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2,001
de
2001 Obergericht/Handelsgericht 52 11 § 103 Abs. 1 ZPO. Wird von der Partei, die Appellation erhoben hat, der verlangte Kosten- vorschuss innert der Nachfrist von § 103 Abs. 1 ZPO nicht bezahlt und das stattdessen gestellte Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege in der Folge abgewiesen, ist auf das Rechtsmittel nicht ein- zutreten. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Zivilkammer, vom 20. Juni 2001 i.S. I. AG gegen G.G. Aus den Erwägungen 5. Gemäss § 101 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 ZPO hat die Partei, die ein Rechtsmittel einlegt, bei dessen Einreichung einen angemessenen Anteil der mutmasslichen Gerichts- und Kanzleigebühren sowie Aus- lagen innert einer vom Instruktionsrichter festzusetzenden Frist vor- zuschiessen. Ist eine Partei, die ein Rechtsmittel eingereicht hat, mit der Leistung des auferlegten Kostenvorschusses säumig, setzt ihr der Instruktionsrichter eine letzte Frist von 10 Tagen an mit der An- drohung, dass auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werde (§ 103 Abs. 1 ZPO). Mit Verfügung vom 9. Januar 2001 wurde dem Gesuchsteller und Beklagten eine Frist von 10 Tagen zur Bezahlung eines Kosten- vorschusses von Fr. 20'000.-- angesetzt. Das darauf eingegangene Gesuch um Bewilligung von Ratenzahlungen wurde mit Präsidial- verfügung vom 4. Mai 2001 abgewiesen und dem Gesuchsteller und Beklagten eine letzte Frist zur Bezahlung des Kostenvorschusses unter Androhung des Nichteintretens angesetzt. Darauf reagierte der Gesuchsteller und Beklagte mit dem vorstehend behandelten Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, bezahlte aber den Kostenvorschuss bis heute nicht. Nachdem nun das gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen ist und auch die zweite gesetzliche und damit nicht erstreckbare (§ 86 Abs. 3 ZPO) (Nach)frist zur Leistung 2001 Zivilprozessrecht 53 des Kostenvorschusses verstrichen ist, kann auf die Appellation und die Beschwerde des Beklagten gemäss ständiger Praxis androhungs- gemäss nicht eingetreten werden (anstatt vieler: OGE vom 28.4.2000 i.S. M.P. gegen I. GmbH).
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AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2001-11_2001-06-02
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2,003
de
2003 Obergericht/Handelsgericht 26 [...] 3 §343 ZPO; Legitimation eines unselbständigen Streithelfers zur Ergreifung des Rechtsmittels der Revision. Ein Mann, der als biologischer Vater eines Kindes in Frage kommt, kann sich in einem Prozess betreffend Anfechtung der Vaterschaft durch den Registervater als unselbständiger Streithelfer auf Seiten des Kindes und der Mutter beteiligen. Er ist nicht legitimiert, gegen ein die Anfechtungsklage gutheissendes Ur- teil ein Rechtsmittel (in casu Revision) einzureichen, wenn jenes weder durch das Kind (Beistand) noch durch die Mutter angefochten wird. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 13. Mai 2003 i.S. F.K. gegen V.K.-S. und K.K. Sachverhalt Das Bezirksgericht X hatte mit Urteil vom 27. Februar 2002 eine Klage von F.K. auf Anfechtung der Vaterschaft gegenüber dem Kind K.K. gutgeheissen. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils verlangte M.Sp., der am Anfechtungsprozess nicht beteiligt gewesen war und gegen den ein Vaterschaftsprozess angehoben worden war, revisionsweise, es sei das Urteil vom 27. Februar 2002 aufzuheben und auf die Vaterschaftsanfechtungsklage nicht einzutreten. 2003 Zivilrecht 27 Aus den Erwägungen 1. a) In erster Linie ist die von M.Sp. im Prozess betreffend An- fechtung der Vaterschaftsvermutung eingenommene Rolle zu be- stimmen, die massgeblich über die Berechtigung, das - ausseror- dentliche - Rechtmittel der Revision zu ergreifen, entscheidet. b) Im Revisionsbegehren wird offensichtlich die Auffassung vertreten, M.Sp. komme die Rolle einer Hauptpartei zu, wird er doch als Revisionskläger dem Kläger, der Beklagten 1 und der Beklagten 2, die er als Revisionsbeklagte bezeichnet, gegenübergestellt (S. 1). Sie ist zu verwerfen. Gemäss Art. 256 Abs. 2 ZGB richtet sich die vom Ehemann erhobene Klage auf Anfechtung der Vaterschaftsver- mutung gegen das Kind und die Mutter. Dies sind die vom Bundes- recht vorgesehenen Parteien eines Anfechtungsprozesses. c) Die kantonalen Prozessrechte können in Prozessen zur Fest- stellung der Vaterschaft oder Anfechtung des Kindesverhältnisses Nebenparteien zulassen (vgl. Hegnauer, Berner Kommentar, 1984, N 16 zu Art. 254 ZGB). Das aargauische Zivilprozessrecht sieht die Hauptintervention, bei der jemand am Gegenstand eines Prozesses ein besseres, beide Parteien ausschliessendes Recht behauptet (Vo- gel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Aufl., Bern 2001, Kapitel 5 N 90) und deshalb vorliegend nicht interessiert, nicht mehr vor (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilpro- zessordnung, 2. Aufl., Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, N 1 der Vorbemerkungen zu §§ 56-61 ZPO). Dagegen kennt es die Insti- tute der Streithilfe und der Streitverkündung. Im Falle der Streithilfe sucht ein Dritter von sich aus die Beteiligung am Prozess (§§ 56 f. ZPO). Bei der Streitverkündung fordert ein Prozessbeteiligter (Hauptpartei, aber auch Dritter, dem bereits der Streit verkündet wurde) einen Dritten auf, ihn in der Streitsache zu unterstützen, weil er auf diesen Rückgriff nehmen will oder befürchtet, von diesem rechtlich in Anspruch genommen zu werden (§§ 58 ff. ZPO). Bei der Streithilfe (in der Lehre häufig unter dem Begriff der Nebeninter- vention behandelt, so z.B. Vogel/Spühler, a.a.O., Kapitel 5 N 66 ff.) unterscheidet das Gesetz zwischen der unselbständigen (= abhängi- gen) Streithilfe und der selbständigen (= unabhängigen) Streithilfe. 2003 Obergericht/Handelsgericht 28 Im ersteren Fall wird ein Rechtsverhältnis zwischen der unterstützten Partei und dem Streithelfer beeinflusst (Vogel/Spühler, a.a.O., Kapi- tel 5 N 68), auch wenn sich die Rechtskraft des zwischen den Haupt- parteien ergangenen Urteils nicht auf den Streithelfer erstreckt (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 3 zu § 57 ZPO). Bei der selb- ständigen Streithilfe (= streitgenössischen Nebenintervention) wird direkt eine Rechtsbeziehung zwischen dem Streithelfer und der Ge- genpartei der unterstützten Partei geregelt (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 2 zu § 56 ZPO; Vogel/Spühler, a.a.O., Kapitel 5 N 69). Da der abhängige Streithelfer eine Hauptpartei unterstützt, darf er sich nicht in Widerspruch zu dieser setzen (§ 57 Abs. 1 ZPO). Tut er es dennoch, sind die entsprechenden Ausführungen unbeachtlich (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 3 zu § 57 ZPO). Dementspre- chend kann ein unselbständiger Streithelfer das ordentliche Rechts- mittel der Appellation nicht gegen den - explizit erklärten oder kon- kludent erkennbaren - Willen der Hauptpartei einlegen (vgl. Büh- ler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 5 zu § 317 ZPO). Zur Revision ist der unselbständige Streithelfer nicht legitimiert, weil er der Hauptpartei nicht ohne deren Einverständnis einen neuen Prozess auflasten kann (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 8 zu § 343 ZPO). 2. a) Beteiligt sich ein Mann, der als biologischer Vater eines Kindes in Frage kommt, an einem Verfahren betreffend Anfechtung der Vaterschaft nach Art. 256 ZGB, liegt keine selbständige Ne- benintervention vor, weil durch das Urteil keine Rechtsbeziehung zwischen dem Streithelfer und der Gegenpartei der unterstützten Par- tei verbindlich geregelt wird. Die im Revisionsbegehren eventualiter geäusserte Auffassung, es liege eine selbständige Nebenintervention vor, ist demnach zu verwerfen. b) Gemäss Hegnauer/Breitschmid (Grundriss des Kindesrechts, 5. Aufl., Bern 1999, N 6.09) können Personen, die ein Interesse an der Abweisung einer Vaterschaftsanfechtungsklage haben, grund- sätzlich als unselbständige Nebenintervenienten auftreten. Indessen gilt es zu beachten, dass sich der Nebenintervenient, der die erfolg- reiche Anfechtung einer Vaterschaftsanerkennung verhindern will, um nicht selber mit einer Vaterschaftsklage behelligt zu werden, spätestens dann in eine - nach den vorstehenden Ausführungen un- 2003 Zivilrecht 29 zulässige - Interessenkollision mit der von ihm "unterstützten" Partei begibt, wenn im erstinstanzlichen Anfechtungsprozess die biologi- sche Nichtvaterschaft des "bisherigen" Vaters durch ein Gutachten nachgewiesen worden ist und nur er, nicht aber das Kind bzw. dessen Beistand (vgl. Art. 309 ZGB) oder die Mutter das Urteil anficht. Denn die Nichtanfechtung ist als stillschweigender Abstand zu be- trachten, so dass sich der appellierende Nebenintervenient in - unzu- lässigen - Widerspruch zur Hauptpartei setzt, weshalb auf seine Ap- pellation nicht einzutreten ist (so das Zürcher Obergericht in ZR 90 S. 88 f.; vgl. auch Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcheri- schen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 1997, N 3 f. zu § 45 ZPO). Umso weniger ist die Einleitung eines Revisionsverfahrens durch einen Beklagten eines - durch die Gutheissung der Anfech- tungsklage - erst ermöglichten Vaterschaftsprozesses angängig. c) Aus einer vom Beklagten zitierten Stelle bei Guldener (Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 492 f.) lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten. Dort wird ausgeführt, dass Dritte, deren Rechte durch ein Urteil über den Personenstand verletzt seien, auf Feststellung der Unrichtigkeit oder auf Aufhebung des Urteils klagen könnten. Guldener schlägt sodann als naheliegend bezeichnete Alternative zum Klagerecht des Dritten vor, es sei die- sem die Möglichkeit einzuräumen, die Rechtsmittel zu ergreifen, die gegen den seine Rechte verletzenden Entscheid offen stehen. Für die Begründung verweist Guldener auf seinen in der ZSR 1950 S. 325 ff. erschienen Aufsatz "Die Wirkungen von Urteilen über den Personen- stand gegenüber Dritten". Dort wird allerdings differenziert zwischen Statusentscheiden, die im obgenannten Sinne durch einen in seinen Rechten verletzten Dritten durch Erhebung einer neuen Klage - oder eventuell Ergreifung von Rechtsmitteln - zu Fall gebracht werden können, und solchen, die für Dritte von Beginn weg bindend sind. Als in diesem Sinne von Anfang an bindend wird von Guldener na- mentlich ein Urteil bezeichnet, in dem die Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes gutgeheissen wird (ZSR 1950 S. 331). Dem ist zuzustimmen, werden doch durch ein solches Urteil keine beste- henden Rechte Dritter verletzt, sondern höchstens solche des Kindes, wenn es sich um ein Fehlurteil handeln sollte. Im Aussenverhältnis 2003 Obergericht/Handelsgericht 30 wird dadurch zwar die Frage nach der Vaterschaft, die Pflichten und Rechte nach sich zieht, neu aufgeworfen. Mangels einer Anerken- nung der Vaterschaft im Sinne von Art. 260 ZGB wird aber nur dann durch Richterspruch ein neues Kindesverhältnis begründet, wenn in einem eigenen Prozess - durch Gutachten - die biologische Vater- schaft festgestellt worden ist. Das Interesse des mutmasslichen bio- logischen Vaters an der Verhinderung eines Vaterschaftsprozesses ist nicht als "Recht" zu qualifizieren, das durch eine - materiell richtige - Gutheissung einer Anfechtungsklage verletzt wird.
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AG_HG_001
AG_HG
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2,002
de
2002 Obergericht/Handelsgericht 68 [...] 17 § 125 ZPO. Nachweis der Steuerschuldzahlungen. Steuerschulden können bei der Be- rechnung des Existenzminimums nur berücksichtigt werden, sofern re- gelmässige Zahlungen belegt sind. Dies gilt sowohl für alte als auch für aktuelle Steuerschulden. Einer anwaltlich vertretenen Partei ist indessen keine Nachfrist zur Einreichung entsprechender Belege anzusetzen, da ein Anwalt weiss oder wissen muss, dass er sämtliche Behauptungen bele- 2002 Zivilprozessrecht 69 gen und deshalb für alle von seiner Partei geltend gemachten Beträge un- aufgefordert Belege einzureichen hat. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 24. September 2002 in Sachen B. W.-K. Aus den Erwägungen 2. b) Die Gesuchstellerin verlangt die Berücksichtigung von Fr. 500.-- pro Monat zur Vornahme von Rückstellungen für Steuern, ohne weder die Höhe der Steuerpflicht noch eigene Zahlungen zu be- legen. Nach bisheriger Praxis wurde der aktuellen Steuerbelastung der gesuchstellenden Partei mit einem angemessenen Betrag Rech- nung getragen, ohne dass der Nachweis regelmässiger Zahlungen verlangt wurde. Im Sinne einer Präzisierung der Praxis werden künf- tig Rückstellungen für Steuern nur noch in die Berechnung des er- weiterten Existenzminimums einbezogen, wenn die regelmässige Zahlung der bisherigen Steuern belegt ist. Damit werden sie der Pra- xis betreffend die Berücksichtigung von Abzahlungen von früheren Steuerschulden gleichgestellt, die schon bisher vom Nachweis bereits geleisteter Zahlungen abhing. Abweichungen von diesem Grundsatz sind dann möglich, wenn auf andere Art dargetan ist, dass der anzu- rechnende Betrag einer effektiv erfolgten oder noch erfolgenden Leistung der gesuchstellenden Partei entspricht. Während von einer nicht anwaltlich vertretenen Partei in der Regel nicht verlangt werden kann, dass sie mit ihrem Gesuch um un- entgeltliche Rechtspflege bereits alle notwendigen Belege einreicht, und ihr deshalb - je nach den Umständen im konkreten Fall - in An- wendung des Untersuchungsgrundsatzes Frist zur Nachreichung der fehlenden Belege anzusetzen ist, gilt dies für anwaltlich vertretene Parteien nicht. Ein Anwalt weiss, dass er sämtliche Behauptungen belegen muss, will er damit vor Gericht gehört werden. Auch bei Geltung der Untersuchungsmaxime hat er deshalb für alle von seiner Partei geltend gemachten Beträge, die sich nicht bereits aus dem Kreisschreiben für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Exis- 2002 Obergericht/Handelsgericht 70 tenzminimums ergeben, unaufgefordert Belege vorzulegen. Der Par- tei, deren Anwalt dies unterlässt, ist deshalb keine Nachfrist anzuset- zen.
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AG_HG_001
AG_HG
AG
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2,006
de
2006 Zivilprozessrecht 45 [...] 9 Art. 343 Abs. 3 OR; § 369 Abs. 1 ZPO. Erhöht im Appellationsverfahren eines arbeitsgerichtlichen Prozesses der Kläger im Sinne einer Klageänderung sein Begehren auf über Fr. 30'000.-- bzw. Fr. 20'000.--, entfällt die Kostenlosigkeit des Verfahrens gemäss Art. 343 Abs. 3 OR bzw. § 369 Abs. 1 ZPO, und zwar rückwir- kend für das ganze, d.h. auch erstinstanzliche Verfahren. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 19. September 2006 i.S. K.Z. ca. H.S. AG
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AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
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2,008
de
2008 Anwaltsrecht 33 III. Anwaltsrecht 4 § 3 Abs. 1 lit. a AnwT, § 4 Abs. 1 AnwT, § 6 Abs. 2 und 3 AnwT, § 7 Abs. 2 AnwT: Honorar im Arbeitsgerichtsverfahren - Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis sind vermögensrechtliche Streitigkeiten im Sinne des Anwaltstarifs. - Für die Teilnahme an der arbeitsgerichtlichen Vermittlungsverhand- lung wird kein Zuschlag gemäss § 6 Abs. 3 AnwT gewährt. - Kürzung des Honorars gestützt auf § 6 Abs. 2 AnwT sowie § 7 Abs. 2 AnwT, nachdem das Arbeitsgerichtsverfahren in der Vermittlungs- verhandlung durch einen gerichtlichen Vergleich erledigt wurde. Entscheid der Inspektionskommission vom 16. Juni 2008 i.S. D.S. gegen Arbeitsgericht des Bezirks L. (IVV.2007.18) Aus den Erwägungen 5. 5.1. Im Anwaltstarif sind für Verfahren vor den Arbeitsgerichten bzw. für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis keine besonderen Regelungen enthalten. Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis sind vermögensrechtliche Streitigkeiten im Sinne des Anwaltstarifs (§ 3 Abs. 1 lit. a und § 4 Abs. 1 AnwT). Auch wenn vorliegend das arbeitsgerichtliche Verfahren durch Abschluss eines Vergleiches in der Vermittlungsverhandlung beendet wurde und gemäss obergerichtlicher Praxis bei vollständiger Durch- führung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Teilnahme an der arbeitsgerichtlichen Vermittlungsverhandlung kein Zuschlag ge- mäss § 6 Abs. 3 AnwT gewährt wird (AGVE 2004 Nr. 14 S. 61), bedeutet dies nicht, dass der Beschwerdeführer vorliegend nach Auf- 2008 Obergericht 34 wand zu entschädigen ist. Der Aufwand für das Vermittlungsverfah- ren macht lediglich einen gewissen Anteil des Grundhonorars aus. 5.2. Somit kann festgehalten werden, dass vorliegend das Anwalts- honorar grundsätzlich gemäss § 3 Abs. 1 lit. a AnwT nach Streitwert zu bemessen ist. In ihrer Klage vom 28. Juli 2006 stellte die Klägerin das Begeh- ren, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr Fr. 30'000.00 inkl. 5% Ver- zugszins seit 31.3.2006 zu bezahlen. Die Verzugszinsen fallen als Nebenforderung gemäss § 18 Abs. 2 ZPO bei der Bestimmung des Streitwertes nicht in Betracht. Somit ist von einem Streitwert von Fr. 30'000.00 auszugehen. Das Grundhonorar gemäss § 3 Abs. 1 lit. a AnwT beträgt daher Fr. 2'590.00 zuzüglich Fr. 3'600.00 (12% des Streitwertes), insgesamt somit Fr. 6'190.00. 6. 6.1. Gemäss 6 Abs. 2 AnwT vermindert sich das Honorar des An- waltes entsprechend seinen Minderleistungen, wenn das Verfahren nicht vollständig durchgeführt wurde. Ferner sieht § 7 Abs. 2 AnwT eine Verminderung des Honorars vor, wenn das Verfahren nur ge- ringe Aufwendungen erforderte. 6.2. 6.2.1. Bei der Arbeitsgerichtsbarkeit besteht die Besonderheit, dass auf eine Sühneverhandlung vor dem Friedensrichter verzichtet wird und das Vermittlungsverfahren in das Arbeitsgerichtsverfahren inte- griert ist (A LFRED B ÜHLER / A NDREAS E DELMANN / A LBERT K ILLER , Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau / Frankfurt am Main / Salzburg, 1998, N 3 zu Vorbem. §§ 372 - 384, [zit. ZPO- Kommentar]). Zumindest im Rahmen der Vermittlungsverhandlung handelt es sich um ein seiner Natur nach einfaches Verfahren, wel- ches keine allzu grossen Schwierigkeiten bereitet und auch nicht sehr zeitaufwendig ist. Anlässlich der Vermittlungsverhandlung werden keine Parteivorträge vorgetragen, geht es doch analog zum friedens- richterlichen Sühneverfahren einzig darum, zwischen den Parteien eine Einigung zu erzielen. Entgegen den Darstellungen des Be- 2008 Anwaltsrecht 35 schwerdeführers hat in Abweichung von den für das ordentliche Ver- fahren geltenden formellen Anforderungen der Kläger die Beweis- mittel noch nicht mit der Klage zu bezeichnen und die Beweis- urkunden noch nicht beizulegen, da diese erst nach erfolgloser Ver- mittlungsverhandlung und gestützt auf die Beweisanordnung des Ar- beitsgerichtspräsidenten zu nennen bzw. vorzulegen sind (§ 376 ZPO; ZPO-Kommentar, a.a.O., N 5 zu § 372). Auch ist der Sach- verhalt gemäss § 372 Abs. 2 ZPO nur kurz zu begründen. Erst wenn die Bemühungen im Rahmen der Vermittlungsverhandlungen ge- scheitert sind, wird ein eigentliches Behauptungsverfahren durchge- führt. Auch das zur Diskussion stehende Verfahren machte keinen ausserordentlichen Aufwand notwendig. Der Aufwand des Be- schwerdeführers bestand vorliegend im Verfassen der Klage sowie in der Teilnahme an der Vermittlungsverhandlung vom 8. November 2006, welche gemäss Protokoll von 17.00 bis 18.45 Uhr, mithin 1 3⁄4 Stunden, dauerte. Nach der Durchführung der Vermittlungsverhand- lung wurde das Arbeitsgerichtsverfahren als durch den gerichtlichen Vergleich erledigt von der Kontrolle abgeschrieben. Aufgrund dieses Umstandes kann festgehalten werden, dass das arbeitsgerichtliche Verfahren nicht vollständig durchgeführt wurde, weshalb eine Kür- zung des Honorars gestützt auf § 6 Abs. 2 AnwT vorzunehmen ist. 6.2.2. Die Klageschrift umfasst neun Seiten, wobei die erste Seite (Rubrum) und die letzte Seite (Beilagenverzeichnis) nicht zu berück- sichtigen sind. Letztlich sind die Ausführungen betreffend Rechtli- ches und Materielles auf fünf Seiten, welche grosszügig ausgestaltet sind, zu finden. Auch wenn der Beschwerdeführer ausführt, die Sach- und Rechtslage habe sich als schwierig gestaltet (Zusammentragen und Berechnen von handschriftlich festgehaltenen Überstunden- und Überzeitsaldi der Klägerin von über einem Jahr; in der Sache sei es um einen "Anlehrvertrag", der vom Amt für Berufsbildung nicht anerkannt worden sei, gegangen), deuten die Ausführungen in der Klageschrift auf nicht allzu komplizierte rechtliche Abklärungen hin, sind die Ausführungen hierzu auf rund zwei Seiten zu finden. 2008 Obergericht 36 Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei der Vermittlungsverhandlung grundsätzlich um ein einfaches Verfahren und die Teilnahme an einer solchen Vermittlungsverhandlung bei ei- nem vollständig durchgeführten Arbeitsgerichtsverfahren als im Grundhonorar abgegolten gilt (AGVE 2004 Nr. 14 S. 61), erscheint die durch den Beschwerdegegner vorgenommene Kürzung des Grundhonorars von 72%, mithin auf Fr. 1'840.00, als zulässig. Nach dem Gesagten ist erstellt, dass der Beschwerdegegner in Anbetracht der konkreten Umstände das Honorar zu Recht - wenn auch mit anderer Begründung - auf Fr. 1'979.85 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt hat. Somit erweist sich die Beschwerde als unbe- gründet und ist abzuweisen.
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1,165
AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2008-4_2008-06-16
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2,001
de
2002 Verwaltungsverfahren vor den vormundschaftlichen Behörden 99 VI. Verwaltungsverfahren vor den vormundschaftlichen Behörden 34 Art. 29 Abs. 3 BV. Unentgeltliche Rechtspflege. Im - kostenlosen - Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde ist die un- entgeltliche Rechtsvertretung durch einen Anwalt in aller Regel nicht er- forderlich. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Kammer für Vormundschaftswesen, vom 18. Dezember 2001 in Sachen M. Sch.-C. (BE.2001.00055) Sachverhalt Mit rechtskräftigem Ehescheidungsurteil des Gerichtspräsidi- ums Z. vom 22. November 2000 wurde die Ehe der Beschwerdefüh- rerin mit Th. Sch. geschieden, das eheliche Kind J., geb. 26. März 1997, der Beschwerdeführerin zur Ausübung der elterlichen Sorge zugeteilt und dem Kindsvater das Recht eingeräumt, jedes erste und dritte Wochenende des Monats sowie vier Wochen Ferien pro Jahr mit dem Kind zu verbringen. Kurze Zeit nach Rechtskraft des Ehe- scheidungsurteils wurde der Kindsvater mit ernsthaften psychischen Problemen verhaltensauffällig, die sich zusehends verschärften. Er entzog sich nach einer vorübergehenden Unterbringung in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden einer psychiatrischen Behand- lung, verweigerte die Medikamenteneinnahme, geriet in seiner Stimmungslage in ein Wechselspiel zwischen Depression und starker Aggression, verlor seine Arbeitsstelle und durch Mietkündigung auch seine Wohnung. In der Folge reichte die Beschwerdeführerin nach seiner An- kündigung, das Besuchsrecht für das Kind J. ausüben zu wollen, durch die von ihr beigezogene Anwältin mit Eingabe vom 26. April 2001 bei der Vormundschaftsbehörde O. das Begehren ein, es sei in 2002 Obergericht/Handelsgericht 100 Abänderung des rechtskräftigen Ehescheidungsurteils vom 22. No- vember 2000 dem Kindsvater das Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind J. zu entziehen, eventuell ein begleitetes Besuchsrecht von einem Tag pro Monat einzuräumen, sowie vorsorglich sofort bis zum Entscheid über dieses Begehren das Recht auf persönlichen Verkehr zu sistieren. Mit der Einreichung dieses Begehrens ersuchte die Beschwerdeführerin um Bewilligung der unentgeltlichen Rechts- pflege mit Beiordnung ihrer Anwältin als unentgeltliche Rechtsver- treterin. Die Vormundschaftsbehörde O. untersagte mit Beschluss vom 30. April 2001 dem Kindsvater bis auf weiteres die Ausübung des persönlichen Verkehrs mit dem Kind J., wies mit weiterem Beschluss vom 11. Juni 2002 das Begehren um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ab und hob danach mit Beschluss vom 10. Juli 2001 das dem Kindsvater im rechtskräftigen Ehescheidungsurteil gewährte Besuchs- und Ferienrecht auf unbestimmte Zeit auf. Gegen die Abweisung des Gesuchs um Bewilligung der unent- geltlichen Rechtspflege mit Beschluss der Vormundschaftsbehörde O. vom 11. Juni 2001 erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde, die nach ihrer Abweisung durch Verfügung des Bezirksamts X. vom 18. Oktober 2001 auch durch Entscheid der Kammer für Vormund- schaftswesen des Obergerichts vom 18. Dezember 2001 abgewiesen wurde. Aus den Erwägungen 1. a) Gemäss der im Verfahren vor den Vormundschafts- und vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden (Art. 361 Abs. 1 und 2 ZGB i.V.m. § 59 Abs. 1 und 4 EGZGB) massgebenden Kostenregelung des VRPG (§ 1 Abs. 1 VRPG bzw. § 59 Abs. 5 EGZGB) ist das Ver- fahren vor der Vormundschaftsbehörde als erster Instanz unentgelt- lich (§ 33 Abs. 1 VRPG) sowie eine Kosten- und Entschädigungs- pflicht für Verfahrens- und Parteikosten eines Verfahrensbeteiligten erst und nur im Beschwerdeverfahren vor den vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden vorgesehen (§§ 33 Abs. 2 und 36 VRPG), wobei 2002 Verwaltungsverfahren vor den vormundschaftlichen Behörden 101 einem Verfahrensbeteiligten unter der Voraussetzung seiner Mittello- sigkeit und fehlenden Aussichtslosigkeit seines Rechtsbegehrens die Bezahlung von Verfahrenskosten und Verfahrenskostenvorschüssen erlassen (§ 35 Abs. 2 VRPG) sowie in Fällen, wo die Schwere einer Massnahme oder die Rechtslage es als gerechtfertigt erscheinen lässt, auch ein unentgeltlicher Rechtsvertreter bestellt werden kann (§ 35 Abs. 3 VRPG). Nach dieser Kostenregelung ist die unentgeltliche Rechtspflege mit unentgeltlicher Rechtsvertretung durch einen An- walt ausdrücklich nur für das Beschwerdeverfahren vor den vor- mundschaftlichen Aufsichtsbehörden vorgesehen und im erstin- stanzlichen Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde ausgeschlos- sen. b) Diese Kostenregelung hält, soweit sie die unentgeltliche Rechtspflege mit unentgeltlicher Rechtsvertretung im erstinstanzli- chen Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde ausschliesst, vor Art. 29 Abs. 3 BV nicht Stand. Danach hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, Anspruch auf unentgeltliche Rechts- pflege und, soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, aus- serdem Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. In dieser Verfassungsbestimmung wurde die bundesgerichtliche Rechtspre- chung zu Art. 4 aBV (BGE 120 Ia 43 ff., insbes. 44/45 E. 2 mit Hin- weisen, 122 I 8, 122 III 392, 123 I 146 E. 2, 124 I 304 mit Hinweis auf BGE 122 I 267 E. 2 mit Hinweisen und BGE 125 V 32, insbes. 34 f. E. 4a) normiert, wonach eine Partei unter der Voraussetzung ihrer Mittellosigkeit und fehlenden Aussichtslosigkeit ihres Rechts- begehrens in einem von ihr oder gegen sie angestrengten Verfahren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, nötigenfalls mit einem unentgeltlichen Rechtsvertreter, hat und diese nicht generell für be- stimmte Verfahrensarten ausgeschlossen werden darf. Die unentgelt- liche Rechtspflege, nötigenfalls mit Beiordnung eines unentgeltli- chen Rechtsvertreters, muss danach in allen Verfahren und damit auch im erstinstanzlichen Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde in einer durch das ZGB in die Zuständigkeit der vormundschaftli- chen Behörden gewiesenen Sache möglich sein. Sie ist indessen auch hier, wo sie angesichts der Unentgeltlichkeit des Verfahrens (§ 33 2002 Obergericht/Handelsgericht 102 Abs. 1 VRPG) bloss noch für die unentgeltliche Rechtsvertretung durch einen Anwalt in Betracht kommen kann, nur unter der Voraus- setzung fehlender Aussichtslosigkeit des Rechtsbegehrens und der Notwendigkeit der Rechtsvertretung durch Beiordnung eines unent- geltlichen Anwalts zu gewähren (Art. 29 Abs. 3 BV), wobei sprachli- che Verständigungsschwierigkeiten des Gesuchstellers oder eines Verfahrensbeteiligten bei der Abfassung und Einreichung des Rechts- begehrens und in dem damit eingeleiteten Verfahren vor der Vor- mundschaftsbehörde, wie schlechthin, auch hier mit Hilfe eines Übersetzers und nicht durch einen Rechtsvertreter zu beheben sind. 2. Art. 29 Abs. 3 BV verlangt für die unentgeltliche Rechtsver- tretung eines Verfahrensbeteiligten durch einen Anwalt ausser Mittel- losigkeit und fehlender Aussichtslosigkeit des gestellten Rechtsbe- gehrens ausdrücklich, dass die Anwaltsvertretung des Verfahrensbe- teiligten zur Wahrung seiner Rechte notwendig ist. a) Ob diese Notwendigkeit vorliege, ist aufgrund der kon- kreten Umstände des Einzelfalls in Berücksichtigung der Eigenheiten der anwendbaren Verfahrensvorschriften und der Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens zu entscheiden. Dabei fallen neben der Kom- plexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachver- halts auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe in Be- tracht, wie etwa seine Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden. Falls ein besonders starker Eingriff in die Rechtsstellung des Betrof- fenen droht, ist die Rechtsvertretung grundsätzlich geboten, andern- falls bloss, wenn zur relativen Schwere des Falles besondere tatsäch- liche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Ge- suchsteller auf sich alleine gestellt nicht gewachsen ist (BGE 125 V 32 Erw. 4b mit Hinweisen auf Lehre und Praxis). b) Die sachliche Notwendigkeit wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass das in Frage stehende Verfahren von der Offi- zialmaxime oder dem Untersuchungsgrundsatz beherrscht wird, die Behörde also gehalten ist, an der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhalts mitzuwirken oder diesen von Amtes wegen abzuklären. Die Offizialmaxime rechtfertigt es jedoch, an die Voraussetzungen, unter denen eine Verbeiständung durch einen Rechtsanwalt sachlich 2002 Verwaltungsverfahren vor den vormundschaftlichen Behörden 103 geboten ist, einen strengen Massstab anzulegen (BGE 125 V 32 Erw. 4b S. 36 mit Hinweisen auf Lehre und Praxis). 3. Mit der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Änderung des Ehescheidungsrechts wurde u.a. die Abänderung rechtskräftiger Ehe- scheidungsurteile in Bezug auf das Recht des nicht sorge- oder ob- hutsberechtigten Elternteils auf persönlichen Verkehr (Art. 273/274 ZGB) in die Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde (Art. 134 Abs. 4 ZGB) und damit in das vor dieser durchzuführende Verwal- tungsverfahren (nach dem VRPG) gewiesen. a) Bei der Abänderung eines rechtskräftigen Ehescheidungs- urteils in Bezug auf das darin zu- oder aberkannte Recht auf persön- lichen Verkehr (Art. 273/274 i.V.m. Art. 134 Abs. 4 ZGB) handelt es sich um eine ausgesprochen einfache Rechtssache. Der Antragsteller hat nur mit einem Rechtsbegehren an die Vormundschaftsbehörde eine wesentliche und dauerhafte Änderung der tatsächlichen, für die Regelung des persönlichen Verkehrs im rechtskräftigen Eheschei- dungsurteil massgebend gewesenen Verhältnisse seit dessen Rechts- kraft darzutun sowie gestützt darauf die Abänderung und Anpassung des darin geregelten bzw. beurteilten Rechts auf persönlichen Ver- kehr zu verlangen mit der Folge, dass die Vormundschaftsbehörde diese behauptete wesentliche und dauerhafte Änderung der tatsächli- chen Verhältnisse als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Abände- rung des rechtskräftigen Ehescheidungsurteils von Amtes wegen zu prüfen und abzuklären sowie das Abänderungsbegehren bejahenden- falls ganz oder teilweise gutzuheissen und verneinendenfalls wegen der ihm dann entegegenstehenden Rechtskraft des Ehescheidungsur- teils durch Nichteintretensentscheid zu erledigen hat. b) Das Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde ist ein sei- ner Natur nach einfaches, rasches, von der Offizial- bzw. Untersu- chungsmaxime (§ 20 VRPG) beherrschtes Einparteienverfahren mit bloss dem Antragsteller als Verfahrenspartei und unmittelbar Betrof- fenen als Verfahrensbeteiligten (§§ 15 ff. VRPG), das - anders als das gerichtliche Verfahren - kein kontradiktorisches Verfahren und in welchem auch weder ein Rechtsschriftenwechsel durchzuführen noch eine Replik und eine Duplik zu erstatten, sondern nach Eingang des Rechtsbegehrens, Anhörung der durch dieses unmittelbar Betrof- 2002 Obergericht/Handelsgericht 104 fenen und einer von Amtes wegen vorzunehmenden Sachverhaltsab- klärung ohne jeden Verzug der beschwerdefähige Erledigungsent- scheid (Art. 420 Abs. 2 ZGB) zu erlassen ist. Dabei hat die Vormundschaftsbehörde gemäss der im Verfah- ren vor den vormundschaftlichen Behörden in § 20 VRPG vorge- schriebenen Offizial- bzw. Untersuchungsmaxime dafür zu sorgen, dass keinem Verfahrensbeteiligten wegen Unbeholfenheit Nachteile erwachsen (Abs. 2). Die Vormundschaftsbehörde (Art. 361 Abs. 1 ZGB i.V.m. § 59 Abs. 1 EGZGB) untersteht zudem der Aufsicht der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden (Art. 361 Abs. 1 und 2 ZGB i.V.m. § 59 Abs. 4 EGZGB), die in ihrer Doppelfunktion als Auf- sichts- und Beschwerdeinstanzen jederzeit inner- und ausserhalb ei- nes Beschwerdeverfahrens und damit auch im Falle der Verwirkung der Beschwerdefrist von Amtes wegen einschreiten und einen Ent- scheid der Vormundschaftsbehörde aufheben können, wenn dieser als Verstoss gegen eine klare Gesetzesvorschrift oder einen Rechts- grundsatz im wohlverstandenen Interesse eines massnahmebedürfti- gen oder sonstwie unbeholfenen Betroffenen nicht hingenommen werden kann. Antragsteller und Verfahrensbeteiligte haben daher im Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde praktisch kein Verfahrens- risiko zu tragen. c) Das Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde auf Abän- derung eines rechtskräftigen Ehescheidungsurteils in Bezug auf das darin geregelte Recht auf persönlichen Verkehr (Art. 134 Abs. 4 ZGB i.V.m. §§ 15 ff. VRPG) ist dem summarischen richterlichen Konkurseröffnungsverfahren auf eigenes Begehren (Art. 25 Ziff. 2 Bst. a i.V.m. Art. 191 SchKG) vergleichbar, wo ebenfalls nur das Rechtsbegehren unter Darlegung der tatsächlichen Verhältnisse, hier der Verschuldung mit Grundangabe, einzureichen sowie daran an- schliessend ohne jeden Verzug der Erledigungsentscheid (Art. 191 SchKG) zu erlassen und gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung wegen der Einfachheit des Verfahrens ohne sich in diesem stellende, nicht leicht zu beantwortende rechtliche Fragen die Rechtsvertretung des Gesuchstellers durch einen Anwalt nicht nötig und auch nicht im Rahmen unentgeltlicher Rechtspflege zu gewähren ist (BGE 118 III 32 f. E. 3d mit Hinweisen). Sodann ist das Verfahren vor der Vor- 2002 Verwaltungsverfahren vor den vormundschaftlichen Behörden 105 mundschaftsbehörde in den durch das ZGB in deren Zuständigkeit gewiesenen Rechtssachen nicht aufwändiger oder rechtlich komple- xer als ein Betreibungs- oder betreibungsrechtliches Beschwerdever- fahren (Art. 17 - 19 SchKG), wo die unentgeltliche Rechtsvertretung durch einen Anwalt vor einem unter der Aufsicht der betreibungs- rechtlichen Aufsichtsbehörden (Art. 13 SchKG i.V.m. § 10 AG SchKG) stehenden Betreibungs- oder Konkursamt (Art. 2 SchKG) stets ausser Frage stand und für das betreibungsrechtliche Be- schwerdeverfahren in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die - nun in Art. 20a SchKG gesetzlich normierte Offi- zialmaxime - festgestellt wurde, dass "die Mitwirkung eines Rechts- anwalts in aller Regel nicht erforderlich" sei (BGE 122 I 8 und 10 E. 3c mit Hinweis auf BGE 119 I 369 ff. E. 4c). Das muss um so mehr für das Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde gelten, die über die ihr - wie auch den Betreibungsbehörden in Art. 20a Abs. 2 Ziff. 2 SchKG - aufgrund der Offizial- bzw. Untersuchungsmaxime vorgeschriebene Sachverhaltsabklärung von Amtes wegen (§ 20 Abs. 1 VRPG) hinaus dafür zu sorgen hat, dass keinem Verfahrens- beteiligten wegen Unbeholfenheit Nachteile erwachsen, und die als unterste Entscheidungsinstanz der Aufsicht der Aufsichtsbehörden auch bezüglich ihrer Verfahrensdurchführung und Entscheidung un- tersteht. Im Hinblick auf diese Verfahrensgarantie, bei der ein Ver- fahrensbeteiligter praktisch kein Verfahrensrisiko mehr zu tragen hat, ist in dem ohnehin seiner Natur nach einfachen, raschen und auch in der Sache rechtlich regelmässig unkomplizierten Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde die Vertretung durch einen Anwalt und da- mit die unentgeltliche Rechtsvertretung durch einen solchen in aller Regel nicht erforderlich und diese nur in Ausnahmefällen einer in der Person oder in besonderen Umständen des konkreten Falls liegenden Überforderung des Antragstellers bzw. Verfahrensbeteiligten in der ihn betreffenden Sache zu bewilligen (nicht veröffentlichter Ent- scheid der Kammer für Vormundschaftswesen vom 5. Mai 1999 i.S. G.B. E. 3 S. 12 ff.). 4. Ein solcher Ausnahmefall, in welchem besondere Umstände auf Seiten der Beschwerdeführerin oder in der sie betreffenden Sache 2002 Obergericht/Handelsgericht 106 selbst die unentgeltliche Rechtsvertretung durch einen Anwalt not- wendig machen könnten, liegen hier nicht vor. a) Das Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde O. bietet weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten. Die Beschwerdeführerin hat nur bei der Vormundschaftsbehörde O. unter Darlegung der seit Eintritt der Rechtskraft des Ehescheidungs- urteils eingetretenen Wesensveränderung des Kindsvaters und der Auswirkung dieser Veränderung auf den persönlichen Verkehr mit dem Kind das Begehren um Abänderung bzw. Aufhebung des dem Kindsvater im rechtskräftigen Ehescheidungsurteil zuerkannten Rechts auf persönlichen Verkehr einreichen müssen, worauf die Vor- mundschaftsbehörde nach einer von Amtes wegen vorzunehmenden Sachverhaltsabklärung unter Einbeziehung des Kindsvaters über die- ses Begehren zu entscheiden hatte. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin der Anforderung an ein solches Rechtsbegehren an die Vormundschaftsbehörde intellektuell nicht ge- wachsen oder aus irgend einem andern Grund in dem damit eingelei- teten Verfahren überfordert sein könnte. Die Vormundschaftsbehörde hat denn gestützt auf dieses Begehren das Verfahren pflichtgemäss durchgeführt und dem Kindsvater das diesem mit rechtskräftigem Ehescheidungsurteil vom 22. November 2000 zuerkannte Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind J. zunächst mit Beschluss vom 30. April 2001 vorläufig und sodann mit Beschluss vom 10. Juli 2001 endgültig entzogen. b) Das Verfahren gab auch nicht im Hinblick auf eine Dring- lichkeit des beantragten Entzugs des Rechts des Kindsvaters auf persönlichen Verkehr Probleme auf und hat die Beschwerdeführerin auch insoweit nicht überfordern können, als sie eine Dringlichkeit des Handlungsbedarfs hätte kenntlich machen müssen. Eine solche Dringlichkeit lag deshalb nicht vor, weil die Beschwerdeführerin als Inhaberin des elterlichen Sorgerechts mit gesetzlicher Vertretung des Kindes dem Kindsvater das Kind vorenthalten und so die Ausübung des ihm im rechtskräftigen Ehescheidungsurteil zuerkannten Rechts auf persönlichen Verkehr verhindern konnte. Dringlichkeit für einen Entzug dieses Rechts hätte erst und nur dann eintreten können, wenn der Kindsvater mit Vollstreckungsbegehren beim Einzelrichter im 2002 Verwaltungsverfahren vor den vormundschaftlichen Behörden 107 summarischen Verfahren die Vollstreckung des ihm im rechtskräfti- gen Ehescheidungsurteil zuerkannten Rechts auf persönlichen Ver- kehr verlangt hätte (§§ 422 ff. ZPO) und die Beschwerdeführerin daher mit der Vollstreckung dieses Rechts letztlich durch polizeiliche Zuführung des Kindes an den Kindsvater zur Ausübung des persön- lichen Verkehrs (vgl. §§ 435/436 ZPO) hätte rechnen müssen. In einem solchen Fall wäre indessen die Dringlichkeit durch eine Tatsa- chenschilderung und nicht durch rechtliche Ausführungen darzulegen gewesen, für die nur eine Rechtsvertretung hätte notwendig sein können. c) ... d) Das Argument der Beschwerdeführerin, bei früherer ge- richtlicher Zuständigkeit zur Abänderung des rechtskräftigen Ehe- scheidungsurteils auch in Bezug auf das Recht auf persönlichen Ver- kehr habe selbstverständlich Anspruch auf Gewährung der unent- geltlichen Rechtspflege bestanden, ist aus zwei Gründen nicht stich- haltig. Zum einen ist das Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren nicht kontradiktorisch und aufgrund der über die Offizial- bzw. Untersuchungsmaxime hin- ausgehenden Verfahrensgarantie (vgl. § 20 Abs. 1 und 2 VRPG) auch im Hinblick auf die Aufsichtsfunktion der vormundschaftlichen Auf- sichtsbehörden für eine Verfahrenspartei bzw. einer betroffenen Ver- fahrensbeteiligten praktisch ohne Verfahrensrisiko. Zum andern war schon im früheren gerichtlichen Verfahren, das als kontradiktorisches Verfahren aufwändiger und komplizierter und mit einem Verfahrens- risiko für die Verfahrensparteien behaftet war, in jedem Fall indi- viduell konkret zu prüfen, ob die unentgeltliche Rechtspflege mit unentgeltlicher Rechtsvertretung durch einen Anwalt notwendig und zu gewähren sei. e) Schliesslich schlägt auch der Einwand der Beschwerde- führerin fehl, es sei für einen Laien schwierig herauszufinden, bei welcher Behörde er nun mit welchem Begehren in welchem Verfah- ren vorstellig werden müsse. Eine solche Schwierigkeit besteht inso- fern nicht, als der Laie bei der von ihm als zuständig erachteten Be- hörde die Zuständigkeit für sein Rechtsbegehren erfragen oder sein Rechtsbegehren einreichen kann und diese zur Bezeichnung der zu- 2002 Obergericht/Handelsgericht 108 ständigen Behörde und im Falle ihrer Unzuständigkeit zur unverzüg- lichen Weiterleitung des Rechtsbegehrens an die dafür zuständige Behörde verpflichtet ist (§ 7 VRPG, § 83 Abs. 2 ZPO, § 52 Abs. 2 StPO), wobei diese das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren durch- führt. Insoweit kann daher jedenfalls keine Notwendigkeit für die unentgeltliche Rechtsvertretung durch einen Anwalt vorliegen. 5. a) Demnach ist in Abweisung der Beschwerde und Bestäti- gung der vorinstanzlichen Verfügung das Begehren der Beschwerde- führerin um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtsvertretung im Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde O. abzuweisen. b) Wird damit die unentgeltliche Rechtspflege für das Ver- fahren vor der Vormundschaftsbehörde O. verweigert, entfällt sie auch für das vorliegende Verfahren auf Bewilligung der unentgeltli- chen Rechtspflege, wo sie ohnehin aufgrund der Offizialmaxime (§ 20 VRPG) und Einfachheit des Verfahrens ohne sich stellende komplexe Rechtsfragen nicht nötig und daher auch nicht möglich ist (vgl. § 129 Abs. 4 ZPO; dazu zur Veröffentlichung bestimmter Ent- scheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 24. Januar 2001 i.S. V. B. - W., bestätigt durch BGE vom 24. Oktober 2001).
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2008 Obergericht 40 7 Art. 7 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 BGFA, § 15 Abs. 1 lit. c EG BGFA, § 2 AnwV; Frage der hinreichenden rechtspraktischen Tätigkeit für die Zulassung zur Anwaltsprüfung: - Keine Anrechenbarkeit absolvierter beruflicher Tätigkeiten irgend- welcher Art, welche vor Abschluss eines juristischen Studiums mit dem Bachelor in Rechtswissenschaften absolviert wurden. - Keine Gleichstellung der Tätigkeiten in einem (eigenen) privaten Un- ternehmen (Leitung von Projekten für Gemeindeverwaltungen in den Bereichen Finanzverwaltung, Steuer- und Betreibungsämter) mit der Tätigkeit in einer Gemeindeverwaltung. - Keine Anrechnung von Tätigkeiten als "Wirtschaftsjurist" bei einer Treuhand- und Beratungsfirma. - Keine Anrechnung einer Tätigkeit als Fachrichter am Handelsge- richt; die Fachrichter unterstützen vor allem mit ihrem Fachwissen in bestimmten Bereichen die juristisch geschulten Richter und Rich- terinnen sowie die Gerichtsschreiber und Gerichtsschreiberinnen und erhalten weder eine ausgeprägte juristische Ausbildung, noch sind sie selber ausgeprägt rechtspraktisch tätig. Zudem ist das ent- sprechende "Pensum" im Nebenamt in den meisten Fällen sehr klein. Eine erst dreijährige Fachrichtertätigkeit, wie es beim Gesuch- steller der Fall ist, kommt in jedem Fall noch nicht in Frage für eine Anrechnung an die gemäss Prüfungsvoraussetzungen notwendige Praktikumsdauer. Entscheid der Anwaltskommission vom 19. August 2008 i.S. M.B. (AVV.2008.23)
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2001 Obergericht/Handelsgericht 30 B. Erbrecht 2 Art. 517 Abs. 1 ZGB, Art. 398 Abs. 3 OR; Willensvollstrecker Der Erblasser muss die Bezeichnung des Willensvollstreckers selbst vor- nehmen. Zulässig ist die Ernennung eines Ersatzwillensvollstreckers durch den Erblasser für den Fall, dass der erstgenannte Kandidat das Amt nicht übernehmen kann oder will bzw. vor Beendigung ausscheidet. Die fragliche Person muss klar bestimmt oder bestimmbar sein (Erw. 1a). Die Substitution der Mandatsführung an einen Dritten i.S.v. Art. 398 Abs. 3 OR ist zulässig, wenn der Willensvollstrecker durch die Umstände dazu genötigt ist. Eine Abtretung der Willensvollstreckerstellung ist hingegen nicht statthaft (Erw. 1b). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 26. März 2001 i.S. C.S. gegen Verfügung des Gerichtspräsidiums X. Aus den Erwägungen 1. a) Gemäss Art. 517 Abs. 1 ZGB kann der Erblasser in einer letztwilligen Verfügung eine oder mehrere handlungsfähige Personen mit der Vollstreckung seines Willens beauftragen. Der Erblasser muss die Bezeichnung des Willensvollstreckers selbst vornehmen; er kann nicht nur die Willensvollstreckung als solche anordnen und die Bezeichnung der Person einem Dritten übertragen. Eine solche Dele- gation widerspricht dem Prinzip der höchstpersönlichen Natur der Testamentsabfassung und damit der erforderlichen Selbständigkeit des erblasserischen Willens (Karrer, Basler Kommentar, Basel 1998, N 5 zu Art. 517 mit Hinweis auf BGE 81 II 28, 100 II 102 [= Pra 1975 Nr. 8]; ZR 1992/93 238; Picenoni, ZBGR 1969 S. 165; Piotet, Schweizerisches Privatrecht, Band IV/1 Basel/Stuttgart 1978, S. 156; Wetzel, Interessenkonflikte des Willensvollstreckers, Zürich 1985, N 42 bis 46; Hux, Die Anwendbarkeit des Auftragsrechts auf die Willensvollstreckung..., Zürich 1985, S. 26; Druey, Grundriss des 2001 Zivilrecht 31 Erbrechts, 4. A., Bern 1997, N 23 f. zu § 8; a.M. Jost, Der Willens- vollstrecker, Zürich 1953, N 12). Nicht erforderlich ist, dass eine be- stimmte Person namentlich bezeichnet wird; sie muss aber klar be- stimmbar sein. So ist es z.B. zulässig, den ,,Anwalt (...) oder seinen Büronachfolger" zu ernennen, sofern dieser Nachfolger eindeutig bestimmbar ist (Karrer, a.a.O. mit Hinweis auf BGE 91 II 182; ZR 1990 163, 1992/93 237). Zulässig ist die Ernennung eines oder mehrerer Ersatzwillens- vollstrecker durch den Erblasser für den Fall, dass der erstgenannte Kandidat das Amt nicht übernehmen kann oder will bzw. vor Be- endigung ausscheidet. Auch hier gilt aber das Prinzip der klaren Be- stimmung bzw. Bestimmbarkeit der fraglichen Person oder Personen (Künzle, Der Willensvollstrecker, Zürich 2000, S. 147; Karrer, a.a.O., N 6 zu Art. 517 ZGB mit Hinweis auf BGE 91 II 182; ZR 1992/93 237; Jost, a.a.O., N 14, Piotet, a.a.O., S. 156). b) Der Willensvollstrecker ist in der Regel zur persönlichen Er- füllung der Aufgabe verpflichtet. Wegen der Zulässigkeit eines be- stimmbaren Willensvollstreckers, den der Erblasser nicht notwendi- gerweise zu kennen braucht, kann die Aufgabe aber nicht als höchst- persönlich gelten. In analoger Anwendung von Art. 398 Abs. 3 OR kann der Willensvollstrecker - solange das Willensvollstreckerman- dat andauert - bei Bedarf Hilfspersonen beiziehen, wenn er Fachleute benötigt, oder Dritte mit der Erledigung von Routinearbeiten beauf- tragen. Nach Art. 398 Abs. 3 OR ist grundsätzlich auch die Substitu- tion der konkreten Mandatsführung an einen eigenverantwortlichen Dritten zulässig. Mit Hinblick auf die Vertrauensstellung des Wil- lensvollstreckers kann dieses Substitutionsrecht aber nicht ,,übungs- gemäss als zulässig" (Art. 398 Abs. 3 OR) betrachtet werden, sondern kommt nur in Frage, wenn der Willensvollstrecker aus ob- jektiven Gründen zur Substitution ,,durch die Umstände genötigt" ist, z.B. wegen allgemein ungenügender Fachkenntnis, Krankheit oder Arbeitsüberlastung. Das Recht zum Beizug von Fachleuten und Hilfspersonen bzw. zur Substitution ergibt sich aus Art. 398 OR und gilt auch dann, wenn der Erblasser in der letztwilligen Verfügung weder dieses Recht erwähnt noch einen möglichen Ersatzvollstrecker bezeichnet hat (Karrer, a.a.O., N 15 zu Art. 518 ZGB mit Hinwei- 2001 Obergericht/Handelsgericht 32 sen). Bei befugter Übertragung der Geschäftsbesorgung haftet der Willensvollstrecker einzig für gehörige Sorgfalt bei der Wahl und Instruktion des Substituten (Art. 399 Abs. 2 OR). Jener kann hinge- gen, solange er Substitut bleibt, nur von seinem Auftraggeber, dem eingesetzten Willensvollstrecker, Vergütung (Art. 394 Abs. 3 OR) sowie Auslagenersatz und Befreiung von Schadenersatz (Art. 402 OR) fordern (Gautschi, Berner Kommentar, 1971, N 45d zu Art. 398 OR). Von der Substitution nach Art. 398 Abs. 3 OR zu unterscheiden ist die Abtretung der Willensvollstreckerfunktion als solcher, d.h. die Ernennung eines Nachfolgers durch den Willensvollstrecker selbst und die Übertragung der gesamten Funktion auf diesen. Eine solche ,,Abtretung" der Willensvollstreckerstellung ist nicht möglich, weder nach Art. 517 ZGB noch nach Art. 398 OR. Die Ernennung des Er- satzwillensvollstreckers hat durch den Erblasser zu erfolgen und kann von diesem nicht an einen Dritten delegiert werden, auch nicht an den ernannten Willensvollstrecker. Will oder muss der ernannte Willensvollstrecker ausscheiden, so tritt er zurück und sein Mandat erlischt. Ist kein Ersatzvollstrecker bezeichnet, so hat der Erblasser von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht; der ernannte Willensvollstrecker hat kein eigenständiges Recht, selbständig einen Nachfolger zu bezeichnen und ihm diese Aufgabe zu übertragen (Karrer, a.a.O., N 15 zu Art. 518 ZGB; Urteil des Bundesgerichts vom 13. März 1995 i.S. X./Y. c. F, in: AJP 1996 S. 84 f.; Breit- schmid, in: AJP 1996 S. 89; a.M. Giger, in Festschrift für Anton Heini, Zürich 1995, S. 140). 2. a) Es ist unbestritten, dass der von der Erblasserin eingesetzte Willensvollstrecker das Willensvollstreckermandat aufgrund der gegebenen Umstände nicht persönlich ausüben kann. Damit wäre eine Substitution des Mandates - sofern und solange der Willensvoll- strecker dieses (noch) innehat - gestützt auf Art. 398 Abs. 3 OR grundsätzlich möglich. Im vorliegenden Verfahren geht es indes nicht um die Frage der Zulässigkeit der Substitution, mithin um die blosse Befugnis des Beschwerdeführers zur Mandatsbesorgung für den eingesetzten Willensvollstrecker. Der Beschwerdeführer verlangt vielmehr die Anerkennung als neuer Willensvollstrecker an Stelle des 2001 Zivilrecht 33 von der Erblasserin ernannten und die Ausstellung des entspre- chenden Legitimationsausweises. Er stützt sich dabei auf ein Schrei- ben des eingesetzten Willensvollstreckers vom 20. Juni 2000, worin dieser mitteilt, dass er sämtliche zukünftigen Willensvollstrecker- mandate bis auf schriftlichen Widerruf an den Beschwerdeführer abgetreten habe, und dieser damit ermächtigt sei, diese Mandate auf eigenen Namen und eigene Rechnung eigenständig auszuführen. Damit liegt aber eine Abtretung der Willensvollstreckerstellung durch den Willensvollstrecker selbst vor, welche nach dem zuvor Ausgeführten (Erw. 1b, in fine) aufgrund der höchstpersönlichen Natur der letztwilligen Verfügung nicht statthaft ist. Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei als Büronachfolger des Willensvollstreckers zur Ausübung des Willensvollstreckerman- dates berechtigt. Zutreffend ist, dass die Erblasserin für den Verhin- derungsfall des eingesetzten Willensvollstreckers den Eintritt des Büronachfolgers in dessen Funktion verfügt hat. Es handelt sich hierbei um die Einsetzung eines Ersatzvollstreckers durch den Erb- lasser selbst, welche zulässig ist, sofern die fragliche Person klar bestimmbar ist. Je nach den konkreten Umständen kann der ,,Büro- nachfolger" als genügend eindeutig bestimmt gelten (Erw. 1a hievor; kritisch das Urteil des Bundesgerichts vom 13. März 1995, in AJP 1996 S. 85; ebenso Künzle, a.a.O., S. 147). Der Beschwerdeführer hat allerdings laut eigener Angabe vom eingesetzten Willensvoll- strecker lediglich die Willensvollstreckermandate übertragen erhal- ten. Damit fehlt es aber an der für die Bestimmbarkeit des Ersatz- vollstreckers vorweg erforderlichen Rechtsnachfolge im Betrieb.
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2009 Strafprozessrecht 57 [...] 11 Art. 9 BV; Art. 4 Protokoll Nr. 7 zur EMRK; Art. 14 Abs. 7 Interna- tionaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II); Art. 37 Abs. 1 lit. b OHG. Doppelbestrafungsverbot ("ne bis in idem") Der Grundsatz "ne bis in idem" verbietet in Folge eines Strassenver- kehrsunfalles eine Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung nicht, wenn in derselben Strafuntersuchung gestützt auf denselben Sachverhalt bereits ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen Verletzung des Strassenver- kehrsgesetzes ergangen ist, sofern die Beschuldigte nicht auf den Ab- schluss des Verfahrens mit dem rechtskräftigen Strafbefehl vertrauen durfte. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 21. Juli 2009, i.S. H.F. Sachverhalt Infolge eines Strassenverkehrsunfalles wurde das gegen die Be- schuldigte eröffnete Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverlet- zung mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 18. Februar 2009 eingestellt und dieselbe mit Strafbefehl des Bezirksamts Zofingen vom 24. Februar 2009 wegen Verletzung des Strassenverkehrsgeset- zes mit einer Busse von Fr. 200.00 bestraft. Während der Strafbefehl unangefochten in Rechtskraft erwuchs, wurde die Einstellungsverfü- gung in Gutheissung einer ersten Beschwerde des Beschwerdefüh- rers von der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts aufgehoben und die Staatsanwaltschaft angewiesen, Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäss Art. 125 Abs. 1 StGB zu erhe- ben. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin mit Verfügung vom 9. Juni 2009 das Strafverfahren erneut ein mit der Begründung, eine Anklage verletze den Grundsatz "ne bis in idem", da gestützt auf den zu beurteilenden Sachverhalt bereits ein Strafbefehl erlassen worden 2009 Obergericht 58 sei. Dagegen erhob der Beschwerdeführer erneut Beschwerde, wel- che Gegenstand des vorliegenden Entscheides bildet. Aus den Erwägungen 2. Die Staatsanwaltschaft stützt ihre neuerliche Einstellungsverfü- gung auf das Argument, eine Verurteilung der Beschuldigten wegen fahrlässiger Körperverletzung würde den Grundsatz "ne bis in idem" verletzen. Der Grundsatz "ne bis in idem" bildet nach der bundesgerichtli- chen Rechtsprechung Teil des Bundesstrafrechts und lässt sich direkt aus der Bundesverfassung ableiten (Urteil des Bundesgerichts vom 10. September 2003 6P.51/2003 mit weiteren Hinweisen). Er ergibt sich im Übrigen aus Art. 14 Abs. 7 des UNO-Paktes II über bürgerli- che und politische Rechte. Explizit wird er in Art. 4 des 7. Zusatzpro- tokolls zur EMRK festgehalten. Abs. 1 dieser Bestimmung lautet: "Niemand darf wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut verfolgt oder bestraft werden." Der Grundsatz "ne bis in idem" verbietet also nicht nur die dop- pelte Bestrafung in derselben Sache, sondern bereits die doppelte Strafverfolgung (dazu Jürg-Beat Ackermann / Stefan Ebensperger, Der EMRK-Grundsatz "ne bis in idem" - Identität der Tat oder Identität der Strafnorm?, in: AJP 1999, 823 ff. 833 und FN 78 und 79 mit zahlreichen Hinweisen und Jürg-Beat Ackermann, Art. 6 EMRK und Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls; insbesondere die Garantie ne bis in idem, in: Daniel Thürer, EMRK: Neuere Entwicklungen, Zürich/ Basel/Genf 2005, S. 31 ff., 32 sowie BGE 122 I 257, E. 3). Der Be- schuldigte soll nicht zwei Mal in derselben Sache den Zwängen der Strafverfolgung ausgesetzt sein. 3. (...) 2009 Strafprozessrecht 59 4. 4.1. Voraussetzung für die Sperrwirkung des Grundsatzes "ne bis in idem" ist die Identität der Person und der Tat (BGE 122 I 257, E. 3). Im vorliegenden Fall stützten sich die Vorwürfe gegen die Beschul- digte bezüglich den SVG-Delikten und dem Tatbestand der fahrlässi- gen Körperverletzung auf denselben Lebenssachverhalt (Abbiegen ohne Betätigung des Blinkers, welches zur Kollision mit dem Fahr- zeug des Beschwerdeführers und schliesslich zu seiner Verletzung führte). Daraus folgert die Staatsanwaltschaft offenbar eine Tatidenti- tät hinsichtlich diesen Delikten. 4.2. Wie das Merkmal der Tatidentität zu verstehen ist, wird in Leh- re und Rechtsprechung allerdings kontrovers beurteilt. Im Wesentli- chen geht es dabei um die Frage, ob Tatidentität die Identität des Sachverhalts oder die Identität der anwendbaren Rechtsnormen be- deutet (Vgl. die "opinion dissidente" des Richters Repik im Ent- scheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 30. Juli 1998 i.S. Oliveira gegen die Schweiz). In der Diskus- sion um die Praxis des EGMR haben sich dazu die Stichworte "einfa- che" und "doppelte Identität" etabliert, wobei vereinfachend nach der These der "einfachen Identität" gleiche Lebenssachverhalte für eine Tatidentität ausreichen, während nach der These der "doppelten Iden- tität" zusätzlich auch die angewendeten Rechtsnormen identisch sein müssen (Vgl. Ackermann/Ebensperger a.a.O.; Ackermann a.a.O; Ent- scheid des Bundesgerichts vom 10. September 2003, 6P.51/2003, E. 10.1.). 4.3. Sowohl das Bundesgericht wie auch der EGMR haben sich in jüngeren Entscheiden für das Konzept der "doppelten Identität" ausgesprochen und zwar der EGMR in einem Verfahren gegen die Schweiz, welchem ein dem vorliegenden sehr ähnlicher Sachverhalt zugrunde lag. (...) 2009 Obergericht 60 4.4. Grosse Ähnlichkeiten zwischen dem vorliegenden Fall und dem Oliveira-Fall des EGMR sind unverkennbar. (...) Auch im vorliegenden Fall wäre es sicher wünschenswert ge- wesen, wenn das Bezirksamt Zofingen mit dem Ausfällen des Straf- befehls wegen der SVG-Delikte bis zur Rechtskraft der Einstellungs- verfügung betreffend fahrlässige Körperverletzung zugewartet hätte, so dass im nun eingetretenen Falle der Aufhebung der Einstellungs- verfügung eine Beurteilung der SVG-Delikte und des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung durch dieselbe Instanz hätte stattfin- den können. Fraglich ist, ob durch dieses nicht zweckgemässe Vorge- hen die Ahndung der möglichen fahrlässigen Körperverletzung un- möglich geworden ist, weil sie gegen das Verbot des "ne bis in idem" verstossen würde. 5. Das Bundesgericht hat in BGE 122 I 257 ebenfalls festgehalten, dass das Verbot des "ne bis in idem" für echt konkurrierende Tatbe- stände nicht gelte und sich damit wie der EGMR im Fall Oliveira für das Konzept der "doppelten Identität" ausgesprochen (E. 7 dieses Entscheides; bestätigt im Urteil vom 10. September 2003 6P.51/2003, E.10.6.). Das Bundesgericht hat in diesem Entscheid weiter ausgeführt, der Grundsatz "ne bis in idem" wäre verletzt, wenn der Beschuldigte strenger bestraft würde, weil die echt konkur- rierenden Delikte von verschiedenen Behörden statt von einer einzi- gen Behörde beurteilt würden. Dementsprechend müsste das Gericht auch im vorliegenden Fall, wenn es zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung käme, die Strafe in analoger Anwen- dung von Art. 49 Abs. 2 StGB so bemessen, dass die Beschuldigte nicht schwerer bestraft würde, als wenn die strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären. 6. 6.1. Eine Anwendung des Grundsatzes "ne bis in idem" auf den vor- liegenden Fall würde aber nicht nur der jüngeren Rechtsprechung des EGMR und des Bundesgerichts, sondern auch dem Sinn und Zweck dieses Grundsatzes widersprechen. Der Grundsatz "ne bis in idem" 2009 Strafprozessrecht 61 will verhindern, dass eine Person für die selbe Straftat mehrmals (und damit insgesamt übermässig) bestraft oder mehrmals den (damit unverhältnismässigen) Belastungen der Strafverfolgung ausgesetzt ist. Zudem könnte man auch von einem Schutz des Vertrauens des Täters darin sprechen, dass die Tat mit der ein Mal ausgesprochenen Strafe gesühnt sein und der Staat seinen Strafanspruch damit ver- wirkt haben wird. 6.2. Im vorliegenden Fall sind bis zur Überweisung der Akten vom Bezirksamt Zofingen an die Staatsanwaltschaft mit dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens betreffend fahrlässige Körperverletzung nicht zwei, sondern ein Untersuchungsverfahren geführt worden. Erst nach Abschluss der Untersuchung kam es zu einer Zweiteilung des Verfahrens insofern, als das Bezirksamt Zofingen den Strafbefehl wegen der SVG-Delikte und die Staatsanwaltschaft eine Einstel- lungsverfügung betreffend fahrlässige Körperverletzung erliessen, wobei letztere auf Beschwerde hin aufgehoben und die Staatsanwalt- schaft angewiesen wurde, Anklage zu erheben. Die Ausstellung des Strafbefehls war für die Beschuldigte mit keinen weiteren Untersu- chungshandlungen oder sonstigen Einschränkungen ihrer persönli- chen Freiheit verbunden, welche über die blosse Kenntnisnahme des Strafbefehls hinausgegangen wären. Damit kann nicht davon gespro- chen werden, dass die Beschuldigte durch die Gabelung des Ver- fahrens einer wesentlich erhöhten Belastung ausgesetzt worden wäre, welche als doppelte Strafverfolgung vom Grundsatz "ne bis in idem" erfasst würde. Wie der Beschwerdeführer geltend macht, ist die Si- tuation der Beschuldigten mit jener in einem Verfahren vergleichbar, in welchem der Beschuldigte die Verurteilung in einem Punkt akzep- tiert, so dass sie in diesem Punkt nach § 221 StPO rechtskräftig wird, in einem anderen Punkt aber mit einem Rechtsmittel anficht (nur, dass in einem solchen Falle der Beschuldigte selber die Zweiteilung herbeiführt, was im vorliegenden Verfahren nicht der Fall ist). 6.3. Im Übrigen konnte die Beschuldigte im vorliegenden Verfahren auch nicht darauf vertrauen, dass ihr Verhalten mit dem Strafbefehl des Bezirksamts Zofingen strafrechtlich vollständig beurteilt worden 2009 Obergericht 62 wäre. Die Einstellungsverfügung vom 18. Februar 2009 und der Strafbefehl vom 24. Februar 2009 wurden ihr mit derselben Gerichts- urkunde zugestellt (...). Es war damit für die Beschuldigte klar er- kennbar, dass mit dem Strafbefehl das Verfahren noch nicht abge- schlossen war, sondern betreffend der fahrlässigen Körperverletzung eine Einstellungsverfügung ergangen war, die mit einem Rechtsmit- tel angefochten werden konnte. [...]Die Beschuldigte wusste damit, dass eine Strafverfolgung wegen fahrlässiger Körperverletzung ge- gen sie geführt wurde und dass diese Strafverfolgung mit dem sich nur auf SVG-Delikte beziehenden Strafbefehl nicht abgeschlossen war. 6.4. (...) 6.5. Falls die Beschuldigte im vorliegenden Verfahren vom Gericht der fahrlässigen Körperverletzung für schuldig befunden wird, kann das Gericht die bereits erfolgte Verurteilung wegen den SVG-Delik- ten berücksichtigen und die Strafe so bemessen, dass sie nicht schwerer ausfällt, als wenn alle Delikte zusammen beurteilt worden wären. 6.6. Die Beschuldigte wird damit im vorliegenden Fall durch die (wenn auch nicht zweckmässige) Verfahrensführung nicht wesentlich mehr belastet, als wenn sämtliche Tatvorwürfe von derselben Instanz beurteilt worden wären. Ausserdem könnte eine allfällige zusätzliche Strafe so ausgefällt werden, dass die Beschuldigte durch den Verfah- rensgang keine Schlechterstellung erfährt. Damit würde die Anwen- dung des Grundsatzes "ne bis in idem" auf einen solchen Fall keinem legitimen Schutzbedürfnis der Beschuldigten dienen, weshalb er dem staatlichen Strafanspruch nicht entgegenstehen kann. 7. Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, wäre eine Anwendung des Grundsatzes "ne bis in idem" auf den vorliegenden Fall auch mit seinen Rechten als Geschädigter aus dem Opferhilfege- setz schwer vereinbar. Gemäss Art. 37 Abs. 1 lit. b OHG kann das Opfer einer Straftat den Entscheid eines Gerichts verlangen, wenn 2009 Strafprozessrecht 63 das Verfahren nicht eingeleitet oder eingestellt wird. Von diesem Recht hat der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall Gebrauch ge- macht, indem er die Einstellungsverfügung vom 18. Februar 2009 mit Beschwerde angefochten hat, wobei die Beschwerde mit Ent- scheid der Beschwerdekammer in Strafsachen vom 27. Mai 2009 gutgeheissen wurde. Der Beschwerdeführer konnte nicht davon aus- gehen, dass er zur Vermeidung einer Einstellung zusätzlich gegen den sich nur auf die SVG-Delikte beziehenden Strafbefehl vom 24. Februar 2009 hätte Einsprache erheben müssen, wie in der ange- fochtenen Einstellungsverfügung geltend gemacht wird. Mit dieser Einstellungsverfügung werden damit tatsächlich seine Rechte aus dem Opferhilfegesetz ausgehebelt. Im Übrigen ist es ohnehin zwei- felhaft, ob er zu einer Einsprache gegen den Strafbefehl überhaupt legitimiert gewesen wäre. Erstens ist seine Opferstellung in Bezug auf die abstrakten Gefährdungsdelikte des SVG nicht ohne weiteres gegeben, zweitens bezieht sich Art. 37 Abs. 1 lit. b OHG nur auf Verfahren, die nicht eingeleitet oder eingestellt werden, während der Strafbefehl vom 24. Februar 2009 einzig eine Verurteilung enthält, und drittens sieht § 197 Abs. 1 StPO eine Einsprachelegitimation des Geschädigten nur vor, soweit privatrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden, was der Beschwerdeführer im vorliegenden Ver- fahren nicht getan hat. Auch das Opferhilfegesetz steht der Anwen- dung des Grundsatzes "ne bis in idem" auf den vorliegenden Fall damit klar entgegen.
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2003 Obergericht/Handelsgericht 56 [...] 13 Zivilprozess, Sicherstellung der Parteikosten Parteien mit Wohnsitz auf den englischen Kanalinseln sind nicht von der Kautionspflicht gemäss § 105 lit. a ZPO befreit. Auszug aus der Verfügung des Instruktionsrichters des Handelsgerichts vom 28. Juli 2003 in Sachen W. gegen G. Ltd. Aus den Erwägungen 1. a) Gemäss § 105 lit. a ZPO hat die Partei, die als Kläger auf- tritt, der Gegenpartei auf deren Begehren für ihre Parteikosten Si- cherheit zu leisten, sofern Letztere in der Schweiz keinen Wohnsitz hat und keine staatsvertragliche Vereinbarung sie von der Sicher- heitsleistung befreit. b) Die Gesuchsgegnerin hat ihren Sitz in Jersey, einer Kanalin- sel, und damit im Ausland. Zu prüfen ist, ob sie gestützt auf einen Staatsvertrag von der Sicherstellungspflicht befreit ist. 2. a) Staatsverträge, die für eine Partei mit Sitz in Jersey gemäss § 105 lit. a ZPO in Betracht fallen, sind das Haager Übereinkommen über den internationalen Zugang zur Rechtspflege vom 25. Oktober 1980 (HUe 80; SR 0.274.133), die Haager Zivilprozessrechtsüber- einkunft vom 1. März 1954 (HUe 54; SR 0.274.12), das bilaterale britisch-schweizerische Abkommen vom 3. Dezember 1937 über Zivilprozessrecht (SR 0.274.183.671) sowie das internationale Über- einkommen vom 17. Juli 1905 betreffend Zivilprozessrecht (HUe 05; SR 0.274.11). Zu prüfen ist überdies, ob das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft ei- nerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaa- ten anderseits über die Freizügigkeit (Abkommen über die Personen- 2003 Zivilprozessrecht 57 freizügigkeit [FZA]; SR 0.142.112.681) einer Kautionspflicht der Gesuchsgegnerin entgegensteht. b) Die Kanalinseln unterhalten enge Beziehungen zur engli- schen Krone, besitzen jedoch erhebliche Autonomie. Diese zeigt sich u.a. darin, dass die einzelnen Kanalinseln ein eigenes Rechtssystem besitzen. Hingegen fehlt ihnen die Kompetenz zum Abschluss von Staatsverträgen. Ihre Aussenpolitik wird von London bestimmt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sämtliche von London abgeschlossenen Staatsverträge unmittelbar auch für die Kanalinseln gelten. Vielmehr muss eine vom Vereinigten Königreich eingegangene staatsvertragli- che Verpflichtung explizit auch für die Kanalinseln in Kraft gesetzt werden (Mark Huleatt-James, Some Reflections on Disputes invol- ving "the British Isles", SJZ 1995, S. 126 f.; vgl. auch den Eintrag auf www.jerseylegalinfo.je/Home/AboutJersey/default.asp: "Jersey (...) has its own system of local administration, fiscal and legal sys- tems, and courts of law. Jersey is neither part of the United Kingdom nor a colony. It is not represented in the United Kingdom Parliament, whose Acts extend to Jersey only if the Island expressly agrees that they should do so. The Island owes allegiance to the British Crown and the United Kingdom is responsible for the Island's defence and international relations."). 3. a) In keinem der drei Haager Übereinkommen (HUe 80, 54 und 05) ist das Vereinigte Königsreich Vertragspartei. Dasselbe gilt für die Kanalinseln selber. Die Anwendbarkeit dieser multilateralen Staatsverträge scheidet demzufolge aus. b) aa) Das britisch-schweizerische Abkommen vom 3. Dezem- ber 1937 bestimmt in Art. 8 lit. a, auf welche Gebiete des (damali- gen) britischen Empires dieser Staatsvertrag Anwendung findet. Nach dieser Bestimmung steht es dem Vereinigten Königreich bzw. dessen Königin frei, die Anwendung des Abkommens auch auf weitere Gebiete auszudehnen. Von dieser Möglichkeit wurde mit Bezug auf Jersey mit Wirkung ab dem 14. August 1981 Gebrauch gemacht (AS 1981, 1294). Das Abkommen ist somit im vorliegenden Gesuchsverfahren anwendbar. bb) Gemäss Art. 3 lit. a des britisch-schweizerischen Abkom- mens vom 3. Dezember 1937 sind Angehörige eines vertragschlies- 2003 Obergericht/Handelsgericht 58 senden Teils von einer Sicherheitsleistung befreit, sofern sie ihren (Wohn-)Sitz in dem Land haben, in dem das Gerichtsverfahren statt- findet. Da die Gesuchsgegnerin keinen Sitz in der Schweiz hat, ist sie gemäss Art. 3 lit. b des britisch-schweizerischen Abkommens vom 3. Dezember 1937 von der Pflicht zur Sicherheitsleistung nur befreit, wenn sie in der Schweiz "unbewegliches Eigentum oder anderes nicht ohne weiteres übertragbares Eigentum" besitzt. Dass solches Eigentum der Gesuchsgegnerin in der Schweiz gelegen sei, wird von ihr nicht eingewendet. Die Gesuchsgegnerin ist somit nach dem britisch-schweizeri- schen Abkommen über Zivilprozessrecht vom 3. Dezember 1937 nicht von der Parteikostensicherstellung befreit. c) aa) Die Anwendung von § 105 lit. a ZPO könnte dem in Art. 2 FZA statuierten Diskriminierungsverbot zuwiderlaufen. Vor- aussetzung hiefür wäre, dass die Kanalinseln Mitglied der Europä- ischen Gemeinschaft bzw. Teil eines Mitgliedstaates der Europä- ischen Gemeinschaft wären, da das FZA zwischen der Europäischen Gemeinschaft und deren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweiz andererseits abgeschlossen worden ist. bb) Art. 299 Abs. 6 lit. c des Vertrages zur Gründung der Euro- päischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 (EGV) sieht die Anwen- dung des EGV für die Kanalinseln nur insoweit vor, wie es für eine adäquate Durchführung des am 22. Januar 1972 unterzeichneten Vertrages über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Europäischen Atomgemeinschaft erforderlich ist. Demgemäss ist der EGV nur auszugsweise auf Jer- sey anwendbar. cc) Die Kanalinseln gehören somit nicht zur Europäischen Ge- meinschaft, da der EGV für diese Territorien nicht ohne weiteres Geltung hat. Jersey ist demgemäss auch nicht Vertragspartei des FZA und eine Befreiung der Gesuchsgegnerin von der Kautionspflicht gestützt auf Art. 2 FZA fällt ausser Betracht. d) Zusammenfassend ist die Gesuchsgegnerin nach keinem der hier relevanten Staatsverträge von der Kautionspflicht gemäss § 105 lit. a ZPO befreit. Das Sicherstellungsbegehren der Gesuchstellerin ist daher grundsätzlich begründet.
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2008 Zivilprozessrecht 29 II. Zivilprozessrecht A. Zivilprozessordnung 3 § 2 lit. c ZPO: Befangenheit des Richters wegen Vorbefassung Ein laufendes Präliminarverfahren, in welchem unter anderem über die Abänderung von Unterhaltsbeiträgen zu entscheiden ist, erscheint nicht mehr als hinreichend offen, wenn sich der Richter in einem anderen Ver- fahren derselben Parteien im Rahmen der Beurteilung eines zu leistenden Prozesskostenvorschusses bereits dahingehend geäussert hat, dass die Un- terhaltsbeiträge im laufenden Präliminarverfahren massiv gekürzt wür- den. Entscheid der Inspektionskommission vom 15. Dezember 2008 i.S. A.S ge- gen Gerichtspräsidium A. (IVV.2008.5) Aus den Erwägungen 3. Die Gesuchstellerin bzw. ihr Vertreter gründet den Verdacht der Befangenheit des Gesuchsgegners auf dessen Äusserungen im Urteil vom 21. November 2007. Damit habe der Gesuchsgegner zum Aus- druck gebracht, dass er über die Frage der Unterhaltsbeiträge im lau- fenden Verfahren bereits eine vorgefasste Meinung habe. Die Ge- suchstellerin macht den Ausstandsgrund der Vorbefassung geltend. 3.1. Gemäss § 2 lit. c ZPO hat ein Richter von Amtes wegen auch in den Ausstand zu treten, wenn er in einem früheren Zeitpunkt in rich- terlicher oder nichtrichterlicher Funktion mit der konkreten Streitsa- che schon einmal zu tun hatte (A LFRED B ÜHLER / A NDREAS E DEL - MANN / A LBERT K ILLER , Kommentar zur aargauischen Zivilprozess- ordnung, 2. Aufl., Aarau 1998, N 11 zu § 2 [zit. ZPO-Kommentar]). In einem solchen Fall sogenannter Vorbefassung stellt sich die Frage, ob sich ein Richter durch seine Mitwirkung an früheren Entscheidun- 2008 Obergericht 30 gen in einzelnen Punkten bereits in einem Mass festgelegt hat, die ihn nicht mehr als unvoreingenommen erscheinen lassen. Anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls muss untersucht werden, ob die zu entscheidende Rechtsfrage trotz Vorbefassung noch als offen er- scheint. Zu berücksichtigen ist, unter welchen tatsächlichen und ver- fahrensrechtlichen Umständen sich der Richter im früheren Zeit- punkt mit der Sache befasste bzw. sich später damit zu befassen hat. Von Bedeutung ist überdies, welche Fragen zu entscheiden sind und inwiefern sie miteinander zusammenhängen (BGE 126 I 68 Erw. 3c; 114 Ia 50 Erw. 3d; AGVE 1997 S. 98, Nr. 32). 3.2. [...] 3.2.1 - 3.2.3. [...] 3.3. Die obigen Ausführungen zeigen auf, dass es sich bei den bei- den Verfahren nicht um die gleiche Sache handelt. Im früheren Verfahren ging es insbesondere um die Frage der Zustimmung des Beklagten zur Sanierung der Heizung in der Liegenschaft der Ge- suchstellerin. Im noch zu entscheidenden laufenden Präliminarver- fahren sind unter anderem die Unterhaltsansprüche Gegenstand des Verfahrens. Dieser Sachverhalt und die damit verbundenen konkreten Rechtsfragen haben mit den Sach- und Rechtsfragen des mittlerwei- len rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens nichts gemein- sam, weshalb grundsätzlich keine Vorbefassung vorliegt. 3.4. 3.4.1. Eine andere Frage ist, ob sich der Gesuchsgegner aufgrund der Ausführungen im Entscheid vom 21. November 2007, "Zudem ist davon auszugehen, dass die Unterhaltsbeiträge der Klägerin im lau- fenden Präliminarverfahren rückwirkend per September 2006 massiv gekürzt werden. Ab Rechtskraft dieses Urteils wird somit die Kläge- rin für mehrere Monate keinen Unterhalt mehr vom Beklagten erhal- ten" (...), nicht mehr lösen und die Sache im laufenden Verfahren deshalb nicht mehr mit der nötigen Distanz und Objektivität beurtei- len kann. 2008 Zivilprozessrecht 31 3.4.2. Die beanstandeten Äusserungen erfolgten im Rahmen der Beur- teilung, ob die Gesuchstellerin auf einen Prozesskostenvorschuss des Beklagten angewiesen sei. Für die Beurteilung, ob die Voraussetzun- gen für die Leistung eines Prozesskostenvorschusses gegeben sind, stellte der Gesuchsgegner auf diverse Grundlagen aus anderen Ver- fahren (Präliminarakten [...]; Eheschutzurteil vom 6. August 2001 [...]; Scheidungsverfahren [...]) ab. [...] Der daraufhin folgende Schriftenwechsel endete schliess- lich mit der Verfügung vom 11. März 2008, in welcher der Gesuch- stellerin (Vertreter) die Frist zur Erstattung der Widerklageduplik bis zum 20. März 2008 erstreckt wurde [...]. Die Widerklageduplik der Gesuchstellerin war noch ausstehend. Der Gesuchsgegner äusserte sich somit in seinem Entscheid vom 21. November 2007 in einem Zeitpunkt, in dem im laufenden Verfahren bereits wesentliche Teile der Rechtsschriften erstattet wor- den waren. Dass sich der Gesuchsgegner im früheren Verfahren auf ein anderes noch nicht abgeschlossenes Verfahren bezogen und die Kürzung der Unterhaltsbeiträge, welche ein zentrales Thema im lau- fenden Verfahren darstellen, als Begründung herangezogen hat, deu- tet darauf hin, dass er sich in Bezug auf die Frage der Unterhaltsbei- träge bereits festgelegt hat. Auch insbesondere die Wortwahl, "Ab Rechtskraft dieses Urteils wird somit die Klägerin für mehrere Monate keinen Unterhalt mehr vom Beklagten erhalten", lässt keinen anderen Schluss zu als dass sich der Gesuchsgegner bereits in einem Mass festgelegt hat, so dass die Frage betreffend Unterhaltsbeiträge im laufenden Verfahren nicht mehr als offen erscheint. 4. [...] Das laufende Verfahren erscheint demnach nicht mehr als hinreichend offen. Die Befürchtung der Gesuchstellerin, der Prälimi- narentscheid im laufenden Verfahren könne vom Gesuchsgegner nicht mehr unvoreingenommen geführt werden, erweist sich bei objektiver Betrachtung als begründet. Das Ablehnungsbegehren der 2008 Obergericht 32 Gesuchstellerin ist demnach gutzuheissen und der Gesuchsgegner hat in den Ausstand zu treten.
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2002 Zivilrecht 41 E. Internationales Privatrecht 6 Eheschutz, Präliminarien - Abgrenzung der Anwendbarkeit von IPRG und LugÜ bei eherechtlichen Streitsachen (Erw. 3/b) - führen in der Schweiz wohnhafte ausländische Ehegatten einen Schei- dungs- oder Trennungsprozess im Ausland, ist der schweizerische Präli- minarrichter gestützt auf Art. 10 IPRG nur ausnahmsweise zuständig; Voraussetzungen (Erw. 3/c) - ist das ausländische Scheidungsurteil mutmasslich nicht anerkennbar oder ist der ausländische Scheidungsrichter nicht zuständig, sind Ehe- schutzmassnahmen anzuordnen (Erw. 3/d) - Voraussetzungen der Anerkennbarkeit eines ausländischen Scheidungs- urteils (Erw. 4) - örtliche Zuständigkeit des schweizerischen Präliminarrichters nach Art. 10 IPRG und Art. 24 LugÜ (Erw. 5/a) - vorbehaltlose Einlassung nach Art. 6 IPRG und 18 LugÜ (Erw. 5/b) Aus dem Entscheid des Obergerichts, 5. Zivilkammer, vom 10. Juni 2002, i.S. F.S. ca. R.S. Aus den Erwägungen: 3. a) Die Vorinstanz hat ausgeführt, der Beklagte habe am 11. Dezember 2001 beim Gemeindegericht A. (Jugoslawien) eine Scheidungsklage eingereicht, und hat die von der Klägerin als "be- treffend Eheschutzmassnahmen (ev. Präliminarmassnahmen)" einge- reichte Klage vom 21. Mai 2001 als Begehren um Erlass von vor- sorglichen Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens (Präliminarbegehren) entgegengenommen. Die Zuständigkeit zum Erlass von vorsorglichen Massnahmen gemäss Art. 137 ZGB bejahte die Vorinstanz in der Folge gestützt auf Art. 10 IPRG i.V.m. Art. 33 GestG und Art. 59 IPRG. Die Klägerin macht in der Anschlussbe- 2002 Obergericht/Handelsgericht 42 schwerde geltend, das Scheidungsurteil des Gemeindegerichtes A. (Jugoslawien) könne nicht anerkannt werden, weshalb der Richter nicht einen Präliminar-, sondern einen Eheschutzentscheid zu erlas- sen habe. Zu prüfen ist demnach die sachliche Zuständigkeit des vorinstanzlichen Präliminarrichters. b) Das IPRG regelt die Zuständigkeit des schweizerischen Richters bei internationalen Sachverhalten grundsätzlich abschlies- send. Vorbehalten bleiben völkerrechtliche Verträge (Art. 1 Abs. 2 IPRG). Das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vom 16. September 1988 (LugÜ) ist im Allgemeinen anwendbar, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz wie vorliegend in einem Vertragsstaat, der Schweiz, hat. Auf die Staatsangehörigkeit kommt es demgegenüber nicht an (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. A., Heidelberg 1998, N 9 vor Art. 2 LugÜ; Walter, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 3. A., Bern/Stuttgart/Wien 2002, S. 176). Der sachliche Anwendungsbereich wird in Art. 1 LugÜ auf zivil- und handels- rechtliche Streitigkeiten beschränkt. Verfahren, die beispielsweise den Personenstand, d.h. den Status einer Person betreffen, sind vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen. Dabei handelt es sich um alle Verfahren, die als Ehesachen, Kindschaftssa- chen, Entmündigungssachen oder Adoptionssachen zu betrachten sind. Unter diese Ausschlusskategorie fallen also auch Verfahren be- treffend Getrenntleben bzw. Scheidung von Ehegatten, nicht aber rei- ne Unterhaltsstreitigkeiten, selbst wenn sie in Verbindung mit einem Statusverfahren in Ehe- oder Kindschaftssachen ergehen (vgl. Art. 5 Nr. 2 LugÜ; Walter, a.a.O., S. 168 f.; Kropholler, a.a.O., N 23 zu Art. 1 LugÜ). Die Zuständigkeit für Unterhaltssachen richtet sich demnach im räumlichen Geltungsbereich des Übereinkommens nach dem LugÜ. Vom Anwendungsbereich des LugÜ ebenfalls ausge- schlossen sind demgegenüber güterrechtliche Entscheide. Darunter fallen auch gerichtliche Entscheidungen über einstweilige sichernde Massnahmen während des Ehescheidungsverfahrens, wie etwa Sie- gelung oder Pfändung von Vermögensgegenständen der Ehegatten (Kropholler, a.a.O., N 27 zu Art. 1 LugÜ), somit auch Entscheide, welche die Regelung der Benützung von Gegenständen des ehelichen 2002 Zivilrecht 43 Vermögens für die Dauer des Scheidungsverfahrens zum Inhalt ha- ben. Die Zuständigkeit für diese Entscheide richtet sich nach dem schweizerischen IPRG. c) Gemäss Art. 62 IPRG kann das schweizerische Gericht, bei dem eine Scheidungs- oder Trennungsklage hängig ist, vorsorgliche Massnahmen treffen, sofern seine Unzuständigkeit zur Beurteilung der Klage nicht offensichtlich ist oder nicht rechtskräftig festgestellt wurde. In Art. 62 IPRG nicht vorgesehen ist der Fall, in welchem vorsorgliche Massnahmen im Rahmen eines ausländischen Schei- dungsverfahrens notwendig werden (Volken, in: Heini/Keller/Siehr/ Vischer/Volken [Hrsg.], IPRG-Kommentar, Zürich 1993, N 7 zu Art. 62 IPRG; Walter, a.a.O., S. 142). Art. 62 Abs. 1 IPRG schliesst für diesen Fall die Zuständigkeitsbegründung nach Art. 10 IPRG (ev. i.V.m. Art. 24 LugÜ für Unterhaltssachen, der wiederum auf Art. 10 IPRG verweist) aber nicht von vornherein aus. Art. 10 IPRG sieht vor, dass die schweizerischen Behörden und Gerichte vorsorgliche Massnahmen treffen können, auch wenn sie für die Entscheidung in der Sache selbst - aktuell oder potentiell - nicht zuständig sind. Er erfüllt damit neben Art. 62 IPRG eine zusätzlich Funktion, indem eine schweizerische Zuständigkeit selbst dann begründet werden kann, wenn der Scheidungsprozess vor einem ausländischen Gericht rechtshängig ist (Schwander, Bemerkungen zum Entscheid des Bun- desgerichts vom 5. März 1991, in: AJP 1992 S. 409; ZR 101 [2002] Nr. 3 S. 6 f. Erw. 3). Der schweizerische Richter kann demnach ge- stützt auf Art. 10 IPRG die notwendigen vorsorglichen Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens treffen, sofern daran ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse besteht (Schwander, a.a.O., S. 409; Walter, a.a.O., S. 142; ZR 100 [2001] Nr. 30). Führen in der Schweiz wohnhafte ausländische Ehegatten den Scheidungs- oder Trennungsprozess im Ausland, so sind ausnahmsweise in der Schweiz vorsorgliche Massnahmen zuzulassen: - wenn das Recht des Scheidungsgerichtes eine dem Art. 137 ZGB analoge vorsorgliche Regelung der Verhältnisse der im Schei- dungsprozess stehenden Ehegatten nicht kennt; 2002 Obergericht/Handelsgericht 44 - wenn Massnahmenentscheide des ausländischen Richters am schweizerischen Wohnsitz der Parteien nicht vollstreckt werden können; - wenn Massnahmen zur Sicherung künftiger Vollstreckung in Vermögensobjekte im Inland angeordnet werden sollen - wenn Gefahr im Verzug ist - oder wenn nicht zu erwarten ist, dass das ausländische Gericht in angemessener Frist eine vorsorgliche Massnahme anordnet (Schwander, a.a.O., S. 409; Bühler/Spühler, Berner Kommentar, Bern 1980, N 410 ff. zu Art. 145 aZGB; Hinderling/Steck, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. A., Zürich 1995, S. 544; Volken, a.a.O., N 7 zu Art. 62 IPRG). d) Ist das ausländische Gericht zur Beurteilung der Scheidungs- klage unzuständig, fällt die Anordnung von vorsorglichen Massre- geln - in der Schweiz und im Ausland - für die Dauer des Prozesses demgegenüber von vorneherein ausser Betracht. Damit bleibt der schweizerische Eheschutzrichter zur Anordnung von Eheschutzmass- nahmen zuständig. Das Gleiche gilt, wenn die Anerkennungsfähig- keit des ausländischen Scheidungsurteils in der Schweiz aus anderen Gründen fraglich erscheint. Auch in diesem Fall ist der Erlass vor- sorglicher Massnahmen nicht angängig, sodass trotz einer im Aus- land hängigen Scheidungsklage und an sich gegebenen Vorausset- zungen für den Erlass von vorsorglichen Massnahmen nach Art. 10 IPRG Eheschutzmassnahmen anzuordnen sind. Es muss daher vorab geprüft werden, ob das vom ausländischen Gericht zu fällende Scheidungsurteil grundsätzlich anerkannt werden kann (ZR 101 [2002] Nr. 3 S. 7; Bühler/Spühler, a.a.O., N 9 zu Art. 145 aZGB). 4. In Ermangelung einer bilateralen oder multilateralen Verein- barung zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Jugoslawien richten sich die Voraussetzungen für die Anerkennung der Entschei- dung nach Art. 25 IPRG. a) Die Zuständigkeit der Gerichte des Entscheidstaates ist dann begründet, wenn dem ausländischen Gericht nach Auffassung der schweizerischen Rechtsordnung eine Kompetenz zum Entscheid zu- kommt (indirekte internationale Zuständigkeit; Berti/Schnyder, Bas- 2002 Zivilrecht 45 ler Kommentar, Basel 1996, N 29 zu Art. 25 IPRG). Nach Art. 65 Abs. 1 IPRG werden ausländische Entscheidungen über die Schei- dung oder Trennung in der Schweiz anerkannt, wenn sie u.a. im Hei- matstaat eines Ehegatten ergangen sind. Da beide Parteien jugoslawi- sche Staatsangehörige sind, ist das für die Scheidung angerufene Gericht in A. (Jugoslawien) zuständig. b) Die Klägerin macht geltend, das Scheidungsurteil des Rich- ters von A. könne wegen eines Verstosses gegen den verfahrensrecht- lichen Ordre public in der Schweiz nicht anerkannt werden. Sie habe keine auf ihren Namen ausgestellte Vorladung zur Gerichtsverhand- lung erhalten. Weder sie noch ihr dortiger Rechtsvertreter habe je an einem Beweisverfahren vor dem Ehescheidungsgericht in A. teilge- nommen. Auch sei weder ihr noch ihrem Rechtsvertreter das vom Beklagten eingereichte Ehescheidungsurteil zugestellt worden; in der Zwischenzeit sei von ihrem dortigen Rechtsvertreter aber ein Rechts- mittel dagegen erhoben worden, weshalb das Scheidungsurteil noch nicht rechtskräftig sei. Zudem bestehe der dringende Verdacht, dass sich der Beklagte das Urteil in seinem Heimatstaat "erkauft" habe. Dabei seien wesentliche Verfahrensgrundsätze ausser Acht gelassen worden, u.a. sei der Grundsatz des rechtlichen Gehörs auf der Strecke geblieben. aa) Gemäss Art. 27 Abs. 2 lit. a IPRG wird eine Entscheidung in der Schweiz nicht anerkannt, wenn eine Partei nachweist, dass sie weder nach dem Recht an ihrem Wohnsitz noch nach dem am ge- wöhnlichen Aufenthalt gehörig geladen wurde, es sei denn, sie habe sich vorbehaltlos auf das Verfahren eingelassen. Im Rahmen der vor- liegend durchzuführenden Anerkennungsprognose muss die Glaub- haftmachung genügen. Mit der Ladung im Sinne von Art. 27 Abs. 2 lit. a IPRG ist die erste, den Prozess einleitende Vorladung vor das urteilende Gericht gemeint, nicht auch die späteren gerichtlichen Mitteilungen an die Parteien. Nach Berti/Schnyder ist unter Hinweis auf Stojan (Die An- erkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in Handels- sachen unter Berücksichtigung des IPR-Gesetzes, Zürich 1986, S. 123) mit "Ladung" die Vorladung an die erste Gerichtsverhand- lung zu verstehen (Basler Kommentar, N 11 zu Art. 27 IPRG). Mit 2002 Obergericht/Handelsgericht 46 Stojan (a.a.O.) ist aber davon auszugehen, dass das Pendant zur Vor- ladung vor Gericht im schriftlichen Verfahren die Zustellung der einleitenden Verfügung ist. Die erste Ladung soll den Beklagten auf das gegen ihn gerichtete Verfahren aufmerksam machen und ihn zur Organisation seiner Verteidigung auffordern (Volken, IPRG-Kom- mentar, N 31 zu Art. 27 IPRG). Mit der Zustellung der verfahrens- einleitenden Verfügung und insbesondere der Aufforderung, innert Frist eine schriftliche Antwort zu erstatten, ist dem Erfordernis der ersten "Ladung" daher Genüge getan (vgl. auch ZR 101 [2002] Nr. 3 S. 10). Die Ladung muss zudem gehörig erfolgt sein, d.h. sie hat dem Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsrecht des Geladenen zu entsprechen (Vol- ken, IPRG-Kommentar, N 32 zu Art. 27 IPRG). Der Mangel der fehlerhaften Vorladung wird aber geheilt, wenn sich die beklagte Person auf das Verfahren vorbehaltlos eingelassen und sich nicht vorbehalten hat, den Zustellfehler in einem späteren Zeitpunkt gel- tend zu machen (Berti/Schnyder, Basler Kommentar, N 15 zu Art. 27 IPRG; Walter, a.a.O., S. 378; Volken, IPRG-Kommentar, N 40 zu Art. 27 IPRG). Der Grund für Art. 27 Abs. 2 lit. a IPRG liegt darin, dass die Wahrung des rechtlichen Gehörs sichergestellt werden soll. Deshalb ist die rechtswahrende Einlassung im Sinne dieser Bestim- mung von der zuständigkeitsbegründenden Einlassung nach Art. 26 lit. c IPRG (zuständigkeitsbegründende Einlassung vor ausländi- schen Behörden) zu unterscheiden. Bei einer Einlassung nach Art. 27 Abs. 2 lit. a IPRG genügt daher im weiteren Sinne jede anerkennen- de bzw. abwehrende Prozesshandlung. Erhebt der Beklagte z.B. die Rüge der Unzuständigkeit, so kann nicht mehr von einer ungehörigen Ladung gesprochen werden, denn der Beklagte hat diesfalls von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren genügend Kenntnis erlangt (Wal- ter, a.a.O., S. 378; zu weit daher: LGVE 1994 I 12). (...) Damit hat sich die Klägerin jedenfalls auf das Verfahren eingelassen und ihre Verteidigungsrechte genügend wahrgenommen. (...) bb) Gemäss Art. 27 Abs. 2 lit. b IPRG wird eine Entscheidung in der Schweiz nicht anerkannt, wenn eine Partei nachweist, dass die Entscheidung unter Verletzung wesentlicher Grundsätze des schwei- zerischen Verfahrensrechts zustande gekommen ist, insbesondere 2002 Zivilrecht 47 dass ihr das rechtliche Gehör verweigert worden ist. Neben der Ge- währung des rechtlichen Gehörs gehören auch etwa das Erfordernis, dass in familienrechtlichen Verfahren die Kinderzuteilung vorgenom- men wird und das Besuchsrecht geregelt wird, zu den wesentlichen Grundsätzen. Dagegen stellt das Fehlen einer Urteilsbegründung oder die Nichtzustellung der Entscheidung an den Beklagten nicht zwingend eine Verletzung des formellen Ordre public dar (Berti/ Schnyder, Basler Kommentar, N 17 zu Art. 27 IPRG; Volken, IPRG- Kommentar, N 41 ff. zu Art. 27 IPRG). (...) Die blosse Behauptung, der Beklagte habe das Urteil "er- kauft", genügt jedenfalls nicht, um dieses voraussichtlich nicht aner- kennen zu können. Da der Klägerin das verfahrenseinleitende Schriftstück zugestellt wurde (vgl. Erw. 4b/aa), hatte sie auch Gele- genheit, ihre Verteidigung zu organisieren, weshalb auch aus diesem Grund eine Verletzung von verfahrensrechtlichen Grundsätzen nicht ersichtlich ist. (...) c) Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass keine Gründe ersichtlich sind, welche einer Anerkennung des Schei- dungsurteils der jugoslawischen Gerichte entgegenstehen. Infolge der positiven Anerkennungsprognose kann der schweizerische Ehe- schutzrichter nicht tätig werden. Sachlich zuständig ist vielmehr der Präliminarrichter, dessen örtliche Zuständigkeit nachfolgend zu prü- fen ist. 5. a) Für vorsorgliche Massnahmen sehen sowohl das Lugano- Übereinkommen als auch das IPRG eine über die Hauptsachenzu- ständigkeit hinausgehende internationale Zuständigkeit der schwei- zerischen Gerichte vor (Art. 24 LugÜ; Art. 10 IPRG). Soweit Art. 24 LugÜ vorliegend überhaupt anwendbar ist, regelt diese Bestimmung die örtliche Zuständigkeit nicht, sondern verweist nur darauf, dass das nationale Recht der Vertragsstaaten zur Anwendung kommt. Die Bestimmung des nach nationalem Recht zuständigen Gerichts für den Erlass vorsorglicher Massnahmen richtet sich somit nach Art. 10 IPRG (Walter, a.a.O., S. 487). Nach dieser Bestimmung können die schweizerischen Gerichte oder Behörden Präliminarmassnahmen aber nur unter den unter Erw. 3/c vorstehend angeführten einschrän- kenden Voraussetzungen anordnen. Nachdem aus den Akten keine 2002 Obergericht/Handelsgericht 48 Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass eine der (alternativen) Voraus- setzungen für eine ausnahmsweise Zuständigkeit des schweizeri- schen Richters gegeben ist und auch nicht anzunehmen ist, dass an- dere Gründe vorliegen, welche ein ausnahmsweises Tätigwerden des schweizerischen Richters begründen könnten, ist die (örtliche) Zu- ständigkeit der Vorinstanz zu verneinen. b) Gemäss Art. 6 IPRG begründet auch die vorbehaltlose Ein- lassung in vermögensrechtlichen Streitsachen die Zuständigkeit des angerufenen schweizerischen Gerichtes, sofern dieses nach Art. 5 Abs. 3 IPRG seine Zuständigkeit nicht ablehnen kann bzw. von sei- nem Ablehnungsrecht nicht Gebrauch gemacht hat. Als vermögens- rechtliche Streitsachen kommen nicht nur schuld- und handelsrechtli- che Ansprüche in Frage, sondern auch solche aus dem Familien-, Erb- und Sachenrecht, ausgenommen bleiben Statusfragen sowie dingliche Rechte (Volken, IPRG-Kommentar, N 6 zu Art. 6 IPRG; Hess, Basler Kommentar, N 22 zu Art. 6 IPRG). Bei der von der Klägerin beantragten Berechtigung zum Ge- trenntleben sowie der Zuweisung von Gegenständen des ehelichen Mobiliars und Hausrats zur alleinigen Benützung handelt es sich weder um eine Statusfrage noch um ein dingliches Recht. Das Recht zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes entsteht mit der Einrei- chung der Scheidung von Gesetzes wegen und bedarf keiner richter- lichen Bewilligung (Art. 137 ZGB). Damit ist grundsätzlich kein richterlicher Entscheid darüber notwendig, weshalb das Begehren für die Frage der rügelosen Einlassung nicht entscheidend ist. Bei der Zuweisung von Gegenständen des ehelichen Vermögens handelt es sich um ein Benützungsrecht, das grundsätzlich vermögensrechtli- chen Charakter hat. Eine rügelose Einlassung des Beklagten nach Art. 6 IPRG und Art. 18 LugÜ (für die Regelung der Unterhaltsbei- träge) ist demnach grundsätzlich möglich.
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2006 Obergericht 52 11 § 15 Abs. 1 lit. c EG BGFA, § 2 AnwV; Anrechenbarkeit eines Praktikums bei der Eidg. Kommission gegen Rassismus als rechtspraktische Tätigkeit für die Zulassung zur Anwaltsprüfung Sinn und Zweck des Erfordernisses einer praktischen juristischen Tätig- keit; Voraussetzungen für die Anrechnung einer Tätigkeit Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 15. August 2006 i.S. G. T. Aus den Erwägungen 2. 2.1. [...] 2.2. Hintergrund der gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzung der praktischen, juristischen Ausbildung für den Erwerb des Anwaltspa- tentes (und den späteren Registereintrag, vgl. Art. 7 BGFA) ist zwei- fellos der Schutz des Publikums. So hält beispielsweise Schiller fest, die wohl wichtigste Anforderung an den Anwalt sei die Fachkompe- tenz (K. S CHILLER , Funktion des Anwalts im Rechtsstaat, in: H. N A - TER [Hrsg.], Professional Legal Services: Vom Monopol zum Wett- bewerb, Zürich 2000, S. 165). Nach Erteilung des Anwaltspatentes (und der Eintragung im Register) ist es jedem Anwalt erlaubt, ohne weitere ,,Aufsicht" Parteien gerichtlich oder aussergerichtlich zu ver- treten. Bei den Mandanten eines Anwaltes handelt es sich in der Regel um Laien, welche die Arbeit des Anwaltes im Verlaufe des Mandates nur schwer beurteilen können. Diese Mandanten sind dar- auf angewiesen, dass eine Erteilung des Anwaltspatentes nur an Personen erfolgt, welche sich über die für den Anwaltsberuf notwen- digen Fähigkeiten ausgewiesen haben, und denen auch eine entspre- chende Ausbildung zuteil geworden ist. 2.3. Hauptzweck der verlangten ,,praktischen juristischen" Ausbil- dung ist, neben der praktischen Anwendung des im Studium erlern- ten theoretischen Wissens im materiellen Bereich, angehende Anwäl- 2006 Zivilprozessrecht 53 tinnen und Anwälte vor dem Erwerb des Anwaltspatentes mit dem Prozessrecht, mit der täglichen Arbeit des (forensisch tätigen) An- waltes, vertraut zu machen. Der Umstand, dass gemäss aargauischem Recht mindestens 6 Monate der verlangten total 12 Monate Prakti- kum bei einem aargauischen Bezirksgericht, dem Obergericht oder einem im Aargau registrierten Anwalt zu absolvieren sind, zeigt auf, dass die Vermittlung des aargauischen Prozessrechts während der Ausbildung im Vordergrund stehen soll. Während bei der Tätigkeit an den erwähnten Gerichten der Kontakt mit dem aargauischen Pro- zessrecht praktisch sicher gewährleistet ist, trifft dies auf die Tätig- keit bei einem Aargauer Registeranwalt mit höchster Wahrscheinlich- keit zu. Erfahrungsgemäss praktiziert nämlich der Grossteil der An- wälte später in demjenigen Kanton, in welchem er seine Ausbildung absolviert und das Anwaltspatent erworben hat (trotz bestehender Freizügigkeit). Unter altem Recht wurde bezüglich Praktikum beim Anwalt noch verlangt, dass dieser ,,im Aargau praktizierend" sei (§ 3 Abs. 1 aAnwD; SAR 291.110). Neurechtlich wird auf das nun klar fassbare Kriterium des Registereintrages abgestellt. Der Grund ist darin zu se- hen, dass der Registereintrag in demjenigen Kanton zu erfolgen hat, in welchem der Anwalt seine Haupttätigkeit entfaltet, was wiederum dem altrechtlichen ,,im Aargau praktizierend" entsprechen dürfte. 2.4. Abgesehen von der Kenntnis des aargauischen Prozessrechts soll aber der Kandidierende generell in seiner Praktikumszeit mög- lichst gut auf die nach dem Erwerb des Anwaltspatentes (sowie dem anschliessenden Registereintrag) mögliche selbständige Anwaltstä- tigkeit vorbereitet werden. Daher auch die Betonung der notwendi- gen praktischen, juristischen Tätigkeit. Grundsätzlich geht es um die Ausbildung des Kandidierenden in denjenigen Bereichen, welche üb- licherweise später das Betätigungsfeld des Anwaltes bilden. Während die Bereiche Zivil- und Strafrecht sowie Schuldbetreibungsrecht vor allem an den Bezirksgerichten und teilweise am Obergericht vermit- telt werden können, steht bei den Spezialverwaltungsgerichten und in der kantonalen Verwaltung (i.d.R. in den Rechtsdiensten der Depar- temente oder Abteilungen) vermehrt das (kantonale) Verwaltungs- 2006 Obergericht 54 recht im Vordergrund. Beim Anwalt wiederum, und zwar sowohl beim aargauischen wie auch beim ausserkantonalen, sind all diese Bereiche als Betätigungsfeld denkbar, je nach Ausrichtung der Tätig- keit des jeweiligen Anwaltes. Immer aber geht es darum, die Anfor- derungen an die Tätigkeit des Anwaltes, sei es aus seiner eigenen Sicht, sei es aus Sicht der ,,Gegenseite", eben des Gerichts oder der Verwaltung, zu vermitteln. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat nun gemäss ihrem Antrag ein einjähri- ges Praktikum bei der Eidg. Kommission gegen Rassismus (EKR) absolviert. [...] Die Stellenbeschreibung listet die Tätigkeiten der Gesuchstelle- rin, inkl. deren prozentualen Anteil an der gesamten Tätigkeit, wie folgt auf: - Beobachten der Rechtsprechung, Mitarbeit bei Grundlagen- dokumenten [und] - Urteilssammlung Art. 261 bis StGB (Erstellen Urteilszusam- menfassungen, redaktionelle Bearbeitung, Erstellen der Da- tenbank, Aktualisierung der Broschüre zur Rechtsprechung) 40 % - Aufarbeiten der Beratungstätigkeit der EKR in Konfliktfäl- len (Erstellen Übersichtsliste, Grobraster für Nachführung weiterer Konfliktfälle) 20 % - Jur. Abklärungen und Mitarbeit bei Stellungnahmen [und] - Jur. Beratung und Abklärungen bei Konfliktfallbearbeitung 20 % - Teilnahme an Teamsitzungen und weiteren Sitzungen (z.T. Protokollführung, Mitwirken bei allg. Sekretariatsarbeiten) 15 % - Nachführen der Zeitungsdokumentation der EKR 5 % 2006 Zivilprozessrecht 55 3.2. Gemäss Stellenbeschreibung bezogen sich nur rund 20 % der Tätigkeit der Gesuchstellerin effektiv auf eigentliche juristische, praktische Tätigkeiten im oben in Ziff. 2.4 geschilderten Sinn, näm- lich die juristischen Abklärungen und die Mitarbeit bei Stellungnah- men sowie die Beratung im Zusammenhang mit Konfliktbearbeitung. Allerdings wird der forensisch tätige Anwalt, wenn überhaupt, nur selten mit Fällen aus dem Tätigkeitsbereich der EKR konfrontiert sein. Für die Vorbereitung der Anwaltstätigkeit wenig bis gar nichts beitragen kann das Nachführen der Zeitungsdokumentation und die Teilnahme an Team- und anderen Sitzungen. Ebenso handelt es sich bei der Erstellung der Urteilssammlung, welche einen sehr grossen Anteil am einjährigen Praktikum der Gesuchstellerin ausmachte, nicht um eine ,,praktische" im Sinne von ,,anwaltlicher" Tätigkeit. Dieser Bereich hat schon eher etwas mit Sekretariatsarbeit zu tun. Dasselbe gilt für die Aufarbeitung der Beratungstätigkeit der EKR. 3.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nur rund 20 % der Tä- tigkeit der Gesuchstellerin in ihrem Praktikumsjahr bei der EKR der vom Gesetzgeber geforderten ,,praktischen, juristischen" Tätigkeit - deren Hauptzweck die ausreichende Ausbildung von angehenden An- wälten und Anwältinnen ist - zumindest nahe kommen. Aus diesem Grund können vom einjährigen Praktikum bei der EKR lediglich 2 Monate auf die gemäss § 2 Abs. 2 AnwV ,,zusätzliche praktische Ausbildung" angerechnet werden.
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2010 Obergericht 44 [...] 5 Art. 12 lit. h BGFA. Ein Anwalt hat gestützt auf Art. 12 lit. h BGFA seinem Klienten die Vermögenswerte, die er von diesem oder von Dritten erhält, auf entspre- chendes Begehren hin sofort herauszugeben. Diese Pflicht steht unter dem Vorbehalt des Verrechnungsrechts. Der Anwalt darf jedoch Forde- rungen seines Klienten nicht mit eigenen Forderungen verrechnen, wenn er annehmen muss, dass seinem Klienten durch eine Verrechnung Mittel entzogen würden, die dieser für den laufenden Unterhalt benötigt. Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 1. April 2010, i.S. G. (AVV.2008.47)
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2004 Obergericht/Handelsgericht 40 [...] 4 Art. 259i Abs. 2 und Art. 274f Abs. 1 OR. Beginn der dreissigtägigen Klagefrist. Wird bei der mündlichen Eröff- nung des Entscheids durch die Schlichtungsbehörde den Parteien ein schriftliches Dispositiv ausgehändigt und der Entscheid mündlich be- gründet, beginnt die dreissigtägige Klagefrist gemäss Art. 259i Abs. 2 bzw. Art. 274f Abs. 1 OR mit dieser mündlichen Eröffnung, andernfalls erst mit der Zustellung des schriftlich begründeten Entscheids. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 2. August 2004 in Sachen W. I. SA gegen I. N. AG. Aus den Erwägungen Bei der Klagefrist gemäss Art. 259i Abs. 2 OR handelt es sich wie bei der Klagefrist nach Art. 274f Abs. 1 OR um eine bundes- rechtliche Frist, weshalb nach der Rechtsprechung des Bundesge- richts nicht nur der Lauf, sondern auch Beginn und Ende der Frist eine Frage des Bundesrechts sind, welche Art. 259i Abs. 2 bzw. Art. 274f Abs. 1 OR abschliessend regeln (BGE 122 III 316 ff., 123 III 67 ff.). Dies folgt aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsord- nung, wonach sich die Berechnung einer Frist nach dem Recht rich- tet, welches die Frist setzt (BGE 123 III 69 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat für die Fälle, wo die Schlichtungsbehör- de keine Entscheidungskompetenz hat, sondern lediglich das Nicht- zustandekommen der Einigung feststellen kann (Art. 274e Abs. 2 OR), entschieden, dass die Klagefrist nach Art. 274f Abs. 1 OR stets durch die mündliche oder schriftliche Eröffnung dieser Feststellung ausgelöst wird, unabhängig davon, ob nach einer mündlichen Eröff- nung an der Schlichtungsverhandlung die verfahrensbeendigende Feststellung den Parteien später auch noch schriftlich mitgeteilt wird (BGE 122 III 318). Wie es sich in den Fällen verhält, wo die 2004 Zivilrecht 41 Schlichtungsbehörde wie vorliegend einen Entscheid gefällt hat, ist umstritten und vom Bundesgericht soweit ersichtlich noch nicht ex- plizit entschieden worden. Die Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, der Entscheid sei den anwesenden Parteien an der Schlichtungsverhandlung vom 3. Oktober 2002 mündlich eröffnet worden, so dass die 30-tägige Klagefrist gemäss Art. 259i Abs. 2 OR am 4. Oktober 2002 zu laufen begonnen habe und die Einreichung der Klage am 20. November 2002 verspätet gewesen sei, weshalb darauf nicht einzutreten sei. Die Klägerin ist dagegen der Auffassung, dass eine mündliche Eröffnung zwar zulässig sei, aber für die Fristauslösung nicht genüge, sondern vielmehr zumindest wie im kantonalen Recht die Aushändigung des Dispositivs gefordert sei. Die Vorinstanz stellte auf die Zustellung des schriftlichen Entscheids ab mit der Begründung, ein Entscheid müsse von den Parteien nachvollzogen werden können, um ein ent- sprechendes Rechtsmittel ergreifen zu können, was eine mündliche Urteilseröffnung mit unmittelbar anschliessend beginnender Rechts- mittelfrist anders als bei der mündlichen Feststellung des Nichtzu- standekommens einer Einigung nicht zu gewährleisten vermöge. Richtig ist, dass das nach der Rechtsprechung des Bundesge- richts allein massgebende Bundesrecht nicht explizit erwähnt, dass die Klagefrist nach Art. 259i Abs. 2 bzw. Art. 274f Abs. 1 OR mit der mündlichen Eröffnung des Urteils der Schlichtungsbehörde beginnt. Umgekehrt enthalten diese Bestimmungen auch keinen Hinweis da- rauf, dass die Frist erst mit Aushändigung des schriftlichen Disposi- tivs oder gar der Zustellung des schriftlich begründeten Entscheids ausgelöst wird. Ein Teil der Lehre vertritt daher die Auffassung, dass die 30-tägige Klagefrist nach Art. 259i Abs. 2 bzw. Art. 274f Abs. 1 OR an dem der Schlichtungsverhandlung folgenden Tag beginnt, wenn der Entscheid der Schlichtungsbehörde an der mündlichen Verhandlung bekannt gegeben bzw. mündlich eröffnet wird (Permann, Handkommentar zum Schweizerischen Obligationenrecht, Zürich 2002, N 6 zu Art. 259i und N 2 zu Art. 274f OR je mit Hin- weisen; Lachat/Stoll/Brunner, Mietrecht für die Praxis, 4. A., Zürich 1999, S. 79 Ziff. 3.5; Weber, Basler Kommentar, 3. A., Ba- sel/Genf/München 2003, N 3 zu Art. 274f OR, allerdings unter Ver- 2004 Obergericht/Handelsgericht 42 weis auf das kantonale Recht). Ein anderer Teil der Lehre verlangt für eine fristauslösende mündliche Eröffnung die Übergabe des Dis- positivs und die mündliche Erläuterung bzw. Begründung des Ent- scheidsinhalts (SVIT-Kommentar Mietrecht II, 2. A., Zürich 1998, N 11 zu Art. 274f OR; Higi, Zürcher Kommentar, Zürich 1996, N 58 zu Art. 274f OR, ebenfalls unter Verweis auf das kantonale Recht). Für erstere Auffassung spricht, dass das Bundesgericht für die Feststellung des Nichtzustandekommens einer Einigung die mündli- che Eröffnung als fristauslösendes Ereignis genügen lässt und dies daher auch für den in der gleichen Bestimmung von Art. 274f Abs. 1 OR geregelten Fall einer Entscheidfällung gelten sollte, da sonst für die in derselben Bestimmung geregelten Klagefristen unterschiedli- che Voraussetzungen für die Fristauslösung gelten würden. Für die zweite Auffassung und damit für eine unterschiedliche Behandlung der Feststellung des Nichtzustandekommens einer Einigung und des Entscheids spricht, dass das Feststellen des Nichtzustandekommens einer Einigung einfacher zu kommunizieren ist als ein Entscheid in der Sache und dass vor allem die Eröffnung des Entscheids weitrei- chendere Folgen hat als die Eröffnung der Feststellung des Nichtzu- standekommens einer Einigung. Während bei dieser das unbenutzte Verstreichenlassen der 30-tägigen Klagefrist keine materiell-rechtli- chen Verwirkungsfolgen hat, soweit das materielle Mietrecht für die zur Schlichtung verstellten Ansprüche keine besonderen Verwir- kungsfristen normiert, erwachsen die Entscheide der Schlichtungs- behörde über materiell-rechtliche Fragen mit unbenutztem Ablauf der Klagefrist in Rechtskraft, sodass diese Ansprüche nicht mehr in Streit gesetzt werden können (BGE 124 III 21 ff.). Nach Auffassung des Obergerichts ist es daher richtig, im Fall der mündlichen Eröff- nung des Entscheids für die Fristauslösung zumindest die Aushändi- gung des schriftlichen Dispositivs und die mündliche Begründung des Entscheids zu fordern, da sich andernfalls die unterlegene Partei erst mit der Zustellung des begründeten Entscheids darüber schlüssig werden kann, ob sie den Richter anrufen will oder nicht, was zu einer Verkürzung der 30-tägigen Klagefrist führte. Wird bei der mündli- chen Eröffnung des Entscheids von der Schlichtungsbehörde den Parteien kein schriftliches Dispositiv ausgehändigt und der Entscheid 2004 Zivilrecht 43 nicht mündlich begründet, ist für die Berechnung der 30-tägigen Klagefrist auf die Zustellung des schriftlich begründeten Entscheids abzustellen.
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2011 Obergericht 64 [...] 20 Art. 146 Abs. 1, 147 StPO Aufgrund des in Art. 146 Abs. 1 StPO statuierten Grundsatzes der ge- trennten Einvernahme besteht kein Anspruch von beschuldigten Perso- nen, Zeugen oder Auskunftspersonen, bei der Einvernahme von Mitbe- schuldigten, anderen Zeugen oder Auskunftspersonen anwesend zu sein. Wird das Konfrontationsrecht nachträglich eingeräumt, so werden die Teilnahmerechte der Parteien nach Art. 147 Abs. 1 StPO respektiert. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 19. Mai 2011 i.S. K.J. gegen Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm (SBK.2011.91). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Verweigerung der Teilnahme des Beschwerdeführers zusammen mit seiner amtlichen Verteidigerin oder jene seiner amtlichen Verteidigerin allein an der Einvernahme des Mitbeschuldigten (...). 2011 Strafprozessrecht 65 2.2 (...) 2.3. 2.3.1. Art. 146 StPO regelt die Einvernahme mehrerer Personen und Gegenüberstellungen. Gemäss Abs. 1 werden einzuvernehmende Personen getrennt einvernommen. Abs. 2 bestimmt, dass die Strafbe- hörden Personen, einschliesslich solcher, die ein Aussageverwei- gerungsrecht haben, unter dem Vorbehalt der besonderen Rechte des Opfers einander gegenüberstellen können. Nebst der in Abs. 3 vor- gesehenen möglichen Verpflichtung bestimmter einvernommener Personen zum Verweilen befasst sich Art. 146 StPO in Abs. 4 schliesslich noch mit der Möglichkeit des Ausschlusses bestimmter Personen von der Verhandlung. 2.3.2. In Art. 147 StPO werden die Teilnahmerechte bei Beweiserhe- bungen geregelt. Gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO haben die Parteien das Recht, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fra- gen zu stellen. 2.3.3. Sämtliche Gesetzeskommentatoren sind sich einig, dass durch die getrennte Einvernahme gemäss Art. 146 Abs. 1 StPO die Unbe- fangenheit der einzuvernehmenden Person gewährleistet und ein kollusives Aussageverhalten erschwert wird (S CHMID , Schweizeri- sche Strafprozessordung, Praxiskommentar, 2009 [zit. Praxiskom- mentar], Art. 146 N. 1; H ÄRING , in: Basler Kommentar, Schweizeri- sche Strafprozessordnung, 2011, Art. 146 N. 1; G ODENZI , in: Kom- mentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, Art. 146 N. 1). Hingegen bestehen in Bezug auf die Frage, wie Art. 146 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die in Art. 147 StPO verankerten Teilnahme- rechte zu interpretieren sei, unterschiedliche Auffassungen. Godenzi ist der Auffassung, der Regelungsgehalt des Art. 146 Abs. 1 StPO beschränke sich auf die Vorgabe, Personen, die im sel- ben Verfahren einvernommen werden sollen, seien - im Sinne einer 2011 Obergericht 66 Einzeleinvernahme - nacheinander zu befragen. Dies heisse aber nicht, dass keine weitere anwesenheitsberechtigte Person im Einver- nahmezimmer zugegen sein dürfe. Die Teilnahmerechte der Parteien nach Art. 147 Abs. 1 StPO seien ebenso zu respektieren wie die An- wesenheitsrechte gesetzlicher Vertreter (G ODENZI , a.a.O., Art. 146 N. 2). Andere Autoren halten demgegenüber fest, dass das grundsätz- lich getrennte Einvernehmen insbesondere auch bedeute, dass in Abwesenheit bzw. unter Ausschluss der anderen zu befragenden Per- sonen einvernommen werde. Zur Begründung dieser mit dem unum- strittenen Interesse der Ermittlung der materiellen Wahrheit als Ver- fahrensziel in Einklang stehenden Betrachtungsweise wird dargelegt, der so verstandene Grundsatz der getrennten Einvernahme ermög- liche es den Strafbehörden, sich ohne zusätzliche Einwirkung durch die Anwesenheit weiterer Verfahrensbeteiligter ein Bild über die ein- zuvernehmende Person und deren Wissen zu machen. Daneben wer- de eine möglichst unverfälschte bzw. unbeeinflusste Äusserung der einvernommenen Person sichergestellt. Es werde vermieden, dass diese ihre Aussagen denen der anderen Personen anpasse oder die Aussage durch die Anwesenheit anderer Personen sonst wie beein- trächtigt bzw. verfälscht werde. Oder anders ausgedrückt: Die ge- trennte Einvernahme diene der Wahrheitsfindung, weil der später Einvernommene nicht, jedenfalls nicht als Folge seiner Anwesenheit, wisse, was die zuvor Einvernommenen gesagt hätten (H ÄRING , a.a.O., Art. 146 N. 1; S CHMID , Handbuch des Schweizerischen Straf- prozessrechts, 2009 [zit. Handbuch], § 59 N. 818; ders., Praxiskom- mentar, a.a.O., Art. 146 N. 1; I LL , in: Kommentierte Textausgabe zur Schweizerischen Strafprozessordnung, S. 133; vgl. auch den Be- gleitbericht zum Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozess- ordnung, Bern 2001, S. 112). Die Mehrheit der Kommentatoren ist somit der Auffassung, dass aufgrund des in Art. 146 Abs. 1 StPO statuierten Grundsatzes der getrennten Einvernahme somit kein An- spruch von beschuldigten Personen, Zeugen oder Auskunftspersonen bestehe, bei der Einvernahme von Mitbeschuldigten, anderen Zeugen oder Auskunftspersonen anwesend zu sein (H ÄRING , a.a.O., Art. 146 N. 2; S CHMID , Handbuch, a.a.O., § 59 N. 818; ders., Praxiskommen- 2011 Strafprozessrecht 67 tar, a.a.O., Art. 146 N. 1). Die Tatsache, dass die beschuldigte Person gemäss Art. 147 StPO ein Recht auf Konfrontation mit ihren Mitbe- schuldigten besitze, deren Aussagen sie belasteten, bedeute nicht a priori ein Anwesenheitsrecht bei entsprechenden Einvernahmen, da das Konfrontationsrecht nachträglich eingeräumt werden könne (H ÄRING , a.a.O., Art. 146 N. 2; S CHMID , Praxiskommentar, a.a.O., Art. 146 N. 3 und Art. 147 N. 5; I LL , a.a.O., S. 133). 2.3.4. Diese Interpretation von Art. 146 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die in Art. 147 StPO verankerten Teilnahmerechte entspricht im Üb- rigen der bisherigen Rechtsprechung zu Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK und Art. 32 Abs. 2 BV. Gemäss der bundesgerichtlichen Recht- sprechung genügt es grundsätzlich, wenn der Angeschuldigte im Verlaufe des Strafverfahrens wenigstens einmal Gelegenheit erhält, den ihn belastenden Personen Ergänzungsfragen zu stellen. Der An- geschuldigte muss die Möglichkeit haben, die Aussagen spätestens an der öffentlichen und kontradiktorischen Gerichtsverhandlung zu bestreiten und die Belastungszeugen ergänzend zu befragen. Es ge- nügt, nachträglich schriftliche Ergänzungsfragen an den Belastungs- zeugen zu stellen (BGE 118 Ia 469 f. mit Hinweisen; vgl. auch ZR 98 Nr. 63). 2.3.5. Vorliegend wurden der Beschwerdeführer und der Mitbeschul- digte zunächst gesondert befragt. Im Anschluss daran fand eine Kon- frontationseinvernahme statt, wobei die Staatsanwaltschaft eine kur- ze Pause vorsah und den Parteien das Protokoll des jeweils anderen Mitbeschuldigten vorlegte. Nach der überzeugenden Betrachtungs- weise der Mehrheit der Gesetzeskommentatoren, welcher sich die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts anschliesst (so auch die III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich, Be- schluss vom 11. Mai 2011, Geschäfts-Nr. UH110023), ist dieses Vor- gehen nicht zu beanstanden. Die Staatsanwaltschaft ging zutreffend davon aus, dass der Grundsatz der getrennten Einvernahme mehrerer Personen bedeutet, dass in Abwesenheit bzw. unter Ausschluss der anderen zu befragenden Personen einvernommen wird. Wenn sie das Konfrontationsrecht nachträglich einräumte, so respektierte sie die 2011 Obergericht 68 Teilnahmerechte der Parteien nach Art. 147 Abs. 1 StPO. Wenn in der Beschwerdeschrift eine Verletzung des Teilnahmerechts nach Art. 147 StPO behauptet wird, so dringt der Beschwerdeführer daher nicht durch. Aus dem gleichen Grund erweist sich auch der Even- tualantrag, es sei immerhin das Teilnahmerecht seiner amtlichen Ver- teidigerin zu gewähren, als ungerechtfertigt.
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2008 Obergericht 40 [...] 8 Art. 12 lit. a BGFA Verpasste Rechtsmittelfrist: Keine Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA, wenn ein Rechtsanwalt alle geeigneten Vorsichtsmassnahmen wie die Führung einer doppelten Fristenkontrolle sowie die genügende Instruk- tion eines Kanzleimitarbeiters getroffen hat, um die Einhaltung von Fris- ten gewährleisten zu können. Entscheid der Anwaltskommission vom 28. Februar 2008 i.S. B.Z. (AVV.2007.25) 2008 Anwaltsrecht 41 Aus den Erwägungen 2. Dem beigelegten Schreiben vom 1. September 2006 des bean- zeigten Anwaltes ist zu entnehmen, dass er das Ersuchen um Zustel- lung der vollständigen Ausfertigung des Urteils zwar geschrieben habe, aber dieses vom für den Versand zuständigen Kanzleimitarbei- ter nicht abgesandt worden sei. Zu beurteilen ist vorliegend, ob der beanzeigte Anwalt infolge Verpassens der Frist zur Einforderung einer vollständig begründeten Urteilsausfertigung die Berufsregel nach Art. 12 lit. a BGFA verletzt hat. Gemäss Art. 12 lit. a BGFA übt der Anwalt seinen Beruf sorgfältig und gewissenhaft aus. Diese Pflicht gebietet ihm, die Interessen des Auftraggebers nach besten Kräften zu wahren und alles zu unterlassen, was diese Interessen schädigen könnte. Diszi- plinarrechtlich relevant sind nur grobe Verstösse gegen diese man- datsrechtliche Treuepflicht. Das Berufsrecht soll nämlich lediglich si- cherstellen, dass der Anwalt seine Aufgabe nicht wissentlich unrich- tig oder grobfahrlässig fehlerhaft erfüllt. Verpasst ein Anwalt bei- spielsweise versehentlich eine Frist, ist dies disziplinarrechtlich grundsätzlich nicht von Bedeutung. Die Aufsichtsbehörde hat nur einzuschreiten, wenn erschwerende Umstände vorliegen, die auf eine unverantwortliche Berufsausübung schliessen lassen (W ALTER F ELL - MANN in: W ALTER F ELLMANN / G AUDENZ G. Z INDEL [Hrsg.], Kom- mentar zum Anwaltsgesetz, Zürich 2005, N 26 zu Art. 12). Von einer disziplinarisch relevanten Verletzung der Berufspflicht kann diesbe- züglich erst dann gesprochen werden, wenn ein Anwalt die üblichen Vorsichtsmassnahmen zur Vermeidung solcher Fehlleistungen unter- lässt. Ohne weiteres dürfte ein Disziplinartatbestand sodann vorlie- gen, wenn ein Anwalt eine Fristeinhaltung aus böswilliger Absicht zum Nachteil seines Mandanten unterlässt (G IOVANNI T ESTA , Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, Zürich 2001, S. 87 ff., mit Hinweisen auf die Praxis der zürcherischen Aufsichtskommission). 2008 Obergericht 42 Eine Fristversäumnis fällt disziplinarisch beispielsweise dann nicht ins Gewicht, wenn in Bezug auf die Postaufgabe die Sekretärin irrtümlicherweise annahm, der Anwalt selbst habe das fristgerecht niedergeschriebene Fristerstreckungsgesuch auf die nahe Post ge- bracht, was er aber krankheitsbedingt nicht tat (vgl. T ESTA , a.a.O., S. 87, mit Hinweis auf den Entscheid der Aufsichtskommission des Kantons Zürich Nr. 141 vom 4. November 1987. Hier wurde der be- schuldigte Anwalt aber trotzdem schuldig gesprochen. Dies, weil er dem Klienten die Fristversäumnis zeitweilig verschwieg bzw. ver- suchte, ihn über seine Säumnis zu täuschen und das Mandat zur Un- zeit niederlegte). In Bezug auf die cura in custodiendo wurde in einem Entscheid der Aufsichtskommission des Kantons Zürich fest- gehalten, es sei Pflicht des Anwaltes, alle geeigneten Massnahmen zu treffen, dass die peinlich genaue Einhaltung der Fristen gewährleistet sei. Wahrung der Fristen sei Verantwortungssache des das Mandat führenden Anwaltes selbst. Dazu genüge es beispielsweise an sich nicht, die Sekretärin generell darauf aufmerksam zu machen, die auf den Dossiers eingetragenen Fristen einzuhalten. Notwendig sei eine, möglichst doppelte, Fristenkontrolle mit z.B. rot markierten Agenda- eintragungen bzw. anderweitigem adäquatem Sicherheitsdispositiv (ZR 1995, Bd. 94, Nr. 33, S. 105ff). Die Anwaltskommission des Kantons Aargau hat mit Entscheid vom 7. Dezember 2007 (AGVE 2007, Nr. 8, S. 44) festgehalten, dass es disziplinarrechtlich relevant sei, wenn ein Anwalt, der durch eige- nes Verschulden eine Frist in der internen Kontrolle um einen Monat verschoben eingetragen und dadurch die Frist für die Einreichung einer Berufung versäumt habe. Zudem habe der Anwalt auch keine üblichen Vorsichtsmassnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung der Frist nachgewiesen. 3. 3.1. Es ist zu prüfen, ob und wenn ja welche Sicherheitsmassnah- men in der Kanzlei Z. grundsätzlich getroffen wurden, um eine Fehl- leistung, wie die vorliegend zu beurteilende, verhindern zu können (vgl. dazu oben Ziff. 2). 2008 Anwaltsrecht 43 3.1.1. Der beanzeigte Anwalt weist in seiner Stellungnahme vom 26. August 2007 auf die in ihrer Kanzlei existierende doppelte Fris- tenkontrolle hin. Der Kanzleimitarbeiter bestätigt in seiner Stellung- nahme vom 15. November 2007 die vom beanzeigten Anwalt be- schriebene Art und Weise der Fristenkontrolle (Einreihen der Dos- siers in chronologischer Reihenfolge und Agendaeintrag). Der Kanz- leimitarbeiter führt dazu aus, die Fälle seien in einem grossen Gestell übersichtlich und nach Ablauf der Fristen eingeordnet worden, wobei er und der beanzeigte Anwalt die gerade aktuellen Fristen wie Beru- fungs- und andere Verwirkungsfristen täglich überwacht hätten. Zu- dem seien die wesentlichen Fristen in der Wochenagenda eingetragen worden. Er selber habe die erledigten und bereit liegenden Briefe je- weils auf die Post gebracht. 3.1.2. Die Ausführungen des beanzeigten Anwaltes und des Kanzlei- mitarbeiters zeigen auf, dass in der Anwaltskanzlei Z. die üblichen Vorsichtsmassnahmen, nämlich eine doppelte Fristenkontrolle, getä- tigt wurden, um die Einhaltung der Fristen gewährleisten zu können. 3.2. 3.2.1. [...] 3.2.2. Die erwähnten Unterlagen (Kopie des Auszuges der Agenda der Kanzlei Z., Kontoblatt zum Dossier M. sowie Kopie des Schreibens vom 19. Juni 2006 an das Bezirksgericht B.) weisen darauf hin, dass die Frist in die Agenda eingetragen und das Schreiben fristgerecht verfasst wurde. Zudem ist aufgrund der obigen Ausführungen des Kanzleimitarbeiters davon auszugehen, dass der Brief auch zum Ver- sand bereit gelegt wurde. Warum dieser dann nicht an das Bezirks- gericht B. gelangte, kann nicht schlüssig erklärt werden. 3.3. 3.3.1. Nachdem in der Kanzlei Z. Massnahmen getroffen wurden, um die Einhaltung der Fristen gewährleisten zu können und das Schrei- ben vom beanzeigten Anwalt offenbar geschrieben und zum Versand 2008 Obergericht 44 bereit gelegt wurde, ist des Weiteren die Frage zu prüfen, ob der Kanzleimitarbeiter betreffend die Fristenwahrung und den Versand der Post auch genügend instruiert war, liegt doch auch diesbezüglich die Verantwortung beim beanzeigten Anwalt. 3.3.2. [...] 3.4. 3.4.1. - 3.4.2. [...] 3.5. Gestützt auf die vorstehenden Überlegungen ist zu Gunsten des beanzeigten Anwaltes davon auszugehen, dass die üblichen Vor- sichtsmassnahmen wie die doppelte Fristenkontrolle sowie die genü- gende Instruktion des Kanzleimitarbeiters getroffen wurden, um die Einhaltung von Fristen gewährleisten zu können. Zudem weisen die eingereichten Unterlagen darauf hin, dass das Schreiben zur Einfor- derung einer vollständig begründeten Urteilsausfertigung fristgerecht geschrieben und zum Versand bereit gelegt wurde. Warum das Schreiben schliesslich beim Bezirksgericht B. nicht angekommen ist, lässt sich nicht mehr eruieren. Nach dem in Ziff. 2. Gesagten liegen demnach keine "erschwerenden Umstände" vor, welche auf eine un- verantwortliche Berufsausübung schliessen lassen. Im Übrigen sind auch keine Anhaltspunkte für eine böswillige Absicht seitens des Anwaltes ersichtlich. 4. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass dem be- anzeigten Anwalt nach dem Gesagten keine Verletzung der Berufs- regel gemäss Art. 12 lit. a BGFA vorgeworfen werden kann. Für eine Disziplinierung des beanzeigten Anwaltes besteht daher keine Veran- lassung.
