teilbedingte Strafe enthalten, erscheinen nicht mehr im Auszug, wenn der Verurteilte sich bis zum Ablauf der Probezeit bewährt hat (Art. 371 Abs. 3 und 3 bis StGB; diese Vorschriften ersetzen der Sache nach zum Teil die altrechtliche Regelung betreffend Löschung von Strafregisterauszügen; vgl. dazu P ATRICK G RUBER , in: M ARCEL A LEXANDER N IGGLI /H ANS W IPRÄCHTIGER [Hrsg.], Basler Kommentar Strafrecht II, 2. Aufl., Basel 2007, Art. 371 N 27 und Art. 369 N 4). Der Gesetzgeber will somit - ähnlich wie bei der altrechtlichen Löschung des Straf- registereintrags - bei Bestehen der Probezeit nur noch einem be- schränkten Personenkreis Zugang zu den eingetragenen Daten er- möglichen. Einen vollständigen Zugriff auf die eingetragenen Daten behält immerhin, unabhängig vom Schweigen des Privatauszugs über bestimmte Delikte, die kantonale Koordinationsstelle (Art. 367 Abs. 2 StGB). Das beschränkte Einsichtsrecht hat keine direkten Auswirkun- gen auf den Entscheid über die Einhaltung des Erfordernisses der Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung, zumal das Straf- register auch der behördlichen Aufgabenerfüllung im Einbürgerungs- verfahren dient und die kantonale Koordinationsstelle bis zur Entfer- nung des Eintrags Einblick in den vollständigen Eintrag hat (vgl. Art. 365 Abs. 2 lit. g sowie Art. 367 Abs. 1 lit. e StGB). In Fällen, wo ein Eintrag noch nicht entfernt wurde, jedoch auf dem Privatauszug nicht mehr erscheint, ist, wenn es um die Beurteilung des Erforder- 2011 Verwaltungsgericht 234 nisses der Beachtung der Rechtsordnung geht, eine Abwägung zwi- schen Schwere der Tat und der seither abgelaufenen Zeitdauer anzu- stellen. 4.2.4. In Bezug auf sog. "Bagatelldelikte", wie sie insbesondere im Strassenverkehrsrecht begegnen, ist im Zusammenhang mit Einbür- gerungsbegehren der besondere Charakter solcher Straftaten zu beachten. Anders als bei eigentlichen Vorsatztaten handelt es sich dabei in der Regel um Verhaltensweisen, die im Wesentlichen der (allenfalls auch grob) pflichtwidrigen Unaufmerksamkeit oder dem Übermut eines Delinquenten zuzuschreiben sind. Das bedeutet frei- lich nicht, dass in solchem Verhalten niemals ein Hinweis auf eine ungenügende Beachtung der Rechtsordnung liegen könnte. Wenn sich bei einer Person Strassenverkehrsdelikte häufen (z.B. notori- scher Falschparkierer) kann ein solches Verhalten vielmehr durchaus einen Hinweis darauf darstellen, dass der Bürgerrechtsbewerberin bzw. dem -bewerber die Einhaltung der entsprechenden Normen nicht wichtig ist, sie bzw. er somit insoweit eine gewisse "Noncha- lance" an den Tag legt oder schlicht nicht in der Lage ist, dauerhaft die entsprechenden Normen der schweizerischen Rechtsordnung einzuhalten. 4.3. 4.3.1. Das Strafregister enthält zwei Einträge betreffend den Be- schwerdeführer: - die Verurteilung vom 7. April 2003 wegen eines Vergehens, welche infolge Ablaufs der Probezeit nicht mehr im Pri- vatauszug erscheint (vgl. Art. 371 Abs. 3 bis StGB); - die Verurteilung vom 7. April 2006 wegen einer Übertre- tung, die wegen ihres Charakters als Übertretung ebenfalls nicht auf dem Privatauszug figuriert (vgl. Art. 371 Abs. 1 StGB). Dabei handelt es sich - insbesondere bei der Verurteilung aus dem Jahr 2003 - nicht um ein "Bagatelldelikt"; die Verurteilung wird im Jahr 2013 aus dem Strafregister entfernt werden (vgl. Art. 369 Abs. 3 und 6 lit. a StGB). 2011 Einbürgerungen 235 Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer ein drittes Mal im Zu- sammenhang mit seinem Verhalten im Strassenverkehr straffällig geworden. Der letzte Vorfall - vom 18. Januar 2008 - führte indes zu keinem Eintrag im Strafregister. 