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de
Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.56 Entscheid vom 29. Juni 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiberin Ruff Gesuchstellerin S. GmbH, _ vertreten durch lic. iur. Josef Schaller, Rechtsanwalt, Chr.-Schnyder- Strasse 1c, 6210 Sursee Gesuchsgegne- rin S. AG, _ vertreten durch lic. iur. Lukas Blättler und lic. iur. Karin Minet, Rechtsan- wälte, Dufourstrasse 40, Postfach 3020, 8034 Zürich Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Verfügungsbeschränkung - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in L. Sie bezweckt im Wesentlichen die Planung und Erstellung von Hoch- und Tiefbauten, insbesondere als General- und Totalunternehmerin (Ge- suchsbeilage [GB] 2). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in E. (OW). Sie hat insbesondere den Erwerb, das Halten und Verwalten von Immobilien zum Zweck (GB 3) 3. Mit Gesuch vom 26. Juni 2020 (Postaufgabe: 26. Juni 2020) stellte die Ge- suchstellerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Es sei das Grundbuchamt A. gerichtlich anzuweisen, zu Gunsten der Gesuchstellerin auf der der Gesuchsgegnerin gehörenden Parzelle, Grundbuchblatt Nr. 555 der Gemeinde B., E-GRID 987, Liegenschaft Plan Nr. 10 eine Verfügungsbeschränkung im Sinne von Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB einzutragen. 2. Die Massnahme gemäss Ziffer 1 sei superprovisorisch anzuordnen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der ." Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche Zustän- digkeit des angerufenen Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 1.1. Örtliche Zuständigkeit Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ist das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Massahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Dies gilt auch für den Erlass superprovisorischer Massnahmen. Vorliegend beantragt die Gesuchstellerin, es sei das Grundbuch Laufen- burg anzuweisen, zugunsten der Gesuchstellerin auf der Parzelle der Ge- suchsgegnerin in der Gemeinde B. (AG) eine Verfügungsbeschränkung - 3 - i.S.v. Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB vorzunehmen. Diese Massnahme wäre im Kanton Aargau zu vollstrecken, weshalb die aargauischen Gerichte örtlich zuständig sind.1 1.2. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts für den Erlass vorsorgli- cher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO i.V.m. § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO. Sie ist gegeben, da die geschäftli- chen Tätigkeiten beider Parteien betroffen sind, der Streitwert aufgrund des im Kaufvertrag vom 1. Februar 2019 vereinbarten Kaufpreises Fr. 9'085'000.00 beträgt (vgl. GB 9), gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG im allfälligen Hauptsacheverfahren offen steht und beide Parteien im schwei- zerischen Handelsregister eingetragen sind. 2. Voraussetzungen vorsorglicher Massnahmen 2.1. Allgemeine Voraussetzungen Gemäss Art. 261 Abs. 1 ZPO trifft das Gericht die notwendigen vorsorgli- chen Massnahmen, wenn die gesuchstellende Partei glaubhaft macht, dass ein ihr zustehender Anspruch verletzt ist oder eine Verletzung zu be- fürchten ist (lit. a) und ihr aus der Verletzung ein nicht leicht wieder gutzu- machender Nachteil droht (lit. b). Art. 265 Abs. 1 ZPO sieht vor, dass bei besonderer Dringlichkeit, insbesondere Vereitelungsgefahr, das Gericht die vorsorgliche Massnahme sofort und ohne Anhörung der Gegenpartei anordnen kann (sog. superprovisorische Massnahmen). Voraussetzungen zum Erlass superprovisorischer Massnahmen sind folg- lich a) die Verletzung oder Gefährdung eines materiellen Anspruchs (sog. Hauptsachenprognose bzw. Verfügungsanspruch), b) der Umstand, dass die drohende Verletzung des zu schützenden Rechts einen nicht leicht wie- der gutzumachenden Nachteil zur Folge hat (sog. Nachteilsprognose bzw. Verfügungsgrund) sowie c) eine qualifizierte zeitliche Dringlichkeit.2 Schliesslich hat die anzuordnende vorsorgliche Massnahme verhältnis- mässig zu sein.3 1 Vgl. auch SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 29 N. 30a f. m.w.N. 2 Vgl. hierzu HUBER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 261 N. 17 ff. und Art. 265 N. 7 ff.; BSK ZPO-SPRECHER, 3. Aufl. 2017, Art. 261 N. 10 ff. und Art. 265 N. 6 ff.; ZÜRCHER in: Brunner/Gasser/Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2016, Art. 261 N. 5 ff. 3 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 23; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 10 ff.; ZÜRCHER (Fn. 2), Art. 261 N. 33 ff. - 4 - 2.2. Glaubhaftmachung Das Vorliegen der den Erlass vorsorglicher Massnahmen begründenden Tatsachen muss die Gesuchstellerin glaubhaft machen.4 Glaubhaft ge- macht ist eine Behauptung, wenn der Richter von ihrer Wahrheit nicht völlig überzeugt ist, sie aber überwiegend für wahr hält, obwohl nicht alle Zweifel beseitigt sind. Für das Vorhandensein der behaupteten Tatsachen müssen folglich gewisse Elemente sprechen, auch wenn das Gericht noch mit der Möglichkeit rechnet, dass diese sich nicht verwirklicht haben könnten.5 3. Hauptsachenprognose Ob vorliegend die von der Gesuchstellerin behauptete Hauptsachenprog- nose gegeben ist, kann offen bleiben, da das Gesuch – wie nachfolgend zu zeigen sein wird – bereits aufgrund der nicht glaubhaft gemachten Nach- teilsprognose abzuweisen ist. 4. Nachteilsprognose 4.1. Behauptungen der Gesuchstellerin Die Gesuchstellerin behauptet, sie sei bereits im Besitze einer Baubewilli- gung für den Neubau von neun Familienhäusern (Gesuch Rz. III./4 f.; GB 19). Sie habe Kaufinteressenten, welche bereit seien, die streitgegen- ständliche Parzelle samt Baubewilligung zu erwerben. Das entsprechende Rechtsgeschäft sei jedoch blockiert, da die Gesuchsgegnerin zu Unrecht im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen sei. Mit einem raschen Ent- scheid, der es der Gesuchsgegnerin verbieten würde, die Liegenschaft an Dritte zu veräussern, hätten die neuen Investoren eine entsprechende Pla- nungssicherheit und es werde gewährleistet, dass der Eigentumsanspruch der Gesuchstellerin und die Rückübertragung an die Gesuchstellerin zu- dem gesichert bleibe (Gesuch Rz. III./6 f.). Die Gesuchstellerin sei am 9. Juni 2020 zudem mit der Überweisung eines Barbetrags von Fr. 450'000.00 an die V. GmbH konfrontiert worden. Dies gestützt auf die Zahlungsvereinbarung, wonach ein Betrag von Fr. 450'000.00 an die V. GmbH und ein Betrag von Fr. 450'000.00 auf das Konto des Advokaturbüros S.V., A., in bar zu überweisen seien (GB 20). Durch die zu Unrecht erfolgte Handänderung und Eigentumsübertragung drohe der Gesuchstellerin, eine Zahlung von Fr. 900'000.00 ohne Rechts- grund leisten zu müssen, für welche sich die Gesuchsgegnerin im Vertrag gar verpflichtet habe, diese jedoch bis heute nie ausgelöst noch ein unwi- derrufliches und vertragskonformes Zahlungsversprechen dafür übergeben habe. Zur Vermeidung der Zahlung sei auch in dieser Hinsicht eine Verfü- gungsbeschränkung einzutragen (Gesuch Rz. III./11.). 4 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 25. 5 BGE 130 III 321 E. 3.3; BÜHLER, Beweismass und Beweiswürdigung bei Gerichtsgutachten, in: Fell- mann/Weber (Hrsg.), Tagungsband HAVE, Der Haftpflichtprozess, Tücken der gerichtlichen , 2006, S. 43; HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 25. - 5 - 4.2. Rechtliches Die Gesuchstellerin hat glaubhaft zu machen, dass ihr aus der Verletzung eines ihr zustehenden Anspruchs ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht (Art. 261 Abs. 1 lit. b ZPO). Zu beantworten sind damit die beiden Fragen, ob Nachteile drohen, wenn keine vorsorglichen Massnah- men angeordnet werden und, für den Fall, dass keine vorsorglichen Mass- nahmen angeordnet werden und der befürchtete Nachteil daher eintritt, ob dieser mit einem anschliessenden Hauptsacheverfahren leicht wieder gut- zumachen ist.6 Nachteile sind jegliche Beeinträchtigungen der gesuchstel- lenden Partei sowohl tatsächlicher wie auch rechtlicher Art, materieller als auch immaterieller Natur.7 Auch bloss faktische Erschwernisse genügen.8 Ausreichend ist bereits die Gefährdung oder Verzögerung der Vollstre- ckung eines in erster Linie auf Realerfüllung gerichteten Anspruchs. Als Nachteil kommt insbesondere auch eine Beeinträchtigung in der Ausübung absoluter Rechte in Betracht.9 Der Nachteil muss ein zukünftiger sein. Bei bereits eingetretenen Nachteilen können vorsorgliche Massnahmen nur dann Platz haben, wenn eine weitere Benachteiligung droht.10 Weiter muss der Nachteil nicht leicht wieder gutzumachen sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn das Hauptsachenurteil abgewartet werden kann und dieses der gesuchstellenden Partei hinreichenden Rechtsschutz bie- tet.11 Nachteile sind etwa dann nicht leicht wieder gutzumachen, wenn sie später nicht mehr ermittelt, bemessen oder ersetzt werden können, etwa weil sie durch Geldleistung nicht oder nur unvollständig aufgewogen wer- den können, d.h. wenn ein rein ökonomischer Ausgleich keinen vollwerti- gen Ersatz begründet.12 Bei rein finanziellen Nachteilen ist zusätzlich vo- rausgesetzt, dass bei der Gegenpartei beispielsweise mangelnde Zah- lungsfähigkeit zu befürchten respektive die Vollstreckung finanzieller An- sprüche zweifelhaft wäre oder der Schaden später nur schwer nachgewie- sen oder eingefordert werden könnte.13 6 BK ZPO II-GÜNGERICH, 2012, Art. 261 N. 30 ff. 7 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 20 m.w.N.; BK ZPO II-GÜNGERICH (Fn. 6), Art. 261 N. 34; BSK ZPO- SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 29; ZÜRCHER (Fn. 2), Art. 261 N. 25; STAEHELIN/STAEHELIN/ GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2019, § 22 N. 10. 8 BK ZPO II-GÜNGERICH (Fn. 6), Art. 261 N. 34. 9 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 20 m.w.N.; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 28b. 10 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 21; BK ZPO II-GÜNGERICH (Fn. 6), Art. 261 N. 35; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 28a; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND (Fn. 7), § 22 N. 10. 11 BK ZPO II-GÜNGERICH (Fn. 6), Art. 261 N. 36. 12 HUBER (Fn. 2), Art. 261 N. 20 m.w.N.; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 34; ZÜRCHER (Fn. 2), Art. 261 N. 29; BAUDENBACHER/GLÖCKNER, in: Baudenbacher (Hrsg.), Lauterkeitsrecht, 2001, Art. 14 N. 22. 13 ZR 112/2013 Nr. 67 S. 243 E. 7; HGer ZH HE130180 vom 27. September 2013 E. 2.3.1 und 2.3.4; vgl. auch BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 2), Art. 261 N. 34; SHK ZPO-TREIS, 2010, Art. 261 N. 8; , Die Nachteilsprognose als Voraussetzung des vorsorglichen Rechtsschutzes, in: sic! 4/2000 S. 265-274, 270 f m.w.N. - 6 - 4.3. Würdigung Ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil wäre zwar zu bejahen, wenn die Gesuchsgegnerin das umstrittene Grundstück tatsächlich an ei- nen Dritten verkaufen würde. Vorliegend ist jedoch nicht glaubhaft darge- legt worden, dass solches droht. Es sind schlicht keine Anhaltspunkte vor- gebracht worden, wonach glaubhaft erscheint, dass die Gesuchsgegnerin das umstrittene Grundstück demnächst an einen Dritten verkaufen wird. Vielmehr bringt die Gesuchstellerin einzig vor, die Gesuchsgegnerin könne die Liegenschaft aufgrund ihrer uneingeschränkten Verfügungsbefugnis je- derzeit an Dritte veräussern und so den Rückabwicklungsanspruch und die Eigentumsübertragung an die Gesuchstellerin problemlos vereiteln (Ge- such Rz. III./9). Das Aufzeigen einer solchen bloss abstrakten Vereite- lungsgefahr reicht nicht aus, um die verlangte Nachteilsprognose glaubhaft zu machen. Mit der Behauptung der Gesuchstellerin, sie habe bereits andere Kaufinte- ressenten, welche bereit seien, das fragliche Grundstück zu erwerben, das Rechtsgeschäft sei jedoch derzeit wegen der unrechtmässigen Eintragung der Gesuchsgegnerin als Eigentümerin im Grundbuch blockiert, vermag die sie ebenfalls nicht die verlangte Nachteilsprognose darzutun: Selbst wenn das vorliegend beantrage Gesuch um Vormerkung einer Verfügungsbe- schränkung gutgeheissen würde, verbliebe das Grundstück im Eigentum der Gesuchsgegnerin und die Gesuchstellerin könnte das fragliche Grund- stück nicht an die interessierten Kaufinteressenten verkaufen. Die Gesuchstellerin legt schliesslich auch nicht dar, inwiefern die ersuchte Verfügungsbeschränkung sie von der Verpflichtung zur Bezahlung von je Fr. 450'000.00 an die V. GmbH und das Advokaturbüro S.V. entbinden würde. Gemäss Ziff. 2.2 Übernahmevertrag vom 4. November 2016 (GB 8) ist die Zahlung innert 10 Tagen seit Eintragung der Handänderung im Grundbuch, Tagebuch, vorzunehmen. Der von der Gesuchstellerin be- hauptete Nachteil der Zahlung droht damit selbst bei Anordnung einer Ver- fügungsbeschränkung, weil die Handänderung im Grundbuch bereits ein- getragen worden ist und die beantragte Verfügungsbeschränkung hieran nichts ändern würde. 5. Fazit Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer vorsorglichen Massnahme gestützt auf den behaupteten Sachverhalt mangels fehlender Nachteilsprognose nicht erfüllt sind, weshalb das Ge- such um Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung i.S.v. Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB abzuweisen ist. 6. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und - 7 - Art. 106 Abs. 1 ZPO). Da das Gesuch abgewiesen wird, unterliegt die Ge- suchstellerin vollumfänglich. 6.1. Gerichtskosten Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 2'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD, SAR 221.150). Die Gesuchstellerin hat diese mit dem beiliegenden Einzahlungsschein zu bezahlen. 6.2. Parteientschädigung Der Gesuchsgegnerin ist mit vorliegendem Gesuch kein Aufwand entstan- den. Ihr ist daher keine Parteientschädigung zuzusprechen. Der Vizepräsident erkennt: 1. Das Gesuch vom 26. Juni 2020 wird abgewiesen. 2. 2.1. Die Gerichtskosten im Umfang von Fr. 2'000.00 werden der Gesuchstelle- rin auferlegt. 2.2. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreter; zweifach mit Einzahlungsschein) die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach mit Doppel des Gesuchs vom 26. Juni 2020 [inkl. Beilagen]) Mitteilung an: die Obergerichtskasse Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. - 8 - Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 29. Juni 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiberin: Vetter Ruff
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AG_HG_002
AG_HG
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de
2010 Obergericht 46 [...] 8 Art. 33 StGB. Eine strafrechtlich relevante Drohung oder Täuschung, durch die der Rückzug des Strafantrags bewirkt wurde, hindert die Wirksamkeit der Erklärung des Rückzugs. Die nach der bundesgerichtlichen Rechtspre- chung fehlende (analoge) Anwendbarkeit von Art. 23 ff. OR kann nicht zur Folge haben, dass das StGB ein Verhalten belohnt, dass es selbst an- derweitig pönalisiert. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 19. August 2010, i.S. M.A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (SST.2010.82)
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AG_HG_001
AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2010-8_2010-08-01
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951,955,200,000
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2000 Obergericht 54 [...] 13 §§ 198 ff. ZPO. Die Verwertung widerrechtlich erlangter Beweismittel ist nicht generell abzulehnen, sondern von einer Interessenabwägung im Einzelfall abhän- gig zu machen. In casu Verwertbarkeit verneint. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Zivilkammer, vom 23. März 2000 in Sachen S.S. gegen C.T. Sachverhalt S. behauptete, er habe seinem Neffen T. zur Finanzierung eines Hausbaus ein Darlehen ausgerichtet. Im Verfahren reichte er eine Tonbandaufnahme eines Telefongesprächs zwischen ihm und T. ein. 2000 Zivilprozessrecht 55 S. führte aus, anlässlich dieses Gesprächs habe T. die Darlehens- schuld anerkannt. Aus den Erwägungen 1. c) Die Vorinstanz hat zu Recht festgestellt, dass die Verwer- tung von widerrechtlich erlangten Beweismitteln in der Lehre teil- weise kontrovers diskutiert wird. Nach wohl herrschender Lehre kennt aber das schweizerische Zivilprozessrecht keine Regel, wo- nach widerrechtlich erlangte Beweismittel prozessual generell nicht verwertbar seien (SJZ 92 (1996) S. 360). Vielmehr wird bei Vorlie- gen rechtswidrig erlangter Beweismittel die Verwertbarkeit von einer Interessenabwägung im Einzelfall abhängig gemacht (Edelmann, N 28 zu Vorbem. §§ 198-269, in Bühler / Edelmann / Killer, Kom- mentar zur aargauischen ZPO, 1998). aa) Vorweg ist zu den diesbezüglichen Einwänden des Klägers festzuhalten, dass die Feststellung, ein Beweismittel sei rechtswidrig erlangt worden, kein strafrechtliches Verfahren voraussetzt. Erstens kann sich die Widerrechtlichkeit nicht allein aus dem Strafrecht son- dern vielmehr auch aus einer zivilrechtlichen Persönlichkeitsverlet- zung ergeben. Zweitens ist es dort, wo der Strafrichter darüber nicht entschieden hat, Aufgabe des Zivilrichters, vorfrageweise zu prüfen, ob Tatbestand und Rechtswidrigkeit gegeben sind. Da es im Zivil- prozess nicht um Schuld oder Unschuld des Täters geht sondern nur um die Zulassung eines Beweismittels, kommt hier auch nicht die Unschuldsvermutung zur Anwendung. bb) Es ist unbestritten, dass der Kläger ein Telefongespräch zwischen ihm selbst und dem Beklagten auf einen Tonträger aufge- nommen hat. Die Äusserungen, welche der Beklagte im Telefonge- spräch gegenüber seinem Onkel gemacht haben soll, sind Teil seiner Privatsphäre, beziehen sie sich doch auf seine privaten finanziellen Angelegenheiten und hat er doch zu seinem Onkel während mehre- 2000 Obergericht 56 ren Jahren in sehr naher Beziehung gestanden. Der Kläger hat diese Äusserungen auf einen Tonträger aufgenommen, um sie Dritten vor- zuspielen. Dass er Dritten angeboten hat, das Tonband anzuhören, ergibt sich auch aus der diesbezüglich glaubhaften Aussage von R.M.. Mit dieser Aufnahme hat der Kläger die Persönlichkeitsrechte des Beklagten verletzt. Ob eine Persönlichkeitsverletzung allein auch schon dadurch erfolgt ist, dass der Kläger andere Personen das Tele- fongespräch mithören liess, kann hier offen bleiben. Jedenfalls kann aber nicht gesagt werden, dass infolge dieses Mithörens gar nicht die Privatsphäre des Beklagten betroffen sei, hat dieser doch weder in das Mithören eingewilligt, noch überhaupt davon gewusst. cc) Die erfolgte Persönlichkeitsverletzung kann hier nicht ge- rechtfertigt werden: Dass der Beklagte nicht in die Aufnahme einge- willigt hat, ist schon deshalb sicher, weil nicht einmal der Kläger, an welchen sich eine dahingehende Einwilligung hätte richten müssen, das Vorliegen einer solchen positiv behauptet. Was allfällige über- wiegende Interessen betrifft, so herrscht im vorliegenden Verfahren die Dispositions- und die Verhandlungsmaxime; ein öffentliches Interesse an der Wahrheitsfindung besteht nicht. Ferner: Wer sicher gehen will, dass ihm ein Darlehen zurückerstattet wird, lässt sich dessen Hingabe schriftlich bescheinigen. Wer auf eine solche Be- scheinigung verzichtet, nimmt Schwierigkeiten bei der Geltendma- chung der Darlehensforderung bewusst in Kauf. Dies gilt unabhängig von der Person des Vertragspartners, ist doch allgemein bekannt, dass Konflikte zwischen einander nahestehenden Personen nicht seltener und im Fall ihres Ausbruchs meist heftiger sind, als zwi- schen Fremden. Des Weiteren kann zwar nicht generell gesagt wer- den, die Summe von Fr. 32'000.-- sei ein geringer Betrag. Berück- sichtigt man aber, dass der Kläger diesen Betrag seinem Treuhänder nicht angegeben hat, so fällt er jedenfalls in seiner Buchhaltung nicht ins Gewicht. Der Einwand des Klägers, eine vom Beklagten allenfalls begangene falsche Beweisaussage sei gewichtiger als seine rechtswidrige Aufnahme des Telefongesprächs, stösst ins Leere. Das 2000 Zivilprozessrecht 57 geltend gemachte Strafverfolgungsinteresse kann im Rahmen der hier gegeneinander abzuwägenden Interessen nicht berücksichtigt werden: Es ist nämlich nicht die Aufgabe des vorliegenden Zivilprozesses, eine allfällige Straftat einer Partei aufzudecken oder einen dahingehenden Verdacht zu erhärten. dd) Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob über die widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung hinaus auch ein straf- rechtliches Unrecht gegeben ist. Der vom Kläger als Beweis offe- rierte Tonträger ist jedenfalls - unabhängig davon, ob der Beweis für die ganze Forderung oder einen Teil davon auf andere Weise erbracht werden kann oder nicht - nicht als Beweismittel anzuerkennen und die diesbezüglichen Begehren des Klägers sind abzuweisen.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 1. Kammer HOR.2018.42 / ts / ts Art. 195 Urteil vom 28. November 2019 Besetzung Oberrichter Dubs, Präsident Ersatzrichter Boner Handelsrichter Alberati Handelsrichter Felber Handelsrichter John Gerichtsschreiberin Schmutz Klägerin und Wi- derbeklagte A._, Beklagte und Wi- derklägerin B._, vertreten durch lic. iur. Hubert Gmünder, Rechtsanwalt, Poststrasse 23, Postfach 1936, 9001 St. Gallen Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin und Widerbeklagte (nachfolgend: die Klägerin) ist eine Aktien- gesellschaft mit Sitz in Z. Sie bezweckt im Wesentlichen den Betrieb eines Baugeschäftes, die Ausführung von Hoch- und Tiefbauarbeiten, Umbauten und Renovationen (vgl. notorischer Handelsregisterauszug der Klägerin). 2. Die Beklagte und Widerklägerin (nachfolgend: die Beklagte) ist eine Akti- engesellschaft mit Sitz in Y. Sie bezweckt im Wesentlichen die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Grundstücken im In- und Aus- land [...] (vgl. notorischer Handelsregisterauszug der Beklagten). Die Beklagte ist Eigentümerin des Grundstücks GB Y. Nr. [123] (E-GRID: CH [789] [nachfolgend: Grundstück Nr. [123]]; Klagebeilage [KB] 9). 3. Die Beklagte hat mit der C. einen Vertrag über die Überbauung des Grund- stücks Nr. [123] abgeschlossen. Diese hat mit der D. einen Generalunter- nehmervertrag abgeschlossen (Antwortbeilage [AB] 2). Diese wiederum hat die Baumeisterarbeiten an die E. als Subunternehmerin übertragen. Die E. ihrerseits hat die Klägerin als Sub-Subunternehmerin beigezogen (KB 1; Antwort N. 3). 4. Die Klägerin hat die von ihr erbrachten Leistungen jeweils der E. in Rech- nung gestellt (KB 2-6; wobei die Klägerin fälschlicherweise behauptet, sie hätte die Rechnungen der Beklagten gestellt, vgl. Klage Abs. 7-12; Antwort N. III.A.1 und III.A.7). Die Rechnungen blieben in der Folge unbezahlt. Am 23. November 2017 stellte die Klägerin eine Gesamtrechnung von Fr. 37'947.10 an die D. (KB 7), welche auch unbezahlt blieb (wobei die Klä- gerin fälschlicherweise behauptet, sie hätte die Rechnung der Beklagten gestellt, vgl. Klage Abs. 13; Antwort N. III.A.7). 5. Die Klägerin betrieb die Beklagte in der Folge für einen Betrag von Fr. 37'947.10 zuzüglich Zins zu 5 % seit 18. Dezember 2017. Gegen den Zahlungsbefehl vom 13. März 2018 erhob die Beklagte am 12. April 2018 Rechtsvorschlag (KB 8). 6. Mit Klage vom 29. November 2018 (Postaufgabe: gleichentags) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: - 3 - " 1. Die Beklagte habe der Klägerin den Betrag von Fr. 37'947.10 nebst Zins zu 5 % seit 18.12.2017 zu bezahlen. 2. Der Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. 137194 des Betreibungs- amtes W. sei aufzuheben 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten." Zur Begründung wurde ausgeführt, es handle sich um Ansprüche aus er- brachten Bauleistungen. 7. Mit Klageantwort und Widerklage vom 28. Januar 2019 (Postaufgabe: glei- chentags) stellte die Beklagte die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die Klage sei abzuweisen; 2. Es sei festzustellen, dass die Beklagte und Widerklägerin der Klä- gerin und Beklagten (sic!) den mit Betreibung Nr. 137194 des Y. vom 13. März 2018 betriebenen Betrag von CHF 37'947.102 nebst Zinsen und Kosten nicht schuldet; 3. Die Betreibung Nr. 137194 des Betreibungsamtes Y. vom 13. März 2018 sei aufzuheben; unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Klägerin und Wi- derbeklagten." Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestehe weder eine vertragliche noch eine gesetzliche Haftungsgrundlage für die Forderung. 8. Mit Klagereplik und Widerklageantwort vom 20. März 2019 (Postaufgabe: 21. März 2019) und Widerklageduplik vom 10. Mai 2019 (Postaufgabe: gleichentags) hielt die Klägerin an ihren Rechtsbegehren fest. 9. Mit Klageduplik und Widerklagereplik vom 16. April 2019 (Postaufgabe: gleichentags) hielt die Beklagte an ihren Rechtsbegehren fest. 10. Mit Verfügung vom 23. September 2019 wurde eine Beweisverfügung er- lassen und die Parteien angefragt, ob sie auf die Durchführung einer Haupt- verhandlung verzichten. Die Klägerin verzichtete mit Eingabe vom 10. Oktober 2019 auf die Durch- führung einer Hauptverhandlung. Gleichzeit forderte sie Anwaltskosten von Fr. 6'477.10 und den Gerichtskostenvorschuss von Fr. 4'000.00 zuzüglich Zinsen. - 4 - Die Beklagte verzichtete mit Eingabe vom 9. Oktober 2019 auf die Durch- führung einer Hauptverhandlung. 11. Mit Verfügung vom 17. Oktober 2019 wurde den Parteien der Verzicht auf eine Hauptverhandlung angezeigt, das Handelsgericht bestellt und die Streitsache an das Handelsgericht überwiesen. Gleichzeitig wurden die Eingaben vom 9. und 10. Oktober 2019 an die jeweilige Gegenpartei zuge- stellt. 12. Bis zur Urteilsfällung gingen keine weiteren Eingaben der Parteien ein. Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Das Gericht prüft von Amtes wegen, ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 60 ZPO). 1.1. Zuständigkeit 1.1.1. Örtliche Zuständigkeit Für Klagen aus Vertrag ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder an dem Ort zuständig, an dem die charakteristische Leistung zu erbringen ist (Art. 31 ZPO). Gemäss Art. 10 Abs. 1 ZPO ist für Klagen gegen eine juristische Person das Gericht an deren Sitz zuständig, wenn in der ZPO nichts Anderes vorgesehen ist. Sind die vom Kläger behaupte- ten Tatsachen sowohl für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts als auch für die Begründetheit der Klage erheblich (sog. doppelrelevante Tat- sachen), werden sie für die Beurteilung der Zuständigkeit als wahr unter- stellt und erst im Moment der materiellen Beurteilung des eingeklagten An- spruchs geprüft.1 Die Klägerin behauptet sinngemäss, einen vertraglichen Anspruch gegen die Beklagte zu haben. Die Beklagte hat ihren Sitz in Y., weshalb die aar- gauischen Gerichte örtlich zuständig sind. Dies gilt auch, soweit Art. 10 Abs. 1 ZPO zur Anwendung kommen würde. Im Übrigen hat sich die Beklagte auf das vorliegende Verfahren eingelas- sen (vgl. Art. 18 ZPO). 1 BSK ZPO-KAISER JOB, 3. Aufl. 2017, Art. 31 N. 20. - 5 - 1.1.2. Sachliche Zuständigkeit Das Handelsgericht ist zuständig für handelsrechtliche Streitigkeiten, wobei eine solche vorliegt, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Par- tei betroffen ist, gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offen steht und die Parteien im schweizerischen Handelsre- gister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen sind (Art. 6 ZPO i.V.m. § 12 Abs. 1 EG ZPO AG). Beide Parteien sind im schweizerischen Handelsregister eingetragen. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch betrifft die geschäftliche Tä- tigkeit beider Parteien. Der Streitwert der Klage beläuft sich auf Fr. 37'947.10, womit die Streitwertgrenze für eine Beschwerde ans Bun- desgericht erreicht ist. Das Handelsgericht des Kantons Aargau ist somit für die Beurteilung der Klage sachlich zuständig. 1.2. Streitwert und Verfahrensart Der Streitwert der Klage beträgt Fr. 37'947.10. Es ist das ordentliche Ver- fahren anwendbar (Art. 243 und 248 ff. ZPO e contrario). 1.3. Widerklage Auch eine Widerklage hat sämtliche Prozessvoraussetzungen zu erfüllen (vgl. den nicht abschliessenden Katalog in Art. 59 Abs. 2 ZPO). So ist ins- besondere ein schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung des Anspruchs nötig. Wenn die Beklagte beantragt, es sei im Rahmen einer Widerklage das kontradiktorische Gegenteil des von der Klägerin Beantragten zu beur- teilen, so besteht daran kein Rechtsschutzinteresse. Es trifft zwar zu, dass die Betriebene nach neuer bundesgerichtlicher Praxis das Recht hat, eine negative Feststellungsklage gegen den Betreiber einzureichen, ohne ein besonderes Schutzbedürfnis (i.S. eines Feststellungsinteresses) nachwei- sen zu müssen.2 Die Beklagte verkennt aber, dass die von ihr anbegehrte Rechtsfolge, nämlich die Feststellung, dass die Schuld in Höhe von Fr. 37'947.10 gegenüber der Klägerin nicht bestehe, bereits mit einer Ab- weisung der Klage der Klägerin erfolgt. Wird nämlich eine Anerkennungs- klage, wie sie vorliegt, abgewiesen, ergibt sich aus dem Urteil, dass die Betreibung nicht gerechtfertigt war. In diesen Fällen ist gestützt auf Art. 8a Abs. 3 lit. a SchKG keine Auskunft über die Betreibung mehr zu erteilen.3 Die Sache war bei Einreichung der Widerklage im Übrigen bereits (ander- weitig) rechtshängig, nämlich im Rahmen der vorher eingereichten Klage. Bezüglich der Klage und der Widerklage sind sowohl die Parteien als auch der Streitgegenstand identisch: Identität der Parteien besteht, wenn sich in 2 Vgl. BGE 141 III 68 E. 2. 3 Vgl. WEINGART, in: Kren Kostkiewicz/Vock (Hrsg.), Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbe- treibung und Konkurs SchKG, 4. Aufl. 2017, Art. 8a N. 41; BGE 141 III 68 E. 2 m.w.N. - 6 - beiden Verfahren die gleichen Parteien gegenüberstehen, wobei die pro- zessuale Rolle der Parteien unbeachtlich bleibt.4 Die Identität des Streitge- genstandes bestimmt sich nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbe- griff, wobei einerseits auf die Rechtsbegehren, andererseits auf den ihnen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt abgestellt wird.5 Ob identische Rechtsbegehren vorliegen, ist nicht alleine aufgrund ihres Wortlauts, son- dern objektiv und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auszulegen. Der Begriff der Anspruchsidentität ist nicht grammatikalisch, sondern inhalt- lich zu verstehen. Der neue prozessuale Anspruch ist deshalb trotz abwei- chender Umschreibung vom beurteilten nicht verschieden, wenn er in die- sem bereits enthalten war oder wenn im neuen Verfahren das kontradikto- rische Gegenteil zur Beurteilung gestellt wird.6 Die Rechtsbegehren der Klage und Widerklage lauten zwar nicht identisch, sind nach Treu und Glauben aber beide auf die Beurteilung gerichtet, ob die Forderung über Fr. 37'947.10 besteht. In der Widerklage wird gemäss den Angaben der Beklagten das kontradiktorische Gegenteil der Klage beantragt, weshalb Identität des Streitgegenstandes besteht. Die anderweitige Rechtshängig- keit steht der Beurteilung der Widerklage somit entgegen. Auf die Widerklage ist nicht einzutreten. 2. Verhandlungsmaxime Vorliegend gilt die Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO). Auf die sich daraus ergebenden Obliegenheiten der Parteien ist vorab einzugehen: 2.1. Behauptungslast Gemäss Art. 55 Abs. 1 ZPO haben die Parteien dem Gericht die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzu- geben. Den Prozessparteien obliegt die Behauptungslast.7 Die Aufteilung der Behauptungslast zwischen den Parteien folgt der Beweislastverteilung nach Art. 8 ZGB. Somit trägt die Behauptungslast für rechtserzeugende Tatsachen, wer ein Recht oder Rechtsverhältnis behauptet; für rechtsauf- hebende Tatsachen, wer die Aufhebung oder den Untergang eines Rechts behauptet (z.B. Verwirkung, Erlass etc.) und für rechtshindernde Tatsa- chen, wer sich darauf beruft (z.B. Verjährung, Stundung etc.).8 Dement- sprechend hat das Bestehen einer vertraglichen Verpflichtung zu behaup- ten, wer einen vertraglichen Anspruch erhebt.9 4 ZÜRCHER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 59 N. 29. 5 ZÜRCHER (Fn. 4), Art. 59 N. 30. 6 BGE 139 III 126 E. 3.2.3. 7 Vgl. BGer 4A_264/2015 vom 10. August 2015 E. 4.2.2; 4A_210/2009 vom 7. April 2010 E. 3.2. 8 Vgl. BGE 132 III 186 E. 4; SUTTER-SOMM/SCHRANK, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 4), Art. 60 N. 11. 9 BGE 128 III 271 E. 2.a.aa. - 7 - Eine Tatsachenbehauptung hat nicht alle Einzelheiten zu enthalten; es ge- nügt, wenn die Tatsachen, die unter die das Begehren stützenden rechtli- chen Normen zu subsumieren sind, in einer den Gewohnheiten des Lebens entsprechenden Weise in ihren wesentlichen Zügen oder Umrissen be- hauptet werden.10 Was offensichtlich in anderen, ausdrücklich vorgebrach- ten Parteibehauptungen enthalten ist, muss nicht explizit behauptet werden (sog. implizite bzw. mitbehauptete Tatsachen).11 Blosse Mutmassungen stellen jedoch keine rechtsgenüglichen Tatsachenbehauptungen dar.12 Ist ein Tatsachenvortrag im erwähnten Sinne vollständig, so wird er als schlüs- sig bezeichnet, da er bei Unterstellung, er sei wahr, den Schluss auf die anbegehrte Rechtsfolge zulässt.13 Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich in den Rechtsschriften aufzu- stellen (Art. 221 Abs. 1 lit. d und Art. 222 Abs. 2 Satz 1 ZPO).14 Der bloss pauschale Verweis auf Beilagen genügt in aller Regel nicht.15 Durch einen Verweis auf Urkunden können Sachverhaltselemente jedoch ausnahms- weise als behauptet gelten, wenn es überspitzt formalistisch wäre, eine Übernahme des Urkundeninhalts in die Rechtsschrift zu verlangen. Das ist jedoch nicht bereits dann der Fall, wenn die verlangten Informationen in einer Beilage in irgendeiner Form vorhanden sind. Weil ein Verweis auf Akten nicht dazu führen darf, dass die Gegenpartei und das Gericht die relevanten Tatsachen aus der Beilage selbst zusammensuchen müssen, muss auf die fragliche Information bzw. Tatsache problemlos zugegriffen werden können und es darf kein Interpretationsspielraum bestehen.16 Der entsprechende Verweis in der Rechtsschrift muss spezifisch ein bestimm- tes Aktenstück nennen und aus dem Verweis muss selbst klar werden, wel- che Teile des Aktenstücks als Parteibehauptung gelten sollen.17 Ein prob- lemloser Zugriff ist gewährleistet, wenn eine Beilage selbsterklärend ist und genau die verlangten (bzw. in der Rechtsschrift bezeichneten) Informatio- nen enthält. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kann ein Verweis nur genügen, wenn die Beilage in der Rechtsschrift derart konkretisiert und erläutert wird, dass die Informationen ohne weiteres zugänglich werden und nicht interpretiert und zusammengesucht werden müssen.18 Die in der Praxis beliebten Pauschalverweise auf eingereichte Akten bzw. die allge- 10 BGer 4A_261/2017 vom 30. Oktober 2017 E. 4.3; BGer 4A_195/2014 und 4A_197/2014 vom 27. November 2014 E. 7.3.2 m.w.N. (nicht publ. in BGE 140 III 602). 11 BGer 4A_625/2015 vom 29. Juni 2016 E. 4.1, 5P.445/2004 vom 9. März 2005 E. 2.3.2, 5C.26/1991 vom 30. September 1991 E. 3a. 12 BGer 4A_667/2014 vom 12. März 2015 E. 3.2.2. 13 BGer 4A_195/2014 und 4A_197/2014 vom 27. November 2014 E. 7.3.2 m.w.N. (nicht publ. in BGE 140 III 602). 14 BGer 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5; BGer 4A_284/2017 vom 22. Januar 2018 E. 4.2. 15 BGer 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5; BGer 4A_284/2017 vom 22. Januar 2018 E. 4.2. 16 BGer 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.3; 4A_284/2017 vom 22. Januar 2018 E. 4.3. 17 BGer 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.3; 4A_284/2017 vom 22. Januar 2018 E. 4.3. 18 BGer 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.3; 4A_284/2017 vom 22. Januar 2018 E. 4.3. - 8 - meine Erklärung, diese würden "integrierenden Bestandteil" der Rechts- schrift bilden, stellen deshalb keine hinreichenden Behauptungen dar bzw. können fehlende Behauptungen nicht ersetzen.19 2.2. Bestreitungslast Die Kehrseite der Behauptungslast ist die sog. Bestreitungslast: Bestreitet eine Partei eine Tatsachenbehauptung ihres Gegners nicht, gilt diese als unbestritten und die betreffende Tatsache kann dem Entscheid ohne wei- teres zugrunde gelegt werden, da über nicht bestrittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO).20 Art. 222 Abs. 2 ZPO verlangt von der beklagten Partei, darzulegen, welche Tatsa- chenbehauptungen der klagenden Partei im Einzelnen anerkannt oder be- stritten werden. Es ist deshalb empfehlenswert, die Tatsachenbehauptun- gen der Klägerin detailliert, d.h. Punkt für Punkt zu bestreiten. Bestreitun- gen sind dabei so konkret zu halten, dass sich bestimmen lässt, welche einzelnen Behauptungen damit bestritten werden; die Bestreitung muss ih- rem Zweck entsprechend so bestimmt sein, dass die Gegenpartei weiss, welche einzelne Tatsachenbehauptung sie beweisen muss. Der Grad der Substantiierung einer Behauptung beeinflusst insofern den erforderlichen Grad an Substantiierung einer Bestreitung; je detaillierter einzelne Tatsa- chen eines gesamten Sachverhalts behauptet werden, desto konkreter muss die Gegenpartei erklären, welche dieser einzelnen Tatsachen sie be- streitet. Je detaillierter mithin ein Parteivortrag ist, desto höher sind die An- forderungen an eine substantiierte Bestreitung. Diese sind zwar tiefer als die Anforderungen an die Substantiierung einer Behauptung; pauschale Bestreitungen reichen indessen selbst dann nicht aus, wenn sie explizit er- folgen. Erforderlich ist eine klare Äusserung, dass der Wahrheitsgehalt ei- ner bestimmten gegnerischen Behauptung infrage gestellt wird.21 Auch ein implizites Bestreiten genügt unter diesen Voraussetzungen den Anforde- rungen der rechtsgenügenden Bestreitung.22 2.3. Substantiierungslast Bestreitet aber der Prozessgegner den schlüssigen Tatsachenvortrag der behauptungsbelasteten Partei in rechtsgenüglicher Weise, so greift eine über die Behauptungslast hinausgehende Substantiierungslast. Die Vor- bringen sind diesfalls nicht nur in den Grundzügen, sondern in Einzeltatsa- chen zergliedert so umfassend und klar darzulegen, dass darüber Beweis abgenommen oder dagegen der Gegenbeweis angetreten werden kann.23 19 BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 55 N. 21 m.w.N. 20 BK ZPO I-HURNI (Fn. 19), Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO. 21 BGE 141 III 433 E. 2.6; BGer 4A_284/2017 vom 22. Januar 2018 E. 3.3. 22 SCHMID/HOFER, Bestreitung von neuen Tatsachenbehauptungen in der schriftlichen Duplik, ZZZ 2016, S. 285 m.w.N. 23 BGer 4A_195/2014 und 4A_197/2014 vom 27. November 2014 E. 7.3.2 m.w.N. (nicht publ. in BGE 140 III 602). - 9 - Das Beweisverfahren darf nicht dazu dienen, ein ungenügendes Parteivor- bringen zu vervollständigen.24 Der nicht oder nicht substantiiert vorge- brachte Sachverhalt ist im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime dem nicht bewiesenen Sachverhalt gleichzusetzen.25 2.4. Bezeichnung der Beweismittel Die Parteien haben im Rahmen der Verhandlungsmaxime die einzelnen Beweismittel zu bezeichnen (vgl. Art. 221 Abs.1 lit. e ZPO, wonach die Klage die Tatsachenbehauptungen sowie die Bezeichnung der einzelnen Beweismittel zu den behaupteten Tatsachen zu enthalten hat). Dazu gehört auch, dass aus dem Zusammenhang klar wird, inwiefern die angerufenen Beweismittel den angestrebten Beweis erbringen sollen. Es genügt nicht, in der Klage Behauptungen aufzustellen und pauschal auf die Klagebeila- gen zu verweisen.26 Ein Beweismittel ist nur dann formgerecht angeboten, wenn sich die Beweisofferte eindeutig der damit zu beweisenden Tatsa- chenbehauptung zuordnen lässt und umgekehrt.27 Deshalb sind die einzel- nen Beweisofferten unmittelbar im Anschluss an die entsprechenden Tat- sachenbehauptungen aufzuführen, welche durch sie bewiesen werden sol- len ("Prinzip der sog. Beweismittelverbindung").28 Es ist hingegen unzu- reichend, einen ganzen Sachverhaltskomplex zu behaupten und lediglich pauschal auf eine Vielzahl von Urkunden oder eine Anzahl Zeugen zu ver- weisen.29 Bei umfangreichen Urkunden ist zudem die für die Beweisführung erhebliche Stelle zu bezeichnen (Art. 180 Abs. 2 ZPO).30 3. Vertragsqualifikation 3.1. Parteibehauptungen Die Klägerin behauptet, sie habe einen Auftrag für die Erstellung von Un- terlagsböden im Gewerbepark Y. von der E. erhalten (Klage Abs. 1). Die Beklagte erwidert, sie habe einen Vertrag mit der C. abgeschlossen und stehe in keinem Vertragsverhältnis mit der Klägerin (Antwort N. III.A.3). Die Klägerin sei einzig mit der E. als Sub-Subunternehmerin in einem Ver- tragsverhältnis (Antwort N. III.A.11). 24 DOLGE, Anforderungen an die Substanzierung, in: Dolge (Hrsg.), Substantiieren und Beweisen, 2013, S. 21; vgl. auch BGE 108 II 337 E. 3. 25 BGer 4A_210/2009 vom 7. April 2010 E. 3.2; KUKO ZPO-OBERHAMMER, 2. Aufl. 2013, Art. 55 N. 12. 26 BGer 4A_195/2014 und 4A_197/2014 vom 27. November 2014 E. 7.3.2 m.w.N. (nicht publ. in BGE 140 III 602). 27 BGer 4A_370/2016 vom 13. Dezember 2016 E. 3.3 m.w.N. 28 BK ZPO II-KILLIAS, 2012, Art. 221 N. 29; PAHUD, in: Brunner/Gasser/Schwander, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2016, Art. 221 N. 16. ff. Das "Prinzip der sog. " galt auch schon in der aarg. Zivilprozessordnung (EDELMANN, in: Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 1998, § 167 N. 5). 29 BK ZPO II-KILLIAS (Fn. 28), Art. 221 N. 29. 30 BK ZPO II-RÜETSCHI (Fn. 28), Art. 180 N. 17 ff.; WEIBEL, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenber- ger (Fn. 4), Art. 180 N. 10 ff., je m.w.N. - 10 - 3.2. Rechtliches Durch einen Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werkes und der Besteller zur Leistung einer Vergütung (Art. 363 OR). Ein Werkvertrag liegt vor, wenn nach der Natur des Vertrags die tatsächli- che Bedeutung der Arbeit derart im Vordergrund steht, dass die gelieferte Sache der Erreichung des geschuldeten Arbeitserfolgs dient und im Ergeb- nis als Teil dieses Erfolgs erscheint.31 Auch sind Weisungs- und Mitspra- cherechte des Bestellers, d.h. Einflussmöglichkeiten auf den Arbeitspro- zess typisch für einen Werkvertrag. Der Werkvertragsgegenstand nimmt aufgrund besonderer Wünsche oder Weisungen des Bestellers oder der individuellen Wahl aus Vorschlägen und Mustern des Unternehmers eine persönliche Prägung an.32 Beim Werklieferungsvertrag trifft den Unternehmer zusätzlich zur Herstel- lungs- auch eine Stofflieferungspflicht, d.h. er hat das Werk ganz oder teil- weise aus selbst beschafftem Stoff herzustellen.33 Der Werklieferungsver- trag untersteht dem Werkvertragsrecht gemäss Art. 363 ff. OR.34 3.3. Würdigung Gegenstand des Vertrages war unter anderem das Liefern und Versetzen von Unterlagsböden (Klage Abs. 1), Rinnen und Wasserabläufen sowie Spitzarbeiten (KB 1) in der Liegenschaft auf dem Grundstück Nr. [123]. Un- ter Berücksichtigung des Bauplans in KB 1, S. 6 und der Arbeitsbeschrei- bungen auf den (Regie-)Rechnungen (KB 2-7), wonach die Böden mit einer Stärke nach Wunsch gegossen wurden, sind die Arbeiten auf Bestellung hin, nach Mass und Weisungen der Beklagten bzw. der von ihr beauftrag- ten Unternehmer ausgeführt worden. Es liegt somit ein Werkvertrag vor. 4. Vergütungsanspruch 4.1. Parteibehauptungen 4.1.1. Klägerin Die Klägerin behauptet, sie habe am 23. März 2017 von der E., einer Sub- unternehmerin der D., den Auftrag für Unterlagsböden im Gewerbepark Y. erhalten (Klage Abs. 1). Der Beklagten sei die Gesamtrechnung Nr. 857 über Fr. 37'947.10 am 23. November 2017 zugestellt worden (Klage Abs. 13; KB 7). Sie habe die Rechnung jedoch nicht bezahlt (Klage Abs. 3). Die Eigentümer einer Liegenschaft seien verpflichtet, ihre Unternehmer zu kontrollieren. Wenn die Subunternehmer nicht bezahlt würden, sei es die 31 Zum Ganzen: GAUCH, Der Werkvertrag, 6. Aufl. 2019, N. 133; BSK OR I-ZINDEL/PULVER/SCHOTT, 6. Aufl. 2015, Art. 363 N. 22. 32 ZK OR-SCHÖNLE, 3. Aufl. 1993, Art. 184 N. 133. 33 BSK OR I-ZINDEL/PULVER/SCHOTT (Fn. 31), Art. 363 N. 21. 34 BGE 117 II 273 E. 3a; GAUCH (Fn. 31), N. 82 u. 123. - 11 - Verpflichtung des Eigentümers, ihre Rechnungen zu bezahlen. Die Be- klagte könne die Verantwortung nicht auf die Bauherrin oder Generalunter- nehmerin abschieben (Replik Abs. 2). 