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2002 Obergericht/Handelsgericht 72 20 § 264 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Bestimmung, wonach der Richter, wo die Umstände es rechtferti- gen, auch den Sachbearbeiter einer Partei der Parteibefragung unterstel- len kann, ist nicht nur bei juristischen Personen und Kollektiv- sowie Kommanditgesellschaften, sondern auch bei Einzelfirmen anwendbar. In casu war somit im erstinstanzlichen Verfahren B. K., der in dem als Ein- zelfirma geführten väterlichen Garagenbetrieb federführend tätig war, zu Recht als Partei und nicht als Zeuge befragt worden. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 10. September 2002 in Sachen T.A. GmbH gegen R. K.
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2011 Zivilprozessrecht 29 II. Zivilprozessrecht 2 § 2 lit. c ZPO: Befangenheitsgrund Vorbefassung Es liegt keine unzulässige Vorbefassung vor, wenn ein Richter, welcher in einem anderen Verfahren einer Partei eine Parteientschädigung zuge- sprochen hat, nun über ein definitives Rechtsöffnungsbegehren dieser Partei hinsichtlich der Parteientschädigung zu entscheiden hat. Aus dem Entscheid der Inspektionskommission vom 11. April 2011 i.S. X.Y. gegen das Gerichtspräsidium Z. (IVV.2010.51). Aus den Erwägungen 3.1.2. (...) Gegenstand des früheren Verfahrens war eine Klage des Ge- suchstellers betreffend Persönlichkeitsverletzung bzw. schlussendlich die Frage der Passivlegitimation. Der Gegenstand des summarischen Verfahrens betreffend Rechtsöffnung ist nunmehr die Prüfung, ob ein Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 SchKG vorliegt, und ob der Schuldner allenfalls Einwendungen gemäss Art. 81 SchKG gegen den Rechtsöffnungstitel vorbringen kann. Der Gesuchsgegner als Rechtsöffnungsrichter hat dabei weder (nochmals) über die Auf- erlegung der Parteikosten noch über deren Höhe - darüber wurde bereits rechtskräftig entschieden - zu befinden. Sowohl die sachver- haltsrelevanten als auch die rechtlichen Fragen unterscheiden sich in diesen beiden Verfahren grundlegend. Auch wenn die Parteien im Rechtsöffnungsverfahren dieselben sind, sind der jeweilige Gegen- stand und die zu prüfenden Rechtsfragen in den beiden Verfahren somit nicht identisch, weshalb das Rechtsöffnungsverfahren (...) noch als hinreichend offen erscheint. Eine Befangenheit seitens des 2011 Obergericht 30 Gesuchsgegners aufgrund einer unzulässigen Vorbefassung ist dem- nach nicht gegeben.
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2002 Obergericht/Handelsgericht 60 [...] 12 § 105 lit. b ZPO Sicherstellung der Parteikosten im Verfahren gegen eine Kommanditge- sellschaft. Damit der Kautionsgrund der Zahlungsunfähigkeit bejaht und die Sicherstellung der Parteikosten gemäss § 105 lit. b ZPO angeordnet werden kann, muss die Insolvenz im kautionsrechtlichen Sinne sowohl auf Seiten der Gesellschaft als auch auf Seiten des Komplementärs gege- ben und nachgewiesen sein. 2002 Zivilprozessrecht 61 Aus der Verfügung des Instruktionsrichters des Handelsgerichts vom 9. April 2002 Aus den Erwägungen 1. a) Die Gesuchstellerin beruft sich auf den Kautionsgrund von § 105 lit. b ZPO. Danach ist eine als Kläger oder Widerkläger auftre- tende Partei zur Sicherstellung der Parteikosten der Gegenpartei verpflichtet, wenn gegen sie ein Konkursverfahren hängig ist, Ver- lustscheine bestehen oder wenn sie aus anderen Gründen als zah- lungsunfähig erscheint. Die Gesuchstellerin macht Zahlungsunfähig- keit der Gesuchsgegnerin im Sinne dieser Bestimmung geltend. b) Zahlungsfähig ist, wer weder über die Mittel verfügt, fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, noch über den erforderlichen Kredit, sich diese Mittel nötigenfalls zu beschaffen (BGE 111 II 206 Erw. 1). Dabei ist allein die aktuelle ökonomische Situation des Sicherstel- lungspflichtigen von Belang und es darf nicht darauf abgestellt wer- den, ob er nach Prozessbeendigung mutmasslich in der Lage sein wird, die Prozesskostenersatzforderung der obsiegenden Gegenpartei zu bezahlen (Bühler, in: Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. A., Aarau 1998, N 13 zu § 105; SJZ 1981 Nr. 33 S. 200 Erw. 3 und 4). Zahlungsunfähigkeit im kau- tionsrechtlichen Sinne darf nicht leichthin angenommen werden, weil andernfalls der Justizgewährungsanspruch (Art. 29a BV) unverhält- nismässig erschwert wird. Sie kann in der Regel nur bejaht werden, wenn sie durch feststellbare Rechtsakte des Betreibungsrechts ausge- wiesen ist (BGE 111 II 207 Erw. 1; SJZ 1981 Nr. 33 S. 199 Erw. 2; Kasuistik bei Bühler, a.a.O., N 15 zu § 105). 2. Bei einer Kommanditgesellschaft stellt sich die Frage, ob be- reits die Zahlungsunfähigkeit des oder der unbeschränkt haftenden Gesellschafter (Komplementäre) genügt, um auch die Zahlungsunfä- higkeit der Gesellschaft zu bejahen und umgekehrt. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der rechtlichen Struktur der Kommandit- gesellschaft. 2002 Obergericht/Handelsgericht 62 a) Die Kommanditgesellschaft ist eine vertragliche Vereinigung zweier oder mehrerer natürlicher oder juristischer Personen zum Zwecke des Betriebes eines nach kaufmännischer Art geführten Ge- werbes unter einer gemeinsamen Firma und mit unbeschränkter Haf- tung wenigstens eines Mitgliedes (Komplementär) sowie auf die Kommanditsumme beschränkten Haftung der anderen Mitglieder (Kommanditäre) [Art. 594 Abs. 1 OR]. Unbeschränkt haftende Mit- glieder können nur natürliche Personen sein (Art. 594 Abs. 2 OR). Die Kommanditgesellschaft ist unter ihrer Firma handlungs-, pro- zess- und betreibungsfähig (Art. 602 OR), wodurch sich im Aussen- verhältnis eine Annäherung an das Recht der juristischen Personen ergibt. Das ändert aber nichts daran, dass die Kommanditgesellschaft keine Rechtspersönlichkeit besitzt, d.h. kein selbständiges, von den Gesellschaftern unabhängiges Rechtssubjekt ist. Vielmehr ist sie wie die Kollektivgesellschaft und die einfache Gesellschaft eine Perso- nengesellschaft mit gesamthandschaftlichem Charakter. Entgegen dem äusseren Anschein sind somit allein die Gesellschafter zu ge- samter Hand und nicht die Kommanditgesellschaft Träger aller Rech- te und Pflichten der Gesellschaft (BGE 116 II 655 Erw. 2d; Meier- Hayoz/Forstmoser, Grundriss des Gesellschaftsrechts, 8. A., Bern 1998, § 14 Rz 16 und § 2 Rz 59). Verglichen mit der einfachen Ge- sellschaft besteht die Besonderheit der (Kollektiv- und) Kommandit- gesellschaft darin, dass das Gesellschaftsvermögen ein Sonderver- mögen darstellt, das vom Privatvermögen der Gesellschafter losge- löst ist. Die Gesellschaftsgläubiger haben Anspruch darauf, daraus unter Ausschluss der Privatgläubiger befriedigt zu werden (Art. 613 Abs. 1 OR). Im Vergleich zur Kollektivgesellschaft besteht die Be- sonderheit der Kommanditgesellschaft darin, dass nur der oder die Komplementäre persönlich und solidarisch mit ihrem ganzen Privat- vermögen für die Gesellschaftsschulden haften, während die Haftung des Kommanditärs auf seine Kommanditsumme beschränkt ist. Die unbeschränkte Haftung des oder der Komplementäre ist allerdings (gleich wie diejenige der Kollektivgesellschafter) eine subsidiäre. D.h., der Komplementär kann für Gesellschaftsschulden erst persön- lich in Anspruch genommen werden, wenn die Belangbarkeitsvor- aussetzungen von Art. 604 OR erfüllt sind. Diese liegen dann vor, 2002 Zivilprozessrecht 63 wenn die Gesellschaft entweder erfolglos betrieben worden oder auf- gelöst ist. Gründe für die Auflösung der Kommanditgesellschaft bil- den u.a. der Konkurs der Gesellschaft (Art. 619 Abs. 1 i.V.m. Art. 574 Abs. 1 Satz 1 OR), der Konkurs oder die Pfändung des Li- quidationsanteils eines Komplementärs (Art. 619 Abs. 1 i.V.m. Art. 575 OR) und der Konkurs oder die Pfändung des Liquidations- anteils eines Kommanditärs (Art. 619 Satz 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 575 OR). Primäres Haftungssubstrat für die Verbindlichkeiten der Gesell- schaft bildet somit das Gesellschaftsvermögen. Das Privatvermögen des Komplementärs haftet den Gesellschaftsgläubigern erst, wenn die Kommanditgesellschaft erfolglos betrieben worden ist oder die Gesellschaft oder ein Gesellschafter in Konkurs gefallen oder ihr Li- quidationsanteil gepfändet worden ist. b) Konsequenz der dargelegten rechtlichen Struktur der Kom- manditgesellschaft ist, dass die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft noch nicht bedeutet, dass die Forderungen eines Gesellschaftsgläubi- gers uneinbringlich sind. Das ist vielmehr erst der Fall, wenn auch die subsidiäre Haftung des Komplementärs versagt, d.h. auch dieser zahlungsunfähig geworden ist. Der Kautionsgrund der Zahlungsunfä- higkeit kann daher für die Gesellschaft nur bejaht werden, sofern Insolvenz im kautionsrechtlichen Sinne sowohl auf Seiten der Ge- sellschaft als auch auf Seiten des Komplementärs gegeben und nach- gewiesen ist. Umgekehrt genügt aber kautionsrechtliche Insolvenz auf Seiten eines Komplementärs (oder Kommanditärs) noch nicht ohne weiteres, um auch die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu bejahen. Denn erst die Konkurseröffnung über den Komplementär (oder Kommanditär) bildet die Grundlage für die Auflösung der Ge- sellschaft sowie als Folge davon für ihre Liquidation (Art. 619 Abs. 1 i.V.m. Art. 582 OR) und damit für die Belangung des Komplemen- tärs für Gesellschaftsschulden. Die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft kann indessen durch Befriedigung der Konkursmasse des Komplementärs (oder Kommanditärs) oder des betreibenden Gläubigers abgewendet werden (Art. 619 i.V.m. Art. 575 Abs. 3 OR). Abgesehen davon kann selbst eine aufgelöste Kommanditgesell- 2002 Obergericht/Handelsgericht 64 schaft in der Lage sein, im Rahmen der Liquidation die vorhandenen Gesellschaftsschulden zu befriedigen. c) Zusammenfassend kann somit gesagt werden, die Zahlungs- unfähigkeit eines Komplementärs beinhaltet nicht notwendigerweise auch diejenige der Kommanditgesellschaft, während umgekehrt de- ren Zahlungsunfähigkeit auch diejenige des oder der Komplementäre voraussetzt. Mit Bezug auf die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft verhält es sich nicht anders als bei anderen Gesamthandschaften wie zum Beispiel bei Erbengemeinschaften (Art. 602 Abs. 1 ZGB), einfa- chen Gesellschaften (Art. 544 Abs. 1 OR) oder Gesamteigentümern (Art. 652 ZGB). Prozessrechtlich sind sie stets nur als notwendige Streitgenossen handlungsfähig. Bei solchen Gesamthandschaften kann daher eine Kautionspflicht stets nur bejaht werden, wenn für je- den der Streitgenossen ein Kautionsgrund gegeben ist (BGE 109 II 271 f. Erw. 2; Bühler, a.a.O., N 3 zu § 105). 3. Im vorliegenden Fall bedeutet demgemäss der Umstand, dass durch das Betreibungsamt A. am 26. August 1998 gegenüber dem Komplementär der Gesuchsgegnerin ein Verlustschein über Fr. 961'926.50 ausgestellt worden und damit für seine Person der Kautionsgrund von § 105 lit. b ZPO verwirklicht worden ist, nicht, dass dasselbe auch für die Gesuchsgegnerin selbst gilt. Vielmehr muss für sie selbst ein Kautionsgrund ebenfalls nachgewiesen sein. Davon kann keine Rede sein. Nicht nur sind gegenüber der Gesuchs- gegnerin weder Verlustscheine noch andere Betreibungsurkunden ausgestellt worden, welche ihre Zahlungsunfähigkeit indizieren könnten. Aus der vorgelegten Erfolgsrechnung für das Jahr 2001 er- gibt sich überdies, dass sie in den ersten acht Monaten ihrer Ge- schäftstätigkeit einen Bruttoumsatz von fast 1,5 Mio. und einen Nettogewinn von Fr. 32'647.-- erwirtschaftet hat. Die Gesuchsgegne- rin ist daher jedenfalls im heutigen Zeitpunkt eine vorbehaltlos auf- rechtstehende Schuldnerin.
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AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2002-12_2002-04-09
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-12.html
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Aktendeckel Handelsgericht 2. Kammer Obere Vorstadt 40 5000 Aarau 062 835 39 40 HSU.2020.28 / mv Entscheid vom 16. April 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchsteller 1 A._, vertreten durch Rechtsanwältin Marlene Bernardi, Rechtsanwältin, See- strasse 37, 6052 Hergiswil NW Gesuchsteller 2 B._, Gesuchstellerin 3 C._, 2 und 3 vertreten durch Dr. iur. Daniel Glasl und MLaw Fatou Sidibe, Rechtsanwälte, Bahnhofstrasse 70, Postfach, 8021 Zürich 1 Gesuchsteller 4 D._, Gesuchsteller 5 E._, vertreten durch lic. iur. et lic. oec. Oliver Willimann, Rechtsanwalt, Univer- sitätsstrasse 65, 8006 Zürich Gesuchsgegne- rin F._, Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend vorsorgliche (superprovisorische) Verfügungsbeschränkungen/Grundbuchsperre - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. 1.1. Der Gesuchsteller 1 ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in M. (AG). Er sei Teil der Erbengemeinschaft I. sel. mit einem Anteil von 50 %, welche im Gesamteigentum alle Aktien der Gesuchsgegnerin halte (Gesuch Rz. 5, 10 und 13 f.). 1.2. Der Gesuchsteller 2 ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in N. (AG) und Notar in N. (AG). Er vertritt den Gesuchsteller 1 in den Nachlassangelegen- heiten I. sel. Er war bis am 6. April 2020 im Handelsregister als Mitglied des Verwaltungsrats der Gesuchsgegnerin eingetragen (vgl. Gesuchsbeilage [GB] 6). 1.3. Die Gesuchstellerin 3 ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in N. (AG). Sie war bis am 6. April 2020 im Handelsregister als Mitglied des Verwal- tungsrats der Gesuchsgegnerin eingetragen (vgl. GB 6). 1.4. Der Gesuchsteller 4 ist eine natürliche Person mit Sitz in O. (AG). Er sei Teil der Erbengemeinschaft I. sel. mit einem Anteil von 12.5 % (Gesuch Rz. 5, 10 und 14) und Mitglied des Verwaltungsrats der Gesuchsgegnerin (vgl. GB 6). 1.5. Der Gesuchsuchsteller 5 ist eine natürliche Person mit Sitz in P. (AG). Er sei testamentarischer Willensvollstrecker von I. sel. (Gesuch Rz. 14) und bis am 6. April 2020 im Handelsregister als Verwaltungsratspräsident der Gesuchsgegnerin eingetragen (vgl. GB 6). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in N. (AG). Sie hat insbesondere den Zweck Immobilien zu halten und zu bewirtschaften, ei- genes Vermögen anzulegen und zu verwalten sowie sämtliche mit dem Hauptzweck in direktem oder indirektem Zusammenhang stehenden Ge- schäfte durchzuführen. - 3 - 3. Mit Gesuch vom 15. April 2020 (gleichentags persönlich überbracht) stellten die Gesuchsteller 1-5 die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Es sei der Gesuchsgegnerin unter Androhung von Strafe na- mentlich gegenüber den (widerrechtlich eingetragenen) Organen Z. und Y. gemäss Art. 292 StGB mit Busse im zu verbieten, ohne Zustimmung der Gesuchsteller 2 oder 5, allein gestützt auf Handlungen von Y., und/oder Z., jeglicher Art abzuschliessen, insbesondere: a. über die Konto- und Depotguthaben sowie Hypotheken bei der Aargauer Kantonalbank (Sparkonto-Nr. 1; Anlagedepot Portfolio Nr. 2; Liegenschaftskonto-Nr. 3; Festhypotheken-Nr. 4; 5; 6; 7; 8; 9) zu verfügen; b. über das Grundstück der Liegenschaft N. Grundstück- Nr. 1234 dinglich zu verfügen, einschliesslich es zu verkaufen oder zu belasten, unter umgehender Anweisung an das Grundbuchamt N., eine Grundbuchsperre anzumerken. 2. Das Verbot gemäss Ziff. 1 sei superprovisorisch im Sinne von Art. 265 Abs. 1 ZPO sofort und ohne Anhörung der anzuordnen und nach Anhörung der Gesuchsgegnerin als vorsorgliche Massnahme zu bestätigen; eventualiter sei das als vorsorgliche Massnahme zu erlassen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge, zuzüglich Mehrwert- steuerzuschlag, zu Lasten der Gesuchsgegnerin." Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Z. und Y. hätten am 29. März 2020 eine als Universalversammlung fingierte ausserordentlichen Generalversammlung der Gesuchsgegnerin durchgeführt, anlässlich wel- cher sie die Gesuchsteller 2, 3 und 5 als Mitglieder des Verwaltungsrats abgewählt und Y. neu in den Verwaltungsrat mit Einzelzeichnungsrecht ge- wählt hätten. Zudem sei Z. mit Einzelzeichnungsrecht anstelle des Gesuch- stellers 5 als Verwaltungsratspräsident der Gesuchstellerin gewählt worden (GB 7). Gestützt auf diesen Generalversammlungsbeschluss 29. März 2020 seien die entsprechenden Handelsregistermutationen vorgenommen worden (vgl. GB 6). Es bestehe die Gefahr, dass Z. und Y. unrechtmässig über Mittel der Gesuchsgegnerin verfügen würden, indem sie namentlich das Grdst.-Nr. 1234 GB N. an einen Dritten veräusserten. Zudem sei das Anlagedepot bei der Aargauischen Kantonalbank saldiert worden und im E-Banking die Hypotheken der Gesuchsgegnerin nicht mehr sichtbar. - 4 - Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche Zustän- digkeit des angerufenen Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 1.1. Örtliche Zuständigkeit Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ist das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Mas- snahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Dies gilt auch für den Erlass superprovisorischer Massnahmen. Der Ort der Hauptsachezuständigkeit bestimmt sich nach den allgemeinen und besonderen Bestimmungen der Gerichtsstandsvorschriften der ZPO. Die Feststellung der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen fällt unter den allgemeinen Wohnsitz- bzw. Sitzgerichtsstand von Art. 10 ZPO.1 Die Gesuchsgegnerin hat ihren Sitz in N. (GB 6), weshalb die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte begründet ist. 1.2. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts für den Erlass vorsorgli- cher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO i.V.m. § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO. Sie ist gegeben, da es sich bei der Hauptsache um eine Streitigkeit aus dem Recht der Handelsgesell- schaften handelt (Art. 706b OR), und aufgrund des behaupteten Streitwerts von Fr. 500'000.00 nicht das vereinfachte Verfahren zur Anwendung ge- langt. 2. Voraussetzungen superprovisorisches Massnahmen 2.1. Allgemeine Voraussetzungen Gemäss Art. 261 Abs. 1 ZPO trifft das Gericht die notwendigen vorsorgli- chen Massnahmen, wenn die gesuchstellende Partei glaubhaft macht, dass ein ihr zustehender Anspruch verletzt ist oder eine Verletzung zu be- fürchten ist (lit. a) und ihr aus der Verletzung ein nicht leicht wieder gutzu- machender Nachteil droht (lit. b). Art. 265 Abs. 1 ZPO sieht vor, dass bei besonderer Dringlichkeit, insbesondere Vereitelungsgefahr, das Gericht die vorsorgliche Massnahme sofort und ohne Anhörung der Gegenpartei anordnen kann (sog. superprovisorische Massnahmen). Voraussetzungen zum Erlass superprovisorischer Massnahmen sind folg- lich a) die Verletzung oder Gefährdung eines materiellen Anspruchs (sog. Hauptsachenprognose bzw. Verfügungsanspruch), b) der Umstand, dass 1 RÜETSCHI, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zivilpro- zessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 40 N. 7. - 5 - die drohende Verletzung des zu schützenden Rechts einen nicht leicht wie- der gutzumachenden Nachteil zur Folge hat (sog. Nachteilsprognose bzw. Verfügungsgrund) sowie c) eine qualifizierte zeitliche Dringlichkeit vorliegt.2 Schliesslich hat die anzuordnende vorsorgliche Massnahme verhältnis- mässig zu sein.3 2.2. Glaubhaftmachung Das Vorliegen der den Erlass vorsorglicher Massnahmen begründenden Tatsachen muss der Gesuchsteller glaubhaft machen.4 Glaubhaft gemacht ist eine Behauptung, wenn der Richter von ihrer Wahrheit nicht völlig über- zeugt ist, sie aber überwiegend für wahr hält, obwohl nicht alle Zweifel be- seitigt sind. Für das Vorhandensein der behaupteten Tatsachen müssen folglich gewisse Elemente sprechen, auch wenn das Gericht noch mit der Möglichkeit rechnet, dass diese sich nicht verwirklicht haben könnten.5 3. Hauptsachenprognose Zu prüfen ist vorerst, ob eine positive Hauptsachenprognose vorliegt. Vorliegend besteht die Erbengemeinschaft I. sel. aus dem Gesuchsteller 1, dem Gesuchsteller 4, Z. und Y. (Gesuch Rz. 5, 10 und 14). Der Nachlass ist bis heute nicht geteilt (Gesuch Rz. 5). Einzige Aktionärin der Gesuchs- gegnerin sind diese Personen, welche die Aktien als Teil einer Erbenge- meinschaft im Gesamteigentum halten (Gesuch Rz. 5 und 13). Die Aktien der Gesuchsgegnerin stellen das Hauptaktivum des Nachlasses dar (Ge- such Rz. 10). Anlass für vorliegende Streitigkeit ist die am 29. März 2020 von Z. und Y. als Universalversammlung durchgeführten Generalversammlung (GB 7). Gemäss den Behauptungen der Gesuchsteller 1-5 gehe es vorliegend in der Hauptsache um die Feststellung der Nichtigkeit der an der am 29. März 2020 abgehaltenen Generalversammlung gefassten Beschlüsse (Gesuch Rz. 6). Die Gesuchsteller 1-5 machen geltend, die Gesuchsteller 2-3 und 5 seien als Verwaltungsratsmitglieder der Gesuchsgegnerin verpflichtet, Schaden von der Gesuchsgegnerin im Interesse der Erbengemeinschaft und der da- rin enthaltenen Ansprüche aller Miterben abzuwenden (Gesuch Rz. 10, 12 2 Vgl. hierzu HUBER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1, Art. 261 N. 17 ff. und Art. 265 N. 7 ff.; BSK ZPO-SPRECHER, 3. Aufl. 2017, Art. 261 N. 10 ff. und Art. 265 N. 6 ff.; in: Brunner/Gasser/Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2016, Art. 261 N. 5 ff. 3 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 23; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 10 ff.; ZÜRCHER (Fn. 2), Art. 261 N. 33 ff. 4 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 25. 5 BGE 130 III 321 E. 3.3; BÜHLER, Beweismass und Beweiswürdigung bei Gerichtsgutachten, in: Fellmann/Weber (Hrsg.), Tagungsband HAVE, Der Haftpflichtprozess, Tücken der gerichtlichen Schadenserledigung, 2006, S. 43; HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 25. - 6 - und 25 i.f.). Damit machen die Gesuchsteller 2-3 und 5 vorliegend im eige- nen Namen allerdings fremde Rechte – jene der Gesuchsgegnerin und jene der Erbengemeinschaft – geltend, wobei die Zulässigkeit einer Prozess- standschaft von den Gesuchstellern 1-5 weder dargelegt wurde noch er- sichtlich ist. Eigene Ansprüche der Gesuchsteller 2-3 und 5, die verletzt sind oder deren Verletzung droht (vgl. Art. 261 Abs. 1 lit. a ZPO), behaup- ten sie nicht. Denkbar wäre allenfalls gewesen, dass die Gesuchsteller 2-3 und 5 einen Anspruch auf ihre Stellung als Verwaltungsratsmitglieder hät- ten. Die vorliegend beantragten Massnahmen eignen sich jedoch nicht, die- sen Anspruch zu wahren oder zu sichern. Hierfür hätten sie vielmehr eine Handelsregistersperre nach Art. 162 f. HRegV beantragen müssen. Soweit die Gesuchsteller 1-5 die Sicherung der Vermögenswerte der Ge- suchsgegnerin geltend machen, so ist auch diesbezüglich nicht ersichtlich, welche eigenen Ansprüche der Gesuchsteller 1-5 verletzt oder bedroht sein könnten. Wenn die Erhaltung der Vermögenswerte der Gesuchsgegnerin bezweckt werden soll, dann müssen vielmehr die Ansprüche der Gesuchs- gegnerin selbst und nicht diejenigen der Gesuchsteller 1-5 verletzt sein, um eine Hauptsachenprognose bejahen zu können. Drittens machen die Gesuchsteller 1-5 geltend, es drohten die Ansprüche der Gesuchsteller 1 und 4 auf Erhalt des bestehenden Zustandes und Ver- mögens der Gesuchsgegnerin verletzt zu werden (Gesuch Rz. 27). Aller- dings ist nicht ersichtlich, weshalb die Gesuchsteller 1 und 4 einen irgend- wie gearteten Anspruch auf Erhalt der Vermögenswerte der Gesuchsgeg- nerin haben sollten. Soweit die Gesuchsteller 1-5 damit geltend machen sollten, die Ansprüche der Gesuchsteller 1 und 4 in ihren Eigenschaften als Erben des verstorbenen I. seien verletzt, so überzeugt dies nicht: Die Ge- suchsteller 1 und 4 sind nicht Aktionäre der Gesuchsgegnerin, sondern bloss Teile einer Erbengemeinschaft, deren Erben sämtliche Aktien der Ge- suchsgegnerin zu gesamter Hand halten (vgl. Art. 560 und 602 ZGB). Dem- nach können die Aktionärsrechte in Absenz einer Vertretungsregelung und von Sonderfällen nur einstimmig durch alle Erben zusammen als notwen- dige Streitgenossenschaft (vgl. Art. 70 ZPO) geltend gemacht werden. Vor- liegend wurden zwei der vier Erben (Z. und Y.) jedoch gar nicht – auch nicht als Gesuchsgegner – in das Verfahren einbezogen und eine Vertretungs- oder Sonderkonstellation nicht behauptet. Ebenso handeln auch die Ge- suchsteller 1 und 4 vorliegend nur in eigenem Namen und nicht im Namen sämtlicher Erben. Es fehlt somit an der Aktivlegitimation der Gesuchsteller 1-5 in Bezug auf die behauptete Verletzung der Ansprüche der Erbenge- meinschaft auf Erhalt der Vermögenswerte der Gesuchsgegnerin. Darüber hinaus wäre wohl zweifelhaft, ob Aktionäre überhaupt einen Anspruch auf Erhalt des status quo der Vermögenswerte einer Aktiengesellschaft haben, da das Aktienrecht einen solchen Anspruch nicht vorsieht. Vielmehr müsste dieser Anspruch wohl von der Gesuchsgegnerin selbst geltend gemacht werden, da sie als juristische Person die Trägerin ihrer Vermögensrechte - 7 - ist. Die Mitglieder der Erbengemeinschaft haben demgegenüber keine Rechte an den Vermögenswerten der Gesuchsgegnerin. Die Hauptsachenprognose ist daher zu verneinen. Das ändert selbstver- ständlich nichts am Umstand, dass aufgrund des behaupteten Sachver- halts Z. und Y. nicht als Alleinaktionäre auftreten können und ohne Einver- ständnis der Gesuchsteller 1 und 4 Universalversammlungen für die Ge- suchsgegnerin abhalten können. Die Qualifikation einer Generalversamm- lung als Universalversammlung setzt erstens die Anwesenheit aller Aktio- näre oder deren Vertreter voraus und zweitens müssen alle Aktionäre oder deren Vertreter ausdrücklich oder stillschweigend der Durchführung der Generalversammlung zustimmen.6 4. Nachteilsprognose 4.1. Behauptungen der Gesuchstellerin Die Gesuchsteller 1-5 begründen den drohenden nicht leicht wiedergutzu- machenden Nachteil insbesondere damit, dass die Gesuchsgegnerin ohne die beantragten vorsorglichen Massnahmen das Grdst.-Nr. 1234 GB N. je- derzeit an einen Dritten veräussern oder belasten könnte, und dieser ge- stützt auf den öffentlichen Glauben des Grundbuchs in seinem Erwerb ge- schützt wäre (vgl. Art. 973 Abs. 1 ZGB) und damit die Anteile der Gesuch- steller 1 und 4 an der ungeteilten Erbschaft nicht gesichert wären (Gesuch Rz. 29-31). Weiter befürchten die Gesuchsteller 1-5, dass Z. und Y. un- rechtmässig über Vermögenswerte der Gesuchstellerin bei der Aargaui- schen Kantonalbank verfügen würden, jedenfalls seien die Hypothekar- schulden der Gesuchsgegnerin bei der Aargauischen Kantonalbank via E- Banking nicht mehr abrufbar (Gesuch Rz. 23; GB 23). 4.2. Rechtliches Neben der Hauptsachenprognose hat die Gesuchstellerin glaubhaft zu ma- chen, dass ihr aus der Verletzung eines ihr zustehenden Anspruchs ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht (Art. 261 Abs. 1 lit. b ZPO). Zu beantworten sind damit die beiden Fragen, ob Nachteile drohen, wenn keine vorsorgliche Massnahmen angeordnet werden und, für den Fall, dass keine vorsorglichen Massnahmen angeordnet werden und der befürchtete Nachteil daher eintritt, ob dieser mit einem anschliessenden Hauptsacheverfahren leicht wieder gutzumachen ist.7 Nachteile sind jegli- che Beeinträchtigungen der gesuchstellenden Partei sowohl tatsächlicher wie auch rechtlicher Art, materieller als auch immaterieller Natur.8 Auch bloss faktische Erschwernisse genügen.9 Ferner kann auch die drohende 6 BSK OR II-DUBS/TRUFFER, 5. Aufl. 2016, Art. 701 N. 3 m.w.N. 7 BK ZPO II-GÜNGERICH, 2012, Art. 261 N. 30 ff. 8 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 20 m.w.N.; BK ZPO II-GÜNGERICH (Fn. 7), Art. 261 N. 34; BSK ZPO- SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 29; ZÜRCHER (Fn. 2), Art. 261 N. 25; STAEHELIN/STAEHELIN/ GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2019, § 22 N. 10. 9 BK ZPO II-GÜNGERICH (Fn. 7), Art. 261 N. 34. - 8 - Zahlungsunfähigkeit eines Beklagten im Falle des Unterliegens im Prozess gegebenenfalls ein solcher Nachteil sein.10 Ausreichend ist bereits die Ge- fährdung oder Verzögerung der Vollstreckung eines in erster Linie auf Re- alerfüllung gerichteten Anspruchs. Als Nachteil kommt insbesondere auch eine Beeinträchtigung in der Ausübung absoluter Rechte in Betracht.11 Der Nachteil muss ein zukünftiger sein. Bei bereits eingetretenen Nachteilen können vorsorgliche Massnahmen nur dann Platz haben, wenn eine wei- tere Benachteiligung droht.12 Weiter muss der Nachteil nicht leicht wiedergutzumachen sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn das Hauptsachenurteil abgewartet werden kann und dieses der gesuchstellenden Partei hinreichenden Rechtsschutz bie- tet.13 Nachteile sind etwa dann nicht leicht wieder gutzumachen, wenn sie später nicht mehr ermittelt, bemessen oder ersetzt werden können, etwa weil sie durch Geldleistung nicht oder nur unvollständig aufgewogen wer- den können, d.h. wenn ein rein ökonomischer Ausgleich keinen vollwerti- gen Ersatz begründet.14 Rein finanzielle Nachteile sind hingegen regelmäs- sig nicht schwer zu ersetzen.15 Bei rein finanziellen Nachteilen ist zusätzlich vorausgesetzt, dass bei der Gegenpartei beispielsweise mangelnde Zah- lungsfähigkeit zu befürchten respektive die Vollstreckung finanzieller An- sprüche zweifelhaft wäre oder der Schaden später nur schwer nachgewie- sen oder eingefordert werden könnte.16 4.3. Würdigung Aus den Behauptungen der Gesuchsteller 1-5 ergibt sich nicht, inwiefern den Gesuchstellern 2, 3 und 5 durch die befürchteten Handlungen von Z. und Y. einen nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil drohen soll. Diese drei Gesuchsteller sind weder Teil der Erbengemeinschaft I. sel. noch Aktionäre der Gesuchsgegnerin. Auch die Behauptungen der Gesuchsteller 1-5 bezüglich drohender Dispo- sitionen der Vermögenswerte und Schulden der Gesuchsgegnerin bei der Aargauischen Kantonalbank sowie der Veräusserung des Grdst.-Nr. 1234 10 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 20 m.w.N.; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 28b. 11 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 20 m.w.N.; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 28b. 12 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 21; BK ZPO II-GÜNGERICH (Fn. 7), Art. 261 N. 35; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 28a; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND (Fn. 8), § 22 N. 10. 13 BK ZPO II-GÜNGERICH (Fn. 7), Art. 261 N. 36. 14 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 20 m.w.N.; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 34; ZÜRCHER (Fn. 2), Art. 261 N. 29; BAUDENBACHER/GLÖCKNER, in: Baudenbacher (Hrsg.), Lauterkeitsrecht, 2001, Art. 14 N. 22. 15 BGer 5P.104/2005 vom 18. Juli 2005 E. 1.2; so wohl auch: HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 20. 16 ZR 112/2013 Nr. 67 S. 243 E. 7; HGer ZH HE130180 vom 27. September 2013 E. 2.3.1 und 2.3.4; vgl. auch BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 34; SHK ZPO-TREIS, 2010, Art. 261 N. 8; , Die Nachteilsprognose als Voraussetzung des vorsorglichen Rechtsschutzes, in: sic! 4/2000 S. 265-274, 270 f m.w.N. - 9 - GB N. lassen einen drohenden nicht leicht wiedergutzumachenden Nach- teil zu Lasten der Gesuchsteller 1 und 4 nicht glaubhaft erscheinen: Die Behauptungen zu den Vermögenswerten und Schulden der Gesuchsgeg- nerin bei der Aargauischen Kantonalbank sind reine Spekulationen (vgl. Gesuch Rz. 23) und nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, insbesondere sind sie durch GB 23 nicht glaubhaft gemacht. Es wäre zu erwarten gewe- sen, dass der komplette E-Banking Auszug eingereicht würde und nicht bloss einzelne Teile davon. Die Behauptungen zur möglichen Veräusse- rung oder Belastung des Grdst.-Nr. 1234 GB N. wird durch kein einziges Beweismittel glaubhaft gemacht. Die Gesuchsteller 1-5 begnügen sich hier mit der Darstellung von blossen Befürchtungen. Zumindest im elektroni- schen Grundbuch sind in Bezug auf das Grdst.-Nr. 1234 GB N. per 13. April 2020 keine hängigen Grundbuchgeschäfte eingetragen. Zudem müsste die Rechtsbegehren Ziff. 1b beantragte Grundbuchsperre sowieso abgewie- sen werden: Eine Grundbuchsperre kann nur dann angeordnet werden, wenn das Gesetz sie vorsieht.17 Im Bundesprivatrecht ist eine Grundbuch- sperre beispielsweise gestützt auf Art. 178 Abs. 3 ZGB im Eherecht vorge- sehen.18 Nach der Rechtsprechung ist eine Grundbuchsperre auch ohne bundesrechtliche Gesetzesgrundlage zulässig, sofern im anwendbaren kantonalen Recht eine entsprechende Grundlage besteht.19 Im Gegensatz beispielsweise zum zürcherischen Recht20 kennt das aargauische Recht das Institut der Grundbuchsperre jedoch nicht.21 Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage ist es daher nicht möglich, den glaubhaft behaup- teten Grundbuchberichtigungsanspruch der Gesuchstellerin mittels einer Grundbuchsperre sicherzustellen. 5. Zwischenfazit Mangels Hauptsachen- und Nachteilsprognose ist das Gesuch abzuwei- sen. Das Gesuch ist offensichtlich unbegründet, weshalb der Gesuchsgeg- nerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu gegeben ist (Art. 253 ZPO). 6. Zustellung Die Zustellung des Gesuchs erfolgt ausschliesslich an die Gesuchsgegne- rin selber, weil dem Handelsgericht keine Vollmacht eines allfälligen Rechtsvertreters der Gesuchsgegnerin vorliegt. 17 STEINAUER, Les droits réels – Tome I: Introduction à l'étude des droits réels, possession et registre foncier, dispositions générales sur la propriété, propriété par étages, 5. Aufl. 2012, N. 647. 18 STEINAUER (Fn. 17), N. 648; HRUBESCH-MILLAUER/GRAHAM-SIEGENTHALER/ROBERTO, Sachenrecht, 5. Aufl. 2017, N. 03.126. 19 BGE 111 II 42 E. 3; HRUBESCH-MILLAUER/GRAHAM-SIEGENTHALER/ROBERTO (Fn. 18), N. 03.126; STEINAUER (Fn. 17), N. 650 f. m.w.N. 20 Vgl. § 29 Zürcherische Verordnung des Obergerichtes über die Geschäftsführung der Grundbuch- ämter und die Einführung des eidgenössischen Grundbuches (Kantonale Grundbuchverordnung) vom 26. März 1958. 21 Vgl. BGE 111 II 42 E. 2 mit Verweis auf AGVE 1963 Nr. 15, S. 61 f. E. 3a. - 10 - 7. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Da das Gesuch abgewiesen wird, unterliegen die Gesuchsteller 1-5 vollumfänglich und haben die Prozesskosten gestützt auf Art. 106 Abs. 3 ZPO solidarisch zu tragen. 7.1. Gerichtskosten Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 2'500.00 festgesetzt (§ 8 VKD, SAR 221.150). Die Gesuchsteller 1-5 haben diese mit den beiliegen- den Einzahlungsscheinen zu bezahlen. 7.2. Parteientschädigung Der Gesuchsgegnerin ist mit vorliegendem Gesuch kein Aufwand entstan- den. Ihr ist daher keine Parteientschädigung zuzusprechen. Der Vizepräsident erkennt: 1. Das Gesuch vom 15. April 2020 wird abgewiesen. 2. 2.1. Die Gerichtskosten im Umfang von Fr. 2'500.00 werden den Gesuchstel- lern 1-5 solidarisch auferlegt. 2.2. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. - 11 - Zustellung an: den Gesuchsteller 1 (Vertreterin; zweifach mit Einzahlungsschein. Vorab per E-Mail: bernardi@poli-bernardi.ch) die Gesuchsteller 2 und 3 (Vertreter; zweifach mit Einzahlungsschein sowie Eingabe der Vertreterin des Gesuchstellers 1 [inkl. Beilage] vom 15. April 2020. Vorab per E-Mail: fatou.sidibe@bratschi.ch und da- niel.glasl@bratschi.ch) den Gesuchsteller 4 (mit Einzahlungsschein sowie Eingabe der Vertre- terin des Gesuchstellers 1 [inkl. Beilage] vom 15. April 2020) den Gesuchsteller 5 (Vertreter; zweifach mit Einzahlungsschein sowie Eingabe der Vertreterin des Gesuchstellers 1 [inkl. Beilage] vom 15. April 2020. Vorab per E-Mail: oliver.willimann@wdlaw.ch) die Gesuchsgegnerin (mit Doppel des Gesuchs vom 15. April 2020 [inkl. Beilagen] sowie Eingabe der Vertreterin des Gesuchstellers 1 [inkl. Beilage] vom 15. April 2020) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). mailto:fatou.Sidibe@bratschi.ch - 12 - Aarau, 16. April 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Gesell_2020-04-16
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_16._April_2020.pdf
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398508c0-4081-54b9-99f3-402e3ed92cd5
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de
2002 Obergericht/Handelsgericht 32 [...] 3 Art. 277 ZGB; Mündigenunterhalt Der Grundbetrag für nicht erwerbstätige, mündige Kinder, die im Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils leben, welche ihnen Unterhalt oder Unterstützung schulden, beträgt Fr. 500.-- (Ziffer I.4. der Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums [Notbedarf] nach Art. 93 SchKG in der Fassung vom 3. Januar 2001 [SAR 231.191]). Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 21. Oktober 2002, i.S. F.M. ca. P.M.
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AG_HG_001
AG_HG
AG
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AG_HG_001_AGVE-2002-3_2001-01-03
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-3.html
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AGVE_2002_3
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39f639cb-7160-5218-a798-e42a1fb51669
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de
2003 Obergericht/Handelsgericht 38 [...] 7 Art. 102 Abs. 2 und 105 Abs. 1 OR. Die Verabredung eines Verfalltags gemäss Art. 102 Abs. 2 OR bedeutet nicht, dass das dispositive Recht von Art. 105 Abs. 1 OR keine Anwen- dung findet. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 26. März 2003 in Sachen U. K.-H. gegen M. K. Aus den Erwägungen 3. a) Die Feststellung des Eintritts des Verzugs und dessen Fol- gen sind Rechtsanwendung, weshalb der Antrag der Klägerin, defini- tive Rechtsöffnung sei zu erteilen für 5 % Zins "seit wann rechtens", genügt, sofern sich dies aufgrund des unbestrittenen Sachverhalts feststellen lässt. Die Vorinstanz berechnete den Verzugszins ab mitt- lerem Verfall mit der Begründung, die Parteien hätten einen Verfall- 2003 Zivilrecht 39 tag vereinbart, weshalb das dispositive Recht von Art. 105 Abs. 1 OR keine Anwendung finde. b) Richtig ist, dass die Parteien einen Verfalltag verabredet hat- ten und Art. 105 Abs. 1 OR dispositives Recht ist. Daraus folgt je- doch entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht, dass Art. 105 Abs. 1 OR im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommt. Die Verabredung eines bestimmten Verfalltags hat zur Folge, dass der Schuldner mit Ablauf desselben in Verzug gerät (Art. 102 Abs. 2 OR). Mit der Verabredung eines Verfalltags haben die Parteien somit lediglich den Verzugseintritt gemäss Art. 102 Abs. 2 OR, nicht hinge- gen dessen Wirkungen geregelt. Diese richten sich deshalb nach Art. 103 ff. OR. Danach hat der Schuldner, der sich mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug befindet, im Allgemeinen Verzugszins zu 5 % ab Verzugseintritt zu bezahlen (Art. 104 Abs. 1 OR). Ist indessen ein Schuldner wie der Beklagte mit der Zahlung einer Unterhaltsrente in Verzug, hat er Verzugszinse erst vom Tag der Anhebung der Be- treibung oder der gerichtlichen Klage an zu bezahlen (Art. 105 Abs. 1 OR), sofern die Parteien nicht etwas Entgegenstehendes ver- einbart haben (Art. 105 Abs. 2 OR). Eine solche Vereinbarung im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OR ist entgegen der Auffassung der Vorin- stanz nicht bereits in der Verabredung eines Verfalltages zu sehen, sondern läge erst vor, wenn die Parteien übereingekommen wären, dass Verzugszinse schon vor der Anhebung der Betreibung oder Kla- geeinleitung, etwa mit dem Verfalltag, zu laufen beginnen (Weber, Berner Kommentar, Bern 2000, N. 20 zu Art. 105 OR). Da eine sol- che Vereinbarung, die nach Art. 105 Abs. 2 OR zu beurteilen gewe- sen wäre, nicht vorliegt, ist nicht bereits der Verzugseintritt gemäss Art. 102 Abs. 2 OR, sondern erst der Zeitpunkt, in welchem der Gläubiger zur Durchsetzung seiner Ansprüche die Hilfe staatlicher Institutionen beansprucht, das heisst die Anhebung der Betreibung oder Klageeinleitung, massgebend (Wiegand, Basler Kommentar, Basel und Frankfurt am Main 1996, N. 2 zu Art. 105 OR mit Hin- weis; dazu auch Weber, a.a.O., N. 17 zu Art. 105 OR; Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1997, N. 20 zu Art. 289 ZGB; Breitschmid, Basler Kommentar, Basel/Genf/München 2002, N. 32 zu Art. 285 ZGB). Im Falle der Betreibung wird nach ständiger Praxis der 4. Zi- 2003 Obergericht/Handelsgericht 40 vilkammer des Obergerichts auf das Datum der Zustellung des Zah- lungsbefehls abgestellt (vgl. dazu auch Wüthrich/ Schoch, Kommen- tar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel/Genf/München 1998, N. 24 zu Art. 72 SchKG; Spühler/ Stücheli/Pfister, Schuldbetreibung und Konkursrecht, Band I, Zürich 1996, S. 63; Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemei- ner Teil, Zürich 1988, S. 362).
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AG_HG_001
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de
2005 Strafprozessrecht 77 [...] 17 Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG; § 2 Abs. 3 VG Für Schäden, welche eine Amtsperson in Ausübung einer amtlichen Ver- richtung zugefügt hat, bestehen ausschliesslich Ansprüche gegen den Staat. Das Opfer ist demnach im Strafverfahren nicht zur Ergreifung von Rechtsmitteln legitimiert, weil sich allfällig entstandene Ansprüche weder gegen den Angeschuldigten richten noch zivilrechtlicher Natur sind (Praxisänderung zu AGVE 1997 Nr. 44 S. 136 f.). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 18. Januar 2005 in Sachen Staatsanwaltschaft und A.S. gegen A.M. Aus den Erwägungen 2. a) Gemäss Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG), in Kraft seit 1. Januar 1993, kann das Opfer sich am Strafverfahren beteiligen. Es kann insbesondere den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann (Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG). b) Gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer, wer durch eine Straftat in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmit- telbar beeinträchtigt worden ist. Der Berufungskläger macht geltend, der Angeklagte habe sich der fahrlässigen schweren Körperverlet- zung schuldig gemacht, indem er es unterlassen habe, die erforderli- chen Sicherheitsmassnahmen vorzukehren, was dazu geführt habe, dass er querschnittgelähmt sei. Durch die angebliche Straftat wurde er in seiner körperlichen Integrität erheblich verletzt und ist somit Opfer im Sinne der genannten Bestimmung. c) Erforderlich ist weiter, dass dem Opfer durch die inkriminier- te Tat Zivilansprüche gegen den Angeschuldigten entstanden sind und dass der angefochtene Entscheid diese betrifft oder sich auf de- 2005 Obergericht 78 ren Beurteilung auswirken kann (BGE 127 IV 185 E. 1a S. 187, bestätigt in BGE 128 IV 188). aa) Zivilansprüche im Sinne des OHG sind solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. Primär handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung gestützt auf Art. 41 ff. OR. Für Schäden, die durch Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursacht wur- den, können die Gemeinwesen von Bund und Kantonen von Art. 41 ff. OR abweichende Bestimmungen erlassen (Art. 61 Abs. 1 OR). Gestützt auf diese Bestimmung tritt gemäss der Gesetzgebung des Bundes und der meisten Kantone als Haftungssubjekt an die Stelle des Mitarbeiters des öffentlichen Dienstes das Gemeinwesen, so dass der Geschädigte ausschliesslich dieses belangen kann (Häfe- lin/Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 4. Auf- lage, Zürich 2002, N. 2306). Ist der Angeschuldigte ein Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und hat er die ihm vorgeworfene Tat in Ausübung seiner amtlichen Verrichtungen begangen, so ist deshalb zu prüfen, wie das anwendbare öffentliche Recht die Haftung regelt. Sieht dieses eine primäre ausschliessliche Haftung der juristischen Person des öffentlichen Rechts vor, so entfällt ein direkter Anspruch gegen den Angeschuldigten und damit auch eine zivilrechtliche Forderung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG sowie die Legitima- tion zur Berufung. Da die zivilrechtliche Haftung des Mitarbeiters im öffentlichen Dienst für Schäden, die er in Ausübung der amtlichen Verrichtung verursacht, die Ausnahme ist, muss in der Berufung ge- nau dargelegt werden, welche Ansprüche dem Berufungskläger ge- stützt auf das Privatrecht gegen den Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zustehen (BGE 128 IV 188 E. 2.2 f.; 127 IV 189 E. 2b; 125 IV 161 E. 2 und 3). bb) Angeschuldigt ist vorliegend ein Mitarbeiter der Stadt X. Die Berufung enthält jedoch keinerlei Angaben darüber, welche Forderungen dem Berufungskläger gestützt auf das Privatrecht zuste- hen könnten. Gemäss Art. 75 der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 (SAR 110.000) haften der Kanton und die Gemeinden für den Schaden, den ihre Behörden oder Beamte bei der 2005 Strafprozessrecht 79 Ausübung der amtlichen Tätigkeiten widerrechtlich verursacht ha- ben. Entsprechend sieht § 2 des Verantwortlichkeitsgesetzes (Gesetz über die Verantwortlichkeit der öffentlichen Beamten und Angestell- ten und über die Haftung des Staates und der Gemeinden für ihre Be- amten vom 21. Dezember 1939; SAR 150.100) vor, dass der Kanton und die Gemeinden verpflichtet sind, für Schaden Ersatz zu leisten, der Dritten durch öffentliche Beamte, Angestellte und Arbeiter in Ausübung ihres Dienstes widerrechtlich, sei es absichtlich, sei es fahrlässig, zugefügt worden ist. Entsprechend ist gemäss § 2 Abs. 3 das direkte Klagerecht gegen fehlbare Beamte, Angestellte oder Ar- beiter ausgeschlossen. cc) Demnach stehen dem Geschädigten für den Schaden, den ihm ein Mitarbeiter einer Gemeinde des Kantons Aargau in Aus- übung einer amtlichen Verrichtung zugefügt haben soll, ausschliess- lich Ansprüche gegen den Staat zu. Der Berufungskläger hat somit keine Möglichkeit, den seiner Ansicht nach fehlbaren Mitarbeiter der Gemeinde X. ins Recht zu fassen. Die Voraussetzungen der Staats- haftung, der Umfang der Entschädigung, die Geltendmachung sowie die Verwirkung und Verjährung von Ansprüchen werden vom kanto- nalen Recht abschliessend geregelt. Es handelt sich dabei um öf- fentliches Recht (BGE 125 IV 161 E. 2b mit Hinweis auf 122 III 101 E. 1). Soweit dem Berufungskläger überhaupt Ansprüche aus dem Verhalten des Angeklagten entstanden sind, richten sie sich weder gegen diesen noch sind sie zivilrechtlicher Natur. Der Berufungsklä- ger ist daher vorliegend zur Erhebung der Berufung nicht berechtigt (BGE 127 IV 189 E. 2b, 125 IV 161 E. 2 und 3, Urteil des Bundesge- richts vom 26. September 2003 6P.66/2003/6S.165/2003). Auf die Berufung ist daher nicht einzutreten. dd) Das Obergericht hat in seiner früheren Rechtsprechung an- ders entschieden: So wurde in AGVE 1997 Nr. 44 S. 136 in einem ähnlich gelagerten Fall die Legitimation eines Opfers zur Berufung im Zusammenhang mit Beamten mit der Begründung bejaht, das Strafurteil könne sich auf die mit Klage gegen den Staat geltend zu machenden Zivilansprüche auswirken. An dieser Rechtsprechung kann im Lichte der neueren, in mehreren Urteilen bestätigten bundes- 2005 Obergericht 80 gerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr festgehalten werden. Die Praxis des Obergerichts wird entsprechend geändert.
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AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2005-17_2005-01-02
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2,004
de
2004 Obergericht/Handelsgericht 52 8 Zivilprozess, Sicherstellung der Parteikosten Die Zahlungsunfähigkeit einer Aktiengesellschaft lässt sich nicht daraus ableiten, dass ihr einziger Verwaltungsrat früher auch alleiniger Verwal- tungsrat und Hauptaktionär einer konkursiten Gesellschaft gewesen ist. Auszug aus der Verfügung des Instruktionsrichters des Handelsgerichts vom 5. März 2004 in Sachen Z. AG gegen MC. AG Aus den Erwägungen 4. Die Gesuchstellerin will die Zahlungsunfähigkeit der Ge- suchsgegnerin aus der Tatsache ableiten, dass die konkursite MT. AG vom gleichen Alleinverwaltungsrat geführt worden ist wie die Ge- suchsgegnerin selbst und es sich bei diesem überdies wiederum um den Alleinaktionär der Gesuchsgegnerin handle. Letzteres wird von der Gesuchsgegnerin allerdings bestritten. a) Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. Die Zahlungsunfähigkeit muss damit grund- sätzlich in ihrer Person begründet sein. Dagegen reicht nach der Rechtsprechung die Zahlungsunfähigkeit eines Gesellschafters nicht aus, um die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu begründen (KassGer ZH, SJZ 1995, 96 ff.; für die Kollektivgesellschaft HGer AG, AGVE 2002, 60 ff.). Umso weniger lässt sich die Zahlungsunfä- higkeit der Gesuchsgegnerin aus dem Umstand ableiten, dass ihr einziger Verwaltungsrat auch alleiniger Verwaltungsrat und Haupt- aktionär einer Aktiengesellschaft war, die in Konkurs gefallen ist (so auch BGE 111 II 206 Erw. 3). Die gegenteilige Ansicht hätte zur Folge, dass es dem Verwaltungsrat einer konkursiten Aktiengesell- schaft nicht mehr möglich wäre, als Exekutivorgan einer neuen Ak- tiengesellschaft tätig zu sein, ohne diese dem andauernden Makel der Zahlungsunfähigkeit auszusetzen. Zahlungsunfähigkeit bedeutet eben mehr und etwas anderes als mangelnde Kreditwürdigkeit. b) [...] 5. Aus diesen Gründen kann der Nachweis der Zahlungsunfä- higkeit der Gesuchsgegnerin im vorliegenden Fall nicht als geleistet 2004 Zivilprozessrecht 53 gelten. Das Gesuch um Sicherstellung der Parteikosten der Gesuch- stellerin im Hauptprozess ist abzuweisen.
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AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2004-8_2004-03-05
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-8.html
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HOR.2019.45 / as / mv Urteil vom 29. Mai 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Ersatzrichter Meichssner Handelsrichter Bäumlin Handelsrichterin Baumann Handelsrichter Nauer Gerichtsschreiber Schneuwly Klägerin 1 H. AG, _ Klägerin 2 C. AG LTD, _ Klägerin 3 F. AG, _ 1, 2 und 3 vertreten durch MLaw Darko Radovic, Rechtsanwalt, Alte Stein- hauserstrasse 1, 6330 Cham Beklagte R. AG, _ vertreten durch Dr. iur. Matthias Schwaibold, Rechtsanwalt, Dufourstrasse 48, Postfach 269, 8024 Zürich Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Verstösse gegen das UWG - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin 1 ist eine schweizerische Aktiengesellschaft mit Sitz in L. Sie erbringt hauptsächlich Dienstleistungen im Treuhandbereich, insbesondere die Vermittlung von Finanzsanierungen und Zahlungsabwicklungen (Kla- gebeilage [KB] 2). Die Klägerin 2 ist eine private company limited by shares mit Sitz in England und Wales sowie Büroadresse in Manchester (KB 3). Die Klägerin 3 ist eine private company limited by guarantee mit Sitz in England und Wales sowie Büroadresse in Manchester (KB 4). 2. Die Beklagte ist eine schweizerische Aktiengesellschaft mit Sitz in Z. (AG). Sie bezweckt gemäss Handelsregister im Wesentlichen alle Tätigkeiten im Medienbereich und in der Informationsvermittlung, insbesondere im Ver- lagswesen und im Bereich der transaktionsbasierten Internetplattformen. 3. 3.1. Am 21. Juli 2019 publizierte die Beklagte unter dem Titel "Verschuldet – und auch noch von Kredithaien abgezockt: Gesundheitlich angeschlagener Berner Musiker S.G. (44) fiel auf miese Masche rein" einen Onlinebericht (nachfolgend: fraglicher Onlinebericht (vgl. KB 24); siehe für das Publikati- onsdatum unter der Box nach dem Beitrag: "Publiziert: 21.07.2019, 23:02 Uhr; zuletzt aktualisiert: 30.07.2019, 16:33 Uhr"). 3.2. Diesem fraglichen Onlinebericht wurde ein 3 Minuten und 4 Sekunden lan- ges Video angehängt, das ein Interview mit S.G. enthält. 4. Mit Klage vom 11. November 2019 (Postaufgabe gleichentags) stellten die Klägerinnen 1-3 folgende Rechtsbegehren: " 1. Die Beklagte sei zu verpflichten, den unter der nachfolgenden URL «https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/gesundheitlich--berner-musiker-stefan-gertsch-44-fiel-auf-miese-masche-rein--und-auch-noch-von-kredithaien-abgezockt-id15430809.html» veröffentlichten Artikel mitsamt des dazugehörigen Videos innerhalb von 3 Tagen ab Rechtskraft des Urteils unter Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB – auch gegen ihre zuständigen Organe – unwiderruflich zu löschen; https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/gesundheitlich-angeschlagener-berner-musiker-stefan-gertsch-44-fiel-auf-miese-masche-rein-verschuldet-und-auch-noch-von-kredithaien-abgezockt-id15430809.html https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/gesundheitlich-angeschlagener-berner-musiker-stefan-gertsch-44-fiel-auf-miese-masche-rein-verschuldet-und-auch-noch-von-kredithaien-abgezockt-id15430809.html https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/gesundheitlich-angeschlagener-berner-musiker-stefan-gertsch-44-fiel-auf-miese-masche-rein-verschuldet-und-auch-noch-von-kredithaien-abgezockt-id15430809.html - 3 - 2. Die Beklagte sei zu verpflichten, das unter der nachfolgenden URL «https://www.blick.ch/incoming/auf-internet-betrueger-reingefallen--gertsch-ist-hoch-verschuldet-id15430806.html» veröffentlichte Video innerhalb von 3 Tagen ab Rechtskraft des Urteils unter Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB – auch gegen ihre Organe – unwiderruflich zu löschen; 3. Die Beklagte sei zu verpflichten, das unter der nachfolgenden URL «https://www.blick.ch/news/schweiz/ostschweiz/blick-spuert--appenzeller-1-zimmer-wohnung-auf-die-finanzsanierer--kostenlos-id15430805.html» veröffentlichte Video innerhalb von 3 Tagen ab Rechtskraft des Urteils unter Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB – auch gegen ihre Organe – unwiderruflich zu löschen; 4. Die Beklagte sei zu verpflichten, bei Google Schweiz im Sinne eines Cache-Antrags zu veranlassen, dass Verweise auf die Klägerinnen 1 – 3 aus den Google-Speichern vollständig und unwiderruflich gelöscht werden. 5. Es sei gerichtlich festzustellen, dass die Beklagte die der Klägerinnen durch den in Ziff. 1 erwähnten Artikel gemäss Art. 28 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 28a Abs. 1 Ziff. 3 ZGB widerrechtlich hat; dies insbesondere durch die folgenden Aussagen: Die Klägerinnen 1 – 3 seien Kredithaie Die Klägerinnen 1 – 3 seien Betrüger Die Klägerin [recte: Klägerinnen] 1 und 3 würden ihren Kunden Geld versprechen, trotz negativer Bonität Die Klägerin 2 habe S.G. brieflich bestätigt, den Kredit ganz verbindlich auszahlen zu können Die Klägerin 2 habe S.G. dahingehend informiert, dass er mit der Ratenzahlung à 800 Franken beginnen solle; der Kredit werde dann umgehend freigegeben Die Klägerin 2 habe S.G. zur Rückzahlung von Kreditraten , obwohl ihm der Kredit gar nicht ausgezahlt worden sei Die Klägerin 2 sei eine Bank Die Klägerin 2 gäbe es nicht mehr 6. Es sei gerichtlich festzustellen, dass die Beklagte durch unlauteren Wettbewerb das berufliche Ansehen und den Geschäftsbetrieb der gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. c UWG widerrechtlich verletzt hat; dies namentlich durch die unter Ziff. 3 Aussagen: https://www.blick.ch/incoming/auf-internet-betrueger-reingefallen-stefan-gertsch-ist-hoch-verschuldet-id15430806.html https://www.blick.ch/incoming/auf-internet-betrueger-reingefallen-stefan-gertsch-ist-hoch-verschuldet-id15430806.html https://www.blick.ch/news/schweiz/ostschweiz/blick-spuert-kredithai-in-appenzeller-1-zimmer-wohnung-auf-die-finanzsanierer-arbeiten-nicht-kostenlos-id15430805.html https://www.blick.ch/news/schweiz/ostschweiz/blick-spuert-kredithai-in-appenzeller-1-zimmer-wohnung-auf-die-finanzsanierer-arbeiten-nicht-kostenlos-id15430805.html https://www.blick.ch/news/schweiz/ostschweiz/blick-spuert-kredithai-in-appenzeller-1-zimmer-wohnung-auf-die-finanzsanierer-arbeiten-nicht-kostenlos-id15430805.html - 4 - 7. Die Beklagte sei zu verpflichten, den Klägerinnen je eine Genugtuung in der Höhe von je CHF 3'000.- zu erstatten; 8. unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten MWST zu 7.7 %)." Zur Begründung wird hauptsächlich ausgeführt, die Publikation des fragli- chen Onlineberichts sowie der entsprechenden Videos sei unwahr und da- mit einerseits je eine Persönlichkeitsverletzung der Klägerinnen 1-3 und anderseits unlauter. 5. Mit Klageantwort vom 7. Januar 2020 stellte die Beklagte die folgenden Rechtsbegehren: " Die Klage sei vollumfänglich abzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen, zuzüglich MWSt. zulasten und unter solidarischer Haftbarkeit der Klägerinnen 1-3." Dabei vertritt die Beklagte im Wesentlichen die Ansicht, ihr Verhalten sei weder persönlichkeitsverletzend noch unlauter oder widerrechtlich. 6. Mit Replik vom 2. März 2020 und Duplik vom 23. April 2020 hielten die Par- teien im Wesentlichen an ihren bisherigen Vorbringen fest. 7. 7.1. Mit Verfügung vom 6. Mai 2020 wurde die Streitsache ans Handelsgericht überwiesen und die Zusammensetzung des Gerichts bekannt gegeben. Zu- dem forderte der Vizepräsident die Parteien auf, dem Handelsgericht schriftlich mitzuteilen, ob sie auf eine Hauptverhandlung gänzlich verzich- ten (Art. 233 ZPO) bzw. alternativ auf die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung verzichten und dem Gericht beantragen, ihre Schluss- vorträge schriftlich einzureichen (Art. 232 Abs. 2 ZPO). 7.2. Mit Eingaben vom 8. und 15. Mai 2020 verzichteten sowohl die Klägerin- nen 1-3 als auch die Beklagte auf die Durchführung einer Hauptverhand- lung und die Einreichung schriftlicher Schlussvorträge. - 5 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Das Gericht prüft von Amtes wegen, ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 60 ZPO). 1.1. Zuständigkeit Vorliegend klagen die Klägerinnen 1-3 in der Form einer aktiven einfachen Streitgenossenschaft aufgrund mutmasslicher Verletzungen ihrer Persön- lichkeitsrechte sowie wegen mutmasslich unlauterem Wettbewerb. Es han- delt sich somit um drei subjektiv gehäufte Klagen, die je eine objektive Kla- genhäufung enthalten (Beseitigungs-, Feststellungs-, Genugtuungskla- gen). 1.1.1. Internationale Zuständigkeit Da die Klägerinnen 2 und 3 ihren Sitz in England und Wales und die Be- klagte ihren Sitz in der Schweiz haben, besteht in Bezug auf diese Klagen ein internationaler Sachverhalt.1 Die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte beurteilt sich deshalb für die Klagen der Klägerinnen 2 und 3 nach den Bestimmungen des IPRG. Vorbehalten bleiben gemäss Art. 1 Abs. 2 IPRG jedoch völkerrechtliche Verträge, wie das LugÜ. Da sowohl die Schweiz wie auch das Vereinigte Königreich LugÜ-Vertragsstaaten sind und es sich vorliegend um eine Zivil- und Handelssache gemäss Art. 1 LugÜ handelt,2 kommt dieses vorliegend grundsätzlich zur Anwendung. Das LugÜ regelt die aktive einfache Streitgenossenschaft nicht. Deren Zu- lässigkeit ergibt sich aus dem Recht der lex fori.3 Nach Art. 2 Ziff. 1 i.V.m. Art. 60 Ziff. 1 LugÜ ist die Beklagte, die ihren Sitz in Z. (AG) und damit in der Schweiz hat, vor den Gerichten ihres Sitzstaates einzuklagen. Die Schweizer Gerichte sind demnach für die vorliegende Klage international zuständig. 1.1.2. National-örtliche Zuständigkeit Art. 2 Ziff. 1 LugÜ regelt lediglich die internationale Zuständigkeit. Die örtli- che Zuständigkeit richtet sich hingegen nach dem IPRG.4 Das IPRG regelt die aktive einfache Streitgenossenschaft nicht.5 Deren Zu- lässigkeit ist somit nach den Bestimmungen der ZPO zu prüfen (vgl. unten E. 1.2). 1 Vgl. BGE 135 III 185 E. 3.1, 131 III 76 E. 2.3; BSK IPRG-UMBRICHT/RODRIGUEZ/KRÜSI, 3. Aufl. 2013, Art. 129 N. 2. 2 Vgl. BSK LugÜ-HOFMANN/KUNZ, 2. Aufl. 2016, Art. 5 N. 475 und N. 479 m.w.N. 3 BSK LugÜ-ROHNER/LERCH, 2. Aufl. 2016, Art. 6 N. 13. 4 BSK LugÜ-DALLAFIOR/HONEGGER, 2. Aufl. 2016, Art. 2 N. 25 ff. 5 BSK IPRG-BERTI/DROESE, 3. Aufl. 2013, Art. 8a N. 9. - 6 - Gemäss Art. 33 Abs. 2 IPRG i.V.m. Art. 129 Abs. 1 IPRG sind für Ansprü- che aus Persönlichkeitsverletzung unter anderem die schweizerischen Ge- richte am Sitz der beklagten Partei zuständig. Dasselbe gilt für Klagen we- gen unlauterem Wettbewerb.6 Da sich der Sitz der Beklagten in Z. (AG) befindet, sind die aargauischen Gerichte national-örtlich für die Klagen der Klägerinnen 2 und 3 zuständig. Ob sich die örtliche Zuständigkeit für die Klage der Klägerin 1 bei dieser Ausgangslage ebenfalls auf das IPRG oder auf Art. 20 lit. a ZPO bzw. Art. 36 ZPO stützt, ist irrelevant, da auch Art. 20 lit. a ZPO und Art. 36 ZPO den Sitz der beklagten Partei als möglichen Gerichtsstand vorsehen. Das Handelsgericht des Kantons Aargau ist für die Klage der Klägerinnen 1-3 international und national örtlich zuständig. 1.1.3. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts ist in Anwendung von Art. 6 Abs. 2 ZPO gegeben: Zumindest die geschäftliche Tätigkeit der Be- klagten als Medienhaus ist durch den fraglichen Onlinebericht betroffen (lit. a). Gegen den vorliegenden Entscheid steht die Beschwerde in Zivilsa- chen an das Bundesgericht offen (geschätzter Streitwert: Fr. 30'001.00 [Klage Rz. I.4; Antwort Rz. 3]). Schliesslich sind die Klägerin 1 und die Be- klagte im schweizerischen Handelsregister und die Klägerinnen 2 und 3 in einem vergleichbaren ausländischen Register, dem Register des Compa- nies House, eingetragen (lit. c) (KB 2-4). Dabei kann gestützt auf Art. 6 Abs. 3 ZPO offengelassen werden, wie es sich mit dem Eintrag der Kläge- rinnen 2 und 3 verhält, weshalb auch dem Argument der Beklagten, es handle sich bei KB 3 und 4 nicht um rechtsgenügliche Dokumente (Antwort Rz. 5), nicht weiter nachgegangen werden muss. 6 BSK IPRG-UMBRICHT/RODRIGUEZ/KRÜSI (Fn. 1), Art. 129 N. 5. - 7 - Überdies liegt die sachliche Zuständigkeit für die Klagen aus unlauterem Wettbewerb gemäss Art. 6 Abs. 4 lit. a ZPO i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. d ZPO und § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO ebenfalls beim Handelsgericht. Das Handelsgericht des Kantons Aargau ist für sämtliche Klagen der Klä- gerinnen 1-3 sachlich zuständig. 1.2. Subjektive Klagenhäufung Sollen Rechte und Pflichten beurteilt werden, die auf gleichartigen Tatsa- chen oder Rechtsgründen beruhen, so können mehrere Personen gemein- sam klagen (Art. 71 Abs. 1 ZPO). Die einfache Streitgenossenschaft ist ausgeschlossen, wenn für die einzelnen Klagen nicht die gleiche Verfah- rensart anwendbar ist (Art. 71 Abs. 2 ZPO). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist weiter die gleiche sachliche Zuständigkeit Prozessvo- raussetzung einer einfachen Streitgenossenschaft.7 Es sind keine Hinweise vorhanden, wonach die vorliegende aktive einfache Streitgenossenschaft der Klägerinnen 1-3 unzulässig sein sollte. Insbeson- dere leiten alle drei Klägerinnen aus demselben fraglichen Onlinebericht und Onlinevideo Ansprüche gegen die Beklagte ab. 1.3. Objektive Klagehäufung Ist das gleiche Gericht für mehrere Ansprüche gegen dieselbe Partei sach- lich zuständig und die gleiche Verfahrensart anwendbar, kann die klagende Partei diese Ansprüche in einer Klage vereinen (Art. 90 ZPO). Es sind keine Hinweise vorhanden, wonach die vorliegenden objektiven Klagenhäufungen der Klägerinnen 1-3 (Verbot, Feststellung und Genugtu- ung) unzulässig sein sollten. 1.4. Feststellungsinteresse Wirkt sich eine Verletzung weiterhin störend aus, kann die Widerrechtlich- keit der Verletzung gemäss Art. 28a Abs. 1 Ziff. 3 ZGB gerichtlich festge- stellt werden. Der Feststellungsklage kommt Beseitigungsfunktion zu.8 Ob ein Feststellungsinteresse für eine Feststellungsklage nach Art. 28a Abs. 1 Ziff. 3 ZGB besteht, beurteilt sich gleich, wie nach Art. 9 Abs. 1 lit. c UWG.9 Das Interesse ist an der Beseitigungsfunktion der Feststellungs- klage zu messen. Entscheidend ist, ob eine Beeinträchtigung besteht, de- ren Beseitigung die beantragte gerichtliche Feststellung herbeizuführen ge- eignet ist. Mit dem Erfordernis der weiterhin störenden Auswirkung wird si- chergestellt, dass die Feststellungsklage nur erhoben werden kann, wenn 7 BGE 142 III 581 E. 2.1 m.w.N. 8 BGE 127 III 481 E. 1c/aa, 123 III 354 E. 1c; BGer 5A_365/2017 vom 13. April 2018 E. 4.1, 5A_376/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 7.1 je m.w.N. 9 BGE 123 III 354 E. 1b; BGer 5A_376/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 7.1. - 8 - der Kläger einer anhaltenden Beeinträchtigung seines Ansehens ausge- setzt ist.10 Es ist dem Verletzten ein schutzwürdiges Interesse daran zuzu- erkennen, mit einer Feststellungsklage seine Rehabilitation zu erreichen.11 Gerade bei Presseäusserungen ist angesichts der Verbreitung unter einer unbestimmten Vielzahl von Lesern regelmässig davon auszugehen, dass der einmal geschaffene Eindruck nachhaltig wirkt, auch wenn dies nicht konkret nachweisbar ist. Im Weiteren werden zumindest periodisch er- scheinende Presseerzeugnisse regelmässig archiviert, so dass auf darin enthaltene Äusserungen noch nach Jahren zurückgegriffen werden kann, sobald sich ein neuer aktueller Anlass bietet. Neue Archivierungstechniken haben diese Möglichkeit noch akzentuiert, auch aufgrund der zunehmen- den Verbreitung und allgemeinen Zugänglichkeit der Printmedien etwa auf dem Internet.12 Es ist offenkundig, dass das, was einmal im Internet publi- ziert ist, dort grundsätzlich unbefristet zugänglich bleibt.13 Sofern eine per- sönlichkeitsverletzende Äusserung in der Presse verbreitet worden ist, kann dem Verletzten daher ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtli- chen Feststellung ihrer Widerrechtlichkeit nur abgesprochen werden, wenn sich die Verhältnisse derart geändert haben, dass die Äusserung jede Ak- tualität eingebüsst oder eine beim Durchschnittsleser hervorgerufene Vor- stellung jede Bedeutung verloren hat, und deshalb auch auszuschliessen ist, dass die verletzende Äusserung bei neuem aktuellem Anlass wieder aufgegriffen und neuerdings verbreitet wird.14 Die Feststellungsklage ist im Persönlichkeitsrecht zudem nicht subsidiär zur Leistungsklage. Beide Klagearten können grundsätzlich nebeneinander bestehen.15 Den fraglichen Onlinebericht publizierte die Beklagte am 21. Juli 2019. Es ist offenkundig (vgl. Art. 151 ZPO), dass er damit aufgrund der heutigen Archivierungstechniken unbefristet im Internet zugänglich bleibt. Zudem handelt es sich um ein Paradebeispiel einer klassischen Presseäusserung eines im Internet periodisch erscheinenden Mediums (Blick), die von einer unbestimmten Vielzahl an Lesern konsumiert wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass der einmal geschaffene, allenfalls persönlichkeitsverlet- zende Eindruck nachhaltig wirkt. 10 BGE 123 III 354 E. 1c. 11 BGE 123 III 354 E. 1d. 12 BGE 123 III 354 E. 1f; BGer 5A_376/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 7.2. 13 BGer 2C_372/2018 vom 25. Juli 2018 E. 3.3. 14 BGE 127 III 481 E. 1c/aa, 123 III 354 E. 1g; BGer 5A_376/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 7.2. 15 HGer ZH HG150249 vom 15. März 2018 E. 1.2; HÜRLIMANN-KAUP/SCHMID, Einleitungsartikel des ZGB und Personenrechts, 3. Aufl. 2016, N. 931; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 4. Aufl. 2016, N. 14.29. Das Nebeneinander zwischen sowie Unterlassungs- und Beseitigungsklage ist jedoch nicht unumstritten (vgl. zum Lehrstreit etwa BSK ZGB I-MEILI, 6. Aufl. 2018, Art. 28a N. 6). - 9 - Den Klägerinnen 1-3 könnte ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtli- chen Feststellung der Widerrechtlichkeit daher nur abgesprochen werden, wenn sich die Verhältnisse derart geändert hätten, dass die Äusserung jede Aktualität eingebüsst oder eine beim Durchschnittsleser hervorgerufene Vorstellung jede Bedeutung verloren hätte, und deshalb auch auszu- schliessen wäre, dass die verletzende Äusserung bei neuem aktuellem An- lass wieder aufgegriffen und erneut verbreitet würde. Solche Umstände lie- gen nicht vor. Insbesondere kann nicht ausgeschlossen werden, dass die von der Beklagten geschaffene Berichterstattung nicht wieder aufgewärmt würde, wenn hierzulande in den Medien erneut über die Geschäftsprakti- ken der Klägerinnen 1-3 berichtet würde. Schliesslich wäre die Feststellung der Widerrechtlichkeit auch geeignet, die allfällige Beeinträchtigung der Klägerinnen 1-3 durch die Beklagte zu beseitigen. Da sich die allfälligen Persönlichkeitsverletzungen somit weiterhin störend auswirken, haben die Klägerinnen 1-3 an der Feststellung der Widerrechtlichkeit des fraglichen Onlineberichts ein schutzwürdiges Interesse. Auf die Feststellungsklage der Klägerinnen 1-3 ist einzutreten. 2. Anwendbares Recht 2.1. Persönlichkeitsverletzung Ansprüche aus der Verletzung der Persönlichkeit durch Medien unterste- hen nach der Wahl des Geschädigten dem Recht des Staates, in dem der Geschädigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in diesem Staat rechnen musste, dem Recht des Staates, in dem der Urheber der Verletzung seine Niederlassung oder sei- nen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder dem Recht des Staates, in dem der Erfolg der verletzenden Handlung eintritt, sofern der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in diesem Staat rechnen musste (Art. 139 Abs. 1 lit. a- c IPRG). Vorliegend bringen die Klägerinnen 2 und 3 in ihrer Klageschrift vom 11. November 2019 einzig Schweizer Recht vor. Auf ausländisches Recht beziehen sie sich nicht. Demnach haben sich die Klägerinnen 1-3 für das Recht der Schweiz entschieden, in der die Beklagte als potentielle Verlet- zerin ihre Niederlassung, d.h. ihren Sitz, hat (Art. 139 Abs. 1 lit. b IPRG i.V.m. Art. 21 Abs. 4 IPRG). 2.2. Unlauterer Wettbewerb Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb unterstehen dem Recht des Staa- tes, auf dessen Markt die unlautere Handlung ihre Wirkung entfaltet (sog. Marktauswirkungsprinzip;16 Art. 136 Abs. 1 IPRG). Die Klägerinnen 2 und 3 bieten ihre Dienstleistungen auf dem Schweizer Markt an. Der fragliche Onlinebericht und das Onlinevideo sind zumindest 16 BSK IPRG-DASSER, 3. Aufl. 2013, Art. 136 N. 11. - 10 - objektiv geeignet, sich auf dem Schweizer Markt auszuwirken.17 Entspre- chend kommt auf die geltend gemachten unlauteren Wettbewerbshandlun- gen Schweizer Recht zur Anwendung. 3. Auslegung der Rechtsbegehren Im Prozess abgegebene Parteierklärungen, bspw. Rechtsbegehren, sind objektiv nach allgemeinen Grundsätzen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben im Lichte der Begründung ihrem erkennbaren Sinn gemäss auszulegen.18 Das Rechtsbegehren Ziff. 6 ist auslegungsbedürftig, da es auf die unter Rechtsbegehren Ziff. 3 erwähnten – dort aber nicht vorhandenen – Aussa- gen verweist. Nach Treu und Glauben kann das Rechtsbegehren Ziff. 6 nur so verstanden werden, dass auf die unter Rechtsbegehren Ziff. 5 erwähn- ten Aussagen verwiesen wird (vgl. auch Replik Rz. 5). 4. Fragliche Medienberichterstattung Die vorliegend fragliche Medienberichterstattung besteht aus einem On- linebericht in Textform und einem online abrufbaren Video. 4.1. Fraglicher Onlinebericht Der fragliche Onlinebericht besteht aus einem Haupt- und einem Untertitel (Schlagzeile), mehreren Zwischentiteln, einer Bildsequenz und einer Box mit Zusatzinformationen zur seriösen Schuldensanierung (KB 24). Der Haupttitel lautet: "Verschuldet – und auch noch von Kredithaien abge- zockt", der Untertitel: "Gesundheitlich angeschlagener Berner Musiker S.G. (44) fiel auf miese Masche rein". Nach einem ersten Zwischentitel "S.G. aus A. BE hat hohe Schulden. In seiner Verzweiflung hoffte er am Ende auf einen «Schuldensanierer» aus dem Internet. Und wurde kaltherzig über den Tisch gezogen." wird in zwei Absätzen beschrieben, dass S.G. gesundheitliche und finanzielle Probleme hat. Letztere rühren insbesondere von Schulden, die er für seine Musikin- strumente aufgenommen hat und dringend zurückzahlen muss, her. Mit seiner Musik verdiene S.G. nicht genug. Nach einem zweiten Zwischentitel «Niemand gäbe mir einen Kredit» wird in vier Absätzen beschrieben, wie sich die finanzielle Situation von S.G., wegen des Verhaltens eines Gläubigers, zugespitzt habe. In seiner Ver- zweiflung habe S.G. im Internet unter Verwendung des Suchbegriffs «Kre- dit trotz Betreibung» nach Hilfe gesucht. Er sei auf unzählige Unternehmen gestossen, die Hilfe angeboten hätten, unter anderem auf die Klägerin 3, 17 Vgl. BSK IPRG-DASSER (Fn. 16), Art. 136 N. 15. 18 BGer 5A_773/2018 vom 30. April 2019 E. 7.2, 5A_753/2018 vom 21. Januar 2019 E. 3.1. - 11 - die Kreditor AG und die Klägerin 1. Die Liste solcher Unternehmen, die trotz negativer Bonität Geld versprechen würden, liesse sich fast unendlich ver- längern. Dieses Suchergebnis habe in S.G. Hoffnung geweckt. Er habe bei der Klägerin 3 online einen Antrag ausgefüllt und keine 48 Stunden danach sei die Botschaft gekommen, sein Antrag auf Finanzsanierung sei geprüft und vom durchführenden Institut verbindlich genehmigt worden. Einziger Wermutstropfen sei gewesen, dass S.G. für die garantierte Vermittlung eine Servicegebühr von Fr. 2'200.00 in Rechnung gestellt worden sei, be- vor der Vertrag aktiviert werde. Der dritte Zwischentitel lautet "Tausende Franken Vorleistung". Es folgen Ausführungen darüber, dass S.G. der Klägerin 3 die Servicegebühr unter Aufnahme eines weiteren Darlehens bei einem Bekannten bezahlte. Doch diese habe den Kreditbetrag nicht ausbezahlt. Stattdessen habe sich die Klägerin 2 gemeldet, weil die Klägerin 3 den Kreditantrag bloss an diese vermittelt habe. Die Klägerin 2 habe bestätigt, den Kredit «ganz verbind- lich» auszahlen zu können, sobald S.G. eine Sicherheitszahlung von Fr. 3'900.00 geleistet habe. S.G. habe hierfür abermals Geld aufgenom- men und bezahlt. Danach sei ihm mitgeteilt worden, er solle mit der Raten- zahlung à Fr. 800.00 beginnen. Der Kredit werde dann umgehend freige- geben. Zwei Monatsraten habe S.G. einbezahlt, bis es ihm gedämmert habe, er werde abgezockt. Den Kredit habe er nie bekommen, dafür rund Fr. 8'000.00 verloren. Heute wisse er, er sei dumm gewesen und hätte kri- tischer sein müssen. Aufgrund seiner damaligen verzweifelten und aus- weglosen Situation hätten ihm die Internetangebote allerdings viel Hoff- nung gegeben. Der vierte Zwischentitelt lautet «Die Betrüger kennen jeden Kniff». Es wird danach ausgeführt, die soeben beschriebene Masche sei in der Schweiz weitverbreitet. Die Kredithaie würden jeden Kniff kennen. In ihrer Wortwahl würden sie nie einen Kredit anbieten, sondern immer nur eine Schuldensa- nierung. Um Misstrauen bei potentiellen Kunden zu vermeiden, würden sie gefälschte Konsumentenschutzseiten angeben. Der FINMA sei das Prob- lem mit den Kredithaien bekannt und sie warne davor. Die Klägerin 2, die S.G. über den Tisch gezogen habe, sei etwa auf einer Warnliste der FINMA vermerkt. Mehr könne die FINMA nicht tun, weil diese Unternehmen selbst keine Kredite vergeben würden und daher keine aufsichtsrechtlichen Be- rührungspunkte bestünden. Unter dem letzten Zwischentitel "Erschüttert über Skrupellosigkeit" wird die derzeitige Lage von S.G. aufgearbeitet. Sein finanzielles Chaos sei nun grösser als zuvor und raube ihm den Schlaf. Persönlich mache ihm die Er- fahrung zu schaffen, dass es so skrupellose Menschen gebe, die sogar jemanden mit Geldproblemen übers Ohr hauen würden. Zur Darlehens- rückzahlung überlege er sich jetzt sogar, seine Trompete zu verkaufen, was ihm unvorstellbar wehtue. - 12 - 4.2. Fragliches Onlinevideo Das fragliche Onlinevideo entspricht grösstenteils dem Inhalt des fraglichen Onlineberichts. Es wird unter anderem ausgeführt, die Klägerin 3 habe S.G. trotz schlechter Bonität versprochen, wenn er Geld einzahlen würde, dann hätten sie jemanden, der ihm das Geld gebe. Aber selbst die Klägerin 2 hätte ihm nach Leistung der Fr. 3'900.00 das Geld nicht ausbezahlt. Ob- wohl er kein Geld bekommen habe, hätte er schon Kreditraten abzahlen müssen. Nach dem Wechsel der Bankverbindung habe S.G. wegen des Hin und Her dann geschlossen, es handle sich um einen Betrug. Gesamt- haft habe er Fr. 8'000.00 verloren. Ihm sei zwar gesagt worden, er habe noch knapp Fr. 3'000.00 zu Gute, die habe er aber nie erhalten und die C.- Bank gebe es nicht mehr (Klage Rz. 15 f.). 5. Persönlichkeitsverletzung 5.1. Grundlagen 5.1.1. Schutzbereiche, Aktiv- und Passivlegitimation 5.1.1.1. Rechtliches Gemäss Art. 28 Abs. 1 ZGB kann, wer in seiner Persönlichkeit widerrecht- lich verletzt ist, zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mit- wirkt, das Gericht anrufen. Das Persönlichkeitsrecht verschafft seinem Träger die privatrechtliche Be- fugnis, über die persönlichen Güter grundsätzlich frei von fremder Einwir- kung zu herrschen. Fremde Einwirkungen können unter anderem durch Presseäusserungen in Erscheinung treten.19 Die Persönlichkeit umfasst al- les, was der Individualisierung einer Person dient und im Hinblick auf die Beziehung zwischen den einzelnen Individuen und im Rahmen der guten Sitten als schutzwürdig erscheint.20 Gegenstand des Persönlichkeitsrechts sind unter anderem das Recht auf Achtung der Privatsphäre, das Recht auf Achtung des gesellschaftlichen und beruflichen Ansehens, d.h. der Ehre, sowie das Recht am eigenen Bild und am eigenen Namen.21 Aktivlegitimiert ist jedes Rechtssubjekt, d.h. auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesamtheiten, aber nur der Verletzte, nicht jeder- mann.22 Passivlegitimiert ist in erster Linie der Urheber einer Verletzungshandlung, d.h. jeder, der an der Verletzung der Persönlichkeit mitwirkt. Gegen wen klageweise vorgegangen werden soll, bestimmt der Verletzte.23 19 BGE 143 III 297 E. 6.4.1. 20 BGE 143 III 297 E. 6.4.1, 70 II 127 E. 2, 45 II 623 E. 1. 21 BGE 143 III 297 E. 6.4.2, 127 III 481 E. 2b/aa, 97 II 97 E. 3; BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 17. 22 BGE 95 II 481 E. 4; BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 32 f. 23 BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 37 m.w.N. - 13 - 5.1.1.2. Würdigung Die Klägerinnen 1-3 sind juristische Personen und berufen sich darauf, dass die Beklagte durch den fraglichen Onlinebericht und das fragliche On- linevideo ihre geschäftliche Ehre verletzt habe. Damit ist der Schutzbereich ihres Persönlichkeitsrechts betroffen und Aktiv- sowie Passivlegitimation der Parteien sind zu bejahen. 5.1.2. Prüfungsablauf und Beweislast Im Rahmen von Art. 28 ZGB ist praxisgemäss in zwei Schritten zu prüfen, ob erstens eine Persönlichkeitsverletzung und zweitens ein Rechtferti- gungsgrund vorliegen.24 Die Beweislast für die Sachumstände, aus denen sich die Persönlichkeits- verletzung ergibt, liegt bei den Klägerinnen 1-3 als mutmassliche Opfer. Die Beweislast für die einem Rechtfertigungsgrund zugrundeliegenden Tatsa- chen obliegt demgegenüber der Beklagten als mutmassliche Urheberin der Verletzung.25 Hierzu gehört auch der Nachweis, dass bestimmte Tatsa- chenaussagen in einem Medienbericht der Wahrheit entsprechen oder eine vorgetragene Kritik begründet ist.26 Es genügt, wenn sich der im Medien- bericht erhobene Vorwurf auf genügende Anhaltspunkte zu stützen ver- mochte. Durch Kritik, für die hinreichend ernsthafte Anhaltspunkte beste- hen, wird der Betroffene nicht oder jedenfalls nicht unbefugt in ein falsches Licht gesetzt. Solche Kritik soll vielmehr geäussert werden dürfen, auch durch die Medien, zu deren Aufgaben es gehört, Missstände zu thematisie- ren.27 5.1.3. Presseäusserungen und Durchschnittsleser 5.1.3.1. Rechtliches Ob das berufliche und gesellschaftliche Ansehen einer Person in einschlä- giger Weise durch eine Presseäusserung geschmälert wird, beurteilt sich nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen, sondern nach ei- nem objektiven Massstab. Zu prüfen ist nach der bundesgerichtlichen Pra- xis, ob das Ansehen, vom Durchschnittsleser aus gesehen, als beeinträch- tigt erscheint, wobei die konkreten Umstände, wie etwa der Rahmen der Äusserung, in Betracht zu ziehen sind. Es kommt somit auf den Wahrneh- mungshorizont eines Durchschnittslesers an.28 Der Umstand, dass eine 24 BGE 136 III 410 E. 2.2.1; BGer 5A_658/2014 vom 6. Mai 2015 E. 8.2, 5A_376/2013 vom 29. Okto- ber 2013 E. 3.1. 25 BGE 142 III 263 E. 2.2.1 i.f., 136 III 410 E. 2.3; BGer 5A_801/2018 vom 30. April 2019 E. 6.2, 5A_658/2014 vom 6. Mai 2015 E. 8.2; BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28a N. 56. 26 BGE 143 III 297 E. 6.7.1. 27 BGE 123 III 354 E. 2b. 28 BGE 143 III 297 E. 5.2.4 [nicht publ.], 135 III 145 E. 5.2; BGer 5A_376/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 3.2. - 14 - Äusserung in einem Presseerzeugnis erfolgt, das einen nicht unerhebli- chen Anteil seiner redaktionellen Kräfte auf den Boulevardjournalismus ver- wendet, ändert grundsätzlich nichts an der vorzunehmenden Beurteilung.29 Eine Persönlichkeitsverletzung kann sich aus einzelnen Behauptungen o- der auch aus dem Zusammenhang einer Darstellung oder sogar aus dem Zusammenspiel mehrerer Meldungen ergeben.30 Daraus folgt, dass auch lediglich einzelne Teile einer Presseäusserung persönlichkeitsverletzend sein können. Typisches Beispiel ist die Verwendung von Bildern sowie Ti- teln.31 Wird die Beseitigung oder die Feststellung der Widerrechtlichkeit ei- nes gesamten Presseartikels beantragt, so steht es mit der Dispositions- maxime (Art. 58. Abs. 1 ZPO) im Einklang, bloss einzelne Teile des besag- ten Presseartikels, d.h. etwa bloss der Titel, die Verwendung des Namens oder eines Bildes, als widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung zu qualifi- zieren. Damit wird lediglich weniger als verlangt und nicht etwas anderes als verlangt zugesprochen. 5.1.3.2. Würdigung Der fragliche Onlinebericht qualifiziert zweifellos als Presseerzeugnis einer für Boulevardjournalismus bekannten Zeitung (Blick; vgl. auch KB 29). Beim Durchschnittsleser des Onlineblicks handelt es sich um eine wohl durchschnittlich gebildete Person ohne besondere juristische Kenntnisse und Verständnisse, die den Blick meist auf dem Weg (bspw. zur Arbeit) oder Zwischendurch (bspw. zum Zeitvertrieb) liest, nicht aber, um sich in- tensiv (bspw. wissenschaftlich) mit dem angesprochenen Thema auseinan- derzusetzen. Die Blickartikel liest er nicht akribisch genau, Wort für Wort, sondern versucht, dem Artikel die wichtigen Kernbotschaften zu entneh- men, ohne einzelnen Wörtern, sofern sie nicht in den Vordergrund gerückt werden, überproportionale Bedeutung zuzumessen. Es ist von einer eher geringen Aufmerksamkeit32 auszugehen. 5.1.4. Individualisierbarkeit Eine Persönlichkeitsverletzung setzt die Individualisierbarkeit der durch die Verletzungshandlung betroffenen Person voraus. Der Angriff muss sich ge- gen eine bestimmte oder zumindest bestimmbare Person richten.33 29 BGE 143 III 297 E. 5.2.4 [nicht publ.], 127 III 481 E. 2b/aa. 30 BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N 42. 31 Vgl. etwa BGE 116 IV 31 E. 5b; BGer 5A_376/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 4 und 5.4; OGer ZH, Entscheid vom 6. März 1970 E. 10 (ZR 1971, S. 117 f.); BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28a N. 6. 32 Vgl. BLATTMANN, in: Heizmann/Loacker (Hrsg.), Kommentar zum UWG, 2018, Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 40 i.f. 33 BGE 135 III 145 E. 3; BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 39. - 15 - Die Klägerinnen 1-3 werden im fraglichen Onlinebericht teilweise zwar nur ungenau mit ihren Firmen genannt (bspw. C. AG) aber doch so, dass sie subjektiv und objektiv ohne Weiteres individualisierbar sind. 5.1.5. Gewisse Schwere der Verletzung notwendig Als Verletzung der Persönlichkeit i.S.v. Art. 28 Abs. 1 ZGB kann nicht jede noch so geringfügige Beeinträchtigung der Persönlichkeit verstanden wer- den, vielmehr muss der Eingriff objektiv eine gewisse Intensität erreichen. Harmlose Beeinträchtigungen, Verletzungen, die sich notwendigerweise aus den Grundbedingungen des menschlichen Zusammenlebens ergeben, die also im gesellschaftlichen Umgang laufend und oft ohne böse Absicht vorkommen, sind keine Persönlichkeitsverletzungen im Rechtssinn.34 5.1.6. Widerrechtlichkeit Eine Persönlichkeitsverletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch ei- nen Rechtfertigungsgrund, bspw. in der Form einer Einwilligung des Ver- letzten, oder durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch das Gesetz gerechtfertigt ist (Art. 28 Abs. 2 ZGB). Folglich ist ohne Rechtfertigungsgrund jede Persönlichkeitsverletzung widerrecht- lich.35 Vorliegend kommt bloss das öffentliche Interesse als Rechtferti- gungsgrund in Betracht. Überwiegend im Sinne von Art. 28 Abs. 2 ZGB ist ein öffentliches Interesse, wenn das Opfer, das dem Verletzten mit dem Eingriff in seine persönlichen Verhältnisse aufgebürdet wird, geringfügiger erscheint als der Vorteil, den eine Mehrheit anderer Personen oder die Allgemeinheit daraus zieht.36 Steht der Informationsauftrag der Presse in Frage, ist unter Berücksichti- gung der konkreten Umstände zu untersuchen, ob dieser die fraglichen Me- dienäusserungen abdeckt, also durch ein besonders gewichtiges Informa- tionsbedürfnis der Öffentlichkeit gerechtfertigt ist. Die Rechtfertigung kann stets nur so weit reichen, als ein Informationsbedürfnis besteht. Die gegen- seitigen Interessen sind sorgfältig abzuwägen. Dem Gericht steht ein ge- wisses Ermessen zu.37 Bei der Abwägung mit den privaten Persönlichkeitsrechten des Verletzten kommt der reinen Unterhaltung bzw. der Neugier der Öffentlichkeit als öf- fentlichem Interesse nicht das Gewicht zu, welches das Informieren – ver- standen als aufklärendes Vermitteln von Neuigkeiten aus verschiedensten 34 BGE 129 III 715 E. 4.1; BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 38; AEBI-MÜLLER, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 28 ZGB N. 3 35 BGE 143 III 297 E. 6.7; BUCHER, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 4. Aufl. 2009, N. 493 f.; BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 45. 36 BGE 143 III 297 E. 6.7.3. 37 BGE 143 III 297 E. 6.7.3, 132 III 641 E. 3.1, 126 III 209 E. 3a; BGer 5A_376/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 3.3. - 16 - Bereichen des Allgemeininteresses – für sich beanspruchen kann. Je wei- ter die reine Unterhaltung als von den Medien bedientes Bedürfnis in den Vordergrund rückt, desto schwieriger fällt es, ein überwiegendes öffentli- ches Interesse anzunehmen.38 Die Verbreitung wahrer Tatsachen ist nach der Rechtsprechung grundsätz- lich durch den Informationsauftrag der Presse gedeckt. Vorbehalten bleibt die Verbreitung von Tatsachen, die den Geheim- oder Privatbereich betref- fen oder die betroffene Person in unzulässiger Weise herabsetzen, weil die Form der Darstellung unnötig verletzt.39 Allerdings ist der Informationsauf- trag der Presse kein absoluter Rechtfertigungsgrund und eine Interessen- abwägung im Einzelfall unentbehrlich.40 Demgegenüber ist die Veröffentli- chung unwahrer Tatsachen an sich widerrechtlich; deren Verbreitung lässt sich nur ausnahmsweise rechtfertigen.41 Indessen lässt noch nicht jede journalistische Unkorrektheit, Ungenauig- keit, Verallgemeinerung oder Verkürzung eine Berichterstattung insgesamt als unwahr erscheinen. Eine in diesem Sinne unzutreffende Presseäusse- rung erscheint nur dann als insgesamt unwahr und persönlichkeitsverlet- zend, wenn sie in wesentlichen Punkten nicht zutrifft und die betroffene Person dergestalt in einem falschen Licht zeigt bzw. ein spürbar verfälsch- tes Bild von ihr zeichnet, das sie im Ansehen der Mitmenschen – verglichen mit dem tatsächlich gegebenen Sachverhalt – empfindlich herabsetzt.42 Soweit die Klägerinnen 1-3 argumentieren, unwahre Äusserungen seien per se persönlichkeitsverletzend (Klage Rz. III.17; Replik Rz. 64 und 68 ff.), so trifft dies nicht zu: Der Umstand, ob eine Tatsachenbehauptung wahr oder unwahr ist, wird auf der Ebene der Widerrechtlichkeit einer Persön- lichkeitsverletzung geprüft. Nicht jede unwahre Äusserung ist persönlich- keitsverletzend. Hingegen besteht an unwahren Äusserungen in aller Re- gel kein öffentliches Interesse, weshalb sie, falls sie persönlichkeitsverlet- zend sind, widerrechtlich sind. 38 BGE 143 III 297 E. 6.7.3; MORAND, Die Person der Zeitgeschichte: Wie weit sollen Medien über das Leben bekannter Persönlichkeiten wie Spitzensportler informieren dürfen? medialex 2015, N. 8. 39 BGE 143 III 297 E. 6.4.2, 138 III 641 E. 4.1.1 m.w.N., 132 III 641 E. 3.2; BGer 5A_658/2014 vom 6. Mai 2015 E. 8.2. Vgl. auch BGE 122 III 449 E. 3a. 40 BGE 138 III 641 E. 4.1.1; BGer 5A_78/2007 vom 24. August 2007 E. 4. 41 BGE 138 III 641 E. 4.1.2, 132 III 641 E. 3.2, 126 III 209 E. 3a, 111 II 209 E. 3c; BGer 5A_658/2014 vom 6. Mai 2015 E. 8.2; BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 43; MORAND (Fn. 38), N. 1. 42 BGE 138 III 641 E. 4.1.2, 129 III 49 E. 2.2, 126 III 305 E. 4b/aa, 105 II 161 E. 3b; BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 43. - 17 - 5.2. Ehrverletzung 5.2.1. Parteibehauptungen 5.2.1.1. Klägerinnen 1-3 Die Klägerinnen 1-3 halten mehrere Äusserungen im fraglichen Onlinebe- richt für unwahr, ehrverletzend und deshalb für persönlichkeitsverletzend (Klage Rz. 18 ff.). Hierzu gehören folgende Aussagen: 1. "Sie heissen F. AG [...] H. AG – die Liste liesse sich fast unendlich lang verlängern. Sie alle versprechen: Hier gibt es Geld, trotz nega- tiver Bonität" (Klage Rz. 19; Rechtsbegehren Ziff. 5, 3. Lemma). 2. Die Frage des Reporters an S.G., ob diese Finanzagentur (Klägerin 3) ihm versprochen habe, dass sie ihm einen Kredit gewähre, wo- rauf Letzterer ausdrücklich bejahend geantwortet habe (Klage Rz. 19; Rechtsbegehren Ziff. 5, 3. Lemma). 3. Die Behauptung, die Klägerin 2 habe S.G. in einem Brief bestätigt, den Kredit ganz verbindlich auszahlen zu können (Klage Rz. 22; Rechtsbegehren Ziff. 5, 4. Lemma). 4. Die Frage des Reporters an S.G., ob ihm das Geld ausgezahlt wor- den sei, worauf S.G. dies verneint habe (Klage Rz. 22). 5. Die Behauptung, S.G. sei anschliessend durch die Klägerin 2 mit- geteilt worden, er solle nun mit der Ratenzahlung à Fr. 800 begin- nen. Der Kredit würde dann umgehend freigegeben (Klage Rz. 25; Rechtsbegehren Ziff. 5, 5. Lemma). 6. Die Frage des Reporters an S.G., ob dieser demzufolge mit der Ab- zahlung der Kreditraten habe beginnen müssen, obwohl ihm noch gar kein Geld bezahlt worden sei, woraufhin dies durch S.G. mit "Ja, richtig" beantwortet worden sei (Klage Rz. 26; Rechtsbegehren Ziff. 5, 6. Lemma). 7. Die Behauptung, die C.-Bank gebe es gar nicht mehr (Klage Rz. 28; Rechtsbegehren Ziff. 5, 7. und 8. Lemma). Ferner machen die Klägerinnen 1-3 geltend, sie seien als abzockende Kre- dithaie bezeichnet worden. Der Begriff Kredithai sei negativ zu verstehen und bezeichne einen wucherischen, mit unsauberen Mitteln arbeitenden Kreditgeber (Klage Rz. 29-31 und 35; Rechtsbegehren Ziff. 5, 1. Lemma). Weiter werde den Klägerinnen 1-3 eine gravierende strafbare Handlung unterstellt, da sie als Betrüger bezeichnet würden (Klage Rz. 29 und 34 f.; Replik Rz. 9; Rechtsbegehren Ziff. 5, 2. Lemma). 5.2.1.2. Beklagte Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, diese Angaben seien nicht unwahr und damit auch nicht persönlichkeitsverletzend (Antwort Rz. 26 ff.). - 18 - Die Bezeichnung als Kredithai sei wegen des ausgeübten Geschäftsmo- dells der Klägerinnen 1-3 zulässig. Zwar sei der Begriff negativ konnotiert, sie seien aber angemessen und nicht persönlichkeitsverletzend (Antwort Rz. 35). Da die Klägerinnen 1-3 zudem über ihre Leistungen täuschen wür- den, sei der Ausdruck Betrüger rechtlich nicht zu beanstanden. Dieses Wort werde vom Durchschnittsleser nicht in dessen strafrechtlichem Sinne verstanden, sondern landläufig als Beschiss bzw. Abzockerei. Das Wertur- teil sei zwar hart, aber zulässig, da von dem ihm zugrundeliegenden Sach- verhalt abgedeckt (Antwort Rz. 38). Das Geschäftsmodell der Klägerinnen 1-3 sei unlauter und werde im landläufigen und zivilrechtlichen Sinne als Betrug verstanden, weil die Tätigkeit der Klägerinnen 1 und 3 blosse Scheinvermittlung sei und beide so wenig wie die Klägerin 2 einen Kredit etc. gewähren, aber beim Publikum genau den gegenteiligen Eindruck her- vorrufen würden, um erst danach rechtlich andere Verhältnisse zu schaffen (Duplik Rz. 68). 5.2.2. Rechtliches Art. 28 ZGB schützt unter anderem die Ehre einer Person. Nebst dem Ruf, ein ehrbarer Mensch zu sein, d.h. sich so zu verhalten, wie nach allgemei- ner Anschauung ein charakterlich anständiger Mensch sich zu verhalten pflegt, schützt Art. 28 ZGB auch die Bereiche des beruflichen, wirtschaftli- chen und gesellschaftlichen Ansehens einer Person. Ob der Ruf oder das Ansehen herabgesetzt wird, ist nach einem objektiven Massstab zu beur- teilen. Sowohl die innere Ehre (Ehrgefühl) als auch die äussere Ehre (fak- tischer Ruf in der Gemeinschaft) werden vom Persönlichkeitsschutz er- fasst.43 Juristische Personen haben insbesondere Anspruch auf Achtung ihrer geschäftlichen und beruflichen Ehre. Sie sind auf die Achtung ihrer Individualität und des Bildes, mit dem sie an die Öffentlichkeit treten, ange- wiesen.44 Geschützt wird damit die Zweckverfolgung der juristischen Per- son, d.h. sanktioniert wird deren Beeinträchtigung.45 Ehrverletzende Äusserungen können sowohl in Tatsachenbehauptungen als auch in Werturteilen bzw. in gemischten Werturteilen enthalten sein. Tatsachen sind konkrete, abgeschlossene oder andauernde Ereignisse, deren Wahrheit einem Beweis zugänglich ist. Gemeint sind Aussagen, wel- che konkrete, nach Raum und Zeit bestimmte, der Vergangenheit oder Ge- genwart angehörende Geschehnisse oder Zustände der Aussenwelt oder des menschlichen Seelenlebens betreffen. Werturteile hingegen vermitteln blosse Ansichten einer Person über eine andere Person oder über eine bestimmte Sachlage; sie sind Ausdruck einer persönlichen Meinung. Wert- urteile sind zulässig, sofern sie aufgrund des Sachverhalts, auf den sie sich 43 BGE 105 II 161 E. 2; BGer 5A_195/2016 vom 4. Juli 2016 E. 5.1; BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 28; AEBI-MÜLLER (Fn. 34), Art. 28 ZGB N. 18. 44 BGE 95 II 481 E. 4 i.f. 45 NOBEL, Gedanken zum Persönlichkeitsschutz juristischer Personen, in: Brem/Druey/Kra- mer/Schwander (Hrsg.), Festschrift zum 65. Geburtstag von Mario M. Pedrazzini, 1990, S. 419. - 19 - beziehen, als vertretbar erscheinen. Persönlichkeitsverletzend wirken sie, wenn sie von der Form her eine unnötige Herabsetzung bedeuten. Dies ist der Fall, wenn sie sich zu einem unnötig verletzenden und beleidigenden Angriff auf die Person des Betroffenen ausweisen oder dieser verunglimpft wird. Angriffige, undifferenzierte, scharfe, beissende und sarkastische Kritik ist hingegen in Kauf zu nehmen, sofern sie im gleichen sachlichen Rahmen wie der sie veranlassende Artikel bleibt. Eine Meinungsäusserung kann zu- dem als gemischtes Werturteil die Behauptung einer Tatsache einschlies- sen. Für diesen Tatsachenkern gelten dieselben Grundsätze wie für Tatsa- chenbehauptungen.46 5.2.3. Würdigung 5.2.3.1. Verständnis des Durchschnittslesers Wird der oben in E. 5.1.3.2 skizzierte Durchschnittsleser des Blicks als Massstab genommen, so kann den folgenden Erwägungen folgendes grundsätzliches Verständnis des fraglichen Onlineberichts und Onlinevi- deos (vgl. oben E. 4) zugrunde gelegt werden: Die Beklagte skizziert hauptsächlich die finanzielle Misere von S.G., der nicht nur hörbehindert ist, sondern auch als Musiker bzw. Arbeitsloser ein finanziell nicht einfaches Leben führt. Hauptbestandteil des fraglichen On- lineberichts ist der Bericht über den Versuch von S.G., sich aus seiner fi- nanziellen Misere zu befreien. Im Folgenden wird dieser Versuch näher be- schrieben. So suchte S.G. im Internet nach Hilfe und ist auf das Angebot der Klägerin 3 gestossen. Dieses Angebot habe aus dem Versprechen be- standen, es gebe trotz negativer Bonität Geld. Gleichzeitig legt der Blick aber offen, dass die Klägerin 3 nicht die einzige ist, die solche Dienstleis- tungen anbiete, sondern es unzählige solcher Unternehmen gebe. An- schliessend wird der Prozess dieses Angebots näher beleuchtet. Zunächst füllte S.G. den Onlineantrag aus, dann sei sein Antrag auf Finanzsanierung verbindlich genehmigt worden. Daraufhin habe er eine Gebühr von Fr. 2'200.00 bezahlen müssen. Weitere Vorleistungszahlungen wurden fäl- lig, nachdem sich die Klägerin 2 bei S.G. gemeldet hatte und diese ihm bestätigt habe, der Kredit könne nach den weiteren Vorleistungszahlungen ganz verbindlich ausgezahlt werden. Nachdem S.G. weitere Zahlungen – als Ratenzahlungen bezeichnet – geleistet hatte, wurde ihm allmählich klar, dass er über den Tisch gezogen worden sei. Den erhofften Kredit habe er nie ausbezahlt bekommen. Dieser Geschichte folgt die Aufklärung über das Geschäftsmodell der Klägerinnen 1-3, die – wie auch die anderen das Glei- che anbietenden Unternehmen – im ganzen Artikel verallgemeinernd als Kredithaie und Betrüger bezeichnet werden. Demnach bestehe die Masche gerade darin, dass sie nach dem Wortlaut keinen Kredit anbieten würden, sondern bloss Schuldensanierungen. Mit besonderen Machenschaften, 46 BGE 126 III 305 E. 4b/bb; OGer AG ZOR.2013.77 vom 3. Dezember 2013 E. 2.3.1; BSK ZGB I- MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 43 f.; AEBI-MÜLLER (Fn. 34), Art. 28g-l ZGB N. 3. - 20 - bspw. gefälschten Konsumentenschutzseiten, sorgten sie dafür, dass die potentiellen Opfer nicht misstrauisch würden. Das Problem sei bekannt, die FINMA warne vor diesen Angeboten, könne selbst aber nichts dagegen tun, weil diese Unternehmen selbst keine Kredite vergeben würden. Ab- schliessend folgt die Berichterstattung über die erlebte Enttäuschung von S.G. 5.2.3.2. Tatsachenbehauptungen zum Geschäftsmodell Es ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die von den Klägerinnen 1-3 aufgezählten Tatsachenbehauptungen (vgl. oben E. 5.2.1.1 Ziff. 1-7) ehr- verletzend sind, und falls ja, ob ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Die Behauptung, die Klägerinnen 1-3 würden Geld trotz negativer Bonität versprechen, setzt diese nicht in ihrer geschäftlichen Ehre herab, da die Zweckverfolgung der Klägerinnen 1-3 dadurch nicht beeinträchtigt wird. Im Gegenteil, ihr Geschäftsmodell basiert gerade darauf, Personen mit nega- tiver Bonität helfen zu wollen. Inwiefern das Versprechen von Kredit bzw. die schriftliche Bestätigung dessen Auszahlung die geschäftliche Ehre der Klägerinnen 1-3 verletzen soll, ist nicht ersichtlich (oben E. 5.2.1.1 Ziff. 1- 3). Worin die Klägerin 2 in ihrer Mitteilung an S.G., er solle mit der Raten- zahlung beginnen und der Kredit würde dann umgehend freigegeben, eine Ehrverletzung erblickt, ist nicht nachvollziehbar (oben E. 5.2.1.1 Ziff. 5). Dasselbe gilt für die Frage des Journalisten im fraglichen Onlinevideo, ob S.G. mit der Abzahlung der Kreditraten habe beginnen müssen, obwohl ihm noch gar kein Geld bezahlt worden sei (oben E. 5.2.1.1 Ziff. 6). Ebenso ist in der Frage des Reporters an S.G., ob ihm das Geld ausgezahlt worden sei, worauf S.G. dies verneinte, keinerlei ehrenrühriges Verhalten zu erbli- cken (oben E. 5.2.1.1 Ziff. 4). Die geschäftliche Zweckverfolgung der Klä- gerin 2 wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass sie als Bank bezeich- net wird (oben E. 5.2.1.1 Ziff. 7) auch nicht, wenn damit der Eindruck ent- standen wäre, sie gewähre Kredite (Replik Rz. 70), weil das nicht ehrver- letzend ist. Insoweit die Klägerinnen 1-3 argumentieren, diese Tatsachen seien alle falsch, weshalb in deren blossen Äusserung bereits eine Ehrver- letzung zu erblicken sei, haben sie unrecht (vgl. oben E. 5.1.6 letzter Ab- satz). Ob diese Tatsachen wahr oder falsch sind, wäre nur – und diesfalls bei der Widerrechtlichkeit – zu prüfen, wenn eine Persönlichkeitsverletzung bejaht werden könnte, was nicht der Fall ist. Zwar könnte die Behauptung, die Klägerin 2 gebe es nicht mehr (oben E. 5.2.1.1 Ziff. 7), ehrverletzend sein. Im vorliegenden Fall, erreicht diese Aussage aber keineswegs die notwendige Schwere (vgl. oben E. 5.1.5), um die persönlichkeitsverletzende Schwelle zu überschreiten. Dafür müsste im fraglichen Bericht mitbehauptet worden sein, dass auch der ent- sprechende Geschäftsbereich dieser Person aufgegeben worden wäre, wodurch der Durchschnittsleser zu verstehen bekäme, die Betroffene - 21 - würde keine neuen Kunden mehr annehmen und sich die Durchschnittsle- ser deshalb andere Geschäftspartner suchen würden. All dies ist vorlie- gend jedoch nicht der Fall. So etwas wurde weder vorgebracht, noch kann die Aussage von S.G. in diesem Sinne verstanden werden. Auch hier liegt somit keine ehrverletzende und damit keine persönlichkeitsverletzende Aussage vor. Selbst wenn jedoch eine ehrverletzende und damit persön- lichkeitsverletzende Aussage angenommen würde, so müsste die Aus- sage, die C.-Bank existiere nicht mehr, zumindest im Rahmen einer jour- nalistischen Ungenauigkeit betrachtet werden, die rechtlich nicht weiter re- levant wäre. Im fraglichen Onlinebericht und Onlinevideo geht es auch gar nicht darum, ob die Klägerin 2 noch existiert oder nicht, sondern es geht um das Geschäftsmodell an sich. In Replik Rz. 69 machen die Klägerinnen 1-3 schliesslich noch geltend, die Beklagte würde über sie insofern falsch berichten, als sie den Eindruck er- wecke, die Klägerin 2 würde die von S.G. geleisteten Raten nicht an dessen Gläubiger weiterleiten. Allerdings behauptet sie selbst nirgends, die Raten von S.G. weitergeleitet zu haben. Sie behauptet bloss, sie sei hierzu ge- mäss Vertrag verpflichtet (Replik Rz. 69) und die Raten seien weiterzulei- ten (Replik Rz. 79). Wenn aber die Klägerinnen 1-3 selbst nicht behaupten, sie wären ihrer vertraglichen Verpflichtung, die geleisteten Raten an die Gläubiger weiterzuleiten, bisher nachgekommen, dann ist nichts Falsches dabei, anzunehmen, die Raten würden nicht an die Gläubiger weitergelei- tet. 5.2.3.3. "Kredithaie" und "Betrüger" 5.2.3.3.1. Grundlagen Zu prüfen bleibt, ob die Persönlichkeiten der Klägerinnen 1-3 durch die Be- nutzung der Wörter "Kredithaie" und "Betrüger" verletzt wurden. Dabei ist auf das Verständnis eines durchschnittlichen Blicklesers abzustellen (vgl. oben E. 5.1.3.2 und E. 5.2.3.1). Nicht relevant ist somit, wie die Klägerinnen 1-3 die beiden Wörter "Kredithaie" und "Betrüger" verstehen. Im Duden wird der sprachliche Konsens der deutschsprachigen Gesell- schaft für jedermann zugänglich festgelegt. Dieser Konsens ist, einem ob- jektiven Massstab folgend, als Ausgangspunkt zu verwenden.47 Danach ist zu fragen, ob auch der Durchschnittsleser von diesem Wortverständnis ausging, oder ob die konkreten Umstände zu einem anderen Verständnis führen. 5.2.3.3.2. "Betrüger" Unter "Betrüger" sind Personen zu subsumieren, die betrügen, d.h. Perso- nen, die bewusst täuschen, irreführen, hintergehen. Synonym kann gesagt 47 Vgl. für ein Musterbeispiel BGer 4A_481/2007 vom 12. Februar 2008 E. 3.6 in Bezug auf das Wort "Mafia". - 22 - werden, die entsprechende Person schmiert andere an, führt andere auf das Glatteis, legt sie aufs Kreuz, blufft, wickelt andere ein, legt sie herein, führt sie hinters Licht, leimt, linkt, prellt sie, überfährt oder überlistet andere, haut sie übers Ohr, übertölpelt, übervorteilt oder verratet andere.48 Das Wort "Betrug" wird umgangssprachlich mit einem "Beschiss" und nicht mit dem Begehen einer Straftat gleichgesetzt.49 Für das Verständnis der Bezeichnung als Betrüger durch den Durch- schnittsleser ist vorliegend von grosser Bedeutung, dass die Beklagte den Klägerinnen 1-3 im fraglichen Onlinebericht kein strafbares Verhalten vor- wirft oder eine strafrechtliche Verurteilung thematisiert. Die Klägerinnen 1- 3 behaupten zwar das Gegenteil (Replik Rz. 73), lassen dieses aber unbe- gründet. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, weshalb der nicht ju- ristisch gebildete Durchschnittsleser des Blicks unter "Betrüger" im Ge- samtkontext des fraglichen Onlineberichts dessen begrenzten juristischen Sinn gemäss Art. 146 StGB verstehen sollte – d.h. eine Person, die sich dem Straftatbestand des Betrugs schuldig gemacht haben soll. Vielmehr wird mit den weiteren Formulierungen im fraglichen Onlinebericht, wie bspw. "über den Tisch gezogen", gerade auf das dem allgemeinen Sprach- gebrauch zugrundeliegende Verständnis des Worts "Betrüger" abgestellt (vgl. oben E. 5.2.3.3.1). Ob mit der Bezeichnung als Betrüger eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil vorliegt, hängt davon ab, wie diese vom Durchschnittsleser auf- gefasst wird. Sollte der Durchschnittsleser unter "Betrüger" konkrete Ge- schehnisse verstehen, handelte es sich um Tatsachen. Ein Werturteil läge demgegenüber vor, wenn die Bezeichnung "Betrüger" als Kundgebung ei- ner Ansicht oder Meinung einer Person über eine bestimmte Sachlage auf- gefasst würde. Diesbezüglich ist vorliegend entscheidend, dass die Be- klagte jenen Sachverhalt, den sie den Klägerinnen 1-3 zur Last legt, aus- führlich im Onlinebericht und im Onlinevideo umschreibt. Der Bezeichnung als Betrüger kann der Durchschnittsleser keine weitergehenden Tatsachen entnehmen. Vielmehr dient die Bezeichnung als Betrüger dazu, den be- schriebenen Sachverhalt zu werten, d.h. die eigene, negative Meinung dar- über in einem abfälligen Wort zum Ausdruck zu bringen. Es geht beim Wort "Betrüger" somit nicht darum, dem Durchschnittsleser einen Sachverhalt zu präsentieren – dieser folgt im Fliesstext –, sondern um die Kundgebung der eigenen negativen Meinung über das Geschäftsgebaren der Klägerinnen 1-3 und jener Unternehmen, die dasselbe Geschäftsmodell verfolgen. Demnach liegt ein Werturteil und keine Tatsachenbehauptung vor. Ob das verwendete Werturteil zulässig ist, hängt davon ab, ob es aufgrund des Sachverhalts, auf den es sich bezieht, als vertretbar erscheint bzw. unnötig verletzend oder beleidigend verwendet wird. 48 Duden, Das Bedeutungswörterbuch, Band 10, 5. Aufl. 2018, S. 219 f. 49 BGer 6S.340/2003 vom 4. Juni 2004 E. 3.2. - 23 - Massgebend ist somit das Geschäftsmodell der Klägerinnen 1-3. Dieses wird von den Klägerinnen 1-3 zusammengefasst wie folgt umschrieben: Ein in finanziellen Nöten steckender potentieller Kunde wendet sich an die Klä- gerinnen 1 oder 3 und bittet diese um Hilfe. Ob er sich nun an die Klägerin 1 oder 3 wendet, spielt vorliegend keine Rolle, da die Differenzen minim sind. Der Kontakt zwischen den Klägerinnen 1 oder 3 und dem Kunden entsteht auf deren Websites. Dort findet der Kunde eine Eingabemaske, in die er den Betrag und die Laufzeit eingibt und die die monatliche Rate au- tomatisch ausrechnet (KB 18). Die Klägerinnen 1 oder 3 schicken dem Kunden daraufhin eine E-Mail (vgl. KB 5 f. bzw. KB 21 [S.G.]; Klage Rz. II. 2). Der Betreff der E-Mail lautet "Ihre Anfrage über CHF [Betrag]". Es folgen unter anderem folgende Sätze: "Vielen Dank für Ihre Anfrage über CHF [Betrag]. Es freut uns, dass Sie sich für den Finanzservice der [Klä- gerin 3] entschieden haben.", "Unsere Serviceleistung besteht in der pro- fessionellen Vermittlung von Finanzlösungen seriöser und substantieller Partner im Markt.", "Folgende Offerte können wir Ihnen bei einer erfolgrei- chen Prüfung und Vorlage Ihrer Unterlagen unterbreiten: CHF [Betrag] bei einer Laufzeit von [Anzahl] Monaten mit von Ihnen aus Eigenmitteln zu zahlenden Raten in Höhe von CHF [Betrag]. Die gesamte Schuldsumme inkl. der Gebühren beträgt damit CHF [Betrag].", "Unsere Servicegebühr ist mit 4.80 % der Anfragesumme marktüblich und muss vorab bezahlt wer- den." Die E-Mail schliesst mit einer Grussformel und einer Signatur. Nach der Signatur folgt im Kleingedruckten der Hinweis, wonach keine Kreditver- mittlung erfolge und Hinweise auf einen Maklerauftrag sowie ein Widerrufs- recht. Zudem wird der Kunde aufgefordert, den Klägerinnen 1 und 3 Unter- lagen einzureichen. Der Wortlaut der E-Mail der Klägerin 1 (KB 6) unter- scheidet sich zwar von jenem der Klägerin 3 (KB 5 und 21), doch teilt auch die Klägerin 1 dem Kunden nach Einsendung der Unterlagen in einer wei- teren E-Mail (KB 7) mit: "Wir freuen uns Ihnen hiermit die offizielle Annah- mebestätigung für eine Finanzsanierung über EUR [Betrag] mit einer Lauf- zeit von [Anzahl] Monaten, mit aus Eigenmitteln zu zahlenden Raten à EUR [Betrag] erteilen zu können. Die Gesamtschuldsumme inkl. der Gebühren des Vertragspartners beträgt insgesamt EUR [Betrag] über die komplette Laufzeit." (KB 7). Gestützt darauf melden die Klägerinnen 1 und 3 den Kun- den einer anderen juristischen Person, die als angebliche Schuldensanie- rerin auftritt. Dies wird dem Kunden mitgeteilt (Klage Rz. II.2 ff.; KB 7 f.). Nach der Bezahlung der Gebühr an die Klägerinnen 1 und 3 durch den Kunden werden diesem der Vertrag des "Schuldensanierers" (bspw. die Klägerin 2) zugestellt (Klage Rz. II.5; KB 9 f.). Danach tritt der "Schulden- sanierer" mit dem Kunden in Kontakt (Klage Rz. II.6). Offenbar soll der "Schuldensanierer" mit den Gläubigern des Kunden verhandeln, wobei ihm ein Drittel der erzielten Schuldenerlasse zustehen soll (Klage Rz. II.6 f.; KB 11 ff.). - 24 - Dieses Geschäft ist wie folgt zu interpretieren: Zunächst ist unklar, inwie- fern die Klägerinnen 1-3 die Schulden ihrer Kunden tatsächlich sanieren. Das Geschäftsmodell läuft vielmehr auf das genaue Gegenteil hinaus, in- dem dem Kunden vorerst weitere Schulden entstehen, ohne die bisherigen Schulden abzutragen. So müssen die Kunden den Klägerinnen 1 und 3 alleine für die Vermittlung der Klägerin 2 4.8 % der Schuldsumme (sic!) be- zahlen. Unbestritten blieb auch, dass die Kunden nicht nur ihre Schulden abtragen müssen, sondern ihnen über die Zeit sogar ganze 16 % bzw. 20 % der Schuldsumme aufgeschlagen werden, wobei darin die 4.8 % für die Vermittlungsgebühr noch nicht enthalten sind (vgl. unten E. 5.2.3.3.3). Unbestritten blieb auch, dass S.G. der Klägerin 2 Fr. 3'996.65 (KB 25) als Vorschuss bezahlte, womit diese die monatlichen Raten hätte sicherstellen sollen. Dieses Geld wurde – das blieb von den Klägerinnen 1-3 unbestritten (Replik Rz. 66 f.) – allerdings nie den Gläubigern von S.G. überwiesen. Wenn somit das Geschäftsmodel der Klägerinnen 1-3 dazu führt, dass die Schulden ihrer Kunden insgesamt um mehr als einen Fünftel anwachsen und selbst die für Ratenzahlungen geleisteten Sicherheitszahlungen nicht an die Gläubiger weitergeleitet werden, dann können sich diese nicht ernst- haft als Schuldensanierer bezeichnen. Die erbrachte Leistung hat für die Kunden keinen Wert, jedenfalls nicht einen Wert von einem Fünftel der Schuldsumme. Soweit überhaupt eine nennenswerte Leistung vorhanden ist, so beschränkt sich diese auf die Zusammenfassung sämtlicher Schul- den und die allfällige anteilige Weiterleitung von Amortisations- und Zins- zahlungen, sofern eine solche Weiterleitung überhaupt stattfindet. Den po- tentiellen Kunden wird somit eine Schuldensanierung vorgegaukelt, die tat- sächlich nicht eintritt. Es überrascht daher auch nicht, dass die Klägerinnen 1-3 keinen bisher erfolgreichen Sanierungsfall nennen können. Soweit sie solche Ausführungen andeuten (Replik Rz. 41; KB 32b), bleiben diese un- substantiiert. Dass es einen erfolgreichen Sanierungsfall gäbe, wurde von der Beklagten bestritten (Duplik Rz. 52); auch aus KB 32b ergibt sich nicht, dass die Sanierung erfolgreich war. Darüber hinaus, wird den Kunden vorgegaukelt, sie würden zur Schulden- sanierung einen Kredit erhalten bzw. ein solcher Refinanzierungskredit würde vermittelt. Das ergibt sich etwa aus KB 21, gemäss der die Kläge- rin 3 S.G. – auf dessen Anfrage über CHF 45'750.00 (also auf dessen An- frage nach Geld und nicht etwa nach einer Dienstleistungsvermittlung; vgl. Betreff der E-Mail) hin – folgende Offerte unterbreitet: "CHF 45'750.00 bei einer Laufzeit von 60 Monaten mit von Ihnen aus Eigenmitteln zu zahlen- den Raten in Höhe von CHF 896.65. Die gesamte Schuldsumme inkl. der Gebühren beträgt damit CHF 53'796.62." Eine solche Offerte kann und muss – nach dem Vertrauensprinzip ausgelegt – nur so verstanden wer- den, dass die Verfasserin der E-Mail deren Empfänger eine Offerte zum Abschluss eines Darlehensvertrags zukommen lässt bzw. den Abschluss eines solchen Darlehensvertrags vermittelt, denn schliesslich wird eine Fi- - 25 - nanzlösung – also ein Finanzprodukt – und nicht bloss eine Vertragspart- nerin vermittelt. Daran ändern die Websites der Klägerinnen 1 und 3 nichts, da die Websites nicht Teil der Offerte sind. Zudem behaupten die Klägerin- nen 1-3 nicht, wie diese Websites in jenem Zeitpunkt aussahen, als S.G. darauf zugriff bzw. der fragliche Onlinebericht und das fragliche Onlinevi- deo publiziert wurden. Die auf den Websites vorhandenen Hinweise, wo- nach keine Kredite gewährt würden, sind auch nicht unmittelbar unter der Eingabemaske für den Kunden einfach ersichtlich angebracht, sondern an einem anderen Ort, viel weiter unten, wo sie von einem durchschnittlich aufmerksamen potentiellen Kunden nicht wahrgenommen werden. Am Ge- sagten ändert auch das Kleingedruckte, das der besagten E-Mail (KB 21) angehängt ist, nichts. Die Hinweise auf die AGB sind in den E-Mails nur im Kleingedruckten nach der Abschiedsformel angebracht (KB 5). Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass durch Fettdruck von Kleingedrucktem keine Hervorhebung im AGB-rechtlichen Sinne vorliegt (Antwort Rz. 10). Die AGB können den sich in Not befindenden potentiellen Kunden der Klä- gerinnen 1-3 unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten daher nicht entge- gengehalten werden. Zudem widerspricht dieses Kleingedruckte (Mäkler- auftrag) der weiter oben erwähnten Offerte zum Abschluss eines Darle- hensvertrags bzw. zu dessen Vermittlung, weshalb einerseits die Individu- alabrede den AGB vorgeht und sich die Klägerinnen 1-3 anderseits diese Unklarheit gemäss dem Grundsatz in dubio contra stipulatorem entgegen- halten lassen müssen. Am Gesagten ändert auch KB 34 nichts, handelt es sich dort doch gemäss eigenen Angaben nur um eine Auftragsbestätigung, d.h. die Bestätigung eines bereits – spätestens mit KB 8 – abgeschlossenen Auftrags. Ebenso erfolge die Vermittlung gemäss der Zusage Nr. FA-00118138 (KB 34). Demnach liegt im Zeitpunkt der Vorlage der KB 34 an den Kunden bereits eine Zusage – nämlich jene von KB 8 – der Klägerin 3 vor. Wenn weiter unten dann noch steht "Der hier erteilte Auftrag", so ist das bloss einmal mehr verwirrend und widersprüchlich und geht aufgrund des Grundsatzes in dubio contra stipulatorem zulasten der Klägerin 3. Der Kunde hat dem- nach entgegen den Ausführungen der Klägerinnen 1-3 (Replik Rz. 27) keine Zeit mehr, ein "Angebot" zu studieren; der Vertragsabschluss liegt bei Zustellung der KB 34 bereits in der Vergangenheit, weshalb die in KB 34 enthaltenen Informationen nichts zur Klärung des wahren Angebots der Klägerinnen 1-3 beitragen. Das ergibt sich auch aus der folgenden Überlegung: Die KB 8 ging beim Kunden am 7. März 2018 ein. Am 8. März 2018 erhielt die Klägerin 3 die Zahlung des Kunden, weshalb diese bereits am 7. März 2018 angewiesen worden sein musste. Demgegenüber wurde die KB 34 dem Kunden erst am 8. März 2018 zugestellt (Replik Rz. 39). Zu diesem Zeitpunkt lag daher die Zusage schon vor und der Geldbetrag war bereits überwiesen. Demnach stand dem Kunden nach Zustellung der KB 34 keine Zeit mehr zum Studium der schriftlichen Unterlagen zu Verfü- gung. - 26 - Gesamthaft betrachtet werden die Kunden mit verwirrenden und sich wi- dersprechenden Informationen aufs Glatteis geführt, indem ihnen vorge- gaukelt wird, ihre Schulden würden durch Gewährung bzw. Vermittlung ei- nes Ablösungskredits saniert. Diejenigen Informationen, die die Kunden, welche im Glauben gelassen werden, einen Kredit zugesprochen oder ver- mittelt zu erhalten, in diesem Glauben bestärken (d.h. der Betrag, die Raten und die Laufzeit) werden stets fett hervorgehoben an prominenter Stelle platziert. Bei diesen Informationen handelt sich um die zentralen Parameter eines Darlehens. Die Kunden können diese Parameter auf der Website der Klägerin 1 sogar selber festlegen (KB 18). Jeder, der einen Betrag und die Laufzeit der Rückzahlung angeben kann, vermutet, einen Kredit zu erhal- ten oder einen solchen vermittelt zu bekommen. Demgegenüber finden sich jene Informationen, die eher für das von den Klägerinnen 1-3 vermeint- lich verfolgte Geschäftsmodell sprechen würden (Mäklervertrag), stets im Kleindruck, am Ende einer E-Mail oder unten auf einer Website bzw. nur in irgendwelchen FAQ. Erst nachdem bereits erhebliche Zahlungen vom Kun- den an die Klägerinnen 1-3 erfolgten und der Kunde schon regelrecht "com- mitted" ist, erfolgt die Auflösung durch die Klägerinnen 1-3, wonach sie kei- nen Ablösungskredit gewähren werden bzw. keinen solchen vermittelt hät- ten. Diese bloss tröpfchenweise und unklare Informationspolitik der Kläge- rinnen 1-3, das vermeintliche Anbieten von Krediten oder Kreditvermittlung, das stete Fordern von neuen Gebühren und angeblichen Sicherheitsleis- tungen, sowie die in den Augen einer verschuldeten Person nicht wirklich sinnvoll erscheinenden Dienstleistungen der Klägerinnen 1-3 können ins- gesamt betrachtet nur als täuschendes Verhalten verstanden werden. Wer seine Kunden in derartig täuschender Weise hinters Licht führt, darf sich nicht wundern, wenn er, wie im fraglichen Onlinebericht geschehen, als Betrüger bezeichnet wird. Diese Bezeichnung ist zwar eindeutig negativ konnotiert und erscheint als scharfe Kritik und als beissender Angriff. Indes ist sie nicht unnötig verletzend oder beleidigend. Sie stützt sich auf den dargestellten Sachverhalt und ist damit sowohl vertretbar als auch sachbe- zogen. Weiter ist sie vorliegend nicht im juristischen Sinn gemäss Art. 146 StGB zu verstehen, sondern rein umgangssprachlich. Dieses Werturteil ist dementsprechend gerechtfertigt, so dass keine Persönlichkeitsverletzung vorliegt. 5.2.3.3.3. "Kredithaie" Gemäss Duden wird unter "Kredithai" ein skrupelloser, überhöhte Zinsen fordernder Geldverleiher50 bzw. ein wucherischer, mit unsauberen Mitteln arbeitender Kreditgeber51 verstanden. 50 Duden, Die deutsche Rechtschreibung, Band 1, 27. Aufl. 2017, S. 666. 51 Duden online, <https://www.duden.de/rechtschreibung/Kredithai>, zuletzt besucht am 29. Mai 2020. https://www.duden.de/rechtschreibung/Kredithai - 27 - Fraglich ist, ob es sich bei der Bezeichnung als "Kredithaie" um eine Tat- sachenbehauptung oder ein Werturteil handelt. Relevant hierfür ist, wie der Durchschnittsleser diesen Begriff versteht. Weil die Beklagte im fraglichen Onlinebericht ausführt, die Klägerinnen 1-3 würden keine Kredite erteilen, sondern sie täten nur so als ob, macht deren Bezeichnung als Kredithaie im engen Sinne des Wortverständnisses gemäss Duden im Kontext des fraglichen Onlineberichts nicht viel Sinn. Der Durchschnittsleser wird auch trotz dieser Bezeichnung nicht zum Schluss gelangen, dass die Klägerin- nen 1-3 effektiv Kredite erteilen und gestützt darauf überhöhte Zinsen for- dern würden. Vielmehr wird im fraglichen Onlinebericht gerade dargelegt, dass keine Kredite gewährt werden. Demnach wird der Begriff des Kredit- hais seinem ursprünglichen Sinn entfremdet, bloss als abschätzige Betite- lung der Klägerinnen 1-3 – und sämtlichen anderen Unternehmen, die das- selbe Geschäft betreiben – verwendet und vom Durchschnittsleser auch nicht als Tatsache, sondern als Werturteil verstanden. Handelt es sich somit um ein Werturteil, ist zu prüfen, ob dieses unnötig verletzend oder beleidigend verwendet wird. Es wurde schon aufgezeigt (vgl. oben E. 5.2.3.3.2), dass die Klägerinnen 1-3 nicht darlegen können, worin der Mehrwert ihrer Leistungen für einen sich in einer finanziellen Not- situation befindlichen Schuldner zu erblicken ist. Vielmehr knöpfen sie die- sem erhebliche Gebühren ab, die in einem völligen Missverhältnis zur er- brachten Leistung stehen: Unklar bleibt bspw. wieso die Kunden den Klä- gerinnen 1 oder 3 für deren Vermittlung an die Klägerin 2 überhaupt etwas bezahlen sollen. Die vermittelte Klägerin 2 tritt ja gar nicht als eigentliche Schuldensaniererin auf, sondern verlangt ihrerseits nicht nur Gebühren, sondern auch einen Drittel derjenigen Schuldsummen, die sie, wenn sie doch einmal erfolgreich für ihre Kunden tätig gewesen sein sollte, durch einen Schuldenschnitt erreicht. Wieso für eine solche Vermittlung 4.8 % der Schuldsumme (sic!) als Vermittlungsgebühr bezahlt werden sollte, ist un- verständlich. Zudem bestreiten die Klägerinnen 1-3 nicht (Replik Rz. 48 f.), dass dem Kunden auf dessen Schuldsumme weitere Aufschläge von 16 % (Replik Rz. 36) bzw. 20 % (Antwort Rz. 13.3) verrechnet werden, ohne dass dem ein erkennbarer Nutzen gegenüberstünde. In diesen Aufschlä- gen ist die Vermittlungsgebühr von 4.8 % an die Klägerinnen 1 und 3 nicht einmal enthalten (Duplik Rz. 61), weshalb das Geschäftsmodell der Kläge- rinnen 1-3 dazu führt, dass den Schuldnern zu deren ursprünglichen Schul- den mindestens ein weiteres Fünftel der bisherigen Schuldsumme an neuen Schulden entsteht. Es erscheint mehr als wahrscheinlich, dass hier eine Übervorteilungssituation vorliegt und die Klägerinnen 1-3 für ihre Tä- tigkeiten völlig überrissene Gebühren verlangen. Vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung der Klägerinnen 1-3 als Kre- dithaie durch die Beklagte weder unnötig verletzend noch beleidigend, son- dern vielmehr verständlich und vor dem dargelegten Sachverhalt auch ver- - 28 - tretbar und sachbezogen. Das Geschäftsmodell der Klägerinnen 1-3 ba- siert auf überhöhten Gebühren für eine Leistung, deren Wert für den Schuldner mehr als fraglich ist. 5.3. Zwischenfazit Es besteht keine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung der Klägerin- nen 1-3. 6. Unlauterer Wettbewerb 6.1. Grundlagen 6.1.1. Anwendbarkeit des UWG Die sachliche Anwendbarkeit des UWG setzt voraus, dass eine Wettbe- werbshandlung vorliegt. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein auf den Wettbewerb gerichtetes, marktrelevantes Verhalten notwen- dig.52 Dazu ist eine Tätigkeit ausserhalb der rein privaten Sphäre voraus- gesetzt, die als wirtschaftsrelevant bezeichnet werden kann.53 Vorliegend bieten die Klägerinnen 1-3 verschuldeten Privatpersonen Dienstleistungen an. Darauf bezieht sich der fragliche Onlinebericht der Be- klagten. Ihre Handlung ist daher auf den Wettbewerb der Klägerinnen 1-3 gerichtet und somit marktrelevant. Das UWG ist sachlich anwendbar. 6.1.2. Aktivlegitimation Nach Art. 9 Abs. 1 UWG ist klageberechtigt, wer durch unlauteren Wettbe- werb in seiner Kundschaft, seinem Kredit oder beruflichen Ansehen, in sei- nem Geschäftsbetrieb oder sonst in seinen wirtschaftlichen Interessen be- droht oder verletzt wird. Aktivlegitimiert sind Rechtssubjekte, die selbst am wirtschaftlichen Wettbe- werb beteiligt sind und eigene wirtschaftliche Interessen geltend machen.54 Zentral ist somit die eigene Teilnahme am wirtschaftlichen Wettbewerb, zu dessen Schutz das Klagerecht in Anspruch genommen wird.55 Erforderlich ist ein unmittelbares Interesse daran, die eigene Stellung im Wettbewerb mit dem Erfolg der Klage abzusichern oder zu verbessern.56 Aktivlegitimiert 52 BGE 124 III 297 E. 5d m.w.N. Vgl. BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 26 ff. 53 Vgl. DAVID/JACOBS, Schweizerisches Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, N. 24. 54 BGE 126 III 239 E. 1a, 123 III 395 E. 2a; HGer ZH HG110011 vom 22. April 2013 E. 6.1; DOMEJ, in: Heizmann/Loacker (Fn. 32), Art. 9 N. 5; BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH, 2013, Art. 9 N. 4 f; BORER, § 13 Zivil- und strafrechtliches Vorgehen, in Geiser/Krauskopf/Münch (Hrsg.), Handbücher für die : Schweizerisches und europäisches Wettbewerbsrecht, Bd. IX, 2005, N. 13.05; /PEDRAZZINI, Unlauterer Wettbewerb UWG, 2. Aufl. 2002, N. 16.08. 55 SHK UWG-SPITZ, 2. Aufl. 2016, Art. 9 N. 9 und 13; BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH (Fn. 54), Art. 9 N. 4 f.; RAUBER, Lauterkeitsrecht, SIWR V/1, 2. Aufl. 1998, S. 256; BAUDENBACHER/GLÖCKNER, in: Baudenbacher (Hrsg.), Lauterkeitsrecht, 2001, Art. 9 N. 305. 56 BGE 126 III 239 E. 1a, 112 II 369 E. 5a, 90 IV 39 E. 1; BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH (Fn. 54), Art. 9 N. 4; CHK UWG-FERRARI HOFER/VASELLA, 3. Aufl. 2016, Art. 9-15 N. 9; PEDRAZZINI/PEDRAZZINI (Fn. 54), N. 16.08. - 29 - ist somit nur das betroffene Rechtssubjekt selbst, nicht aber Arbeitnehmer, Organe in eigenem Namen57 sowie lediglich mittelbar am Wettbewerb teil- nehmende Personen wie Aktionäre, Gesellschafter, Beauftragte, Agenten, Holdinggesellschaften,58 Investoren, Darlehensgeber etc. soweit nur eine mittelbare Beeinträchtigung ihrer eigenen Interessen vorliegt.59 Eine direkte Konkurrenzsituation zwischen der klagenden und beklagten Partei ist je- doch nicht vorausgesetzt; es genügt jede Verschlechterung der eigenen Stellung im Wettbewerb.60 Vorliegend bieten die Klägerinnen 1-3 verschuldeten Privatpersonen Dienstleistungen an. Damit sind sie selbst am wirtschaftlichen Wettbewerb beteiligt und damit aktivlegitimiert. 6.1.3. Passivlegitimation Neben Wettbewerbsteilnehmenden können auch Dritte unlauteren Wettbe- werb durch Äusserungen begehen, da ein Wettbewerbsverhältnis zwi- schen dem Urheber einer Äusserung und dem Betroffenen nicht vorausge- setzt wird. Auch Medienschaffende und Medienunternehmen können somit durch ihre Berichterstattung unlauter handeln und zwar auch dann, wenn sie bloss gutgläubig Angaben Dritter wiedergeben.61 Da der umstrittene Onlinebericht und das Onlinevideo von der Beklagten stammen, ist diese als vermeintliche Störerin passivlegitimiert. 6.1.4. Zweck des UWG und Prüfungsmethodik Das UWG bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Inte- resse aller Beteiligten zu gewährleisten (Art. 1 UWG). In erster Linie wird eine bestimmte Qualität des Wettbewerbs im Sinne der Fairness auf dem Markt geschützt.62 In der Generalklausel von Art. 2 UWG definiert der Gesetzgeber die Unlau- terkeit, während die zahlreichen Spezialnormen in Art. 3-8 UWG konkrete Verhaltensregeln aufstellen.63 Diese Aufzählung ist zwar nicht abschlies- 57 BezGer ZH, 9. Oktober 1992 E. 2c (ZR 94/1995 Nr. 23 S. 77); BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH (Fn. 54), Art. 9 N. 4; BAUDENBACHER/GLÖCKNER (Fn. 55), Art. 9 N. 305; BORER (Fn. 54), N. 13.105; /PEDRAZZINI (Fn. 54), N. 16.08 f. 58 HGer ZH HG110011 vom 22. April 2013 E. 6.1 m.w.N. 59 BGE 112 II 369 E. 5a, 90 IV 39 E. 2; SHK UWG-SPITZ (Fn. 55), Art. 9 N. 21; BAUDENBACHER/GLÖCK- NER (Fn. 55), Art. 9 N. 305; CHK UWG-FERRARI HOFER/VASELLA (Fn. 56), Art. 9-15 N. 9; BORER (Fn. 54), N. 13.105. 60 BGE 121 III 168 E. 3b/aa; BGer 4A_467/2007 und 4A_469/2007 vom 8. Februar 2008 E. 4.1; SHK UWG-SPITZ (Fn. 55), Art. 9 N. 13; BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH (Fn. 54), Art. 9 N. 6; CHK UWG- HOFER/VASELLA (Fn. 56), Art. 9-15 N. 9. 61 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 84 f. 62 MARBACH/DUCREY/WILD, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2017, N. 1112. 63 BGer 4A_467/2007 und 4A_469/2007 vom 8. Februar 2008 E. 4; MARBACH/DUCREY/WILD (Fn. 62), N. 1114. - 30 - send, so dass als unlauter i.S.v. Art. 2 UWG (Generalklausel) auch ein Ver- halten in Betracht fallen kann, das keinen der Tatbestände nach Art. 3-8 UWG erfüllt.64 Erfüllt die Handlung jedoch einen der Spezialtatbestände, bedarf es keines Rückgriffs auf die Generalklausel.65 Die Anwendbarkeit der Sondernormen ist daher zuerst zu prüfen. 6.2. Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG 6.2.1. Parteibehauptungen 6.2.1.1. Klägerinnen 1-3 Die Klägerinnen 1-3 bringen vor, die Beklagte habe mit dem fraglichen On- linebericht unlauter gehandelt, da sie die Klägerinnen 1-3 durch unrichtige Äusserungen i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG herabgesetzt habe (Klage Rz. III. 43). Die Beklagte habe darin beim unbefangenen Durchschnittsle- ser den Eindruck geweckt, die Klägerinnen 1-3 würden ihren Kunden vor- gängig einen Kredit oder dessen Vermittlung versprechen, um diese an- schliessend durch Zahlungen von Vermittlungsgebühren abzuzocken (Klage Rz. III.45). 6.2.1.2. Beklagte Die Beklagte hält ihr Verhalten für nicht unlauter. Im fraglichen Onlinebe- richt werde das unseriöse Geschäftsgebaren der Klägerinnen 1-3 zutref- fend geschildert. Die potentiellen Kunden würden durch den fraglichen On- linebericht auf das Täuschungsrisiko aufmerksam gemacht, weshalb dieser dem lauteren Wettbewerb geradezu diene (Antwort Rz. 45 ff.). 6.2.2. Rechtliches Der zivilrechtliche Schutz der Ehre wird durch Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG er- weitert.66 Unlauter handelt, wer andere bzw. ihre Leistungen durch unrich- tige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen herabsetzt (Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG). Der Tatbestand besteht aus zwei Hauptmerkmalen: der Herabsetzung und deren Qualifikation (unrichtige, irreführende oder unnö- tig verletzende Äusserung).67 Eine Herabsetzung als solche ist daher nicht unlauter; unlauterer Wettbewerb bedingt eine unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserung.68 Ob eine qualifizierte Herabsetzung vor- liegt, ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen und hängt vom Verständ- nis des Durchschnittsadressaten ab. Es kommt auf deren Gesamteindruck unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände an.69 Als Durchschnittsadres- sat von auf den Wettbewerb gerichteten Äusserungen in Medien gilt die 64 BGE 131 III 384 E. 3, 116 II 365 E. 3b. Botschaft vom 18. Mai 1983 zu einem Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BBl 1983 II 1009, 1959 (zit. Botschaft UWG). 65 BGE 131 III 384 E. 3 m.w.N. 66 BSK ZGB I-MEILI (Fn. 15), Art. 28 N. 29. 67 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 31. 68 BGer 4A_481/2007 vom 12. Februar 2008 E. 3.3; BSK UWG-BERGER, 2013, Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 30 und 43. 69 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 38 m.w.N.; BSK UWG-BERGER (Fn. 74), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 32. https://www.swisslex.ch/slwl/search/Document.asp?DocService=DocLink&D=DEx241xA3&AnchorTarget= https://www.swisslex.ch/slwl/search/Document.asp?DocService=DocLink&D=DEx241xA8&AnchorTarget= https://www.swisslex.ch/slwl/search/Document.asp?DocService=DocLink&D=DEx241&AnchorTarget= - 31 - Schnittmenge der potentiellen und tatsächlichen Abnehmer oder die Ge- schäftspartner des betroffenen Wettbewerbsteilnehmers und dem Adres- satenkreis der Medienpublikation.70 Eine Herabsetzung liegt vor, wenn die andere Person, deren Waren etc. angeschwärzt, also verächtlich gemacht werden.71 Nicht jede negative Äusserung stellt eine Herabsetzung dar. Sie muss eine gewisse Schwere aufweisen,72 d.h. ein eigentliches Schlechtmachen, Heruntermachen, Ver- ächtlichmachen oder Anschwärzen enthalten.73 Negative und kritische Be- richterstattung über Marktteilnehmer ist in diesem Rahmen daher erlaubt.74 Eine Herabsetzung kann jedoch beim Vorwurf unrechtmässigen Verhaltens (Vertragsbruch, Unterstellung unlauterer Geschäftsmethoden, kriminelles Verhalten) angenommen werden.75 Unproblematisch ist daher die Verwen- dung des Worts "fragwürdig", herabsetzend ist demgegenüber die Bezeich- nung einer Leistung als wertlos, als seinen Preis nicht wert, als unbrauch- bar oder als fehler- oder schadhaft.76 Unrichtig sind objektiv unwahre, d.h. mit der Wirklichkeit nicht übereinstim- mende Angaben. Unwahr können nur Tatsachenbehauptungen sein.77 Un- richtige Tatsachenbehauptungen sind dann unlauter, wenn ihr Gesamtein- druck als entgegen der Realität grundsätzlich richtig und als herabsetzend verstanden werden.78 Journalistische Ungenauigkeiten und Vereinfachun- gen können dann wettbewerbswidrig sein, wenn sie die Leserschaft in Be- zug auf Tatsachen, die einen wesentlichen Einfluss auf die wirtschaftliche Ehre eines Wettbewerbsteilnehmers haben, zu unzutreffenden Vorstellun- gen verleiten.79 Irreführend sind Angaben, die erst über den Umweg eines Denkvorgangs beim Adressaten in Widerspruch zur Wirklichkeit geraten. Der Begriff um- fasst auch die objektiv unrichtige und dadurch irreführende Angabe. Irre- führung liegt somit beispielhaft vor, wenn Angaben beim Adressaten einen falschen Eindruck über den Anbieter bzw. dessen Produkte etc. erwecken. 70 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 39 m.w.N. 71 BGE 122 IV 33 E. 2c. 72 BGE 122 IV 33 E. 2c. 73 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 32 m.w.N. 74 BSK UWG-BERGER (Fn. 74), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 27. 75 HGer ZH HE150071 vom 22. September 2015 E. 5.3.3.1; BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 54 m.w.N. 76 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 33 m.w.N. 77 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 44 ff. m.w.N.; BAUDENBACHER/GLÖCKNER (Fn. 55), Art. 3 Abs. 1 lit. b N. 46. 78 BSK UWG-BERGER (Fn. 74), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 32. 79 BGE 123 III 354 E. 2a; BGer 4A_481/2007 vom 12. Februar 2008 E. 3.3; BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 32 i.f. m.w.N. - 32 - Irreführend ist auch die Stiftung von Verwirrung, wonach aus einem an sich klaren Sachverhalt ein unklarer gemacht wird.80 Unnötig verletzend sind Aussagen, die angesichts des Sachverhalts, der damit beschrieben bzw. bewertet werden soll, weit über das Ziel hinaus- schiessen, völlig sachfremd bzw. unsachlich, mithin unhaltbar sind.81 6.2.3. Würdigung 6.2.3.1. Durchschnittsadressat Zunächst ist der Durchschnittsadressat der Leistungen der Klägerinnen 1- 3 zu bestimmen, die vom fraglichen Onlinebericht und Onlinevideo beein- flusst worden sein könnten. Massgebend ist die Schnittmenge der potenti- ellen und tatsächlichen Abnehmer und des Adressatenkreises der Medien- publikation.82 Der Durchschnittsleser des Blicks wurde bereits oben in E. 5.1.3.2 be- stimmt: Es handelt es sich um eine wohl durchschnittlich gebildete Person ohne besondere juristische Kenntnisse und Verständnisse. Als potentieller oder tatsächlicher Kunde der Klägerinnen 1-3 kommen bloss verschuldete Privatpersonen in Betracht. Die Klägerinnen 1-3 legen jedenfalls nicht dar, wer sonst noch ihrem potentiellen Kundenstamm angehört. Gemäss den statistischen Erhebungen des Bundesamts für Statistik (BFS) zur Verschul- dung in der Schweiz (inkl. Exceltabellen)83, welche zu den offenkundigen Tatsachen gemäss Art. 151 ZPO gehören,84 sind Frauen und Männer in etwa gleich häufig verschuldet, Ausländer jedoch eindeutig häufiger als Schweizer. Umso höher die schulische Bildung, desto tiefer in der Regel das Risiko einer Verschuldung. Arbeitslose sind überproportional betroffen genauso wie Haushalte mit Familien, Mieter mehr als Eigenheimbesitzer, Personen aus der französischsprachigen und italienischsprachigen Schweiz (insbesondere das Tessin und die Genferseeregion) mehr als Per- sonen aus der deutsch- oder rätoromanischsprachigen Schweiz. Am häu- figsten betroffen sind Personen zwischen 18 und 49 Jahre. Häufigste Gründe einer Schuldensituation sind dabei die Aufnahme von Krediten für den Konsum (bspw. Autokauf, Einrichtungsgegenstände, persönliche Aus- rüstung sowie Ferien oder Freizeitaktivitäten) und die Aufnahme von Kre- diten zur Abzahlung anderer Schulden. Aus diesen statistischen Erhebun- gen geht hervor, dass vor allem Personen mit niedrigerem Ausbildungsgrad 80 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 44 ff. und N. 56 ff. m.w.N.; BAUDENBACHER/GLÖCKNER (Fn. 55), Art. 3 Abs. 1 lit. b N. 46. 81 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 69. 82 BLATTMANN (Fn. 32), Art. 3 Abs. 1 lit. a N. 39 m.w.N. 83 Abrufbar unter <https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/wirtschaftliche-soziale-situation- bevoelkerung/einkommen-verbrauch-vermoegen/verschuldung.html> (zuletzt besucht am 29. Mai 2020). 84 VETTER/PEYER, in: Gschwend/Hettich/Müller-Chen/Schindler/Wildhaber (Hrsg.), Recht im digitalen Zeitalter, Festgabe Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen, Bekannte Tatsachen – unter Berücksichtigung des Internets, S. 764. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/wirtschaftliche-soziale-situation-bevoelkerung/einkommen-verbrauch-vermoegen/verschuldung.html https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/wirtschaftliche-soziale-situation-bevoelkerung/einkommen-verbrauch-vermoegen/verschuldung.html - 33 - oder Migrationshintergrund zu den potentiellen Kunden der Klägerinnen 1- 3 gehören dürften. Nicht selten dürfte es sich – wie auch bei S.G. – um arbeitslose Personen handeln, die in ihren eher noch jungen Jahren ste- cken und daher auch noch weniger Lebenserfahrung mit sich bringen. Gegenüber dem Durchschnittsleser des Blicks wird der Durchschnittsad- ressat der Klägerinnen 1-3 somit klar eingeschränkt. Es geht nicht mehr nur um wenig aufmerksame Leser, sondern vor allem noch um Leser, die von juristischen Belangen kaum eine Ahnung haben und diese auch nicht ver- stehen dürften. Auf die genaue Wortwahl kommt es nicht an, da die Durch- schnittsadressaten begriffliche Abgrenzungen, unter anderem wegen der fehlenden Lebenserfahrung in der Schweiz und des tieferen Ausbildungs- grads, kaum genau einordnen können werden. Als Arbeitslose befinden sie sich häufig in einer eigentlichen Notsituation, in der das Geld kaum ausrei- chen dürfte, um die Schulden bedienen zu können. Der Konsum als Haupt- grund für die Eingehung von Schulden deutet zudem darauf hin, dass diese Personen wenig Wert auf ausgeglichene Haushaltbudgets legen bzw. sich überhaupt wenig Gedanken darüber und über Geld machen. Folglich kommt es einzig darauf an, wie solche Durchschnittsadressaten der Klägerinnen 1-3 den fraglichen Onlinebericht und das Onlinevideo ver- stehen, wobei die engere Umschreibung des Durchschnittsadressaten ge- genüber dem durchschnittlichen Blickleser (vgl. oben E. 6.2.3.1) nicht grundlegend zu einem anderen Verständnis des fraglichen Onlineberichts oder Onlinevideos führt. Durch die tiefere Schuldbildung und den höheren Anteil ausländischer, mit der deutschen Sprache nicht gleichgut vertrauten Personen ist jedoch das Verständnis von ökonomischen und juristischen Begriffen noch weiter herabgesetzt. 6.2.3.2. Unrichtigkeit, Irreführung, unnötige Verletzung Ob der fragliche Onlinebericht und das Onlinevideo eine Herabsetzung dar- stellen oder ob es sich gerade noch um eine zulässige negative und kriti- sche Berichterstattung handelt, kann offengelassen werden. Jedenfalls wäre eine solche Herabsetzung nicht qualifiziert i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG. Eine Irreführung ist auszuschliessen, weil im fraglichen Onlinebe- richt gerade offengelegt wird, dass das Geschäftsmodell der Klägerinnen 1-3 nicht darin bestünde, Kredite zu gewähren. Einen falschen Eindruck über das Geschäftsmodell der Klägerinnen 1-3 kann man aus dem fragli- chen Onlinebericht daher nicht gewinnen. Weiter stellt sich die Frage, ob unrichtige Aussagen getroffen werden. Die Klägerinnen 1-3 stören sich vor allem am Vorwurf, die Klägerinnen 1-3 wür- den Kredite versprechen, diese dann aber nicht ausbezahlen. Ob diese Aussage zutrifft, misst sich am tatsächlichen Geschäftsgebaren der Kläge- rinnen 1-3 (vgl. dazu oben E. 5.2.3.3). Dieses stellt die Beklagte im We- - 34 - sentlichen korrekt dar. Die Informationspolitik der Klägerinnen 1-3 kann zu- sammenfassend als äusserst unklar, verwirrend und widersprüchlich be- zeichnet werden. Die daraus fliessenden Folgen haben sie sich selbst zu- zuschreiben. Der Durchschnittsabnehmer der Klägerinnen 1-3, der zudem den Blick liest, erhält durchaus den Eindruck, einen Kredit zu erhalten oder vermittelt zu bekommen (vgl. oben E. 5.2.3.3.2). Dass dem schlussendlich nicht so ist, wird von der Beklagten korrekt wiedergegeben. Die zentralen Aussagen der Beklagten sind daher nicht unrichtig. Soweit einzelne Aus- sagen im Detail nicht mit den Informationen übereinstimmen, die die Klä- gerinnen 1-3 ihren Kunden erteilen (vgl. bspw. Replik Rz. 67: "ganz ver- bindlich"), so handelt es sich dabei um rechtlich nicht erhebliche journalis- tische Ungenauigkeiten, die nicht zu einem falschen Bild des Ganzen füh- ren. Schliesslich ist zu prüfen, ob eine unnötige Verletzung vorliegt. In Bezug auf die Betitelung als Betrüger und Kredithaie kann auf obige E. 5.2.3.3 verwiesen werden. Soweit die Klägerinnen 1-3 zusätzlich geltend machen, sie würden als Abzocker umschrieben, so handelt es sich hierbei nicht um einen inhaltlich anderslautenden Vorwurf und kann auf das Gesagte zu- rückgegriffen werden. Im Ergebnis werden die Wörter "Betrüger", "Kredit- haie" und "abzuzocken" von der Beklagten dazu verwendet, das von ihr im fraglichen Onlinebericht und Onlinevideo geschilderte Geschäftsgebaren der Klägerinnen 1-3 negativ zu bewerten. Dabei schiesst die Beklagte zwar scharf, aber nicht über das Ziel oder die Grenzen des Zulässigen hinaus. Ihre Äusserungen sind weder sachfremd noch unsachlich. Sie stellen kei- nen unlauteren Wettbewerb dar. 6.3. Art. 2 UWG Inwieweit über das bisher Gesagte hinaus ein unlauteres Handeln gemäss Art. 2 UWG vorliegen soll, bringen die Klägerinnen 1-3 nicht vor und ist auch nicht ersichtlich. 6.4. Zwischenfazit Es liegt kein unlauterer Wettbewerb vor. 7. Fazit Die Klägerinnen 1-3 werden durch den fraglichen Onlinebericht und das fragliche Onlinevideo weder widerrechtlich in ihrer Persönlichkeit verletzt noch betreibt die Beklagte damit unlauteren Wettbewerb. Die Klage ist da- her vollumfänglich abzuweisen. 8. Prozesskosten Abschliessend sind die Prozesskosten entsprechend dem Verfahrensaus- gang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Prozesskosten werden der unterlie- genden Partei auferlegt. Da die Klägerinnen 1-3 vollumfänglich unterliegen, - 35 - sind ihnen die gesamten Prozesskosten solidarisch aufzuerlegen (Art. 106 ZPO). Gemäss Bundesgericht gelten Klagen aus Persönlichkeitsrecht als nicht vermögensrechtlicher Natur, sofern nicht nur Vermögensleistungen (Scha- denersatz, Genugtuung) verlangt werden.85 Bei gewinnorientierten juristi- schen Personen, wie es die Klägerinnen 1-3 sind, kann jedoch davon aus- gegangen werden, die Geltendmachung von Persönlichkeitsrechten diene überwiegend einem wirtschaftlichen Zweck.86 Es liegt somit eine vermö- gensrechtliche Streitigkeit vor. Der Streitwert wird von den Parteien auf Fr. 30'001.00 geschätzt (Klage Rz. I.4; Antwort Rz. 3). 8.1. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen vorliegend allein aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Die Entscheidgebühr bemisst sich bei rein ver- mögensrechtlichen Streitsachen nach dem Streitwert. Der Grundansatz für die Entscheidgebühr beträgt bei einem Streitwert von Fr. 30'001.00 ge- mäss § 7 Abs. 1 Zeile 4 VKD gerundet Fr. 3'090.05. Diese werden den Klä- gerinnen 1-3 in solidarischer Haftung auferlegt und mit deren Gerichtskos- tenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 8.2. Parteientschädigung Die Parteientschädigung gemäss Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO besteht aus den Kosten der berufsmässigen Vertretung. In rein vermögensrechtlichen Streitsachen beträgt die Grundentschädigung bei einem Streitwert von Fr. 30'001.00 gemäss § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 4 AnwT Fr. 6'190.10. Dadurch sind die Instruktion, das Aktenstudium, rechtliche Abklärungen, die Korres- pondenz und Telefongespräche sowie eine Rechtsschrift und die Teil- nahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (§ 6 Abs. 1 AnwT). Der Abzug für die entfallene Verhandlung gleicht den Zuschlag für den dop- pelten Schriftenwechsel praxisgemäss aus. Mit der Kleinkostenpauschale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Partei- entschädigung von gerundet Fr. 6'375.80. Dem Antrag der Beklagten auf Zusprechung des Mehrwertsteuerzuschlags ist zu entsprechen, da diese selber nicht mehrwertsteuerpflichtig und folg- lich nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist.87 87 <https://www.uid.admin.ch/_> (zuletzt besucht am 29. Mai 2020); vgl. Merkblatt zur Frage der Be- rücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Parteientschädigung der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: <https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb//obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf> (zuletzt besucht am 29. Mai 2020). https://www.uid.admin.ch/_ https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 36 - Das Handelsgericht erkennt: 1. Die Klage vom 11. November 2019 wird abgewiesen. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'090.05 werden den Klägerinnen 1-3 in solida- rischer Haftung auferlegt und mit dem von diesen geleisteten Kostenvor- schuss von Fr. 3'090.05 verrechnet. 3. Die Klägerinnen 1-3 haben der Beklagten in solidarischer Haftung eine Par- teientschädigung von Fr. 6'375.80 zzgl. 7.7 % MwSt. zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerinnen (Vertreter; vierfach) die Beklagte (Vertreter; zweifach) Mitteilung an: die Obergerichtskasse 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 37 - Aarau, 29. Mai 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002
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2011 Strafprozessrecht 61 17 Art. 94 StPO Grobe Fehler der notwendigen Verteidigung, wie das Versäumen einer Frist, dürfen dem Beschuldigten auch unter der Schweizerischen Straf- prozessordnung nicht angerechnet werden, sofern er den Fehler selbst nicht erkannte oder erkennen konnte und eine Schadenersatzleistung für eine Wiedergutmachung nicht geeignet ist, da eine unbedingte Freiheits- strafe auf dem Spiel steht (vgl. zur Praxis zur Strafprozessordnung des Kantons Aargau: AGVE 1997 Nr. 38 S. 116). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 15. Dezember 2011 i.S. Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach gegen M.M.B. (SST.2011.182). Aus den Erwägungen 1.1. Der Beschuldigte hat die Frist zur Begründung seiner Berufung verpasst. Mit Eingabe vom 11. November 2011 hat die amtliche Ver- teidigerin des Beschuldigten jedoch zusammen mit der Berufungs- begründung ein Gesuch um Wiederherstellung der Frist gestellt. Hat eine Partei eine Frist versäumt, so kann sie gemäss Art. 94 StPO die Wiederherstellung der Frist verlangen. Dabei hat sie glaub- haft zu machen, dass sie an der Säumnis kein Verschulden trifft. Das Gesuch ist innert 30 Tagen seit Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innert gleicher Frist muss die versäumte Verfahrenshandlung nach- geholt werden. Die amtliche Verteidigerin hat ausgeführt, in ihrer internen Kontrolle den 27. Oktober 2011 eingetragen zu haben. Sie sei davon überzeugt, dass die Berufungsbegründung versandt worden sei. Sie könne das aber nicht beweisen, da die Suche nach der Postquittung erfolglos verlaufen sei. Bei dieser Sachlage kann die amtliche Verteidigerin zweifellos nicht glaubhaft machen, dass sie kein Verschulden trifft. Die Einhal- tung und Kontrolle von Fristen gehört zu den Grundpflichten eines jeden Anwalts. Vorliegend ist jedoch zu beachten, dass die Staatsan- waltschaft eine unbedingte Freiheitsstrafe von 2 Jahren beantragt hat 2011 Obergericht 62 und es sich deshalb um einen Fall notwendiger Verteidigung gemäss Art. 30 lit. b StPO handelt. Da die amtliche Verteidigerin die Frist zur Berufungsbegründung grob fahrlässig verpasst hat, der Beschuldigte dies weder erkennen konnte noch erkennen musste und eine Scha- denersatzleistung für eine Wiedergutmachung nicht geeignet scheint, da eine unbedingte Freiheitsstrafe auf dem Spiel steht (siehe zu den einzelnen Kriterien: R IEDO , in: Basler Kommentar, Strafprozessord- nung, 2010, N. 57 zu Art. 94 StPO), ist das Wiederherstellungsge- such in Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis zur Strafprozess- ordnung des Kantons Aargau (siehe z.B. AGVE 1997 Nr. 38 S. 116: Grobe Fehler der notwendigen Verteidigung, wie das Versäumen einer Frist, dürfen dem Beschuldigten nicht angerechnet werden) gutzuheissen. Auf die Berufung ist somit einzutreten.