4.3.2. Die Strafe aus dem Jahr 2003 war bei Einleitung des Einbürge- rungsverfahrens im September 2009 schon seit über vier Jahren im Strafregister "gelöscht" (altrechtlich) bzw. erschien nicht mehr im Privatauszug. Hinsichtlich der zweiten gegen den Beschwerdeführer ausgefällten Strafe erschien diese, die nur gemäss altem Recht (vgl. Art. 9 lit. b der Verordnung vom 1. Dezember 1999 über das auto- matisierte Strafregister [alte VOSTRA-Verordnung; BBl 1999, 3509 ff.], wonach Verurteilungen wegen Übertretungen einzutragen waren, sofern eine Haftstrafe ausgesprochen wurde) zum Strafregi- stereintrag führte, spätestens seit dem Inkrafttreten des neuen Rechts am 1. Januar 2007 nicht mehr auf dem Privatauszug. Zusätzlich fällt hier indessen ins Gewicht, dass der Beschwer- deführer am 18. Januar 2008 wiederum straffällig wurde. Selbst wenn es sich bei diesem Delikt zwar nicht um ein eintragungsfähiges Delikt handelte, ging es dabei indessen wie bei den Vergehen aus den Jahren 2002, 2003 und 2006 nicht um eine blosse Bagatelle, sondern um gefährdende Verhaltensweisen im Strassenverkehr (Überholen an unübersichtlicher Stelle sowie Missachtung des Vortritts gegenüber Fussgängern), für die der Beschwerdeführer mit einer Busse belegt wurde. 4.4. Seit dem letzen Vorfall vom 18. Januar 2008 bis zum Entscheid der Justizkommission am 15. November 2010 ist zwar schon wieder ein Zeitraum von bald einmal drei Jahren verstrichen. Wird indessen zusätzlich die automobilistische "Biographie" des Beschwerde- führers bis zu diesem letzten Vorfall in Erwägung gezogen, erscheint es dennoch im Ergebnis nicht als unhaltbar, wenn die Justizkom- mission das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechts- ordnung zum Beurteilungszeitpunkt (noch) nicht als erfüllt betrachtet hat. Um diese Schlussfolgerung ziehen zu können, bedarf es insbe- sondere auch keiner persönlichen Anhörung des Beschwerdeführers. 2011 Verwaltungsgericht 236 Der Beschwerdeführer hat in einem Zeitraum von etwas mehr als fünf Jahren (28.11.2002 - 18.1.2008) insgesamt viermal zum Teil sehr schwerwiegende Verkehrsregelverletzungen begangen. Ange- sichts dessen ist es, obwohl die Schwere der Taten tendenziell eher abnahm, haltbar, wenn die Justizkommission im Ergebnis zum Schluss kam, der Beschwerdeführer erfülle zurzeit das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung (noch) nicht. Das führt zur Abweisung der Beschwerde.
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2002 Straf- und Massnahmenvollzug 155 IV. Straf- und Massnahmenvollzug 42 Bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug (Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). - Grundsätze der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug auf Grund der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung (Erw. 4). - Die Einsetzung der "Fachkommission zur Überprüfung der Gemein- gefährlichkeit von Straftätern und Straftäterinnen" ist rechtmässig (Erw. 2). - Auslegung eines unklaren Dispositivs mit Hilfe der Erwägungen (Erw. 3/b/aa). - Die Anordnung einer vollzugsbegleitenden Massnahme endet mit der vollständigen Verbüssung der entsprechenden Strafe, selbst wenn un- mittelbar anschliessend eine weitere Freiheitsstrafe (ohne Verbindung mit einer Massnahme) vollzogen wird (Erw. 3/b/cc). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. Januar 2002 in Sa- chen C.J.M. gegen Verfügung des Departements des Innern. Aus den Erwägungen 2. a) Der Kanton Aargau gehört dem am 4. März 1959 ge- schlossenen Konkordat über den Vollzug von Strafen und Massnah- men nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch und dem Recht der Kantone der Nordwest- und Innerschweiz (Strafvollzugskonkordat NW; SAR 253.010) an (vgl. § 4 Abs. 1 des Dekrets über den Vollzug von Strafen und Massnahmen [Strafvollzugsdekret; SAR 253.110] vom 27. Oktober 1959). Zweck des Konkordats ist die Bestimmung der in den Konkordatskantonen betriebenen Anstalten und der koordinierte bzw. gemeinsame Vollzug der von den Kantonen aus- gesprochenen Strafen und Massnahmen in diesen Anstalten. Sämtli- che Vollzugskompetenzen verbleiben bei den Kantonen (Art. 8 Abs. 1 Strafvollzugskonkordat NW). Es handelt sich also um ein bloss 2002 Verwaltungsgericht 156 mittelbar rechtsetzendes Konkordat, d.h. dieses enthält keine unmit- telbar rechtsetzenden Normen, sondern verpflichtet vielmehr die beteiligten Kantone, ihr internes Recht nach den Bestimmungen des Konkordats auszugestalten (vgl. Ulrich Häfelin/Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl., Zürich 2001, Rz. 1285 f.; Yvo Hangartner, Grundzüge des schweizerischen Staats- rechts, Bd. I, Zürich 1980, S. 78). Die Umsetzung, also die Schaf- fung des internen kantonalen Rechts, richtet sich nach dessen Be- stimmungen. b) Die Konkordatskonferenz (vgl. Art. 17 Strafvollzugskonkor- dat NW) hat am 21. April 1995 "Richtlinien betreffend gemeinge- fährliche Straftäter/-innen im Freiheitsentzug" erlassen, die inzwi- schen durch neue Richtlinien vom 3. Dezember 1999 (im Folgenden: Richtlinien) ersetzt wurden. Deren Zweck ist die Vereinheitlichung der Praxis bei der Erkennung, Erfassung, Beurteilung, Behandlung und Unterbringung von gemeingefährlichen Straftäterinnen und Straftätern (Ziff. 1.1 der Richtlinien). Zur Durchführung setzt jeder Kanton eine unabhängige Fachkommission ein oder schliesst sich einer regionalen Fachkommission an (Ziff. 2.1 Abs. 1 der Richtli- nien). Die Einsetzung der aargauischen Fachkommission zur Überprü- fung der Gemeingefährlichkeit von Straftätern und Straftäterinnen (im Folgenden: Fachkommission) und die Vorgaben für deren Tätig- keit erfolgten durch Verfügung und Reglement vom 10. November 1995, beide erlassen durch den Vorsteher des Departements des In- nern (heute abgelöst durch das Reglement vom 23. August 2000 und die Verfügung vom 7. November 2000). Die Fachkommission wird ausschliesslich auf Anfrage von Strafverfolgungs- und Strafvollzugs- behörden hin tätig und gibt zuhanden dieser Behörden Beurteilungen über die Gemeingefährlichkeit von Straftäterinnen und Straftätern sowie gegebenenfalls gewisse konkrete Empfehlungen ab; sie hat keine eigenen Entscheidungs- oder Weisungsbefugnisse. Dies ergibt sich aus dem Reglement und aus den Richtlinien, auf die darin ver- wiesen wird, klar. Unter diesen Umständen lässt sich nicht beanstan- den, dass der Vorsteher des Departements des Innern als zuständiger Vollzugsbehörde (§ 18 Abs. 1 StPO) ein solches beratendes Gremium 2002 Straf- und Massnahmenvollzug 157 mittels Verfügung eingesetzt hat, auch wenn die Bedeutung der Sa- che wohl eine Regelung im Strafvollzugsdekret gerechtfertigt hätte. c) Der Beschwerdeführer ist der Meinung, das Wirken der Fachkommission widerspreche der EMRK und dem Bundesrecht (StGB). Er übersieht dabei, dass Art. 6 EMRK im strafrechtlichen Bereich nur auf das Verfahren bis zur Verurteilung, nicht aber auf den Strafvollzug Anwendung findet (Ruth Herzog, Art. 6 EMRK und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995, S. 109; Mark E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., Zürich 1999, Rz. 401). Dass andererseits das StGB solche Fachkommissionen nicht vorsieht, macht diese nicht unzulässig. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Revisionsbedürftigkeit des StGB (Vollzugsgerichte) ändert nichts daran, dass das Verwaltungs- gericht das zurzeit geltende Recht anzuwenden hat. Nach diesem gehört der Strafvollzug grundsätzlich - Art. 397 bis StGB statuiert Ausnahmen, die auf den vorliegenden Sachverhalt aber nicht zutref- fen - zum Zuständigkeitsbereich der Kantone (Art. 42 i.V.m. Art. 123 BV; zuvor Art. 64 bis der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874), und dass die Einsetzung der Fachkommission mit dem kantonalen Recht vereinbar ist, wurde bereits ausgeführt. 3. a) In der Beschwerde und an der Verhandlung wurde mehr- fach auf die vollzugsbegleitende Massnahme gemäss Urteil des BG Kulm vom 12. Mai 1998 Bezug genommen. Der Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren, ist offenbar der Folgende. Der Be- schwerdeführer argumentiert damit, dass er, wenn keine bedingte Entlassung erfolgt, am 30. Dezember 2003 ohne Auflagen und Wei- sungen aus dem Strafvollzug entlassen werden muss, während das Departement davon ausgeht, bis dann gelte diese vollzugsbegleitende Massnahme; wenn sie sich als erfolglos erweise, könne sie der Richter noch bei Strafende gestützt auf Art. 43 Ziff. 3 Abs. 3 StGB durch eine andere Massnahme bis hin zur Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ersetzen (vgl. dazu BGE 123 IV 102 ff.; 125 IV 228 ff.). b) aa) Der Beschwerdeführer bringt vor, die fragliche Mass- nahme sei weder gestützt auf Art. 43 noch Art. 44 StGB angeordnet worden; dies sei ein formaljuristischer Fehler, der zur Folge habe, 2002 Verwaltungsgericht 158 dass diese Anordnung nicht zu seinem Nachteil ausgelegt (d.h. im Ergebnis nicht berücksichtigt) werden dürfe. Dispositiv Ziff. 4 des Urteils des BG Kulm vom 12. Mai 1998 lautet: "4. Es wird eine ambulante Psychotherapie verbunden mit der Verhinde- rung von Alkoholkonsum angeordnet." Massgeblich ist bei Urteilen und Verfügungen - insoweit hat der Beschwerdeführer durchaus Recht - das Dispositiv. Ist dieses nicht aus sich heraus verständlich und eindeutig, also auslegungsbedürftig, so ist sein Sinn mit Hilfe der Erwägungen auszulegen. Dies ist ein allgemeiner und unbestrittener Grundsatz (vgl. Fritz Gygi, Verwal- tungsrecht, Bern 1986, S. 129; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kom- mentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 52 N 12). Aus den Erwägungen seines Urteils geht nun eindeutig hervor, dass das BG Kulm eine Massnahme ge- mäss Art. 43 StGB geprüft und angeordnet hat (S. 29 unten: "Gestützt auf die vorliegenden Gutachten und die Aussagen des Bezirksarztes ist daher eine ambulante psychotherapeutische Behandlung nach Art. 43 StGB anzuordnen."). Hiervon hat die Vollzugsbehörde auszugehen. cc) Der Beschwerdeführer verbüsste die vom BG Kulm am 12. Mai 1998 ausgefällte Strafe vollumfänglich; sie lief am 28. No- vember 2000 ab. Das Departement des Innern ist offenbar der Mei- nung, weil es die unmittelbar nacheinander vollzogenen Freiheits- strafen (zunächst, bis zum 28. November 2000, diejenige gemäss Urteil BG Kulm vom 12. Mai 1998; dann diejenige gemäss Urteil BG Lenzburg vom 7. September 2000) für die Berechnung der frü- hestmöglichen bedingten Entlassung zusammenzähle, gelte die vom BG Kulm angeordnete vollzugsbegleitende Massnahme bis zum Endtermin 30. Dezember 2003, obwohl mit Urteil des BG Lenzburg vom 7. September 2000 ausschliesslich der Vollzug der aufgescho- benen Freiheitsstrafen, ohne zusätzliche Durchführung einer ambu- lanten/vollzugsbegleitenden Massnahme, angeordnet wurde. Das Verwaltungsgericht vermag dieser Auffassung nicht zu folgen. Die Berechnung der Vollzugsdaten, namentlich im Hinblick auf eine allfällige bedingte Entlassung, erfolgt unter Zusammenrechnung der Strafen; dem Sinn von Art. 38 Ziff. 1 StGB entsprechend, muss dies 2002 Straf- und Massnahmenvollzug 159 gelten, ob nun Art. 2 Abs. 5 der