4.1.2. Beklagte Die Beklagte führt aus, sie bestreite die geltend gemachte Forderung mit Nichtwissen, da sie weder wisse, welche Arbeiten die Klägerin tatsächlich vorgenommen habe, noch Kenntnis von den der behaupteten Forderung zugrundeliegenden Vereinbarungen mit der E. habe (Antwort N. 2). Es sei unzutreffend, dass die Beklagte für die Bezahlung verantwortlich sei (Duplik Abs. 1). Ausserdem seien die Rechnungen nicht an die Beklagte, sondern an die E. bzw. die D. zugestellt worden (Antwort N. 7). Die Beklagte stehe einzig mit der C. als Bauherrin in einem Vertragsver- hältnis. Letztere habe einen Generalunternehmervertrag mit der D. ge- schlossen, welche die Baumeisterarbeiten an die E. als Subunternehmerin übertragen habe. Nur die E. habe die Klägerin mit Bauarbeiten betraut. Die Beklagte habe keine Berührungspunkte mit der Klägerin (Antwort N. 3). Ihr sei auch kein Fehlverhalten der D. bekannt und ein solches sei ohnehin irrelevant (Antwort N. 5). 4.2. Rechtliches 4.2.1. Vertraglicher Vergütungsanspruch Schliessen ein Unternehmer und ein Subunternehmer einen Werkvertrag ab, begründet dies alleine kein Vertragsverhältnis zwischen Subunterneh- mer und Grundeigentümer. Deshalb stehen dem Subunternehmer – unter Vorbehalt der unten aufgeführten Ausnahmen – grundsätzlich weder Ver- gütungs- noch andere Vertragsansprüche gegenüber dem Grundeigentü- mer zu. Vielmehr richtet sich der Vergütungsanspruch des Subunterneh- mers nur gegen seinen Vertragspartner, den Unternehmer. Dies gilt selbst dann, wenn die Vertragsleistung des Subunternehmers unmittelbar an den Grundeigentümer gelangt oder wenn der Unternehmer die geschuldete Vergütung nicht bezahlt.35 Allerdings steht dem Subunternehmer ein vertraglicher Anspruch gegen den Grundeigentümer zu, wenn der Grundeigentümer die Vergütungs- pflicht solidarisch mitübernommen hat (Art. 143 OR), sei es von vornherein oder sei es durch einen nachträglichen Schuldbeitritt.36 Zudem kann der Grundeigentümer vom Unternehmer vertraglich verpflich- tet (Art. 112 Abs. 1 OR), angewiesen (Art. 466 OR) oder sonst wie ermäch- tigt werden, den auf die Arbeit des Subunternehmers entfallenden Vergü- tungsteil direkt an diesen auszubezahlen. Das alleine genügt zwar nicht, 35 GAUCH (Fn. 31), N. 162 ff. 36 GAUCH (Fn. 31), N. 163 ff. - 12 - um ein selbständiges Forderungsrecht gegenüber dem Grundeigentümer zu begründen. Soweit aber ausnahmsweise ein Vertrag zugunsten Dritter – hier des Subunternehmers – vorliegt, infolgedessen der Dritte selbständig die Erfüllung fordern kann (Art. 112 Abs. 2 OR), oder der Grundeigentümer im Falle einer Anweisung deren vorbehaltlose Annahme gegenüber dem Subunternehmer erklärt (Art. 468 Abs. 1 OR), erlangt der Subunternehmer ein selbständiges Forderungsrecht.37 4.2.2. Ausservertraglicher Vergütungsanspruch 4.2.2.1. Ersatz für Boden- und Baumaterial auf dem Grundstück (Art. 672 ZGB) Das Eigentum an Grund und Boden umfasst unter Vorbehalt der gesetzli- chen Schranken alle Bauten (Art. 667 Abs. 2 ZGB). Dies gilt auch beim Bauen mit Material auf fremdem Boden, indem das verwendete Material Bestandteil des Grundstücks wird (sog. Akzessionsprinzip; Art. 671 Abs. 1 ZGB).38 Eine Trennung des Materials vom Boden kann unter gewissen Vo- raussetzungen stattfinden, wenn die Verwendung des Materials auf dem Grundstück ohne den Willen des Material- oder Grundeigentümers stattge- funden hat. Findet keine Trennung des Materials vom Boden statt, so hat der Grundeigentümer für das Material eine angemessene Entschädigung zu leisten (Art. 672 Abs. 1 ZGB). Art. 672 ZGB kommt zwischen Grund- und Materialeigentümer allerdings nicht zur Anwendung, wenn diese eine Ver- einbarung über die Verwendung des Materials getroffen haben. Demge- genüber kann Art. 672 ZGB grundsätzlich anwendbar sein, wenn ein Ver- trag bezüglich des Einbaus von Material zwischen den Materialeigentümer und einem vom Grundeigentümer verschiedenen Dritten, insbesondere ei- nem Generalunternehmer, besteht.39 Der Entschädigungsanspruch setzt voraus, dass eigenes Material auf ei- nem fremden Grundstück dauerhaft verbaut wird und keine Trennung des Materials vom Boden stattfindet, weil der Materialeigentümer von seinem Trennungsanspruch (Art. 671 Abs. 2 und 3 ZGB) keinen Gebrauch machen will oder kann. Die Entschädigungsforderung unterscheidet sich je nach gutem bzw. bösem Glauben des Material- und Grundeigentümers (vgl. Art. 672 Abs. 2 und 3 ZGB). Im gesetzlich nicht geregelten Fall der Gutgläubigkeit beider Parteien steht dem Materialeigentümer nach der Rechtsprechung ein Bereicherungsan- spruch in der Höhe des dem Grundeigentümer durch die Verwendung des Materials angefallenen Mehrwerts zu, wobei die Entschädigung sowohl das verbaute Material als auch die Arbeit umfasst.40 Der Grundeigentümer ist 37 GAUCH (Fn. 31), N. 175. 38 BGE 99 II 131 E. 3. 39 OFK ZGB-BERGER-STEINER/SCHMID, 3. Aufl. 2016, Art. 672 N. 2 ff. 40 BGE 99 II 131 E. 6.c; BGE 103 II 227 E. 5. https://www.swisslex.ch/doc/aol/6b5cb125-6bbc-4be6-a243-a27a5259fb81/c903d5eb-4033-4861-972d-48bf2b13c0eb/source/document-link - 13 - durch die Bauarbeiten eines bestimmten Subunternehmers bei gültiger Be- auftragung eines (General-)Unternehmers nur bereichert, wenn der durch den Subunternehmer geschaffene objektive Mehrwert des Grundstücks den Teil des bezahlten Preises übersteigt, der bei proportionaler Aufteilung dieses Preises nach Massgabe des Wertes der Arbeiten der verschiedenen Subunternehmer auf die Arbeiten des konkreten Subunternehmers ent- fällt.41 4.2.2.2. Ungerechtfertigte Bereicherung Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines anderen berei- chert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten (Art. 62 OR). Lie- gen Vertragsbeziehungen zwischen dem Grundeigentümer und einem Drit- ten einerseits und der Materialeigentümerin und diesem Dritten anderer- seits vor und darf der Grundeigentümer den Einbau als Leistung des Dritten ansehen, so kommt kein Bereicherungsanspruch der Materialeigentümerin gegen den Grundeigentümer in Frage.42 Die in den Bauarbeiten des Sub- unternehmers liegende Zuwendung an den Grundeigentümer stellt sich – vom Grundeigentümer aus betrachtet – als eine vertragliche Leistung des Bauherren dar, weshalb es nicht an einem gültigen Rechtsgrund fehlt.43 Zudem ist die Akzession nach Art. 671 Abs. 1 ZGB gesetzliche Folge des Einbaus, weshalb sie nicht "ungerechtfertigt" im Sinne von Art. 62 ff. OR ist.44 4.2.2.3. Geschäftsherrenhaftung Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Scha- den dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre (Art. 55 Abs. 1 OR). Um einen Arbeitnehmer oder eine Hilfsperson handelt es sich, wenn ein Subordinationsverhältnis vorliegt. Ein Subordinationsverhältnis verleiht dem Geschäftsherrn die Befugnis, Weisungen zu erteilen und sie zu beauf- sichtigen. Je grösser die Selbständigkeit des Beauftragten ist, desto weni- ger liegt ein für die Geschäftsherrenhaftung benötigtes Subordinationsver- hältnis vor.45 Das – meist mit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit verbun- dene – Subordinationsverhältnis setzt eine irgendwie beschaffene, dau- ernde oder vorübergehende, Beziehung zwischen zwei Personen voraus, die es dem Geschäftsherrn erlaubt, sich dem Arbeitnehmer bzw. der Hilfs- 41 BGE 99 II 131 E. 6.c. 42 SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht, 7. Aufl. 2016, § 59 N. 9. 43 BGE 99 II 131 E. 2. 44 BGE 81 II 431 E. 3. 45 OFK OR-FISCHER, 3. Aufl. 2016, Art. 55 N. 18. - 14 - person für seine Zwecke zu bedienen, wobei die zweite Person der erste- ren untergeordnet ist.46 Entscheidend ist die ökonomisch-organisatorische Subordination und nicht die rechtliche Natur der Beziehung zwischen Ge- schäftsherr und Hilfsperson.47 Keine Hilfsperson i.S.v. Art. 55 OR stellt vor diesem Hintergrund der Unternehmer im Verhältnis zum Grundeigentü- mer48 oder der Unterakkordant im Verhältnis zum Unternehmer49 dar. Die geschädigte Person hat das Subordinationsverhältnis zu beweisen.50 4.2.2.4. Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 419 ff. OR) Wer für einen anderen ein Geschäft besorgt, ohne von ihm beauftragt zu sein, ist verpflichtet, das unternommene Geschäft so zu führen, wie es dem Vorteil und der mutmasslichen Absicht des anderen entspricht (Art. 419 OR). Die Anrufung dieser Bestimmung scheitert im Verhältnis Subunter- nehmer/Grundeigentümer daran, dass der Subunternehmer auf Grund ei- nes Vertrages mit dem Unternehmer handelt, der die Vergütungsfrage re- gelt.51 Zudem ist der Subunternehmer im Verhältnis zum Grundeigentümer als Hilfsperson des Unternehmers (Art. 101 OR) tätig, was in diesem Ver- hältnis einer Anwendung der Art. 419 ff. OR entgegensteht.52 4.3. Würdigung 4.3.1. Kein vertraglicher Vergütungsanspruch Die Klägerin erhielt am 23. März 2017 eine Auftragsbestätigung von der E.. Die Beklagte hingegen war nicht Vertragspartei (KB 1) und ist damit für das vorliegende Verfahren nicht passivlegitimiert. Der Klägerin stehen grund- sätzlich keine vertraglichen Vergütungsansprüche gegenüber der Beklag- ten zu. Die von der Klägerin vorgebrachten Gründe begründen kein selbständiges vertragliches Forderungsrecht gegenüber der Beklagten. Insbesondere hat die Klägerin nicht behauptet, dass sich die Beklagte vertraglich verpflichtet hat, für offene Forderungen der Werkunternehmer einzustehen, falls die E. diese Forderungen nicht bezahlt. Auch bringt die Klägerin nicht vor, dass die Beklagte die Vergütungspflicht solidarisch mitübernommen hat oder in irgendeiner Art und Weise von der E. angewiesen worden wäre, die Zah- lung zu leisten. 46 BSK OR I-KESSLER (Fn. 33), Art. 55 N. 7; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Band II/1, Besonderer Teil, 4. Aufl. 1987, S. 303. 47 CHK OR-MÜLLER, 2. Aufl. 2012, Art. 55 N. 7. 48 BGE 99 II131 E. 2. 49 BGE 96 II 337 E. 5. 50 CHK OR-MÜLLER (Fn. 47), Art. 55 N. 7. 51 GAUCH (Fn. 31), N. 175a, m.w.H. 52 GAUCH (Fn. 31), N. 175a; ZK OR-SCHMID (Fn. 32), Art. 419 N. 102. - 15 - Die Klägerin hat mithin keinen vertraglichen Vergütungsanspruch gegen- über der Beklagten. 4.3.2. Gesetzliche Vergütungsansprüche 4.3.2.1. Kein Vergütungsanspruch aufgrund von Art. 672 ZGB Die Klägerin hat nach unbestritten gebliebener Behauptung unter anderem Unterlagsböden im Gewerbepark Y. eingebaut (Klage Abs. 1). Das Grund- stück Nr. [123] steht im Eigentum der Beklagten (KB 9). Die Klägerin, die Material geliefert und verbaut hat, ist somit verschieden von der Eigentü- merin des Grundstückes. Zudem war sie einzig in einem Vertragsverhältnis mit der E., nicht hingegen mit der Beklagten (Klage Abs. 1; KB 1; Antwort N. 3). Die unbestrittene Behauptung der Klägerin, das Gewerk sei abge- nommen worden, enthält die (implizite) Behauptung, dass keine Trennung des Materials vom Boden erfolgte (Klage Abs. 4). Art. 672 ZGB ist somit grundsätzlich anwendbar und eine Entschädigung bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen geschuldet. Zuerst ist zu bestimmen, welche Art Entschädigung geschuldet sein könnte. Dafür ist insbesondere relevant, ob die Klägerin und die Beklagte in gutem oder in bösem Glauben waren. Wo das Gesetz eine Rechtswir- kung an den guten Glauben einer Person knüpft, ist dessen Dasein zu ver- muten (vgl. Art. 3 Abs. 1 ZGB). Von den Parteien wurde ein böser Glaube weder behauptet noch bewiesen. Es liegen auch keine Anzeichen dafür vor, dass die Klägerin oder die Beklagte bezüglich des Einbaus der Unter- lagsböden in bösem Glauben gewesen wären. Somit ist von beiderseitigem guten Glauben auszugehen; ein Bereicherungsanspruch in Höhe des Mehrwerts der Material- und Arbeitsleistungen für das Grundstück kommt grundsätzlich in Frage. Die Beklagte behauptet allerdings, sie habe die Bauherrin voll entschädigt und sei deshalb nicht bereichert (Antwort N. 14). Die Klägerin bestritt diese Behauptung nicht. Im Übrigen ist auch weder substantiiert dargelegt noch erwiesen, dass die Beklagte in der Höhe von Fr. 37'947.10 bereichert wäre. Die Beklagte hat die Bauherrin für die Er- stellung der Baute entschädigt und ist durch die Arbeiten der Klägerin somit nicht bereichert. Die Klägerin hat folglich keinen Vergütungsanspruch aus Art. 672 ZGB. 4.3.2.2. Kein Vergütungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereiche- rung Die Bauarbeiten der Klägerin an der Liegenschaft der Beklagten gehören zu den Leistungen, welche die C. der Beklagten im Rahmen ihrer Tätigkeit als Bauherrin versprochen hat. Der Bestand dieses Vertrages ist unbestrit- ten. Die in den Bauarbeiten der Klägerin liegende Zuwendung an die Be- klagte stellt sich also, von der Beklagten aus betrachtet, als eine vertragli- che Leistung der C. dar. Vom Standpunkt der Beklagten aus fehlt es nicht - 16 - an einem gültigen Rechtsgrund; die Bauarbeiten der Klägerin konnten be- reits deshalb keine im Sinne von Art. 62 OR ungerechtfertigte Bereicherung der Beklagten bewirken. Der Klägerin steht kein Vergütungsanspruch aus ungerechtfertigter Berei- cherung zu. 4.3.2.3. Kein Vergütungsanspruch aus Geschäftsherrenhaftung Auf Art. 55 OR kann die Klägerin ihre Forderung gegen die Beklagte schon deshalb nicht stützen, weil die C. in ihrer Funktion als Bauherrin bzw. die E. als Subunternehmerin keine Hilfspersonen der Beklagten im Sinne von Art. 55 OR waren. Der Klägerin hat keinen Vergütungsanspruch aus Geschäftsherrenhaftung. 4.3.2.4. Kein Vergütungsanspruch aus Geschäftsführung ohne Auf- trag Die Klägerin handelte vorliegend aufgrund eines Vertrages mit der E., der die Vergütungsfrage regelt. Ausserdem ist die Klägerin im Verhältnis zur Beklagten Hilfsperson der E. i.S.v. Art. 101 OR. Die Klägerin kann sich des- halb nicht auf die Geschäftsführung ohne Auftrag berufen. 4.3.3. Ergebnis Die Klägerin hat weder einen vertraglichen noch einen ausservertraglichen Vergütungsanspruch gegenüber der Beklagten. Somit hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Verzugszinsen. 5. Aufhebung des Rechtsvorschlags 5.1. Parteibehauptungen Die Klägerin behauptet, mit Zahlungsbefehl Nr. [111] vom 13. März 2018 des Betreibungsamtes W. sei der Betrag von Fr. 37'947.10 in Betreibung gesetzt und am 12. April 2018 Rechtsvorschlag erhoben worden (Klage Abs. 16). Die Beklagte führt aus, die im Zahlungsbefehl aufgeführte Forderung ent- behre jeglicher Grundlage. Die unberechtigte Betreibung sei aufzuheben (Antwort N. 16). 5.2. Rechtliches Ein Gläubiger, gegen dessen Betreibung Rechtsvorschlag erhoben worden ist, hat seinen Anspruch im Zivilprozess oder im Verwaltungsverfahren gel- tend zu machen. Er kann die Fortsetzung der Betreibung aufgrund eines vollstreckbaren Entscheids erwirken, der den Rechtvorschlag ausdrücklich beseitigt (Art. 79 SchKG). Die Anerkennungsklage ist eine Leistungsklage materiell-rechtlicher Art, mit welcher der Gläubiger Bestand, Höhe und Fäl- ligkeit der in Betreibung gesetzten Forderung im Zeitpunkt der Zustellung - 17 - des Zahlungsbefehls geltend macht und den Rechtsvorschlag beseitigen lässt. Wird die in Betreibung gesetzte Forderung ganz oder teilweise zuge- sprochen, erfolgt die Beseitigung des Rechtsvorschlags in diesem Um- fang.53 5.3. Würdigung Wie in E. 4 ausgeführt, ist der Forderungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten unbegründet. Somit ist auch die Betreibung ungerechtfertigt, und der Rechtsvorschlag in der entsprechenden Betreibung bleibt beste- hen. Die Betreibung ist Dritten in Anwendung von Art. 8a Abs. 3 SchKG nicht mehr zur Kenntnis zu geben. 6. Prozesskosten 6.1. Die Prozesskosten, bestehend aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO), werden gemäss Art. 106 Abs. 2 ZPO im Verhältnis des Obsiegens bzw. Unterliegens auferlegt. Bei Nichteintreten und Klagerückzug gilt die klagende Partei, bei Anerkennung der Klage die beklagte Partei als unterliegend (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Klägerin unterliegt mit ihrer Klage vollständig. Auf die Widerklage ist nicht einzutreten, weshalb diesbezüglich die Beklagte als unterliegend gilt. Unterliegen beide Parteien gleichermassen, rechtfertigt es sich, die Pro- zess- und Parteikosten hälftig zu teilen. 6.2. Nach Art. 94 Abs. 2 ZPO werden die Streitwerte zur Bestimmung der Pro- zesskosten zusammengerechnet, sofern sich Klage und Widerklage nicht gegenseitig ausschliessen. Ein Ausschluss liegt vor, wenn aus dem Gut- heissen der einen Klage die Abweisung der anderen folgt.54 Mit der beklag- tischen Geltendmachung des kontradiktorischen Gegenteils der Klage (vgl. E. 1.3) mittels Widerklage schliessen sich Klage und Widerklage aus. Der Streitwert bestimmt sich mithin nach dem höheren Rechtsbegehren (Art. 94 Abs. 1 ZPO). Der Streitwert der Klage sowie der Widerklage liegt jeweils bei Fr. 37'947.10, womit ein für die Prozesskosten relevanter Streitwert von Fr. 37'947.10 resultiert. Bei diesem Streitwert beträgt der Grundansatz für die Gerichtsgebühr Fr. 3'566.00 (§ 7 Abs. 1 VKD). Da das vorliegende Ver- fahren weder ausserordentliche noch nur geringe Aufwendungen erfordert hat (vgl. § 7 Abs. 3 VKD), sind die Gerichtskosten auf Fr. 3'566.00 festzu- setzen und ausgangsgemäss je hälftig von der Klägerin und der Beklagten (je Fr. 1'783.00) zu tragen. Sie werden mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 3'566.00 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat der Klägerin Fr. 1'783.00 direkt zu ersetzen. 53 BSK SchKG I-STAEHELIN, 2. Aufl. 2010, Art. 79 N. 10a und 35, m.w.H. 54 BGE 108 II 51 E. 1. - 18 - 6.3. Als Parteientschädigung gelten der Ersatz notwendiger Auslagen, die Kos- ten einer berufsmässigen Vertretung und in begründeten Fällen eine ange- messene Umtriebsentschädigung, wenn eine Partei nicht berufsmässig vertreten ist. Die Klägerin ist nicht berufsmässig vertreten und legt keine Gründe dar, weshalb ihr eine Umtriebsentschädigung auszurichten wäre. Auch weist sie keine notwendigen Auslagen aus. Hingegen macht sie An- waltskosten in der Höhe von Fr. 6'477.10 geltend. Sie wurde aber im Ver- fahren nicht durch einen Anwalt vertreten und belegt in keiner Weise die geltend gemachten Anwaltskosten. Ihr kann deshalb keine Parteientschä- digung zugesprochen werden. Die Beklagte wurde hingegen anwaltlich ver- treten. Aufgrund der Verteilung nach Obsiegen und Unterliegen ist ihr aller- dings nur die Hälfte der ordentlichen Parteientschädigung zuzusprechen. Bei der Festsetzung der Parteientschädigung aufgrund der Kosten der be- rufsmässigen Vertretung ist von den kantonalen Tarifen auszugehen (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 96 ZPO). Die Grundentschädigung beträgt ge- mäss § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 4 AnwT Fr. 7'143.70. Aufgrund der geringen Auf- wendungen für das Verfahren ist die Grundentschädigung um 30 % zu kür- zen. Es resultiert eine Grundentschädigung von gerundet Fr. 5'000.60. Durch diese sind Instruktion, Aktenstudium, rechtliche Abklärungen, Kor- respondenz und Telefongespräche sowie eine Rechtsschrift und die Teil- nahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (§ 6 Abs. 1 AnwT). Der Abzug von 20 % aufgrund der nicht durchgeführten Hauptverhandlung wird kompensiert durch die Erhöhung der Grundentschädigung um 20 % für die von der Beklagten erstattete Duplik. Zuzüglich einer Auslagenersatz- pauschale von 3 % (vgl. § 7 Abs. 2 AnwT) ergibt dies eine volle Parteient- schädigung von gerundet Fr. 5'150.60. Die Klägerin hat der Beklagten die Hälfte, d.h. Fr. 2'575.30, zu ersetzen. - 19 - Das Handelsgericht erkennt: 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Auf die Widerklage wird nicht eingetreten. 3. 3.1. Die Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 3'566.00 sind von den Parteien je hälftig, d.h. mit je Fr. 1'783.00, zu tragen. Sie werden mit dem von der Klä- gerin geleisteten Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 3'566.00 verrech- net. Die Beklagte hat der Klägerin die von ihr zu tragenden Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 1'783.00 direkt zu ersetzen. 3.2. Die Klägerin hat der Beklagten eine Parteientschädigung in richterlich fest- gesetzter Höhe von Fr. 2'575.30 (inkl. Auslagen) zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (mit Abrechnung) die Beklagte (Vertreter; zweifach) 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 20 - Aarau, 28. November 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: Dubs Schmutz
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2001 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 47 8 Art. 85a SchKG. Die Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG kann der Betriebene auch dann erheben, wenn auf die Aberkennungsklage wegen Nichtleistung der Sicherheit für die Parteikosten nicht eingetreten worden ist. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Zivilkammer, vom 23. August 2001 i.S. Ch.P. gegen I. GmbH Aus den Erwägungen 1. Die Partei, die als Kläger oder Widerkläger auftritt, hat der Gegenpartei auf deren Begehren für die Parteikosten Sicherheit zu leisten, wenn gegen sie ein Konkursverfahren hängig ist, Verlustscheine bestehen, oder wenn sie aus anderen Gründen als zahlungsunfähig erscheint (§ 105 lit. b ZPO). Ist eine Partei mit der Leistung der ihr bei Prozesseinleitung auferlegten Sicherheit säumig, wird nach Ansetzung einer letzten Frist auf ihre Klage nicht eingetreten (§ 110 Abs. 1 ZPO). 2.a) Die Nichtleistung der Sicherheit gemäss §§ 105 ff. ZPO ist ein Prozesshindernis, bei dessen Vorliegen, wie von der Vorinstanz zutreffend festgehalten, das Verfahren durch ein Prozessurteil zu er- ledigen ist. Die Klage wird in solchen Fällen materiell nicht behan- delt (vgl. Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zi- vilprozessordnung, 2.A., N. 13 zu § 284). Gemäss Art. 85a SchKG kann der Betriebene jederzeit vom Gericht des Betreibungsortes feststellen lassen, dass die Schuld nicht oder nicht mehr besteht oder gestundet ist. Diese Klage kann nach der Lehre insbesondere auch dann erhoben werden, wenn die Aberkennungsklage verspätet einge- reicht und ein Wiederherstellungsgesuch rechtskräftig abgewiesen wurde (vgl. Walder/Kull/Kottmann, Bundesgesetz über Schuldbe- treibung und Konkurs, Zürich 1997, N. 8 ff. zu Art. 85a). Entgegen der Vorinstanz muss deshalb der Betriebene auch dann gemäss Art. 85a SchKG vorgehen können, wenn er die Aberkennungsklage zwar rechtzeitig erhoben, die Frist zur Leistung der Sicherheit für die Parteikosten aber verpasst hat. 2001 Obergericht/Handelsgericht 48 b) Zusammenfassend kann, entgegen der Vorinstanz, das Nichteintreten auf die Aberkennungsklage wegen Nichtleistens der Sicherheit für die Parteikosten nicht einem Abweisungsentscheid in jenem Verfahren gleichgestellt werden, da im ersteren Fall keine ma- terielle Beurteilung des Anspruches erfolgt und es sich daher im Re- sultat so verhält, wie wenn die Aberkennungsklage gar nicht erhoben worden wäre. Wie dargelegt bleibt ausserdem die Klage nach Art. 85a SchKG auch in solchen Fällen möglich.
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https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-8.pdf
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2004 Zivilrecht 27 2 Art. 310 Abs. 1, 314a Abs. 1 und 2 und 405a Abs. 1 - 3 ZGB. Unterbringung des Kindes in einer Anstalt durch Beschluss der Vormundschaftsbehörde (Art. 420 Abs. 2 ZGB). Rechtsmittel. 1. Die durch Beschluss der Vormundschaftsbehörde angeordnete Unter- bringung eines elterlicher Sorge unterstehenden Kindes in einer Anstalt ist als Eingriff in das elterliche Sorgerecht ein Obhutsentzug gemäss Art. 310 Abs. 1 ZGB. 2. Einem solchen gleich steht die durch Beschluss der Vormundschaftsbe- hörde angeordnete Unterbringung eines unter Vormundschaft (Art. 368 Abs. 1 ZGB) der Fürsorge des Vormunds (Art. 405 Abs. 2 ZGB) unterste- henden Kindes in einer Anstalt (Art. 405a Abs. 1 ZGB). 3. Zuständig zur gerichtlichen Beurteilung der durch Beschluss der Vor- mundschaftsbehörde (Art. 420 Abs. 2 ZGB) angeordneten Unterbringung des Kindes in einer Anstalt auf Begehren der Eltern oder des über 16 Jah- re alten Kindes (Art. 314a Abs. 1 und 2 bzw. Art. 405a Abs. 2 und 3 ZGB) ist die Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts als zweitin- stanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde und gerichtliche Be- schwerdeinstanz. 4. Diese kann dagegen binnen zehn Tagen mit Beschwerde (Art. 420 Abs. 2 ZGB) direkt angerufen werden (Art. 314a Abs. 1 und 2 bzw. 405a Abs. 2 und 3 i.V.m. Art. 397d ZGB). Aus dem Entscheid des Obergerichts, Kammer für Vormundschaftswesen, vom 20. Dezember 2004 Aus den Erwägungen 1. Das ZGB unterscheidet zwischen unmündigen, d.h. in seiner Terminologie als "Kind" bezeichneten Personen ab Geburt bis zum zurückgelegten 18. Altersjahr einerseits und mündigen Personen ab zurückgelegtem 18. Altersjahr, sog. Erwachsenen, andererseits (vgl. Art. 14 ZGB). Es regelt dementsprechend einerseits im dritten Ab- schnitt unter dem Titel "Die elterliche Sorge" (Art. 296 ff. ZGB) den Kindesschutz durch Kindesschutzmassnahmen (Art. 307 bis 312 ZGB) mit Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften (Art. 313 bis 2004 Obergericht/Handelsgericht 28 317 ZGB) und andererseits im Vormundschaftsrecht (Art. 360 ff. ZGB) den Erwachsenenschutz durch vormundschaftliche Massnah- men (Art. 369 und 370 i.V.m. Art. 385 Abs. 1, 386 und 392 bis 395 ZGB) mit Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften (Art. 374, 376 und 396/397 ZGB) und die fürsorgerische Freiheitsentziehung durch die unter diesem Titel in Art. 397a ff. ZGB geregelte Anstaltsunter- bringung mündiger oder entmündigter Personen mit Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften (Art. 397b bis 397f ZGB), u.a. der Vor- schrift des Art. 397b ZGB, dass "die betroffene oder eine ihr nahe stehende Person ... gegen den Entscheid innert zehn Tagen nach der Mitteilung schriftlich den Richter anrufen" kann (Abs. 1) und "dieses Recht ... auch bei Abweisung eines Entlassungsgesuchs" besteht (Abs. 2). 2. a) Das ZGB regelt im dritten Abschnitt "Die elterliche Sorge" (Art. 296 ff. ZGB) unter dem Titel "C. Kindesschutz" (Art. 307 bis 317 ZGB) den Kindesschutz durch die dort vorgesehenen Kindes- schutzmassnahmen (Art. 307 bis 312 ZGB) abschliessend. Danach unterstehen Kinder, solange sie unmündig sind, der elterlichen Sorge (Art. 296 Abs. 1 ZGB) und damit der Entscheidungs- und Erzie- hungsgewalt sowie gesetzlichen Vertretung des Inhabers der elterli- chen Sorge (Art. 297 Abs. 1 bzw. 298 Abs. 1 i.V.m. Art. 301 bis 304 ZGB). Sie sind diesem gegenüber gehorsamspflichtig (Art. 301 Abs. 2 ZGB) und vor diesem bei Gefährdung des Kindeswohls durch unsachgemässe oder pflichtwidrige Ausübung des elterlichen Sorge- rechts durch die in Art. 307 bis 312 ZGB abschliessend vorgesehe- nen Kindesschutzmassnahmen geschützt. Diese Kindesschutzmass- nahmen bestehen in einem Eingriff in das elterliche Sorgerecht, der von einer blossen Anweisung für die Ausübung des elterlichen Sor- gerechts (Art. 307 ZGB) aus und über dessen Beschränkung durch eine Beistandschaft (Art. 308/309 ZGB) und die Aufhebung der elterlichen Obhut durch Unterbringung des Kindes an einem Drittort (Art. 310 ZGB) bis hin zur Entziehung der elterlichen Sorge (Art. 311 bzw. 312 ZGB) gehen kann. b) Art. 310 Abs. 1 ZGB sieht unter dem Titel "Aufhebung der elterlichen Obhut" als zweiteinschneidenste Massnahme vor der Ent- ziehung der elterlichen Sorge (Art. 311 bzw. 312 ZGB) vor: 2004 Zivilrecht 29 " 1 Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders be- gegnet werden, so hat die Vormundschaftsbehörde es den Eltern, oder wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. 2 Die gleiche Anordnung trifft die Vormundschaftsbe- hörde auf Begehren der Eltern oder des Kindes, wenn das Verhältnis so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist und nach den Umständen nicht anders geholfen werden kann. 3 Hat das Kind längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt, so kann die Vormundschaftsbehörde den Eltern seine Rücknahme untersagen, wenn diese die Entwicklung des Kindes ernstlich zu gefährden droht." Die Kindesschutzmassnahme der Entziehung der elterlichen Obhut (Art. 310 ZGB) besteht in einem das Aufenthaltsbestim- mungsrecht der Kindseltern für das Kind aufhebenden Eingriff in das elterliche Sorgerecht durch Fremdplatzierung des Kindes an einem Drittort, wobei dieser auch eine Anstalt sein kann und darunter ge- mäss Art. 314a Abs. 1 ZGB - wie übrigens auch gemäss Art. 397a Abs. 1 ZGB - eine Erziehungs-, Versorgungs-, Heil- oder Strafanstalt zu verstehen ist (Art. 26 ZGB; vgl. zum Begriff der "Anstalt": BGE 121 III 306). Dabei kann die Kindesschutzmassnahme der Entzie- hung der elterlichen Obhut gemäss Art. 310 ZGB, weil die Entzie- hung der elterlichen Obhut ohne Fremdplatzierung des Kindes an einem Drittort keine Entziehung der elterlichen Obhut sein kann, nur durch Anordnung der Fremdplatzierung des Kindes an einen Drittort, in einer Pflegefamilie, Anstalt oder sonstigen Unterkunft ausserhalb des Wohn- oder Aufenthaltsorts des Inhabers der elterlichen Sorge, erlassen werden (AGVE 1991 Nr. 26 S. 524; BGE 5C.84/2001 i.S. A. und B. gegen Obergericht des Kt. TG). c) Zuständig zur Anordnung und Abänderung von Kindes- schutzmassnahmen (Art. 307 bis 312 und Art. 313 ZGB) sind gemäss 2004 Obergericht/Handelsgericht 30 Art. 315 Abs. 1 ZGB grundsätzlich die vormundschaftlichen Be- hörden am gesetzlichen Wohnsitz des Kindes (Art. 25 Abs. 1 bzw. 2 ZGB) sowie - ausnahmsweise - nach eingeleitetem gerichtlichem Verfahren der Eheschutz- oder Ehescheidungsrichter (Art. 315a und 315b ZGB), der nach Auflösung des gemeinsamen ehelichen Haus- halts über die Zuteilung der elterlichen Obhut oder Sorge (Art. 297 Abs. 2 ZGB) und damit auch über damit zusammen - und davon abhängige Kindesschutzmassnahmen zu entscheiden sowie mit deren Vollziehung die Vormundschaftsbehörde zu betrauen hat (Art.315a Abs. 1 und 2 und 315b Abs. 1 ZGB). Das ZGB erklärt damit zur Anordnung und Abänderung von Kindesschutzmassnahmen aus- schliesslich die vormundschaftlichen Behörden sowie nach eingelei- tetem gerichtlichem Verfahren den Eheschutz- oder Ehescheidungs- richter zuständig und enthält ausser diesen Zuständigkeits- auch Ver- fahrensvorschriften für die Anordnung und Sicherung der unverzüg- lichen Vollziehung von Kindesschutzmassnahmen (Art. 314 Ziff. 1 und 2 ZGB). Dabei ist zuständig zur Anordnung und Abänderung von Kindesschutzmassnahmen ausserhalb des gerichtlichen Verfah- rens vor dem Eheschutz- oder Ehescheidungsrichter grundsätzlich die Vormundschaftsbehörde (Art. 307 bis 310 und 312 ZGB) sowie für die Kindesschutzmassnahme der Entziehung der elterlichen Sor- ge gemäss Art. 311 ZGB die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde und deren Entscheid sowie der Beschluss der Vormundschaftsbehör- de über eine Kindesschutzmassnahme (Art. 420 Abs. 2 ZGB) mit vormundschaftlicher Beschwerde (Art. 420 ZGB) an die Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts weiterziehbar (Art. 420 Abs. 2 und Art. 420/315 Abs. 2 ZGB i.V.m. §§ 2 Abs. 2 Bst. c und 55c Abs. 4 EGZGB). 3. Das ZGB sieht sodann in der im vierten Abschnitt "Die elter- liche Sorge" unter dem Titel "C. Kindesschutz" befindlichen Vor- schrift des Art. 314a Abs. 1 ZGB sowie im Vormundschaftsrecht in Art. 405a Abs. 1 ZGB vor, dass dann, wenn das Kind durch be- schwerdefähigen Beschluss der Vormundschaftsbehörde (Art. 420 Abs. 2 ZGB) - allenfalls auf Veranlassung einer vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde - bzw. im Rahmen einer Vormundschaft (Art. 368 Abs. 1 ZGB) auf Antrag des Vormunds - nach allenfalls von diesem 2004 Zivilrecht 31 vorsorglich angeordneter Anstaltseinweisung - in einer Anstalt unter- gebracht wird, "die Vorschriften über die gerichtliche Beurteilung und das Verfahren bei fürsorgerischer Freiheitsentziehung gegenüber mündigen oder entmündigten Personen sinngemäss" gelten (Art. 314a Abs. 1 bzw. Art. 405a Abs. 2 ZGB) und dass "das Kind", das "das 16. Altersjahr noch nicht zurückgelegt" hat, "nicht selber gerichtliche Beurteilung verlangen" kann (Art. 314a Abs. 2 bzw. Art. 405a Abs. 3 ZGB). Damit ist gesagt, dass in Fällen, in denen ei- ne Vormundschaftsbehörde durch beschwerdefähigen Beschluss (Art. 420 Abs. 2 ZGB) die Kindesschutzmassname des Obhutsent- zugs durch Unterbringung des Kindes in einer Anstalt (Art. 310 ZGB) oder im Rahmen einer Vormundschaft (Art. 368 Abs. 1 ZGB) auf Antrag des Vormunds die Unterbringung des Kindes in einer An- stalt angeordnet hat, die Vorschriften und das Verfahren bei fürsorge- rischer Freiheitsentziehung gegenüber mündigen und entmündigten Personen (Art. 397a ff. ZGB) mit der dort vorgesehenen gerichtli- chen Beurteilung bzw. Überprüfung der Anstaltseinweisung durch den Richter (Art. 397d ZGB) "sinngemäss" gelten (Art. 314a Abs. 1 bzw. Art. 405a Abs. 2 ZGB), wobei neben den betroffenen Kinds- eltern das Kind nach dessen zurückgelegtem sechzehntem Altersjahr selbständig gerichtliche Beurteilung verlangen kann. a) Das ZGB verlangt mit der vorgeschriebenen gerichtlichen Beurteilung in sinngemässer Anwendung der Vorschriften über die fürsorgerische Freiheitsentziehung gegenüber mündigen und ent- mündigten Personen (Art. 314a Abs. 1 und Art. 405a Abs. 2 ZGB) die Überprüfung der durch beschwerdefähigen Beschluss der Vor- mundschaftsbehörde (Art. 420 Abs. 2 ZGB) angeordneten Unter- bringung des Kindes in einer Anstalt durch den Richter auf Begehren der Kindseltern oder des Kindes nach dessen zurückgelegtem 16. Al- tersjahr und damit ein zur richterlichen Überprüfung einer solchen vormundschaftsbehördlichen Anordnung führendes Rechtsmittel. Diesem gesetzlichen Erfordernis ist Genüge getan, wenn die zweitin- stanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde eine richterliche Instanz ist, an die die durch beschwerdefähigen Beschluss der Vor- mundschaftsbehörde (Art. 420 Abs. 2 ZGB) angeordnete Unterbrin- gung des Kindes in einer Anstalt mit dem Rechtsmittel der vormund- 2004 Obergericht/Handelsgericht 32 schaftlichen Beschwerde binnen zehn Tagen (Art. 420 i.V.m. Art. 314a Abs. 1/397b ZGB) weitergezogen werden kann und die darüber in freier richterlicher Kognition entscheidet. b) Im Kanton Aargau ist zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde die Kammer für Vormundschaftswesen des Ober- gerichts (Art. 361 Abs. 2 ZGB i.V.m. § 59 Abs. 4 EGZGB und §§ 26/27 GOD), d.h. eine richterliche Instanz, die in gesetzlicher Doppelfunktion Aufsichts- und Beschwerdeinstanz sowie als solche zur Überprüfung der mit Beschwerde an sie weitergezogenen Be- schlüsse der Vormundschaftsbehörden (Art. 420 Abs. 2 ZGB) und Entscheide der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden zuständig ist (Art. 420 ZGB i.V.m. §§ 2 Abs. 2 Bst. c und 55c EGZGB). Damit ist die in Art. 314a Abs. 1 bzw. Art. 405a Abs. 2 ZGB vorgeschriebene gerichtliche Beurteilung einer durch beschwerdefähigen Beschluss der Vormundschaftsbehörde (Art. 420 Abs. 2 ZGB) mit der Kindes- schutzmassnahme des Obhutsentzugs (Art. 310 ZGB) oder im Rah- men einer Vormundschaft (Art. 368 Abs. 1 ZGB) auf Antrag des Vormunds (Art. 405a Abs. 1 ZGB) angeordneten Unterbringung des Kindes in einer Anstalt durch eine richterliche Instanz sichergestellt (Gottlieb Iberg, aus der Praxis zur fürsorgerischen Freiheitsentzie- hung, in: SJZ 1983, Jg. 79, S. 293 f., insbes. Anm. 3). Die Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts ist danach als zweitin- stanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde und gerichtliche Beschwerdeinstanz im Rahmen ihrer gemäss gesetzlicher Zuständig- keitsordnung (Art. 420 und 361 Abs. 2 ZGB/§ 59 Abs. 4 EGZGB i.V.m. §§ 2 Abs. 2 Bst. c und 55c Abs. 4 EGZGB) vorgegebenen Zuständigkeit zur Beurteilung von Beschwerden gegen die nach dem Entscheid der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde an sie weiter- gezogenen Beschlüsse der Vormundschaftsbehörden (Art. 420 Abs. 2 ZGB) auch zur Beurteilung der mit einem solchen angeordneten Un- terbringung eines Kindes in einer Anstalt (Art. 310 bzw. 405a Abs. 1 ZGB) zuständig und kann gegen eine solche vormundschaftsbehörd- liche Anordnung nach Massgabe des Art. 314a Abs. 1 bzw. 405a Abs. 2 ZGB mit vormundschaftlicher Beschwerde binnen zehn Tagen direkt angerufen werden (Art. 420 ZGB; Art. 314a Abs. 1 bzw. 405a Abs. 2 i.V.m. Art. 397d ZGB), was für die bundesrechtlich vorge- 2004 Zivilrecht 33 schriebene richterliche Überprüfung einer solchen Anordnung genügt (vgl. dazu BGE 121 III 306, auch BGE 5C.84/2001 vom 7. Mai 2001 i.S. A. und B. gegen Obergericht des Kt. TG und BGE 5C.302/2001 vom 15. Januar 2002 i.S. Z. gegen Verwaltungsgericht des Kt. BL). c) Die Zuständigkeit zur gerichtlichen Beurteilung bzw. Über- prüfung einer durch beschwerdefähigen Beschluss der Vormund- schaftsbehörde (Art. 420 Abs. 2 ZGB) angeordneten Unterbringung des Kindes in einer Anstalt (Art. 310 bzw. 368 Abs. 1 i.V.m. Art. 405a Abs. 1 ZGB) liegt aus folgenden Gründen bei der Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts: aa) Auszugehen ist davon, dass die Unterbringung eines Kindes in einer Anstalt, sofern sie nicht nach dem Tod der sorgeberechtigten Kindseltern oder nach rechtskräftig erlassener Kindesschutzmass- nahme der Entziehung der elterlichen Sorge (Art. 311 bzw. 312 ZGB) im Rahmen einer Vormundschaft (Art. 368 Abs. 1 i.V.m. Art. 405a Abs. 1 ZGB) erfolgt, nur mit einem Eingriff in die elterli- che Sorge durch die Kindesschutzmassnahme des Obhutsentzugs (Art. 310 ZGB) angeordnet werden kann, die in der Fremdplatzie- rung des Kindes besteht. Diese Kindesschutzmassnahme ist ein in der Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Kindseltern für das Kind bestehender Eingriff in die elterliche Sorge durch Fremdplatzierung des Kindes, setzt eine Gefährdung des Kindes- wohls bei weiterem Verbleib des Kindes in der Obhut der sorgebe- rechtigten Kindseltern voraus, kann mit dem Rechtsmittel der Be- schwerde an die vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden (Art. 420 Abs. 2 bzw. 420/361 Abs. 2 ZGB i.V.m. §§ 59 Abs. 4 und 2 Abs. 2 Bst. c EGZGB), in dessen Rahmen die Kindesgefährdung und Eig- nung der sorgeberechtigten Kindseltern zur Ausübung der elterlichen Obhut zu überprüfen ist, beanstandet werden und muss im Falle des Obhutsentzugs durch Unterbringung des Kindes in einer Anstalt mit einem insoweit zur gerichtlichen Beurteilung führenden Rechtsmittel binnen zehn Tagen angefochten werden können (Art. 314a Abs. 1 i.V.m. Art. 397d ZGB). Eine Gabelung des Rechtswegs mit Zustän- digkeit der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden zur Überprüfung der Kindesgefährdung und Eignung der sorgeberechtigten Kinds- eltern zur Ausübung der elterlichen Obhut auf dem Beschwerdeweg 2004 Obergericht/Handelsgericht 34 und Zuständigkeit des - zur gerichtlichen Überprüfung der fürsorge- rischen Freiheitsentziehung für "eine unmündige oder entmündigte Person" (Art. 397a Abs. 1 ZGB) zuständigen (§ 67o EGZGB) - Ver- waltungsgerichts zur gerichtlichen Beurteilung der angeordneten Un- terbringung des Kindes in einer Anstalt ist bundesrechtlich unzuläs- sig und kann auch deshalb nicht statthaft sein, weil sie zu wider- sprüchlichen Entscheiden der vormundschaftlichen Aufsichtsbehör- de, zweitinstanzlich Kammer für Vormundschaftswesen des Oberge- richts, und des Verwaltungsgerichts führen könnte. Es kann daher gegen die Kindesschutzmassnahme des Obhutsentzugs durch Unter- bringung des Kindes in einer Anstalt (Art. 310 ZGB) gesetzlich nur ein einziges Rechtsmittel offen stehen, das zur gerichtlichen Beur- teilung in sinngemässer Anwendung der Vorschriften über die fürsor- gerische Freiheitsentziehung (Art. 314a Abs. 1 und 2 ZGB) führen muss (BGE 5C.84/2001 vom 7. Mai 2001 i.S. A. und B. gegen Ober- gericht des Kt. TG). Gleiches muss auch für die ausserhalb dieser Kindesschutzmassnahme im Falle des Todes des Inhabers der elterli- chen Sorge oder nach rechtskräftig erlassener Kindesschutzmass- nahme der Entziehung der elterlichen Sorge (Art. 311 bzw. 312 ZGB) im Rahmen einer Vormundschaft (Art. 368 Abs. 1 i.V.m. Art. 405a Abs. 1 ZGB) durch die Vormundschaftsbehörde angeord- nete Unterbringung des Kindes in einer Anstalt (Art. 405a Abs. 2 ZGB) gelten. bb) Die in den Art. 314a Abs. 1 und 2 und 405a Abs. 2 und 3 ZGB vorgeschriebene gerichtliche Beurteilung einer beanstandeten vormundschaftsbehördlich angeordneten Unterbringung des Kindes in einer Anstalt in sinngemässer Anwendung der Vorschriften bei fürsorgerischer Freiheitsentziehung (Art. 397a bis 397f ZGB) ist damit sichergestellt und braucht keine Ausführungsvorschrift, zumal auch das dort vorgeschriebene rasche und einfache Verfahren (Art. 397f Abs. 1 ZGB) im Kindesschutz (Art. 307 bis 312 ZGB) bereits vorgegeben ist (§ 1 Abs. 1 bzw. § 59 Abs. 5 EGZGB i.V.m. §§ 38 ff. VRPG). cc) Das EGZGB enthält unter dem Titel "fürsorgerische Frei- heitsentziehung" Ausführungsvorschriften (§§ 67a bis 67s EGZGB) zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung gegenüber mündigen und 2004 Zivilrecht 35 entmündigten Personen (Art. 397a Abs. 1 ZGB) und darin in § 67b Abs. 1 b EGZGB eine einzige sich ausdrücklich auf Unmündige beziehende Vorschrift, die die für die Unterbringung eines Kindes in einer Anstalt massgebenden bundesrechtlichen Zuständigkeitsvor- schriften des ZGB (Art. 310 und 405a) wiederholt. Sie ist insoweit wegen dessen derogatorischer Kraft und, soweit sie die gerichtliche Beurteilung der mit einem Obhutsentzug (Art. 310 ZGB) angeord- neten Unterbringung des Kindes in einer Anstalt in die Zuständigkeit des in § 67o EGZGB für die gerichtliche Beurteilung der fürsorgeri- schen Freiheitsentziehung gegenüber mündigen und entmündigten Personen zuständig erklärten Verwaltungsgerichts weisen will, auch deshalb nicht anwendbar, weil sie damit eine bundesrechtswidrige Gabelung des Rechtsweges zur Überprüfung der Kindesschutzmass- nahme des Obhutsentzugs durch Unterbringung des Kindes in einer Anstalt vorsehen würde. Die Vorschrift des § 67o EGZGB mit der dort vorgesehenen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur gerichtlichen Beurteilung ist als Vollziehungsvorschrift des Art. 397d ZGB für die fürsorgeri- sche Freiheitsentziehung gegenüber mündigen und entmündigten Personen (Art. 397a Abs. 1 ZGB) und nicht auch auf die Kindes- schutzmassnahme des Obhutsentzugs durch Unterbringung eines Kindes in einer Anstalt (Art. 310 ZGB) und die einer solchen gleich- stehende Unterbringung des Kindes in einer Anstalt (Art. 405a Abs. 1 ZGB) im Rahmen einer Vormundschaft (Art. 368 Abs. 1 ZGB) anwendbar. Die Unterbringung des Kindes in einer Anstalt hat im einen wie im andern Fall (Art. 310 bzw. 405a Abs. 1 ZGB) durch beschwerdefähigen Beschluss der Vormundschaftsbehörde (Art. 420 Abs. 2 ZGB) zu erfolgen, der auf dem dagegen offen stehenden Be- schwerdeweg (Art. 420 ZGB) binnen zehn Tagen anfechtbar und durch die Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde und gericht- liche Beschwerdeinstanz (Art. 361 Abs. 2 / 420 ZGB i.V.m. §§ 59 Abs. 4, 2 Abs. 2 Bst. c und 55c Abs. 4 EGZGB) gerichtlich zu über- prüfen ist (Art. 314a Abs. 1 und 2 bzw. 405a Abs. 2 und 3 i.V.m. Art. 367d ZGB). 2004 Obergericht/Handelsgericht 36 dd) Zusammenfassend ist somit festzustellen: Die Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts ist als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde und gerichtliche Beschwer- deinstanz im Rahmen ihrer Zuständigkeit im Vormundschafts- und Kindesrecht zur Beurteilung der mit Beschwerde (Art. 420 ZGB) an sie weitergezogenen Beschlüsse der Vormundschaftsbehörden (Art. 420 Abs. 2 ZGB; Art. 420/361 Abs. 2 i.V.m. §§ 54 Abs. 4 und 2 Abs. 2 Bst. c) auch zur gerichtlichen Beurteilung der in einem sol- chen mit der Kindesschutzmassnahme des Obhutsentzugs (Art. 310 ZGB) oder im Rahmen einer Vormundschaft (Art. 368 Abs. 1 i.V.m. Art. 405a Abs. 1 ZGB) angeordneten Unterbringung des Kindes in einer Anstalt zuständig und kann dagegen mit dem Rechtsmittel der vormundschaftlichen Beschwerde binnen zehn Tagen (Art. 420 ZGB) direkt angerufen werden (Art. 314a Abs. 1 und 2 bzw. 405a Abs. 2 und 3 i.V.m. Art. 397d ZGB).