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AG_HG_001
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AG_HG_001_AGVE-2011-17_2011-12-01
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2001 Obergericht/Handelsgericht 74 [..] 23 § 49 Abs. 1, 3 und 4 StPO. Zustellung von Vorladungen und anderen Gerichtsurkunden an den Be- schuldigten im Strafverfahren. Die Zustellung strafprozessualer Gerichtsurkunden hat durch deren Übergabe an den Beschuldigten persönlich oder an einen mit ihm im glei- chen Haushalt lebenden urteilsfähigen über 16 Jahre alten Familienge- 2001 Strafprozessrecht 75 nossen zu erfolgen und ist mit der Aushändigung der Urkunde an eine Person am Arbeitsplatz des Beschuldigten selbst dann nicht rechtsgültig vorgenommen, wenn dieser, ohne dort eine bestimmte Person zur Entge- gennahme der für ihn bestimmten Postsendungen ermächtigt zu haben, die Zustellung am Arbeitsort verlangt hat. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 23. August 2001 i.S. U.W. Aus den Erwägungen 1. Vorliegend stellt sich die Frage, ob der Strafbefehl, der an die Adresse des Arbeitgebers des Beschuldigten zugestellt wurde (Res- taurant S., B.), als ordnungsgemäss zugestellt gelten kann. Er wurde offensichtlich nicht dem Beschuldigten persönlich, sondern offenbar einer thailändischen Hilfskraft des Restaurants ausgehändigt; die Unterschrift auf der Zustellungsbescheinigung vom 9. August 2000 stimmt offensichtlich mit derjenigen des Beschuldigten auf dem Pass, dem Schreiben vom 9. November 2000 und der Vollmacht von Advokat O. nicht überein, wobei allerdings auch diese Unterschriften variieren. 2. Gemäss § 49 Abs. 1, 3 und 4 StPO sind Zustellungen persön- lich vorzunehmen, können aber bei Abwesenheit des Zustellungsbe- rechtigten auch einem urteilsfähigen, über 16 Jahre alten Familien- genossen übergeben werden. Die Zustellung an andere Personen ist zwar dem Postbeamten bei Fehlen gegenteiliger Weisungen erlaubt (Art. 2.3.5 der Post-AGB), kann aber für strafprozessuale Gerichts- urkunden nicht als ordnungsgemässe Zustellung gelten, auch wenn der Beschuldigte selbst die Zustellung an seinen Arbeitsort verlangt hat. Der Nachweis, dass der Beschuldigte vor der Woche vom 23. Oktober 2000 Kenntnis vom Strafbefehl erhalten hat, ist folglich nicht erbracht. Die mit Postaufgabe vom 10. November 2000 einge- reichte Einsprache hat daher als fristgemäss (§ 197 Abs. 1 StPO) zu gelten. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft stellt sich 2001 Obergericht/Handelsgericht 76 hier die Frage einer fiktiven Zustellung nicht, da keine Abholungs- einladung ausgestellt worden, sondern die Zustellung an eine nicht bezugsberechtigte Person erfolgt ist.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.17 Entscheid vom 4. März 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin W. GmbH, _ Gesuchsgegne- rin R. AG, _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Sitz in Luzern. Sie bezweckt hauptsächlich _ (Gesuchsbeilage [GB] 1). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Bremgarten (AG). Sie hat im Wesentlichen _ zum Zweck (GB 2). Die Gesuchsgegnerin ist Eigentümerin des Grdst.-Nr. 123 GB O. (E-GRID 981). - 2 - 3. Mit Gesuch vom 3. März 2020 (Datum Postaufgabe: 3. März 2020) stellte die Gesuchstellerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Das Grundbuchamt Wohlen sei anzuweisen, zulasten des Grundstücks in der Gemeinde O., Grundbuch- / Grundblatt-Nr. 123 Kataster-Nr. , zugunsten von der gesuchstellenden Partei ein für die Pfandsumme von CHF 15628.8 nebst 5 % Zins seit 29.03.2020 vorläufig als Vormerkung einzutragen. 2. Die Anweisung sei superprovisorisch (d.h. sofort nach Eingang des ohne Anhörung der Gegenpartei) zu verfügen und dem unverzüglich zur vorläufigen Eintragung im Grundbuch . 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Gegenpartei." Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Gemäss Art. 60 ZPO prüft das Gericht von Amtes wegen, ob die Prozess- voraussetzungen gegeben sind. Zu den Prozessvoraussetzungen gehört unter anderem die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 2. Örtliche Zuständigkeit Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ist das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Mas- snahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Errichtung gesetzlicher Grundpfandrechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grundbuch aufgenommen ist, zustän- dig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Das Grundstück, auf dem die Gesuchstellerin die vorläufig Vormerkung ei- nes Bauhandwerkerpfandrechts eintragen lassen will, befindet sich in O. (AG). Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist somit gege- ben. 3. Sachliche Zuständigkeit 3.1. Das Handelsgericht ist für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen auch dann zuständig, wenn die Hauptsache noch nicht rechtshängig ist (Art. 6 Abs. 5 ZPO). Diese Zuständigkeit des Handelsgerichts gilt allerdings nur, wenn die Zuständigkeit des Handelsgerichts für die Hauptsache gegeben - 3 - ist. Es ist daher zu prüfen, ob das Handelsgericht auch für die Hauptsache zuständig sein könnte. Im Gegensatz zu den (nicht zwingenden) örtlichen Gerichtsständen ist eine Einlassung vor einem sachlich unzuständigen Gericht nicht möglich.1 3.2. Die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters am Handelsgericht für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 und 3 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO. Gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO muss gegen den Entscheid unter anderem die Beschwerde in Zivil- sachen an das Bundesgericht offenstehen, um als handelsrechtliche Strei- tigkeit zu gelten. Gestützt auf Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG muss der Streitwert mindestens Fr. 30'000.00 betragen, damit das Bundesgericht eine Be- schwerde in Zivilsachen betreffend einen Entscheid über die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts beurteilt. Zudem gilt für vermögensrecht- liche Streitigkeiten mit einem Streitwert von bis und mit Fr. 30'000.00 ge- stützt auf Art. 243 Abs. 1 ZPO das vereinfachte Verfahren. Dieses ist vor dem Handelsgericht gemäss Art. 243 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen. Das vereinfachte Verfahren geht jeweils der sachlichen Zuständigkeit des Han- delsgerichts vor.2 3.3. Vorliegend beläuft sich der Streitwert auf Fr. 15'628.80 und liegt damit unter Fr. 30'000.00. Die Hauptsache ist im vereinfachten Verfahren durchzufüh- ren. Das Handelsgericht ist für das vorliegende Gesuch vom 3. März 2020 somit sachlich nicht zuständig. 3.4. Aufgrund der obigen Ausführungen fehlt es an der Prozessvoraussetzung der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts in der Hauptsache und daher auch für vorsorgliche Massnahmen (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). Auf das Gesuch ist demzufolge nicht einzutreten (Art. 59 Abs. 1 ZPO). 4. Die Gerichtskosten betragen gestützt auf § 8 VKD Fr. 500.00 und werden der Gesuchstellerin auferlegt. Mangels Aufwand ist der Gesuchsgegnerin keine Parteientschädigung zu entrichten. 1 BGE 140 III 355 E. 2.4, 138 III 471 E. 3.1; VETTER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 6 N. 38 f. je m.w.N. 2 BGE 143 III 137, 139 III 457. Bestätigt in BGE 142 III 788, 142 III 515 und in BGer 4A_340/2017 vom 24. Juli 2017 E. 2.4. Kritisch SCHNEUWLY, Das Verhältnis der sachlichen Zuständigkeit der Handelsgerichte zum vereinfachten Verfahren de lege lata und de lege ferenda, SJZ 2018, S. 361 ff. - 4 - Der Vizepräsident erkennt: 1. Auf das Gesuch vom 3. März 2020 wird nicht eingetreten. 2. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 500.00 sind von der Gesuchstellerin zu tragen. 3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. Zustellung an: die Gesuchstellerin (mit Einzahlungsschein und Original des Gesuchs inkl. Eingangsstempel) die Gesuchsgegnerin (mit Kopie des Gesuchs vom 3. März 2020 [inkl. Beilagen]) Mitteilung an: die Obergerichtskasse Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 5 - Aarau, 4. März 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2020-03-04
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_4._Maerz_2020.pdf
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2003 Zivilprozessrecht 61 [...] 15 §§ 112 und 121 ZPO. Abänderung der Parteientschädigung durch das Obergericht. Eine nicht tarifgemäss festgesetzte Parteientschädigung kann gestützt auf die den Kostenentscheid sowohl bezüglich der Gerichts- als auch der Parteikosten beherrschende Offizialmaxime von Amtes wegen korrigiert werden, wenn der Kostenspruch zumindest implizit angefochten ist. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 18. März 2003 in Sachen B. K. gegen F. F. 2003 Obergericht/Handelsgericht 62 Aus den Erwägungen 3. Der vorinstanzliche Kostenspruch ist nicht explizit angefoch- ten worden. Da mit der Beschwerde jedoch die Aufhebung des ange- fochtenen Entscheids unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Gegenpartei verlangt wird, beschlägt das Rechtsmittel im- plizit auch den Kostenspruch. Zudem gilt für den Kostenentscheid sowohl bezüglich der Gerichts- als auch der Parteikosten die Offi- zialmaxime (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, N. 1 zu § 121). Praxisgemäss wird bei hohen Streitwerten im Mietrecht das Grundhonorar gemäss § 3 Abs. 2 AnwT im Umfang von 50 % ge- kürzt. Im zu beurteilenden Fall haben die Kläger von sich aus mit 65 % einen noch höheren Abzug gemacht. Da im konkreten Fall in Anbetracht des aussergewöhnlich langen Mietverhältnisses ein Streitwert von über Fr. 1,5 Millionen resultiert und die Aufwendun- gen der Kläger im Ausweisungsverfahren in keinem auch nur annä- hernden Verhältnis zu diesem Streitwert standen, rechtfertigt es sich in diesem Einzelfall, die tarifgemäss mögliche Reduktion des Grund- honorars von 75 % auszuschöpfen. Entgegen der Auffassung des Vertreters der Kläger definiert sich der Umfang dieser Kürzung nicht einzig am geschätzten Stundenaufwand, sondern richtet sich ganz allgemein nach dem konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts entsprechenden Grundsatz, dass die Entschädigung des Anwalts stets in einem vernünftigen Verhältnis zu der von ihm erbrachten Leistung zu stehen hat (AGVE 1999 Nr. 19 S. 75 ff. mit Hinweisen). Deshalb wird je nach Höhe des Streitwerts, von welchem das Grundhonorar abhängt, innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens ein Abzug vorgenommen, der zu einem Honorar führt, das dem zitierten Grund- satz entspricht. Der Abzug von 75 % ist in § 3 Abs. 2 AnwT vorgese- hen, weshalb eine Verletzung des Legalitätsprinzips nicht zu sehen ist. Die Abweichung von der Praxis, bei hohen Streitwerten einen Abzug von 50 % vorzunehmen, ist im auch für Mietrechtsstreitigkei- ten aussergewöhnlich hohen Streitwert begründet und verletzt entge- gen der Auffassung des Vertreters der Kläger das Gleichbehand- 2003 Zivilprozessrecht 63 lungsgebot insofern nicht, als nach diesem Grundsatz Ungleiches be- kanntlich ungleich zu behandeln ist. Das reduzierte Grundhonorar beträgt somit noch Fr. 14'864.20, respektive nach der Kürzung um 25 % wegen fehlender Verhandlung gemäss § 6 Abs. 2 AnwT Fr. 11'148.15 und nach der Kürzung wegen reduzierten Aufwands ge- mäss § 7 Abs. 2 AnwT Fr. 5'574.10. Nach Aufrechnung der Auslagen von Fr. 195.10 und der Mehrwertsteuer von 7,6 %, ausmachend Fr. 438.45, ergibt sich ein Gesamthonorar von Fr. 6'207.65.
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AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2003-15_2003-03-04
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-15.html
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2001 Strafprozessrecht 81 [...] 26 § 164 Abs. 3 i.V.m. § 140 Abs. 3 StPO, Frist für die Stellung des Entschädigungsbegehrens im gerichtlichen Verfahren. Der Gesuchsteller hat die Frist in jedem Fall gewahrt und das Begehren ist als Entschädigungsbegehren zu betrachten, wenn er bereits im Hin- blick auf den zu ergehenden Gerichtsentscheid neben dem Antrag auf Freispruch auch einen solchen auf Parteikostenersatz stellt. Auszug aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 26. Oktober 2001 i.S. E.St. Aus den Erwägungen 2. a) Gemäss § 167 Abs. 2 Ziff. 4 StPO hat der Richter den Ent- scheid über die Entschädigung bereits mit dem Entscheid über die Einstellung oder den Freispruch zu treffen. Im Kreisschreiben des Obergerichts vom 8. Juni 1962 (KS C I 12.2) wird festgehalten, dass einem Angeklagten im gerichtlichen Verfahren gestützt auf § 164 Abs. 3 i.V.m. § 140 Abs. 3 StPO (zusätzlich) eine 30-tägige Nachfrist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen zusteht, wie sie auch dem Beschuldigten bei der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft zuerkannt wird. b) Nach der gesetzlichen Regelung des § 140 Abs. 3 StPO ist das Begehren innert 30 Tagen einzureichen, seitdem dem Beschul- digten die Einstellungsverfügung zugestellt wurde oder, sofern eine schriftliche Einstellungsverfügung nicht erlassen wird, seitdem er vom Verzicht auf die Weiterverfolgung Kenntnis erhalten hat. Auf das gerichtliche Verfahren bezogen hält das Kreisschreiben fest, dass die Frist von 30 Tagen beim Freispruch durch das Bezirksgericht von der Zustellung des Dispositivs an zu laufen beginnt, beim Freispruch durch das Obergericht hat ein Angeklagter seine Ansprüche innert 30 Tagen seit der Zustellung des Urteils beim Bezirksgericht geltend 2001 Obergericht/Handelsgericht 82 zu machen. Die richtige Form für den Entscheid über ein solches Begehren ist das Ergänzungsurteil (KS a.a.O.). c) Nach dem klaren Wortlaut von § 140 Abs. 3 StPO beginnt bei einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft die Frist zur Stellung eines Entschädigungsbegehrens nicht erst mit dem unbenützten Ablauf der Beschwerdefrist gegen die Einstellungsver- fügung beziehungsweise dem Beschwerdeentscheid des Obergerichts zu laufen (vgl. § 141 StPO), sondern bereits mit der Zustellung der Einstellungsverfügung. Im gerichtlichen Verfahren ist die Regelung gemäss § 140 Abs. 3 StPO gestützt auf den Verweis in § 164 Abs. 3 StPO ebenfalls anwendbar (vgl. oben Ziff. 2 a). Es ist nun nicht ein- sehbar, weshalb sich die Sache im gerichtlichen Verfahren anders verhalten soll als bei der Beendigung des Vorverfahrens durch die Staatsanwaltschaft; im Kreisschreiben des Obergerichts wird denn klar darauf hingewiesen, dass die Frist bei einem Freispruch (und damit auch bei einer Einstellung des Verfahrens) von der Zustellung des Dispositivs an zu laufen beginnt. Einzig wenn das Obergericht einen vorinstanzlichen Entscheid aufhebt und einen Freispruch er- lässt, muss dem Angeklagten nachträglich noch die Möglichkeit geboten werden, seine Entschädigungsansprüche innert 30 Tagen seit Zustellung des obergerichtlichen Urteils geltend machen zu können. So wenig wie bei einer Einstellungsverfügung durch die Staatsan- waltschaft für den Lauf der 30-tägigen Frist deren Rechtskraft (hin- sichtlich der beurteilten Zulässigkeitsfrage) massgebend ist, ist im gerichtlichen Verfahren auf die Rechtskraft des erstinstanzlichen Entscheids abzustellen. 3. a) Aus den Akten ist ersichtlich, dass der Gesuchsteller be- reits mit Schreiben vom 20. Januar 2000 und mit Schreiben vom 18. Februar 2000 - im Hinblick auf den zu ergehenden Gerichtsent- scheid - neben dem Antrag auf Freispruch auch einen solchen auf Parteikostenersatz stellte. Die Vorinstanz hat in ihrem Einstellungs- entscheid vom 2. März 2000 zwar über die Verfahrenskosten und die Parteikosten für das Adhäsionsverfahren befunden. Den Antrag des Angeklagten auf Parteikostenersatz für das Strafverfahren hat sie aber nicht behandelt, obwohl sie darüber hätte entscheiden müssen (§ 167 Abs. 2 Ziff. 4 StPO). 2001 Strafprozessrecht 83 b) Es kann festgehalten werden, dass der Gesuchsteller sein Ge- such um Entschädigung der Parteikosten rechtzeitig, nämlich noch vor Urteilsfällung seitens des Bezirksgerichts X., eingereicht hat. Es wäre Sache des Gerichts gewesen, beim Vertreter des damaligen Angeklagten entsprechend dem Ausgang des Verfahrens die Kosten- note einzuverlangen und auch über die Frage der Entschädigung gemäss § 167 Abs. 2 Ziff. 4 StPO zu befinden. Das Entschädigungsgesuch war in zeitlicher Hinsicht vor dem Einstellungsentscheid des Bezirksgerichts X. bei diesem eingereicht worden; das nachträglich mit Datum vom 13. Dezember 2000 vom Gesuchsteller eingereichte Entschädigungsbegehren war zur Ein- haltung der Frist demnach nicht mehr nötig. Zusätzliche Ausführun- gen zur Frage, ob die 30-tägige Frist gemäss § 140 Abs. 3 StPO eingehalten wurde, erübrigen sich deshalb, und ebenso kann offen bleiben, ob über die Parteikosten unabhängig vom Vorliegen eines Antrags von Amtes wegen zu entscheiden ist oder ob dazu ein aus- drückliches Begehren gemäss § 164 Abs. 3 i.V.m. § 140 Abs. 1 StPO gestellt werden muss.
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AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2001-26_2001-10-26
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2010 Obergericht 46 [...] 9 Art. 97 Abs. 3 StGB. Liegt ein erstinstanzliches Erkenntnis vor, tritt gemäss Art. 97 Abs. 3 StGB die Verfolgungsverjährung nicht mehr ein. Das gilt auch, wenn das verurteilende erstinstanzliche Urteil durch das Obergericht aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die erste Instanz zurückgewie- sen wird. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 24. Juni 2010, i.S. A.G. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (SST.2010.127)
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AG_HG
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2,010
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2010 Obergericht 44 [...] 6 Art. 13 BGFA. Keine Entbindung vom Berufsgeheimnis, wenn der Anwalt vorsorglich ein pauschales Gesuch stellt, um sich vor allfälligen künftigen "Angrif- fen" einer Drittperson in den Medien wehren zu können; damit die An- waltskommission die notwendige Interessenabwägung vornehmen kann, bedarf es eines ausreichend substantiierten Gesuchs hinsichtlich eines konkreten Falls. Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 18. Oktober 2010, i.S. X. (AVV.2006.26)
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2,019
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Handelsgericht 2. Kammer HSU.2019.14 / as / mv Art. 35 Entscheid vom 4. März 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin M. GmbH, _ vertreten durch Dr. iur. Sarah Brunner, Rechtsanwältin, Bahnhofplatz 13, Postfach 460, 5201 Brugg Gesuchs- gegnerin I AG, _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in M. Sie hat hauptsächlich die Ausführung von Bauarbeiten aller Art sowie den Handel mit Waren aller Art zum Zweck (Gesuchsbeilage [GB] 4). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in S. Sie be- zweckt insbesondere die Durchführung von Immobiliengeschäften aller Art im In- und Ausland (GB 5). Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grundstücks Grdst.- Nr. 123 GB H. (E-GRID: CH XXX). 3. Mit Gesuch vom 29. Januar 2019 (Postaufgabe: 29. Januar 2019) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Das Grundbuchamt Wohlen (Bezirk Lenzburg) sei anzuweisen, des Grundstücks in der Gemeinde H. (BFS-Nr. 4200), . 123, E-GRID CH XXX zugunsten der Gesuchstellerin ein für die Pfandsumme von Fr. 892'610.00 nebst 5% Zins seit 3. Dezember 2018 vorläufig als Vormerkung einzutragen. 2. Die Anweisung sei superprovisorisch zu verfügen und dem unverzüglich zur vorläufigen Eintragung im Grundbuch . 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. MwSt.) zulasten der Gesuchsgegnerin.“ Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Gesuchstellerin habe auf dem Grdst.-Nr. 123 GB H. – in der Erwartung dieses käuflich zu erwerben – ab Mitte Juni 2018 bis 30. November 2018 Arbeiten im Wert von Fr. 892'610.00 (vgl. GB 23) ausgeführt. Die Gesuchsgegnerin habe die Gesuchstellerin anfangs Dezember 2018 von der Baustelle gewiesen und ihr die Ausführung weiterer Arbeiten untersagt (GB 19). - 3 - 4. Am 30. Januar 2019 erliess der Vizepräsident des Handelsgerichts die folgende Verfügung: " 1. Das Gesuch um superprovisorischen Erlass vorsorglicher vom 29. Januar 2019 wird abgewiesen. 2. Der Gesuchsgegnerin wird eine Frist bis 14. Februar 2019 für die einer schriftlichen Antwort angesetzt. Die Antwort sowie sämtliche Beilagen müssen zweifach eingereicht werden. 3. Die Gesuchstellerin hat bis 11. Februar 2019 einen Kostenvorschuss von Fr. 5'000.00 mit beiliegendem Einzahlungsschein zu leisten. 4. 4.1 Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichender Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustimmung der Gegenpartei oder von der Partei nicht vorhersehbare oder nicht Hinderungsgründe. 4.2 Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO)." 5. 5.1. Da innert Frist weder der Kostenvorschuss bezahlt noch eine Gesuchs- antwort eingereicht wurde, setzte der Vizepräsident beiden Parteien hier- für mit Verfügung vom 18. Februar 2019 je eine letzte, nicht erstreckbare First bis zum 25. Februar 2019 an. Damit war die Androhung verbunden, dass das Gericht bei erneuter Säumnis einen Endentscheid fällt, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder zur Hauptverhandlung vorlädt (vgl. Art. 223 ZPO). 5.2. Während die Gesuchstellerin den Kostenvorschuss innert der Nachfrist bezahlte, blieb die Gesuchsgegnerin auch innert der angesetzten Nach- frist mit ihrer Antwort säumig. - 4 - Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit 1.1. Örtlich Bei der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts handelt es sich um einen Anwendungsfall des vorsorglichen Rechtsschutzes i.S.v. Art. 261 ff. ZPO. 1 Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ist deshalb das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gege- ben ist oder am Ort, wo die Massnahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Errichtung gesetzlicher Pfandrechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grund- buch aufgenommen ist, zuständig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Das Grund- stück der Gesuchsgegnerin, auf welchem die Gesuchstellerin ein Grund- pfandrecht vorläufig eintragen lassen will, befindet sich in H. (AG). Die ört- liche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist daher gegeben. 1.2. Sachlich Die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters am Handelsgericht für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO und § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO AG, da die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist, gegen den Entscheid – bei einem behaupteten Streitwert von Fr. 892'610.00 (vgl. Art. 51-53 BGG) – die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offen steht und die Parteien im schweizerischen Handelsregister eingetragen sind. 2. Anspruch auf vorläufige Eintragung einer Vormerkung 2.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, sie sei mit der Gesuchsgegnerin überein- bekommen, dass sie dieser das Grdst.-Nr. 123 GB H. abkaufe und das geplante Bauprojekt realisiere. Die Gesuchstellerin habe für diesen Kauf eine Anzahlung von Fr. 160'000.00 geleistet. Zusätzlich seien der Ge- suchsgegnerin weitere Fr. 250'000.00 übergeben worden (Gesuch Rz. 1, GB 6 f.). Der Kaufvertrag sei von den Parteien am 1. November 2018 un- terzeichnet und notariell beurkundet worden (Gesuch Rz. 4, GB 18). Da es mit Blick auf die Finanzierung des Kaufpreises Verzögerungen gege- ben habe, habe die Eigentumsübertragung bis anhin noch nicht erfolgen können (Gesuch Rz. 4 i.f.). Auf dem Grdst.-Nr. 123 GB H. habe ein Mehrfamilienhaus erstellt werden sollen. Die Baubewilligung habe vorgelegen. Die Parteien hätten verein- bart, die Gesuchstellerin könne schon vor der Eigentumsübertragung mit der Erstellung des Rohbaus beginnen. Dies habe die Gesuchstellerin im Vertrauen darauf getan, dass der Verkauf, wie mündlich vereinbart, voll- zogen werden würde (Gesuch Rz. 2, GB 9-11). Ab Mitte Juni 2018 habe 1 BGE 137 III 563 E. 3.3. - 5 - die Gesuchstellerin die Baustelleninstallationen, die Vorbereitung des Baugrunds, Abdichtungsarbeiten und diverse Rohbauarbeiten ausgeführt (Gesuch Rz. 3, GB 12-16). Anfangs Dezember 2018 habe die Gesuchsgegnerin die Gesuchstellerin von der Baustelle gewiesen und die Ausführungen weiterer Arbeiten un- tersagt. Die Liegenschaft sei derzeit zum Verkauf ausgeschrieben (Ge- such Rz. 5, GB 19-21). Die Gesuchstellerin habe von der Gesuchsgegne- rin sowohl die Anzahlungen zurückverlangt als auch eine Entschädigung für den Wert der von ihr auf dem Grundstück ausgeführten Arbeiten. Die entsprechenden Rechnungen seien aber nicht bezahlt worden (Gesuch Rz. 6, GB 22 f.). Der dem Grundeigentümer entstandene Mehrwert wird mit Fr. 892'610.00 beziffert (Gesuch S. 8). 2.2. Rechtliches Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist vo- raus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). Trotz fehlender vertraglicher Beziehung rechtfertigt es sich gemäss bun- desgerichtlicher Rechtsprechung jener Person, die eine Ersatzforderung nach Art. 672 Abs. 1 ZGB geltend macht, analog zum Bauhandwerker- pfandrecht ein grundpfandrechtliches Sicherungsrecht zu gewähren, so- fern die Grundstückeigentümerin zum Zeitpunkt des Materialverbaus mit der Bautätigkeit einverstanden gewesen ist und das Eigentum am Grund- stück auf die die Ersatzforderung geltend machende Person hätte über- tragen werden sollen. 2 Dabei handelt es sich um einen realobligatorischen Anspruch, der sich gegen den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks richtet. 3 Nach Art. 672 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 671 Abs. 1 ZGB hat der Grundstü- ckeigentümer demjenigen eine angemessene Entschädigung zu leisten, der eigenes Material auf fremdem Boden verwendet, sofern keine Tren- nung des Materials vom Boden stattfindet. Eine angemessene Entschädi- gung ist nur zu leisten, wenn der bauende Materialeigentümer nicht bös- gläubig ist (Art. 672 Abs. 3 ZGB e contrario). Gutgläubig ist der bauende Materialeigentümer insbesondere, wenn er mit dem Willen des Grundstü- ckeigentümers baut. 4 Zu ersetzen sind die Kosten des eingebauten Mate- rials, soweit diese dem Grundstück zu einem objektiven Mehrwert verhol- 2 BGE 134 III 147 E. 4.3; SCHMID, Einbau von eigenem Material auf fremdem Grund: unscheinbar, aber praktisch relevant, Schweizer Baurechtstagung ...für alle, die bauen., 2019, S. 176 m.w.N. 3 BGE 134 III 147 E. 4.3; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, Sachenrecht, 5. Aufl. 2017, N. 895a. 4 BGE 53 I 187 S. 193, 82 II 283 E. 4. - 6 - fen haben. 5 Darüber hinaus ist dem bauenden Materialeigentümer der Aufwand des Bauens, verstanden als Entgelt für die zur Ausführung der Baute erforderliche Arbeit, zu ersetzen. 6 2.3. Würdigung Der Tatsachenvortrag der Gesuchstellerin wurde von der Gesuchsgegne- rin nicht bestritten. Demnach gilt als wahr, dass die Gesuchstellerin im Einverständnis mit der Gesuchsgegnerin eigenes Material auf deren Grdst.-Nr. 123 GB H. verbaut hat. Dabei ging die Gesuchstellerin davon aus, dieses Grundstück von der Gesuchsgegnerin zu erwerben. Die Ge- suchstellerin verbaute ihr Material ohne vertragliche Grundlage. Da dies mit Einverständnis der Gesuchsgegnerin als Grundstückeigentümerin ge- schah, handelte sie gutgläubig. Zur Übertragung des Eigentums kam es nicht mehr und das Material wurde vom Grdst.-Nr. 123 GB H. nicht ge- trennt. Der der Gesuchsgegnerin als Grundstückeigentümerin entstande- ne Mehrwert wird mit Fr. 892'610.00 beziffert. Die Gesuchsgegnerin ist nach wie vor Eigentümerin des umstrittenen Grundstücks. Bei dieser Aktenlage ist der Gesuchstellerin analog zum Bauhandwerker- pfandrecht nach Art. 837 ZGB ein grundpfandrechtliches Sicherungsrecht mit einer Pfandsumme von Fr. 892'610.00 zu gewähren. 2.4. Verzugszinsen Befindet sich der Forderungsschuldner in Verzug, können auch Verzugs- zinsen eingetragen werden. 7 Die pfandberechtigte Forderung erhöht sich entsprechend um die Verzugszinsen ohne zeitliche Beschränkung. Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, sofern die Parteien einen bestimmten Verfall- tag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie z.B. "zahlbar 30 Tage netto", ohne weitere Mahnung in Verzug. 8 Bei einer Forderung auf angemessene Entschädigung nach Art. 672 Abs. 1 ZGB handelt es sich um eine obligatorische Forderung. 9 Sie wird grundsätzlich sofort fällig (Art. 75 OR). Die Gesuchstellerin macht zwar einen Verzugszins per 3. Dezember 2018 geltend (Gesuch, Rechtsbegehren Ziff. 1). Sie behauptet jedoch einzig, 5 SCHMID (Fn. 2), S. 164. 6 SCHMID (Fn. 2), S. 165. 7 SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 468; vgl. auch BGE 121 III 445 E. 5a, 142 III 73 E. 4.4.2. 8 AGVE 2003, S. 38; BSK OR I-WIEGAND, 6. Aufl. 2015, Art. 102 N. 9; BK OR-WEBER, 2000, Art. 102 N. 115 m.w.N.; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2017, N. 55.32; VETTER/BUFF, Verzugszinsen bei «zahlbar innert 30 Tagen», SJZ 2019, S. 150 f. m.w.N. 9 BGer 5A_719/2015 vom 1. März 2016 E. 2.2; SCHMID (Fn. 2), S. 162. - 7 - sie habe zwar Rechnung gestellt, diese sei jedoch nicht bezahlt worden. Es sind dem Gesuch keine Behauptungen zur Zahlungsfrist oder zu einer allfälligen Mahnung zu entnehmen. Damit ist zwar glaubhaft gemacht worden, dass die Forderung der Gesuchstellerin fällig ist. Doch befindet sich die Gesuchsgegnerin gestützt auf diesen Tatsachenvortrag im vorlie- genden Summarverfahren erst ab dem Tag der Klageeinleitung, d.h. ab dem 29. Januar 2019, in Verzug. 10 3. Eintragungsfrist 3.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, die letzten Arbeiten seien am 30. November 2018 geleistet worden (Gesuch Rz. 3, GB 12-16). 3.2. Rechtliches Die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts muss bis spätestens vier Monate nach der Arbeitsvollendung erfolgen, andernfalls verwirkt der An- spruch (Art. 839 Abs. 2 ZGB). 11 Die Eintragungsfrist berechnet sich nach Art. 7 ZGB i.V.m. Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 i.V.m. Abs. 2 OR. Sie endet somit an demjenigen Tag des letzten Monats, der durch seine Zahl dem Tag der Arbeitsvollendung entspricht. 12 Der Fristenlauf tritt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch vor der Vollendung der geschuldeten Arbeiten ein, wenn der Unternehmer oder der Besteller den Vertrag vorzeitig auflösen, 13 wobei es seitens des Unternehmers genügt, wenn er die Arbeit endgültig einstellt. 14 3.3. Würdigung Vorliegend besteht zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis, das vorzeitig aufgelöst werden könnte. Die Bauarbeiten sind durch die Ge- suchstellerin nicht vollendet worden. Hingegen hat die Gesuchsgegnerin die Gesuchstellerin anfangs Dezember 2018 (GB 19) definitiv von der Baustelle gewiesen. Die viermonatige Eintragungsfrist Art. 839 Abs. 2 ZGB konnte daher frühestens ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen und wird mittels heutiger Eintragung eingehalten. 4. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufi- ge Eintragung eines Grundpfandrechts analog eines Bauhandwerker- pfandrechts für eine Pfandsumme von Fr. 892'610.00 zuzüglich Zins zu 5 10 BGE 130 III 591 E. 3; HGer ZH, HG140037 vom 06. Oktober 2017 E. 5.14; BSK OR I-WIEGAND (Fn. 8), Art. 102 N. 9. 11 BGE 126 III 462 E. 4c.aa; BSK ZGB II-THURNHERR, 5. Aufl. 2015, Art. 839/840 N. 29. 12 BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 11), Art. 839/840 N. 31a. 13 BGE 120 II 389 = Pra 84 (1995) Nr. 199 E. 1.a und b; BGE 102 II 206 = Pra 65 (1976) Nr. 220 E. 1.a. 14 BGer 5A_683/2010 vom 15. November 2011 E. 4.1; SCHUMACHER (Fn. 7), N. 1125. - 8 - % seit 29. Januar 2019 erfüllt sind und die Vormerkung einer entspre- chende Eintragung anzuordnen ist. 5. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei unge- nutztem Ablauf der Frist ohne weiteres und ersatzlos gelöscht werde. 15 Die Prosequierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fäl- len der vorliegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand ge- mäss Art. 145 Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen. 16 6. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 6.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 5'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleiseten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 5'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 5'000.00, direkt zu erset- zen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 6.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin zudem eine Parteientschä- digung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 892'610.00 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 42'555.25 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 9 AnwT) resultiert nach Vornahme ei- nes Summarabzugs von praxisgemäss 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Be- trag von Fr. 10''638.80. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach einem weiteren Abzug von 20 % wegen der nicht durchgeführten Verhandlung (§ 6 Abs. 2 AnwT), resultiert ein Betrag in Höhe von Fr. 8'511.05. Nach Hinzurechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von 15 SCHUMACHER (Fn. 7), N. 672 ff. 16 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 7), N. 688. - 9 - gerundet Fr. 8'766.40, den die Gesuchsgegnerin der Gesuchstellerin als Parteientschädigung zu bezahlen hat. Dem gesuchstellerischen Antrag auf Zusprechung des Mehrwertsteuerzu- schlags ist nicht zu entsprechen. Die Gesuchstellerin ist gemäss UID- Register 17 selber mehrwertsteuerpflichtig. Sie kann die ihrer Rechtsvertre- terin bezahlte Mehrwertsteuer als Vorsteuer von ihrer eigenen Mehrwert- steuerrechnung in Abzug bringen (Art. 28 MWSTG). 18 Die Mehrwertsteuer stellt somit keinen zusätzlichen Kostenfaktor dar und ist bei der Bemes- sung der Parteientschädigung deshalb nicht zu berücksichtigen. 6.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Han- delsgericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder aufgrund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehal- ten. Der Vizepräsident erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung des Gesuchs vom 29. Januar 2019 wird der Gesuchstellerin die Vormerkung einer vorläufigen Eintragung eines Grundpfands analog zum Bauhandwerkerpfandrecht gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB auf dem Grundstück der Gesuchsgegne- rin, Grdst.-Nr. 123 GB H. (E-GRID: CH XXX), für eine Pfandsumme von Fr. 892'610.00 zuzüglich Zins zu 5 % seit 29. Januar 2019 bewilligt. 2. Das Grundbuchamt Wohlen wird angewiesen, die Vormerkung gemäss Dispositiv-Ziff. 1 sofort einzutragen. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 5. Juni 2019 beim zuständigen Gericht im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung des Grund- pfandrechts anzuheben. 17 Vgl. https://www.uid.admin.ch/XXX (zuletzt besucht am 4. März 2019). 18 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_M wSt.pdf (zuletzt besucht am 4. März 2019). https://www.uid.admin.ch/XXX https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 10 - 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkung im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht wird. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. Die Gesuchsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass die Vormerkung im Grundbuch gelöscht wird, wenn sie für die angemeldeten Forderungen hinreichende Sicherheiten leistet. 5. 5.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 5'000.00 sind von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleiseten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 5'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin Fr. 5'000.00 direkt zu erset- zen. 5.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin deren Parteikosten in rich- terlich festgesetzter Höhe von Fr. 8'766.40 zu ersetzen. 5.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreterin; zweifach) die Gesuchsgegnerin das Grundbuchamt Wohlen (vorab per E-Mail an: <gbawoh- len@ag.ch>) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Er- öffnung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Beschwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. - 11 - Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elektronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungs- mässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 4. März 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/00619730.pdf
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2010 Anwaltsrecht 41 III. Anwaltsrecht 3 Art. 8 Abs. 2 BGFA. Tätigkeit als angestellter Anwalt für eine anerkannte gemeinnützige Organisation: Tätigkeit muss sich strikte auf den Zweck der Organisation beschränken. Bei einer Stiftung muss sich der massgebliche Zweck nachvollziehbar aus dem Stiftungsstatut ergeben. Nicht ausreichend ist eine Aufzählung in einem "Strategiepapier". Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 25. Mai 2010 i.S. D. D. (AVV.2009.42) Aus den Erwägungen (... ) 3. Die Zulässigkeit der Anstellung eines Registeranwaltes bei einer gemeinnützigen Organisation (Art. 8 Abs. 2 BGFA) stellt eine Ausnahmebestimmung zur Regelung von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA dar, wonach eine Anstellung grundsätzlich nur in Frage kommt, wenn auch der Arbeitgeber Registeranwalt ist. Es ergibt sich schon aus dem Wortlaut, dass sich die Tätigkeit des angestellten Anwaltes strikte auf den Stiftungszweck zu beschränken hat. Massgebend muss dabei der Stiftungszweck gemäss Stiftungsurkunde, vorliegend also gemäss Stiftungsstatut, sein. 3.1. Der Zweck gemäss Art. 2 Stiftungsstatut [...] liegt in der Hilfe für Menschen in wirtschaftlicher und sozialer Not im In- und Aus- land. Dieser Stiftungszweck ist angesichts der sehr offenen Fassung auszulegen, wobei die Auslegung unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA (strikte Beschränkung der Tätigkeit auf den Stif- 2010 Obergericht 42 tungszweck) restriktiv zu erfolgen hat. Im Art. 2 des Stiftungsstatuts werden konkretisierend ("namentlich") die Bereiche - zwischenkirchliche Hilfe - Entwicklungszusammenarbeit - Diakonie - Flüchtlingshilfe - Katastrophenhilfe als Beispiele aufgeführt. Eine genauere Abgrenzung des sehr of- fen gehaltenen Oberbegriffs des Stiftungszwecks muss sich deshalb immer im Rahmen dieser oder zumindest ähnlicher Bereiche bewe- gen. 3.2. Die anwaltliche Tätigkeit der [...]-Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende konnte, vor der Neuausrichtung gemäss [...]-Strategie 2008-2012, auch bei restriktiver Auslegung des Stiftungszwecks, un- ter den Begriff "Flüchtlingshilfe" subsumiert werden und war dem- nach durch den Stiftungszweck abgedeckt. 3.3. Auch die im Gesuch im November 2008 aufgeführten Tätigkei- ten - beratend in alltagsrechtlichen Fragen - prozessierend ausschliesslich in öffentlichrechtlichen, insbe- sondere Verwaltungsverfahren für sozial Benachteiligte konnten (soweit für den Registerein- trag relevant) noch im weitesten Sinne als durch den Zweck gemäss Stiftungsstatut (namentlich die Flüchtlingshilfe) abgedeckt betrachtet werden. Dies, weil gemäss Gesuch die prozessierende Tätigkeit im Bereich des Zivilrechts ausdrücklich ausgeschlossen wurde und sich nur auf öffentlichrechtliche Verfahren beziehen sollte. In diesem Zu- sammenhang war davon auszugehen, dass es weiterhin um vorwie- gend flüchtlings- und asylrechtliche Verfahren vor Verwaltungsbe- hörden und ggf. vor dem Verwaltungsgericht bzw. einem Spezialver- waltungsgericht gehen würde. 3.4. Die Neuausrichtung der Tätigkeit der [...]-Rechtsberatungsstel- le auf generelle Hilfe und Anwaltschaft für sozial Benachteiligte ist 2010 Anwaltsrecht 43 lediglich in der [...]-Strategie ausdrücklich enthalten. Prozessierende anwaltliche Tätigkeit auch im Bereich des Privatrechts, und insbe- sondere im Bereich des Familienrechts, für alle sozial Benachteilig- ten lässt sich aber nicht mehr unter den restriktiv verstandenen Stif- tungszweck gemäss Stiftungsstatut, der mit den Beispielen zwischen- kirchliche Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit, Diakonie, Flücht- lingshilfe und Katastrophenhilfe konkretisiert wird, subsumieren. Generelle Hilfe für in Not geratene Menschen, auch bezüglich fami- liärer Probleme und Streitigkeiten, wird von den in Art. 2 des Stif- tungsstatuts aufgeführten Beispielen - ausgehend, wie erwähnt, von einer restriktiven Auslegung - nicht mehr umfasst und geht weit über diese Bereiche hinaus. Die Tätigkeit des Gesuchstellers würde sich somit nicht mehr strikte im Rahmen des Stiftungszwecks bewegen bzw. wäre durch diesen (restriktiv ausgelegten) Stiftungszweck ge- mäss Stiftungsstatut nicht mehr abgedeckt. Dies hätte wiederum zur Folge, dass der Registereintrag des Gesuchstellers bei einer Ausdeh- nung der Tätigkeit gemäss Gesuch nicht länger aufrecht erhalten bleiben könnte, weil er die Voraussetzungen gemäss Art. 8 Abs. 2 BGFA nicht mehr erfüllen würde. 3.5. Soll der Tätigkeitsbereich der [...]-Rechtsberatungsstelle ausge- dehnt werden, so muss dies durch Anpassung des Zwecks im Stif- tungsstatut erfolgen, damit auch der Registereintrag des Gesuchstel- lers aufrecht erhalten werden kann. Wird das Stiftungsstatut entspre- chend angepasst, so wird sich allerdings die weitere Frage stellen, ob die für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit zuständigen Stellen (die Steuerbehörden) das [...] weiterhin als gemeinnützige Organisa- tion anerkennen werden (vgl. dazu Ernst Staehelin / Christian Oeti- ker in: Walter Fellmann / Gaudenz G. Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich 2005, N 57 zu Art. 8 [zit. Name, BGFA- Kommentar]; Schiller Kaspar, Schweizerisches Anwaltsrecht, Zü- rich / Basel / Genf 2009, N 1124). Erst wenn diese beiden Vorausset- zungen erfüllt sind, kann der Gesuchsteller sein Tätigkeitsgebiet unter Aufrechterhaltung seiner Anstellung beim [...] ausdehnen und weiterhin im Register eingetragen bleiben. Sein Gesuch ist deshalb im aktuellen Zeitpunkt abzuweisen.
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AG_HG_001
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2004 Strafprozessrecht 85 V. Strafprozessrecht 23 § 141 Abs. 1 StPO. Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens (§ 136 Abs. 1 StPO). Beschwerdelegitimation. 1. Der Beschuldigte ist zur Anfechtung der Verfahrenseinstellung schlechthin, auch im Falle einer gestützt auf Art. 66bis Abs. 1 StGB erlas- senen Einstellungsverfügung, nicht legitimiert, weil dadurch weder die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK; Art. 32 Abs. 1 BV) verletzt noch der Beschuldigte sonstwie beschwert sein kann (E.1, 2a und 2c). 2. Beschwerde kann nur gegen die im Dispositiv der Einstellungsverfü- gung angeordnete Verfahrenseinstellung und nicht auch gegen die Be- gründung dieser Entscheidung geführt werden (E. 2b; Bestätigung der Rechtsprechung). Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 7. Mai 2004 i.S. P.M. Sachverhalt 1. Der Beschwerdeführer P.M. fuhr am 28. April 2002 um 14.30 Uhr mit dem PW Mitsubishi Spacestar 1.8 der K. Auto Garage AG, nicht angegurtet, von W. her im Gemeindegebiet N. auf der in einer leichten Linkskurve mit einem Gefälle von 5,4 % links an einem Waldrand vorbeiführenden und rechts an Wiesland angrenzenden Ortsverbindungsstrasse Richtung N. Er kam ausgangs der Links- kurve rechts mit den beiden rechten Rädern des Fahrzeugs von der Fahrbahn ab auf die Grasnarbe der Wiese und verlor dabei die Herr- schaft über sein Fahrzeug, worauf dieses nach links über die Fahr- bahn schleuderte, mit einem am Waldrand auf dem Boden liegenden Baumstamm kollidierte, sich mehrmals überschlug und an einem im Wald stehenden Baum aufprallte. Der Beschwerdeführer schlug da- bei mit seinem Kopf heftig auf die Windschutzscheibe auf, wurde 2004 Obergericht/Handelsgericht 86 aus dem Fahrzeug geschleudert und blieb mit einem schweren Schä- delhirn-, Halswirbelsäulen- und Thoraxtrauma, Halswirbelverletzun- gen und ausgeprägten Schnittwunden schwer verletzt am Waldrand liegen, während das Fahrzeug mit rechts geborstener Windschutz- scheibe nach verursachtem Baumschaden im Betrag von Fr. 515.-- zum Nachteil der Gemeinde N. nach rechts weiter über die Strasse schleuderte und in der Wiese in Seitenlage mit einem Totalschaden im Betrag von Fr. 25'000.-- zum Nachteil der K. Auto Garage AG zum Stillstand kam. 2. In der Folge wurde gegen den Beschwerdeführer ein Straf- verfahren wegen Verdachts auf Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausserorts (Art. 4 Abs. 1 Bst. b VRV i.V.m. Art. 90 Ziff. 2 SVG), Nichtbeherrschung des Fahrzeugs (Art. 31 i.V.m. Art. 90 Ziff. 1 SVG), Nichttragens der Sicherheitsgurte als Fahrzeugführer (Art. 3a Abs. 1 i.V.m. Art. 96 VRV) und Führens eines Motorfahrzeugs in nicht fahrfähigem Zustand (Art. 31 Abs. 2 SVG/Art. 2 Abs. 1 VRV i.V.m. Art. 90 Ziff. 2 SVG) eröffnet und eine chemisch-toxikologische Blut- und Urinuntersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin (IRM) der Universität Bern angeordnet. Dieses stellte in seinem Untersuchungsbericht vom 10. September 2002 Morphin und Codein im Verhältnis 4:1 im Urin sowie ca. 7 ng/ml Morphin, 160 ng/ml Benzoylecgonin (Kokain-Stoffwech- selprodukt) und ca. 3 ng/ml Kokain im Blut des Beschwerdeführers fest mit der Schlussfolgerung, dieser sei "unter dem ausklingenden Einfluss von Opiaten und Kokain ... aus forensisch-toxikologischer Sicht nicht fahrfähig" gewesen. Der Beschwerdeführer bestritt die Tatvorwürfe des Führens ei- nes Motorfahrzeugs mit übersetzter Geschwindigkeit und in fahrun- fähigem Zustand mit der Behauptung, am Unfalltag keine Drogen und letztmals eine Woche vor dem Unfall Heroin konsumiert zu ha- ben. Daraufhin wurde auf Antrag seiner Verteidigerin ein Fahrfä- higkeitsgutachten des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) der Univer- sität Zürich eingeholt. Dieses Gutachten vom 27. Oktober 2003 kam mit der Feststellung, dass die Urin- und Blutanalyse des IRM Bern nach den Regeln der Kunst vorgenommen worden und darauf abzu- stellen sei, dass die Aussage des Beschwerdeführers, letztmals am 2004 Strafprozessrecht 87 21. April 2002 Kokain konsumiert zu haben, "im krassen Wider- spruch zu den Analysenergebnissen" stehe und danach ein "Kokain- Konsum" bzw. "eine Heroin- oder Morphin-Applikation ... mit Si- cherheit nach dem 21.04.2002 erfolgt" sei, zum Ergebnis, dass die Fahrfähigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt des Unfalls "nicht oder höchstens leicht vermindert" gewesen sei. 3. Mit Verfügung vom 19. Februar 2004 ordnete die Staatsan- waltschaft an: "1.Das Strafverfahren gegen P.M. wird unter Hinweis auf die Begründung des Bezirksamts B. eingestellt. 2...." Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, gemäss Art. 66 bis Abs. 1 StGB rechtfertige sich die Einstellung des Verfah- rens wegen Fehlens eines Strafbedürfnisses angesichts der erlittenen schweren Verletzungen des Beschwerdeführers. 4. Der Beschwerdeführer erhob dagegen fristgemäss Be- schwerde und verlangte die Verfahrenseinstellung bezüglich der be- strittenen Tatvorwürfe wegen Fehlens zureichender Gründe für eine Anklageerhebung "gemäss § 136 Abs. 1 erster Satzteil StPO" mit der Begründung, die gestützt auf Art. 66 bis Abs. 1 StGB erlassene ange- fochtene Einstellungsverfügung komme insoweit einem Schuld- spruch gleich und verletze den Grundsatz der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK; Art. 32 Abs. 1 BV). 5. Das Obergericht, Beschwerdekammer in Strafsachen, trat mit Entscheid vom 7. Mai 2004 insoweit auf die Beschwerde nicht ein. Aus den Erwägungen 1. a) Die Staatsanwaltschaft hat in Vertretung des staatlichen Strafanspruchs gemäss dem in § 24 Abs. 2 Satz 1 StPO normierten Grundsatz des Anklagezwangs in jedem Fall einer möglichen ver- folgbaren strafbaren Handlung und damit auch im Zweifelsfall einer unklaren Rechts- oder unsicheren Beweislage Anklage zu erheben und den Straffall dem Gericht zur Beurteilung zu unterbreiten, das gemäss klarem Gesetzeswortlaut des § 28 Abs. 2 StPO allein zur 2004 Obergericht/Handelsgericht 88 Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" im Rahmen der ge- mäss § 28 Abs. 1 StPO ausschliesslich ihm zustehenden freien Be- weiswürdigung befugt ist (AGVE 1978 Nr. 19 S. 70 a.E.). b) Die Staatsanwaltschaft hat indessen gemäss § 136 Abs. 1 StPO das Verfahren nach Durchführung der Ermittlung oder Untersu- chung einzustellen, wenn zureichende Gründe für eine Anklageer- hebung fehlen oder wenn hievon wegen der Geringfügigkeit des Verschuldens und der Tatfolgen (§ 24 Abs. 2) oder wegen gering- fügiger Auswirkungen auf das zu erwartende Strafmass (§ 119 Abs. 3 bis ) oder gemäss Art. 66 bis StGB abzusehen ist. Zureichende Gründe für die Anklageerhebung fehlen dort, wo zum vornherein feststeht, dass ein Straftatbestand nicht erfüllt oder dessen Erfüllung dem Beschuldigten nicht schlüssig nachzuweisen und daher dessen Verurteilung auszuschliessen oder höchst unwahrscheinlich, mithin eine Anklageerhebung sinnlos ist (AGVE 1978 Nr. 19 S. 70). Damit ist ein Strafverfahren dann einzustellen, wenn die Anklageerhebung mangels Erfüllung eines gesetzlichen Straftatbestands oder Nach- weisbarkeit der dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftat sinnlos oder wegen Geringfügigkeit des Verschuldens und der Tatfolgen (§ 24 Abs. 2 Satz 2 StPO) oder geringfügiger Auswirkung auf das zu erwartende Strafmass (§ 119 Abs. 2 bis StPO) nicht gerechtfertigt oder davon wegen schwerer Tatbetroffenheit des Beschuldigten, derent- wegen dessen Bestrafung unangemessen wäre, gemäss gesetzlicher Vorschrift (Art. 66 bis StGB) abzusehen ist. c) Die Einstellungsverfügung (§ 136 StPO) ist eine von der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde (§§ 1 Abs. 2 und 3 Abs. 1 StPO) in Vertretung des staatlichen Strafanspruchs (§ 3 Abs. 1 StPO) gemäss dem für diesen ausschliesslich massgebenden Straf- und Strafverfahrensrecht in dessen Anwendung (§ 136 Abs. 1 StPO) zu erlassende Verfügung, mit der auf die Fortsetzung der Strafverfol- gung durch Anklageerhebung gegen den Beschuldigten verzichtet und damit dessen Verurteilung durch den Strafrichter verunmöglicht wird, bis zu der er gemäss der in Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 32 Abs. 1 BV normierten Unschuldsvermutung als unschuldig gilt. Eine Einstellungsverfügung kann daher mit der darin angeordneten Ver- fahrenseinstellung (§ 136 Abs. 1 StPO) diese Unschuldsvermutung 2004 Strafprozessrecht 89 unmöglich verletzen und nur wegen fehlerhafter Anwendung des für die angeordnete Verfahrenseinstellung (§ 136 Abs. 1 StPO) und ihre Kostenfolge (§ 139 StPO) ausschliesslich massgebenden Straf- und Strafverfahrensrechts zu dessen Durchsetzung mit dem dagegen of- fen stehenden Rechtsmittel der Beschwerde (§ 141 Abs. 1 bzw. § 213 Abs. 1 StPO) gerügt werden. 2. Gemäss § 138 StPO ist die Einstellungsverfügung kurz zu begründen (Abs. 1) und "dem Beschuldigten, dem Anzeiger, dem Geschädigten oder Verletzten sowie jedermann, der nach den Akten durch die Tat betroffen wurde", zuzustellen (Abs. 2). Dabei können gemäss § 141 StPO "gegen die Einstellung des Verfahrens der private Anzeiger, der Geschädigte oder Verletzte sowie jedermann, der durch die Tat betroffen wurde, Beschwerde führen" (Abs. 1) und "im Falle der Gutheissung der Beschwerde beauftragt das Obergericht die Staatsanwaltschaft mit der Fortführung der Untersuchung oder mit der Anklageerhebung" (Abs. 2). a) Gemäss klarem Gesetzeswortlaut des § 141 StPO ist zur Be- schwerdeführung "gegen die Einstellung des Verfahrens", d.h. gegen die in der Einstellungsverfügung angeordnete Verfahrenseinstellung (§ 136 Abs. 1 StPO), ausdrücklich nur "der private Anzeiger, der Geschädigte oder Verletzte sowie jedermann, der durch die Tat be- troffen wurde", und nicht auch der Beschuldigte befugt (Abs. 1), weil dieser durch die angeordnete Einstellung des Verfahrens nicht be- schwert und gemäss gleichfalls klarem Gesetzeswortlaut "im Falle der Gutheissung der Beschwerde ... die Staatsanwaltschaft mit der Fortführung der Untersuchung oder mit der Anklageerhebung" zu beauftragen (Abs. 2), die Beschwerde gegen die Verfahrenseinstel- lung mithin nur zur Bewirkung einer ordnungsgemässen Untersu- chung und nötigenfalls Anklageerhebung zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs gegen den Beschuldigten vorgesehen und zulässig ist. Zur Beschwerde "gegen die Einstellung des Verfahrens" legitimiert sind daher nur Personen, die einen zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs bestimmten oder mit diesem aus uner- laubter Handlung (Art. 41/49 OR) entstehenden oder durch diesen unmittelbar geschützten Rechtsanspruch haben oder vertreten müs- sen, so der "private Anzeiger" aufgrund seines Anzeigerechts (§ 119 2004 Obergericht/Handelsgericht 90 Abs. 1 StPO) zur Durchsetzung einer ordnungsgemässen Untersu- chung mit der Rüge mangelhafter Behandlung seiner Anzeige (AGVE 1986 Nr. 23 S. 90 ff.), der "Geschädigte oder Verletzte", d.h. eine Person als Zivilpartei (§ 56 Ziff. 3 StPO), die unmittelbar aus dem Gegenstand des Strafverfahrens und Abklärung des staatlichen Strafanspruchs bildenden Tatgeschehen einen Rechtsanspruch aus unerlaubter Handlung (Art. 41/49 OR) ableiten kann (AGVE 1976 Nr. 37 S. 116), sowie "jedermann, der durch die Tat betroffen wurde", d.h. natürliche oder juristische Personen, denen aufgrund einer materiell-rechtlichen Gesetzgebung Parteistellung oder sonst- wie das Recht zur Durchsetzung eines durch die Tat und damit den Strafanspruch unmittelbar betroffenen Rechtsanspruchs zukommt, wie etwa dem Staat bzw. dem für diesen handlungsberechtigten Or- gan im Bereich der Jagd-, Umwelt-, Wald-, Gewässerschutz- oder Schuldbetreibungsgesetzgebung im Fall unmittelbarer Tatbetroffen- heit durch Verletzung dazugehörender Gesetzesvorschriften (AGVE 1965 Nr. 42 S. 123 ff., 1981, Nr. 26 und 27 S. 90 ff. bzw. 92 ff., 1991 Nr. 32 S. 100 ff.). Der Beschwerdeführer ist als Beschuldigter nicht zur Beschwerde gegen die in der angefochtenen Einstellungsverfü- gung angeordnete Einstellung des Verfahrens (Dispositiv-Ziffer 1) befugt, weshalb auf seine Beschwerde insoweit nicht einzutreten ist. b) Wäre die vom Beschwerdeführer eingelegte Beschwerde ge- gen die Einstellung des Verfahrens nicht schon gemäss klarem Wort- laut des § 141 Abs. 1 StPO ausgeschlossen, so wäre sie aus einem andern Grund als unzulässig durch Nichteintretensentscheid zu erle- digen. aa) Das in § 141 StPO vorgesehene Rechtsmittel der Beschwer- de "gegen die Einstellung des Verfahrens" (§ 136 Abs. 1 StPO) ist gemäss gesetzlicher Rechtsmittelregelung zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen bestimmt (§ 141 Abs. 1 i.V.m. § 206 Abs. 1 StPO) und setzt damit eine Beschwer voraus (Brühlmeier, Kommentar zur StPO, 2. A. 1980, N 3 der Vorbem. zu den Rechtsmitteln S. 352 f. mit Hinweisen), die in einem unmittelbaren Eingriff in die Rechts- stellung zum Nachteil des Betroffenen besteht und sich nur aus dem allein rechtsverbindlich, zwangsvollstreckbar und rechtskräftig wer- denden Entscheidungsdispositiv und nicht auch aus dessen Begrün- 2004 Strafprozessrecht 91 dung ergeben kann. Daher ist eine Beschwerde gegen das Dispositiv eines Entscheids, durch das der Beschwerdeführer nicht beschwert ist, ebenso wie eine Beschwerde, mit der bloss die Entscheidungsbe- gründung beanstandet und deren Änderung beantragt wird, unzuläs- sig (dazu AGVE 1970 Nr. 55 S. 127 ff. und gefestigte Rechtspre- chung der Beschwerdekammer in Strafsachen, bestätigt durch Ent- scheid ST.1999.00673 vom 20. August 1999 i.S. F.S.; so auch im Zivilverfahren für zivilprozessuale Rechtsmittel, statt vieler: Gulde- ner, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. A. 1979, S. 494) und als unzulässig durch Nichteintretensentscheid zu erledigen. bb) Der Beschwerdeführer ist durch die in Dispositiv-Ziffer 1 der angefochtenen Einstellungsverfügung angeordnete Verfahrens- einstellung nicht beschwert und kann durch deren nicht in Rechts- kraft erwachsende Begründung nicht beschwert sein. Seine Be- schwerde gegen die in Dispositiv-Ziffer 1 der Einstellungsverfügung angeordnete Verfahrenseinstellung bzw. deren Begründung ist daher auch mangels Beschwer unzulässig, und es wäre darauf auch aus die- sem Grund nicht einzutreten. c) Die in der Beschwerde erhobene Behauptung, die in der an- gefochtenen Einstellungsverfügung in Anwendung des Art. 66 bis StGB angeordnete Verfahrenseinstellung verstosse gegen die in der EMRK und BV normierte Unschuldsvermutung (Ziff. 3a S. 3/4), ist ebenso wie die dort unter Hinweis auf den Basler Kommentar zum StGB I (Franz Riklin, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Ba- sel/Genf/München 2003, N 80 zu Art. 66 bis StGB) vertretene Auffas- sung, der Beschuldigte könne durch die Begründung einer in An- wendung des Art. 66 bis StGB erlassenen Einstellungsverfügung be- schwert sein (Ziff. 3a S. 5), unzutreffend. aa) Die in Art. 6 Abs. 2 EMRK bzw. Art. 32 Abs. 1 BV nor- mierte Unschuldsvermutung besagt, dass jede Person "die einer Straftat angeklagt ist, ... bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld" (Art. 6 Abs. 2 EMRK) bzw. "bis zur rechtskräftigen Verurteilung" (Art. 32 Abs. 1 BV) "als unschuldig" gilt (Art. 6 Abs. 2 EMRK; Art. 32 Abs. 1 BV). Danach gilt der Beschuldigte in einem Strafver- fahren bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung durch den Strafrichter als unschuldig. In der Einstellungsverfügung der Staats- 2004 Obergericht/Handelsgericht 92 anwaltschaft wird mit der Verfahrenseinstellung (§ 136 Abs. 1 StPO) der Verzicht auf eine Anklageerhebung angeordnet, die Vorausset- zung für eine rechtskräftige Verurteilung des Beschuldigten wäre, mit der die gemäss Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 32 Abs. 1 BV bis dahin bestehende Unschuldsvermutung erst und nur umgestossen wird bzw. werden kann. Mit der in einer Einstellungsverfügung an- geordneten Verfahrenseinstellung kann daher, auch wenn diese in Anwendung des Art. 66 bis StGB verfügt oder mit dieser Strafrechts- vorschrift begründet wird, die in Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 32 Abs. 1 BV normierte Unschuldsvermutung nicht verletzt werden. Diese bleibt mit einer in Anwendung des Art. 66 bis StGB mit schwe- rer Tatbetroffenheit und dadurch bedingter Unangemessenheit einer Strafe begründeten ebenso wie mit einer wegen Unmöglichkeit eines schlüssigen Tatbeweises oder Geringfügigkeit des Verschuldens und der Tatfolgen bzw. der Auswirkung auf das zu erwartende Strafmass verfügten Verfahrenseinstellung (§ 136 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 66 bis StGB bzw. § 24 Abs. 2 Satz 2 oder § 119 Abs. 3 bis StPO) unberührt, weil damit in jedem Fall nur der Verzicht auf die Anklageerhebung mit dabei offen bleibender Schuldfrage angeordnet wird, deren Klä- rung und Entscheidung ausschliesslich dem Strafrichter im Falle einer Anklageerhebung (§§ 143 bis 145 StPO) vorbehalten ist (§ 28 i.V.m. § 167 StPO). bb) Die Auffassung, der Beschwerdeführer könne durch eine gestützt auf Art. 66 bis StGB angeordnete Verfahrenseinstellung be- schwert sein, wird mit der Behauptung begründet, eine solche Be- schwer könne sich dann, wenn der Beschwerdeführer seines Erach- tens für den Vorfall strafrechtlich nicht verantwortlich sei, oder des- halb ergeben, weil ihm "mit dem Verzicht auf die weitere Abklärung der Schuldfrage ... die Möglichkeit genommen" werde, "seine Un- schuld im Rahmen eines gesetzlichen Verfahrens feststellen zu las- sen" (Franz Riklin, a.a.O., N 80 zu Art. 66 bis StGB). Beide Auffas- sungen sind unzutreffend. Mit einer gestützt auf Art. 66 bis StGB an- geordneten Verfahrenseinstellung wird nicht über die strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Vorfall zu Lasten des Beschuldigten ent- schieden, weshalb dieser dadurch auch nicht beschwert sein kann. Sodann kann der Beschuldigte durch eine solche Einstellungsverfü- 2004 Strafprozessrecht 93 gung nicht wegen der damit offen bleibenden Feststellung seiner Unschuld beschwert sein, da er mit der Verfahrenseinstellung als un- schuldig gilt (Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 32 Abs. 1 BV) und es einen Rechtsanspruch auf Fortsetzung des Strafverfahrens zur Fest- stellung der Unschuld, der zu Lasten des Beschuldigten mit einer angeordneten Verfahrenseinstellung verletzt werden könnte, nicht gibt. cc) Der Hinweis auf mögliche nachteilige Folgen einer gemäss Art. 66 bis StGB angeordneten - wie übrigens auch einer gemäss § 24 Abs. 2 Satz 2 oder § 19 Abs. 3 bis StPO verfügten - Verfahrensein- stellung für die haftpflicht- oder versicherungsrechtliche Regelung des Vorfalls (Franz Riklin, a.a.O., N 80 zu Art. 66 bis StGB) ist unbe- helflich. Wie sich ein solcher Einstellungsentscheid auf die spätere versicherungs- und haftpflichtrechtliche Schadensregelung auswirkt, ist für seine Anfechtbarkeit mit der Beschwerde gemäss § 141 Abs. 1 StPO ohne Rücksicht auf die Entscheidungsbegründung belanglos, da diese mit dem darin angewandten Straf- und Strafverfahrensrecht nicht rechtskräftig wird und einer weiteren Abklärung oder anderen Würdigung des Sachverhalts unter haftpflichtrechtlichen Gesichts- punkten für die Schadensregelung nach dem dafür massgebenden Haftpflicht- und Versicherungsrecht nicht entgegensteht. Der Be- schuldigte kann durch die in einer Einstellungsverfügung angeord- nete, sich straf- und strafverfahrensrechtlich stets zu seinen Gunsten auswirkende Verfahrenseinstellung, ohne dass etwas auf deren Be- gründung bzw. die dafür angewandte Gesetzesvorschrift (§ 136 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 66 bis StGB, § 24 Abs. 2 Satz 2 oder § 119 Abs. 3 bis StPO) ankommen könnte, daher nicht beschwert und auch nicht zur Anfechtung einer angeordneten Verfahrenseinstellung mit dem dafür vorgesehenen Rechtsmittel der strafprozessualen Be- schwerde (§ 141 Abs. 1 StPO) befugt sein, zu welchem der Be- schwerdeführer als Beschuldigter schon nach dem klaren Gesetzes- wortlaut des § 141 Abs. 1 StPO nicht legitimiert ist.
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2009 Obergericht 28 [...] 3 Art. 279 und 287 Abs. 3 ZGB Das mit der Unmündigenunterhaltsklage befasste Gericht, das sich mit der Genehmigung einer zwischen dem Kinderbeistand und dem Vater ge- schlossenen Unterhaltsvereinbarung begnügt, ohne die Kindesmutter angehört zu haben, begeht dieser gegenüber eine Gehörsverletzung. 2009 Zivilrecht 29 Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 23. Juni 2009 i.S. V.B. gegen H.Sch. Sachverhalt Die Gemeinde X bestellte der am 16. April 2008 geborenen Klägerin mit Beschluss vom 7. Juli 2008 eine Beiständin nach Art. 308 und 309 ZGB, die beim Bezirksgericht Y. eine Unterhaltsklage gemäss Art. 279 ZGB einleitete. Das Bezirksgericht beendete das Verfahren durch Genehmigung eines unter seiner Mitwirkung zwi- schen dem Vater (Beklagten) und der Beiständin der Klägerin zustan- de gekommenen Unterhaltsvertrags, ohne die Kindsmutter angehört zu haben, obwohl diese - wie das Gericht über die Beiständin erfah- ren hatte - den Vergleich ablehnte. Aus den Erwägungen 1.1. Erfordern es die Verhältnisse, so ernennt die Vormundschaftsbe- hörde gemäss Art. 308 ZGB dem Kind einen Beistand, der die Eltern in ihrer Sorge um das Kind mit Rat und Tat unterstützt (Abs. 1). Die Vormundschaftsbehörde kann dem Beistand besondere Befugnisse übertragen, namentlich die Vertretung des Kindes bei der Wahrung seines Unterhaltsanspruches und anderer Rechte sowie die Überwa- chung des persönlichen Verkehrs (Abs. 2). Die elterliche Sorge kann entsprechend beschränkt werden (Abs. 3). Der gestützt auf Art. 308 Abs. 1 ZGB ernannte Beistand hat die Aufgabe, die Eltern in ihrer Sorge um das Kind zu unterstützen; er hat somit keine eigenen Befugnisse, sondern kann nur nach Abspra- che mit den Eltern und mit deren Einverständnis handeln. Erst im Rahmen der ihm erteilten besonderen Befugnisse im Sinne von Art. 308 Abs. 2 ZGB ist er zu eigenem, vom Willen der Eltern unabhängi- gem Handeln ermächtigt (Guler, Die Beistandschaft nach Art. 308 ZGB, in: ZVW 1995, S. 51 ff., S. 61 ff.). Werden dem Beistand 2009 Obergericht 30 besondere Befugnisse übertragen, ist daher der Inhalt des Auftrages präzise festzulegen (BGE 118 II 242; Breitschmid in: Honsell/Vogt/ Geiser, Basler Kommentar, 3. A., Basel/Genf/München 2006, N. 6 zu Art. 308 ZGB; Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1997, N. 121 zu Art. 275 ZGB; Guler, a.a.O., S. 63). Wo nicht ein Teilentzug der elterlichen Sorge (Art. 308 Abs. 3 ZGB) erfolgt, führt die Beistandschaft i.S.v. Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB zu einer konkurrierenden Zuständigkeit des Beistandes neben dem Inhaber der elterlichen Sorge (Breitschmid, a.a.O., N.. 5 zu Art. 308 ZGB; Guler, a.a.O., S. 63; Biderbost, Die Erziehungsbeistand- schaft, Freiburg 1996, S. 287 f. und 361 ff.; Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts und des übrigen Verwandtschaftsrechts, 5. A., Bern 1999, Rz. 27.24). Das Kind hat dann zwei gesetzliche Vertreter, ei- nen ordentlichen, den Inhaber der elterlichen Sorge, und einen aus- serordentlichen, den Erziehungsbeistand (Biderbost, a.a.O., S. 281 f. und 362 f.; Hegnauer, Grundriss, a.a.O., Rz. 27.24). 1.2.-2.1. (...) 2.2. Dem Beklagten ist insoweit zuzustimmen, als der zur Vertre- tung des Kindes bei der Wahrung des Unterhaltsanspruches bestellte Beistand aufgrund seiner konkurrierenden Zuständigkeit neben dem Inhaber der elterlichen Sorge auch ohne dessen Zustimmung rechts- gültig mit dem Unterhaltspflichtigen einen Unterhaltsvertrag ab- schliessen kann (Breitschmid, a.a.O., N. 5 zu Art. 308 ZGB; ZVW 1994 S. 165). Vorliegend verhält es sich allerdings so, dass die Vorin- stanz den Anspruch der Kindsmutter auf rechtliches Gehör verwei- gert hat, indem sie sich auf die schlichte Genehmigung der von der Beiständin der Klägerin sowie vom Beklagten unterzeichneten Ver- einbarung beschränkt hat, dies umso mehr als sie wusste, dass die Kindsmutter diese Vereinbarung ablehnte. Auch in dem vom Bei- stand gestützt auf Art. 308 Abs. 2 ZGB namens des Kindes angeho- benen Unterhaltsprozess ist nämlich die Kindsmutter als Inhaberin der elterlichen Sorge berechtigt, eigene Anträge zu stellen (BGE 5P.468/2000 Erw. 2c; Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1997, N. 24b zu Art. 279/280 ZGB; Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 2009 Zivilrecht 31 1984, N. 17 zu Art. 261 ZGB) und gegen die Genehmigung eines mit Zustimmung des Beistandes abgeschlossenen Unterhaltsvertrages Beschwerde zu führen (Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1969, N. 117 zu aArt. 319 ZGB), sofern ihre Elternrechte nicht vorgängig ge- stützt auf Art. 308 Abs. 3 ZGB beschränkt worden sind. Die Kinds- mutter war daher im Unterhaltsprozess des Kindes anzuhören, zumal für die Festlegung des Unterhaltsbeitrages die Lebensstellung und Leistungsfähigkeit beider Elternteile massgebend sind (Art. 285 Abs. 1 ZGB) und deshalb im Rahmen der für die Kinderbelange geltenden Offizial- und Untersuchungsmaxime (Art. 280 Abs. 2 ZGB) stets auch die Verhältnisse der Kindsmutter abzuklären sind, denn mit dem Unterhaltsentscheid wird indirekt auch deren elterlicher Unterhalts- beitrag festgelegt (Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1997, N. 59 zu Art. 287/288 ZGB; Metzler, Die Unterhaltsverträge nach dem neuen Kindesrechts [Art. 287 und 288 ZGB], Diss., Zürich 1980, S. 93 Anm. 1 und S. 348; Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1969, N. 117 zu aArt. 319 ZGB).
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2000 Zivilprozessrecht 57 [...] 14 § 321 Abs. 2 ZPO. Wer mit seiner auf Erfüllung periodischer Leistungen gerichteten Klage vor Vorinstanz vollständig durchgedrungen ist, kann nach Ergreifen des Rechtsmittels durch die unterlegene Gegenpartei - ohne formelle Be- schwer - in der Anschlussappellation auf dem Wege der Klageänderung neu, d.h. erst nach Erlass des angefochtenen Urteils, fällig gewordene Be- treffnisse geltend machen (Erw. 1). Einfluss des Novenrechts (Erw. 3). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 8. September 2000 in Sachen R.B. gegen B.B. Aus den Erwägungen 1. Umstritten ist, ob mit der Appellationsantwort Anschlussap- pellation erhoben wurde oder nicht. Der neue Rechtsvertreter der Beklagten beantragt in seiner Stellungnahme vom 8. Mai 2000, auf die in der Appellationsantwort vorgenommene Klageerweiterung sei nicht einzutreten, mit der Begründung, dass in der Appellationsant- wort eine Anschlussappellation mit keinem Wort erwähnt sei. Indes- sen sind Rechtsschriften als Prozesshandlungen auszulegen (Vogel, 2000 Obergericht 58 Grundriss des Zivilprozessrechts, 5. Aufl., Bern 1999, 9 N 49). Er- gibt die Auslegung einer Appellationsantwort, insbesondere wenn es sich um die Eingabe eines juristischen Laien handelt, dass auch der Appellat eine Abänderung zu seinen Gunsten gegenüber dem vorin- stanzlichen Urteil will, ist dies sinngemäss als Anschlussappellation zu behandeln. Selbst wenn man gegenüber Anwälten strenger verfah- ren wollte, so muss auf jeden Fall genügen, wenn - wie hier - ein von der Begründung getrennter Antrag gestellt wird. Die Unterlassung des Wortes Anschlussappellation als solche schadet nicht. In besagter Stellungnahme wird sodann argumentiert, auf die Anschlussappellation sei mangels Beschwer nicht einzutreten. Dies- bezüglich ist vorab festzuhalten, dass durch die ausdrückliche Zulas- sung der Klageänderung im Sinne einer Klageerhöhung im Appella- tionsverfahren (§ 321 Abs. 2 in Verbindung mit § 185 Abs. 1 ZPO) die Rechtsmittelvoraussetzung der Beschwer unweigerlich durchbro- chen wird. Es ist zwar zuzugestehen, dass die Erhebung eines Rechtsmittels grundsätzlich einer Beschwer bedarf (Bühler/Edel- mann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau 1998, N 7 zu § 317 ZPO); so ist ausgeschlossen, dass der Gläubiger, der periodische Ansprüche eingeklagt hat und damit bei der ersten Instanz vollständig durchgedrungen ist, eigens zur Durch- setzung von weiteren Fälligkeiten Appellation erhebt. Anders muss es sich indessen verhalten, wenn die - beschwerte - Gegenpartei ap- pelliert hat, und der Prozess gestützt darauf weitergeführt wird. Dies- falls muss aus prozessökonomischen Gründen dem Appellaten, der vor der Vorinstanz vollständig obsiegt hat, die Möglichkeit gegeben sein, unter den Voraussetzungen von § 321 Abs. 2 in Verbindung mit § 185 Abs. 1 ZPO eine Klageänderung vorzunehmen. 2. (...) 3. a) Mit Anschlussappellation hat der Kläger das Klagebegeh- ren auf Bezahlung der bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung fälligen, um die seither fällig gewordenen Mietzinse erhöht. In der Stellung- nahme des neuen beklagtischen Rechtsvertreters wird geltend ge- 2000 Zivilprozessrecht 59 macht, diese Klageänderung sei unzulässig, weil ihr ein neuer Sach- verhalt zugrunde liege. Es ist zuzugestehen, dass der Zeitablauf, der periodisch neue Fälligkeiten bewirkt hat, eine neue Tatsache dar- stellt. Indessen darf der in § 185 verwendete Begriff des gleichen Lebenssachverhalts nicht derart eng ausgelegt werden, dass der Ein- tritt einer jeden neue Tatsache einen neuen Lebenssachverhalt dar- stellt. Vielmehr ist darunter ein umfassender Lebenssachverhalts- komplex zu verstehen, im vorliegenden Fall die als solche unbestrit- tene mietweise Überlassung des Miteigentumsanteils durch den Klä- ger an die Beklagte. Da zudem unbestritten ist, dass das Mietverhält- nis für eine feste Dauer von acht Jahren (ab 1. August 1992) abge- schlossen wurde, war der Eintritt der Fälligkeitsdaten bis und mit Juli 2000 ohne weiteres vorhersehbar, so dass die Überlassung des Mitei- gentums während acht Jahren als ein und derselbe Lebenssachverhalt zu betrachten ist. Die vorliegende Problematik ist auch nicht mit der - in der Leh- re durchaus umstrittenen - Frage zu verwechseln, ob eine Leistungs- klage auf künftige wiederkehrende Leistungen über den Urteils- zeitpunkt hinaus zulässig ist, sofern es sich nicht um Renten bzw. Unterhaltsbeiträge handelt (Guldener, Schweizerisches Zivilprozess- recht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 206; Vogel, a.a.O., 7 N 16; Bühler/ Edelmann/Killer, a.a.O., N 2 der Vorbemerkungen zu §§ 167-170 ZPO). Da es ein Merkmal der neuen Zivilprozessordnungen ist, dass das Urteil der wirklichen Rechtslage im Zeitpunkt der Urteilsfällung entsprechen soll (Vogel, a.a.O., 7 N 101), beurteilt sich die Frage, ob in einem Prozess neben bereits verfallenen periodischen Betreffnis- sen auch diejenigen geltend gemacht werden können, die zwischen der Stellung des Rechtsbegehrens und dem Urteilszeitpunkt erst fäl- lig werden, vielmehr nach den Bestimmungen über die Klageände- rung (vgl. oben). Einschränkungen ergeben sich allenfalls aus der Eventualmaxime. So ist im aargauischen Appellationsverfahren zu beachten, dass neue Angriffs- und Verteidigungsmittel (Noven) grundsätzlich nur bis zum Abschluss des zweitinstanzlichen Rechts- 2000 Obergericht 60 schriftenwechsels (bis und mit Erstattung der Anschlussappellations- antwort) vorgebracht werden können, sofern dargetan wird, dass diese im erstinstanzlichen Verfahren nicht mehr vorgebracht werden konnten (§ 321 Abs. 1 ZPO). Daraus folgt, dass grundsätzlich nur bis zu diesem Zeitpunkt fällig gewordene Verbindlichkeiten berücksich- tigt werden können. Andernfalls würde dem Schuldner die Möglich- keit genommen, Einwendungen ins Verfahren einzubringen, denen ein Sachverhalt zugrunde liegt, der sich nach Abschluss des Rechts- schriftenwechsels zugetragen hat. Eine Ausnahme gilt aber für Ver- fahren, auf die - wie das vorliegende (Art. 274d Abs. 3OR) - der Untersuchungsgrundsatz Anwendung findet.
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2003 Strafprozessrecht 75 [...] 23 Entschädigung für ungerechtfertigte Untersuchungshaft: Der Gesuchsteller, der sich zu Unrecht einem Auslieferungsbegehren der schweizerischen Behörden widersetzt, hat die dadurch bewirkte Verlängerung der Haft allein zu vertreten und diesbezüglich keinen Anspruch auf Entschädigung. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 3. Juli 2003 in Sachen Staatsanwaltschaft gegen A. M. Aus den Erwägungen 2. a) Nach § 23 Abs. 2 KV ist bei ungesetzlichem oder unbegründetem Freiheitsentzug voller Ersatz des Schadens und allenfalls Genugtuung geschuldet. Gestützt auf § 164 Abs. 3 i.V.m. § 140 Abs. 1 StPO ist dem Freigesprochenen für die 2003 Obergericht/Handelsgericht 76 Untersuchungshaft und andere Nachteile, die er erlitten hat, zu Lasten des Staates eine Entschädigung zu gewähren. Diese kann aber verweigert werden, wenn der Beschuldigte das Verfahren durch ein verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen verschuldet oder erschwert hat. Der Entschädigungsanspruch nach § 140 Abs. 1 StPO für erlittene Untersuchungshaft beinhaltet nach ständiger Praxis des Obergerichts auch einen Anspruch auf Genugtuung. Eine Entschädigung bei blossem Teilfreispruch oder bei Überhaft ist demnach in der Aargauischen Strafprozessordnung nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich, vorgesehen (vgl. hiezu Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. Aufl., Basel 2002, S. 536, Anm. 8 und dortige Verweisung auf AGVE 1987 S. 81 ff.). Bei ungesetzlichem oder unbegründetem Freiheitsentzug ist aber, wie dargestellt, von Verfassungs wegen "voller Ersatz des Schadens und allenfalls Genugtuung" geschuldet. Die Bestimmung von § 23 Abs. 2 KV ist unmittelbar anwendbar, und ein solcher Anspruch kann auch im Strafprozess geltend gemacht werden (Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1986, N 10 zu § 23 KV). Voraussetzung der Gel- tendmachung im Strafprozess ist allerdings, dass der Anspruch ausgewiesen ist und liquide Verhältnisse vorliegen, ansonsten der Betroffene zur Durchsetzung seiner Forderungen auf den Verant- wortlichkeitsprozess verwiesen wird (AGVE 1992 S. 123/124 Erw. 5). b) Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs für die ausge- standene Überhaft ist folglich, dass sie sich als ungesetzlich, je- denfalls aber als unbegründet erweist und dies von den schwei- zerischen Strafverfolgungsbehörden zu vertreten ist. Davon kann im zu beurteilenden Fall jedoch keine Rede sein. Der Gesuchsteller wurde zwar in einigen Anklagepunkten freigesprochen, indessen rechtskräftig wegen mehrfacher, teilweise versuchter Unzucht mit Kindern schuldig erklärt und mit 6 Monaten Gefängnis bedingt, Probezeit 2 Jahre, bestraft. Die Untersuchungshaft wurde ihm auf die ausgefällte Freiheitsstrafe angerechnet. Trotz der Freisprüche war demnach das schweizerische Auslieferungsbegehren zu Recht gestellt worden. Die lange Dauer der Auslieferungshaft ist weder 2003 Strafprozessrecht 77 durch die schweizerischen noch durch die brasilianischen Behörden, sondern allein vom Gesuchsteller zu vertreten, der sich dem Auslieferungsbegehren zu Unrecht widersetzt und dadurch die fast 10-monatige Auslieferungshaft verursacht hat. Hätte er die Ausliefe- rung nicht bekämpft, sondern anerkannt, so wäre er innert kurzer Zeit den schweizerischen Behörden überstellt worden und hätte jedenfalls weniger als die gegen ihn ausgesprochenen 6 Monate Gefängnis in Untersuchungshaft verbringen müssen. Ob sein Verhalten im Aus- lieferungsverfahren schuldhaft (verwerflich oder leichtfertig) erfolgt ist, braucht nicht geprüft zu werden und kann offen bleiben. Jedenfalls musste nach der ungerechtfertigten Bekämpfung der Auslieferung durch den Gesuchsteller ein Gerichtsentscheid des obersten Bundesgerichtshofes in Brasilien ergehen, dieser dann im dafür vorgesehenen Amtsblatt veröffentlicht werden und in Rechtskraft erwachsen. Dies dauert erfahrungsgemäss längere Zeit, und hiefür hat allein der Gesuchsteller einzustehen. Zusammenfassend ist folglich die lange Dauer der Untersu- chungshaft nicht von den schweizerischen Behörden, sondern vom Gesuchsteller zu vertreten. Die Überhaft war demnach weder unge- setzlich noch ungerechtfertigt, und eine Haftentschädigung bzw. Genugtuung ist nicht auszurichten.
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2010 Obergericht 46 [...] 10 Art. 139 StGB. Das Stellen einer Diebesfalle (Präparierung einer Geldnote und Platzie- rung in Portemonnaie) ist keine Einwilligung zum Gewahrsamsbruch und schliesst die Wegnahme im Sinn von Art. 139 StGB nicht aus. Auszug aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 20. Ja- nuar 2010, i.S. StA gegen L.A.K. (SST.2009.190) 2010 Strafrecht 47 Aus den Erwägungen 4.2. Fremd ist eine Sache, die nicht allein im Eigentum des Tä- ters steht. Wegnahme ist Bruch fremden und Begründung neuen (meist eigenen) Gewahrsams. Dieser besteht in der tatsächlichen Sachherrschaft, verbunden mit dem Willen, sie auszuüben. Ob Ge- wahrsam gegeben ist, bestimmt sich nach den allgemeinen Anschau- ungen und den Regeln des sozialen Lebens. Bruch des Gewahrsams ist die Aufhebung des fremden Gewahrsams gegen den Willen des bisherigen Inhabers (Urteil des Bundesgerichts 6S.47/1999 vom 5. September 2000, E. 1a mit Hinweisen). 4.3. Die präparierte 20er-Note stand im Eigentum und im Ge- wahrsam der Geschädigten. Die Geschädigte, welche die Note zur Verfügung stellte und die Diebin auf die Probe stellen wollte, war nicht damit einverstanden, dass diese ihren Gewahrsam aufhebt, mit- hin den fremden Gewahrsam bricht. Indem die Geschädigte, deren Wille lediglich darauf gerichtet ist, den Täter zu überführen, eine allfällige Wegnahme in Kauf nimmt oder sogar wünscht, erlaubt sie diese nicht. Ohne eine solche Erlaubnis kann auch nicht von einer Einwilligung des bisherigen Gewahrsamsinhabers gesprochen wer- den. Das Stellen einer Diebesfalle ist somit keine Einwilligung zum Gewahrsamsbruch und schliesst daher eine Wegnahme nicht aus (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6S.47/1999 vom 5. September 2000, E. 1b; Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 29. Juli 1981 [zu Art. 137 aStGB], LGVE 1981 I Nr. 44 S. 63 f. = SJZ 79 (1983) Nr. 12 S. 81, bestätigt durch das Bundesgericht am 29. September 1981; a.A. hingegen M ARCEL A LEXANDER N IGGLI /C HRISTOF R IEDO , in: Basler Kommentar, Strafrecht II, Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], 2. Aufl., Basel 2007, Art. 139 N. 49). Bei der (...) aufgezeigten Sachlage nahm die Angeklagte die 20er-Note an sich und hat damit den Gewahrsam der Geschädigten gegen deren Willen aufgehoben und neuen, eigenen Gewahrsam be- gründet, mithin eine fremde bewegliche Sache weggenommen. Wei- ter muss davon ausgegangen werden, dass die Angeklagte die 20er- Note in Aneignungs- und in Bereicherungsabsicht weggenommen 2010 Obergericht 48 hat. Damit hat sie den Tatbestand des geringfügigen Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. Art. 172 ter StGB erfüllt.