Verordnung 1 zum StGB (VStGB 1; SR 311.01) vom 13. November 1973 direkt anwendbar ist oder, weil die Freiheitsstrafen nicht gleichzeitig vollziehbar waren, lediglich analog. Es ist eine ganz andere Fragestellung, ob bei mehreren Frei- heitsstrafen, die unmittelbar nacheinander vollzogen werden und von denen nicht alle mit einer vollzugsbegleitenden Massnahme verbun- den sind, diese Massnahme während der Gesamtdauer gilt. Dies ist zu verneinen, weil es auf eine Änderung der Strafurteile - nämlich derjenigen ohne Anordnung einer Massnahme während des Straf- vollzugs - hinausliefe, was der Strafvollzugsbehörde nicht zusteht. Die Anordnung einer ambulanten Psychotherapie als vollzugs- begleitende Massnahme gemäss Dispositiv Ziff. 4 des Urteils des BG Kulm vom 12. Mai 1998 hat folglich heute keine Gültigkeit mehr, da jene Strafe seit langem vollständig verbüsst ist. 4. a) Hat der zu Zuchthaus oder Gefängnis Verurteilte zwei Drittel der Strafe - und mindestens drei Monate - verbüsst, so kann ihn die zuständige Behörde bedingt entlassen, wenn sein Verhalten während des Strafvollzuges nicht dagegen spricht und anzunehmen ist, er werde sich in der Freiheit bewähren (Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). b) Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung zu dieser Be- stimmung (zusammengefasst wiedergegeben in AGVE 1993, S. 319 f.) in neuester Zeit geändert bzw. fortentwickelt (vgl. BGE 124 IV 194 ff., 125 IV 113 ff.). In BGE 124 IV 194 ff. führte es aus, die bedingte Entlassung als vierte Stufe des Strafvollzugs sei in der Re- gel anzuordnen; davon dürfe nur aus guten Gründen abgewichen werden. Ob dem Verhalten des Verurteilten während dem Strafvoll- zug noch selbstständige Bedeutung zukomme, könne offen bleiben. Entscheidend sei eine Gesamtwürdigung mit Hinblick auf das künf- tige Wohlverhalten. Für diese Prognose komme es lediglich insoweit auf die Art der begangenen Delikte an, als diese Rückschlüsse auf die Täterpersönlichkeit und damit auf das künftige Verhalten erlaube. Ob die mit der bedingten Entlassung immer verbundene Gefahr neuer Delikte zu verantworten sei, hänge sowohl von der Wahrscheinlich- keit eines Rückfalls als auch von der Bedeutung des eventuell be- drohten Rechtsgutes ab. Die Rückfallgefahr müsse dabei um so we- 2002 Verwaltungsgericht 160 niger gross sein, je gewichtigere Rechtsgüter bedroht seien. Die aus- nahmsweise Verweigerung der bedingten Entlassung sei folglich dann möglich, wenn mit etwelcher Wahrscheinlichkeit mit neuen, erheblichen Delikten zu rechnen sei. Dabei sei aber auch in Betracht zu ziehen, dass die bedingte Entlassung, die sachgerechte Weisungen und die Stellung unter Schutzaufsicht ermögliche, eher zu einer dau- erhaften Problemlösung und -entschärfung führe als die vollständige Strafverbüssung. Im letztgenannten Entscheid, der einen mehrfachen Mörder be- traf, führte das Bundesgericht aus (BGE 125 IV 115 f.): "La nature des délits commis par l'intéressé n'est, en tant que telle, pas à prendre en compte, en ce sens que la libération conditionnelle ne doit pas être exclue ou rendue plus difficile pour certains types d'infractions. Toutefois, les circonstances dans lesquelles l'auteur a encouru la sanc- tion pénale sont pertinentes dans la mesure où elle sont révélatrices de sa personnalité et donnent ainsi certaines indications sur son comporte- ment probable en liberté. Au demeurant, pour déterminer si l'on peut courir le risque de récidive, inhérant à toute libération qu'elle soit con- ditionnelle ou définitive, il faut non seulement prendre en considération le degré de probabilité qu'une nouvelle infraction soit commise mais également l'importance du bien qui