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2006 Obergericht 24 [...] 2 Art. 129 Abs. 1 ZGB. Eine Sistierung der Unterhaltsrente kommt in Betracht, wenn mit Be- stimmtheit oder grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die ur- sprüngliche Leistungsfähigkeit der verpflichteten Person oder der ur- sprüngliche Unterhaltsbedarf der berechtigten Person sich wieder einstel- len werden. Ist auf Seiten des Unterhaltsschuldners eine Verschlechte- rung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten, welche zwar erheblich ist und über längere Zeit andauert, der endgültige Charakter der Veränderung aber trotzdem nicht feststeht, kann in solchen Fällen ein Wiederherstellungs- oder Wiedererhöhungsvorbehalt angeordnet wer- den, wonach die aufgehobene oder herabgesetzte Scheidungsrente bis zum im Scheidungsurteil festgesetzten Betrag wieder hergestellt oder er- höht wird, wenn und soweit auch die frühere Leistungsfähigkeit des Ren- tenschuldners wieder eintritt. 2006 Zivilrecht 25 Aus dem Entscheid des Obergerichts, Zivilgericht, 1. Kammer, vom 21. Februar 2006 in Sachen O.S. gegen U.M. Aus den Erwägungen 9. Die Sistierung des Unterhaltsbeitrags bewirkt, dass die unterhaltspflichtige Person während der Dauer der Sistierung von der Pflicht zur Unterhaltsleistung entbunden ist. Mit Ablauf der Frist lebt der Unterhaltsanspruch wieder auf (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 38, 39 zu Art. 129 ZGB; Schwenzer, in: Schwenzer, FamKomm Scheidung, Bern 2005, N 30 zu Art. 129 ZGB). Eine Sistierung der Unterhaltsrente kommt daher in Betracht, wenn mit Bestimmtheit oder grosser Wahrschein- lichkeit anzunehmen ist, dass die ursprüngliche Leistungsfähigkeit der verpflichteten Person oder der ursprüngliche Unterhaltsbedarf der berechtigten Person sich wieder einstellen werden (Sut- ter/Freiburghaus, a.a.O., N 32 zu Art. 129 ZGB). Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an dieser Sistierungs- voraussetzung. Wie die Vorinstanz und auch die Parteien festgestellt haben, ist offen, ob, wann und allenfalls in welcher Höhe der Kläger IV-Rentenleistungen erhalten und/oder ob er (teilweise) wieder ins Erwerbsleben eintreten wird. Selbst wenn mit grosser Wahrschein- lichkeit davon auszugehen wäre, dass dem Kläger in absehbarer Zeit eine Invalidenrente zugesprochen wird, stünde völlig dahin, ob er damit seine ursprüngliche Leistungsfähigkeit wieder erlangt. Dies gilt umso mehr, wenn der Rentenentscheid negativ ausfällt. Die von der Vorinstanz "bis zur Klärung seiner IV-Rentenberechtigung" ange- ordnete Sistierung der Unterhaltspflicht des Klägers ist daher aufzu- heben. 10. 10.1. Eine aufgehobene oder herabgesetzte Scheidungsrente kann nachträglich nicht mehr neu festgelegt oder erhöht werden (BGE 120 II 5 Erw. 5d), was bei der Urteilsfindung im Abänderungsverfahren 2006 Obergericht 26 Schwierigkeiten bereitet, wenn die Verschlechterung der wirtschaftli- chen Verhältnisse auf Seiten des Rentenschuldners zwar erheblich ist und über längere Zeit andauert, der endgültige Charakter der Verän- derung aber trotzdem noch nicht feststeht. Diesen Schwierigkeiten kann gemäss Lehre und Rechtsprechung mit einem Wiederherstel- lungs- oder Wiedererhöhungsvorbehalt begegnet werden, wonach die aufgehobene oder herabgesetzte Scheidungsrente bis zum im Schei- dungsurteil festgesetzten Betrag wieder hergestellt oder erhöht wird, wenn und soweit auch die frühere Leistungsfähigkeit des Renten- schuldners wieder eintritt. Über die Erfüllung dieser Bedingung ent- scheidet im Streitfall das Abänderungsgericht (BGE 5C.84/2005 Erw. 2.3 mit Hinweisen auf die Literatur und Rechtsprechung). 10.2. (...) Vorliegend ist rechtsgenüglich ausgewiesen, dass dem Kläger seit April 2005 die Leistungsfähigkeit zur Verpflichtung zu Unter- haltszahlungen an die Beklagte fehlt. Da diese Situation bereits rund 10 Monate andauert, der Kläger nach wie vor arbeitsunfähig ist, ein Rentenentscheid der Invalidenversicherung aussteht und völlig un- gewiss ist, ob, wann und in welchem Umfang der Kläger seine Ar- beitsfähigkeit wieder erlangen und ob er diese auf dem Arbeitsmarkt auch noch verwerten könnte, ist die Veränderung seiner wirtschaftli- chen Verhältnisse als dauerhaft zu betrachten und seine Unterhalts- pflicht entsprechend dem Anschlussappellationsbegehren Ziff. 2c ab dem 1. April 2005 aufzuheben. Es ist indessen zu erwarten, dass der Kläger bei dauernder Ar- beitsunfähigkeit eine Invalidenrente erhalten oder bei Wiedererlan- gung seiner Arbeitsfähigkeit nach einer allfälligen Umschulung wie- der ein Erwerbseinkommen erzielen wird. Es besteht somit zumin- dest die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger noch vor dem Erlöschen seiner Unterhaltspflicht bei Erreichen seines AHV-Alters gemäss Scheidungsurteil vom 14. Oktober 1998 des Bezirksgerichts Baden wieder eine Leistungsfähigkeit erlangt, die es ihm erlaubt, den im Scheidungsurteil festgesetzten Unterhaltsbeitrag ganz oder teilweise zu bezahlen. Die Aufhebung der Unterhaltspflicht ist daher mit ei- nem Wiederherstellungsvorbehalt zu versehen. Dabei ist zu beachten, 2006 Zivilrecht 27 dass der Kläger im Rentenfall für die Zeit seit Entstehen des Rentenanspruchs bis zum Rentenentscheid unter Umständen eine Nachzahlung erhalten wird. Da ein neuer Abänderungsentscheid in der Regel frühestens auf den Zeitpunkt der Klage zurückwirkt, ist der Rektifikationsvorbehalt rückwirkend auf den Zeitpunkt der Entste- hung eines allfälligen Rentenanspruchs auszugestalten. Der Kläger ist ausserdem zu verpflichten, die Beklagte umgehend über einen Rentenentscheid bzw. über ein allfälliges Erwerbseinkommen zu in- formieren.
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2000 Zivilprozessrecht 61 [...] 16 Rechtsverweigerung; Begründungspflicht Der Erlass vorläufiger Massnahmen i.S.v. § 294 ZPO bedarf mangels ei- ner Weiterzugsmöglichkeit keiner Begründung (Erw. 2/c-e). Aus dem Entscheid der Inspektionskommission vom 20. Dezember 2000 i.S. Y. Aus den Erwägungen 2. Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss eine Rechtsver- weigerung von Gerichtspräsident X. geltend, weil dieser mit der Abweisung ihres Begehrens um vorläufige Massnahmen im Ehe- schutz vom 19. Juni 2000 grundlegende Verfahrensgarantien in schwerwiegender Weise verletzt habe, sodass eine Rechtsverweige- rung vorliege. Zu prüfen ist vorliegend, ob das Verhalten von Gerichtspräsident X. rechtmässig ist oder ob eine Amtspflichtverlet- zung in Form einer Rechtsverweigerung vorliegt. Nicht Gegenstand dieses Verfahrens indessen ist mangels Zuständigkeit der Inspek- tionskommission die materielle Beurteilung der Begehren. a) Eine formelle Rechtsverweigerung begeht die in der Sache zuständige Behörde, wenn sie ein bei ihr gestelltes Gesuch nicht an die Hand nimmt und behandelt (BGE 102 Ib 237 mit weiteren Hinweisen). Als formelle Rechtsverweigerung gilt auch das Fehlen von Entscheidungsgründen, wo das Gesetz eine Begründungspflicht vorsieht oder wo es dem Betroffenen ohne Begründung nach den Umständen nicht möglich ist, sich ein Bild über die Tragweite der Verfügung zu machen und sie sachgemäss anzufechten (BGE 102 Ib 238, 98 Ia 464 ff. E. 5, 98 Ib 195 f. E. 2, je mit Hinweisen). 2000 Obergericht 62 b) Gerichtspräsident X. erliess am 21. Juni 2000 folgende Ver- fügung: ,,1. Der Antrag auf Erlass vorläufiger Massnahmen ist abgewie- sen. 2.-4.(...)" Der Verfügung waren weder eine Darstellung der Anträge der Beschwerdeführerin noch eine eigentliche Begründung zu entneh- men. c) Im Fall dringender Gefahr kann der Richter im Verfahren um Erlass vorsorglicher Verfügungen vor Anhörung der Gegenpartei vorläufige Massnahmen treffen (§ 294 Abs. 1 ZPO). Solche Mass- nahmen sind der Natur nach vorläufig und fallen mit Rechtskraft des Entscheides über das im Summarverfahren gestellte Begehren dahin (§ 294 Abs. 2 ZPO). Die Anordnung vorläufiger Massnahmen wird nicht rechtskräftig und kann vom Richter jederzeit aufgehoben oder abgeändert werden (Bühler/ Edelmann/Killer, Kommentar zur aar- gauischen Zivilprozessordnung, 2. A., Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1998, N 5 zu § 294 ZPO). Weder die Anordnung noch die Ablehnung vorläufiger Massnahmen ist weiterziehbar (AGVE 1990 S. 71). d) Gerichtspräsident X. hat das Begehren der Beschwerdefüh- rerin um Erlass einer vorläufigen Massnahme betreffend die Unterhaltsverpflichtung ihres Ehemannes mit Verfügung vom 21. Juni 2000 abgelehnt (Ziff. 1) und diesen Enscheid nicht be- gründet. Eine Begründung beim Erlass vorläufiger Massnahmen ist in der ZPO nicht vorgesehen. Die Beschwerdeführerin leitet die Begründungspflicht aus den §§ 276 und 277 ZPO ab. Ihr ist indessen entgegenzuhalten, dass die Verfügung von Gerichtspräsident X. vom 21. Juni 2000 nicht einen Endentscheid, sondern einen - nicht weiterziehbaren - Zwischenentscheid darstellt, weshalb die Regeln von §§ 276 und 277 ZPO gar nicht zur Anwendung gelangen. e) Nun verlangt die Praxis, wie erwähnt, auch dann eine Begründung, wenn eine solche zwar nicht ausdrücklich vorgesehen ist, es dem Betroffenen ohne diese aber nach den Umständen nicht 2000 Zivilprozessrecht 63 möglich ist, sich ein Bild über die Tragweite der Verfügung zu machen und sie sachgemäss anzufechten. Vorliegend besteht diese Anfechtungsmöglichkeit eben gerade nicht. Die betroffene Verfahrenspartei hat somit kein geschütztes Interesse an einer vollständig begründeten Verfügung, da sie weder über die Tragweite der Verfügung im Ungewissen ist noch diese weiterziehen kann. Eine Rechtsverweigerung kann daher im Fehlen einer Begründung beim Erlass vorläufiger Massnahmen nicht erblickt werden. (...)
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2012 Obergericht 58 9 Art. 324 ff. StPO Anklageerhebung Die Staatsanwaltschaft darf mit der Anklageerhebung keinen Freispruch der beschuldigten Person beantragen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 11. April 2012 i.S. Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm gegen K.B. (SBK.2011.253). Das Bundesgericht ist auf eine gegen diesen Entscheid ergriffene Be- schwerde nicht eingetreten (Urteil des Bundesgerichts 1B_295/2012 vom 21. November 2012). Sachverhalt Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm erhob beim Bezirksge- richt Zofingen Anklage gegen K. B. wegen Verdachts auf Vergewal- tigung zum Nachteil seiner Ehefrau. In der Anklage beantragte die Staatsanwaltschaft, K. B. sei vom Vorwurf der Vergewaltigung frei- zusprechen. Das Bezirksgericht Zofingen ist auf die Anklage nicht eingetreten und hat sie an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft erhebt dagegen Beschwerde. Aus den Erwägungen 4.2. [...] Es eröffnet sich hier die Frage, ob die Staatsanwaltschaft im Fall, da sie nach abgeschlossener Untersuchung (vgl. Art. 318 Abs. 1 StPO) beim zuständigen Gericht Anklage erhebt, wenn sie aufgrund der Untersuchung die Verdachtsgründe als hinreichend erachtet und keinen Strafbefehl erlassen kann (Art. 324 Abs. 1 StPO), in der An- klageschrift einen Freispruch der beschuldigten Person beantragen darf. Hingegen dürfte im Lichte der bisherigen Lehre 2012 Strafprozessrecht 59 (H AUSER /S CHWERI /H ARTMANN , Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 37 N. 4 und § 50 N. 8a; N IKLAUS O BERHOLZER , Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2005, N. 1408) und der früheren Praxis der kantonalaargauischen Gerichtsbehörden unter der Geltung der Strafprozessordnung des Kantons Aargau (StPO/AG) sowie angesichts der Rechtslage gemäss der schweizerischen Straf- prozessordnung in Art. 337 Abs. 2 und Art. 340 Abs. 1 lit. b StPO und der hiezu verfassten Meinungen in der Literatur (S CHMID , Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 5 zu Art. 337 und N. 4 zu Art. 340 StPO; M ARKUS W EBER /S ARAH W ILDI , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 15 zu Art. 337 StPO; M AX H AURI , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 3 zu Art. 340 StPO; P ETER R EUSSER , in: Kommentierte Textausgabe zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2008, S. 330; T HOMAS F INGERHUTH , in: Kom- mentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 6 zu Art. 337 und N. 5 zu Art. 340 StPO; siehe auch Botschaft zur Ver- einheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, S. 1286) in Lehre und Rechtsprechung unumstritten sein, dass wäh- rend der Hauptverhandlung bzw. gestützt auf das (Beweis-)Ergebnis der Hauptverhandlung ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Frei- sprechung der beschuldigten Person zulässig ist. 4.3. 4.3.1. 4.3.1.1. Zur Frage, ob die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift einen Freispruch der beschuldigten Person beantragen darf, hat sich das Bundesgericht unter der Geltung der neuen eidgenössischen StPO in seiner Rechtsprechung - soweit ersichtlich - bisher noch nicht geäussert. 4.3.1.2. In einem vor Inkrafttreten der eidgenössischen StPO ergange- nen Entscheid vom 12. Februar 2010 (OGE 51/2009/25 und 51/2009/29 vom 12. Februar 2010) erkannte das Obergericht des Kantons Schaffhausen im Zusammenhang mit einer Anklageerhe- bung durch die Staatsanwaltschaft verbunden mit einem Antrag auf 2012 Obergericht 60 Freispruch, dass in Fällen erheblicher beweismässiger oder rechtli- cher Zweifel am Vorliegen einer Straftat die Staatsanwaltschaft An- klage zu erheben habe, um eine richterliche Beurteilung zu ermögli- chen; in Fällen solcher rechtlicher Zweifel stehe es ihr jedoch frei, zum vorneherein einen Antrag auf Freispruch des Angeklagten zu stellen, wenn sie auf eine Verhandlungsteilnahme verzichten wolle und selber den Tatbestand als nicht erfüllt ansehe. Zur Begründung erwog das Obergericht im Wesentlichen, die Untersuchungs- und Anklagebehörden seien nicht dazu berufen, über Recht und Unrecht zu richten. Sie hätten - da dies dem Strafrichter vorbehalten bleibe - nicht eine abschliessende Beurteilung des allenfalls strafrechtlich relevanten Verhaltens eines Angeschuldigten vorzunehmen und auch nicht zu entscheiden, ob sich ein Angeschuldigter einer ihm zur Last gelegten Tat strafbar gemacht habe, sondern nur, ob genügend An- haltspunkte vorhanden seien, die es rechtfertigten, das Verfahren weiterzuführen. Der Grundsatz "in dubio pro reo" gelte im Stadium des Abschlusses der Untersuchung bzw. der möglichen Anklageer- hebung nicht. Bestünden Zweifel, ob das Gericht bei seiner Beurtei- lung mit Sicherheit zu einem Freispruch gelangen werde, müsse die Staatsanwaltschaft daher Anklage erheben. Das gelte nicht nur bei Zweifeln beweismässiger Art, sondern vor allem auch bei Zweifeln rechtlicher Art, d.h. im Zusammenhang mit der rechtlichen Subsum- tion des Verhaltens des Angeschuldigten. Obwohl die Staatsanwalt- schaft in Zweifelsfällen somit Anklage zu erheben habe, müsse es ihr möglich sein, anschliessend auf Freispruch zu plädieren, habe sie doch ihre Anträge nach freier Überzeugung zu stellen, wobei sie freilich die bestehende Lehre und Rechtsprechung zu berücksichti- gen habe. 4.3.1.3. In einem ebenfalls vor Inkrafttreten der eidgenössischen StPO ergangenen Entscheid vom 24. September 2010 (GVP 2010 Nr. 120, S. 293 f.) erkannte die Anklagekammer des Kantonsgerichts des Kantons St. Gallen zusammengefasst, bei der Anklageerhebung blei- be der Grundsatz "in dubio pro reo" grundsätzlich unbeachtlich. Auf- grund des Legalitätsprinzips sei die Behörde zur Erhebung der An- klage verpflichtet, sofern nicht ausnahmsweise das Opportunitäts- 2012 Strafprozessrecht 61 prinzip angewendet werden könne. Im Übrigen stimme das Gesagte auch mit dem Anklagegrundsatz gemäss Art. 9 der Schweizerischen Strafprozessordnung überein. Danach könne eine Straftat nur gericht- lich beurteilt werden, wenn die Staatsanwaltschaft gegen eine be- stimmte Person wegen eines genau umschriebenen Sachverhalts beim zuständigen Gericht Anklage erhoben hat. Dies setze gerade voraus, dass die Staatsanwaltschaft zwingend den Antrag auf Schul- digsprechung zu stellen habe. 4.4. 4.4.1. Erachtet die Staatsanwaltschaft die Untersuchung als vollstän- dig, so erlässt sie einen Strafbefehl oder kündigt den Parteien mit bekanntem Wohnsitz schriftlich den bevorstehenden Abschluss an und teilt ihnen mit, ob sie Anklage erheben oder das Verfahren ein- stellen will (Art. 318 Abs. 1 Satz 1 StPO). Unter welchen Voraussetzungen ein Strafverfahren eingestellt werden darf, ergibt sich aus Art. 319 StPO. Gemäss Art. 319 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft - neben anderen hier nicht inter- essierenden Konstellationen (Art. 319 Abs. 1 lit. c-e und Art. 319 Abs. 2 StPO) - die vollständige oder teilweise Einstellung des Ver- fahrens, wenn namentlich kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine An- klage rechtfertigt (lit. a), oder kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b). Die Staatsanwaltschaft erhebt beim zuständigen Gericht An- klage, wenn sie aufgrund der Untersuchung die Verdachtsgründe als hinreichend erachtet und keinen Strafbefehl erlassen kann (Art. 324 Abs. 1 StPO). 4.4.2. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Formstrenge bzw. des Erledigungsprinzips (Art. 2 Abs. 2 StPO) fällt nach dem Gesag- ten in Betracht, dass das Verfahren ausschliesslich im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Formen abgeschlossen werden kann. Für den Fall eines einmal eingeleiteten Untersuchungsverfahrens bedeu- tet dies nach dessen Beendigung (Art. 318 Abs. 1 StPO), dass es - abgesehen von der Sistierung (Art. 314 StPO) - nur noch durch eine Einstellungsverfügung (Art. 319 ff. StPO), durch Anklageerhebung (Art. 324 ff. StPO) oder durch den Erlass eines Strafbefehls (Art. 352 2012 Obergericht 62 ff. StPO) abgeschlossen werden kann, worüber nach der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung allein die Staatsanwaltschaft zu entscheiden hat (W OLFANG W OHLERS , in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 16 zu Art. 2 StPO; S CHMID , a.a.O., N. 1 und 3 vor Art. 319-327 StPO; P ETER S TRAUB /T HOMAS W ELTERT , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessord- nung, 2011, N. 12 zu Art. 2 StPO). 4.4.3. Alsdann gilt bei der Frage, ob ein Strafverfahren über eine (de- finitive) Verfahrenseinstellung durch die Untersuchungsbehörde erle- digt werden kann, im schweizerischen Strafprozessrecht der Grund- satz "in dubio pro duriore". Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen verfügt werden. In Zweifelsfällen hat hingegen eine Anklage und gerichtliche Beurteilung zu erfolgen, sofern der Fall nicht mit Strafbefehl bzw. Strafverfügung erledigt werden kann (vgl. BGE 137 IV 219 E. 7.1 S. 227 mit Hinweisen; a.M.: S TEFAN H EIMGARTNER /M ARCEL A. N IGGLI , in: Basler Kom- mentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 11 f. zu Art. 324 StPO). Dieser Rechtsprechung folgte auch die Aargauer Praxis zur bisherigen kantonalen Strafprozessordnung (vgl. § 136 StPO/AG). Auch nach neuer eidgenössischer StPO gilt der Grundsatz "im Zweifel für die Anklageerhebung" bzw. "in dubio pro duriore", der zwar nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist, sich aber indirekt aus Art. 324 Abs. 1 i.V.m. Art. 319 Abs. 1 StPO ergibt (BGE 137 IV 219 E. 7.2 S. 228 mit Hinweisen). Ist aufgrund der Strafuntersuchung eher ein Freispruch zu erwarten, eine Verurteilung aber nicht als unwahrscheinlich auszuschliessen, hat demnach beim Gericht eine Anklage zu erfolgen (BGE 137 IV 219 E. 7.1 S. 227). Demgegen- über ist der Grundsatz "in dubio pro reo" (vgl. Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 10 Abs. 3 StPO) auf die Frage der Einstellung oder Anklageer- hebung im Untersuchungsstadium gerade nicht anwendbar. Er kommt (insbesondere als Beweiswürdigungsregel) vielmehr bei der richterlichen Prüfung sämtlicher massgeblicher Beweisergebnisse zum Zuge (BGE 137 IV 219 E. 7.3 S. 227 mit Hinweisen). 2012 Strafprozessrecht 63 4.4.4. Besteht nach den soeben dargelegten Grundsätzen kein Grund zur Einstellung nach Art. 319 StPO und sind die Voraussetzungen von Art. 352 StPO ebenfalls nicht erfüllt, erachtet also die Staatsan- waltschaft die Voraussetzungen für eine Anklageerhebung als gege- ben, so hat die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Untersuchung zwingend Anklage zu erheben (S CHMID , a.a.O., N. 1 zu Art. 324 StPO; N ATHAN L ANDSHUT , in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 5 zu Art. 324 StPO; H EIM - GARTNER /N IGGLI , a.a.O, N. 3 zu Art. 324 StPO), zumal der Staatsan- waltschaft gemäss Art. 16 Abs. 1 StPO die Durchsetzung des straf- prozessualen Legalitätsprinzips (Art. 7 Abs. 1 StPO) obliegt. Zudem folgt nach dem bisher Gesagten, dass gemäss geltendem Strafpro- zessrecht eine Straftat nur gerichtlich beurteilt werden kann, wenn die Staatsanwaltschaft gegen eine bestimmte Person wegen eines genau umschriebenen Sachverhalts beim zuständigen Gericht An- klage erhoben hat (Art. 9 Abs. 1 StPO), was geradezu voraussetzt, dass die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Schuldigsprechung der beschuldigten Person stellt, wie die Anklagekammer des Kantons St. Gallen im zitierten Entscheid überzeugend ausführte. Mit dieser vom Gesetzgeber vorgesehenen Konzeption der Voraussetzungen der Anklageerhebung und vor dem Hintergrund des staatlichen Strafmo- nopols (Art. 2 StPO) ist die Annahme, die Staatsanwaltschaft dürfe zum Zeitpunkt des Abschlusses des Untersuchungsverfahrens bzw. in der Anklageschrift - und damit vor der Beweisabnahme in der erstin- stanzlichen Hauptverhandlung - einen Freispruch der beschuldigten Person beantragen, nur schwer in Einklang zu bringen. Es kommt hinzu, dass eine solche Auffassung im Widerspruch zum eigentlichen Wesen der Anklage(-erhebung) stünde: Die Ankla- geerhebung beinhaltet den Vorwurf der zuständigen Strafverfol- gungsbehörde an eine bestimmte Person, eine Straftat begangen zu haben (H AUSER /S CHWERI /H ARTMANN , a.a.O., § 5 N. 19). Die An- klage ist dasjenige Schriftstück, mit dem die Staatsanwaltschaft ge- stützt auf die vorausgegangene Strafuntersuchung gegen die be- schuldigten Personen genau umschriebene Deliktsvorwürfe erhebt und diese damit zur Beurteilung ans Gericht überweist (L ANDSHUT , 2012 Obergericht 64 a.a.O., N. 1 zu Art. 324 StPO). Die Anklage enthält den Vorhalt, der die Hypothese bildet, welche die Staatsanwaltschaft durch die Unter- suchungsergebnisse für beweisbar und strafbar hält (H EIMGART - NER /N IGGLI , a.a.O, N. 3 zu Art. 324 StPO). Wenn auch vom Gesetz- geber in der StPO der Begriff der Anklage als solcher nicht definiert wird und die StPO eine Anklageerhebung durch die Staatsanwalt- schaft verbunden mit einem Antrag auf Freispruch der beschuldigten Person nach dem Gesetzeswortlaut im Zeitpunkt der Anklageer- hebung nicht explizit auszuschliessen scheint, so legen die Anfor- derungen der StPO an den Inhalt und die Zustellung einer An- klageschrift (Art. 325 ff. StPO) - gemäss Art. 325 Abs. 1 StPO sind in der Anklageschrift u.a. die beschuldigte Person (lit. d), die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung möglichst kurz, aber genau zu bezeichnen (lit f.) und die nach Auffassung der Staats- anwaltschaft erfüllten Straftatbestände unter Angabe der anwendba- ren Bestimmungen anzuführen (lit. g); die Staatsanwaltschaft über- mittelt die Anklageschrift sowie einen allfälligen Schlussbericht unverzüglich der beschuldigten Person (Art. 327 Abs. 1 lit. a StPO) - doch die Auslegung nahe, dass die Staatsanwaltschaft mit der An- klage das mutmasslich strafbare Verhalten ans Gericht mit der Be- hauptung eines Schuldspruchs zu überweisen hat. Dies setzt indes mit anderen Worten voraus, dass in der Anklageschrift der Antrag auf Schuldigsprechung (sowie Verurteilung) und nicht auf Freispruch gestellt wird. Bei diesem Verständnis des Wesens der Anklage ergibt sich bei einer Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft ver- bunden mit einem Antrag auf Freispruch der beschuldigten Person in der Tat ein innerer, unauflösbarer Widerspruch, kann doch die Staatsanwaltschaft, wenn sie Anklage und damit den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens erhebt, nicht gleichzeitig einen Freispruch - das Gegenteil eines Schuldspruchs - beantragen. Daran ändert entgegen der Auffassung in der Beschwerde nichts, dass die Staatsanwaltschaft allein dem Recht verpflichtet ist (Art. 4 Abs. 1 StPO) und sie belas- tende und entlastende Umstände mit gleicher Sorgfalt untersucht (Art. 6 Abs. 2 StPO), sind diese Bestimmungen doch in erster Linie massgebend für die Untersuchung und damit relevant vor dem Zeit- 2012 Strafprozessrecht 65 punkt des Entscheids der Staatsanwaltschaft darüber, ob das Strafver- fahren einzustellen oder Anklage zu erheben sei.