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AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2010-10_2000-09-05
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 1. Kammer HOR.2018.5 / ts / ts Art. 44 Urteil vom 21. März 2019 Besetzung Oberrichter Dubs, Präsident Ersatzrichter Boner Handelsrichter Bäumlin Handelsrichter Meyer Gerichtsschreiberin Schmutz Kläger A._, unentgeltlich vertreten durch lic. iur. Daniel Santini, Rechtsanwalt, Ober- dorfstrasse 28, Postfach, 5703 Seon Beklagte B._, vertreten durch lic. iur. Matthias Becker, Rechtsanwalt, Niederlen- zerstrasse 10, Postfach 2312, 5600 W. Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Der Kläger ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in Z. 2. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Y. Sie bezweckt im We- sentlichen den Betrieb jeder Art von Versicherung [...] (Klagebeilage [KB] 3). 3. Die C. (nachfolgend auch: die Konkursitin) ist eine Gesellschaft mit be- schränkter Haftung mit Sitz in Z. Sie befindet sich seit [...] 2016 in Liquida- tion. Sie bezweckte im Wesentlichen Malerarbeiten [...] (KB 4). 4. 4.1. Die Konkursitin als Versicherungsnehmerin schloss mit der Beklagten als Versicherin eine Sachversicherung "Professional", Police Nr. [...], Versi- cherungsbeginn per 1. April 2014, ab (KB 2; nachfolgend: Police Nr. [...]). 4.2. In der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober 2014 ereignete sich in den Ge- schäftsräumlichkeiten der Konkursitin ein Brand (KB 17). Am 13. Oktober 2014 meldete die Konkursitin bei der Beklagten einen Schadensfall (Ant- wortbeilage [AB] 4, 5). 5. Die Staatsanwaltschaft X. führte gegen den Kläger ein Vorverfahren wegen versuchten Betrugs (Art. 146 i.V.m. Art. 22 StGB) und Brandstiftung (Art. 319 Abs. 1 lit. a StGB). Mit Verfügung vom [...] 2015 stellte sie das Strafverfahren gegen den Kläger ein (KB 43). 6. 6.1. Gemäss (notorischem)1 Handelsregisterauszug eröffnete das Gerichtsprä- sidium W. mit Verfügung vom [...] 2016 den Konkurs über die Konkursitin mit Wirkung ab dem [...] 2016, 09:30 Uhr (vgl. KB 6). 6.2. Der Kläger ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Konkursitin (Klage- beilage [KB] 4). In deren Konkurs wurde er mit zwei Forderungen von 1 BGer 4A_739/2011 vom 3. April 2012 E. 1.3; 4A_645/2011 vom 27. Januar 2012 E. 3.4.2; 4A_422/2011 vom 3. Januar 2012 E. 2.3.1. - 3 - Fr. 850'000.00 und Fr. 18'708.35 in der dritten Klasse zugelassen (vgl. KB 9). 6.3. Gemäss Gläubigerzirkular Nr. 1 des Konkursamtes V., vom [...] 2017 ist im Inventar unter Ord. Nr. 5 ein Schadenersatzanspruch gegenüber der "B." in der Höhe von gesamthaft rund Fr. 1'200'000.00 aufgeführt. Dabei han- delt es sich gemäss Gläubigerzirkular Nr. 1 um einen Versicherungsan- spruch der Konkursitin gegenüber der "B." (KB 7). 6.4. Mit Ermächtigung vom [...] 2017 bescheinigte die Konkursverwaltung im Konkurs der C. den Verzicht der Mehrheit der Gläubiger auf die Geltend- machung der Schadenersatzforderung gegenüber der B. (KB 9). Nachdem der Kläger – im Konkurs mit zwei Forderungen in der dritten Klasse zuge- lassen – innert der angesetzten Frist die Abtretung dieser Massarechte nach Art. 260 SchKG verlangt hatte, wurde er zur Geltendmachung dieser Rechte an Stelle der Masse, in eigenem Namen und auf eigene Rechnung und Gefahr, ausdrücklich ermächtigt. Bezüglich der gleichen Rechte erfolg- ten keine Abtretungen an weitere Gläubiger (KB 9). 7. Mit Klage vom 1. Februar 2018 (Postaufgabe: gleichentags) stellte der Klä- ger die folgenden Rechtsbegehren: "1. Die Beklagte sei unter Nachklage- und Mehrforderungsvorbehalt zu verpflichten, der Konkursmasse der C., zugunsten des Klägers, einen Betrag von Fr. 868'708.35 inklusive Verzugszins von 5 Prozent seit 10. November 2015 zu bezahlen. 2. Unter voller Kosten- und Entschädigungsfolgen, zuzüglich MwSt. auf der Parteientschädigung, zulasten der Beklagten." Zur Begründung brachte der Kläger im Wesentlichen vor, die Konkursitin habe bei der Beklagten eine Sachversicherungspolice abgeschlossen und aufgrund eines Brandfalls einen Anspruch gegen die Beklagte auf Versi- cherungsleistungen. Die Ansprüche der Konkursitin gegen die Beklagte seien dem Kläger gemäss Art. 260 SchKG abgetreten worden. 8. Mit Verfügung vom [...] 2018 erklärte das Gerichtspräsidium W. das Kon- kursverfahren als geschlossen. Am 8. März 2018 wurde die C. im Handels- register gelöscht. 9. Mit Antwort vom 18. April 2018 (Postaufgabe: gleichentags) stellte die Be- klagte die folgenden Rechtsbegehren: - 4 - "1. Die Klage sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 2. 2.1. Das Verfahren sei vorläufig auf die formellen Fragen und die Frage der Verwirkung zu beschränken. 2.2. Es sei der Beklagten die Frist zur Erstattung einer vollständigen Kla- geantwort abzunehmen und ihr im Falle einer Abweisung des gemäss Ziff. 2.1 vorstehend oder im Falle einer der Verwirkung im Rahmen der Beurteilung derselben neu Frist zur Erstattung einer vollständigen Klageantwort , in welcher sich die Beklagte zu allen materiellen Aspekten äussern kann. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Klägers." Die Beklagte führte zur Begründung im Wesentlichen aus, auf das klägeri- sche Begehren könne im Umfang von Fr. 18'708.35 mangels sachlicher Zuständigkeit nicht eingetreten werden. Soweit auf die Klage eingetreten werden könne, seien jegliche Ansprüche aus der Sachversicherungspolice nach Massgabe der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (nachfol- gend: AVB) verwirkt. 10. 10.1. Mit Eingabe vom 30. April 2018 (Postaufgabe: gleichentags) nahm der Klä- ger zur Frage der Verfahrensbeschränkung Stellung und beantragte im Wesentlichen, der Verfahrensantrag der Beklagten sei abzuweisen. 10.2. Mit Verfügung vom 3. Mai 2018 wurde das Verfahren auf das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen und die Frage der Verwirkung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche beschränkt (Art. 125 lit. a ZPO). 11. Mit Replik im beschränkten Verfahren vom 17. Mai 2018 (Postaufgabe: gleichentags) hielt der Kläger an den Rechtsbegehren der Klage vom 1. Februar 2018 fest und beantragte überdies, auf die Klage sei bezüglich des vollständigen Forderungsbetrags einzutreten und die Klage sei man- gels Anspruchsverwirkung für das weitere Prozessthema an die Hand zu nehmen. 12. Mit Duplik im beschränkten Verfahren vom 26. Juni 2018 (Postaufgabe: gleichentags) hielt die Beklagte an den Rechtsbegehren Ziff. 1 und 2 der Antwort vom 18. April 2018 fest und beantragte eventualiter für den Fall, dass die Prozessvoraussetzungen erfüllt sein sollten und der Eintritt der - 5 - Verwirkung verneint werden sollte, der Beklagten sei mit dem entsprechen- den Entscheid gleichzeitig auch Frist zur Erstattung der vollständigen Ant- wort anzusetzen. 13. Mit Eingabe vom 6. Juli 2018 (Postaufgabe: gleichentags) reichte der Klä- ger eine "Stellungnahme zu Dupliknoven" (nachfolgend: Eingabe vom 6. Juli 2018) ein. 14. Mit Eingabe vom 16. Juli 2018 (Postaufgabe: gleichentags) nahm die Be- klagte zur Eingabe des Klägers vom 6. Juli 2018 Stellung. 15. Mit Verfügung vom 10. September 2018 zeigte der Präsident des Handels- gerichts den Parteien an, dass die C. am [...] 2018 im Handelsregister ge- löscht worden und die Publikation der Löschung im Schweizerischen Han- delsamtsblatt am [...] 2018 erfolgt war. Den Parteien wurde Frist angesetzt zur freiwilligen Stellungnahme zur Tatsache der Löschung der C. 16. Mit Entscheid vom 17. September 2018 wies der Gerichtspräsident des Be- zirksgerichts W. das Handelsregisteramt gestützt auf Art. 164 Abs. 1 HRegV an, die Konkursitin im Handelsregister wiedereinzutragen. Die Wie- dereintragung erfolgte am [...] 2018 und wurde am [...] 2018 im Schweize- rischen Handelsamtsblatt publiziert.2 17. Am 21. November 2018 wurden die Beweisverfügung erlassen und die Par- teien angefragt, ob sie auf eine Hauptverhandlung gänzlich verzichten oder beantragen, schriftliche Schlussvorträge einzureichen. Nach Eingang der Verzichte auf eine mündliche Hauptverhandlung sowie der Anträge auf Er- stattung schriftlicher Schlussvorträge beider Parteien wurde diesen Frist bis am 22. Januar 2019 angesetzt, um schriftliche Schlussvorträge einzu- reichen. 18. Die Beklagte reichte mit Eingabe vom 15. Januar 2019 (Postaufgabe: glei- chentags) ihren Schlussvortrag und mit Eingabe vom 21. Januar 2019 (Postaufgabe: gleichentags) ihre Kostennote ein. Der Kläger erstattete sei- nen Schlussvortrag mit Eingabe vom 22. Januar 2019 (Postaufgabe: glei- chentags). 2 Vgl. <https://ag.chregister.ch/cr-portal/auszug/auszug.xhtml?uid=CHE-418.793.595> (zuletzt be- sucht am 21. März 2019). - 6 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Die Prozessvoraussetzungen, namentlich die Zuständigkeit des angerufe- nen Gerichts, sind von Amtes wegen zu prüfen (Art. 60 ZPO). 1.1. Örtliche Zuständigkeit Für Klagen aus Vertrag ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder an dem Ort zuständig, an dem die charakteristische Leistung zu erbringen ist (Art. 31 ZPO). Bei Versicherungsverträgen gilt die Leistung des Versicherers als die charakteristische.3 Gemäss Art. 46a VVG müssen Versicherer ihre Verpflichtungen aus Versicherungsverträgen am schwei- zerischen Wohnsitz des Versicherten oder Versicherungsnehmers erfüllen. Die Konkursitin als Versicherungsnehmerin hat ihren Sitz in Z., wo die cha- rakteristische Leistung zu erbringen ist. Damit sind die Gerichte des Kan- tons Aargau örtlich zuständig. Im Übrigen hat sich die Beklagte auf das Verfahren eingelassen (vgl. Art. 18 ZPO). 1.2. Sachlich-funktionelle Zuständigkeit 1.2.1. Parteibehauptungen Der Kläger macht geltend, die Streitigkeit betreffe die geschäftliche Tätig- keit der Konkursitin und der Beklagten, die beide im schweizerischen Han- delsregister eingetragen seien (Klage N. 2). Der Prozessgegenstand be- stimme sich nach der Forderung der Konkursitin gegen die Beklagte. Der Kläger mache von dieser Forderung jenen Teil geltend, für den er von der Masse aufgrund seiner kollozierten Forderung Vorausbefriedigung ver- lange (Replik N. 6). Der Streitwert betrage Fr. 868'708.35, womit die Be- schwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offenstehe (Klage N. 2). Die Beklagte bestreitet die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Ge- richts für das Begehren im Umfang von Fr. 18'708.35 mit der Begründung, dem Kläger seien zwei Forderungen über Fr. 850'000.00 und Fr. 18'708.35 abgetreten worden und eine Addition der Forderungen sei unzulässig. Es sei nicht klar, wie sich die Forderungen zusammensetzten und auf welche Anspruchsgrundlage sie sich stützten (Antwort N. I.3.4., Duplik N. I.3.2.). 1.2.2. Rechtliches Die Abtretung nach Art. 260 SchKG ist eine Form der Prozessstandschaft. Der Abtretungsgläubiger handelt im Prozess zwar in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko, wird durch die Abtretung indes nicht Träger des abgetretenen Anspruchs. Abgetreten wird ihm nur das Prozessführungsrecht der Masse; Rechtsträgerin des Anspruchs bleibt die 3 BSK VVG Nachf.Bd.-GROLIMUND/VILLARD, 2012, Art. 46a ad N. 21 ff. - 7 - Masse. Dem Abtretungsgläubiger steht allerdings bei der Verteilung des Prozesserlöses ein Anspruch auf Vorausbefriedigung zu (Art. 260 Abs. 2 SchKG).4 Das Handelsgericht ist sachlich zuständig, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist, gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offen steht und die Parteien im schwei- zerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Re- gister eingetragen sind (Art. 6 Abs. 2 ZPO). Ist nur die beklagte Partei im Handelsregister eingetragen, hat die klagende Partei die Wahl zwischen dem Handelsgericht und dem ordentlichen Gericht (Art. 6 Abs. 2 ZPO). 1.2.3. Würdigung Laut Ermächtigung der Konkursverwaltung im Konkurs der C. vom [...] 2017 wurde dem Kläger die Schadenersatzforderung der Konkursitin ge- gen die "B." gestützt auf Art. 260 SchKG abgetreten (KB 9). Bei den er- wähnten zwei Forderungen von Fr. 850'000.00 und Fr. 18'708.35 handelt es sich um Forderungen des Klägers gegen die Konkursitin, mit denen die- ser in der dritten Klasse im Konkurs zugelassen wurde (KB 9). Abgetreten wurden nicht diese zwei Forderungen des Klägers, sondern die Schaden- ersatzforderung der Konkursitin gegen die "B.". Wenn in der Ermächtigung vom [...] 2017 davon die Rede ist, dass der Kläger die Abtretung "dieser Massarechte" verlangt habe und er zur Geltendmachung "dieser Rechte" ermächtigt werde (KB 9), handelt es sich dabei um den Anspruch der Kon- kursitin gegen die Beklagte und nicht um die eigenen Ansprüche des Klä- gers gegen die Konkursitin. Diese Forderung der Konkursitin gegen die Be- klagte klagt der Kläger als Abtretungsgläubiger i.S.v. Art. 260 SchKG im Umfang von Fr. 868'708.35 in eigenem Namen ein. Somit liegt keine objektive Klagenhäufung vor (wobei eine solche im Übri- gen entgegen der Auffassung der Beklagten gerade keinen sachlichen Zu- sammenhang erfordert, vgl. Art. 90 ZPO)5, sondern es wird nur eine einzige Forderung geltend gemacht. Der Streitwert beträgt Fr. 868'708.35, womit die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offen steht (vgl. Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Es ist die geschäftliche Tätigkeit sowohl der Kon- kursitin als auch der Beklagten betroffen. Die Beklagte wie auch die Kon- kursitin sind im schweizerischen Handelsregister eingetragen. Ob bezüg- lich der Voraussetzung des Handelsregistereintrags auf den Kläger als Pro- zessstandschafter6 oder die Konkursitin als Anspruchsberechtigte abzu- stellen ist, kann offenbleiben. Denn falls auf die Konkursitin abgestellt wird, 4 BGE 139 III 391 E. 5.1; 132 III 346 E. 2.2; 121 III 488 E. 2b. 5 Vgl. BSK ZPO-KLAUS, 3. Aufl. 2017, Art. 90 N. 17; zur streitwertabhängigen Bestimmung der sach- lichen Zuständigkeit BGE 142 III 788 E. 4.2.3 (Zusammenrechnung gemäss Art. 93 ZPO vor nach Art. 90 ZPO). 6 So obiter dicta offenbar das Bundesgericht in BGE 141 III 527 E. 2.3.3; hingegen offen gelassen in BGer 4A_405/2015 vom 26. Januar 2016 (nicht publ. in BGE 142 III 96). - 8 - war diese bei Klageeinleitung sowie im heutigen Zeitpunkt im Handelsre- gister eingetragen. Soweit auf den Kläger als Prozessstandschafter abzu- stellen ist, steht diesem das Wahlrecht nach Art. 6 Abs. 3 ZPO offen. Somit ist das Handelsgericht des Kantons Aargau gemäss Art. 6 Abs. 2 bzw. Abs. 3 ZPO i.V.m. § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO jedenfalls sachlich zuständig. Es entscheidet als Kollegialgericht. 1.3. Prozessführungsbefugnis Die Prozessführungsbefugnis ist das Recht, als Partei über einen strittigen Anspruch einen Prozess zu führen.7 Sie ist Prozessvoraussetzung.8 In Fäl- len der Abtretung nach Art. 260 SchKG fallen Sachlegitimation und Pro- zessführungsbefugnis auseinander. Der Abtretungsgläubiger ist nicht Trä- ger des streitigen Rechts, sondern aufgrund spezieller Gesetzesvorschrift prozessführungsbefugt (sog. Prozessstandschaft).9 Die strittige Forderung der Masse gegen die Beklagte wurde dem Kläger gestützt auf Art. 260 SchKG abgetreten (KB 9). Die Konkursitin wurde am [...] 2018 im Handelsregister gelöscht und am [...] 2018 wieder eingetra- gen. Die Wiedereintragung erfolgte nach Aktenschluss, kann aber ohne weiteres berücksichtigt werden, da das Gericht das Vorliegen der Prozess- voraussetzungen von Amtes wegen zu prüfen hat (Art. 229 Abs. 3 i.V.m. Art. 60 ZPO) und diese grundsätzlich im Zeitpunkt des Entscheids gegeben sein müssen.10 Angesichts der Wiedereintragung braucht nicht beurteilt zu werden, ob die Löschung der konkursiten Gesellschaft im Handelsregister zum Verlust der Prozessführungsbefugnis des nach Art. 260 SchKG agie- renden Abtretungsgläubigers führt.11 Der Kläger ist somit als Prozessstand- schafter prozessführungsbefugt. 1.4. Teilklage Ist ein Anspruch teilbar, so kann auch nur ein Teil eingeklagt werden (Art. 86 ZPO). Eine echte Teilklage liegt vor, wenn von einem behaupteten Gesamtanspruch lediglich ein Teil eingeklagt wird.12 Dem Kläger wurde die gesamte Schadenersatzforderung der Konkursitin gegen die Beklagte nach Art. 260 SchKG abgetreten (KB 9). Die Forderung wurde im Inventar mit rund Fr. 1'200'000.00 aufgenommen (vgl. KB 7). Da- von macht der Kläger im vorliegenden Verfahren Fr. 868'708.35 klage- weise geltend. Er erhebt eine echte Teilklage, was zulässig ist. 7 ZÜRCHER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur schweizerischen Zi- vilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 59 N. 67 m.w.N. 8 ZÜRCHER (Fn. 7), Art. 59 N. 69. 9 STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 13 N. 25 f.; ZÜRCHER (Fn. 7), Art. 59 N. 67 sowie die Nachweise in Fn. 4. 10 BGE 127 III 41 E. 4c. 11 Vgl. LORANDI, Löschung einer Gesellschaft im Handelsregister nach Abschluss des Insolvenzver- fahrens, AJP 2018, S. 729. 12 BOPP/BESENICH, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 8), Art. 86 N. 4. - 9 - 1.5. Übrige Prozessvoraussetzungen Die weiteren Prozessvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen An- lass. Auf die Klage ist einzutreten. 2. Replik- und Novenrecht 2.1. Parteibehauptungen Die Klägerin hat mit Eingabe vom 6. Juli 2018 zu angeblichen Dupliknoven Stellung genommen. Die Beklagte bestreitet, dass es sich bei ihren Aus- führungen in der Duplik um Noven gehandelt habe und bestreitet die klä- gerischen Ausführungen dazu (Eingabe vom 16. Juli 2018). 2.2. Rechtslage Den Parteien steht nach Abschluss des Schriftenwechsels gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1 und 2 BV das Recht zu, zu jeder Eingabe der Gegenpartei Stellung zu nehmen, und zwar unabhängig da- von, ob diese neue und erhebliche Gesichtspunkte enthält.13 Vom Replik- recht zu unterscheiden ist die Regelung von Art. 229 Abs. 1 ZPO (Noven- recht). Nach Eintritt des Aktenschlusses können neue Tatsachen und Be- weismittel nur noch unter den Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO vorgebracht werden.14 Eine Tatsache ist neu, wenn sie ein Sachverhalts- element erstmals einführt. Wird ein bereits eingeführtes Sachverhaltsele- ment hingegen bloss klargestellt, ist es nicht neu. Jedoch sind Vorbringen neu, die dem Nachsubstantiieren dienen, wenn die Partei ein substantiier- tes Behaupten oder Bestreiten zuvor unterlassen hat.15 Die Verspätung ist entschuldbar, wenn der betroffenen Partei keine Nachlässigkeit bei der Be- hauptungs- oder Beweisführungslast vorzuwerfen ist. Das Mass der zumut- baren Sorgfalt ist aus der Sicht vor dem Aktenschluss und nicht ex post zu bewerten.16 Es gilt ein objektiver Massstab.17 Es obliegt der Partei, die das Novenrecht beansprucht, darzutun, inwiefern die Verspätung entschuldbar ist.18 Ohne Verzug sind Noven vorgebracht, wenn sie unverzüglich nach der Entdeckung in den Prozess eingebracht werden.19 Gemäss der han- delsgerichtlichen Praxis sind Noven im ordentlichen Verfahren innert kurzer Frist (praxisgemäss 10 Tage)20 und – falls sie nicht erst unmittelbar vor der 13 BGE 144 III 117 E. 2.1; 138 I 154 E. 2.3.3 m.w.N. 14 LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 8), Art. 229 N. 4a. 15 BSK ZPO-WILLISEGGER, 3. Aufl. 2017, Art. 229 N. 16. 16 LEUENBERGER (Fn. 14), Art. 229 N. 8. 17 BSK ZPO-WILLISEGGER (Fn. 15), Art. 229 N. 32. 18 BSK ZPO-WILLISEGGER (Fn. 15), Art. 229 N. 33; vgl. LEUENBERGER (Fn. 14), Art. 229 N. 10. 19 LEUENBERGER (Fn. 14), Art. 229 N. 9. 20 Vgl. Merkblatt des Handelsgerichts, abrufbar unter: <https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/ dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_Handelsgericht.pdf> (zuletzt besucht am 21. März 2019). - 10 - Hauptverhandlung entstehen – noch vor Durchführung der Hauptverhand- lung mittels Noveneingabe in das Verfahren einzubringen.21 Ob das Erfor- dernis des Vorbringens "ohne Verzug" mit Bezug auf eine bestimmte Ein- gabe eingehalten ist, ist letztlich jedoch in Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Allgemein ist immerhin festzuhalten, dass nach der Entdeckung von Noven nicht einfach zugewartet werden darf, bis die Gegenpartei eine Eingabe macht, worauf im Rahmen des Rep- likrechts zu dieser Eingabe Stellung genommen wird. 2.3. Würdigung Die Klägerin hat mit ihrer Eingabe vom 6. Juli 2018 von ihrem unbedingten Replikrecht Gebrauch gemacht. Ob die enthaltenen Tatsachenbehauptun- gen im Einzelnen zu berücksichtigen oder verspätet erfolgt sind, ist eine Frage des Novenrechts. Soweit die Klägerin in ihrer Eingabe hingegen rechtliche Ausführungen macht oder tatsächliche Ausführungen aus der Klage oder Replik lediglich wiederholt, gilt die Novenschranke nicht oder sind es keine Noven. Die Ausführungen der Klägerin erweisen sich über weite Strecken als Wie- derholungen oder rechtliche Ausführungen. Soweit neue Tatsachen enthal- ten sind und diese sich als entscheidrelevant erweisen, wird deren Zuläs- sigkeit im Rahmen der Würdigung thematisiert. 3. Prüfungsaufbau Aufgrund des beklagtischen Einwands, die angeblichen Ansprüche der Konkursitin aus der Police Nr. [...] seien verwirkt, wurde das Verfahren auf die Frage der Verwirkung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche beschränkt. In diesem Rahmen ist zunächst zu beurteilen, ob die AVB, auf welche die Beklagte die Einwendung der Verwirkung stützt, wirksam in den Versicherungsvertrag einbezogen wurden. Sodann ist die Verwirkungs- klausel auszulegen und zu prüfen, ob sie gültig ist. Gegebenenfalls wird zu beurteilen sein, ob die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche verwirkt sind. 4. Wirksamer Einbezug der AVB, insbesondere von Ziff. H. 4.1. Parteibehauptungen 4.1.1. Kläger Der Kläger behauptet, er habe sich in den Jahren 2012 und 2014 von D. (Hauptagentur U.) betreffend Sachversicherung für die Konkursitin beraten lassen. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 17. März 2014 sei er, der Kläger, einziger Geschäftsführer der Konkursitin gewesen und habe diese gegenüber der Beklagten vertreten (Replik N. 23). Die Police Nr. [...] sei per 1. April 2014 abgeschlossen worden (Klage N. 7). 21 Vgl. auch LEUENBERGER (Fn. 14), Art. 229 N. 9 m.w.N.; ZR 2014 Nr. 54, S. 176. - 11 - Der Kläger behauptet weiter, sein Verständnis des gesprochenen Deutsch inkl. Schweizerdeutsch sei gut und er könne sich gebrochen in Schweizer- deutsch mündlich ausdrücken. Jedoch sei er der deutschen Schriftsprache nicht mächtig (Klage N. 7, Replik N. 24). Die AVB bzw. die Verwirkungs- klausel seien nicht Vertragsinhalt geworden. Die Konkursitin bzw. der Klä- ger habe den Verweis auf die AVB in der Police Nr. [...] mangels Kenntnis der deutschen Schriftsprache nicht lesen können und seine Bedeutung nicht verstanden (Replik N. 22 und 24). Daher habe die Konkursitin die AVB bzw. die Verwirkungsklausel der Beklagten nicht übernommen (Replik N. 24). Mangels Kenntnis und Verständnis der AVB habe die Konkursitin auch keine Beanstandungen gemäss Art. 12 VVG erheben können (Ein- gabe vom 6. Juli 2018 S. 10). Überdies macht der Kläger geltend, die AVB seien "der Beklagten [sic] überhaupt nicht ausgehändigt" worden (Replik N. 26). In seiner Eingabe vom 6. Juli 2018, S. 10, führt er aus, er habe an der zitierten Stelle der Replik behauptet, die AVB seien der Konkursitin nicht ausgehändigt wor- den (vgl. auch klägerischer Schlussvortrag S. 3). Ferner habe die Konkur- sitin keine versicherungsrechtlichen Sachkenntnisse (Replik N. 26). Für den Fall, dass die AVB übernommen worden sein sollten, führt der Klä- ger aus, es handle es sich um eine Globalübernahme, zumal der Kläger bzw. die Konkursitin die AVB nicht gelesen habe bzw. nicht habe lesen können (Replik N. 26; klägerischer Schlussvortrag S. 3). Gemäss Ziff. H. Abs. 3 [recte: Abs. 2] AVB verwirke der Anspruch, wenn die Beklagte den Anspruch ablehne, innert zwei Jahren nach Eintritt des Schadensereignis- ses. Gemäss Ziff. I. Abs. 3.2 AVB werde die Fälligkeit des Anspruchs wäh- rend der Dauer eines Strafverfahrens bis zu dessen Abschluss aufgescho- ben. Die Verwirkungsfrist laufe unabhängig von der Fälligkeit (Replik N. 28). Dies könne dazu führen, dass die Verwirkung bereits eintrete, bevor die Forderung des Versicherungsnehmers überhaupt fällig und damit klag- bar geworden sei. Die Verwirkungsklausel sei ungewöhnlich und greife zu- dem erheblich in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers ein (Replik N. 29; Eingabe vom 6. Juli 2018 S. 12; klägerischer Schlussvortrag S. 3 bis 5). Der Kläger bestreitet, dass die von der Beklagten beigebrachten Policen die Verbreitung und Häufigkeit der Verwirkungsklausel belegten (Eingabe vom 6. Juli 2018 S. 11). 4.1.2. Beklagte Die Beklagte macht geltend, die AVB [...] sowie die Zusatzbedingungen Sachversicherung [...] seien Bestandteile der Police Nr. [...] (Antwort N. II.1.1., Duplik N. II.2.1.). Dies sei in der Police ausdrücklich festgehalten. Der Kläger behaupte denn auch nicht, AVB und Zusatzbedingungen nicht erhalten zu haben (Duplik N. II.2.1.). In Ziff. H. AVB seien die Verjährung und Verwirkung geregelt. Die Vorgaben gemäss Art. 3 Abs. 2 VVG seien eingehalten und die AVB inklusive der Verwirkungsklausel gemäss Ziff. H. - 12 - gültig übernommen worden (Antwort N. II.1.6.2.). Der Kläger behaupte nicht, dass die Konkursitin nach Zustellung der Police Nr. [...] deren Aus- stellung und Inhalt in irgendeiner Form gegenüber der Beklagten bean- standet habe. Damit habe die Konkursitin den Inhalt nach Massgabe von Art. 12 VVG, der am Schluss der Police explizit festgehalten sei, geneh- migt. Die Sprach- und Lesekenntnisse des Klägers seien weder für die Rechtsgültigkeit der Police Nr. [...] noch für die Übernahme weiterer Ver- tragsbestandteile von Belang. Zudem seien die Behauptungen unglaubhaft (Duplik N. II.2.1.; beklagtischer Schlussvortrag S. 4). Sodann bestreitet die Beklagte, dass die Verwirkungsklausel gemäss Ziff. H. AVB ungewöhnlich sei. Weder werde die Vertragsnatur wesentlich verändert noch falle sie aus dem Rahmen des Vertragstyps. Auch entspre- che die Klausel Art. 46 Abs. 2 VVG und beeinträchtige die Rechtsstellung der Konkursitin im Vergleich zur gesetzlichen Regelung nicht (Antwort N. II.1.6.4.; beklagtischer Schlussvortrag S. 4). Der Versicherungsalltag zeige, dass die Klausel nicht ungewöhnlich sei. Eine Auswahl eigener Sachversicherungen der Beklagten und solcher anderer Versicherungsun- ternehmen bestätige dies. Auch das Bundesgericht habe festgehalten, dass die Klausel nicht ungewöhnlich sei (Duplik N. II.2.2.). 4.2. Übernahme der Allgemeinen Versicherungsbedingungen 4.2.1. Rechtslage 4.2.1.1. Abschluss von Versicherungsverträgen Der Versicherungsvertrag ist ein einvernehmliches Rechtsgeschäft, das durch übereinstimmende Willenserklärungen der Parteien zustande kommt (Art. 100 Abs. 1 VVG i.V.m. Art. 1 OR). Üblicherweise stellt der künftige Versicherungsnehmer einen Antrag auf Abschluss eines Versicherungs- vertrags (vgl. Art. 1 Abs. 1 VVG), während die Handlungen des Versiche- rungsagenten – beispielsweise die Aushändigung eines Antragsformulars oder eines Prospekts – bloss eine Einladung zur Antragsstellung darstellen. Die Annahme als empfangsbedürftige Willenserklärung unterliegt keinen Formerfordernissen; sie kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, bei- spielsweise durch Übergabe der Police.22 Eine Antwort der Versicherung gilt nur als Annahme, wenn sie in allen (objektiv und subjektiv) wesentlichen Punkten mit dem Antrag übereinstimmt. Andernfalls liegt eine Gegenofferte vor.23 Die Übergabe einer vom Antrag in wesentlichen Punkten abweichen- den Police als vermeintliche "Annahme" gilt als neue (Gegen-)Offerte des 22 BGer 4C.98/2007 vom 29. April 2008 E. 2.1.1; BSK VVG Nachf.Bd.-STOESSEL, 2012, Art. 1 ad N. 3 ff. 23 BSK VVG Nachf.Bd.-STOESSEL (Fn. 22), Art. 1 ad N. 8; BSK VVG-STOESSEL, 2001, Art. 1 N. 8; FUH- RER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 2011, N. 3.42; ITEN, Der private : Der Antrag und das Antragsverhältnis, 1999, N. 269 f.; vgl. BGer 4C.72/2006 vom 30. Mai 2005 E. 3 (zum Werkvertrag); BGE 120 II 133 E. 4b. - 13 - Versicherers, die der Versicherungsnehmer ausdrücklich oder stillschwei- gend, z.B. durch Bezahlung der Prämien, annehmen kann.24 Davon zu un- terscheiden ist der Fall, dass nach ausdrücklicher oder stillschweigender Annahme des Versicherers (in Übereinstimmung mit den wesentlichen Punkten des Angebots) dieser eine abweichende Police zustellt. Diesfalls weicht die Police vom vereinbarten Vertragsinhalt ab und es kommt Art. 12 VVG zur Anwendung. 4.2.1.2. Übernahme Allgemeiner Vertragsbedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen regeln üblicherweise den typi- schen Inhalt des Versicherungsvertrags und bestimmen insbesondere die Voraussetzungen der Leistungspflicht des Versicherers, den Deckungsum- fang und die Einschränkungen der umschriebenen Gefahr durch Aus- schlussklauseln.25 Allgemeine Versicherungsbedingungen stellen regel- mässig objektiv oder zumindest für den Versicherer subjektiv wesentliche Vertragspunkte dar.26 Allgemeine Versicherungsbedingungen – wie Allgemeine Geschäftsbedin- gungen (AGB) im Allgemeinen – müssen von den Parteien im Einzelvertrag übernommen werden, um Geltung zu erlangen.27 Ob Allgemeine Ge- schäftsbedingungen vom Konsens erfasst sind, bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln von Art. 1 ff. OR primär danach, ob sich ein überein- stimmender tatsächlicher Parteiwille feststellen lässt (natürlicher Konsens), subsidiär nach Vertrauensprinzip (normativer Konsens).28 Die Übernahme kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen und geschieht vielfach durch Verweisung.29 Als global übernommen gelten Allgemeine Geschäftsbedingungen, die eine Partei nicht liest, nicht zur Kenntnis nimmt oder in ihrer Tragweite nicht versteht.30 Nichtlesen und Nichtverstehen trotz Lesens bedeuten im Ergeb- nis gleichermassen inhaltliche Unkenntnis.31 Eine Globalübernahme Allge- meiner Geschäftsbedingungen ist nach dem Vertrauensprinzip gültig, wenn der Verwender den Kunden vor Vertragsschluss auf die Allgemeinen Ge- schäftsbedingungen eindeutig hinweist und ihm die Möglichkeit verschafft, 24 BGer 5C.147/2001 vom 30. Juli 2001 E. 2b; BSK VVG Nachf.Bd.-STOESSEL (Fn. 22), Art. 1 ad N. 8. 25 BSK VVG Nachf.Bd.-STOESSEL (Fn. 22), Vor Art. 1-3 ad N. 23. 26 Vgl. BSK VVG-FUHRER, 2001, Art. 33 N. 52. 27 KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2017, N. 23.19; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, 10. Aufl. 2014, N. 1128; BSK VVG-FUHRER (Fn. 26), Art. 33 N. 40; vgl. BGer 4C.282/2003 vom 15. 2003 E. 3.1. 28 KOLLER (Fn. 27), N. 23.20. 29 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 27), N. 1128a f.; vgl. zur stillschweigenden Übernahme BGE 77 II 154 E. 4; BGer 4C.261/2005 vom 9. Dezember 2005 E. 2.4 (betreffend SIA-Norm 108). 30 BGer 4C.282/2003 vom 15. Dezember 2003 E. 3.1; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 27), N. 1128c; KRAMER/PROBST/PERRIG, Schweizerisches Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 2016, § 5 N. 88 und § 7 N. 116; BK OR-KRAMER/SCHMIDLIN, 1986, Art. 1 N. 190. 31 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 5 N. 88. - 14 - in zumutbarer Weise von deren Inhalt Kenntnis zu nehmen.32 Daher kön- nen auch ungelesene Allgemeine Geschäftsbedingungen, die auf dem Ver- tragsdokument selber abgedruckt sind oder diesem beigelegt sind, oder auf die im unterzeichneten Vertragsdokument ausdrücklich verwiesen wird, als normativ vereinbart gelten.33 Die Zugänglichkeitsvoraussetzungen müssen vor Vertragsabschluss vor- liegen.34 Es ist derjenige Zeitpunkt massgeblich, in dem der Kunde die ihn verpflichtende Einbeziehungserklärung abgibt.35 Ein Hinweis auf Allge- meine Geschäftsbedingungen nach Vertragsabschluss genügt nicht. Ein solcher stellt einen Antrag zur Vertragsänderung dar, der bei Stillschweigen der anderen Partei grundsätzlich nicht als angenommen gilt (vgl. Art. 6 OR).36 Die Kenntnisnahme ist möglich, wenn die vollständigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Vertragsschluss für den Kunden verfügbar sind.37 Zumutbar ist die Kenntnisnahme, wenn die Allgemeinen Geschäfts- bedingungen leicht, d.h. unmittelbar und ungehindert zugänglich sind.38 Gegenüber Konsumenten ("b2c-Verkehr") reicht ein blosser Hinweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen ohne deren Zurverfügungstellung i.d.R. nicht aus.39 Im unternehmerischen Geschäftsverkehr ("b2b-Verkehr") sind die Anforderungen an die Möglichkeit der zumutbaren Kenntnisnahme indes tiefer. In Teilen der Lehre wird vertreten, den unternehmerischen Kunden treffe unter Umständen eine Erkundigungs- bzw. Verschaffungs- last.40 Andererseits wird auch festgehalten, die Notwendigkeit, unbekannte Allgemeine Geschäftsbedingungen anzufordern, führe im Regelfall auch bei einer unternehmerisch tätigen Vertragspartei zur Unzumutbarkeit der Kenntnisnahme.41 Branchenüblichkeit mache Allgemeine Geschäftsbedin- gungen nicht eo ipso verbindlich, doch könne von branchenkundigen Un- ternehmern erwartet werden, dass sie sich der Massgeblichkeit der betref- fenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewusst seien. Widersprä- chen sie der Einbeziehung bei Vertragsschluss nicht ausdrücklich, könne in solchen Fällen von einer stillschweigenden Einbeziehung ausgegangen 32 BSK VVG-FUHRER (Fn. 26), Art. 33 N. 46 m.w.N.; KOLLER (Fn. 27), N. 23.47; SCHWENZER, Schwei- zerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2016, N. 45.02 f. 33 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 5 N. 87; vgl. BGE 119 II 443 E. 1a; 108 II 416 E. 1b; 64 II 355 E. 2. 34 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 27), N. 1134; KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 118. 35 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 118; PERRIG, Die AGB-Zugänglichkeitsregel, 2011, S. 53; vgl. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 27), N. 1134. 36 HUGUENIN, Obligationenrecht, 2. Aufl. 2014, N. 615; PERRIG (Fn. 35), S. 54 ff. 37 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 136. 38 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 137. 39 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 136. 40 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 218; PERRIG (Fn. 35), S. 297; KOLLER (Fn. 27), N. 23.49; GIGER, Grundsätzliches zum Einbezug Allgemeiner Geschäftsbedingungen in den Einzelvertrag, in: Giger/Schluep (Hrsg.), Schriftenreihe zum Konsumentenschutzrecht, Band V, 1982, S. 52; OGer ZH, ZR 90 (1991) Nr. 2, S. 5; vgl. BGE 77 II 154 E. 4. 41 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 220, mit Verweis auf BGE 139 III 345 E. 4.4.2. - 15 - werden. Die branchenkundige Gegenpartei treffe im unternehmerischen Verkehr bei branchenüblichen Regelungswerken vermutungsweise eine Erkundigungsobliegenheit.42 Das Bundesgericht lehnte eine solche Erkundigungsobliegenheit in BGE 139 III 345 zwar ab, doch der Fall betraf die spezifischen Voraussetzungen einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 LugÜ, die gemäss Bundes- gericht "streng auszulegen" sind; es gälten "hohe Anforderungen".43 Diese Rechtsprechung, welche die Formerfordernisse gemäss Art. 23 LugÜ be- trifft, kann nicht ohne weiteres auf die rechtsgeschäftliche Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Allgemeinen übertragen werden. Schlussendlich ist stets aufgrund der Umstände des Einzelfalls44 und nach Massgabe des Vertrauensprinzips beurteilen, ob Allgemeine Geschäftsbe- dingungen übernommen wurden. Für eine zumutbare Kenntnisnahme muss ein inländischer AGB-Verwen- der gegenüber einem inländischen Kunden den Hinweis sowie die Allge- meinen Geschäftsbedingungen in der am Ort des Vertragsschlusses übli- chen Sprache präsentieren, sofern sich die Parteien nicht auf eine andere Verhandlungs- und Vertragssprache eingelassen haben.45 Gegenüber sprachunkundigen Kunden gilt im Allgemeinen die Verhandlungs- und Ver- tragssprache als massgebend. Lässt sich der Kunde auf eine ihm fremde Verhandlungssprache ein, so hat er grundsätzlich als Konsequenz der Glo- balannahme ungeachtet seiner Sprachkenntnisse in Bezug auf die in die- ser Sprache abgefassten Allgemeinen Geschäftsbedingungen das Sprach- risiko zu tragen, soweit es für den AGB-Verwender nicht erkennbar war, dass der Kunde die Sprache nicht hinreichend beherrscht.46 Die Behauptungs- und Beweislast für die Sachumstände, aus denen auf einen wirksamen Einbezug Allgemeiner Geschäftsbedingungen geschlos- sen werden kann, trägt entsprechend der allgemeinen Regel von Art. 8 ZGB diejenige Partei, die sich auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen beruft. Insbesondere hat sie die Erfüllung der Zugänglichkeitskriterien zu behaupten und beweisen.47 4.2.2. Würdigung 4.2.2.1. Vertragsabschluss Keine der beiden Parteien hat die Umstände und den Ablauf des Vertrags- schlusses schlüssig behauptet. Die Beklagte behauptet einzig, in der Police 42 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 224; vgl. BGE 77 II 154 E. 4; BK OR-KRAMER/SCHMIDLIN (Fn. 30), Art. 1 N. 200; vgl. auch SCHWENZER (Fn. 32), N. 45.05. 43 BGE 139 III 345 E. 4.3. 44 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 220. 45 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 152. 46 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 153. 47 KRAMER/PROBST/PERRIG (Fn. 30), § 7 N. 155; vgl. BGer 4D_75/2015 vom 16. Februar 2016 E. 4.1. - 16 - Nr. [...] werde auf die AVB hingewiesen (vgl. E. 4.1.2 hiervor). Auch der Kläger behauptet lediglich, im Rahmen der Beratung von D. sei "die Police" abgeschlossen worden (vgl. E. 4.1.1 hiervor). Es wurde nicht schlüssig be- hauptet, dass die Konkursitin und/oder die Beklagte vor Ausfertigung der Police Nr. [...] für den Vertragsabschluss relevante Willenserklärungen ab- gegeben hätten. Insbesondere wurde nicht behauptet, dass die Konkursitin einen Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrags gestellt hätte, den die Beklagte angenommen hätte. Ein solcher Ablauf des Vertragsschlusses lässt sich auch nicht implizit aus den Ausführungen der Parteien herleiten. Damit gilt mangels anderweitiger Parteibehauptungen die Zustellung der Police Nr. [...] als Offerte der Beklagten an die Konkursitin. Aus dem Still- schweigen der Konkursitin kann zwar grundsätzlich nicht auf eine konklu- dente Annahme geschlossen werden. Doch indem der Kläger Ansprüche der Konkursitin gegen die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag gemäss Police Nr. [...] geltend macht, anerkennt er selbst, dass die Konkursitin die Offerte gemäss dieser Police angenommen hat. Spätestens in der Geltend- machung von versicherungsvertraglichen Ansprüchen liegt eine konklu- dente Annahme. Die Parteien gehen denn auch im Grundsatz übereinstim- mend davon aus, dass die Konkursitin und die Beklagte einen Versiche- rungsvertrag mit dem Inhalt gemäss Police Nr. [...] abgeschlossen haben. Umstritten ist einzig, ob die AVB der Beklagten wirksam übernommen wur- den. 4.2.2.2. Keine Vollübernahme der AVB Die Beweislast für den wirksamen Einbezug der AVB in den Versicherungs- vertrag trägt die Beklagte, die sich zur Geltendmachung der Verwirkung als rechtsaufhebende Tatsache auf Ziff. H. Abs. 2 AVB beruft. Die AVB werden nur Vertragsinhalt, wenn eine entsprechende Willensüber- einstimmung der Parteien besteht. Vorliegend lässt sich kein übereinstim- mender tatsächlicher Wille der Parteien ausmachen, die AVB in den Versi- cherungsvertrag einzubeziehen. Folglich ist die Frage der Übernahme nach dem Vertrauensprinzip zu beurteilen. Letztlich ist danach zu fragen, ob die Beklagte nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, die Konkursitin sei mit dem Einbezug der AVB einverstanden. Die Beklagte behauptet nicht, die Konkursitin bzw. der Kläger als deren einziger Geschäftsführer habe die AVB vor Vertragsschluss im Einzelnen gelesen und zur Kenntnis genommen. Somit liegt keine Vollübernahme der AVB vor. 4.2.2.3. Globalübernahme der AVB Es ist zu beurteilen, ob die Beklagte die Konkursitin vor Abschluss des Ver- sicherungsvertrags eindeutig auf die AVB hingewiesen und ihr die Möglich- keit verschafft hat, in zumutbarer Weise davon Kenntnis zu nehmen. - 17 - 4.2.2.3.1. Die Globalübernahme der AVB ist auch möglich, wenn die Konkursitin bzw. der Kläger als deren einziger Geschäftsführer diese mangels Sprach- bzw. Lesekenntnissen nicht verstanden haben sollten. Denn auch ungelesene oder inhaltlich – wegen Sprachschwierigkeiten oder anderen Verständnis- problemen – nicht verstandene AVB können global übernommen werden (vgl. E. 4.2.1.2 hiervor). Die Konkursitin liess sich auf Deutsch als Verhand- lungs- und Vertragssprache ein und trägt damit das entsprechende Sprach- risiko. Da sie nichts gegen die Verwendung von Deutsch als Sprache der Police Nr. [...] eingewendet hatte, musste die Beklagte auch nicht erken- nen, dass die Konkursitin bzw. der Kläger als deren Geschäftsführer den Inhalt des Vertrages samt AVB aufgrund ungenügender Sprachkenntnisse allenfalls gar nicht verstanden hatten. Folglich kann offen bleiben, ob die Konkursitin bzw. der Kläger die deutsche Schriftsprache im Zeitpunkt des Vertragsschlusses tatsächlich nicht beherrschten. Der Kläger kann sich ei- ner Übernahme der AVB nicht mit dem Hinweis auf angeblich fehlende Sprachkenntnisse entziehen. 4.2.2.3.2. Die Police Nr. [...] verweist auf der ersten Seite unter dem Titel [...] aus- drücklich auf die "Sachversicherung [...]" (KB 2). Sodann enthält die Police Nr. [...] auf Seite 5 f. unter dem Titel "Besondere Vertragsbedingungen" und Untertitel "in Ergänzung/Abänderung der Allgemeinen Vertragsbedin- gungen" weitere Vertragsbestimmungen (KB 2). Die Konkursitin konnte und musste bei der Lektüre der (als Antrag zu qualifizierenden) Police Nr. [...] ohne weiteres erkennen, dass die AVB nach dem Willen der Be- klagten Vertragsbestandteil bilden sollten. Damit wurde die Konkursitin vor Vertragsschluss eindeutig auf die AVB hingewiesen. 4.2.2.3.3. Zu prüfen bleibt, ob der Konkursitin die Möglichkeit verschafft wurde, in zu- mutbarer Weise vom Inhalt der AVB Kenntnis zu nehmen. Der Kläger be- streitet, dass die AVB der Konkursitin ausgehändigt worden seien. Wenn er in der Replik schreibt, die AVB seien "der Beklagten überhaupt nicht ausgehändigt" worden (vgl. E. 4.1.1 hiervor), handelt es sich dabei um ein offensichtliches Versehen. Es ist augenfällig, dass entweder ein "von" ver- gessen ging und es heissen sollte, die AVB seien von der Beklagten nicht ausgehändigt worden, oder die Bezeichnungen "Beklagte" und "Konkur- sitin" irrtümlicherweise vertauscht wurden und es heissen sollte, die AVB seien der Konkursitin nicht ausgehändigt worden. Diesen Verschrieb hätte die anwaltlich vertretene Beklagte bei der Lektüre der Replik ohne weiteres erkennen können und müssen. Der Kläger stellte die Bedeutung der Ausführungen in der Replik mit seiner Eingabe vom 6. Juli 2018 sowie dem Schlussvortrag denn auch klar (vgl. - 18 - E. 4.1.1 hiervor). Dabei handelt es sich nicht um ein Novum, das nur unter den Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO zulässig wäre, sondern um eine auch nach Aktenschluss zulässige Klarstellung einer bereits in das Verfahren eingeführten Tatsachenbehauptung.48 Nachdem der Kläger die Übergabe der AVB an die Konkursitin bestritten hatte, hätte die behaup- tungs- und beweisbelastete Beklagte ihre Behauptungen zur Aushändi- gung der AVB substantiieren müssen. Dies hat sie nicht getan. Sie führt nicht im Einzelnen aus, wann, in welcher Form und durch wen die AVB der Konkursitin übergeben worden sein sollen. Da der unsubstantiierte Sach- vortrag dem unbewiesenen gleichgestellt ist,49 gelten die AVB nicht als vor Vertragsschluss der Konkursitin ausgehändigt. Auch behauptet die Be- klagte nicht, dass bzw. inwiefern die AVB der Konkursitin anderweitig zu- gänglich gewesen wären. Indes kann im unternehmerischen Geschäftsverkehr eine zumutbare Kenntnisnahme unter gewissen Umständen auch möglich sein, wenn der Verwender die Allgemeinen Versicherungsbedingungen dem Kunden nicht aushändigt oder anderweitig zur Verfügung stellt (vgl. E. 4.2.1.2 hiervor). Die Konkursitin führte als Unternehmen einen Geschäftsbetrieb im Bereich Malerarbeiten und Strassenmarkierungen. Sie kann zwar in Bezug auf das Versicherungsgeschäft nicht als branchenkundig im eigentlichen Sinn gel- ten. Doch die Verwendung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Rahmen von Privatversicherungsverträgen ist Standard und derart üblich, dass dies als allgemein bekannt gelten muss. Daher müssen auch nicht selbst im Versicherungsgeschäft tätige Unternehmen wissen, dass beim Abschluss standardmässiger Versicherungsprodukte wie der vorliegenden Sachversicherung die Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versi- cherers Vertragsinhalt werden sollen. Es entspricht denn auch einer allgemeinen Erfahrungstatsache, dass sich ein Versicherer nicht auf Verhandlungen mit einem potentiellen Versiche- rungsnehmer über den Einbezug der Allgemeinen Versicherungsbedingun- gen einlassen wird. Stimmt der Versicherungsnehmer den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht zu, wird der Versicherer den Vertrag nicht abschliessen. Dies ist nicht nur bei Sachversicherungen im Unternehmens- bereich der Fall, sondern bei sämtlichen Privatversicherungen – sowohl für Unternehmenskunden als auch für Konsumenten. Jedermann, juristische wie auch natürliche Personen, kommt im Alltag mit den verschiedensten Privatversicherungen in Berührung. Entsprechend darf auch von der Kon- kursitin die elementare Kenntnis erwartet werden, dass in der Versiche- rungsbranche der Versicherer bei Standardprodukten wie der vorliegend 48 Vgl. BSK ZPO-WILLISEGGER (Fn. 15), Art. 229 N. 16. 49 Vgl. BGer 4A_210/2009 vom 7. April 2010 E. 3.2; KUKO ZPO-OBERHAMMER, 2. Aufl. 2013, Art. 55 N. 12. - 19 - strittigen Sachversicherung stets seine Allgemeinen Versicherungsbedin- gungen als Vertragsinhalt einbeziehen will. Zudem hätte der Konkursitin bei der Lektüre der Police Nr. [...] auffallen müssen, dass diese den Inhalt des Versicherungsvertrags nur in rudimen- tären Zügen regelte (KB 2). Angesichts des konkreten Hinweises auf die AVB (und Zusatzbedingungen) der Beklagten hätte die Konkursitin erken- nen können und müssen, dass die Police Nr. [...] nach dem Willen der an- tragstellenden Beklagten (vgl. E. 4.2.2.1 hiervor) nicht den gesamten Ver- tragsinhalt regelt, sondern die konkreten Modalitäten der Rechte und Pflich- ten der Vertragsparteien in separaten Dokumenten – den AVB (und Zusatz- bedingungen) – spezifiziert werden. Bestünde der Versicherungsvertrag einzig aus dem Inhalt der Police Nr. [...], wäre er augenscheinlich unvoll- ständig. Es ist gar fraglich, ob der blosse Inhalt der Police Nr. [...] überhaupt die objektiv wesentlichen Vertragspunkte genügend bestimmt regeln würde. Die Beklagte durfte nach Treu und Glauben erwarten, dass die Kon- kursitin als vernünftig handelnde Versicherungsnehmerin dies erkennen würde. Vor diesem Hintergrund hätte die Konkursitin sich vor Vertragsschluss nach den AVB erkundigen oder deren Einbezug zumindest explizit widerspre- chen müssen. Eine Kenntnisnahme der AVB wäre ihr damit zumutbar und möglich gewesen. Sie hatte eine Erkundigungs- oder zumindest eine Wi- derspruchsobliegenheit, der sie nicht nachgekommen ist. Wenn nun die Konkursitin einer Police zugestimmt hat, die den Vertragsinhalt nur rudi- mentär regelt und für den weiteren Vertragsinhalt auf AVB verweist, ohne sich nach dem Inhalt der AVB zu erkundigen, ist ihr dieses Verhalten anzu- lasten. Unter diesen besonderen Umständen durfte die Beklagte die (kon- kludente) Annahme der Konkursitin nach Treu und Glauben auch als Zu- stimmung zum Einbezug der AVB verstehen, selbst wenn sie die AVB der Konkursitin nie ausgehändigt oder anderweitig direkt oder indirekt zur Ver- fügung gestellt hat. 4.2.2.4. Zwischenfazit Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die AVB global in den Versiche- rungsvertrag zwischen der Beklagten und der Konkursitin übernommen wurden. 4.3. Ungewöhnlichkeitsregel 4.3.1. Rechtslage Die Geltung vorformulierter Allgemeiner Geschäftsbedingungen wird durch die Ungewöhnlichkeitsregel eingeschränkt. Danach sind von der global er- klärten Zustimmung zu Allgemeinen Vertragsbedingungen alle ungewöhn- lichen Klauseln ausgenommen, auf deren Vorhandensein die schwächere oder weniger geschäftserfahrene Partei nicht gesondert aufmerksam ge- macht worden ist. Der Verfasser von Allgemeinen Geschäftsbedingungen - 20 - muss nach dem Vertrauensgrundsatz davon ausgehen, dass ein unerfah- rener Vertragspartner ungewöhnlichen Klauseln nicht zustimmt. Die Unge- wöhnlichkeit beurteilt sich aus der Sicht des Zustimmenden im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Für einen Branchenfremden können deshalb auch branchenübliche Klauseln ungewöhnlich sein.50 Die Ungewöhnlichkeitsregel kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn neben der subjektiven Voraussetzung des Fehlens von Branchenerfahrung die betreffende Klausel objektiv beurteilt einen geschäftsfremden Inhalt auf- weist. Dies ist dann zu bejahen, wenn sie zu einer wesentlichen Änderung des Vertragscharakters führt oder in erheblichem Masse aus dem gesetz- lichen Rahmen des Vertragstypus fällt. Je stärker eine Klausel die Rechts- stellung des Vertragspartners beeinträchtigt, desto eher ist sie als unge- wöhnlich zu qualifizieren.51 Das Bundesgericht hat bereits mehrmals Verwirkungsklauseln der Art, wie sie vorliegend von der Beklagten angerufen wurden, als nicht ungewöhnlich qualifiziert. Eine Verwirkungsklausel, die vorsieht, dass die Ansprüche ge- gen den Versicherer verwirken, falls sie nicht innert zwei Jahren nach Ein- tritt des Schadensfalls gerichtlich geltend gemacht werden, regle einzig eine Modalität der Ausübung der vertraglichen Rechte.52 Solche Klauseln, die nicht neu seien,53 seien in Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht selten. Zudem ergebe sich die Möglichkeit, eine Verwirkungsfrist ver- traglich zu vereinbaren, aus dem Gesetz selbst.54 Anderer Meinung ist FUHRER, der die Ungewöhnlichkeit damit begründet, dass die Verwirkung nicht nur vom Zeitablauf abhänge, sondern zudem von der Ablehnung der Entschädigungsforderung durch den Versicherer. So könne der Versicherer den Versicherten in die "Verwirkungsfalle" laufen lassen.55 Darin liegt jedoch eher eine Privilegierung des Versicherungsneh- mers, indem bei Nichtablehnung der Entschädigungsforderung innerhalb der zweijährigen Verwirkungsfrist die Verwirkung definitiv nicht mehr ein- treten kann. Der Fall, dass der Versicherer den Versicherten in die "Verwir- kungsfalle" laufen lässt, macht die Klausel nicht per se ungewöhnlich. Ein entsprechendes Verhalten des Versicherers wäre im Einzelfall gestützt auf Art. 2 Abs. 2 ZGB zu beurteilen. 50 BGE 138 III 411 E. 3.1; 135 III E. 2.1; 119 II 443 E. 1a; 109 II 452 E. 5b; BGer 4C.282/2003 vom 15. Dezember 2003 E. 3.1; vgl. auch BSK VVG-FUHRER (Fn. 26), Art. 33 N. 57 ff. 51 BGE 138 III 411 E. 3.1; 135 III E. 2.1; 119 II 443 E. 1a; 109 II 452 E. 5b; BGer 4C.282/2003 vom 15. Dezember 2003 E. 3.1; vgl. auch BSK VVG-FUHRER (Fn. 26), Art. 33 N. 57 ff. 52 BGer 4A_200/2008 vom 18. August 2008 E. 2.3.2 m.w.N.; 5C.215/1999 vom 9. März 2000 E. 4b. 53 BGE 74 II 97 E. 2; 49 II 121 E. 6. 54 BGer 4A_200/2008 vom 18. August 2008 E. 2.3.2 m.w.N. 55 FUHRER (Fn. 23), N. 15.46. - 21 - 4.3.2. Würdigung Die Beklagte behauptet nicht, sie habe die Konkursitin beim Vertrags- schluss auf die Verwirkungsklausel gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB gesondert aufmerksam gemacht. Umstritten ist zwischen den Parteien, ob die Verwir- kungsklausel ungewöhnlich ist (vgl. E 4.1 hiervor). Die strittige Vertragsbe- stimmung lautet wie folgt (AB 2 Ziff. H.): "H. Verjährung und Verwirkung 1 [...]. 2 [...]. [...]" In Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. E. 4.3.1 hiervor) ist die Bestimmung gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB als im Ver- sicherungsgeschäft branchenüblich zu qualifizieren. Das Bundesgericht stellte fest, dass derartige Verwirkungsklauseln in Allgemeinen Versiche- rungsbedingungen häufig vorkämen, und dies schon seit geraumer Zeit ("ne sont pas rares"; "ne datent pas d'hier").56 Dies wird durch die von der Beklagten beigebrachten eigenen Allgemeinen Versicherungsbedingun- gen sowie die beigebrachten Allgemeinen Versicherungsbedingungen an- derer Versicherer (Duplikbeilage [DB] 1 Ziff. [...], DB 2 Ziff. [...], DB 3 Ziff. [...], DB 4 Ziff. [...] Abs. 2, DB 5 Ziff. [...] Abs. 2, DB 6 Ziff. [...] Abs. 2, DB 7 Ziff. [...] Abs. 2, DB 8 Ziff. [...] Abs. 2, DB 9 Ziff. [...] Abs. 2, DB 10 Ziff. [...] Abs. 2, DB 11 Ziff. [...] Abs. 2, DB 12 Ziff. [...]) bestätigt. Diese enthalten allesamt Verwirkungsklauseln, die im Wesentlichen jener ge- mäss Ziff. H. Abs. 2 AVB entsprechen. Da die Konkursitin nicht selbst im Versicherungsgeschäft tätig und damit branchenfremd ist, wäre die Verwirkungsklausel trotz Branchenüblichkeit dann ungewöhnlich, wenn sie einen objektiv geschäftsfremden Inhalt auf- weisen würde (vgl. E. 4.3.1 hiervor). Die Bestimmung, dass der Anspruchs- berechtigte seine Rechte verliert (Verwirkung), falls der Versicherer die Ent- schädigungsforderung ablehnt und der Anspruchsberechtigte sie nicht in- nert zwei Jahren nach "Eintritt des Ereignisses" – was unter Bezugnahme auf Abs. 1 von Ziff. H. AVB den "Eintritt der Tatsache, welche die Leistungs- pflicht begründet" bedeuten muss – gerichtlich geltend macht, regelt die Modalitäten, unter denen der Anspruchsberechtigte seine Ansprüche ge- gen den Versicherer aus dem Versicherungsvertrag geltend zu machen hat. Die Verwirkungsklausel führt nicht zu einer wesentlichen Änderung des Charakters des Versicherungsvertrags, sondern betrifft lediglich die Vo- 56 Vgl. BGer 4A_200/2008 vom 18. August 2008 E. 2.3.2; BGE 74 II 97 E. 2; 49 II 121 E. 6. - 22 - raussetzungen der konkreten Rechtsausübung unter dem Vertrag. Die Be- stimmung weicht auch nicht erheblich vom gesetzlichen Rahmen des Ver- sicherungsvertrags ab. Im Gegenteil ist die Möglichkeit, vertraglich eine Verwirkungsfrist zu vereinbaren, gesetzlich gerade vorgesehen (vgl. Art. 46 Abs. 2 VVG; vgl. E. 5.2 hiernach). Unter Umständen kann die Verwirkungsklausel gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB aber zu einer relativ starken Beeinträchtigung der Rechtsstellung des An- spruchsberechtigten führen. Der Eintritt der Verwirkung ist davon abhängig, ob die Beklagte die Entschädigungsforderung ablehnt. Tut sie dies, beginnt die zweijährige Verwirkungsfrist bereits mit Eintritt der Tatsache, welche die Leistungspflicht begründet. Damit wäre es der Beklagten möglich, durch eine Ablehnung der Entschädigungsforderung erst kurz vor Ablauf der zwei Jahre seit Eintritt des Ereignisses dem Anspruchsberechtigten – vorliegend der Konkursitin – die Wahrung der Verwirkungsfrist zu erschweren oder gar faktisch zu verunmöglichen. Weiter kann die Rechtsstellung des Anspruchsberechtigten stark einge- schränkt sein, wenn die Fälligkeit der Ansprüche gegen die Beklagte infolge eines laufenden Strafverfahrens aufgeschoben ist. Gemäss Ziff. I. Abs. 3.2 AVB tritt die Fälligkeit so lange nicht ein, als Polizei oder Untersuchungs- behörden im Zusammenhang mit dem Ereignis ermitteln oder ein Strafver- fahren gegen den Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigten nicht abgeschlossen ist. Lehnt die Beklagte die Entschädigungsforderung ab und dauert ein Strafverfahren länger als zwei Jahre nach Eintritt des Ereig- nisses, wird die Forderung vor Ablauf der Verwirkungsfrist nicht fällig. Der Anspruchsberechtigte kann in einem solchen Fall innert der zweijährigen Frist den Eintritt der Verwirkung mangels Fälligkeit nicht durch gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche verhindern. Diese für den Anspruchsberechtigten einschneidenden Einschränkungen treten jedoch bloss in Einzelfällen aufgrund der konkreten Umstände auf. Sie schliessen die Ansprüche nicht von vornherein und in allgemeiner Weise aus. Daher kann aus der Möglichkeit solcher besonderer Konstella- tionen nicht auf die Ungewöhnlichkeit der Verwirkungsklausel geschlossen werden. Fällen einer ungebührlich starken Beschränkung der Rechte des Anspruchsberechtigten ist vielmehr im Rahmen von Art. 2 Abs. 2 ZGB ein- zelfallweise Rechnung zu tragen. Es ist denkbar, dass die Berufung auf die Verwirkung durch die Beklagte im Einzelfall rechtsmissbräuchlich ist (vgl. E. 6.4 hiernach). Im Übrigen lassen sich solche Fälle gegebenenfalls auch über Art. 45 Abs. 3 VVG (vgl. E. 6.3 hiernach) erfassen. Die global übernommene Ziff. H. Abs. 2 AVB erweist sich nicht als unge- wöhnlich und gilt uneingeschränkt. - 23 - 4.4. Vorvertragliche Informationspflicht des Versicherers (Art. 3 f. VVG) 4.4.1. Rechtslage Gemäss Art. 3 Abs. 1 VVG hat der Versicherer den Versicherungsnehmer vor Abschluss des Versicherungsvertrags verständlich über die Identität des Versicherers und den wesentlichen Inhalt des Versicherungsvertrags zu informieren. Die Angaben sind dem Versicherungsnehmer so zu über- geben, dass er sie kennen kann, wenn er den Versicherungsvertrag bean- tragt oder annimmt. In jedem Fall muss er zu diesem Zeitpunkt im Besitz der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Informationen über die Bearbeitung der Personendaten (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. g VVG) sein (Art. 3 Abs. 2 VVG). Hat der Versicherer die Informationspflicht nach Art. 3 VVG verletzt, so ist der Versicherungsnehmer berechtigt, den Versicherungsver- trag durch schriftliche Erklärung zu kündigen. Die Kündigung wird mit Zu- gang beim Versicherer wirksam (Art. 3a Abs. 1 VVG). Das Kündigungsrecht erlischt vier Wochen nachdem der Versicherungsnehmer von der Pflicht- verletzung und den Informationen nach Art. 3 VVG Kenntnis erhalten hat, jedenfalls spätestens ein Jahr nach der Pflichtverletzung (Art. 3a Abs. 2 VVG). Grundsätzlich trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast dafür, dass der Versicherer die vorvertragliche Informationspflicht verletzt hat.57 4.4.2. Würdigung Es ist umstritten, ob die Beklagte der Konkursitin vor Vertragsschluss die AVB ausgehändigt hat (vgl. E. 4.1 hiervor). Sollte die Beklagte die vorver- tragliche Informationspflicht verletzt haben, würde dies nicht zur Unbeacht- lichkeit ansonsten wirksam einbezogener Allgemeiner Versicherungsbe- dingungen führen, sondern einzig das spezifische Kündigungsrecht nach Art. 3a VVG eröffnen.58 Dass die Konkursitin innert vier Wochen nach Kenntnisnahme der Pflichtverletzung und der AVB von ihrem Recht nach Art. 3a Abs. 1 VVG Gebrauch gemacht und den Versicherungsvertrag ge- kündigt hätte, behauptet keine der Parteien. Damit kann offen bleiben, ob die Beklagte die vorvertragliche Informationspflicht gemäss Art. 3 VVG tat- sächlich verletzt hat. 4.5. Vorbehaltlose Annahme der Police (Art. 12 VVG) Stimmt der Inhalt der Police oder der Nachträge zu derselben mit den ge- troffenen Vereinbarungen nicht überein, so hat der Versicherungsnehmer binnen vier Wochen nach Empfang der Urkunde deren Berichtigung zu ver- langen, widrigenfalls ihr Inhalt als von ihm genehmigt gilt (Art. 12 Abs. 1 VVG). Diese Bestimmung ist in ihrem Wortlaut in jede Police aufzunehmen (Art. 12 Abs. 2 VVG). 57 BSK VVG Nachf.Bd.-KUHN/GEIGER-STEINER, 2012, Art. 3a N. 6. 58 Vgl. BK OR-MÜLLER, 2018, Art. 1 N. 325. - 24 - Da die Police Nr. [...] nicht vom vereinbarten Vertragsinhalt abweicht (vgl. E. 4.2.2 hiervor), ist Art. 12 VVG vorliegend nicht anwendbar. 4.6. Keine Anwendung von Art. 8 UWG Gemäss Art. 8 UWG handelt unlauter, wer Allgemeine Geschäftsbedingun- gen verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfer- tigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertrag- lichen Pflichten vorsehen. Der Anwendungsbereich des Art. 8 UWG ist auf Allgemeine Geschäftsbedingungen beschränkt, die gegenüber Konsumen- ten verwendet werden. Juristische Personen – auch kleinere und mittlere Unternehmungen – gelten nicht als Konsumenten im Sinne der Bestim- mung.59 Da es sich bei der Konkursitin um eine unternehmerisch tätige juristische Person handelt, ist Art. 8 UWG nicht anwendbar und keine entsprechende Inhaltskontrolle vorzunehmen. 4.7. Zwischenfazit Die AVB der Beklagten, insbesondere die Verwirkungsklausel in Ziff. H. Abs. 2 AVB, wurden in den Versicherungsvertrag zwischen der Konkursitin und der Beklagten wirksam einbezogen und bilden damit Vertragsbestand- teil. 5. Gültigkeit von Ziff. H. Ziff. 2 AVB 5.1. Parteibehauptungen Die Beklagte macht unter Verweis auf Art. 46 Abs. 2 VVG geltend, das VVG lasse die Vereinbarung von Verwirkungsfristen zu, solange sie nicht kürzer als die zweijährige Verjährungsfrist seien. Ziff. H. Ziff. 2 AVB entspreche den gesetzlichen Vorgaben (Antwort N. II.1.6.4.) Der Kläger äussert sich dazu nicht. 5.2. Rechtslage Die Forderungen aus dem Versicherungsvertrag verjähren in zwei Jahren nach Eintritt der Tatsache, welche die Leistungspflicht begründet (Art. 46 Abs. 1 VVG; unter Vorbehalt von Art. 41 BVG). Gemäss Art. 46 Abs. 2 VVG sind Vertragsabreden, die den Anspruch gegen den Versicherer einer kür- zeren Verjährung oder einer zeitlich kürzeren Beschränkung unterwerfen, ungültig (vorbehalten bleibt Art. 39 Abs. 2 Ziff. 2 VVG). Art. 46 VVG darf durch Vertragsabrede nicht zuungunsten des Versicherungsnehmers oder des Anspruchsberechtigten abgeändert werden (Art. 98 Abs. 1 VVG). 59 BSK UWG-THOUVENIN, 2013, Art. 8 N. 79 und 82; SCHMID, Die Inhaltskontrolle Allgemeiner Ge- schäftsbedingungen: Überlegungen zum neuen Art. 8 UWG, ZBJV 2012, S. 7 m.w.N. - 25 - E contrario folgt aus Art. 46 Abs. 2 VVG, dass eine Verwirkungsfrist ("zeit- liche Beschränkung"), die gleich lang oder länger als die gesetzliche Ver- jährungsfrist nach Art. 46 Abs. 1 VVG ist, gültig vereinbart werden kann. Dies hat das Bundesgericht wiederholt bestätigt60 und ist in der Lehre an- erkannt.61 5.3. Würdigung Der Kläger macht nicht geltend, die Verwirkungsklausel gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB habe einen widerrechtlichen Inhalt (zum davon zu unterschei- denden Argument, die Berufung auf die Verwirkung sei rechtsmissbräuch- lich, vgl. E. 6.4 hiernach). Doch falls sich aus den vorgebrachten Parteibe- hauptungen ergäbe, dass die Verwirkungsklausel rechtswidrig und damit nichtig (vgl. Art. 20 Abs. 1 OR) ist, wäre dies von Amtes wegen zu beach- ten.62 In Ziff. H. Abs. 2 AVB vereinbarten die Beklagte und die Konkursitin, dass die Ansprüche gegen die Beklagte verwirken, wenn die Beklagte die Ent- schädigungsforderung ablehnt und der Anspruchsberechtigte sie nicht in- nert zwei Jahren nach Eintritt des Ereignisses, d.h. nach Eintritt der Tatsa- che, welche die Leistungspflicht begründet, gerichtlich geltend macht. Da- mit vereinbarten sie eine Verwirkungsfrist, die gleich lang ist wie die gesetz- liche Verjährungsfrist gemäss Art. 46 Abs. 1 VVG. Dies ist zulässig (vgl. E. 5.2 hiervor). Die Verwirkungsklausel gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB erweist sich als rechtmässig. 6. Eintritt der Verwirkung 6.1. Parteibehauptungen 6.1.1. Kläger Der Kläger behauptet, die Beklagte habe mit Schreiben vom 17. November 2015 den Schaden zuerst kategorisch abgelehnt. Anschliessend seien je- doch bis zum 3. März 2016 Vergleichsgespräche geführt worden. Am 22. Februar 2016 habe eine Besprechung am Hauptsitz der Beklagten in Y. stattgefunden (Replik N. 7). Der Kläger bestreitet, dass der Konkursitin die fehlende Vergleichsbereitschaft der Beklagten von Anfang an klar ge- wesen sei (Eingabe vom 6. Juli 2018 S. 4). Mit E-Mail vom 3. März 2016 habe die Konkursitin die Beklagte um die Aus- stellung eines Verjährungsverzichts für mindestens zwei Jahre ersucht. Sie habe festgehalten, die Erklärung müsse einen "gültigen Verjährungsver- zicht im Hinblick auf sämtliche einschlägigen Vertragsbedingungen der je- weiligen Policen" darstellen (Replik N. 8). Am selben Tag habe die Beklagte per E-Mail bestätigt, sie werde den Verjährungsverzicht wunschgemäss 60 BGer 4A_200/2008 vom 18. August 2008 E. 2.2.2; 5C.215/1999 vom 9. März 2000 E. 3; vgl. BGE 74 II 97 E. 2; 49 II 121 E. 6. 61 BSK VVG-GRABER, 2001, Art. 46 N. 39. 62 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 27), N. 681. - 26 - ausstellen (Replik N. 8). Die Beklagte habe gewusst, welche Bedeutung die Konkursitin dem Verjährungsverzicht beigemessen habe. Hätte sie das Verständnis der Konkursitin nicht geteilt, hätte sie diese über ein Missver- ständnis aufklären müssen. Sie treffe eine entsprechende Aufklärungs- pflicht (Replik N. 9 und 13). Es sei ihr bewusst gewesen, dass die Konkur- sitin zu klagen beabsichtigte (Stellungnahme vom 6. Juli 2018 S. 5). Die Beklagte habe die Konkursitin mit dem "scheinheiligen" Ausstellen eines Verjährungsverzichts in eine Verwirkungsfalle locken wollen (Replik N. 9). Nach Treu und Glauben habe die Beklagte mit dem Verjährungsverzicht auf die Anrufung der Verwirkungsfrist bis am 11. Oktober 2018 verzichtet bzw. sei die Anrufung einer kürzeren Verwirkungsfrist rechtsmissbräuchlich (Replik N. 10 und 14; klägerischer Schlussvortrag S. 5 f., 7 und 9 f.). Denn ein Verjährungsverzicht mit dem gleichzeitigen Vorbehalt der Anrufung ei- ner kürzeren Verwirkungsfrist sei eine sich diametral widersprechende Er- klärung. Die Verjährungsverzichtserklärung impliziere deshalb zwingend den Verzicht auf eine kürzere Verwirkungsfrist (Replik N. 12; klägerischer Schlussvortrag S. 5 f.). Der Kläger macht geltend, er habe gestützt auf den Verjährungsverzicht zu Recht darauf vertraut, dass er bis am 13. Oktober 2018 Zeit habe, eine Klage einzuleiten (Replik N. 21). Der Kläger habe das Datum der Konkurseröffnung, der Abtretungsermäch- tigung, seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die schlechten fi- nanziellen Verhältnisse infolge Konkurs seiner Firma rechtzeitig behauptet und belegt, weshalb der Sachverhalt zusammen mit dem notorischen Da- tum der Klageeinreichung sowie der notorischen Tatsache, dass der Kläger vor der Abtretungserklärung keine Klagemöglichkeit gehabt habe, von Am- tes wegen unter Art. 45 Abs. 3 VVG zu subsumieren sei. Angesichts der hohen Anforderungen an die Sorgfalt für eine Klage vor der einzigen kan- tonalen Instanz, der finanziellen Situation des Klägers, den Sprachschwie- rigkeiten und dem Gesundheitszustand des Klägers dürfe das allenfalls Versäumte als nach Wegfall des unverschuldeten Hindernisses sofort nachgeholt gelten, da die Klage rund einen Monat nach Erteilung der Ab- tretungserklärung erhoben worden sei (klägerischer Schlussvortrag S. 8). 6.1.2. Beklagte Die Beklagte beruft sich auf Ziff. H. Abs. 2 der AVB und macht geltend, all- fällige Ansprüche der Konkursitin aus dem Versicherungsvertrag seien ver- wirkt. Die Beklagte habe insbesondere mit Schreiben vom 17. November 2015, aber auch mit Bestätigungsschreiben vom 18. Dezember 2015 und 30. März 2016 Schadenszahlungen explizit abgelehnt (Antwort N. II.1.3.4. bis II.1.3.7.; Duplik N. II.1.1.; beklagtischer Schlussvortrag S. 3). Der Kläger habe die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag erst am 2. Februar 2018 gerichtlich geltend gemacht, d.h. über zwei Jahre nach dem Scha- densdatum (Antwort N. II.1.4.2.). Sie habe dem Kläger zu keinem Zeitpunkt Anlass zur Annahme gegeben, dass sie allenfalls von einer Leistungspflicht - 27 - ausgehen könnte, sodass der Kläger sich nicht auf Art. 45 VVG berufen könne (Antwort N. II.1.5.3. f.). Der Rechtsvertreter der Konkursitin habe einen Verjährungsverzicht ver- langt. Am 4. März 2016 habe die Beklagte eine Erklärung ausgestellt, wo- nach im Rahmen des Deckungsumfangs der angeführten Police bis am 11. Oktober 2018 auf die Einrede der Verjährung verzichtet werde, soweit diese bis zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht schon eingetreten sei. Es sei explizit darauf hingewiesen worden, dass alle übrigen Rechte, Einreden und Einwendungen vorbehalten blieben (Antwort N. II.4.2., Duplik N. II.1.2.; beklagtischer Schlussvortrag S. 3). Der Verjährungsverzicht sei für die Ver- wirkung ohne Belang; Verjährung und Verwirkung bestünden nebeneinan- der und das Gesetz lasse unterschiedlich lange Fristen zu. Eine Erklärung bezüglich Verjährung könne daher nicht auf die Verwirkung ausgedehnt werden. Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt auf die Einrede [präziser: Einwendung] der Verwirkung verzichtet (Antwort N. II.1.6.5.; beklagtischer Schlussvortrag S. 3). Die Konkursitin bzw. deren Rechtsvertreter habe auf die Zustellung der Er- klärung nicht reagiert. Der Text der Erklärung sei klar und nicht auslegungs- bedürftig. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, trotz des klaren Wortlauts der Erklärung das Verständnis des Verjährungsverzichts seitens des Rechtsvertreters des Klägers zu hinterfragen. Zudem hätte der Rechts- vertreter des Klägers bei Konsultation der AVB feststellen müssen, dass Ziff. H. den Titel "Verjährung und Verwirkung" trage (Duplik N. II.1.2.). Ein Verjährungsverzicht entbinde den Versicherungsnehmer nicht davon, all- fällige weitere leistungshemmende oder leistungsvernichtende Umstände, namentlich die Verwirkung, zu prüfen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Dies gelte insbesondere für den anwaltlich vertretenen Gläubiger (Duplik N. II.1.3.; beklagtischer Schlussvortrag S. 3). Die Beklagte habe niemals Anlass zur Annahme gegeben, eine Geltendmachung der Ansprü- che sei nicht nötig (Duplik N. II.1.6.). Sie habe die Konkursitin bzw. den Kläger nicht dazu veranlasst, seine Rechte nicht oder nicht rechtzeitig durchzusetzen, sondern im Gegenteil stets klar kommuniziert, dass sie nicht leisten werde. Die Berufung auf die Verwirkung sei nicht rechtsmiss- bräuchlich (Duplik N. II.1.3.; beklagtischer Schlussvortrag S. 3). Sodann habe keine Aufklärungs- oder Informationspflicht der Beklagten be- standen, auf die Verwirkungsklausel hinzuweisen, weder aus Gesetz noch aus Vertrag oder Treu und Glauben. In der Verjährungsverzichtserklärung seien andere Einreden und Einwendungen ausdrücklich vorbehalten. Die Versicherungsnehmerin sei anwaltlich vertreten gewesen; es habe zwi- schen den Parteien kein Informationsgefälle bestanden (Antwort N. II.1.6.6.; beklagtischer Schlussvortrag S. 3). - 28 - 6.2. Eintritt der Verwirkung 6.2.1. Rechtslage 6.2.1.1. Verwirkung Die Verwirkung führt zum Untergang des betreffenden Rechts und ist als Einwendung von Amtes wegen zu berücksichtigen.63 Der Verlauf der Ver- wirkungsfrist kann weder gehemmt noch unterbrochen werden64 und ein Verzicht auf die Einwendung der Verwirkung durch den Schuldner ist grundsätzlich nicht möglich.65 Vorbehalten bleibt ein allfälliger Rechtsmiss- brauch seitens des Gläubigers (vgl. E. 6.4 hiernach.) Verjährung und Verwirkung bestehen nebeneinander, weshalb der An- spruchsberechtigte gegebenenfalls die für die Wahrung der Verwirkungs- frist vorgesehene Rechtshandlung vornehmen und zusätzlich die Verjäh- rung unterbrechen muss.66 6.2.1.2. Verjährungsverzicht Die Verjährung begründet ein Einrederecht des Schuldners: Der Schuldner der verjährten Forderung ist berechtigt, die geschuldete Leistung zu ver- weigern,67 obwohl die Forderung weiterhin besteht.68 Gemäss Art. 141 Abs. 1 OR kann "auf die Verjährung [...] nicht zum Voraus verzichtet wer- den." Präzisierend ist dazu Folgendes festzuhalten: Nach eingetretener Verjährung kann der Schuldner auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichten.69 Ebenso kann der Schuldner gemäss neuerer bundesgericht- licher Rechtsprechung während laufender Verjährungsfrist auf die Erhe- bung der Verjährungseinrede verzichten, denn Art. 141 Abs. 1 OR unter- sagt nur den Verjährungsverzicht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses.70 Die Verjährungsfrist gemäss Art. 46 Abs. 1 VVG darf mithin zugunsten des Versicherungsnehmers verlängert werden; unzulässig ist eine Verkürzung (vgl. Art. 98 VVG). Eine einseitige Verjährungsverzichtserklärung ist nach dem Vertrauensprinzip auszulegen, d.h. es ist nach dem Sinn zu fragen, den der Empfänger der Erklärung nach Treu und Glauben aufgrund der konkreten Umstände zumessen durfte und musste.71 63 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. II, 10. Aufl. 2014, N. 3386; SCHALLER, Einwendungen und Einreden im schweizerischen Schuldrecht, 2010, N. 160 f. und 646 ff.; BSK VVG-GRABER (Fn. 61), Art. 46 N. 40. 64 BSK VVG-GRABER (Fn. 61), Art. 46 N. 40; vgl. BGE 116 V 218 E. 6a; 74 II 97 E. 4. 65 SCHALLER (Fn. 63), N. 184 und 661. 66 BSK VVG-GRABER (Fn. 61), Art. 46 N. 42. 67 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 63), N. 3360 f. 68 KUKO OR-DÄPPEN, 2014, Art. 127 N. 9. 69 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 63), N. 3374. 70 BGE 132 III 226 E. 3.3.7 f.; BGer 4A_495/2011 15. November 2011 E. 2.3.1; BSK OR I-DÄPPEN, 6. Aufl. 2015, Art. 141 N. 3a. 71 BGer 4A_495/2011 15. November 2011 E. 2.3.1. - 29 - Rechtsfolge des vor dem Eintritt der Verjährung erklärten Verzichts ist eine Verlängerung der Verjährungsfrist und, abweichend von der Verjährungs- unterbrechungsregel von Art. 137 Abs. 1 OR, keine Neueröffnung der (un- terbrochenen) Verjährungsfrist.72 Bei einem Verzicht nach Verjährungsein- tritt wird die Forderung ab dem Zeitpunkt der Verzichtserklärung und für die Dauer des Verzichts wieder durchsetzbar (Verzicht auf die Einrede).73 6.2.2. Würdigung 6.2.2.1. Voraussetzungen der Verwirkung gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB 6.2.2.1.1. Keine der Parteien behauptet, Ziff. H. Abs. 2 AVB sei unklar. Dass dem so wäre, ist denn auch nicht ersichtlich. Für eine Anwendung der Unklarhei- tenregel74 bleibt daher kein Raum. Für den Wortlaut der Verwirkungsklausel gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB sei auf E. 4.3.2 verwiesen. Mit dem "Eintritt des Ereignisses" wird auf den in den AVB im vorangehenden Absatz erwähnten "Eintritt der Tatsache, wel- che die Leistungspflicht begründet" (AB 2, Ziff. H. Abs. 1) Bezug genom- men. Bei Sachversicherungen entspricht dies der Verwirklichung des ver- sicherten Risikos,75 d.h. vorliegend dem Brandfall vom 12./13. Oktober 2014 (KB 17). Zusätzliche Voraussetzung der Verwirkung ist sodann, dass die Beklagte die Entschädigungsforderung abgelehnt hat (AB 2, Ziff. H. Abs. 1). Wahrt der Versicherungsnehmer bzw. Anspruchsberechtigte die zweijährige Verwirkungsfrist nicht durch die gerichtliche Geltendmachung seiner Ansprüche, verwirken diese. 6.2.2.1.2. Mit Schreiben vom 17. November 2015 hielt die Beklagte Folgendes fest: "Aufgrund der vorgängig erwähnten, diversen Widersprüche und Unge- reimtheiten verlangen wir von Ihrem Mandanten die vollständige und zwei- felsfreie Ausräumung derselben. Ohne Vorliegen dieses Nachweises kön- nen wir auf das Schadensereignis vom 13. Oktober 2014 nicht eintreten und keinerlei Leistungen erbringen" (KB 45, S. 4). Die erwähnten Wider- sprüche und Ungereimtheiten betreffen im Wesentlichen die Umstände des Brandfalls. Insbesondere zweifelt die Beklagte an der Unfreiwilligkeit des Schadensfalls, da trotz Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger der Verdacht bestehe, dass dieser den Brand vorsätzlich gelegt habe 72 BGer 4A_707/2012 vom 28. Mai 2013 E. 7.4.2; 9C_104/2007 vom 20. August 2007 E. 8.2.1; GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 63), N. 3383. 73 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 63), N. 3383; zur Unterscheidung zwischen der Verlängerung der Verjährungsfrist und dem Verzicht auf die Verjährungseinrede vgl. BSK OR I-DÄPPEN (Fn. 70), Art. 141 N. 1a. 74 Vgl. BGer 4A_47/2015 vom 2. Juni 2015 E. 7.4 m.w.N. 75 Vgl. BGer 5C.43/2001 vom 25. Mai 2001 E. 2a; BSK VVG Nachf.Bd.-GRABER, 2012, Art. 46 ad N. 6-18 Ziff. 2. - 30 - (KB 45, S. 3). Mit diesem Schreiben vom 17. November 2015, dessen Be- treff unter anderem "Ablehnung Schadenfall" lautete (KB 45, S. 1), lehnte die Beklagte die Entschädigungsforderung der Konkursitin ab. Das Inaus- sichtstellen einer allfälligen erneuten Überprüfung des Schadensfalls, so- fern der Konkursitin der verlangte Nachweis gelingen sollte, stellt noch kein Zurückkommen auf die Ablehnung der Entschädigungspflicht dar. Der Klä- ger anerkennt im Übrigen, dass mit Schreiben vom 17. November 2015 eine Ablehnung ausgedrückt wurde (vgl. E. 6.1.1 hiervor). Die Konkursitin durfte das Schreiben nach Treu und Glauben denn auch nicht anders ver- stehen, zumal sie anwaltlich vertreten war und das Schreiben an ihren Rechtsvertreter gerichtet war. Doch selbst wenn die Entschädigungsforderung mit dem Schreiben vom 17. November 2015 nicht abgelehnt worden sein sollte, wäre eine Ableh- nung spätestens mit Schreiben vom 18. Dezember 2015 erfolgt. Darin wurde festgehalten, dass die Sachlage nach Ansicht der Beklagten als Nachweis der absichtlichen Herbeiführung des Brandes genüge. Die Leis- tungsverweigerung durch die Beklagte i.S.v. Art. 14 Abs. 1 und Art. 40 VVG beruhe nicht auf Mutmassungen. Daher halte man an der Ablehnung fest (AB 11). Damit wurde der Konkursitin unmissverständlich mitgeteilt, dass die Beklagte ihre Entschädigungsforderung im Sinne der Verwirkungsklau- sel ablehnt. Die Besprechung vom 22. Februar 2016 erfolgte auf Wunsch der Konkur- sitin (AB 12, S. 1) und ändert nichts an der Ablehnung der Entschädigungs- forderung durch die Beklagte. Es liegen keine Umstände vor, aufgrund de- rer die Konkursitin hätte annehmen können, dass die Beklagte im Vorfeld oder an der Besprechung vom 22. Februar 2016 ihre ablehnende Haltung aufgegeben hätte. Zudem teilte die Beklagte mit Schreiben vom 30. März 2016 ein weiteres Mal mit, dass an den bisherigen ablehnenden Stellung- nahmen festgehalten werde. Es werde der Konkursitin bzw. deren Rechts- vertreter überlassen, wie sie weiter vorzugehen gedenke (AB 15). Allerspä- testens darin liegt eine endgültige Ablehnung der Entschädigungsforderun- gen der Konkursitin. Implizit gibt die Beklagte der Konkursitin zu verstehen, dass sie zur Geltendmachung ihrer Ansprüche aus dem Versicherungsver- trag den Rechtsweg zu beschreiten habe. Somit hat die Beklagte die Entschädigungsforderung der Konkursitin mehr- fach im Sinne der Verwirkungsklausel gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB abge- lehnt, erstmals mit Schreiben vom 17. November 2015 und letztmals am 30. März 2016. Auf diese Ablehnung kam sie in der Folge nie zurück, son- dern bekräftigte sie im Gegenteil in der weiteren Korrespondenz mit dem Rechtsvertreter der Konkursitin. - 31 - 6.2.2.1.3. Nach dem Gesagten begann die zweijährige Verwirkungsfrist mit der Ver- wirklichung des versicherten Risikos, d.h. im Zeitpunkt des Brandes am 12./13. Oktober 2014. Sie endete am 13. Oktober 2016 (vgl. Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR). Der Zeitpunkt der Ablehnung der Entschädigungsforderung hat keinen Einfluss auf den Lauf der Verwirkungsfrist; die Ablehnung ist eine vom konkreten Fristenlauf unabhängige Voraussetzung der Verwirkung. Sollte die Ablehnung erst kurz vor Ablauf der Verwirkungsfrist erfolgt sein, wäre diesem Umstand gegebenenfalls unter dem Aspekt des Rechtsmiss- brauchs (vgl. Art. 2 Abs. 2 ZGB) Rechnung zu tragen (vgl. E. 6.4 hiernach). Die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche erfolgte mit Einreichung der Klage am 1. Februar 2018 (Postaufgabedatum) und somit über zwei Jahre nach dem Schadensereignis. Die Verwirkungsfrist war in diesem Zeitpunkt abgelaufen. Doch selbst wenn unter dem "Eintritt des Ereignis- ses" i.S.v. Ziff. H. Abs. 2 AVB nicht der Tag des Brandes, sondern (zuguns- ten des Klägers) der Zeitpunkt der Ablehnung der Entschädigungsforde- rung durch die Beklagte – d.h. der 17. November 2015 oder spätestens der 18. Dezember 2015 – zu verstehen wäre, wäre die Verwirkungsfrist abge- laufen. Denn auch dann wären bis zum Zeitpunkt der Klageeinreichung am 1. Februar 2018 mehr als zwei Jahre vergangen. 6.2.2.2. Keine rechtsgeschäftliche Verlängerung der Verwirkungsfrist Am 4. März 2016 stellte die Beklagte dem Rechtsvertreter der Konkursitin eine Erklärung mit folgendem Wortlaut aus (KB 5): "Wir sind bereit, im Rahmen des Deckungsumfanges der oben erwähnten Sachversicherungs-Police bis zum 11.10.2018 auf die Einrede der zu verzichten, soweit diese bis zum heutigen Zeitpunkt nicht schon eingetreten ist. Alle übrigen Rechte, Einreden und Einwendungen behalten wir uns vor." Die Bedeutung dieser Erklärung ist zwischen den Parteien umstritten. Der Kläger macht sinngemäss geltend, mit dieser Erklärung habe die Beklagte auch auf die Einwendung der Verwirkung verzichtet, denn die Konkursitin habe einen "gültigen Verjährungsverzicht im Hinblick auf sämtliche ein- schlägigen Bedingungen der jeweiligen Policen" verlangt und die Beklagte habe gewusst, wie die Konkursitin den Verjährungsverzicht verstehen würde (vgl. E. 6.1.1). Hingegen will die Beklagte darin im Wesentlichen ei- nen Verzicht auf die Einrede der Verjährung sehen, der nicht auch die Ein- wendung der Verwirkung umfasse (vgl. E. 6.1.2). Da Verwirkungsfristen nicht unterbrochen werden können und auf die Ein- wendung der Verwirkung nicht verzichtet werden kann (vgl. E. 6.2.1.1 hier- vor), kann die Erklärung vom 4. März 2016 von vornherein keinen eigentli- chen Verzicht auf die Einwendung der Verwirkung darstellen. Möglich wäre - 32 - jedoch, dass die Verwirkungsfrist gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB mit der Erklä- rung vom 4. März 2016 bis zum 11. Oktober 2018 rechtsgeschäftlich ver- längert wurde. Da der Gehalt der Erklärung vom 4. März 2016 (KB 5) zwi- schen den Parteien umstritten ist, ist diese nach dem Vertrauensprinzip auszulegen (vgl. E. 6.2.1.2). Der Rechtsvertreter der Konkursitin ersuchte die Beklagte mit E-Mail vom 3. März 2016 um die Ausstellung einer "Verjährungsverzichtserklärung über sämtliche Ansprüche meiner Mandantin [scil. der Konkursitin] aus dem besagten Brandfall für mindestens 2 Jahre" (Replikbeilage [RB] 1). Weiter hielt er fest, die Erklärung müsse "einen gültigen Verjährungsverzicht im Hinblick auf sämtliche einschlägigen Vertragsbedingungen der jeweiligen Policen darstellen" (RB 1). Mit E-Mail ebenfalls vom 3. März 2016 antwor- tete die Beklagte dem Rechtsvertreter der Konkursitin, sie werde ihm "wunschgemäss [...] einen Verjährungsverzicht aus dem Sachversiche- rungs-Schadensfall zukommen lassen" (RB 1). Die Erklärung vom 4. März 2016 (KB 5) ist vor diesem Hintergrund auszu- legen. Die Konkursitin ersuchte über ihren Rechtsvertreter ausdrücklich um einen "Verjährungsverzicht" (RB 1). Wenn der Rechtsvertreter festhielt, der Verjährungsverzicht müsse "im Hinblick auf sämtliche einschlägigen Ver- tragsbedingungen der jeweiligen Policen" gelten (RB 1), durfte die Beklagte das Ersuchen auch als solches um einen klassischen Verjährungsverzicht verstehen. Es durften denn auch weder der Rechtsvertreter noch die Konkursitin an- nehmen, die Beklagte würde die Anfrage so verstehen, dass der Verzicht auch die Verwirkung umfassen solle. Die anwaltlich vertretene Konkursitin ist auf dem Wortlaut der Anfrage ihres Rechtsvertreters zu behaften; die- sem musste die Unterscheidung zwischen Verjährung und Verwirkung (vgl. E. 6.2.1 hiervor) bekannt sein. Wenn die Beklagte antwortete, sie werde "wunschgemäss" einen Verjährungsverzicht ausstellen (RB 1), bezog sich diese Aussage auf einen Verzicht auf die Verjährung im rechtlichen Sinne. Im Übrigen kann in der E-Mail der Beklagten vom 3. März 2016 von vorn- herein keine Zusicherung gesehen werden, dass die noch auszustellende Verzichtserklärung einen bestimmten Inhalt habe, denn Verjährungsver- zichtserklärungen sind in unterschiedlichen Ausgestaltungen möglich. Aus der vor der Ausstellung der Erklärung vom 4. März 2016 geführten Korres- pondenz lässt sich daher nicht herleiten, dass die anwaltlich vertretene Konkursitin die Erklärung als Verlängerung der Verwirkungsfrist bis zum 11. Oktober 2018 verstehen dufte. Vor allem aber verzichtete die Beklagte in der Erklärung vom 4. März 2016 ausdrücklich "auf die Einrede der Verjährung" und hielt fest, alle übrigen Rechte, Einreden und Einwendungen würden vorbehalten (KB 5). Daraus - 33 - konnte und musste die anwaltlich vertretene Konkursitin ohne weiteres er- kennen, dass die Erklärung sich ausschliesslich auf die Verjährung im ei- gentlichen Sinne beschränkte. Es deuten weder der Wortlaut noch irgend- welche Umstände darauf hin, dass damit die Verwirkungsfrist vertraglich verlängert werden sollte. Im Gegenteil werden gerade Einwendungen ex- plizit vorbehalten, was ein impliziter Hinweis auf den Vorbehalt der Verwir- kung ist. Unter diesen Umständen durfte die Konkursitin die Erklärung der Beklagten vom 4. März 2018 nach Treu und Glauben nicht als rechtsge- schäftliche Verlängerung der Verwirkungsfrist verstehen. Die Erklärung vom 4. März 2018 ändert grundsätzlich nichts daran, dass die Ansprüche der Konkursitin gegen die Beklagte aus der Police Nr. [...] am 13. Oktober 2016 verwirkten. 6.3. Keine unverschuldete Versäumnis der Verwirkungsfrist 6.3.1. Rechtslage Gemäss Art. 45 Abs. 3 VVG ist, wo der Vertrag oder das VVG den Bestand eines Rechts aus der Versicherung an die Beobachtung einer Frist knüpft, der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte befugt, die ohne Verschulden versäumte Handlung sofort nach Beseitigung des Hindernis- ses nachzuholen. Die Bestimmung kommt insbesondere zur Anwendung, wenn zufolge Versäumnis einer Verwirkungsfrist ein Rechtsverlust droht.76 Unverschuldet i.S.v. Art. 45 Abs. 3 VVG ist eine Fristversäumnis nicht nur, wenn Umstände, die der Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigte nicht zu verantworten hat, die Fristwahrung verunmöglichen, sondern auch, wenn es dem Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigten zwar möglich, im Hinblick auf die damaligen Umstände nach Treu und Glauben jedoch unzumutbar war, die in Frage stehende Handlung vor Ablauf der Frist vorzunehmen. So ist es dem Versicherungsnehmer oder Anspruchs- berechtigten nicht zumutbar, während laufenden Vergleichsverhandlungen rechtliche Schritte einzuleiten. Die Versäumnis einer Klagefrist gilt daher als i.S.v. Art. 45 Abs. 3 VVG entschuldigt, wenn die Parteien über den Frist- ablauf hinaus oder so lange ernstliche Vergleichsverhandlungen führen, dass zwischen deren Abbruch und dem Fristablauf nicht mehr genügend Zeit bleibt, um die Klage einzuleiten.77 Hingegen gilt Unkenntnis der AVB grundsätzlich als unentschuldbar.78 "Sofort nach Beseitigung des Hindernisses" (vgl. Art. 45 Abs. 3 VVG) nach- geholt ist die Klage, wenn sie nach Abbruch der Vergleichsverhandlungen sobald wie möglich eingereicht wird.79 76 BGer 4A_200/2008 vom 18. August 2008 E. 2.2.3; BSK VVG-NEF, 2001, Art. 45 N. 19 f. 77 BGE 74 II 97 E. 4a; BGer 4A_200/2008 vom 18. August 2008 E. 2.2.3. 78 BGE 84 II 556 E. 9; vgl. BSK VVG-NEF (Fn. 76), Art. 45 N. 12 (zu Art. 45 Abs. 1 VVG, wobei dies auch für Art. 45 Abs. 3 VVG gelten muss). 79 BGE 74 II 97 E. 4a und 4b; BGer 4A_200/2008 vom 18. August 2008 E. 2.2.3. - 34 - 6.3.2. Würdigung Der Kläger macht sinngemäss geltend, er bzw. die Konkursitin habe die Erklärung vom 4. März 2016 als Verwirkungsverzicht verstanden und des- halb nicht innert der von Ziff. H. Abs. 2 AVB gesetzten Frist Klage einge- reicht (vgl. E. 6.1.1 hiervor). Zudem behauptet er, die AVB nicht zur Kennt- nis genommen zu haben (vgl. 4.1.1 hiervor). Damit bringt er implizit vor, er habe die gerichtliche Geltendmachung seiner Ansprüche zwecks Wahrung der Verwirkungsfrist unverschuldet versäumt. In seinem Schlussvortrag macht der Kläger dann auch explizit geltend, das Versäumnis der Verwir- kungsfrist sei aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen, der Sprachschwierigkeiten sowie der schlechten Finanzverhältnisse der Kon- kursitin unverschuldet i.S.v. Art. 45 Abs. 3 VVG. Die Beklagte bestreitet sinngemäss, dass sich der Kläger auf eine unver- schuldete Versäumnis der Verwirkungsfrist nach Art. 45 Abs. 3 VVG beru- fen könne (vgl. E. 6.1.2 hiervor). Der Kläger macht keine objektiven Gründe geltend, die der Konkursitin die gerichtliche Durchsetzung ihrer behaupteten Ansprüche innert der Verwir- kungsfrist verunmöglicht hätten. Solche sind denn auch nicht ersichtlich. Fraglich ist hingegen, ob die Wahrung der Verwirkungsfrist aus subjektiven Gründen unzumutbar und damit unverschuldet i.S.v. Art. 45 Abs. 3 VVG war. Die Konkursitin und die Beklagte führten keine ernstlichen Vergleichsver- handlungen, während welchen die gerichtliche Geltendmachung der be- haupteten Ansprüche für die Konkursitin bzw. den Kläger unzumutbar ge- wesen wäre. Dass die Besprechung vom 22. Februar 2016 auf Wunsch der Konkursitin erfolgte und die Beklagte ihre ablehnende Haltung gegenüber den geltend gemachten Ansprüchen nie aufgab, wurde bereits festgestellt (vgl. E. 6.2.2.1.2 hiervor). Unter diesen Umständen durfte die Konkursitin die Besprechung vom 22. Februar 2016 nicht als Vergleichsverhandlung verstehen. Im Übrigen wären, sofern die Gespräche der Konkursitin und der Beklagten dennoch als Vergleichsverhandlungen qualifiziert würden, diese spätes- tens am 3. März 2016 erfolglos beendet worden. Denn mit E-Mail vom 3. März 2016 hielt die Beklagte unmissverständlich fest, sie nehme das von der Konkursitin vorgeschlagene Angebot von Fr. 1'100'000.00 nicht an; die Voraussetzungen für die Regulierung des Schadensfalls seien zumindest in der geforderten Höhe nicht erfüllt (AB 13). Der Kläger selbst führt aus, Vergleichsgespräche seien (nur) bis zum 3. März 2016 geführt worden (vgl. E. 6.1.1). Somit wären die Vergleichsverhandlungen jedenfalls rund sieben Monate vor Ablauf der Verwirkungsfrist am 13. Oktober 2016 (vgl. E. 6.2.2.1.3 hiervor) abgebrochen worden. Die Konkursitin hatte mithin über ein halbes Jahr Zeit, um die Verwirkungsfrist durch Einleitung einer - 35 - Klage zu wahren (bzw. zumindest mehrere Monate bis zur Konkurseröff- nung über die Konkursitin am 23. August 2016). Als der Anspruch dem Kläger i.S.v. Art. 260 SchKG abgetreten wurde, war dieser bereits verwirkt, weshalb ein rasches Einreichen der Klage nach der Abtretungserklärung, wie dies der Kläger behauptet, nichts an der Beurtei- lung ändern kann. Dass die Konkursitin bzw. der Kläger durch die Kon- kurseröffnung von der Wahrung der Verwirkungsfrist abgehalten worden wäre, wurde vom Kläger bis zum Schlussvortrag nicht behauptet. Soweit im klägerischen Schlussvortrag (S. 8) eine solche Behauptung erblickt wer- den kann, ist diese nach Abschluss des Schriftenwechsels und damit ver- spätet erfolgt. Deshalb wäre das Versäumnis der Klagefrist auch dann nicht entschuldbar, wenn bis am 3. März 2016 Vergleichsverhandlungen geführt worden wären. Aus der Behauptung, die Konkursitin habe die AVB und insbesondere de- ren Ziff. H. Abs. 2 AVB nicht gekannt, kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten ableiten, denn die Unkenntnis der AVB ist nicht entschuldbar (vgl. E. 6.3.1 hiervor). Und dass die anwaltlich vertretene Konkursitin bzw. der Kläger nicht annehmen durfte, die Verwirkungsfrist gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB müsse aufgrund des Verjährungsverzichts nicht eingehalten werden, wurde bereits erörtert (vgl. E. 6.2.2.1 hiervor). Auch eine Verwechslung von Verjährung und Verwirkung und ein entsprechend falsches Verständnis des Verjährungsverzichts hat die anwaltlich vertretene Konkursitin bzw. der an- waltlich vertretene Kläger selbst zu verantworten. 6.4. Kein Rechtsmissbrauch 6.4.1. Rechtslage Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts kann die Erhebung der Verjährungseinrede rechtsmissbräuchlich i.S.v. Art. 2 Abs. 2 ZGB sein. Dies nicht nur, wenn der Schuldner den Gläubiger arglis- tig dazu verleitet, nicht innert nützlicher Frist zu handeln, sondern auch, wenn er – ohne Arglist – ein Verhalten gezeigt hat, das einerseits den Gläu- biger dazu bewogen hat, rechtliche Schritte während der Verjährungsfrist zu unterlassen, und das andererseits die Säumnis des Gläubigers auch bei objektiver Betrachtungsweise als verständlich erscheinen lässt. Das Ver- halten des Schuldners muss für das verspätete Handeln des Gläubigers kausal sein.80 Analoges hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Beurteilung öffentlich-rechtlicher Ansprüche zur Verwirkung festgehalten. Der Grund- satz von Treu und Glauben könne der Anwendung einer Verwirkungsfrist 80 BGer 4A_532/2009 vom 5. März 2010 E. 3.1 m.w.N.; BGE 131 III 430 E. 2; HGer ZH, HG150169-O vom 30. Januar 2017 E. 2.7. - 36 - namentlich dann entgegenstehen, wenn der Schuldner den Gläubiger durch ein Vertrauen erweckendes Verhalten, z. B. durch Einlassung auf Verhandlungen, von der rechtzeitigen Geltendmachung seines Anspruchs abgehalten habe.81 In BGE 84 II 556 hatte das Bundesgericht versiche- rungsvertragliche Ansprüche zu beurteilen und erachtete die Erhebung ei- ner Verwirkungseinrede im konkreten Fall als nicht rechtsmissbräuchlich.82 Die Einrede der Verjährung und die Einwendung der Verwirkung gelten da- mit unter ähnlichen Voraussetzungen als rechtsmissbräuchlich. Die Recht- sprechung zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Verjährungseinrede kann analog auf die Verwirkung angewendet werden (und umgekehrt). Ist ein Anspruch zufolge Nichteinhaltung einer vertraglich vereinbarten Frist ver- wirkt und hat der Schuldner den Gläubiger arglistig dazu verleitet, nicht in- nert Frist zu handeln, oder hat er durch sein Verhalten den Gläubiger dazu bewogen, die zur Fristwahrung nötige Handlung zu unterlassen, und er- scheint das Versäumnis objektiv betrachtet als verständlich, ist die Einwen- dung der Verwirkung rechtsmissbräuchlich und entsprechend unbeacht- lich. 6.4.2. Würdigung 6.4.2.1. Zu prüfen bleibt, ob die Einwendung der Verwirkung durch die Beklagte rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich ist. Zwar durfte die Konkur- sitin den Verjährungsverzicht grundsätzlich nicht als rechtsgeschäftliche Verlängerung der Verwirkungsfrist verstehen (vgl. E. 6.2.2.2). Problema- tisch ist vorliegend allerdings, dass die Beklagte den über die Verwirkungs- frist hinausgehenden Verjährungsverzicht am 4. März 2016 abgab (KB 5), nachdem sie die Entschädigungsforderung der Konkursitin bereits am 17. November 2015 bzw. spätestens am 18. Dezember 2015 abgelehnt hatte (KB 45, AB 11). Im Zeitpunkt der Abgabe des Verjährungsverzichts musste somit für die Beklagte klar sein, dass die Verwirkung per 13. Okto- ber 2016 eintreten wird. Die Verwirkung führt zum Untergang der Forde- rung. Eine erloschene Forderung kann aber nicht mehr verjähren. Bezüg- lich einer untergegangen Forderung den Verzicht auf die Einrede der Ver- jährung zu erklären, erscheint entsprechend widersprüchlich. Der Missbrauch eines Rechts muss laut Art. 2 Abs. 2 ZGB "offenbar" sein. Gemeint ist damit, dass nicht jedes irgendwie, allenfalls leicht stossende Verhalten schon rechtsmissbräuchlich ist. Vielmehr ist ein krass (ins Auge springend) stossendes Verhalten gefordert.83 So genügt es für die Begrün- dung des Rechtsmissbrauchs nicht, bloss ein widersprüchliches Verhalten der Beklagten zu behaupten. Der Kläger muss wie gesagt darlegen, dass 81 BGE 116 Ib 386 E. 3c und 4e; BGer 2C_707/2010 vom 15. April 2011 E. 4.7.1; 2C_164/2012 vom 31. August 2012 E. 3.6. 82 BGE 84 II 556 E. 10, wobei es sich nach heutigem Verständnis um eine Einwendung handelt. 83 RIEMER, Die Einleitungsartikel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 2. Aufl. 2003, § 5 N. 13. - 37 - ihn der Verjährungsverzicht der Beklagten arglistig dazu verleitete oder zu- mindest dazu bewegte, während laufender Verwirkungsfrist rechtliche Schritte zur Wahrung dieser Frist zu unterlassen, und dieses Verhalten der Konkursitin bzw. des Klägers auch bei objektiver Betrachtungsweise ver- ständlich erscheint (vgl. E. 6.4 hiervor). 6.4.2.2. Die Beklagte stellte den Verjährungsverzicht auf Anfrage der Konkursitin aus und behielt darin explizit weitere Einreden und Einwendungen vor. Da- mit gab sie der Konkursitin implizit zu verstehen, dass die Einwendung der Verwirkung von der Verzichtserklärung unberührt bleibt (vgl. E. 6.2.2.2 hier- vor) und die Konkursitin bzw. der Kläger die zur Wahrung der Verwirkungs- frist nötigen Schritte weiterhin unternehmen muss. Überdies trafen die Be- klagte keine besonderen Aufklärungs- oder Informationspflichten über den Gehalt der Verjährungsverzichtserklärung und deren rechtliche Bedeutung für die Verwirkung. Die Beklagte musste nicht damit rechnen, dass die an- waltlich vertretene Konkursitin die Erklärung vom 4. März 2016 anders denn als reinen Verjährungsverzicht verstehen könnte (vgl. E. 6.2.2.2 hier- vor). Die vom Rechtsvertreter der Konkursitin verfasste Anfrage bezog sich einzig auf einen Verjährungsverzicht (vgl. E. 6.2.2.2 hiervor). Zudem herrschte zwischen der Beklagten und der Konkursitin keine Informations- asymmetrie, weil die Konkursitin anwaltlich vertreten war und die Verwir- kungsklausel gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB im Versicherungsgeschäft üblich (vgl. E. 4.3.2) ist. Eine allfällige Unkenntnis der Verwirkungsklausel ist der Konkursitin bzw. dem Kläger anzulasten. Inwiefern die Beklagte geradezu arglistig gehandelt haben soll, ist nicht er- sichtlich. Auch hat sie die Konkursitin bzw. den Kläger durch das Ausstellen des Verjährungsverzichts nicht dazu bewogen, die zur Wahrung der Ver- wirkungsfrist nötigen Schritte zu unterlassen. Vielmehr durfte sie anneh- men, dass die anwaltlich vertretene Konkursitin sich der Tragweite und Grenzen des Verjährungsverzichts bewusst war. Insgesamt kann der Be- klagten kein treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden. 6.4.2.3. Im Übrigen erscheint es objektiv betrachtet nicht verständlich, dass die Konkursitin bzw. der Kläger aufgrund des Verjährungsverzichts der Beklag- ten Schritte zur Wahrung der Verwirkungsfrist unterlassen haben. Insbe- sondere ist eine allfällige Unkenntnis der Verwirkungsklausel seitens der Konkursitin bzw. des Klägers objektiv nicht nachvollziehbar, zumal diese während der Dauer der Verwirkungsfrist wie auch im Zeitpunkt der Abgabe des Verjährungsverzichts anwaltlich vertreten waren. Zudem musste für die anwaltlich vertretene Konkursitin bzw. den Kläger klar sein, dass ein Verjährungsverzicht unter Vorbehalt weiterer Einreden und Einwendungen keinerlei Einfluss auf den Lauf einer Verwirkungsfrist - 38 - hat (vgl. E. 6.2.2.2 hiervor). Damit hätte die Konkursitin bzw. der Kläger auch den Widerspruch eines Verjährungsverzichts für eine Zeit, in der die Forderung bereits zufolge Verwirkung untergegangen sein wird, erkennen können und müssen. Es ist objektiv nicht nachvollziehbar, dass die anwalt- lich vertretene Konkursitin bzw. der Kläger aus diesem Widerspruch offen- bar schlossen, ein Verjährungsverzicht umfasse auch die Verwirkung, ob- wohl in der Erklärung explizit weitere Einwendungen vorbehalten wurden. Auch deshalb ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten zu verneinen. 6.4.2.4. Weiter wäre in der vorliegenden Konstellation die Wahrung der Verwir- kungsfrist gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB durch gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche zeitlich ohne weiteres möglich gewesen. Zwar wird gemäss Ziff. I. Abs. 3.2 AVB die Fälligkeit des Anspruchs während der Dauer eines Strafverfahrens bis zu dessen Abschluss aufgeschoben. Theoretisch ist so- mit denkbar, dass die Beklagte während eines hängigen Strafverfahrens einen Anspruch ablehnt und die Verwirkung gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB eintritt, bevor die Forderung überhaupt fällig und damit durchsetzbar wurde. Dem Versicherungsnehmer wäre es in solchen Fällen nicht möglich, die Verwirkung zu verhindern. Vorliegend verfügte die Staatsanwaltschaft X. die Einstellung des Strafver- fahrens am [...] 2015 (KB 43), mithin knapp ein Jahr vor Ablauf der Verwir- kungsfrist am 13. Oktober 2016. Damit hatten die Konkursitin bzw. der Klä- ger ausreichend Zeit zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche, um so den Eintritt der Verwirkung zu verhindern. Das zeitliche Zusammenspiel zwischen dem Fälligkeitseintritt und dem Lauf der Verwirkungsfrist lässt die Einwendung der Verwirkung im vorliegenden Fall somit ebenfalls nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Schliesslich lehnte die Beklagte die Bezahlung einer Entschädigung für den behaupteten Sachschaden am 17. November 2015, allerspätestens aber am 30. März 2016 (vgl. 6.2.2.1.2 hiervor) ab. Mit dem ablehnenden Be- scheid stand fest, dass die Verwirkungsfrist gemäss Ziff. H. Abs. 2 AVB zwei Jahre nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses, mithin am 13. Oktober 2016, ablaufen würde (vgl. E. 6.2.2.1.3) hiervor). Selbst wenn angenommen würde, dass die Beklagte die Entschädigungsforderung erst am 30. März 2016 ablehnte, blieben der Konkursitin bzw. dem Kläger über sechs Monate, um die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche einzu- leiten und so die Verwirkung zu verhindern. In dieser Zeit standen die Par- teien nicht in Vergleichsverhandlungen, sodass die gerichtliche Geltend- machung der Ansprüche der Konkursitin bzw. dem Kläger ohne weiteres zuzumuten war. Die Beklagte lehnte die Entschädigungsforderung nicht derart kurz vor Ablauf der zweijährigen Verwirkungsfrist ab, dass die Ein- wendung der Verwirkung rechtsmissbräuchlich wäre. - 39 - 6.4.2.5. Der Kläger stützt sich zur Begründung des Rechtsmissbrauchs auf ein Ur- teil des Obergerichts Nidwalden vom 25. September 2003. In diesem Fall ging es um die Frage, ob staatshaftungsrechtliche Ansprüche nach Mass- gabe des kantonalen Haftungsgesetzes verwirkt waren. Aus der Regeste des Urteils kann der Eindruck entstehen, das Gericht habe allgemein sagen wollen, die Berufung auf eine Verwirkungsfrist verstosse immer gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn ge- genüber dem Geschädigten ein "Verjährungsverzicht" erklärt worden ist.84 Aus dem Urteil ergibt sich indes, dass im beurteilten Sachverhalt eine ei- gentliche Verjährung gar nicht zur Debatte stand. Das Gericht kam zum Schluss, dass der "Verjährungsverzicht" sich auf die Verwirkungsfrist ge- mäss Art. 15 Abs. 2 des Nidwaldner Haftungsgesetzes beziehen musste, weil keine andere Frist (mehr) ersichtlich war, auf die sich der Verzicht hätte beziehen können.85 Vorliegend ist die Ausgangslage demgegenüber grundlegend anders. Ver- wirkung und Verjährung bestehen hier nebeneinander und werden in Ziff. H. Abs. 1 und Abs. 2 AVB separat geregelt, weshalb der Anspruchs- berechtigte gegebenenfalls die für die Wahrung der Verwirkungsfrist ver- traglich vorgesehene Rechtshandlung vornehmen und zusätzlich die Ver- jährung unterbrechen muss. Demgegenüber stand im Nidwaldner Urteil gar keine Verjährungsfrist zur Diskussion, auf die sich der abgegebene "Ver- jährungsverzicht" hätte beziehen können. Überdies sprach das anwend- bare kantonale Haftungsgesetz selbst von Verjährung, wo die Verwirkung gemeint war.86 Vor diesem Hintergrund erscheint das Urteil des Oberge- richts Nidwalden für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. 6.4.2.6. Im Ergebnis sind keine Umstände ersichtlich, welche die Einwendung der Verwirkung als rechtmissbräuchlich erscheinen liessen. Folglich ist die Ein- wendung der Verwirkung zu beachten. 7. Fazit Zusammengefasst ergibt sich Folgendes: Ziff. H. Abs. 2 AVB wurde in den Versicherungsvertrag zwischen der Beklagten und der Konkursitin einbe- zogen und ist gültig. Die Ansprüche der Konkursitin sind per 13. Oktober 2016 verwirkt, weil sie bis zu diesem Datum trotz Ablehnung durch die Be- klagte nicht gerichtlich geltend gemacht worden sind. Die Konkursitin bzw. 84 OGer NW, NG 161.2 vom 25. September 2003, Regeste. 85 OGer NW, NG 161.2 vom 25. September 2003 E. 3b/cc. 86 OGer NW, NG 161.2 vom 25. September 2003 E. 3b/cc. - 40 - der Kläger versäumten die Verwirkungsfrist nicht unverschuldet. Die Ein- wendung der Verwirkung ist folglich nicht rechtsmissbräuchlich. Demge- mäss ist die Klage abzuweisen. 8. Prozesskosten 8.1. Die Prozesskosten, bestehend aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO), werden gemäss Art. 106 Abs. 2 ZPO im Verhältnis des Obsiegens bzw. Unterliegens auferlegt. Der Kläger unterliegt mit seiner Klage vollständig, weshalb er (grundsätz- lich) die Prozesskosten zu tragen hat. 8.2. Bei einem Streitwert von Fr. 868'708.35 (vgl. E. 1.2.3) beträgt der Grund- ansatz für die Gerichtsgebühr Fr. 22'357.08 (§ 7 Abs. 1 VKD). Der Verzicht auf die Hauptverhandlung führt zu einer Reduktion des Grundansatzes um 10 % (§ 7 Abs. 3 VKD). Da das Verfahren nicht vollständig durchgeführt wurde (Beschränkung auf die Prozessvoraussetzungen und die Frage der Verwirkung), können die Gerichtsgebühren in Anwendung von § 7 Abs. 3 VKD gekürzt werden. Es rechtfertigt sich eine Kürzung um 40 %, d.h. total 50 %. Die Gerichtskosten sind somit auf gerundet Fr. 11'179.00 festzuset- zen. Aufgrund der dem Kläger gewährten unentgeltlichen Rechtspflege gehen die Gerichtskosten zu Lasten des Kantons (vgl. Art. 122 Abs. 1 lit. b ZPO). Der Kläger ist zur Nachzahlung verpflichtet, sobald er dazu in der Lage ist (vgl. Art. 123 Abs. 1 ZPO). 8.3. Die Parteientschädigung nach Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO besteht aus den Kosten der berufsmässigen Vertretung. Die Grundentschädigung beträgt gemäss § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 9 AnwT Fr. 41'957.71. Dadurch sind Instruk- tion, Aktenstudium, rechtliche Abklärungen, Korrespondenz und Telefon- gespräche sowie eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördli- chen Verhandlung abgegolten (§ 6 Abs. 1 AnwT). Der Aufwand für die zweite zu erstattende Rechtsschrift wird durch den Entfall der Hauptver- handlung kompensiert. Für den Schlussvortrag ist eine Erhöhung der Grun- dentschädigung von 10 % angezeigt. Da das Verfahren nicht vollständig durchgeführt wurde, ist ein Abzug von 40 % zu machen. Es resultiert somit ein Abzug von 30 %. Zuzüglich einer Auslagenersatzpauschale von 3 % (vgl. § 7 Abs. 2 AnwT) ergibt dies eine Parteientschädigung von gerundet Fr. 30'251.50 (Fr. 29'370.40 x 1.03). Diese ist vom Kläger trotz Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege zu bezahlen (vgl. Art. 122 Abs. 1 lit. d ZPO). - 41 - Das Handelsgericht erkennt: 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. 2.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 11'179.00 werden dem Kläger aufer- legt. Sie gehen infolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege einst- weilen zu Lasten des Kantons. Der Kläger ist zur Nachzahlung verpflichtet, sobald er dazu in der Lage ist. 2.2. Der Kläger hat der Beklagten eine Parteientschädigung in Höhe von Fr. 30'251.50 zu bezahlen. Zustellung an: den Kläger (unentgeltlicher Vertreter; zweifach) die Beklagte (Vertreter; zweifach) - 42 - 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 21. März 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: Dubs Schmutz
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2005 Strafrecht 55 IV. Strafrecht 11 Art. 69 StGB; Prinzip der Verfahrensidentität Die Untersuchungshaft wird angerechnet, sofern sie in dem Verfahren ausgestanden wurde, das zur Ausfällung der Strafe führte. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Strafkammer, vom 22. April 2005 in Sachen StA ca. S.B. Aus den Erwägungen 2. a) Der Angeklagte befand sich vom 26. Januar 2000 bis am 7. Februar 2000 in Untersuchungshaft. Angeordnet wurde sie auf- grund der Beschuldigung der Hehlerei, als Haftgründe wurden Flucht - und Kollusionsgefahr genannt. Die Vorinstanz rechnete diese 12-tä- gige Untersuchungshaft auf die ausgefällte Strafe gemäss Art. 69 StGB an. Der Angeklagte bringt hierzu im Wesentlichen vor, nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bzw. dem geltenden Prinzip der Tatidentität könne die Untersuchungshaft nur insoweit angerechnet werden, als sie wegen einer Handlung ausgestanden worden sei, für welche der Beschuldigte bestraft werde. Zwar gebe es Ausnahmen von diesem Grundsatz (insbesondere bei der retrospektiven Konkur- renz im Sinn von Art. 68 Ziff. 2 StGB), diese seien vorliegend aller- dings ohne Belang. Die Lehre bezeichne diese Praxis als problema- tisch, wenn das Resultat der Unersetzlichkeit der persönlichen Frei- heit zu wenig Rechnung trage. Letzteres sei aber nur der Fall, wenn sich die Nichtanrechnung der Untersuchungshaft zum Nachteil des Verurteilten auswirke, weil die "ungenutzte" Untersuchungshaft nicht anderweitig abgegolten oder ausgeglichen werde. M.a.W. sei auch nach Ansicht der Lehre die Untersuchungshaft nach dem Grundsatz der Tatidentität und in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen 2005 Obergericht 56 Praxis nicht anzurechnen, wenn dies im Interesse des Verurteilten sei. Dies treffe vorliegend zu. Wenn die Untersuchungshaft an eine bedingt ausgefällte Strafe angerechnet werde, so werde der durch die Untersuchungshaft erlittene Nachteil nur ausgeglichen oder entschä- digt, falls die bedingte Strafe wegen einer neuen Straftat wider Erwarten vollstreckt werden müsse. b) aa) Gemäss der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis ist die Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft gemäss Art. 69 StGB nur möglich auf die Strafe für eine Tat, zu deren Verfolgung die Untersuchungshaft angeordnet und ausgestanden wurde. Für die Anrechnung der Untersuchungshaft gilt somit grundsätzlich das Prin- zip der Identität der Tat (BGE 104 IV 8 f.; BGE 85 IV 12 f.; BGE 77 IV 6 f.; vgl. auch Trechsel, Schweizerisches Strafrecht, Kurzkom- mentar, 2. Aufl., Zürich 1997, N 15 zu Art. 69 StGB; Mettler, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Basel 2003, N 41 zu Art. 69 StGB m.w.H.). bb) Diese Praxis wurde von der Lehre bereits seit mehreren Jahrzehnten regelmässig in Frage gestellt. Verlangt wurde respektive wird eine grundlegende Abkehr vom Prinzip der Tatidentität hin zum Prinzip der Verfahrensidentität, wonach es für die Anrechung der Un- tersuchungshaft lediglich darauf ankommen soll, ob sie in dem Verfahren ausgestanden wurde, das zur Ausfällung einer Strafe führte (so z.B. Waiblinger, in: ZBJV 90/1954, S. 448 f.; Dubs, Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafe, in: ZStrR 76/1960, S. 185 ff.; Ruedin, Die Anrechnung der Untersuchungshaft nach dem Schweize- rischen Strafgesetzbuch, Diss. Zürich 1979, S. 134; Trechsel, a.a.O., N 15 zu Art. 69 StGB; Mettler, a.a.O., N 42 zu Art. 69 StGB). Schu- barth (Anrechnung von Untersuchungshaft auf eine ausgesprochene Strafe oder Entschädigung für ungerechtfertigte Untersuchungshaft?, in: ZStrR 116/1998, S. 113) geht sogar noch weiter, indem er eine Anrechnung solange zulassen will, als die ausgestandene Untersu- chungshaft noch nicht entschädigt wurde. cc) Diese letzte Lösung sieht auch Art. 51 nStGB des künftigen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs gemäss Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 vor (BBl 2002, S. 8240 ff., 8255). Die Bestim- mung über die Anrechnung der Untersuchungshaft lautet: "Das Ge- 2005 Strafrecht 57 richt rechnet die Untersuchungshaft, die der Täter während dieses oder eines anderen Verfahrens ausgestanden hat, auf die Strafe an. Ein Tag Haft entspricht 1 Tagessatz Geldstrafe oder 4 Stunden gemeinnütziger Arbeit." Art. 51 nStGB in der Fassung gemäss Bun- desgesetz vom 13. Dezember 2002 geht damit weiter als Art. 51 des bundesrätlichen Entwurfs. Dieser sah im Sinn des Grundsatzes der Verfahrensidentität Folgendes vor: "Das Gericht rechnet die Untersu- chungshaft, die der Täter während des Verfahrens ausgestanden hat, auf die Strafe an. Ein Tag Haft entspricht 1 Tagessatz Geldstrafe oder 4 Stunden Arbeitsleistung" (siehe Botschaft und Entwurf des Bundesrats, BBl 1999, S. 1979 ff., 2063, 2298 ff., 2311; Urteil des Bundesgerichts 6S.264/2002 vom 10. Oktober 2003, Erw. 2.3). dd) Das Bundesgericht hat sich in seiner neueren Rechtspre- chung zurückhaltend dazu geäussert, welches der besagten Prinzipien zur Anwendung gelangen soll. So hielt es im Entscheid 6S.264/2002 vom 10. Oktober 2003 (Erw. 2.3 m.w.H.) etwa fest, der Grundsatz der Tatidentität sei nie ausdrücklich aufgegeben worden. Allerdings würden Ausnahmen von diesem Prinzip gelten, insbesondere bei der retrospektiven Konkurrenz im Sinn von Art. 68 Ziff. 2 StGB. Es prüfte sodann die Möglichkeit der Anrechnung der Untersuchungs- haft unter dem Blickwinkel der Tatidentität und hielt abschliessend fest, die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die ausgefällte Strafe verstosse "auch bei Anwendung des Grundsatzes der Tatidenti- tät nicht gegen Bundesrecht" (erwähntes Urteil, Erw. 2.4). Diese vor- sichtigen Formulierungen sowie die explizite Aussage, es gebe Aus- nahmen vom Prinzip der Tatidentität, lassen eine gewisse Lockerung der Praxis zugunsten des Prinzips der Verfahrensidentität erkennen. Bestätigt wird dies durch die allgemeine Feststellung des Bundesge- richts im Urteil 6S.782/2000 vom 20. Dezember 2000 (Erw. 2 c), wonach die Untersuchungshaft unter der Geltung des Grundsatzes der Tatidentität unter Umständen überhaupt nicht mehr angerechnet werden könne. Die Haftentschädigung sei nur subsidiärer Natur. Es sollte daher eine gesetzliche Lösung gewählt werden, welche die An- rechnung von jeder Untersuchungshaft gestatte, für die der Beschul- digte noch nicht entschädigt worden sei (vgl. in diesem Zusammen- hang auch Mettler, a.a.O., N 42 zu Art. 69 StGB). 2005 Obergericht 58 c) In Anbetracht der Kritik der Lehre am Prinzip der Tatidentität - sie besteht weitestgehend unabhängig von der Frage, ob die An- rechnung der Untersuchungshaft auf eine bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe dem Verurteilten je einmal praktisch von Vorteil sein wird -, der geplanten Gesetzesreform mit Art. 51 nStGB sowie der beim Bundesgericht festzustellenden Tendenz, den Grundsatz der Verfahrensidentität nicht mehr grundlegend auszuschliessen, sondern ihn zumindest fallweise neben demjenigen der Tatidentität zuzulas- sen, ist es angezeigt, im Sinn des Prinzips der Verfahrensidentität zu entscheiden und die vom Angeklagten ausgestandene Untersu- chungshaft auf die vorinstanzlich ausgefällte Freiheitsstrafe anzu- rechnen (Umstände im Sinn von Art. 69 Satz 1 StGB, welche die Anrechnung ausschliessen würden, liegen nicht vor). Daran ändert auch nichts, dass die Vorinstanz dem Angeklagten den bedingten Strafvollzug gewährt hat und ihm die Anrechnung (wie oben ange- tönt) daher praktisch erst "etwas nützen" wird, wenn und sofern die Strafe später widerrufen wird: Vorliegend geht es um den grundle- genden Entscheid über die Anrechnung der Untersuchungshaft. Die Beurteilung, ob der bedingte Strafvollzug gewährt werden soll, steht damit nicht in Zusammenhang und hat unabhängig davon zu erfol- gen. Entsprechend spielt es für den Anrechnungsentscheid keine Rol- le, ob die Anrechnung der Untersuchungshaft dem Verurteilten auch praktisch je von Vorteil sein wird - formal ist sie es immer (vgl. in diesem Zusammenhang Trechsel, a.a.O., N 1 zu Art. 69 StGB, wo- nach ein Verurteilter eine nicht angerechnete Untersuchungshaft als zusätzliche Freiheitsstrafe empfinden muss). Eine Differenzierung nach Massgabe, ob dem Verurteilten der bedingte Strafvollzug ge- währt wurde oder nicht, ist daher nicht vorzunehmen (so im Resultat auch AGVE 1987 S. 81 ff.).
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2000 Strafrecht 69 IV. Strafrecht 19 Art. 251 StGB, Urkundenqualität. Einem Eintrag im Service-Heft eines Autos kommt keine allgemein gül- tige objektive Garantie für die Richtigkeit des darin genannten Kilome- terstandes zu. Der Umstand, dass im Geschäftsverkehr allgemein auf sol- che Einträge abgestellt wird, genügt nicht für die Urkundenqualität. Ein Garagist, der einen Eintrag des Kilometerstandes im Service-Heft vor- nimmt, hat für derartige Bestätigungen keine garantenähnliche Stellung, die für eine erhöhte Glaubwürdigkeit sprechen würde. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 28. Januar 2000 in Sachen StA gegen B. R.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.94 / as / mv Entscheid vom 2. November 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber-Stv. Stich Gesuchstellerin G. GmbH, _ Gesuchsgegner H. M., _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in D. (LU). Sie bezweckt gemäss Handelsregister insbesondere _. 2. Der Gesuchsgegner ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in M. (AG). 3. Mit Gesuch vom 30. Oktober 2020 (Postaufgabe: 30. Oktober 2020) bean- tragte die Gesuchstellerin den Erlass einer Verfügung mit der Anweisung der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts in Höhe von Fr. 216'441.05 nebst 5 % Zins seit 23. Juli 2020 auf dem Grundstück- Nr. XXX GB M. - 2 - Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Das Gericht prüft von Amtes wegen, ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 60 ZPO). Dazu gehören insbesondere die örtliche und die sach- liche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 1.1. Örtliche Zuständigkeit Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ist das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Mas- snahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Errichtung gesetzlicher Grundpfandrechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grundbuch aufgenommen ist, zustän- dig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Das Grundstück des Gesuchsgegners, auf welchem die Gesuchstellerin ein Bauhandwerkerpfandrecht vorläufig eintragen lassen will, befindet sich in M. (AG). Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist somit gegeben. 1.2. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichtes für die Anordnung vor- sorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 5 ZPO und ist zu beja- hen, sofern das Handelsgericht in der Hauptsache zuständig ist bzw. wäre.1 Gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO ist das Handelsgericht für die Beurteilung von Streitigkeiten zuständig, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist (lit. a), gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsa- chen an das Bundesgericht offen steht (lit. b) und die Parteien im Handels- register eingetragen sind (lit. c). Ist nur die beklagte Partei im Handelsre- gister eingetragen, so hat die klagende Partei die Wahl zwischen dem Han- delsgericht und dem ordentlichen Gericht (Art. 6 Abs. 3 ZPO). Keine Wahl- möglichkeit besteht dagegen im umgekehrten Fall, in welchem nur die kla- gende Partei im Handelsregister eingetragen ist. In diesem Fall liegt nie eine handelsrechtliche Streitigkeit vor.2 Vorliegend ist gemäss der Gesuchstellerin einzig sie selbst im Handelsre- gister eingetragen. Es ist weder behauptet noch ersichtlich, dass der Ge- suchsgegner als Inhaber eines Einzelunternehmens im Handelsregister eingetragen wäre. Folglich handelt es sich vorliegend um keine handels- 1 VETTER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zivilpro- zessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 6 N. 45. 2 VETTER (Fn. 1), Art. 6 N. 31. - 3 - rechtliche Streitigkeit, weshalb das Handelsgericht weder in der Hauptsa- che noch für das Massnahmeverfahren zuständig ist. Demzufolge ist auf das Gesuch nicht einzutreten. 2. Prozesskosten 2.1. Verlegung Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Sie sind ausgangsgemäss von der Gesuchstellerin zu tragen. 2.2. Gerichtskosten Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands und der Bedeutung der Streitsache werden die Gerichtskosten auf Fr. 800.00 festgesetzt (§ 8 VKD). Die Gesuchstellerin hat diesen Betrag mittels des beiliegenden Ein- zahlungsscheins zu begleichen. 2.3. Keine Parteientschädigung Dem Gesuchsgegner sind bislang keine Aufwendungen entstanden, zumal ihm das Gesuch noch nicht einmal zugestellt wurde. Eine Parteientschädi- gung wird deshalb nicht zugesprochen. Der Vizepräsident erkennt: 1. Auf das Gesuch vom 30. Oktober 2020 wird nicht eingetreten. 2. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 800.00 werden der Gesuchstellerin auf- erlegt. 3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. Zustellung an: die Gesuchstellerin (mit Einzahlungsschein) den Gesuchsgegner (samt Doppel des Gesuchs vom 30. Oktober 2020 [inkl. Beilagen]) - 4 - Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 2. November 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber-Stv.: Vetter Stich
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2011 Strafprozessrecht 75 22 Art. 352, 363 Abs. 1 StPO; Art. 46 Abs. 3 StGB - Das zur Beurteilung des neuen Verbrechens oder Vergehens zustän- dige Gericht entscheidet gemäss Art. 46 Abs. 3 StGB auch über den Widerruf aufgrund neuer Delinquenz. Das Verfahren bei selbständi- gen nachträglichen Entscheiden gemäss Art. 363 ff. StPO kommt nicht zur Anwendung (E. 2.2. und 2.3). - Eine allfällige Widerrufsstrafe ist für die Strafobergrenze von sechs Monaten gemäss Art. 352 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 StPO miteinzuberech- nen. Steht der Widerruf einer aufgeschobenen Strafe von mehr als sechs Monaten zur Diskussion, begeht die Staatsanwaltschaft eine Kompetenzanmassung, wenn sie einen Strafbefehl erlässt (E. 2.6). - Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft ist als schwerer Verfahrensfehler zu betrachten, welcher Nichtigkeit des Strafbefehls zur Folge hat (E. 2.7). Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 6. Dezember 2011 i.S. Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg gegen Gerichtspräsidium Laufenburg (SBK.2011.305). Sachverhalt 1. Das Gerichtspräsidium Laufenburg sprach X. mit Urteil vom 21. September 2010 schuldig der Erpressung und verhängte eine Freiheitsstrafe von acht Monaten sowie eine Busse von Fr. 500.00. Für die ausgefällte Freiheitsstrafe gewährte es ihr den bedingten Vollzug unter Ansetzung einer Probezeit von fünf Jahren. Dieses Ur- teil erwuchs unangefochten in Rechtskraft. 2. Die Verurteilte lenkte am 12. April 2011 in Zeiningen (Bezirk Rheinfelden) ein Motorfahrzeug in fahrunfähigem Zustand, wobei eine qualifizierte Akoholkonzentration festgestellt wurde. Die Staats- anwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg verurteilte sie deswegen mit Strafbefehl vom 19. Juli 2011 zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen Fr. 30.00, gewährte hiefür den bedingten Vollzug bei einer Probe- 2011 Obergericht 76 zeit von fünf Jahren und büsste die Verurteilte zusätzlich mit Fr. 800.00. Dieser Strafbefehl erwuchs unangefochten in Rechtskraft. 3. Die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg stellte am 19. September 2011 beim Gerichtspräsidium Rheinfelden den An- trag, es sei der mit Urteil des Gerichtspräsidiums vom 21. September 2010 gewährte bedingte Strafvollzug für eine Freiheitsstrafe von acht Monaten nicht zu widerrufen. Stattdessen sei die Verurteilte gemäss Art. 46 Abs. 2 StGB zu verwarnen und die Probezeit um 2.5 Jahre zu verlängern. 4. Die Präsidentin des Bezirksgerichts Rheinfelden überwies die Angelegenheit mit Verfügung vom 14. November 2011 zuständig- keitshalber ans Gerichtspräsidium Laufenburg. 5. Der Präsident des Bezirksgerichts Laufenburg trat am 18. Novem- ber 2011 auf den Antrag der Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufen- burg vom 19. September 2011 nicht ein und erklärte den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg vom 19. Juli 2011 für nichtig. 6. Gegen diese ihr am 21. November 2011 zugestellte Verfügung des Präsidenten des Bezirksgerichts Laufenburg vom 18. November 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg mit Post- aufgabe vom 21. November 2011 Beschwerde. Sie beantragte, es sei die Verfügung des Gerichtspräsidiums Laufenburg vom 18. Novem- ber 2011 vollumfänglich aufzuheben, und das Gerichtspräsidium Rheinfelden sei anzuweisen, auf ihren Antrag vom 19. September 2011 einzutreten. Aus den Erwägungen 2.2. Die Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005 äussert sich wie folgt zum Verfahren bei selb- 2011 Strafprozessrecht 77 ständigen nachträglichen Entscheiden des Gerichts (Art. 270 des Vorentwurfs zur eidgenössischen Strafprozessordnung): Das Strafrecht sieht vor allem im Zusammenhang mit dem Strafvollzug vor, dass das Gericht sein Urteil nachträglich ergänzen muss oder abändern kann. Solche nachträglichen richterlichen Ent- scheide (gelegentlich auch nachträgliche Entscheidungen oder Wi- derrufsverfahren genannt) sind nach heutiger Rechtslage Entscheide über: Die Anordnung einer Ersatzfreiheitsstrafe (Art. 36 nStGB), die Umwandlung einer gemeinnützigen Arbeit in eine Geld- oder Frei- heitsstrafe (Art. 39 nStGB), die Verlängerung einer stationären thera- peutischen Massnahme (Art. 59 Abs. 4 nStGB), die Verlängerung ei- ner Suchtbehandlung (Art. 60 Abs. 4 nStGB), die Verlängerung der Probezeit bei bedingter Entlassung (Art. 62 Abs. 4 nStGB), die An- ordnung einer anderen Massnahme an Stelle des Strafvollzugs bei Aufhebung der Massnahme (Art. 62c Abs. 3 nStGB), die Anordnung der Verwahrung (Art. 62c Abs. 4 nStGB), die Verlängerung der am- bulanten Behandlung (Art. 63 nStGB), die Anrechnung eines mit ei- ner ambulanten Behandlung verbundenen Freiheitsentzugs auf die Strafe (Art. 63b Abs. 4 nStGB), die Anordnung einer stationären the- rapeutischen Massnahme an Stelle des Strafvollzugs (Art. 63b Abs. 5 nStGB), die Verlängerung der Probezeit bei Entlassung aus der Ver- wahrung (Art. 64a Abs. 2 nStGB), die Anordnung der Rückverset- zung in die Verwahrung (Art. 64a Abs. 3 nStGB), die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme i.S. von Art. 65 nStGB, die Anordnung von Massnahmen i.S. von Art. 95 Abs. 4 und 5 nStGB. Die vorstehend aufgeführten Entscheide können nicht im Rah- men eines Urteils ergehen, da - mit Ausnahme des Widerrufs ausge- setzter oder bedingter Sanktionen sowie der Entlassungen nach Be- gehung neuer Straftaten - kein neues Sachurteil ansteht. Das bedeu- tet, dass solche Entscheide in einem gesonderten, selbständigen Ver- fahren erlassen werden müssen. Dieser nachträgliche Entscheid wird vom Gericht gefällt, das das ursprüngliche Urteil ausgesprochen hat (Abs. 1 [Art. 363 Abs. 1 in der Fassung der StPO vom 5. Oktober 2007]). Soweit eine der genannten Ausnahmen zutrifft, sind hingegen die Bestimmungen dieses Kapitels nicht anwendbar; die Staatsan- 2011 Obergericht 78 waltschaft wird vielmehr zusammen mit der Anklage die ent- sprechenden Anträge stellen (Art. 327 Abs. 1 lit. g [Art. 326 Abs. 1 lit. g in der Fassung der StPO vom 5. Oktober 2007]), über die an- schliessend im Hauptverfahren und im Rahmen der Urteilsfällung (Art. 79 Abs. 4 lit. d [Art. 81 Abs. 4 lit. d in der Fassung der StPO vom 5. Oktober 2007]) entschieden wird (vgl. Botschaft des Bun- desrates zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. De- zember 2005, BBl 2006 [Botschaft], S. 1297 f.; vgl. auch Begleit- bericht zum Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung vom Juni 2001, EJPD/Bundesamt für Justiz, Bern, Juni 2001 [BeB], S. 236). 2.3. Vorliegend gibt ein in einem neuen Hauptverfahren zu beurtei- lendes Vergehen Anlass zur Überprüfung der bedingten Sanktion und es liegt damit eine der in der Botschaft erwähnten Ausnahmen vor. Der Widerruf aufgrund neuer Delinquenz ist wohl der häufigere Fall als der Widerruf wegen Entziehung der Bewährungshilfe oder Miss- achtung von Weisungen gemäss Art. 46 Abs. 4 i.V.m. Art. 95 Abs. 3- 5 StGB, weshalb es erstaunt, dass die Verfahren bei selbständigen nachträglichen richterlichen Entscheiden ebenfalls Widerrufsverfah- ren genannt werden. Da vorliegend ein neues Sachurteil ansteht, kann die Frage nach dem Widerruf im Rahmen des neuen Strafver- fahrens gefällt werden und das Verfahren bei selbständigen nachträg- lichen Entscheiden gemäss Art. 363 ff. StPO kommt nicht zur An- wendung (vgl. dazu auch N IKLAUS S CHMID , Handbuch des Schwei- zerischen Strafprozessrechts, 2009 [zit. Handbuch], § 86 N. 1390 mit den Verweisen auf die Botschaft und den Vorentwurf in Fn. 100 f., S. 620 N. 1358 Fn. 31 sowie S. 619 N. 1356 mit Fn. 24; M ARIANNE H EER , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, Art. 363 N. 2). Wie die Staatsanwaltschaft zutreffend ausführt, ist bei einem unselbständigen Nachverfahren die Zuständigkeitsbe- stimmung von Art. 46 Abs. 3 StGB massgebend. Danach entscheidet das zur Beurteilung des neuen Verbrechens oder Vergehens zuständi- ge Gericht auch über den Widerruf. 2011 Strafprozessrecht 79 2.4. Eine getrennte Beurteilung von neuer Tat bzw. Strafe und Widerruf ist ausgeschlossen. Eine Entscheidung betreffend Widerruf im Rahmen eines Sachurteils wegen einer neuen Straftat teilt dessen Schicksal, insbesondere was die Form oder die dagegen möglichen Rechtsmittel betrifft (S CHMID , Handbuch, a.a.O., § 42 N. 593). Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn gemäss Art. 46 Abs. 1 StGB die bedingte Strafe widerrufen und deren Art geändert wird, um mit der neuen Strafe eine Gesamtstrafe zu bilden. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die Frage der Gewährung des bedingten Strafvollzugs für die neue Strafe mit jener des Widerrufs einer Vorstrafe im Zusammenhang steht (vgl. BGE 134 IV 140 E. 4.5). 2.5. Die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg entschied vor- liegend am 19. Juli 2011 mit Strafbefehl über die neue Tat. Wegen Führens eines Motorfahrzeugs in fahrunfähigem Zustand wurde (...) zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen Fr. 30.00, bedingt, sowie einer Busse von Fr. 800.00, verurteilt. Dieser Strafbefehl erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Zwei Monate später, am 19. Septem- ber 2011, ging bei der Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg die Rückfallmeldung der Koordinationsstelle VOSTRA ein. Glei- chentags beantragte die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg beim Gerichtspräsidium Rheinfelden den Verzicht auf den Widerruf und eine Verwarnung und Verlängerung der Probezeit. 2.6. Zum Widerruf sachlich zuständig ist die Staatsanwaltschaft nur, wenn die gemäss Art. 352 StPO im Strafbefehlsverfahren möglichen Maximalstrafen nicht überschritten werden. Dies unabhängig davon, ob ein separater Widerruf oder allenfalls eine Gesamtstrafe nach Art. 46 Abs. 1 StGB auszufällen ist. Es sind also beim Widerruf von bedingten Strafen für die Errechnung der Strafobergrenzen die zu verhängende und die zu widerrufende Sanktion zusammenzuzählen. Dies gilt indessen nicht für eine zusätzliche Busse, welche immer möglich ist (Art. 352 Abs. 3 StPO). Die Vorinstanz sieht im Verzicht der Staatsanwaltschaft auf ei- nen Widerrufsantrag eine unzulässige Kompetenzanmassung der 2011 Obergericht 80 Staatsanwaltschaft, weil der Gesetzgeber den Entscheid über einen allfälligen Widerruf oder Ersatzmassnahmen gemäss Art. 46 Abs. 2 StGB dem zuständigen Gericht überlasse, sofern die vorgesehene Sanktion für das neue Delikt sowie die Widerrufsstrafe die Strafbe- fehlskompetenz übersteige. Bei der Antragstellung sei die Einrech- nung einer allfälligen Widerrufsstrafe zu berücksichtigen. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Zwar ist der Staatsanwalt grundsätzlich ebenso gut wie ein Richter bzw. Gericht in der Lage zu entscheiden, ob der bedingte Strafvollzug zu widerrufen ist oder allenfalls Ersatzmassnahmen anzuordnen sind, da er sich vor Aus- fällung seines Strafbefehls auch mit der Persönlichkeit des Beschul- digten zu befassen hat. Die Übertragung der Widerrufskompetenz gemäss Art. 46 Abs. 3 StGB erfolgte aus der Überlegung, dass der spätere Richter, der sich vor Ausfällung seines Urteils ohnehin mit der Persönlichkeit des Angeklagten zu befassen hat, besser als der frühere Richter in der Lage ist, darüber zu entscheiden, ob der be- dingte Strafvollzug zu widerrufen oder ob die Strafe allenfalls durch andere, in Art. 46 Abs. 2 StGB vorgesehene Massnahmen zu ersetzen sei (BGE 101 Ia 281 E. 3c S. 285 zu Art. 41 Ziff. 3 Abs. 3 aStGB). Eine erneute einheitliche Beurteilung des Täters und der ihn treffenden Rechtsfolgen wäre somit auch mit der Beurteilung durch den Staatsanwalt ermöglicht. Gegen eine solche Kompetenzattrak- tion der Staatsanwaltschaft spricht aber nebst dem Wortlaut von Art. 352 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 StPO auch der Umstand, dass die Feh- lerquote bei "Strafbefehlsurteilen" besonders hoch ist und ein eigent- liches Vorverfahren üblicherweise nicht durchgeführt wird (F RANZ R IKLIN , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, Art. 352 N. 2 ff.; N IKLAUS S CHMID , Schweizerische Strafpro- zessordnung, Praxiskommentar, 2009 [zit. Praxiskommentar], Vor Art. 352-357 N. 2; BeB S. 248). Vorliegend war für die Staatsan- waltschaft aus dem Strafregisterauszug ersichtlich, dass die neue Tat während der fünfjährigen Probezeit gemäss dem am 28. September 2010 eröffneten Urteil des Gerichtspräsidiums Laufenburg begangen wurde. Im Rahmen der bei der Strafzumessung zu berücksichtigen- den Täterkomponente hatte die Staatsanwaltschaft die Vorstrafe zu berücksichtigen und es hätte ihr dabei auffallen müssen, dass die 2011 Strafprozessrecht 81 neue Tat während einer laufenden Probezeit begangen wurde. Das Strafbefehlsverfahren zeichnet sich dadurch aus, dass die Staatsan- waltschaft bei geringfügigen Straftaten das Strafverfahren zumeist ohne Beweisverfahren selbst mit einem urteilsähnlichen Erkenntnis abschliessen kann. Nur in diesem Bereich geniesst der Staatsanwalt richterliche Unabhängigkeit (vgl. S CHMID , Handbuch, a.a.O., § 83 N. 1352) und erhält der Strafbefehl als suspensiv bedingtes Urteil ohne Einsprache dagegen die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils (Art. 354 Abs. 3 StPO). Wenn eine Strafe von mehr als sechs Mona- ten im Raum steht, teilt der Gesetzgeber dem Staatsanwalt lediglich die Rolle des Antragstellers zu und die Staatsanwaltschaft muss zusammen mit der Anklage die entsprechenden Anträge betreffend (unselbständige) nachträgliche richterliche Entscheidungen stellen (vgl. BeB S. 236 und Botschaft S. 1298; Art. 326 Abs. 1 lit. g und Art. 81 Abs. 4 lit. d StPO). Demgemäss ist die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts mit der Vorinstanz der Auffassung, dass der Gesetzge- ber einen formaljuristischen Ansatz verfolgt (vgl. anderslautend die Auffassung von Schmid: "Als überflüssig, ja möglicherweise irrefüh- rend erscheint das Einschiebsel 'allfällig' in Art. 352 Abs. 1 StPO; es ändert nichts daran, dass eine Addition nur erfolgt, wenn tatsächlich ein Widerruf erfolgt" [Handbuch, a.a.O., § 83 N. 1355, Fn. 23]) und eine nur allfällige Widerrufsstrafe für die Strafobergrenze mit einbe- rechnet. Vorliegend steht der Widerruf einer aufgeschobenen Strafe von mehr als sechs Monaten zur Diskussion, weshalb die Staatsan- waltschaft durch Erlass des Strafbefehls eine Kompetenzanmassung beging. 2.7. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, war vorliegend das Gerichtspräsidium Rheinfelden nicht nur zur Beurteilung des Widerrufs (so zutreffend die Staatsanwaltschaft), sondern auch für die Beurteilung der neuen Tat zuständig. Insofern erfolgte die Über- weisung des Verfahrens an das Gerichtspräsidium Laufenburg zu Unrecht (vgl. Verfügung des Gerichtspräsidiums Rheinfelden vom 14. November 2011). 2011 Obergericht 82 Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft ist als schwerer Verfahrensfehler zu betrachten, weshalb die Vorinstanz den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg vom 19. Juli 2011 zu Recht als nichtig erklärte (BGE 129 I 364; AGVE 2005 Nr. 14 E. 4 S. 73).