serait alors menacé. Ainsi, le risque de récidive que l'on peut admettre est moindre si l'auteur s'en est pris à la vie ou à l'intégrité corporelle de ses victimes que s'il a commis par exemple des infractions contre le patrimoine." Das Verwaltungsgericht hat hierzu (im Entscheid vom 26. Okto- ber 1999 in Sachen des Beschwerdeführers) festgehalten: "Diese Ausführungen des Bundesgerichts erscheinen in sich nicht völlig widerspruchsfrei. Wenn bei einem Gewaltverbrecher, der sich in schwe- rer Weise gegen hochwertige Rechtsgüter vergangen hat, die bedingte Entlassung nur bei gering(er)em Rückfallrisiko vertretbar ist (S. 195, Erw. 3), bedeutet dies, dass entgegen den vorangehenden Ausführungen die Entlassung für gewisse Tatkategorien (richtigerweise) erschwert werden darf. Die "Leitlinien" (S. 198 ff., Erw. 4d) deuten sodann ganz in der Richtung, dass die bedingte Entlassung der vollständigen Straf- verbüssung praktisch durchwegs vorzuziehen sei, indem sie dem Rechtsgüterschutz - längerfristig betrachtet - regelmässig besser diene 2002 Straf- und Massnahmenvollzug 161 als die Verbüssung der vollen Strafe. Danach wäre die bedingte Entlas- sung "als vierte und letzte Etappe des Stufenstrafvollzugs" ungeachtet einer Rückfallsgefahr immer dann am Platz, wenn nicht ausnahmsweise die volle Strafverbüssung auch langfristig das Risiko zukünftiger Straf- taten voraussichtlich stärker vermindert als die bedingte Entlassung. Dies bedeutet eine Abweichung von den generellen Ausführungen in Erw. 3 und lässt sich jedenfalls mit dem Wortlaut des Gesetzes ("wenn anzunehmen ist, er werde sich in der Freiheit bewähren") nicht mehr vereinbaren. Ob dieses Abweichen vom Wortlaut durch den Sinn des Gesetzes geboten ist oder zumindest gerechtfertigt werden kann, er- scheint fraglich; die Formulierungen in Erw. 4d scheinen stark von den Besonderheiten des konkreten Falles beeinflusst und lassen die Ausein- andersetzung mit zwei Fragen völlig vermissen (Wie verhält es sich, wenn die Prognose sowohl bei bedingter Entlassung als auch bei vollem Strafvollzug schlecht ist, also in beiden Fällen mit dem Rückfall zu rechnen ist? Welches Gewicht haben, bei schlechter Prognose, die Inter- essen der Öffentlichkeit an der Verhinderung von Straftaten wenigstens während der Zeit des restlichen Vollzugs?), ohne deren Beantwortung sich die Zulässigkeit des Abweichens vom Gesetzeswortlaut nicht gene- rell bejahen lässt. Interessanterweise hat das Bundesgericht in späteren Urteilen lediglich auf die allgemeinen Ausführungen in Erw. 3 zurück- gegriffen und bei gewichtigen Anhaltspunkten für die Gefahr einer neuerlichen Straftat und hohem Wert des gefährdeten Rechtsgutes die Verweigerung der bedingten Entlassung ohne weiteres - also namentlich ohne Abwägung der Resozialisierungsaussichten bei bedingter Entlas- sung einerseits und vollständigem Strafvollzug anderseits - geschützt (nicht publizierter BGE vom 24. Juni 1999 in Sachen K. und BGE 125 IV 113 ff.)." Das Verwaltungsgericht orientierte sich in der Folge an BGE 125 IV 113 ff. Dies führte zur Abweisung der Beschwerde (gegen die Verweigerung der bedingten Entlassung), da der Beschwerdeführer nicht bereit erschien, sich mit seinen charakterlichen Problemen, die zu den Straftaten geführt hatten, ernsthaft auseinander zu setzen, und da keine ambulant durchführbare Methode ersichtlich war, um Alko- holkonsum mit Sicherheit zu verhindern, sodass nach einer bedingten 2002 Verwaltungsgericht 162 Entlassung ernsthaft mit neuen Delikten gegen hochwertige Rechts- güter (Leib und Leben) hätte gerechnet werden müssen.
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AG_VG
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