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2004 Strafprozessrecht 93 [...] 24 §§ 67 und 213 Abs. 1 StPO. Gegen einen Haftbefehl und die einem solchen vorangehende polizeiliche Ausschreibung kann nicht Beschwerde geführt werden. 2004 Obergericht/Handelsgericht 94 Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 1. Dezember 2004 i.S.M. P. Aus den Erwägungen 2. Die Beschwerde ist als Rechtsmittel u.a. gegen Verfügungen der Strafverfolgungsbehörden vorgesehen (§ 213 Abs. 1 StPO), mit einem Abänderungsbegehren gegen den angefochtenen Entscheid einzureichen (§ 208 Abs. 1 StPO) und nur zulässig, soweit nicht ein besonderer Rechtsbehelf gegeben ist und das Gesetz die Anfechtung nicht ausdrücklich ausschliesst (§ 213 Abs. 1 StPO). a) Der Haftbefehl (§ 67 i.V.m. § 69 Abs. 1 StPO) ist als eine schriftlich zu erlassende, die Verhaftung des Beschuldigten anord- nende Verfügung gemäss § 69 Abs. 2 StPO mit seinem Inhalt "dem Beschuldigten bei der Verhaftung oder unmittelbar nachher mitzutei- len", d.h. sogleich zu vollziehen und dem Beschuldigten mit oder nach seinem Vollzug zu eröffnen. Damit wird seine Anfechtung durch Beschwerde ausgeschlossen, weil diese mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Abänderungsbegehren (§ 208 Abs. 1 StPO) zur Bewirkung der Abänderung des angefochtenen Entscheids in seinen Auswirkungen auf den Betroffenen bestimmt ist und daher nicht gegen eine bereits mit ihrer Eröffnung vollstreckte Verfügung erho- ben werden kann. Der Haftbefehl ist daher weder vor noch nach sei- ner gesetzlich vorgeschriebenen Eröffnung mit seinem Vollzug durch Beschwerde anfechtbar, wobei er nach seinem Vollzug auch deshalb nicht mit Beschwerde angefochten werden kann, weil dagegen mit dem Gesuch um Haftentlassung (§ 76 StPO) ein besonderer Rechts- behelf offen steht, der die Beschwerde ausschliesst. Ebenso wenig wie der Haftbefehl kann selbstredend dessen Aufrechterhaltung mit Beschwerde anfechtbar sein. b) Gleiches gilt auch für die polizeiliche Ausschreibung des Be- schuldigten zur Verhaftung. Eine solche polizeiliche Ausschreibung ist als eine die Vollziehung eines Haftbefehls sichernde Anordnung bzw. Massnahme nicht eine Verfügung oder Entscheidung im Sinne des § 213 StPO und kann schon aus diesem Grund, aber auch des- 2004 Strafprozessrecht 95 halb nicht mit Beschwerde angefochten werden, weil diese gegen den Haftbefehl nicht zulässig ist und daher auch nicht gegen die des- sen Vollzug dienende Anordnung bzw. Massnahme der polizeilichen Ausschreibung zur Verhaftung zulässig sein kann.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2019.87 / as / mv Art. 105 Entscheid vom 6. Juni 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchsteller A., _ vertreten durch lic. iur. Rolf Müller, Rechtsanwalt, Bahnhofstrasse 44, Postfach 2622, 8022 Zürich Gesuchsgegne- rin S. AG, _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend definitive Rechtsöffnung - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Mit Gesuch vom 5. Juni 2019 (Postaufgabe: 5. Juni 2019) stellte der Ge- suchsteller folgende Rechtsbegehren: " 1. Es sei der Rechtsvorschlag vom 14. Oktober 2016 in der Betreibung Nr. XXX vom 13. Oktober 2016 des Betreibungsamtes St. Gallen zu und es sei im Betrag von CHF 1'100'000.00 zzgl. Zins zu 5% seit 16. September 2016 sowie für die Betreibungskosten im Betrag von CHF 413.30 nebst 5% Zins seit dem 13. Oktober 2016 definitive zu erteilen. 2. Es sei der Rechtsvorschlag vom 21. November 2016 in der Betreibung Nr. YYY vom 16. November 2016 des Betreibungsamtes St. Gallen zu beseitigen, und es sei im Betrag in der Höhe von CHF 113'000.00 zzgl. Zins zu 5% seit 16. September 2016 sowie für die Betreibungskosten im Betrag von CHF 203.30 nebst 5% Zins seit dem 16. November 2016 Rechtsöffnung zu erteilen. 3. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. 7.7% MWST) zu Lasten der Gesuchstellerin [recte: der Gesuchsgegnerin]." Zur Begründung wurde ausgeführt, der Gesuchsteller verfüge gegenüber der Gesuchsgegnerin über anerkannte und abgeurteilte Forderungen, wel- che er in Betreibung gesetzt habe und für diese nun je definitive Rechtsöff- nung verlange. Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche Zustän- digkeit des angerufenen Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 2. Zunächst ist die sachliche und örtliche Zuständigkeit zu prüfen (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 2.1. Der Gesuchsteller verlangt in den Betreibungen Nr. XXX vom 13. Oktober 2016 sowie Nr. YYY vom 16. November 2016 des Betreibungsamtes St. Gallen je die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung gemäss Art. 80 SchKG. - 3 - 2.2. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind die Handelsgerichte für betreibungsrechtliche Streitigkeiten "mit Reflexwirkungen auf das materi- elle Recht" sachlich nicht zuständig (BGE 141 III 527 E. 2.3 m.w.N.). Noch viel weniger können die Handelsgerichte daher für reine betreibungsrecht- liche Streitigkeiten, wozu auch das Rechtsöffnungsverfahren gehört, sach- lich zuständig sein. Für die definitive Aufhebung des Rechtsvorschlags im Sinne von Art. 80 SchKG ist der Rechtsöffnungsrichter, d.h. das jeweilige Bezirksgerichtsprä- sidium, sachlich zuständig (Art. 84 Abs. 1 SchKG sowie Art. 251 lit. a ZPO i.V.m. § 6 Abs. 1 lit. b EG ZPO; vgl. BGer 5D_143/2018 und 5D_142/2018 je vom 31. August 2018). Das Handelsgericht des Kantons Aargau ist für das vorliegende (definitive) Rechtsöffnungsverfahren folglich sachlich un- zuständig. 2.3. Damit fehlt es an der Prozessvoraussetzung der sachlichen Zuständigkeit (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO), so dass auf das Gesuch nicht einzutreten ist (Art. 59 Abs. 1 ZPO). 2.4. Aufgrund der offensichtlichen Unzulässigkeit des Gesuchs ist direkt ein Nichteintretensentscheid zu erlassen, ohne der Gesuchsgegnerin vorab Gelegenheit zu geben, dazu mündlich oder schriftlich Stellung zu nehmen (Art. 253 ZPO). 3. Wird eine Eingabe, die mangels Zuständigkeit zurückgezogen oder auf die nicht eingetreten wurde, innert eines Monates seit dem Rückzug oder dem Nichteintretensentscheid beim zuständigen Gericht neu eingereicht, so gilt als Zeitpunkt der Rechtshängigkeit das Datum der ersten Einreichung (Art. 63 Abs. 1 ZPO). Vorbehalten bleiben die besonderen gesetzlichen Klage- fristen nach dem SchKG (Art. 63 Abs. 3 ZPO). 4. 4.1. Als unterliegende Partei im vorliegenden Verfahren hat der Gesuchsteller die Gerichtskosten zu tragen. Gemäss § 8 VKD beträgt die Entscheidge- bühr für die Durchführung eines summarischen Verfahrens Fr. 200.00 bis Fr. 12'000.00. Vorliegend sind die Gerichtskosten entsprechend dem ent- standenen Aufwand auf Fr. 500.00 festzusetzen. - 4 - 4.2. Durch das vorliegende Verfahren sind der Gesuchsgegnerin keine Aufwen- dungen entstanden. Eine Parteientschädigung fällt deshalb ausser Be- tracht. Der Vizepräsident erkennt: 1. Auf das Gesuch vom 5. Juni 2019 wird nicht eingetreten. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.00 werden dem Gesuchsteller auferlegt. 3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. Zustellung an: den Gesuchsteller (Vertreter; zweifach mit Rechnung) die Gesuchsgegnerin (mit Kopie des Gesuchs vom 5. Juni 2019 [inkl. Beilagen]) Mitteilung an: die Obergerichtskasse 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 5 - Aarau, 6. Juni 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002_-Handelsrecht-Zivilp_2019-06-06
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_6._Juni_2019.pdf
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Urteilsauszug / anonymisiertes Urteil / Urteilsdispositiv Handelsgericht 2. Kammer HSU.2018.117 / as / mv Art. 81 Entscheid vom 9. Mai 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Müller Gesuchstellerin O. AG, _ vertreten durch lic. iur. Daniel Reudt, Rohrer Müller Partner AG, Rechts- anwalt, General Guisan-Quai 32, 8002 Zürich Gesuchsgegne- rin V. AG, _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Mieterausweisung (Rechtsschutz in klaren Fällen nach Art. 257 ZPO) - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Z. Zweck der Ge- suchstellerin ist im Wesentlichen der Erwerb, die Überbauung, Veräusse- rung, Verwaltung, Vermietung und Verpachtung von Liegenschaften aller Art (Gesuchsbeilage [GB] 1). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in L. Sie bezweckt insbesondere die Gewährung von Franchise-Verträgen im nationalen und internationalen Bereich der [...] Behandlungen; fachmännische Schulung sowie Betrieb von Marketing-Aktivitäten für die Franchise-Partner, um de- ren Sichtbarkeit zu erhöhen (GB 2). 3. 3.1. Die Parteien schlossen am 3. November/5. Dezember 2017 einen Mietver- trag betreffend Laden-, Gewerbe- und Lagerräumlichkeiten im Erdge- schoss sowie im 1. und 2. Untergeschoss der Liegenschaft B.strasse, XYZ, ab (GB 3). Am 25. Juni 2018 vereinbarten die Parteien den Nachtrag Nr. 1 (GB 4). 3.2. Infolge Zahlungsverzugs der Gesuchsgegnerin (vgl. GB 5) mahnte die L. AG die Gesuchsgegnerin mittels Schreiben vom 14. August 2018 und setzte ihr eine 30-tägige Zahlungsfrist zur Begleichung des ausstehenden Mietbetreffnisses an (GB 6). 3.3. Mit amtlichem Formular vom 26. September 2018 wurde das Mietverhältnis mit der Gesuchsgegnerin auf den 31. Oktober 2018 gekündigt (GB 8). 3.4. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2018 wurde der Gesuchsgegnerin den Ab- nahmetermin auf Donnerstag, 1. November 2018, 15:00 Uhr, bekanntge- geben (GB 10). Die Gesuchsgegnerin hat das Mietobjekt nicht verlassen. 4. Mit Gesuch vom 8. November 2018 (Postaufgabe: 8. November 2018) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Es sei die Gesuchsgegnerin unter Androhung der Zwangsvollstreckung im Unterlassungsfall zu verpflichten, die von ihr gemieteten Laden-, Ge- - 3 - werbe- und Lagerräumlichkeiten, EG sowie 1. und 2. UG, in der B.strasse, XYZ, unverzüglich ordnungsgemäss geräumt und zu verlassen und der Gesuchstellerin zurückzugeben. 2. Es sei die zuständige Vollzugsbehörde (Polizei) anzuweisen, den zu Befehl nach Eintritt der Rechtskraft auf erstes Verlangen der Gesuchstellerin zu vollstrecken. alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der ." Zur Begründung führte die Gesuchstellerin im Wesentlichen aus, sie habe einen Anspruch auf Mietausweisung der Gesuchsgegnerin. Da die vorge- brachten Tatsachen unbestritten seien, der Sachverhalt sofort beweisbar und die Rechtslage klar sei, sei dem Gesuch um schnellen Rechtsschutz im Sinne von Art. 257 Abs. 1 ZPO zu entsprechen. 5. Die Gesuchsgegnerin erstattete am 5. Dezember 2018 ihre Gesuchsant- wort und beantragte die Ausweisung mangels rechtsgültiger Kündigung ab- zuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Gesuch- stellerin. Zur Begründung führte die Gesuchsgegnerin im Wesentlichen fol- gende zwei Gründe an: Einerseits sei die Kündigungsandrohung vom 14. August 2018 bei ihr aus unerklärlichen Gründen nicht eingegangen und an- dererseits sei die Kündigung vom 26. September 2018 nichtig. Offensicht- lich sei diese von Frau D.G. und Frau O.N. unterzeichnet worden. Beide wären gemäss Handelsregisterauszug für die L. AG nicht zeichnungsbe- rechtigt (Gesuchantwortbeilage 1). Auch lege die Gesuchstellerin keine Vollmacht der Gesuchstellerin für diese Kündigung vor. 6. Am 13. Dezember 2018 reichte die Gesuchstellerin eine Stellungnahme ein. 7. Am 17. Dezember 2019 erliess der Vizepräsident folgenden Entscheid: 1. Auf das Gesuch vom 8. November 2018 wird nicht eingetreten. 2. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 sind von der Gesuchstelle- rin zu tragen und werden mit dem von ihr geleisteten Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. 3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. - 4 - 8. Mit Urteil vom 15. April 2019 hob das Bundesgericht in Gutheissung der Beschwerde den Entscheid des Handelsgerichts vom 17. Dezember 2018 auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Handelsgericht zu- rück (BGer 4A_25/2019). Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Bindung an das Rückweisungsurteil des Bundesgerichts Eine Rückweisung an die Vorinstanz zur Neubeurteilung durch ein Rechts- mittelurteil des Bundesgerichts bewirkt, dass der Prozess in die Lage zu- rückversetzt wird, in der er sich vor Ausfällung des angefochtenen Ent- scheids befunden hat. Das Verfahren vor dem Handelsgericht ist somit – im Umfang des teilweise gutheissenden Bundesgerichtsurteils – (noch) nicht zum Abschluss gekommen. In diesem Rahmen ist die Streitsache vom Handelsgericht nochmals zu beurteilen.1 Das Handelsgericht ist bei diesem neuen Urteil inhaltlich an den Rückwei- sungsentscheid des Bundesgerichts gebunden. Die zu Art. 66 OG ergan- gene Rechtsprechung hat auch unter der Geltung des BGG Bestand.2 Demnach hat die kantonale Instanz, an die eine Sache zurückgewiesen wird, die rechtliche Beurteilung des Bundesgerichts, mit der die Zurückwei- sung begründet wird, ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Die Bindung beschlägt aber auch die Punkte des ersten Urteils, bezüglich jener keine Rückweisung durch das Bundesgericht erfolgt ist. Wie weit die Gerichte und die Parteien an die bundesgerichtliche Beurteilung gebunden sind, ergibt sich aus der Begründung der Rückweisung. Soweit das Bundesge- richt sich nicht ausgesprochen hat, fällt die kantonale Instanz ihre neue Entscheidung frei, ohne an ihr erstes Urteil gebunden zu sein.3 2. Zuständigkeit 2.1. Örtliche Zuständigkeit Gemäss Art. 33 ZPO ist für Klagen aus Miete und Pacht das Gericht am Ort der gelegenen Sache zuständig. Da sich vorliegend das Mietobjekt in B. befindet (vgl. GB 3), ist die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Ge- richte gegeben. 2.2. Sachliche und funktionelle Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts ergibt sich Art. 6 Abs. 2 ZPO, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens eine Prozesspartei be- 1 Vgl. BSK BGG-MEYER/DORMANN, 3. Aufl. 2018, Art. 107 N. 15. 2 BGE 143 IV 214 E. 5.3.3; 135 III 334 E. 2 und 2.1; BGer 4A_71/2007 vom 19. Oktober 2007 E. 2.1 f. 3 BGE 135 III 334 E. 2 und 2.1; BSK BGG-MEYER/DORMANN (Fn. 1), Art. 107 N. 18. - 5 - troffen ist, gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bun- desgericht offen steht und die Prozessparteien im Handelsregister einge- tragen sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da auch Mietverträge über Geschäftsliegenschaften vom Begriff der geschäftlichen Tätigkeiten erfasst werden,4 der Streitwert mit Fr. 67'947.905 die für die Beschwerde an das Bundesgericht vorgeschriebene Höhe von Fr. 15'000.00 bzw. 30'000.00 (Art. 74 Abs. 1 BGG) überschreitet und beide Parteien im Handelsregister eingetragen sind (GB 1 und 2). Für den Rechtsschutz in klaren Fällen ist das summarische Verfahren an- wendbar. Gestützt auf Art. 248 lit. b i.V.m. Art. 257 ZPO i.V.m. § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO ist der Vizepräsident des Handelsgerichts funktionell zustän- dig. 3. Rechtsschutz in klaren Fällen 3.1. Die Gesuchstellerin behauptet, die vorgebrachten Tatsachen seien unbe- stritten, der Sachverhalt sofort beweisbar und die Rechtslage klar. Deshalb beantragte sie die Beurteilung ihres Ausweisungsbegehrens im Verfahren nach Art. 257 Abs. 1 ZPO (Rechtsschutz in klaren Fällen). 3.2. Das Gericht gewährt Rechtsschutz im summarischen Verfahren, wenn der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar und die Rechtslage klar ist (Art. 257 Abs. 1 ZPO). Die Voraussetzung des unbestrittenen oder sofort beweisbaren Sachverhalts wird auch als Liquidität des Sachverhalts be- zeichnet.6 Ausgeschlossen ist dieser Rechtsschutz, wenn die Angelegen- heit dem Offizialgrundsatz unterliegt (Art. 257 Abs. 2 ZPO). Kann dieser Rechtsschutz nicht gewährt werden, so tritt das Gericht auf das Gesuch nicht ein (Art. 257 Abs. 3 ZPO). 3.3. Ein unbestrittener Sachverhalt liegt vor, wenn eine Partei die Tatsachenbe- hauptung ihres Gegners nicht bestreitet. Diesfalls gilt dieser als unbestritten und die betreffende Tatsache kann dem Entscheid ohne weiteres zugrunde gelegt werden, da über nicht bestrittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO).7 4 BGE 139 III 457 E. 3.2; VETTER, in; Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 6 N. 21b m.w.N. 5 Siehe zur Streitwertberechnung BGE 144 III 346 E. 1.2.1. 6 SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 4), Art. 257 N. 5. 7 BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO. - 6 - 3.4. Ein Sachverhalt ist dann sofort beweisbar, wenn er ohne zeitliche Verzö- gerung und ohne besonderen Aufwand nachgewiesen werden kann. Der Beweis ist in der Regel durch Urkunden zu erbringen, wobei andere sofort greifbare Beweismittel nicht ausgeschlossen sind.8 Der Rechtsschutz in klaren Fällen unterliegt keiner Beweisstrengebeschränkung. Blosses Glaubhaftmachen genügt für die Geltendmachung des Anspruchs nicht, sondern die Gesuchstellerin hat den vollen Beweis der anspruchsbegrün- denden Tatsachen zu erbringen.9 Demgegenüber genügt für die Vernei- nung eines klaren Falls, dass die Gesuchsgegnerin substantiiert und schlüssig Einwendungen vorträgt, die in tatsächlicher Hinsicht nicht sofort widerlegt werden können und die geeignet sind, die bereits gebildete rich- terliche Überzeugung zu erschüttern. Nicht erforderlich ist, dass sie ihre Einwendungen glaubhaft macht.10 3.5. Die Rechtslage ist klar, wenn die Anwendung und Auslegung einer Norm, namentlich auf Grund ihres Wortlauts, der Rechtsprechung und der be- währten Lehre, zu keinem Zweifel Anlass gibt.11 Die Rechtsfolge muss sich bei der Anwendung des Gesetzes unter Berücksichtigung der Lehre und Rechtsprechung ohne Weiteres ergeben und die Rechtsanwendung zu ei- nem eindeutigen Ergebnis führen.12 Dagegen ist die Rechtslage in der Re- gel nicht klar, wenn die Anwendung einer Norm einen Ermessens- oder Billigkeitsentscheid des Gerichts mit wertender Berücksichtigung der ge- samten Umstände erfordert, wie dies beispielsweise bei der Beurteilung von Treu und Glauben zutrifft.13 4. Ausweisungsanspruch der Gesuchstellerin (Rechtsbegehren Ziff. 1) 4.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, mit Schreiben vom 14. August 2018 (GB 6) sei die Gesuchsgegnerin hinsichtlich des ausstehenden Mietzinses i.S.v. Art. 257d OR abgemahnt worden. Auch die Zahlungsfrist von mindestens 30 Tagen sei eingehalten worden. Die Kündigungsdrohung vom 14. August 2018 sei der Gesuchsgegnerin, nachdem sie ihr von der Post vor Ort nicht zugestellt werden konnte, am 16. August 2018 zur Abholung gemeldet wor- den. Da das Einschreiben von der Gesuchsgegnerin innerhalb der sieben- tägigen Abholungsfrist nicht beim Postschalter abgeholt worden sei, gelte 8 BGE 138 III 620 E. 5.1.1; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 6), Art. 257 N. 5. 9 BGE 138 III 620 E. 5.1.1; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 6), Art. 257 N. 6; LEUPOLD, Der Rechts- schutz in klaren Fällen nach der neuen Schweizerischen Zivilprozessordnung, in: Leupold//Stauber/Vetter [Hrsg.], Der Weg zum Recht, Festschrift für Alfred Bühler, 2008, S. 70 ff. 10 BGE 138 III 620 E. 5.1.1; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 6), Art. 257 N. 7. 11 BGer 4A_447/2011 vom 20. September 2011 E. 2.3; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 6), Art. 257 N. 9. 12 BGE 138 III 123 E. 2.1.2; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 6), Art. 257 N. 9. 13 BGE 138 III 123 E. 2.1.2. - 7 - es am 23. August 2018 als zugestellt (GB 7). Die 30-tägige Zahlungsfrist habe somit am darauffolgenden Tag, dem 24. August 2018, zu laufen be- gonnen und habe folglich am 22. September 2018 geendet. Die Kündigung des Mietverhältnisses sei am 26. September 2018 (GB 8) und somit nach Ablauf der 30-tägigen Zahlungsfrist versandt worden. Die Kündigung sei der Gesuchsgegnerin am 27. September 2018 von der Post zugestellt wor- den (GB 9). Damit sei die 30-tägige Frist gemäss Art. 257d Abs. 2 OR zur Kündigung per 31. Oktober 2018 gewahrt worden (Gesuch Rz. 16-18). Die Gesuchsgegnerin behauptet bezüglich der Rechtmässigkeit der ge- suchstellerischen Kündigung, die Kündigungsandrohung vom 14. August 2018 sei bei ihr aus unerklärlichen Gründen nicht eingegangen. Weder sei das Schreiben – wie üblich – im Geschäft an der St.-Strasse in L. abgege- ben worden, noch hätte sich ein Abholzettel im Briefkasten befunden. Ge- mäss Track & Trace der Post sei die Kündigungsandrohung an den Absen- der zurückgesandt worden. Die Miete August 2018 sei in Unkenntnis der Kündigungsandrohung am 25. September 2018 bezahlt worden. Zudem sei die Kündigung vom 26. September 2018 auch nichtig, da sie offensicht- lich von D.G. und O.N. unterzeichnet worden sei, die gemäss Handelsre- gisterauszug (Gesuchsantwortbeilage 1) beide nicht für die L. AG zeich- nungsberechtigt seien. Auch würde keine Vollmacht der Gesuchsgegnerin für diese Kündigung vorliegen (Gesuchsantwort Ziff. 1). 4.2. Rechtliches Ist der Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand, so kann ihm der Vermieter gemäss Art. 257d Abs. 1 OR in einem ersten Schritt schriftlich eine Zahlungsfrist von mindestens 30 Tagen setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, so kann der Vermieter in einem zweiten Schritt mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines Monats kündigen (Art. 257d Abs. 2 OR). Die Kün- digung von Wohn- und Geschäftsräumen ist auf dem amtlichen Formular mitzuteilen (Art. 266l Abs. 2 OR). Die Zahlungsfristansetzung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Die Frist beginnt daher grundsätzlich mit dem Zugang bzw. dem Empfang durch den Mieter. Wird ein eingeschriebener Brief nicht sofort dem Emp- fänger übergegeben, so ist auf den Zeitpunkt der konkreten Abholung auf der Post abzustellen. Wird die Mitteilung jedoch innert der 7-tägigen Abho- lungsfrist nicht abgeholt, gilt der letzte Tag als fiktives Zustellungsdatum.14 Dabei gilt bei eingeschriebenen Sendungen eine widerlegbare Vermutung, 14 BGE 140 III 244 E. 5.1; 137 III 208 E. 3.1.3; SVIT-Kommentar-REUDT, 4. Aufl. 2018; Art. 257d N. 31 m.w.N. - 8 - dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Brief- kasten des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt re- gistriert wurde. Dies gilt namentlich auch dann, wenn die Sendung im elekt- ronischen Suchsystem "Track & Trace" der Post erfasst ist, mit welchem es möglich ist, die Sendung bis zum Empfangsbereich des Empfängers zu verfolgen.15 4.3. Würdigung Der Behauptung der Gesuchsgegnerin, die Kündigung der Gesuchstellerin sei aufgrund fehlender Zeichnungsberechtigungen von D.G. und O.N. nich- tig, hat das Bundesgericht in seinem Entscheid 4A_25/2019 vom 15. April 2019 E. 4.3 als rechtsmissbräuchlich beurteilt. Aufgrund der Bindungswir- kung dieses Rückweisungsurteils (vgl. oben E. 1) ist darauf nicht mehr ein- zugehen. Die Kündigung der Gesuchstellerin vom 26. September 2018 der Ge- schäftsräumlichkeiten der Gesuchsgegnerin an der B.-Strasse XX in B. auf den 31. Oktober 2018 (GB 8) erfolgte rechtsgültig: Es ist unbestritten, dass die Gesuchsgegnerin die Mietsache übernommen hatte und mit der Zah- lung des Mietzinses für den am 1. August 2018 fälligen Mietzins für den Monat August im Betrag von Fr. 11'324.65 im Rückstand war (vgl. GB 5). Mit eingeschriebenem Brief vom 14. August 2018 hat die Gesuchstellerin die Gesuchsgegnerin gemahnt und ihr die gemäss Art. 257d Abs. 1 OR erforderliche Zahlungsfrist von 30 Tagen angesetzt (GB 6). Der von der Gesuchstellerin eingereichte Track & Trace der Schweizerischen Post be- weist, dass diese Kündigungsandrohung der Gesuchsgegnerin am 16. Au- gust 2018 gemeldet wurde (GB 7). Gemäss Handelsregisterauszug befand sich das Domizil der Gesuchsgegnerin zu diesem Zeitpunkt noch an der B.- Strasse in L. (GB 2). Dass die Gesuchsgegnerin ihre Post an ihr Geschäft an der St.-Strasse in L. umgeleitet hatte, macht sie weder geltend noch ist dies aus den Akten ersichtlich. Dies gilt auch für allfällige andere Gründe betreffend die Nichtzustellung der Abholungseinladung. Folglich ist von der Vermutung auszugehen, dass die Abholungseinladung am 16. August 2018 der Gesuchsgegnerin gemeldet wurde und die Kündigungsandro- hung vom 14. August 2018 aufgrund der Nichtabholung durch die Gesuchs- gegnerin sieben Tage später, d.h. am 23. August 2018, als zugestellt gilt. Die 30-tägige Zahlungsfrist endete damit am 22. September 2018 und so- mit vor der von der Gesuchsgegnerin behaupteten Bezahlung des August- mietzinses am 25. September 2018. Die auf dem amtlichen Formular er- klärte Kündigung der Gesuchstellerin vom 26. September 2018 der Ge- schäftsräumlichkeiten an der B.-Strasse XX in B. auf den 31. Oktober 2018 (GB 8) ging bei der Gesuchsgegnerin unbestritten am 27. September 2018 ein (vgl. GB 9) und erfüllte damit die formellen Voraussetzungen von Art. 257d Abs. 2 und Art. 266l Abs. 2 OR. 15 BGer 2C_713/2015 vom 13. Dezember 2015 E. 3.3. - 9 - Das Rechtsbegehren Ziff. 1 ist daher vollumfänglich gutzuheissen. 5. Anspruch auf direkte Vollstreckung (Rechtsbegehren Ziff. 2) In Rechtsbegehren Ziff. 2 beantragt die Gesuchstellerin, es die zuständige Vollzugsbehörde (Polizei) anzuweisen, den zu erlassenden Befehl nach Eintritt der Rechtskraft auf erstes Verlangen der Gesuchstellerin zu vollstre- cken. Das Handelsgericht ordnet bei der direkten Vollstreckung auf Antrag der obsiegenden Partei Vollstreckungsmassnahmen an (Art. 219 i.V.m. Art. 236 Abs. 3 ZPO).16 Die Gesuchsgegnerin hat sich nicht zum Vollstre- ckungsantrag geäussert. Aufgrund der vorliegend geltenden Dispositions- maxime (Art. 58 Abs. 1 ZPO) hat sich das Handelsgericht deshalb an die Anträge der Gesuchstellerin zu halten und lediglich deren Verhältnismäs- sigkeit zu prüfen.17 Eine offensichtliche Unverhältnismässigkeit der gestützt auf Art. 343 Abs. 1 lit. d ZPO beantragten Vollstreckungsmassnahme ist nicht ersichtlich, so dass auch dieses Rechtsbegehren gutzuheissen ist. 6. Kosten Abschliessend sind die Kosten zu verlegen. Die Prozesskosten bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteientschädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). 6.1. Verlegung Die Prozesskosten werden nach dem Ausgang des Verfahrens verteilt, d.h. entsprechend dem Ausmass des Obsiegens bzw. Unterliegens (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Vorliegend ist das Gesuch vollumfänglich gutzuheissen, wes- halb die Gesuchsgegegnerin als unterliegend gilt und ihr die Prozesskosten aufzuerlegen sind. Gründe, die eine andere Verlegung nach Ermessen (vgl. Art. 107 ZPO) rechtfertigen würden, wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. 6.2. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO), welche sich nach § 8 VKD bemisst. Sie wird in Berücksichtigung des verursachten gerichtlichen Aufwands und angesichts von Schwierigkeit und Umfang der Streitigkeit auf insgesamt Fr. 3'000.00 festgesetzt und mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 3'000.00, direkt zu er- setzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). 16 SCHNEUWLY/VETTER, Die Realvollstreckung handelsgerichtlicher Entscheide, in: Jusletter 5. Septem- ber 2016, Rz. 14. 17 SCHNEUWLY/VETTER (Fn. 16), Rz. 29. - 10 - 6.3. Parteientschädigung Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin zudem eine Parteientschä- digung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 67'947.90 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 10'185.30 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 9 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarabzugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 2'546.35. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Die aufgrund der anwaltlichen Sorgfaltspflicht gebotene Stellungnahme der Gesuchstel- lerin vom 13. Dezember 2018 kompensiert die nicht durchgeführte Ver- handlung, so dass keine weiteren Abzüge vorzunehmen sind. Nach Hinzu- rechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 2'620.00, den die Gesuchsgegnerin der Gesuchstellerin als Parteientschädigung zu bezah- len hat. Der Vizepräsident erkennt: 1. In Gutheissung des Gesuchs vom 8. November 2018 wird die Gesuchs- gegnerin verpflichtet, die von ihr gemieteten Laden-, Gewerbe- und Lager- räumlichkeiten, EG sowie 1. und 2. UG, in der Liegenschaft B.strasse, XYZ, unverzüglich ordnungsgemäss zu räumen und gereinigt zu verlassen und der Gesuchstellerin zurückzugeben. 2. Die Kantonspolizei Aargau wird angewiesen, die Räumung gemäss Dispo- sitiv-Ziff. 1 nach Eintritt der Rechtskraft auf erstes Verlangen der Gesuch- stellerin zu vollstrecken. 3. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 sind von der Gesuchsgegne- rin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Kos- tenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten der Gesuchstellerin direkt zu ersetzen. 4. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin deren Parteikosten in rich- terlich festgesetzter Höhe von Fr. 2'620.00 (inkl. Auslagen) zu ersetzen. Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreter; zweifach) die Gesuchsgegnerin - 11 - Mitteilung an: die Obergerichtskasse die Kantonspolizei Aargau 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 9. Mai 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Müller
5,942
4,301
AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Zivilp_2019-05-09
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgericht_vom_09._Mai_2019.pdf
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870,611
970,531,200,000
2,000
de
2000 Obergericht 26 2 Art. 554 ZGB, § 297 ZPO; Anordnung der Erbschaftsverwaltung; Ver- fahrensgrundsätze. - Der Gerichtspräsident ernennt den Erbschaftsverwalter unter Vorbe- halt von Art. 554 Abs. 2 und 3 ZGB nach freiem Ermessen; die er- nannte Person muss über die für die Aufgabe der Erbschaftsverwal- tung notwendige Fachkenntnis, Vertrauenswürdigkeit und Unabhän- gigkeit verfügen (Erw. 2b). - Die Anordnung einer Erbschaftsverwaltung erfolgt im Verfahren nach § 297 ZPO. Danach ist der Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären. Für die Ernennung eines dem konkreten Nachlass adäquat qualifizier- ten Erbschaftsverwalters erweist es sich als unabdingbar, dass die erbrechtliche Situation sowie Art und Umfang des Nachlasses wenig- stens in summarischer Weise abgeklärt werden. Im Verfahren ist auch zu prüfen, inwieweit eine Gegenpartei oder andere Beteiligte vorhan- den sind, denen nach materiellem Recht ein Anspruch auf rechtliches Gehör zusteht (Erw. 3a). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 25. Oktober 2000 i.S. H.K. gegen Verfügung des Gerichtspräsidiums B. Aus den Erwägungen 2. b) Nach Art. 554 Abs. 2 und 3 ZGB ist mit der Erbschaftsver- waltung der Willensvollstrecker oder bei bevormundeten Personen der Vormund zu beauftragen. Die Erblasserin hat im Erbvertrag vom 9. Juli 1994 keinen Willensvollstrecker ernannt und war auch nicht bevormundet. (....) Über die als Erbschaftsverwalter ernennbaren Personen enthält weder das Bundesrecht noch das kantonale Recht weitere allgemeine Vorschriften. Der Gerichtspräsident kann daher nach dem materiellen Bundesrecht die Erbschaftsverwaltung selbst ausüben oder eine andere Amtsstelle oder eine Privatperson damit beauftragen. Als Erbschaftsverwalter können auch Verwandte, Erben etc. ernannt werden. Voraussetzung ist, dass die ernannte Person die für die Aufgaben der Erbschaftsverwaltung notwendige Fachkenntnis, Vertrauenswürdigkeit und Unabhängigkeit besitzt. Im 2000 Zivilrecht 27 Rahmen dieser Grundsätze und unter Vorbehalt von Art. 554 Abs. 2 und 3 ZGB ernennt der Gerichtspräsident den Erbschaftsverwalter nach freiem Ermessen (vgl. Martin Karrer, Basler Kommentar, Basel 1998, N 21 ff. zu Art. 554 ZGB; Jean Nicolas Druey, Erbrecht 4. A., Bern 1997, N 40 zu § 14; Paul Piotet, Schweizerisches Privatrecht, Bd. IV/2, Basel 1981, S. 705). Weder einer Behörde noch den Erben steht ein Vorschlagsrecht zu. 3. a) Die Ernennung eines Erbschaftsverwalters erfolgt in der Regel im Verfahren ohne Gegenpartei gemäss § 297 ZPO. Danach hat der Richter den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Der Untersuchungsgrundsatz bedeutet für das Verfahren zur Ernennung des Erbschaftsverwalters, dass die erbrechtliche Situation sowie Art und Umfang des Nachlasses abgeklärt werden. Diese Erhebungen sind für die Ernennung eines dem konkreten Nachlass adäquat quali- fizierten Erbschaftsverwalters unabdingbar. Der Natur des Verfahrens entsprechend genügt eine summarische Prüfung. Das Nachlass- vermögen kann aufgrund des Steuerinventars, der Steuererklärungen und Nachfragen oder allenfalls Erhebungen beim überlebenden Ehe- gatten bzw. bei den bekannten Erben ohne grossen Aufwand abge- schätzt werden. Ein allfälliger Ehevertrag, ein Erbvertrag oder eine letztwillige Verfügung können die rechtliche Problemstellung über- blickbar machen. Im Verfahren ist auch zu prüfen, inwieweit eine Gegenpartei oder andere Beteiligte vorhanden sind, denen nach ma- teriellem Recht ein Anspruch auf rechtliches Gehör zusteht (§ 297 Abs. 1 ZPO). b) Vorliegend hat die Vorinstanz ohne weitere Abklärungen und Rückfragen bei der Gemeinde oder bei den bekannten gesetzlichen Erben Rechtsanwalt X.Y. mit der Erbschaftsverwaltung beauftragt. Im Ehevertrag vom 9. Juli 1997 wurde dem Beschwerdeführer der ganze Vorschlag und im Erbvertrag die lebenslängliche und unent- geltliche Nutzniessung am eingebrachten Frauengut zugewiesen. Die Anordnung der Erbschaftsverwaltung greift daher unmittelbar in die Rechtsstellung des Beschwerdeführers ein. Der Gehörsanspruch steht 2000 Obergericht 28 grundsätzlich auch Dritten zu, welchen in einem summarischen Ver- fahren Auflagen oder Beschränkungen auferlegt werden (vgl. Hans- Ulrich Walder-Boner, Zur Bedeutung des rechtlichen Gehörs im schweizerischen Zivilprozessrecht, in: Gedächtnisschrift für Peter Noll, Zürich 1984, S. 405). Die Verfahrensgrundsätze von § 297 ZPO wurden von der Vor- instanz nicht beachtet. Aus den Akten ergeben sich keine Anhalts- punkte dafür, dass für die Verwaltung des vorliegenden Nachlasses die Qualifikationen eines Anwaltes erforderlich sind oder der Um- fang des Nachlasses und die sich stellenden rechtlichen und/oder administrativen Fragen eine besondere Qualifikation erfordern. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Kosten einer Erbschaftsverwaltung aus dem Nachlassvermögen gedeckt werden können. Das vorin- stanzliche Verfahren ist auch insoweit zu beanstanden, als nach Ein- gang des Gesuches des Gemeinderates Z. vom 19. Juni 2000 der Beschwerdeführer nicht angehört wurde. Aus den dargelegten formellen Gründen sind die Verfügung vom 10. Juli 2000 und Ziffer 3 der Verfügung vom 6. April 2000 in teilweiser Gutheissung der Beschwerde aufzuheben. Die Vorinstanz hat im Sinne der Erwägungen die erforderlichen Abklärungen vor- zunehmen und einen Erbschaftsverwalter nach Massgabe der kon- kreten Situation zu ernennen, sofern die gesetzlichen Voraussetzun- gen noch bestehen. In diesem Zusammenhang wird auch abzuklären sein, ob die Einsetzung eines unabhängigen Erbschaftsverwalters notwendig ist.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2019.154 Entscheid vom 31. Januar 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gerichtsschreiberin-Stv. Albert Gesuchstellerin L. AG, _ Gesuchsgegne- rin K. AG, _ vertreten durch Dr. iur. Peter Heer, Rechtsanwalt, Stadtturmstrasse 19, 5401 Baden Gesuchsgegneri- sche Streitberu- fene E. AG, _ vertreten durch lic. iur. Michael Merz, Rechtsanwalt, Hardturmstrasse 11, 8005 Zürich Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in B. Sie ist gemäss Handelsregister im Wesentlichen im Bereich _ tätig. 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine privatrechtliche Aktiengesellschaft mit Sitz in A. Sie hat gemäss Handelsregister hauptsächlich _ zum Zweck. Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grdst.-Nr. 123 GB Z. (E- GRID: CH 321; Gesuchsbeilage [GB] 156). 3. Die gesuchsgegnerische Streitberufene ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich. Sie bezweckt im Wesentlichen _. 4. Mit Gesuch vom 17. Dezember 2019 (Postaufgabe 18. Dezember 2019) stellte die Gesuchstellerin folgende Rechtsbegehren: " Das Grundbuchamt Zofingen, Brühlstrasse 5, 4800 Zofingen sei , zulasten des Grundstücks in der Gemeinde 4001 A., Grundbuch- /Grundbuchblatt-Nr. 123 Kataster-Nr. 123, zugunsten von der Partei ein Bauhandwerkerpfandrecht für die Pfandsumme von CHF222'847.05 nebst 0 % Zins seit 00.00.0000 vorläufig als Vormerkung einzutragen." 5. Am 19. Dezember 2020 erliess der Vizepräsident folgende Verfügung: 1. Die Streitsache gehört ins summarische Verfahren (Art. 248 ZPO). 2. Die Gesuchsstellerin hat bis 3. Januar 2020 einen Kostenvorschuss von Fr. 3'000.00 an die Obergerichtskasse mit beiliegendem Einzahlungs- schein zu bezahlen (Art. 98 ZPO i.V.m. Art. 101 ZPO). 3. Der Gesuchsgegnerin wird Frist bis zum 3. Januar 2020 für die Erstattung einer schriftlichen Antwort angesetzt. 4. 4.1. Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. Ausnahmsweise ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichender Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustimmung der Gegenpartei oder - 3 - von der Partei nicht vorhersehbare oder nicht beeinflussbare Hinderungs- gründe. 4.2. Bei Säumnis wird das Verfahren ohne die versäumte Handlung weiterge- führt, d.h. das Gericht fällt einen Endentscheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder lädt zu einer Verhandlung vor (Art. 147 Abs. 2 und Art. 223 Abs. 2 ZPO). 5. Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO). 6. Es gilt kein Stillstand der Fristen (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO). 6. Mit Verfügung vom 24. Dezember 2019 erstreckte der Vizepräsident die Frist zur Erstattung der Gesuchsantwort letztmals bis 10. Januar 2020. 7. Mit Eingabe vom 27. Dezember 2019 zeigte RA lic. iur. Michael Merz an, er vertrete die Gesuchsgegnerin und reichte gleichzeitig eine Stellung- nahme zum Gesuch vom 17. Dezember 2019 ein. Darin führte er im We- sentlichen aus, dass das Grdst.-Nr. 123 GB Z. der Erfüllung einer öffentli- chen Aufgabe diene und daher mangels Verwertbarkeit nicht pfändbar sei. Wenn überhaupt kämen bei gegebenen Voraussetzungen die Bestimmun- gen von Art. 839 Abs. 4-6 ZGB zur Anwendung, was von Amtes wegen zu beachten sei. 8. Mit Eingabe vom 3. Januar 2020 zeigte RA lic. iur. Michael Merz an, er vertrete die Gesuchsgegnerin mit sofortiger Wirkung nicht mehr. 9. Da die Gesuchstellerin den Gerichtskostenvorschuss von Fr. 3'000.00 nicht innert der mit Verfügung vom 19. Dezember 2019 gesetzten Frist bezahlte, setzte der Vizepräsident der Gesuchstellerin mit Verfügung vom 6. Januar 2020 eine letzte, nicht erstreckbare Frist bis 10. Januar 2020 zur Leistung des Gerichtskostenvorschusses von Fr. 3'000.00. 10. Mit E-Mail vom 10. Januar 2020 zeigte RA lic. iur. Michael Merz an, er ver- trete nunmehr die Interessen der E. AG gegenüber der Gesuchstellerin. - 4 - 11. Am 10. Januar 2020 reichte die Gesuchsgegnerin eine Antwort ein mit fol- genden Rechtsbegehren: " 1. Das Gesuch um vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechtes sei abzuweisen. 2. Unter gesetzlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen." In ihrer Begründung bestritt die Gesuchsgegnerin, dass die Gesuchstellerin Forderungen aus der Leistung von Material oder Arbeiten auf dem Grdst.- Nr. 123 GB Z. erworben habe, ebenso die Rechtzeitigkeit für diejenigen behaupteten Regiearbeiten, welche die Gesuchstellerin vor mehr als vier Monaten erledigt habe (Art. 839 Abs. 2 ZGB). Ausserdem bestritt die Ge- suchsgegnerin, für von der Gesuchstellerin allenfalls auf Grdst.-Nr. 123 GB Z. geleistete Regiearbeiten die Zustimmung erteilt zu haben (Art. 837 Abs. 2 ZGB). Schliesslich bestritt die Gesuchsgegnerin, dass ihr Grdst.-Nr. 123 GB Z. mit einem Bauhandwerkerpfandrecht belastet werden dürfe (Art. 839 Abs. 4 ZGB). 12. 12.1. Mit Eingabe vom 9. Januar 2020 (Postaufgabe: 9. Januar 2020, Postein- gang: 13. Januar 2020) beantragte die Gesuchstellerin die Sistierung des Verfahrens, da sie mit der E. AG, ihrer Vertragspartnerin, in Vergleichsver- handlungen stehe. 12.2. Die Gesuchsgegnerin erklärte mit E-Mail vom 10. Januar 2020, sie ver- wehre sich nicht gegen eine Sistierung des Verfahrens, solange keine vor- läufige Vormerkung im Grundbuch erfolge. 12.3. Mit Verfügung vom 13. Januar 2020 sistierte der Vizepräsident das Verfah- ren bis zum 23. Januar 2020 oder Widerruf durch eine Partei. Zugleich kün- digte er an, er behalte sich vor, am 29. Januar 2020 eine mündliche Ver- handlung durchzuführen, um sowohl die Viermonatsfrist von Art. 839 Abs. 2 ZGB als auch das unbedingte Replikrecht zu wahren, falls das Ver- fahren bis am 23. Januar 2020 nicht vergleichsgemäss erledigt sein sollte. 13. 13.1. Mit Eingabe vom 20. Januar 2020 beantragte die Gesuchsgegnerin den Endtermin vom 23. Januar 2020 aufzuheben und das Verfahren unbefristet zu sistieren. Eine mündliche Verhandlung am 29. Januar 2020 sei nicht - 5 - möglich, da ihr Rechtsvertreter am 29. Januar 2020 den ganzen Tag als Referent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften en- gagiert sei. Weiter verkündete die Gesuchsgegnerin der E. AG den Streit. 13.2. Mit Verfügung vom 21. Januar 2020 wies der Vizepräsident das Gesuch um unbefristete Sistierung ab, da die viermonatige Eintragungsfrist gemäss Art. 839 Abs. 2 ZGB am 11. Februar 2020 ablaufen werde. 14. Am 23. Januar 2020 hat die Gesuchstellerin den Gerichtskostenvorschuss von Fr. 3'000.00 bezahlt. 15. Die gesuchsgegnerische Streitberufene erklärte mit Eingabe vom 23. Ja- nuar 2020 ihren Eintritt als Nebenintervenientin gemäss Art. 79 Abs. 1 lit. a ZPO. 16. Mit Eingabe vom 23. Januar 2020 teilte die Gesuchsgegnerin unter ande- rem mit, dass die Gesuchstellerin und ihre Vertragspartnerin, die E. AG, die von der Gesuchstellerin behaupteten Forderungen offenbar nicht erledigt hätten. 17. Mit Verfügung vom 24. Januar 2020 lud der Vizepräsident auf den Freitag, 31. Januar 2020, 08:00 Uhr, zu einer Instruktionsverhandlung vor. 18. Mit Eingabe vom 24. Januar 2020 stellte die Gesuchsgegnerin den Antrag, dass mangels rechtzeitiger Leistung des Gerichtskostenvorschusses auf das Gesuch vom 17. Dezember 2019 nicht einzutreten sei. 19. Am 31. Januar 2020 fand eine Instruktionsverhandlung statt, anlässlich welcher die Gesuchstellerin und die gesuchsgegnerische Streitberufene sich insbesondere zum Antrag der Gesuchsgegnerin vom 24. Januar 2020 auf Nichteintreten äussern konnten. Weiter reichte die gesuchsgegnerische Streitberufene die Zahlungsgarantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 über den Betrag von Fr. 223'000.00 ein. Auf Nachfrage des Vizeprä- sidenten hin erklärte sich die Gesuchstellerin mit dieser Zahlungsgarantie ausdrücklich einverstanden (Protokoll der Verhandlung vom 31. Januar 2020, S. 4). - 6 - Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Gemäss Art. 60 ZPO prüft das Gericht von Amtes wegen, ob die Prozess- voraussetzungen gegeben sind. Zu den Prozessvoraussetzungen gehört unter anderem die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO) sowie die fristgemässe Leistung des Gerichts- kostenvorschusses (Art. 59 Abs. 2 lit. f ZPO). 