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2006 Strafprozessrecht 61 [...] 14 § 38 und § 112 Gemeindegesetz Der Bezirksgerichtspräsident als Einzelrichter ist zur Ausfällung und Beurteilung von Bussen wegen Widerhandlungen gegen das Polizeiregle- ment einer Gemeinde gemäss der abschliessenden Regelung im Ge- meindegesetz nur dann zuständig, wenn der Gemeinderat solche Bussen erlassen und der Gebüsste dagegen Beschwerde erhoben hat (§ 38 und § 112 Gemeindegesetz). Ob überhaupt ein Verfahren eröffnet und jemand wegen solcher Widerhandlungen gebüsst werden soll, entscheidet allein der Gemeinderat (§ 4 StPO). Die Staatsanwaltschaft ist in einem solchen Verfahren nicht beteiligt und hat auch keine Parteirechte. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 20. Juni 2006 i.S. M.S.
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2011 Obergericht 62 [...] 18 Art. 115 Abs. 1, 118 Abs. 1, 119 Abs. 1 und 2 StPO Die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen, gilt als Privatklägerschaft. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 28. Oktober 2011 i.S. M.R. GmbH gegen Staatsanwaltschaft Zofingen- Kulm (SBK.2011.135). Aus den Erwägungen 2.1. Nach Art. 310 Abs. 2 i.V.m. Art. 322 Abs. 2 StPO sowie Art. 382 Abs. 1 StPO kann eine Nichtanhandnahmeverfügung von den Parteien (die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft oder im Haupt- und im Rechtsmittelverfahren die Staatsanwaltschaft; vgl. Art. 104 Abs. 1 StPO) angefochten werden. Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die aus- drücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO). Die geschädigte Person kann die Erklärung schriftlich oder mündlich zu Protokoll ab- geben (Art. 119 Abs. 1 StPO). In der Erklärung kann die geschädigte 2011 Strafprozessrecht 63 Person kumulativ oder alternativ: die Verfolgung und Bestrafung der für die Straftat verantwortlichen Person verlangen (Strafklage; Art. 119 Abs. 2 lit. a StPO); adhäsionsweise privatrechtliche An- sprüche geltend machen, die aus der Straftat abgeleitet werden (Zi- vilklage; Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO). Als geschädigte Person gilt die Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO). Die Voraussetzung der unmittelbaren Rechtsverletzung knüpft an den Rechtsgutbegriff an. Unmittelbar verletzt ist nach herrschender Auf- fassung der Träger des durch die verletzte Strafnorm (mit-)geschütz- ten Rechtsgutes, wer also unter den Schutzbereich der verletzten Strafnorm fällt (G ORAN M AZZUCCHELLI /M ARIO P OSTIZZI , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, Art. 115 N. 21, 42). Die Anknüpfung an den Rechtsgutbegriff hat zur Folge, dass im Einzelfall stets auf das materielle Strafrecht zurückgegriffen werden muss, um feststellen zu können, wer als geschädigte Person i.S.v. Art. 115 Abs. 1 StPO zu betrachten ist (M AZZUCCHELLI / P OSTIZZI , a.a.O., Art. 115 N. 45). Die Geschädigteneigenschaft kann sowohl natürlichen wie juristischen Personen zustehen; juristische Personen gelten als geschädigte Person, wenn sich die Straftat gegen die ihnen zugeordneten Rechtsgüter richtet (M AZZUCCHELLI / P OSTIZZI , a.a.O., Art. 115 N. 31; N IKLAUS S CHMID , Handbuch des Schweizerischen Strafprozessrechts, 2009, § 51 N. 684). 2.2. (...) 2.3. Die Beschwerdeführerin, welche in ihren Eigentumsrechten unmittelbar verletzt und somit geschädigte Person i.S.v. Art. 115 Abs. 1 StPO ist, hat i.S.v. Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO adhäsionsweise privatrechtliche Ansprüche geltend gemacht (vgl. Eingabe vom 3. Februar 2011, act. 42) und gilt damit als Zivilklägerin bzw. Privat- klägerschaft. Damit ist sie Partei. Da sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des Entscheides i.S.v. Art. 382 Abs. 1 StPO hat, ist sie zur Ergreifung der Beschwerde legitimiert.
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Handelsgericht 2. Kammer HSU.2019.30 / as / as Art. 51 Entscheid vom 29. März 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin G. AG, _ vertreten durch MLaw Andrej Bolliger, Rechtsanwalt, Belchenstrasse 3, Postfach 1050, 4601 Olten 1 Fächer Gesuchs- gegnerin S. AG, _ vertreten durch Manuel C. Frick, Fürsprecher, Bubenbergplatz 5, Postfach 2979, 3001 Bern Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in A. Sie bezweckt hauptsächlich den Betrieb eines Baugeschäftes für Gipser-, Unterlagsbö- den- und Plattenarbeiten (Gesuchsbeilage [GB] 4). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Z. Sie be- zweckt Immobiliengeschäfte wie Finanzierung, Erwerb, Verwaltung, Ver- mietung und Veräusserung von Grundeigentum, Erstellung von Bauten und Beteiligungen an Immobiliengeschäften (GB 5). Die Gesuchsgegnerin ist bezogen auf das Stammgrundstück-Nr. KKK GB A. (E-GRID: CH ZZZ) Alleineigentümerin folgender Stockwerkeigen- tumseinheiten (Gesuch Ziff. 4; GB 2): Grundstück-Nr. KKK/1 GB A. (E-GRID: CH AAA), Grundstück-Nr. KKK/2 GB A. (E-GRID: CH BBB), Grundstück-Nr. KKK/3 GB A. (E-GRID: CH CCC), und Grundstück-Nr. KKK/4 GB A. (E-GRID: CH DDD). 3. Mit Gesuch vom 26. Februar 2019 (Postaufgabe: gleichentags) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Es sei das Grundbuchamt Zofingen richterlich anzuweisen, auf den Grundstücken GB A. Nr. KKK-1, KKK-2, KKK-3 und KKK-4 zugunsten der Gesuchstellerin Bauhandwerkerpfandrechte in nachgenannter Höhe Zins von 5% seit dem 11. Dezember 2018, eventualiter seit wann rechtens, provisorisch im Grundbuch vorzumerken: GB A. Nr. KKK-1 (120/10000 ME an GB Nr. KKK, Büroraum Nr. 1 im EG West) CHF '973.85 GB A. Nr. KKK-2 (210/1000 ME an GB Nr. KKK, Büroraum mit Werkstatt und Lager Nr. 2 im EG Ost) CHF 0'454.25 GB A. Nr. KKK-3 (295/1000 ME an GB Nr. KKK, 3 1⁄2 Zimmerwohnung Nr. 3 im Ober- und West CHF 14'658.70 GB A. Nr. KKK-3 (recte: KKK-4) (375/1000 ME an GB Nr. KKK, 3 1⁄2 Zimmerwohnung Nr. 4 im Ober- und Ost) CHF 18'668.30 - 3 - 2. Die Vormerkung gemäss Ziffer 1 sei gemäss Art. 265 ZPO einstweilen superprovisorisch einzutragen. 3. Der Gesuchstellerin sei nach rechtskräftiger provisorischer Eintragung der Bauhandwerkerpfandrechte Frist zur Einreichung der schriftlich Forderungsklage und definitiver Eintragung der anzusetzen. 4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zuzüglich MWST zu Lasten der Gesuchsgegnerin." 4. Am 27. Februar 2019 verfügte der Vizepräsident folgendes: " 1. Der Eingang des Gesuchs vom 26. Februar 2019 (Postaufgabe: 26. Februar 2019) wird den Parteien bestätigt. 2. Die Streitsache gehört ins summarische Verfahren (Art. 248 ZPO). 3. Das Gesuch um Erlass superprovisorischer Massnahmen vom 26. Februar 2019 wird abgewiesen. 4. Der Gesuchstellerin wird eine Frist bis 14. März 2019 für die der Mängel des Gesuchs gemäss Ziff. 4 der Erwägungen . Damit wird die Androhung verbunden, dass bei Säumnis die Eingabe als nicht erfolgt gilt (vgl. Art. 132 Abs. 1 2. Satz ZPO). 5. Die Gesuchsstellerin hat bis 14. März 2019 einen Kostenvorschuss von Fr. 2'075.00 an die Obergerichtskasse mit beiliegendem zu bezahlen (Art. 98 ZPO i.V.m. Art. 101 ZPO). 6. Der Gesuchsgegnerin wird Frist bis 14. März 2019 für die Erstattung einer schriftlichen Antwort angesetzt. 7. 7.1. Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichender Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustimmung der Gegenpartei oder von der Partei nicht vorhersehbare oder nicht Hinderungsgründe. 7.2. Bei Säumnis wird das Verfahren ohne die versäumte Handlung , d.h. das Gericht fällt einen Endentscheid, sofern die spruchreif ist, oder lädt zu einer Verhandlung vor (Art. 147 Abs. 2 und Art. 223 Abs. 2 ZPO). - 4 - 7.3. Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO)." 5. Mit Eingabe vom 4. März 2019 reichte der Rechtsvertreter der Gesuch- stellerin eine verbesserte und den Anforderungen genügende Vollmacht ein. 6. Mit Gesuchsantwort vom 14. März 2019 stellte die Gesuchsgegnerin fol- gende Rechtsbegehren: " 1. Das Gesuch sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. – unter Kosten- und Entschädigungsfolge –" Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Gemäss Art. 60 ZPO prüft das Gericht von Amtes wegen, ob die Prozess- voraussetzungen gegeben sind. Zu den Prozessvoraussetzungen gehört unter anderem die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 1.1. Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ist das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Massnahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Errichtung gesetzlicher Grundpfandrechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grundbuch aufgenommen ist, zuständig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Die Grundstücke der Gesuchsgegnerin, auf welchen die Gesuchstellerin ein Bauhandwerkerpfandrecht vorläufig eintragen lassen will, befindet sich in A. (AG) (GB 2). Zudem lässt sich die Gesuchsgegnerin auf den vorlie- genden Prozess i.S.v. Art. 18 ZPO ein (Antwort Rz. 2). Die örtliche Zu- ständigkeit der aargauischen Gerichte ist somit gegeben. 1.2. Die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters am Handelsgericht (vgl. § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO) für den Erlass superprovisorischer und vor- sorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO. Diese ist gegeben, da in der Hauptsache die geschäftliche - 5 - Tätigkeit zumindest der Gesuchstellerin betroffen ist, gegen den Ent- scheid – bei einem Streitwert von über Fr. 30'000.00 – die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offen steht und die Parteien im Han- delsregister eingetragen sind. 2. Verfahrensart Die Streitsache ist im summarischen Verfahren zu behandeln (Art. 248 lit. a i.V.m. Art. 249 lit. d Ziff. 5 ZPO). 3. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 3.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist vo- raus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 u. 839 Abs. 2 ZGB). 3.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht. 1 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlos- sen oder höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Beweis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen. 2 Letztlich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfand- recht nachzuweisen hat. 3 4. Pfandsumme 4.1.Parteibehauptungen Es ist unbestritten, dass die Gesuchsgegnerin zur Sanierung der Liegen- schaft an der K. 12, A. (AG), im Jahre 2018 die S. GmbH beizog. Diese hat weiter die Gesuchstellerin mit diversen Maler- und Gipserarbeiten an (den gemeinschaftlichen Teilen) der Liegenschaft beauftragt (Gesuch Ziff. 4; Antwort Rz. 8; GB 3). Der Auftrag umfasst ein Volumen von Fr. 94'894.00 (Antwort Rz. 8 und 13; GB 3). Die S. GmbH hat der Ge- 1 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 5. Aufl. 2015, Art. 839/840 N. 37. 2 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 3 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1395. - 6 - suchstellerin bisher Fr. 95'000.00 bezahlt (Antwort Rz. 13). Die Stockwer- keigentumseinheiten sind verpfändet (Gesuch Ziff. 8). Die Gesuchstellerin behauptet, sie habe im Laufe der Arbeitsausführung im Auftrag der S. GmbH zusätzlich diverse Regiearbeiten vorgenommen. Sie habe sämtliche ihr aufgetragenen Bauarbeiten auftragsgemäss aus- geführt (Gesuch Ziff. 4). Der S. GmbH habe die Gesuchstellerin sieben Akontorechnungen gestellt. Die ersten fünf Akontorechnungen seien be- zahlt worden, jene vom 25. Oktober 2018 (GB 8) und vom 5. November 2018 (GB 8) hingegen nicht bzw. nicht vollständig. Unbezahlt blieb auch die am 30. November 2018 gestellte Schlussrechnung (GB 8). In Bezug auf die Akontorechnung vom 25. Oktober 2018 (GB 8) habe die S. GmbH mittlerweile noch Fr. 15'000.00 überwiesen. Gegenwärtig sei somit noch ein Betrag von Fr. 49'782.10 ausstehend (Gesuch Ziff. 5, GB 9). Die Auf- teilung auf die vier Stockwerkeigentumseinheiten erfolge nach den Wert- quoten, Fr. 5'973.85 auf das Grundstück-Nr. KKK/1 GB A., Fr. 10'454.25 auf das Grundstück-Nr. KKK/2 GB A., Fr. 14'685.70 auf das Grundstück- Nr. KKK/3 GB A. und Fr. 18'668.30 auf das Grundstück-Nr. KKK/4 GB A. (Gesuch Ziff. 8). Die Gesuchsgegnerin argumentiert, die Gesuchstellerin mache ihre For- derungen, soweit den vertraglich vereinbarten Betrag von Fr. 94'894.00 übersteigend, nicht glaubhaft (Antwort Rz. 9 und 14). Es sei weder be- hauptet noch belegt worden, dass die Schlussrechnung vom 30. November 2018 der S. GmbH zugegangen sei (Antwort Rz. 10). Der Regierapport vom 4. Dezember 2018 sei nicht unterzeichnet worden und datiere nach der Schlussrechnung vom 30. November 2018 (Antwort Rz. 11). Die Schlussrechnung vom 30. November 2018 entspreche den folgenden Positionen des Kostenvoranschlags: i) Gerüst Fr. 7'800.00, ii) Malerarbeiten Fr. 14'625.00 und ii) Gipserarbeiten Fr. 71'794.70 (Antwort Rz. 15). Bestritten werden darüber hinausgehende Regiearbeiten im Be- trag von Fr. 35'869.65 sowie für Zusatzleistungen von Fr. 12'810.00 und Leistungen für Fassadeholzschalungsarbeiten von Fr. 850.00 (Antwort Rz. 16). In der Exceltabelle der Gesuchstellerin (GB 7) würden nur Anga- ben gemacht, die keinen Bezug zur Liegenschaft der – recte – Gesuchs- gegnerin hätten. Es könne sich auch um eine Liste einer anderen Baustel- le handeln (Antwort Rz. 17). Die Beweismittel der Gesuchstellerin seien widersprüchlich. Es könne nicht dargelegt werden, welche der Leistungen der Erfüllung des schriftlichen Vertrags gedient hätten und welches zu- sätzlich vereinbarte Leistungen seien (Antwort Rz. 18). Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Leistungen in der Schlussrechnung zweimal aufgeführt worden seien, einmal unter den Positionen, die dem Kostenvoranschlag entsprechen, das andere Mal unter den angeblichen Mehrleistungen (Antwort Rz. 19). Die von der Gesuchstellerin geltend gemachte Forderung sei auch aufgrund ihres Ausmasses unglaubwürdig, überschreite sie den Kostenvoranschlag doch um 50 % (Antwort Rz. 20). - 7 - Es seien zudem keine Belege eingereicht worden, welche die Vereinba- rung und Erbringung von Leistungen in einem den Kostenvoranschlag übersteigenden Umfang von Fr. 49'888.10 belegen würden (Antwort Rz. 22). 4.2. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruch- arbeiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Ma- terial und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forderung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Hand- werkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintra- gung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfand- summe anzugeben. 4 Stockwerkeigentum ist der Miteigentumsanteil an einem Grundstück, der dem Miteigentümer das Sonderrecht gibt, bestimmte Teile eines Gebäu- des ausschliesslich zu benutzen und innen auszubauen (Art. 712a Abs. 1 ZGB). Steht eine Sache im Miteigentum, so haben sie mehrere Personen nach Bruchteilen und ohne äusserliche Abteilung in ihrem Eigentum (Art. 646 Abs. 1 ZGB). Zur Veräusserung oder Belastung der Sache be- darf es grundsätzlich der Übereinstimmung aller Miteigentümer (Art. 648 Abs. 2 ZGB). Bestehen Grundpfandrechte oder Grundlasten an Miteigen- tumsanteilen, so können die Miteigentümer die Sache selbst nicht mehr mit solchen Rechten belasten (Art. 648 Abs. 3 ZGB). Beim Stockwerkei- gentum können wertvermehrende Leistungen zum Zweck der individuel- len Ausgestaltung der Stockwerkeinheit nur durch ein Bauhandwerker- pfandrecht auf dem jeweiligen Miteigentumsanteil gesichert werden, wäh- rend der Bauunternehmer für die Bauarbeiten an gemeinschaftlichen Bau- teilen die Wahl hat, entweder die Gesamtliegenschaft zu belasten oder die Forderung auf die Stockwerkeinheiten aufzuteilen. Dieses Wahlrecht gilt nicht, wenn einzelne Stockwerkeigentumseinheiten bereits mit Grund- lasten oder Grundpfandrechten belastet sind. 5 Die einzelnen Stockwer- keigentumseinheiten sind nach ihrem effektiven Anteil an den Kosten quo- tenmässig zu belasten. 6 Der Unternehmer hat grundsätzlich nachzuweisen, welche konkreten Leistungen an Arbeit und Material er zu welchen Preisen für jedes einzel- 4 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 436, 438 und 547. 5 BGE 126 III 462 E. 2b. 6 BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 1), Art. 839/840 N. 17; SCHUMACHER (Fn. 1), N. 778 und 781; vgl. auch MATHIS, Das Bauhandwerkerpfandrecht in der Gesamtüberbauung und im Stockwerkeigentum, 1988, S. 150, 152 - 8 - ne Grundstück erbracht hat. 7 Im Verfahren betreffend vorläufige Eintra- gung ist indes – aufgrund der drohenden Verwirkung bei Nichteintragung innerhalb der Frist von Art. 839 Abs. 2 ZGB – eine Aufteilung auf die ein- zelnen Liegenschaften nach Bruchteilen statthaft. Die im Grundbuch vor- läufig eingetragenen Teilpfandsummen sind dann im Verfahren betreffend definitive Eintragung aufgrund konkreter Nachweise der auf den verschie- denen Grundstücken erbrachten Leistungen zu berichtigen. 8 Dasselbe muss auch bei Arbeiten für mehrere Stockwerkeigentumseinheiten gelten, wobei die Pfandsumme hier nach den Wertquoten der einzelnen Stock- werkeigentumseinheiten aufzuteilen ist. 4.3. Würdigung Die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts darf nur ver- weigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen oder höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Beweis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Ent- scheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen (vgl. E. 3.2). Die Behauptungen der Gesuchstellerin sind zwar äusserst knapp, aber dennoch schlüssig: Sie behauptet nicht nur einen Grundvertrag ab- geschlossen, sondern auch mit Regiearbeiten beauftragt worden zu sein. Sie habe sämtliche Bauarbeiten auftragsgemäss ausgeführt und darüber abgerechnet. Nach Abzug sämtlicher Zahlungen seien noch Fr. 49'782.10 ausstehend. Was die Gesuchsgegnerin hiergegen vorbringt, lässt zumindest im vorlie- genden Summarverfahren die Gesuchstellerin nicht an der Hürde des herabgesetzten Beweismasses des Glaubhaftmachens scheitern. In der Behauptung, es sei Rechnung gestellt worden, ist die Behauptung, das Gegenüber habe die Rechnung erhalten, sinnvollerweise mitenthalten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die S. GmbH die Schlussrechnung der Gesuchstellerin vom 30. November 2017 tatsächlich erhalten hat. Im Üb- rigen ist nicht ersichtlich, wie der Erhalt der Rechnung für die Eintragung der Pfandsumme von Relevanz sein soll, können Bauhandwerkerpfand- rechte doch bereits vor Arbeitsbeginn (Art. 839 Abs. 1 ZGB) und damit auch vor der Fälligkeit der Werklohnforderung in das Grundbuch einge- tragen werden. 9 Tatsächlich legt die Gesuchstellerin keinerlei unterzeichnete Regierappor- te ins Recht. Die behaupteten erbrachten Regiearbeiten können deshalb aber nicht gerade als ausgeschlossen bezeichnet werden. 7 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 593; BRITSCHGI, Das belastete Grundstück beim Bauhandwerkerpfand- recht, 2008, S. 114; MATHIS (Fn. 6), S. 152. 8 Vgl. SCHUMACHER (Fn. 1), N. 840; BRITSCHGI (Fn. 7), S. 115; MATHIS (Fn. 6), S. 150 f. 9 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 442 und 473. - 9 - Weshalb die Aufzeichnung über die geleisteten Arbeitsstunden (GB 7) keinen Bezug zur Liegenschaft der Gesuchsgegnerin haben sollen, erklärt diese nicht. Ein Bezug kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Der Frage, ob es sich auch um eine Liste einer anderen Baustelle handeln könnte, ist nicht weiter nachzugehen, da die diesbezüglichen Mutmas- sungen der Gesuchsgegnerin nicht als genügende Behauptung oder Be- streitung qualifizieren. 10 Was die Gesuchsgegnerin in Bezug zur Überschreitung des Kostenvor- anschlags einbringt, überzeugt nicht, da die Gesuchstellerin behauptet, sie sei mit Regiearbeiten beauftragt worden. Daraus ergibt sich definiti- onsgemäss, dass diese Arbeiten nicht im Kostenvoranschlag enthalten sind. Zu den Regiearbeiten kann der Kostenvoranschlag daher nicht viel aussagen. Zu Recht führt die Gesuchsgegnerin hingegen aus, die Gesuchstellerin habe ihre Arbeiten genau zu qualifizieren, je nachdem, ob es sich um Leistungen an gemeinschaftlichen Teilen oder an Teilen, die nur einzelne Stockwerkeigentumseinheiten betreffen, und den einzelnen Stockwerkei- gentumseinheiten entsprechend zuzuordnen. Nur ist dies mit einem er- heblichen Aufwand verbunden und kann daher nicht bereits im Summar- verfahren verlangt werden. Die Gesuchstellerin hat die Pfandsumme nach den Wertquoten der Stockwerkeigentumseinheiten auf diese aufgeteilt, was vorliegend genügen muss, nicht jedoch im ordentlichen Verfahren be- treffend definitive Eintragung der vier Bauhandwerkerpfandrechte. 4.4. Verzugszinsen Die Gesuchstellerin behauptet, ihre Rechnungen seien mit dem Zusatz "innert 10 Tagen netto zu bezahlen" versehen gewesen. Die Werklohnfor- derung sei daher spätestens ab dem 11. Dezember 2018 fällig und mit 5 % p.a. zu verzinsen (Gesuch Ziff. 9). Die Gesuchsgegnerin ist der An- sicht, es seien Art. 154 und Art. 155 SIA-Norm 118 anwendbar, weshalb eine Zwangsfrist von 30 Tagen nach Prüfungsbescheid zur Anwendung gelange. Das Vorliegen eines Prüfungsbescheids sei nicht behauptet worden, weshalb keine Fälligkeit eingetreten sei (Antwort Rz. 33). Befindet sich der Forderungsschuldner in Verzug, können auch Verzugs- zinsen eingetragen werden. 11 Die pfandberechtigte Forderung erhöht sich entsprechend um die Verzugszinsen ohne zeitliche Beschränkung. Bei der vorläufigen Eintragung hat der Unternehmer seinen Vergütungsan- spruch und seine Forderung auf Verzugszins (inkl. Beginn des Zinsenlau- fes) glaubhaft zu machen (Art. 961 Abs. 3 ZGB). 12 10 BGer 4A_667/2014 vom 12. März 2015 E. 3.2.2. 11 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 468; vgl. auch BGE 121 III 445 E. 5a; 142 III 73 E. 4.4.2. 12 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 555. - 10 - Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, sofern die Parteien einen bestimmten Verfall- tag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie z.B. "zahlbar 30 Tage netto", ohne weitere Mahnung in Verzug. 13 Schuldnerverzug des Bauherrn kann erst nach Ab- lauf dieser Frist eintreten. Eine separate Mahnung nach Ablauf dieser Frist kann jedoch unterbleiben, wenn bereits vor Fristablauf gemahnt wur- de. 14 Der Kostenvoranschlag vom 15. August 2018 (GB 3) enthält einen Ver- weis auf die "allgemeinen Bedingungen der SIA Normen". Welche SIA- Normen damit gemeint sind, geht aus diesem Verweis nicht hervor. Es ist im ordentlichen Verfahren zu klären, ob mit diesem Verweis insbesondere die Fälligkeits- und Verzugsregelungen der SIA-Norm 118 (vgl. Art. 55, 153 f. und 190 SIA-Norm 118) Vertragsbestandteil geworden und die ent- sprechenden Voraussetzungen für die Zusprechung des begehrten Ver- zugszinses gegeben sind. Für die vorläufige Eintragung der vier Bau- handwerkerpfandrechte ist der Anspruch 5 % Verzugszins ab 11. Dezem- ber 2018 glaubhaft gemacht. 5. Eintragungsfrist Die Gesuchstellerin behauptet, die letzten Arbeiten seien am 4. Dezember 2018 ausgeführt worden (Gesuch Ziff. 4; GB 7). Die Gesuchsgegnerin be- streitet dies nicht. Die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts muss bis spätestens vier Monate nach der Arbeitsvollendung erfolgen, andernfalls verwirkt der An- spruch (Art. 839 Abs. 2 ZGB). 15 Die Eintragungsfrist berechnet sich nach Art. 7 ZGB i.V.m. Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 i.V.m. Abs. 2 OR. Sie endet somit an demjenigen Tag des letzten Monats, der durch seine Zahl dem Tag der Arbeitsvollendung entspricht. Wurden die letzten Arbeiten am 4. Dezember 2018 ausgeführt, wovon mangels Bestreitung auszugehen ist, so endet die viermonatige Eintra- gungsfrist am 4. April 2019. Diese Frist wird mit heutiger Eintragung im Tagebuch des Grundbuchamts eingehalten. 13 AGVE 2003, S. 38; BSK OR I-WIEGAND, 6. Aufl. 2015, Art. 102 N. 9; BK OR-WEBER, 2000, Art. 102 N. 115 m.w.N.; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2017, N. 55.32; VETTER/BUFF, Verzugszinsen bei «zahlbar innert 30 Tagen», SJZ 2019, S. 150 f. m.w.N. 14 BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 1), Art. 839/840 N. 31a. 15 BGE 126 III 462 E. 4c.aa; BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 1), Art. 839/840 N. 29. - 11 - 6. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufi- ge Eintragung folgender Bauhandwerkerpfandrechte erfüllt sind und de- ren Eintragung anzuordnen ist: - Fr. 5'973.85 zuzüglich 5 % Zins seit dem 11. Dezember 2018 auf dem Grdst.-Nr. KKK/1 GB A. (E-GRID: CH AAA), - Fr. 10'454.25 zuzüglich 5 % Zins seit dem 11. Dezember 2018 auf dem Grdst.-Nr. KKK/2 GB A. (E-GRID: CH BBB), - Fr. 14'685.70 zuzüglich 5 % Zins seit dem 11. Dezember 2018 auf dem Grdst.-Nr. KKK/3 GB A. (E-GRID: CCC), - Fr. 18'668.30 zuzüglich 5 % Zins seit dem 11. Dezember 2018 auf dem Grdst.-Nr. KKK/4 GB A. (E-GRID: CH DDD). 7. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei unge- nutztem Ablauf der Frist ersatzlos gelöscht werden kann. 16 Die Prosequie- rungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vorlie- genden Grösse rund zwei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen. 17 8. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Gesuchstellerin obsiegt vollumfänglich. Aus- gangsgemäss sind die Prozesskosten daher von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 8.1. Gerichtskosten Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 2'075.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleiseten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 2'075.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 2'075.00, direkt zu erset- zen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 16 SCHUMACHER (Fn. 2), N. 672 ff. 17 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 2), N. 688. - 12 - 8.2. Parteientschädigung Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin zudem eine Parteientschä- digung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 49'782.10 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 8'550.50 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 5 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarabzugs von praxisgemäss 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 2'139.60. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Wegen der nicht durchgeführten Verhandlung sind weitere 20 % abzuziehen (§ 6 Abs. 2 AnwT). Nach Hinzurechnung einer Auslagenpau- schale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 1'760.00, den die Gesuchsgegnerin der Gesuchstellerin als Parteientschädigung zu bezahlen hat. Dem gesuchstellerischen Antrag auf Zusprechung des Mehrwertsteuerzu- schlags ist nicht zu entsprechen. Die Gesuchstellerin ist gemäss UID- Register 18 selber mehrwertsteuerpflichtig. Sie kann die ihrem Anwalt be- zahlte Mehrwertsteuer als Vorsteuer von ihrer eigenen Mehrwertsteuer- rechnung in Abzug bringen (Art. 28 MWSTG). 19 Die Mehrwertsteuer stellt somit keinen zusätzlichen Kostenfaktor dar und ist bei der Bemessung der Parteientschädigung deshalb nicht zu berücksichtigen. 8.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Han- delsgericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder aufgrund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehal- ten. Der Vizepräsident erkennt: 1. In Gutheissung des Gesuchs vom 26. Februar 2019 werden der Ge- suchstellerin die Vormerkungen der folgenden vorläufigen Eintragun- gen von Bauhandwerkerpfandrechten gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB bewilligt: - Fr. 5'973.85 zuzüglich 5 % Zins seit dem 11. Dezember 2018 auf dem Grdst.-Nr. KKK/1 GB A. (E-GRID: CH AAA), 18 Vgl. https://www.uid.admin.ch/DetailXXX._ (zuletzt besucht am 28. März 2019). 19 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_M wSt.pdf (zuletzt besucht am 28. März 2019). https://www.uid.admin.ch/DetailXXX._ https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 13 - - Fr. 10'454.25 zuzüglich 5 % Zins seit dem 11. Dezember 2018 auf dem Grdst.-Nr. KKK/2 GB A. (E-GRID: CH BBB), - Fr. 14'685.70 zuzüglich 5 % Zins seit dem 11. Dezember 2018 auf dem Grdst.-Nr. KKK/3 GB A. (E-GRID: CH CCC), - Fr. 18'668.30 zuzüglich 5 % Zins seit dem 11. Dezember 2018 auf dem Grdst.-Nr. KKK/4 GB A. (E-GRID: CH DDD). 2. Das Grundbuchamt Zofingen wird angewiesen, die Vormerkungen ge- mäss Dispositiv-Ziff. 1 sofort einzutragen. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 3. Juni 2019 beim zuständigen Gericht im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung der Bauhand- werkerpfandrechte anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkungen im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht werden. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 2'075.00 sind von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleiseten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 2'075.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten von Fr. 2'075.00 direkt zu ersetzen. 4.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin eine Parteientschädigung in richterlich festgesetzter Höhe von Fr. 1'760.00 zu bezahlen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. - 14 - Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreter; zweifach) die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach) das Grundbuchamt Zofingen (vorab per E-Mail: gbazofin- gen@zofingen.ch) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Er- öffnung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Beschwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elektronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungs- mässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 29. März 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
7,838
5,588
AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2019-03-29
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_29._Maerz_2019.pdf
null
nan
4e944369-7481-54e7-8f13-16bb67a9a363
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871,946
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2,011
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2011 Obergericht 42 [...] 9 Art. 13 BGFA Entbindung vom Berufsgeheimnis: Mit der Übergabe der letztwilligen Verfügung an den Anwalt hat der (unterdessen verstorbene) Klient diesen hinsichtlich der Übergabe dieser Verfügung an die zuständige Testa- mentsbehörde stillschweigend vom Anwaltsgeheimnis entbunden. Einer diesbezüglichen Entbindung vom Berufsgeheimnis bedarf es demnach nicht. 2011 Anwaltsrecht 43 Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 5. August 2011, i.S. K. (AVV.2011.33). Aus den Erwägungen 4.1 Soweit es um die Einreichung des mit "Mein letzter Wille" be- zeichneten Dokuments gestützt auf Art. 556 ZGB beim Gerichtsprä- sidium B. geht, ist von einer Entbindung des Gesuchstellers durch seinen verstorbenen Klienten auszugehen. Übergibt ein Klient sei- nem Anwalt seinen letzten Willen, tut er dies in der Absicht, dass die letztwillige Verfügung nach seinem Ableben bekannt wird und nicht in seinen eigenen Unterlagen untergeht. Insofern liegt bei der Über- gabe der letztwilligen Verfügung an den Anwalt immer auch still- schweigend eine Entbindung vor, weshalb der Gesuchsteller gegen- über dem Bezirksgericht B. nicht mehr entbunden werden muss. In diesem Punkt ist auf das Gesuch nicht einzutreten.
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AG_HG_001
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AG_HG_001_AGVE-2011-9_2011-08-05
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-9.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-9.pdf
AGVE_2011_9
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4fc1e543-80f8-445e-bc06-5f0b66817a47
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1,497,584
1,579,564,800,000
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Handelsgericht 1. Kammer HOR.2019.9 / ts / ts Art. 13 Urteil vom 21. Januar 2020 Besetzung Oberrichter Dubs, Präsident Ersatzrichter Boner Handelsrichterin Baumann Gerichtsschreiberin Schmutz Klägerin AA, V Beklagter CC, W Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Urheberrecht und verwandte Schutz- rechte - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Genossenschaft mit Sitz in V (Klage N. 6). Sie ist eine konzessionierte Verwertungsgesellschaft im Sinn von Art. 40 ff. URG und bezweckt im Wesentlichen die Geltendmachung von gesetzlichen Vergü- tungsansprüchen im Bereich der nichttheatralischen Werke der Musik. Sie besitzt die dafür notwendige Bewilligung des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) (Klage N. 6). 2. 2.1. Der Beklagte ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in W. Als Organ des BB ist er Präsident des Organisationskomitees, welches jährlich die "D- Party" in W organisiert (Klage N. 11 bis 13). 2.2. Die "D-Party" besteht aus einem Plausch-Volleyballturnier mit einer Som- mer-Beach-Party. Dabei kommen urheberrechtlich geschützte Kompositio- nen sowie im Handel erhältliche Tonträger zur Aufführung (Klage N. 11). 2.3. Die "D-Party" fand im Jahr 2015 am 7. und 8. August, im Jahr 2016 am 5. und 6. August und im Jahr 2017 am 4. und 5. August statt (Klage N. 15 und 21). 3. Nachdem der Beklagte trotz Mahnung die erforderlichen Angaben zur Be- stimmung der Vergütung für das Abspielen urheberrechtlich geschützter Musik nicht bei der Klägerin einreichte (Klage N. 15) und die daraufhin von der Klägerin mittels Schätzung erstellten Rechnungen für die Jahre 2015 und 2016 vom 24. Januar 2017 nicht bezahlte (Klage N. 16-18), zedierte die Klägerin rückwirkend per 11. Januar 2018 die Forderungen an ein In- kassobüro, welches die Betreibung gegen den Beklagten einleitete. Am 25. Juni 2018 wurde die Forderung an die Klägerin zurückzediert (Klage N. 19). Am 5. September 2018 wurde der Beklagte gemahnt, bis spätestens am 30. September 2018 die notwendigen Angaben für die Rechnungstellung für das Jahr 2017 einzureichen (Klage N. 21). Der Beklagte liess diese Frist ungenutzt verstreichen. Am 5. Oktober 2018 schliesslich wurde ihm die Rechnung für die "D-Party" des Jahres 2017 zugestellt (Klage N. 21). - 3 - 4. 4.1. Mit Klage vom 28. November 2018 forderte die Klägerin vom BB eine Ver- gütung betreffend Verletzung von Urheberrechten bzw. Verwendung von verwandten Schutzrechten (vgl. Verfahren HOR.2018.41). 4.2. Mit als Klageänderung betitelter Eingabe vom 22. Februar 2019 begehrte die Klägerin den Einbezug des Beklagten in das Verfahren HOR.2018.41. Sie beantragte, den Beklagten zu verpflichten, den eingeklagten Betrag in solidarischer Haftbarkeit mit dem BB zu bezahlen. 4.3. Mit Verfügung vom 26. Februar 2019 erwog der Präsident des Handelsge- richts des Kantons Aargau, dass eine subjektive Änderung des Streitge- genstandes (die Parteien betreffend) nur unter den Voraussetzungen ge- mäss Art. 73 - 83 ZPO möglich sei, keine solche Konstellation vorliege und die "Klageänderung" vom 22. Februar 2019 nur als selbstständige Klage in einem separaten Verfahren entgegengenommen werden könne. Deshalb wurde den Beklagten betreffend das vorliegende Verfahren eröffnet. Weiter wurde der Klägerin Frist bis zum 15. März 2019 angesetzt zur Einreichung einer konsolidierten Klageschrift gegen den Beklagten. 5. Mit konsolidierter Klage vom 8. März 2019 stellte die Klägerin folgende Rechtsbegehren: "1. Der Beklagte sei solidarisch mit dem BB (Verfahren HOR.2018.41) zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von Fr. 2'064.50 zzgl. Zins zu 5% seit dem 8. August 2015 zu bezahlen. 2. Der Beklagte sei solidarisch mit dem BB (Verfahren HOR.2018.41) zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von Fr. 2'064.50 zzgl. Zins zu 5% seit dem 6. August 2016 zu bezahlen. 3. Der Beklagte sei solidarisch mit dem BB (Verfahren HOR.2018.41) zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von Fr. 2'064.50 zzgl. Zins zu 5% seit dem 5. August 2017 zu bezahlen. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten." 6. Der Beklagte hat sich innert der mit Verfügung vom 11. März 2019 ange- setzten Frist zur Erstattung einer Antwort bzw. der mit Verfügung vom 8. Mai 2019 angesetzten letzten, nicht erstreckbaren Nachfrist für die Er- stattung einer Antwort nicht vernehmen lassen. - 4 - 7. Mit Verfügung vom 23. September 2019 wurde eine Beweisverfügung er- lassen. Zudem wurden die Parteien angefragt, ob sie auf die Durchführung einer Hauptverhandlung verzichten. 8. Mit Eingabe vom 26. September 2019 verzichtete die Klägerin auf die Durchführung einer Hauptverhandlung. Der Beklagte liess sich innert Frist nicht vernehmen. 9. Mit Verfügung vom 8. Oktober 2019 wurde den Parteien in Aussicht ge- stellt, dass eine Hauptverhandlung stattfinden würde. 10. Am 11. November 2019 wurden die Parteien auf den 4. Dezember 2019 zur Hauptverhandlung vorgeladen. Die Streitsache wurde an das Handels- gericht überwiesen und das Handelsgericht bestellt. 11. Mit Verfügung vom 3. Dezember 2019 zog der Präsident die Verfügung vom 11. November 2019 in Wiedererwägung und setzte die auf den 4. De- zember 2019 anberaumte Hauptverhandlung ab, da die vorliegende Streit- sache nach Ablauf der Nachfrist für die Erstattung einer Antwort spruchreif war. Damit wäre die Durchführung einer Hauptverhandlung gemäss Art. 223 Abs. 2 ZPO unzulässig gewesen. 12. Mit Eingabe vom 4. Dezember 2019 reichte die Klägerin eine Kostennote ein. Diese wurde dem Beklagten mit Verfügung vom 5. Dezember 2019 mit Hinweis auf sein Replikrecht zur Kenntnisnahme zugestellt. Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche Zustän- digkeit des angerufenen Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 1.1. Örtliche Zuständigkeit Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ZPO ist für die Beurteilung von Klagen gegen eine natürliche Person das Gericht an deren Wohnsitz zuständig, sofern das Gesetz nichts anderes vorsieht. Gemäss Adressauskunft (KB 23) wohnt der Beklagte in der Gemeinde W, womit die aargauischen Gerichte örtlich zuständig sind. - 5 - 1.2. Sachliche Zuständigkeit Aus Art. 6 Abs. 4 lit. a i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a ZPO und § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO ergibt sich die Zuständigkeit des Handelsgerichts für Streitigkeiten aus Urheberrecht. Folglich ist die sachliche Zuständigkeit des Handelsge- richts gegeben. Weil der Streitwert die für die Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht vorgeschriebene Höhe von Fr. 30'000.00 (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) nicht erreicht, entscheidet das Handelsgericht in Dreierbesetzung (§ 3 Abs. 6 lit. b GOG AG). 2. Objektive Klagenhäufung Laut Art. 90 ZPO setzt die objektive Klagenhäufung voraus, dass für die geltend gemachten Ansprüche das gleiche Gericht sachlich zuständig (lit. a) und die gleiche Verfahrensart anwendbar (lit. b) wären, sofern sie einzeln geltend gemacht würden. Fehlt eine der Voraussetzungen, so kann das Gericht die Rechtsbegehren nicht gemeinsam beurteilen und es muss bezüglich derjenigen Rechtsbegehren, für die es nicht zuständig ist, einen Nichteintretensentscheid fällen.1 Vorliegend geht es um eine Streitigkeit aus Urheberrecht, weshalb die sachliche Zuständigkeit auch bei einem Streitwert unter Fr. 30'000.00 gegeben und die gleiche Verfahrensart (or- dentliches Verfahren) anwendbar ist. Die objektive Klagenhäufung ist zu- lässig. 3. Versäumte Klageantwort Der Beklagte ist mit der Erstattung einer Klageantwort auch innert der ihm gestützt auf Art. 223 Abs. 1 ZPO angesetzten Nachfrist säumig geblieben. Bei zweimaliger Säumnis erlässt das Gericht entweder einen Endent- scheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder es lädt zur Hauptver- handlung vor (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die in der Klageschrift vorgebrachten Tatsachenbehauptungen sind vorlie- gend (formell) unbestritten geblieben. Anerkannt sind damit die Tatsachen, nicht aber die klägerischen Rechtsbegehren. Bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit einer nicht streitigen Tatsache, d.h. bei fehlender Spruch- reife, kann das Gericht nach Art. 153 Abs. 2 ZPO von Amtes wegen Beweis erheben. Diesfalls hat es in der Regel eine Verhandlung anzusetzen. Ist die Angelegenheit hingegen spruchreif, trifft das Gericht direkt einen En- dentscheid. Hierzu muss die Klage soweit geklärt sein, dass darauf man- gels Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten oder sie durch Sachent- scheid erledigt werden kann. Dies setzt voraus, dass die Vorbringen der 1 BESSENICH/BOPP, in: Sutter-Somm/Häsenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zi- vilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 90 N. 10. - 6 - Klägerin nicht unklar, widersprüchlich, unbestimmt oder offensichtlich un- vollständig sind, weil das Gericht andernfalls seine Fragepflicht ausüben müsste.2 4. Aktiv- und Passivlegitimation 4.1. Parteibehauptungen Die Klägerin behauptet, sie sei aktivlegitimiert (KB 2 und 3; Klage N. 6 ff.). Der Beklagte sei Präsident und damit Organ des die "D-Party" organisie- renden Vereins. In seiner Funktion als Vereinspräsident sei er persönlich und solidarisch mit dem Verein für die ausstehenden Forderungen der Klä- gerin haftbar (Klage N. 12, 13 und 35). Diese stützten sich auf Art. 62 Abs. 2 bzw. Art. 35 URG, wonach der Beklagte verpflichtet sei, für die Nut- zungen von urheberrechtlich geschützten Kompositionen sowie im Handel erhältlichen Tonträgern eine entsprechende Vergütung zu bezahlen. Der Beklagte sei mithin passivlegitimiert (Klage N. 23). Der Beklagte äussert sich nicht zur Aktiv- und Passivlegitimation. 4.2. Rechtslage 4.2.1. Werke der Musik und andere akustische Werke sind urheberrechtlich ge- schützt, sofern sie eine geistige Schöpfung der Kunst sind und einen indi- viduellen Charakter aufweisen (Art. 2 Abs. 2 lit. b URG). Der Urheber eines Werks hat das ausschliessliche Recht zu bestimmen, ob, wann und gege- benenfalls wie sein Werk verwendet wird, wozu insbesondere die öffentli- che Aufführung des Werks zählt (Art. 10 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c URG). Von den Urheberrechten zu unterscheiden sind die verwandten Schutzrechte gemäss Art. 33 ff. URG. Wer im Handel erhältliche Ton- oder Tonbildträger zum Zweck der Sendung, der Weitersendung, des öffentlichen Empfangs oder der Aufführung verwendet, schuldet den ausübenden Künstlern hier- für gemäss Art. 35 Abs. 1 URG eine Vergütung. Für die öffentliche Aufführung von urheberrechtlich geschützten akusti- schen Werken ist die Erlaubnis bei der zugelassenen Verwertungsgesell- schaft (Art. 40 ff. URG) einzuholen und es ist gemäss Art. 46 URG die in den anwendbaren Tarifen vorgesehene Entschädigung zu leisten. Vergü- tungsansprüche werden für die Urheberrechte gemäss den jeweiligen Wahrnehmungsverträgen bzw. Gegenseitigkeitsverträgen und für die ver- wandten Schutzrechte nach Art. 35 Abs. 3 URG von der Verwertungsge- sellschaft geltend gemacht. Sind mehrere Verwertungsgesellschaften im gleichen Nutzungsbereich tätig, so stellen sie sog. gemeinsame Tarife (GT) auf und bezeichnen eine gemeinsame Zahlstelle (Art. 47 Abs. 1 URG). 2 Zum Ganzen: LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 223 N. 5 und 7; BSK ZPO-, 3. Aufl. 2017, Art. 223 N. 18 ff. https://www.swisslex.ch/doc/aol/254b5f65-367a-43e5-a461-3a903b450a11/29f8db95-f52d-4c2a-a3c7-648b613c40e6/source/document-link https://www.swisslex.ch/doc/aol/5f225c1b-cea3-4cf5-87dc-16c04ff080b8/29f8db95-f52d-4c2a-a3c7-648b613c40e6/source/document-link https://www.swisslex.ch/doc/aol/3696f09a-11da-42ef-ad64-072c9b396c93/29f8db95-f52d-4c2a-a3c7-648b613c40e6/source/document-link - 7 - 4.2.2. Passivlegitimiert ist grundsätzlich jede natürliche oder juristische Person, die an einer Urheberrechtsverletzung mitwirkt3 bzw. im Handel erhältliche und auf Ton- und Tonbildträgern fixierte Werkinterpretation zum Zweck der Sendung, Weitersendung, des öffentlichen Empfangs oder der Aufführung verwendet.4 Für ihr Verschulden sind die handelnden Organe einer juristischen Person persönlich verantwortlich (Art. 55 Abs. 3 ZPO). Ausgelöst wird die Eigen- haftung, wenn das betreffende Organ durch sein Verhalten die Vorausset- zungen einer materiell-rechtlichen Haftungsnorm erfüllt.5 Eine Urheber- rechtsverletzung durch Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Volksmu- sik an einem Vereinsanlass wurde in der Rechtsprechung zum alten URG als persönliche Haftungsgrundlage des Organs gegenüber Dritten qualifi- ziert.6 4.3. Würdigung 4.3.1. Die Klägerin ist eine vom IGE konzessionierte Verwertungsgesellschaft im Sinne von Art. 40 ff. URG. Sie wahrt die Urheberrechte von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern (Klage N. 7 und 8). Sie kann sich auf Wahrnehmungsverträge mit Künstlern bzw. Gegenseitigkeitsverträge mit ausländischen Verwertungsgesellschaften berufen und vertritt damit prak- tisch das gesamte Weltrepertoire nichttheatralischer Musik (Klage N. 8 und BGE 107 II 57 E. 1). Die Klägerin als Inhaberin der entsprechenden Rechte erteilt die Erlaubnis für die öffentliche Aufführung der verwalteten Musik und es ist ihr gemäss Art. 46 URG die in den anwendbaren Tarifen vorgese- hene Entschädigung zu bezahlen. Die Klägerin nimmt im Auftrag der SWISSPERFORM zusätzlich die ver- wandten Schutzrechte an den Repertoires von ausübenden Künstlern, Pro- duzenten und Sendeunternehmen wahr (Klage N. 9). In Ziff. 14 GT Hb 2012-2017 (nachfolgend GT Hb) wird die Klägerin als Vertreterin des jewei- ligen Tarifs festgelegt und im Kooperationsvertrag als gemeinsame Zahl- stelle bestimmt (vgl. KB 5 und 7). Die Klägerin ist berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Urheberinnen und Urheber und damit deren Vergütungsansprüche einzufordern und nö- tigenfalls durchzusetzen. Sie ist aktivlegitimiert. 3 BARRELET/EGLOFF, Das neue Urheberrecht, Kommentar zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, 3. Aufl. 2008, Art. 62 N. 5. 4 SHK URG-MÜLLER/OERTLI, 2012, Art. 35 N. 1. 5 BGE 106 II 257 E. 2. 6 BK ZGB-RIEMER, 3. Aufl. 1990, Art. 69 N. 141; PKG 1961 Nr. 23 S. 75 = SJZ 58 (1962) S. 359 f. Nr. 218. - 8 - 4.3.2. Der Beklagte als Organ des BB stellt die "handelnde Person" i.S.v. Art. 55 Abs. 3 ZGB dar, da er sich in umfassender Weise mit den Belangen des Vereins befasst und gegen aussen als alleinige Ansprechperson auftritt (Klage N. 12 und 13). In seiner Eigenschaft als Organ des Vereins und da- mit Hauptakteur bei der Organisation der "D-Party" hat der Beklagte nebst dem Verein für sein Handeln persönlich einzustehen, soweit er die materi- ell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen erfüllt. Der Beklagte ist passivle- gitimiert. 5. Vergütungsanspruch 5.1. Parteibehauptungen Die Klägerin behauptet, sie habe aufgrund der beklagtischen Durchführung der "D-Party" Anspruch auf eine Vergütung in Höhe von Fr. 6'193.50 (Klage N. 29 - 31). Der Beklagte hat sich nicht vernehmen lassen. 5.2. Rechtslage 5.2.1. Wer die Rechte des Urhebers in Art. 10 Abs. 1 URG ohne dessen Einwilli- gung beansprucht, begeht eine Urheberrechtsverletzung. Gemäss Art. 62 Abs. 2 URG i.V.m. Art. 41 OR kann Schadenersatz verlangen, wer in sei- nen Urheberrechten verletzt wird. Dabei ist der Schaden, die Widerrecht- lichkeit des Verhaltens, der Kausalzusammenhang zwischen dem wider- rechtlichen Verhalten und dem Schaden sowie ein Verschulden der schä- digenden Person zu beweisen.7 Das Verschulden setzt sich aus einem ob- jektiven Element (Unzulänglichkeit des menschlichen Verhaltens) und ei- nem subjektiven Element, der Urteilsfähigkeit, zusammen. Entscheidend ist insbesondere, ob die vernünftig handelnde Idealperson die schädigen- den Folgen des Verhaltens vorausgesehen hätte und urteilsfähig ist.8 Da im Urheberrecht die konkrete Schadensbemessung häufig unmöglich ist, sieht die bundesgerichtliche Rechtsprechung die hypothetische Berech- nung des entgangenen Gewinns durch Anwendung der Lizenzanalogie vor.9 Der Verletzer hat dem Schutzrechtsinhaber Schadenersatz im Um- fang einer hypothetischen, von vernünftigen Vertragspartnern vereinbarten Vergütung für eine Lizenz des verletzten Immaterialgüterrechts zu leisten.10 Analogiefähig sind etwa die Tarife der Verwertungsgesellschaften.11 Die Li- zenzanalogie ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts allerdings 7 BARRELET/EGLOFF (Fn. 2), Art. 62 N. 12. 8 CHK OR-MÜLLER, 3. Aufl. 2016, Art. 41 N. 9 ff. 9 BGE 132 III 379 E. 3.3.2; SCHWENNINGER, Kommentar zu den schweizerischen Haftpflichtbestim- mungen, 2016, Art. 62 URG N. 14 10 BGE 132 III 379 E. 3.2.2; SCHWENNINGER/INGLIN, Die Schwierigkeiten des Bundesgerichts mit der Schadensberechnung und Schadenersatzbemessung bei Urheberrechtsverletzungen, in: Ohne jegliche Haftung – Festschrift für Willi Fischer, 2016, S. 465. 11 OFK URG-REHBINDER/VIGANÒ, 3. Aufl. 2008, Art. 64 N. 14. - 9 - nur dann zulässig, wenn feststeht, dass ein Lizenzvertrag über das Schutz- recht hätte abgeschlossen werden können.12 Zudem haben ausübende Künstler und Künstlerinnen gemäss Art. 35 Abs. 1 URG Anspruch auf Vergütung, wenn im Handel erhältliche Ton- o- der Tonbildträger zum Zweck der Sendung, der Weitersendung, des öffent- lichen Empfangs oder der Aufführung verwendet werden. Dabei handelt es sich um einen gesetzlichen Vergütungsanspruch, welcher nicht den Vo- raussetzungen von Art. 41 OR unterliegt. 5.2.2. Der Vergütungsanspruch der Künstlerinnen und Künstler wird mittels der GT konkretisiert. Vorliegend anwendbar ist der GT Hb (vgl. Ziff. 1 bis 14 GT Hb), da es sich bei der "D-Party" um einen Unterhaltungsanlass mit musi- kalischer Umrahmung im Sinne der Ziff. 3 GT Hb handelt. Art. 51 Abs. 1 URG, Ziff. 21.1 GT Hb und Ziff. 23.1 GT Hb sowie Ziff. 34 und 35 GT Hb sehen eine Auskunftspflicht der Nutzer gegenüber den Verwertungsgesell- schaften vor. Die Nutzer müssen demnach den Verwertungsgesellschaften alle Auskünfte erteilen, welche diese für die Gestaltung und die Anwendung der Tarife benötigen. Ziff. 39 GT Hb sieht vor, dass die benötigten Angaben von den Nutzern mittels Verzeichnis zu erfassen sind. Das Verzeichnis muss innert 30 Tagen nach Aufforderung mit den notwendigen Angaben an die Klägerin retourniert werden, andernfalls die Klägerin die Angaben schätzen kann (Ziff. 36 GT Hb). Gemäss Ziff. 32 GT Hb wird die Vergütung verdoppelt, wenn Musik ohne Erlaubnis der Klägerin verwendet wird oder wenn der Kunde keine, unrichtige oder lückenhafte Angaben liefert, um sich einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen (sog. Verletzerzuschlag). Gibt der Nutzer die für die Berechnung notwendigen Angaben innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Schätzung nicht schriftlich bekannt, gilt die Schätzung als anerkannt (Ziff. 36 GT Hb). 5.2.3. Gemäss Art. 46 Abs. 3 URG sind die Tarife der Eidgenössischen Schieds- kommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK) im Sinne von Art. 55 URG zur Genehmigung vor- zulegen und nach der Genehmigung zu veröffentlichen. Für die Gerichte sind sie grundsätzlich verbindlich.13 Diese Vorschrift dient der Rechtssi- cherheit. Sie soll verhindern, dass ein von der Schiedskommission – und gegebenenfalls auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin vom Bundesge- richt – gutgeheissener Tarif in einem Forderungsprozess gegen einen zah- lungsunwilligen Werknutzer erneut in Frage gestellt werden kann.14 Den Zivilgerichten ist es daher verwehrt, einen rechtskräftig genehmigten Tarif 12 BGE 132 III 379 E. 3.3.3. 13 BGE 125 III 141 E. 4a; BGer 4A_203/2015 vom 30. Juni 2015 E. 3.3. 14 BARRELET/EGLOFF (Fn. 2), Art. 59 N. 10. - 10 - erneut auf seine Angemessenheit hin zu überprüfen. Sie sind an das Er- gebnis der Angemessenheitsprüfung im Genehmigungsverfahren gebun- den. Das bedeutet indessen nicht, dass die Verwertungsgesellschaften be- fugt wären, gestützt auf einen genehmigten Tarif vor den Zivilgerichten auch Vergütungsansprüche geltend zu machen, die mit zwingenden ge- setzlichen Vorschriften unvereinbar sind. Blosses Tarifrecht kann zwingen- des Gesetzesrecht nicht verdrängen. Die mit Art. 59 Abs. 3 URG ange- strebte Rechtssicherheit ist hinreichend gewährleistet, wenn im zivilgericht- lichen Verfahren eine erneute Angemessenheitsprüfung ausgeschlossen ist. Hingegen sind die Zivilgerichte befugt zu prüfen, ob aus den Tarifen im Einzelfall gesetzeswidrige Vergütungsansprüche abgeleitet werden.15 5.3. Würdigung 5.3.1. 5.3.1.1. Die Klägerin verlangt vorliegend, dass der Beklagte i.S.v. Art. 55 Abs. 3 ZGB mit dem BB haftet. Es ist in einem ersten Schritt die Haftbarkeit des Vereins (vgl. E. 5.3.1.2) und danach die solidarische und persönliche Haft- barkeit des Beklagten (vgl. E. 5.3.1.3) zu prüfen. 5.3.1.2. Die Klägerin nimmt unter anderem die Vergütungsansprüche für das ge- samte Weltrepertoire der nicht-theatralischen Musik wahr (Klage N. 7 und 8; vgl. dazu auch E. 4). Gemäss unbestrittener klägerischer Behauptung wurden während der jährlich stattfindenden "D-Party" urheberrechtlich ge- schützte Musik und im Handel erhältliche Tonträger abgespielt (Klage N. 11). Eine Erlaubnis für diese öffentlichen Musikaufführungen holte der Veranstalter nicht ein (Klage N. 23). Somit liegt eine Verletzung von Art. 10 URG und damit Widerrechtlichkeit bezüglich des verursachten Schadens vor. Der Kausalzusammenhang zwischen dem Abspielen der urheberrecht- lich geschützten Musik und dem Schaden ist gegeben. Was das Verschulden betrifft gilt der Grundsatz, dass sich eine vernünftig handelnde Idealperson als Veranstalter einer jährlich stattfindenden Party mit rund 1'000 Personen (Klage N. 29) eingehend mit den notwendigen re- gulatorischen Anforderungen auseinandersetzen müsste. So können u.a. eine Polizeistunden-Verlängerung, eine Gastgewerbe-Bewilligung und ein Sicherheitsdispositiv notwendig sein. Im Rahmen dieser Abklärungen wäre der Beklagte auf die Verpflichtung gestossen, der Klägerin das öffentliche Aufführen der musikalischen Werke vorgängig zu melden und eine entspre- chende Lizenz einzuholen. Da der BB dies nicht getan hat, ist das Verschul- den zu bejahen. 15 BGE 125 III 141 E. 4a. - 11 - 5.3.1.3. Der Beklagte als Organ des BB ist die "handelnde Person" i.S.v. Art. 55 Abs. 3 ZGB, weil er sich in umfassender Weise mit den Belangen des Ver- eins befasst und gegen aussen als alleinige Ansprechperson auftritt (Klage N. 12 und 13). Mit dem Abspielen der urheberrechtlich geschützten Musik hat er Art. 10 URG verletzt; die Schädigung der Klägerin erfolgte also wi- derrechtlich. Der Kausalzusammenhang zwischen dem Abspielen der ur- heberrechtlich geschützten Musik und dem Schaden ist gegeben. Der Beklagte hat die Urheberrechtsverletzung persönlich verschuldet, in- dem er sich nicht genügend mit den regulatorischen Anforderungen ausei- nandergesetzt und die Verwendung der Musik der Klägerin nicht gemeldet hat sowie den Aufforderungen der Klägerin nicht nachgekommen ist. Der Beklagte haftet mithin persönlich und solidarisch für die Urheberrechtsver- letzung. 5.3.2. Art. 35 Abs. 1 und 2 URG verleihen den Künstlern und Herstellern von Ton- trägern für die Aufführung bzw. das Abspielen vor Publikum zudem einen direkten (gesetzlichen) Anspruch auf Vergütung. Diese gesetzliche Lizenz stellt allerdings keine Haftungsnorm dar, welche eine solidarische und per- sönliche Haftung des Beklagten als Organ des BB für die Vergütungsfor- derung in Höhe von Fr. 1'458.00 begründet. Vielmehr haftet für den Vergü- tungsanspruch einzig der BB als Veranstalter der "D-Party". 5.3.3. Der Schaden der Urheberrechtsverletzung ist in Anwendung der Li- zenzanalogie zu berechnen. Es deutet nichts darauf hin, dass der GT Hb gesetzeswidrig ist. Insbesondere die Verdoppelung der Vergütung bei Nichteinholung der erforderlichen Bewilligung wird vom Bundesgericht im Sinne einer privatrechtlichen Konventionalstrafe geschützt.16 Im Übrigen behauptet der Beklagte auch nicht, der GT sei gesetzeswidrig. Die klägerische Behauptung, die Schätzung der Einnahmen des BB sei in- folge Ausbleibens von Angaben trotz schriftlicher Mahnung erfolgt (Klage N. 28), blieb seitens des Beklagten unbestritten. Weil er als Organ des BB seine Auskunftspflicht gegenüber der Klägerin verletzt hat, war diese be- rechtigt, den BB einzuschätzen. Die der Berechnung zugrundeliegende Schätzung der Einnahmen wurde von der Klägerin begründet und ist nach- vollziehbar. Im Übrigen hat der Beklagte die klägerische Schätzung nicht bestritten. Die Klägerin qualifizierte die Veranstaltungen namens "D-Party" als "sonstige Anlässe, die musikalisch umrahmt werden" im Sinne von 16 BGer 2A.539/1996 vom 20. Juni 1997 E. 6.a; "Dancing", Obergericht V vom 1. Februar 2008, sic! 2008 S. 630. - 12 - Ziff. 3 lit. b GT Hb, womit die Vergütung 5 % der Einnahmen für die Urhe- berrechte an Musik (Ziff. 21.2 GT Hb [KB 9] und Klage N. 30) beträgt. Auch dies ist nicht zu beanstanden. Grundsätzlich ist für die Schadensbestimmung auf die Berechnung der Klä- gerin abzustellen. Die geschätzten Einnahmen belaufen sich auf Fr. 15'000.00, womit sich der Schadenersatz aus Urheberrechtsverletzung auf Fr. 750.00 (5 % von Fr. 15'000.00) beläuft. Auf den Schadenersatz schlägt die Klägerin 2.5 % Mehrwertsteuer. Zudem addiert die Klägerin zur Schadenersatzforderung wegen Urheber- rechtsverletzung einen pauschalen Zuschlag von Fr. 40.00 (zzgl. 2.5 % Mehrwertsteuer; Klage N. 27). Der Zuschlag wird erhoben, wenn die Ver- zeichnisse, aufgrund welcher die Vergütungsforderungen zu berechnen sind, nicht eingereicht werden (vgl. Ziff. 39 und 41 GT Hb [KB 9]). Das Ver- zeichnis wird sowohl zur Berechnung des Schadenersatzes für die Verlet- zung von Urheberrechten als auch zur Berechnung der Vergütung für die Verwendung von verwandten Schutzrechten verwendet. Eine einseitige Addition des Zuschlags rechtfertigt sich vorliegend nicht. Vielmehr ist dieser hälftig (d.h. je Fr. 20.00) auf die Schadenersatzforderung wegen Urheber- rechtsverletzung und auf die Vergütungsforderung für die verwandten Schutzrechte anzurechnen (zzgl. Mehrwertsteuer). Somit beläuft sich der Schadenersatz auf Fr. 789.25 (Fr. 750.00 plus Fr. 20.00 zzgl. 2.5 % Mehrwertsteuer). 5.3.4. Der Beklagte hat sich gemäss unbestrittener klägerischer Behauptung be- harrlich geweigert, die Musiknutzung durch den BB zu melden, weshalb die Klägerin die auf Grundlage der geschätzten Einnahmen berechnete Vergü- tung verdoppelt hat (ohne pauschalen Zuschlag und die darauf fallende Mehrwertsteuer; Klage N. 31). Den Zahlungsaufforderungen ist der Be- klagte als Organ des Veranstalters bis zur Klageerhebung vom 28. Novem- ber 2018 nicht nachgekommen (Klage N. 20 und 21). Die Klägerin hat folg- lich Anspruch auf Schadenersatz aus Urheberrechtsverletzung in Höhe von Fr. 1'558.00 je Jahr (Fr. 789.25 addiert mit Fr. 768.75 [Fr. 750.00 zzgl. 2.5 % Mehrwertsteuer]). Im Umfang der Vergütungsforderung für die Verwendung der verwandten Schutzrechte ist der Forderungsanspruch der Klägerin gegenüber dem Be- klagten unbegründet, da der Beklagte als Organ des BB nicht persönlich und solidarisch mit dem Verein für die Vergütung aus Benutzung der im Handel erhältlichen Ton- und Tonbildträger zum Zweck der Aufführung haf- tet (vgl. E. 5.3.2). - 13 - 6. Zinsen 6.1. Parteibehauptungen Die Klägerin behauptet, auf den Forderungen aus der Durchführung der "D- Party" seien Verzugszinsen von je 5 % auf Fr. 2'064.50 seit dem 8. August 2015, auf Fr. 2'064.50 seit dem 6. August 2016 und auf Fr. 2'064.50 seit dem 5. August 2017 geschuldet. Zinsauslösend sei bei Forderungen aus unerlaubter Handlung der Zeitpunkt der schädigenden Handlung (Klage N. 32). Subsidiär beginne der Zinsenlauf mit den beiden Mahnungen der Rechnungen Nr. 1'558'361 und Nr. 1'558'363 vom 9. März und 13. April 2017 (KB 16 bis 19) sowie der ersten Mahnung der Rechnung Nr. 1'667'217 vom 15. November 2018 (Klage N. 33). Der Beklagte hat sich nicht vernehmen lassen. 6.2. Rechtslage 6.2.1. Schadenszins Zum Schaden gehört nach konstanter Rechtsprechung der Zins vom Zeit- punkt an, in dem das schädigende Ereignis sich finanziell ausgewirkt hat. Er läuft bis zum Tag der Zahlung des Schadenersatzes. Dieser Schadens- zins bezweckt, den Anspruchsberechtigten so zu stellen, wie wenn er für seine Forderung am Tag der unerlaubten Handlung bzw. für deren wirt- schaftliche Auswirkungen mit deren Entstehung befriedigt worden wäre.17 Er setzt im Gegensatz zum Verzugszins weder eine Mahnung des Gläubi- gers noch den Verzug des Schuldners voraus,18 und beginnt mit dem Zeit- punkt der schädigenden Handlung zu laufen.19 6.2.2. Verzugszins Der Schuldner hat Verzugszins von 5 % zu leisten, wenn er sich mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug befindet (Art. 104 Abs. 1 OR). Schuld- nerverzug setzt die Fälligkeit der Forderung voraus (Art. 102 Abs. 1 OR). Fällig ist eine Forderung dann, wenn deren Gläubiger die Leistung fordern und einklagen kann.20 Dabei gilt der Grundsatz, dass eine Forderung sofort fällig wird, sofern nichts anderes verabredet wurde oder sich aus der Natur des Rechtsverhältnisses ergibt (Art. 75 OR). Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, sofern die Parteien einen bestimmten Verfalltag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Bei einer Mahnung tritt der Verzug analog Art. 77 Abs. 1 Ziff. 1 OR einen Tag nach ihrem Eintreffen ein.21 Die Zustellung eines Zahlungsbefehls oder 17 BGE 81 II 512 E. 6. 18 BGE 122 III 53 E. 4a und 4b. 19 BGE 81 II 519 E. 6 und BGE 122 III 53 E. 4a. 20 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Band 1, 10. Aufl. 2014, N. 45; GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Band 2, 10. Aufl. 2014, N. 2153 ff. 21 BSK OR II-WIEGAND, 5. Aufl. 2016, Art. 104 N. 3. - 14 - die Anhebung einer Leistungsklage (Ladung zum Sühneverfahren)22 sind als Mahnung zu qualifizieren. Praxisgemäss gerät der Schuldner letztlich mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie „zahlbar 30 Tage netto“, ohne weitere Mahnung in Verzug.23 6.3. Würdigung 6.3.1. Vorliegend verlangt die Klägerin 5 % Zins ab Eintritt des schädigenden Ver- haltens, ohne dabei zwischen den Schadenersatz- bzw. Vergütungsan- sprüchen zu unterscheiden. Dies ist allerdings deshalb notwendig, weil der Beklagte nur für die Urheberrechtsverletzung persönlich und solidarisch mit dem BB haftet. Demgegenüber ist die Benützung der verwandten Schutz- rechte grundsätzlich gestattet und begründet – wie in E. 5.3.2 bereits aus- geführt – keine persönliche und solidarische Haftung des Beklagten. Da der Beklagte nicht für die vom BB geschuldete Vergütung haftet, haftet er auch nicht für die mit der Vergütungsforderung zusammenhängenden Verzugs- zinsen. 6.3.2. Die Nutzung von urheberrechtlich geschützter Musik ohne Einwilligung des Urhebers ist grundsätzlich verboten. Betreffend Zinsbeginn ist somit auf den Tag der schädigenden Handlungen, hier die Tage, an denen die "D- Party" durchgeführt wurde, abzustellen. Insgesamt entfallen Fr. 750.00, ein pauschaler Zuschlag von Fr. 20.00 (vgl. E. 5.3.4), 2.5 % Mehrwertsteuern sowie dessen Verdoppelung [ohne pauschalen Zuschlag] aufgrund des Verletzerzuschlags, ausmachend Fr. 1'558.00, auf die Verletzung der Ur- heberrechte. Die vorliegend in Frage stehenden, unerlaubten Musiknutzun- gen betreffend die Forderung von Fr. 1'558.00 des Jahres 2015 erfolgten am 7. und 8. August, diejenigen betreffend die Forderung von Fr. 1'558.00 des Jahres 2016 am 5. und 6. August und diejenigen betreffend die Forde- rung von Fr. 1'558.00 des Jahres 2017 am 4. und 5. August. Daher ist der Klägerin auf den Betrag von Fr. 1'558.00 Zins zu 5 % seit dem 8. August 2015, auf den Betrag von Fr. 1'558.00 Zins zu 5 % seit dem 6. August 2016 und auf den Betrag von Fr. 1'558.00 Zins zu 5 % seit dem 5. August 2017 zuzusprechen. 7. Prozesskosten Abschliessend sind die Kosten entsprechend dem Verfahrensausgang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteientschädi- gung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Klägerin obsiegt mit ihrer Forderung nur teilweise. Die Prozesskosten sind nach Ausgang des Verfahrens zu vertei- len (Art. 106 Abs. 1 ZPO). 22 BGE 116 II 225 E. 5.a; BGer 4A_11/2013 vom 16. Mai 2013 E. 5 m.w.H. 23 AGVE 2003, S. 38; BSK OR I-WIEGAND, 6. Aufl. 2015, Art. 102 N. 9; BK OR-WEBER, 2000, Art. 102 N. 115 m.w.N.; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2009, § 55 N. 33. - 15 - 7.1. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen vorliegend einzig aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Gerichtsgebühr beträgt bei einem Streitwert von Fr. 6'193.50 gestützt auf § 7 Abs. 1 Zeile 4 VKD gerundet Fr. 1'581.00. Die Klägerin dringt mit ihren Rechtsbegehren nur im Umfang von gerundet 75.00 % (Fr. 4'674.00 bei einem Streitwert von Fr. 6'193.50) durch. Die Gerichtskosten sind anteilsmässig im Umfang von gerundet Fr. 395.25 von der Klägerin und in Höhe von Fr. 1'185.75 vom Beklagten zu tragen. Sie werden mit dem von der Klägerin geleisteten Kos- tenvorschuss von Fr. 1'581.00 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Der Be- klagte hat der Klägerin seinen Anteil an den Gerichtskosten von Fr. 1'185.75 direkt zu ersetzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). 7.2. Parteientschädigung Die angemessene Umtriebsentschädigung nach Art. 95 Abs. 3 Bst. c ZPO kommt nur unter zwei kumulativen Voraussetzungen in Betracht, nämlich nur für eine Partei, die nicht berufsmässig vertreten ist und nur in begrün- deten Fällen. Nicht berufsmässig vertreten ist die Partei, wenn sie keinen Vertreter i.S.v. Art. 68 Abs. 2 ZPO hat. Tritt ein Anwalt in eigener Sache auf, wird ihm eine Umtriebsentschädigung zugesprochen. Dies gilt auch, wenn ein Anwalt als Organ oder als Angestellter (namentlich der Rechts- abteilung) eine juristische Person vertritt. In solchen Fällen wird die Ent- schädigung nach Anwaltstarif berechnet, aber um etwa einen Drittel redu- ziert.24 Die Klägerin wird durch einen Angestellten vertreten, der über das Anwalts- patent verfügt. Damit ist der Klägerin eine Umtriebsentschädigung in der Höhe von zwei Dritteln der Parteientschädigung zuzusprechen und ent- sprechend dem Verfahrensausgang um 25.00 % zu kürzen. Die Parteient- schädigung bemisst sich nach § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 6 AnwT. Die Grundentschädigung beträgt bei einem Streitwert von Fr. 6'193.50 ge- rundet Fr. 2'468.70. Damit sind gemäss § 6 Abs. 1 AnwT unter anderem eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer Verhandlung abgegolten. Nach einem Abzug von praxisgemäss 20 % für die nicht durchgeführte Ver- handlung ergibt sich eine Grundentschädigung von rund 1'974.95. Die im vorliegenden Verfahren eingereichte Rechtsschrift entspricht in weiten Tei- len der im Verfahren HOR.2018.41 eingereichten Rechtsschrift und erfor- derte für die Klägerin damit nur geringe Aufwendungen. Die errechnete Grundentschädigung wird deshalb um weitere 30 % auf gerundet Fr. 1'382.45 gemindert (§ 7 Abs. 2 AnwT). Zusätzlich der Kleinkostenpau- schale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Parteientschädigung von rund Fr. 1'423.90. 24 BSK ZPO-RÜEGG, 3. Aufl. 2017, Art. 95 N. 22. - 16 - Damit beträgt die vom Beklagten geschuldete Umtriebsentschädigung ge- rundet Fr. 474.65 (zwei Drittel der Parteientschädigung von Fr. 1'423.90 ist gerundet Fr. 949.25, davon 50 % nach Verrechnung der Quoten des Un- terliegens bzw. Obsiegens), welche grundsätzlich vom Beklagten zu tragen wäre. Da die Klägerin mit Eingabe vom 4. Dezember 2019 lediglich eine Parteientschädigung von Fr. 410.00 fordert, kann ihr in Anwendung der Dispositionsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO) keine darüberhinausgehende Entschädigung zugesprochen werden. Das Handelsgericht erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung der Klage wird der Beklagte solidarisch mit dem BB verpflichtet, der Klägerin - Fr. 1'558.00 zzgl. Zins zu 5 % seit dem 8. August 2015; - Fr. 1'558.00 zzgl. Zins zu 5 % seit dem 6. August 2016; - Fr. 1'558.00 zzgl. Zins zu 5 % seit dem 5. August 2017; zu bezahlen. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'581.00 werden in Höhe von Fr. 1'185.75 dem Beklagten und in Höhe von Fr. 395.25 der Klägerin auferlegt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 1'581.00 verrechnet. Der Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 1'185.75 direkt zu erset- zen. 3. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine Parteientschädigung in Höhe von Fr. 410.00 zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (mit Abrechnung) den Beklagten 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. - 17 - Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 21. Januar 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: Dubs Schmutz
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2005 Zivilprozessrecht 43 III. Zivilprozessrecht A. Zivilprozessordnung 7 § 125 ZPO. § 132 ZPO. Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. Wiedererwägung der Verfügung. Der Entscheid über die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege, mit welchem in einem Administrativverfahren in Begründung eines öffent- lichrechtlichen Rechtsverhältnisses über eine staatliche Leistung ent- schieden wird, erwächst nicht in materielle Rechtskraft und kann deshalb wegen ursprünglicher Unrichtigkeit oder nachträglicher Änderung des massgeblichen Sachverhalts vom Richter, der den Entscheid gefällt hat, von Amtes wegen oder auf entsprechenden Antrag jederzeit bis zum Endentscheid in Wiedererwägung gezogen und abgeändert werden. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 29. Juli 2005 in Sachen G.J. H. Aus den Erwägungen 1. Der Gesuchsteller reichte gegen den sein Gesuch um unent- geltliche Rechtspflege für die Gerichtskosten vom 4. Februar 2005 abweisenden Entscheid der Präsidentin des Bezirksgerichts R. vom 15. April 2005 keine Beschwerde ein, obwohl er in der Rechtsmittel- belehrung dieses Entscheids über das ihm zustehende Rechtsmittel der Beschwerde belehrt worden war. Er stellte stattdessen bei der Vorinstanz am 9. Mai 2005 ein Wiedererwägungsgesuch, auf welches diese mit Entscheid vom 17. Mai 2005 mit der Begründung nicht ein- trat, der Entscheid über die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtpflege gelte als unabänderlicher Entscheid, welcher selbständig weiterziehbar und deshalb der Wiedererwägung nicht zugänglich sei. Gegen diesen Nichteintretensentscheid erhob der Gesuchsteller Be- schwerde. 2005 Obergericht 44 2. Gemäss § 134 Abs. 1 ZPO kann gegen einen Entscheid des Gerichtspräsidenten, durch welchen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert, die Bewilligung widerrufen oder die Nachzahlung ange- ordnet wird, Beschwerde geführt werden. Der das Gesuch abweisen- de Entscheid entbehrt der materiellen Rechtskraft, sodass das Gesuch jederzeit in verbesserter Form neu gestellt werden kann (Büh- ler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessord- nung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, N 7 zu § 129). Da das Wiedererwägungsgesuch des Gesuchstellers vom 9. Mai 2005 ei- nem solchen erneuerten Gesuch gleichkommt und mit dem Nichtein- tretensentscheid der Präsidentin des Bezirksgerichts R. vom 17. Mai 2005 die beantragte unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, muss gegen diesen Entscheid die Beschwerde gemäss § 134 Abs. 1 ZPO gegeben sein und es ist darauf einzutreten. 3. Der Entscheid über die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz kein unabänderlicher Entscheid, welcher der Wiedererwägung grundsätz- lich nicht zugänglich wäre. Er ist ein prozessleitender Entscheid, mit welchem in einem Administrativverfahren in Begründung eines öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisses über eine staatliche Leis- tung entschieden wird, der demzufolge nicht in materielle Rechts- kraft erwächst (Beat Ries, Die unentgeltliche Rechtspflege nach der aargauischen Zivilprozessordnung vom 18. Dezember 1984, Aarau 1990, S. 116, 123, 256; Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 7 zu § 129, N 1 zu § 132, N 2 zu § 134; Frank/Sträuli/Messmer, Kom- mentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, Zürich 1997, N 23 zu § 191; Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Bern 2000, Bem. vor Art. 333 Abs. 3; Walder- Richli, Zivilprozessrecht nach den Gesetzen des Bundes und des Kantons Zürich unter Berücksichtigung anderer Zivilprozessordnun- gen, Zürich 1996, N 140 zu § 26) und deshalb grundsätzlich wie eine auf Dauer angelegte öffentlichrechtliche Verfügung wegen ursprüng- licher Unrichtigkeit oder nachträglicher Änderung des massgeblichen Sachverhalts vom Richter, der den Entscheid gefällt hat, von Amtes wegen oder auf entsprechenden Antrag jederzeit bis zum Endent- scheid in Wiedererwägung gezogen und abgeändert werden kann 2005 Zivilprozessrecht 45 (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 7 zu § 129 und N 1 zu § 132, Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, a.a.O.; Walder-Richli, a.a.O.; Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, Bern 2000, N 3a zu § 105; Staehelin/Sutter, Zivilprozessrecht nach den Gesetzen der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft unter Einbezug des Bundesrechts, Zürich 1992, N 23 zu § 12; Entscheid der 4. Zivilkam- mer des Obergerichts vom 7. Juni 2000 Erwägung 1 a [SU.2000.00168]). Einen Anspruch auf Wiedererwägung hat die ge- suchstellende Partei indessen nicht, jedenfalls nicht ohne Änderung der massgebenden Verhältnisse. Der Richter darf in einem solchen Fall einem Wiedererwägungsgesuch entsprechen, muss aber nicht (Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O.; Walder-Richli, a.a.O.; Merz, a.a.O.), zumal wenn wie im vorliegenden Fall gegen den das Gesuch abwei- senden Entscheid ein ordentliches Rechtsmittel wie die Beschwerde gemäss § 335 ff. ZPO zur Verfügung stand und damit ein Rechts- schutzinteresse an einer Wiedererwägung nicht zu sehen ist. Insofern ist der angefochtene Entscheid der Vorinstanz nicht zu beanstanden.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 1. Kammer HOR.2018.34 / ts / ts Art. 133 Entscheid vom 30. Juni 2019 Besetzung Oberrichter Dubs, Präsident Ersatzrichter Boner Handelsrichter Alberati Handelsrichterin Baumann Handelsrichter Nauer Gerichtsschreiberin Schmutz Gerichtsschreiber-Stv. Hirschi Klägerin A._, vertreten durch lic. iur. Cornel Wehrli, Rechtsanwalt, Kaistenberg- strasse 4, 5070 Z. Beklagte B._, Zustelladresse: [...] Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Z. Sie bezweckt im We- sentlichen die Fabrikation von und den Handel mit Kunststein und Beton- elementen (Klagebeilage [KB] 2). 2. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Y. Sie bezweckt im We- sentlichen Brückensanierungen, Steinhauerarbeiten, Stocken, den Handel und die Verarbeitung von Natursteinen sowie Beratungen bei Sanierungen (KB 3). 3. 3.1. Die Beklagte lud die Klägerin im Herbst 2013 ein, spezifizierte Betonele- mente aus Kunststein für das H. Areal, Wohnüberbauung I., in X. zu offe- rieren. Die am 7. Januar 2014 an die Beklagte versandte Offerte umfasste vierundzwanzig nach Mass hergestellte Fenstereinfassungen sowie vier Fassadengurte zum Gesamtpreis von Fr. 64'605.60 (inkl. Mehrwertsteuer). Zusätzlich gewährte die Klägerin der Beklagten einen Rabatt von 5 % so- wie ein Skonto von 2 % ab Werk (KB 4). Die Offerte wurde von C., Ange- stellter der Klägerin, unterzeichnet. 3.2. Diese Offerte wurde am 20. Januar 2014 von einem Angestellten der Be- klagten unterzeichnet und der Klägerin retourniert (KB 4). 4. In der Folge lieferte die Klägerin die in der Offerte aufgeführten Betonele- mente in zwei Teillieferungen am 28. März und 25. April 2014 nach X. Am 30. April 2014 rechnete die Klägerin die erbrachten Leistungen ab. Nebst den gelieferten Betonelementen im Wert von Fr. 59'820.00 und den Trans- portkosten in Höhe von Fr. 2'450.00 wurden der zusätzlich erbrachte Kran- ablad und von der Beklagten zurückbehaltenes Transportmaterial im Ge- samtbetrag von Fr. 1'448.25 verrechnet. Insgesamt wurde der Beklagten nach Abzug des Rabatts in Höhe von 5 % und des Skontos in Höhe von 2 % ein Betrag von Fr. 64'067.45 (inkl. Mehrwertsteuer) in Rechnung ge- stellt. - 3 - 5. Mit Klage vom 18. Oktober 2018 (gleichentags elektronisch übermittelt) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: "1. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von CHF 64'067.45, nebst Zins zu 5% seit 30. Mai 2014, zu bezahlen. 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten." Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, sie habe einen vertragli- chen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Forderung. 6. Mit Klageantwort vom 3. Dezember 2018 (Postaufgabe: gleichentags) stellte die Beklagte innert der mit Verfügung vom 1. November 2018 ange- setzten Frist die folgenden Rechtsbegehren: "1. Die Klage gegen die [B.] über den Betrag von CHF 64'067.45, nebst Zins zu 5% seit 30. Mai 2014, ist zurückzuweisen. 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Klägerin. 3. Die Zeugen der D. sind nicht zuzulassen, da voreingenommen und die mündlichen Besprechung mit der schriftlichen Rückbestätigung seitens der Beklagten von der D. abgelehnt wurden." Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Schuld be- stehe nicht gegenüber ihr, sondern gegenüber der D. Diese habe die Schul- den übernommen. Zudem befinde sich die Beklagte in einem ausserge- richtlichen Sanierungsverfahren. In diesem Zusammenhang seien der Klä- gerin am 25. April 2015 und am 17. November 2017 Angebote zur Tilgung der Schuld mittels Sanierungsdividende unterbreitet worden, welche die Klägerin jedoch abgelehnt habe. 7. Mit Replik vom 30. Januar 2019 hielt die Klägerin an ihren Rechtsbegehren fest und fügte an, soweit die Beklagte mehr oder anderes fordere, seien ihre Begehren abzuweisen. 8. Mit Duplik vom 4. März 2019 hielt die Beklagte an ihren Rechtsbegehren fest. 9. 9.1. Mit Verfügung vom 29. April 2019 wurde die Beweisverfügung erlassen und die Parteien wurden angefragt, ob sie auf eine Hauptverhandlung verzich- ten möchten. - 4 - 9.2. Mit Eingaben je vom 10. Mai 2019 erklärten die Parteien den Verzicht auf eine Hauptverhandlung. 10. Mit Verfügung vom 15. Mai 2019 wurde die Streitsache an das Handelsge- richt überwiesen und das Handelsgericht bestellt. 11. Mit Eingabe vom 20. Mai 2019 reichte der Rechtsvertreter der Klägerin seine Honorarnote ein. Darin bezifferte er seinen Honoraranspruch inkl. Auslagen auf Fr. 9'231.95 (exkl. MwSt.) bzw. Fr. 9'942.80 (exkl. MwSt.). Die Honorarnote wurde der Beklagten mit Verfügung vom 21. Mai 2019 zur Kenntnis- und freiwilligen Stellungnahme zugestellt. Die Beklagte hat innert Frist keine Stellungnahme eingereicht. Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Die Prozessvoraussetzungen, namentlich die Zuständigkeit des angerufe- nen Gerichts, sind von Amtes wegen zu prüfen (Art. 60 ZPO). 1.1. Örtliche Zuständigkeit Für Klagen aus Vertrag ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder an dem Ort zuständig, an dem die charakteristische Leistung zu erbringen ist (Art. 31 ZPO). Bei Auftrag, Werkvertrag und ähnlichen Dienstleistungsgeschäften gilt die Dienstleistung als charakteristische Leis- tung.1 Der Erfüllungsort der vertragscharakteristischen Leistung bestimmt sich – Abreden eines anderweitigen Erfüllungsorts vorbehalten – nach dem Gesetz. Nach Art. 74 Abs. 2 Ziff. 3 OR befindet sich der Erfüllungsort am Wohnsitz des Schuldners der charakteristischen Leistung. Haben die Par- teien demgegenüber einen von der gesetzlichen Regelung abweichenden Erfüllungsort vereinbart, ist dieser massgebend. Der Erfüllungsort kann ausdrücklich oder konkludent vereinbart werden und bedarf keiner beson- deren Form (Art. 74 Abs. 1 OR). Art. 31 ZPO ist dispositiver Natur; von der Bestimmung kann durch Gerichtsstandsvereinbarung oder Einlassung ab- gewichen werden. Die Parteien vereinbarten nach unbestrittener klägerischer Darstellung, dass die offerierten Kunststeine in zwei Teillieferungen am 28. März 2013 [recte: 2014] und 25. April 2014 nach X. zu liefern seien (Klage N. II.1. und II.5.). Damit befinden sich sowohl der abweichend von der gesetzlichen Re- gelung vereinbarte Erfüllungsort (X.) als auch der Erfüllungsort i.S.v. Art. 74 1 BK ZPO-SUTTER-SOMM/HEDINGER, 3. Aufl. 2016, Art. 32 N. 29. - 5 - Abs. 2 Ziff. 3 OR (Z. als Sitz der Klägerin) im Kanton Aargau. Zudem hat sich die Beklagte auf das vorliegende Verfahren eingelassen, indem sie sich ohne Einrede der fehlenden Zuständigkeit zur Sache äusserte (vgl. Art. 18 ZPO). Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist damit gegeben. 1.2. Sachliche und funktionelle Zuständigkeit Sachlich ist das Handelsgericht zuständig, da die geschäftliche Tätigkeit beider Parteien betroffen ist (Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO), bei einem Streitwert von Fr. 64'067.45 die Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht offen steht (Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO i.V.m. Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) und beide Parteien im Schweizerischen Handelsregister eingetragen sind (Art. 6 Abs. 2 lit. c ZPO). Das Handelsgericht entscheidet als Kollegialgericht (§ 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO). 1.3. Die weiteren Prozessvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen An- lass. Auf die Klage ist einzutreten. 2. Vertragsentstehung 2.1. Parteibehauptungen Die Klägerin führte in ihrer Klage aus, auf Verlangen der Beklagten sei im Herbst 2013 eine Offerte erstellt worden. Diese sei von einem für Offerten bis Fr. 100'000.00 einzelunterschriftsberechtigten Sachbearbeiter unter- zeichnet und am 7. Januar 2014 an die Beklagte verschickt worden (Klage N. II.2.). Die Beklagte habe diese Offerte vorbehaltlos akzeptiert und am 20. Januar 2013 [recte: 2014] unterzeichnet. Gemäss Usanz der Beklagten sei die Offerte nur von einem mit einer Kollektiv-Prokura zu zweien ausge- statteten Mitarbeiter unterschrieben worden. Die Beklagte habe um den Umstand gewusst, dass ihr Kollektiv-Prokurist als Einzelprokurist handle. Zudem habe die Beklagte den mit Unterzeichnung der Offerte geschlosse- nen Vertrag nachträglich genehmigt (Klage N. II.4.). Die Beklagte bestritt diese klägerischen Tatsachenbehauptungen nicht. 2.2. Rechtliches 2.2.1. Allgemein Zum Abschluss eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich. Die Willensäusserungen kön- nen ausdrücklich oder stillschweigend sein (Art. 1 OR). Die vorbehaltlose Annahme einer Offerte i.S.v. Art. 3 ff. OR führt zum Abschluss eines Ver- trags. 2.2.2. Zur Prokura Das Geschäftsführungsrecht einer Aktiengesellschaft kommt in erster Linie dem Verwaltungsrat zu (Art. 716 Abs. 2 OR). Allerdings kann auch eine zur - 6 - kaufmännischen Stellvertretung (Prokura und andere Handlungsvollmach- ten) berechtigte Person die Gesellschaft gegen aussen binden (Art. 458 ff. OR). Die Bevollmächtigung kann gemäss Art. 458 Abs. 1 OR ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen und ist zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden.2 Eine Prokura kann mehreren Personen zu gemeinsamer Unterschrift erteilt werden (sog. Kollektiv-Prokura; Art. 460 Abs. 2 OR). Im Falle einer Kollek- tiv-Prokura entfaltet die Unterschrift des Einzelnen ohne die vorgeschrie- bene Mitwirkung der übrigen Personen dem Grundsatz nach keine Bin- dungswirkung, auch für einen gutgläubigen Dritten nicht. Dies folgt einer- seits ausdrücklich aus Art. 460 Abs. 2 OR und anderseits aus der positiven Publizitätswirkung des Handelsregisters (Art. 933 Abs. 1 OR). Weil das Gesetz eine stillschweigende Begründung der Prokura zulässt (Art. 458 OR) und der Geschäftsherr den Vertrag genehmigen oder ableh- nen kann (Art. 38 OR), muss konsequenterweise auch die stillschweigende Erweiterung der kaufmännischen Geschäftsführungsvollmacht möglich sein.3 Eine solche Erweiterung ist etwa dadurch möglich, dass ein anderer Zeichnungsberechtigter dem Rechtsakt ausdrücklich oder stillschweigend zustimmt bzw. diesen nachträglich genehmigt.4 Die Genehmigung ist grundsätzlich an keine Form gebunden, notwendig ist jedoch ein Verhalten, das den Dritten zur Annahme berechtigt, der Vertre- tene sei mit dem Geschäft einverstanden.5 Das Verhalten des Vertretenen ist nach dem Vertrauensprinzip auszulegen.6 Die Genehmigung des Rechtsgeschäfts – sei es ausdrücklich oder stillschweigend – heilt die feh- lende Vollmacht. 2.3. Würdigung Die Klägerin stützt ihre Forderung auf die der Beklagten am 7. Januar 2014 unterbreiteten und von E., einem Kollektiv-Prokuristen der Beklagten, am 20. Januar 2014 unterzeichnet zurückgesendeten Offerte (Klage N. II.4. und II.5.; KB 4). Dabei ist unbestritten, dass der Gegenstand der unter- zeichneten Offerte vom Gesellschaftszweck der Parteien umfasst ist. Da der Sachbearbeiter der Klägerin gemäss interner Unterschriftsregelung für Offerten bis Fr. 100'000 einzelunterschriftsberechtigt war (KB 5), wurde die Offerte rechtsgültig der Beklagten unterbreitet. Überdies hat die Klägerin durch die Ausführung der Arbeiten unmissverständlich zu erkennen gege- ben, dass sie sich durch die Offerte gebunden fühlte. 2 BGE 118 IV 167 E. 1. 3 BK OR-GAUTSCHI, 1962, Art. 460 N. 9b. 4 BGE 58 II 160. 5 BGE 93 II 302 E. 4. 6 BGE 101 II 222 E. 6b/bb. - 7 - Hingegen war E. als Kollektiv-Prokurist der Beklagten gemäss Handelsre- gisterauszug nicht alleine zum Vertragsabschluss berechtigt. Die Beklagte hat allerdings die klägerischen Tatsachenbehauptungen in Bezug auf die Einzelvertretungsermächtigung bzw. den tatsächlichen Konsens nicht be- stritten. Der Vertrag zwischen den Parteien ist rechtsgültig zustande ge- kommen. 3. Vertragsqualifikation 3.1. Parteibehauptungen Die Klägerin führt aus, Gegenstand des Vertrags sei die Herstellung nach Mass von Betonelementen aus Kunststein (Klage N. II.1. und II.5.) und die anschliessende Lieferung der Kunststeine in zwei Teillieferungen am 23. März 2013 [recte: 2014] und 25. April 2014 nach X. gewesen (Klage N. II.5.). Die Beklagte bestreitet diese Behauptungen nicht. 3.2. Rechtslage Durch einen Kaufvertrag verpflichtet sich der Verkäufer, dem Käufer den Kaufgegenstand zu übergeben und ihm das Eigentum daran zu verschaf- fen, und der Käufer, dem Verkäufer den Kaufpreis zu bezahlen (Art. 184 Abs. 1 OR). Durch den Werkvertrag hingegen verpflichtet sich der Unter- nehmer zur Herstellung eines Werkes und der Besteller zur Leistung einer Vergütung (Art. 363 OR).7 Schuldet der Unternehmer nur die Herstellung des Werkes, nicht aber die Lieferung des Werkstoffs, liegt ein schlichter Werkvertrag vor. Schuldet der Unternehmer aber neben der Herstellung des Werks auch die Lieferung des Werkstoffs, handelt es sich um einen Werklieferungsvertrag.8 Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen Kauf und Werkvertrag ist das Verhältnis zwischen Arbeitsleistung und Sachleistung im konkreten Einzelfall.9 Ein Werkvertrag liegt vor, wenn der Vertragsgegenstand auf- grund besonderer Wünsche oder Weisungen des Bestellers oder der indi- viduellen Wahl aus Vorschlägen und Mustern des Unternehmers eine per- sönliche Prägung annimmt; mithin die tatsächliche Bedeutung der Arbeit im Vordergrund steht.10 Bei einem Kaufvertrag wäre der Hersteller der Ware demgegenüber auch für einen anonymen Markt tätig geworden. Auch se- rienmässige Produktionen sprechen für einen Kauf.11 3.3. Würdigung Gegenstand des Vertrages waren laut Klägerin 24 Fenstereinfassungen aus Kunststein, leicht sandgestrahlt (1 mm), in drei verschiedenen Grössen 7 BSK OR I-ZINDEL/PULVER/SCHOTT, 6. Aufl. 2015, Art. 363 N. 21. 8 GAUCH, Der Werkvertrag, 5. Aufl. 2011, N. 121. 9 BSK OR I-ZINDEL/PULVER/SCHOTT (Fn. 7), Art. 363 N. 22. 10 Zum Ganzen: GAUCH (Fn. 8), N. 133; BSK OR I-ZINDEL/PULVER/SCHOTT (Fn. 7), Art. 363 N. 22. ZK OR-SCHÖNLE, 3. Aufl. 1993, Art. 184 N. 133; vgl. auch BGE 117 II 273 E. 3a. 11 ZK OR-SCHÖNLE (Fn. 10), Art. 184 N. 133 f. - 8 - (194 cm x 290.2 cm; 194 cm x 282.2 cm; 194 cm x 267.7 cm) sowie vier Fassadengurte der Dimension 150 cm x 10 cm x 21.2 cm (Klage N. II.3 und KB 4). Zudem wurde die Lieferung der Ware nach X. vereinbart (Klage N. II.5). Die Beklagte bestreitet diese Tatsachenbehauptungen der Klägerin nicht. Damit ist erstellt, dass Fenstereinfassungen und Fassadengurte auf Bestellung der Beklagten nach Mass und in bestimmter Ausführung herge- stellt wurden. Der Vertrag beinhaltete die Herstellung individuell bestimm- barer Sachen - nach spezifischen Vorgaben vorfabrizierte Kunststeinele- mente -, welche für den anonymen Markt nicht hergestellt worden wären, sowie die Übertragung des Eigentums von der Herstellerin auf die Bestel- lerin mittels Lieferung nach X. Die Klägerin war verpflichtet, den Werkstoff selber zu beschaffen. Es liegt somit kein Kauf-, sondern ein Werkliefe- rungsvertrag vor. 4. Vergütungsanspruch 4.1. Parteibehauptungen Die Klägerin führt aus, die Schlussrechnung vom 30. April 2014 habe nebst der bestellten Betonelemente und der Transportkosten noch von der Klä- gerin zusätzlich erbrachte Leistungen bzw. von der Beklagten zurückbehal- tenes Material enthalten. Die Beklagte habe den abgerechneten Betrag nicht moniert, sondern mit Brief vom 2. Mai 2014 implizit bestätigt (Klage N. II.5). Die Beklagte äussert sich in ihrer Klageantwort nicht zum Vergü- tungsanspruch und beantragt einzig, die Klage über den Betrag von Fr. 64'067.45 nebst Zins zu 5 % seit 30. Mai 2014 sei "zurückzuweisen" (Antwort, Rechtsbegehren 1). 4.2. Rechtslage Wurde die Vergütung eines Werkes zum Voraus genau bestimmt, so ist der Unternehmer verpflichtet, das Werk für diese Summe fertigzustellen, und darf keine Erhöhung fordern, selbst wenn er mehr Arbeit oder grössere Auslagen gehabt hat, als vorgesehen war (Art. 373 Abs. 1 OR). Diese Fest- preisabrede muss nicht ausdrücklich erfolgt sein, eine konkludente, sich aus den Umständen ergebende Abrede reicht aus. Selbstredend berechtigt aber eine Bestellungsänderung in Form einer Vertragsergänzung zu einer Preiserhöhung durch den Unternehmer.12 Eine solche Bestellungsände- rung kann gemäss Art. 1 Abs. 1 OR auch stillschweigend vereinbart wer- den, ist jedoch nicht leichthin anzunehmen.13 4.3. Würdigung Die Rechnung vom 30. April 2014 weist verschiedene Beträge aus, na- mentlich für die gelieferten Steine, die Fassadengurte, einen Transportkos- ten-Anteil, die Kosten des Kranablads sowie des nicht retournierten Mate- 12 GAUCH (Fn. 8), N. 904 f. 13 GAUCH (Fn. 8), N. 771 u. 1310. - 9 - rials (KB 8). Die Rechnung umfasste auch zusätzliche, nicht offerierte Be- träge. Die Beklagte bestreitet den Konsens in Bezug auf eine Vertragser- gänzung nicht und hat gemäss unbestrittener klägerischer Behauptung im- plizit bestätigt, dass der in Rechnung gestellte Betrag korrekt sei (Klage N. II.5.). Die Klägerin hat damit Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung. Die Beklagte schuldet der Klägerin (unter Vorbehalt einer gültig erfolgten privativen externen Schuldübernahme) den Rechnungsbetrag in Höhe von Fr. 64'067.45. 5. Zur Schuldübernahme 5.1. Parteibehauptungen 5.1.1. Klägerin Die Klägerin führt in ihrer Klage aus, die Beklagte habe ihr mitgeteilt, der Rechnungsbetrag über CHF 64'067.45 würde direkt durch die D. bezahlt. Die D. habe diese Schuld jedoch weder beglichen noch sei eine privative Schuldübernahme erfolgt. Schuldnerin der Forderung sei somit nach wie vor die Beklagte (Klage N. II.7.). 5.1.2. Beklagte Die Beklagte behauptet, es sei mit der D. mündlich vereinbart worden, sämtliche Rechnungen der Klägerin würden direkt von der D. beglichen. Dies habe die Beklagte schriftlich festgehalten und der D. zugestellt, wel- che die Vereinbarung in der Folge jedoch bestritten habe (Antwort, Ausfüh- rungen zu Beilage 1). 5.2. Rechtslage Wer einem Schuldner verspricht, seine Schuld zu übernehmen, verpflichtet sich, ihn von der Schuld zu befreien, sei es durch Befriedigung des Gläubi- gers oder dadurch, dass er sich an seiner Statt mit Zustimmung des Gläu- bigers zu dessen Schuldner macht (Art. 175 Abs. 1 OR; interne Schuld- übernahme). Die externe Schuldübernahme ist ein Vertrag zwischen dem Übernehmer und dem Gläubiger zur Übernahme der Schuld. Erst mit einer externen Schuldübernahme hat diese Wirkung gegenüber dem Gläubiger. Es wird zwischen der eigentlichen (sog. privativen) und der kumulativen Schuldübernahme unterschieden. Bei der privativen Schuldübernahme tritt der Übernehmer an die Stelle des Schuldners und wird neuer Schuldner, während bei der kumulativen Schuldübernahme ein zusätzlicher Schuldner eintritt, fortan also zwei Schuldner bestehen.14 Der Eintritt eines Schuldübernehmers in das Schuldverhältnis an Stelle und mit Befreiung des bisherigen Schuldners (privative Schuldübernahme) er- folgt durch Vertrag des Übernehmers mit dem Gläubiger (Art. 176 Abs. 1 OR). Der Vertrag ist formlos gültig und kommt durch den Austausch über- einstimmender gegenseitiger Willenserklärungen von Übernehmer und 14 BK OR-BECKER, 1945, Vorbemerkungen zu Art. 175-183 (Schuldübernahme) N. 5. - 10 - Gläubiger mittels Antrag und Annahme zustande.15 Der Antrag des Über- nehmers kann dadurch erfolgen, dass er, oder mit seiner Ermächtigung der bisherige Schuldner, dem Gläubiger von der Übernahme der Schuld Mittei- lung macht (Art. 176 Abs. 2 OR). Die externe Schuldübernahme führt zu einem Schuldnerwechsel, indem der bisherige Schuldner befreit wird und der Übernehmer in der gleichen Art und im gleichen Umfang verpflichtet wird, wie es der Schuldner zur Zeit der Schuldübernahme war. 5.3. Würdigung Die Beklagte behauptet, sie hätte mit der D. eine Schuldübernahme verein- bart. Gemäss Art. 8 ZGB hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Bestreitet die Klägerin die behauptete privative Schuldübernahme, so hat die Beklagte diese zu beweisen. Das gelingt ihr jedoch nicht, offeriert sie doch keinerlei Beweise für ihre Behauptung. Eine Befragung der von der Klägerin in diesem Zu- sammenhang angerufenen Zeugen erübrigt sich, da sie nicht beweisbelas- tet ist. Im Ergebnis kann die Beklagte eine privative Schuldübernahme durch die D. nicht beweisen. Die Beklagte ist weiterhin Schuldnerin der Klägerin und hat deren Forderung zu bezahlen. 6. Verzugszinsen 6.1. Parteibehauptungen Die Klägerin verlangt Verzugszinsen von 5 % auf Fr. 64'067.45 seit 30. Mai 2014 (Klage N. II.8). Die Beklagte äussert sich nicht zu den Verzugszinsen. 6.2. Rechtslage Der Schuldner hat Verzugszins von 5 % zu leisten, wenn er sich mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug befindet (Art. 104 Abs. 1 OR). Schuld- nerverzug setzt die Fälligkeit der Forderung voraus (Art. 102 Abs. 1 OR). Fällig ist eine Forderung dann, wenn deren Gläubiger die Leistung fordern und einklagen darf. Dabei gilt der Grundsatz, dass eine Forderung sofort fällig wird, sofern nichts anderes verabredet wurde oder sich aus der Natur des Rechtsverhältnisses ergibt (Art. 75 OR). Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, sofern die Parteien einen bestimmten Verfalltag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten 15 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht, 10. Aufl. 2014, N. 3510 ff. - 11 - Zahlungsfrist, wie beispielsweise „zahlbar 30 Tage netto“, ohne weitere Mahnung in Verzug.16 6.3. Würdigung Indem die Klägerin behauptet, die Beklagte befinde sich seit dem 30. Mai 2014 in Verzug, behauptet sie implizit auch die Zustellung der Rechnung an die Beklagte. Diese Behauptung wurde von der Beklagten nicht bestrit- ten. Die Klägerin verlangt Verzugszins ab 30. Mai 2014 ("zahlbar innert 30 Tagen ab Fakturadatum") und stellt damit auf den Tag des Ablaufs der mit der Rechnung vom 30. April 2014 gesetzten Zahlungsfrist ab (KB 8). Da die entsprechende Rechnung innerhalb von 30 Tagen zahlbar war, fiel die Beklagte ab dem 31. Tag, in casu dem 31. Mai 2014, in Verzug.17 Der Klägerin sind somit die beantragten Verzugszinsen ab dem 31. Mai 2014 auf den Betrag von Fr. 64'067.45 zuzusprechen. 7. Kosten Schliesslich sind die Kosten entsprechend dem Verfahrensausgang zu ver- legen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteientschädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Klägerin obsiegt beinahe vollständig (mit Aus- nahme des Antrags auf Zusprechung von Verzugszinsen auch für den 30. Mai 2014). Bei diesem Verfahrensausgang sind die Prozesskosten voll- umfänglich der Beklagten aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). 7.1. Die Gerichtskosten bestehen aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Gerichtsgebühr beträgt bei einem Streitwert von Fr. 64'067.45 (Zinsen werden nicht mitgerechnet; Art. 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO) rund Fr. 5'254.70 (§ 7 Abs. 1 VKD). Die Gerichtskosten sind aus- gangsgemäss von der Beklagten zu tragen und werden mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 5'254.70 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat der Klägerin die Gerichtskosten von Fr. 5'254.70 direkt zu ersetzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). 7.2. Die Parteientschädigung besteht aus den Kosten der berufsmässigen Ver- tretung der Parteien (Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO). Bei ihrer Festsetzung ist von den kantonalen Tarifen auszugehen (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 96 ZPO). Gemäss § 3 ff. AnwT bemisst sich die Parteientschädigung grundsätzlich nach dem Streitwert, welcher vorliegend Fr. 64'067.45 beträgt. Die Grun- dentschädigung beläuft sich auf Fr. 9'836.07 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 AnwT), 16 AGVE 2003, S. 38; BSK OR I-WIEGAND (Fn. 7), Art. 102 N. 9; BK OR-WEBER, 2000, Art. 102 N. 115 m.w.N.; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2009, S. 882 N. 33. 17 Für die Fristberechnung vgl. VETTER/BUFF, Verzugszinsen bei "zahlbar innert 30 Tagen", SJZ 2019, S. 151. - 12 - womit eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Ver- handlung abgegolten sind (§ 6 Abs. 1 AnwT). Die Parteien haben Replik und Duplik erstattet und auf eine Hauptverhandlung verzichtet. Die Erhö- hung der Grundgebühr um 20 % für die Replik als zweite Rechtschrift (§ 3 Abs. 2 AnwT) wird von deren Reduktion um 20 % wegen der nicht durch- geführten Hauptverhandlung (§ 6 Abs. 3 AnwT) kompensiert. Hinzu kommt der pauschale Auslagenersatz von praxisgemäss rund 3 % (§ 13 AnwT). Nach dem Anwaltstarif hat die Klägerin damit grundsätzlich Anspruch auf Fr. 10'131.00. Mit Eingabe vom 20. Mai 2019 (gleichentags elektronisch übermittelt) hat der Rechtsvertreter der Klägerin eine Honorarnote ins Recht gelegt, in wel- cher er ein Gesamttotal der Kosten von Fr. 9'231.95 (exkl. MwSt.) bzw. Fr. 9'942.80 (inkl. MwSt.) ausweist. Die Einreichung einer Honorarnote durch die Parteien ist freiwillig (Art. 105 Abs. 2 ZPO). Wird eine solche ins Recht gelegt, ist sie vom Gericht zu berücksichtigen. Übersteigt die Partei- entschädigung gemäss Anwaltstarif die in der Honorarnote ausgewiesenen Kosten der Rechtsvertretung, so hat das Gericht im Rahmen der Dispositi- onsmaxime auf die tieferen, tatsächlich beantragten Kosten abzustellen. Vorliegend ist der Klägerin mithin eine Parteientschädigung in Höhe der von ihr ausgewiesenen Kosten (Fr. 9'231.95 [exkl. MwSt.]) zuzusprechen. Ein Mehrwertsteuerzuschlag bei der Bemessung der Parteientschädigung setzt einen entsprechenden Antrag voraus, welcher vorliegend während des Schriftenwechsels nicht gestellt wurde und aufgrund des bereits abge- schlossenen Schriftenwechsels nur unter den Voraussetzungen von Art. 230 ZPO noch gestellt werden könnte. Die Klägerin macht keine ent- sprechenden Ausführungen. Es ist denn auch nicht ersichtlich, auf welche Noven sich die Klägerin stützen würde. Ohnehin ist die Klägerin selbst mehrwertsteuerpflichtig,18 womit sie die Mehrwertsteuer des Rechtsvertre- ters als Vorsteuer von ihrer eigenen Mehrwertsteuerrechnung in Abzug bringen kann. Die Mehrwertsteuer stellt für die Klägerin damit keinen zu- sätzlichen Kostenfaktor dar und ist bei der Bemessung der Parteientschä- digung nicht zu berücksichtigen. Die Beklagte hat der Klägerin somit eine Parteientschädigung in Höhe von Fr. 9'231.95 zu bezahlen. 18 Vgl. <https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-108.085.420> (zuletzt besucht am 8. Juli 2019). - 13 - Das Handelsgericht erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung der Klage wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 64'067.45 nebst Zins zu 5 % seit 31. Mai 2014 zu bezahlen. 2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 3. Die Gerichtskosten von Fr. 5'254.70 werden der Beklagten auferlegt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 5'254.70 verrechnet. Die Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 5'254.70 di- rekt zu ersetzen. 4. Die Beklagte hat der Klägerin eine gerichtlich festgesetzte Parteientschä- digung in Höhe von Fr. 9'231.95 zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) die Beklagte 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 14 - Aarau, 30. Juni 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: Dubs Schmutz
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AG_HG_002
AG_HG
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https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_30._Juni_2019.pdf
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2004 Obergericht/Handelsgericht 62 [...] 15 Art. 13 BGFA; Entbindung vom Anwaltsgeheimnis Keine Entbindung vom Anwaltsgeheimnis, wenn der Anwalt in einem vom ehemaligen Klienten angehobenen Forderungsprozess, welcher nichts mit dem ursprünglichen Mandatsverhältnis zu tun hat, zur Ab- wehr der Forderung bzw. Begründung einer Gegenforderung Kenntnisse aus diesem ursprünglichen Mandatsverhältnis verwenden will. Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 25. Februar 2004 i.S. M. H. Aus den Erwägungen 3. [...] e) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Gesuchsteller zwar Beklagter in einem Forderungsstreit ist, dass es aber bei diesem Forderungsstreit nicht um eine Forderung aus dem Mandatsverhält- nis geht, weshalb eine Preisgabe des Anwaltsgeheimnisses nicht nötig scheint. Der Streithelfer, der selber in dieser Angelegenheit nicht dem Anwaltsgeheimnis untersteht (er ist im Übrigen Finanz- planungsexperte), verfügt über die gleichen Kenntnisse wie der Ge- suchsteller und kann diese auch in den Prozess einbringen. Sollte es sich im Verlaufe des Prozesses ergeben, dass auch die Aussage des Gesuchstellers unbedingt nötig ist, könnte er sein Gesuch in diesem Zeitpunkt, ev. nach entsprechender Aufforderung durch das Gericht, erneut stellen.
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AG_HG_001
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AG_HG_001_AGVE-2004-15_2004-02-25
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-15.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-15.pdf
AGVE_2004_15
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2002 Strafrecht 87 IV. Strafrecht 28 Art. 261 bis StGB, die Voraussetzung der Öffentlichkeit bei der Rassendis- kriminierung; Zusammenfassung der Rechtsprechung. Der Eingangsbereich eines Selbstbedienungsgeschäfts ist grundsätzlich als öffentlich zu qualifizieren. Dies führt jedoch nicht dazu, dass jedes Gespräch an diesem Ort als an einen unbestimmten Adressatenkreis ge- richtet zu gelten hätte. Aus dem Urteil des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 17. September 2002 i.S. StA gegen M.S. Aus den Erwägungen c) aa) Wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskrimi- niert, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft (Art. 261 bis Abs. 4 StGB). Die Vorinstanz hat in ihrem Urteil die Tatbestandsvorausset- zungen korrekt aufgeführt, und es kann darauf verwiesen werden (Urteil S. 3 f.). Die Verwirklichung des in Frage stehenden Tatbestands von Art. 261 bis Abs. 4 StGB verlangt, dass die Herabsetzung oder Diskri- minierung öffentlich erfolgt. Öffentlich ist eine Äusserung nach all- gemeiner Auffassung, wenn sie von unbestimmt vielen Personen oder von einem grösseren, nicht durch persönliche Beziehungen zu- sammenhängenden Personenkreis wahrgenommen werden kann (BGE 123 IV 202 E. 3d S. 208; Trechsel, Schweizerisches Strafge- setzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997, N 3a zu Art. 259, N 3 zu Art. 261 und N 15 zu Art. 261 bis ; BGE, Kassationshof, vom 30. Mai 2002 i.S. R. B., S. 6 mit weiteren Hinweisen [6S.635/2001]). 2002 Obergericht/Handelsgericht 88 Ob Öffentlichkeit gegeben ist, hängt von den gesamten Umständen ab, deren Tragweite unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der in Betracht fallenden Strafbestimmung und des dadurch geschützten Rechtsguts zu bewerten ist. Dazu gehören u.a. einerseits der Ort, an dem die Äusserung getätigt wird, und andererseits, bei Äusserung gegenüber einem bestimmten begrenzten Personenkreis, die Zahl der Adressaten und die Beziehung des Urhebers der Äusserung zu die- sen, wovon u.a. auch abhängt, wie hoch das Risiko einer Weiterver- breitung der Äusserung durch einzelne Adressaten ist (vgl. BGE 126 IV 176 E. 2c-e S. 178 ff.; BGE 126 IV 20 E. 1d, S. 25 f.; BGE vom 30. Mai 2002 i.S. R.B., a.a.O., S. 7). Eine Äusserung, die an einem Ort getan wird, wo sie von unbestimmt vielen Personen wahrgenom- men werden könnte, kann auch dann eine öffentliche sein, wenn sie tatsächlich nur von zwei Personen zur Kenntnis genommen wird (BGE 126 IV 176 E. 2c/aa, S. 178 f.; BGE vom 30. Mai 2002 i.S. R.B., a.a.O., S. 7). Da das Risiko der Weiterverbreitung nie ausge- schlossen werden, sondern nur grösser oder kleiner sein kann, ist eine an wenige Personen gerichtete Äusserung nicht schon dann öf- fentlich, wenn das Risiko gross ist, sondern nur, wenn die Äusserung tatsächlich an einen grösseren Personenkreis weiterverbreitet wird. Das Ausmass des Risikos selbst ist als solches nur für den subjekti- ven Tatbestand von Bedeutung (eingehend zur Frage des Risikos der Weiterverbreitung BGE 126 IV 176 E. 2e S. 180 f.) bb) (...) cc) (...) Richtig ist die Feststellung der Vorinstanz, der Ein- gangsbereich und der Einkaufsladen der Coop-Filiale in X. seien als öffentlich zu qualifizieren, falsch allerdings die Folgerung, dies be- deute, dass Gespräche, die an diesen Orten stattfinden, immer als öffentlich und an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet zu bezeichnen wären, denn es kommt auch hier auf die konkreten Um- stände an. In aller Regel werden private Gespräche in oder um einen grösseren Selbstbedienungsladen, wie es der Coop in X. ist, abge- sehen von zusammenhangslosen Gesprächsfetzen, nur von den Be- teiligten wahrgenommen. Das Mitverfolgen durch Dritte bedürfte deren unmittelbare Nähe, z.B. beim Anstehen an der Kasse. Solche Umstände müssten sich jedoch aus dem Sachverhalt konkret erge- 2002 Strafrecht 89 ben, und eine verallgemeinernde Aussage, wie sie die Vorinstanz dazu gemacht hat, reicht zur Qualifikation als öffentliches Gespräch, d.h. dass unbestimmt viele Personen es verfolgen könnten, nicht aus. Grundsätzlich bleibt es somit dabei, dass Gespräche von verschiede- nen Personen in einem grösseren Selbstbedienungsladen nicht ohne Vorliegen besonderer Umstände als öffentlich bezeichnet werden können. Dies ist ohne weiteres dann der Fall, wenn das Gespräch lautstark geführt wird oder die Äusserungen gar in einem Ausrufen bestehen (vgl. BGE vom 30. Mai 2002 i.S. R.B., a.a.O. S. 8).
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AG_HG
AG
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2003 Zivilprozessrecht 63 [...] 16 § 113 ZPO; Verteilung Gerichts- und Parteikosten Bei Entmündigungsverfahren rechtfertigt es sich aufgrund der besonde- ren Interessenlage den Kläger nicht das gesamte Prozessrisiko tragen zu lassen. Bei der Abweisung der Entmündigungsklage bestehen daher be- sondere Umstände, die in der Regel die Halbierung der erstinstanzlichen Gerichtskosten und die Wettschlagung derselben Parteikosten als billig erscheinen lassen (§ 113 lit. d ZPO), es sei denn der Kläger habe die Klage leichtfertig oder voreilig eingereicht. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 8. September 2003, i.S. Gemeinde Z. ca. J.L. Aus den Erwägungen: 2. a) Mit Urteil vom 5. Dezember 2002 wies das Bezirksgericht Z. die Klage auf Entmündigung der Beklagten nach Art. 369 ZGB ab und hielt gestützt auf das psychiatrische Gutachten vom 29. Mai 2002 fest, die Beklagte leide zwar an einer anhaltenden wahnhaften Störung, sie vermöge aber trotz Geistesschwäche ihre Angelegen- heiten selber zu besorgen. Die Kosten wurden der Beklagten unter Hinweis auf § 113 lit. c ZPO auferlegt. b) Im Entmündigungsverfahren bestimmt sich die Verlegung der Verfahrenskosten nach kantonalem Recht (BGE 82 II 283 E. 5). Massgebend sind daher die §§ 112 ff. der aargauischen Zivilprozess- ordnung. Nach § 112 Abs. 1 ZPO werden die Gerichtskosten und die Parteikosten des Gegners in der Regel der unterliegenden Partei auf- 2003 Obergericht/Handelsgericht 64 erlegt. Von der Regel des § 112 ZPO kann der Richter in besonderen Fällen abweichen und über die Tragung der Kosten nach Ermessen entscheiden, so namentlich, wenn sich die unterliegende Partei in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sehen konnte oder die Höhe der Forderung von der Ausmittlung durch Sachverständige bzw. vom richterlichen Ermessen abhängig war (§ 113 lit. b ZPO), in personen-, familien- und erbrechtlichen Streitsachen sowie in andern Streitsachen zwischen Verwandten und Verschwägerten (§ 113 lit. c ZPO) oder wenn andere Umstände vorliegen, die eine Abweichung von den Regeln des § 112 ZPO als billig erscheinen lassen (§ 113 lit. d ZPO). c) Das schweizerische Zivilgesetzbuch ist in vier Teile geglie- dert und umfasst die Kapitel Personen-, Familien-, Erb- und Sachen- recht. Bestandteil des zweiten Teils, d.h. des Familienrechts, bildet als dritte Abteilung die Vormundschaft (Art. 360 ff. ZGB). Aufgrund der vom Zivilgesetzbuch vorgegebenen Systematik ist eine abwei- chende Kostenregelung in vormundschaftsrechtlichen Streitsachen unter Hinweis auf das Vorliegen einer familienrechtlichen Streitigkeit (§ 113 lit. c ZPO) grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Stehen sich wie bei der Entmündigungsklage Behörde und Privater gegenüber, ist die Notwendigkeit für ein Abweichen von der allgemeinen Kosten- regelung aber nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen bei diesen Prozessparteien keine innerfamiliären Spannungsverhältnisse, die durch den Kostenentscheid entlastet werden könnten. Ebenso wenig kann die unterschiedliche ökonomische Leistungsfähigkeit zu einem Abweichen zu Ungunsten des mit der Entmündigungsklage belaste- ten Beklagten führen, weshalb die vorinstanzliche Begründung des Kostenentscheides einer Überprüfung nicht Stand hält. d) Bei Entmündigungsverfahren besteht indessen die Besonder- heit, dass der Kläger nicht in eigenem, sondern im Interesse des zu entmündigenden Beklagten tätig wird und das Verfahren einleiten muss , sobald nach seiner vorläufigen Beurteilung das Bedürfnis nach einer Entmündigung besteht (Schnyder/Murer, Berner Kommentar, 3. A, Bern 1984, N 185 zu Art. 373 ZGB; Geiser, Basler Kommentar, 2. A., Basel 2002, N 22 zu Art. 373 ZGB; ARGVP 1997 S. 41 ff.). Diese Interessenlage rechtfertigt es, den Kläger nicht das gesamte 2003 Zivilprozessrecht 65 Prozessrisiko tragen zu lassen. In solchen Verfahren bestehen daher besondere Umstände, die bei der Abweisung der Entmündigungs- klage ein Abweichen von der allgemeinen Regel nach § 112 ZPO als billig erscheinen lassen (§ 113 lit. d ZPO), es sei denn, der Kläger habe die Klage voreilig oder leichtfertig eingereicht. Um auch den Interessen des in den Entmündigungsprozess eingebundenen Be- klagten gerecht zu werden, können entgegen der vorinstanzlichen Auffassung im Regelfall aber nicht die gesamten Kosten dem Be- klagten auferlegt werden. Ein Ausgleich wird erreicht, indem die Verfahrenskosten den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen und die Parteikosten wettzuschlagen sind. e) Aufgrund der Akten ergibt sich, dass der Kläger die Klage nicht voreilig oder leichtfertig eingereicht hat, nachdem er bereits über mehrere Jahre erfolglos versucht hatte, auf einvernehmlicher Basis eine Lösung zu finden, und selbst das Gutachten der Psychia- trischen Dienste des Kantons Aargau vom 29. Mai 2002 zum Schluss kam, die bei der Beklagten anhaltende wahnhafte Störung entspreche einer Geistesschwäche im Sinne des Gesetzes, welche sie allerdings nicht wesentlich daran hindere, ihre persönlichen Angelegenheiten zu besorgen, zumal sich die Situation durch die inzwischen erfolgte Hofübergabe entschärft habe. Damit hatte der Kläger ernsthafte An- haltspunkte zur Klageinreichung, weshalb es sich rechtfertigt, die erstinstanzlichen Verfahrenskosten in Anwendung von § 113 lit. d ZPO den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen und die Parteikosten wettzuschlagen. Der Anteil des Klägers an den Gerichtskosten ist nach § 118 ZPO auf die Staatskasse zu nehmen, da dieser die Klage in amtlicher Eigenschaft eingereicht hat.
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AG_HG
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Northwestern_Switzerland
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2004 Obergericht/Handelsgericht 56 [...] 11 § 423 ZPO; Vollstreckung Bei der Vollstreckung von Urteilen anderer Kantone ist auf deren Voll- streckbarkeit abzustellen, wobei sich aus dem Recht des Urteilskantons ergibt, ob ein Entscheid rechtskräftig bzw. vollstreckbar ist. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 10. November 2004, i.S. R. AG ca. K. GmbH Aus den Erwägungen 2. a) Nach § 423 ZPO werden Urteile ausserkantonaler Gerichte und ihnen gleichgestellte Entscheide nach aArt. 61 BV in Verbin- dung mit Art. 81 Abs. 2 SchKG sowie Art. 44 des Konkordates über die Schiedsgerichtsbarkeit vollstreckt. Aufgrund des Verweises auf den inhaltlich mit aArt. 61 BV übereinstimmenden Art. 122 Abs. 3 BV bedeutet dies, dass Zivilurteile ausserkantonaler Gerichte im Kanton Aargau vollstreckbar sind, wenn sie formell rechtskräftig sind. Auch für die Vollstreckung innerkantonaler Urteile wird nach § 422 ZPO die formelle Rechtskraft des Entscheides vorausgesetzt. Bei im summarischen Verfahren ergangenen Verfügungen kann aller- dings der Instruktionsrichter des Obergerichts nach § 298 Abs. 3 ZPO dem ordentlichen Rechtsmittel der Beschwerde die aufschie- bende Wirkung entziehen und den angefochtenen Entscheid ganz oder teilweise als vorläufig vollstreckbar erklären. Es liegt dann ein Vollstreckungstitel im Sinne von § 422 ZPO vor (Bühler/Edelmann/ Killer, Kommentar zur aarg. Zivilprozessordnung, 2. A., Aarau 1998, N 6 zu § 298 ZPO). Da weder der Wortlaut der §§ 422 und 423 ZPO noch andere Umstände darauf hindeuten, dass der kantonale Gesetz- geber inner- und ausserkantonale Urteile unterschiedlich behandeln wollte, ist für die Vollstreckung von Urteilen anderer Kantone eben- 2004 Zivilprozessrecht 57 falls auf deren Vollstreckbarkeit abzustellen, wobei sich aus dem Recht des Urteilskantons ergibt, ob ein Entscheid rechtskräftig bzw. vollstreckbar ist (BGE 87 I 69; Guldener, Schweizerisches Zivilpro- zessrecht, Zürich 1979, S. 618, N 13b/cc; vgl. auch Leuch/Mar- bach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. A., Bern 2000, N 4a zu Art. 398, wo darauf hingewiesen wird, dass andernfalls angesichts der Entwicklung im internationalen Vollstreckungsrecht eine Schlechterstellung bei der Vollstreckung inländischer gegenüber ausländischen Titeln entstünde). b) Mit Urteil vom 2. August 2004 hiess die Gerichtspräsidentin 5 des Gerichtskreises V Burgdorf-Fraubrunnen das Gesuch der Klä- gerin um Erlass einer einstweiligen Verfügung ausser Prozess gut und wies die Beklagte an, der Klägerin die streitige Maschine bis spätestens 23. August 2004 herauszugeben. Gegen dieses Urteil er- hob die Beklagte Appellation beim Obergericht des Kantons Bern und ersuchte mit Eingabe vom 10. September 2004 um Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Mit Verfügung vom 13. September 2004 wies die 1. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ab. c) Gemäss 336a Abs. 1 ZPO BE hat die Appellation im summa- rischen Verfahren keine aufschiebende Wirkung, solange dies nicht vom Präsidenten des Appellationshofes verfügt wird. Dies hat zur Folge, dass appellable Entscheide in Summarsachen im Kanton Bern schon vor Eintritt ihrer formellen Rechtskraft, die durch die rechtzei- tige Appellation aufgeschoben wird, vollstreckt werden können (Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, a.a.O., N 1 zu § 336a ZPO BE). Eine Vollstreckung des noch nicht in Rechtskraft erwachsenen, aber nach der Zivilprozessordnung des Kantons Bern vollstreckbaren Urteils der Gerichtspräsidentin 5 des Gerichtskreises V Burgdorf- Fraubrunnen ist im Kanton Aargau daher möglich, nachdem der Ap- pellation im Kanton Bern keine aufschiebende Wirkung zuerkannt worden ist.
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2008 Obergericht 38 [...] 6 § 94 GOG: Honorar des unentgeltlichen Rechtsvertreters, Verzugszins Auf das genehmigte Honorar eines unentgeltlichen Rechtsvertreters be- steht kein Anspruch auf Verzugszins Entscheid der Inspektionskommission vom 8. Juli 2008 i.S. Y. gegen Gerichtspräsidium B. (IVV.2007.24) 2008 Anwaltsrecht 39 Aus den Erwägungen 2. Der Beschwerdeführer führt in seiner Beschwerde aus, wie seine chronologische Übersicht (vgl. Beschwerde S. 5) verdeutliche, habe es zweier, im Übrigen nachvollziehbar zusätzlichen Aufwand wie zusätzliche Kosten bewirkender Mahnschreiben seinerseits be- durft, bis immerhin neun Monate nach Eingabe der Kostennote die angefochtene Verfügung doch noch ergangen sei. Die Auszahlung sei bis jetzt noch nicht erfolgt. [...] Jedenfalls müsse es unter allen Vor- gaben zulässig sein, die eine Entschädigung festzusetzende Instanz wie erfolgt zu mahnen, dies mit dem Ergebnis, dass ab Zeitpunkt der Mahnung zusätzlich zur Entschädigung ein Verzugszins von 5 % p.a. geschuldet und so vom Staat zusätzlich zu entschädigen sei. [...] 2.1. [...] 2.2. Der unentgeltliche Rechtsvertreter hat nur einen bedingten An- spruch auf Entschädigung durch die Gerichtskasse. Die Forderung wird erst mit ihrer Festsetzung begründet (R IES , a.a.O., S. 244). Mit ihrer Verfügung vom 4. April 2007 hat die Beschwerdegegnerin das Honorar des Beschwerdeführers festgesetzt. Gleichzeitig wurde die Gerichtskasse angewiesen, das Honorar erst nach Rechtskraft des Entscheides auszubezahlen. Nachdem der Beschwerdeführer Kosten- beschwerde erhoben hat, ist die Verfügung vom 4. April 2007 der Beschwerdegegnerin noch nicht in Rechtskraft erwachsen und die Auszahlung musste demnach noch nicht erfolgen. Es liegt kein Verzug vor. Zudem ist kein Zins geschuldet, da ein solcher gesetzlich nicht vorgesehen ist. Der Antrag auf Verzugszins ist somit abzuweisen.