1.1. Zuständigkeit 1.1.1. Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ist das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Mas- snahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Errichtung gesetzlicher Grundpfandrechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grundbuch aufgenommen ist, zustän- dig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Das Grundstück, auf welchem die Gesuchstellerin ein Bauhandwerker- pfandrecht vorläufig eintragen lassen will, befindet sich in A. Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist somit gegeben. 1.1.2. Die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters am Handelsgericht (vgl. § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO) für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO. Diese ist gegeben, da in der Hauptsache die geschäftliche Tätigkeit zumin- dest der Gesuchstellerin betroffen ist, gegen den Entscheid – bei einem Streitwert von über Fr. 30'000.00 – die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offensteht und die Parteien im Handelsregister eingetragen sind. 1.2. Fristgemässe Leistung des Gerichtskostenvorschusses 1.2.1. Mit Verfügung vom 19. Dezember 2019 setzte der Vizepräsident der Ge- suchstellerin Frist bis 3. Januar 2020 zur Bezahlung des Gerichtskosten- vorschusses in Höhe von Fr. 3'000.00. Da die Gesuchstellerin diesen Ge- richtskostenvorschuss nicht bezahlte, setzte der Vizepräsident der Ge- suchstellerin mit Verfügung vom 6. Januar 2020 eine letzte, nicht erstreck- bare Frist bis 10. Januar 2020 zur Leistung des Gerichtskostenvorschus- ses. Am 9. Januar 2020 beantragte die Gesuchstellerin die Sistierung des Verfahrens. Mit Verfügung vom 13. Januar 2020 sistierte der Vizepräsident das Verfahren bis zum 23. Januar 2020 oder Widerruf durch eine Partei. Die Gesuchstellerin bezahlte den Gerichtskostenvorschuss am 23. Januar 2020 ohne dazu nochmals aufgefordert worden zu sein. - 7 - 1.2.2. Gemäss Auffassung der Gesuchsgegnerin habe die Sistierung keinen Ein- fluss auf die rechtzeitige Zahlungspflicht: Erstens sei die Sistierung erst nach Ablauf der Zahlungsfrist erfolgt, nämlich mit Verfügung vom 13. Ja- nuar 2020. Zweitens setze die Sistierung ein Verfahren voraus, das aber ohne Kostenvorschuss nicht eröffnet bzw. nicht an die Hand genommen worden sei, weshalb vor Bezahlung eines Kostenvorschusses das Verfah- ren nicht sistiert werden könne. Drittens hätte die Gesuchstellerin keinen Anspruch auf eine Sistierung gehabt, weshalb nicht auf das Datum ihres Sistierungsgesuchs, sondern auf die Sistierungsverfügung abzustellen sei. Viertens vermöge eine Sistierung die Pflicht zur Zahlung eines Kostenvor- schusses ohnehin nicht aufzuheben (Eingabe der Gesuchsgegnerin vom 24. Januar 2020 Ziff. 4). Die Gesuchstellerin ist sinngemäss hingegen die Ansicht, sie habe den Kostenvorschuss rechtzeitig bezahlt (Protokoll der Verhandlung vom 31. Januar 2020, S. 3). 1.2.3. In der kantonalen Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, die Ein- reichung eines Sistierungsgesuchs entbinde nicht von der Pflicht, den Ge- richtskostenvorschuss zu leisten. Dieser sei vor der Sistierung des Verfah- rens zu leisten.1 Zudem entfalte eine Sistierung ihre Wirkung erst mit deren Anordnung und nicht bereits mit dem Antrag der Gesuchstellerin; auch nicht rückwirkend.2 Das Bundesgericht hat sich soweit ersichtlich noch nicht zu dieser Frage geäussert. Weshalb die Sistierung eines Prozesses vor Leistung des Gerichtskosten- vorschusses unzulässig sein sollte, ist nicht ersichtlich. Zwar handelt es sich bei der Leistung eines Gerichtskostenvorschusses um eine Prozess- voraussetzung (Art. 59 Abs. 2 lit. f ZPO). Prozessvoraussetzungen stellen jedoch keine Bedingungen für das Eröffnen eines Prozesses, sondern le- diglich Voraussetzungen für das Eintreten auf die Sachprüfung dar.3 Ist der Prozess durch Einreichung des Gesuchs demnach rechtshängig (Art. 62 Abs. 1 ZPO) und damit eröffnet worden, steht es dem Gericht im Rahmen der Prozessleitung jederzeit zu, das Verfahren aus Gründen der Zweck- mässigkeit zu sistieren (Art. 126 Abs. 1 ZPO). Vorliegend erfolgte die Sis- tierung auf Wunsch der Gesuchstellerin, weil diese in aussergerichtlichen Vergleichsverhandlungen mit der gesuchsgegnerischen Streitberufenen stand. Der Sistierung stimmten alle Parteien zu (vgl. Verfügung vom 13. Ja- nuar 2020 sowie die E-Mail der gesuchsgegnerischen Streitberufenen vom 1 OGer ZH RU170024 vom 16. Mai 2017 E. 3; KGer FR 101 2016 40 vom 7. Juli 2016 E. 3b/ee. 2 HGer ZH HE180106 vom 23. Juli 2018 E. 3.2. 3 BERTI, Einführung in die Schweizerische Zivilprozessordnung, 2011, N. 322. - 8 - 10. Januar 2020). Dass die Gesuchstellerin keinen Rechtsanspruch auf Sistierung hatte, spielt daher keine Rolle; sie war jedenfalls zweckmässig. Weiter hat das Bundesgericht festgehalten, bei der Fristansetzung sei zu berücksichtigen, dass der fristbelasteten Partei eine siebentätige Abholfrist zustehe (Art. 138 ZPO). Die Ansetzung einer Frist auf den letzten Abho- lungstag, d.h. auf den siebten Tag, stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar: "Wird die Frist auf einen bestimmten Kalendertag terminiert, ist die Abholfrist von sieben Tagen zu berücksichtigen".4 Vorliegend hat die Gesuchstellerin die Verfügung vom 6. Januar 2020, in welcher ihr die Nach- frist gemäss Art. 101 Abs. 3 ZPO zur Bezahlung des Gerichtskostenvor- schusses angesetzt wurde, nicht abgeholt. Damit gilt sie gestützt auf Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO erst am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustel- lungsversuch (8. Januar 2020), d.h. am 15. Januar 2020, als zugestellt. In diesem Zeitpunkt war die mit Verfügung vom 6. Januar 2020 auf den 10. Ja- nuar 2020 angesetzte Nachfrist allerdings bereits abgelaufen. Die Nach- fristansetzung erfolgte daher – weil die Verfügung von der Gesuchstellerin nicht abgeholt wurde – unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Ge- suchstellerin. Entsprechend wäre eine neue Frist anzusetzen gewesen. Dies war im vorliegenden Fall allerdings nicht nötig, da das Verfahren mit Verfügung vom 13. Januar 2020 schon sistiert wurde. Erst nach Sistie- rungsaufhebung hätte daher die eigentliche Ansetzung der Nachfrist zur Leistung des Kostenvorschusses erfolgen müssen, was sich nun infolge Bezahlung des Gerichtskostenvorschusses am 23. Januar 2020 erledigt hat. Der Antrag der Gesuchsgegnerin vom 24. Januar 2020 auf Nichteintreten ist daher abzuweisen und auf das Gesuch vom 17. Dezember 2020 ist ein- zutreten. 2. Aktenschluss 2.1. Im summarischen Verfahren findet grundsätzlich nur ein Schriftenwechsel statt, mit dessen Abschluss der Aktenschluss eintritt.5 Keine der Parteien darf sich darauf verlassen, dass das Gericht nach einmaliger Anhörung ei- nen zweiten Schriftenwechsel oder eine mündliche Hauptverhandlung an- ordnet.6 Eine durch die Parteien selbständig vorgenommene Aufteilung der Rechtsschriften in einzelne Themenkomplexe ist unzulässig.7 Die grund- sätzliche Beschränkung des summarischen Verfahrens auf einen einfa- 4 BGer 5A_280/2018 vom 21. September 2018 E. 5.2. 5 BGE 144 III 117 E. 2.2; LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kom- mentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 229 N. 17. 6 BGE 144 III 117 E. 2.2; BGer 4A_273/2012 vom 30. Oktober 2012 E. 3.2 (nicht publ. in BGE 138 III 620). 7 Vgl. BGer 4A_70/2019 vom 6. August 2019 E. 2 (zur Publikation bestimmt). - 9 - chen Schriftenwechsel ändert jedoch nichts daran, dass den Parteien ge- stützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1 und 2 BV das Recht zu- steht, zu jeder Eingabe der Gegenpartei Stellung zu nehmen, und zwar un- abhängig davon, ob diese neue und erhebliche Gesichtspunkte enthält.8 Insbesondere sind Stellungnahmen zum Rechtlichen und zum Beweiser- gebnis bis zur Urteilsfällung jederzeit möglich (sog. Replikrecht). Nach Ein- tritt des Aktenschlusses können Tatsachen und Beweismittel nur noch un- ter den Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO ohne Verzug vorge- bracht werden (sog. Novenrecht).9 Eine Tatsache ist neu, wenn sie ein Sachverhaltselement erstmals einführt. Wird ein bereits eingeführtes Sach- verhaltselement hingegen bloss klargestellt, ist es nicht neu. Dagegen sind Vorbringen neu, die dem Nachsubstantiieren dienen, wenn die Partei ein substantiiertes Behaupten oder Bestreiten zuvor unterlassen hat.10 2.2. Mit der Stellungnahme von RA lic. iur. Michael Merz vom 27. Dezember 2019, der aufgrund der Vollmacht vom 24. Dezember 2019 die Gesuchs- gegnerin rechtsgültig vertrat, erstattete die Gesuchsgegnerin ihre Ge- suchsantwort und es trat Aktenschluss ein. Die Gesuchsgegnerin konnte danach nur noch unter den Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO Tat- sachen und Beweismittel vorbringen. Dass diese Voraussetzungen für die in der Antwort der Gesuchsgegnerin vom 10. Januar 2020 enthaltenen Vor- bringen erfüllt gewesen sein sollten, macht die Gesuchsgegnerin weder geltend noch ist dies aus den Akten ersichtlich. Die in der Gesuchsantwort vom 10. Januar 2020 enthaltenen Behauptungen und Bestreitungen haben folglich unberücksichtigt zu bleiben. Dass bei der Gesuchsgegnerin zwischenzeitlich Verwirrung über ihre Rechtsvertretung herrschte, kann an diesem Ergebnis nichts ändern. Es ist vielmehr der Gesuchsgegnerin anzulasten, wenn sie am 23. und am 24. Dezember 2019 mit zwei separaten Vollmachten zwei unterschiedliche Rechtsvertreter mit der vorliegenden Rechtsstreitigkeit beauftragte und sich diese mit ihren Eingaben nicht aufeinander abstimmten. 3. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 3.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 8 BGE 144 III 117 E. 2.1; BGE 138 I 154 E. 2.3.3 m.w.N.; BGer 4A_42/2011 vom 21. März 2011 E. 2.2.2. 9 LEUENBERGER (Fn. 5), Art. 229 N. 4a. 10 BSK ZPO-WILLISEGGER, 3. Aufl. 2017, Art. 229 N. 16. - 10 - 3.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.11 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.12 Letztlich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.13 4. Pfandsumme 4.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet im Zusammenhang mit der Montage der Lüf- tungsinstallationen _, gegenüber der gesuchsgegnerischen Streitbe- rufenen eine Werklohnforderung in Höhe von Fr. 222'847.05. Weder die Gesuchsgegnerin noch die gesuchsgegnerische Streitberufene haben diese Werklohnforderung rechtzeitig bestritten (vgl. oben E. 2.2). 4.2. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.14 4.3. Würdigung Mangels Bestreitung sind die von der Gesuchsgegnerin behaupteten Tat- sachen dem Entscheid ohne weiteres zugrunde zu legen, da über nicht be- strittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 11 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. 12 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 13 SCHUMACHER (Fn. 11), N. 1395. 14 SCHUMACHER (Fn. 11), N. 436, 438 und 547. - 11 - Abs. 1 ZPO).15 Ohne Zweifel qualifiziert die Montage einer Lüftungsinstal- lation als bauhandwerkerpfandrechtsberechtigte Arbeit. Die Gesuchsgeg- nerin hat die von der Gesuchstellerin gegenüber der gesuchsgegnerischen Streitberufenen behauptete Werklohnforderung in Höhe von Fr. 222'847.05 nicht bestritten. Es sind daher – aufgrund des im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Sachverhalts – keine Gründe ersichtlich, weshalb der Ge- suchstellerin die geltend gemachte Pfandsumme im Umfang von Fr. 222'847.05 nicht zustehen sollte. 5. Eintragungsfrist 5.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, am 11. Oktober 2019 mit den beauftragten Regiearbeiten die letzten Arbeiten ausgeführt zu haben. 5.2. Rechtliches Die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts muss bis spätestens vier Monate nach der Arbeitsvollendung erfolgen, andernfalls verwirkt der An- spruch (Art. 839 Abs. 2 ZGB).16 Die Eintragungsfrist berechnet sich nach Art. 7 ZGB i.V.m. Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 i.V.m. Abs. 2 OR. Sie endet somit an demjenigen Tag des letzten Monats, der durch seine Zahl dem Tag der Arbeitsvollendung entspricht.17 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 839 Abs. 2 ZGB gel- ten Bauarbeiten grundsätzlich dann als vollendet, wenn alle Verrichtungen, die Gegenstand des Werkvertrages bilden, ausgeführt sind. Nicht in Be- tracht fallen dabei geringfügige oder nebensächliche, rein der Vervoll- kommnung dienende Arbeiten oder Ausbesserungen wie der Ersatz gelie- ferter, aber fehlerhafter Teile oder die Behebung anderer Mängel. Gering- fügige Arbeiten gelten aber dann als Vollendungsarbeiten, wenn sie uner- lässlich sind; insoweit werden Arbeiten weniger nach quantitativen als viel- mehr nach qualitativen Gesichtspunkten gewürdigt.18 5.3. Würdigung Mangels Bestreitung kann der von der Gesuchstellerin behauptete 11. Ok- tober 2019 als Datum der Arbeitsvollendung dem Entscheid zugrunde ge- legt werden, da über nicht bestrittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO).19 6. Hinreichende Sicherheit Die gesuchsgegnerische Streitberufene reichte anlässlich der Instruktions- verhandlung die Zahlungsgarantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 15 BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO. 16 BGE 126 III 462 E. 4c/aa; BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 11), Art. 839/840 N. 29. 17 BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 11), Art. 839/840 N. 31a. 18 BGer 5A_613/2015 vom 22. Januar 2016 E. 4 m.w.N. 19 BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO. - 12 - über Fr. 223'000.00 zu Gunsten der Gesuchstellerin ein. Die Gesuchstelle- rin akzeptierte diese Zahlungsgarantie (vgl. Aktenzusammenzug Ziff. 19). Gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB kann die Eintragung eines Bauhandwerker- pfandrechts nicht verlangt werden, wenn der Grundeigentümer für die an- gemeldete Forderung hinreichende Sicherheit leistet. Das Fehlen einer hin- reichenden Sicherheit ist daher eine negative Voraussetzung für die Eintra- gung bzw. den Weiterbestand des Bauhandwerkerkerpfandrechts.20 Mit an- deren Worten kann der Unternehmer kein Bauhandwerkerpfandrecht ver- langen, wenn ihm für die entsprechende Forderung eine hinreichende Si- cherheit geleistet wird.21 Die Leistung einer hinreichenden Sicherheit hat die Funktion einer Ersatzsicherheit: Anstelle eines mittelbaren gesetzlichen Grundpfandrechts in der Form des Bauhandwerkerpfandrechts22 erhält der Unternehmer eine Ersatzsicherheit. 23 Mit Ausnahme der definitiven Sicher- heitsleistung führt diese nicht zur Gegenstandslosigkeit und damit zur Be- endigung des ganzen Prozesses. Das Prozessthema bleibt ungeachtet der Änderung des Haftungssubstrats das Gleiche.24 Vorausgesetzt ist, dass die Sicherheitsleistung als "hinreichend" i.S.v. Art. 839 Abs. 3 ZGB qualifiziert wird.25 Dies setzt voraus, dass die Sicherheitsleistung qualitativ und quan- titativ die gleiche Sicherheit bietet wie das Bauhandwerkerpfandrecht.26 Ob die Sicherheitsleistung als "hinreichend" qualifiziert wird, obliegt vorab der Disposition der involvierten Parteien.27 Akzeptiert der Unternehmer die von der sicherleistenden Person angebotene Ersatzsicherheit anstelle des Bauhandwerkerpfandrechts, wird das Gericht nicht mehr überprüfen, ob die Sicherheitsleistung "hinreichend" i.S.v. Art. 839 Abs. 3 ZGB ist.28 Da die Gesuchstellerin mit der eingereichten Zahlungsgarantie einverstan- den ist, erübrigt sich eine Prüfung der quantitativen und qualitativen Gleich- wertigkeit zum Bauhandwerkerpfandrecht. Der Zahlungsgarantie steht auch eine allfällige Qualifikation des umstrittenen Grundstücks als Verwal- tungsvermögen nicht entgegen (Art. 839 Abs. 4-6 ZGB). 20 SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, Sachenrecht, 4. Aufl. 2012, N. 1742; SCHUMACHER (Fn. 11), N. 1237. 21 VETTER/BRUNNER, Die hinreichende Sicherheit gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB, in: Jusletter 27. Feb- ruar 2017, Rz. 1. 22 Statt vieler SCHUMACHER (Fn. 12), N. 5 ff. m.w.N. 23 VETTER/BRUNNER (Fn. 21), Rz. 3. 24 RÜETSCHI, Vorfragen im schweizerischen Zivilprozess, 2011, N. 533 ff.; ZR 2010, Nr. 66, S. 272; AGVE 1982 S. 28. 25 VETTER/BRUNNER (Fn. 21), Rz. 6. 26 BGE 142 III 738 E. 4.4.2.; VETTER/BRUNNER (Fn. 21), Rz. 8. 27 Vgl. SCHUMACHER (Fn. 11), N. 1312. Siehe auch Merkblatt des Handelsgerichts des Kantons Aar- gau, abrufbar unter <https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte//Merkblatt_Handelsgericht.pdf>, zuletzt besucht am 31. Januar 2020. 28 VETTER/BRUNNER (Fn. 21), Rz. 30; SCHUMACHER (Fn. 20), N. 1314. https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_Handelsgericht.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_Handelsgericht.pdf - 13 - 7. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts für eine Pfandsumme von Fr. 222'847.05 grundsätzlich erfüllt wären. Zudem hat die Gesuchstellerin die eingereichte Zahlungsgarantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 über Fr. 223'000.00 als hinreichend anerkannt. Folglich ist die vorläufige Eintragung des von der Gesuchstellerin beantrag- ten Bauhandwerkerpfandrechts nicht mehr möglich. Das Interesse der Ge- suchstellerin an der Verfahrensfortführung ist in dieser Hinsicht unterge- gangen. Das Verfahren ist in dieser Hinsicht gemäss Art. 219 i.V.m. Art. 242 ZPO gegenstandslos geworden (vgl. oben E. 6). 8. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei ungenutztem Ablauf der Frist ohne weiteres und ersatzlos gelöscht werde.29 Die Prose- quierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vor- liegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen.30 Der Gesuchstellerin ist daher Frist bis zum 4. Mai 2020 anzusetzen, um beim zuständigen Gericht Klage im ordentlichen Verfahren auf definitive Sicherstellung einzureichen. 9. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Da die Sicherheitsleistung anstelle des Bauhandwer- kerpfandrechts tritt, sind die Prozesskosten ausgangsgemäss von der Ge- suchsgegnerin zu tragen. 9.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 3'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 3'000.00, direkt zu ersetzen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 29 SCHUMACHER (Fn. 11), N. 672 ff. 30 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 11), N. 688. - 14 - 9.2. Eine Parteientschädigung ist der Gesuchstellerin mangels Antrag nicht zu- zusprechen. 9.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handels- gericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder auf- grund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehalten. Der Vizepräsident erkennt: 1. Das Verfahren betreffend Vormerkung einer vorläufigen Eintragung ei- nes Bauhandwerkerpfandrechts gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB auf dem Grundstück der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 123 GB Z. (E- GRID: CH 321), für eine Pfandsumme von Fr. 222'847.05 wird zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abgeschrieben. 2. In Gutheissung des Gesuchs vom 17. Dezember 2020 wird gerichtlich vorsorglich festgestellt, dass die von der gesuchsgegnerischen Streitbe- rufenen eingereichte Zahlungsgarantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 über Fr. 223'000.00 als hinreichende Sicherheit gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB gilt. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 4. Mai 2020 beim zuständigen Gericht im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Sicherstellung der von der gesuchsgegnerischen Streitberufenen eingereichten Zahlungsgarantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 über Fr. 223'000.00 anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 2 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 sind von der Gesuchsgegne- rin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Ge- - 15 - richtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. Die Gesuchs- gegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten der Gesuchstellerin direkt zu ersetzen. 4.2. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. Zustellung an: die Gesuchstellerin (mit Abrechnung mit Protokoll der Instruktionsver- handlung vom 31. Januar 2020) die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach mit Protokoll der Instrukti- onsverhandlung vom 31. Januar 2020) die gesuchsgegnerische Streitbetroffene (Vertreter; zweifach mit Pro- tokoll der Instruktionsverhandlung vom 31. Januar 2020) - 16 - Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 31. Januar 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2020-01-31
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_31._Januar_2020.pdf
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2006 Obergericht 42 [...] 8 § 196c ZPO; § 196g Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 189 ZPO. Bleibt bei einer Teileinigung im Scheidungsverfahren gemäss Art. 112 ZGB ein Ehegatte mit der Stellung von Anträgen zu den streitigen Neben- folgen (Art. 112 Abs. 3 ZGB; § 196c ZPO) säumig, ist ihm gemäss § 196g Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 189 ZPO eine 10-tägige Nachfrist zur Antragstellung einzuräumen mit der Androhung, dass er bei erneuter Säumnis mit den entsprechenden Anträgen ausgeschlossen ist, soweit es sich nicht um Streitsachen handelt, wo der Richter von Amtes wegen zu handeln hat. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 22. August 2006 i.S. V.N.-E. ca. Ch.N. 2006 Zivilprozessrecht 43 Aus den Erwägungen 3. 3.1. (...) 3.2. Bei der Scheidung mit Teileinigung gemäss Art. 112 ZGB stellt jeder Ehegatte Anträge zu den Scheidungsfolgen, über die sie sich nicht einig sind (Art. 112 Abs. 3 ZGB). Daraus folgt, dass bezüglich der streitigen Scheidungsfolgen ein kontradiktorisches Verfahren stattfindet. Dieses streitige Verfahren untersteht den schei- dungsrechtlichen Verfahrensvorschriften der Art. 135 ff. ZGB sowie - soweit diese keine abschliessende Regelung enthalten - dem kanto- nalen Prozessrecht (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 39 zu Art. 112 ZGB; Gloor, Basler Kommentar, 3. A., Basel/Genf/München 2006, N 10 zu Art. 112 ZGB; Fankhauser, in: FamKomm Scheidung, Bern 2005, N 20 zu Art. 112 ZGB; Botschaft über die Änderungen des schweizerischen Zivilgesetzbuches [Personenstand, Eheschliessung, Scheidung, Kin- desrecht, Verwandtenunterstützungspflicht, Heimstätten, Verwandt- schaft und Ehevermittlung] vom 15. November 1995, Separatdruck, S. 89). Hinsichtlich der Antragstellung bezüglich der streitigen Schei- dungsfolgen enthalten die bundesrechtlichen Vorschriften über das Scheidungsverfahren (Art. 135 ff. ZGB) mit Bezug auf die güter- rechtlichen Nebenfolgen keine Regelung. Es ist daher allein auf das kantonale Prozessrecht abzustellen. Gemäss § 196c Abs. 1 und 2 ZPO setzt der Richter nach Vorliegen der Bestätigung (des Schei- dungswillens und der Teilvereinbarung) beiden Gesuchstellern gleichzeitig Frist an zur Antragstellung und Begründung der stritti- gen Scheidungsfolgen und stellt die Eingaben beider Gesuchsteller der jeweiligen Gegenpartei zur Erstattung einer Stellungnahme zu, womit der Schriftenwechsel beendet ist. Gemäss § 196c Abs. 3 ZPO kann der Richter, wo es die Umstände rechtfertigen, anstelle der schriftlichen Antragstellung und Stellungnahme die Mündlichkeit des Behauptungsverfahrens anordnen, wobei jeder Partei zwei Vorträge zustehen. Schliesslich kann der Richter auch bestimmen, dass bezüg- lich der strittigen Scheidungsfolgen anstelle des vorstehenden 2006 Obergericht 44 Verfahrens das Behauptungsverfahren nach den §§ 167 ff. ZPO erfol- gen soll. Im Übrigen gelten gemäss § 196g Abs. 1 ZPO für das Ehe- scheidungsverfahren die Regeln der Zivilprozessordnung über das ordentliche Verfahren sinngemäss. In § 196c ZPO ist nicht geregelt, was zu geschehen hat, wenn eine Partei die Frist gemäss § 196c Abs. 1 ZPO zur Antragstellung und Begründung der strittigen Scheidungsfolgen unbenützt verstrei- chen lässt. Gemäss der allgemeinen Verfahrensbestimmung von § 97 Abs. 1 ZPO hat die Versäumnis einer Prozesshandlung, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, nur zur Folge, dass das Verfahren ohne diese durchgeführt wird, d.h. die säumige Partei geht der Vor- teile verlustig, die sie durch die Ausführung der betreffenden Hand- lung hätte gewinnen können; diese Handlung kann nicht mehr nachgeholt werden, und das Verfahren wird ohne Rücksicht auf sie fortgesetzt (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, N 6 zu § 97 ZPO). Da das Gesetz für das Verfahren in Ehescheidungs- und Ehetrennungssachen gemäss §§ 196a ff. ZPO nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, erscheint es nicht von vornherein unzutref- fend, die Säumnisfolgen bereits an die erste Säumnis zu knüpfen, so dass erst nach Fristablauf eingereichte Anträge zu den streitigen Ne- benfolgen der Scheidung unzulässig und damit unbeachtlich wären. Es ist indessen zu beachten, dass die Zivilprozessordnung da, wo die Handlung einer Partei für den Fortgang des Verfahrens als nötig er- scheint, und vor allem dort, wo besondere Nachteile drohen, ein zweistufiges Vorgehen vorsieht und die Säumnisfolgen erst nach der zweiten Säumnis eintreten lässt (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 7, 8 zu § 97 ZPO). Angesichts der grossen Bedeutung, welcher der Antragstellung und Begründung der strittigen Scheidungsfolgen im Prozess zukommt, erscheint es angezeigt, in Anwendung von § 196g Abs. 1 ZPO, der für das Ehescheidungsverfahren "im Übrigen" die sinngemässe Geltung der Regeln der ZPO über das ordentliche Verfahren vorsieht, § 189 Abs. 1 und 2 ZPO betreffend die Säumnis mit der Antwort oder Widerklageantwort sinngemäss anzuwenden, weshalb bei Säumnis mit der Antragstellung und Begründung der strittigen Scheidungsfolgen der säumigen Partei eine letzte Frist von 2006 Zivilprozessrecht 45 10 Tagen anzusetzen ist mit der Androhung, dass sie bei erneuter Säumnis mit entsprechenden Anträgen ausgeschlossen ist, soweit es sich nicht um Streitsachen handelt, wo der Richter von Amtes wegen zu handeln hat (§ 189 Abs. 3 ZPO; vgl. Urteil der 2. Zivilkammer des Obergerichts vom 1. Juni 2006 i.S. L. [ZOR.2006.29] Erw. 4.2.2). 3.3. Da der Klägerin im vorliegenden Fall keine letzte Frist un- ter Androhung der Säumnisfolgen im Sinne von § 189 Abs. 1 ZPO angesetzt worden ist, vermochte die Nichtbeachtung der ihr mit Verfügung vom 16. November 2004 angesetzten Frist keine Säum- nisfolgen eintreten zu lassen, weshalb die von ihr erst mit der Stel- lungnahme vom 11. März 2005 gestellten Anträge zur güterrechtli- chen Auseinandersetzung zu berücksichtigen und demgemäss zu be- urteilen sind. Vorab ist dem Beklagten gemäss § 196c Abs. 2 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme dazu einzuräumen und ein allenfalls erforderliches Beweisverfahren durchzuführen.
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-8.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2006-8.pdf
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.116 / as / as Entscheid vom 16. Februar 2021 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gerichtsschreiber-Stv. Stich Gesuchstellerin G. AG, _ vertreten durch lic. iur. Reto Gantner, Rechtsanwalt, Kasernern- strasse 22a, Postfach 569, 4410 Liestal Gesuchsgegne- rin P. Sàrl, _ vertreten durch Dr. iur. Philipp Straub, Rechtsanwalt, Bahnhofstrasse 54, Postfach, 2501 B./Bienne Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in O. (AG). Sie hat im Wesentlichen die Planung und Ausführung von Malerarbeiten etc. zum Zweck (Gesuchsbeilage [GB] 4). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in B. (BE). Sie hat hauptsächlich folgenden Zweck: [...] GB 5). Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grdst.-Nr. 987 GB B. (E- GRID: CH 123; GB 6). 3. Mit Gesuch vom 15. Dezember 2020 (Postaufgabe: 15. Dezember 2020) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: [...] 4. Am 16. Dezember 2020 erliess der Vizepräsident folgende Verfügung: 1. In Gutheissung des Gesuchs um Erlass superprovisorischer Mas- snahmen vom 15. Dezember 2020 wird der Gesuchstellerin die Vor- merkung einer vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerker- pfandrechts gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB auf dem Grundstück der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 987 GB B. (E-GRID: CH 123), superprovisorisch für eine Pfandsumme von Fr. 65'831.95 zuzüglich Zins zu 5 % ab dem 22. Oktober 2020 be- willigt. 2. Das Grundbuchamt Z. wird angewiesen, die Vormerkung gemäss vorstehender Dispositiv-Ziff. 1 sofort einzutragen. 3. Die Gesuchstellerin hat mit beiliegendem Einzahlungsschein bis zum 31. Dezember 2020 einen Gerichtskostenvorschuss von Fr. 2'000.00 zu leisten. 4. Zustellung des Doppels des Gesuchs (inkl. Beilagen) vom 15. De- zember 2020 an die Gesuchsgegnerin zur Erstattung einer schrift- lichen Antwort bis zum 31. Dezember 2020. 5. Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. Aus- nahmsweise ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichender Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustim- mung der Gegenpartei oder von der Partei nicht vorhersehbare oder nicht beeinflussbare Hinderungsgründe. - 3 - 6. Die Gesuchsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass die Vormer- kung im Grundbuch gelöscht wird, wenn sie für die angemeldeten Forderungen hinreichende Sicherheiten leistet. 7. Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO). 5. Das Grundbuchamt Z. merkte die vorläufige Eintragung am 16. Dezember 2020 mit der Nummer 567 im Tagebuch vor. 6. Mit Gesuchsantwort vom 8. Januar 2021 stellte die Gesuchsgegnerin fol- gende Rechtsbegehren: " 1. Das Gesuch um Eintragung eines provisorischen sei abzuweisen. 2. Eventualiter: Das Gesuch um Eintragung eines provisorischen Bauhandwerkerpfandrechts sei bis auf einen Betrag von CHF 14'800.55 abzuweisen. 3. Subeventualiter: Das Gesuch um Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts sei bis auf einen Betrag von CHF 21'391.80 abzuweisen. - unter Kosten- und Entschädigungsfolge -" 7. Mit Eingabe vom 22. Januar 2021 nahm die Gesuchstellerin unaufgefordert zu den Ausführungen in der Gesuchsantwort Stellung. 8. Mit Eingabe vom 27. Januar 2021 nahm die Gesuchsgegnerin unaufgefor- dert zur Eingabe der Gesuchstellerin vom 22. Januar 2021 Stellung. Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Der Einzelrichter am Handelsgericht ist örtlich, sachlich und funktionell zur Beurteilung der im summarischen Verfahren zu behandelnden Streitigkeit zuständig (vgl. dazu E. 4 der Verfügung vom 16. Dezember 2020). - 4 - 2. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 2.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 2.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.1 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.2 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.3 3. Pfandsumme 3.1. Parteibehauptungen 3.1.1. Gesuchstellerin Die Gesuchstellerin behauptet in ihrem Gesuch, es sei noch eine Werk- lohnforderung von Fr. 65'831.95 offen, womit die Pfandsumme in dieser Höhe einzutragen sei. Die Rechnungen seien von H.M., der ein Vertreter der Gesuchsgegnerin sei, unterschriftlich genehmigt worden. Die Gesuchs- gegnerin habe jedoch jegliche Zahlungen verweigert. In der Gesuchsbei- lage 2 reicht die Gesuchstellerin die von H.M. am 22. September 2020 un- terzeichneten Schlussrechnungen Nr. 20191043 vom 22. September 2020 über den Betrag von Fr. 30'313.05 und Nr. 20191025 vom 22. September 2020 über den Betrag von Fr. 35'518.90 ein. In Bezug auf die von der Gesuchsgegnerin eingereichten Debitorenaufstel- lung (Antwortbeilage [AB] 4) bestreitet die Gesuchstellerin, dass diese von ihr stamme. Sie sei falsch, da die Beträge nicht mit den Rechnungsbeträ- gen übereinstimmen würden. Es würden die unterschriebenen und aner- kannten Schlussrechnungen gelten (Eingabe der Gesuchstellerin vom 22. Januar 2021 Rz. 13). Zudem fehle die Rechnung Nr. 20191025 (Ein- gabe der Gesuchstellerin vom 22. Januar 2021 Rz. 16). 1 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. 2 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 3 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1395. - 5 - Die Rechnung der L. AG habe nichts mit den Arbeiten der Gesuchstellerin zu tun. Die L. AG habe nur die Lieferung übernommen. Die Gesuchstellerin habe demgegenüber die Montage und das Montagematerial in Rechnung gestellt (Eingabe der Gesuchstellerin vom 22. Januar 2021 Rz. 18). In Bezug auf die Zahlung von Fr. 36'375.80 sei anzumerken, dass zwischen den Parteien mehrere Rechnungen offen seien. Dieser Betrag wurde auf eine ältere Forderung angerechnet, da die Gesuchsgegnerin bei der Über- weisung keinen Zahlungszweck angegeben habe (Eingabe der Gesuch- stellerin vom 22. Januar 2021 Rz. 19). 3.1.2. Gesuchsgegnerin In ihrer Antwort führt die Gesuchsgegnerin aus, sie habe für die Sanierung von drei Liegenschaften in B., K. und F. H.M. als Generalunternehmer bei- gezogen und für jede Baustelle einen Generalunternehmervertrag abge- schlossen (Antwort Rz. 4; AB 2). H.M. arbeite regelmässig mit der Gesuch- stellerin zusammen, wobei in diesem Verhältnis stets nach Einheitspreisen abgerechnet würde (Antwort Rz. 5; GB 9). Es handle sich daher um ein Drittpfandverhältnis (Antwort Rz. 6). In Bezug auf die Schlussrechnung Nr. 20191043 sei festzuhalten, dass diese die Schlussrechnung Nr. 20191048 betreffend BKP 285.0 (Aussen- malerarbeiten) integriere. Diesbezüglich betrage der Rechnungsbetrag Fr. 12'330.05 (exkl. MwSt.). Da die Gesuchsgegnerin für die Aussenmaler- arbeiten allerdings schon akonto Fr. 25'000.00 geleistet habe, habe sich aus der Schlussrechnung Nr. 2019048 ein Guthaben zugunsten der Ge- suchsgegnerin im Umfang von Fr. 11'720.55 ergeben (Fr. 25'000.00 ./. Fr. 12'330.05 * 1.077). Dieses Guthaben sei zusammen mit zwei weiteren durch die Gesuchsgegnerin bereits bezahlten Akontorechnungen im Ge- samtbetrag von Fr. 62'310.00 (Fr. 30'000.00 und Fr. 32'310.00) in Abzug gebracht worden. Der Schlusssaldo zu Gunsten der Gesuchstellerin habe daher Fr. 30'313.05 betragen (Antwort Rz. 8, AB 8). Die Gesuchsgegnerin habe die Schlussrechnungen Nr. 20191043 und Nr. 20191048 durch H.M. überprüfen lassen, der festgestellt habe, dass verschiedene Ausmasse und Einheitspreise nicht stimmen würden (Ant- wort Rz. 9; AB 3). Die Fehler beträfen verschiedene Positionen, die die Ge- suchsgegnerin in Rz. 11 ihrer Antwort auflistet. Unter Berücksichtigung die- ser Fehler belaufe sich der Betrag der Schlussrechnung Nr. 20191043 auf Fr. 86'363.65 anstatt Fr. 104'343.60 und der Betrag der Schlussrechnung Nr. 20191048 auf Fr. 8'367.80 anstatt Fr. 13'279.45. Daraus resultiere, dass die Gesuchstellerin bloss noch einen Anspruch auf Fr. 7'421.20 an- statt Fr. 30'313.05 habe (Antwort Rz. 12 f.; AB 3). Die in der Schlussrechnung Nr. 20191025 aufgelisteten Ausmasse und Preise würden von der Gesuchsgegnerin bestritten (Antwort Rz. 14). - 6 - Im Übrigen habe die Gesuchstellerin der Gesuchsgegnerin Ende Oktober 2020 korrigierte Rechnungen geschickt (AB 5-7), die Beträge von Fr. 33'209.70 (Rechnung Nr. 20191043) bzw. -Fr. 6'908.15 (Rechnung Nr. 20191048) und -Fr. 4'909.75 (Rechnung Nr. 20191059, die der Rech- nung Nr. 20191025 entsprechen würde) ausweisen würden (Antwort Rz. 15 f.). Diesen Beträgen entsprechend habe die Gesuchstellerin ledig- lich noch einen Anspruch im Umfang von Fr. 21'391.80 (Antwort Rz. 17). Zusätzlich habe die Gesuchsgegnerin am 28. Mai 2020 eine Rechnung der L. AG im Betrag von Fr. 6'692.50 bezahlt. Dabei sei es um die Lieferung und Montage von Fenstersimse gegangen, die die Gesuchstellerin nun in ihrer Rechnung Nr. 2019043 unter der Position 6 im Umfang von Fr. 6'120.00 (exkl. MwSt.) noch einmal in Rechnung gestellt habe. Diese Position sei daher vollumfänglich zu streichen, sodass sich der Anspruch der Gesuchstellerin auf Fr. 14'800.55 reduziere (Antwort Rz. 18 f.; AB 10 f.). Würde man sodann die von H.M. vorgenommenen Korrekturen berücksich- tigen, so resultiere sogar ein Guthaben zu Gunsten der Gesuchsgegnerin im Umfang von Fr. 4'079.80 (Antwort Rz. 22). 3.2. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.4 3.3. Würdigung Die Parteien sind sich einig, dass die von der Gesuchstellerin erbrachten Arbeiten, sei es nun im Vertragsverhältnis zum Generalunternehmer H.M. oder im Vertragsverhältnis zur Gesuchsgegnerin, bauhandwerkerpfand- rechtsberechtigt sind. Die Parteien sind sich einzig in Bezug auf die in Rechnung gestellten Be- träge und Akontozahlungen (Werklohn- und Pfandsumme) uneinig, was im Folgenden zu klären ist: Die Gesuchstellerin reichte folgende Rechnungen ein: Schlussrechnung Nr. 20191043 vom 22. September 2020 (GB 2), wobei darin folgende Leistungen abgerechnet wurden: 4 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 436, 438 und 547. - 7 - o Innere Gipserarbeiten: Fr. 96'883.55 (exkl. MwSt.) o Innere Malerarbeiten: Fr. 0.00 o Aussenmalerarbeiten: Fr. 12'330.05 (exkl. MwSt.) Folgende Beträge wurden zu Gunsten der Gesuchsgegnerin ange- rechnet: o 1. Akontorechnung (20191006): Fr. 30'000.00 o 2. Akontorechnung (20191026): Fr. 32'310.00 o Schlussrechnung Fassade (20191030): Fr. 11'720.55. Schlussrechnung Nr. 20191025 vom 22. September 2020 (GB 2), wobei darin folgende Leistungen abgerechnet wurden: o Plattenleger: Fr. 32'979.50 (exkl. MwSt.) Demgegenüber reichte die Gesuchsgegnerin drei Rechnungen ein, die zwar vom 18. September bzw. 18. August 2020 datieren, allerdings unbe- strittenermassen Ende Oktober 2020 ausgestellt wurden (Antwort Rz. 15, Eingabe der Gesuchstellerin vom 22. Januar 2021 Rz. 16 f.): Rechnung Nr. 20191043 von Ende Oktober 2020 (AB 5), wobei da- rin folgende Leistungen abgerechnet wurden: o Innere Gipserarbeiten: Fr. 88'690.55 (exkl. MwSt.) o Innere Malerarbeiten: Fr. 0.00 Folgende Beträge wurden zu Gunsten der Gesuchsgegnerin ange- rechnet: o 1. Akontorechnung (20191006): Fr. 30'000.00 o 2. Akontorechnung (20191026): Fr. 32'310.00 Rechnung Nr. 20191048 von Ende Oktober 2020 (AB 6), wobei da- rin folgende Leistungen abgerechnet wurden: o Aussenmalerarbeiten: Fr. 16'803.95 (exkl. MwSt.) Folgender Betrag wurde zu Gunsten der Gesuchsgegnerin ange- rechnet: o 1. Akontorechnung (20191030): Fr. 25'000.00 Rechnung Nr. 20191059 von Ende Oktober 2020 (AB 7), wobei da- rin folgende Leistungen abgerechnet wurden: o Plattenleger: Fr. 29'216.40 (exkl. MwSt.) Folgender Betrag wurde zu Gunsten der Gesuchsgegnerin ange- rechnet: o 1. Akontorechnung (20191025): Fr. 36'375.80 - 8 - Wenn somit die Gesuchstellerin selber, nach Ausstellung der ehemaligen Rechnungen vom 22. September 2020 (GB 2), neue und korrigierte Rech- nungen über dieselben Arbeitsleistungen ausstellt, so kann sie offensicht- lich nicht mit dem Argument obsiegen, die ursprünglichen – aber selber im Nachhinein korrigierten – Rechnungen seien aufgrund der Unterschrift von H.M. massgebend. Es erscheint geradezu als ausgeschlossen, dass der Gesuchstellerin ein Werklohn zugesprochen werden könnte für Rechnun- gen, die sie im Nachhinein selbst korrigierte. Demnach ist grundsätzlich von folgenden Rechnungsbeträgen auszuge- hen: Rechnung Nr. 20191043 (AB 5): Fr. 33'209.70 (inkl. MwSt.) Rechnung Nr. 20191048 (AB 6): -Fr. 6'902.15 (inkl. MwSt.) Rechnung Nr. 20191059 (AB 7): -Fr. 4'909.75 (inkl. MwSt.) Diese drei Rechnungen stimmen zudem – bis auf eine kleine Abweichung von Fr. 6.00 – mit der Debitoren-Aufstellung der Gesuchstellerin vom 18. Oktober 2020 (AB 4) überein. Zwar bestreitet die Gesuchstellerin, dass diese Debitoren-Aufstellung von ihr sei (Eingabe vom 22. Januar 2021 Rz. 13). Allerdings muss die Bestreitung der Echtheit einer Urkunde, d.h. des Umstands, dass die Antwortbeilage 4 tatsächlich von der Gesuchstel- lerin stammt, begründet erfolgen (Art. 178 ZPO),5 was die Gesuchstellerin unterlässt. Weil auch sonst keine Unstimmigkeiten in der Antwortbeilage 4 ersichtlich sind, ist davon auszugehen, sie stammt tatsächlich von der Ge- suchstellerin. Dass eine Unterschrift fehlt (Eingabe vom 22. Januar 2021 Rz. 16) ist ohne Belang, da nicht ersichtlich ist, weshalb eine Unterschrift für die Gültigkeit einer Debitoren-Aufstellung notwendig sein soll. Soweit die Gesuchstellerin ferner vorbringt, in der Debitoren-Aufstellung fehle die Rechnung Nr. 20191025, so ist das offensichtlich falsch: Die in der von der Gesuchstellerin eingereichten Schlussrechnung Nr. 20191025 in Rech- nung gestellten Plattenlegerarbeiten (GB 2) sind offensichtlich in der Schlussrechnung Nr. 20191059 (AB 7) enthalten. Darin ist auch die An- rechnung der von der Gesuchsgegnerin geleisteten Akontozahlung im Um- fang von Fr. 36'375.80 – in Bezug auf die Akontorechnung Nr. 20191025 – enthalten. Zuletzt bringt die Gesuchstellerin noch vor, die Fr. 36'375.80 habe sie an eine ältere Forderung angerechnet (Eingabe vom 22. Januar 2021 Rz. 19). Auch diese Behauptung ist unglaubwürdig, da die Gesuch- stellerin den Betrag von Fr. 36'375.80 selber in der von ihr ausgestellten und die vorliegende Streitigkeit betreffende Schlussrechnung Nr. 20191059 in Abzug gebracht hat. Soweit die Gesuchstellerin geltend macht, es seien nicht alle Akontorech- nungen vollständig geleistet worden (Eingabe der Gesuchstellerin vom 22. Januar 2021 Rz. 13), bleibt ihr Vortrag unverständlich und damit un- schlüssig, da die Gesuchstellerin nicht behauptet, welche Akontorechnung 5 BGE 143 III 453 E. 3. - 9 - in welchem Umfang unbezahlt blieb und welcher Betrag der Gesuchsgeg- nerin daher nicht anzurechnen ist. Im Übrigen gab die Gesuchstellerin die in den massgebenden Rechnungen abgezogenen Akontoleistungen selber an. Demnach beträgt der von der Gesuchstellerin maximal glaubhaft gemach- ter Werklohn – und damit die Pfandsumme – Fr. 21'397.80 (Fr. 33'209.70 ./. Fr. 6'902.15 ./. Fr. 4'909.75). Insoweit die Gesuchsgegnerin diese Werklohn- und Pfandsumme mit dem Argument in Frage stellt, H.M. habe an den Schlussrechnungen weitere Korrekturen angebracht (Antwort Rz. 9 ff.; AB 3), so kann jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass hier in Bezug auf einzelne Leistun- gen doch andere Parteivereinbarungen vorliegen, wie bspw. im Nachhinein korrigierte Preisreduktionen oder ähnliches (Eingabe der Gesuchstellerin vom 22. Januar 2021 Rz. 9 f.). Diesbezüglich haben sich die Parteien im ordentlichen Verfahren mit substantiierten Behauptungen und Beweismit- teln auseinanderzusetzen. Gleiches gilt für die angeblich doppelt verrechneten Arbeiten in Bezug auf die Lieferung und den Einbau von Fenstersimse. Zwar steht auf der Rech- nung der L. AG, dass die Kosten auch die Montage betreffen würden (AB 10). Es ist jedoch nicht geradezu ausgeschlossen, dass der Gesuch- stellerin für das Ersetzen von Fenstersimse Arbeiten und damit ein Wer- klohnanspruch entstanden sind, zumal sich die von der L. AG und der Ge- suchstellerin in Rechnung gestellten Beträge auch leicht unterscheiden (Fr. 6'214.00 vs. Fr. 6'120.00). Die Parteien haben sich hierüber im ordentli- chen Verfahren mit substantiierten Behauptungen und Beweismitteln aus- einanderzusetzen. 3.4. Verzugszinsen Der Anspruch der Gesuchstellerin auf Verzugszinsen (5 % ab dem 22. Ok- tober 2020; vgl. E. 5.3 der Verfügung vom 16. Dezember 2020) blieb von der Gesuchsgegnerin unbestritten, weshalb er der Pfandsumme auf den nunmehr massgeblichen Betrag von Fr. 21'397.80 hinzuzurechnen ist. 4. Eintragungsfrist Die Einhaltung der viermonatigen Eintragungsfrist ist unter den Parteien unbestritten, weshalb diesbezüglich auf die E. 5.2 der Verfügung vom 16. Dezember 2020 verwiesen werden kann. 5. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts für eine Pfandsumme von Fr. 21'397.80 zuzüglich Zins zu 5 % ab dem 22. Oktober 2020 erfüllt sind und die mit Verfügung vom 16. Dezember 2020 superprovisorisch ange- ordnete Vormerkung der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerker- pfandrechts in diesem Umfang zu bestätigen ist. - 10 - 6. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei ungenutztem Ablauf der Frist ohne weiteres und ersatzlos gelöscht werde.6 Die Prose- quierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vor- liegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen.7 7. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt. Hat keine Partei vollstän- dig obsiegt, so werden die Prozesskosten nach dem Ausgang des Verfah- rens verteilt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 und 2 ZPO). Die Gesuch- stellerin obsiegt zu rund einem Drittel (Fr. 21'397.80 / Fr. 65'831.95), wes- halb ihr die Gerichtskosten ausgangsgemäss zu zwei Dritteln und der Ge- suchsgegnerin zu einem Drittel aufzuerlegen sind. 7.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 2'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150) und mit Fr. 1'333.35 der Gesuchstellerin und mit Fr. 666.65 der Gesuchsgegnerin auferlegt. Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 2'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin den auf sie fallenden Betrag, d.h. Fr. 666.65, direkt zu ersetzen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 7.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin zudem eine Parteientschä- digung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 65'831.95 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 9'994.87 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 5 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarab- zugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 2'498.72. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Der Abzug von 20 % für die nicht durchgeführte Verhandlung gleicht sich aus mit dem Zuschlag für die von den Parteien eingereichten zweiten Rechtsschriften (§ 6 Abs. 2 und 3 AnwT). Nach Hinzurechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 2'573.70, wovon die Gesuchstellerin der Gesuchsgegnerin einen Drittel (zwei Drittel – einen Drittel), d.h. Fr. 857.90, zu bezahlen hat. 6 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 672 ff. 7 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 1), N. 688. - 11 - 7.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handels- gericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder auf- grund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehalten. Der Vizepräsident erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung des Gesuchs vom 15. Dezember 2020 wird die mit Verfügung vom 16. Dezember 2020 zugunsten der Gesuchstellerin auf dem Grundstück der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 987 GB B. (E-GRID: CH 123), superprovisorisch für eine Pfandsumme von Fr. 65'831.95 zuzüg- lich Zins zu 5 % ab dem 22. Oktober 2020 angeordnete Vormerkung vor- sorglich teilweise im Umfang von Fr. 21'397.80 zuzüglich Zins von 5 % ab dem 22. Oktober 2020 bestätigt. 2. Das Grundbuchamt Z. wird angewiesen, die Vormerkung gemäss Disposi- tiv-Ziff. 1 im Umfang von Fr. 21'397.80 zuzüglich Zins zu 5 % seit 22. Ok- tober 2020 aufrechtzuerhalten und im darüber hinausgehenden Umfang zu löschen. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 17. Mai 2021 beim zuständigen Gericht im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung des Bauhand- werkerpfandrechts anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkung im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht wird. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 2'000.00 sind im Umfang von Fr. 1'333.35 von der Gesuchstellerin und im Umfang von Fr. 666.65 von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 2'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten im Umfang von Fr. 666.65 der Gesuchstellerin direkt zu er- setzen. - 12 - 4.2. Die Gesuchstellerin hat der Gesuchsgegnerin deren Parteikosten in rich- terlich festgesetzter Höhe von Fr. 857.90 zu ersetzen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach) Zustellung an: das Grundbuchamt Z. (nach Ablauf der Rechtsmittelfrist) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 16. Februar 2021 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber-Stv.: Vetter Stich
6,597
4,668
AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2021-02-16
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_16._Februar_2021.pdf
null
nan
ddbb350c-b9ac-4d70-b1cd-e2cfc1b9e8e1
1
414
1,497,522
1,571,097,600,000
2,019
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Handelsgericht 2. Kammer HOR.2019.31 / sm / mv Art. 178 Urteil vom 15. Oktober 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Ersatzrichter Meichssner Handelsrichter Felber Handelsrichter Friedli Handelsrichter John Gerichtsschreiber Müller Gerichtsschreiberin-Stv. Albert Klägerin C-G, _ vertreten durch lic. iur. Anton Frank, Rechtsanwalt, Alpenstrasse 1, 6004 Luzern Beklagte H. GmbH, _ Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Mietzinsforderungen - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist gemäss Handelsregister _. 2. Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in M. (AG). Sie bezweckt hauptsächlich _ (Klagebeilage [KB] 2). 3. 3.1. Die Klägerin verfügte für das Mietobjekt M. über einen Mietvertrag mit der B. GmbH (vgl. Klage Rz. II.1; KB 3). Kurz bevor die B. GmbH am 27. No- vember 2017 in Konkurs fiel, schloss diese mit der Beklagten einen Unter- mietvertrag ab. Das Konkursamt des Kantons Aargau erklärte mit Schrei- ben vom 30. November 2017 den Nichteintritt in diesen Untermietvertrag und verwies die Beklagte betreffend Abschluss eines neuen Mietvertrags an C. (vgl. Klage Rz. II.2; KB 4). 3.2. In der Folge fanden zwischen der Klägerin und der Beklagten Verhandlun- gen über den Abschluss eines Mietvertrags für das Mietobjekt statt. Ein schriftlicher Mietvertrag wurde indessen nicht abgeschlossen, die Beklagte benützte das Mietobjekt jedoch weiterhin und bezahlte der Klägerin den monatlichen Mietzins von Fr. 5'947.45 (Klage Rz. II.3 f.). 4. 4.1. Am 15. Mai 2019 erliess der Vizepräsident des Handelsgerichts folgenden Entscheid: 1. 1.1. In Gutheissung des Gesuchs vom 16. April 2019 wird die Ge- suchsgegnerin unter Androhung der Bestrafung ihrer Organe nach Art. 292 StGB verpflichtet, das von ihr benutzte Mietobjekt M., bis spätestens Freitag, 31. Mai 2019, 18:00 Uhr, ordnungs- gemäss zu räumen, zu reinigen und zu verlassen. 1.2. Art. 292 StGB lautet: " Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse ." - 3 - 2. Der Gesuchstellerin wird das Recht eingeräumt, im Fall der Nichtbefolgung von Dispositiv-Ziff. 1 bei der Kantonspolizei Aar- gau, die Räumung auf Kosten der Gesuchsgegnerin zu verlan- gen. 3. Auf die Schadenersatzforderung der Gesuchsgegnerin wird nicht eingetreten. 4. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 sind von der Ge- suchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuch- stellerin geleisteten Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten der Gesuchstellerin direkt zu ersetzen. 5. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin deren Parteikos- ten in richterlich festgesetzter Höhe von Fr. 1'415.00 (inkl. Aus- lagen) zu ersetzen. 4.2. Am 5. Juli 2019 räumte die Beklagte unter Mithilfe der Polizei die Ge- schäftsräumlichkeiten in M. (Klage Rz. II.7). 5. Mit Klage vom 29. Juli 2019 (Postaufgabe: 29. Juli 2019) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin Fr. 40'261.70 nebst Zins zu 5 % seit Datum der vorliegenden Klage zu bezahlen. 2. Nachforderungsrecht wegen der beschädigten Beleuchtung wird ausdrücklich vorbehalten. - 4 - 3. Der Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. 20190950 des Betrei- bungsamtes M.-W. im Betrage der geltend gemachten Mietzins und Nebenforderungen im Gesamtbetrag von CHF 23'831.40, Verzinsung jedoch erst seit Datum der vorliegenden Klage, sei aufzuheben. 4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklag- ten." 6. Mit Verfügung vom 30. Juli 2019 bestätigte der Vizepräsident des Handels- gerichts den Eingang der Klage und setzte der Klägerin Frist zur Leistung des Kostenvorschusses in Höhe von Fr. 3'705.70. Dieser wurde am 14. Au- gust 2019 bezahlt. 7. 7.1. Mit Verfügung vom 15. August 2019 stellte der Vizepräsident der Beklagten das Doppel der Klage zu und setzte ihr zur Erstattung einer schriftlichen Antwort Frist bis zum 16. September 2019 an. 7.2. Da die Beklagte innert der ihr angesetzten Frist keine Antwort erstattete, setzte ihr der Vizepräsident des Handelsgerichts mit Verfügung vom 19. September 2019 eine letzte, nicht erstreckbare Frist bis zum 26. Sep- tember 2019 für die Erstattung einer schriftlichen Antwort an. Damit war die Androhung verbunden, dass das Gericht bei erneuter Säumnis einen End- entscheid fällt, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder zur Hauptver- handlung vorlädt (vgl. Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die Beklagte blieb auch innert der angesetzten Nachfrist mit der Antwort säumig. 8. Mit Verfügung vom 8. Oktober 2019 wurde die Streitsache an das Handels- gericht überwiesen. Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche Zustän- digkeit des angerufenen Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO) sowie das Feh- len der abgeurteilten Sache, sog. res iudicata (Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO). - 5 - 1.1. Zuständigkeit 1.1.1. Örtliche Zuständigkeit Gemäss Art. 33 ZPO ist für Klagen aus Miete und Pacht das Gericht am Ort der gelegenen Sache zuständig. Da sich vorliegend das Mietobjekt in M. (AG) befindet, ist die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte gegeben. 1.1.2. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Prozess- partei betroffen ist, gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offen steht und die Prozessparteien im Handelsregister eingetragen sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend alle erfüllt, da die geschäftliche Tä- tigkeit der Klägerin als Vermieterin betroffen ist, der Streitwert über dem geforderten Betrag von Fr. 30'000.00 (Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO i.V.m. Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) liegt und beide Parteien im Handelsregister eingetragen sind. 1.2. Fehlen der abgeurteilten Sache (res iudicata) Neben offenen Mietzinsforderungen für die Monate Januar bis Juni 2019 (vgl. unten E. 3) macht die Klägerin noch die Entschädigung gemäss Han- delsgerichtsurteil vom 15. Mai 2019 im Verfahren HSU.2019.57 geltend. Dort sei die Beklagte verpflichtet worden, der Klägerin Fr. 3'000.00 direkt zu ersetzen und eine Parteientschädigung von Fr. 1'415.00 zu bezahlen (Klage Rz. II.5 und II.8; KB 7). Das angerufene Gericht darf gemäss Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO auf eine Klage nur eintreten, wenn die Sache noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Eine abgeurteilte Sache (res iudicata) liegt vor, wenn der strittige Anspruch mit einem schon rechtskräftig beurteilten identisch ist.1 Der Vizepräsident des Handelsgerichts hat mit Entscheid vom 15. Mai 2019 im Verfahren HSU.2019.57 bereits rechtskräftig über die Prozesskosten entschieden und die Beklagte verurteilt, die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 der Klägerin zu ersetzen (Dispositiv-Ziff. 4) sowie der Klägerin eine Parteientschädigung von Fr. 1'415.00 (inkl. Auslagen) zu bezahlen (Dispositiv-Ziff. 5). Die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolge ist 1 ZÜRCHER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 59N. 36. - 6 - durch die Rechtsschutzanträge der gesuchstellenden Partei ausgelöst wor- den.2 Die Klägerin kann diese beiden Ansprüche im vorliegenden Verfah- ren infolge res iudicata daher nicht mehr geltend machen. Darauf ist nicht einzutreten. 2. Säumnis der Beklagten Die Beklagte ist mit der Erstattung einer Klageantwort auch innert der ihr angesetzten Nachfrist gemäss Art. 223 Abs. 1 ZPO säumig geblieben. Bei zweimaliger Säumnis erlässt das Gericht entweder einen Endentscheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder es lädt zur Hauptverhandlung vor (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die in der Klageschrift vorgebrachten Tatsachenbehauptungen blieben von der Beklagten unbestritten und gelten daher als zugestanden. Daraus kann jedoch noch keine Anerkennung der klägerischen Rechtsbegehren abge- leitet werden. Gemäss Art. 153 Abs. 2 ZPO kann das Gericht bei erhebli- chen Zweifeln an der Richtigkeit einer nicht streitigen Tatsache, d.h. bei fehlender Spruchreife, von Amtes wegen Beweis erheben. In diesem Fall hat das Gericht in der Regel eine Verhandlung anzusetzen.3 Ist die Angelegenheit hingegen spruchreif, trifft das Gericht direkt einen En- dentscheid (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Hierzu muss die Klage soweit geklärt sein, dass auf diese mangels Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten oder die Klage durch Sachurteil erledigt werden kann. Letzteres setzt vo- raus, dass die Vorbringen der Klägerin nicht unklar, widersprüchlich, unbe- stimmt oder offensichtlich unvollständig sind, denn andernfalls hat das Ge- richt seine Fragepflicht auszuüben (vgl. Art. 56 ZPO).4 3. Offene Mietzinsforderungen 3.1. Klägerin Die Klägerin behauptet, mit der Bezahlung des monatlichen Mietzinses von Fr. 5'974.45 durch die Beklagte, ohne dass ein schriftlicher Mietvertrag mit einer bestimmten Kündigungsdauer abgeschlossen worden sei, sei ein fak- tisches Mietverhältnis zustande gekommen. Die Beklagte habe die Kläge- rin mit Schreiben vom 14. März 2019 auch gebeten, den Mietzins von Fr. 5'974.45 auf Fr. 3'000.00 zu reduzieren (Klage Rz. II.4; KB 6). Die Beklagte schulde der Klägerin für die Monate Januar bis Juni 2019 den monatlichen Mietzins von je Fr. 5'974.45, d.h. total Fr. 35'846.70 (Klage Rz. II.8). 2 Vgl. DROESE, Res iudicata ius facit, 2015, S. 183 f. 3 LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 223 N. 7. 4 Zum Ganzen: LEUENBERGER (Fn. 3), Art. 223 N. 5 und 6a; BSK ZPO-WILLISEGGER, 3. Aufl. 2017, Art. 223 N. 18 ff. - 7 - 3.2. Rechtliches Benutzt jemand eine Sache, ohne dass zwischen den Parteien ein Mietver- trag zustande gekommen ist, oder benutzt er sie über den Zeitpunkt hinaus, auf den der Vermieter ein bestehendes Mietverhältnis rechtsgültig gekün- digt hat, so besteht nach Bundesgericht ein faktisches Vertragsverhältnis.5 Der Benützer hat für den effektiv ausgeübten Gebrauch der Sache eine Gegenleistung zu entrichten, die einem adäquaten Mietzins entspricht.6 Die während einer längeren Zeit von einem Eigentümer geduldete Benützung eines Mietobjekts durch einen Dritten und die Entgegennahme von regel- mässig in gleicher Höhe geleisteten Zahlungen stellt ein Indiz für den Be- stand eines Mietverhältnisses mit einem hinreichend bestimmbaren Ver- tragsinhalt dar.7 Vorbehalten einer vertraglichen Abrede oder eines Ortsgebrauchs ist der Mietzins am Ende jeden Monats, spätestens jedoch am Ende der Mietzeit zu entrichten (Art. 257c OR). 3.3. Würdigung Die Beklagte hat die klägerischen Behauptungen, die Beklagte habe das Mietobjekt M. benutzt und schulde der Klägerin daher für die Monate Ja- nuar bis Juni 2019 die offenen Mietzinsforderungen von je Fr. 5'974.45, d.h. total Fr. 35'846.70, nicht bestritten. Auch die klägerische Behauptung, dass die Beklagte ihr den monatlichen Mietzins von Fr. 5'974.45 im Nachgang an die gescheiterten Mietvertragsverhandlungen bezahlt habe, hat die Be- klagte nicht bestritten. Diese Behauptungen gelten demnach als anerkannt (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO). Die klägerischen Mietzinsforderungen von total Fr. 35'846.70 sind damit ausgewiesen. Die von der Beklagten geschuldeten Mietzinsforderungen wurden in analoger Anwendung von Art. 257c OR spätestens mit Räumung des Mietobjekts vom 5. Juli 2019 fällig. 4. Verzugszinsen 4.1. Klägerin Die Klägerin verlangt in Rechtsbegehren Ziff. 1 auf dem Betrag von Fr. 40'261.70 Verzugszinsen von 5 % seit Datum der vorliegenden Klage. 4.2. Rechtliches Der Schuldner hat Verzugszins von 5 % zu leisten, wenn er sich mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug befindet (Art. 104 Abs. 1 OR). Der 5 BGE 119 II 437 3b; SVIT-Kommentar-ROHRER, 4. Aufl. 2018, Vorbemerkungen zu Art. 253-273c OR N. 35 m.w.N. 6 Vgl. BGer 4A_276/2018 vom 22. Juli 2019 E. 3.1 m.w.N. 7 BGE 136 III 186 E. 3.1.1; BGer 4A_582/2012 vom 28. Juni 2013 E. 3; SVIT-Kommentar-ROHRER (Fn. 5), Vorbemerkungen zu Art. 253-273c OR N. 35; BSK OR I-WEBER, 6. Aufl. 2015, Art. 253 N. 7 je m.w.N. - 8 - Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR), bei Verabredung eines Verfalltags mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) oder bei einer endgültigen Erfüllungsverweigerung mit Ablauf des Fälligkeitszeitpunkts (Art. 108 Ziff. 1 OR analog)8 in Verzug. 4.3. Würdigung Die Beklagte hat seit Januar 2019 keine Mietzinse mehr beglichen. Ebenso ist die im Ausweisungsverfahren nach Art. 257d OR notwendige Zahlungs- aufforderung (Art. 257d Abs. 1 OR) ohne Wirkung geblieben (vgl. Klage Rz. II.5). Daher durfte und musste die Klägerin in guten Treuen davon aus- gehen, dass die Beklagte die ausstehenden Mietzinse auch bei einer Mah- nung nicht begleichen wird.9 Entsprechend setzte der Schuldnerverzug und damit die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen keine Mahnung voraus. Die vorliegende Klage datiert vom 29. Juli 2019. Die eingeklagten Mietzins- forderungen waren zu diesem Zeitpunkt bereits alle fällig und in Verzug gesetzt, so dass die Beklagte aufgrund der Dispositionsmaxime (Art. 58 Abs. 1 ZPO) ab dem 29. Juli 2019 auf dem Betrag von Fr. 35'846.70 Ver- zugszinsen von 5 % zu bezahlen hat. 5. Beseitigung des Rechtsvorschlags Schliesslich beantragt die Klägerin in Rechtsbegehren Ziff. 3 die Aufhe- bung des Rechtsvorschlags in der Betreibung Nr. 20190950 des Betrei- bungsamtes M.-W. (KB 8) im Betrage der geltend gemachten Mietzins- und Nebenforderungen im Gesamtbetrag von Fr. 23'831.40, Verzinsung jedoch erst seit Datum der vorliegenden Klage. Für die definitive Aufhebung des Rechtsvorschlags im Sinne von Art. 80 SchKG ist nicht das Handelsgericht, sondern der Rechtsöffnungsrichter, d.h. das jeweilige Bezirksgerichtspräsidium, sachlich zuständig (Art. 84 Abs. 1 SchKG sowie Art. 251 lit. a ZPO i.V.m. § 6 Abs. 1 lit. b EG ZPO). Nach Treu und Glauben ausgelegt (vgl. Art. 52 ZPO) ist Ziff. 2 der Rechts- begehren jedoch so zu verstehen, dass die Klägerin die ausdrückliche Be- seitigung des Rechtsvorschlags der Beklagten im Sinne von Art. 79 SchKG verlangt. Dafür ist das Handelsgericht sachlich zuständig. Der fragliche Rechtsvorschlag ist im Umfang der in Betreibung gesetzten Forderung, d.h. für Fr. 23'831.40 zuzüglich 5 % Zins p.a. seit dem 29. Juli 2019, zu beseitigen. 8 BGE 143 II 37 E. 5.2.2 m.w.N.; SOGO, Zahlungsunfähigkeit im Vertragsverhältnis, 2015, S. 292 m.w.N. 9 Vgl. BGE 121 III 453 E. 4b; SOGO (Fn. 8), S. 292 m.w.N. - 9 - 6. Prozesskosten Abschliessend sind die Kosten entsprechend dem Verfahrensausgang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteientschädi- gung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Klägerin obsiegt mit ihrer Forderung zu rund 90 %. Entsprechend sind die Prozesskosten zu 1/10 der Klägerin und zu 9/10 der Beklagten aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 2 ZPO). 6.1. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen vorliegend einzig aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Gerichtsgebühr beträgt bei einem Streitwert von Fr. 40'261.70 (Zinsen werden nicht mitgerechnet [Art. 91 Abs. 1 Satz ZPO]) gestützt auf § 7 Abs. 1 Zeile 4 VKD gerundet Fr. 3'705.70. Hiervon ist gemäss § 13 Abs. 1 VKD bei wie hier nicht voll- ständig durchgeführtem Verfahren ein angemessener Abzug vorzuneh- men. Unter Berücksichtigung des verursachten gerichtlichen Aufwandes werden die Gerichtskosten deshalb auf total Fr. 2'500.00 festgesetzt. Im Umfang von Fr. 250.00 sind sie ausgangsgemäss von der Klägerin und im Umfang von Fr. 2'250.00 von der Beklagten zu tragen. Sie werden mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 3'705.70 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Ein allfälliger Überschuss steht der Klägerin zu. Die Beklagte hat der Klägerin ihren Anteil der Gerichtskosten von Fr. 2'250.00 direkt zu ersetzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). 6.2. Parteientschädigung Die Parteientschädigung bemisst sich nach § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 4 AnwT. Die Grundentschädigung beträgt gerundet Fr. 7'421.40. Damit sind gemäss § 6 Abs. 1 AnwT unter anderem eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer Verhandlung abgegolten. Für die nicht durchgeführte Verhandlung ist praxisgemäss ein Abschlag von 20 % gerechtfertigt (vgl. § 6 Abs. 2 AnwT). Ein ausserordentlicher Abschlag von 20 % ist aufgrund der geringen Auf- wendungen vorzunehmen (§ 7 Abs. 2 AnwT). Die Klageschrift umfasst sechs Seiten (inkl. Deckblatt und Anträge) und stimmt in vielen Teilen mit dem Gesuch vom 16. April 2019 im Verfahren HSU.2019.57 überein. Zu- sätzlich zur Kleinkostenpauschale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Parteientschädigung von Fr. 4'892.20. Darauf ist bereits mangels Antrags keine Mehrwertsteuer geschuldet.10 Ausgangs- gemäss hat die Klägerin Anspruch auf 90 % der Parteientschädigung, d.h. gerundet Fr. 4'400.00. 10 Vgl. SUTER/VON HOLZEN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 95 N.39 m.w.N. Siehe auch Merkblatt der Gerichte des Kantons Aargau zur Frage der Berücksichtigung der bei der Bemessung der Parteientschädigung, publiziert unter: https://www.ag.ch//kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (letztmals am 15. Oktober 2019). https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 10 - Das Handelsgericht erkennt: 1. Soweit auf die Klage einzutreten ist, wird in Gutheissung der Klage die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 35'846.70 zuzüglich 5 % Zins p.a. seit dem 29. Juli 2019 zu bezahlen. 2. Der Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. 20190950 des Betreibungsam- tes M.-W. wird im Umfang von Fr. 23'831.40 zuzüglich 5 % Zins p.a. seit dem 29. Juli 2019 beseitigt. 3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.00 werden im Umfang von Fr. 250.00 der Klägerin und im Umfang von Fr. 2'250.00 der Beklagten auferlegt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 3'705.70 ver- rechnet. Die Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 2'250.00 direkt zu ersetzen. 4. Die Beklagte hat der Klägerin eine Parteientschädigung von Fr. 4'400.00 (inkl. Auslagen) zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Gutschrift) die Beklagte 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 11 - Aarau, 15. Oktober 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Die Gerichtsschreiberin-Stv.: Vetter Albert
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2003 Zivilprozessrecht 65 [...] 17 § 257 Abs. 1 ZPO. Erhebungen durch den Sachverständigen. Die Aufzählung in Klammern in § 257 Abs. 1 ZPO, gemäss welchem der Sachverständige mit Zustim- mung des Richters eigene Erhebungen (Besichtigungen, Befragung der Parteien und Dritter) machen kann, ist beispielhaft und nicht abschlies- send, weshalb daraus nicht geschlossen werden kann, der Beizug von Ur- kunden durch den Experten sei unzulässig. 2003 Obergericht/Handelsgericht 66 Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 14. Januar 2003 in Sachen A. S. gegen K. Z.-M. Aus den Erwägungen 2. Gemäss § 257 Abs. 1 ZPO kann der Sachverständige mit Zu- stimmung des Richters eigene Erhebungen machen. Die Aufzählung in Klammern (Besichtigungen, Befragung der Parteien und Dritter) ist entgegen der Auffassung des Klägers beispielhaft und nicht ab- schliessend zu verstehen, andernfalls hätte der Gesetzgeber wohl ei- ne Formulierung wie in § 335 ZPO gewählt. Aus dem Umstand, dass in anderen kantonalen Zivilprozessordnungen auch Urkunden ge- nannt werden, kann deshalb nicht geschlossen werden, deren Beizug durch den Experten sei nach aargauischem Recht unzulässig. Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass ein Beweisantrag auf Er- stattung eines Gutachtens die beweisbelastete Partei nicht von ihrer Obliegenheit zur Einreichung der notwendigen Urkunden entbindet, doch kann dies nicht dazu führen, dass sich der Gutachter strikte auf die im Behauptungsverfahren genannten Schriftstücke zu beschrän- ken hat, obwohl sein Auftrag aufgrund des ebenfalls im Behaup- tungsverfahren gestellten Beweisantrags umfassender ist. Der Antrag auf Erstattung einer Expertise ist prozessual ausreichend, ohne dass jedes Dokument, das der Experte für seine Arbeit kennen muss, be- reits im Behauptungsverfahren namentlich zu nennen bzw. bereits einzureichen ist. Häufig ist es den Parteien ohnehin nicht möglich, vorauszusehen, welche Dokumente der Experte für seine Arbeit überhaupt braucht (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargaui- schen Zivilprozessordnung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, N 5 zu § 257 mit Hinweisen).
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2005 Obergericht 76 16 Art. 5 Ziff. 3 EMRK; Unabhängigkeit des Untersuchungsrichters. Die aargauischen Untersuchungsrichter sind unabhängig i.S.v. Art. 5 Ziff. 3 EMRK. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 19. April 2005 i.S. C.L. Aus den Erwägungen 1. c) Zu prüfen ist der Einwand der fehlenden sachlichen Zuständigkeit mit Bezug auf die angefochtene Entlassungsverfügung unter Auflagen. Dazu ergibt sich Folgendes: Unter Hinweis auf BGE 1P.553/2004 vom 2. November 2004 (publ. in BGE 131 I 36) wird die Unabhängigkeit der Untersu- chungsrichterin des Bezirksamts Aarau bestritten und damit man- gelnde Sachkompetenz zum Erlass auch der Entlassungsverfügung eingewendet. Es ist zutreffend, dass es sich beim haftanordnenden Magistraten im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 EMRK um eine unpartei- ische Instanz handeln muss, die bei der Ausübung ihres Amts nicht weisungsgebunden sein darf. Art. 5 Ziff. 3 EMRK gilt praxisgemäss daher namentlich dann als verletzt, wenn die haftanordnende Amts- person in gleicher Sache auch noch für die Anklageerhebung zu- ständig ist. Entgegen der Regelung des Kantons Luzern, für welche im zitierten Bundesgerichtsentscheid diese Unabhängigkeit verneint worden ist, untersteht der Untersuchungsrichter im aargauischen Strafprozessrecht weder der Weisungskompetenz einer hierarchisch übergeordneten Instanz noch übt er Anklagefunktion aus: Über die Anklageerhebung entscheidet vielmehr nach Abschluss der Untersu- chung die Staatsanwaltschaft - ebenso wie über die allfällige Einstel- lung des Strafverfahrens (§§ 136 Abs. 1 und 143 StPO) - selbständig und unabhängig allein gestützt auf die Akten und den dazu er- gangenen Schlussbericht des Untersuchungsrichters (§ 135 StPO). In Untersuchungen verfügt die Staatsanwaltschaft über die ordentlichen Parteirechte ohne Weisungsbefugnis (§ 129 StPO). Der Einwand der 2005 Strafprozessrecht 77 mangelnden richterlichen Unabhängigkeit der Untersuchungs- richterin erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen.
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2010 Strafprozessrecht 51 V. Strafprozessrecht 12 § 164 Abs. 1, 166, 167 und 242 Abs. 1 StPO. - Das Urteil ist von der Eröffnung an weder zurücknehmbar, noch er- setzbar, noch in seinem Inhalt veränderbar (E. 2.2.). - Auch die Kosten der Untersuchungshaft sind Vollzugskosten, und § 242 Abs. 1 StPO gelangt auch zur Anwendung, wenn die Untersu- chungshaft auf eine bedingte Strafe angerechnet wird (E. 2.4). - Motivierungskosten sind Verfahrenskosten (E. 3.). Auszug aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 17. Dezember 2009 i.S. StA gegen M.G.V. (SST.2009.199) Aus den Erwägungen 2.2. 2.2.1. Gemäss den §§ 161 und 166 StPO ist das Urteil im Anschluss an die Parteivorträge zu fällen. Anschliessend wird es vom Präsiden- ten mündlich eröffnet. Er fügt eine kurze Begründung, insbesondere betreffend die Ausfällung einer unbedingten Freiheitsstrafe von we- niger als sechs Monaten, die Anordnung von Bewährungshilfe oder die Erteilung von Weisungen, sowie eine Erklärung der Bedeutung des bedingten Strafvollzugs bei und belehrt den Angeklagten über die ihm zustehenden Rechtsmittel. Das Urteilsdispositiv enthält u.a. gemäss § 167 Abs. 2 Ziff. 4 StPO die Urteilsformel (Schuldspruch, Freispruch, Einstellung oder Nichteintreten, Strafen, Massnahmen, angewendete Gesetzesbestim- mungen, Entscheid über die privatrechtlichen Ansprüche, Kosten und Entschädigung). 2010 Obergericht 52 2.2.2. Von der Eröffnung des Urteils an, bei mündlicher Eröffnung mit der mündlichen Verkündung des Dispositivs, tritt auch die Bindung des Gerichts an das Urteil ein, was bewirkt, dass vom Gericht als Spruchkörper (und noch weniger vom Gerichtspräsidenten und Ge- richtsschreiber allein) grundsätzlich Änderungen nicht mehr vorge- nommen werden dürfen. Vielmehr ist das Urteil von diesem Zeit- punkt an weder zurücknehmbar noch ersetzbar. Ausnahmsweise hat der Richter gemäss § 169 Abs. 2 erstem Satz StPO die Möglichkeit, von Amtes wegen oder auf Gesuch hin, Missschreibungen und Miss- rechnungen sowie offenbare Irrtümer zu berichtigen. Dabei ist es dem Richter nicht gestattet, am Entscheidungsinhalt seines Urteils Korrekturen vorzunehmen, was dann der Fall ist, wenn dadurch et- was Neues ausgedrückt wird. Eine Änderung ist nur insoweit zu- lässig, als das Urteil unklar ist oder einzelne unklare oder sich wider- sprechende Anordnungen enthält (AGVE 1973, Nr. 40, S. 121; Urteil des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 12. Mai 2009, i.S. StA / R.S., Erw. 4.2. [SST.2009.14]; Beat Brühlmeier, Kommentar zur Aargaui- schen Strafprozessordnung, 2. Aufl., Aarau 1980, N. 5 zu § 166). 2.3. (...) 2.4. 2.4.1. Die Bestimmung von § 242 Abs. 1 StPO sieht vor, dass die Kosten des Vollzuges der Freiheitsstrafen, unter Einschluss der Kos- ten der auf die Strafe angerechneten Untersuchungshaft, der Staat trägt. § 75 Abs. 2 StPO bleibt vorbehalten. Gemäss § 242 Abs. 2 StPO verpflichtet das zuständige Departement den Verurteilten nach Massgabe seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse ganz oder teilweise zum Ersatz, wenn er eine ihm zugewiesene Arbeit verweigert oder ausserhalb der Vollzugseinrichtung arbeitet. § 242 StPO in der zitierten Fassung ist seit 1. Januar 2003 in Kraft. Vor diesem Zeitpunkt hatte der Staat die Vollzugskosten zu tragen, sofern nicht aufgrund günstiger Verhältnisse eine Überbin- dung auf den Verurteilten in Frage kam. Den Entscheid darüber hatte der Richter zu fällen (§ 242 Abs. 1 und 2 aStPO). Die Kosten der 2010 Strafprozessrecht 53 Untersuchungshaft galten hingegen als Verfahrenkosten, weshalb darüber nach den Regeln des § 164 StPO entschieden wurde. Sie wurden in der Regel ebenfalls dem Verurteilten auferlegt. Eine Aus- nahme bestand beim vorzeitigen Strafvollzug (Brühlmeier, a.a.O. N. 9 zu § 164 StPO). 2.4.2. Der Regierungsrat hielt in seiner Botschaft vom 21. März 2001 (01.106) zur Änderung dieser Bestimmung fest, die bisherige Rege- lung, wonach die Kosten der Untersuchungshaft als Verfahrenskosten behandelt würden, lasse sich sachlich nicht rechtfertigen. Vielmehr führe sie zu einer Ungleichbehandlung zwischen denjenigen Verur- teilten, die vorher in Untersuchungshaft gewesen seien, und denjeni- gen, welche die Strafe erst nach abgeschlossenem Urteilsverfahren antreten würden. Neu werde deshalb vorgeschlagen, dass die entspre- chenden Kosten grundsätzlich vom Staat zu übernehmen seien, wenn die Untersuchungshaft im Urteil auf die Strafe angerechnet werde. Die Untersuchungshaft sei nämlich in diesen Fällen Teil des Straf- vollzuges. Beim Entscheid, wer die Kosten des Vollzuges zu tragen habe, handle es sich eigentlich um eine Vollzugsfrage. Es sei deshalb sachgerecht, dem für den Strafvollzug zuständigen Departement die Kompetenz zur Festlegung der Kostenersatzpflicht zu übertragen (Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 21. März 2001, S. 35). Die Bestimmung von § 242 Abs. 1 StPO gelangt aufgrund des klaren Wortlautes, der nicht unterscheidet, ob die Untersuchungshaft auf eine zu vollziehende oder auf eine bedingte Freiheitsstrafe ange- rechnet wird, auch dann zur Anwendung, wenn die Untersuchungs- haft auf eine bedingte Strafe angerechnet wird. Dies entspricht nicht nur dem klaren Wortlaut der Bestimmung, sondern auch dem Willen des Gesetzgebers, der weder in der Botschaft noch in den Beratungen gegenteilige Äusserungen gemacht hat. Eine Ungleichbehandlung der Verurteilten, je nachdem, ob der bedingte Strafvollzug gewährt wird oder nicht, lässt sich ohne entsprechenden gesetzlichen Vorbe- halt nicht rechtfertigen. 2010 Obergericht 54 2.4.3. Demnach sind die Kosten der Untersuchungshaft auf die Staats- kasse zu nehmen und Dispositivziffer 12 des vorinstanzlichen Urteils ist dahingehend abzuändern. Die Berufung des Angeklagten ist in diesem Punkt gutzuheissen. 3. 3.1. (...) 3.2. (...) Gemäss § 167 Abs. 1 StPO wird das Urteil den Parteien vorerst im Dispositiv zugestellt. Danach können die Parteien innert zehn Ta- gen die vollständige Ausfertigung des Urteils verlangen, welche auch die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen enthält (§ 168 Abs. 1 StPO). Aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) folgt die Pflicht der Behörden, ihre Entscheide zu begründen (grund- legend BGE 112 Ia 107 E. 2b S. 109 f.; vgl. auch BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236 f. mit Hinweisen). Daraus ergibt sich, dass die Kosten für die Begründung eines Strafurteils zu den Verfahrenskosten zu zählen sind und keine eigentlichen Mehrkosten darstellen (Urteil des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 5. Oktober 2005 i.S. StA / D.G., Erw. 3.2. [SST.2005.277]). 3.3. Der Angeklagte wurde gemäss Anklageschrift schuldig gespro- chen und zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Gestützt auf § 164 Abs. 1 StPO hat er daher die Verfahrenskosten zu tragen, wozu wie dargelegt die Kosten für die Motivierung eines Urteils zäh- len. Die Vorinstanz hat daher die Kosten für die vollständige Ausfer- tigung des Urteils in der Höhe von Fr. 227.00 zu Recht dem Ange- klagten auferlegt.
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AG_HG_001
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2003 Strafprozessrecht 73 IV. Strafprozessrecht 21 Bussenumwandlungsverfahren: Der Verurteilte, der im Laufe des Bussenumwandlungsverfahrens die Busse bezahlt, hat in der Regel gestützt auf das Verursachungsprinzip die Verfahrenskosten zu tragen. Befindet er sich jedoch in wirtschaftlich der- art misslichen Verhältnissen, dass bei Nichtbezahlung der Busse diese mit aller Wahrscheinlichkeit nicht umgewandelt worden wäre, ist auf die Ko- stenauflage zu verzichten. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 1. Dezember 2003 in Sachen Staatsanwaltschaft gegen A. A. Aus den Erwägungen 1. a) Unterlässt es ein Verurteilter, eine gegen ihn ausgespro- chene Busse zu bezahlen, und tilgt er sie erst, wenn das Bussenum- wandlungsverfahren gemäss Art. 49 Ziff. 3 StGB bereits eingeleitet ist, hat er grundsätzlich gestützt auf das Verursachungsprinzip die Kosten des Umwandlungsverfahrens zu tragen (OGE, 1. Strafkam- mer, vom 11. Dezember 1990 i.S. StA / R.N.; Brühlmeier, Aargaui- sche Strafprozessordnung, Kommentar, 2. Aufl., Aarau 1980, N 1 und 2 zu § 204). Das Verursachungsprinzip findet jedoch im Bussenumwand- lungsverfahren seine Grenze resp. wird durchbrochen, wenn der Ver- urteilte trotz Bezahlung der Busse und gestützt darauf erfolgter Ein- stellung des Verfahrens nachweist, dass er in Anwendung der durch die Praxis herausgebildeten Kriterien als schuldlos ausserstande im Sinne des Gesetzes zu gelten hat, die Busse zu bezahlen, er somit, hätte er die Busse nicht bezahlt, bei Durchführung des Verfahrens mit seinem Standpunkt mutmasslich durchgedrungen wäre. Dies ist 2003 Obergericht/Handelsgericht 74 zum Beispiel dann möglich, wenn er die Busse, ohne selbst über die nötigen Mittel zu verfügen, mit ihm von Dritten zur Verfügung ge- stelltem Geld beglichen hat oder er sie aus seinem für andere Be- dürfnisse ausgeschiedenen Notbedarf bezahlt hat. b) Bezahlt der Verurteilte die Busse nicht und verdient er sie auch nicht ab, so wird sie durch den Richter in Haft umgewandelt (Art. 49 Ziff. 3 Abs. 1 StGB). Der Richter kann im Urteil selbst oder durch nachträglichen Beschluss die Umwandlung ausschliessen, wenn der Verurteilte nachweist, dass er schuldlos ausserstande ist, die Busse zu bezahlen (Art. 49 Ziff. 3 Abs. 2 StGB). Schuldlosigkeit ist dann anzunehmen, wenn der Verurteilte auch bei gutem Willen keine Möglichkeit hat, sich die erforderlichen Mittel zu verschaffen oder die Busse durch Arbeitsleistung zu tilgen (BGE 125 IV 231 Erw. 3a S. 233 mit Hinweisen). An den Nachweis der Schuldlosig- keit dürfen keine zu hohen Ansprüche gestellt werden. Es genügt eine Glaubhaftmachung. Unklarheiten wegen mangelhafter Vorbrin- gen hat der Richter durch Befragung des Verurteilten zu beheben (ZR 93 [1994] Nr. 77 S. 203 mit Hinweisen). c) Die Verurteilte lebt in wirtschaftlich misslichen Verhältnis- sen. Sie war drogensüchtig und beging verschiedene Vermögensde- likte, die zur Verurteilung zu Bussen führten. Sie befindet sich nun seit längerer Zeit in einem strukturierten Methadonprogramm. Sie ist zudem Mutter eines nun 2-jährigen Kindes und betreut dieses. Ihr Mann und sie sind ausgesteuert, der Mann weiterhin arbeitslos und aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, seinen angelernten Beruf auszuüben. Sowohl sie als auch ihr Mann und ihre Tochter werden vom Sozialamt unterstützt. Mit den Leistungen wird einzig der Grundbedarf abgedeckt. Andere Mittel stehen der Verurteilten nicht zur Verfügung. Es ist offensichtlich, dass die Verurteilte die Busse nicht aus diesen Mitteln bestreiten konnte. Daran ändert nichts, dass es sich um einen sehr geringen Bussenbetrag handelt. Gemäss den eigenen Angaben der Verurteilten hat sie zur Begleichung anderer Bussen auch die Hilfe ihrer Mutter in Anspruch genommen. Woher das Geld zur ratenweisen Begleichung der hier in Frage stehenden Busse von Fr. 50.-- stammt, ist nicht bekannt, aber auch nicht von Bedeutung. 2003 Strafprozessrecht 75 Selbst wenn sie es von den eigenen Mitteln beglichen hat, wird aus der dargestellten finanziellen Situation deutlich, dass es aus dem an- deren Zwecken dienenden Notbedarf kommen musste. d) Gestützt darauf ist trotz Bezahlung des Bussenbetrages fest- zustellen, dass die Verurteilte bislang schuldlos ausserstande war, die Busse zu bezahlen und deshalb bei Nichtbezahlung mit ihrem Begeh- ren, die Umwandlung der Busse sei auszuschliessen, wohl durchge- drungen wäre. Aus diesem Grund sind die Verfahrenskosten aus- nahmsweise nicht gemäss dem Verursachungsprinzip ihr aufzuerle- gen, sondern auf die Staatskasse zu nehmen.
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2004 Zivilprozessrecht 57 [...] 12 133 Abs. 1 ZPO. Im Nachzahlungsverfahren findet - im Unterschied zum entsprechenden Kriterium im Bewilligungsverfahren betreffend die unentgeltliche 2004 Obergericht/Handelsgericht 58 Rechtspflege - keine zeitliche Begrenzung der Rückzahlung auf ein oder zwei Jahre statt. Der Betroffene hat so lange ihm mögliche Zahlungen zu leisten, bis die Schuld getilgt ist. Die zeitliche Begrenzung im Rahmen der Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ist ein Anhaltspunkt für die Leistungsfähigkeit. Ist der Rechtsstreit erledigt, hat dieses Kriterium keine Bedeutung mehr. Der von Verfassungs wegen garantierte Zugang zum Gericht wurde gewährt und diesem Anspruch muss im Rahmen des Nachzahlungsverfahrens kei- ne Rechnung mehr getragen werden. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 19. Februar 2004 in Sachen M. R. Aus den Erwägungen 2. a) (...) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers in der Be- schwerde hat der Zeitfaktor, der bei der Gewährung der unentgeltli- chen Rechtspflege praxisgemäss berücksichtigt wird, indem es dem Betroffenen möglich sein soll, bei kleineren Verfahren die mutmass- lichen Prozesskosten innert einem Jahr und bei aufwändigeren Ver- fahren innert zwei Jahren zu bezahlen, im Nachzahlungsverfahren keine Bedeutung. Die Berücksichtigung würde zu einem stossenden und dem Zweck der ganzen oder teilweisen Begleichung der dem Staat gegenüber bestehenden Schuld zuwiderlaufenden Ergebnis führen. Sie hätte nämlich in der Konsequenz zur Folge, dass je grös- ser die Schuld ist, desto weniger der Schuldner zur Nachzahlung angehalten werden könnte, selbst wenn seine Verhältnisse eine zu- mindest teilweise Rückzahlung zulassen würden. Dies widerspricht selbstredend dem Sinn der Bestimmung. Im Gegenteil hat der Schuldner bei Vorliegen günstiger Verhältnisse im Sinne des Ge- setzes so lange ihm mögliche Zahlungen zu leisten, bis die Schuld getilgt ist.