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AG_HG_001
AG_HG
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2000 Obergericht 52 [...] 12 §§ 112, 113 lit. c und 114 Abs. 1 ZPO. Die Nichtbestätigung bzw. der Widerruf des gemeinsamen Scheidungsbe- gehrens gemäss Art. 111 und 112 ZGB stellt keinen Klagerückzug im Sinne von § 114 Abs. 1 ZPO dar, weshalb die Kostenverteilung gestützt auf § 112 resp. 113 lit. c ZPO und nicht gestützt auf § 114 Abs. 1 ZPO vorzunehmen ist. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 5. Dezember 2000 in Sachen M. K. gegen H. J. K. 2000 Zivilprozessrecht 53 Aus den Erwägungen 3. a) Gemäss § 112 Abs. 1 ZPO sind die Gerichts- und Parteiko- sten in der Regel der unterliegenden Partei aufzuerlegen. Von der Re- gel des § 112 Abs. 1 ZPO kann in personen-, familien- und erbrecht- lichen Streitigkeiten sowie in anderen Streitsachen zwischen Ver- wandten und Verschwägerten abgewichen werden (§ 113 lit. c ZPO). Gemäss § 114 Abs. 1 ZPO sind die Kosten bei Rückzug der Klage dem Kläger, bei Anerkennung der Klage dem Beklagten aufzuerle- gen. b) Gemäss Art. 111 und 112 ZGB steht es den Parteien frei, nach Ablauf der zweimonatigen Bedenkzeit seit der Anhörung schriftlich ihren Scheidungswillen zu bestätigen oder davon Umgang zu nehmen. Sowohl das Scheidungsbegehren als auch die Vereinba- rung sind bis zur Bestätigungserklärung gemäss Art. 111 Abs. 2 ZGB grundsätzlich frei widerrufbar (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 48 f. zu Art. 111 ZGB). Es handelt sich somit im vorliegenden Fall um einen Widerruf des ge- meinsamen Scheidungsbegehrens und nicht um einen Klagerückzug. Folge des Widerrufs ist ein bedingter Endentscheid im Sinne von Art. 113 ZGB. Danach kann es zu einem Wechsel von der Klage auf ge- meinsames Begehren zur Scheidungsklage nach Art. 113 ZGB kom- men, falls die Voraussetzungen für eine einvernehmliche Scheidung nicht vorliegen (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 48 zu Art. 111 ZGB und N 5 zu Art. 113 ZGB). c) Aufgrund des Gesagten ist die Kostenverteilung gestützt auf § 112 respektive 113 lit. c ZPO und nicht gestützt auf § 114 Abs. 1 ZPO vorzunehmen. Praxisgemäss wird in Ehestreitsachen bei "Ab- weisung einer Scheidungsklage" in der Regel die hälftige Aufteilung der Verfahrenskosten vorgenommen, um eine Wiedervereinigung zu erleichtern (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau/Frankfurt am Main/ Salzburg 1998, N 9 zu § 113 ZPO). Im vorliegenden Verfahren zeigt sich anhand der 2000 Obergericht 54 Stellungnahmen der Parteien in vermehrtem Masse, dass die Verfah- renskosten den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen sind, da auf die nach altem Recht eingereichte Scheidungsklage der Beschwerdegeg- ner in der Antwort Abweisung der Scheidungsklage beantragte. Erst nach dem Rechtsschriftenwechsel einigten sich die Parteien auf ein gemeinsames Begehren, welches dann aber wiederum von der Be- schwerdeführerin nicht bestätigt wurde. Auch daraus erscheint die Anwendung von § 113 lit. c ZPO als angemessen. d) Dem materiellen Recht kann keine Regelung zur Kostenfolge im Falle des Ausbleibens der Bestätigung bzw. des Widerrufs von Scheidungswille und Vereinbarung gemäss Art. 111 f. ZGB entnom- men werden. Im Kommentar Sutter/Freiburghaus wird jedoch zutref- fend ausgeführt, dass ein Ehegatte das Recht hat, den Scheidungswil- len zu bestätigen oder nicht zu bestätigen, weshalb er dafür nicht ein- seitig mit Kosten belastet werden darf. Eine anderweitige Entschei- dung würde dem Grundsatz der freien Widerrufbarkeit von Schei- dungswillen und Vereinbarung widersprechen (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 55 zu Art. 111 ZGB).
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2003 Gerichtsorganisation 79 V. Gerichtsorganisation 25 §§ 28 Abs. 1, 30 GOG Ein Bezirksrichter darf erst dann als Stellvertreter des Gerichtspräsiden- ten zum Einsatz kommen, wenn der Gerichtspräsident aus zwingenden Gründen (z.B. Krankheit, Ausstandspflicht) an der Ausübung seines Am- tes verhindert ist und wenn auch der Vizepräsident sein Amt als Vertreter des Gerichtspräsidenten infolge Verhinderung nicht wahrnehmen kann. Eine Vertretung des Gerichtspräsidenten durch einen Bezirksrichter ein- zig zur Entlastung wurde vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Strafkammer, vom 14. November 2003 in Sachen Staatsanwaltschaft gegen D.B. Aus den Erwägungen 1. In formeller Hinsicht rügt der Angeklagte in der Berufung, die Verhandlung vor Vorinstanz sei weder vom Gerichtspräsidenten noch vom Vizepräsidenten geführt worden. Ein Bezirksrichter sei aber nur dann für die Verhandlungsführung zuständig, wenn der Ge- richtspräsident und der Vizepräsident aus zwingenden Gründen an der Ausübung des Amtes verhindert seien. Derartige Gründe lägen nicht vor. 2. a) Gemäss Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und un- parteiisches Gericht, wobei Ausnahmegerichte untersagt sind. Art. 30 Abs. 1 BV verlangt somit die generell-abstrakte Regelung der Zu- ständigkeiten, Kompetenzen und der Organisation von den Gerichten im formellen Gesetz. Die Gewährleistung des ordentlichen Richters im Einzelfall erfordert darüber hinaus, dass auch die Besetzung des Gerichts jedem Verdacht der Manipulation oder irgendwie gearteter 2003 Obergericht/Handelsgericht 80 unsachlicher Beeinflussung entzogen ist (Jörg Paul Müller, Grund- rechte in der Schweiz, 3. A., Bern 1999, S. 573). b) Gemäss § 5a StPO amtet als Einzelrichter der Präsident des Bezirksgerichts. § 28 Abs. 1 GOG sieht vor, dass wenn der Ge- richtspräsident aus zwingenden Gründen an der Ausübung des Amtes verhindert ist, ihn der Vizepräsident vertritt. Ist auch dieser verhin- dert, tritt an seine Stelle ein Bezirksrichter. Unter den "zwingenden Gründen" gemäss § 28 Abs. 1 GOG sind insbesondere gesundheitli- che Gründe oder die Ausstandspflicht zu verstehen (vgl. dazu § 27 Abs. 1 im Entwurf des Regierungsrats zum Gesetz über die Organi- sation der ordentlichen richterlichen Behörden vom 5. Dezember 1983). Gemäss § 30 GOG ist eine Vertretung des Gerichtspräsidenten durch den Vizepräsidenten des Bezirksgerichts auch dann zulässig, wenn sie bloss zur Entlastung des Gerichtspräsidenten nötig ist. 3. a) Bereits aus dem Gesetz ergibt sich mit hinreichender Deut- lichkeit, dass ein regelmässiger und ständiger Einsatz von Bezirks- richtern als Stellvertreter des Gerichtspräsidenten vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war und die Ausnahme bilden sollte. So wird in § 28 Abs. 1 GOG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Bezirks- richter erst dann als Stellvertreter des Gerichtspräsidenten zum Ein- satz kommen soll, wenn der Gerichtspräsident aus zwingenden Gründen an der Ausübung seines Amtes verhindert ist und wenn auch der Vizepräsident sein Amt als Vertreter des Gerichtspräsiden- ten infolge Verhinderung nicht wahrnehmen kann. Eine Vertretung des Gerichtspräsidenten durch einen Bezirksrichter einzig zur Entlas- tung wurde vom Gesetzgeber nicht vorgesehen, andernfalls er in § 30 GOG diese Konstellation speziell noch hätte regeln müssen. § 30 GOG weist aber einzig darauf hin, dass der Gerichtspräsident den Vizepräsidenten auch zu seiner eigenen Entlastung einsetzen darf. b) Im Übrigen macht es auch Sinn, dass ein Bezirksrichter im Sinne einer Ausnahme erst dann als Vertreter des Gerichtspräsidenten amten soll, wenn sowohl der Gerichtspräsident wie auch der - in der Regel - erfahrene Vizepräsident ihr Amt nicht wahrnehmen können; ebenso macht es Sinn, dass eine Stellvertretung des Gerichts- präsidenten einzig zu seiner Entlastung von einem erfahrenen Rich- ter, dem Vizepräsidenten, wahrgenommen werden soll. 2003 Gerichtsorganisation 81 c) Setzt also der Gerichtspräsident einen Bezirksrichter nach Belieben oder auch bloss zu seiner Entlastung ein, ohne dass ein zwingender Grund gemäss § 28 Abs. 1 GOG vorliegt, kommt dies einer Unterlaufung der gesetzlichen Regelung gleich. 4. a) Der Stellungnahme vom 11. November 2003 des Präsiden- ten des Bezirksgerichts X. zur Frage, weshalb die Verhandlung vom 27. August 2003 im vorliegenden Fall von Bezirksrichter Y. präsi- diert worden ist, lässt sich entnehmen, dass dies einzig zur Entlas- tung des Gerichtspräsidenten vorgekehrt wurde. b) Im Lichte der oben angeführten gesetzlichen Kriterien er- scheint die Einsetzung von Bezirksrichter Y. als Einzelrichter in Strafsachen im konkreten Fall als nicht haltbar. Da die Entscheid- kompetenz im konkreten Fall nicht bei dem gesetzlich vorgesehenen und demokratisch legitimierten Funktionsträger, nämlich dem Ge- richtspräsidenten, ev. dem Vizepräsidenten, verblieben ist, ist das vorinstanzliche Urteil vom 27. August 2003 aufzuheben. Die Sache ist zur korrekten Durchführung des Verfahrens im Sinne der Erwä- gungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Aktendeckel Handelsgericht 2. Kammer Obere Vorstadt 40 5000 Aarau 062 835 39 40 HSU.2020.100 / th Entscheid vom 17. November 2020 Gesuchstellerin a AG, _ Gesuchsgegne- rin S. AG, _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht Der Vizepräsident entnimmt den Akten und zieht in Erwägung: 1. Mit Datum vom 12. Juni 2020 (recte: 16. November 2020; Postaufgabe: 16. November 2020) reichte F. K. dem Handelsgericht namens und im Auf- trag der Gesuchstellerin ein Gesuch um superprovisorische Bewilligung ei- ner vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts in Höhe von Fr. 128'380.23 nebst Zins von 5 % seit 28. Februar 2020 auf dem Grdst.- Nr. 123 GB B. (E-GRID: CH 98765 43331 95) ein. 2. Eine prozessfähige Partei kann ihren Prozess grundsätzlich selbst führen oder sich vertreten lassen (Art. 68 Abs. 1 ZPO). Erfolgt die Vertretung be- rufsmässig, so sind hierzu in den Verfahren vorm dem Handelsgericht, wie es mit der Eingabe vom 16. November 2020 angestrebt wird, nur Anwälte und Anwältinnen zugelassen, die nach dem BGFA berechtigt sind, Parteien vor schweizerischen Gerichten zu vertreten (Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO). Eine - 2 - juristische Person kann nicht als berufsmässige Prozessvertreterin manda- tiert werden.1 3. Eingaben von unzulässigerweise als berufsmässige Vertreter auftretenden Personen sind unwirksam.2 Sie sind vom Gericht zurückzuweisen.3 Eine nachträgliche Genehmigung der unzulässigen Eingabe kommt nicht in Be- tracht, sondern ist von der Partei selber oder einem zulässigen Vertreter zu wiederholen.4 Die Eingabe vom 16. November 2020 ist somit unwirksam und wird zurück- gewiesen. 4. 4.1. Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird verzichtet. 4.2. Der Gesuchsgegnerin sind bisher keine Kosten entstanden. Ihr ist daher keine Parteientschädigung zuzusprechen. Der Vizepräsident verfügt: 1. Die Eingabe von F.K. vom 16. November 2020 wird zurückgewiesen. 2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 3. Parteientschädigungen werden keine zugesprochen. 1 OGer Zürich PD110004 vom 19. Mai 2011; OGer Zürich PS110104 vom 30. Juni 2011; KuKo ZPO- DOMEJ, 2. Aufl. 2014, Art. 68 N. 9; HRUBESCH-MILLAUER, in: Brunner/Gasser/Schwander, Zivilprozessordnung, Kommentar, 2. Aufl. 2016, Art. 68 N. 2; BSK ZPO-TENCHIO, 3. Aufl. 2017, Art. 68 N. 1a. 2 BGE 84 II 403 E. 1; STAEHELIN/SCHWEIZER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 68 N. 26. 3 Vgl. etwa STAEHELIN/SCHWEIZER (Fn. 2), Art. 68 N. 26. 4 BGE 84 II 403 E. 1; KuKo ZPO-DOMEJ (Fn. 1), Art. 68 N. 7 m.w.N. - 3 - Zustellung an: - F.K. (vorab per E-Mail: _) - die Gesuchstellerin (vorab per E-Mail: _) - die Gesuchsgegnerin (mit Doppel der Eingabe vom 16. November 2020; vorab per E-Mail: _) Aarau, 17. November 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly mailto:kuendig@kcons.ch mailto:aaba@mrmail.com mailto:bollag@towergroup.ch
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AG_HG_002
AG_HG
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AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2020-11-17
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_17._November_2020.pdf
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2005 Obergericht 64 [...] 14 § 5a Abs. 1 StPO Die Zuständigkeit für die gerichtliche Beurteilung wird durch den Strafantrag in der Anklage und nicht durch das Urteil bestimmt. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer vom 17. November 2005 i.S. Staatsanwaltschaft gegen U.C.-L. Aus den Erwägungen 1. Die Staatsanwaltschaft hatte mit Anklage vom 12. November 2003 beim Bezirksgericht Bremgarten Anklage gegen die Angeklagte erhoben und dabei eine Strafe von 18 Monaten Gefängnis beantragt. Die Angeklagte liess in ihrem schriftlichen Plädoyer einen Frei- spruch, eventualiter eine Strafe von weniger als 10 Monate Gefäng- nis beantragen. 1.1. Der Gerichtspräsident von Bremgarten beurteilte den Fall als Einzelrichter in Strafsachen, wobei er auf eine Strafe von 6 Mo- naten Gefängnis und eine Busse von Fr. 5'000.-- erkannte. Hin- sichtlich der sachlichen Zuständigkeit verweist das vorinstanzliche Urteil auf § 5a Abs. 1 StPO ohne hierzu weitere Ausführungen zu 2005 Strafprozessrecht 65 machen (Urteil S. 3). Mit Berufung macht die Staatsanwaltschaft gel- tend, dass der Gerichtspräsident aufgrund der beantragten Strafe von 18 Monaten Gefängnis sachlich nicht zuständig gewesen sei. 1.2. Gemäss § 217 Abs. 2 StPO können mit der Berufung auch Mängel am vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht werden. Dies allerdings grundsätzlich nur dann, wenn nebst dem Verfahrens- mangel auch ein materieller Antrag gestellt, das heisst eine Änderung des Urteils verlangt wird (Brühlmeier, Aargauische Strafprozessord- nung, Kommentar, 2. Aufl., Aarau 1980, S. 375). Vorliegend hat es die Staatsanwaltschaft zwar versäumt, einen materiellen Antrag zu stellen, da sie jedoch - anders als z.B. die Angeklagte - auch für die richtige Durchführung des Verfahrens zu sorgen hat - kann es unter gewissen Vorsaussetzungen genügen, wenn sich ihre Berufung auf die Rüge eines Verfahrensmangels beschränkt, sofern dieser beson- ders schwer ist (vgl. Dubach, in: Aargauisches Strafprozessrecht, Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Aargauischen Juristenver- eins, Aarau 1961, S. 193: Die Staatsanwaltschaft kann die nochmali- ge Durchführung eines "tumultischen" Verfahrens verlangen). Die Beurteilung durch die sachlich zuständige Behörde und auch deren richtige Besetzung ist für ein korrektes Verfahren unent- behrlich, weshalb auf die Berufung der Staatsanwaltschaft einzutre- ten ist. Im Folgenden ist daher zu prüfen, wie sich die sachliche Zuständigkeit bei der Beurteilung von Straffällen bestimmt. Mit anderen Worten ist zu prüfen, wer die Abgrenzung zwischen der Kompetenz des Einzelrichters in Strafsachen gemäss § 5a StPO und jener des Gesamtgerichtes gemäss § 6 StPO vorzunehmen hat. 2. Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegen- den Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismetho- de ausgelegt werden. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist hierbei keine der bekannten Auslegungsmethoden vorrangig anzu- wenden, sondern diese sind nur in ihrer Gesamtheit massgebend und im Einzelfall gegeneinander abzuwägen (BGE 124 IV 106 Erw. 3a, 2005 Obergericht 66 121 III 219 Erw. 1 d/aa; Häfelin/Haller, Schweizerisches Bundes- staatsrecht, 6. Aufl., Zürich 2005, § 3 N 130; Höhn, Praktische Me- thodik der Gesetzesauslegung, Zürich 1993, S. 256). Die Regeln der Gesetzesauslegung sind im Strafprozess die gleichen wie in den übrigen Rechtsgebieten (Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 6 N 1). 2.1. Mit der Revision der StPO vom 2. Juli 2002 (Inkrafttreten am 1. Januar 2003) wurde der Einzelrichter in Strafsachen einge- führt. § 5a Abs. 1 StPO lautet seither: Der Präsident des Bezirksgerichts kann als Einzelrichter eine Freiheits- strafe von höchstens sechs Monaten, allenfalls verbunden mit einer Busse oder eine Busse allein aussprechen und ambulante oder, mit Ein- verständnis des Verurteilten, stationäre Massnahmen gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 und Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 StGB anordnen. Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Gesetzeswortlaut (BGE 105 Ib 49 Erw. 3a). § 5a Abs. 1 StPO bestimmt zwar, dass der Einzel- richter eine Strafe von höchstens 6 Monaten aussprechen kann, legt somit die Höhe seiner Strafkompetenz fest, die Bestimmung sagt aber nichts darüber aus, wer darüber entscheidet, ob ein Fall dem Ge- samtgericht oder dem Einzelrichter in Strafsachen zum Entscheid vorgelegt wird. 2.2. Bei der systematischen Auslegung wird der Sinn einer Rechtsnorm bestimmt durch ihr Verhältnis zu anderen Rechtsnormen und durch den systematischen Zusammenhang, in dem sie sich in ei- nem Gesetz präsentiert (Häfelin/Haller, a.a.O., § 3 N 97). Abgesehen von hier nicht weiter interessierenden Kompetenzen der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Übertretungsstrafen (§ 4 StPO) sind in der aargauischen Strafprozessordnung (neben dem Obergericht als Berufungsinstanz und dem Jugendgericht) drei ver- schiedene strafrichterliche Behörden vorgesehen: Zunächst der Straf- befehlsrichter, dessen Kompetenzen in § 5 StPO geregelt sind, dann der bereits erwähnte Einzelrichter in Strafsachen (§ 5a StPO) und schliesslich sieht § 6 StPO im Sinne einer Generalnorm vor, dass alle nicht in die Zuständigkeit einer anderen Behörde fallenden Strafsa- chen, durch das Bezirksgericht zu beurteilen sind (vgl. auch § 99 KV). 2005 Strafprozessrecht 67 Es ist festzustellen, dass der Gesetzgeber für die Kompetenzum- schreibung des Strafbefehlsrichters und für jene des Einzelrichters nicht den gleichen Wortlaut gewählt hat: Der Strafbefehlsrichter ist zuständig im Strafbefehlsverfahren strafbare Handlungen abzuwan- deln, wenn eine Freiheitsstrafe von höchstens neunzig Tagen, die Verbindung einer Freiheitsstrafe von höchstens neunzig Tagen mit ei- ner Busse oder eine Busse allein in Betracht fällt (§ 5 Abs. 1 StPO). Bei der Umschreibung der Kompetenz des Einzelrichters in Strafsa- chen hingegen wurde nicht diese Formulierung gewählt, sondern stattdessen bestimmt, dass der Einzelrichter eine Freiheitsstrafe von höchstens sechs Monaten aussprechen kann (§ 5a Abs. 1 StPO). Die Formulierung für den Strafbefehlsrichter in § 5 Abs. 1 StPO umfasst neben der Kompetenzbeschränkung auf neunzig Tage Freiheitsstrafe, d.h. der Strafbefehlsrichter darf nur eine solche bis 90 Tage ausspre- chen, auch ein wertendes Element, d.h. es ist am Strafbefehlsrichter zu entscheiden, ob er eine Strafe von maximal 90 Tagen für ange- messen hält und daher die Kompetenz zur Verhängung derselbigen hat oder ob er die Sache der Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung überweisen will. Wie ausgeführt wurde für die Umschreibung der Einzelrichterkompetenz nicht die gleiche Formulierung gewählt, son- dern eine, die eben kein wertendes Element enthält, sondern lediglich eine Beschränkung der Strafkompetenz. Da sich aber das Strafbefehlsverfahren von jenem des ordentli- chen Strafverfahrens vor dem Einzelrichter teilweise stark unter- scheidet, kann aus dem Umstand der unterschiedlichen Formulierung nicht einfach der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber dem Strafbefehlsrichter die Kompetenz zum Entscheid über die sachliche Zuständigkeit im Bereich der Strafen bis neunzig Tage zukommen lassen wollte und wegen der anderslautenden Formulierung beim Einzelrichter, diesem nicht. 2.3. Die historische Auslegung stellt auf den subjektiven Willen des Gesetzgebers ab. Anhaltspunkte für diesen liefern Entwürfe, amt- liche Berichte, die Botschaft, Protokolle der Ratsverhandlungen etc. (Häfelin/Haller, a.a.O., § 3 N 102 f.). In der Botschaft des Regierungsrates vom 21. März 2001 über die Teilrevision der Kantonsverfassung und des Gesetzes über die 2005 Obergericht 68 Strafrechtspflege (Bericht und Entwurf zur ersten Beratung) wird auf S. 14 vorgeschlagen, dass der Einzelrichter Freiheitsstrafen bis höch- stens sechs Monate aussprechen dürfe, wobei für die Bestimmung der Zuständigkeit nicht auf den Antrag der Anklagebehörde abge- stellt werde, da sonst diese allein mit einem entsprechenden Antrag die Zuständigkeit des Bezirksgerichts bestimmen könne. Weiter äussert sich die Botschaft zu dieser Thematik nicht. Es wird also nicht erwähnt, wie sich bzw. wer die sachliche Zuständig- keit bestimmen soll. Auch in den beiden Beratungen im Grossen Rat war dieses Problem nicht diskutiert worden (vgl. Protokolle der Sit- zung des Grossen Rates vom 18. Dezember 2001, vom 8. Januar 2002 [1. Beratung] und 25. Juni 2002 [2. Beratung]). Allerdings ist festzuhalten, dass der oben zitierte Auszug aus der Botschaft des Regierungsrates keinen Eingang in die gesetzliche Bestimmung gefunden hat. Den Materialien kommt aber grundsätz- lich nur dort entscheidendes Gewicht zu, wo sie im Gesetzeswortlaut einen Niederschlag gefunden haben (BGE 114 Ia 191, Erw. 3b/bb). Für den Richter verbindlich können die Gesetzesmaterialien schon deshalb nicht sein, weil die Motive in den gesetzgebenden Gremien oft divergieren und weil im Bund (und auch im Kt. Aargau, vgl. Art. 62 f. KV) die Stimmbürger die oberste gesetzgebende Instanz sind, die das Gesetz entweder stillschweigend - wenn das Referen- dum nicht ergriffen wird - oder ausdrücklich, wenn das Referendum ergriffen, aber verworfen wurde - genehmigen. Aus welchen Grün- den die Mehrheit ja gestimmt hat oder aus welchen Gründen das Referendum nicht ergriffen wurde, lässt sich kaum je für eine einzel- ne Gesetzesbestimmung und deren Formulierung feststellen (Trech- sel/Noll, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 6. Aufl., Zürich 2004, S. 50). 2.4. Da die auszulegende Bestimmung erst seit knapp drei Jah- ren in Kraft ist, es sich demzufolge um eine sehr neue Bestimmung handelt, erübrigt sich eine zeitgemässe Auslegung, welche im Gegen- satz zur historischen Auslegung auf die Verhältnisse abstellt wie sie gegenwärtig, d.h. im Rechtsanwendungszeitpunkt bestehen, da sich seit dem Zeitpunkt der Gesetzgebung kaum etwas geändert hat. Statt- dessen ist im Rahmen der teleologischen Auslegung zu prüfen, wel- 2005 Strafprozessrecht 69 che Zweckvorstellung § 5a StPO innewohnt, d.h. welche Zielvorstel- lungen der Gesetzgeber damit verfolgte (Häfelin/Haller, a.a.O., § 3 N 120). Bei § 5a StPO ging es in erster Linie darum, den Einzel- richter in Strafsachen einzuführen, weil man sich vom Wegfall der Aktenzirkulation im Richtergremium eine wesentliche Beschleuni- gung des Strafverfahrens versprach und der schon länger bestehende Einzelrichter in Zivilsachen sich in der Praxis sehr bewährt hatte (Botschaft, a.a.O., S. 9, 14). 2.5. Nach der Erörterung von § 5a Abs. 1 StPO im Lichte der einzelnen Auslegungsmethoden, ist festzustellen, dass sich anhand der Materialien, konkret der Botschaft des Regierungsrates, zwar er- gibt, dass für die Bestimmung der Zuständigkeit nicht auf den Antrag der Anklagebehörde abgestellt werden soll (vgl. oben Ziff. 2.3.), dass diese Anmerkung in der Botschaft indessen erstens keinen Nieder- schlag im Gesetz selber fand und zweitens im Gesetz auch nichts darüber ausgesagt wurde, wer sonst über die sachliche Zuständigkeit bestimmen soll. Wenn es der Wille des Gesetzgebers gewesen wäre, dass der Gerichtspräsident trotz Generalnorm von § 6 StPO selber darüber bestimmt, in wessen Zuständigkeit ein angeklagter Sachver- halt fällt, wäre § 5a Abs. 1 StPO analog der Bestimmung betreffend Strafbefehlsrichter zu formulieren oder eine andere Abfassung zu wählen gewesen, die ausdrücklich dem Gerichtspräsidenten die Kompetenz zur Bestimmung über die sachliche Zuständigkeit zuge- wiesen hätte. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Auslegung von § 5a Abs. 1 StPO zu keinem Ergebnis führt bzw. die Frage, wem die Kompetenz zur Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit zukommt, nicht beantwortet werden kann. Da es sich bei der gestellten Frage um eine wichtige organisa- torische Frage handelt, kann nicht von einem qualifizierten Schwei- gen des Gesetzgebers ausgegangen werden. Vielmehr ist anzuneh- men, dass der Gesetzgeber die Regelung dieser Frage schlicht vernachlässigt hat. Demnach ist von einer Gesetzeslücke oder ge- mäss neuerer Terminologie von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes auszugehen, welche vom Richter zu beheben ist 2005 Obergericht 70 (Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, N 68; Häfelin/ Haller, a.a.O., § 3 N 137 ff.). 3. Lücken im Gesetz sind nach dem Sinn des entsprechenden Erlasses im Gefüge der gesamten Rechtsordnung von der rechts- anwendenden Behörde auszufüllen und zwar in analoger Anwendung von Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB (BGE 98 Ia 226 Erw. 4b; Häfelin/ Haller, a.a.O., § 3 N 147; Schmid, a.a.O., N 68; Hauser/Schweri/ Hartmann, a.a.O., § 6 N 6). 3.1. Es kommen gestützt auf die StPO und die behördliche Organisation zwei Möglichkeiten in Frage: Entweder entscheidet die Staatsanwaltschaft mit ihrem Antrag über die sachliche Zuständig- keit, d.h., bei einem Antrag der Staatsanwaltschaft von über 6 Mona- ten Freiheitsstrafe ist das Gesamtgericht, bei einem Strafantrag bis und mit 6 Monaten Freiheitsstrafe (allenfalls) verbunden mit einer Geldstrafe oder einer Geldstrafe allein der Gerichtspräsident als Einzelrichter zur Beurteilung zuständig. Oder aber der Gerichtspräsi- dent entscheidet selber und unabhängig vom Strafantrag der Staats- anwaltschaft über die sachliche Zuständigkeit. 3.1.1. Wie bereits ausgeführt war mit ein Grund zur Einführung des Einzelrichters in Strafsachen, dass sich der Einzelrichter in Zivilsachen in der Praxis sehr gut bewährt hatte. Der Gesetzgeber hatte somit die Vorstellungen über den Einzelrichter in Zivilsachen vor Augen, als er den Einzelrichter in Strafsachen einführte. Es er- scheint daher nahe liegend, die beiden Regelungen betreffend Einzel- richter miteinander zu vergleichen: Organisatorisch betrachtet geht es darum, durch den Einsatz der Einzelrichter das Gesamtgericht zu entlasten und die Verfahren zu beschleunigen. Mit anderen Worten sollen ,,kleinere" Verfahren durch den Einzelrichter erledigt werden. Zur Abgrenzung, was ein ,,kleiner" Fall ist und was nicht, wird beim Einzelrichter in Zivilsa- chen bei Streitsachen mit einem Streitwert auf die Höhe des Streitwertes abgestellt (§ 11 lit. a ZPO). Der Streitwert bestimmt sich aufgrund der beim erstinstanzlichen Richter angehobenen Klage (§ 16 ZPO). Der Einzelrichter in Zivilsachen ist zur Beurteilung von vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von weni- ger als Fr. 20'000.-- zuständig, sofern sie nicht einem besonderen Ge- 2005 Strafprozessrecht 71 richt zugewiesen sind (§ 11 lit. a ZPO). Somit bestimmt der Kläger mit seiner Klage und nicht etwa der Einzelrichter über die sachliche Zuständigkeit. 3.1.2. Als nächstes ist der Ablauf des Strafverfahrens vor Augen zu halten: In der Regel überweist das Bezirksamt nach abgeschlosse- ner Untersuchung einen Fall der Staatsanwaltschaft, wenn es zum Schluss kommt, dass eine Freiheitsstrafe von über 90 Tagen in Be- tracht fällt und die Staatsanwaltschaft ihrerseits erhebt dann, wenn zureichende Gründe vorliegen, Anklage (§§ 2, 5, 135 und 143 StPO). Der Gerichtspräsident prüft danach die Prozessvoraussetzungen und bestimmt Ort und Zeit der Gerichtsverhandlung (§§ 146 und 148 StPO). Im Zeitpunkt der Anklageerhebung hat sich der betreffende Staatsanwalt mit dem Fall eingehend auseinander gesetzt und ge- stützt darauf einen ihm angemessen erscheinenden Strafantrag ge- stellt. Würde nun dem Gerichtspräsidenten die Kompetenz zukom- men, über die sachliche Zuständigkeit zu entscheiden, so müsste er jeweils sogleich nach Eingang der Anklage den gesamten Fall einge- hend studieren und Tatbestandsmässigkeit sowie Strafzumessung prognostizieren, um über die sachliche Zuständigkeit befinden zu können, bevor überhaupt die Gerichtsverhandlung stattgefunden hat, in welcher nicht selten aufgrund des persönlichen Eindruckes über den Angeklagten oder der Zeugen Änderungen bei der Sachverhalts- feststellung und/oder der Strafzumessung möglich sind. Zwar könnte der Gerichtspräsident in einem Fall, wo er die sachliche Zuständig- keit des Einzelrichters bejaht hat und nach oder während der Verhandlung zum Schluss kommt, dass eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten in Betracht fallen könnte, den Fall noch dem Be- zirksgericht überweisen (§ 5a Abs. 5 StPO). Daraus würde jedoch ein enormer Mehraufwand resultieren, was dem gesetzgeberischen Zweck der Verfahrensbeschleunigung bei der Einführung des Einzel- richters in Strafsachen widerspräche. Entscheidet aber die Staatsan- waltschaft mit ihrem Strafantrag über die Zuständigkeit, so hat sich eine juristisch geschulte Person (vgl. § 3 Abs. 2 StPO) mit dem Fall auseinander gesetzt und einen ihrer Meinung nach angemessenen Strafantrag gestellt, sodass die Gefahr der oben erwähnten 2005 Obergericht 72 Doppelspurigkeit (Überweisung vom Einzelrichter ans Gesamtge- richt) sehr klein ist, zumal das Bezirksgericht als Gesamtgericht auch Freiheitsstrafen unter sechs Monaten aussprechen kann. Anzufügen bleibt, dass es für die Staatsanwaltschaft keine Rolle spielt, ob ein Fall dem Einzelrichter oder dem Bezirksgericht als Ge- samtgericht vorgelegt wird, da die Staatsanwaltschaft nach Einrei- chung der Anklage mit dem erstinstanzlichen Verfahrensgang eigent- lich nichts mehr zu tun hat, also insbesondere grundsätzlich nicht an der Verhandlung zu erscheinen hat, ausser bei einer beantragten Frei- heitsstrafe von über 18 Monaten oder wenn es der Gerichtspräsident ausdrücklich verlangt, was erfahrungsgemäss selten vorkommt (§ 149 Abs. 2 StPO). Dem Gesagten zufolge ist die Staatsanwalt- schaft in ihrer Entscheidung, ob sie einen Fall dem Einzelrichter oder dem Gesamtgericht zur Beurteilung vorlegt, unabhängig. 3.1.3. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber auch in anderen wichtigen Belangen der Staatsanwaltschaft Kompetenzen zum Entscheid übertragen hat: So schreibt § 59 Abs. 2 StPO vor, dass der Gerichtspräsident dem Angeklagten einen amtlichen Verteidiger zu bestellen hat, wenn die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von mindestens 12 Monaten oder eine freiheitsentziehende Massnahme beantragt hat. Ebenso hat es die Staatsanwaltschaft mit ihrem Straf- antrag grundsätzlich in der Hand, darüber zu entscheiden, ob sie an der Verhandlung teilnimmt oder nicht (vgl. § 149 StPO). 3.1.4. Rechtsvergleichend ist festzustellen, dass ein grosser Teil der Kantone, welche den Einzelrichter in Strafsachen in ihrer Straf- prozessgebung überhaupt kennen, die sachliche Zuständigkeit da- hingehend regelt, dass der Staatsanwalt mit seinem Strafantrag dar- über bestimmt (so Zürich [§ 24 GVG], Solothurn [§ 12 Abs. 1 lit. c GO], Baselland [§ 3 StPO], St. Gallen [§ 18 StP, vgl. hierzu: Ober- holzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, S. 71] und wohl auch Zug [§ 30 GOG]). Auch der Vorentwurf für eine eidgenössische StPO vom Juni 2001 (...) sieht die Schaffung eines Einzelgerichtes vor, wobei für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit auf den Strafantrag der Staatsanwaltschaft abgestellt werden soll (vgl. Art. 24 Vorentwurf). 2005 Strafprozessrecht 73 3.1.5. Abschliessend ist festzustellen, dass gerade ein Fall wie der vorliegende, die grundlegende Problematik aufzeigt, wenn der Entscheid über die sachliche Zuständigkeit beim Gerichtspräsidenten liegt: Im konkreten Fall hatte nämlich nicht nur die Staatsanwalt- schaft einen Strafantrag von 18 Monaten Gefängnis gestellt, sondern auch die Verteidigung ging mit dem Eventualantrag auf Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von ,,nicht mehr als 10 Monaten" im Falle eines Schuldspruches offensichtlich von einer Freiheitsstrafe von über sechs Monaten aus. 3.2. Zusammenfassend ergibt sich, dass § 5a Abs. 1 StPO eine Gesetzlücke aufweist, da sich dieser Gesetzesnorm auch mittels Auslegung keine Antwort auf die Frage entnehmen lässt, wem zur Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit die Kompetenz zukommt. Im Rahmen der richterlichen Lückenfüllung ist das Obergericht nach umfassender Prüfung zum Schluss gelangt, dass diese Kompetenz der Staatsanwaltschaft obliegt, da es üblicher prozessualer Ordnung entspricht, dass der Antrag einer Partei über die sachliche Zuständig- keit entscheidet und nicht der Gerichtspräsident. Im Übrigen wären durch die vorweggenommene Prüfung des Gerichtspräsidenten die Leitplanken, innerhalb welcher die Strafe zu ergehen hätte, bereits vor Durchführung der Hauptverhandlung gesteckt. Kommt hinzu, dass bei anderen wichtigen Entscheidungen auch auf den Strafantrag der Staatsanwaltschaft abgestellt wird. Zudem lässt ein Blick auf die anderen Kantone keinen Zweifel daran, dass die vom Obergericht ge- wählte Lösung auch der Regelung in einem grossen Teil der Kanto- ne, welche die Figur des Einzelrichters in Strafsachen kennen, ent- spricht. 4. Unter Berücksichtigung der obigen Erwägungen ist festzu- stellen, dass der Gerichtspräsident von Bremgarten, als er den vor- liegenden Fall selbst beurteilte statt ihn dem Gesamtgericht zur Beur- teilung vorzulegen, obschon der Strafantrag auf 18 Monate Gefäng- nis lautete, sachlich unzuständig war. Dies ist als schwerer Verfah- rensmangel zu betrachten, weshalb das Urteil aufzuheben und die Sache an das Bezirksgericht Bremgarten (Gesamtgericht) zur neuen Beurteilung zurückzuweisen ist (§ 223 StPO; vgl. auch Hau- ser/Schweri/Hartmann, a.a.O., § 99 N 26).
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2005 Strafprozessrecht 85 Anträge gegen grundlegende gesetzliche Bestimmungen verstösst oder willkürlich ist. Dies ist hier der Fall. Die Ablehnung des Beweisantrags der Staatsanwaltschaft verstösst gegen das Konfrontationsrecht des An- geklagten, das möglichst frühzeitig gewährt werden soll. Das Be- zirksamt will offensichtlich grundlos solch wichtige Untersuchungs- handlungen mit grundlegender Bedeutung auch als Ausfluss wichti- ger Verfahrensgarantien ins Gerichtsverfahren verlagern, was auch deshalb unzulässig erscheint, weil die Aussagen des Geschädigten nicht einmal in einem formellen Protokoll, sondern nur im Polizei- rapport festgehalten sind. 2. Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde einzutreten, und sie ist gutzuheissen. Das Bezirksamt ist anzuweisen, den Geschädig- ten im Beisein des Anwalts des Angeklagten als Zeugen einzuver- nehmen. 20 § 139 f. StPO; Kosten und Entschädigung bei Einstellung des Strafverfah- rens. Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft nach § 139 Abs. 1 und § 140 Abs. 1 StPO gilt auch für Teileinstellungsverfügungen. Der Entscheid über die Kostentragung und eine allfällige Entschädigung darf nicht ohne Not dem Sachrichter überbunden werden. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 29. November 2005 i.S. H.H. Aus den Erwägungen 1. Gemäss § 139 Abs. 1 StPO entscheidet die Staatsanwaltschaft bei Einstellung der Untersuchung in der Einstellungsverfügung zugleich über die Untersuchungskosten, und gemäss § 140 Abs. 1 StPO hat sie auch über ein Entschädigungsbegehren zu befinden, das vom Beschuldigten, gegen den das Verfahren eingestellt worden ist, innert 30 Tagen seit Zustellung der Einstellungsverfügung einzurei- chen ist (§ 140 Abs. 3 StPO). 2005 Obergericht 86 Dies gilt selbstverständlich auch für Teileinstellungsverfügun- gen, wo die Einstellung nur für Teile der durchgeführten Untersu- chung erfolgt und im Übrigen Anklage erhoben wird. Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts darf der Entscheid über die Kostentragung und eine allfällige Entschädigung in solchen Fällen nicht ohne Not (und schon gar nicht generell) dem Sachrichter überbunden werden, es sei denn, eine Beurteilung hänge wesentlich vom Ausgang des Ge- richtsverfahrens ab und sei durch die Staatsanwaltschaft gar nicht möglich. Keinen Grund, die Beurteilung dem Sachrichter zu überlas- sen, bieten Schwierigkeiten bei der Kostenausscheidung. Eine pflichtgemässe Ausscheidung und Abschätzung der Kosten für den eingestellten Teil der Untersuchung ist von der zuständigen Instanz ohnehin vorzunehmen. An den aufgeführten Grundsätzen vermag die von der Staatsan- waltschaft geltend gemachte "langjährige Praxis", bei Teileinstellun- gen den Sachrichter über die gesamten Kosten entscheiden zu lassen, nichts zu ändern. Der Gesetzeswortlaut bietet keinen Raum für eine derartige Auslegung; es liegt - entgegen der Auffassung der Staatsan- waltschaft - selbstverständlich keine Gesetzeslücke vor. Dass die Staatsanwaltschaft grundsätzlich auch bei Teileinstellungen entschei- det, ist im Übrigen auch folgerichtig, hat sie sich doch mit den Akten der eingestellten Untersuchung eingehend befasst.
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2001 Zivilprozessrecht 51 [...] 10 § 101 ff. ZPO. Eine obsiegende Partei kann im Rechtsmittelverfahren nicht die Zuspre- chung des vor Vorinstanz nicht verbrauchten Gerichtskostenvorschusses für die eigenen Parteikosten verlangen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 27. April 2001 in Sachen Nachlass B.A. gegen M.Z. Aus den Erwägungen 3. Der Beklagte verlangt die Zusprechung des vor Vorinstanz nicht verbrauchten Kostenvorschusses. Die Zivilprozessordnung unterscheidet im Abschnitt Sicher- stellung der Prozesskosten zwischen den Gerichtskosten in der Mar- ginalie A (§§ 101 - 104 ZPO) und den Parteikosten in der Marginalie B (§§ 105 - 110 ZPO). Gemäss § 101 Abs. 1 ZPO hat die Partei, die als Kläger oder Widerkläger auftritt in jedem kostenpflichtigen Ver- fahren einen angemessenen Anteil der mutmasslichen Gerichts- und Kanzleigebühren vorzuschiessen. Nach Rechtskraft des Urteils sind die Kostenvorschüsse einer nicht kostenpflichtigen Partei zurückzu- erstatten (§ 104 ZPO). Mit Kostenpflicht in § 104 ZPO können - im Gegensatz zur Regelung im Kanton Zürich - aufgrund einer syste- matischen Auslegung nur die Gerichtskosten gemeint sein. Eine Parteikostensicherheit ist gestützt auf §§ 105 ff. ZPO nur auf einen ein Kostensicherheitsbegehren einer Partei gutheissenden Entscheid des Instruktionsrichters hin zu leisten. Diesfalls ist ein Betrag bei der Gerichtskasse zu hinterlegen, der für die gegnerischen Parteikosten im Falle des Unterliegens haftet und der Gegenpartei bei Zuspre- chung einer Parteientschädigung von der Gerichtskasse auszurichten ist.
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AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2001-10_2001-04-01
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AGVE_2001_10
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2,000
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2000 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 45 [...] 9 Art. 272 und 278 SchKG. Gegen die Abweisung des Arrestbegehrens gibt es kein ordentliches Rechtsmittel. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 7. April 2000 in Sachen D. und Ch. Ch. gegen R. F. Aus den Erwägungen 1. Der Gerichtspräsident 1 des Bezirksgerichts B. wies das Ar- restbegehren der Gesuchsteller am 27. Dezember 1999 ab. Damit ist das Arrestverfahren grundsätzlich abgeschlossen. Das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) sieht kein Rechtsmittel vor (Stoffel, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel/Genf/München 1998, N. 53 zu Art. 272 SchKG). Die Einsprache gemäss Art. 278 Abs. 1 SchKG richtet sich gegen die Bewilligung, nicht hingegen gegen die Abweisung des Arrestbegeh- rens (Reiser, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel/Genf/München 1998, N. 7 zu Art. 278 SchKG) und steht im Uebrigen dem Arrestgläubiger nicht zu (Reiser, a.a.O., N. 26 zu Art. 278 SchKG). Liegt in der Abweisung des Arrestbegeh- rens eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Willkür, Rechts- verweigerung), steht gegen die Entscheidung des Arrestrichters oder die letztinstanzliche kantonale Rechtsmittelentscheidung die staats- rechtliche Beschwerde an das Bundesgericht zur Verfügung. Ausser- 2000 Obergericht 46 dem können die Kantone gegen den ablehnenden Entscheid Rechts- mittel zulassen (Stoffel, a.a.O., N. 53 zu Art. 272 SchKG mit Hin- weisen), was jedoch im Kanton Aargau nicht der Fall ist. Nach kan- tonalem Recht entscheidet der Gerichtspräsident über die Bewilli- gung von Arresten, d.h. über Arrestbegehren (§ 13 Abs. 1 lit. q Aus- führungsgesetz zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Kon- kurs [AG SchKG]) im summarischen Verfahren (§ 19 Abs. 1 AG SchKG) und sind Entscheide des Gerichtspräsidenten gemäss § 13 Abs. 1 lit. q AG SchKG nicht an das Obergericht weiterziehbar (§ 16 AG SchKG). Das kantonale Recht lässt demnach mit dieser Rege- lung das ihm vorbehaltene Rechtsmittel gegen die mit Entscheid des Gerichtspräsidenten angeordnete Verweigerung des Arrestes nicht zu. Die Vorinstanz hat daher ihrem das Arrestbegehren der Gesuchsteller abweisenden Entscheid zu Unrecht die Rechtsmittelbelehrung bei- gefügt, dass dagegen das gegen Entscheide im summarischen Verfah- ren vorgesehene Rechtsmittel der Beschwerde binnen 10 Tagen ein- gelegt werden könne. Diese falsche Rechtsmittelbelehrung kann in- dessen den Gesuchstellern nicht zu dem gesetzlich nicht vorgesehe- nen Rechtsmittel der Beschwerde verhelfen (Bühler/Edel- mann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, N. 7 zu § 279 ZPO mit Hinweisen). Dieses von ihnen eingereichte Rechtsmittel ist demge- mäss unzulässig, weshalb darauf nicht einzutreten ist.
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AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2000-9_2000-04-04
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de
2005 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 41 [...] 6 Art. 81 Abs. 1 SchKG. Definitive Rechtsöffnung für Unterhaltsbeiträge. Einrede der Tilgung. Gegen die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung für Unterhaltsbeiträge muss die Einrede der Tilgung auch dann zugelassen werden, wenn sie sich auf einen Zeitpunkt vor Erlass des Unterhaltsurteils bezieht. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 2. Mai 2005 in Sachen S. H.-A. gegen H.P. H. Aus den Erwägungen Grundsätzlich darf Tilgung, welche vor Erlass des zu voll- streckenden Urteils eingetreten ist, im Rechtsöffnungsverfahren nicht mehr beachtet werden, da sonst der Rechtsöffnungsrichter den zu vollstreckenden Entscheid materiell überprüfen müsste, was ihm ver- wehrt ist (Staehelin, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuld- 2005 Obergericht 42 betreibung und Konkurs, Basel/Genf/München 1998, N 2 und 5 zu Art. 81; Stücheli, Die Rechtsöffnung, Zürich 2000, S. 232). Anders muss es sich indessen verhalten, wenn der Schuldner im definitiven Rechtsöffnungstitel, wie hier, verpflichtet wird, der Gläubigerin rückwirkend ab einem bestimmten Zeitpunkt monatliche Unterhalts- beiträge in bestimmter Höhe zu leisten. Denn damit wird der Gläubigerin nicht eine bestimmte, in der Vergangenheit begründete, im Urteilszeitpunkt feststehende und im Urteilsdispositiv genau be- zifferte Forderung zugesprochen, welche ihr zum Urteilszeitpunkt rechtlich und tatsächlich geschuldet ist, sondern der Schuldner dem Grundsatz nach rechtlich verpflichtet, ihr ab und bis zu einem be- stimmten Zeitpunkt für die Vergangenheit und die Zukunft monat- liche Unterhaltsbeiträge in bestimmter Höhe zu bezahlen, ohne dass damit darüber entschieden ist, dass diese auch tatsächlich ganz oder teilweise noch geschuldet und deshalb ganz oder teilweise noch zu bezahlen sind. Im Unterhaltsprozess wird nicht primär darüber gestritten, wie viel bereits bezahlt, sondern wie viel (und wie lange) grundsätzlich zu bezahlen ist. Dem Schuldner würde daher wenig helfen, wenn er bereits im Unterhaltsprozess geltend machte, er bezahle die Unterhaltsbeiträge bereits ganz oder teilweise, da darüber im Unterhaltsprozess nicht entschieden wird. Infolgedessen kann der Rechtsöffnungsrichter im Rechtsöffnungsverfahren die Einrede der Tilgung des Unterhaltsschuldners zulassen, auch wenn sie sich auf einen Zeitpunkt vor Erlass des Unterhaltsurteils bezieht, ohne dass er damit den Unterhaltsentscheid materiell überprüfen müsste. Dem rechtsöffnungsbeklagten Unterhaltsschuldner muss daher der Nach- weis offen stehen, dass er die geschuldeten Unterhaltsbeiträge teil- weise oder vollständig erbracht hat, auch wenn sich dieser Sach- verhalt bereits ganz oder teilweise vor Erlass des Urteils abgespielt hat. In der Praxis wird deshalb zuweilen eine Klausel in den Un- terhaltsentscheid aufgenommen, welche die Anrechnung bisher be- zahlter Unterhaltsbeiträge für zulässig erklärt. Dieser Erklärung kommt aber bloss deklaratorische Bedeutung zu.
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AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2005-6_2005-05-04
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2,002
de
2002 Obergericht/Handelsgericht 54 9 Art. 82 SchKG; provisorische Rechtsöffnung Die Vorlage der Kopie eines Schuldbriefes genügt für die Erteilung der Rechtsöffnung, wenn die Gläubigerstellung des Klägers unbestritten ist und damit keines Nachweises bedarf. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 5. Zivilkammer, vom 21. Oktober 2002, i.S. N. ca. J.A. Aus den Erwägungen 1. a) Die Vorinstanz hat das Rechtsöffnungsbegehren mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe die Schuldbriefe nur in Kopie eingereicht. Bei den Wertpapieren bilde aber nur das Original, nicht hingegen eine beglaubigte oder unbeglaubigte Kopie einen Rechtsöffnungstitel. Gemäss gefestigter Rechtsprechung des Obergerichts genügt die Vorlage einer Fotokopie einer Schuldanerkennung für die Erteilung einer provisorischen Rechtsöffnung, sofern der Schuldner ihre Über- einstimmung mit dem Original ausdrücklich oder stillschweigend anerkennt (AGVE 1964 S. 56). Dies entspricht der in der Lehre als Grundsatz vertretenen Auffassung (Panchaud/Caprez, Die Rechtsöff- nung, 2. A. 1980, § 10, Staehelin/Bauer/Staehelin, Kommentar zum SchKG, N 17 zu Art. 82 SchKG; Stücheli, Die Rechtsöffnung, Zürich 2000, S. 165), die jedoch für Wertpapiere als Rechtsöffnungstitel eine Ausnahme macht und deren Vorlage im Original verlangt (Stae- helin/Bauer/Staehelin, a.a.O.; Spühler/Infanger, Grundlegendes zur Rechtsöffnung, BlSchKG 2000 S. 8). Begründet wird dies damit, dass der Kläger aufgrund der einfachen Wertpapierklausel (Art. 868 ZGB) für den Nachweis seiner Gläubigerstellung den momentanen Besitz der Originalurkunden zu belegen hat (Stücheli, a.a.O., S. 381). Auch wenn der Schuldbrief im Gegensatz zu anderen Schuldaner- kennungen nicht nur Beweis-, sondern auch Legitimationsfunktion hat, ändert dies jedoch nichts daran, dass die Vorlage einer Kopie des Schuldbriefes für die Erteilung der Rechtsöffnung genügt, wenn die 2002 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 55 Gläubigerstellung des Klägers unbestritten ist und damit keines Nachweises bedarf.
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AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2002-9_2002-10-05
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1,497,532
1,606,694,400,000
2,020
de
Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.93 / as / mv Entscheid vom 30. November 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin J. AG, _ vertreten durch lic. iur. et lic. oec. Peter Germann, Rechtsanwalt, Lu- zernerstrasse 51a, 6010 Kriens Gesuchsgegne- rin G. GmbH, _ Zustelladresse: _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in E. (LU). Sie be- zweckt im Wesentlichen _ (Gesuchsbeilage [GB] 12). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in B. (ZG). Sie hat im Wesentlichen _ zum Zweck (GB 13). Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grdst.-Nr. 1234 GB S. (E- GRID: CH 9876; GB 10). 3. Mit Gesuch vom 26. Oktober 2020 (Postaufgabe: 26. Oktober 2020) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Das Grundbuchamt Wohlen sei anzuweisen, zu Lasten des Grundstücks in der Gemeinde S., Grundbuch/Grundbuchblatt Nr. 1234, zu Gunsten der Gesuchstellerin ein für die Pfandsumme von CHF 465'000.— nebst Zins zu 5% auf CHF 140'010.— seit 25.6.2020 und nebst Zins zur 5% auf CHF 324'990.— seit 1.4.2021 vorläufig als Vormerkung . 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Ge- suchsgegnerin." 4. Mit Verfügung vom 28. Oktober 2020 hat der Vizepräsident den Parteien den Eingang des Gesuchs bestätigt und die Gesuchstellerin verpflichtet, bis am 26. Oktober 2020 einen Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 4'000.00 zu bezahlen. 5. Die Gesuchstellerin hat den Gerichtskostenvorschuss von Fr. 4'000.00 am 29. Oktober 2020 bezahlt. 6. Mit Verfügung vom 2. November 2020 setzte der Vizepräsident der Ge- suchsgegnerin Frist bis zum 13. November 2020 zur Erstattung einer schriftlichen Antwort. - 3 - 7. 7.1. Mit Verfügung vom 16. November 2020 stellte der Vizepräsident fest, dass die Gesuchsgegnerin keine Gesuchsantwort erstattete und setzte daher eine letzte, nicht erstreckbare Frist bis 26. November 2020 für die Erstat- tung einer schriftlichen Antwort an. 7.2. Diese Verfügung wurde der Gesuchsgegnerin am 17. November 2020 zu- gestellt. 8. Die Gesuchsgegnerin hat auch innert der Nachfrist keine Gesuchsantwort eingereicht. Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit 1.1. Bei der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts handelt es sich um einen Anwendungsfall des vorsorglichen Rechtsschutzes i.S.v. Art. 261 ff. ZPO.1 Für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ist deshalb das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Massnahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Er- richtung gesetzlicher Pfandrechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grundbuch aufgenommen ist, zuständig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Das Grundstück der Gesuchsgegnerin, auf welchem die Gesuchstel- lerin ein Bauhandwerkerpfandrecht vorläufig eintragen lassen will, befindet sich in S. (AG). Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist gegeben. 1.2. Die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters am Handelsgericht für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO und § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO AG, da die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist, ge- gen den Entscheid – bei einem behaupteten Streitwert von Fr. 465'000.00 (vgl. Art. 51-53 BGG) – die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesge- richt offen steht und die Parteien im schweizerischen Handelsregister ein- getragen sind. 1 BGE 137 III 563 E. 3.3. - 4 - 2. Säumnisentscheid Die Gesuchsgegnerin ist mit der Erstattung einer Gesuchsantwort innert der ihr angesetzten Frist und Nachfrist säumig geblieben. Die Säumnisfol- gen wurden der Gesuchsgegnerin in der Verfügung vom 4. November 2020 angedroht. Das Gericht erlässt damit entweder einen Endentscheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder es lädt zur Hauptverhandlung vor (Art. 219 i.V.m. Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die im Gesuch vorgebrachten Tatsachenbehauptungen sind vorliegend un- bestritten geblieben. Zugestanden sind damit die Tatsachen, nicht aber die Rechtsbegehren der Gesuchstellerin. Bei erheblichen Zweifeln an der Rich- tigkeit einer nicht streitigen Tatsache, d.h. bei fehlender Spruchreife, kann das Gericht nach Art. 153 Abs. 2 ZPO von Amtes wegen Beweis erheben. Ist die Angelegenheit hingegen spruchreif, trifft das Gericht direkt einen En- dentscheid. Hierzu muss das Gesuch soweit geklärt sein, dass darauf man- gels Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten oder es durch Sachurteil erledigt werden kann. Dies setzt voraus, dass die Vorbringen der Gesuch- stellerin nicht unklar, widersprüchlich, unbestimmt oder offensichtlich un- vollständig sind, weil das Gericht gegebenenfalls seine Fragepflicht ausü- ben muss.2 3. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 3.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 3.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.3 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die 2 LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), 3. Aufl. 2016, Art. 223 N. 5 und 7; BSK ZPO-WILLISEGGER, 3. Aufl. 2017, Art. 223 N. 18 ff. 3 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. - 5 - Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.4 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.5 4. Pfandsumme 4.1. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.6 Jedoch entsteht der Anspruch der Baugläubiger auf Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts gestützt auf Art. 839 Abs. 1 ZGB bereits mit Abschluss des Werkvertrags.7 Werden gesicherte zukünftige Bauleistun- gen nicht erbracht, ist die Pfandsumme danach entsprechend herabzuset- zen, bspw. anlässlich der definitiven Eintragung des Bauhandwerkerpfand- rechts bzw. bei der Erstellung/Bereinigung des Lastenverzeichnisses.8 4.2. Würdigung Die Darstellung der Gesuchstellerin, sie werde auf dem Grundstück der Gesuchsgegnerin letztlich pfandberechtigte Arbeiten i.S.v. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB in Höhe von Fr. 465'000.00 erbringen, erscheint nach Mass- gabe des für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts stark herabgesetzten Beweismasses als glaubhaft gemacht (vgl. GB 1 und 4). Im erwähnten Sinne glaubhaft gemacht ist ferner, dass die viermonatige Eintragungsfrist (Art. 839 Abs. 2 ZGB) infolge noch ausstehender Arbeits- vollendung noch nicht verstrichen ist (vgl. GB 4). 4.3. Verzugszinsen Die Gesuchstellerin verlangt Verzugszinsen von je 5 % auf den Beträgen von Fr. 141'010.00 seit 25. Juni 2020 und Fr. 324'990.00 seit 1. April 2021. 4 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 5 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 1395. 6 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 436, 438 und 547. 7 BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 3), Art. 839/840 N. 28. 8 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 444 und 1088. - 6 - Befindet sich der Forderungsschuldner in Verzug, können auch Verzugs- zinsen eingetragen werden.9 Die pfandberechtigte Forderung erhöht sich entsprechend um die Verzugszinsen ohne zeitliche Beschränkung. Bei der vorläufigen Eintragung hat der Unternehmer seinen Vergütungsanspruch und seine Forderung auf Verzugszins (inkl. Beginn des Zinsenlaufes) glaubhaft zu machen (Art. 961 Abs. 3 ZGB).10 Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, so- fern die Parteien einen bestimmten Verfalltag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie z.B. "zahl- bar 30 Tage netto", ohne weitere Mahnung in Verzug.11 Bei noch ausste- henden Bauarbeiten besteht ebenfalls ein Anspruch auf die Eintragung für zukünftige Verzugszinsen und zwar unabhängig davon, ob die Verzugszin- sen bereits zu laufen begonnen haben oder erst ab einem zukünftigen, manchmal erst geschätzten Zeitpunkt zu laufen beginnen werden.12 Die erste Akontorechnung der Gesuchstellerin stammt vom 8. Mai 2020 über Fr. 140'010.00 und enthält die Zahlungsbedingung "30 Tage rein netto" (GB 2). Folglich befand sich die Gesuchsgegnerin mit dieser Forde- rung am 25. Juni 2020 längstens in Verzug, so dass der Gesuchstellerin diese beantragten Verzugszinsen zuzusprechen sind. Die Gesuchstellerin behauptet weiter, die Gesuchsgegnerin werde für die restliche Forderung über Fr. 324'990.00 aufgrund des per Ende 2020 vorgesehenen Abschlus- ses des Montagebaus in Stahl per 31. März 2021 in Verzug geraten. Diese Behauptung erscheint aufgrund des Bauzeitenplans (GB 4) als glaubhaft, so dass der Gesuchstellerin auch diese Verzugszinsen zuzusprechen sind. 5. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts für eine Pfandsumme von Fr. 465'000.00 zuzüglich Zins zu 5 % ab 25. Juni 2020 auf Fr. 140'010.00 und Zins zu 5 % ab 1. April 2021 auf Fr. 324'990.00 erfüllt sind. 6. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei ungenutztem 9 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 468; vgl. auch BGE 121 III 445 E. 5a; 142 III 73 E. 4.4.2. 10 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 555. 11 AGVE 2003, S. 38; VETTER/BUFF, Verzugszinsen bei «zahlbar innert 30 Tagen», SJZ 2019, S. 151 f. m.w.N.; BSK OR I-WIDMER LÜCHINGER/WIEGAND, 7. Aufl. 2019, Art. 102 N. 9b; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2017, N. 55.32. 12 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 1088. - 7 - Ablauf der Frist ohne weiteres und ersatzlos gelöscht werde.13 Die Prose- quierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vor- liegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen.14 7. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 7.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 4'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 4'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 4'000.00, direkt zu ersetzen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 7.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin zudem eine Parteientschä- digung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 465'000.00 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 28'250.00 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 8 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarabzugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 7'062.50. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach einem weiteren Abzug von 20 % wegen der nicht durchgeführten Verhandlung (§ 6 Abs. 2 AnwT), resultiert ein Betrag in Höhe von Fr. 5'650.00. Nach Hin- zurechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisge- mäss ca. 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 5'800.00, den die Gesuchsgegnerin der Gesuchstellerin als Parteientschädigung zu be- zahlen hat. Einen Mehrwertsteuerzuschlag macht die Gesuchstellerin zu Recht nicht geltend, da sie mehrwertsteuerpflichtig15 und damit auch vorsteuerabzugs- berechtigt ist.16 13 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 672 ff. 14 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 3), N. 688. 15 https://www.uid.admin.ch/_ (letztmals besucht am 30. November 2020). 16 Vgl. SUTER/VON HOLZEN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 95 N.39 m.w.N; Siehe auch Merkblatt der - 8 - 7.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handels- gericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder auf- grund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehalten. Der Vizepräsident erkennt: 1. In Gutheissung des Gesuchs vom 26. Oktober 2020 wird der Gesuchstel- lerin die Vormerkung einer vorläufigen Eintragung eines Bauhandwer- kerpfandrechts gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB auf dem Grund- stück der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 1234 GB S. (E-GRID: CH 9876), für eine Pfandsumme von Fr. 465'000.00 zuzüglich Zins zu 5 % ab 25. Juni 2020 auf Fr. 140'010.00 und Zins zu 5 % ab 1. April 2021 auf Fr. 324'990.00 bewilligt. 2. Das Grundbuchamt Wohlen wird angewiesen, die Vormerkung gemäss vorstehender Dispositiv-Ziff. 1 sofort einzutragen. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 1. März 2021 beim zuständigen Gericht im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung des Bauhand- werkerpfandrechts anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkung im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht wird. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 4'000.00 sind von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 4'000.00 verrechnet. Gerichte des Kantons Aargau zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der der Parteientschädigung, publiziert unter: https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb//obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (letztmals besucht am 30. November 2020). https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 9 - Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten der Ge- suchstellerin direkt zu ersetzen. 4.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin eine Parteientschädigung von Fr. 5'800.00 zu bezahlen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. Zustellung an: die Gesuchstellerin (mit Abrechnung) die Gesuchsgegnerin Zustellung an: das Grundbuchamt Wohlen Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 10 - Aarau, 30. November 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2020-11-30
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_30._November_2020.pdf
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5a8dae1c-620a-4c87-81be-bb4150658c73
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HOR.2019.33 Art. 196 Urteil vom 2. Dezember 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Ersatzrichter Wyss Handelsrichter Bäumlin Handelsrichter Nauer Handelsrichter Wieland Gerichtsschreiber Müller Klägerin EASYGROUP LTD, 10 Ansdell Street, W8 5BN, GB- London vertreten durch Dr. iur. Markus Frick und MLaw Manuel Bigler, Rechtsan- wälte, Seefeldstrasse 123, Postfach, 8034 Zürich Beklagte A. SA, _ Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Marke / UWG - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Limited Liability Company englischen Rechts mit Sitz in London (Klage Rz. 17; Klagebeilage [KB] 2). Die Klägerin kontrolliert die Gesellschaften des "easy"-Konzerns, der weltweit einheitlich unter Lizenz der Klägerin mit den zahlreichen "easy"-Marken, der sogenannten "easy family of brands" auftritt (Klage Rz. 18; KB 3-6). Im Schweizer Markenre- gister ist die Klägerin als Inhaberin von insgesamt 26 Schweizer "easy"- Marken und 7 internationalen "easy"-Markenregistrierungen mit Schutz- ausdehnung auf die Schweiz eingetragen. Dazu kommen 18 weitere hän- gige Gesuche für Schweizer "easy"-Marken (Klage Rz. 22; KB 16). 2. Die Beklagte ist eine schweizerische Aktiengesellschaft mit Sitz in Lausanne und folgendem Zweck "_" (KB 11). Die Beklagte bietet unter dem Kennzeichen "_" unter anderem Hosting-Dienstleistungen im In- ternet an (Klage Rz. 21; KB 13). 3. Die Beklagte hostet insbesondere die Website www.easybet.com (Klage Rz. 70; KB 89 f.). Dort werden unter dem Kennzeichen "easyBet" diverse Geldspiele angeboten (Klage Rz. 56; KB 76 ff.). 4. Die Klägerin hat der Beklagten mit Schreiben vom 22. Oktober 2018 (KB 91), vom 18. Dezember 2018 (KB 92) und schliesslich vom 10. Mai 2019 (KB 93) abgemahnt. Die Beklagte hat der Klägerin mit E-Mail vom 18. Dezember 2018 (KB 94) bestätigt, dass sie die Website www.easybet.com hoste, jedoch nur auf "take-down requests" von Schwei- zer Behörden reagiere. Die Beklagte leistete der Aufforderung der Klägerin, die Website www.easybet.com vom Netz zu nehmen bzw. den Zugang zu sperren, keine Folge (Klage Rz. 71). 5. Mit Klage vom 20. August 2019 (Postaufgabe: 20. August 2019) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Der Beklagten sei unter Androhung der Bestrafung ihrer verant- wortlichen Organe mit Busse wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung gemäss Art. 292 StGB im sowie unter Androhung einer Ordnungsbusse von CHF 1'000.- für jeden Tag der Nichterfüllung gemäss Art. 343 Abs.1 lit. c ZPO, mindestens aber CHF 5'000.- gemäss Art. 343 Abs. 1 lit. b ZPO, zu verbieten, unter der Domain easybet.com eine von der Schweiz aus zugängliche Website zu hosten, soweit http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ - 3 - auf dieser Website die Zeichen "easyBet", oder im Zusammenhang mit Online-Geldspielen oder sonst wie im geschäftlichen Verkehr gebraucht werden. 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Beklag- ten." Zur Begründung führte die Klägerin im Wesentlichen aus, der Inhalt der von der Beklagten gehosteten Website www.easybet.com verletze die Marken- rechte der Klägerin und verstosse zudem gegen das Lauterkeitsrecht: Das dort verwendete Kennzeichen "easyBet" verletze die berühmte "EASYJET"-Marke der Klägerin (Klage Rz. 83 ff.). Zudem sei dieses Zei- chen verwechselbar ähnlich mit den weiteren Markeneintragungen der Klä- gerin, die für identische Dienstleistungen im Markenregister eingetragen seien (Klage Rz. 90 ff.). Schliesslich sei der Inhalt der Website www.easy- bet.com unlauter, da er geeignet sei, Verwechslungen mit den Leistungen und dem Marktauftritt der Klägerin herbeizuführen (vgl. Klage Rz. 106 ff.). Zudem lehne er sich in unnötiger Weise an den Marktauftritt der Klägerin an (Klage Rz. 117 ff.). Die Beklagte nehme als Hosting Providerin der Website www.easybet.com an diesen marken- und lauterkeitsrechtlichen Verletzungen teil (Klage Rz. 74). 6. 6.1. Mit Verfügung vom 21. August 2019 bestätigte der Vizepräsident den Par- teien den Eingang der Klage und setzte der Klägerin Frist bis 2. September 2019 zur Bezahlung des Gerichtskostenvorschusses von Fr. 7'770.00. 6.2. Der Beklagten wurde diese Verfügung am 23. August 2019 zugestellt. 6.3. Die Klägerin bezahlte am 28. August 2019 den eingeforderten Gerichtskos- tenvorschuss. 7. 7.1. Mit Verfügung vom 2. September 2019 stellte der Vizepräsident der Be- klagten das Doppel der Klage zu und setzte ihr zur Erstattung einer schrift- lichen Antwort Frist bis zum 23. Oktober 2019 an. 7.2. Da die Beklagte innert der ihr angesetzten Frist keine Antwort erstattete, setzte ihr der Vizepräsident mit Verfügung vom 29. Oktober 2019 eine letzte, nicht erstreckbare Frist bis zum 8. November 2019 für die Erstattung einer schriftlichen Antwort an. Damit war die Androhung verbunden, dass http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ - 4 - das Gericht bei erneuter Säumnis einen Endentscheid fällt, sofern die An- gelegenheit spruchreif ist, oder zur Hauptverhandlung vorlädt (vgl. Art. 223 Abs. 2 ZPO). 7.3. Mit Eingabe vom 8. November 2019 erstattete die Beklagte eine mit Män- geln behaftete Klageantwort. 7.4. Mit Verfügung vom 11. November 2019 setzte der Vizepräsident der Be- klagten Frist bis 15. November 2019 zur Behebung der Mängel in der Kla- geantwort. Damit wurde die Androhung verbunden, dass bei Säumnis die Eingabe als nicht erfolgt gelte (Art. 132 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte reichte erst am 18. November 2019 und damit verspätet eine verbesserte Kla- geantwort ein. 8. Mit Verfügung vom 19. November 2019 wurde die Streitsache an das Han- delsgericht überwiesen. Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche Zustän- digkeit des angerufenen Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 1.1. Internationale Zuständigkeit Da die Klägerin ihren Sitz im Vereinigten Königreich und die Beklagte ihren Sitz in der Schweiz hat, besteht ein internationaler Sachverhalt. Die Zustän- digkeit der schweizerischen Gerichte beurteilt sich deshalb nach den Best- immungen des IPRG. Vorbehalten bleiben gemäss Art. 1 Abs. 2 IPRG je- doch völkerrechtliche Verträge, wie das LugÜ. Da sowohl die Klägerin als auch die Beklagte ihren Sitz in LugÜ-Vertragsstaaten haben, gelangt die- ses vorliegend zur Anwendung. Gestützt auf Art. 2 Ziff. 1 LugÜ sind die schweizerischen Gerichte vorlie- gend international zuständig, da die Beklagte ihren Sitz in der Schweiz hat. 1.2. Nationale und örtliche Zuständigkeit Die nationale und örtliche Zuständigkeit ergibt sich für die behaupteten markenrechtlichen Ansprüche aus Art. 109 Abs. 2 IPRG sowie für die be- haupteten lauterkeitsrechtlichen Ansprüche aus Art. 129 Abs. 1 IPRG. Da- nach sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz bzw. Sitz des Beklag- - 5 - ten zuständig oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhn- lichen Aufenthaltsort. Überdies besteht alternativ eine Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte am Handlungs- und Erfolgsort.1 Bei im Internet begangenen Delikten genügt für den Erfolgsort die blosse Abrufbarkeit ei- ner Webseite.2 Die Website www.easybet.com kann im Kanton Aargau abgerufen werden (Klage Rz. 63; KB 83). Damit sind die aargauischen Gerichte national und örtlich zuständig. 1.3. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts für die behaupteten mar- ken- und lauterkeitsrechtlichen Ansprüche ist gestützt auf Art. 6 Abs. 4 lit. a i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a und d ZPO i.V.m. § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO AG gegeben. 2. Anwendbares Recht Für die behaupteten markenrechtlichen Ansprüche ist gemäss Art. 110 Abs. 1 IPRG schweizerisches Recht anwendbar, da die Klägerin eine Ver- letzung ihrer schweizerischen Marken geltend macht.3 Gestützt auf Art. 136 Abs. 1 IPRG sind die behaupteten lauterkeitsrechtlichen Ansprüche eben- falls nach schweizerischem Recht zu beurteilen, weil die Website www.easybet.com (auch) Auswirkungen auf den Schweizer Markt hat.4 3. Bestimmtheit der Rechtsbegehren Rechtsbegehren müssen so bestimmt formuliert sein, dass sie bei Gutheis- sung der Klage zum Urteil erhoben werden können.5 Die dadurch verpflich- tete Partei soll erfahren, was sie nicht mehr tun darf, und die Vollstre- ckungs- oder Strafbehörden müssen exakt wissen, welche Handlungen sie zu verhindern oder mit Strafe zu belegen haben. Werden diese Behörden mit der Behauptung angerufen, die beklagte Partei habe eine ihr untersagte Handlung trotz des Verbots des Zivilrichters erneut begangen, sollen sie einzig noch prüfen, ob die tatsächliche Voraussetzung erfüllt ist; dagegen haben sie den Sachverhalt nicht nochmals materiellrechtlich zu qualifizie- ren und einer eigentlichen Subsumption zu unterziehen.6 Auf Rechtsbegeh- 1 Vgl. ZK IPRG II-VISCHER/MOSIMANN, 3. Aufl. 2018, Art. 109 N. 21 ff.; ZK IPRG II-VOLKEN/GÖKSU, 3. Aufl. 2018, Art. 129 N. 15 sowie 23 ff. je m.w.N. 2 HGer AG HOR.2015.38 vom 2. Mai 2016 E. 2.2 mit Verweis auf BSK LugÜ-HOFMANN/KUNZ, 2. Aufl. 2016, Art. 5 N. 596. Ein Teil der Lehre lässt den Erfolgsort nur dort zu, wo sich der Internetauftritt bestimmungsgemäss auswirken soll (ZK IPRG II-VOLKEN/GÖKSU [Fn. 1], Art. 129 N. 53; ACOCELLA, in: Schnyder Anton [Hrsg.], Kommentar Lugano-Übereinkommen [LugÜ] zum internationalen , 2011, Art. 5 LugÜ N. 257 je m.w.N.). 3 Vgl. ZK IPRG II-VISCHER/MOSIMANN (Fn. 1), Art. 110 N. 2 ff. m.w.N. 4 Vgl. ZK IPRG II-VOLKEN/GÖKSU (Fn. 1), Art. 136 N. 11 ff. m.w.N. 5 BGE 142 III 102 E. 5.3.1, 137 III 617 E. 4.3; BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 58 N. 36 ff. je m.w.N. 6 BGE 131 III 70 E. 3.3 f. http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ - 6 - ren, welche dem Bestimmtheitserfordernis nicht genügen, ist nicht einzu- treten. Gegebenenfalls sind sie zu modifizieren, d.h. auf das zulässige Mass einzuschränken.7 Das Rechtsbegehren Ziff. 1 der Klägerin ist bezüglich der Umschreibung "sonst wie im geschäftlichen Verkehr" zu unbestimmt: Im Gegensatz zum konkret beantragten Verbot, den Gebrauch der Zeichen "easyBet", oder im Zusammenhang mit Online-Geldspielen auf der Website www.easybet.com zu gebrauchen, ist unklar, was mit der Um- schreibung "sonst wie im geschäftlichen Verkehr" gemeint sein soll. Bei der Beurteilung eines Vollstreckungsgesuchs hätte der Vollstreckungsrichter den Sachverhalt bezüglich dieser Umschreibung nochmals materiellrecht- lich zu qualifizieren und einer eigentlichen Subsumption zu unterziehen. Im Sinne einer einschränkenden Auslegung ist in Ziff. 1 der Rechtsbegehren der Klägerin auf die Umschreibung "sonst wie im geschäftlichen Verkehr" zu verzichten. 4. Säumnis der Beklagten Die Beklagte ist mit der Erstattung einer Klageantwort auch innert der ihr angesetzten Nachfrist gemäss Art. 223 Abs. 1 ZPO säumig geblieben. Bei zweimaliger Säumnis erlässt das Gericht entweder einen Endentscheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder es lädt zur Hauptverhandlung vor (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die in der Klageschrift vorgebrachten Tatsachenbehauptungen blieben von der Beklagten unbestritten und gelten daher als zugestanden. Daraus kann jedoch noch keine Anerkennung der klägerischen Rechtsbegehren abge- leitet werden. Gemäss Art. 153 Abs. 2 ZPO kann das Gericht bei erhebli- chen Zweifeln an der Richtigkeit einer nicht streitigen Tatsache, d.h. bei fehlender Spruchreife, von Amtes wegen Beweis erheben. In diesem Fall hat das Gericht in der Regel eine Verhandlung anzusetzen.8 Ist die Angelegenheit hingegen spruchreif, trifft das Gericht direkt einen En- dentscheid (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Hierzu muss die Klage soweit geklärt sein, dass auf diese mangels Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten oder die Klage durch Sachurteil erledigt werden kann. Letzteres setzt vo- raus, dass die Vorbringen der Klägerin nicht unklar, widersprüchlich, unbe- stimmt oder offensichtlich unvollständig sind, denn andernfalls hat das Ge- richt seine Fragepflicht auszuüben (vgl. Art. 56 ZPO).9 7 DAVID/FRICK/KUNZ/STUDER/ZIMMERLI, in: Der Rechtsschutz im Immaterialgüter- und Wettbewerbs- recht, SIWR I/2, 3. Aufl. 2011, N. 280. 8 LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizeri- schen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 223 N. 7. 9 Zum Ganzen: LEUENBERGER (Fn. 8), Art. 223 N. 5 und 6a; BSK ZPO-WILLISEGGER, 3. Aufl. 2017, Art. 223 N. 18 ff. http://www.easybet.com/ - 7 - 5. Markenrecht 5.1. Allgemeines Gemäss Art. 55 Abs. 1 MSchG kann, wer in seinem Recht an der Marke oder an einer Herkunftsangabe verletzt oder gefährdet wird, vom Richter unter anderem verlangen, a) eine drohende Verletzung zu verbieten oder b) eine bestehende Verletzung zu beseitigen. Auf der Website www.easybet.com sind die beiden Zeichen "easyBet" und immer noch vorhanden, während das Zeichen mittlerweile entfernt wurde (vgl. Klage Rz. 56, 61; KB 76 ff.). Bezüglich der beiden ers- teren Zeichen erhebt die Klägerin daher eine Beseitigungsklage gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. b MSchG, bezüglich des letzteren Zeichens eine Unter- lassungsklage nach Art. 55 Abs. 1 lit. a MSchG.10 5.2. Aktiv- und Passivlegitimation Aktivlegitimiert, d.h. berechtigt Unterlassung- und Beseitigungsklagen zu erheben, ist der Rechtsinhaber, der in seinen Rechten verletzt oder gefähr- det wird.11 Als behauptete Inhaberin der angeblich berühmten Marke "EASYJET" (Klage Rz. 27) sowie Inhaberin der insgesamt 26 Schweizer "easy"-Marken und 7 internationalen "easy"-Markenregistrierungen mit Schutzausdehnung auf die Schweiz (Klage Rz. 22; KB 16) ist die Klägerin für die vorliegenden Unterlassungs- und Beseitigungsklage aktivlegitimiert. Passivlegitimiert ist jeder sog. Störer des jeweiligen Rechtsguts. Dabei ist von einem weiten Begriff des Störers auszugehen. Er umfasst alle Perso- nen, die sich an einer Rechtsverletzung beteiligen.12 Auch Hosting Provi- der, von dessen Server immaterialgüterrechtlich geschützte Inhalte abge- rufen werden können, sind für Unterlassungs- und Beseitigungsklagen pas- sivlegitimiert.13 Als Hosting-Provider der Website www.easybet.com (Klage Rz. 70 f.; KB 89 f. und 94) ist die Beklagte vorliegend passivlegitimiert. 5.3. Wiederholungsgefahr Im Gegensatz zur Beseitigungsklage setzt die Gutheissung einer Unterlas- sungsklage ein rechtlich schützbares Interesse14 voraus. Dieses besteht nur, wenn das behauptungsweise widerrechtliche Verhalten der beklagten Partei, auf welches die Rechtsbegehren gerichtet sind, im Zeitpunkt der 10 Vgl. BSK MSchG-FRICK, 3. Aufl. 2017, Art. 55 N. 28 und 45. 11 Vgl. BSK MSchG-FRICK (Fn. 10), Art. 55 N. 16. 12 Vgl. BSK MSchG-FRICK (Fn. 10), Art. 55 N. 24 m.w.N. 13 BSK MSchG-FRICK (Fn. 10), Art. 55 N. 25; SHK MSchG-STAUB, 2. Aufl. 2017, Art. 55 N. 27 je m.w.N. 14 BGE 124 III 72 E. 2a, 116 II 357 E. 2a; DOMEJ, in: Heizmann/Loacker (Hrsg.), UWG, 2018, Art. 9 N. 11; BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH, 2013, Art. 9 N. 16 und Art. 55 N. 45 ff.; DAVID/FRICK/KUNZ//ZIMMERLI (Fn. 3), N. 271 ff. je m.w.N. Für BAUDENBACHER/GLÖCKNER, in: Baudenbacher (Hrsg.), Lauterkeitsrecht, 2001, Art. 9 N. 14 ist die Verletzungsgefahr eine materielle und damit klar vom Rechtsschutzinteresse zu trennen. http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ - 8 - Urteilsfällung unmittelbar droht.15 Dies ist der Fall, wenn das bisherige oder das aktuelle Verhalten der beklagten Partei die künftige Rechtsverletzung ernsthaft befürchten lässt (Erstbegehungsgefahr) oder wenn die Gefahr ei- ner Wiederholung früherer Verletzungshandlungen besteht (Wiederho- lungsgefahr). Eine Wiederholungsgefahr ist in der Regel schon anzuneh- men, wenn die beklagte Partei die Widerrechtlichkeit des beanstandeten Verhaltens bestreitet, ist doch in einem solchen Fall zu vermuten, dass sie es im Vertrauen auf dessen Rechtmässigkeit weiterführen wird.16 Letzteres wird rechtsprechungsgemäss angenommen, wenn die beklagte Partei die – wenigstens potentielle – Widerrechtlichkeit des beanstandeten Verhal- tens bestreitet, selbst wenn sie dieses zwischenzeitlich im Rahmen des hängigen Verfahrens eingestellt hat.17 Will der Verletzer die Vermutung der Wiederholungsgefahr eindeutig umstossen, so ist ihm die Abgabe einer vorbehaltslosen Unterlassungserklärung (sog. Abstandserklärung) zu emp- fehlen.18 Die Wiederholungsgefahr entfällt dann, wenn sich die Gegenseite in einer Unterlassungserklärung ausdrücklich dazu verpflichtet, das bean- standete Verhalten vorbehaltlos einzustellen. Dabei wird eine förmliche, verbindliche und bedingungslose Abstandserklärung verlangt. Es genügt nicht, wenn die Gegenpartei ohne materielle Anerkennung der Rechtswid- rigkeit ihres umstrittenen Verhaltens irgendwelche Zusicherungen macht.19 Die Beklagte hat der Klägerin bezüglich des Zeichens nie eine Un- terlassungserklärung abgegeben (Klage Rz. 135). Vielmehr hat die Be- klagte mit der Bestätigung vom 18. Dezember 2018, dass sie nur auf "take- down requests" von Schweizer Behörden reagiere (Klage Rz. 71; KB 94) der Klägerin zu verstehen gegeben, sie akzeptiere das von der Klägerin beanstandete Verhalten nicht ohne Weiteres. Die Wiederholungsgefahr ist daher zu bejahen. 5.4. Ansprüche gestützt auf die berühmte Marke "EASYJET" 5.4.1. Allgemeines Der Inhaber einer berühmten Marke kann anderen deren Gebrauch nicht nur für bestimmte Warenkategorien (vgl. Art. 13 Abs. 1 MSchG), sondern für jede Art von Waren oder Dienstleistungen verbieten, wenn ein solcher Gebrauch die Unterscheidungskraft der Marke gefährdet oder deren Ruf ausnützt oder beeinträchtigt (Art. 15 Abs. 1 MSchG). Vorbehalten bleiben Rechte Dritter, die erworben wurden, bevor die Marke Berühmtheit erlangt hat (Art. 15 Abs. 2 MSchG).20 15 BGE 128 III 96 E. 2e, 124 II 72 E. 2a. 16 BGE 124 III 72 E. 2a, 116 II 357 E. 2a; DAVID/FRICK/KUNZ/STUDER/ZIMMERLI (Fn. 3), N. 273. 17 BGE 128 III 96 E. 2e; SHK MSchG-STAUB (Fn. 13), Art. 55 N. 51 f. m.w.N. 18 BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH (Fn. 14), Art. 9 N. 23; SHK UWG-SPITZ, 2. Aufl. 2016, Art. 9 N. 64 je m.w.N. 19 BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH (Fn. 14), Art. 9 N. 23 m.w.N. 20 BGE 124 III 277 E. 1. - 9 - Der erweiterte Schutz von Art. 15 MSchG greift damit nur, wenn zwei Vo- raussetzungen erfüllt sind: Einerseits muss eine berühmte Marke vorliegen. Andererseits muss das Verhalten des Dritten zumindest eine der drei Tat- bestandsvarianten gemäss Art. 15 Abs. 1 MSchG erfüllen; d.h. der Ge- brauch der berühmten Marke muss entweder deren Unterscheidungskraft gefährden, deren Ruf ausnützen oder deren Ruf beeinträchtigten.21 5.4.2. Berühmtheit der Marke "EASYJET" 5.4.2.1. Parteibehauptung Die Klägerin vertritt die Auffassung beim Zeichen "EASYJET" handle es sich um eine berühmte Marke i.S.v. Art. 15 Abs. 1 MSchG (Klage Rz. 79 ff.). Unter der Marke "EASYJET" träte die zweitgrösste Fluggesell- schaft Europas auf (Klage Rz. 28). Diese werde seit über 20 Jahren in der Schweiz intensiv beworben und sei jedermann ein Begriff. Die Bekanntheit der Marke "EASYJET erstrecke sich auf alle Bevölkerungskreise (Klage Rz. 30 ff.). Ihre Berühmtheit gehe sogar so weit, dass sie mit dem Begriff "Generation easyJet" sinnbildlich für das Reiseverhalten einer ganzen Ge- neration stehe und Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden habe (Klage Rz. 38). In der Schweiz komme der Marke "EASYJET" daher eine überragende Verkehrsgeltung zu (Klage Rz. 27 ff.). Die Marke "EASYJET" geniesse in der Schweiz bei den Abnehmern ausserdem ein positives Image; damit werde eine besonders preiswerte, aber dennoch äusserst sichere Fluggesellschaft assoziiert (Klage Rz. 40 ff.). Schliesslich komme der Marke "EASYJET" in der Schweiz Alleinstellungsmerkmal zu, zumal mit Ausnahme des beanstandeten Kennzeichens "easyBet" keine Drittzeichen bekannt seien, die ihre Unterscheidungskraft trüben könnten (Klage Rz. 43). 5.4.2.2. Rechtliches Das Gesetz bestimmt nicht, wann eine Marke als berühmt zu gelten hat.22 Vielmehr wurde es bewusst der Gerichtspraxis überlassen, zu entscheiden, wann im Einzelfall eine Marke als berühmt im Sinne von Art. 15 MSchG anzusehen ist, ebenso über die Frage, ob ein der berühmten Marke ange- nähertes Zeichen in unzulässiger Weise deren Unterscheidungskraft oder Ruf tangiert.23 Berühmtheit einer Marke ist dort anzunehmen, wo sich der in Art. 15 MSchG umschriebene erweiterte Schutz sachlich rechtfertigt. Das ist dann der Fall, wenn es dem Inhaber gelungen ist, seiner Marke eine derart über- ragende Verkehrsgeltung zu verschaffen, dass ihre durchschlagende Wer- bekraft sich nicht nur im angestammten Waren- oder Dienstleistungsbe- reich nutzen lässt, sondern darüber hinaus geeignet ist, auch den Absatz 21 SHK MSchG-THOUVENIN, 2. Aufl. 2017, Art. 15 N. 11; MARBACH, SIWR III/1, 2. Aufl. 2009, N. 1641. 22 BSK MSchG-DAVID/FRICK, 3. Aufl. 2017, Art. 15 N. 15; MARBACH (Fn. 21), N. 1645. 23 Botschaft zu einem Bundesgesetz über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (Marken- schutzgesetz, MSchG) vom 21. November 1990, BBl 1991 I, S. 27. - 10 - anderer Waren oder Dienstleistungen erheblich zu erleichtern.24 Die Be- kanntheit der berühmten Marke muss sich dabei auf alle Bevölkerungs- kreise erstrecken.25 Allerdings sind von der berühmten Marke dennoch nur jene Verkehrskreise angesprochen, an die sich das damit gekennzeichnete Angebot von Waren und Dienstleistungen auch richtet.26 Die schweizweite Berühmtheit muss im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Zeichenauftritts der beklagten Partei bereits bestehen.27 Neben der überragenden Ver- kehrsgeltung sind die Einmaligkeit sowie die allgemeine Wertschätzung ei- ner Marke weitere Indizien für deren Berühmtheit.28 Die allgemeine Wert- schätzung verlangt jedoch nicht, dass zwangsläufig eine positive Assozia- tion vorliegen muss.29 Bei der überragenden Verkehrsgeltung handelt es sich um ein quantitatives Kriterium, bei welchem nach dem Bekanntheits- grad der Marke gefragt wird.30 Hingegen handelt es sich bei der allgemei- nen Wertschätzung und der Einmaligkeit um qualitative Kriterien. Zwischen dem quantitativen Kriterium und den qualitativen Kriterien besteht eine Wechselwirkung: Je bekannter eine Marke ist, umso geringer sind die An- forderungen an die allgemeine Wertschätzung und Alleinstellung, und um- gekehrt.31 5.4.2.3. Würdigung Die klägerische Behauptung, sie sei Inhaberin der Marke "EASYJET" hat die Beklagte nicht bestritten. Ebenso hat die Beklagte die Behauptungen der Klägerin, dass die Marke "EASYJET" in der Schweiz eine überragende Verkehrsgeltung sowie eine Alleinstellung zukomme sowie ein positives Image geniesse, nicht bestritten. Damit sind die Inhaberschaft der Marke "EASYJET" und die drei Parameter der Berühmtheit – welche Tatfragen bilden32 – unstrittig und daher grundsätzlich nicht beweisbedürftig.33 Für das Handelsgericht bestehen an der Richtigkeit dieser Behauptungen auch keine erheblichen Zweifel, so dass eine Beweiserhebung von Amtes wegen entfällt (vgl. Art. 153 Abs. 2 ZPO). Aufgrund der überragenden Verkehrs- geltung, der Einmaligkeit sowie der allgemeinen Wertschätzung des Zei- chens "EASYJET" ist die Berühmtheit dieser Marke i.S.v. Art. 15 Abs. 1 MSchG zu bejahen sowie die Klägerin als deren Inhaberin anzusehen. 24 BGE 124 III 277 E. 1; BGer 4C.31/2004 vom 8. November 2004 E. 3.2. 25 BSK MSchG-DAVID/FRICK (Fn. 22), Art. 15 N. 32. 26 Vgl. LAREDO, Markenrechtlicher Schutz berühmter Marken, 2006, S. 104 m.w.N. 27 Zum Ganzen MARBACH (Fn. 21), N. 1654 ff. m.w.N. 28 BSK MSchG-DAVID/FRICK (Fn. 22), Art. 15 N. 28; SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 14 f. 29 MARBACH (Fn. 21), N. 1667. 30 BSK MSchG-DAVID/FRICK (Fn. 22), Art. 15 N. 31. 31 SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 15. 32 SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 72 m.w.N. 33 Vgl. HASENBÖHLER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 8), Art. 150 N. 15 m.w.N. - 11 - 5.4.3. Verletzungshandlungen 5.4.3.1. Parteibehauptung Gemäss Auffassung der Klägerin würde sich das auf der von der Beklagten gehosteten Website www.easybet.com verwendete Kennzeichen "easy- Bet" lediglich in einem Buchstaben von der berühmten Marke "EASYJET" unterscheiden. Sowohl der Wortklang als auch das Schriftbild von "easy- Bet" und "EASYJET" würden grosse Ähnlichkeiten aufweisen. Daher sei der Gebrauch des Zeichens "easyBet" offensichtlich geeignet beim Schwei- zer Publikum Assoziationen mit der berühmten Marke "EASYJET" der Klä- gerin hervorzurufen. Es handle sich folglich klar um ähnliche Zeichen (Klage Rz. 85). Die Verwendung des Zeichens "easyBet" sei geeignet, den Schweizer Nutzern der Website zu suggerieren, die Website www.easy- bet.com sowie ihre Betreiberin würde zum easy-Konzern gehören bzw. in einer wirtschaftlichen Verbindung zur Klägerin stehen, womit die Nutzer da- von ausgingen, die Geldspiele werden von der Klägerin oder vom easy- Konzern angeboten. Dadurch werde die Unterscheidungskraft der Marke "EASYJET" gefährdet (Klage Rz. 86). Mit der begrifflichen Anlehnung des Zeichens "easyBet" an "EASYJET" werde auch der gute Ruf und der Be- kanntheitsgrad der berühmten Marke "EASYJET" in der Schweiz ausge- beutet. Diese Absicht zur Rufausbeutung würde sich insbesondere anhand der ursprünglich vollständigen Übernahme der "easyJet"-Ausstattung auf der Website www.easybet.com zeigen (Klage Rz. 87). Schliesslich be- stände die Gefahr, dass der gute Ruf der berühmten Marke "EASYJET" durch die Verwendung des Zeichens "easyBet" im Zusammenhang mit On- line-Geldspiel-Dienstleistungen Schaden nehmen würde. Einerseits seien die auf der Website www.easybet.com angebotenen Online-Geldspiel- Dienstleistungen inkompatibel mit denjenigen der Klägerin und generell ne- gativ konnotiert. Andererseits werde das Schweizer Publikum aufgrund der augenscheinlichen Assoziation der Website www.easybet.com mit der be- rühmten Marke "EASYJET" der Klägerin annehmen, die Klägerin fördere unter ihren Marken die Spielsucht in der Schweizer Bevölkerung, was sich wiederum unmittelbar negativ auf den guten Ruf der berühmten Marke "EASYJET" auswirken würde. Schliesslich liefe die Klägerin Gefahr, das Schweizer Publikum nehme an, sie führe im Internet illegale Geldspiele durch (Klage Rz. 88). http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ http://www.easybet.com/ - 12 - 5.4.3.2. Rechtliches Für die Bejahung einer Verletzung der berühmten Marke muss mindestens eines der drei Tatbestandsvarianten gemäss Art. 15 Abs. 1 MSchG erfüllt sein; d.h. der Gebrauch der berühmten Marke muss entweder deren Unter- scheidungskraft gefährden (Verwässerung), deren Ruf ausnützen (Rufaus- nützung) oder deren Ruf beeinträchtigten (Rufbeeinträchtigung).34 5.4.3.2.1. Gefährdung der Unterscheidungskraft (Verwässerung) Der Tatbestand der Gefährdung der Unterscheidungskraft knüpft nicht am Ruf der berühmten Marke an, sondern an die Gefahr, dass eine berühmte Marke durch ein bestimmtes Verhalten an Wirksamkeit als Herkunftshin- weis für bestimmte Waren und Dienstleistungen einbüsst.35 Eine solche Gefahr setzt eine gewisse Zeichenähnlichkeit zwischen einem Drittzeichen und der berühmten Marke voraus.36 Erreicht ist das erforderliche Mass der Zeichenähnlichkeit bereits, wenn das Drittzeichen geeignet ist, beim Publi- kum Assoziationen zur berühmten Marke zu wecken.37 Für einen Teil der Lehre ist es sogar ausreichend, wenn die Möglichkeit der Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft ausreicht.38 Die Unterscheidungskraft einer be- rühmten Marke wird auch dann gefährdet, wenn sie abgewandelt wird, so dass das Publikum nicht mehr weiss, ob es eine neue Marke oder eine auf der berühmten Marke aufbauende Serienmarke oder Abwandlung vor sich hat.39 5.4.3.2.2. Rufausbeutung (Rufausnützung) Die berühmte Marke wird davor geschützt, dass ein anderer deren Ruf aus- nützt. Verpönt wird damit das sogenannte Trittbrettfahren; derjenige, der für seine Marke durch grossen Aufwand einen untadeligen Ruf geschaffen hat, muss nicht hinnehmen, dass dieser Ruf von Dritten für eigene Zwecke genutzt wird.40 Jeder Versuch Dritter, die eigenen Angebote im Windschat- ten der berühmten Marke zu positionieren, rechtfertigt den Abwehran- spruch.41 Dieser Imagetransfer erfolgt insbesondere durch das Erwecken von Gedankenassoziationen zur fremden Marke.42 Er setzt damit voraus, dass die mit der berühmten Marke verbundenen Informationen, Assoziati- onen und Vorstellungen nach Auffassung der massgeblichen Verkehrs- 34 BSK MSchG-DAVID/FRICK (Fn. 22), Art. 15 N. 52; MARBACH (Fn. 21), N. 1677. 35 BSK MSchG-DAVID/FRICK (Fn. 22), Art. 15 N. 64 ff.; SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 55 ff. je m.w.N. 36 SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 62 ff. 37 SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 64 m.w.N. 38 LAREDO (Fn. 26), S. 90; HEINZELMANN, Der Schutz der berühmten Marke, S. 151. 39 BSK MSchG-DAVID/FRICK (Fn. 22), Art. 15 N. 71 m.w.N. 40 BSK MSchG-DAVID/FRICK (Fn. 22), Art. 15 N. 53 f. 41 MARBACH (Fn. 21), N. 1679. 42 Vgl. BGE 135 III 446 E. 7.1; BGer 4A_103/2008 vom 7. Juli 2008 E. 6, 4A_467/2007 und 4A_469/2007 vom 8. Februar 2008 E. 4.3 je m.w.N. - 13 - kreise von den Produkten des Markeninhabers auf die von Dritten angebo- tenen Waren und Dienstleistungen übertragen werden können.43 Dies hängt vom Inhalt des Rufs als auch von einer gewissen Gleichartigkeit der Produkte ab.44 5.4.3.2.3. Rufbeeinträchtigung Bei der Rufbeeinträchtigung steht im Gegensatz zur Rufausbeutung nicht der eigene Vorteil im Vordergrund, sondern vorab die Beeinträchtigung der Marke des Gegners, meistens durch deren Herabsetzung oder Verächtlich- machung.45 Die Rufbeeinträchtigung gemäss Art. 15 Abs. 1 MSchG setzt jedoch den kennzeichnungsmässigen Gebrauch eines hinreichend ähnli- chen Drittzeichens voraus.46 Der Ruf einer berühmten Marke kann durch deren Verwendung für minderwertige Produkte oder einen Zweckge- brauch, der mit der berühmten Marke inkompatible Assoziationen weckt, beeinträchtigt werden.47 Der Ruf einer berühmten Marke kann auch durch einen inkompatiblen Zweitgebrauch beeinträchtigt werden. Dies ist bspw. beim Gebrauch eines der berühmten Marke hinreichend ähnlichen Zei- chens für unpassende Produkte der Fall.48 Schliesslich kann die Rufbeein- trächtigung auch durch herabsetzenden oder obszönen Gebrauch einer berühmten Marke oder eines hinreichend ähnlichen Zeichens erfolgen.49 5.4.3.3. Würdigung - Gefährdung der Unterscheidungskraft (Verwäs- serung) Der Zeichenbestandteil "easy" ist Teil des englischen Grundwortschatzes und ist daher den Konsumenten in sämtlichen Landesteilen bekannt.50 Auf- grund des Gemeingutcharakters des Zeichenbestandteils "easy" führt nicht jedes Zeichen mit dem Wortstamm "easy" ohne Weiteres zu einer Verwäs- serung der berühmten Marke "EASYJET".51 Vielmehr muss die Zeichen- ähnlichkeit des verletzenden Zeichens so gross sein, dass beim Publikum Assoziationen zur berühmten Marke "EASYJET" geweckt werden. Dies ist vorliegend der Fall: Einerseits besteht eine grosse Ähnlichkeit in Bezug auf das Schriftbild. Die Zeichen "EASYJET" und "easyBet" enthalten beide den Wortstamm "easy", sind gleich lang und unterscheiden sich nur in einem Buchstaben, nämlich indem der fünfte Buchstaben "J" durch ein "B" ersetzt wurde. Auch der Wortklang zwischen den beiden Zeichen ist äussert ähn- lich. Dadurch kann beim Publikum auch der Eindruck entstehen, dass es sich beim Zeichen "easyBet" um eine Marke des easy-Konzerns handelt. 43 BGE 124 III 277 E. 3a; SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 35; LAREDO (Fn. 26), S. 120. 44 SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 35. 45 BSK MSchG-DAVID/FRICK (Fn. 22), Art. 15 N. 60. 46 SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 47. 47 BSK MSchG-DAVID/FRICK (Fn. 22), Art. 15 N. 62 f.; SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 48 ff. 48 SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 50 f. m.w.N. 49 SHK MSchG-THOUVENIN (Fn. 21), Art. 15 N. 53 m.w.N. 50 Siehe <https://de.langenscheidt.com/englisch-deutsch/>, zuletzt besucht am 2. Dezember 2019. 51 Zum Gemeingut vgl. BGE 145 III 178 E. 2.3.1 m.w.N. - 14 - Die Unterscheidungskraft der berühmten Marke "EASYJET" wird durch das Zeichen "easyBet" gefährdet und damit verwässert. Aufgrund der Bejahung der Verwässerung der berühmten Marke "EASYJET" durch das Zeichen "easyBet" erübrigt es sich, auf die beiden weiteren Tatbestandsvarianten von Art. 15 Abs. 1 MSchG, d.h. die Rufaus- nützung und die Rufbeeinträchtigung, einzugehen. 5.5. Ergebnis Beim Zeichen "EASYJET" handelt es sich um eine berühmte Marke i.S.v. Art. 15 Abs. 1 MSchG. Da das Zeichen "easyBet" die Unterscheidungskraft der berühmten Marke "EASYJET" gefährdet und damit verwässert, ist der Beklagten zu untersagen, die Website www.easybet.com weiterhin zu hos- ten, soweit darin das Zeichen "easyBet" im Zusammenhang mit Online- Geldspielen gebraucht wird. Dies gilt auch für die beiden zusätzlichen Zei- chen und : Die beiden Wort-/Bildzeichen setzen sich aus dem Wortbestandteil "easyBet" sowie der Hinterlegung des Wortbestand- teils mit einem orangen resp. roten Rechteck zusammen. Aufgrund der of- fensichtlichen Dominanz des Wortbestandteils führt die Verwendung einer farbigen Hinterlegung nicht zu einem zusätzlichen Zeichenabstand. Weitere Ausführungen zu der von der Klägerin behaupteten Verwechsel- barkeit der klägerischen Marken mit dem Zeichen "easyBet" sowie die Prü- fung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche erübrigen sich damit. 6. Vollstreckungsmassnahmen Die Klägerin beantragt, das anzuordnende Verbot sei neben der Strafdro- hung nach Art. 292 StGB mit der Androhung einer Ordnungsbusse von Fr. 1'000.00 für jeden Tag der Nichterfüllung gemäss Art. 343 Abs. 1 lit. c ZPO, mindestens aber Fr. 5'000.00 gemäss Art. 343 Abs. 1 lit. b ZPO zu versehen. Das Gericht ordnet bei der direkten Vollstreckung auf Antrag der obsiegen- den Partei Vollstreckungsmassnahmen an (Art. 236 Abs. 3 ZPO).52 Die Klägerin ersucht um Kombination der Massnahmen nach Art. 343 Abs. 1 lit. a-c ZPO. Eine Kombination der Ordnungsbussenbestimmungen ist zu- lässig.53 Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Ordnungsbussen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung anhand des "objektiven Ausmasses der Zuwiderhandlung" auszufällen sind.54 Die Androhung von Ordnungs- bussen sollte daher stets den gesetzlich vorgesehen Zusatz "bis zu" ent- halten oder es ist auf die Nennung eines konkreten Betrages gänzlich zu 52 SCHNEUWLY/VETTER, Die Realvollstreckung handelsgerichtlicher Entscheide, in: Jusletter 5. Septem- ber 2016, N. 14. 53 SCHNEUWLY/VETTER (Fn. 52), N. 34 ff. m.w.N. 54 BGE 142 III 587 E. 6.2. http://www.easybet.com/ - 15 - verzichten.55 Eine Unverhältnismässigkeit der beantragten Vollstreckungs- massnahmen ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich. Bei der Strafan- drohung nach Art. 292 StGB handelt es sich im Vergleich zu den Ordnungs- bussen nach Art. 343 Abs. 1 lit. b und c ZPO nicht um eine mildere Mass- nahme. Daher ist der Beklagten neben der Strafdrohung nach Art. 292 StGB eine Ordnungsbusse von bis zu Fr. 5'000.00 für die Nichterfüllung des gerichtlich angeordneten Verbots sowie bis zu Fr. 1'000.00 für jeden Tag der Nichterfüllung anzudrohen. 7. Prozesskosten Abschliessend sind die Kosten entsprechend dem Verfahrensausgang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteientschädi- gung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Mit Ausnahme der Einschränkungen betreffend Bestimmtheit der Rechtsbegehren (oben E. 3) und der Vollstreckungs- massnahmen (oben E. 6) obsiegt die Klägerin mit ihrer Klage. Entspre- chend sind die Prozesskosten vollumfänglich der Beklagten aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). 7.1. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen vorliegend einzig aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Gerichtsgebühr beträgt bei einem Streitwert von Fr. 100'000.00 gestützt auf § 7 Abs. 1 Zeile 5 VKD Fr. 7'700.00. Hiervon ist gemäss § 13 Abs. 1 VKD bei wie hier nicht voll- ständig durchgeführtem Verfahren ein angemessener Abzug vorzuneh- men. Unter Berücksichtigung des verursachten gerichtlichen Aufwandes werden die Gerichtskosten deshalb auf total Fr. 5'000.00 festgesetzt. Sie sind ausgangsgemäss von der Beklagten zu tragen und werden mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 7'770.00 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Ein allfälliger Überschuss steht der Klägerin zu. Die Beklagte hat der Klägerin die Gerichtskosten von Fr. 5'000.00 direkt zu er- setzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). 7.2. Parteientschädigung Die Parteientschädigung bemisst sich nach § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 6 AnwT. Die Grundentschädigung beträgt gerundet Fr. 12'930.00. Damit sind ge- mäss § 6 Abs. 1 AnwT unter anderem eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer Verhandlung abgegolten. Für die nicht durchgeführte Verhandlung ist praxisgemäss ein Abschlag von 20 % gerechtfertigt (vgl. § 6 Abs. 2 AnwT). Zusätzlich zur Kleinkostenpauschale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Parteientschädigung von Fr. 10'650.00. Darauf ist bereits mangels Antrags keine Mehrwertsteuer ge- schuldet.56 55 SCHNEUWLY/VETTER (Fn. 52), N. 29. 56 Vgl. SUTER/VON HOLZEN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 8), Art. 95 N.39 m.w.N. Siehe auch Merkblatt der Gerichte des Kantons Aargau zur Frage der Berücksichtigung der Mehr- - 16 - Das Handelsgericht erkennt: 1. 1.1. In teilweiser Gutheissung der Klage wird der Beklagten unter Androhung der Bestrafung ihrer verantwortlichen Organe mit Busse wegen Ungehor- sams gegen eine amtliche Verfügung gemäss Art. 292 StGB im Zuwider- handlungsfall, unter Androhung einer Ordnungsbusse von bis zu Fr. 5'000.00 für die Nichterfüllung sowie von bis zu Fr. 1'000.00 für jeden Tag der Nichterfüllung verboten, unter der Domain easybet.com eine von der Schweiz aus zugängliche Website zu hosten, soweit auf dieser Website die Zeichen "easyBet", oder im Zusammenhang mit On- line-Geldspielen gebraucht werden. 1.2. Art. 292 StGB lautet: Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfü- gung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.00 werden der Beklagten auferlegt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 7'770.00 verrechnet. Die Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 5'000.00 di- rekt zu ersetzen. 3. Die Beklagte hat der Klägerin eine Parteientschädigung von Fr. 10'650.00 (inkl. Auslagen) zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) die Beklagte (Vertreter; zweifach) Mitteilung an: die Obergerichtskasse das Institut für Geistiges Eigentum wertsteuer bei der Bemessung der Parteientschädigung, publiziert unter: https://www.ag.ch//kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (letztmals am 2. Dezember 2019). https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 17 - 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 2. Dezember 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Müller
10,926
7,628
AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Immate_2019-12-02
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_2._Dezember_2019.pdf
null
nan
5b552e26-b10e-4aab-8dd4-5624258236b9
1
414
1,497,477
1,599,091,200,000
2,020
de
Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HOR.2020.25 Urteil vom 3. September 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Ersatzrichter Meichssner Handelsrichterin Baumann Gerichtsschreiber Schneuwly Rechtspraktikant Stich Klägerin S., _ vertreten durch lic. iur. Carmen De La Cruz Böhringer und MLaw Boris In- derbitzin, Rechtsanwälte, Landis + Gyr-Strasse 1, 6300 Zug Beklagte Q. AG, _ Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung aus Urheberrecht und ver- wandten Schutzrechten - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Genossenschaft mit Sitz in Z. und bezweckt die treu- händerische Wahrung der Rechte der Urheber und Urheberinnen von nicht- theatralischen musikalischen Werken, welche ihr von den Urhebern und Urheberinnen oder ihren Verlegern und Verlegerinnen übertragen werden (Klagebeilage [KB] 3). Sie übt ihre Tätigkeit gemäss Art. 40 ff. URG mit Bewilligung des Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) vom 14. Dezember 2017 aus (KB 2). 2. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in W. (AG). Sie bezweckt im Wesentlichen die _ (KB 3). 3. Die Beklagte hatte der Billag AG, die vor der Revision des RTVG aus dem Jahr 2014 im Auftrag der Klägerin für die Erhebung der hier relevanten Ver- gütungen zuständig war, ihre Nutzung gemäss Gemeinsamer Tarif 3a (Wahrnehmbarmachen von Sendungen sowie Nutzung von Ton- und Ton- bildträgern, insbesondere Hintergrundmusik [GT 3a; KB 4]) angemeldet. Gemäss ihren eigenen Angaben führt die Beklagte abgabepflichtige audio- visuelle Nutzungen auf einer Fläche bis 1'000 m2 durch (Klage Rz. 7 f.; KB 4). 4. Die Klägerin stellte der Beklagten die Vergütung für das Jahr 2019 am 7. Juni 2019 in Rechnung (Klage Rz. 10; KB 5). 5. 5.1. Da die Beklagte trotz zweier schriftlicher Mahnungen keine Zahlung leis- tete, trat die Klägerin ihre Forderung mittels Zession vom 7. Oktober 2019 der E. AG ab (Klage Rz. 12; KB 6). 5.2. Die E. AG betrieb die Beklagte für die Forderung von Fr. 255.35 zuzüglich 5 % Zins seit 22. Juli 2019 sowie den Verzugsschaden von Fr. 144.75. Ge- gen den Zahlungsbefehl des Betreibungsamts W. vom 17. Dezember 2019 (Betreibungs-Nr. 123) erhob die Beklagte am 6. Januar 2020 Rechtsvor- schlag (Klage Rz. 12; KB 7). 5.3. Mittels Rückzession vom 27. Februar 2020 übertrug die E. AG die Forde- rung wieder an die Klägerin (Klage Rz. 12; KB 8). - 3 - 6. Mit Klage vom 15. Mai 2020 (Postaufgabe elektronisch am 18. Mai 2020) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die beklagte Partei sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 255.35 zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 08.07.2019 zu bezahlen. 2. Der Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. 123, Betreibungsamt W. in W., sei zu beseitigen. 3. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der be- klagten Partei." Zur Begründung führte die Klägerin im Wesentlichen aus, es handle sich um Ansprüche aus einer unbezahlten Forderung basierend auf der urhe- berrechtlichen Vergütungspflicht der Beklagten, die auf dem Gemeinsamen Tarif 3a (Wahrnehmbarmachen von Sendungen sowie Nutzung von Ton- und Tonbildträgern, insbesondere Hintergrundmusik) beruhe (vgl. KB 4). 7. 7.1. Nachdem die Klägerin den Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 928.10 be- zahlt hatte, stellte der Vizepräsident des Handelsgerichts der Beklagten mit Verfügung vom 4. Juni 2020 das Doppel der Klage zu und setzte ihr eine Frist zur Erstattung einer schriftlichen Antwort bis zum 6. Juli 2020. 7.2. Da die Beklagte innert der angesetzten Frist keine Antwort erstattete, setzte ihr der Vizepräsident mit Verfügung vom 13. Juli 2020 eine letzte, nicht erst- reckbare Frist von 10 Tagen für die Erstattung einer schriftlichen Antwort an. Damit war die Androhung verbunden, dass bei erneuter Säumnis das Gericht einen Endentscheid fällt, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder zur Hauptverhandlung vorlädt (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die Beklagte blieb auch innert der angesetzten Nachfrist mit der Antwort säumig. 8. Mit Verfügung vom 28. August 2020 wurde die Streitsache an das Handels- gericht überwiesen. - 4 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche Zustän- digkeit des angerufenen Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 1.1. Örtliche Zuständigkeit Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. b ZPO ist für die Beurteilung von Klagen gegen eine juristische Person das Gericht an deren Sitz zuständig, sofern das Ge- setz nichts anderes vorsieht. Der Sitz der Beklagten liegt in W. (vgl. KB 4). Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist damit gegeben. 1.2. Sachliche Zuständigkeit Aus Art. 6 Abs. 4 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a ZPO i.V.m. § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO ergibt sich die Zuständigkeit des Handelsgerichts für urheberrechtli- che Streitigkeiten. Folglich ist die sachliche Zuständigkeit des Handelsge- richts gegeben. Da der Streitwert die für die Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht vorgeschriebene Höhe von Fr. 30'000.00 (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) nicht erreicht, entscheidet das Handelsgericht in Dreierbesetzung (§ 3 Abs. 6 lit. b GOG AG). 2. Versäumte Klageantwort Die Beklagte ist mit der Erstattung einer Klageantwort auch innert der ihr angesetzten Nachfrist gemäss Art. 223 Abs. 1 ZPO säumig geblieben. Bei zweimaliger Säumnis erlässt das Gericht entweder einen Endentscheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder es lädt zur Hauptverhandlung vor (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die in der Klageschrift vorgebrachten Tatsachenbehauptungen blieben von der Beklagten unbestritten und gelten daher als zugestanden. Daraus kann jedoch noch keine Anerkennung der klägerischen Rechtsbegehren abge- leitet werden. Gemäss Art. 153 Abs. 2 ZPO kann das Gericht bei erhebli- chen Zweifeln an der Richtigkeit einer nicht streitigen Tatsache, d.h. bei fehlender Spruchreife, von Amtes wegen Beweis erheben. In diesem Fall hat das Gericht in der Regel eine Verhandlung anzusetzen.1 Ist die Angelegenheit hingegen spruchreif, trifft das Gericht direkt einen En- dentscheid (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Hierzu muss die Klage soweit geklärt sein, dass auf diese mangels Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten oder die Klage durch Sachurteil erledigt werden kann. Letzteres setzt vo- 1 LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizeri- schen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 223 N. 7. - 5 - raus, dass die Vorbringen der Klägerin nicht unklar, widersprüchlich, unbe- stimmt oder offensichtlich unvollständig sind, denn andernfalls hat das Ge- richt seine Fragepflicht auszuüben (vgl. Art. 56 ZPO).2 3. Aktiv- und Passivlegitimation 3.1. Die Klägerin behauptet, sie sei eine konzessionierte Verwertungsgesell- schaft im Sinne von Art. 40 ff. URG, besitze die Bewilligung des Eidgenös- sischen Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) für die Geltendmachung der gesetzlichen Vergütungsansprüche und sei somit aktivlegitimiert (Klage Rz. 2; KB 2). Die Beklagte sei gestützt auf den GT 3a und die entsprechen- den Artikel des Urheberrechtsgesetzes verpflichtet, eine Vergütung ge- mäss Ziff. 4 ff. GT 3a zu entrichten. Die Beklagte sei deshalb passivlegiti- miert (Klage Rz. 3). 3.2. Gemäss Art. 10 Abs. 1 URG hat der Urheber oder die Urheberin das aus- schliessliche Recht zu bestimmen, ob und wann ihr Werk verwendet wird. Der Urheber oder die Urheberin hat gestützt auf Art. 10 Abs. 2 URG insbe- sondere das Recht a) Werkexemplare wie Druckerzeugnisse, Ton-, Ton- bild- oder Datenträger herzustellen; b) Werkexemplare anzubieten, zu ver- äussern oder sonst wie zu verbreiten; c) das Werk direkt oder mit irgend- welchen Mitteln vorzutragen, aufzuführen, vorzuführen, anderswo wahr- nehmbar oder so zugänglich zu machen, dass Personen von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl dazu Zugang haben; d) das Werk durch Radio, Fernse- hen oder ähnliche Einrichtungen, auch über Leitungen, zu senden; e) ge- sendete Werke mit Hilfe von technischen Einrichtungen, deren Träger nicht das ursprüngliche Sendeunternehmen ist, insbesondere auch über Leitun- gen, weiterzusenden und f) zugänglich gemachte, gesendete und weiter- gesendete Werke wahrnehmbar zu machen. Gemäss Art. 22 Abs. 1 URG können die Rechte, gesendete Werke zeitgleich und unverändert wahr- nehmbar zu machen oder im Rahmen der Weiterleitung eines Sendepro- grammes weiterzusenden, nur über zugelassene Verwertungsgesellschaf- ten geltend gemacht werden, d.h. nur kollektiv von Verwertungsgesell- schaften wahrgenommen werden, die über eine Bewilligung im Sinne von Art. 40 ff. URG des IGE verfügen.3 Die Verwertungsgesellschaften sind nach Art. 44 URG verpflichtet, die zu ihrem Tätigkeitsgebiet gehörenden Rechte wahrzunehmen. Dazu stellen die Verwertungsgesellschaften für die von ihnen geforderten Vergütungen gemäss Art. 46 Abs. 1 URG Tarife auf. Sind mehrere Verwertungsgesellschaften im gleichen Nutzungsbereich tä- tig, so stellen sie sog. Gemeinsame Tarife (GT) auf und bezeichnen eine gemeinsame Zahlstelle (Art. 47 Abs. 1 URG). Gemäss Art. 46 Abs. 3 URG 2 Zum Ganzen: LEUENBERGER (Fn. 1), Art. 223 N. 5 und 6a; BSK ZPO-WILLISEGGER, 3. Aufl. 2017, Art. 223 N. 18 ff. 3 Vgl. SHK URG-PFORTMÜLLER, 2. Aufl. 2012, Art. 10 N. 13 - 6 - sind die Tarife der Eidgenössischen Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK) im Sinne von Art. 55 URG zur Genehmigung vorzulegen und nach Genehmigung zu ver- öffentlichen. Für das Wahrnehmbarmachen von Sendungen sowie Nut- zung von Ton- und Tonbildträgern, insbesondere Hintergrundmusik, wurde der GT 3a (KB 4) aufgestellt. 3.3. Bei der Klägerin handelt es sich um eine vom IGE bewilligte Verwertungs- gesellschaft im Sinne von Art. 40 ff. URG (KB 2). In Ziff. 3 GT 3a wird die Klägerin als Vertreterin dieses Tarifs festgelegt und in Ziff. 8.2 GT 3a als gemeinsame Zahlstelle der Verwertungsgesellschaften bezeichnet (vgl. KB 4). Ihr kommt folglich das Recht und die Pflicht zu, die Rechte der Ur- heberinnen und Urheber und damit deren Vergütungsansprüche einzufor- dern und nötigenfalls durchzusetzen. Die Klägerin ist, nachdem die Forde- rung von der E. AG auf sie zurückzediert wurde, somit aktivlegitimiert. Ge- mäss unbestrittener Behauptung der Klägerin hat die Beklagte der Billag AG ihre Nutzung gemäss GT 3a angemeldet und bis zum 15. Januar des auf die Vergütungsperiode folgenden Jahres keine Änderungen ihrer Ver- gütungsgrundlagen gemäss Ziff. 12 GT 3a mitgeteilt (Klage Rz. 7 und 10). Als Nutzerin der in GT 3a geregelten Werke ist die Beklagte vom GT 3a erfasst und daher passivlegitimiert. 4. Vergütungsanspruch 4.1. Für das Wahrnehmbarmachen von Sendungen sowie die Nutzung von Ton- und Tonbildträgern, insbesondere Hintergrundmusik, ist der GT 3a anwendbar (KB 4). Für die Berechnung der Basisvergütung der audiovisu- ellen Nutzungen (Fläche bis 1'000 m2 und/oder für bis 200 Amtslinien) be- trägt der Ansatz gemäss Ziff. 5 GT 3a für die Urheberrechte Fr. 15.60 und Fr. 5.20 für die verwandten Schutzrechte pro Kalendermonat und Nut- zungsort. Nutzer, welche die GT 3a-Vergütungen vor dem 1. Januar 2019 über die Billag AG bezahlt haben, kommen gemäss Ziff. 8.2 in den Genuss eines Rabatts von 5 % auf den geschuldeten Vergütungen. Schliesslich ist auf den geschuldeten Vergütungen Mehrwertsteuer geschuldet. Gemäss unbestrittener Behauptung der Klägerin kommt für die Urheberrechte ein Mehrwertsteuersatz von aktuell 2.5 % und für die verwandten Schutzrechte einer von 7.7 % zur Anwendung (Klage Rz. 22 f. mit Verweis auf Ziff. 11 GT 3a). 4.2. Als Nutzerin der in GT 3a geregelten Werke schuldet die Beklagte der Klä- gerin aus diesem Tarif für das Jahr 2019, wie im Beiblatt zur Rechnung der Klägerin vom 7. Januar 2019 (KB 5) richtig aufgeschlüsselt, für das Urhe- berrecht eine Monatspauschale von Fr. 15.60, abzüglich 5 % Rabatt, d.h. Fr. 14.82 bzw. Fr. 177.84 pro Jahr und für die verwandten Schutzrechte - 7 - eine Monatspauschale von Fr. 5.20, abzüglich 5 % Rabatt, d.h. Fr. 4.94 bzw. Fr. 59.28 pro Jahr. Dies ergibt einen Jahresanspruch von Fr. 234.12. Darauf ist gestützt auf Ziff. 11 GT 3a Mehrwertsteuer geschuldet. Gemäss den Behauptungen der Klägerin kommt für die Urheberrechte der Mehr- wertsteuersatz von 2.5 % zur Anwendung und für die verwandten Schutz- rechte jener von 7.7. % (Klage Rz. 23). Dies ergibt für das Urheberrecht einen Jahresanspruch inkl. Mehrwertsteuer von Fr. 182.29 und für die ver- wandten Schutzrechte einen von Fr. 63.84, d.h. einen Gesamtanspruch in der Höhe von Fr. 246.13 und nicht, wie von der Klägerin behauptet, Fr. 255.35. Die Differenz von Fr. 9.22 ergibt sich daraus, dass die Klägerin ihrer Rechnung vom 7. Juni 2019 (KB 5) für das Urheberrecht einen Jah- resanspruch von Fr. 177.82 anstatt Fr. 177.84 zu Grunde legte und dafür den Mehrwertsteuersatz von 7.7 % anstatt jenen von 2.5 % anwendete. 5.3 Aus dem Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten beträgt der To- talanspruch der Klägerin gemäss GT 3a gegenüber der Beklagten zusam- menfassend somit Fr. 246.13 (inkl. MwSt.). 5. Verzugszinsen 5.1. Die Klägerin verlangt zudem Verzugszinsen von 5 % seit dem 8. Juli 2019. 5.2. Der Schuldner hat Verzugszins von 5 % zu leisten, wenn er sich mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug befindet (Art. 104 Abs. 1 OR). Schuld- nerverzug setzt die Fälligkeit der Forderung voraus (Art. 102 Abs. 1 OR). Fällig ist eine Forderung dann, wenn deren Gläubiger die Leistung fordern und einklagen darf.4 Dabei gilt der Grundsatz, dass eine Forderung sofort fällig wird, sofern nichts anderes verabredet wurde oder sich aus der Natur des Rechtsverhältnisses ergibt (Art. 75 OR). Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, sofern die Parteien einen bestimmten Verfalltag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie z.B. "zahlbar 30 Tage netto", ohne weitere Mahnung in Verzug.5 4 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Band 1, 10. Aufl. 2014, N. 45; GAUCH/SCHLUEP/ EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Band 2, 10. Aufl. 2014, N. 2153 ff. 5 AGVE 2003, S. 38; BSK OR I-WIDMER LÜCHINGER/WIEGAND, 7. Aufl. 2020, Art. 102 N. 9b; BK , 2000, Art. 102 N. 115 m.w.N.; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2017, N. 55.32; VETTER/BUFF, Verzugszinsen bei «zahlbar innert 30 Tagen», SJZ 2019, S. 150 f. m.w.N. - 8 - 5.3. Die Rechnung vom 7. Juni 2019 (KB 5) enthält den Vermerk "Zahlbar bis 22.07.2019". Dieser Zahlungsvermerk geht der 30-tägigen Zahlungsfrist von Ziff. 15 GT 3a als Individualabrede vor. Die Beklagte fiel folglich erst am 23. Juli 2019 in Verzug, so dass erst ab diesem Datum der gesetzliche Verzugszins von 5 % (Art. 104 Abs. 1 OR) geschuldet ist. Die beiden von der Klägerin behaupteten erfolglosen Mahnungen haben mangels Nichtbe- zahlung der Schuld keinen Einfluss auf den Verzugszinsanspruch.6 6. Beseitigung Rechtsvorschlag Die Klägerin verlangt in Rechtsbegehren Ziff. 2 die Beseitigung des Rechts- vorschlags in der Betreibung Nr. 123 des Betreibungsamtes W. (Zahlungs- befehl vom 17 Dezember 2019). Gemäss Art. 79 Abs. 1 SchKG kann ein Gläubiger, gegen dessen Betreibung Rechtsvorschlag erhoben worden ist, die Fortsetzung der Betreibung aufgrund eines rechtskräftigen Entscheids erwirken, der den Rechtsvorschlag ausdrücklich beseitigt. Mit dem vorlie- genden Entscheid wird der Rechtsvorschlag der Beklagten im Umfang der Klagegutheissung beseitigt, so dass die Klägerin die Betreibung entspre- chend fortsetzen kann. 7. Kosten Abschliessend sind die Kosten entsprechend dem Verfahrensausgang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteientschädi- gung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Klägerin obsiegt mit rund 96 %. Infolge ge- ringfügigem Überklagen sind die Prozesskosten ausschliesslich der Be- klagten aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO).7 7.1. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen einzig aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Gerichtsgebühr beträgt bei ei- nem Streitwert von Fr. 255.35 (Zinsen werden nicht mitgerechnet [Art. 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO]) gestützt auf § 7 Abs. 1 Zeile 1 VKD Fr. 928.10. Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss von der Beklagten zu tragen und werden mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 928.10 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat der Klägerin die Gerichtskosten von Fr. 928.10 direkt zu ersetzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). 7.2. Parteientschädigung Die Parteientschädigung besteht aus den Kosten der berufsmässigen Ver- tretung der Parteien (Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO). Bei ihrer Festsetzung ist von den kantonalen Tarifen auszugehen (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 96 ZPO). Gemäss § 3 ff. AnwT bemisst sich die Parteientschädigung grundsätzlich 6 Vgl. VETTER/BUFF (Fn. 5), S. 152 f. 7 Vgl. JENNY, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 106 N. 10 m.w.N. - 9 - nach dem Streitwert. Dieser beträgt vorliegend Fr. 255.35. Die Grundent- schädigung beläuft sich somit gestützt auf § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 AnwT auf Fr. 1‘166.20, womit eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behörd- lichen Verhandlung abgegolten sind (§ 6 Abs. 1 AnwT). Dem eingesparten Aufwand der behördlichen Verhandlung wird praxisgemäss mit einem Ab- schlag von 20 % Rechnung getragen (§ 6 Abs. 2 AnwT). Hinzu kommt der pauschale Auslagenersatz von praxisgemäss rund 3 % (§ 13 AnwT). Die Parteientschädigung beläuft sich somit gerundet auf insgesamt Fr. 960.00. Darauf ist bereits mangels Antrags der Klägerin keine Mehrwertsteuer ge- schuldet.8 Das Handelsgericht erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung der Klage wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 246.13 nebst Zins zu 5 % seit 23. Juli 2019 zu bezahlen. 2. Der Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. 123 des Betreibungsamtes W. wird im Umfang von Fr. 246.13 nebst Zins zu 5 % seit 23. Juli 2019 besei- tigt. 3. Die Gerichtskosten von Fr. 928.10 werden der Beklagten auferlegt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 928.10 verrech- net. Die Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 928.10 direkt zu er- setzen. 4. Die Beklagte hat der Klägerin eine gerichtlich festgelegte Parteientschädi- gung in Höhe von Fr. 960.00 zu bezahlen. 8 Vgl. SUTER/VON HOLZEN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 95 N.39 m.w.N. Siehe auch Merkblatt der Gerichte des Kantons Aargau zur Frage der Berücksichtigung der bei der Bemessung der Parteientschädigung, publiziert unter: https://www.ag.ch//kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (letztmals am 3. September 2020). https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 10 - Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) die Beklagte 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 3. September 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Immate_2020-09-03
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_3._September_2020.pdf
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nan
5d71ceca-261b-5ca3-ad1b-17a31923006a
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2001 Gemeinderecht/Strafbefehl 89 VI. Gemeinderecht/Strafbefehl 29 §§ 38 und 112 Abs. 1, 2 und 3 Gemeindegesetz. Strafkompetenz des Gemeinderats. Beschlüsse des Gemeinderats, mit denen einer Strafanzeige nicht stattge- geben, das Verfahren eingestellt oder die Freisprechung der beanzeigten Person angeordnet wird, sind endgültig und nicht mit strafprozessualer Beschwerde anfechtbar. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 23. August 2001 i.S. M.G. und Mitbeteiligte. Sachverhalt 1. Am 1. Juli 2000 richtete die Lebenspartnerin des H.-P. H. in O. in einem auf der Nachbarparzelle von dessen Grundstück aufge- stellten Zelt ihr Geburtstagsfest für rund 60 geladene Gäste mit einer dafür engagierten Musikkapelle und Sängerin aus. Das Fest, in des- sen Verlauf H. gegen 22.00 Uhr eine durch Lautsprecher übertragene Rede hielt, dauerte bis gegen Morgen des 2. Juli 2000. Um etwa 02.00 Uhr nachts erschien die zuvor um 23.00 Uhr durch einen Beschwerdeführer herbeigerufene Kantonspolizei und mahnte zur Ruhe, worauf die Lautstärke zurückgestellt wurde. Kurz darauf ging ein Gewitter nieder, und etwa die Hälfte der Gäste ver- liess das Fest. Danach spielte die Musikkapelle nicht mehr auf. 2. Ebenfalls am 1. Juli 2000 fand auf dem F.-Areal in O. ein Disco-Anlass der Jugendorganisation Mutschellen statt. Sodann fand am Wochenende vom 8./9. Juli 2000 auf der Nachbarparzelle von H.s. Grundstück in O. ein von der Familie W. organisiertes Fest mit Musik im Discostil mit tiefen Bässen statt. 3. Mit Eingabe vom 10. Juli 2000 an den Gemeinderat O. er- statteten die Beschwerdeführer Anzeige wegen Nachtruhestörung in 2001 Obergericht/Handelsgericht 90 der Nacht zum 2. Juli 2000 gegen einen im Quartier "A." wohnhaften "Herrn H." als Verursacher der Nachtruhestörung mit dem Begehren "um Bestrafung des Nachtlärmverursachers." 4. Der Gemeinderat O. ermittelte als einzige im Quartier "A." wohnhafte männliche Person mit dem Nachnamen "H." H.-P. H. und erliess nach dessen Vernehmung und Abklärung des Sachverhalts den Beschluss vom 11. September 2000: "Aufgrund der vorgenommenen Abklärungen, welche keinen rechtsgenüglich überführbaren Verursacher ergaben, wird die ein- geleitete Untersuchung eingestellt." Dieser Beschluss wurde, versehen mit der Rechtsmittelbeleh- rung, dass dagegen binnen 20 Tagen seit seiner Mitteilung beim De- partement des Innern des Kantons Aargau Beschwerde eingelegt werden könne, am 13. September 2000 an die Beschwerdeführer versandt. 4. Mit Postaufgabe vom 29. September 2000 erhoben die Be- schwerdeführer gegen die Verfahrenseinstellung fristgerecht Be- schwerde an das Departement des Innern, das diese mit Schreiben vom 13. Juni 2001 zuständigkeitshalber an die Beschwerdekammer in Strafsachen weiterleitete. Diese trat mit Entscheid vom 23. August 2001 darauf nicht ein. Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdeführer haben mit Eingabe vom 10. Juli 2000 an den Gemeinderat O. Anzeige gegen den von ihnen als Nachtruhe- störer ausgemachten und der Ruhestörung bezichtigten H.-P. H. er- stattet. a) Die Nachtruhe, deren Störung die Beschwerdeführer mit die- ser Anzeige geahndet haben wollen, ist in dem gestützt auf § 20 Abs. 2 Bst. i Gemeindegesetz (GG; SAR 171.100) erlassenen allge- meinen Polizeireglement der Gemeinde O. (PR) unter dem Titel "Ruhestörung" geregelt. Danach ist in Wohngebieten in der Zeit von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr im Freien sowie auch in schlecht isolierten Räumen oder bei offenem Fenster jeglicher Lärm, der den Schlaf der 2001 Gemeinderecht/Strafbefehl 91 Mitmenschen stören könnte, verboten (Abs. 2) und auf das Ruhebe- dürfnis der Nachbarschaft immer Rücksicht zu nehmen (Abs. 7). Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften dieses Reglements wer- den gemäss dessen § 25 "vom Gemeinderat mit Geldbussen im Rahmen der gemeinderätlichen Strafkompetenz gemäss § 38 Ge- meindegesetz bestraft", wobei auch die fahrlässige Übertretung strafbar (§ 27 PR) und die Geldbusse durch Strafbefehl des Gemein- derats auszufällen ist (§ 31 PR), in besonders leichten Fällen jedoch von der Ausfällung einer Busse abgesehen und eine Verwarnung ausgesprochen werden kann (§ 26 PR). b) Gemäss § 38 GG kann der Gemeinderat gemäss Polizeiregle- ment Geldbussen bis Fr. 200.-- (Abs. 1) durch Strafbefehl (Abs. 2 Satz 1) aussprechen, wobei "das Verfahren ... in § 112 geregelt" ist (Abs. 2 Satz 2). Nach dieser Vorschrift kann der Gebüsste gegen einen solchen Strafbefehl beim Gemeinderat unter Ausschluss der Verwaltungsbeschwerde innert 20 Tagen schriftliche Einsprache erheben, durch die der Strafbefehl aufgehoben wird (Abs. 1). Danach ist der Einsprecher zu einer Verhandlung vor den Gemeinderat oder ein von diesem bestimmtes Mitglied vorzuladen und anschliessend vom Gemeinderat ein begründeter Entscheid zu fällen (Abs. 2). Da- bei kann ein Strafentscheid innert 20 Tagen nach Eröffnung mit schriftlicher Beschwerde an das Bezirksgericht weitergezogen wer- den, das darüber endgültig entscheidet (Abs. 3). 2. a) Das Gemeindegesetz mit dem darauf abgestützten Polizei- reglement regelt damit die Ahndung von Gesetzes- und Reglements- übertretungen abschliessend und lässt in seiner abschliessenden Re- gelung ausdrücklich nur die Anfechtung von Strafbefehlen des Ge- meinderats mit darin ausgefällter Busse (bis zum zulässigen Höchst- betrag von Fr. 200.--; § 38 Abs. 1 GG) durch Einsprache und deren Erledigung in einem Verfahren vor dem Gemeinderat durch begrün- deten Entscheid (§ 112 Abs. 1 und 2 GG) mit Weiterziehungsmög- lichkeit eines Strafentscheids durch Beschwerde binnen 20 Tagen an das Bezirksgericht zu, das darüber endgültig entscheidet (§ 112 Abs. 3 GG). Diese Regelung sieht für Verstösse gegen das Gemein- degesetz und das darauf abgestützte Polizeireglement, anders als die in AGVE 1984 Nr. 42 S. 136 und 1975 Nr. 41 S. 121 angewandte 2001 Obergericht/Handelsgericht 92 Regelung des alten Baugesetzes (aBauG vom 2. Februar 1971; AGS 8 S. 125) für dessen Übertretungen in dessen § 221 aBauG, nicht die Zuständigkeit der strafrichterlichen Behörden für die Unter- suchung und Beurteilung und Anwendbarkeit der StPO (§ 221 Abs. 1 aBauG) vor. Deren Anwendung ist übrigens in dem § 221 aBauG entsprechenden § 162 des geltenden Baugesetzes (BauG vom 19. Januar 1993; SAR 713.100) für die Ahndung von dessen Übertretun- gen mit dem ausdrücklichen Verweis auf die Vorschriften der Ge- meindegesetzgebung für das Verfahren zur Ausfällung von Bussen bis Fr. 500.-- durch Strafbefehl des Gemeinderats und der Bestim- mung, dass in Fällen einer in Frage kommenden Busse von über Fr. 500.-- Anzeige an das Bezirksamt zu erstatten ist (Abs. 2), auch nicht mehr vorbehaltlos vorgeschrieben (vgl. Abs. 1 und 2) und kommt danach nur noch in diesen Fällen eines vom Bezirksamt als Untersuchungsbehörde (§ 2 Abs. 1 und 2 StPO) durchzuführenden Verfahrens zum Zuge. b) Sieht das Gemeindegesetz mit dem gestützt darauf erlassenen Polizeireglement in seiner Regelung zur Ahndung von dessen Über- tretungen in § 112 GG ausdrücklich "unter Ausschluss der Verwal- tungsbeschwerde" nur die Anfechtung von Strafbefehlen des Ge- meinderats durch Einsprache und deren Erledigung in einem eigens dafür geregelten Verfahren vor dem Gemeinderat (Abs. 1 und 2) sowie die Anfechtung von Strafentscheiden des Gemeinderats durch Beschwerde an das hierüber endgültig urteilende Bezirksgericht (Abs. 3) vor, so ist damit die Anfechtung anderer Entscheide des Gemeinderats im Sinne des § 112 Abs. 2 GG, d.h. solcher, mit denen nach erfolgter Einsprache das Verfahren eingestellt oder die Frei- sprechung des Einsprechers angeordnet wird, ausgeschlossen. Ebenso ist die Anfechtung von Nichteintretens- und Einstellungsbe- schlüssen des Gemeinderats, mit denen einer Anzeige nicht stattge- geben bzw. das Verfahren ohne Tatbeurteilung eingestellt wird, ge- mäss klarer Gesetzesregelung des § 112 GG ausgeschlossen, die dafür keinen Raum lässt. 3. a) Demnach ist der Beschluss des Gemeinderats O. vom 11. September 2000, womit das Verfahren gegen H.-P. H. wegen Ver- dachts auf Übertretung des § 11 Abs. 2 PR durch Nachtruhestörung 2001 Gemeinderecht/Strafbefehl 93 am 1./2. Juli 2000 eingestellt wurde, endgültig, nicht mit einem Rechtsmittel anfechtbar, die dagegen von den Beschwerdeführern eingelegte Beschwerde nicht zulässig und das Obergericht zu deren Beurteilung nicht zuständig. Daran vermag die diesem Gemeinde- ratsbeschluss beigefügte, dem klaren Wortlaut des § 112 Abs. 1 GG zuwiderlaufende unzutreffende Rechtsmittelbelehrung, dass dagegen Verwaltungsbeschwerde an das Departement des Innern (Gemeinde- abteilung) geführt werden könne, nichts zu ändern, weil eine solche falsche Rechtsmittelbelehrung dem Betroffenen nicht zu einem ihm gemäss Gesetz nicht offen stehenden Rechtsmittel verhelfen kann (BGE 92 I 77, 100 Ib 119/120). Auf diese Beschwerde ist daher nicht einzutreten.
2,070
1,630
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2001-29_2001-08-23
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-29.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-29.pdf
AGVE_2001_29
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5e59caad-430b-5466-b04e-fe81cf8812f4
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870,964
1,191,369,600,000
2,007
de
2007 Zivilrecht 23 I. Zivilrecht A. Erbrecht 1 Art. 570 ZGB; Erbrecht Der für die Protokollierung der Ausschlagungserklärung zuständige Richter hat nicht festzustellen, ob die Erbschaft - ohne ausdrückliche An- nahmeerklärung - als angenommen oder zufolge amtlich festgestellter oder offensichtlicher Überschuldung als ausgeschlagen zu gelten hat. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 29. Oktober 2007 i.S. H.H., T.H. Aus den Erwägungen 2.2. Gemäss Art. 566 Abs. 2 ZGB wird die Ausschlagung der Erbschaft vermutet, d.h. bis zum Beweis des Gegenteils als gegeben angenommen, wenn die Zahlungsunfähigkeit des Erblassers im Zeit- punkt des Todes amtlich festgestellt oder offenkundig ist. Erklärt der Erbe nicht innert der für die Ausschlagung vorgesehenen Frist (Art. 567 ZGB) die Annahme, ist von der Nichtannahme auszugehen, es sei denn der Erbe habe der Vermutung von Art. 566 Abs. 2 ZGB z.B. durch Einmischung (Art. 571 ZGB) die Grundlage entzogen (Schwander, Basler Kommentar, Basel/Genf/München 2003, 2. A., N 8 zu Art. 566 ZGB; Tuor/Picenoni, Berner Kommentar, Bern 1964, N 11 f. zu Art. 566 ZGB; Escher, Zürcher Kommentar, Zürich 1960, N 12 ff. zu Art. 566 ZGB). 2.3. Die Ausschlagungs- und wohl auch die Annahmeerklärun- gen im Sinne der Art. 566 Abs. 2 ZGB, 574 ZGB und 575 ZGB sind von der nach kantonalem Recht zuständigen Behörde zu protokollie- ren (Art. 570 Abs. 3 ZGB; Schwander, a.a.O., N 12 zu Art. 570 ZGB). Das Protokoll verfolgt Informationszwecke und dient als Be- weis für die Abgabe und den Zeitpunkt der Ausschlagungs- bzw. An- nahmeerklärung. Nicht zu den Aufgaben des für die Protokollierung 2007 Obergericht/Handelsgericht 24 zuständigen Richters gehört indes festzustellen, ob die Erbschaft - ohne ausdrückliche Annahmeerklärung - angenommen sei oder ob sie zufolge amtlich festgestellter oder offensichtlicher Überschul- dung als ausgeschlagen zu gelten habe (ZR 96 [1997] S. 81).
516
402
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2007-1_2007-10-03
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2,001
de
2001 Obergericht/Handelsgericht 36 C. Nachbarrecht (EGZGB) 4 § 88 und 89 EGZGB Apfelbäume, die unter der Schere gehalten werden, so dass sie nicht hö- her als drei Meter werden, sind als Zwergbäume zu betrachten, die bis auf die Entfernung von einem Meter von der Grenze gepflanzt werden dürfen (Erw. 2.c). Ein Kirschlorbeer darf bis 0,4 Meter an eine auf der Grenze zwischen zwei Grundstücken verlaufende tote Einfriedung gesetzt werden, wenn er auf einer Höhe von 1,8 Meter sowie in einem Abstand von 0,1 Meter von der Grenze unter Schnitt gehalten wird (Erw. 3.c). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Zivilkammer, vom 23. August 2001 i.S. K.V.M. und G.M. gegen H.M. und U.A.M. Aus den Erwägungen 2.c) (...) Apfelbäume zählen zu den Obstbäumen und dürfen deshalb gemäss § 88 Abs. 2 EG ZGB nur in einer Entfernung von drei Meter von der Grenze gepflanzt werden. In Analogie zur Recht- sprechung des Obergerichts (AGVE 1988 S. 23 f.) müssen Apfel- bäume, die unter der Schere gehalten werden, so dass sie nicht höher als drei Meter werden, als Zwergbäume betrachtet werden, welche bis auf die Entfernung von einem Meter von der Grenze gepflanzt werden dürfen. So wie man Linden, die naturgemäss zu den hoch- stämmigen Bäumen gehören, durch die Schere zu Zierbäumen ma- chen kann, kann man Apfelbäume, die naturgemäss zu den Obst- bäumen zählen, durch die Schere zu Zwergbäumen machen, mit der Folge, dass für sie nicht die Abstandsvorschriften für hochstämmige Bäume respektive Obstbäume, sondern diejenigen für Zier- respek- tive Zwergbäume gelten. Entgegen der Auffassung der Kläger ist dabei von sekundärer Bedeutung, ob die Bäume von Natur aus die gesetzlich zulässige Maximalhöhe nicht erreichen oder ob sie unter 2001 Zivilrecht 37 der Schere gehalten werden müssen (AGVE 1988 S. 24 mit Hinwei- sen). Entscheidend ist vielmehr die Höhe der Bäume, da diese mass- gebend für Lichtentzug, Aussicht, Schattenwurf, das Übergreifen von Wurzeln und Ästen sowie ähnliche Beeinträchtigungen ist und der Zweck der gesetzlichen Abstandsvorschriften darin besteht, dass höhere Pflanzen mit Rücksicht auf ihre störenden Einwirkungen grössere Abstände zum Nachbargrundstück einhalten müssen (AGVE 1988 S. 24). Mit der Vorinstanz ist deshalb festzustellen, dass Obstbäume als Zwergbäume gelten, wenn sie auf einer Höhe von maximal drei Meter unter der Schere gehalten werden und dies- falls bis auf ein Meter an die Grundstücksgrenze gepflanzt werden dürfen. Es genügt somit, die Beklagten und Widerkläger zu ver- pflichten, die Apfelbäume auf maximal drei Meter unter der Schere zu halten. Die Appellation der Kläger ist in diesem Punkt abzuwei- sen. (...) 3.c) (...) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann der Kirschlorbeer wie der Feigenbaum im Entscheid AGVE 1997 S. 61 f. wie ein Heckenstrauch geschnitten und muss daher nicht zwingend als Baum qualifiziert werden. Dies drängt sich im Übrigen auch nicht aufgrund des Aussehens des Kirschlorbeers auf, da sich dessen Stamm bereits kurz nach dem Austreten aus dem Boden verzweigt. Der Kirschlorbeer darf deshalb bis 0,4 Meter an eine auf der Grenze zwischen zwei Grundstücken verlaufende tote Einfriedung gesetzt werden, wenn er auf einer Höhe von 1,8 Meter sowie in einem Ab- stand von 0,1 Meter von der Grenze unter Schnitt gehalten wird. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist § 89 EG ZGB auch nicht nur auf aneinandergrenzende Gärten, sondern auch auf aneinander- grenzende Baugrundstücke anwendbar (AGVE 1990 S. 253). Nicht zu entscheiden ist die Frage, ob es sich bei der Hauswand an der Grenze der Parzellen 1627 und 1628 um eine Einfriedung im Sinne von § 89 EG ZGB handelt. Die Kläger haben gestützt auf § 89 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 89 Abs. 1 EG ZGB und die dazu ergangene Recht- sprechung des Obergerichts das Recht, eine Einfriedung, die nicht höher ist als 1,8 Meter, bis an die Grenze ihres Grundstücks zu set- zen. Sie haben zudem gestützt auf die zitierte Rechtsprechung des 2001 Obergericht/Handelsgericht 38 Obergerichts das Recht, als Einfriedung anstelle einer ganzen Hecke lediglich einen einzelnen Strauch zu pflanzen. Für einen einzelnen Strauch anstelle einer Hecke sind lediglich die gesetzlichen und von der Rechtsprechung entwickelten Regeln für Grünhecken einzuhal- ten, das heisst neben der Beachtung der Maximalhöhe muss die Grünhecke bzw. der Strauch soweit von der Grenze entfernt ge- pflanzt werden, dass bei seiner regelmässigen Pflege keine dauernde Beanspruchung des Nachbargrundstücks Platz greift. Nach der Rechtsprechung des Obergerichts muss dieser Abstand 40 Zentimeter ab Stockmitte gemessen betragen und zudem muss die Pflanze, um ein schnelles Hinüberwachsen ins Nachbargrundstück zu vermeiden, in einem Abstand von zehn Zentimeter vor der Grenze im Schnitt gehalten werden (AGVE 1997 S. 62). (...)
1,135
930
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2001-4_2001-08-02
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-4.html
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AGVE_2001_4
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603aac49-d6de-5721-826f-5a196259b3bd
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871,154
1,020,556,800,000
2,002
de
2002 Zivilprozessrecht 65 [...] 15 § 125 ZPO; zivilprozessualer Zwangsbedarf Bei der Festsetzung des zivilprozessualen Zwangsbedarfs ist ein Zuschlag von 25 % auf dem betreibungsrechtlichen Grundbetrag zu gewähren (Änderung der Rechtsprechung). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 5. Zivilkammer, vom 13. Mai 2002, i.S. E.W. Aus den Erwägungen 1. a) Nach der Praxis des Obergerichts setzt sich der sogenannte zivilprozessuale Zwangsbedarf u.a. zusammen aus dem gemäss Kreisschreiben der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts vom 3. Januar 2001 zu ermittelnden betreibungsrechtli- chen Existenzminimum und einem Zuschlag, der - je nach den Um- ständen des Einzelfalles - 10 bis 20 % beträgt (AGVE 1984 S. 79 Erw. 3a; Ries, Die unentgeltliche Rechtspflege nach der aargauischen 2002 Obergericht/Handelsgericht 66 Zivilprozessordnung vom 18. Dezember 1984, Aarau 1990, S. 82). Die Gewährung eines Freibetrages in genannter Höhe auf dem Ge- samtbedarf erweist sich indes als unangebracht, privilegiert sie doch in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise den Gesuchsteller, der sich über relativ hohe Wohnkosten, Berufsauslagen, etc. ausweist, gegenüber der Partei, die in einfachen, bescheidenen Verhältnissen lebt. Zwar darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts für die Frage, ob eine Partei bedürftig ist, nicht bloss auf das betreibungs- rechtliche Existenzminimum abgestellt werden. Vielmehr ist in je- dem Einzelfall unter Berücksichtigung der gesamten Einkommens- und Vermögenslage sowie der mutmasslichen Prozesskosten zu prü- fen, ob der Gesuchsteller in der Lage ist, jene innert vernünftiger Frist zu tilgen. Bedürftigkeit kann auch angenommen werden, wenn das Einkommen über dem Betrag liegt, der für den Lebensunterhalt absolut notwendig ist (BGE 124 I 2 f. Erw. 2a, 120 Ia 181 Erw. 3a, 106 Ia 82 f. Erw. 3). Zur Höhe eines allfälligen Zuschlags zum be- treibungsrechtlichen Existenzminimum äussert sich das Bundesge- richt allerdings nicht. Aus Gründen der Gleichbehandlung der Ge- suchsteller erscheint es sachgerecht, in Änderung der bisherigen Praxis künftig einen Zuschlag nurmehr auf dem betreibungsrechtli- chen Grundbetrag zu gewähren, diesen aber auf 25 % zu erhöhen. Dies entspricht auch der Praxis der umliegenden Kantone (Luzern: Zuschlag von 25 % auf dem Grundbetrag [vgl. Studer/Rüegg/Eihol- zer, Der Luzerner Zivilprozess, Luzern 1994, N 3 zu § 130]; Basel- Stadt: Zuschlag von 15 % auf dem Grundbetrag [vgl. Staehelin/Sut- ter, Zivilprozessrecht nach den Gesetzen der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft unter Einbezug des Bundesrechts, Zürich 1992, N 21 zu § 15]; Bern: Zuschlag von 30 % auf dem Grundbetrag [vgl. Kreisschreiben Nr. 18 des Appellationshofes des Kantons Bern und des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, in ZBJV 2000 S. 590]; Solothurn: Zuschlag von 20 % auf dem Grundbetrag [vgl. Bühler, a.a.O., S. 181 f., mit weiteren Hinweisen]; St. Gallen: Zu- schlag von 30 % auf dem Grundbetrag [vgl. Leuenberger/Uffer, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Bern 1999, N 3b zu Art. 281]; Nidwalden: Zuschlag von 20 % auf dem Grundbetrag [vgl. Entscheid des Obergerichts NW vom 9. Februar 2002 Zivilprozessrecht 67 1998, in AJP 2002 S. 201]; uneinheitlich Zürich: Gewährung eines Zuschlags von 15 % auf dem gesamten betreibungsrechtlichen Not- bedarf [vgl. ZR 101 Nr. 14], anders in ZR 96 Nr. 11).
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665
AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2002-15_2002-05-05
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AGVE_2002_15
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60a7bc7c-38f1-43b7-a5f5-e2e5571f1752
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414
1,497,559
1,555,977,600,000
2,019
de
Urteil/Entscheid Handelsgericht 1. Kammer HOR.2018.48 / ts / ts Art. 73 Entscheid vom 23. April 2019 Besetzung Oberrichter Dubs, Präsident Ersatzrichter Boner Handelsrichter Alberati Gerichtsschreiberin Schmutz Klägerin A._, vertreten durch lic. iur. Carmen De La Cruz Böhringer und MLaw Boris In- derbitzin, Rechtsanwälte, Industriestrasse 7, 6300 Zug Beklagter B._, Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung aus Urheberrecht: Repro- grafie- und Netzwerkvergütungen - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Genossenschaft mit Sitz in Y. Sie bezweckt die Wah- rung der Rechte der Urheber, Urheberinnen, Verlage und anderer Rechts- inhaber bzw. Rechtsinhaberinnen von literarischen und dramatischen Wer- ken sowie von Werken der bildenden Kunst und der Photographie, soweit ihr diese Rechte vertraglich zur kollektiven Wahrnehmung anvertraut wer- den. Mit Bewilligungen vom [...] 2013 und [...] 2017 ermächtigte das Eidgenös- sische Institut für Geistiges Eigentum (nachfolgend: IGE) die Klägerin, die Vergütungsansprüche nach dem Urheberrechtsgesetz für die Jahre 2013 bis 2022 geltend zu machen (Klagebeilage [KB] 2). 2. Der Beklagte ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in Z. Er betreibt unter der Firma "B. [...]" ein Einzelunternehmen in X. Dieses bezweckt Dienst- leistungen in den Bereichen Buchhaltung, Steuern und Treuhand für KMU und Privatpersonen sowie Finanzberatungen und Firmengründungen (KB 3). 3. Nachdem der Beklagte der Klägerin das Erhebungsformular nicht einge- reicht hatte, nahm diese eine Einschätzung des beklagtischen Unterneh- mens vor. Weil der Beklagte die Einschätzung nicht innert 30 Tagen bean- standete (Klage Rz. 8), stellte ihm die Klägerin folgende Beträge in Rech- nung (KB 4): Rechnung Nr. 19125457 vom 8. April 2016: Fr. 30.75; Rechnung Nr. 19167757 vom 7. April 2017: Fr. 26.15; Rechnung Nr. 19233104 vom 5. April 2018: Fr. 26.15. 4. Mit Schreiben vom 28. September 2018 mahnte die Klägerin die ausste- henden Forderungen von insgesamt Fr. 83.05 und forderte den Beklagten auf, den offenen Betrag bis spätestens am 8. Oktober 2018 zu überweisen (KB 6). Der Beklagte kam der Aufforderung nicht nach. - 3 - 5. Mit Klage vom 6. Dezember 2018 (elektronisch übermittelt: gleichentags) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die beklagte Partei sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 30.75 gemäss den Forderungen aus dem Jahre 2016 zu bezahlen, zzgl. Zins zu 5 % seit 09.10.2018. 2. Die beklagte Partei sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 26.15 gemäss den Forderungen aus dem Jahre 2017 zu bezahlen, zzgl. Zins zu 5 % seit 09.10.2018. 3. Die beklagte Partei sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 26.15 gemäss den Forderungen aus dem Jahre 2018 zu bezahlen, zzgl. Zins zu 5 % seit 09.10.2018. 4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zuzüglich MwSt. zu Lasten der beklagten Partei." Zur Begründung führte die Klägerin im Wesentlichen aus, es handle sich um Ansprüche aus unbezahlten Forderungen basierend auf der urheber- rechtlichen Vergütungspflicht des Beklagten, die auf dem Gemeinsamen Tarif 8 (Reprografie im Dienstleistungsbereich [GT 8 VI bzw. VII]) und dem Gemeinsamen Tarif 9 (Nutzung von geschützten Werken und geschützten Leistungen in elektronischer Form zum Eigengebrauch mittels betriebsin- ternen Netzwerken im Dienstleistungsbereich [GT 9 VI bzw. VII]) beruhten (vgl. KB 5). 6. Mit Verfügung vom 11. Dezember 2018 bestätigte der Gerichtspräsident den Parteien den Eingang der Klage und setzte der Klägerin Frist an bis zum 7. Januar 2019 zur Bezahlung eines Gerichtskostenvorschusses von Fr. 909.00. 7. Die Eingangsbestätigung vom 11. Dezember 2018 konnte dem Beklagten nicht zugestellt werden. 8. Nachdem die Klägerin den Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 909.00 be- zahlt hatte, verfügte der Präsident am 4. Januar 2019 die Zustellung des Doppels der Klage mit den Beilagen an den Beklagten und setzte ihm eine Frist zur Erstattung einer schriftlichen Antwort bis zum 6. Februar 2019. - 4 - 9. Dem Beklagten konnte auch die Verfügung vom 4. Januar 2019 nicht zu- gestellt werden. Entsprechend hatte er noch immer keine Kenntnis vom hängigen Verfahren. Daher ordnete der Präsident mit Verfügung vom 24. Januar 2019 einen erneuten Versuch der Zustellung der Eingangsbe- stätigung vom 11. Dezember 2018 mit Hilfe der Polizei an und nahm dem Beklagten die Frist zur Erstattung der Antwort einstweilen ab. 10. Die Verfügung vom 24. Januar 2019 sowie die beigelegte Eingangsbestä- tigung vom 11. Dezember 2018 konnten dem Beklagten am 28. Januar 2019 polizeilich zugestellt werden. 11. Mit Verfügung vom 11. Februar 2019 stellte der Präsident dem Beklagten das Doppel der Klage inklusive Beilagen zu und setzte ihm eine Frist zur Erstattung einer schriftlichen Antwort bis zum 14. März 2019 an. 12. Weil der Beklagte mit der Antwort säumig blieb, setzte ihm der Präsident mit Verfügung vom 19. März 2019 eine letzte, nicht erstreckbare Frist von 10 Tagen zur Erstattung einer schriftlichen Antwort an. Damit war die An- drohung verbunden, dass das Gericht bei erneuter Säumnis einen Endent- scheid fälle, sofern die Angelegenheit spruchreif sei, oder zur Hauptver- handlung vorlade (vgl. Art. 223 Abs. 2 ZPO). Der Beklagte liess auch die angesetzte Nachfrist ungenutzt verstreichen. 13. Mit Verfügung vom 11. April 2019 wurde die Streitsache ans Handelsge- richt überwiesen. Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche Zustän- digkeit des angerufenen Gerichts sowie die Zulässigkeit der objektiven Kla- genhäufung. 1.1. Örtliche Zuständigkeit Für Klagen aus dem Bereich einer geschäftlichen oder beruflichen Nieder- lassung oder einer Zweigniederlassung ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder am Ort der Niederlassung zuständig (Art. 12 ZPO). In den Anwendungsbereich von Art. 12 ZPO gehört unter anderem die berufliche oder geschäftliche Niederlassung einer natürlichen Person - 5 - oder eines Einzelunternehmens (Art. 934 OR).1 Laut Auszug aus dem Han- delsregister hat der Beklagte Wohnsitz in Z. und betreibt ein Einzelunter- nehmen in X. (KB 3). Sowohl der Wohnsitz des Beklagten als auch seine Geschäftsniederlassung liegen im Kanton Aargau. Folglich sind die aargau- ischen Gerichte örtlich zuständig. 1.2. Sachliche Zuständigkeit Gemäss Art. 6 Abs. 4 lit. a i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a ZPO i.V.m. § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO ist das Handelsgericht für urheberrechtliche Streitigkeiten zu- ständig. Die eingeklagten Ansprüche stützen sich auf Urheberrecht. Damit liegt die sachliche Zuständigkeit beim Handelsgericht. Da der Streitwert die für die Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht vorgeschriebene Höhe von Fr. 30'000.00 nicht erreicht (vgl. Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG), entscheidet das Handelsgericht in Dreierbesetzung (§ 3 Abs. 6 lit. b GOG). 1.3. Objektive Klagenhäufung Die klagende Partei kann mehrere Ansprüche gegen dieselbe Partei in ei- ner Klage vereinen, sofern das gleiche Gericht dafür sachlich zuständig ist und die gleiche Verfahrensart anwendbar ist (Art. 90 ZPO). Aufgrund der gleichen sachlichen Zuständigkeit sowie der Anwendbarkeit des ordentli- chen Verfahrens für alle drei Ansprüche erweist sich die objektive Klagen- häufung als zulässig. 2. Versäumte Klageantwort Der Beklagte ist mit der Erstattung einer Klageantwort auch innert der ihm gestützt auf Art. 223 Abs. 1 ZPO angesetzten Nachfrist säumig geblieben. Bei zweimaliger Säumnis erlässt das Gericht entweder einen Endent- scheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder es lädt zur Hauptver- handlung vor (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die in der Klageschrift vorgebrachten Tatsachenbehauptungen sind vorlie- gend (formell) unbestritten geblieben. Anerkannt sind damit die Tatsachen, nicht aber die klägerischen Rechtsbegehren. Bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit einer nicht streitigen Tatsache, d.h. bei fehlender Spruch- reife, kann das Gericht nach Art. 153 Abs. 2 ZPO von Amtes wegen Beweis erheben. Diesfalls hat es in der Regel eine Verhandlung anzusetzen. Ist die Angelegenheit hingegen spruchreif, trifft das Gericht direkt einen En- dentscheid. Hierzu muss die Klage soweit geklärt sein, dass darauf man- gels Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten oder sie durch Sachent- scheid erledigt werden kann. Dies setzt voraus, dass die Vorbringen der 1 LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Bern 2016, Rz. 2.57 mit Hinweisen. - 6 - Klägerin nicht unklar, widersprüchlich, unbestimmt oder offensichtlich un- vollständig sind, weil das Gericht andernfalls seine Fragepflicht ausüben müsste.2 3. Aktiv- und Passivlegitimation 3.1. Parteibehauptungen Die Klägerin behauptet, sie sei eine konzessionierte Verwertungsgesell- schaft im Sinne von Art. 40 ff. URG, besitze eine Bewilligung des IGE für die Geltendmachung der gesetzlichen Vergütungsansprüche und sei somit aktivlegitimiert (KB 2, Klage Rz. 2). Der Beklagte sei gestützt auf Art. 19 f. URG verpflichtet, für seine urheberrechtlichen Nutzungen eine Vergütung zu bezahlen. Er sei trotz wiederholter Mahnungen seiner Zahlungspflicht nicht nachgekommen und deshalb hinsichtlich der eingeklagten Forderun- gen passivlegitimiert (Klage Rz. 3) 3.2. Rechtslage Gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. c URG dürfen veröffentlichte Werke zum Eigen- gebrauch verwendet werden. Darunter fällt das Vervielfältigen (inkl. die in- terne Verbreitung und das Zugänglichmachen über ein betriebsinternes Netzwerk) von Werkexemplaren in Betrieben, öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen für die interne Infor- mation oder Dokumentation. Der Betriebsbegriff ist weit auszulegen. Eine Rechtspersönlichkeit oder Betriebsstätte ist dazu nicht notwendig.3 Erfasst wird somit die gesamte Berufs- und Arbeitswelt, egal ob öffentlich oder pri- vat, von den Selbständigerwerbenden über Beamte, Verbände, Interessen- organisationen bis zu den internationalen Konzernen.4 Weiter bestimmt Art. 20 Abs. 2 URG, dass dem Urheber oder der Urheberin hierfür eine Ver- gütung schuldet, wer nach Art. 19 Abs. 1 lit. c URG Werke auf irgendwel- che Art vervielfältigt. Gemäss Art. 20 Abs. 4 URG können diese Vergü- tungsansprüche nur kollektiv von Verwertungsgesellschaften wahrgenom- men werden, die über eine Bewilligung des IGE im Sinne der Art. 41 ff. URG verfügen. Die Verwertungsgesellschaften sind nach Art. 44 URG ver- pflichtet, die zu ihrem Tätigkeitsgebiet gehörenden Rechte wahrzunehmen. Dazu stellen die Verwertungsgesellschaften für die von ihnen geforderten Vergütungen gemäss Art. 46 Abs. 1 URG Tarife auf. Sind mehrere Verwertungsgesellschaften im gleichen Nutzungsbereich tä- tig, so stellen sie sogenannte gemeinsame Tarife (GT) auf und bezeichnen eine gemeinsame Zahlstelle (Art. 47 Abs. 1 URG). Gemäss Art. 46 Abs. 3 2 Zum Ganzen: LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 223 N. 5 und 7; BSK ZPO-, 3. Aufl. 2017, Art. 223 N. 18 ff. 3 SHK URG-GASSER, 2. Aufl. 2012, Art. 19 N. 19, 21; REHBINDER/VIGANÒ, URG Kommentar, 3. Aufl. 2008, Art. 19 N. 26. 4 BARRELET/EGLOFF, Das neue Urheberrecht, Kommentar zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, 3. Aufl. 2008, Art. 19 N. 16. - 7 - URG sind die Tarife der Eidgenössischen Schiedskommission für die Ver- wertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK; Art. 55 URG) zur Genehmigung vorzulegen und nach Genehmigung zu ver- öffentlichen. Im Dienstleistungsbereich wurden dazu insbesondere die ge- meinsamen Tarife 8 VI und 8 VII für die Reprografie (Gültigkeitsdauer: 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2016 bzw. 1. Januar 2017 bis 31. De- zember 2021; vgl. KB 5) rechtskräftig aufgestellt.5 3.3. Würdigung Die Klägerin weist nach, dass sie eine vom IGE bewilligte Verwertungsge- sellschaft im Sinne von Art. 41 ff. URG ist (KB 2). Gemäss Ziff. 4 GT 8 VI und GT 8 VII ist die Klägerin für diese Tarife Vertreterin und gemeinsame Zahlstelle der Verwertungsgesellschaften (KB 5). Als solche ist sie berech- tigt und verpflichtet, die Rechte der Urheberinnen und Urheber und damit deren Vergütungsansprüche einzufordern und nötigenfalls durchzusetzen. Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Der Beklagte ist laut Auszug aus dem Handelsregister Inhaber eines Ein- zelunternehmens, das Buchhaltungs-, Steuer- und Treuhanddienstleistun- gen für KMU und Privatpersonen erbringt sowie Finanzberatungen und Fir- mengründungen ausführt (KB 3). Damit wird er vom Betriebsbegriff des Art. 19 Abs. 1 lit. c URG erfasst und schuldet dem Urheber oder der Urhe- berin nach Art. 20 Abs. 2 URG für die Vervielfältigung von Werkexemplaren grundsätzlich eine Vergütung. Nach Massgabe der Zweckumschreibung ist der Beklagte mit seinem Einzelunternehmen im Dienstleistungsbereich tä- tig (KB 3). Gemäss Ziff. 2.1 GT 8 VI und GT 8 VII beziehen sich die Tarife auch auf den Dienstleistungsbereich und decken unter anderem die Bran- chen "Rechtsanwälte, Notariate, Wirtschafts- und Unternehmensberatung, Immobilienverwaltungen, Treuhand, Revision und Inkasso" (GT 8 VI) bzw. "Rechtsanwälte, Notariate, Wirtschafts- und Unternehmensberatung, Im- mobilienverwaltungen, Vermögensverwalter, Treuhand, Revision und In- kasso" (GT 8 VII) ab (vgl. KB 5). Aufgrund der Dienstleistungen, die der Beklagte über sein Einzelunternehmen erbringt, untersteht er den genann- ten Tarifen und ist passivlegitimiert. 4. Vergütungsanspruch 4.1. Parteibehauptungen Die Klägerin behauptet, sie habe die Fotokopiervergütung sowie die be- triebsinterne Netzwerkvergütung des Beklagten gestützt auf Ziff. 6 ff. und insbesondere Ziff. 8.3 GT 8 VI bzw. GT 8 VII sowie Ziff. 8.3 GT 9 VI bzw. GT 9 VII eingeschätzt, weil er das Erhebungsformular nicht ausgefüllt zu- rückgesandt habe. Der Beklagte habe diese Einschätzung nicht bean- standet, weshalb sie als anerkannt gelte (Klage Rz. 8). Nachdem der Be- 5 Vgl. dazu auch SHK URG-GASSER (Fn. 3), Art. 20 N. 11. - 8 - klagte den offenen Betrag der beigelegten Rechnungen (KB 4) trotz mehr- maliger Aufforderung nicht beglichen habe, habe ihn die Klägerin nochmals gemahnt. Wiederum habe der Beklagte keine Zahlung geleistet. Auch auf eine weitere schriftliche sowie eine telefonische Zahlungsaufforderung durch die Rechtsvertreter der Klägerin sei keine Reaktion erfolgt (Klage Rz. 9; KB 6). Insgesamt belaufe sich der offene Rechnungsbetrag auf Fr. 83.05 (Klage Rz. 10; KB 4). 4.2. Rechtslage Tatsächlich hat die Klägerin dem Beklagten mit Faktura Nr. 19125457 vom 8. April 2016, Faktura Nr. 19167757 vom 7. April 2017 sowie Faktura Nr. 19233104 vom 5. April 2018 lediglich die Fotokopier-Vergütungen von insgesamt Fr. 83.05 in Rechnung gestellt, wobei sie sich jeweils auf den GT 8 VI bzw. den GT 8 VII stützt. Dementsprechend kann sich die Erörte- rung der Rechtslage auf diese beiden Tarife beschränken. Art. 51 Abs. 1 URG sowie Ziff. 8.4 des GT 8 VI und Ziff. 8.4 des GT 8 VII sehen eine Auskunftspflicht der Nutzer gegenüber den Verwertungsgesell- schaften vor. Die Nutzer müssen demnach den Verwertungsgesellschaften alle Auskünfte erteilen, welche diese für die Gestaltung und die Anwendung des Tarifs benötigen, soweit es ihnen zuzumuten ist. Die jeweilige Ziff. 8.2 des GT 8 VI und des GT 8 VII hält dazu fest, dass die benötigten Angaben mittels Erhebungsbogen erfasst werden. Dieser muss innert 30 Tagen nach Aufforderung mit den notwendigen Angaben an die Klägerin retour- niert werden. Werden die notwendigen Angaben nach einer schriftlichen Mahnung auch innert Nachfrist nicht eingereicht, kann die Klägerin diese schätzen und ge- stützt darauf Rechnung stellen (Ziff. 8.3 GT 8 VI bzw. GT 8 VII). Der in Art. 20 Abs. 2 URG statuierte Vergütungsanspruch der Urheberinnen und Urheber für Reprografien im Dienstleistungsbereich wird unter anderem von GT 8 VI und GT 8 VII konkretisiert. Die Tarife sind für die Gerichte grundsätzlich verbindlich.6 Gibt der Nutzer die für die Berechnung notwen- digen Angaben innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Schätzung nicht schriftlich bekannt, gilt die Schätzung als anerkannt. 4.3. Würdigung Die klägerische Behauptung, die Einschätzung des Beklagten sei aufgrund des fehlenden Eingangs des Erhebungsformulars erfolgt, blieb unbestrit- ten. Weil der Beklagte seiner Auskunftspflicht nicht nachgekommen war, war die Klägerin berechtigt, ihn einzuschätzen. Die Rechnungen der Klägerin (KB 4) wurden vom Beklagten nicht bestrit- ten. Die Klägerin stützt die geltend gemachten Vergütungsansprüche auf 6 BGE 125 III 141 E. 4a; BGer 4A_203/2015 vom 30. Juni 2015 E. 3.3. - 9 - GT 8 VI Ziff. 6.3.3 und GT 8 VII Ziff. 6.4.3 (KB 4). Dabei handelt es sich um den Ansatz für "Rechtsanwälte, Notariate, Wirtschafts- und Unternehmens- beratung, Immobilienverwaltungen, Treuhand, Revision und Inkasso" (GT 8 VI) bzw. "Rechtsanwälte, Notariate, Wirtschafts- und Unternehmensbe- ratung, Immobilienverwaltungen, Vermögensverwalter, Treuhand, Revision und Inkasso" (GT 8 VII). Angesichts des publizierten statutarischen Zwecks der Einzelunterneh- mung des Beklagten ("Erbringen von Buchhaltungs-, Steuer- und Treu- handdienstleistungen für KMU bis Privatpersonen sowie Finanzberatungen und Firmengründungen" [KB 3]) ist diese Einteilung nicht zu beanstanden. Die Rechnungsbeträge für die Jahre 2016 bis 2018 korrespondieren mit den Vergütungen gemäss den obgenannten Bestimmungen der anwend- baren gemeinsamen Tarife. Der Klägerin ist der eingeklagte Betrag von to- tal Fr. 83.05 zuzusprechen. 5. Verzugszinsen 5.1. Begehren Die Klägerin verlangt zudem Verzugszinsen von 5 % auf Fr. 83.05 seit 9. Oktober 2018. 5.2. Rechtslage Der Schuldner hat Verzugszins von 5 % zu leisten, wenn er sich mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug befindet (Art. 104 Abs. 1 OR). Schuld- nerverzug setzt die Fälligkeit der Forderung voraus (Art. 102 Abs. 1 OR). Fällig ist eine Forderung dann, wenn deren Gläubiger die Leistung fordern und einklagen darf. Dabei gilt der Grundsatz, dass eine Forderung sofort fällig wird, sofern nichts anderes verabredet wurde oder sich aus der Natur des Rechtsverhältnisses ergibt (Art. 75 OR). Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, sofern die Parteien einen bestimmten Verfalltag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie „zahlbar 30 Tage netto“, ohne weitere Mahnung in Ver- zug.7 5.3. Würdigung Die Klägerin verlangt Verzugszins ab 9. Oktober 2018. Sie stellt damit auf den Tag nach Ablauf der mit Mahnung vom 28. September 2018 gesetzten Zahlungsfrist ab (KB 6). Da die entsprechenden Rechnungen innerhalb von 30 Tagen zahlbar waren (KB 4), fiel der Beklagte jeweils bereits ab dem 7 AGVE 2003, S. 38; BSK OR I-WIEGAND, 6. Aufl. 2015, Art. 102 N. 9; BK OR-WEBER, 2000, Art. 102 N. 115 m.w.N.; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2009, S. 882 N. 33. - 10 - 31. Tag in Verzug. Der Verzugsbeginn liegt folglich jeweils vor dem von der Klägerin geforderten Beginn des Zinsenlaufs. In Anwendung der Dispositi- onsmaxime (Art. 58 Abs. 1 ZPO) sind der Klägerin die beantragten Ver- zugszinsen zuzusprechen. 6. Prozesskosten Abschliessend sind die Prozesskosten entsprechend dem Verfahrensaus- gang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Klägerin obsiegt vollumfänglich. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Prozesskosten antragsgemäss dem Beklagten aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). 6.1. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen einzig aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Gerichtsgebühr beträgt bei ei- nem Streitwert von Fr. 83.05 (Zinsen werden nicht mitgerechnet [Art. 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO]) gestützt auf § 7 Abs. 1 VKD Fr. 909.00. Die Gerichts- kosten sind ausgangsgemäss vom Beklagten zu tragen und werden mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 909.00 verrech- net (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Der Beklagte hat der Klägerin die Gerichtskosten von Fr. 909.00 direkt zu ersetzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). 6.2. Parteikosten Die Parteientschädigung besteht aus den Kosten der berufsmässigen Ver- tretung der Parteien (Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO). Bei ihrer Festsetzung ist von den kantonalen Tarifen auszugehen (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 96 ZPO). Gemäss § 3 ff. AnwT bemisst sich die Parteientschädigung grundsätzlich nach dem Streitwert. Dieser beträgt vorliegend Fr. 83.05. Die Grundent- schädigung beläuft sich somit gestützt auf § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 AnwT auf Fr. 1'128.27, womit eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behörd- lichen Verhandlung abgegolten sind (§ 6 Abs. 1 AnwT). Dem eingesparten Aufwand der behördlichen Verhandlung wird praxisgemäss mit einem Ab- schlag von 20 % Rechnung getragen (§ 6 Abs. 2 AnwT). Hinzu kommt der pauschale Auslagenersatz von praxisgemäss rund 3 % (§ 13 AnwT). Die Parteientschädigung beläuft sich somit gerundet auf insgesamt Fr. 930.00. Dem klägerischen Antrag auf Zusprechung des Mehrwertsteuerzuschlags ist nicht zu entsprechen. Die Klägerin ist gemäss UID-Register8 selber mehrwertsteuerpflichtig. Sie kann die ihren Anwälten bezahlte Mehrwert- steuer als Vorsteuer von ihrer eigenen Mehrwertsteuerrechnung in Abzug 8 Vgl. https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-108.028.505, zuletzt besucht am 23. April 2019. - 11 - bringen (Art. 28 MWSTG).9 Die Mehrwertsteuer stellt somit keinen zusätz- lichen Kostenfaktor dar und ist bei der Bemessung der Parteientschädigung nicht zu berücksichtigen. Das Handelsgericht erkennt: 1. In Gutheissung der Klage wird der Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 83.05 nebst Zins zu 5 % seit 9. Oktober 2018 zu bezahlen. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 909.00 werden dem Beklagten auferlegt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 909.00 verrech- net. Der Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 909.00 direkt zu er- setzen. 3. Der Beklagte hat der Klägerin eine gerichtlich festgelegte Parteientschädi- gung in Höhe von Fr. 930.00 zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) den Beklagten 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) 9 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Partei- entschädigung der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: https://www.ag.ch/media/ kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (zuletzt besucht am 23. April 2019). - 12 - verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 23. April 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: Dubs Schmutz
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AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Immate_2019-04-23
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_23._April_2019.pdf
null
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61ac36d2-0165-4304-b517-715335bf6b9f
1
414
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2,020
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.46 Entscheid vom 26. Juni 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin M. AG, _ vertreten durch MLaw Carole Schenkel, Rechtsanwältin, Oberstadt- strasse 7, 5400 Baden Gesuchsgegne- rin H. AG, _ vertreten durch lic. iur. Michael Fretz, Rechtsanwalt, Frey-Herosé- Strasse 25, Postfach, 5001 Aarau 1 Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in L. (AG). Sie be- zweckt insbesondere die Führung eines Baugeschäftes, [...] (Gesuchsbei- lage [GB] 2). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in M. (AG). Sie hat im Wesentlichen den Erwerb, den Verkauf, die Vermietung und Verwal- tung von Immobilien sowie Beteiligung an Immobilien zum Zweck (GB 3). Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grdst.-Nr. 123 GB M. (E- GRID: CH 987; GB 4). 3. Mit Gesuch vom 10. Juni 2020 (Postaufgabe: 10. Juni 2020) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Das Grundbuchamt B. sei gerichtlich anzuweisen, zugunsten der Gesuchstellerin und zulasten des Grundstücks der Gemeinde M., Grundstück-Nr. 123 ein für eine Pfandsumme von CHF 202'672.55 zuzüglich Zins von 5 % seit 19. Januar 2020 auf CHF 150'000.00 sowie Zins von 5 % seit 20. März 2020 auf CHF 16'856.30 und Zins von 5 % seit 7. Mai 2020 auf CHF 35'816.25, im Grundbuch als Eintragung vorzumerken. 2. Die Anweisung gemäss Ziff. 1 hiervor sei durch das angerufene Gericht als vorsorgliche Massnahme, superprovisorisch und ohne Anhörung der Gesuchsgegnerin zu erteilen. 3. Die in Ziff. 2 hiervor beantragte superprovisorische Verfügung sei dem Grundbuchamt B. sowohl schriftlich als auch per Telefax elektronisch anzumelden. 4. Der Gesuchstellerin sei eine angemessene Frist von mindestens 3 Monaten anzusetzen, um die Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts gemäss Ziff. 1 hiervor zulasten des Grundstücks der Gesuchsgegnerin einzureichen. - 3 - 5. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zuzüglich Mehr- wertsteuer) zulasten der Gesuchsgegnerin." 4. Am 11. Juni 2020 erliess der Vizepräsident folgende Verfügung: 1. In Gutheissung des Gesuchs um Erlass superprovisorischer Massnahmen vom 10. Juni 2020 wird der Gesuchstellerin die Vormerkung einer vorläufigen Eintragung eines Bauhandwer- kerpfandrechts gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB auf dem Grdst.-Nr. 123 GB M. (E-GRID: CH 987, superprovisorisch für eine Pfandsumme von Fr. 202'672.55 zuzüglich Zins von 5 % seit 19. Januar 2020 auf CHF 150'000.00 sowie Zins von 5 % seit 20. März 2020 auf CHF 16'856.30 und Zins von 5 % seit 7. Mai 2020 auf CHF 35'816.25 bewilligt. 2. Das Grundbuchamt B. wird angewiesen, die Vormerkung ge- mäss vorstehender Dispositiv-Ziff. 1 sofort einzutragen. 3. Die Gesuchstellerin hat mit beiliegendem Einzahlungsschein bis zum 25. Juni 2020 einen Gerichtskostenvorschuss von Fr. 3'000.00 zu leisten. 4. Zustellung des Doppels des Gesuchs (inkl. Beilagen) vom 10. Juni 2020 an die Gesuchsgegnerin zur Erstattung einer schriftlichen Antwort bis zum 25. Juni 2020. 5. Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. Aus- nahmsweise ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichen- der Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustimmung der Gegenpartei oder von der Partei nicht vorher- sehbare oder nicht beeinflussbare Hinderungsgründe. 6. Die Gesuchsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass die Vor- merkung im Grundbuch gelöscht wird, wenn sie für die ange- meldeten Forderungen hinreichende Sicherheiten leistet. 7. Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO). - 4 - 5. Das Grundbuchamt B. merkte die vorläufige Eintragung am 11. Juni 2020 (Tagebuchnummer 567) im Tagebuch vor. 6. Die Gesuchstellerin bezahlte am 17. Juni 2020 den Kostenvorschuss von Fr. 3'000.00. 7. Mit Gesuchsantwort vom 25. Juni 2020 stellte die Gesuchsgegnerin fol- gende Rechtsbegehren: " 1. Das Gesuch sei abzuweisen. 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Ge- suchstellerin." Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Der Einzelrichter am Handelsgericht ist örtlich, sachlich und funktionell zur Beurteilung der im summarischen Verfahren zu behandelnden Streitigkeit zuständig (vgl. dazu E. 4 der Verfügung vom 11. Juni 2020). 2. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 2.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 2.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.1 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die 1 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. - 5 - Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.2 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.3 3. Pfandsumme 3.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, sie habe auf dem Grdst.-Nr. 123 GB M. die Baumeisterarbeiten inkl. dem Baugrubenaushub für den Ersatzneubau des Gewerbe- und Bürohauses der Gesuchsgegnerin realisiert (Gesuch Rz. 5; GB 6-8). Die ausstehende Forderung der Gesuchstellerin betrage noch to- tal Fr. 202'672.55. Noch offen seien die 5. Akontorechnung vom 20. De- zember 2019 über Fr. 150'000.00 (GB 11), die 6. Akontorechnung vom 19. Februar 2010 über Fr. 16'856.30 (GB 12) sowie die Schlussrechnung vom 7. April 2020 über Fr. 35'816.25 (GB 13; Gesuch Rz. 12). 3.2. Die Gesuchsgegnerin bestreitet, die von der Gesuchstellerin behauptete Pfandsumme. Die Werkvertragssumme belaufe sich auf total Fr. 492'898.55 (GB 6). Die Gesuchsgegnerin habe der Gesuchstellerin je- doch bereits Fr. 553'718.55 inkl. MwSt. bezahlt (Antwortbeilagen [AB] 4- 13). Wie die Gesuchstellerin darauf käme, dass zusätzlich über Fr. 200'000.00 offen sein sollten, sei der Gesuchsgegnerin schleierhaft, insbesondere, weil die Gesuchstellerin haargenau wüsste, weshalb ihre letzten Akontorechnungen zurückgewiesen worden seien. Die Gesuchs- gegnerin zitiert diesbezüglich aus einem Schreiben des Bauleiters der Ge- suchsgegnerin, D.F., vom 29. April 2019 (recte: 2020) an M.G. von der Ge- suchstellerin (GB 14). Zudem habe die Gesuchsgegnerin anlässlich der wöchentlich protokollierten Sitzungen Nrn. 1 bis 18 kein einziges Mal Diffe- renzen, Preiskorrekturen oder Ähnliches geltend gemacht. Die Gesuchstel- lerin habe Leistungen in Rechnungen gestellt, welche zum Datum der Rechnungstellung noch gar nicht erbracht worden seien. Eine Forderung könne nicht schon vor Erbringen der Leistung fällig werden. Zudem hätte die Gesuchstellerin schwerwiegende Fehler bei der Ausschalung der frisch betonierten Betondecke begangen sowie ihren Rechnungen ein falsches Ausmass zugrunde gelegt und falsche Einheitspreise eingesetzt. Sie hielt sich auch vertragswidrig in Bezug auf die (fehlende) vorgängige Einholung der Zustimmung zu Änderungen im Werkvertrag. Schliesslich könne die Höhe der Schlussrechnung – sofern überhaupt noch eine Forderung sei- tens der Gesuchstellerin bestehe – erst nach Aufnahme des definitiven Ausmasses festgelegt werden (Gesuchsantwort Rz. 10-16). 2 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 3 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1395. - 6 - 3.3. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.4 3.4. Würdigung Die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts darf nur ver- weigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen oder höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Beweis- o- der Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Ent- scheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen (vgl. oben E. 2.2). Aufgrund der Behauptungen beider Parteien ist es für den Vizeprä- sidenten jedenfalls glaubhaft, dass der Gesuchstellerin für auf dem Grdst.- Nr. 123 GB M. ausgeführte Arbeiten grundsätzlich noch Forderungsan- sprüche in behaupteter Höhe von total Fr. 202'762.55 zustehen (GB 11- 13). Die Fälligkeit dieser Werklohnforderung ist für die (vorläufige) Eintra- gung eines Bauhandwerkerpfandrechts nicht vorausgesetzt, da das Bau- handwerkerpfandrecht gemäss Art. 839 Abs. 1 ZGB bereits nach Vertrags- schluss nach Arbeitsbeginn im Grundbuch eingetragen werden kann.5 Soweit die Gesuchsgegnerin Mängel geltend macht, so unterlässt sie es darzulegen, dass sie nach dem einschlägigen Gewährleistungsrecht vor- gegangen ist, sodass sich der Werklohnanspruch der Gesuchstellerin re- duziert hätte (bspw. im Falle der Minderung). Es fehlt eine Quantifizierung desjenigen Anteils des Werklohns der Gesuchstellerin, der aufgrund der Mängel nicht geschuldet sein soll. Es mangelt folglich an einem schlüssigen Vortrag. Die Parteien werden diesbezüglich in das Verfahren um die defi- nitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts verwiesen. Zusammenfassend ist im Rahmen des vorsorglichen Massnahmeverfah- rens glaubhaft gemacht, dass die Gesuchstellerin gegenüber der Gesuchs- gegnerin über einen Vergütungsanspruch und damit Pfandanspruch im Umfang von Fr. 202'762.55 verfügt. 4 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 436, 438 und 547. 5 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 473. - 7 - 3.5. Verzugszinsen Die Gesuchsgegnerin bestreitet den Anspruch der Gesuchsgegnerin be- züglich der behaupteten Verzugszinsen lediglich pauschal (Gesuchsant- wort Rz. 16). Pauschale Bestreitungen reichen jedoch selbst dann nicht aus, wenn sie explizit erfolgen. Erforderlich ist eine klare Äusserung, dass der Wahrheitsgehalt einer bestimmten gegnerischen Behauptung infrage gestellt wird.6 Zudem ist im ordentlichen Verfahren definitiv zu entscheiden, ob der Gesuchstellerin die beantragten Verzugszinsen zugesprochen wer- den können. Vorliegend sind sie ihr zuzusprechen. 4. Eintragungsfrist 4.1.Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, sie habe eine einzige, spezifische Bauar- beit geleistet. Baugrubenaushubarbeiten und Baumeisterarbeiten bildeten eine funktionelle Einheit; es seien Arbeiten, welche miteinander funktional vernetzt seien und zwischen denen ein enger Zusammenhang bestehe, so dass sie in wirtschaftlicher und tatsächlicher Hinsicht ein Ganzes bildeten. Aus diesem Grund gelte ein einheitlicher Fristenlauf. Die letzte Arbeit ge- mäss Werkvertrag, der Bau der Stützmauer, habe nach Demontage des Fassadengerüsts in Angriff genommen werden können. Am 12. März 2020 sei mit dem Bau der Stützmauer begonnen und am 18. März 2020 seien die Arbeiten vollendet worden, womit die Viermonatsfrist eingehalten wor- den sei (Gesuch Rz. 11; GB 9 und 10). Die Gesuchsgegnerin bestreitet, dass das Datum vom 18. März 2020 für die Berechnung der Viermonatsfrist relevant sei. Nicht jede noch so unbe- deutende Arbeit habe Einfluss auf den Abschlusstermin. Quantitativ nur un- bedeutende Arbeiten würden nicht als Vollendungsarbeiten gelten. Die Ge- suchstellerin habe im Zeitraum vom 12. bis 18. März 2020 lediglich die letz- ten 2.46 m der Stützmauer erstellt. Die Gesuchstellerin würde nicht begrün- den, inwiefern diese Arbeiten wesentlich seien oder eine funktionelle Ein- heit mit der Gewerbehalle bildeten (AB 2 und 3). Die Arbeiten an der Stütz- mauer seien unwesentlich. Sie seien lange nach den eigentlichen Vollen- dungsarbeiten ausgeführt worden und von absolut untergeordneter Natur. Die Fertigstellungsarbeiten für die Gewerbehalle seien bereits vor Mitte Februar abgeschlossen worden (Gesuchsantwort Rz. 6-9). 4.2. Rechtliches Die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts muss bis spätestens vier Monate nach der Arbeitsvollendung erfolgen, andernfalls verwirkt der An- spruch (Art. 839 Abs. 2 ZGB).7 Die Eintragungsfrist berechnet sich nach Art. 7 ZGB i.V.m. Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 i.V.m. Abs. 2 OR. Sie endet somit an 6 BGE 141 III 433 E. 2.6; BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.3. 7 BGE 126 III 462 E. 4c.aa; BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 1), Art. 839/840 N. 29. - 8 - demjenigen Tag des letzten Monats, der durch seine Zahl dem Tag der Arbeitsvollendung entspricht.8 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 839 Abs. 2 ZGB gel- ten Bauarbeiten grundsätzlich dann als vollendet, wenn alle Verrichtungen, die Gegenstand des Werkvertrages bilden, ausgeführt sind. Nicht in Be- tracht fallen dabei geringfügige oder nebensächliche, rein der Vervoll- kommnung dienende Arbeiten oder Ausbesserungen wie der Ersatz gelie- ferter, aber fehlerhafter Teile oder die Behebung anderer Mängel. Gering- fügige Arbeiten gelten aber dann als Vollendungsarbeiten, wenn sie uner- lässlich sind; insoweit werden Arbeiten weniger nach quantitativen als viel- mehr nach qualitativen Gesichtspunkten gewürdigt.9 4.3. Würdigung Die Gesuchsgegnerin bestreitet nicht, dass die Gesuchstellerin zwischen vom 12. bis 18. März 2020 die letzten 2.46 m der Stützmauer fertigstellte und diese Leistung aufgrund des zwischen den Parteien abgeschlossenen Werkvertrags geschuldet war. Folglich ist für den Vizepräsidenten glaub- haft, dass die von der Gesuchstellerin geschuldeten Werkleistungen am 18. März 2020 vollendet wurden. Für die definitive Entscheidung dieser Frage, werden die Parteien in das Verfahren um die definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts verwiesen. 5. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts für eine Pfandsumme von Fr. 202'672.55 zuzüglich Zins von 5 % seit 19. Januar 2020 auf Fr. 150'000.00 sowie Zins von 5 % seit 20. März 2020 auf CHF 16'856.30 und Zins von 5 % seit 7. Mai 2020 auf CHF 35'816.25 erfüllt sind und die mit Verfügung vom 11. Juni 2020 superprovisorisch angeordnete Vormer- kung der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts ent- sprechend zu bestätigen ist. 6. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei ungenutztem Ablauf der Frist ohne weiteres und ersatzlos gelöscht werde.10 Die Prose- quierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vor- liegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 8 BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 1), Art. 839/840 N. 31a. 9 BGer 5A_613/2015 vom 22. Januar 2016 E. 4 m.w.N. 10 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 672 ff. - 9 - Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen.11 7. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 7.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 3'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 3'000.00, direkt zu ersetzen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 7.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin zudem eine Parteientschä- digung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 202'672.55 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 19'147.60 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 7 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarabzugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 4'786.90. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach weite- ren Abzügen von 20 % wegen der nicht durchgeführten Verhandlung (§ 6 Abs. 2 AnwT) resultiert ein Betrag in Höhe von Fr. 3'829.50. Nach Hinzu- rechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 3'945.00, den die Gesuchsgegnerin der Gesuchstellerin als Parteientschädigung zu bezah- len hat. Dem gesuchstellerischen Antrag auf Zusprechung des Mehrwertsteuerzu- schlags ist nicht zu entsprechen. Die Gesuchstellerin ist gemäss UID-Re- gister12 selber mehrwertsteuerpflichtig. Sie kann die ihrer Rechtsanwältin bezahlte Mehrwertsteuer als Vorsteuer von ihrer eigenen Mehrwertsteuer- rechnung in Abzug bringen (Art. 28 MWSTG).13 Die Mehrwertsteuer stellt somit keinen zusätzlichen Kostenfaktor dar und ist bei der Bemessung der 11 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 1), N. 688. 12 Vgl. _ (zuletzt besucht am 26. Juni 2020). 13 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Partei- entschädigung der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: https://www.ag.ch//kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (zuletzt am 26. Juni 2020). https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-105.779.555 https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 10 - Parteientschädigung deshalb nicht zu berücksichtigen. Die Rechtspre- chung sollte der Rechtsvertreterin der Gesuchstellerin eigentlich bekannt sein. 7.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handels- gericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder auf- grund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehalten. Der Vizepräsident erkennt: 1. In Gutheissung des Gesuchs vom 10. Juni 2020 wird die mit Verfügung vom 11. Juni 2020 zugunsten der Gesuchstellerin auf dem Grundstück der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 123 GB M. (E-GRID: CH 987), für eine Pfand- summe von Fr. 202'672.55 zuzüglich Zins von 5 % seit 19. Januar 2020 auf Fr. 150'000.00 sowie Zins von 5 % seit 20. März 2020 auf Fr. 16'856.30 und Zins von 5 % seit 7. Mai 2020 auf Fr. 35'816.25 angeordnete Vormer- kung vorsorglich bestätigt. 2. Das Grundbuchamt B. wird angewiesen, die Vormerkung gemäss Disposi- tiv-Ziff. 1 aufrechtzuerhalten. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 29. September 2020 beim zuständigen Gericht im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung des Bau- handwerkerpfandrechts anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkung im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht wird. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 sind von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten der Ge- suchstellerin direkt zu ersetzen. - 11 - 4.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin deren Parteikosten in rich- terlich festgesetzter Höhe von Fr. 3'945.00 (inkl. Auslagen) zu ersetzen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreterin; zweifach mit Abrechnung und Kopie der Gesuchsantwort vom 25. Juni 2020 [inkl. Beilagen]) die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach) Zustellung an: das Grundbuchamt B. (nach Ablauf der Rechtsmittelfrist) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 12 - Aarau, 26. Juni 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002
AG_HG
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AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2020-06-26
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_26._Juni_2020.pdf
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61e5b373-bd79-5d8e-bb5d-c9943e648717
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2011 Obergericht 82 [...] 23 Art. 363 ff., 393 ff., 398 StPO Die (Rechtsmittel-)Eingabe gegen einen Entscheid im Nachverfahren nach Art. 363 ff. StPO wird als Berufung gemäss Art. 398 ff. StPO entge- gengenommen. Die Beschwerde im Sinne von Art. 393 ff. StPO steht als subsidiäres Rechtsmittel zur Berufung nicht zur Verfügung. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 19. August 2011 i.S. Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach gegen J.N. (SST.2011.113). Aus den Erwägungen 1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet einzig die durch die Vorinstanz gestützt auf Art. 35 f. i.V.m. Art 106 StGB angeord- nete Umwandlung der Busse in eine Ersatzfreiheitsstrafe. Die Anord- nung stellt einen selbstständigen nachträglichen Entscheid i.S.v. Art. 363 ff. StPO dar. Der Entscheid der Vorinstanz erging in der Form einer Verfügung und war mit der Rechtsmittelbelehrung der Beschwerde (Art. 393 ff. StPO) versehen. 1.1. Die Berufung, welche nach dem Gesetz als primäres Rechts- mittel der (subsidiären) Beschwerde vorgeht (Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 394 lit. a StPO), ist zulässig gegen Urteile erstinstanzlicher Ge- richte , mit denen das Verfahren ganz oder teilweise abgeschlossen worden ist (Art. 398 Abs. 1 StPO). Demgegenüber ist die Beschwer- de nach Art. 393 Abs. 1 StPO zulässig gegen die Verfügungen und die Verfahrenshandlungen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Über- tretungsstrafbehörden (lit. a), die Verfügungen und Beschlüsse sowie die Verfahrenshandlungen der erstinstanzlichen Gerichte - mit Aus- 2011 Strafprozessrecht 83 nahme der verfahrensleitenden Entscheide - (lit. b) sowie die Ent- scheide des Zwangsmassnahmengerichts in den in diesem Gesetz vorgesehenen Fällen (lit. c). Wie aus den soeben zitierten Bestimmungen erhellt, ergibt sich das gegen Entscheide erstinstanzlicher Gerichte zulässige Rechtsmit- tel aus der Rechtsform des anzufechtenden Entscheids. Vor der ge- setzlichen Ausgangslage stellt sich die Frage, ob selbstständige nach- trägliche Entscheide des Gerichts nach Art. 365 StPO in der Form des Beschlusses (bzw. der Verfügung) zu ergehen haben mit der Fol- ge, dass sie mit Beschwerde gemäss Art. 393 ff. StPO anzufechten sind, oder aber in Urteilsform zu kleiden sind und diesfalls der Be- rufung gemäss Art. 398 ff. StPO unterliegen. Soweit ersichtlich, hat sich das Bundesgericht bisher in seiner Rechtsprechung mit dieser Frage (noch) nicht auseinander gesetzt. 1.2. In Bezug auf selbstständige nachträgliche Entscheide des Ge- richts nach Art. 363 ff. StPO hält Art. 365 Abs. 2 StPO fest, dass das Gericht seinen Entscheid schriftlich erlässt und ihn kurz begründet; hat eine Verhandlung stattgefunden, so eröffnet es seinen Entscheid sofort mündlich. Im Unterschied zu anderen Bestimmungen - etwa Art. 377 Abs. 4 StPO - findet sich in Art. 365 StPO keine explizite Anordnung, in welcher Form der selbstständige nachträgliche Ent- scheid des Gerichts zu ergehen hat. Zu den Formen eines Entscheids enthält das Gesetz in Art. 80 Abs. 1 StPO eine Legaldefinition: Ent- scheide, in denen über Straf- und Zivilfragen materiell befunden wird, ergehen in Form eines Urteils. Die anderen Entscheide erge- hen, wenn sie von einer Kollektivbehörde gefällt werden, in Form eines Beschlusses, wenn sie von einer Einzelperson gefällt werden, in Form einer Verfügung. Die Bestimmungen des Strafbefehlsverfah- rens bleiben vorbehalten. 1.3. Die Botschaft (Botschaft des Bundesrates zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006, 1085, 1299) führt zu den Rechtsmittelmöglichkeiten gegen selbstständige nachträgliche Entscheide des Gerichts aus, gegen einen solchen Entscheid, der als Verfügung oder Beschluss (und regelmässig in 2011 Obergericht 84 einem schriftlichen Verfahren) ergehe, sei die Beschwerde zulässig. Werde der nachträgliche Entscheid dagegen zusammen mit einem neuen Sachentscheid gefällt und werde letzterer angefochten, gälten ohne andere Erklärung der anfechtenden Partei die mit dem Sach- entscheid gefällten Verfügungen und Beschlüsse als mitangefochten. Die Ausführungen in der Botschaft werden von der Lehre überwie- gend geteilt (M ARIANNE H EER , in: M ARCEL A. N IGGLI /M ARIANNE H EER /H ANS W IPRÄCHTIGER [Hrsg.], Basler Kommentar zur Schwei- zerischen Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, 2011, N. 4 ff. zu Art. 365; C HRISTIAN S CHWARZENEGGER , in: A NDREAS D ONATSCH / THOMAS H ANSJAKOB /V IKTOR L IEBER [Hrsg.], Kommen- tar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 2 f. zu Art. 365; N IKLAUS S CHMID , Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 3 f. zu Art. 365; N IKLAUS S CHMID , Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2009, N. 1395; D ANIEL J OSITSCH , Grundriss des schweizerischen Strafprozessrechts, 2009, N. 559). Die (gegenteilige) Auffassung, wonach selbstständige nach- trägliche Entscheide des Gerichts der Berufung unterliegen, wird bei- spielsweise von T HOMAS M AURER (T HOMAS M AURER , in: P ETER G OLDSCHMID /T HOMAS M AURER /J ÜRG S OLLBERGER [Hrsg.], Kom- mentierte Textausgabe zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO] vom 5. Oktober 2007, 2008, S. 391), F RANZ R IKLIN (F RANZ R IKLIN , StPO, Kommentar, 2010, N. 1 zu Art. 398) und C HRISTOPHER G ETH (C HRISTOPHER G ETH , Rechtsmittel gegen selb- ständige nachträgliche Entscheidungen des Gerichts nach Art. 363 ff. StPO, in: AJP 2011, S. 313 ff.) sowie vom Obergericht des Kantons Bern (R ENATE S CHNELL , Entscheide nach Art. 365 StPO - beru- fungsfähig oder nur der Beschwerde zugänglich?, in: forumpoenale 2011, S. 111 ff.) vertreten. 1.4. Als Entscheide im Nachverfahren nach Art. 363 ff. StPO gelten solche, in denen sich ein Gericht im Nachgang zu einem Urteil hauptsächlich in Bezug auf eine Massnahme oder auch auf den Voll- zug einer Strafe nochmals mit der Sache zu befassen hat. Das ur- sprüngliche Verfahren wird fortgesetzt (H EER , a.a.O., N. 1 zu 2011 Strafprozessrecht 85 Art. 363). Solche nachträglichen Entscheide in einem selbstständigen Widerrufs- oder Nachverfahren sind subsidiär. Ist ein weiteres Ver- fahren wegen neuer Straftaten hängig, können entsprechende Anträge dort Gegenstand der Anklage sein und im diesbezüglichen gericht- lichen Hauptverfahren beurteilt werden (Art. 81 Abs. 4 lit. d, Art. 326 Abs. 1 lit. g StPO; H EER , a.a.O., N. 2 zu Art. 363). In den Verfahren nach Art. 363 ff. StPO (vgl. zu den Fallkonstellationen die Übersicht in der Botschaft, a.a.O., 1298; vgl. auch S CHNELL , a.a.O., S. 111) geht es mithin um die nachträgliche Abänderung oder Ergänzung der Sanktionsfolgen von rechtskräftigen Strafurteilen (Nach- oder Wider- rufsverfahren), wobei sie nur dann zum Zuge kommen, wenn gegen den Verurteilten kein neues Strafverfahren durchgeführt werden muss. Kommt es demgegenüber wegen neuer Straftaten zu einer An- klage, übernimmt das dafür zuständige Gericht auch die Abänderun- gen und Ergänzungen des vorherigen Urteils (S CHWARZENEGGER , a.a.O., N. 1 zu Art. 363). Nach Auffassung des angerufenen Strafgerichts des Oberge- richts des Kantons Aargau (vgl. dazu auch Entscheid der Beschwer- dekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau vom 9. Juni 2011 i.S. D.S./StA = Art. 134) sollte ein Entscheid nur in der gleichen Form abgeändert oder ergänzt werden können, in welcher er ursprünglich erlassen wurde, so dass für die selbstständigen nach- träglichen Entscheide des Gerichts die Form des Urteils als die richti- ge Form erscheint. Diese Anschauung ist darüber hinaus - entgegen der Botschaft (Botschaft, a.a.O., 1298), welche erklärt, dass selbst- ständige nachträgliche Entscheide des Gerichts nicht im Rahmen eines Urteils ergehen könnten, da (mit Ausnahme des Widerrufs ausgesetzter oder bedingter Sanktionen sowie der Entlassungen nach Begehung neuer Straftaten) kein neues Sachurteil anstehe - auch zwanglos mit der Legaldefinition des Urteils in Art. 80 Abs. 1 StPO, wonach Entscheide, in denen über Straf- und Zivilfragen materiell befunden wird, in Form eines Urteils ergehen, in Übereinstimmung zu bringen, da in den erwähnten Verfahren über solche Fragen des Strafrechts materiell zu befinden ist. Im Weiteren verweist S CHNELL zutreffend darauf, dass nach der Legaldefinition von Art. 80 StPO nicht zweifelhaft sein könne, dass es sich bei den Entscheiden ge- 2011 Obergericht 86 mäss Art. 365 StPO um solche handle, welche die Urteilsform er- forderten, und ein Urteil nicht deswegen zu einem blossen Beschluss oder zu einer blossen Verfügung mutieren könne, weil es nachträg- lich ergehe (S CHNELL , a.a.O., S. 111 f.). Ebenso kann S CHNELL bei- gepflichtet werden, wenn auf Widersprüchlichkeiten, welche im Rah- men der Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme entstünden (Art. 65 Abs. 1 StPO), hingewiesen wird. Es kommt hin- zu, dass die von der Botschaft und der überwiegenden Meinung in der Literatur vertretene Auffassung aus institutionellen Überlegungen bzw. unter dem Blickwinkel der Einheit der Rechtsprechung wenig sachgerecht erscheint: Erfolgt die nachträgliche Abänderung oder Er- gänzung eines rechtskräftigen Strafurteils im Rahmen eines selbst- ständigen gerichtlichen Verfahrens, wäre die Beschwerde gegeben. Kommt es hingegen wegen neuer Straftaten zu einer (neuen) Ankla- ge, übernimmt das für deren Beurteilung zuständige Gericht - wie bereits dargelegt (Art. 81 Abs. 4 lit. d, Art. 326 Abs. 1 lit. g StPO) - auch die Abänderung oder Ergänzung des vorausgegangenen Strafur- teils, so dass dagegen die Berufung gegeben wäre. Damit hätten zwei unterschiedliche Rechtsmittelinstanzen über identische Rechtsfragen zu entscheiden (N IKLAUS O BERHOLZER , Das Rechtsmittelsystem der Schweizerischen Strafprozessordnung, Beschwerde, Berufung, Re- vision, in: AJP 2011 S. 39 ff., S. 40 f.). 1.5. Zusammenfassend steht hier nach dem Gesagten die Beschwer- de im Sinne von Art. 393 ff. StPO als subsidiäres Rechtsmittel zur Berufung gemäss Art. 398 ff. StPO nicht zur Verfügung. Die (Rechts- mittel-)Eingabe vom 8. Juni 2011 wurde deshalb als Berufung entge- gengenommen (vgl. Verfügung vom 17. Juni 2011).
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AG_HG_001_AGVE-2011-23_2011-08-02
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-23.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-23.pdf
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2000 Strafprozessrecht 71 V. Strafprozessrecht 20 § 52 Abs. 1 Satz 2 StPO. Entscheide der Strafverfolgungsbehörden können nur dann dem Ermitt- lungs- und Untersuchungsverfahren zugerechnet werden und damit unter § 52 Abs. 1 Satz 2 StPO fallen, wenn sie tatsächlich auch in diesen Ver- fahren ergangen sind. Das Entschädigungsverfahren nach § 140 Abs. 3 StPO gehört eindeutig nicht mehr zur Untersuchung, sondern ist ein daran anschliessendes eigenes Verfahren. Im Entschädigungsverfahren gelten demnach die Gerichtsferien (Änderung der Rechtsprechung). Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 7. September 2000 i.S. Staatsanwaltschaft ca. B.G.M. Aus den Erwägungen 1. a) Die Staatsanwaltschaft verweist in ihrem Entscheid auf AGVE 1990 Nr. 27, wo ausgeführt wird, sämtliche Entscheide der Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Bezirksämter, gericht- liche Polizei und Gemeindepolizei im Dienste der gerichtlichen Poli- zei) würden als im Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren erlas- sen gelten, bzw. seien diesen zuzuordnen, weshalb nach dem klaren Wortlaut von § 52 Abs. 1 Satz 2 StPO keine Gerichtsferien gelten würden. Dies sei auch deshalb der Fall, weil solche Entscheidungen keine Entscheide des Gerichts im gerichtlichen Verfahren seien, für welche die ZPO in der Regelung des Fristenlaufs die Gerichtsferien vorsehe. § 52 StPO lasse demnach die Gerichtsferien nur für die Anfechtung von Entscheiden des Richters in gerichtlichen Verfahren zu. Es könne an der bisherigen Rechtsprechung, die für Beschwerden gegen Entschädigungsentscheide und Einstellungsverfügungen der 2000 Obergericht 72 Staatsanwaltschaft die Gerichtsferien habe gelten lassen (AGVE 1972 Nr. 44, 1975 Nr. 44), nicht festgehalten werden. b) Die Auffassung, sämtliche Entscheidungen der Strafverfol- gungsbehörden hätten als im Ermittlungs- und Untersuchungsverfah- ren erlassen zu gelten, und die Geltung der Gerichtsferien sei auch im Strafprozess nur bei Entscheiden des Gerichts in gerichtlichen Verfahren vorgesehen, ist nicht in allen Teilen richtig. Auf der einen Seite können die Entscheide der Strafverfolgungsbehörden nur dann dem Ermittlungs- oder Untersuchungsverfahren zugerechnet werden und damit unter § 52 Abs. 1 Satz 2 StPO fallen, wenn sie tatsächlich auch im Ermittlungs- oder Untersuchungsverfahren ergangen sind. Auf der anderen Seite werden in § 52 Abs. 1 Satz 2 StPO die Ge- richtsferien nur im Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren sowie in Haftfällen ausgeschlossen, und deren Geltung nicht auf das ge- richtliche Verfahren beschränkt. Das Obergericht hat denn auch fest- gehalten, dass die 20-tägige Einsprachefrist im Strafbefehlsverfahren während der Gerichtsferien still stehe (Entscheid der Beschwerde- kammer vom 6. April 1994 i.S. W.A.M., S. 3 Erw. 1; vom 3. April 1997 i.S. R.G., S. 3 Erw. 1). Währenddem die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft die Untersuchung beendet und folglich im Sinne von § 52 Abs. 1 Satz 2 StPO noch dem Untersuchungsverfahren zugerechnet werden kann, auch wenn es sich um keine eigentliche Untersuchungshand- lung mehr handelt, so gehört das Entschädigungsverfahren nach § 140 Abs. 3 StPO eindeutig nicht mehr zur Untersuchung, sondern ist ein daran anschliessendes eigenes Verfahren. An der Auffassung von AGVE 1990 Nr. 27, auch in einem solchen Entschädigungsver- fahren würden keine Gerichtsferien gelten, kann demnach nicht fest- gehalten werden.
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-20.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-20.pdf
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2000 Zivilrecht 21 I. Zivilrecht A. Erbrecht 1 Art. 518, 554 Abs. 1 Ziff. 4, 556 Abs. 3 und 559 Abs. 1 ZGB; Anordnung der Erbschaftsverwaltung; Voraussetzungen. - Haben die gesetzlichen Erben die Ausstellung einer Erbbescheinigung und damit die (vorläufige) Auslieferung der Erbschaft an die mittels letztwilliger Verfügung eingesetzten Erben durch Erhebung einer Einsprache i.S.v. Art. 559 Abs. 1 ZGB erfolgreich verhindert, sind entweder die ersteren oder die letzteren durch die amtliche Erb- schaftsverwaltung i.S.v. Art. 556 Abs. 3 i.V.m. Art. 554 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB zu schützen (Erw. 1b). - Ist ein Willensvollstrecker eingesetzt, der das Amt angenommen hat, erübrigt sich in der Regel die Anordnung einer Erbschaftsverwaltung nach Art. 556 Abs. 3 ZGB. Sie rechtfertigt sich hingegen dann, wenn die blosse Orientierung des Willensvollstreckers über die Einsprache der gesetzlichen Erben keine ausreichende Gewähr für den Abbruch allfälliger Liquidationshandlungen bietet. Abgrenzung der Befugnisse des Willensvollstreckers von denjenigen des Erbschaftsverwalters. (Erw. 2b) Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 15. August 2000 in Sachen D.P.S. u.a. gegen M.K u.a. Aus den Erwägungen 1. a) Die Erbschaftsverwaltung wird gemäss Art. 554 Abs. 1 ZGB angeordnet, wenn ein Erbe dauernd und ohne Vertretung abwe- send ist, sofern es seine Interessen erfordern (Ziff. 1), wenn keiner der Ansprecher sein Erbrecht genügend nachzuweisen vermag oder das Vorhandensein eines Erben ungewiss ist (Ziff. 2), wenn nicht alle Erben des Erblassers bekannt sind (Ziff. 3), oder wo das Gesetz sie für besondere Fälle vorsieht (Ziff. 4). 2000 Obergericht 22 Gemäss Art. 556 Abs. 3 ZGB hat die Behörde nach Einlieferung einer letztwilligen Verfügung des Erblassers, soweit tunlich nach Anhörung der Beteiligten, entweder die Erbschaft einstweilen den gesetzlichen Erben zu überlassen oder die Erbschaftsverwaltung anzuordnen. Diese Erbschaftsverwaltung gilt als Anwendungsfall von Art. 554 Abs. 1 Ziff. 4 und unterliegt nicht den Voraussetzungen von Art. 554 Abs. 1 Ziff. 1 - 3 ZGB (Martin Karrer, Basler Kom- mentar, Basel 1998, N 28 zu Art. 556 ZGB; Arnold Escher, Zürcher Kommentar, 3. A., Zürich 1960, N 14 zu Art. 556 ZGB; Paul Piotet, Schweizerisches Privatrecht, Bd. IV/2, Basel/Stuttgart 1981, S. 735). Die Behörde hat ein Ermessen, welche von beiden in Art. 556 Abs. 3 ZGB genannten Varianten sie anwenden will, ist aber nicht berech- tigt, eine andere Variante zu wählen (Karrer, a.a.O., N 25 zu Art. 556 ZGB). Die Ueberlassung der Erbschaft i.S.v. Art. 556 Abs. 3 ZGB bedeutet lediglich, dass die Behörde die gesetzlichen Erben die tat- sächliche Gewalt über den Nachlass, welche diesen durch den Tod des Erblassers automatisch zusteht, weiter ausüben lässt (Escher, a.a.O., N 10 zu Art. 556 ZGB). Trifft die Behörde keinen förmlichen Entscheid, bleibt es daher bei der gesetzlichen Regelung von Art. 560 ZGB, d.h. beim Fortdauern der tatsächlichen Gewalt der gesetzlichen Erben über die Erbschaftssachen (Karrer, a.a.O., N 27 zu Art. 556 ZGB). Zuständige Behörde für den Erlass von Massnahmen zur Sicherung des Erbganges ist gemäss § 72 EG ZGB der Ge- richtspräsident am letzten Wohnsitz des Erblassers. b) Vorliegend haben die gesetzlichen Erben die Ausstellung ei- ner Erbbescheinigung - und damit die (vorläufige) Auslieferung der Erbschaft - an die mit letztwilliger Verfügung der Erblasserin ein- gesetzten Erben durch Erhebung einer Einsprache i.S.v. Art. 559 Abs. 1 ZGB erfolgreich verhindert. Bei dieser Sachlage ist die Anordnung einer Erbschaftsverwaltung durch das Gerichtspräsidium K. nicht zu beanstanden. Schliesst der Erblasser die gesetzlichen Erben von der Erbfolge aus und wendet den Nachlass Dritten zu, so liegt es auf der Hand, dass - je nachdem, wieviele Zweifel an der Gültigkeit der 2000 Zivilrecht 23 letztwilligen Verfügung sich erheben - entweder die letzteren oder die ersteren durch die amtliche Erbschaftsverwaltung zu schützen sind (Claude Wetzel, Interessenkonflikte des Willensvollstreckers, Diss. Zürich 1985, Rz. 31 ff.). Die gesetzliche Grundlage hiefür findet sich im vorab dargelegten Art. 556 Abs. 3 i.V.m. Art. 554 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB. Die in Art. 554 Abs. 1 Ziff. 1 - 3 ZGB genannten Voraussetzungen müssen daher - entgegen der Auffassung der Gesuchsgegner - nicht erfüllt sein. Die vorinstanzliche Verfügung ist allerdings insoweit zu korrigieren, als sie fälschlicherweise nicht nur auf Ziff. 4, sondern auch auf Ziff. 3 des Art. 554 Abs. 1 ZGB abgestützt wurde, obwohl vorliegend kein Grund zur Annahme besteht, dass neben den zur Kenntnis gekommenen noch weitere Erben vorhanden sind (Peter Tuor/Vito Picenoni, Berner Kommentar, 2. A., Bern 1964, N 9 zu Art. 554 ZGB; Escher, a.a.O., N 7 zu Art. 554 ZGB). 2. a) Von den Gesuchstellern ist nicht angefochten, dass die Vorinstanz entgegen ihrem Antrag den Willensvollstrecker mit der Erbschaftsverwaltung betraut hat. Dies entspricht denn auch der ge- setzlichen Regelung in Art. 554 Abs. 2 ZGB, wonach die Verwaltung der Erbschaft dem vom Erblasser bezeichneten Willensvollstrecker zu übergeben ist. Die Gesuchsgegner machen hingegen geltend, die Anordnung einer Erbschaftsverwaltung sei unnötig und unverhält- nismässig, nachdem die Erblasserin bereits einen Willensvollstrecker bestellt habe; letztlich komme sie einer Absetzung des Willensvoll- streckers und damit einer Missachtung des Willens der Erblasserin gleich. b) Das Gerichtspräsidium K. stellte dem von der Erblasserin eingesetzten Willensvollstrecker nach dessen Annahmeerklärung am 9. Februar 2000 das Willensvollstreckerzeugnis aus. Dieser hat damit das ausschliessliche Besitz-, Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Erbschaft erworben, währenddem die diesbezüglichen Rechte der Erben sistiert sind (Karrer, a.a.O., N 14 zu Art. 518 ZGB). Damit bestand vorliegend keine Gefahr, dass die gesetzlichen Erben nach 2000 Obergericht 24 erfolgreicher Einsprache gegen die Ausstellung der Erbbescheini- gung an die eingesetzten Erben die Erbschaft zu deren Nachteil ver- silbern. Wie die Gesuchsgegner zutreffend geltend machen, erübrigt sich daher in der Regel die Anordnung der Erbschaftsverwaltung nach Art. 556 Abs. 3 ZGB, wenn ein Willensvollstrecker eingesetzt ist, der das Amt angenommen hat (Karrer, a.a.O., N 28 zu Art. 556 ZGB; Claude Wetzel, a.a.O., Rz. 178). Sie rechtfertigt sich hingegen dann, wenn die blosse Orientierung des Willensvollstreckers über die Einsprache der gesetzlichen Erben keine ausreichende Gewähr für den Abbruch allfälliger Liquidationshandlungen bietet (Wetzel, a.a.O., Rz. 179). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Befugnisse des Willensvollstreckers weiter gehen als diejenigen des Erbschaftsverwalters. Die Kompetenzen des Letzteren sind einge- schränkt auf konservatorische Massnahmen: Der Erbschaftsverwalter darf weder Liquidationshandlungen vornehmen, noch die Erbteilung vorbereiten oder durchführen; er muss den Nachlass wert- und be- standesmässig erhalten und in möglichst ursprünglicher Form den Erben übergeben; insbesondere hat er keine Kompetenz zur Aus- richtung von Vermächtnissen (Karrer, a.a.O., N 39 und 48 zu Art. 554 ZGB; vgl. auch Piotet, a.a.O., S. 707 f.). Demgegenüber ist der Willensvollstrecker, soweit der Erblasser nichts anderes verfügt, gemäss Art. 518 Abs. 2 ZGB beauftragt, die Vermächtnisse auszu- richten, wofür er keiner Zustimmung der Erben bedarf (Karrer, a.a.O., N 50 zu Art. 518 ZGB), sowie die Teilung auszuführen, d.h. diese vorzubereiten und nach Abschluss des Teilungsvertrages zu vollziehen (Karrer, a.a.O., N 52 zu Art. 518 ZGB; Wetzel, a.a.O., Rz. 135). Es stehen ihm somit gewisse Rechte zu, die dem Erbschaftsverwalter versagt sind. Dass das Gerichtspräsidium K. bei der vorliegend gegebenen Konstellation die Erbschaftsverwaltung angeordnet hat, um allfällige Liquidationsmassnahmen vorsorglich zu verhindern, lässt sich daher nicht beanstanden. Dem Einwand der Gesuchsgegner, mit der An- ordnung der Erbschaftsverwaltung sei der Willensvollstrecker fak- 2000 Zivilrecht 25 tisch abgesetzt und der letzte Wille der Erblasserin missachtet wor- den, kann nicht gefolgt werden. Die Stellung als Willensvollstrecker ist durch die Anordnung der Erbschaftsverwaltung lediglich sistiert und lebt nach deren Beendigung wieder auf (Karrer, a.a.O., N 24 zu Art. 554 ZGB; Piotet, a.a.O., S. 706; Wetzel, a.a.O., Rz. 136). Wäh- rend der Erbschaftsverwaltung ist der Willensvollstrecker auf jene Aufgaben, Rechte und Pflichten beschränkt, die ihm aus der Erb- schaftsverwaltung zukommen. Diese ist durch behördlichen Ent- scheid von Amtes wegen zu beenden, wenn die Voraussetzungen bzw. der Grund für die Anordnung weggefallen oder wenn ihr Zweck erreicht ist (Karrer, a.a.O, N. 31 zu Art. 554 ZGB; Escher, a.a.O., N 17 zu Art. 554 ZGB; Tuor/Picenoni, a.a.O., N 22 zu Art. 554 ZGB). Bei einer gestützt auf Art. 556 Abs. 3 ZGB angeordneten Erbschaftsverwaltung ist dies solange nicht der Fall, als eine Einsprache nach Art. 559 ZGB besteht und die Erbbescheinigung zugunsten der eingesetzten Erben nicht ausgestellt werden kann (Karrer, a.a.O., N 30 zu Art. 556 ZGB; SJZ 1953 S. 377).
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2000 Obergericht 80 [...] 25 § 140 Abs. 1 und 2 StPO, Kostenauflage. Wenn bei Freisprechung des Angeklagten die Kosten dem Anzeiger über- bunden werden, hat der Staat dem Angeklagten die Entschädigung aus- zurichten und diese Kosten danach vom Anzeiger zurückzufordern. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 22. Februar 2000 in Sachen StA und Zivilkläger gegen E. M. und S. M. Aus den Erwägungen Die Angeklagten machen in ihrer Anschlussberufung geltend, es könne nicht Sache eines freigesprochenen Angeklagten sein, sich bezüglich der zugesprochenen Entschädigung noch mit dem Anzei- ger auseinandersetzen zu müssen. Dem ist beizupflichten. Es geht nicht an, den Angeklagten bei einer Ueberbindung der Kosten auf den Anzeiger schlechter zu stellen, als wenn die Kosten auf die Staatskasse genommen werden. Die freigesprochenen Angeklagten sind deshalb nicht auf den Kostenersatz durch den Anzeiger zu ver- weisen, sondern es ist ihnen die Entschädigung gemäss § 140 Abs. 1 StPO durch den Staat auszurichten, der diese dann gemäss § 140 Abs. 2 StPO seinerseits vom Anzeiger wieder einfordern kann (Urteil des Obergerichts, 3. Strafkammer, vom 3. Juni 1999, i.S. StA/P.K. mit Verweis auf Brühlmeier, Kommentar zur aargauischen Strafprozessordnung, 2. A., Aarau 1980, S. 287).
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.3 Art. 11 Entscheid vom 22. Januar 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin N. GmbH, _ Gesuchsgegne- rin F. AG, _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in S. Sie bezweckt im Wesentlichen _. 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in M. Sie be- zweckt insbesondere _ 3. Mit Gesuch vom 16. Januar 2020 (Postaufgabe: 20. Januar 2020) stellte die Gesuchstellerin folgendes Rechtsbegehren: " Das Grundbuchamt Baden sei anzuweisen, zulasten des Grundstücks in der Gemeinde L., Grundbuch-/Grundbuchblatt-Nr. 99 . 99, zugunsten von der gesuchstellenden Partei ein für die Pfandsumme von CHF 440'803.4 nebst 5 % Zins seit 01.12.2019 vorläufig als Vormerkung einzutragen. Die Anweisung sei superprovisorisch (d.h. sofort nach Eingang des ohne Anhörung der Gegenpartei) zu verfügen und dem unverzüglich zur vorläufigen Eintragung im Grundbuch ." Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Gemäss Art. 60 ZPO prüft das Gericht von Amtes wegen, ob die Prozess- voraussetzungen gegeben sind. Zu den Prozessvoraussetzungen gehört unter anderem die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 1.1. Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ist das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Mas- snahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Errichtung gesetzlicher Grundpfandrechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grundbuch aufgenommen ist, zustän- dig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Das Grundstück, auf welchem die Gesuchstellerin ein Bauhandwerker- pfandrecht vorläufig eintragen lassen will, befindet sich in L. (AG). Die ört- liche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist somit gegeben. - 3 - 1.2. Die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters am Handelsgericht (vgl. § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO) für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO. Diese ist gegeben, da in der Hauptsache die geschäftliche Tätigkeit zumin- dest der Gesuchstellerin betroffen ist, gegen den Entscheid – bei einem Streitwert von über Fr. 30'000.00 – die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offensteht und die Parteien im Handelsregister eingetragen sind. 2. Verfahrensart Die Streitsache ist im summarischen Verfahren zu behandeln (Art. 248 lit. a i.V.m. Art. 249 lit. d Ziff. 5 ZPO). Erscheint das Gesuch offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbe- gründet, so erübrigt es sich, der Gegenpartei Gelegenheit zur Stellung- nahme zu geben (Art. 253 ZPO). 3. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 3.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 3.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.1 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.2 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.3 1 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. 2 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 3 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1395. - 4 - 4. Pfandsumme 4.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, am 12. August 2019 mit der R. AG., Re- gensdorf, einen Werkvertrag abgeschlossen zu haben und sich zur Leis- tung von Baumeisterarbeiten mittels Lieferung von Personal im Stunden- lohn, Beton- und Schalungsarbeiten mittels Akkordlieferung Mat. + Pers. verpflichtet zu haben. Am 13. November 2019 seien die Arbeiten fertigge- stellt worden. Am 4. Dezember 2019 sei die letzte Mahnung erfolgt und die Gesuchsgegnerin befinde sich seit dem 5. Dezember 2019 im Verzug. Die Forderungssumme belaufe sich auf Fr. 440'803.40 zzgl. 5 % Verzugszin- sen seit dem 5. Dezember 2019. Als betroffenes Grundstück nennt die Gesuchstellerin das Grdst.-Nr. 99 GB L. (E-GRID CH 123). Dabei handle es sich um ein Mehrfamilienhaus, dessen Wohnungen im Stockwerkeigentum verkauft würden. Dabei sei vor- liegend die Gesamtliegenschaft zu belasten. 4.2. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.4 Stockwerkeigentum ist der Miteigentumsanteil an einem Grundstück, der dem Miteigentümer das Sonderrecht gibt, bestimmte Teile eines Gebäudes ausschliesslich zu benutzen und innen auszubauen (Art. 712a Abs. 1 ZGB). Steht eine Sache im Miteigentum, so haben sie mehrere Personen nach Bruchteilen und ohne äusserliche Abteilung in ihrem Eigentum (Art. 646 Abs. 1 ZGB). Zur Veräusserung oder Belastung der Sache bedarf es grund- sätzlich der Übereinstimmung aller Miteigentümer (Art. 648 Abs. 2 ZGB). Bestehen Grundpfandrechte oder Grundlasten an Miteigentumsanteilen, so können die Miteigentümer die Sache selbst nicht mehr mit solchen Rechten belasten (Art. 648 Abs. 3 ZGB). Beim Stockwerkeigentum können wertvermehrende Leistungen zum Zweck der individuellen Ausgestaltung der Stockwerkeinheit nur durch ein Bauhandwerkerpfandrecht auf dem je- weiligen Miteigentumsanteil gesichert werden, während der Bauunterneh- mer für die Bauarbeiten an gemeinschaftlichen Bauteilen die Wahl hat, ent- weder die Gesamtliegenschaft zu belasten oder die Forderung auf die 4 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 436, 438 und 547. - 5 - Stockwerkeinheiten aufzuteilen. Dieses Wahlrecht gilt nicht, wenn einzelne Stockwerkeigentumseinheiten bereits mit Grundlasten oder Grundpfand- rechten belastet sind.5 Die einzelnen Stockwerkeigentumseinheiten sind nach ihrem effektiven Anteil an den Kosten quotenmässig zu belasten.6 Der Unternehmer hat grundsätzlich nachzuweisen, welche konkreten Leis- tungen an Arbeit und Material er zu welchen Preisen für jedes einzelne Grundstück erbracht hat.7 Im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts ist indes – aufgrund der drohenden Ver- wirkung bei Nichteintragung innerhalb der Frist von Art. 839 Abs. 2 ZGB – eine Aufteilung auf die einzelnen Liegenschaften nach Bruchteilen statthaft. Die im Grundbuch vorläufig eingetragenen Teilpfandsummen sind dann im Verfahren betreffend definitive Eintragung eines Bauhandwerkerpfand- rechts aufgrund konkreter Nachweise der auf den verschiedenen Grund- stücken erbrachten Leistungen zu berichtigen.8 Dasselbe muss auch bei Arbeiten für mehrere Stockwerkeigentumseinheiten gelten, wobei die Pfandsumme hier nach den Wertquoten der einzelnen Stockwerkeigentum- seinheiten aufzuteilen ist. 4.3. Würdigung Die Gesuchstellerin begehrt die Anordnung einer vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts auf dem Stammgrundstück (Grdst.- Nr. 99 GB L. [E-GRID CH 123]). Dieses steht im Miteigentum diverser Stockwerkeigentümer (Art. 712a ff. i.V.m. Art. 646 ff. ZGB), worunter sich nebst der Gesuchsgegnerin diverse natürliche Personen befinden (vgl. Grundbuchauszug). Ihr Gesuch richtet die Gesuchstellerin indes einzig ge- gen die Gesuchsgegnerin als eine von mehreren Stockwerkeigentümerin- nen. Da diese bloss Mit- und nicht Alleineigentümerin des Grdst.-Nr. 99 GB L. (E-GRID CH 123) ist, fehlt ihr hinsichtlich des vorliegenden Gesuchs offensichtlich die Passivlegitimation. Sodann sind diverse Stockwerkeigentumseinheiten bereits mit Grund- pfandrechten in der Form von Schuldbriefen belastet. In Anwendung von Art. 648 Abs. 3 ZGB ist es daher nicht mehr zulässig, das Stammgrund- stück Grdst.-Nr. 99 GB L. (E-GRID CH 123) mit Bauhandwerkerpfandrech- ten zu belasten. Das Gesuch ist daher wegen der offensichtlich fehlenden Passivlegitima- tion der Gesuchsgegnerin sowie der offensichtlich falschen Wahl des zu 5 BGE 126 III 462 E. 2b. 6 BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 1), Art. 839/840 N. 17; SCHUMACHER (Fn. 1), N. 778 und 781; vgl. auch MATHIS, Das Bauhandwerkerpfandrecht in der Gesamtüberbauung und im Stockwerkeigentum, 1988, S. 150, 152. 7 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 593; BRITSCHGI, Das belastete Grundstück beim , 2008, S. 114; MATHIS (Fn. 6), S. 152. 8 Vgl. SCHUMACHER (Fn. 1), N. 840; BRITSCHGI (Fn. 7), S. 115; MATHIS (Fn. 6), S. 150 f. - 6 - belasteten Grundstücks abzuweisen. Es ist offensichtlich unbegründet, weshalb in Anwendung von Art. 253 ZPO keine Gesuchsantwort eingeholt werden muss. 5. Prozesskosten Die Prozesskosten werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Ge- suchstellerin zu tragen. 5.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 1'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Da die Gesuchstellerin keinen Kostenvorschuss leis- tete, sind die Gerichtskosten von ihr nachzufordern (vgl. Art. 111 Abs. 1 ZPO). 5.2. Der Gesuchsgegnerin sind bislang keine Aufwendungen entstanden, da ihr das Gesuch nicht zur Antwort zugestellt wurde. Entsprechend wird keine Parteientschädigung zugesprochen. Der Vizepräsident erkennt: 1. Das Gesuch wird abgewiesen. 2. Die Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 1'000.00 werden der Gesuchstelle- rin auferlegt. 3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. - 7 - Zustellung an: die Gesuchstellerin (mit Einzahlungsschein) die Gesuchsgegnerin (mit Gesuch vom 16. Januar 2020 [inkl. Beila- gen]) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 22. Januar 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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2005 Zivilprozessrecht 53 [...] 10 Art. 12 lit. c BGFA; Interessenkollision Bei der Beratung im Rahmen der unentgeltlichen Rechtsauskunft kommt es nicht zu einem Mandatsabschluss. Findet keine Ermittlung des voll- ständigen Sachverhalts und keine eingehende Rechtsüberprüfung statt, ist die Vertretung der Gegenpartei des ursprünglich Rat suchenden Anzeigers durch den Büropartner der Auskunft erteilenden Anwältin zulässig. Entscheid der Anwaltskommission vom 30. Mai 2005 i.S. F.
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2004 Strafrecht 69 19 Art. 68 Ziff. 2 StGB, Leitlinien zur Bestimmung der Zusatzstrafe bzw. Bemessung der Zusatzstrafe zu einer ausländischen Grundstrafe: Der schweizerische Zweitrichter ist an die ausländische Grundstrafe so- wohl im Schuld- als auch im Strafpunkt gebunden, hat bei der Ausfällung einer Zusatzstrafe nach schweizerischen Zumessungskriterien vorzuge- hen und schliesslich eine Gesamtbewertung vorzunehmen, um mit der Bildung der Differenz zwischen der Grund- und der hypothetischen Ge- samtstrafe zum Mass der Zusatzstrafe zu gelangen. Aus dem Urteil des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 15. April 2004 i.S. Staatsanwaltschaft und M.T.-R. gegen H.P.A. Aus den Erwägungen 3. a) Die Staatsanwaltschaft beantragt mit ihrer Anschlussberu- fung die Erhöhung der vorinstanzlichen Freiheitsstrafe auf 3 1⁄4 Jahre. aa) Der Angeklagte wurde mit Urteil des Landgerichts X. vom 10. Juli 2001 wegen Steuerhinterziehung in Form des bandenmässi- gen Schmuggels zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Er beging die im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Vergewaltigung am 27. Juni 1999 und somit vor diesem Zeitpunkt. Wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, ist in diesem Fall entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft eine Zusatzstrafe zur erwähnten Strafe auszusprechen. bb) Gemäss Art. 68 Ziff. 2 StGB hat der Richter, der eine mit Freiheitsstrafe bedrohte Tat zu beurteilen hat, die der Täter begangen hat, bevor er wegen einer anderen Tat zu Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die Strafe so zu bestimmen, dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die mehreren strafbaren Handlungen gleich- zeitig beurteilt worden wären. Eine Zusatzstrafe kann auch zu einem ausländischen Urteil aus- gefällt werden, welches Taten betrifft, die nicht in den räumlichen Geltungsbereich des StGB fallen (BGE 115 IV 21 ff. E. 5). Der Richter hat sich vorerst zu fragen, welche Strafe er im Falle einer 2004 Obergericht/Handelsgericht 70 gleichzeitigen Verurteilung in Anwendung von Art. 68 Ziff. 1 StGB ausgesprochen hätte; ausgehend von dieser hypothetischen Gesamt- bewertung muss er anschliessend unter Beachtung der rechtskräfti- gen Grundstrafe die Zusatzstrafe bemessen; für die Bemessung der Zusatzstrafe zu einer ausländischen Grundstrafe ist das Vorgehen nicht anders (BGE 109 IV 93 E. 2d). Unzulässig ist die Bildung einer Gesamtstrafe; die Rechtskraft des ersten Urteils darf nicht angetastet werden; dieses wird durch das neue Urteil ergänzt und erweitert. Gestützt auf Art. 68 Ziff. 2 StGB muss sich der Richter zuerst fragen, welche Strafe er im Falle einer gleichzeitigen Verurteilung ausge- sprochen hätte. Im Weiteren stellt sich dann die Frage, wie der Rich- ter im Anschluss an seine hypothetische Gesamtbewertung aller vor dem früheren Urteil begangenen Straftaten die Zusatzstrafe unter Beachtung der rechtskräftigen Grundstrafe bemessen soll. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur der Schuldpunkt des früheren Urteils, mit dem sich das neue Urteil ohnehin nicht zu befassen hat, rechtskräftig ist, sondern auch der Strafpunkt. Der neu urteilende Richter ist also grundsätzlich an die Strafe, die im früheren Urteil festgesetzt worden ist, gebunden. Zu dieser rechtskräftigen Grundstrafe hat er nun die Zusatzstrafe so auszusprechen, dass die Grundstrafe und die Zusatz- strafe zusammen in ihrer Dauer der hypothetischen Gesamtstrafe entsprechen (Urteil des Bundesgerichts 6S.253/1998 vom 23. November 1999, E. 3c und d). Die zur Bestimmung der Zusatzstrafe vorzunehmende hypothe- tische Gesamtbewertung aller vor dem früheren Urteil begangenen Straftaten muss allein aus der Sicht des Zweitrichters erfolgen (Urteil des Bundesgerichts 6S.442/2000 vom 23. Februar 2001, E. 2a; BGE 109 IV 93 E. 2d). Wie dies genau zu geschehen hat, ist - namentlich mit Blick auf frühere ausländische Urteile - weitgehend ungeklärt (ausdrücklich offen gelassen im Urteil des Bundesgerichts 6S.442/2000 vom 23. Februar 2001) und deshalb dem Ermessen des Gerichts überlassen. Da es immer um eine Gesamtbewertung geht, ist indes ausgeschlossen, die Zusatzstrafe allein mit Blick auf die noch nicht beurteilten Taten, quasi selbständig, auszusprechen. Im Anschluss an diese Gesamtbewertung ist in einem zweiten Schritt unter Beachtung des rechtskräftigen früheren Urteils die Zusatzstrafe 2004 Strafrecht 71 zu bemessen, welche rechnerisch die Differenz zwischen der im frü- heren Urteil ausgefällten Strafe (der sog. Grundstrafe) und der Strafe bei einer Gesamtbewertung darstellt. Grund- und Zusatzstrafe zu- sammen dürfen die Strafe, welche bei einer Gesamtbewertung resul- tiert, weder über- noch unterschreiten (Ackermann, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Basel/Genf/München 2003, N 57 zu Art. 68 StGB). b) (...) cc) In Abwägung aller tat- und täterbezogenen Umstände wäre eine Zuchthausstrafe von 3 Jahren dem Verschulden des Angeklagten angemessen. Vorliegend ist indessen zu berücksichtigen, dass der Angeklagte mit Urteil des Landgerichts X. vom 10. Juli 2001 wegen Steuerhinterziehung in Form des bandenmässigen Schmuggels zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden ist. Vorliegend ist, wie erwähnt, eine Zusatzstrafe zu dieser Freiheits- strafe auszusprechen. Wie die hypothetische Gesamtbewertung vor- zunehmen ist, ist namentlich mit Blick auf frühere ausländische Ur- teile weitgehend ungeklärt und deshalb dem Ermessen des Gerichts überlassen. Zwar wiegen die in Deutschland vom Angeklagten ver- übten Taten in der Schweiz etwas weniger schwer. Allerdings ist vorliegend nach Auffassung des Obergerichts massgebend, wie der Angeklagte unter Berücksichtigung der deutschen Praxis für seine Taten bestraft worden wäre. Der Täter soll durch die Aufteilung der Strafverfolgungen in mehrere Verfahren nicht benachteiligt, aber soweit als möglich auch nicht besser gestellt werden (BGE 109 IV 69 E. 1, 109 IV 92 E. 2b, 102 IV 244 E. 4a). Wie oben erwähnt ist sowohl der Strafpunkt als auch der Schuldpunkt des deutschen Ur- teils rechtskräftig und daher nicht zu überprüfen. Bei einer hypotheti- schen Gesamtbewertung aller vor dem in Deutschland gefällten Ur- teil begangenen Taten zusammen hätte eine Freiheitsstrafe von 6 3⁄4 Jahren ausgesprochen werden müssen. Zieht man von dieser Strafe die Strafe von 4 Jahren und 9 Monaten gemäss Urteil des Landge- richts X. vom 10. Juli 2001 ab, ergibt dies eine Zusatzstrafe von 2 Jahren. Angesichts des Umstands, dass vorliegend eine Zusatzstrafe auszufällen ist, erweist sich die vorinstanzliche Strafe als angemes- sen und ist daher zu bestätigen.
1,426
1,205
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2004-19_2004-04-01
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2,008
de
2008 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 25 I. Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 1 Art. 172 Ziff. 3 SchKG. Abweisung des Konkursbegehrens zufolge Zah- lung. Die Abweisung des Konkursbegehrens zufolge Zahlung der Schuld, Zinsen und Kosten inbegriffen, gemäss Art. 172 Ziff. 3 SchKG setzt voraus, dass auch die Parteientschädigung der Klagepartei, sofern eine solche verlangt wurde, bezahlt ist. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 21. Januar 2008 i.S. M.D. gegen D.M. Aus den Erwägungen 1.1. Gemäss Art. 172 Ziff. 3 SchKG weist das Gericht das Konkursbegehren ab, wenn der Schuldner durch Urkunden beweist, dass die Schuld, Zinsen und Kosten inbegriffen, getilgt ist oder dass der Gläubiger ihm Stundung gewährt hat. Die Kosten sind die Be- treibungskosten gemäss Art. 68 SchKG, zu welchen auch die Partei- kosten des Konkursverfahrens zählen (Urteil des Bundesgerichts 5A_86/2007 vom 3. September 2007 E. 2.3). 1.2. Gemäss Vorinstanz betrug die per 25. Oktober 2007 berech- nete Konkursforderung samt Zinsen und Kosten Fr. 3'413.75. Diesen Betrag überwies die Beklagte dem Kläger am 25. Oktober 2007, wo- rauf die Vorinstanz die Konkurssache als durch Zahlung erledigt von der Kontrolle abschrieb. Dies ist in zweierlei Hinsicht nicht richtig. Zum einen hätte sie das Konkursbegehren abweisen und nicht das Verfahren als durch Zahlung erledigt von der Kontrolle abschreiben müssen. Zum andern hat sie bei der Berechnung der von der Be- klagten zu zahlenden Konkursforderung die Parteientschädigung des Klägers nicht berücksichtigt, obwohl dieser im Konkurseröffnungs- 2008 Obergericht 26 gesuch ausdrücklich eine solche verlangt hatte. Damit verletzte sie Art. 172 Ziff. 3 SchKG, weil sie das Konkursbegehren des Klägers als durch Zahlung erledigt von der Kontrolle abschrieb, bevor die Beklagte die Parteientschädigung des Klägers für das Konkurseröff- nungsverfahren bezahlt hatte (Urteil des Bundesgerichts 5A_86/2007 vom 3. September 2007 E. 2.6). 1.3. Die angefochtene Verfügung wäre daher aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zwecks Festlegung der im Konkursver- fahren aufgelaufenen Parteikosten des Klägers und allfälliger Kon- kurseröffnung bei Nichtleistung der Parteientschädigung durch die Beklagte innert Frist zurückzuweisen (Urteil des Bundesgerichts 5A_86/2007 vom 3. September 2007 E. 2.6). Indessen beantragte der Kläger dies lediglich eventualiter, d.h. für den Fall, dass sein Haupt- begehren abgewiesen wird. Dieses lautet auf Ergänzung der ange- fochtenen Verfügung durch eine Dispositiv-Ziffer, mit welchem ihm eine Parteientschädigung von mindestens Fr. 1'200.-- zugesprochen wird.
634
479
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2008-1_2008-01-04
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871,827
1,344,902,400,000
2,012
de
2012 Obergericht 36 [...] 4 Art. 12 lit. a BGFA Unangepasstes, übertrieben aggressives Verhalten kann einen Verstoss gegen Berufspflichten darstellen. Die blosse Einleitung einer Betreibung stellt keinen Verstoss gegen Berufspflichten dar, sofern sie nicht miss- bräuchlich, zur Verfolgung sachfremder Ziele erfolgt. Entscheid der Anwaltskommission vom 14. August 2012 (AVV.2012.11) 2012 Anwaltsrecht 37 Aus den Erwägungen [...] 2.2. Hinsichtlich des Verhaltens eines Anwalts im Verkehr mit Drittpersonen, Behörden, Kollegen und Klienten sind widerrechtli- che Drohungen, Nötigungen oder Erpressungen in jedem Fall unter- sagt (Verein Zürcherischer Rechtsanwälte [Hrsg.], Handbuch über die Berufspflichten des Rechtsanwaltes im Kanton Zürich, Zürich 1988, S. 170 und 173 [zit. H ANDBUCH ÜBER DIE B ERUFSPFLICH - TEN ]). Drohungen sind nur zulässig, wenn das angedrohte Mittel und das verfolgte Ziel je für sich erlaubt sind und zudem zwischen Mittel und Zweck ein sachlicher Zusammenhang besteht (vgl. zum Ganzen: H ANDBUCH B ERUFSPFLICHTEN , S. 170; F ELLMANN , BGFA-Kom- mentar, N 49b zu Art. 12 mit Hinweisen). 2.3. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann unange- passtes, übertrieben aggressives Vorgehen des Rechtsanwaltes einen Verstoss gegen dessen Berufspflichten darstellen. Allerdings ist der Anwalt aber durch Art. 12 lit. a BGFA nicht dazu verpflichtet, stets das mildeste mögliche Vorgehen zu wählen. Die blosse Einleitung einer Betreibung - welche von Gesetzes wegen an keinerlei Voraus- setzungen gebunden ist und vorgängig weder eine Zahlungsaufforde- rung noch eine Androhung der Betreibung verlangt - vermag grund- sätzlich keine gegen Art. 12 lit. a BGFA verstossende Handlung dar- zustellen, auch wenn ein Eintrag im Betreibungsregister für den Be- troffenen unangenehm sein mag. Anders verhält es sich nur dann, wenn die Betreibung geradezu missbräuchlich ist, was der Fall ist, wenn mit ihr sachfremde Ziele verfolgt werden, etwa wenn bloss die Kreditwürdigkeit des angeblichen Schuldners geschädigt werden soll oder wenn zwecks Schikane ein völlig übersetzter Betrag in Betrei- bung gesetzt wird (vgl. BGE 130 II 270, E 3.2.2). [...] 2.6. Gemäss den gemachten Ausführungen war das unbestrittener- massen am 17. Januar 2012 eingegangene Urteil vom 5. Dezember 2012 Obergericht 38 2011 des Gerichtspräsidiums Brugg, welches nur mit Beschwerde anfechtbar war und dessen Vollstreckbarkeit nicht aufgeschoben war, somit vollstreckbar. Dass der beanzeigte Anwalt gleich am Tag nach der Urteilseröffnung seinen Parteikostenanteil bis Ende Januar 2012 einforderte und anschliessend die Betreibung einleitete, kann allen- falls als voreilig und forsch betrachtet werden, allerdings ist dieses Vorgehen rechtlich nicht zu beanstanden. So vermag gemäss bundes- gerichtlicher Rechtsprechung die blosse Einleitung einer Betreibung grundsätzlich keine gegen Art. 12 lit. a BGFA verstossende Hand- lung darzustellen. Hinweise dafür, dass der beanzeigte Anwalt mit seiner Betreibung lediglich die Kreditwürdigkeit des Schuldners schädigen wollte, gibt es keine. So hat der beanzeigte Anwalt nicht sogleich eine Betreibung eingeleitet, sondern die Anzeigerin zu- nächst mit Schreiben vom 18. Januar 2012 aufgefordert, die Partei- kosten bis Ende Monat zu überweisen (vgl. Schreiben vom 18. Ja- nuar 2012, Beilage zur Anzeige vom 8. Februar 2012). Eine Berufs- regelverletzung gemäss Art. 12 lit. a BGFA liegt demnach nicht vor.
808
643
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2012-4_2012-08-14
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AGVE_2012_4
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nan
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1
417
871,689
1,073,174,400,000
2,004
de
2004 Zivilprozessrecht 55 10 § 209 Abs. 2 ZPO; Art. 367 Abs. 2 OR. Vorsorgliche Beweisabnahme. Indem die Beweissicherung gemäss Art. 367 Abs. 2 OR nach der aargauischen Zivilprozessordnung in das Beweissicherungsverfahren gemäss §§ 209 ff. ZPO gewiesen wird und dadurch die Gegenpartei und allfällige Dritte als Streithelfer in das Ver- fahren miteinbezogen werden und Gelegenheit erhalten, sich zur Person des Experten und zum Gesuch zu äussern, und der Gerichtspräsident da- nach über allfällige solche Einwendungen entscheidet, wird kein Bundes- recht vereitelt. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 28. Januar 2004 in Sachen R. AG. Aus den Erwägungen 1. b) Im aargauischen Zivilprozessrecht ist die Beweissicherung gemäss Art. 367 Abs. 2 OR ausdrücklich in das Beweissicherungs- verfahren gemäss § 209 ff. ZPO gewiesen. Gemäss § 209 Abs. 2 ZPO ist eine vorsorgliche Beweisabnahme voraussetzungslos zu- lässig. Mit der kantonalrechtlichen Lösung wird das bundesrechtlich geregelte Institut von Art. 367 Abs. 2 OR nicht beeinträchtigt. In die- sem geht es gemäss dem Gesetzestext um die Gewährleistung der amtlichen Prüfung des Werkes und der Beurkundung des Befundes. Das Bundesrecht gebietet also, dass sichergestellt ist, dass auf Ge- such einer Partei des Werkvertrags ein Sachverständiger bestimmt wird und dieser ein Gutachten abgibt, welches beurkundet wird. Wenn nach aargauischem Prozessrecht die andere Vertragspartei in das Verfahren einbezogen und ihr Gelegenheit gegeben wird, sich zur Person des Experten und zum Gesuch zu äussern, und der Gerichts- präsident über allfällige solche Einwendungen befindet (§ 213 ZPO), wird damit das Bundesrecht nicht vereitelt. Das Gleiche gilt selbstre- dend auch, wenn weitere Beteiligte, auf die allenfalls in einem späte- ren Prozess Regress genommen würde, einbezogen werden. Auch damit bleibt der bundesrechtlich zu gewährleistende Anspruch auf 2004 Obergericht/Handelsgericht 56 voraussetzungslose Beweissicherung erhalten. Der Einbezug der Gegenpartei und allfällig weiterer Beteiligter dient auch der Rechts- verwirklichung, indem die Auswahl des Sachverständigen und die zu beantwortenden Fragen unter Mitwirkung aller Betroffener erfolgt.
501
397
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2004-10_2004-01-04
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871,007
1,141,430,400,000
2,006
de
2006 Zivilprozessrecht 37 III. Zivilprozessrecht A. Zivilprozessordnung 5 § 125 ZPO. Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. Bei der Hochrechnung eines Überschusses auf ein bis zwei Jahre ist veränderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, sofern sie dem Gericht bekannt sind. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 30. März 2006 in Sachen R.M.L.-K. Aus den Erwägungen 3. Mit Eingabe vom 22. März 2006 wies die Gesuchstellerin nach, dass ihr Arbeitsvertrag per 28. Februar 2006 aus gesundheitli- chen Gründen aufgelöst wurde und sie deshalb ab März 2006 nur noch über 80% ihres bisherigen Einkommens verfügen wird. Zwar ist für die Beurteilung der Bedürftigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, wie dargelegt, auf die wirtschaftlichen Verhält- nisse des Gesuchstellers zum Zeitpunkt des Gesuchs abzustellen. Gleichzeitig verlangt jedoch das Bundesgericht, dass der Gesuch- steller mit einem allfälligen Überschuss die zu erwartenden Prozess- kosten innert ein bis zwei Jahren bezahlen kann. Dies bedeutet, dass nach Einreichung des Gesuchs eintretende Veränderungen der wirt- schaftlichen Situation des Gesuchstellers zu berücksichtigen sind, wenn sie dem Gericht bekannt gegeben werden, denn es kann nicht im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sein, mit einem Überschuss während ein bis zwei Jahren zu rechnen, der zum Zeit- punkt der Einreichung des Gesuchs besteht, im Laufe der ein bis zwei Jahre aber zufolge veränderter Verhältnisse abnimmt oder ganz wegfällt. Es ist deshalb der Eintritt der Arbeitslosigkeit der Gesuch- stellerin ab März 2006 zu berücksichtigen und von Taggeldern in Höhe von 80% des bisherigen Einkommens, d.h. von rund 2006 Obergericht 38 Fr. 3'248.-- auszugehen. Damit reduzieren sich ihre Gesamteinnah- men ab März 2006 um Fr. 812.--. Gleichzeitig ist auf der Ausgaben- seite zu berücksichtigen, dass sie ab März 2006 arbeitslos ist und deshalb sowohl die Auslagen für den Arbeitsweg von Fr. 800.-- als auch diejenigen für die auswärtige Verpflegung von Fr. 220.-- wegfallen, was zur Folge hat, dass sich ihr Überschuss ab März 2006 um Fr. 208.-- vergrössert und sie insgesamt einen Überschuss von rund Fr. 410.-- erzielt. Damit ist sie in der Lage, die zu erwartenden Gerichts- und Parteikosten für das Scheidungsverfahren innert ange- messener Frist zu bezahlen.
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420
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2006-5_2006-03-04
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1
417
870,739
1,039,046,400,000
2,002
de
2002 Obergericht/Handelsgericht 72 [...] 21 . 279 und 280 Abs. 1 ZGB; Art. 164 Abs. 1 OR; § 171 Abs. 1 ZPO Zulässigkeit der Abtretung des Unterhaltsanspruchs des mündigen Kin- des an den bisherigen Inhaber der elterlichen Sorge zur gerichtlichen Durchsetzung, wenn der bisherige Inhaber der elterlichen Sorge die Un- terhaltspflicht gegenüber seinem mündigen Kind wahrnimmt, die der Pflichtige nicht mehr erbringen will. Die Unterhaltsklage des mündigen Kindes, für welche das beschleunigte Verfahren gilt, ist im summarischen Eheschutzverfahren zwischen den Eltern des Unterhaltsberechtigten ausgeschlossen (§ 171 Abs. 1 ZPO). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 5. Zivilkammer, vom 2. Dezember 2002, i.S. L.T. gegen K.T. Aus den Erwägungen 3. a) Die Vorinstanz berechnete unter Berufung auf die bundes- und obergerichtliche Rechtsprechung die vom Beklagten an die Klä- gerin und die Kinder zu bezahlenden Unterhaltsbeiträge unter Be- rücksichtigung des mündigen Sohnes Daniel auf Seiten der Klägerin. Der Beklagte machte während des ganzen Verfahrens geltend, Daniel habe seine Unterhaltsansprüche in einem separaten Verfahren geltend zu machen. Im Wesentlichen begründet er dies auch in seiner Be- schwerde damit, mit der Abtretung gehe die Forderung samt Vor- 2002 Zivilprozessrecht 73 zugs- und Nebenrechten über. Daniel bzw. die Klägerin habe sie daher im ordentlichen Verfahren beim Bezirksgericht geltend zu machen und nicht im summarischen Verfahren beim Eheschutzrich- ter. b) Gemäss Art. 176 Abs. 3 ZGB trifft das Gericht im Eheschutz- verfahren die nötigen Massnahmen für die unmündigen Kinder der Ehegatten. Der Eherichter ist daher von vornherein nicht zuständig, Beiträge für Kinder festzusetzen, die bei Einleitung des Verfahrens bereits mündig sind (Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1997, N 140 zu Art. 279/280 ZGB). Der Unterhaltsanspruch steht nur dem mündigen Kind zu und ist auch von diesem selbst geltend zu ma- chen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung steht jedoch trotz der höchstpersönlichen Natur des familienrechtlichen Unterhaltsan- spruchs des Kindes der Abtretung des Anspruchs des mündigen Kin- des an den bisherigen Inhaber der elterlichen Sorge zur gerichtlichen Durchsetzung nichts entgegen und kann das dem Schutze des Kindes dienende Abtretungsverbot dort nicht angerufen werden, wo der bisherige Inhaber der elterlichen Sorge nun selbst die Unterhalts- pflicht gegenüber seinem mündigen Kind wahrzunehmen hat, die der Pflichtige nicht mehr erbringen will (BGE 107 II 465 Erw. 6b, S. 474). Daniel wohnt bei der Klägerin und sie kommt für seinen Unterhalt auf. Er konnte ihr somit sowohl in der Vergangenheit fällig gewordene als auch in Zukunft fällig werdende Unterhaltsansprüche gegen den Beklagten abtreten. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, in welchem Verfahren der Unterhaltsanspruch geltend zu machen ist; dies wird vom kantonalen Recht bestimmt. Zwar kann auch das mündige Kind bereits im Rahmen vorsorglicher Massnahmen und damit im summa- rischen Verfahren verlangen, dass angemessene Beiträge durch den Pflichtigen zu hinterlegen oder vorläufig zu zahlen sind (Art. 281 Abs. 2 ZGB). Dies setzt jedoch voraus, dass ein Hauptverfahren eingeleitet worden ist, was vorliegend nicht der Fall ist. Der Unter- haltsbeitrag des mündigen Kindes ist im beschleunigten Verfahren geltend zu machen (§ 51 lit. a EG ZGB), sachlich zuständig ist das Bezirksgericht (§ 12 ZPO). Für die örtliche Zuständigkeit gelten die zwingenden Gerichtsstände des Art. 17 GestG. Die Unterhaltsklage 2002 Obergericht/Handelsgericht 74 des mündigen Kindes ist im summarischen Eheschutzverfahren zwi- schen den Eltern des Unterhaltsberechtigten daher ausgeschlossen (§ 171 Abs. 1 ZPO). Die Beschwerde ist daher insoweit gutzuheissen und Dispositiv-Ziffer 5b des Urteils der Vorinstanz aufzuheben.