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de
2012 Anwaltsrecht 33 III. Anwaltsrecht 3 § 15 Abs. 1 lit. c EG BGFA, § 2 AnwV Nur teilweise Anrechenbarkeit eines Praktikums bei der Direktion für Völkerrecht des Bundes für die Zulassung zur Anwaltsprüfung Entscheid der Anwaltskommission vom 24. Mai 2012 (AVV.2012.15) Aus den Erwägungen 2. 2.1 Art. 7 des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwälte und Anwältinnen (BGFA; SR 935.61) umschreibt die Voraussetzun- gen für einen Registereintrag von Anwältinnen und Anwälten. [...] 2.2 § 15 EG BGFA umschreibt die Voraussetzungen der Zulassung zur Anwaltsprüfung wie folgt: - Handlungsfähigkeit; - Fehlen eines Strafregistereintrages wegen Hand- lungen, welche mit dem Anwaltsberuf nicht zu vereinbaren wären; - abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaft (Lizentiat oder Master); - hinreichende rechtspraktische Tätigkeit. 2.3 Die hinreichende rechtspraktische Tätigkeit wird in § 2 AnwV kon- kretisiert. Vorliegen muss eine "mindestens einjährige praktische juristische Tätigkeit" nach Abschluss des Studiums. [...] 2012 Obergericht 34 3. 3.1 Hintergrund der gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzung der praktischen, juristischen Ausbildung für den Erwerb des An- waltspatentes (und den späteren Registereintrag, vgl. Art. 7 BGFA) ist zweifellos der Schutz des Publikums. So hält beispielsweise Schiller fest, die wohl wichtigste Anforderung an den Anwalt sei die Fachkompetenz (K. S CHILLER , Funktion des Anwalts im Rechtsstaat, in: H. N ATER [Hrsg.], Professional Legal Services: Vom Monopol zum Wettbewerb, Zürich 2000, S. 165). Nach Erteilung des Anwalts- patentes (und der Eintragung im Register) ist es jedem Anwalt erlaubt, ohne weitere ,,Aufsicht" Parteien gerichtlich oder aus- sergerichtlich zu vertreten. Bei den Mandanten eines Anwaltes han- delt es sich in der Regel um Laien, welche die Arbeit des Anwaltes im Verlaufe des Mandates nur schwer beurteilen können. Diese Man- danten sind darauf angewiesen, dass eine Erteilung des Anwalts- patentes nur an Personen erfolgt, welche sich über die für den An- waltsberuf notwendigen Fähigkeiten ausgewiesen haben, und denen auch eine entsprechende Ausbildung zuteil geworden ist. 3.2 [...] 3.3 Abgesehen von der Kenntnis der aargauischen Besonderheiten soll aber der Kandidierende generell in seiner Praktikumszeit mög- lichst gut auf die nach dem Erwerb des Anwaltspatentes (sowie dem anschliessenden Registereintrag) mögliche selbständige Anwaltstä- tigkeit vorbereitet werden. Daher auch die Betonung der notwendi- gen praktischen, juristischen Tätigkeit. Grundsätzlich geht es um die Ausbildung des Kandidierenden in denjenigen Bereichen (und Tätig- keiten), welche üblicherweise später das Betätigungsfeld des An- waltes bilden. Während die Bereiche Zivil- und Strafrecht sowie Schuldbetreibungsrecht vor allem an den Bezirksgerichten und teil- weise am Obergericht vermittelt werden können, steht bei den Spe- zialverwaltungsgerichten und in der kantonalen Verwaltung (i.d.R. in den Rechtsdiensten der Departemente oder Abteilungen) vermehrt das (kantonale) Verwaltungsrecht im Vordergrund. Beim Anwalt 2012 Anwaltsrecht 35 wiederum, und zwar sowohl beim aargauischen wie auch beim ausserkantonalen, sind all diese Bereiche als Betätigungsfeld denkbar, je nach Ausrichtung der Tätigkeit des jeweiligen Anwaltes. Immer aber geht es darum, die Anforderungen an die Tätigkeit des Anwaltes, sei es aus seiner eigenen Sicht, sei es aus Sicht der ,,Ge- genseite", eben des Gerichts oder der Verwaltung, zu vermitteln. 3.4 [...] 4. 4.1 Der Gesuchsteller absolvierte vom 1. Juli bis 31. Dezember 2010 ein Praktikum bei der Direktion für Völkerrecht, Sektion Völ- kerrecht, in Bern. Er unterstand während dieser Praktikumszeit dem Chef Sektion Völkerrecht, selber ein Jurist. Gemäss Stellenbeschreibung umfassten seine Tätigkeiten: - 40 % Verfassen von Rechtsgutachten, na- mentlich im Bereich allgemeines Völker- recht - 30 % Verfassen von Dossiernotizen, Noti- zen an EDA-interne und andere Bundesstel- len sowie diplomatische Noten, u.a. im Bereich Rechtshilfe - 10 % Teilnahme an Sitzungen, Verfassen von Protokollen - 10 % Antworten auf Bürgerbriefe - 10 % Recherchieren zu aktuellen Themen. Gemäss Arbeitszeugnis befasste sich der Gesuchsteller mit Fra- gen aus den Bereichen - Souveränität - Völkerrechtssubjektivität sowie Status un- geklärter Gebiete (z.B. Westsahara) - diplomatisches und konsularisches Recht - Rechtshilfe in Strafsachen (inkl. Ausliefe- rung) - internationales Investitionsrecht - Rechtsprechung des EuGHMR 2012 Obergericht 36 - humanitäres Völkerrecht - Recht internationaler Organisationen - Staatsvertragsrecht. 4.2 Sowohl die durch den Gesuchsteller ausgeführten konkreten Tätigkeiten (Bereich "Aufgaben und Kompetenzen" gemäss Stellen- beschrieb) wie auch die Rechtsbereiche, in welchen er tätig war, erfüllen die Anforderungen gemäss den Ziff. 3.2 und 3.3 oben nicht oder nur teilweise. Die Praktikumstätigkeit in der Sektion Völkerrecht betraf zu grossen Teilen nicht das für einen Anwalt übliche Betätigungsfeld. Während die Rechtshilfe in Strafsachen sowie das Auslieferungs- recht durchaus im täglichen Arbeitsbereich eines Anwaltes ihren Platz haben können, trifft dies beispielsweise auf Abklärungen im Zusammenhang mit dem Status ungeklärter Gebiete kaum zu. Auch die konkreten Tätigkeiten sind nicht durchwegs die im Anwaltsberuf typischerweise anzutreffenden Tätigkeiten. Angesichts dessen, dass sowohl von den Rechtsgebieten wie auch von den eigentlichen Tätigkeiten und Aufgaben her die Voraus- setzungen von Ziff. 3.2 und 3.3 nur teilweise erfüllt sind, wird von der gesamten Praktikumsdauer nur ein Anteil von rund einem Drittel angerechnet. Das Praktikum dauerte 6 Monate. Nach Abzug der üb- lichen Ferien von 2 Wochen verbleiben somit 5 Monate (im Aar- gau wird die Netto-Praktikumsdauer verlangt). Dem Gesuchsteller werden deshalb von seinem bei der Direktion für Völkerrecht absol- vierten Praktikum 2 Monate im Sinn von § 2 Abs. 2 AnwV ange- rechnet.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.95 Entscheid vom 19. November 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin G. AG, _ vertreten durch Rudolf Studer, Rechtsanwalt, Niklaus-Thut-Platz 7a, Post- fach, 4800 O. Gesuchsgegne- rin I. SA, _ vertreten durch MLaw Simon Fluri und MLaw Noëmi Nenniger, Rechtsan- wälte, Jungfraustrasse 1, 3000 Bern 6 Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist Aktiengesellschaft mit Sitz in R.. Sie bezweckt im Wesentlichen _ (Gesuchsbeilage [GB] 2). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Freiburg i.Üe. Sie hat gemäss Handelsregister (GB 6) folgenden Zweck _ Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin der Grdst.-Nrn. 123 GB R. (E- GRID: CH 12345 67890 12; GB 3), 456 GB R. (E-GRID: CH 98765 43210 12; GB 5) und 7890 GB R. (E-GRID: CH 56789 12345 78; GB 4). - 2 - 3. Mit Gesuch vom 4. November 2020 (gleichentags persönlich überbracht) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Das Grundbuchamt O. sei im Sinne von Art. 961 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB anzuweisen, auf den Parzellen der Gesuchsgegnerin LIG R. Nr. 123 (E-GRID CH 12345 67890 12), 7890 (E-GRID CH 56789 12345 78) und 456 (E-GRID CH 98765 43210 12) der Gesuchstellerin die vorläufige Eintragung eines mit einer Pfandsumme von je CHF 51'557.40 nebst Zinst zu 5 % seit dem 4. November 2020 vorsorglich sofort vorzumerken. 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Gesuchs- gegnerin." 4. Am 4. November 2020 erliess der Vizepräsident folgende Verfügung: 1. In Gutheissung des Gesuchs vom 4. November 2020 wird der Ge- suchstellerin die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts gemäss Art. 837/839 ZGB als Gesamtpfandrecht nach Art. 798 Abs. 1 ZGB und als Vormerkung einer vorläufigen Eintragung im Sinne von Art. 961 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB auf den Grundstücken der Ge- suchsgegnerin Nr. 123 GB R. (E-GRID: CH 12345 67890 12), 456 GB R. (E-GRID: CH 98765 43210 12) und 7890 GB R. (E-GRID: CH 56789 12345 78) in Höhe von Fr. 51'557.40 zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 4. November 2020 superprovisorisch bewilligt. 2. Das Grundbuchamt O. wird angewiesen, die Vormerkung gemäss vorstehender Dispositiv-Ziff. 1 sofort einzutragen. 3. Die Gesuchstellerin hat mit beiliegendem Einzahlungsschein bis zum 20. November 2020 einen Gerichtskostenvorschuss von Fr. 2'000.00 zu leisten. 4. Zustellung des Doppels des Gesuchs (inkl. Beilagen) vom 4. No- vember 2020 an die Gesuchsgegnerin zur Erstattung einer schrift- lichen Antwort bis zum 20. November 2020. 5. Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. Aus- nahmsweise ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichender - 3 - Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustim- mung der Gegenpartei oder von der Partei nicht vorhersehbare oder nicht beeinflussbare Hinderungsgründe. 6. Bei Säumnis wird das Verfahren ohne die versäumte Handlung wei- tergeführt (Art. 147 Abs. 2 ZPO). 7. Die Gesuchsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass die Vormer- kung im Grundbuch gelöscht wird, wenn sie für die angemeldeten Forderungen hinreichende Sicherheiten leistet. Für die Anmel- dung der Löschung sind die Parteien selbst verantwortlich. 8. Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO). 5. Das Grundbuchamt O. merkte die vorläufige Eintragung am 4. November 2020 (Tagebuchnummer 12342) im Tagebuch vor. 6. Mit Eingabe vom 18. November 2020 teilte die Gesuchsgegnerin mit, sie verzichte auf eine ausführliche Stellungnahme zum Gesuch um provisori- sche Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts der Gesuchsgegnerin vom 4. November 2020. Schuldnerin einer allfälligen Forderung wäre die Muntana AG, weshalb die Gesuchsgegnerin den Anspruch auf vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts sowie Bestand und Höhe der geltend gemachten Forderung mit Nichtwissen bestreite und sich im Hin- blick auf das Verfahren auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfand- rechts sämtliche Rechte vorbehalte. Bereits im jetzigen Stadium werde ins- besondere die Zulässigkeit der Eintragung eines Gesamtpfands bestritten. Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Der Einzelrichter am Handelsgericht ist örtlich, sachlich und funktionell zur Beurteilung der im summarischen Verfahren zu behandelnden Streitigkeit zuständig (vgl. dazu E. 4 der Verfügung vom 4. November 2020). 2. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 2.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden - 4 - Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 2.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.1 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.2 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.3 3. Pfandsumme, Verzugszinsen und Eintragungsfrist Die Gesuchsgegnerin bringt in Bezug auf die Pfandsumme, die Verzugs- zinsen und die Eintragungsfrist nichts ausser einer pauschalen Bestreitung der Werklohnsumme vor, weshalb es bei den entsprechenden Ausführun- gen gemäss E. 5 der Verfügung vom 4. November 2020 bleibt. 4. Gesamtpfand Bezüglich der Zulässigkeit der Eintragung eines Gesamtpfands wird auch in der Lehre darauf hingewiesen, dass in der Praxis mindestens im vorsorg- lichen Verfahren das Begehren, das Pfandrecht vorübergehend auf allen Grundstücken vorzumerken, nicht abgewiesen wird.4 5. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts als Gesamtpfandrecht in der mit Verfügung vom 4. November 2020 festgestellten Höhe zzgl. 5 % Ver- zugszins seit 4. November 2020 erfüllt sind und die superprovisorisch an- geordnete Vormerkung der vorläufigen Eintragung des Bauhandwerker- pfandrechts entsprechend zu bestätigen ist. 1 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. 2 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 3 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1395. 4 BSK ZGB II-SCHMID, 6. Aufl. 2019, Art. 961 N. 25 m.w.N. - 5 - 6. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei ungenutztem Ablauf der Frist ohne weiteres und ersatzlos gelöscht werde.5 Die Prose- quierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vor- liegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen.6 7. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 7.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 1'500.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 2'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 1'500.00, direkt zu ersetzen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). Ein allfälliger Überschuss steht der Gesuchstel- lerin zu. 7.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin zudem eine Parteientschä- digung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 51'557.40 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 8'710.17 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 5 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarab- zugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 2'177.55. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach einem weiteren Ab- zug von 20 % wegen der nicht durchgeführten Verhandlung (§ 6 Abs. 2 AnwT), resultiert ein Betrag in Höhe von Fr. 1'742.05. Nach Hinzurechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resul- tiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 1'795.00, den die Gesuchsgegnerin der Gesuchstellerin als Parteientschädigung zu bezah- len hat. 5 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 672 ff. 6 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.N.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 1), N. 688. - 6 - Einen Mehrwertsteuerzuschlag macht die Gesuchstellerin zu Recht nicht geltend, da sie mehrwertsteuerpflichtig7 und damit auch vorsteuerabzugs- berechtigt ist.8 7.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handels- gericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder auf- grund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehalten. Der Vizepräsident erkennt: 1. In Gutheissung des Gesuchs vom 4. November 2020 wird die mit Verfü- gung vom 4. November 2020 zugunsten der Gesuchstellerin superproviso- risch angeordnete Vormerkung der Eintragung eines Bauhandwerker- pfandrechts gemäss Art. 837/839 ZGB als Gesamtpfandrecht nach Art. 798 Abs. 1 ZGB und als Vormerkung einer vorläufigen Eintragung im Sinne von Art. 961 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB auf den Grundstücken der Gesuchs- gegnerin Nr. 123 GB R. (E-GRID: CH 12345 67890 12), 456 GB R. (E- GRID: CH 98765 43210 12) und 7890 GB R. (E-GRID: CH 56789 12345 78) in Höhe von Fr. 51'557.40 zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 4. November 2020 vorsorglich bestätigt. 2. Das Grundbuchamt O. wird angewiesen, die Vormerkung gemäss Disposi- tiv-Ziff. 1 aufrechtzuerhalten. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 22. Februar 2021 beim zuständigen Ge- richt im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung des Bau- handwerkerpfandrechts anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkung im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht wird. 7 https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-111.222.333 (letztmals besucht am 19. Novem- ber 2020). 8 Vgl. SUTER/VON HOLZEN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 95 N.39 m.w.N; Siehe auch Merkblatt der Gerichte des Kantons Aargau zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der der Parteientschädigung, publiziert unter: https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb//obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (letztmals besucht am 19. November 2020). https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-111.222.333 https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 7 - 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'500.00 sind von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 2'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten von Fr. 1'500.00 der Gesuchstellerin direkt zu ersetzen. 4.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin eine Parteientschädigung von Fr. 1'795.00 zu bezahlen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung und Kopie der Eingabe vom 18. November 2020 [inkl. Beilage]) die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach) Zustellung an: das Grundbuchamt O. (nach Ablauf der Rechtsmittelfrist) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als - 8 - Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 19. November 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
3,799
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AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2020-11-19
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_19._November_2020.pdf
null
nan
e308040e-e93f-427e-9411-db951a8ca163
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414
1,497,373
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2,021
de
Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HOR.2020.13 Urteil vom 16. Februar 2021 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Ersatzrichterin Steiner Handelsrichter Bäumlin Handelsrichterin Baumann Handelsrichter Meyer Gerichtsschreiber Schneuwly Gerichtsschreiber-Stv. Stich Klägerin E. AG, _ vertreten durch lic. iur. Andreas Leuch, Rechtsanwalt, Kuttelgasse 8, Postfach, 8022 Zürich Beklagte G. AG, _ Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung und Beseitigung Rechtsvor- schlag - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in K. (ZH). Sie bezweckt hauptsächlich [...] (Klagebeilage [KB] 3). 2. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in M. (AG). Sie bezweckt im Wesentlichen die Herstellung und den Verkauf von Dönerspezialitäten (KB 1). 3. 3.1. Anfang April 2018 holte die Beklagte bei der F. AG, eine Offerte für die Lieferung von Pouletschenkelwurstfleisch, Pouletoberschenkelsteaks so- wie Pouletbrustabschnitten ein (Klage Rz. 10; Antwort Rz. 14; KB 4). 3.2. Die F. AG offerierte der Beklagten daraufhin Pouletschenkelwurstfleisch (Blöcke zu 10 kg, tiefgefroren) zu Fr. 4.00 pro kg, Pouletbrustabschnitte zu Fr. 5.90 pro kg sowie Pouletoberschenkelsteaks zu Fr. 5.90 pro kg (Antwort Rz. 14; Replik Rz. 11; KB 4). Teilweise reduzierte die F. AG anschliessend die Preise bei der Rechnungsstellung um Fr. 0.20 pro kg (Replik Rz. 12). 4. 4.1. Ab dem 9. April 2018 bis zum 22. Juni 2018 belieferte die F. AG die Be- klagte mit Pouletfleischprodukten und stellte ihr dafür insgesamt den Betrag von Fr. 65'267.73 (inkl. MwSt.) in Rechnung (Klage Rz. 18 ff.; Antwort Rz. 19 ff.; Replik Rz. 7; KB 12 ff.). 4.2. Die Beklagte leistete nach der Mahnung vom 5. Juni 2018 an die F. AG eine Zahlung von Fr. 3'554.70 (Klage Rz. 18). 4.3. Am 26. Juni 2018 gewährte die F. AG der Beklagten einen nachträglichen Preisnachlass von total Fr. 6'645.41 (Klage Rz. 29; Replik Rz. 39; KB 11). 5. Am 22. November 2019 zedierte die F. AG schliesslich eine Forderung in der Höhe von Fr. 55'067.63 gegenüber der Beklagten an die Klägerin (Klage Rz. 35; Antwort Rz. 47; Replik Rz. 46; KB 36). - 3 - 6. Mit Klage vom 7. April 2020 (Postaufgabe: 7. April 2020) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von CHF 55'067.63 zuzüglich o Zins zu 5 % seit dem 06.06.2018 auf CHF 13'812.75 sowie o Zins zu 5 % seit dem 20.06.2018 auf CHF 3'231.50 sowie o Zins zu 5 % seit dem 04.07.2018 auf CHF 15'728.65 sowie o Zins zu 5 % seit dem 02.08.2018 auf CHF 22'294.74 sowie o CHF 126.30 Zahlungsbefehlskosten zu bezahlen. 2. Es sei der Rechtsvorschlag in der Betreibung Nummer 123 des M. zu beseitigen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. Mehrwertsteuer) der Beklagten." Zur Begründung führte die Klägerin im Wesentlichen aus, es handle sich um Ansprüche der F. AG gegenüber der Beklagten für diverse Lieferungen von Pouletfleischprodukten. Die Lieferungen seien grösstenteils unbezahlt geblieben (Klage Rz. 15). Die Restforderung habe die F. AG an die Kläge- rin abgetreten (Klage Rz. 35). 7. Mit Klageantwort vom 12. Juni 2020 stellte die Beklagte die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die Klage sei vollumfänglich abzuweisen; 2. unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. MWSt) zu Lasten der Klägerin." und folgenden prozessualen Antrag: " Es sei ein zweiter Schriftenwechsel anzuordnen und eine im Sinne einer reinen Vergleichsverhandlung ." Zur Begründung führte die Beklagte hauptsächlich aus, die Klägerin könne für ihre Lieferungen kein Entgelt fordern, da die F. AG jeweils nicht die be- stellten Pouletfleischprodukte, sondern zu einem Grossteil Fettstücke und damit ein aliud geliefert habe. Die F. AG habe folglich die behauptete for- derungsbegründende Leistung gar nie erbracht (Antwort Rz. 25 ff. und 61 - 4 - ff.). Eventualiter brachte sie vor, die von der F. AG erbrachten Lieferungen seien aufgrund des übermässigen Fettanteils mangelhaft gewesen, wes- halb die Beklagte eine Forderung für den Ersatz des Minderwerts habe, welche sie mit der Forderung der Klägerin auf den Kaufpreis für die Pou- letfleischlieferungen verrechne (Antwort Rz. 25 ff. und 64 ff.). 8. 8.1. Mit Einverständnis beider Parteien fand am 17. August 2020 eine Instrukti- onsverhandlung mit Parteibefragung und Vermittlungsgespräch statt. An- lässlich dieser Instruktionsverhandlung haben die Parteien einen Vergleich mit Widerrufsvorbehalt bis 30. Oktober 2020 abgeschlossen. 8.2. Mit Eingabe vom 27. Oktober 2020 erklärte die Beklagte den Widerruf des anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 17. August 2020 geschlosse- nen Vergleichs. 9. In der Replik vom 25. November 2020 hielt die Klägerin an ihren Rechts- begehren und Begründungen fest. 10. Nachdem die Beklagte innert Frist keine Duplik erstattete, überwies der Vi- zepräsident die Streitsache an das Handelsgericht und gab die Zusammen- setzung des Gerichts bekannt. Zudem forderte der Vizepräsident die Par- teien auf, dem Handelsgericht schriftlich mitzuteilen, ob sie auf eine Haupt- verhandlung gänzlich verzichten (Art. 233 ZPO) bzw. alternativ auf die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung verzichten und dem Gericht beantragen, ihre Schlussvorträge schriftlich einzureichen (Art. 232 Abs. 2 ZPO). Stillschweigen innert Frist galt als Verzicht auf Durchführung einer Hauptverhandlung sowie schriftlicher Schlussvorträge. 11. Die Parteien liessen sich innert Frist nicht vernehmen. - 5 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit 1.1. Örtliche Zuständigkeit Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist gegeben, da sich die Beklagte i.S.v. Art. 18 ZPO auf die vorliegende Streitigkeit einlässt (Ant- wort Rz. 6 ff.). 1.2. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts i.S.v. Art. 6 Abs. 2 ZPO liegt vor, da beide Parteien im Handelsregister eingetragen sind (KB 1 und 3), die geschäftliche Tätigkeit der Beklagten betroffen ist und die Streitigkeit einen Wert von über Fr. 30'000.00 hat. 2. Verhandlungsmaxime Vorliegend gilt die Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO). Auf die sich daraus ergebenden Obliegenheiten der Parteien ist vorab einzugehen: 2.1. Behauptungslast Gemäss Art. 55 Abs. 1 ZPO haben die Parteien dem Gericht die Tatsa- chen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzugeben. Den Prozessparteien obliegt die Behauptungslast.1 Die Auftei- lung der Behauptungslast zwischen den Parteien folgt der Beweislastver- teilung nach Art. 8 ZGB.2 Somit trägt die Behauptungslast für rechtserzeu- gende Tatsachen, wer ein Recht oder Rechtsverhältnis behauptet; für rechtsaufhebende Tatsachen, wer die Aufhebung oder den Untergang ei- nes Rechts behauptet (z.B. Verwirkung, Erlass etc.) und für rechtshin- dernde Tatsachen, wer sich darauf beruft (z.B. Verjährung, Stundung etc.).3 Dementsprechend hat das Bestehen einer vertraglichen Verpflichtung zu behaupten, wer einen vertraglichen Anspruch erhebt.4 Eine Tatsachenbehauptung hat nicht alle Einzelheiten zu enthalten; es ge- nügt, wenn die Tatsachen, die unter die das Begehren stützenden rechtli- chen Normen zu subsumieren sind, in einer den Gewohnheiten des Lebens entsprechenden Weise in ihren wesentlichen Zügen oder Umrissen be- hauptet werden.5 Was offensichtlich in anderen, ausdrücklich vorgebrach- ten Parteibehauptungen enthalten ist, muss nicht explizit behauptet werden 1 Vgl. BGer 5A_83/2019 vom 23. Juli 2019 E. 4; 4A_264/2015 vom 10. August 2015 E. 4.2.2; SCHNEUWLY, Lange Rechtsschriften – Wieso? Und was tun?, Anwaltsrevue 2019, S. 444. 2 BGE 132 III 186 E. 4; BGer 5A_808/2018 vom 15. Juli 2019 E. 4.2. 3 SUTTER-SOMM/SCHRANK, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 55 N. 18. 4 BGE 128 III 271 E. 2.a.aa; weitergehend ZK ZGB-JUNGO, 3. Aufl. 2018, N. 387. 5 BGE 136 III 322 E. 3.4.2; BGer 4A_280/2019 vom 14. Oktober 2019 E. 4.1. - 6 - (sog. implizite bzw. mitbehauptete Tatsachen).6 Blosse Mutmassungen stellen jedoch keine rechtsgenüglichen Tatsachenbehauptungen dar.7 Ist ein Tatsachenvortrag im erwähnten Sinne vollständig, so wird er als schlüs- sig bezeichnet, da er bei Unterstellung, er sei wahr, den Schluss auf die anbegehrte Rechtsfolge zulässt.8 Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich in den Rechtsschriften aufzu- stellen (Art. 221 Abs. 1 lit. d und Art. 222 Abs. 2 Satz 1 ZPO).9 Der bloss pauschale Verweis auf Beilagen genügt in aller Regel nicht.10 Durch einen Verweis auf Urkunden können Sachverhaltselemente jedoch ausnahms- weise als behauptet gelten, wenn es überspitzt formalistisch wäre, eine Übernahme des Urkundeninhalts in die Rechtsschrift zu verlangen. Die Zu- lässigkeit des Verweises bedingt, dass die Partei die Tatsachen in ihren wesentlichen Zügen in der Rechtsschrift behauptet.11 Aus dem in der Rechtsschrift aufzuführenden Verweis muss zudem für das Gericht und die Gegenpartei klar ersichtlich sein, dass Informationen aus einem Aktenstück zum Tatsachenfundament erhoben werden sollen. Weiter hat die Rechts- schrift ein spezifisches Aktenstück zu nennen und es muss ersichtlich sein, welche Teile des Aktenstücks als Parteibehauptung gelten sollen.12 Weil ein Verweis auf Akten nicht dazu führen darf, dass die Gegenpartei und das Gericht die relevanten Tatsachen aus der Beilage selbst zusammensuchen müssen, muss auf die fragliche Information bzw. Tatsache problemlos zu- gegriffen werden können und es darf kein Interpretationsspielraum beste- hen.13 Ein problemloser Zugriff ist gewährleistet, wenn eine Beilage selbst- erklärend ist und genau die verlangten (bzw. in der Rechtsschrift bezeich- neten) Informationen enthält. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kann ein Verweis nur genügen, wenn die Beilage in der Rechtsschrift derart konkretisiert und erläutert wird, dass die Informationen ohne weiteres zu- gänglich werden und nicht interpretiert und zusammengesucht werden müssen.14 Die in der Praxis beliebten Pauschalverweise auf eingereichte 6 BGE 144 III 519 E. 5.3; BGer 4A_243/2018 vom 17. Dezember 2018 E. 4.2.1 m.w.N.; JOSI, Be- haupten, Bestreiten und Beweisen – praktische Fragen im Lichte der bundesgerichtlichen , in: Markus/Eichel/Rodriguez (Hrsg.), Der handelsgerichtliche Prozess, Chancen und Gefahren – national und international, 2019, S. 80. 7 BGer 4A_667/2014 vom 12. März 2015 E. 3.2.2. 8 BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.1 m.w.N.; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.1; SCHNEUWLY (Fn. 1), S. 445. 9 BGE 144 III 519 E. 5.2.1; 144 II 67 E. 2.1; BRUGGER, Der Verweis auf Beilagen in Rechtsschriften, SJZ 2019, S. 534; JOSI (Fn. 6), S. 60. 10 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.1 m.w.N.; JOSI (Fn. 6), S. 61. 11 Vgl. BGer 4A_398/2018 vom 25. Februar 2019 E. 10.4.1; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; BRUGGER (Fn. 9), S. 535 f. 12 BGE 144 III 519 E. 5.2.1.2; BGer 4A_535/2018 vom 3. Juni 2019 E. 4.2.1; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; eingehend BRUGGER (Fn. 9), S. 536 ff. 13 BGer 4A_535/2018 vom 3. Juni 2019 E. 4.4.2; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.2 f. 14 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.3; einge- hend BRUGGER (Fn. 9), S. 538 ff. - 7 - Akten bzw. die allgemeine Erklärung, diese würden "integrierenden Be- standteil" der Rechtsschrift bilden, stellen deshalb keine hinreichenden Be- hauptungen dar bzw. können fehlende Behauptungen nicht ersetzen.15 2.2. Bestreitungslast Die Kehrseite der Behauptungslast ist die sog. Bestreitungslast: Bestreitet eine Partei eine Tatsachenbehauptung ihres Gegners nicht, gilt diese als unbestritten und die betreffende Tatsache kann dem Entscheid ohne wei- teres zugrunde gelegt werden, da über nicht bestrittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO).16 Art. 222 Abs. 2 ZPO verlangt von der beklagten Partei, darzulegen, welche Tatsa- chenbehauptungen der klagenden Partei im Einzelnen anerkannt oder be- stritten werden. Es ist deshalb empfehlenswert, die Tatsachenbehauptun- gen der Klägerin detailliert, d.h. Punkt für Punkt zu bestreiten.17 Bestreitun- gen sind dabei so konkret zu halten, dass sich bestimmen lässt, welche einzelnen Behauptungen damit bestritten werden; die Bestreitung muss ih- rem Zweck entsprechend so bestimmt sein, dass die Gegenpartei weiss, welche einzelne Tatsachenbehauptung sie beweisen muss. Pauschale Be- streitungen reichen indessen selbst dann nicht aus, wenn sie explizit erfol- gen. Erforderlich ist eine klare Äusserung, dass der Wahrheitsgehalt einer bestimmten gegnerischen Behauptung infrage gestellt wird.18 Auch ein im- plizites Bestreiten genügt unter diesen Voraussetzungen den Anforderun- gen der rechtsgenügenden Bestreitung.19 2.3. Substantiierungslast Bestreitet aber der Prozessgegner den schlüssigen Tatsachenvortrag der behauptungsbelasteten Partei in rechtsgenüglicher Weise, so greift eine über die Behauptungslast hinausgehende Substantiierungslast. Die Vor- bringen sind diesfalls nicht nur in den Grundzügen, sondern in Einzeltatsa- chen zergliedert so umfassend und klar darzulegen, dass darüber Beweis abgenommen oder dagegen der Gegenbeweis angetreten werden kann.20 15 BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 55 N. 21 m.w.N.; BRUGGER (Fn. 9), S. 540 Fn. 50 m.w.N. 16 BK ZPO I-HURNI (Fn. 15), Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO; JOSI (Fn. 6), S. 57. 17 Ähnlich DROESE, Bestreitungsbedürftige Beilagen – ein Hinweis zur bundesgerichtlichen Speise- karte, Note zu Urteil 4A_11/2018, SZZP 2019, S. 19. 18 BGE 141 III 433 E. 2.6; BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.3; SCHNEUWLY (Fn. 1), S. 445 f. 19 SCHMID/HOFER, Bestreitung von neuen Tatsachenbehauptungen in der schriftlichen Duplik, ZZZ 2016, S. 285 m.w.N. 20 BGE 144 III 519 E. 5.2.1.1; BGer 4A_280/2019 vom 14. Oktober 2019 E. 4.1. - 8 - Das Beweisverfahren darf nicht dazu dienen, ein ungenügendes Parteivor- bringen zu vervollständigen.21 Der nicht oder nicht substantiiert vorge- brachte Sachverhalt ist im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime dem nicht bewiesenen Sachverhalt gleichzusetzen.22 2.4. Bezeichnung der Beweismittel Die Parteien haben im Rahmen der Verhandlungsmaxime die einzelnen Beweismittel zu bezeichnen (vgl. Art. 221 Abs. 1 lit. e ZPO, wonach die Klage die Tatsachenbehauptungen sowie die Bezeichnung der einzelnen Beweismittel zu den behaupteten Tatsachen zu enthalten hat). Dazu gehört auch, dass aus dem Zusammenhang klar wird, inwiefern die angerufenen Beweismittel den angestrebten Beweis erbringen sollen. Es genügt nicht, in der Klage Behauptungen aufzustellen und pauschal auf die Klagebeila- gen zu verweisen.23 Ein Beweismittel ist nur dann formgerecht angeboten, wenn sich die Beweisofferte eindeutig der damit zu beweisenden Tatsa- chenbehauptung zuordnen lässt und umgekehrt.24 Deshalb sind die einzel- nen Beweisofferten unmittelbar im Anschluss an die entsprechenden Tat- sachenbehauptungen aufzuführen, welche durch sie bewiesen werden sol- len ("Prinzip der sog. Beweismittelverbindung").25 Es ist hingegen unzu- reichend, einen ganzen Sachverhaltskomplex zu behaupten und lediglich pauschal auf eine Vielzahl von Urkunden oder eine Anzahl Zeugen zu ver- weisen.26 Bei umfangreichen Urkunden ist zudem die für die Beweisführung erhebliche Stelle zu bezeichnen (Art. 180 Abs. 2 ZPO).27 3. Aktivlegitimation Die Rechtswirksamkeit der Zession der eingeklagten Forderung von der F. AG an die Klägerin ist unbestritten (Klage Rz. 35; Antwort Rz. 47; Replik Rz. 46; KB 36). Gemäss Art. 170 Abs. 3 OR gehen vermutungsweise auch die mit der Forderung verbundenen aufgelaufenen Zinsen, insbesondere Verzugszinsen, auf den Zessionar über, was somit ebenfalls als mitbe- hauptet und unbestritten anzusehen ist. Die Aktivlegitimation der Klägerin bezüglich der eingeklagten Forderung und aufgelaufenen Verzugszinsen ist daher zu bejahen. 21 DOLGE, Anforderungen an die Substanzierung, in: Dolge (Hrsg.), Substantiieren und Beweisen, 2013, S. 21; JOSI (Fn. 6), S. 86; vgl. auch BGE 108 II 337 E. 3. 22 BGer 4A_210/2009 vom 7. April 2010 E. 3.2; KUKO ZPO-OBERHAMMER, 2. Aufl. 2013, Art. 55 N. 12; ähnlich JOSI (Fn. 6), S. 62. 23 BGer 4A_195/2014 und 4A_197/2014 vom 27. November 2014 E. 7.3.3 m.w.N. (nicht publ. in BGE 140 III 602). 24 BGer 4A_291/2018 vom 10. Januar 2019 E. 4.4.2; 4A_370/2016 vom 13. Dezember 2016 E. 3.3 m.w.N. 25 BK ZPO II-KILLIAS, 2012, Art. 221 N. 29; PAHUD, in: Brunner/Gasser/Schwander (Hrsg.), Schweizeri- sche Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2016, Art. 221 N. 16 ff.; BRUGGER (Fn. 9), S. 537. 26 BK ZPO II-KILLIAS (Fn. 25), Art. 221 N. 29; JOSI (Fn. 6), S. 86; ähnlich BGer 4A_360/2017 vom 30. November 2017 E. 4. 27 BK ZPO II-RÜETSCHI, 2012, Art. 180 N. 17 ff.; WEIBEL, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 3), Art. 180 N. 10 ff., je m.w.N. - 9 - 4. Ansprüche der Klägerin aus den Kaufverträgen 4.1. Parteibehauptungen 4.1.1. Klägerin Die Klägerin behauptet, die F. AG habe die von der Beklagten zwischen dem 9. April 2018 und dem 22. Juni 2018 getätigten Bestellungen korrekt erfüllt, indem sie jeweils das bestellte Pouletschenkelwurstfleisch bzw. die bestellten Pouletbrustabschnitte geliefert habe oder die Ware von der Be- klagten abgeholt worden sei (Klage Rz. 11 und 18 ff.; Replik Rz. 5 ff. und 13 ff.). Die F. AG habe der Beklagten nie versprochen, gewisse Lieferungen würden nicht in Rechnung gestellt und zukünftig in anderer Qualität erfol- gen (Replik Rz. 26 f.). Eine Vereinbarung, dass sich der Preis bei Abholung um Fr. 0.20 pro kg reduziere, habe es ebenfalls nicht gegeben (Replik Rz. 12 und 62 f.). Die Beklagte habe den Empfang der Ware jeweils durch Unterzeichnung des Lieferscheins quittiert (Klage Rz. 11). Abzüglich einer Teilzahlung der Beklagten sowie diversen Gutschriften habe der F. AG für die Erfüllung ihrer Lieferpflichten eine Vergütungsforderung von gesamthaft Fr. 55'067.62 zugestanden, welche sie in diesem Umfang an die Klägerin abgetreten habe (Klage Rz. 35 ff.; Replik Rz. 46). 4.1.2. Beklagte Die Beklagte behauptet hingegen, sie habe mit der F. AG vereinbart, dass sich der Preis pro kg bei Abholung jeweils um 20 Rappen reduziere (Ant- wort Rz. 14). Zudem sei ihr von der F. AG nicht das bestellte Pouletfleisch, sondern Fett mit einem sehr geringen Fleischanteil geliefert worden (Ant- wort Rz. 7 und 25 ff.). Damit habe die F. AG aber nicht das Vereinbarte geliefert, sondern etwas Anderes, ein sog. aliud (Antwort Rz. 61). Daniel Mäder von der F. AG habe der Beklagten auf deren Rügen hin denn auch telefonisch versprochen, die F. AG werde ihr diese falschen Lieferungen nicht in Rechnung stellen (Antwort Rz. 27 f.). Folglich habe die F. AG den Vertrag ihrerseits nicht erfüllt und es habe ihr nie ein Anspruch auf den Kaufpreis gegenüber der Beklagten zugestanden, den sie an die Klägerin hätte abtreten können (Antwort Rz. 9 und 61 f.). 4.2. Rechtliches Durch den Kaufvertrag verpflichtet sich der Verkäufer, dem Käufer den Kaufgegenstand zu übergeben und ihm das Eigentum daran zu verschaf- fen, und der Käufer, dem Verkäufer den Kaufpreis zu bezahlen (Art. 184 Abs. 1 und 2 OR). Verkäufer und Käufer verpflichten sich grundsätzlich, sofern nicht Vereinbarung oder Übung entgegenstehen, ihre Leistungen gleichzeitig – Zug um Zug – zu erbringen (Art. 82 OR). Die Parteien müssen sich folglich im Sinne von Art. 1 Abs. 1 OR über den Kaufgegenstand sowie den Kaufpreis einigen, wobei bei Letzterem dessen Bestimmbarkeit nach den Umständen genügt (Art. 184 Abs. 3 OR). Haben sich die Parteien diesbezüglich tatsächlich richtig, d.h. nach dem erklärten wirklichen Willen, verstanden und stimmen die Willen überein, so liegt ein - 10 - natürlicher Konsens vor.28 Nachträgliches Parteiverhalten kann – im Rah- men der Beweiswürdigung – ebenfalls auf einen tatsächlichen Willen der Parteien schliessen lassen.29 Haben die Parteien den Kaufgegenstand nur der Gattung nach bestimmt, so steht die Auswahl der effektiv gelieferten Sache mangels anderslauten- der Vereinbarung der Verkäuferin zu (Art. 71 Abs. 1 OR), sie muss jedoch Ware von mindestens mittlerer Qualität anbieten (Art. 71 Abs. 2 OR). Be- sitzt die gelieferte Ware nicht die vereinbarte oder gesetzlich vorgeschrie- bene Qualität, so stellt sie eine mangelhafte Kaufsache dar, ein sog. peius.30 Weist die angebotene Ware jedoch nicht alle von den Parteien ver- einbarten Gattungsmerkmale auf, so stellt sie nicht die geschuldete und auch keine mangelhafte, sondern eine andere Sache dar, ein sog. aliud.31 Die Lieferung eines aliuds stellt keinen Tatbestand der Sachgewährleis- tung, sondern eine Nichterfüllung dar, welche sich ausschliesslich nach den Bestimmungen über den Schuldnerverzug beurteilt.32 Der Gattungsbegriff bestimmt sich relativ nach dem Parteiwillen durch die Umschreibung einheitlicher Qualitäts- oder sonstige Gattungsmerkmale der geschuldeten Sache im Kaufvertrag und kann damit von den Parteien beliebig weit oder eng gefasst werden.33 Es ist dabei insbesondere im Ein- zelfall mittels Vertragsauslegung – primär anhand des Detailgrads der Be- schreibung des Vertragsgegenstands – zu differenzieren, ob eine Quali- tätsangabe gattungsbestimmend ist oder eine Vereinbarung i.S.v. Art. 71 Abs. 2 OR darstellt, womit deren Nichteinhaltung nicht zu einem aliud, son- dern zur Anwendung des Sachgewährleistungsrechts gemäss Art. 197 ff. OR führt.34 4.3. Würdigung Vorliegend ist unbestritten, dass sich die Beklagte und die F. AG bezüglich der Kaufsache – Pouletschenkelwurstfleisch, Pouletoberschenkelsteaks sowie Pouletbrustabschnitte – im Sinne eines natürlichen Konsenses je- weils im Rahmen der einzelnen Bestellungen geeinigt hatten. Umstritten ist allerdings, ob die F. AG der Beklagten die bestellten Pouletfleischprodukte oder stattdessen Fettabschnitte im Sinne eines aliuds lieferte. 28 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Band I, 11. Aufl. 2020, N. 310 ff. und N. 1200. 29 BGE 132 III 626 E. 3.1. 30 BGE 121 III 453 E. 4a. 31 BGE 121 III 453 E. 4a. 32 BGE 121 III 453 E. 4a. 33 BGE 121 III 453 E. 4a; BSK OR I-SCHROETER, 7. Aufl. 2020, Art. 71 N. 8. 34 BGer 4C.204/2002 vom 9. Oktober 2003 E. 5.1; LANZ, Die Abgrenzung zwischen Falschlieferung (aliud) und Schlechtlieferung (peius) und ihre Relevanz, recht 1996, S. 252. - 11 - Die Beklagte beanstandet, dass die ihr gelieferten "Blöcke" nicht die ver- einbarte Qualität aufgewiesen hätten (Antwort Rz. 25). Pouletoberschen- kelsteaks wurden – anders als das Pouletschenkelwurstfleisch sowie die Pouletbrustabschnitte – jedoch nicht in der Form tiefgefrorener Blöcke ver- kauft (Replik Rz. 6; KB 4). Für die am 9. April 2018 gelieferten Pouletober- schenkelsteaks – welche nicht in "Blöcken" geliefert wurden – ist damit auf- grund der Erfüllung der Lieferungspflicht durch die F. AG unbestrittener- massen ein Vergütungsanspruch zu bejahen. Betreffend die Lieferungen von Pouletschenkelwurstfleisch sowie Poulet- brustabschnitte begründet die Beklagte die Lieferung eines aliuds damit, dass die gelieferten Blöcke grösstenteils aus Fett bestanden und damit nicht die vertraglich vereinbarte – bzw. zur Kebabproduktion nötige und da- mit nach Treu und Glauben voraussetzbare – Qualität gehabt hätten (Ant- wort Rz. 25 f. und 30 ff.). Die Beklagte behauptet dabei das Vorliegen eines aliuds jedoch nicht ausreichend substantiiert, insbesondere bleibt unklar, welche Lieferungen genau betroffen gewesen sein sollen, welchen Fett- gehalt die Parteien allenfalls vereinbart haben und welchen Fettgehalt die einzelnen Lieferungen jeweils tatsächlich aufwiesen. Auf den eingereichten Fotos (Antwortbeilage [AB] 16) lässt sich zumindest nicht erkennen, dass das darauf abgebildete Fleisch grösstenteils aus Fett bestanden hätte. Die- ses lässt sich zudem auch nicht konkreten Lieferungen zuordnen. Auch un- ter Berücksichtigung der eingereichten Fotos (AB 16) bleiben die Behaup- tungen der Beklagten betreffend die Lieferung eines aliuds somit ungenü- gend substantiiert, weshalb darüber auch kein Beweis abgenommen wer- den kann. Zudem seien gemäss der Beklagten solche Blöcke zwar vorwiegend ge- formt aus kleinen Fleischstücken, ein gewisser Fettanteil wird jedoch auch von ihr nicht bestritten (Antwort Rz. 17 und 31). Bei der bestellten Qualität des Pouletfleischs ist entsprechend mit einem gewissen Fettanteil der Blö- cke zu rechnen. Durch die Formung der Blöcke können die darin enthalte- nen Fleisch- bzw. Fettstücke nicht mehr gesondert betrachtet werden. Das bestimmende Merkmal der bestellten Warengattung besteht folglich darin, dass diese aus Abschnitten bestehen, die bei der Produktion von Poulet- schenkeln bzw. Pouletbrüsten anfallen, wozu unbestrittenermassen auch Fettstücke zu zählen sind. Einzelne Fettabschnitte als Bestandteile der Blö- cke stellen damit kein aliud dar (Fett anstelle von Fleisch), vielmehr ist ihr Anteil am gesamten Block als Qualitätsmerkmal zu betrachten. Die Be- klagte behauptet jedoch nicht, dass sie und die F. AG jemals einen konkre- ten Fettanteil der Fleischblöcke als gattungsbestimmendes Qualitätsmerk- mal festgelegt hätten. Die Qualifikation der gelieferten Blöcke als aliud scheidet auch deshalb aus. Gegen die Annahme eines aliuds spricht schliesslich auch das Verhalten der Beklagten: Sie tätigte während eines Zeitraums von etwas mehr als - 12 - zwei Monaten mehr als 16 Bestellungen (Replik Rz. 7; KB 13–34) und wies keine einzige Lieferung der F. AG zurück. Vielmehr verarbeitete sie das gelieferte Fleisch und monierte in ihrem Schreiben vom 18. Juni 2018 (KB 9) lediglich die verrechneten Preise. Sie bringt darin jedoch gerade nicht vor, sie hätte das Bestellte gar nie erhalten. Damit ist auch betreffend die Lieferungen von Pouletschenkelwurstfleisch sowie Pouletbrustabschnitte in Blöcken die Erfüllung der Lieferungspflicht durch die F. AG und ein entsprechender Vergütungsanspruch zu bejahen. Hinsichtlich der tatsächlich gelieferten Mengen und der vereinbarten Ein- heitspreise sind sich die Parteien einig (Antwort Rz. 14; Replik Rz. 11; KB 4). Unbestritten ist entsprechend auch, dass vom geltend gemachten Vergütungsanspruch in der Höhe von Fr. 55'067.63 ein Abzug von Fr. 154.45 zu machen ist, da die F. AG für die am 9. April 2018 gelieferten 150.696 kg Pouletoberschenkel Steaks fälschlicherweise Fr. 6.90 (zzgl. MwSt.) anstatt Fr. 5.90 (zzgl. MwSt.) pro kg in Rechnung stellte (150.696 * Fr. 1.00 * 1.025) (Antwort Rz. 21; Replik Rz. 17; KB 12 f.). Demgegenüber blieb zwischen den Parteien umstritten, ob eine Preisre- duktion von Fr. 0.20 bei einer Abholung der Ware durch die Beklagte ver- einbart worden war. Eine solche Vereinbarung und entsprechend redu- zierte Preise (Pouletschenkelwurstfleisch zu Fr. 3.80/kg und Pouletbrust- abschnitte zu Fr. 5.70/kg) machte die Beklagte gegenüber der F. AG in ei- nem Schreiben vom 18. Juni 2018 geltend (KB 9). Wie die Klägerin aner- kennt, akzeptierte die F. AG gemäss E-Mail vom 18. Juni 2018 aus Kulanz die von der Beklagten geforderte Preisreduktion (inkl. Fr. 0.20 bei Abho- lung) und verzichtete in diesem Umfang teilweise auf ihre Forderung ge- genüber der Beklagten (Klage Rz. 16; KB 10). Diese Erklärung und dieser teilweise Forderungsverzicht wirkt auch auf die Klägerin als Zessionarin, weshalb sie ihre Forderung nicht mit einer angeblich fälschlicherweise vor- genommenen Preisreduktion bei Abholungen der Ware begründen kann, womit sie mit Fr. 56'581.50 sogar auf einen Betrag käme, der höher als der eingeklagte Betrag von Fr. 55'067.63 wäre (Replik Rz. 62 f.). 4.4. Fazit Gesamthaft ist damit ein Vergütungsanspruch der F. AG in der Höhe von Fr. 54'913.18 (Fr. 55'067.63 – Fr. 154.45) zu bejahen. 5. Verzugszins 5.1. Parteibehauptungen Die Klägerin führt an, die F. AG habe die für die Lieferungen der Pou- letfleischprodukte jeweils in Rechnung gestellten Beträge von Fr. 13'812.73, Fr. 3'231.50 und Fr. 15'728.65 am 5. Juni, 19. Juni bzw. 3. Juli 2018 gegenüber der Beklagten gemahnt und diese somit für den je- weils gemahnten Betrag per darauffolgendem Tag in Verzug gesetzt (Klage - 13 - Rz. 15 und 30 ff. sowie Rechtsbegehren Ziff. 1; Replik Rz. 47; KB 6–8). Zu- sätzlich habe sie selbst die Beklagte Namens und im Auftrag der F. AG mittels Zahlungsaufforderung vom 1. August 2018 über den Gesamtbetrag gemahnt, obwohl die Zession erst per 23. November 2019 erfolgt sei (Klage Rz. 34; Replik Rz. 46; KB 35). Die Beklagte bestreitet einen für sie erkennbaren Zusammenhang der Zah- lungsaufforderung vom 1. August 2018 mit der F. AG bzw. deren Forderun- gen ihr gegenüber. Eine Mahnung sei somit frühestens durch die Zustel- lung der Betreibung am 11. Dezember 2019 erfolgt (Antwort Rz. 48 f.). 5.2. Rechtliches Nach Art. 104 Abs. 1 OR hat der Schuldner Verzugszinsen zu leisten, wenn er sich mit der Zahlung der Geldschuld im Verzug befindet. Der gesetzliche Verzugszins beträgt 5 % p.a. (Art. 104 Abs. 1 OR). Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, sofern die Parteien einen bestimmten Verfalltag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Die Mahnung ist eine an den Schuldner gerichtete Erklärung des Gläubi- gers, durch die er in unmissverständlicher Weise, die unverzügliche Erbrin- gung der fälligen Leistung beansprucht.35 In der Mahnung muss der Gläu- biger den Schuldner daher unmissverständlich zur Leistung auffordern36 und klar angeben, in welchem Umfang er Leistung fordert. Geldforderun- gen sind daher zu beziffern.37 Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie z.B. «zahlbar 30 Tage netto», ohne weitere Mahnung in Verzug.38 Da durch eine Mahnung die Verfallzeit, d.h. der Zeitpunkt, zu dem die geschuldete Leistung vorgenom- men werden muss, fixiert wird, ändern weitere nach dessen Eintritt ausge- sprochene Leistungsaufforderungen des Gläubigers am Verzugsbeginn nichts mehr.39 Die in der Praxis üblichen weiteren "Mahnungen" nach Ver- zugseintritt mit immer kürzeren Zahlungsfristen sind demnach als Nachfris- ten i.S.v. Art. 107 Abs. 1 OR anzusehen und stellen keine Mahnungen i.S.v. Art. 102 Abs. 1 OR dar.40 5.3. Würdigung Die Beklagte übersieht, dass die F. AG die Beklagte bereits vor der Zah- lungsaufforderung der Klägerin mehrmals gemahnt hatte (vgl. KB 6–8). Mit 35 BSK OR I-WIDMER LÜCHINGER/WIEGAND, 7. Aufl. 2020, Art. 102 N. 5. 36 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Band II, 11. Aufl. 2020, N. 2705. 