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696
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2002-21_2002-12-05
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2,019
de
Urteil/Entscheid Handelsgericht 1. Kammer HOR.2018.50 / ts / ts Art. 59 Urteil vom 2. April 2019 Besetzung Oberrichter Dubs, Präsident Ersatzrichter Boner Handelsrichterin Baumann Gerichtsschreiberin Schmutz Klägerin A._, vertreten durch lic. iur. Carmen De La Cruz Böhringer und MLaw Boris In- derbitzin, Rechtsanwältin, Industriestrasse 7, 6300 Zug Beklagte B._, Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung aus Urheberrecht: Repro- grafie- und Netzwerkvergütungen - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Genossenschaft mit Sitz in Y. Sie bezweckt die Wah- rung der Rechte der Urheber, Urheberinnen, Verlage und anderer Rechts- inhaber bzw. Rechtsinhaberinnen von literarischen und dramatischen Wer- ken sowie von Werken der bildenden Kunst und der Photographie, soweit ihr diese Rechte vertraglich zur kollektiven Wahrnehmung anvertraut wer- den. Gemäss Bewilligung des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum (nachfolgend: "IGE") ist die Klägerin berechtigt, die Vergütungsansprüche gemäss dem Urheberrechtsgesetz für die Jahre 2013 bis 2022 geltend zu machen (Klagebeilage [KB] 2). 2. Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Z. Sie bezweckt im Wesentlichen die Verwaltung und Vermittlung von Immo- bilien sowie die Vermittlung der damit verbundenen Finanzierung (KB 3). 3. Nachdem die Klägerin mangels Retournierung des Erhebungsbogens eine Schätzung der Beklagten vorgenommen hatte und diese Schätzung von der Beklagten nicht innert 30 Tagen beanstandet worden war (Klage Rz. 8), stellte die Klägerin der Beklagten folgende Beträge in Rechnung (KB 4): Rechnung Nr. 18844944 vom 7. Januar 2014: Fr. 164.00 (nicht Ge- genstand der vorliegenden Klage); Rechnung Nr. 20732383 vom 7. Januar 2014: Fr. 133.25; Rechnung Nr. 19168389 vom 7. April 2017: Fr. 26.15; Rechnung Nr. 20997347 vom 7. April 2017: Fr. 21.55. 4. Mit Schreiben vom 28. September 2018 mahnte die Klägerin die ausste- henden Forderungen von insgesamt Fr. 344.95 und forderte die Beklagte auf, den offenen Betrag bis spätestens am 8. Oktober 2018 zu überweisen (KB 6). Ein Teilbetrag von Fr. 164.00 war zum Zeitpunkt der Klageeinrei- chung laut den unbestrittenen Ausführungen der Klägerin nicht mehr offen (Klage Rz. 10, Übersicht der offenen Rechnungen). - 3 - 5. Mit Klage vom 6. Dezember 2018 (gleichentags elektronisch übermittelt) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die beklagte Partei sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 133.25 gemäss den Forderungen aus dem Jahre 2014 zu bezahlen, zzgl. Zins seit 09.10.2018. 2. Die beklagte Partei sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 47.70 gemäss den Forderungen aus dem Jahre 2017 zu bezahlen, zzgl. Zins seit 09.10.2018. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zuzüglich MwSt. zu Lasten der beklagten Partei." Zur Begründung führte die Klägerin im Wesentlichen aus, es handle sich um Ansprüche aus unbezahlten Forderungen basierend auf der urheber- rechtlichen Vergütungspflicht der Beklagten, die auf den Gemeinsamen Ta- rifen 8 VI bzw. VII (Reprografie im Dienstleistungsbereich) und den Ge- meinsamen Tarifen 9 VI bzw. VII (Nutzung von geschützten Werken und geschützten Leistungen in elektronischer Form zum Eigengebrauch mittels betriebsinternen Netzwerken im Dienstleistungsbereich) beruhen (vgl. KB 5). 6. Nachdem die Klägerin den Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 919.00 be- zahlt hatte, stellte der Präsident des Handelsgerichts der Beklagten das Doppel der Klage inklusive Beilagen mit Verfügung vom 4. Januar 2019 zu und setzte ihr eine Frist an zur Erstattung einer schriftlichen Antwort bis zum 6. Februar 2019. 7. Die Beklagte erstattete innert der angesetzten Frist keine Antwort. Daher setzte ihr der Präsident des Handelsgerichts mit Verfügung vom 11. Feb- ruar 2019 zur Erstattung einer schriftlichen Antwort eine letzte, nicht erst- reckbare Frist von 10 Tagen an. Damit war die Androhung verbunden, dass das Gericht bei erneuter Säumnis einen Endentscheid fälle, sofern die An- gelegenheit spruchreif sei, oder zur Hauptverhandlung vorlade (vgl. Art. 223 ZPO). Die Beklagte blieb auch innert der angesetzten Nachfrist mit der Antwort säumig. 8. Mit Verfügung vom 7. März 2019 wurde die Streitsache an das Handelsge- richt überwiesen. - 4 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche Zustän- digkeit des angerufenen Gerichts. 1.1. Örtliche Zuständigkeit Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. b ZPO ist für die Beurteilung von Klagen gegen eine juristische Person das Gericht an deren Sitz zuständig, sofern das Ge- setz nichts anderes vorsieht. Der Sitz der Beklagten befindet sich in Z. (KB 3). Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist somit ge- geben. 1.2. Sachliche Zuständigkeit Aus Art. 6 Abs. 4 lit. a ZPO i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a ZPO i.V.m. § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO ergibt sich die Zuständigkeit des Handelsgerichts für urhe- berrechtliche Streitigkeiten. Folglich ist die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts gegeben. Da der Streitwert die für die Zulässigkeit der Be- schwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht vorgeschriebene Höhe von Fr. 30'000.00 nicht erreicht (vgl. Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG), entscheidet das Handelsgericht in Dreierbesetzung (§ 3 Abs. 6 lit. b GOG). 2. Versäumte Klageantwort Die Beklagte ist mit der Erstattung einer Klageantwort auch innert der ihr gestützt auf Art. 223 Abs. 1 ZPO angesetzten Nachfrist säumig geblieben. Bei zweimaliger Säumnis erlässt das Gericht entweder einen Endent- scheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder es lädt zur Hauptver- handlung vor (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die in der Klageschrift vorgebrachten Tatsachenbehauptungen sind vorlie- gend (formell) unbestritten geblieben. Anerkannt sind damit die Tatsachen, nicht aber die klägerischen Rechtsbegehren. Bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit einer nicht streitigen Tatsache, d.h. bei fehlender Spruch- reife, kann das Gericht nach Art. 153 Abs. 2 ZPO von Amtes wegen Beweis erheben. Diesfalls hat es in der Regel eine Verhandlung anzusetzen. Ist die Angelegenheit hingegen spruchreif, trifft das Gericht direkt einen En- dentscheid. Hierzu muss die Klage soweit geklärt sein, dass darauf man- gels Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten oder sie durch Sachurteil erledigt werden kann. Dies setzt voraus, dass die Vorbringen der Klägerin - 5 - nicht unklar, widersprüchlich, unbestimmt oder offensichtlich unvollständig sind, weil das Gericht andernfalls seine Fragepflicht ausüben müsste.1 3. Aktiv- und Passivlegitimation 3.1. Die Klägerin behauptet, sie sei eine konzessionierte Verwertungsgesell- schaft im Sinne von Art. 40 ff. URG, besitze eine Bewilligung des IGE für die Geltendmachung der gesetzlichen Vergütungsansprüche und sei somit aktivlegitimiert (KB 2, Klage Rz. 2). Die Beklagte sei gestützt auf Art. 19 f. URG verpflichtet, für ihre urheberrechtlichen Nutzungen eine Vergütung zu bezahlen. Sie sei trotz wiederholter Mahnungen ihrer Zahlungspflicht nicht nachgekommen und deshalb hinsichtlich der eingeklagten Forderungen passivlegitimiert (Klage Rz. 3) 3.2. Gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. c URG dürfen veröffentlichte Werke zum Eigen- gebrauch verwendet werden. Darunter fällt das Vervielfältigen (inkl. die in- terne Verbreitung und das Zugänglichmachen über ein betriebsinternes Netzwerk) von Werkexemplaren in Betrieben, öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen für die interne Infor- mation oder Dokumentation. Der Betriebsbegriff ist weit auszulegen. Eine Rechtspersönlichkeit oder Betriebsstätte ist dazu nicht notwendig.2 Erfasst wird somit die gesamte Berufs- und Arbeitswelt, egal ob öffentlich oder pri- vat, von den Selbstständigerwerbenden über Beamte, Verbände, Interes- senorganisationen bis zu den internationalen Konzernen.3 Weiter bestimmt Art. 20 Abs. 2 URG, dass dem Urheber oder der Urheberin hierfür eine Ver- gütung schuldet, wer nach Art. 19 Abs. 1 lit. c URG Werke auf irgendwelche Art vervielfältigt. Gemäss Art. 20 Abs. 4 URG können diese Vergütungsan- sprüche nur kollektiv von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen wer- den, die über eine Bewilligung im Sinne von Art. 40 ff. URG des IGE verfü- gen. Die Verwertungsgesellschaften sind nach Art. 44 URG verpflichtet, die zu ihrem Tätigkeitsgebiet gehörenden Rechte wahrzunehmen. Dazu stel- len die Verwertungsgesellschaften für die von ihnen geforderten Vergütun- gen gemäss Art. 46 Abs. 1 URG Tarife auf. Sind mehrere Verwertungsge- sellschaften im gleichen Nutzungsbereich tätig, so stellen sie sog. gemein- same Tarife (GT) auf und bezeichnen eine gemeinsame Zahlstelle (Art. 47 Abs. 1 URG). Gemäss Art. 46 Abs. 3 URG sind die Tarife der Eidgenössi- schen Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und ver- 1 Zum Ganzen: LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 223 N. 5 und 7; BSK ZPO-, 3. Aufl. 2017, Art. 223 N. 18 ff. 2 SHK URG-GASSER, 2. Aufl. 2012, Art. 19 N. 19, 21; REHBINDER/VIGANÒ, URG Kommentar, 3. Aufl. 2008, Art. 19 N. 26. 3 BARRELET/EGLOFF, Das neue Urheberrecht, Kommentar zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, 3. Aufl. 2008, Art. 19 N. 16. - 6 - wandten Schutzrechten (ESchK) im Sinne von Art. 55 URG zur Genehmi- gung vorzulegen und nach Genehmigung zu veröffentlichen. Im Dienstleis- tungsbereich wurden dazu die GT 8 VI (Gültigkeitsdauer: 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2016) bzw. 8 VII (Gültigkeitsdauer: 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2021) für die Reprografie und die GT 9 VI (Gültigkeitsdauer: 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2016) bzw. 9 VII (Gültigkeitsdauer: 1. Ja- nuar 2017 bis 31. Dezember 2021) für die betriebsinternen Netzwerke rechtskräftig aufgestellt.4 3.3. Die Klägerin ist eine vom IGE bewilligte Verwertungsgesellschaft im Sinne von Art. 40 ff. URG (KB 2). Laut Ziff. 4 GT 8 VII und Ziff. 3 GT 9 VI und VII ist die Klägerin Vertreterin des jeweiligen Tarifs und gemeinsame Zahlstelle der Verwertungsgesellschaften (vgl. KB 5). Folglich kommen ihr das Recht und die Pflicht zu, die Rechte der Urheberinnen und Urheber und damit deren Vergütungsansprüche einzufordern und nötigenfalls durchzusetzen. Die Klägerin ist somit aktivlegitimiert. Die Beklagte ist eine Gesellschaft, welche die Verwaltung und Vermittlung von Immobilien sowie die Vermittlung der damit verbundenen Finanzierung bezweckt (KB 3). Damit wird sie vom Betriebsbegriff des Art. 19 Abs. 1 lit. c URG erfasst und schuldet dem Urheber oder der Urheberin nach Art. 20 Abs. 2 URG für die Vervielfältigung von Werkexemplaren grundsätzlich eine Vergütung. Laut Zweckumschreibung ist die Beklagte im Dienstleis- tungsbereich tätig. Gemäss Ziff. 2.1 GT 8 VII und Ziff. 1.2 GT 9 VI und VII decken alle Tarife Immobilienverwaltungen und übrige Dienstleistungsun- ternehmen als Nutzer ab (vgl. KB 5). Die Beklagte wird damit vom GT 8 VII und von den GT 9 VI und VII erfasst und ist folglich passivlegitimiert. 4. Vergütungsanspruch 4.1. Die Klägerin behauptet, sie habe die Fotokopiervergütung sowie die be- triebsinterne Netzwerkvergütung der Beklagten gestützt auf Ziff. 6 ff. und insbesondere Ziff. 8.3 GT 8 VI bzw. VII sowie Ziff. 8.3 GT 9 VI bzw. VII eingeschätzt, weil diese das Erhebungsformular nicht ausgefüllt zurückge- sandt habe. Die Beklagte habe diese Einschätzung nicht beanstandet, wes- halb sie als anerkannt gelte (Klage Rz. 8). Nachdem die Beklagte die offe- nen Rechnungsbeträge trotz mehrmaliger Aufforderung nicht beglichen habe, habe sie die Klägerin nochmals gemahnt. Wiederum habe die Be- klagte keine Zahlung geleistet (KB 6; Klage Rz. 9). Auch auf eine weitere schriftliche und mündliche Zahlungsaufforderung durch die Rechtsvertreter der Klägerin sei keine Reaktion erfolgt. Insgesamt belaufe sich der offene Rechnungsbetrag auf Fr. 180.95 (KB 4; Klage Rz. 10). 4 Vgl. dazu auch SHK URG-GASSER (Fn. 2), Art. 20 N. 11. - 7 - 4.2. Der in Art. 20 Abs. 2 URG statuierte Vergütungsanspruch der Urheberinnen und Urheber wird mittels der GT 8 VI (Gültigkeitsdauer: 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2016) bzw. 8 VII (Gültigkeitsdauer: 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2021) und der GT 9 VI (Gültigkeitsdauer: 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2016) bzw. 9 VII (Gültigkeitsdauer: 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2021) konkretisiert. Die Tarife sind für die Gerichte grund- sätzlich verbindlich.5 Art. 51 Abs. 1 URG sowie Ziff. 8.4 GT 8 VI bzw. VII und Ziff. 8.4 GT 9 VI bzw. VII sehen eine Auskunftspflicht der Nutzer gegenüber den Verwer- tungsgesellschaften vor. Die Nutzer müssen demnach den Verwertungs- gesellschaften alle Auskünfte erteilen, welche diese für die Gestaltung und die Anwendung der Tarife benötigen, soweit es ihnen zuzumuten ist. Ziff. 8.2 GT 8 VI bzw. VII und Ziff. 8.2 GT 9 VI bzw. VII sehen dazu vor, dass die benötigten Angaben mittels Erhebungsbogen erfasst werden. Dieser muss innert 30 Tagen nach Aufforderung mit den notwendigen Angaben an die Klägerin retourniert werden. Werden die notwendigen Angaben nach einer schriftlichen Mahnung auch innert Nachfrist nicht eingereicht, kann die Klägerin die Angaben schätzen und gestützt darauf Rechnung stellen (inkl. Zuschlag von 10% der geschul- deten Vergütung, mindestens Fr. 100.00, für den zusätzlichen Verwal- tungsaufwand; Ziff. 8.3 GT 8 VI bzw. VII und Ziff. 8.3 GT 9 VI bzw. VII). Gibt der Nutzer die für die Berechnung notwendigen Angaben innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Schätzung nicht schriftlich bekannt, gilt die Schätzung als anerkannt. 4.3. Die klägerische Behauptung, die Einschätzung der Beklagten sei aufgrund des fehlenden Eingangs des Erhebungsformulars erfolgt, blieb unbestrit- ten. Weil die Beklagte ihrer Auskunftspflicht nicht nachkam, war die Kläge- rin berechtigt, die Beklagte einzuschätzen und gestützt auf Ziff. 8.3 GT 9 VI einen Zuschlag von Fr. 100.00 zu verlangen. Die Rechnungen der Klägerin (KB 4) wurden von der Beklagten nicht be- stritten. Die Klägerin stützt die geltend gemachten Vergütungsansprüche auf Ziff. 6.4.27 GT 8 VII und Ziff. 6.3.26 und 8.3 GT 9 VI sowie Ziff. 6.4.27 GT 9 VII ab (KB 4). Dabei handelt es sich um den Ansatz für "Übrige Dienstleistungsunternehmen". Da dieser Ansatz tiefer oder zumindest gleich hoch ist wie jener für "Immobilienverwaltungen" (vgl. Ziff. 6.4.3 GT 8 VII, Ziff. 6.3.3 GT 9 VI und Ziff. 6.4.3 GT 9 VII) und der Klägerin nicht mehr und nichts anderes zugesprochen werden darf als sie verlangt, ist auf die Ansätze gemäss Ziff. 6.4.27 GT 8 VII, Ziff. 6.3.26 und 8.3 GT 9 VI sowie 5 BGE 125 III 141 E. 4a; BGer 4A_203/2015 vom 30. Juni 2015 E. 3.3. - 8 - Ziff. 6.4.27 GT 9 VII ("Übrige Dienstleistungsunternehmen") abzustellen. Gestützt darauf sind die Berechnungen der Klägerin für ihre Forderungen aus den Jahren 2014 und 2017 korrekt und der Klägerin ist der eingeklagte Betrag von total Fr. 180.95 zuzusprechen. 5. Verzugszinsen 5.1. Die Klägerin verlangt zudem Verzugszinsen von 5 % auf Fr. 180.95 seit 9. Oktober 2018. 5.2. Der Schuldner hat Verzugszins von 5 % zu leisten, wenn er sich mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug befindet (Art. 104 Abs. 1 OR). Schuld- nerverzug setzt die Fälligkeit der Forderung voraus (Art. 102 Abs. 1 OR). Fällig ist eine Forderung dann, wenn deren Gläubiger die Leistung fordern und einklagen darf. Dabei gilt der Grundsatz, dass eine Forderung sofort fällig wird, sofern nichts anderes verabredet wurde oder sich aus der Natur des Rechtsverhältnisses ergibt (Art. 75 OR). Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, sofern die Parteien einen bestimmten Verfalltag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie beispielsweise „zahlbar 30 Tage netto“, ohne weitere Mahnung in Verzug.6 5.3. Die Klägerin verlangt Verzugszins ab 9. Oktober 2018. Sie stellt damit auf den Tag nach Ablauf der mit Mahnung vom 28. September 2018 gesetzten Zahlungsfrist ab (KB 6). Da die entsprechenden Rechnungen innerhalb von 30 Tagen zahlbar waren (KB 4), fiel die Beklagte jeweils bereits ab dem 31. Tag in Verzug. Der Verzugsbeginn liegt folglich jeweils vor dem von der Klägerin geforderten Beginn des Zinsenlaufs. In Anwendung der Dispositi- onsmaxime (Art. 58 Abs. 1 ZPO) sind der Klägerin die beantragten Ver- zugszinsen zuzusprechen. 6. Kosten Abschliessend sind die Kosten entsprechend dem Verfahrensausgang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteientschädi- gung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Klägerin obsiegt vollumfänglich. Bei diesem Verfahrensausgang sind die Prozesskosten antragsgemäss der Beklagten aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). 6 AGVE 2003, S. 38; BSK OR I-WIEGAND, 6. Aufl. 2015, Art. 102 N. 9; BK OR-WEBER, 2000, Art. 102 N. 115 m.w.N.; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2009, S. 882 N. 33. - 9 - 6.1. Die Gerichtskosten bestehen einzig aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Gerichtsgebühr beträgt bei ei- nem Streitwert von Fr. 180.95 (Zinsen werden nicht mitgerechnet [Art. 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO]) gestützt auf § 7 Abs. 1 VKD rund Fr. 919.00. Die Ge- richtskosten sind ausgangsgemäss von der Beklagten zu tragen und wer- den mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 919.00 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat der Klägerin die Ge- richtskosten von Fr. 919.00 direkt zu ersetzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). 6.2. Die Parteientschädigung besteht aus den Kosten der berufsmässigen Ver- tretung der Parteien (Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO). Bei ihrer Festsetzung ist von den kantonalen Tarifen auszugehen (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 96 ZPO). Gemäss § 3 ff. AnwT bemisst sich die Parteientschädigung grundsätzlich nach dem Streitwert. Dieser beträgt vorliegend Fr. 180.95. Die Grundent- schädigung beläuft sich auf Fr. 1'149.81 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 AnwT), wo- mit eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhand- lung abgegolten sind (§ 6 Abs. 1 AnwT). Dem eingesparten Aufwand der behördlichen Verhandlung wird praxisgemäss mit einem Abschlag von 20 % Rechnung getragen (§ 6 Abs. 3 AnwT). Hinzu kommt der pauschale Auslagenersatz von praxisgemäss rund 3 % (§ 13 AnwT). Es resultiert eine Parteientschädigung von gerundet Fr. 947.00. Dem klägerischen Antrag auf Zusprechung des Mehrwertsteuerzuschlags ist nicht zu entsprechen. Die Klägerin ist gemäss UID-Register7 selber mehrwertsteuerpflichtig. Sie kann die ihren Anwälten bezahlte Mehrwert- steuer als Vorsteuer von ihrer eigenen Mehrwertsteuerrechnung in Abzug bringen (Art. 28 MWSTG).8 Die Mehrwertsteuer stellt somit keinen zusätz- lichen Kostenfaktor dar und ist bei der Bemessung der Parteientschädigung nicht zu berücksichtigen. 7 Vgl. https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-108.028.505, zuletzt besucht am 2. April 2019. 8 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Partei- entschädigung der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: https://www.ag.ch/media/ kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (zuletzt besucht am 2. April 2019). - 10 - Das Handelsgericht erkennt: 1. In Gutheissung der Klage wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 180.95 nebst Zins zu 5 % seit 9. Oktober 2018 zu bezahlen. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 919.00 werden der Beklagten auferlegt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 919.00 verrech- net. Die Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 919.00 direkt zu er- setzen. 3. Die Beklagte hat der Klägerin eine gerichtlich festgelegte Parteientschädi- gung in Höhe von Fr. 947.00 zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) die Beklagte 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 11 - Aarau, 2. April 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: Dubs Schmutz
5,368
4,069
AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Immate_2019-04-02
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_2._April_2019.pdf
null
nan
6ab42262-5991-5ca7-a400-9dad8fe6ba70
1
417
871,170
1,125,792,000,000
2,005
de
2005 Zivilprozessrecht 45 [...] 8 § 125 Abs. 2 ZPO. Die unentgeltliche Rechtspflege ist einer Verfahrenspartei, die sie nach er- teilter Bewilligung für ein offenbar aussichtsloses oder mutwilliges Rechtsbegehren missbraucht, zu verweigern. Eines Widerrufs (§ 132 ZPO) bedarf es hierfür nicht. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 12. September 2005 in Sachen A. M. B.-P. gegen Baugenossenschaft S.-P. Das Bundesgericht hat die gegen den Entscheid erhobene staatsrechtliche Be- schwerde abgewiesen. Sachverhalt 1. Die Klägerin war Mitglied der Wohnbaugenossenschaft S.-P. und hatte durch Mietvertrag ab 1. Juli 1994 in einem dieser gehören- den Mehrfamilienhaus eine 4 1⁄2-Zimmerwohnung gemietet. Sie wur- 2005 Obergericht 46 de mit Beschluss der Generalversammlung der Wohnbaugenossen- schaft S.-P. vom 24. Juni 1999 wegen unzumutbar rücksichtslosen Verhaltens aus der Wohnbaugenossenschaft ausgeschlossen. Diese kündigte ihr danach mit amtlichem Formular vom 23. August 1999 den Mietvertrag unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist mit der Angabe unzumutbar rücksichtslosen Verhaltens als Kündi- gungsgrund auf den 31. Januar 2000. 2. Die Klägerin focht den Generalversammlungsbeschluss der Wohnbaugenossenschaft vom 24. Juni 1999 gerichtlich und die Miet- kündigung vom 23. August 1999 bei der Schlichtungsbehörde für das Mietwesen an und stellte, nachdem diese mit Entscheid vom 23. Ja- nuar 2001 die Mietkündigung geschützt hatte, beim Gerichtspräsi- dium X. durch ihren Anwalt mit Eingabe vom 2. März 2001 das Kla- gebegehren um Aufhebung der Kündigung vom 23. August 1999 zu- sammen mit einem Begehren um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege mit unentgeltlicher Rechtsvertretung für das eingeleite- te summarische Verfahren. 3. Das Gerichtspräsidium X. bewilligte ihr die beantragte unent- geltliche Rechtspflege mit unentgeltlicher Rechtsvertretung und setzte, nachdem die beklagte Wohnbaugenossenschaft mit der Klage- antwort die Abweisung der Klage beantragt und die Mietausweisung verlangt hatte, nach der Antwort der Klägerin auf dieses Begehren mit Verfügung vom 26. November 2001 das Verfahren bis zur rechts- kräftigen Erledigung des gerichtlichen Verfahrens betreffend Anfech- tung des Ausschlusses der Klägerin aus der Wohnbaugenossenschaft aus. 4. Dieses Verfahren wurde durch Obergerichtsurteil vom 25. Mai 2004, worin nach umfassender Sachverhaltsabklärung der Ausschlussgrund unzumutbar rücksichtslosen Verhaltens der Kläge- rin als erwiesen angesehen und deren Ausschluss aus der Wohn- baugenossenschaft bestätigt wurde, rechtskräftig erledigt. In der Fol- ge wies das Gerichtspräsidium X. nach durchgeführter Verhandlung vom 12. November 2004 mit Zeugenvernehmung gestützt auf den rechtskräftig festgestellten, durch diese bestätigten Sachverhalt unzumutbar rücksichtslosen Verhaltens der Klägerin das Klagebe- gehren um Aufhebung der Kündigung ab und ordnete in Gutheissung 2005 Zivilprozessrecht 47 des Ausweisungsbegehrens der beklagten Wohnbaugenossenschaft die Ausweisung der Klägerin aus der Mietwohnung an. 5. Die Klägerin erhob dagegen Beschwerde, in der sie mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheids die Aufhebung der Miet- kündigung und Abweisung des Mietausweisungsbegehrens bean- tragte und zur Begründung ausführte, es sei durch das in den Akten befindliche, nicht maschinenschriftlich ausgefertigte - gut leserlich und inhaltlich klar abgefasst gewesene - Verhandlungsprotokoll ihr Akteneinsichtsrecht und Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und mit den - umfassend abgeklärt gewesenen - Vorwürfen an ihre Adresse masslos übertrieben, eine ,,gegen den Grundsatz von Treu und Glauben" verstossende Kündigung ausgesprochen und im ange- fochtenen Entscheid zu Unrecht auf den im rechtskräftigen Ober- gerichtsurteil vom 25. Mai 2004 rechtskräftig beurteilten Sachverhalt abgestellt worden. Das Obergericht, 4. Zivilkammer, wies diese Beschwerde mit Entscheid vom 12. September 2005 als ,,mutwillig" unter Kostenfol- ge zu Lasten der Klägerin ab und verweigerte ihr die unentgeltliche Rechtspflege mit unentgeltlicher Rechtsvertretung für diese mutwilli- ge Beschwerdeführung. Aus den Erwägungen: 5. Der Klägerin ist für ihre mutwillige Beschwerdeführung keine staatliche Kostenhilfe in unentgeltlicher Rechtspflege zu gewähren (§ 125 Abs. 2 ZPO). 5.1. Gemäss § 125 Abs. 1 ZPO kann einer Verfahrenspartei auf deren Gesuch die unentgeltliche Rechtspflege mit staatlicher Kosten- hilfe zur Bestreitung der Verfahrens- und/oder eigenen Parteikosten (§§ 126/127 ZPO) bewilligt werden, wenn sie ohne erhebliche Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unter- halts die Prozesskosten, d.h. Verfahrens- und/oder eigenen Parteikos- ten (§§ 126/127 ZPO), nicht bestreiten kann. Die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege wegen vorliegender, die Bestreitung von Verfahrens- oder eigenen Parteikosten verunmöglichenden Mit- 2005 Obergericht 48 tellosigkeit der Partei (§ 125 Abs. 1 ZPO) wird in gefestigter Recht- sprechung aus prozessökonomischen Gründen unbeschränkt, d.h. für das kantonale Verfahren erteilt, womit der Verfahrenspartei die Er- neuerung ihres Bewilligungsgesuchs in zweiter Instanz und dieser die Wiederholung des Bewilligungsentscheids bei in aller Regel unverändert gebliebenen Bewilligungsvoraussetzungen erspart bleibt. Sind diese nicht mehr gegeben, ist die erteilte Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss § 132 ZPO zu widerrufen, wo- bei der Widerruf ex nunc wirkt und mit ihm die gewährte staatliche Kostenhilfe für die Fortführung des Prozesses entfällt. 5.2. Gemäss § 125 Abs. 2 ZPO ist einem Gesuch - unter den Bewilligungsvoraussetzungen des § 125 Abs. 1 ZPO - nur zu entsprechen, wenn der Prozess nicht offenbar aussichtslos oder mut- willig erscheint. § 125 Abs. 2 ZPO schliesst die unentgeltliche Rechtspflege für eine offenbar aussichtslose oder mutwillige Prozessführung aus und will offensichtlich eine offenbar aussichtslo- se oder mutwillige Prozessführung auf Staatskosten und damit staat- liche Kostenhilfe für offenbar aussichtslose oder mutwillige Rechtsbegehren verhindern. 5.2.1. Gemäss § 125 Abs. 2 ZPO ist einer mittellosen Verfahrenspartei die unentgeltliche Rechtspflege mit staatlicher Kostenhilfe ebenso wie für eine offenbar aussichtslose oder mutwillige Klage gestützt auf ein damit eingereichtes Gesuch auch für jedes andere zu Beginn oder im Verlaufe des kantonalen Verfahrens in erster oder zweiter In- stanz eingereichte offenbar aussichtslose oder mutwillige Rechts- begehren zu versagen, ohne dass etwas darauf ankommt, ob sie ihr zuvor bewilligt worden ist. Dafür ist in einem solchen Fall kein Widerruf (§ 132 ZPO) erforderlich, weil dieser nach erteilter Be- willigung der unentgeltlichen Rechtspflege (gemäss § 125 Abs. 1 ZPO) unmöglich vor einem danach eingereichten offenbar aussichts- losen oder mutwilligen Rechtsbegehren erfolgen kann und § 125 Abs. 2 ZPO für ein solches die unentgeltliche Rechtspflege mit staatlicher Kostenhilfe jedenfalls ausschliesst. Würde in Fällen, in denen die mittellose Verfahrenspartei nach erteilter Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege (§ 125 Abs. 1 ZPO) das Verfahren mit 2005 Zivilprozessrecht 49 einem offenbar aussichtslosen Rechts-, namentlich Rechtsmittel- begehren fortsetzt, zur Verweigerung der unentgeltlichen Rechts- pflege deren Widerruf (§ 132 ZPO) mit Wirkung ex nunc für die Verfahrensfortsetzung verlangt, so würde damit der Verfahrenspartei für das eingereichte offenbar aussichtslose oder mutwillige Rechts- begehren staatliche Kostenhilfe gewährt und im Falle eines offenbar aussichtslosen oder mutwilligen Rechtsmittel-, namentlich Be- schwerdebegehrens (vg. §§ 335 ff. ZPO) eine offenbar aussichtslose oder mutwillige Prozessführung auf Staatskosten ermöglicht, was dem Wortlaut, Sinn und Zweck des § 125 Abs. 2 ZPO zuwiderliefe. 5.2.2. Es verhält sich in Fällen, in denen eine Partei nach der ihr we- gen Mittellosigkeit bewilligten unentgeltlichen Rechtspflege für ein nicht offenbar aussichtslos oder mutwillig gewesenes Rechtsbegeh- ren im Verlaufe des kantonalen Verfahrens ein offenbar aussichtslo- ses oder mutwilliges Rechtsbegehren einreicht, nicht so, dass durch dieses nachträglich mutwillige Rechtsbegehren die Voraussetzungen der Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ,,nie gegeben wa- ren oder nicht mehr gegeben sind" und daher deren Widerruf für die Verfahrensfortsetzung zu erfolgen hätte (§ 132 ZPO), sondern so, dass für dieses nachträglich eingereichte mutwillige Rechtsbegehren die unentgeltliche Rechtspflege gemäss § 125 Abs. 2 ZPO zum vorn- herein ausgeschlossen ist. Der Verfahrenspartei ist daher die unent- geltliche Rechtspflege für das nachträglich eingereichte offenbar aussichtslose oder mutwillige Rechtsbegehren schon aus diesem Grund, aber auch deshalb zu verweigern, weil sie damit die ihr für ein statthaftes Rechtsbegehren bzw. zur ordnungsgemässen Rechts- durchsetzung bewilligte unentgeltliche Rechtspflege für eine mutwil- lige Prozessführung missbraucht hat und für die ihr durch dieses treuwidrige Verhalten entstandenen Prozesskosten nicht in unent- geltlicher Rechtspflege auf Kosten des Staates schadlos zu halten ist. 5.2.3. Die unentgeltliche Rechtspflege fällt jedenfalls auch für ein nach ihrer Erteilung eingereichtes offenbar aussichtsloses oder mutwilliges Rechtsbegehren und damit auch für die vorliegende mut- willige Beschwerde der Klägerin ausser Betracht (so ZR 1998 Nr. 28 2005 Obergericht 50 S. 85 E. 10b; nicht veröffentlichter Entscheid der 4. Zivilkammer [SU.2005.00113] vom 19. Mai 2005 in Sachen W. Bank AG gegen H.R. W.; a. M. Alfred Bühler/Andreas Edelmann/Albert Killer, Kom- mentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. A., Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, N 6b zu § 132 ZPO).
2,168
1,623
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2005-8_2005-09-04
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1,117,756,800,000
2,005
de
2005 Zivilrecht 29 [...] 3 Art. 322 und 349a OR; Arbeitsrecht Art. 349a Abs. 2 OR ist auch ausserhalb des Handelsreisendenvertrages analog auf andere Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Abreden, dass der Lohn ganz oder überwiegend aus Provision bestehen soll, sind daher nur gültig, wenn die Provisionszahlungen ein angemessenes Entgelt für die Leistungen des Arbeitnehmers darstellen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 6. Juni 2005, i.S. S.N. ca. V. GmbH Aus den Erwägungen 2. a) (...) b) Die Provision stellt als eine in der Regel in Prozenten ausgedrückte Beteiligung des Arbeitnehmers am Wert der einzelnen von ihm vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfte eine besondere Lohnart dar. In der Regel ist sie zusätzlicher Bestandteil des Lohnes, sie kann aber auch als einzige Lohnart vereinbart sein (Staehelin/ Vischer, Zürcher Kommentar, 3. A., Zürich 1996, N 1 zu Art. 322b OR; Streiff/von Kaenel, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 5. A., Zürich 1992, N 5 zu Art. 322b OR; Geiser, Arbeitsrechtliche Aspekte im Zusammenhang mit Leistungslohn, in: AJP 2001, S. 387). In Bezug auf den Handelsreisendenvertrag hat der Gesetzgeber in Art. 349a OR als zwingende Bestimmung vorgesehen, dass eine Verein- barung, welche als Lohn ausschliesslich oder vorwiegend eine Provi- sion vorsieht, nicht zulässig ist, wenn damit kein angemessenes Entgelt für die Tätigkeit erzielt wird. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung will diese Regelung sicherstellen, dass der auf Provisionsbasis Angestellte nicht schlechter gestellt ist, als jener mit einem festen Lohn (JAR 1987, S. 307 mit Hinweis auf BGE 83 II 78). Zwar findet sich eine entsprechende gesetzgeberische Regelung 2005 Obergericht 30 im Rahmen der allgemeinen Bestimmungen über das Arbeitsverhält- nis nicht. Der im erwähnten Bundesgerichtsurteil ausgeführte Gedan- ke lässt sich indes ohne weiteres auf weitere Arbeitsverhältnisse übertragen, die mit Bezug auf die Entschädigung gleich ausgestaltet sind wie ein Handelsreisendenvertrag, welcher als hauptsächlicher oder ausschliesslicher Lohnanspruch Provisionsleistungen vorsieht. Insofern rechtfertigt es sich, Art. 349a Abs. 2 OR analog auch auf andere Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Abreden, dass der Lohn ganz oder überwiegend aus Provision bestehen soll, sind daher nur gültig, wenn die Provisionszahlungen ein angemessenes Entgelt für die Leistungen des Arbeitnehmers darstellen (Rehbinder/Portmann, Basler Kommentar, 3. A., Basel/Genf/München 2003, N 1 zu Art. 322b OR und N 1 zu Art. 349a OR; Geiser, a.a.O., S. 387; ähnlich Staehelin/Vischer, a.a.O., N 1 zu Art. 347 OR; de lege lata zurückhaltender: Rehbinder, Berner Kommentar, Bern 1992, N 8 zu Art. 349a OR). c) Als ausreichend gilt ein Entgelt, das dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung seines Arbeitseinsatzes, der Ausbildung, der Dienstjahre, des Alters, der Verantwortung und sozialen Verpflich- tungen eine anständige Lebensführung ermöglicht. Massgebend ist allerdings nicht der tatsächliche Verdienst, sondern der bei angemes- senen Anstrengungen erzielbare (Staehelin/Vischer, a.a.O., N 4 zu Art. 349a OR; Streiff/von Kaenel, a.a.O., N 4 zu Art. 349a OR; Reh- binder/Portmann, a.a.O., N 1 zu Art. 349a OR; Geiser, a.a.O., S. 387). Erweist sich die Provision als unangemessen, so ist nicht die ganze Provisionsabrede nichtig. Vielmehr ist die sogenannte modifi- zierte Teilnichtigkeit anzunehmen, indem die Abrede durch Erhö- hung des Provisionssatzes oder Festlegung eines zusätzlichen oder erhöhten Fixums in eine gültige Vereinbarung umgewandelt wird (Staehelin/Vischer, a.a.O., N 5 zu Art. 349a OR). d) Die Klägerin war unbestrittenermassen vom 29. März bis 2. April 2004 zu 100 % und vom 5. April bis 27. April 2004 zu 50 % bei der Beklagten als "Agent Directmarketing/Promotion" tätig und im Wesentlichen mit der Besorgung von telefonischen Terminverein- barungen betraut. Die Vorinstanz ist dabei zu Recht davon ausgegan- gen, dass eine Entschädigung von insgesamt Fr. 136.10 kein ange- 2005 Zivilrecht 31 messenes Entgelt für die gesamte Tätigkeit darstellt, zumal die Be- klagte nie geltend gemacht hat, die Klägerin habe eine ungenügende Arbeitsleistung erbracht, z.B. zu wenige Telefonanrufe getätigt oder die Arbeitszeiten nicht eingehalten. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Klägerin trotz vollem Einsatz kein höheres Entgelt erzielen konn- te. (...) Damit hat als erstellt zu gelten, dass aufgrund der ver- einbarten Provisionsregelung die Erzielung eines angemessenen Ver- dienstes nicht möglich war. e) Die von den Parteien im Arbeitsvertrag vom 19. April 2004 vereinbarte Regelung bedarf daher der richterlichen Modifikation. Die Vorinstanz hat zu Recht festgehalten, dass der Aufstellung über die berufs- und ortsüblichen Mindestlöhne des Amts für Wirtschaft und Arbeit keine für das Directmarketing- und Promotionsgewerbe geltenden Ansätze entnommen werden können. In § 7 Abs. 3 des Arbeitsvertrages vom 19. April 2004 wird indes ausgeführt, dass der Arbeitnehmer monatlich "einen durchschnittlichen Bruttofixlohn von CHF 3520 .- " erhalte. Zwar wurde im Arbeitsvertrag darauf hinge- wiesen, dass sich das Gehalt je nach Arbeitsleistung erhöhen oder vermindern kann; aufgrund der Formulierung "durchschnittlicher Bruttofixlohn" ist aber davon auszugehen, dass die Erzielung eines solchen Einkommens nach Ansicht der Parteien der angemessenen und durchschnittlichen Entlöhnung eines Mitarbeiters in der Position der Klägerin entspricht.
1,294
1,053
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2005-3_2005-06-03
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2,011
de
2011 Zivilrecht 25 I. Zivilrecht A. Mietrecht 1 Art. 269 ff. OR. Der zweite Abschnitt des Mietrechts betreffend Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen und anderen missbräuchlichen For- derungen des Vermieters gemäss Art. 269 ff. OR gilt nur bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen, nicht hingegen bei Mietverhältnissen über vermietete Parkplätze, die dem Mieter nicht zusammen mit Wohn- oder Geschäftsräumen zum Gebrauch überlassen werden. Aus dem Entscheid der 4. Zivilkammer des Obergerichts vom 1. Dezember 2011 in Sachen E. AG gegen F.H.-B. (ZVE.2011.2). Aus den Erwägungen 5. 5.1. Der zweite Abschnitt des Mietrechts betreffend Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen und anderen missbräuchlichen For- derungen des Vermieters gemäss Art. 269 ff. OR gilt nur bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen. Davon nicht erfasst werden insbesondere Mietverhältnisse über vermietete Parkplätze, soweit solche dem Mieter nicht zusammen mit Wohn- oder Geschäfts- räumen zum Gebrauch überlassen werden (Art. 253a Abs. 1 OR; Higi, in: Gauch/Schmid [Hrsg.], Zürcher Kommentar, Obligationen- recht, 4. Aufl. 1998, Vorbemerkungen zu Art. 269-270e N. 73). Sie zählen zum Typus der freien Miete (Higi, a.a.O., Vorbemerkungen zu Art. 269-270e N. 82), bei welchem die Vertragsfreiheit der Parteien einzig durch die allgemeinen vertragsrechtlichen Schranken begrenzt ist. Besondere gesetzliche Ausnahmen vom Prinzip der Unverän- derbarkeit bestehen daher nicht. Namentlich die Art. 269 ff. OR als materielles Missbrauchsrecht und die Art. 270 ff. OR als formelles Missbrauchsrecht bleiben unanwendbar. Vertragsänderungen bzw. - 2011 Obergericht 26 anpassungen sind demzufolge grundsätzlich stets zu vereinbaren, sei es in Form eines Abänderungsvertrags bzw. in Form von Anpas- sungsklauseln oder in Form von besonderen Gestaltungsrechten. Haben die Parteien keine Änderungs- oder Anpassungsmöglichkeit vereinbart, gilt grundsätzlich das Prinzip der Unveränderbarkeit als ungeschriebenes dispositives Gesetzesrecht. Es bleibt mit anderen Worten stets beim insoweit unveränderbar Vereinbarten, das für die Parteien verbindlich ist. Einseitig herbeigeführt werden kann bei diesem Miettypus eine Änderung des Mietvertrags nur durch eine (Änderungs-)Kündigung in der Gestalt einer ordentlichen Kündigung (soweit das vertraglich möglich ist) oder durch eine ausserordent- liche Kündigung im Sinn von Art. 266g OR, die allerdings an strenge Voraussetzungen gebunden ist (Higi, a.a.O., Vorbemerkungen zu Art. 269-270e N. 136 ff.; Weber, in: Honsell/ Vogt/Wiegand [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 5. Aufl. 2011, Art. 269 N. 1). 5.2. Nach Darstellung der Beklagten hat die Klägerin die sechs Parkplätze auf dem Parkplatzdreieck X. in Y. nicht zusammen mit Wohn- oder Geschäftsräumen gemietet. Die Klägerin hat das nicht bestritten, sondern lediglich geltend gemacht, als Eigentümerin der Liegenschaft Z. in Y. das Parkplatzdreieck gemietet zu haben, damit ihr Mieter der Café-Bar X. seiner Kundschaft Parkplätze direkt vor dem Lokal anbieten könne. Indessen genügt nicht, dass die Parkplät- ze einen Bezug zu Wohn- oder Geschäftsräumen haben. Vielmehr ist Identität der Parteien erforderlich, damit Art. 253a Abs. 1 OR zum Tragen kommt (Weber, a.a.O., Art. 253a/253b N. 15). Der Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen und anderen missbräuchlichen For- derungen des Vermieters bei Wohn- und Geschäftsräumen gemäss Art. 269 ff. OR findet folglich auf das Mietverhältnis zwischen den Parteien keine Anwendung. Die Konsequenz daraus ist, dass einer- seits die Beklagte den Mietzins nicht einseitig gemäss Art. 269d OR erhöhen kann, dass anderseits die Klägerin die Mietzinserhöhung nicht gemäss Art. 270b OR bei der Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht des Bezirks Kulm als missbräuchlich anfechten kann. Sie braucht das auch nicht zu tun, da die Beklagte die einseitig erklärte 2011 Zivilrecht 27 Mietzinserhöhung nicht durchsetzen kann, sofern die Parteien nicht eine entsprechende Änderungs- oder Anpassungsklausel im Mietver- trag stipuliert haben. Will sie es dennoch tun, hat sie den Friedens- richter anzurufen, da die Schlichtungsbehörden für Miete und Pacht nur zuständig sind für Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (Art. 200 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 4 lit. c EG ZPO; Gloor/Umbricht Lukas, in: Oberhammer [Hrsg.], Schweizerische Zi- vilprozessordnung, Kurzkommentar, 2010, Art. 200 N. 3).
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AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2011-1_2011-12-04
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2,011
de
2011 Zivilprozessrecht 33 4 Art. 59 ZPO. Die Schlichtungsbehörde ist kein Gericht. Sie hat ausser in den Fällen gemäss Art. 212 ZPO keine Entscheidkompetenz in der Sache und ist deshalb ausser in diesen Fällen grundsätzlich nicht befugt, die Prozessvoraussetzungen zu prüfen und bei fehlenden Prozessvorausset- zungen einen Prozessentscheid zu fällen. Aus dem Entscheid der 4. Zivilkammer des Obergerichts vom 16. Novem- ber 2011 in Sachen H.H. gegen A.M.D.V.C. (ZVE.2011.7). Aus den Erwägungen 3. 3.1. Gericht im Sinn von Art. 59 ff. ZPO ist die Behörde, welche zum Entscheid in der Sache berufen ist (Art. 1 ZPO; Domej, in: Oberhammer [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurz- kommentar, 2010, Art. 59 N. 10; Zürcher, in: Sutter-Somm/Hasen- böhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivil- prozessordnung [ZPO], 2010, Art. 59 N. 5). Die Schlichtungsbehörde gemäss Art. 197 ZPO ist im Regelfall kein Gericht im Sinn von Art. 59 ff. ZPO, da ihre Hauptaufgabe im Schlichten und nicht im Richten liegt (Botschaft des Bundesrats zur Schweizerischen Zivil- prozessordnung [ZPO] vom 28. Juni 2006 S. 7328; Zürcher, a.a.O., Art. 59 N. 6; Morf, in: Gehri/Kramer [Hrsg.], Schweizerische Zivil- prozessordnung, Kommentar, 2010, Art. 59 N. 11). Einzig in den Fäl- len gemäss Art. 212 ZPO amtet sie als echte erste Entscheidinstanz (Botschaft S. 7334; Möhler, in: Gehri/Kramer [Hrsg.], Schweizeri- sche Zivilprozessordnung, Kommentar, 2010, Art. 212 N. 5; Infanger, in: Spühler/Tenchio/Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, Art. 212 N. 1). Nach einem Teil der Lehre sind daher im Schlichtungsverfahren die Pro- zessvoraussetzungen, zu welchen die sachliche und örtliche Zustän- digkeit zählen (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO), grundsätzlich nicht zu prüfen und die Schlichtungsbehörde darf, wo ihr keine Entscheid- kompetenz zukommt, keinen Nichteintretensentscheid fällen (Domej, 2011 Obergericht 34 a.a.O.; Zürcher, a.a.O.; Morf, a.a.O.; Leuenberger/Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, N. 11.10). Nach dieser Auffassung hat sie nur in den Fällen von Art. 212 ZPO die Pro- zessvoraussetzungen zu prüfen, in den anderen Fällen hat sie sich auf einen Hinweis an den Kläger zu beschränken, dass aus ihrer Sicht eine Prozessvoraussetzung fehle. Beharrt der Kläger auf der Klage, hat sie das Schlichtungsverfahren durchzuführen und die Klagebe- willigung auszustellen (Domej, a.a.O.; Zürcher, a.a.O.; Leuenberger/ Uffer-Tobler, a.a.O.). Nach Morf hat sie die Prozessvoraussetzungen auch zu prüfen, wenn sie einen Urteilsvorschlag vorlegen kann oder wenn das Schlichtungsverfahren in einen Vergleich, eine Klageaner- kennung oder einen Klagerückzug mündet (Morf, a.a.O., Art. 59 N. 13). Nach anderer Auffassung gelten die Art. 59 ff. ZPO auch für die Schlichtungsbehörde und diese hat zumindest ihre örtliche und sachliche Zuständigkeit zu prüfen und bei fehlender Zuständigkeit einen entsprechenden Prozessentscheid zu erlassen (Müller, in: Brun- ner/Gasser/Schwander, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kom- mentar, 2011, Art. 59 N. 23 ff.; Courvoisier, in: Baker & McKenzie [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, 2010, Art. 59 N. 1; Spühler/Dolge/Gehri, Schweizerisches Zivilprozess- recht und Grundzüge des internationalen Zivilprozessrechts, 9. Aufl. des von Oscar Vogel begründeten Werks, 2010, Kap. 11 N. 26; Bohnet, Les défenses en procédure civile suisse, ZSR 128 [2009] II S. 216 f.). 3.2. 3.2.1. Prozessvoraussetzungen sind die Voraussetzungen des Sachent- scheids, mit welchem das Gericht "in der Sache" entscheidet (Staehe- lin/Staehelin/Grolimund, a.a.O., § 11 N. 1). Sie werden denn auch als "Sachurteilsvoraussetzungen" bezeichnet (Zürcher, a.a.O., Art. 59 N. 2). Die Schlichtungsbehörde ist, auch wenn sie, wie im Kanton Aargau, den richterlichen Behörden zugeordnet wird (§ 3 EG ZPO), nach einhelliger Meinung kein Gericht. Sie hat ausser in den Fällen gemäss Art. 212 ZPO nach zutreffender Auffassung keine Entscheid- kompetenz in der Sache und ist deshalb auch ausser in diesen Fällen grundsätzlich nicht befugt, die Prozessvoraussetzungen zu prüfen 2011 Zivilprozessrecht 35 und bei fehlenden Prozessvoraussetzungen einen Prozessentscheid zu fällen. 3.2.2. Der Kläger hat gemäss Entscheid der Friedensrichterin des Kreises W. vom 15. Mai 2011 eine Forderung aus einem Mietver- hältnis von insgesamt Fr. 2'384.90 eingeklagt. Die Friedensrichterin hatte somit keine Entscheidkompetenz gemäss Art. 212 ZPO und durfte folglich auch nicht einen Nichteintretensentscheid fällen, weil ihr die sachliche Zuständigkeit fehlte. Damit entbehrt auch der Kos- tenentscheid einer gesetzlichen Grundlage, weshalb er in Gut- heissung der Beschwerde des Klägers aufzuheben ist.
1,306
990
AG_HG_001
AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2011-4_2011-11-04
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2,008
de
2009 Zivilprozessrecht 35 [...] 5 Art. 68 SchKG. § 125 ZPO Im erstinstanzlichen Rechtsöffnungsverfahren ist die Gerichtsgebühr dem in der unentgeltlichen Rechtspflege prozessierenden Beklagten nicht vorzumerken, sondern mit dem Kostenvorschuss des Klägers zu verrech- nen und diesem vom Beklagten zu ersetzen bzw. vom Kläger von den Zahlungen des Beklagten vorab zu erheben. Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 16. Dezember 2008 i.S. S.B. GmbH gegen F.S. Aus den Erwägungen 3.2. Die Vorinstanz bewilligte dem Beklagten die unentgeltliche Rechtspflege. Gestützt darauf merkte sie ihm im Kostenspruch die Verfahrenskosten vor, verpflichtete ihn aber gleichzeitig, der Kläge- rin die von ihr vorgeschossene Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- zu er- setzen, was sich widerspricht. Die erstinstanzliche Gerichtsgebühr ist dem Beklagten nicht vorzumerken, sondern mit dem Kostenvor- schuss der Klägerin zu verrechnen und dieser vom Beklagten zu ersetzen bzw. von dieser von den Zahlungen des Beklagten vorab zu erheben. Das ist die Konsequenz von Art. 68 SchKG, wonach der Gläubiger das Risiko, dass die Betreibungskosten vom Schuldner nicht ersetzt werden, trägt (Emmel, Kommentar zum Bundesgesetz 2009 Obergericht 36 über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel/Genf/München 1998, Art. 68 N. 4 mit Hinweisen). Dies verletzt den Anspruch des Beklag- ten auf unentgeltliche Rechtspflege nicht, da der Minimalanspruch gestützt auf die Bundesverfassung (Art. 29 Abs. 3 BV) einzig den Zugang zum Gericht, d.h. die Befreiung von der Kostenvorschuss- pflicht, nicht aber die Übernahme der Verfahrenskosten im Endent- scheid durch den Staat, d.h. die Befreiung von der Kostenauflage im Endentscheid, garantiert (BGE 122 I 322 ff.; Bühler/Edelmann/Kil- ler, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau/Frank- furt am Main/Salzburg 1998, Vorbem. §§ 124-134 N. 3 und § 126 N. 2 mit Hinweisen). Der weiter gehende Anspruch gemäss § 126 lit. a ZPO, welcher die (vorläufige) Befreiung von der Bezahlung der durch Urteil auferlegten Kosten vorsieht, wird durch Art. 68 SchKG ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung trägt der Schuldner die Betreibungskosten, welche vom Gläubiger vorzuschiessen sind und von ihm von den Zahlungen des Schuldners vorab erhoben werden können, was nicht möglich ist, wenn sie dem Schuldner in der unentgeltlichen Rechtspflege einstweilen vorgemerkt werden. Der Kostenspruch der Vorinstanz ist daher von Amtes wegen zu korri- gieren, weil er widersprüchlich ist und der Offizialmaxime untersteht (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., § 121 N. 1). Der Minimalanspruch nach Art. 29 Abs. 3 BV (ebenso wie § 126 lit. b Ziff. 2 ZPO) befreit im Übrigen auch nicht von der Bezahlung einer Parteientschädigung an die Gegenpartei (BGE 122 I 322 ff.).
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544
AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2009-5_2008-12-04
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de
2011 Obergericht 68 [...] 21 Art. 311 Abs. 1, 312, 329 Abs. 2 StPO - Art. 311 Abs. 1 StPO ist nicht Gültigkeits-, sondern Ordnungsvor- schrift. - Von der Staatsanwaltschaft an die Polizei formell korrekt delegierte Beweiserhebungen, insbesondere Einvernahmen, sind ausnahms- weise zulässig. - Wann ein Ausnahmefall vorliegt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Im konkreten Fall mit Geständnis der Beschuldigten und leicht er- fassbarem, klarem und unkompliziertem Sachverhalt wird ein Aus- nahmefall bejaht. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 7. September 2011 i.S. Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg ge- gen Gerichtspräsidium Rheinfelden (SBK.2011.198). Aus den Erwägungen 2. 2.1. 2.1.1. Gemäss Art. 329 Abs. 1 StPO prüft die Verfahrensleitung, ob die Anklageschrift und die Akten ordnungsgemäss erstellt sind (lit. a), ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind (lit. b) und ob Verfahrenshindernisse bestehen (lit. c). Ergibt sich aufgrund dieser Prüfung oder später im Verfahren, dass ein Urteil zurzeit nicht erge- hen kann, so sistiert das Gericht das Verfahren. Falls erforderlich, weist es die Anklage zur Ergänzung oder Berichtigung an die Staats- anwaltschaft zurück (Abs. 2). Sofern auf die Anklage einzutreten ist, 2011 Strafprozessrecht 69 bestimmt die Verfahrensleitung, welche Beweise in der Hauptver- handlung erhoben werden (Art. 331 Abs. 1 StPO), setzt den Parteien Frist, um Beweisanträge zu stellen (Art. 331 Abs. 2 StPO), informiert die Parteien über abgelehnte Beweisanträge (Art. 331 Abs. 3 StPO) und führt gegebenenfalls eine vorgängige Beweiserhebung durch (Art. 332 Abs. 3 StPO). Bei der Behandlung von Vor- und Zwischen- fragen kann das Gericht die Hauptverhandlung jederzeit vertagen, um die Akten oder die Beweise zu ergänzen oder durch die Staats- anwaltschaft ergänzen zu lassen (Art. 339 Abs. 5 StPO). Während der Hauptverhandlung erhebt das Gericht neue und ergänzt unvoll- ständig erhobene Beweise (Art. 343 Abs. 1 StPO). Vor Abschluss des Beweisverfahrens gibt das Gericht den Parteien Gelegenheit, weitere Beweisanträge zu stellen (Art. 345 StPO). Schliesslich, falls das Gericht zum Schluss kommen sollte, der Fall sei noch nicht spruch- reif, kann es entscheiden, die Beweise zu ergänzen und die Partei- verhandlungen wieder aufzunehmen (Art. 349 StPO). 2.1.2. Bei der Prüfung der Anklage sowie der Akten hat sich das Ge- richt auf eine summarische Prüfung zu beschränken. Hintergrund der Überprüfung ist zu vermeiden, dass in formeller oder materieller Hinsicht klar mangelhafte Anklagen zu unnötigem Aufwand für alle Verfahrensbeteiligten sowie zu einer Verfahrensverzögerung führen (S TEPHENSON /Z ALUNARDO -W ALSER , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, Art. 329 N. 1). Sofern sich bereits bei der summarischen Prüfung der Anklage herausstellt, dass ein für die spätere materielle Beurteilung durch das Gericht unabdingbares Beweismittel nicht erhoben wurde, ist nicht ersicht- lich, weshalb damit bis zur Beweisabnahme durch das Gericht im Sinne von Art. 343 Abs. 1 StPO zugewartet werden sollte. Allerdings sollte das Gericht Zurückhaltung in der Anwendung von Art. 329 Abs. 2 StPO üben. Insbesondere ist von einer Rückweisung abzuse- hen, wenn sich die Erhebung zusätzlicher Beweismittel als lediglich wünschbar, hingegen nicht als unabdingbar für die materielle Beur- teilung der Anklage erweist (Urteil des Bundesgerichts 1B_304/2011 vom 26. Juli 2011 E. 3.2.2). 2011 Obergericht 70 2.2. 2.2.1. In der Untersuchung klärt die Staatsanwaltschaft den Sachver- halt tatsächlich und rechtlich so weit ab, dass sie das Vorverfahren abschliessen kann (Art. 308 Abs. 1 StPO). Gemäss Art. 311 Abs. 1 StPO führen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die Beweiser- hebungen selber durch. Bund und Kantone bestimmen, in welchem Umfang sie einzelne Untersuchungshandlungen ihren Mitarbeiterin- nen und Mitarbeitern übertragen können. Der Kanton Aargau hat von dieser Befugnis Gebrauch gemacht. Gemäss § 8 EG StPO führen die Assistenz-Staatsanwältinnen und Assistenz-Staatsanwälte auf Anwei- sung der Staatsanwältinnen und der Staatsanwälte Untersuchungs- handlungen, insbesondere Zeugenbefragungen und Übertretungs- strafverfahren, durch. Gemäss Art. 312 StPO kann die Staatsanwalt- schaft die Polizei auch nach Eröffnung der Untersuchung mit ergän- zenden Ermittlungen beauftragen. Sie erteilt ihr dazu schriftliche, in dringenden Fällen mündliche Anweisungen, die sich auf konkret um- schriebene Abklärungen beschränken (Abs. 1). Bei Einvernahmen, welche die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchführt, haben die Verfahrensbeteiligten die Verfahrensrechte, die ihnen bei Einvernahmen durch die Staatsanwaltschaft zukommen (Abs. 2). In umfangreichen und komplizierten Vorverfahren befragt die Staatsan- waltschaft die beschuldigte Person vor Abschluss der Untersuchung nochmals in einer Schlusseinvernahme und fordert sie auf, zu den Ergebnissen Stellung zu nehmen (Art. 317 StPO). 2.2.2. Die Vorinstanz scheint die Auffassung zu vertreten, dass die Re- gelung von Art. 311 Abs. 1 StPO, wonach die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die Beweiserhebungen selber durchführen, als Gültig- keitsvorschrift zu betrachten sei, mit der Konsequenz, dass die von der Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchgeführten Einver- nahmen ohne mindestens eine durch die Staatsanwaltschaft selbst durchgeführte (Schluss-) Einvernahme unverwertbar und Anklage- schriften, welche auf dieser Grundlage erstellt wurden, zur ergänzen- den Beweiserhebung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen wä- 2011 Strafprozessrecht 71 ren. Dieser Auffassung kann jedoch, wie sich aus den folgenden Aus- führungen ergibt, in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. 2.2.3. Zunächst geht die Vorinstanz zu Recht davon aus, dass die Be- weiserhebung durch die Staatsanwaltschaft gemäss der gesetzlichen Regelung in Art. 311 Abs. 1 StPO den Regelfall, die Delegation von Beweiserhebungen an die Polizei gemäss Art. 312 Abs. 1 StPO die Ausnahme darstellen sollte, worauf insbesondere der Wortlaut von Art. 312 Abs. 1 StPO hindeutet, wonach die Polizei mit ergänzenden Ermittlungen beauftragt werden kann. Die Übertragung sämtlicher Beweiserhebungen an die Polizei ist demnach grundsätzlich mit Art. 311 StPO nicht vereinbar, da die Verfahrenshoheit gemäss dem Willen des Gesetzgebers gerade auch die eigenhändige Durchfüh- rung von Beweiserhebungen, insbesondere von Einvernahmen, bein- halten soll (Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 [Botschaft], S. 1265; in diesem Sinne auch O MLIN , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafpro- zessordnung, 2011, Art. 312 N. 7; L ANDSHUT , in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, Art. 311 N. 5, Art. 312 N. 10). Dafür spricht ebenfalls, dass gemäss Art. 342 Abs. 1 des ursprünglichen Vorentwurfs zur Eidgenössischen Strafprozessord- nung vom Juni 2001 die Staatsanwaltschaft die notwendigen Be- weiserhebungen in der Regel selber durchzuführen habe, was im Anschluss an die Vernehmlassung in den heute geltenden Wortlaut überführt wurde, welcher bedeutend weniger Spielraum für Ausnah- men zulässt. Gleichwohl kann selbst die grundsätzlich klare gesetzliche Re- gelung von Art. 311 Abs. 1 StPO entgegen der Auffassung der Vorin- stanz nicht in jedem Fall dazu führen, dass polizeiliche Einvernah- men, welche aufgrund einer formell korrekten Delegation gemäss Art. 312 Abs. 1 StPO durchgeführt wurden, lediglich zufolge einer fehlenden Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft selbst vor Ge- richt ausnahmslos unverwertbar sind. Der Gesetzgeber hat in Art. 307 Abs. 2 StPO, wonach die Staatsanwaltschaft bei schweren Straftaten und anderen schwerwie- genden Ereignissen die ersten wesentlichen Einvernahmen bereits im 2011 Obergericht 72 polizeilichen Ermittlungsverfahren nach Möglichkeit selber vor- nimmt und in Art. 317 StPO, wonach in umfangreichen und kom- plizierten Vorverfahren die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Per- son vor Abschluss der Untersuchung in einer Schlusseinvernahme nochmals befragt, die beiden Fälle, in welchen die Staatsanwaltschaft zwingend selber eine Einvernahme durchzuführen hat, ausdrücklich geregelt. Wie bereits erörtert, sind zwar auch in allen anderen Fällen Einvernahmen grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft durchzu- führen. Die Beschwerdekammer ist jedoch der Ansicht, dass eine solche Unterlassung nicht in jedem Fall ein Gültigkeitserfordernis für die Zulassung der Anklage durch das Gericht darstellen kann, sodass die in der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse auch ohne eine zusätzliche durch die Staatsanwaltschaft vorgenommene Einvernah- me im Einzelfall vor Gericht verwertbar sind. Für diese Auffassung spricht auch die Literatur mit Bezug auf Art. 312 Abs. 2 StPO, indem sie selbst die zu generell gefasste Dele- gation an die Polizei sowie die polizeiliche Beweiserhebung ohne Auftrag als vor Gericht verwertbar erachtet und Art. 312 Abs. 2 StPO damit im Ergebnis lediglich als Ordnungsvorschrift auffasst (S CHMID , Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, Art. 312 N. 12; O MLIN , a.a.O., Art. 312 N. 14 und 15; L ANDS - HUT , a.a.O., Art. 312 N. 5 und 6). Somit erscheint es als naheliegend, auch Art. 311 Abs. 1 StPO als Ordnungsvorschrift und nicht als Gültigkeitserfordernis aufzufassen (andere Meinung: Burger-Mittner/ Burger, Das Primat der Staatsanwaltschaft auf dem Prüfstand, in: forumpoenale 03/2011 vom 9. Juni 2011, S. 7 f., m.H.). Wenn bereits eigenmächtig durchgeführte Einvernahmen durch die Polizei gültig und verwertbar sind, muss dies erst recht für eine gestützt auf Art. 312 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft formell korrekt delegierte Einvernahme gelten. Im Lichte der Stossrichtung, welche die eidgenössische StPO mit dem Staatsanwaltschaftsmodell vorgibt (Botschaft S. 1257 f., S. 1003 f., S. 1115), muss jedoch klar festge- halten werden, dass sich die Fälle, in welchen die Staatsanwaltschaft keine eigenen Beweiserhebungen durchführt, auf ein eng begrenztes Minimum zu beschränken, mithin Ausnahmefälle darzustellen haben. Wann ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist von Fall zu Fall zu ent- 2011 Strafprozessrecht 73 scheiden. Insbesondere dürften sich jedoch Fälle wie der vorliegen- de, in welchem die Beschuldigten weitgehend geständig sind und es sich um einen leicht erfassbaren, klaren und unkomplizierten Sach- verhalt handelt, als solche Ausnahmefälle anbieten. Solange in diesen Fällen sichergestellt ist, dass die mit der Untersuchung betrauten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte über den Stand der Unter- suchung im Bilde sind, erweist sich eine Delegation sämtlicher Ein- vernahmen an die Polizei ausnahmsweise als gesetzmässig. Sollte das erstinstanzliche Gericht der Auffassung sein, es seien gleichwohl weitere Beweise abzunehmen, kann es dies gemäss Art. 343 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung nachholen, sofern es sich nicht um für die Beurteilung des Falls unabdingbare Beweismittel handelt (vgl. E. 2.1.2). Art. 311 Abs. 1 StPO ist demnach nicht als Gültigkeits-, son- dern als Ordnungsvorschrift aufzufassen, mit der Konsequenz, dass von der Staatsanwaltschaft an die Polizei formell korrekt delegierte und von dieser formell korrekt durchgeführte Beweiserhebungen, insbesondere Einvernahmen, ausserhalb von Art. 307 Abs. 2 und Art. 317 StPO, im Ausnahmefall auch ohne zusätzliche Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft, vor Gericht uneingeschränkt verwert- bar sind. Im Übrigen hat der Gesetzgeber offensichtlich antizipiert, dass die Staatsanwaltschaften dazu tendieren könnten, extensiven Gebrauch von der Delegationsmöglichkeit gemäss Art. 312 Abs. 1 StPO zu machen, weshalb er einerseits generelle Ermittlungsaufträge an die Polizei untersagt sowie anderseits den Verfahrensbeteiligten bei delegierten Einvernahmen die gleichen Verfahrensrechte wie bei den Einvernahmen durch die Staatsanwaltschaft eingeräumt hat (Art. 312 Abs. 2 StPO; Botschaft S. 1265), was ebenfalls gegen die grundsätzliche Unverwertbarkeit von Beweisabnahmen ohne eigen- händige Mitwirkung der Staatsanwaltschaft spricht. 2.3. Dem Beschuldigten wird die Beteiligung an insgesamt 37 Sachbeschädigungen durch Sprayerei vorgeworfen. Er bestreitet die Vorwürfe im Wesentlichen nicht und anerkennt die Schadenersatz- forderungen der Privatkläger. Die Gesuchstellerin eröffnete am 10. Januar 2011 eine Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten 2011 Obergericht 74 und beauftragte die Kantonspolizei mit Delegationsverfügung vom 10. Januar 2011, den Beschuldigten unter Wahrung der Parteirechte zu folgenden Punkten zu befragen: "Alibiabklärung bezüglich den Sprayereien vom 17./18.1.2011 in Möhlin; Durchsuchung der Woh- nung gem. beiliegendem Durchsuchungsbefehl; Befragung als Be- schuldigter zu den Sprayereien vom 17./18.1.2011 in Möhlin". Wei- ter sei die Gesuchstellerin im Anschluss an die Durchsuchung und die Befragung über deren Verlauf zu informieren. Gestützt auf diese Delegation führte die Kantonspolizei am 11. Januar 2011 eine Haus- durchsuchung sowie eine erste Einvernahme des Beschuldigten durch, bei welcher sich dieser im Wesentlichen geständig zeigte. Am 4. März 2011 erfolgte eine weitere Einvernahme durch die Kantons- polizei und es wurde den Privatklägern Gelegenheit gegeben, Fragen an den Beschuldigten zu stellen. Mit Delegationsverfügung vom 12. Januar 2011 wurde die Kantonspolizei zusätzlich beauftragt, die Freundin des Beschuldigten, welche in der Tatnacht anwesend war, zu ihren Wahrnehmungen als Auskunftsperson zu befragen. Diese Befragung fand am 12. Januar 2011 statt. Am 16. März 2011 erstatte- te die Kantonspolizei zuhanden der Gesuchstellerin Bericht. Damit erachtete die Gesuchstellerin die Untersuchung gegen den Beschul- digten als abgeschlossen und brachte den Sachverhalt zur Anklage, ohne selbst eine Befragung durchgeführt zu haben. Es sind somit im vorliegenden Verfahren sämtliche notwendigen Beweiserhebungen durchgeführt worden, weshalb sich eine zusätzliche Einvernahme durch die Gesuchstellerin als nicht notwendig erweist, insbesondere da der Sachverhalt im Wesentlichen unbestritten ist und der Anklage kein kompliziertes und umfangreiches Vorverfahren im Sinne von Art. 317 StPO zugrunde liegt. Die Vorinstanz war aufgrund der An- klage sowie der eingereichten Akten zweifellos in der Lage, ein Ur- teil zu fällen. Aus diesem Grund durfte die Gesuchstellerin, selbst unter Berücksichtigung der beantragten bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten und der Busse von Fr. 1'000.00, ausnahmsweise auf die eigene Durchführung einer Einvernahme verzichten, auch wenn eine solche durchaus wünschbar gewesen wäre, weshalb sich die Rück- weisung gemäss Art. 329 Abs. 2 StPO als unzulässig erweist.
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2004 Zivilprozessrecht 63 16 Art. 14 BGFA; sachliche und örtliche Zuständigkeit Die Aufsicht der Anwaltskommission erstreckt sich auf die gesamte An- waltstätigkeit von im Anwaltsregister eingetragenen Anwältinnen und Anwälten und ist nicht beschränkt auf deren Tätigkeiten im Rahmen des kantonalen Anwaltsmonopols (E. 1.a). Die örtliche Zuständigkeit der Anwaltskommission richtet sich gemäss Art. 14 BGFA nach dem Begehungsort (E. 1.b). Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 16. Juni 2004 i.S. B. K. Aus den Erwägungen 1. a) Die Anwaltskommission ist gemäss Art. 14 des Bundesge- setzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte vom 23. Juni 2000 (BGFA; SR 935.61) i.V.m. § 3 Abs. 1 und § 4 lit. d des Anwaltsgesetzes vom 18. Dezember 1984 (AnwG; SAR 291.100) Aufsichtsbehörde über die Anwälte, welche im Kanton Aargau Par- teien vor Gericht vertreten. Die Aufsicht erstreckt sich dabei auf die gesamte Anwaltstätigkeit und ist nicht beschränkt auf Tätigkeiten im Rahmen des kantonalen Anwaltsmonopols (Botschaft des Bundesra- tes zum BGFA vom 28. April 1999 [Botschaft], Ziff. 233.3 a.E.). Die Anwaltskommission ahndet gestützt auf §§ 23 f. AnwG von Amtes wegen oder auf Anzeige einer Behörde oder eines Beteiligten hin im Kanton begangene Verstösse von Anwälten gegen die ihnen obliegenden Pflichten. b) Hat ein in einem anderen Kanton ins Anwaltsregister einge- tragener Anwalt im Kanton Aargau Verfehlungen begangen bzw. wird solcher beschuldigt, so stellt sich die Frage nach der örtlichen Zuständigkeit. Die örtliche Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde er- gibt sich anhand des Begehungsortes. Für Handlungen im Monopol- bereich ist entscheidend, auf welchem Kantonsgebiet sich eine Ge- richtsbehörde befindet, vor welcher der betreffende Anwalt eine Partei vertritt (Art. 14 BGFA: ,,[...] die auf seinem Gebiet Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten."). Ein Verstoss gegen die Be- rufspflichten ist somit in dem Kanton zu ahnden, in dem sich das zu 2004 Obergericht/Handelsgericht 64 beurteilende Verhalten abspielte. Betrifft das Verhalten ein behördli- ches Verfahren, so ist regelmässig derjenige Kanton zuständig, in dem das Verfahren geführt wird (Beat Hess, Das Anwaltsgesetz des Bundes (BGFA) und seine Umsetzung durch die Kantone am Bei- spiel des Kantons Bern, in: ZBJV 140 (2004) S. 125; vgl. auch Hans Nater, Unabhängigkeit und Interessenkollision: Entscheide aus Genf und Zürich, in: SJZ 100 (2004) Nr. 3 S. 69).
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 1. Kammer HOR.2019.2 / ts / ts Art. 181 Urteil vom 17. Oktober 2019 Besetzung Oberrichter Dubs, Präsident Ersatzrichter Boner Handelsrichter Bäumlin Handelsrichter Meyer Handelsrichter Nauer Gerichtsschreiberin Schmutz Klägerin A._, vertreten durch lic. iur. Matthias Geiser, Rechtsanwalt, Zolliker-/Alfred Ul- rich-Strasse 2, Postfach 575, 8702 Zollikon Beklagte C._, vertreten durch lic. iur. Stefan Kaufmann, Rechtsanwalt, Stadelhofer- strasse 33, Postfach 5, 8024 Zürich Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Z. Sie bezweckt im We- sentlichen den Erwerb und die dauernde Verwaltung von Beteiligungen an Unternehmungen aller Art, [...] (Klagebeilage [KB] 5). 2. Die Beklagte ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in Y. AG (Klage N. 2). 3. 3.1. Mit Generalversammlungs- sowie Verwaltungsratsbeschluss vom [Tag der GV] 2013 erhöhte die Klägerin ihr Aktienkapital von Fr. 159'000.00 um Fr. 34'902.00 auf Fr. 193'902.00 (KB 6) durch Ausgabe von 34'902 Namen- aktien mit einem Nennwert von je Fr. 1.00 (KB 7 und 10). Die Eintragung im Handelsregister erfolgte per [Tag HReg-Eintrag] 2013 (KB 11 und 12). 3.2. Anlässlich der ordentlichen Kapitalerhöhung zeichnete die Beklagte insge- samt 9'695 Namenaktien zum Ausgabepreis von gerundet Fr. 10.3146 pro Aktie (ausmachend insgesamt Fr. 100'000.00) mit einer Teilliberierung von 50 % (KB 13). 3.3. Die Einlage von Fr. 50'000.00 hat die Beklagte fristgerecht auf das Kapital- einzahlungskonto der Klägerin geleistet (KB 14). 4. Am 18. Juli 2014 hat der Verwaltungsrat der Klägerin die nachträgliche Leistung der nicht voll liberierten Aktien beschlossen und die Beklagte auf- gefordert, den ausstehenden Betrag von Fr. 50'000.00 bis spätestens zum 30. August 2014 zu leisten (KB 15). 5. Die Beklagte hat den Betrag von Fr. 50'000.00 bis zur Einleitung des vor- liegenden Verfahrens nicht einbezahlt. 6. Mit Klage vom 27. Dezember 2018 (Postaufgabe: gleichentags) stellte die Klägerin folgende Rechtsbegehren: "1. Es sei die Beklagte zu verpflichten, CHF 50'000 als Einlage im Sinne von Art. 633 des Schweizerischen Obligationenrechts bei einem von der Klägerin bezeichneten, dem Bankengesetz vom 8. November 1934 unterstellten Institut zur ausschliesslichen Verfügung der Klägerin . - 3 - 2. Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin 5% Verzugszins auf CHF 50'000 seit dem 31.8.2014 zu bezahlen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (inkl. MWST) zulasten der Beklagten." Zur Begründung führte die Klägerin im Wesentlichen aus, der Verwaltungs- rat habe die nachträgliche Leistung der ausstehenden Einlagen auf die nicht voll liberierten Aktien gefordert. Die Beklagte habe die Pflicht, den noch ausstehenden Teil ihrer Einlage durch Zahlung zu liberieren. 7. Mit Antwort vom 8. Februar 2019 (Postaufgabe: gleichentags) stellte die Beklagte folgende Rechtsbegehren: "1. Es sei auf die Klage mangels Rechtsschutzinteresses der Klägerin nicht einzutreten; 2. Eventuell sei die Klage vollumfänglich abzuweisen; Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (inkl. MWSt) zulasten der Klägerin." Begründend führte die Beklagte im Wesentlichen aus, der Klagerückzug der Klägerin beim Bezirksgericht Bremgarten ohne Einwilligung der Beklag- ten habe die Wirkung einer Klageabweisung, weshalb der vorliegenden Klage die res iudicata entgegenstehe. Ausserdem habe die Klägerin gegen grundlegende Bilanzierungsvorschriften, das Rechtsmissbrauchsverbot, das Gleichbehandlungsgebot und weitere Pflichten verstossen, weshalb die Beklagte nicht verpflichtet sei, der Nachliberierungsaufforderung nach- zukommen. 8. Mit Replik vom 15. März 2019 (Postaufgabe: gleichentags) hielt die Kläge- rin an ihren Rechtsbegehren fest. 9. Mit Duplik vom 2. Mai 2019 (Postaufgabe: gleichentags) hielt die Beklagte an ihren Rechtsbegehren fest. 10. Mit Verfügung vom 20. August 2019 wurde eine Beweisverfügung erlassen und die Parteien wurden angefragt, ob sie auf die Durchführung einer Hauptverhandlung verzichten. Mit Eingaben vom 3. September 2019 (Beklagte) bzw. 4. September 2019 (Klägerin) verzichteten die Parteien auf die Durchführung einer Hauptver- handlung. - 4 - 11. Mit Verfügung vom 11. September 2019 wurde die Streitsache an das Han- delsgericht überwiesen und das Handelsgericht bestellt. Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Die Prozessvoraussetzungen, namentlich die Zuständigkeit des angerufe- nen Gerichts, sind von Amtes wegen zu prüfen (Art. 60 ZPO). 1.1. Örtliche Zuständigkeit Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ZPO ist für Klagen gegen eine natürliche Per- son das Gericht an deren Wohnsitz zuständig. Das Gesetz sieht für den vorliegenden Streitgegenstand keine vom Grundsatz abweichende örtliche Zuständigkeit vor (vgl. insb. Art. 40 ff. ZPO). Der Wohnsitz der Beklagten befindet sich in Y. im Kanton Aargau. Die aargauischen Gerichte sind somit örtlich zuständig. Im Übrigen hat sich die Beklagte auf das vorliegende Ver- fahren eingelassen (Art. 18 ZPO). 1.2. Sachliche und funktionelle Zuständigkeit Laut Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO können die Kantone das Handelsgericht für Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Genossen- schaften für zuständig erklären. Nach § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO entscheidet das Handelsgericht als einzige Instanz über Streitigkeiten gemäss Art. 6 ZPO. Unter den Begriff "Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesell- schaften und Genossenschaften" fallen sämtliche Klagen, die ihre Grund- lage in den Art. 552 - 926 OR haben.1 Mithin fällt die vorliegende Klage in die Zuständigkeit des Handelsgerichts. Das Handelsgericht entscheidet als Kollegialgericht (§ 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO). 1.3. Rechtskraft Nach Art. 65 ZPO kann gegen die gleiche Partei über den gleichen Streit- gegenstand keinen zweiten Prozess mehr führen, wer eine Klage beim zum Entscheid zuständigen Gericht zurückzieht, sofern das Gericht die Klage der beklagten Partei bereits zugestellt hat und diese dem Rückzug nicht zustimmt. Dem Klagerückzug kommt in diesem Fall die Wirkung einer rechtskräftigen Klageabweisung zu (Art. 241 Abs. 2 ZPO). Der Klagerück- zug ist demnach jene Handlung, mit welcher der Kläger die von ihm gestell- ten Rechtsbegehren aufgibt; diese Erklärung erstreckt sich auf die Klage und zieht die materielle Rechtskraft nach sich. Beim Klagerückzug im Sinne eines Rückzugs der Eingabe handelt es sich hingegen um eine Handlung, 1 VETTER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivil- prozessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 6 N. 36. - 5 - die zwar das Verfahren beendet, der erneuten Klage unter bestimmten Vo- raussetzungen aber nicht entgegensteht.2 Ob der Zuständigkeitsbegriff nach Art. 65 ZPO – wie von der Beklagten behauptet – einzig die örtliche Zuständigkeit umfasst, ist soweit ersichtlich höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Indessen haben sich so- wohl Lehre als auch Rechtsprechung eingehend mit dem Zuständigkeits- begriff nach Art. 63 ZPO befasst. Darauf ist vorab kurz einzugehen. Die herrschende Lehre3 und die Rechtsprechung4 sieht von Art. 63 ZPO grund- sätzlich sämtliche Formen der Unzuständigkeit im erstinstanzlichen Verfah- ren erfasst. Die Meinung von INFANGER,5 Art. 63 ZPO sei unter Berücksich- tigung von Art. 4 Abs. 1 ZPO auf die örtliche Unzuständigkeit zu beschrän- ken , überzeugt nicht. Art. 4 ZPO lässt die Regelung der sachlichen und funktionellen Zuständigkeit durch die ZPO gerade zu, und zwar auch mittels impliziter gesetzlicher Anordnungen. Eine weite Auslegung entspricht zu- dem der ratio legis, welche keinen Raum für eine unterschiedliche Behand- lung von verschiedenen Varianten der Unzuständigkeit zulässt.6 Die oben erwähnte Lehre und Rechtsprechung zu Art. 63 ZPO muss auch für Art. 65 ZPO gelten. Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich somit nach den allgemeinen Vorschriften (Art. 4 ff. ZPO) und in Bezug auf die sachliche Zuständigkeit nach kantonalem Recht.7 Andernfalls würde dies zu einer nicht vorgesehenen Differenzierung der beiden Zuständigkeitsbe- griffe führen. Folglich beschränkt sich der Zuständigkeitsbegriff in Art. 65 ZPO nicht – wie von der Beklagten behauptet – einzig auf die örtliche Zu- ständigkeit, sondern erfasst analog Art. 63 ZPO sowohl die örtliche, sach- liche wie auch funktionelle Zuständigkeit. Wie in E. 1.1 und 1.2 ausgeführt, ist das Handelsgericht des Kantons Aar- gau für die vorliegende Klage sowohl örtlich als auch sachlich zuständig. Ist das Handelsgericht des Kantons Aargau zwingend sachlich zuständig,8 fehlt es an der sachlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts Bremgarten. Der Klagerückzug beim Bezirksgericht Bremgarten ist somit auch nach Zu- stellung der Klage mangels sachlicher Zuständigkeit unschädlich; es liegt kein einem rechtskräftigen Entscheid gleichzusetzender Klagerückzug vor. 2 BGer 4A_394/2017 vom 19. Dezember 2018 E. 4.2.2. 3 BK ZPO I-BERGER-STEINER, 2012, Art. 63 N. 18; MÜLLER-CHEN, Schweizerische Zivilprozessord- nung, 2. Aufl. 2016, Art. 63 N 6; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2015, Art. 63 N 1; OFK ZPO-MORF, 2. Aufl. 2015, Art. 63 N 6. 4 BGE 138 III 471 E. 6; BGer 4A_592/2013 vom 4. September 2014 E. 3.2; Urteil des Zürich HG110218 vom 30. März 2012 (in ZR 111 S. 97 ff.). 5 BSK ZPO-INFANGER, 3. Aufl. 2017, Art. 63 ZPO N 6. 6 BK ZPO I-BERGER-STEINER (Fn. 3), Art. 63 N. 18. 7 SUTTER-SOMM/HEDIGER, in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 65 N. 9. 8 Vgl. zur zwingenden sachlichen Zuständigkeit bei Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesell- schaften und Genossenschaften BK ZPO I-BERGER-STEINER (Fn. 3), Bern 2012, Art. 6 N. 44. https://www.swisslex.ch/doc/aol/af59ed12-b0c0-494a-9170-54dd137f963c/d14b19c8-5e79-4de6-89de-e2501acd79f5/source/document-link - 6 - 1.4. Rechtsschutzinteresse Die Beklagte macht sodann geltend, der Klagerückzug vom 18. Oktober 2018 komme einem formell und materiell rechtskräftigen Verzicht auf die eingeklagte Forderung gleich und das Handelsgericht habe daher auf die Klage mangels Rechtsschutzinteresse nicht einzutreten (Antwort N. 9). Hat die klagende Partei kein schutzwürdiges Interesse, tritt das Gericht auf die Klage nicht ein (Art. 59 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a ZPO). Die Prozessvo- raussetzungen der fehlenden anderweitigen Rechtshängigkeit bzw. der fehlenden Rechtskraft können als Ausdruck des Rechtsschutzinteresses verstanden werden.9 Insofern kann auf die in E. 1.3 gemachten Ausführun- gen zur Rechtskraft verwiesen werden. Weitere Gründe für ein fehlendes Rechtsschutzinteresse bringt die Beklagte nicht vor und sind auch nicht er- sichtlich. 1.5. Übrige Prozessvoraussetzungen Die weiteren Prozessvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen An- lass. Auf die Klage ist einzutreten. 2. Verhandlungsmaxime Vorliegend gilt die Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO). Auf die sich daraus ergebenden Obliegenheiten der Parteien ist vorab einzugehen: 2.1. Behauptungslast Gemäss Art. 55 Abs. 1 ZPO haben die Parteien dem Gericht die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzu- geben. Den Prozessparteien obliegt die Behauptungslast.10 Die Aufteilung der Behauptungslast zwischen den Parteien folgt der Beweislastverteilung nach Art. 8 ZGB.11 Somit trägt die Behauptungslast für rechtserzeugende Tatsachen, wer ein Recht oder Rechtsverhältnis behauptet; für rechtsauf- hebende Tatsachen, wer die Aufhebung oder den Untergang eines Rechts behauptet (z.B. Verwirkung, Erlass etc.) und für rechtshindernde Tatsa- chen, wer sich darauf beruft (z.B. Verjährung, Stundung etc.).12 Dement- sprechend hat das Bestehen einer vertraglichen Verpflichtung zu behaup- ten, wer einen vertraglichen Anspruch erhebt.13 Eine Tatsachenbehauptung hat nicht alle Einzelheiten zu enthalten; es ge- nügt, wenn die Tatsachen, die unter die das Begehren stützenden rechtli- chen Normen zu subsumieren sind, in einer den Gewohnheiten des Lebens 9 BK ZPO I-ZINGG (Fn. 3), Art. 59 N. 33; VOGEL/SPÜHLER, Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts in der Schweiz, 2005, 2. Kapitel N. 38 ff. 10 Vgl. BGer 4A_264/2015 vom 10. August 2015 E. 4.2.2; 4A_210/2009 vom 7. April 2010 E. 3.2. 11 BGE 132 III 186 E. 4. 12 SUTTER-SOMM/SCHRANK, in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 55 N. 18. 13 BGE 128 III 271 E. 2.a.aa. - 7 - entsprechenden Weise in ihren wesentlichen Zügen oder Umrissen be- hauptet werden.14 Was offensichtlich in anderen, ausdrücklich vorgebrach- ten Parteibehauptungen enthalten ist, muss nicht explizit behauptet werden (sog. implizite bzw. mitbehauptete Tatsachen).15 Blosse Mutmassungen stellen jedoch keine rechtsgenüglichen Tatsachenbehauptungen dar.16 Ist ein Tatsachenvortrag im erwähnten Sinne vollständig, so wird er als schlüs- sig bezeichnet, da er bei Unterstellung, er sei wahr, den Schluss auf die anbegehrte Rechtsfolge zulässt.17 Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich in den Rechtsschriften aufzu- stellen (Art. 221 Abs. 1 lit. d und Art. 222 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der bloss pauschale Verweis auf Beilagen genügt in aller Regel nicht.18 Durch einen Verweis auf Urkunden können Sachverhaltselemente jedoch ausnahms- weise als behauptet gelten, wenn es überspitzt formalistisch wäre, eine Übernahme des Urkundeninhalts in die Rechtsschrift zu verlangen. Das ist jedoch nicht bereits dann der Fall, wenn die verlangten Informationen in einer Beilage in irgendeiner Form vorhanden sind. Weil ein Verweis auf Akten nicht dazu führen darf, dass die Gegenpartei und das Gericht die relevanten Tatsachen aus der Beilage selbst zusammensuchen müssen, muss auf die fragliche Information bzw. Tatsache problemlos zugegriffen werden können und es darf kein Interpretationsspielraum bestehen.19 Der entsprechende Verweis in der Rechtsschrift muss spezifisch ein bestimm- tes Aktenstück nennen und aus dem Verweis muss selbst klar werden, wel- che Teile des Aktenstücks als Parteibehauptung gelten sollen.20 Ein prob- lemloser Zugriff ist gewährleistet, wenn eine Beilage selbsterklärend ist und genau die verlangten (bzw. in der Rechtsschrift bezeichneten) Informatio- nen enthält. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kann ein Verweis nur genügen, wenn die Beilage in der Rechtsschrift derart konkretisiert und erläutert wird, dass die Informationen ohne weiteres zugänglich werden und nicht interpretiert und zusammengesucht werden müssen.21 Die in der Praxis beliebten Pauschalverweise auf eingereichte Akten bzw. die allge- meine Erklärung, diese würden "integrierenden Bestandteil" der Rechts- schrift bilden, stellen deshalb keine hinreichenden Behauptungen dar bzw. können fehlende Behauptungen nicht ersetzen.22 14 BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.1 m.w.N.; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.1. 15 BGer 4A_625/2015 vom 29. Juni 2016 E. 4.1; 5P.445/2004 vom 9. März 2005 E. 2.3.2; 5C.26/1991 vom 30. September 1991 E. 3a. 16 BGer 4A_667/2014 vom 12. März 2015 E. 3.2.2. 17 BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.1 m.w.N.; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.1. 18 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.1 m.w.N. 19 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.2 f. 20 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.3. 21 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.3. 22 BK ZPO I-HURNI (Fn. 3), Art. 55 N. 21 m.w.N. - 8 - 2.2. Bestreitungslast Die Kehrseite der Behauptungslast ist die sog. Bestreitungslast: Bestreitet eine Partei eine Tatsachenbehauptung ihres Gegners nicht, gilt diese als unbestritten und die betreffende Tatsache kann dem Entscheid ohne wei- teres zugrunde gelegt werden, da über nicht bestrittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO).23 Art. 222 Abs. 2 ZPO verlangt von der beklagten Partei, darzulegen, welche Tatsa- chenbehauptungen der klagenden Partei im Einzelnen anerkannt oder be- stritten werden. Es ist deshalb empfehlenswert, die Tatsachenbehauptun- gen der Klägerin detailliert, d.h. Punkt für Punkt zu bestreiten. Bestreitun- gen sind dabei so konkret zu halten, dass sich bestimmen lässt, welche einzelnen Behauptungen damit bestritten werden; die Bestreitung muss ih- rem Zweck entsprechend so bestimmt sein, dass die Gegenpartei weiss, welche einzelne Tatsachenbehauptung sie beweisen muss. Der Grad der Substantiierung einer Behauptung beeinflusst insofern den erforderlichen Grad an Substantiierung einer Bestreitung; je detaillierter einzelne Tatsa- chen eines gesamten Sachverhalts behauptet werden, desto konkreter muss die Gegenpartei erklären, welche dieser einzelnen Tatsachen sie be- streitet. Je detaillierter mithin ein Parteivortrag ist, desto höher sind die An- forderungen an eine substantiierte Bestreitung. Diese sind zwar tiefer als die Anforderungen an die Substantiierung einer Behauptung; pauschale Bestreitungen reichen indessen selbst dann nicht aus, wenn sie explizit er- folgen. Erforderlich ist eine klare Äusserung, dass der Wahrheitsgehalt ei- ner bestimmten gegnerischen Behauptung infrage gestellt wird.24 Auch ein implizites Bestreiten genügt unter diesen Voraussetzungen den Anforde- rungen der rechtsgenügenden Bestreitung.25 2.3. Substantiierungslast Bestreitet aber der Prozessgegner den schlüssigen Tatsachenvortrag der behauptungsbelasteten Partei in rechtsgenüglicher Weise, so greift eine über die Behauptungslast hinausgehende Substantiierungslast. Die Vor- bringen sind diesfalls nicht nur in den Grundzügen, sondern in Einzeltatsa- chen zergliedert so umfassend und klar darzulegen, dass darüber Beweis abgenommen oder dagegen der Gegenbeweis angetreten werden kann.26 Das Beweisverfahren darf nicht dazu dienen, ein ungenügendes Parteivor- bringen zu vervollständigen.27 Der nicht oder nicht substantiiert vorge- brachte Sachverhalt ist im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime dem nicht bewiesenen Sachverhalt gleichzusetzen.28 23 BK ZPO I-HURNI (Fn. 3), Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO. 24 BGE 141 III 433 E. 2.6; BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.3. 25 SCHMID/HOFER, Bestreitung von neuen Tatsachenbehauptungen in der schriftlichen Duplik, ZZZ 2016, S. 285 m.w.N. 26 BGE 144 III 519 E. 5.2.1.1; BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.2. 27 DOLGE, Anforderungen an die Substanzierung, in: Dolge (Hrsg.), Substantiieren und Beweisen, 2013, S. 21; vgl. auch BGE 108 II 337 E. 3. 28 BGer 4A_210/2009 vom 7. April 2010 E. 3.2; KUKO ZPO-OBERHAMMER, 2. Aufl. 2013, Art. 55 N. 12. - 9 - 2.4. Bezeichnung der Beweismittel Die Parteien haben im Rahmen der Verhandlungsmaxime die einzelnen Beweismittel zu bezeichnen (vgl. Art. 221 Abs.1 lit. e ZPO, wonach die Klage die Tatsachenbehauptungen sowie die Bezeichnung der einzelnen Beweismittel zu den behaupteten Tatsachen zu enthalten hat). Dazu gehört auch, dass aus dem Zusammenhang klar wird, inwiefern die angerufenen Beweismittel den angestrebten Beweis erbringen sollen. Es genügt nicht, in der Klage Behauptungen aufzustellen und pauschal auf die Klagebeila- gen zu verweisen.29 Ein Beweismittel ist nur dann formgerecht angeboten, wenn sich die Beweisofferte eindeutig der damit zu beweisenden Tatsa- chenbehauptung zuordnen lässt und umgekehrt.30 Deshalb sind die einzel- nen Beweisofferten unmittelbar im Anschluss an die entsprechenden Tat- sachenbehauptungen aufzuführen, welche durch sie bewiesen werden sol- len ("Prinzip der sog. Beweismittelverbindung").31 Es ist hingegen unzu- reichend, einen ganzen Sachverhaltskomplex zu behaupten und lediglich pauschal auf eine Vielzahl von Urkunden oder eine Anzahl Zeugen zu ver- weisen.32 Bei umfangreichen Urkunden ist zudem die für die Beweisführung erhebliche Stelle zu bezeichnen. 3. Grundsätzliche Liberierungspflicht 3.1. Parteibehauptungen 3.1.1. Klägerin Die Klägerin behauptet, sie habe einen Anspruch aus aktienrechtlicher Liberierungspflicht gegenüber der Beklagten (Klage N. 2). Die Generalver- sammlung und der Verwaltungsrat hätten die Kapitalerhöhung formgültig beschlossen und durchgeführt (Klage N. 12 bis 16). Mit Verwaltungsrats- beschluss vom 18. Juli 2014 habe die Klägerin die Beklagte zur nachträg- lichen Leistung der Einlagen bis zum 30. August 2014 aufgefordert (Klage N. 18). Die Beklagte habe das von ihr geschuldete non-versé von Fr. 50'000.00 trotz wiederholter Aufforderungen und Mahnungen bis zur Klageeinreichung nicht bezahlt (Klage N. 19). 3.1.2. Beklagte Die Beklagte äussert sich nicht zu den Formalitäten der Kapitalerhöhung der Klägerin. Sie behauptet aber, die Erbringung der Leistungspflicht sei nicht ausschliesslich vom Willen des Verwaltungsrates abhängig, da sich Art. 634a OR nicht mit den rechtlichen Grundlagen der Nachleistungspflicht 29 BGer 4A_195/2014 und 4A_197/2014 vom 27. November 2014 E. 7.3.3 m.w.N. (nicht publ. in BGE 140 III 602). 30 BGer 4A_291/2018 vom 10. Januar 2019 E. 4.4.2; 4A_370/2016 vom 13. Dezember 2016 E. 3.3 m.w.N. 31 BK ZPO II-KILLIAS, 2012, Art. 221 N. 29; PAHUD, in: Brunner/Gasser/Schwander (Hrsg.), Schweize- rische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2016, Art. 221 N. 16. ff. 32 BK ZPO II-KILLIAS (Fn. 31), Art. 221 N. 29. - 10 - befasse, sondern mit der Zuständigkeit für deren Einforderung und Moda- litäten (Antwort N. 11). Zudem habe eine andere Aktionärin, die D., die Ak- tien nicht bedingungslos gezeichnet, weshalb der Zeichnungsschein ungül- tig sei (Antwort N. 14; Duplik N. 17). 3.1.3. Rechtliches 3.1.3.1. Allgemeines Das Aktienkapital soll unter anderem die Aufbringung (und nach Möglich- keit die Erhaltung) eines minimalen Haftungsstocks für die Gläubiger ge- währleisten. Die der Deckung des Aktienkapitals dienenden Vermögens- werte dürfen in keinem Fall an die Aktionäre ausgeschüttet werden. In die- sem Umfang werden die Gesellschaftsgläubiger im Konkurs der Gesell- schaft wegen des Nachrangs der Eigenkapitalgeber vorrangig befriedigt.33 Der Nennwert bestimmt jenen Betrag, zu dessen Leistung sich der Aktionär gegenüber der Gesellschaft bei der Zeichnung der Aktie mindestens ver- pflichtet. Es kann auch ein über dem Nennwert liegender Ausgabebetrag angesetzt werden; dabei liegt eine Ausgabe über pari (sog. Agio) vor. Ob- wohl in der Lehre umstritten,34 ist mit BÖCKLI die Leistung des ganzen Aus- gabebetrags, also des Nennwerts und des Agios als aktienrechtliche Libe- rierung zu verstehen.35 Mithin haben die dem Schutz der Kapitalaufbrin- gung dienenden Normen auch für das Agio zu gelten.36 3.1.3.2. Ordentliche Kapitalerhöhung Die Erhöhung des Aktienkapitals wird von der Generalversammlung be- schlossen; sie ist vom Verwaltungsrat innerhalb von drei Monaten durch- zuführen (Art. 650 Abs. 1 OR). Der Beschluss der Generalversammlung muss öffentlich beurkundet werden und die Angaben nach Art. 650 Abs. 2 Ziff. 1 bis 9 OR enthalten. Wird die Kapitalerhöhung nicht innerhalb von drei Monaten ins Handelsregister eingetragen, so fällt der Beschluss der Gene- ralversammlung dahin (Art. 650 Abs. 3 OR). Die Aktien werden in einer besonderen Urkunde (Zeichnungsschein) ge- zeichnet (Art. 652 Abs. 1 OR; vgl. E. 3.1.3.3). Die Einlagen sind analog der Gründung auf ein Sperrkonto zu leisten (Art. 652c i.V.m. Art. 633 OR). Es sind ein Kapitalerhöhungsbericht und allenfalls eine Prüfungsbestätigung zu erstellen (Art. 652e f. OR). Anschliessend hat der Verwaltungsrat die Statuten zu ändern (Art. 652g Abs. 1 OR). Der Verwaltungsrat meldet die Statutenänderung und seine Feststellungen beim Handelsregister zur Ein- tragung an (Art. 652h Abs. 1 OR). Die Beweislast für das Vorliegen einer 33 ZK OR-JUNG, 2. Aufl. 2016, Art. 621 N. 18 und 22 m.w.H.; PLÜSS, Aktienrecht Kommentar, 2016, Art. 621 N. 2. 34 WIDMER, Die Liberierung im schweizerischen Aktienrecht, 1998, S. 94 m.w.H. 35 BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 2009, § 1 N. 305 m.w.N.; so auch BSK OR II-BAUDENBACHER, 5. Aufl. 2016, Art. 624 N. 7; BGE 132 III 668 E. 3.2.1. 36 WIDMER (Fn. 34), S. 99; BSK OR II-BAUDENBACHER (Fn. 35), Art. 624 N.7. - 11 - gültigen ordentlichen Kapitalerhöhung liegt im Bestreitungsfall bei der Klä- gerin. Insbesondere ist im Bestreitungsfall zu beweisen, dass ein Kapital- erhöhungsbeschluss der Generalversammlung vorliegt, dieser öffentlich beurkundet, ein Kapitalerhöhungsbericht verfasst und dieser von einem zu- gelassenen Revisor überprüft wurde und dass die ausgegebenen Aktien gezeichnet, die Statuten geändert und die Änderungen ins Handelsregister eingetragen wurden. 3.1.3.3. Zeichnungsschein Der Zeichnungsschein muss auf den Beschluss der Generalversammlung und des Verwaltungsrats über die Erhöhung des Aktienkapitals Bezug neh- men. Verlangt das Gesetz einen Emissionsprospekt, so nimmt der Zeich- nungsschein auch auf diesen Bezug (Art. 652 Abs. 2 OR). Nach Art. 630 OR bedarf die Zeichnung zu ihrer Gültigkeit der Angabe von Anzahl, Nenn- wert, Art, Kategorie und Ausgabebetrag der Aktien (Art. 630 Ziff. 1 OR) und einer bedingungslosen Verpflichtung, eine dem Ausgabebetrag entspre- chende Einlage zu leisten (Art. 630 Ziff. 2 OR). Die (implizite) Bedingung, dass die Kapitalerhöhung im geplanten Umfang zustande kommt, ist zuläs- sig.37 Fehlt eine der verlangten Angaben, so macht dies den Zeichnungsschein weder nichtig noch anfechtbar, sofern die bedingungslose Verpflichtung, eine bestimmte Anzahl bestimmter Aktien zu zeichnen und die entspre- chende Einlage zu leisten, daraus hervorgeht.38 Nur bei wesentlichen Män- geln des Zeichnungsscheins, z.B. wenn die bedingungslose Verpflichtung fehlt, Aktien zu übernehmen, wird Unverbindlichkeit der Leistungsverpflich- tung angenommen. Nach erfolgter Eintragung der Kapitalerhöhung im Han- delsregister kann sich der Zeichner allerdings nicht mehr auf Mängel des Zeichnungsscheins berufen.39 Dies wird aus der Konstitutivwirkung der Ein- tragung des Aktienkapitals ins Register abgeleitet.40 Mit anderen Worten ist die Rückforderung (respektive Anfechtung des Zeichnungsscheins) mit Eintragung der Gründung/Kapitalerhöhung ins Handelsregister grundsätz- lich ausgeschlossen.41 Dies ist eine zwingende Folge des Eigenkapital- schutzes und geht dem subjektiven Rechtsschutz des einzelnen Zeichners vor.42 37 OFK OR-LAMBERT/GERICKE, 3. Aufl. 2016, Art. 652 N. 2; BSK OR II-ZINDEL/ISLER (Fn. 35), Art. 652 N 1; BÖCKLI (Fn. 35), § 2 N. 100; CHK OR-MÜLLER, 3. Aufl. 2016, Art. 652 N. 2. 38 ZK OR-CRAMER (Fn. 33), Art. 652 N. 5 ff.; OFK OR-LAMBERT/GERICKE (Fn. 37), Art. 652 N. 2. 39 OFK OR-LAMBERT/GERICKE (Fn. 37), Art. 652 N. 4; ZK OR-CRAMER (Fn. 33), Art. 652 N. 7; BÖCKLI (Fn. 35), § 2 N. 101. 40 BÖCKLI (Fn. 35), § 1 N. 365. 41 BÖCKLI (Fn. 35), § 1 N. 585a. 42 CHK OR-SCHMID (Fn. 37), Art. 680 N. 8 f. - 12 - 3.1.3.4. Aufforderung zur Liberierung Art. 632 OR erlaubt es, dass das Kapital der Aktiengesellschaft nicht voll liberiert wird. Aus der bedingungslosen Verpflichtung der Gründer, eine dem (vollen) Ausgabebetrag entsprechende Einlage zu leisten (Art. 630 Ziff. 2 OR), ergibt sich die grundsätzliche Verpflichtung der Aktionäre zur nachträglichen Leistung, wenn anfänglich bloss eine Teilliberierung vorge- nommen wurde.43 Der Verwaltungsrat kann jederzeit die ganze oder teilweise Nachliberierung verlangen. Der Beschluss muss nicht öffentlich beurkundet, jedoch proto- kolliert werden (Art. 713 Abs. 3 OR).44 Der Verwaltungsrat ist grundsätzlich frei in der Bestimmung des Zeitpunkts und der Modalitäten der Fälligstel- lung der Leistungsverpflichtung der Aktionäre und in der Definition der Ein- lageart.45 Einschränkungen für den Verwaltungsrat können sich aber aus den Beschlüssen der Gründer oder der Generalversammlung ergeben, wenn diese bereits Parameter für die Liberierung des ganzen Aktienkapi- tals oder spezifisch für den später zu liberierenden Teil vorgegeben ha- ben.46 Die Beweislast für das Vorliegen einer gesetzes- und statutenkonformen Aufforderung des Verwaltungsrates zur Liberierung liegt im Bestreitungsfall bei derjenigen Partei, welche daraus Rechte ableitet, vorliegend also bei der Klägerin. 3.1.4. Würdigung 3.1.4.1. Gültige Kapitalerhöhung Die Generalversammlung der Klägerin hat am [Tag der GV] 2013 einstim- mig die Erhöhung des Aktienkapitals um 34'902 Namenaktien mit einem Nennwert von Fr. 1.00 und einem Ausgabebetrag von Fr. 10.3146 pro Aktie beschlossen (KB 6). Der Verwaltungsrat der Klägerin hielt im Rahmen sei- ner Sitzung am selben Tag fest, dass a) die ordentliche Kapitalerhöhung gemäss dem Beschluss der Generalversammlung vom [Tag der GV] 2019 ausgeführt wurde, b) sämtliche ausgegebenen Aktien gültig gezeichnet wa- ren, c) die versprochenen Einlagen dem gesamten Ausgabebetrag entspra- chen, d) die in Geld geleistete Einlagen im erforderlichen Betrag auf dem Kapitalerhöhungskonto hinterlegt wurden (KB 9) und e) damit die Anforde- rungen des Gesetzes und der Statuten sowie des Generalversammlungs- beschlusses erfüllt waren (KB 7 und 8). Gleichzeitig wurden die Anpassun- gen der Statuten beschlossen (KB 7 und 10). Der Beschluss wurde öffent- lich beurkundet, dem Handelsregisteramt des Kantons U. am [Tag der GV] 43 BSK OR II-SCHENKER (Fn. 35), Art. 634a N. 1. 44 PLÜSS (Fn. 33), Art. 634a N. 7; BSK OR II-SCHENKER (Fn. 35), Art. 634a N. 5; ZK OR-CRAMER (Fn. 33), Art. 634a N. 8. 45 ZK OR-CRAMER (Fn. 33), Art. 634a N. 3.; PLÜSS (Fn. 33), Art. 634a N. 7. 46 ZK OR-CRAMER (Fn. 33), Art. 634a N. 6; vgl. auch BÖCKLI (Fn. 35), § 1 N. 321. https://www.swisslex.ch/doc/aol/2630ab4d-4fad-46f9-90c0-a1b5ba0def10/f00fc08f-a93b-4ea5-a101-ce5968be2a4d/source/document-link - 13 - 2013 zur Eintragung angemeldet und am [Tag HReg-Eintrag] 2013 im Han- delsregister eingetragen (KB 11 und 12). Das Aktienkapital der Klägerin wurde damit gültig erhöht. 3.1.4.2. Gültiger Zeichnungsschein 3.1.4.2.1. Der Zeichnungsschein der Beklagten enthält die gesetzlich notwendigen Angaben. Insbesondere enthält er die bedingungslose Verpflichtung, die Einlage gemäss der von der Generalversammlung beschlossenen Kapital- erhöhung zu leisten (KB 13). Der Zeichnungsschein wurde in Vertretung der Beklagten von einer Person unterschrieben, die weder von der Klägerin noch von der Beklagten benannt wird (KB 13). Die Beklagte behauptet nicht, diese Person sei nicht zu ihrer Vertretung berechtigt gewesen. Der Liberierungsbetrag wurde am 11. September 2013 auf das Kapitalerhö- hungskonto einbezahlt (KB 14) und die Aktionärsrechte wurden von der Beklagten regelmässig wahrgenommen (Replikbeilagen [RB] 35 und 36). Dementsprechend ist von einer gültigen Verpflichtung der Beklagten, eine dem Ausgabebetrag entsprechende Einlage zu leisten, auszugehen. Die Beklagte hat damit gültig an der Erhöhung des Aktienkapitals der Klä- gerin teilgenommen und 9'695 Aktien mit einem Nominalwert von je Fr. 1.00 zum Ausgabebetrag von je Fr. 10.3146 mit der Verpflichtung, an- fänglich 50 % in Geld zu liberieren, gezeichnet (KB 13). 3.1.4.2.2. Aus der Tatsache, dass der anlässlich der Kapitalerhöhung von der Aktio- närin D. gezeichnete Zeichnungsschein keine bedingungslose Zahlungs- verpflichtung enthält, kann die Beklagte nichts zu ihren Gunsten ableiten. Ein ungültiger Zeichnungsschein führt nicht zur Ungültigkeit aller Zeich- nungsscheine derselben Kapitalerhöhung (vgl. dazu auch E. 4.2) und der Mangel wird mit Eintragung der Kapitalerhöhung ins Handelsregister ohne- hin geheilt (vgl. E. 3.1.3.3). 3.1.4.3. Verbindliche Liberierungsaufforderung Der Verwaltungsrat hat mit Beschluss vom 18. Juli 2014 die nachträgliche Leistung der Einlagen auf die nicht voll liberierten Aktien bis spätestens am 30. August 2014 beschlossen (KB 15). Die Beklagte hat sich mittels Zeich- nungsschein (KB 13) zur bedingungslosen Bezahlung des noch nicht libe- rierten Betrags verpflichtet (vgl. E. 3.1.4.2). Mit dem protokollierten Be- schluss des Verwaltungsrates wurde die Beklagte zur Leistung der Einlage aufgefordert, womit diese fällig wurde. Die Beklagte ist damit zur Bezahlung des restlichen Betrages obligiert, soweit sie nicht mit einer dagegen gerich- teten Einwendung oder Einrede durchdringt (vgl. E. 4). - 14 - 4. Einwendungen / Einreden der Beklagten Die Beklagte macht verschiedene Gründe geltend, aufgrund welcher sie sich nicht zur Liberierung des noch ausstehenden Betrags verpflichtet sieht. Im Einzelnen: - Falsche Bilanzierung der Liberierungsforderung (Antwort N. 12; vgl. E. 4.1); - Ungleichbehandlung der Aktionäre (Antwort N. 14 f.; vgl. E. 4.2); - Verletzung von Aktionärsrechten bzw. des Rechtsmissbrauchsverbots (Antwort N. 16 ff.; vgl. E. 4.3); - Nichtbenennung eines vom Gesetz vorgeschriebenen Sperrkontos zur Bezahlung des non-versés (Antwort N. 20; vgl. E. 4.4); - weitere Gründe, namentlich behauptete Organisationsmängel und Überschuldung (Antwort N. 21 ff.; vgl. E. 4.5). Die Beweislast für das Vorliegen der oben genannten Gründe liegt bei der Beklagten. Es erscheint allerdings bereits fraglich, ob die Beklagte ihrer Substantiierungspflicht in rechtsgenüglicher Weise nachgekommen ist und die Einzeltatsachen genügend umfassend und klar dargelegt hat, damit darüber Beweis abgenommen oder dagegen der Gegenbeweis angetreten werden kann. Diese Frage kann vorliegend allerdings offenbleiben, da die Einzahlungspflicht der Beklagten ohnehin zu bejahen ist (vgl. E. 4.1 bis 4.5). 4.1. Verletzung von Rechnungslegungsvorschriften 4.1.1. Parteibehauptungen 4.1.1.1. Beklagte Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe am 5. Oktober 2018 ihre letzt- jährige Generalversammlung abgehalten. In diesem Zusammenhang habe die Klägerin über die Jahresrechnung 2017 abstimmen lassen, wobei die Bilanz die verfahrensgegenständliche Forderung nicht ausgewiesen habe. Da die Klägerin die Forderung nicht bzw. falsch verbucht habe, könne die Beklagte nicht zur Begleichung derselben verpflichtet werden (Antwort N. 12 und 13). Konkret müsse die Klägerin das nicht einbezahlte Kapital separat in der Bilanz als Aktivum ausweisen. Das auf die Beklagte entfallende nominelle Aktienkapital belaufe sich auf Fr. 4'848.00 und das Agio auf Fr. 45'153.00 und nicht etwa Fr. 45'266.00 (Duplik N. 10). Zum Anlagevermögen gehöre nur das nicht liberierte Nominalkapital, während das Agio den gesetzlichen Reserven angehöre (Duplik N. 10). - 15 - 4.1.1.2. Klägerin Die Klägerin behauptet, sie habe das nicht liberierte Aktienkapital ord- nungsgemäss im Anlagevermögen bilanziert. Soweit nominelles Aktienka- pital betroffen sei, sei dies im Umfang von Fr. 4'848.00 unter "nicht einbe- zahltes Aktienkapital" aufgeführt. Soweit das Agio betroffen sei, handle es sich um langfristige Forderungen gegenüber Beteiligten und Organen im Betrag von Fr. 45'266.00 (Replik N. 18). Zudem tangiere die Verbuchung den klägerischen Anspruch auf Liberierung nicht (Replik N. 19). 4.1.2. Rechtliches Die Rechnungslegung soll die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden können (Art. 958 Abs. 1 OR). Die Buchführung bezweckt in erster Linie die Selbstinformation des Unternehmens und damit die Förderung der Interessen der Betriebs- angehörigen. Ebenso beruhen die aktienrechtlichen Bestimmungen über die Rechnungslegung auf dem Gedanken der Kapitalerhaltung und stellen einen zentralen Ansatzpunkt für die Verantwortlichkeit des Verwaltungsra- tes und der Geschäftsleitung dar. Die Buchführung dient damit einerseits den Kapitaleignern, in deren Auftrag Verwaltung und Geschäftsleitung tätig sind, andererseits den Gläubigern und letztlich, bei hinreichender wirt- schaftlicher Bedeutung, auch einer weiteren Öffentlichkeit zur Information über die Ertragslage der Gesellschaft. Schliesslich bildet sie eine wichtige Voraussetzung für die Ausübung verschiedener Schutzrechte durch die Gesellschafter.47 Hingegen ist die korrekte Buchführung bzw. Bilanzierung keine Voraussetzung dafür, dass eine Forderung gerichtlich eingefordert werden kann und hat insbesondere auch keinen Einfluss auf eine Nach- liberierungspflicht. 4.1.3. Würdigung Die Behauptung der Beklagten, eine falsche oder unterlassene Bilanzie- rung tangiere ihre grundsätzliche Schuldpflicht, ist unzutreffend. Der Bilanz kommt in erster Linie eine Informationsfunktion zu. Sie hat keinen Einfluss auf den materiellen Bestand oder die prozessuale Durchsetzbarkeit einer Forderung auf Nachliberierung. Mithin kann die Beklagte aus einer allfällig falschen Bilanzierung nichts für sich ableiten. 4.2. Gleichbehandlung der Aktionäre 4.2.1. Parteibehauptungen 4.2.1.1. Beklagte Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe den Gleichbehandlungsgrund- satz verletzt, da sich eine andere Aktionärin, die D., anlässlich der Kapital- erhöhung nur bedingt zur Liberierung verpflichtet habe. Damit habe sie klar gegen das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre verstossen (Antwort 47 BGE 133 III 453 E. 7.2; 132 IV 12 E. 9.3.3; 12 IV 25 E. 2b. - 16 - N. 14 und 15; Duplik N. 17). Es sei nicht bewiesen, dass die D. ihrer Libe- rierungspflicht nachgekommen sei. Selbst wenn dem so sei, sei der Zeich- nungsschein der Beklagten ungültig, weil die beiden Aktionärinnen krass ungleich behandelt worden seien (Duplik N. 17). 4.2.1.2. Klägerin Die Klägerin behauptet, die Zeichnungsscheine von anderen Aktionären seien vorliegend nicht rechtserheblich (Replik N. 26). Zudem seien alle an- deren Aktionäre ihrer Liberierungspflicht nachgekommen (Replik N. 27). 4.2.2. Rechtliches Die Mitglieder des Verwaltungsrates haben die Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln (Art. 717 Abs. 2 OR). Es handelt sich um eine an den Verwaltungsrat gerichtete Handlungsmaxime,48 die er auch bei der Liberierung zu beachten hat. Eine Beschlussfassung, die nur von einzelnen Aktionären eine Nachliberierung verlangt, verstiesse gegen diesen Grundsatz.49 Ein gegen das Gleichbehandlungsgebot verstossender Beschluss des Ver- waltungsrates ist nicht anfechtbar. Allerdings kann der betroffene Aktionär eine Verantwortlichkeitsklage gemäss Art. 754 OR gegen die fehlbaren Mit- glieder des Verwaltungsrates erheben, soweit ihm durch die Ungleichbe- handlung ein Schaden entstanden ist.50 Demgegenüber müsste ein Ver- waltungsratsbeschluss, der nur von einzelnen Aktionären eine Nachliberie- rung verlangt, nach PLÜSS51 mangels Anfechtungsmöglichkeit allenfalls als nichtig qualifiziert werden. 4.2.3. Würdigung 4.2.3.1. Die Beklagte versteht ihre Zahlungsverpflichtung deshalb als erloschen, weil der Zeichnungsschein der D. im Gegensatz zu dem von ihr selbst ge- zeichneten Schein eine bedingte Einlageverpflichtung vorgesehen habe. Dieser Behauptung ist bereits deshalb nicht zu folgen, weil die Kapitalerhö- hung am [Tag HReg-Eintrag] 2013 in das Tagesregister des Handelsregis- ters des Kantons U. eingetragen wurde (KB 11 und 12). Mit dem Eintrag aber können allfällige Mängel des Zeichnungsscheins nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. E. 3.1.3.3). 48 ZK OR-BÜHLER, 3. Aufl. 2018, Art. 717 N. 249. 49 OFK OR-PLÜSS (Fn. 37), Art. 634a N. 7; ZK OR-CRAMER (Fn. 33), Art. 634a N. 4; CR CO-LOMBAR- DINI/CLEMETSON, 2. Aufl. 2017, Art. 634a N. 8. 50 ZK OR-BÜHLER (Fn. 48), Art. 717 N. 265 f.; CHK OR-PLÜSS/FACINCANI-KUNZ (Fn. 37), Art. 717 N. 14. 51 OFK OR-PLÜSS (Fn. 37), Art. 634a N. 7. - 17 - 4.2.3.2. Hingegen wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, hätte der Verwaltungsrat das non-versé einzig von der Beklagten, nicht aber von der D. eingefordert. In diesem Zusammenhang sieht die Beklagte die Klägerin zu Unrecht beweisbelastet und den Beweis der vorgenommenen Liberie- rung als nicht erbracht an. Eine Ungleichbehandlung ist als rechtsaufhe- bende Tatsache entgegen der beklagtischen Ansicht von ihr selbst zu be- weisen. Die Beklagte offeriert in diesem Zusammenhang einzig den Zeich- nungsschein und den Handelsregisterauszug der D. Damit kann sie aller- ding keine Ungleichbehandlung beweisen. Ohnehin hat die Klägerin das non-versé aller Aktionäre eingefordert, wie das Protokoll der Verwaltungsratssitzung vom 18. Juli 2014 belegt (KB 15). Eine Ungleichbehandlung fand somit nicht statt. Eine allfällige unterblie- bene Einlage durch die D. entbindet die Beklagte nicht von ihrer eigenen Einlagepflicht. 4.3. Rechtsmissbrauch infolge Verletzung der Informations- und Mit- wirkungsrechte 4.3.1. Parteibehauptungen 4.3.1.1. Beklagte Die Beklagte behauptet, die Nachliberierungsforderung der Klägerin er- folge offensichtlich rechtsmissbräuchlich, nachdem sie zuvor fundamentale Aktionärsrechte der Beklagten, insbesondere Teilnahme-, Traktandie- rungs-, Informations- und Stimmrechte verletzt habe (Antwort N. 19; Duplik N. 15). So sei die Beklagte seit der Gründung der Klägerin im Jahr 2013 zu keiner einzigen Generalversammlung eingeladen (Antwort N. 16) und ihr Vertreter der Generalversammlung vom 5. Oktober 2018 verwiesen wor- den (Antwort N. 17). 4.3.1.2. Klägerin Die Klägerin bestreitet, dass die Aktionärsrechte der Beklagten verletzt worden seien (Replik N. 29). Die Beklagte sei zu den Generalversammlun- gen eingeladen worden (Replik N. 29). E. sei nicht "herausgeschmissen" worden, sondern habe auf Aufforderung hin die Generalversammlung ohne Widerspruch verlassen (Replik N. 34). Die Behauptungen der Beklagten seien überdies im Zusammenhang mit dem Streitgegenstand nicht rechts- erheblich (Replik N. 31, 35, 37 und 38). 4.3.2. Rechtliches 4.3.2.1. Rechtsmissbrauch Ein offenbarer Missbrauch eines Rechts findet keinen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Läuft die Ausübung eines Rechts offenkundig dem bisher ge- - 18 - zeigten Verhalten zuwider, muss sich der Betreffende auf die getätigte Ver- haltensweise behaften lassen, sofern die Gegenpartei ein schutzwürdiges Interesse daran hat.52 4.3.2.2. Aktionärsrechte Der Aktionär übt seine Aktionärsrechte in den Angelegenheiten der Gesell- schaft - wie Bestellung der Organe, Abnahme des Geschäftsberichtes und Beschlussfassung über die Gewinnverwendung - in der Generalversamm- lung aus (Art. 689 Abs. 1 OR). Zentrales Aktionärsrecht ist das Stimmrecht (Art. 692 ff. OR). Damit zusammenhängend stehen dem Aktionär u.a. Dis- kussions- sowie Antragsrechte und das Recht auf Auskunft und Einsicht zu (Art. 689 OR). Daneben besitzt der Aktionär zusätzliche Rechte, etwa das Recht auf Bekanntgabe des Geschäftsberichts und das Recht auf Einlei- tung einer Sonderprüfung (Art. 697a OR). Werden seine Aktionärsrechte verletzt, kann der Aktionär mittels verschie- dener Rechtsbehelfe dagegen vorgehen, insbesondere mittels Anfech- tungs- (Art. 706 OR), Nichtigkeits- (Art. 706b OR) oder Verantwortlichkeits- klage (Art. 722 OR). 4.3.3. Würdigung Wie in E. 3.1.3.3 ausgeführt, sind neben den Gesellschafts- und Aktionärs- interessen auch die Interessen Dritter an der Richtigkeit des in den Statuten genannten und im Handelsregister eingetragenen Eigen- bzw. Aktienkapi- tals zu beachten. Diese Interessen Dritter sind im Ergebnis höher zu werten als die Interessen des liberierungspflichtigen Aktionärs. Die Liberierungs- pflicht der Beklagten kann nicht an Bedingungen geknüpft werden (Art. 630 Ziff. 2 OR) und bleibt unabhängig von allfälligen Verletzungen ihrer Aktio- närsrechte bestehen. Die Beklagte kann die Liberierung deshalb nicht mit Hinweis auf einen Rechtsmissbrauch verweigern. Der Beklagten stehen al- lerdings die entsprechenden Rechtsbehelfe zur Geltendmachung ihrer Ak- tionärsrechte zur Verfügung. 4.4. Nichtbenennung eines Sperrkontos zur Bezahlung des non- versés 4.4.1. Parteibehauptungen 4.4.1.1. Beklagte Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe sie mittels Einschreiben vom 3. Oktober 2017 aufgefordert, das non-versé auf ein Konto des Rechtsver- treters der Klägerin einzubezahlen und die Beklagte damit letztlich zu einer unerlaubten Handlung aufgefordert. Eine solche Zahlung wäre nicht geeig- net gewesen, die Forderung zu tilgen (Antwort N. 20), da die Einlage auf ein als Sperrkonto eröffnetes spezielles Kapitaleinzahlungskonto zu leisten sei (Antwort N. 20). 52 SHK ZGB-HAUSHEER/JAUN, 2003, Art. 2 N. 135; BGE 128 III 265 E. 4a. http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19110009/index.html#a689 - 19 - 4.4.1.2. Klägerin Die Klägerin behauptet, das Rechtsbegehren entspreche dem Gesetzes- text von Art. 633 OR. Unzutreffend sei die Behauptung, die Aufforderung gemäss Schreiben vom 3. Oktober 2017 sei rechtlich unmöglich oder eine Aufforderung zu einer rechtswidrigen Handlung (Antwort N. 39 und 40). 4.4.2. Rechtliches Bei einer nachträglichen Leistung der Einlage durch Geld ist die Hinterle- gung des Betrags auf dem Sperrkonto bei einem dem Bankengesetz unter- stellten Institut genauso erforderlich, wie dies bei Bareinlage im Zusam- menhang mit der Gründung notwendig ist (Art. 633 Abs. 1 i.V.m. Art. 652c Abs. 1 OR).53 Der Hinterlegung voran geht die Einzahlung des Geldes. Die Einzahlungsstelle ist gesetzlich nicht geregelt und untersteht keinen beson- deren Anforderungen. Die Sicherungsmechanismen des Obligationen- rechts setzen erst bei der Hinterlegung an; ob das hinterlegte Geld direkt von den Zeichnern oder von einem Dritten als vorgeschaltete Einzahlungs- stelle hinterlegt wird, ist unerheblich.54 4.4.3. Würdigung Die Beklagte verkennt, dass die Hinterlegung nicht mit der Einzahlung des non-versés gleichzusetzten ist. Die Klägerin kann die Beklagte zur Tilgung der Liberierungsschuld auf ein auf sie oder auf die Rechtsvertreterin lau- tendes Konto auffordern, sofern der einbezahlte Betrag anschliessend bei einem Bankinstitut i.S.v. Art. 633 OR hinterlegt wird. Zudem wurde die Beklagte mit eingeschriebenem Brief vom 2. Dezember 2014 aufgefordert, den ausstehenden Teilbetrag auf das Konto der Kläge- rin bei der Bank F. einzuzahlen (KB 16). Die F. diente bereits für die Teil- zahlung von Fr. 50'000.00 anlässlich der Kapitalerhöhung als Depositen- stelle im Sinne von Art. 633 OR (KB 9 und 14). Im Übrigen verlangt die Klägerin mit Rechtsbegehren Ziff. 1 die Einzahlung der restlichen Liberie- rungssumme auf ein Sperrkonto nach Art. 633 Abs. 1 OR. 4.5. Weitere Vorbringen der Beklagten Auch die weiteren (bestrittenen) beklagtischen Behauptungen sind für das vorliegende Verfahren rechtlich unerheblich, da diese die Beklagte nicht von ihrer Liberierungspflicht entbinden. Im Einzelnen: 4.5.1. Misswirtschaft / Tätigkeit des Verwaltungsrats Die Beklagte macht geltend, die Klägerin sei wegen Misswirtschaft über- schuldet (Antwort N. 22; Duplik N. 30). Eine Überschuldung entbindet die Beklagte jedoch nicht von ihrer Liberierungspflicht. Dies selbst dann nicht, 53 FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, 1996, S. 135. 54 ZK OR-CRAMER (Fn. 33), Art. 633 N. 4; WIDMER (Fn. 34), S. 222 f. https://www.swisslex.ch/doc/lawdoc/f00fc08f-a93b-4ea5-a101-ce5968be2a4d/source/document-link https://www.swisslex.ch/doc/lawdoc/f00fc08f-a93b-4ea5-a101-ce5968be2a4d/source/document-link - 20 - wenn über die Gesellschaft bereits der Konkurs eröffnet worden wäre,55 dient das Eigenkapital der Gesellschaft ihren Gläubigern doch gerade als Haftungssubstrat.56 Auch die Behauptungen der Beklagten, die Verwaltungsräte der Klägerin hätten sich über die Jahre erkleckliche sechsstellige Bezüge genehmigt (Antwort N. 22) und der Verwaltungsratspräsident, G., habe während der Generalversammlung vom 5. Oktober 2018 unter Drogeneinfluss gestan- den (Antwort N. 17; Duplik N. 7), sind für das vorliegende Verfahren uner- heblich. Zwar ist der beklagtische Hinweis richtig, dass eine allfällige Miss- wirtschaft des Verwaltungsrats im Rahmen eines Verantwortlichkeitspro- zesses oder eines Strafverfahrens von Belang sein könnte, allerdings ist dies nicht Teil des vorliegenden Verfahrens. Die Liberierungspflicht besteht unabhängig von allfälligen Pflichtverletzungen des Verwaltungsrats. 4.5.2. Rat von einzelnen (ehemaligen) Verwaltungsräten Die bestrittene Behauptung der Beklagten, H. und I. hätten davon abgera- ten, die zweite Tranche einzubezahlen (Duplik N. 29), ist unerheblich. Der Verwaltungsrat hat die Einforderung des non-versés gültig beschlos- sen. Was einzelne gegenwärtige oder ehemalige Verwaltungsratsmitglie- der der Beklagten allenfalls im Vertrauen empfohlen haben, ist rechtlich unbeachtlich. 4.5.3. Aktienbuch / Organisationsreglement Im Zusammenhang mit der bedingungslosen Pflicht (Art. 630 Ziff. 2 OR) zur nachträglichen Leistung von Einlagen auf nicht voll liberierte Aktien ist nicht von Belang, ob die Gesellschaft über ein Aktienbuch oder ein Organi- sationsreglement verfügt. Das Fehlen eines Aktienbuches oder eines Or- ganisationsreglements entbindet die Beklagte nicht von ihrer Liberierungs- pflicht. Daher ist auch unerheblich, ob der ins Recht gelegte Auszug aus dem Aktienbuch (RB 37b) aktuell ist. 4.6. Zwischenfazit Die von der Beklagten vorgebrachten Einreden und Einwendungen führen nicht zur Aufhebung der beklagtischen Liberierungspflicht. Die Beklagte ist damit zur Nachliberierung im Umfang von Fr. 50'000.00 verpflichtet. 5. Verzugszins 5.1. Parteibehauptungen Die Klägerin behauptet, sie habe die Beklagte aufgefordert, das non-versé bis spätestens zum 30. August 2014 zu leisten (Klage N. 18 und 27). Die Beklagte äussert sich nicht zum Verzug. 55 Vgl. BGer 4C.229/2004 vom 9. August 2004 E. 4.; BÖCKLI (Fn. 35), § 4 N. 427. 56 Vgl. VON DER CRONE, Aktienrecht, 2014, § 9 N. 2. - 21 - 5.2. Rechtliches Der Schuldner hat Verzugszins von 5 % zu leisten, wenn er sich mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug befindet (Art. 104 Abs. 1 OR). Schuld- nerverzug setzt die Fälligkeit der Forderung voraus (Art. 102 Abs. 1 OR). Fällig ist eine Forderung dann, wenn deren Gläubiger die Leistung fordern und einklagen darf.57 Gemäss Art. 681 Abs. 1 OR ist ein Aktionär, der den Ausgabebetrag seiner Aktie nicht zur rechten Zeit einbezahlt, zur Zahlung von Verzugszinsen ver- pflichtet. Der Begriff des Ausgabebetrages umfasst sowohl den Nennwert wie auch ein allfälliges Agio (Art. 624 OR). Der Zahlungstermin für die Libe- rierung ergibt sich aus den Statuten oder wird durch Beschluss des Verwal- tungsrats nachträglich festgelegt (Art. 634a Abs. 1 OR). Der Verzug tritt ohne Mahnung ein58 und ist in dem Sinne ein Verfalltag.59 Verzugszinsen sind ab dem ersten Tag nach Ablauf des Zahlungstermins geschuldet.60 5.3. Würdigung Gemäss unbestritten gebliebener Behauptung der Klägerin hat der Verwal- tungsrat die nachträgliche Leistung der Einlage am 18. Juli 2014 beschlos- sen und die Beklagte aufgefordert, die Einlage bis spätestens am 30. Au- gust 2014 zu leisten (Klage N. 18). Die Beklagte ist der Zahlungsaufforde- rung nicht nachgekommen und deshalb am darauf folgenden Tag, dem 31. August 2014, in Verzug geraten. Sie schuldet der Klägerin damit einen Verzugszins von 5 % seit dem 31. August 2014. 6. Fazit Die Klägerin dringt mit ihren Rechtsbegehren vollumfänglich durch. Die Be- klagte ist zur Bezahlung der noch nicht geleisteten Einlage auf ihren nicht voll liberierten Aktien in Höhe von Fr. 50'000.00 zzgl. Verzugszins von 5 % ab dem 31. August 2014 zu verpflichten. 7. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO), werden gemäss Art. 106 Abs. 2 ZPO im Verhältnis des Obsiegens bzw. Unterliegens auferlegt. Die Klägerin obsiegt mit ihrer Klage vollständig, weshalb die Beklagte die Prozesskosten zu tragen hat. 57 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 2014 N. 2153 ff. 58 BSK OR II-KURER/KURER (Fn. 35), Art. 681/682 N. 2 ff.; OFK OR-DEKKER (Fn. 37), Art. 681 N. 4. 59 OFK OR-VISCHER (Fn. 37), Art. 681 N. 4. 60 BK OR-WEBER, 2000, Art. 104 N. 39. - 22 - 7.1. Der Streitwert beträgt vorliegend Fr. 50'000.00. Diese Angabe wurde weder von der Beklagten bestritten noch erscheint sie offensichtlich unrichtig. Bei diesem Streitwert beträgt der Grundansatz für die Gerichtsgebühr Fr. 4'290.00 (§ 7 Abs. 1 VKD). Weil das vorliegende Verfahren weder aus- serordentliche noch nur geringe Aufwendungen erfordert hat (vgl. § 7 Abs. 3 VKD), sind die Gerichtskosten auf Fr. 4'290.00 festzusetzen und ausgangsgemäss von der Beklagten zu tragen. Sie werden mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 4'290.00 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 ZPO). 7.2. Die Parteientschädigung besteht aus den Kosten der berufsmässigen Ver- tretung (Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO). Bei ihrer Festsetzung ist von den kanto- nalen Tarifen auszugehen (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 96 ZPO). Die Grund- entschädigung beträgt gemäss § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 4 AnwT Fr. 8'570.00. Dadurch sind Instruktion, Aktenstudium, rechtliche Abklärungen, Korres- pondenz und Telefongespräche sowie eine Rechtsschrift und die Teil- nahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (§ 6 Abs. 1 AnwT). Der Entfall der Hauptverhandlung (-20%) wird durch eine Erhöhung der Grundentschädigung um 20 % für die zweite Rechtsschrift kompensiert. Zuzüglich einer Auslagenersatzpauschale von 3 % (vgl. § 7 Abs. 2 AnwT) resultiert eine Parteientschädigung von gerundet Fr. 8'827.10. Diese ist von der Beklagten an die Klägerin zu bezahlen. Ein Mehrwertsteuerzuschlag bei der Bemessung der Parteientschädigung setzt neben einem entsprechenden Antrag voraus, dass die Partei nicht selbst mehrwertsteuerpflichtig bzw. vorsteuerabzugsberechtigt ist. Ist eine Partei selbst mehrwertsteuerpflichtig und vorsteuerabzugsberechtigt, wird sie durch die Mehrwertsteuer nicht finanziell belastet.61 Die Klägerin ist selbst mehrwertsteuerpflichtig und vorsteuerabzugsberechtigt,62 weshalb ihr keine MWST zugesprochen werden kann. 61 Vgl. dazu das Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Parteientschädigung vom 11. Januar 2016, verfügbar unter: <https://www.ag.ch/media//jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf> (besucht am 17. Oktober 2019). 62 Vgl. <https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-430.929.003> (besucht am 17. Oktober 2019). - 23 - Das Handelsgericht erkennt: 1. Die Beklagte wird verpflichtet, Fr. 50'000.00 als Einlage im Sinne von Art. 633 des Schweizerischen Obligationenrechts bei einem von der Kläge- rin bezeichneten, dem Bankengesetz vom 8. November 1934 unterstellten Institut zur ausschliesslichen Verfügung der Klägerin einzubezahlen. 2. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Zins zu 5 % auf Fr. 50'000.00 seit dem 31. August 2014 zu bezahlen. 3. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 4'290.00 werden der Beklagten aufer- legt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 4'290.00 verrechnet. Die Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 4'290.00 direkt zu ersetzen. 4. Die Beklagte hat der Klägerin eine gerichtlich festgesetzte Parteientschä- digung in Höhe von Fr. 8'827.10 (inkl. Auslagen) zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) die Beklagte (Vertreter; zweifach) 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 24 - Aarau, 17. Oktober 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: Dubs Schmutz
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https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_17._Oktober_2019.pdf
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2005 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 33 II. Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 4 Art. 80 SchKG; definitive Rechtsöffnung Einzelne verfallene, auf Geld gerichtete Unterhaltsleistungen sind aktiv und passiv vererblich (Erw. 3.2.). Dem Universal- oder Singularsukzessor des Gläubigers einer durch Urteil festgestellten Forderung kann definitive Rechtsöffnung erteilt werden (Erw. 4). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 29. August 2005, i.S. L.M. ca. D.E. Aus den Erwägungen 3. 3.1. (...) 3.2. Mit Eheschutzurteil des Gerichtspräsidenten von Rheinfel- den vom 8. Januar 1996 wurde der Beklagte verpflichtet, seiner am 18. Oktober 2003 verstorbenen Ehefrau, A.E., monatlich vorschüssig einen Unterhaltsbeitrag in der Höhe von Fr. 1'500.-- zu leisten. Das Recht auf Unterhalt als solches (Stammrecht) kann wegen seiner höchstpersönlichen Natur weder abgetreten noch gepfändet werden. Es erlischt mit dem Tod der berechtigten oder verpflichteten Person und ist damit weder aktiv noch passiv vererblich (Hasenböh- ler, Basler Kommentar, 2.A., Basel/Genf/München 2002, N 28 zu Art. 163 ZGB; Bräm/Hasenböhler, Zürcher Kommentar, 3. A., Zü- rich 1998, N 146 zu Art. 163 ZGB; Tuor, Berner Kommentar, 2. A., Bern 1952, N 13 zur Einleitung Kommentar Erbrecht; Escher, Zür- cher Kommentar, 3. A., Zürich 1959, N 5 zur Einleitung Kommentar Erbrecht). Einzelne verfallene, auf Geld gerichtete Unterhaltsleistun- gen können indessen abgetreten oder gepfändet werden (Hasenböh- ler, a.a.O., N 28 zu Art. 163 ZGB; Bräm/Hasenböhler, a.a.O., N 146 2005 Obergericht 34 zu Art. 163 ZGB), und sind aktiv und passiv vererblich (Bühler/ Spühler, Berner Kommentar, 3. A., Bern 1980, N 32 zu aArt. 153 ZGB m.w.H.; Spühler/Frei-Maurer, Berner Kommentar, Bern 1991, N 32 zu aArt. 153 ZGB; Schwarzenbach, Die Vererblichkeit der Leistungen bei Scheidung [Art. 151 und 152 ZGB], Zürich 1987, S. 53; Hinderling/Steck, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. A., Zürich 1995, S. 346 Anm. 2a) in fine; Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 11 zu Art. 130 ZGB). 4. 4.1. Das - gemäss Rechtskraftbescheinigung in Rechtskraft er- wachsene - Eheschutzurteil des Gerichtspräsidiums Rheinfelden vom 8. Januar 1996 bildet einen definitiven Rechtsöffnungstitel für die in Betreibung gesetzten Unterhaltsbeiträge. Im vorliegenden Vollstrek- kungsverfahren werden die Beiträge allerdings nicht von der aus dem Urteil berechtigten Unterhaltsgläubigerin, sondern vom Kläger in ei- genem Namen als Vertreter und Willensvollstrecker der Erbenge- meinschaft der Unterhaltsgläubigerin geltend gemacht, welche zufol- ge Universalsukzession in die Rechte und Pflichten der verstorbenen A.E. eingetreten ist. 4.2. Umstritten ist, ob dem Universal- oder Singularsukzessor des Gläubigers einer durch Urteil festgestellten Forderung definitive Rechtsöffnung erteilt werden kann. Nach Stücheli (Die Rechtsöff- nung, Zürich 2000, S. 173 f.) darf dem Gläubiger lediglich proviso- rische Rechtsöffnung erteilt werden, selbst wenn die Forderung ge- genüber dem ursprünglichen Gläubiger durch einen definitiven Rechtsöffnungstitel ausgewiesen ist, da dem Schuldner offen stehen müsse, die Voraussetzungen der Subrogation durch glaubhafte Ein- wendungen und zusätzlich im ordentlichen Prozess zu bestreiten. Da provisorische Rechtsöffnung für eine auf einem definitiven Rechts- öffnungstitel beruhende Forderung indes unmöglich ist, kann entge- gen der Auffassung von Stücheli auch diesfalls zu Gunsten des Rechtsnachfolgers definitive Rechtsöffnung gewährt werden (Stae- helin/Bauer/Staehelin, Basler Kommentar, Basel 1998, N 35 zu Art. 80 SchKG m.w.H.; AGVE 1992 Nr. 10 S. 60 ff.; Urteil der 3. Zi- vilkammer des Obergerichts vom 20. Januar 2003 i.S. G.J. ca. H.T.).
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AG_HG_001
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AG_HG_001_AGVE-2005-4_2005-08-03
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-4.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-4.pdf
AGVE_2005_4
null
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749a151d-e0cf-4fa3-8386-c8eea4090bbf
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.101 / as / mv Entscheid vom 18. November 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin a AG, Obere Hönggerstrasse 1, 8103 U. Gesuchsgegne- rin S. AG, _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in U. (ZH). Gemäss Handelsregister bezweckt sie im Wesentlichen _. 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in A. (OW). Sie hat gemäss Handelsregister insbesondere _ zum Zweck. Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grdst.-Nr. 123 B. (E- GRID: 98785 44568 12). 3. Mit Gesuch vom 17. November 2020 (Postaufgabe: 17. November 2020) stellte die Gesuchstellerin folgende Rechtsbegehren: [...] Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit 1.1. Örtliche Zuständigkeit Bei der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts handelt es sich um einen Anwendungsfall des vorsorglichen Rechtsschutzes i.S.v. Art. 261 ff. ZPO.1 Für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ist deshalb das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Massnahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Er- richtung gesetzlicher Pfandrechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grundbuch aufgenommen ist, zuständig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Das Grundstück der Gesuchsgegnerin, auf welchem die Gesuchstel- lerin ein Bauhandwerkerpfandrecht vorläufig eintragen lassen will, befindet sich in B. (AG). Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist gegeben. 1.2. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters am Handelsgericht für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO und § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO AG, da die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist, ge- gen den Entscheid – bei einem behaupteten Streitwert von Fr. 128'380.23 (vgl. Art. 51-53 BGG) – die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesge- richt offen steht und die Parteien im schweizerischen Handelsregister ein- getragen sind. 1 BGE 137 III 563 E. 3.3. - 3 - 2. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 2.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 2.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.2 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.3 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.4 3. Pfandsumme 3.1. Parteibehauptungen Unter Art der vereinbarten Leistungen führt die Gesuchstellerin "Bauvisiere, Revision Baugesuch, 3 Nachträge" an. Weitere Behauptungen zu mögli- chen pfandberechtigten Forderungen fehlen. Aus den eingereichten Unter- lagen ergibt sich, dass die Gesuchstellerin mit planerischen Leistungen wie insbesondere der Erstellung und Abänderung der Baueingabe beauftragt wurde. Zudem war sie für die Bauvisiere bzw. Baugespanne verantwortlich. 3.2. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des 2 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. 3 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 4 SCHUMACHER (Fn. 2), N. 1395. - 4 - Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.5 Hat ein Unternehmer sowohl Arbeit als auch Material zu liefern, ist beides bzw. ist die gesamte Vergütungsforderung des Unternehmers pfandbe- rechtigt, unabhängig davon, ob es sich beim Material um vertret- oder un- vertretbare Sachen handelt.6 Für blosse Materiallieferungen oder intellek- tuelle Arbeitsleistungen kann hingegen kein Bauhandwerkerpfandrecht ein- getragen werden. Dies gilt bspw. für architektonische Leistungen.7 Bildet geistige Arbeit jedoch mit den physischen Arbeitsleistungen eine funktio- nelle Gesamtleistung, so ist sie ebenfalls pfandberechtigt. Deshalb sind die Vergütungsansprüche der General- und Totalunternehmer regelmässig vollumfänglich pfandberechtigt.8 3.3. Würdigung Vorliegend trägt die Gesuchstellerin mit Ausnahme der Bauvisiere nirgends glaubhaft vor, dass sie am Grdst.-Nr. 123 GB B. pfandrechtsberechtigte Leistungen vereinbart bzw. effektiv erbracht hat. Ihre Arbeiten bezogen sich vielmehr auf intellektuelle Leistungen im Zusammenhang mit dem Bauge- such bzw. den entsprechenden Abänderungen. Aus den Behauptungen der Gesuchstellerin geht auch nicht hervor, wie hoch ihr Aufwand im Zu- sammenhang mit den allenfalls nach der Revision von Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB neu pfandrechtsberechtigten Bauvisiere ist.9 Mangels eines schlüs- sigen Vortrags kann damit offen bleiben, ob zumindest diese Leistungen pfandrechtsberechtigt wäre. Das Gesuch der Gesuchstellerin vom 17. No- vember 2020 ist daher abzuweisen. 4. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 4.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 1'500.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). 5 SCHUMACHER (Fn. 2), N. 436, 438 und 547. 6 SCHUMACHER (Fn. 2), N. 295. 7 BGE 136 III 6 E. 5.2; vgl. BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 2) Art. 839/840 N. 4. 8 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 27; vgl. auch BGE 136 III 6 E. 5.3. 9 Vgl. dazu BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 2) Art. 839/840 N. 5a m.w.N. - 5 - 4.2. Der Gesuchsgegnerin sind bislang keine Aufwendungen entstanden, zu- mal ihr das Gesuch noch nicht einmal zugestellt wurde. Eine Parteientschä- digung wird deshalb nicht zugesprochen. Der Vizepräsident erkennt: 1. Das Gesuch vom 17. November 2020 wird abgewiesen. 2. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'500.00 werden der Gesuchstellerin auferlegt. 3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. Zustellung an: die Gesuchstellerin (mit Einzahlungsschein) die Gesuchsgegnerin (inkl. Doppel des Gesuchs vom 17. November 2020 [inkl. Beilagen]) - 6 - Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 18. November 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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2010 Obergericht 44 4 Art. 12 lit. a BGFA. Verpasste Rechtsmittelfrist: Dafür zu sorgen, dass Rechtsmittelfristen eingehalten werden, ist eine zentrale und wichtige Aufgabe eines Anwalts. Ein Rechtsanwalt muss wissen, wie eine Frist zu berechnen ist und ob die Gerichtsferien im jeweiligen Fall Geltung haben. Dafür ist es zwingend notwendig, den jeweiligen Gesetzestext zu konsultieren, und es wird vor- ausgesetzt, dass die herrschende Lehre und Gerichtspraxis dazu bekannt sind. Es liegt daher eine Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA vor, wenn ein Anwalt die Frist falsch berechnet und in einem Haftfall (§ 52 Abs. 1 Satz 2 StPO) die Frist zur Einreichung eines Rechtmittels verpasst. Aus den Entscheiden der Anwaltskommission vom 20. August 2010, i.S. G. und L. (AVV.2010.2 und AVV.2010.3)
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2003 Obergericht/Handelsgericht 38 D. Obligationenrecht 6 Verzugsauslösende Mahnung (Praxisänderung) Rechnungen mit dem Vermerk "netto 30 Tage" gelten gleichzeitig als verzugszinsauslösende Mahnung im Sinne von Art. 102 Abs. 1 OR. Beschluss der 1.-5. Zivilkammer des Obergerichts und des Handelsgerichts Die 1.-5. Zivilkammer des Obergerichts und das Handelsgericht haben gestützt auf den von Obergerichtsschreiber D. Rüetschi veröffentlichten Aufsatz "Zahlbar 30 Tage netto" (SJZ 2003 S. 341 ff.) beschlossen, dass eine Rechnung mit dem Vermerk "netto 30 Tage" in Abweichung von der bisherigen Praxis (AGVE 1998 Nr. 4 S. 34 ff.) als verzugszinsauslösende Mahnung zu qualifizieren ist.
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