37 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 36), N. 2708. 38 AGVE 2003, S. 38; BSK OR I-Wiegand, 6. Aufl. 2015, Art. 102 N. 9b m.w.N.; VETTER/BUFF, Ver- zugszinsen bei «zahlbar innert 30 Tagen», SJZ 2019, S. 150 f. m.w.N. 39 VETTER/BUFF, Verzugszinsen bei «zahlbar innert 30 Tagen», SJZ 2019, S. 152 m.w.N. 40 VETTER/BUFF, Verzugszinsen bei «zahlbar innert 30 Tagen», SJZ 2019, S. 152 m.w.N. - 14 - der Zession vom 22. November 2019 (KB 36) gingen die ab den Mahnun- gen der F. AG entstandenen Verzugszinsen auf die Klägerin über (vgl. oben E. 3). In Rz. 38 der Klage behauptet die Klägerin ihre Verzugszinsan- sprüche gestützt darauf schlüssig und die Beklagte bestreitet diese Be- hauptungen abgesehen betreffend die Wirkung der von der Klägerin an die Beklagte gerichteten Zahlungsaufforderung vom 1. August 2018 (KB 35) nirgends substantiiert. Der Klägerin sind daher die behaupteten Verzugs- zinsen auf den Beträgen von Fr. 3'231.50 und Fr. 15'728.65 zuzusprechen, jedoch ist beim Betrag in Höhe von Fr. 13'812.73 der obgenannte Abzug von Fr. 145.45 (vgl. oben E. 4.3) noch zu berücksichtigen, ebenso wie ein Rundungsfehler von einem 1 Rp., so dass der Klägerin diesbezüglich 5 % Verzugszins ab 6. Juni 2018 nur auf dem Betrag von Fr. 13'658.29 zuzu- sprechen sind. Zu prüfen bleibt, ob die von der Klägerin an die Beklagte gerichtete Zah- lungsaufforderung vom 1. August 2018 (KB 35) als Mahnung für die restli- chen Beträge von insgesamt Fr. 22'294.74 anzusehen ist. Die Klägerin an- erkennt, dass zu diesem Zeitpunkt nicht sie selber, sondern immer noch die F. AG Gläubigerin war, da eine formgültige Zession erst am 22. Novem- ber 2019 erfolgte (Replik Rz. 46; KB 36). Die Klägerin konnte somit nicht in eigenem Namen mahnen, sondern allenfalls als Stellvertreterin der F. AG.41 Gemäss Art. 32 Abs. 2 OR musste für die Beklagte also mindestens er- kennbar sein, dass die Klägerin nicht für sich, sondern für die F. AG han- deln wollte. In der Zahlungsaufforderung vom 1. August 2018 (KB 35) be- zeichnete die Klägerin jedoch ausdrücklich sich selbst als die neue Gläubi- gerin. Zudem wurde nicht die F. AG, sondern die unbeteiligte M. SA als bisherige Gläubigerin aufgeführt. Aufgrund der gleichen Höhe der Forde- rung wäre für die Beklagte höchstens erkennbar gewesen, dass die Kläge- rin die neue Gläubigerin der Forderung wäre, nicht jedoch, dass diese für die F. AG als tatsächliche Gläubigerin handelte. Dass für die Beklagte wohl irgendein Zusammenhang zwischen der Zahlungsaufforderung und der Forderung der F. AG erkennbar war, genügt allerdings nicht. Es lagen ins- gesamt zumindest keine Umstände vor, aus denen die Beklagte hätte schliessen müssen, dass die Klägerin als Stellvertreterin der F. AG gehan- delt hätte. Die Zahlungsaufforderung vom 1. August 2018 stellte damit keine vom tatsächlichen Gläubiger an die Beklagte gerichtete Erklärung dar und kann somit nicht als Mahnung angesehen werden. Weitere Mahnun- gen behauptet die Klägerin nicht und sie bestreitet auch nicht, dass als Ver- zugsbeginn somit nur noch der Erhalt des Zahlungsbefehls (KB 37) durch die Beklagte am 11. Dezember 2019 in Frage kommt. Für den Betrag von Fr. 22'294.73 schuldet die Beklagte somit Verzugszinsen erst ab dem 11. Dezember 2019. 41 BSK OR I-WIDMER LÜCHINGER/WIEGAND, 7. Aufl. 2020, Art. 102 N 7. - 15 - 6. Betreibungskosten 6.1. Antrag der Klägerin Die Klägerin beantragt, die Beklagte habe ihr Zahlungsbefehlskosten im Umfang von Fr. 126.30 zu bezahlen. 6.2. Rechtliches Gemäss Art. 68 Abs. 1 SchKG trägt der Schuldner die Betreibungskosten; der Gläubiger hat diese lediglich vorzuschiessen. Der Gläubiger ist berech- tigt, von den Zahlungen des Schuldners die Betreibungskosten vorab zu erheben (Art. 68 Abs. 2 SchKG). Diese Bestimmung ist so zu verstehen, dass diese Kosten im Ergebnis zur Schuld geschlagen werden und vom Schuldner zusätzlich zu dem Gläubiger zugesprochenen Betrag zu bezah- len sind. Da die Betreibungskosten dem Gläubiger bei erfolgreicher Betrei- bung von Gesetzes wegen zustehen, bedarf es zur Durchsetzung der Kos- tenersatzpflicht weder eines Urteils noch eines Rechtsöffnungsent- scheids.42 6.3. Würdigung Entsprechend steht der Klägerin kein Anspruch auf Ersatz der Betreibungs- kosten zu, den sie mittels Klage durchsetzen könnte. 7. Ansprüche der Beklagten aus Sachgewährleistung 7.1. Parteibehauptungen 7.1.1. Beklagte Die Beklagte behauptet, sie habe bei der Verarbeitung des gelieferten Pou- letfleischs zu ihren Kebabspezialitäten sowie nach deren Auslieferung an die Kunden festgestellt, dass die Lieferungen der F. AG überwiegend aus Fett bestanden hätten (Antwort Rz. 25). Damit seien diese nicht zum be- kanntermassen vorausgesetzten Gebrauch – der Produktion von Döner- spezialitäten – tauglich gewesen und hätten nicht der vertraglich vereinbar- ten Qualität entsprochen (Antwort Rz. 65). Beim übermässigen Fettanteil handle es sich um einen körperlichen Mangel der Kaufsache (Antwort Rz. 65). Ihr stehe deshalb eine Forderung auf Ersatz des durch den Mangel bedingten Minderwerts in der Höhe von Fr. 55'609.98 (Fr. 65'267.73 – Fr. 9'657.75) zu, den sie mit der Forderung auf den Kaufpreis verrechne (Antwort Rz. 66). 7.1.2. Klägerin Die Klägerin behauptet, die F. AG habe genau das Bestellte, nämlich ins- besondere Pouletschenkelwurstfleisch sowie Pouletbrustabschnitte, gelie- fert (Replik Rz. 13 ff. und 23 f.). Ob diese Pouletfleischprodukte für die Ke- babproduktion geeignet waren, habe diese jedoch weder wissen können noch müssen (Replik Rz. 24). Sie bestreitet deshalb, dass die Lieferungen der F. AG zu fetthaltig und in diesem Sinne mangelhaft gewesen wären 42 BSK SchKG I-EMMEL, 2. Aufl. 2010, Art. 68 N. 16 m.w.N. - 16 - (Replik Rz. 6 f.). Zudem habe die Beklagte allfällige Mängel nicht gerügt (Replik Rz. 55). 7.2. Rechtliches Gemäss der kaufrechtlichen Gewährleistungspflicht haftet der Verkäufer dem Käufer sowohl für die zugesicherten Eigenschaften als auch dafür, dass die Sache nicht körperliche oder rechtliche Mängel hat, die ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder er- heblich mindern (Art. 197 Abs. 1 OR). Sowohl das Fehlen einer zugesicher- ten Eigenschaft als auch Fehler (im Sinne von körperlichen, rechtlichen o- der wirtschaftlichen Mängeln) werden dabei unter dem Oberbegriff des Sachmangels zusammengefasst.43 Neben einem Sachmangel setzt eine kaufrechtliche Gewährleistungspflicht gemäss Art. 201 OR zudem dessen form- und fristgerechte Rüge voraus. Ein Sachmangel besteht in der ungünstigen Abweichung der Ist-Beschaf- fenheit der Kaufsache von deren Soll-Beschaffenheit, indem diese nicht alle Eigenschaften besitzt, welche vom Verkäufer zugesichert wurden oder die der Käufer nach Treu und Glauben voraussetzen durfte.44 Zugesichert ist dem Käufer eine Eigenschaft der Kaufsache, wenn der Kaufvertrag eine verbindliche Erklärung des Verkäufers enthält, für das Vorhandensein der Eigenschaft einstehen zu wollen.45 Eine solche Erklärung kann ausdrück- lich oder konkludent erfolgen.46 Sie kann sich also für den Käufer auch aus dem Verhalten des Verkäufers oder den Umständen des Vertragsschlus- ses ergeben.47 Der vorausgesetzte Gebrauch einer Sache – und damit die dafür vorausgesetzten Eigenschaften – ergeben sich in erster Linie aus dem übereinstimmenden Parteiwillen.48 Ist ein solcher nicht feststellbar, kann auf denjenigen Gebrauch – und die entsprechenden Eigenschaften – abgestellt werden, die der Käufer gemäss der Verkehrsauffassung, den Umstände des Vertragsschlusses und der Natur des Geschäfts nach Treu und Glauben erwarten durfte.49 Zur Feststellung eines allfälligen Mangels trifft den Käufer gemäss Art. 201 Abs. 1 OR die Obliegenheit, die Kaufsache sobald es nach dem üblichen Geschäftsgange tunlich ist zu prüfen. Offenbart sich dabei ein Mangel oder zeigt sich ein solcher später, muss der Käufer eine form- und fristgerechte 43 BSK OR I-HONSELL, 7. Aufl. 2020, Art. 197 N. 2. 44 BSK OR I-HONSELL (Fn. 43), Art. 197 N. 2; SCHMID/STÖCKLI/KRAUSKOPF, Schweizerisches Obligatio- nenrecht, Besonderer Teil, 2. Aufl. 2016, N. 331. 45 BGer 4A_619/2013 vom 20. Mai 2014 E. 4.1; HUGUENIN, Obligationenrecht, Allgemeiner und Be- sonderer Teil, 3. Aufl. 2019, N. 2599; ZK OR-SCHÖNLE/HIGI, 3. Aufl. 2005, Art. 197 N. 88. 46 BGE 102 II 97 E. 5.1. 47 BSK OR I-HONSELL (Fn. 43), Art. 197 N. 14; HUGUENIN (Fn. 45), N. 2601. 48 HUGUENIN (Fn. 45), N. 2609. 49 BGer 4C.200/2006 vom 20. September 2006 E. 2.1; HUGUENIN (Fn. 45), N. 2609; SCHMID/STÖCKLI/KRAUSKOPF (Fn. 44), N. 331. - 17 - Mängelrüge erheben.50 Er muss dafür dem Verkäufer den Mangel substan- tiiert anzeigen, so dass dieser in die Lage versetzt wird, Art, Inhalt und Um- fang des Mangels zu erkennen.51 Dabei muss zum Ausdruck kommen, in- wieweit die Sache den vertraglich zugesicherten oder vorausgesetzten Ei- genschaften nicht entspricht und dass der Käufer den Verkäufer dafür haft- bar machen will.52 Eine allgemeine Unzufriedenheitsäusserung genügt nicht.53 Mängel sind nach deren Entdeckung sofort, d.h. rechtsprechungs- gemäss innert weniger Tage, zu rügen.54 Als Zeitpunkt der Entdeckung gilt die zweifelsfreie Feststellung und damit die sichere Erkenntnis.55 Erfolgt die Rüge nicht rechtzeitig sowie ausreichend substantiiert, so gilt die Kaufsa- che grundsätzlich als genehmigt (Art. 201 Abs. 2 OR).56 Sind Mangel sowie form- und fristgerechte Rüge erstellt und damit die Vo- raussetzungen für eine kaufrechtliche Gewährleistung – gewöhnlich – ge- geben, stehen dem Käufer die Rechte auf Wandelung (Art. 205 und 207 ff. OR), Minderung (Art. 205 OR) und Ersatz des Mangelfolgeschadens (Art. 208 Abs. 2 und 3 bzw. Art. 97 OR) zu. Beruft sich der Käufer wirksam auf das Recht zur Minderung, führt dies zu einer Herabsetzung des Kauf- preises.57 Diese erfolgt gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nach der relativen Methode.58 Damit hat das Verhältnis des geminderten Kaufpreises zum tatsächlich bezahlten Preis dem Verhältnis des Werts der mangelhaften Sache zu deren objektiven Wert in mangelfreiem Zustand zu entsprechen.59 Die Einwendung der Kaufpreisminderung kann der Käufer auch gegenüber dem Zessionar geltend machen, an den die Kaufpreisforderung abgetreten wurde.60 7.3. Würdigung Zunächst ist zu prüfen, ob die Lieferungen der F. AG aufgrund deren Fett- anteils als mangelhaft anzusehen sind. Ausdrückliche oder konkludente Zusicherungen der F. AG bezüglich eines bestimmten Fettanteils der von ihr gelieferten Pouletfleisch-Blöcke behauptet die Beklagte nicht. Damit bleibt zur Feststellung eines Sachmangels zu prüfen, ob die Beklagte wie behauptet einen bestimmten Fettanteil der Blöcke für den Gebrauch zur 50 BGE 104 II 357 E. 4a. 51 BGE 22 I 492 E. 2. 52 ZEHNDER, Die Mängelrüge im Kauf-, Werkvertrags- und Mietrecht, SJZ 2000, S. 546. 53 BSK OR I-HONSELL (Fn. 43), Art. 201 N. 10. 54 BGE 98 II 191 E. 4, 76 II 221 E. 3.; BSK OR I-Honsell (Fn. 43), Art. 201 N. 11. 55 BGE 117 II 425 E. 2, 107 II 175 E. 1. 56 BGE 133 III 335 E. 2.4.4. 57 SCHMID/STÖCKLI/KRAUSKOPF (Fn. 44), N. 401. 58 BGE 111 II 162 E. 3a. 59 BSK OR I-HONSELL (Fn. 43), Art. 205 N. 8. 60 BSK OR I-GIRSBERGER/HERMANN, 7. Aufl. 2020, Art. 169 N. 6. - 18 - Produktion von Dönerspezialitäten voraussetzen durfte (Antwort Rz. 65) und ob dieser überschritten war. Es erscheint immerhin plausibel, dass die F. AG nicht zuletzt aufgrund der Firma der Beklagten davon ausging, dass diese das bestellte Pouletfleisch zur Produktion von Dönerspezialitäten verwenden würde. Die Behauptung der Klägerin, dass sie nicht wusste und auch nicht hätte wissen können, ob die bestellten Pouletfleischprodukte aufgrund ihres Fettanteils dafür geeig- net waren, blieb allerdings von der Beklagten unbestritten. Die Beklagte durfte folglich nicht davon ausgehen, dass die bestellten Pouletfleischpro- dukte einen bestimmten, zur Produktion von Dönerspezialitäten erforderli- chen Fettanteil haben würden. Da im Übrigen keine Vereinbarung betref- fend einen bestimmten Fettanteil oder überhaupt eine bestimmte Qualität der Pouletfleischlieferungen behauptet wurde, war die F. AG einzig gemäss Art. 71 Abs. 2 OR verpflichtet, mindestens durchschnittliche Qualität zu lie- fern. Da die Klägerin die Mangelhaftigkeit der gelieferten Pouletfleischpro- dukte bestreitet, hätte es nun an der Beklagten gelegen, eine solche im Sinne eines überhöhten Fettgehalts substantiiert zu behaupten (vgl. oben E. 2.3). Die Beklagte bringt jedoch weder vor, welcher Fettgehalt durch- schnittlicher Qualität entsprochen hätte, noch welchen Fettgehalt die erhal- tenen Lieferungen tatsächlich hatten. Zudem behauptet sie auch nicht, wel- che spezifischen Lieferungen überhaupt mangelhaft gewesen sein sollen. Aufgrund der fehlenden substantiierten Behauptungen betreffend den Fett- gehalt und damit die Mangelhaftigkeit konkreter Lieferungen kann darüber auch kein Beweis abgenommen werden. Da es der Beklagten bereits nicht gelingt, eine Mangelhaftigkeit konkreter Lieferungen aufzuzeigen, kann eine Prüfung der Erfüllung der Rügeoblie- genheit unterbleiben. Der Vollständigkeit halber sei immerhin erwähnt, dass die Beklagte nur betreffend eine einzige Lieferung eine immerhin rechtzeitige Rüge behauptet (Antwort Rz. 29; AB 19). Diese erfolgte jedoch nicht genügend substantiiert, um die Mängelrechte der Beklagten zu wah- ren. Der Beklagten stehen nach dem Gesagten keine Ansprüche aus kaufrecht- licher Sachgewährleistung gegenüber der Klägerin zu. 8. Mangelfolgeschaden 8.1. Parteibehauptungen Schliesslich behauptet die Beklagte, sie habe einen Mangelfolgeschaden in der Höhe von mindestens Fr. 50'000.00 erlitten, da sie ihren Kunden die gelieferten Spiesse aufgrund des zu hohen Fettgehalts nicht habe verrech- nen können und aufgrund der schlechten Qualität auch Kunden verloren habe (Antwort Rz. 44 ff.). Sie behalte sich vor, diesen Schaden im weiteren Verlauf des Prozesses zu substantiieren und zu beweisen und mit einer allfälligen Forderung der Klägerin zu verrechnen. - 19 - Die Klägerin bestreitet das Vorliegen eines Mangels und eines Mangelfol- geschadens (Replik Rz. 6 f. und 43 ff.). 8.2. Würdigung Gemäss ihren Ausführungen in der Klageantwort (Rz. 46) behielt sich die Beklagte lediglich vor, für einen ihr angeblich entstandenen Mangelfolge- schaden die Verrechnung mit der Forderung der Klägerin zu erklären. Eine solche Verrechnung würde zwar an sich im Umfang des ausgewiesenen Mangelfolgeschadens zum Untergang der klägerischen Forderung führen. Eine solche Verrechnungserklärung der Beklagten erfolgte jedoch nie. Zu- dem bleibt der behauptete Mangelfolgeschaden in Höhe von mindestens Fr. 50'000.00, obwohl bestritten, unsubstantiiert. 9. Beseitigung Rechtsvorschlag Gemäss Rechtsbegehren Ziff. 2 verlangt die Klägerin die Beseitigung des Rechtsvorschlags der Beklagten im Sinne von Art. 79 SchKG in der er- wähnten Betreibung. Dafür ist das Handelsgericht sachlich zuständig. Die Beseitigung des Rechtsvorschlags ist der Klägerin im Umfang der Klage- gutheissung auch zuzugestehen. Demnach ist der fragliche Rechtsvor- schlag in der Betreibung Nr. 123 des Betreibungsamts M. grundsätzlich im Umfang von Fr. 13'658.29 zuzüglich Zins von 5 % per 6. Juni 2018, Fr. 3'231.50 zuzüglich Zins von 5 % per 20. Juni 2018, Fr. 15'728.65 zu- züglich Zins von 5 % per 4. Juli 2018 sowie Fr. 22'294.74 zzgl. Zins von 5 % per 11. Dezember 2019 zu beseitigen. 10. Prozesskosten Abschliessend sind die Prozesskosten entsprechend dem Verfahrensaus- gang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Prozesskosten werden der unterlie- genden Partei auferlegt. Da die Klage betreffend den geltend gemachten Anspruch von Fr. 55'067.63 im Umfang von Fr. 54'913.18 und damit bei- nahe vollumfänglich gutheissen wird, gilt die Beklagte als unterliegend und rechtfertigt es sich, ihr die gesamten Prozesskosten aufzuerlegen (Art. 106 ZPO). 10.1. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen vorliegend allein aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Entscheidgebühr be- trägt bei einem Streitwert von Fr. 55'067.63 gemäss § 7 Abs. 1 Zeile 5 VKD Fr. 4'624.75. Sie werden der Beklagten auferlegt und mit dem von der Klä- gerin in der gleichen Höhe geleisteten Kostenvorschuss verrechnet (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat der Klägerin den geleisteten Kos- tenvorschuss zu ersetzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). - 20 - 10.2. Parteientschädigung Die Parteientschädigung gemäss Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO besteht aus den Kosten der berufsmässigen Vertretung. In vermögensrechtlichen Streitsa- chen beträgt die Grundentschädigung bei einem Streitwert von Fr. 55'067.63 gemäss § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 5 AnwT Fr. 9'026.10. Dadurch sind die Instruktion, das Aktenstudium, rechtliche Abklärungen, die Korres- pondenz und Telefongespräche sowie eine Rechtsschrift und die Teil- nahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (§ 6 Abs. 1 AnwT). Für den doppelten Schriftenwechsel erfolgt ein Zuschlag von praxisgemäss 20 %. Mit der Kleinkostenpauschale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Parteientschädigung von gerundet Fr. 11'150.00. Der beantragte Mehrwertsteuerzuschlag ist der Klägerin nicht zuzuspre- chen, da sie mehrwertsteuerpflichtig61 und damit auch vorsteuerabzugsbe- rechtigt ist.62 61 <https://www.uid.admin.ch_> (zuletzt besucht am 15. Februar 2021). 62 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Partei- entschädigung der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: <https://www.ag.ch//kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf> (zuletzt am 15. Februar 2021). https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 21 - Das Handelsgericht erkennt: 1. 1.1. In teilweiser Gutheissung der Klage wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 13'658.29 zuzüglich Zins von 5 % per 6. Juni 2018; Fr. 3'231.50 zuzüglich Zins von 5 % per 20. Juni 2018; Fr. 15'728.65 zuzüglich Zins von 5 % per 4. Juli 2018 sowie Fr. 22'294.74 zzgl. Zins von 5 % per 11. Dezember 2019 zu bezahlen. 1.2. Der Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. 123 des Betreibungsamts M. (Zahlungsbefehl vom 27. November 2019) wird im Umfang von Fr. 13'658.29 zuzüglich Zins von 5 % per 6. Juni 2018; Fr. 3'231.50 zuzüglich Zins von 5 % per 20. Juni 2018; Fr. 15'728.65 zuzüglich Zins von 5 % per 4. Juli 2018 sowie Fr. 22'294.74 zzgl. Zins von 5 % per 11. Dezember 2019 beseitigt. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'624.75 werden der Beklagten auferlegt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss in der gleichen Höhe verrechnet. Die Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 4'624.75 direkt zu ersetzen. 3. Die Beklagte hat der Klägerin eine Parteientschädigung in richterlich fest- gesetzter Höhe von Fr. 11'150.00 zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) die Beklagte Mitteilung an: die Obergerichtskasse - 22 - 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 16. Februar 2021 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber-Stv.: Vetter Stich
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2003 Zivilprozessrecht 67 B. Anwaltsrecht 18 Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA, Registereintrag und Unabhängigkeit Eine zusätzliche Erwerbstätigkeit im Angestelltenverhältnis neben der Anwaltstätigkeit und sogar die Vertretung der Klientschaft des Arbeitge- bers ist grundsätzlich zulässig, solange keine Interessenkollision zwischen Arbeitgeber und Klientschaft möglich ist. Die Vorschrift gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA, wonach angestellte Anwälte im Register nur eingetra- gen werden können, wenn auch der Arbeitgeber im Register eingetragen ist, gilt nur dann, wenn ein Anstellungsverhältnis als Anwalt besteht, nicht dagegen, wenn die Anwaltstätigkeit neben einem Angestelltenver- hältnis (und unabhängig davon) ausgeübt wird. Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 22. April 2003 i.S. R. S. Aus den Erwägungen: 3. d) Aufgrund der dargestellten bundesgerichtlichen Rechtspre- chung und der Materialien zum BGFA kann festgehalten werden, dass im Falle eines in einem Anstellungsverhältnis stehenden An- waltes für die Beantwortung der Frage nach der Unabhängigkeit primär entscheidend ist, ob er die Kundschaft bzw. Klientschaft sei- nes Arbeitgebers zu vertreten beabsichtigt, oder ob es vielmehr um Mandate ausserhalb des Anstellungsverhältnisses geht, welche mit der Anstellung an sich nichts zu tun haben. Letztlich steht nämlich die Frage nach der Unabhängigkeit des Anwaltes im Zusammenhang mit der Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit von Interessenkollisio- nen. Darauf wies beispielsweise auch Hansruedi Stadler in der De- batte im Ständerat hin, als er ausführte, ein Anwalt müsse frei sein von jeglicher vertraglicher oder nichtvertraglicher Treue- bzw. Ge- horsamspflicht, die seine Unabhängigkeit gefährden könnte (Amt. Bull. [AB] SR 2000, S. 234). 2003 Obergericht/Handelsgericht 68 Eine zusätzliche Erwerbstätigkeit im Angestelltenverhältnis ne- ben der Anwaltstätigkeit ist demnach grundsätzlich zulässig. Sogar die Vertretung der Klientschaft des Arbeitgebers ist grundsätzlich zulässig, allerdings nur, solange keine Interessenkollision zwischen Arbeitgeber und Klientschaft möglich ist (Botschaft des Bundesrates zum BGFA vom 28. April 1999 [Botschaft], Ziff. 172.16 / 3.). Das BGFA hält diesbezüglich in Art. 8 Abs. 1 lit. d nun ausdrücklich fest, dass angestellte Anwälte im Register nur eingetragen werden kön- nen, wenn auch der Arbeitgeber im Register eingetragen ist. Auf- grund der obigen Ausführungen zur Entstehungsgeschichte der Be- stimmung gilt diese allerdings nur in jenen Fällen, wo ein Anstel- lungsverhältnis als Anwalt besteht, nicht dagegen, wenn neben einem Angestelltenverhältnis (und unabhängig davon) die Anwaltstätigkeit ausgeübt wird.
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2001 Obergericht/Handelsgericht 34 3 Art. 570 ZGB; Ausschlagung der Erbschaft Die Protokollierung der Ausschlagungserklärung verfolgt Informations- zwecke und entfaltet keine rechtsbegründende Wirkung. Der zuständige Richter ist nur ausnahmsweise befugt, die Gültigkeit der Ausschlagungs- erklärung zu prüfen, wenn die Verwirkung der Ausschlagungsbefugnis offensichtlich oder anerkannt ist bzw. wenn sich an die Ausschlagungser- klärung weitere Massnahmen anschliessen. Aus der Protokollierung oder Nichtprotokollierung der Ausschlagungserklärung kann nicht auf deren bestehende oder fehlende Rechtsbeständigkeit geschlossen werden. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 22. Januar 2001 i.S. S.H. und S.H. gegen Verfügung des Gerichtspräsidiums X. Aus den Erwägungen 2. Mit dem Tode des Erblassers erwerben die Erben die Erb- schaft als Ganzes. Forderungen, das Eigentum, die beschränkten dinglichen Rechte und der Besitz des Erblassers gehen unter Vorbe- halt der gesetzlichen Ausnahmen ohne weiteres auf sie über, und die Schulden des Erblassers werden zu persönlichen Schulden der Erben (Art. 560 ZGB). Sowohl die gesetzlichen wie auch die eingesetzten Erben haben jedoch die Befugnis, die Erbschaft, die ihnen zugefallen ist, auszuschlagen (Art. 566 Abs. 1 ZGB). Die Ausschlagung ist dabei innert drei Monaten seit Kenntnis des Todesfalls bzw. - bei den eingesetzten Erben - seit Zustellung der amtlichen Mitteilung von der Verfügung des Erblassers zu erklären (Art. 567 ZGB). Gemäss Art. 570 Abs. 3 ZGB hat die zuständige Behörde über die Ausschlagungen ein Protokoll zu führen. Die Protokollierung verfolgt Informationszwecke, ist ein Akt der freiwilligen Gerichts- barkeit und entfaltet keine rechtsbegründende Wirkung. Gemäss einhelliger Lehre hat der zuständige Richter nach Art. 570 ZGB die Ausschlagserklärung entgegenzunehmen und zu protokollieren, ohne dass er befugt wäre, die Gültigkeit - und namentlich die Rechtzeitig- keit - der ihm eingereichten Ausschlagserklärung zu prüfen. Nur ausnahmsweise, wenn die Verwirkung der Ausschlagungsbefugnis 2001 Zivilrecht 35 anerkannt oder offenkundig ist, darf er Erklärungen zurückweisen. Unerlässlich ist eine einstweilige Prüfung der Gültigkeit in den Fäl- len, wo sich an die Ausschlagungserklärung weitere Massnahmen der Behörde anschliessen, so etwa im Falle der konkursamtlichen Liquidation des Nachlasses oder der bereits beantragten Erbschein- ausstellung. Aus der Protokollierung oder Nichtprotokollierung der Ausschlagungserklärung kann aber nicht auf deren bestehende oder fehlende Rechtsbeständigkeit geschlossen werden (vgl. zum Ganzen: Peter Tuor/Vito Picenoni, Berner Kommentar, 2. A., Bern 1964, N 5 zu ZGB 570; Arnold Escher, Zürcher Kommentar, 3. A., Zürich 1960, N 16 zu ZGB 570; Ivo Schwander, Basler Kommentar, Basel 1998, N 14 zu ZGB 570; Roger Weber, Gerichtliche Vorkehren bei der Nachlassabwicklung, in: AJP 1997 S. 558; ZR 96/1997 S. 81). Zudem sagt das Protokoll nichts darüber aus, ob die Erbschaft aus anderen Gründen, wie beispielsweise infolge offensichtlicher Über- schuldung der Erbschaft, von Gesetzes wegen als ausgeschlagen gilt (vgl. Art. 566 Abs. 2 ZGB).
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https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-3.pdf
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.114 Entscheid vom 22. Dezember 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin D. AG, _ Gesuchsgegne- rin B. AG, _ vertreten durch lic. iur. Stephan Weber, Rechtsanwalt, Niederlen- zerstrasse 10, Postfach, 5600 Lenzburg Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in B. (AG). Sie be- zweckt hauptsächlich _. 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in M. (AG). Sie bezweckt im Wesentlichen _. Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grundstücks GB Nr. 123 GB M. (E-GRID: CH 987) (Beilage 3 der Eingabe der Gesuchstellerin vom 11. Dezember 2020). 3. Mit Gesuch vom 2. Dezember 2020 (Postaufgabe: 4. Dezember 2020) stellte die Gesuchstellerin das folgende Rechtsbegehren: " Kein Stockwerkeigentum Das Grundbuchamt Zofingen sei im Sinne von Art. 961 ZGB (so- fort und ohne Anhörung der Gegenpartei) einstweilen , zugunsten des Gesuchstellers und zulasten des des Gesuchsgegners ein Pfandrecht vorläufig im einzutragen Liegenschaft gem. Grundbuchauszug 5, 4800 Zofingen. Für eine Pfandsumme von Fr. 74'528.0 nebst Zins zu 5.00 % seit 01.10.2020 Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des ." 4. 4.1. Mit Verfügung vom 7. Dezember 2020 wies der Vizepräsident die Gesuch- stellerin auf die rechtlichen Grundlagen sowie den Umstand hin, dass das Gesuch weder begründet sei noch Beilagen enthalte, sodass nicht beurteilt werden könne, ob der Gesuchstellerin ein Anspruch auf die beantragte Vor- merkung der vorläufigen Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts zu- stehe. Im Sinne der gerichtlichen Fragepflicht wurde der Gesuchstellerin eine Frist bis zum 18. Dezember 2020 gesetzt, um ihr Gesuch entspre- chend zu ergänzen. 4.2. Mit Eingabe vom 11. Dezember 2020 reichte die Gesuchstellerin ohne wei- tere Begründung die Grundbuchauszüge für die Grundstücke Nr. 586, 488 und 123 je GB M., ein. - 3 - 4.3. Den Kostenvorschuss von Fr. 2'000.00 bezahlte die Gesuchstellerin frist- gerecht. 4.4. Die Gesuchsgegnerin wurde nicht aufgefordert, eine Gesuchsantwort ein- zureichen. Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit 1.1. Bei der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts handelt es sich um einen Anwendungsfall des vorsorglichen Rechtsschutzes i.S.v. Art. 261 ff. ZPO.1 Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen ist deshalb das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Massnahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Errichtung gesetzlicher Pfand- rechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grundbuch auf- genommen ist, zuständig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Die von der Gesuch- stellerin eingereichten Grundbuchauszüge beziehen sich allesamt auf Grundstücke, die in M. (AG) liegen (Beilagen 1-3 der Eingabe der Gesuch- stellerin vom 11. Dezember 2020). Die örtliche Zuständigkeit der aargaui- schen Gerichte ist gegeben. 1.2. Die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters am Handelsgericht für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO und § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO AG, da die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist, ge- gen den Entscheid – bei einem behaupteten Streitwert von Fr. 74'528.00 – die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offen steht und die Parteien im schweizerischen Handelsregister eingetragen sind. 2. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 2.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 1 BGE 137 III 563 E. 3.3. - 4 - 2.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.2 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.3 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.4 2.3. Das Gesuch enthält trotz Ausübung der richterlichen Fragepflicht mit ge- nauen Hinweisen, was inhaltlich zu verbessern ist, sowie der Ansetzung einer angemessenen Nachfrist keine Begründung und lediglich drei Grund- buchauszüge von drei Grundstücken als Beilagen. Ebenso enthält bereits das von der Gesuchstellerin verwendete Formular den Hinweis, das Ge- such sei zwingend zu begründen. Die Ausführungen der Gesuchstellerin erlauben es daher nicht, darüber zu entscheiden, ob sie auf einem Grundstück der Gesuchsgegnerin pfandbe- rechtigte Arbeiten i.S.v. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB erbracht und daraus derzeit eine Forderung gegenüber der Gesuchsgegnerin noch unbeglichen ist. Es fehlen Angaben dazu, was für Arbeiten die Gesuchstellerin erledigte und welchen Werklohn die Parteien vereinbart haben. Ebenso fehlen An- gaben darüber, wann die Gesuchstellerin die letzten Arbeiten ausführte, sodass nicht beurteilt werden kann, ob die viermonatige Eintragungsfrist (Art. 839 Abs. 2 ZGB) noch eingehalten ist. Der Tatsachenvortrag der Gesuchstellerin bleibt daher auch nach der Aus- übung der richterlichen Fragepflicht und der Ansetzung einer Nachfrist un- schlüssig, sodass das Gesuch abzuweisen ist. Das Gesuch ist offensicht- lich unbegründet, weshalb der Gesuchsgegnerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist (Art. 253 ZPO). 2 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. 3 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 4 SCHUMACHER (Fn. 2), N. 1395. - 5 - 3. Prozesskosten Die Prozesskosten bestehen vorliegend einzig aus Gerichtskosten. Diese werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchstellerin zu tragen. Da der Gesuchsgegnerin mangels Erstattung einer Gesuchsantwort kein Aufwand entstanden ist, ist ihr auch keine Parteientschädigung zuzuspre- chen. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 1'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 2'000.00 verrechnet. Ein allfälliger Überschuss steht der Gesuchstellerin zu. Der Vizepräsident erkennt: 1. Das Gesuch vom 2. Dezember 2020 wird abgewiesen. 2. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'000.00 sind von der Gesuchstellerin zu tragen und werden mit dem von ihr geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 2'000.00 verrechnet. Zustellung an: die Gesuchstellerin (mit Abrechnung) die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach mit Gesuch vom 2. Dezem- ber 2020 und Eingabe vom 11. Dezember 2020 [inkl. Beilagen] der Ge- suchstellerin) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer - 6 - Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 22. Dezember 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly (i.V. Näf)
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AG_HG_002
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2020-12-22
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_22._Dezember_2020.pdf
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HOR.2020.2 Urteil vom 20. November 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Ersatzrichterin Müller Handelsrichter Bäumlin Handelsrichter Hauser Handelsrichter Laube Gerichtsschreiber Schneuwly Gerichtsschreiber-Stv. Stich Klägerin L. AG, _ vertreten durch Martin Strobel, Rechtsanwalt, Laurenzenvorstadt 19, 5000 Aarau Beklagter Dr. T., _ vertreten durch lic. iur. Fred Hofer, Rechtsanwalt, Bahnhofplatz 1, 5400 Baden Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderungen - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in S. (AG). Sie bezweckt _(Klagebeilage [KB] 1). 2. Der Beklagte ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in B. (AG). Er betreibt unter der Firma "W." ein Einzelunternehmen mit Sitz ebenfalls in B. (AG) und gleichem Zweck wie die Klägerin (KB 2). 3. Die Klägerin und der Beklagte schlossen am 13. Februar 2018 einen als "Partnervertrag" bezeichneten Vertrag über die Zusammenarbeit im Be- reich der Personal- und Unternehmensberatung (Klage Rz. 1; KB 4, S. 1 ff.). Gemäss Ziff. 1 dieses Partnervertrags stellte die Klägerin dem Be- klagten Know-How sowie den Zugang zu diversen IT-Systemen zur Verfü- gung, insbesondere zur Recruiting-Plattform "A." (Klage Rz. 1; KB 4). Der Beklagte verpflichtete sich im Gegenzug zur Nutzung dieser Systeme, zur Erfüllung diverser Pflichten und Vorgaben bei Ausübung seiner Geschäfts- tätigkeit sowie zur Zahlung einer Eintrittsgebühr von Fr. 12'000.00, eines Beitrags an die monatlichen Fixkosten und einer Umsatzabgabe (Ziff. 3 f., 6, 7, 11 und 16 f. des Partnervertrags [KB 4]). Bestandteil des Partnerver- trags war zudem ein Anhang 1, betitelt mit "Splitregeln" (KB 4). Diese Split- regeln (KB 4) umfassten insbesondere die Aufgabenteilung und Entschä- digung für Fälle, in denen Mandate von mehr als einem Partner bearbeitet wurden. 4. 4.1. Am 3. September 2018 erteilte die V. AG der Klägerin den Auftrag zur Be- setzung von insgesamt elf Vakanzen in ihren Filialen in W. und S. (Klage Rz. 13; KB 25). Am 20. September 2018 erteilte die V. AG der Klägerin zu- dem den Auftrag zur Besetzung von drei weiteren Vakanzen in ihrer Filiale in B. (Klage Rz. 16; KB 26). 4.2. Als Anhang 2 zum Partnervertrag und zur Ergänzung und teilweisen Modi- fikation der Splitregeln schlossen der Beklagte und die Klägerin am 27. September 2018 eine "Leistungsvereinbarung für Mandats- und Pro- jektsplit" ab (KB 4). 4.3. Von den elf Vakanzen in W. und S. konnte die Klägerin sämtliche besetzen, die letzte mit Stellenantritt von O.H. per 1. Juli 2019 (Klage Rz. 18). Von den drei Vakanzen in B. konnte die Klägerin nur eine besetzen, bevor die V. AG der Klägerin am 11. Juni 2019 mitteilte, sie sei über die Leistung der - 3 - Klägerin enttäuscht und habe die beiden offenen Stellen nun intern selber besetzt (Klage Rz. 19). 5. Mit Schreiben vom 14. März 2019 kündigte der Beklagte den Partnerver- trag auf den 15. Juni 2019 (Klage Rz. 4; KB 7). 6. Mitte April 2019 stellte die Klägerin fest, dass der Beklagte gewisse im Da- teiordner "T.H." abgelegte Dateien gelöscht hatte (Klage Rz. 7; Antwort "Zu 6"). Am 17. April 2019 sperrte die Klägerin den Zugang des Beklagten zu den von ihr zur Verfügung gestellten IT-Systemen (Klage Rz. 7; Antwort "Zu 5"). Die Klägerin analysierte anschliessend die abgespeicherten Daten und stellte gelöschte Daten wieder her (Klage Rz. 7 und 30; Antwort "Zu 6"; KB 17). 7. Mit Klage vom 27. Dezember 2019 (Postaufgabe: 27. Dezember 2019) stellte die Klägerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Der Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von CHF 40'000 zuzüglich Zins von 5 % ab 16.07.2019 zu bezahlen. 2. Der Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von CHF 11'030 zuzüglich Zins von 5 % ab Klageeinreichung zu bezahlen. 3. Der Beklagte sei zu verurteilen, der Klägerin einen gerichtlich zu be- stimmenden Betrag zuzüglich Zins von 5% ab Klageeinreichung zu be- zahlen. 4. Der Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von CHF 20'000.00 als Genugtuung zuzüglich Zins von 5% ab 11.6.2019 zu bezahlen. 5. Der Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. 123 des Betreibungsamtes R. sei aufzuheben. 6. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des Beklagten." Die Klägerin begründete ihre Klage im Wesentlichen mit diversen Vertrags- verletzungen des Beklagten. Dadurch seien ihr einerseits Aufwendungen für die Analyse und Wiederherstellung von falsch abgespeicherten bzw. - 4 - gelöschten Dateien entstanden, anderseits ein Mandat entzogen worden und das entsprechende Honorar von Fr. 40'000.00 entgangen. Zudem macht sie wegen Beschädigung ihres Rufs einen Genugtuungsanspruch geltend. Schliesslich behauptet sie, einen Anspruch auf die im Partnerver- trag festgehaltene Umsatzabgabe zu haben, da der Beklagte während der Dauer des Partnervertrags in erheblichem Umfang Nebentätigkeiten nach- gegangen sei. 8. 8.1. In seiner Klageantwort vom 25. Februar 2020 stellte der Beklagte folgende Rechtsbegehren: " 1. Es sei die Klage abzuweisen. 2. Es sei die Klägerin zu verpflichten, die Betreibung Nr. 123 des Regio- nalen Betreibungsamtes R. innen 10 Tagen ab Rechtskraft dieses Ur- teils zurückzuziehen, unter Androhung der Ungehorsamsstrafe i.S.v. Art. 292 StGB. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Klägerin " Zur Begründung führte der Beklagte zunächst aus, er habe sämtliche Da- teien korrekt erfasst und abgelegt und ausschliesslich persönliche Betriebs- unterlagen gelöscht. Eventualiter bestreitet er die Höhe der Aufwendungen. Weiter habe bezüglich des entzogenen Mandats B. gar keine vertragliche Verpflichtung seinerseits bestanden, tätig zu werden, weshalb er auch keine solche habe verletzen können. Mangels einer Vertragsverletzung könne er aber auch nicht für den durch den Entzug des Mandats entstan- den Schaden verantwortlich gemacht werden. Schliesslich bestritt der Be- klagte, während der Vertragsdauer Nebentätigkeiten nachgegangen zu sein sowie dass die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Genugtu- ung gegeben wären. 8.2. Mit Eingabe vom 26. Februar 2020 zog der Beklagte sein Rechtsbegehren Ziff. 2 zurück. 9. In der Replik vom 4. Mai 2020 bzw. der Duplik vom 16. Juni 2020 hielten die Parteien an ihren Rechtsbegehren und Begründungen fest. - 5 - 10. 10.1. Nachdem nicht beide Parteien gleichzeitig an einer Vergleichsverhandlung interessiert waren, überwies der Vizepräsident die Streitsache mit Verfü- gung vom 25. August 2020 an das Handelsgericht und gab die Zusammen- setzung des Gerichts bekannt. Zudem forderte der Vizepräsident die Par- teien auf, dem Handelsgericht schriftlich mitzuteilen, ob sie auf eine Haupt- verhandlung gänzlich verzichten (Art. 233 ZPO) bzw. alternativ auf die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung verzichten und dem Gericht beantragen, ihre Schlussvorträge schriftlich einzureichen (Art. 232 Abs. 2 ZPO). Stillschweigen innert Frist galt als Antrag auf Durchführung einer Hauptverhandlung. 10.2. Mit Eingabe vom 4. September 2020 erklärte der Beklagte seinen Verzicht auf die Durchführung einer Hauptverhandlung. Die Klägerin hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. 11. Mit Verfügung vom 11. September 2020 lud der Vizepräsident zur Haupt- verhandlung vor und erliess die Beweisverfügung. 12. Mit Noveneingabe vom 18. September 2020 führte der Beklagte aus, die V. AG habe die Klägerin erneut mandatiert, wobei in den beiden Stellenin- seraten A.T. (Verwaltungsratspräsident der Klägerin) als Mandatsverant- wortlicher angegeben werde. 13. 13.1. Am 20. November 2020 fand die Hauptverhandlung statt. Die Parteien hiel- ten ihre Schlussvorträge und konnten sich dabei je zwei Mal äussern. 13.2. Daraufhin zog sich das Handelsgericht zur Beratung zurück und fällte das Urteil. - 6 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen 1.1. Zuständigkeit 1.1.1. Örtliche Zuständigkeit Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist gegeben, da sich der Beklagte i.S.v. Art. 18 ZPO auf die vorliegende Streitigkeit einlässt. 1.1.2. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts i.S.v. Art. 6 Abs. 2 ZPO liegt vor, da beide Parteien im Handelsregister eingetragen und deren ge- schäftliche Tätigkeiten betroffen sind und die Streitigkeit gesamthaft einen Wert von über Fr. 30'000.00 hat. 1.2. Objektive Klagenhäufung Ist das gleiche Gericht für mehrere Ansprüche gegen dieselbe Partei sach- lich zuständig und die gleiche Verfahrensart anwendbar, kann die klagende Partei diese Ansprüche in einer Klage vereinen (Art. 90 ZPO). Gemäss Art. 93 Abs. 1 ZPO werden die Ansprüche für die Berechnung des Streit- werts zusammengerechnet, ausser sie schliessen sich gegenseitig aus. Zur Erstellung einer streitwertabhängigen sachlichen Zuständigkeit genügt es, wenn die so zusammengerechneten Ansprüche die Streitwertgrenze erreichen.1 Vorliegend sind keine Hinweise vorhanden, wonach die objektive Klagen- häufung der Klägerin unzulässig sein sollte. 1.3. Rechtsbegehren Ziff. 3 Mit ihrem Rechtsbegehren Ziff. 3 erhebt die Klägerin eine unbezifferte For- derungsklage. Zudem verlangt sie, dass der ihr im Falle der Gutheissung des Rechtsbegehrens Ziff. 3 zustehende Betrag vom Gericht nach Ermes- sen zu bestimmen sei (Klage Rz. 36). Die Klägerin unterlässt es allerdings, den von Art. 85 Abs. 1 ZPO verlangten Mindestwert anzugeben. 1.3.1. Unzulässige unbezifferte Forderungsklage Ein Rechtsbegehren muss so bestimmt formuliert sein, dass es bei Gut- heissung der Klage zum Urteil erhoben werden kann. Bei Begehren um Zahlung eines Geldbetrages bedeutet dies insbesondere, dass es zu bezif- fern ist (Art. 84 Abs. 2 ZPO). Gemäss Art. 85 Abs. 1 ZPO kann die kla- gende Partei allerdings eine unbezifferte Forderungsklage erheben, wenn es ihr unmöglich oder unzumutbar ist, die Forderung bereits zu Beginn des Prozesses zu beziffern. Sie muss dabei aber einen Mindestwert angeben, 1 BGE 142 III 788 E. 4.2.3. - 7 - der als vorläufiger Streitwert gilt.2 Zudem ist die klagende Partei gemäss Art. 85 Abs. 2 ZPO verpflichtet, die Bezifferung ihrer Forderung nachzuho- len, sobald sie nach Abschluss des Beweisverfahrens oder nach Aus- kunftserteilung durch die beklagte Partei dazu in der Lage ist. Die Klägerin hat in ihrem Rechtsbegehren Ziff. 3 keinen Mindestwert ange- geben und dies auch nicht im Verlauf des Prozesses nachgeholt. Sie macht auch nicht geltend, dass dies für sie unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Vielmehr spricht sie selber die Berechnungsgrundlage an, auf deren Basis ihr die Festlegung eines Mindestwerts möglich gewesen wäre, indem sie festhält, die Nebentätigkeiten des Beklagten müssten mehr als 30 % seiner Gesamttätigkeiten ausgemacht haben (Klage Rz. 36). Welchem Mindestumsatz aus Nebentätigkeiten dies entsprechen würde, von dem sie wiederum behauptet, 10 % zu Gute zu haben (Klage Rz. 33), hätte sie ba- sierend auf ihren Erfahrungswerten mit den Umsätzen der anderen Partner des Partnernetzwerks folglich zumindest abschätzen können. Da sie hierzu jedoch keine Behauptungen aufstellt, ist diese Schätzung dem Gericht nicht möglich und ein Mindestwert lässt sich auch weder den Ausführungen in der Klage noch in der Replik entnehmen. Da der Wortlaut von Art. 85 Abs. 1 ZPO eindeutig und die Klägerin zudem anwaltlich vertreten ist, findet die richterliche Fragepflicht (Art. 56 ZPO) be- züglich des Mindestwerts vorliegend keine Anwendung.3 Zudem stellt die Klägerin wiederholt die Bezifferung ihres Anspruchs ausdrücklich in das Er- messen des Gerichts (Rechtsbegehren Ziff. 3, Klage Rz. 36). Sie setzte sich folglich mit dem Problem der Bezifferung auseinander, ging aber da- von aus, in einem solchen Fall könne diese ganz unterbleiben bzw. an das Gericht delegiert und damit auch auf die Angabe eines Mindestwerts ver- zichtet werden. Entsprechend stellt die fehlende Angabe eines Mindest- werts auch kein Versehen und damit keinen Mangel dar, der mit den in Art. 132 ZPO genannten Mängeln vergleichbar wäre, weshalb der Klägerin auch keine Nachfrist zur Verbesserung anzusetzen ist.4 Das klägerische Rechtsbegehren Ziff. 3 erfüllt die formellen Anforderungen an eine unbezifferte Forderungsklage gemäss Art. 85 Abs. 1 ZPO nicht, weshalb bereits deshalb darauf nicht einzutreten ist. 1.3.2. Unzulässige reine Ermessensklage Die klagende Partei ist nicht nur vorläufig, sondern gänzlich davon befreit, ihre Forderung zu beziffern, sofern ihre Klage die Anforderungen von 2 Vgl. BGE 142 III 102 E. 3, 140 III 409 E. 4.3.1; BGer 4A_502/2019 vom 15. Juni 2020 E. 5; GUT, Die unbezifferte Forderungsklage nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2014, S. 52 f. 3 Vgl. zur nachträglichen Bezifferung des Rechtsbegehrens BGer 4A_375/2015 vom 26. Januar 2016 E. 7.1 (nicht publ. in BGE 142 III 102). Siehe auch BGer 4A_502/2019 vom 15. Juni 2020 E. 7.1. 4 BGE 137 III 617 E. 6.4; BGer 4A_375/2015 vom 26. Januar 2016 E. 7.2 (nicht publ. in BGE 142 III 102). - 8 - Art. 85 Abs. 1 ZPO erfüllt und sich zudem auf eine Norm im materiellen Bundesrecht stützen kann, welche die Feststellung des Bestehens eines Anspruchs oder dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts stellt.5 Sie er- hebt in diesem Fall eine sogenannte "reine Ermessensklage".6 Derartige Ermessenstatbestände des Bundesrechts stellen Ausnahmen von der aus der Dispositionsmaxime fliessenden Pflicht der Parteien dar, im Rechtsbe- gehren genau angeben zu müssen, was sie beantragen und sind für Fälle konzipiert, in denen eine Bezifferung der Forderung auch nach einem all- fälligen Beweisverfahren unmöglich ist.7 Als Ermessenstatbestand käme vorliegend einzig Art. 42 Abs. 2 OR in Frage.8 Andere mögliche Ermessenstatbestände sind weder ersichtlich noch werden solche von der Klägerin aufgeführt. Die generelle Zulässigkeit einer reiner Ermessensklage in Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR ist in der Lehre umstritten.9 Die Befürworter der generellen Zulässigkeit gehen mehr- heitlich davon aus, dass die mit der Anwendbarkeit von Art. 42 Abs. 2 OR verbundene Unsicherheit die Entbindung von der Pflicht zur Bezifferung ei- nes Anspruchs und damit eine reine Ermessensklage bedinge.10 Allerdings erleichtert Art. 42 Abs. 2 OR nur den Nachweis eines Schadens und ist auf Fälle ausgerichtet, in denen ein strikter, ziffernmässiger Nachweis für einen Schaden gar nicht oder zumindest nicht auf zumutbare Art und Weise er- bracht werden kann, also eine besondere "Beweisnot" besteht.11 Art. 42 Abs. 2 OR gibt dem Ansprecher jedoch kein materielles Recht, wonach das Gericht ihm nach eigenem Ermessen eine Schadenersatzforderung zu- spricht, sondern handelt bloss vom richterlichen Ermessen bei der Feststel- lung eines einzelnen Tatbestandsmerkmals – der Höhe des Schadens.12 Gibt Art. 42 Abs. 2 OR dem vermeintlich Geschädigten daher kein Recht, die Folgen einer widerrechtlichen Schädigung vom Gericht nach dessen Ermessen festsetzen zu lassen, kann diese Bestimmung auch keine Grundlage für eine reine Ermessensklage darstellen. Weder Sinn noch Zweck von Art. 42 Abs. 2 OR sprechen dafür, gestützt auf diese Norm eine reine Ermessensklage zuzulassen. Das Bundesgericht 5 BSK ZPO-DORSCHNER, 3. Aufl. 2017, Art. 85 N. 29 und 32; FÜLLEMANN, in: Brunner/Gas- ser/Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO), Kommentar, 2. Aufl. 2016, Art. 85 N. 7; GUT (Fn. 2), S. 198. 6 BSK ZPO-DORSCHNER (Fn. 5), Art. 85 N. 29. 7 BSK ZPO-DORSCHNER (Fn. 5), Art. 85 N. 29; BK ZPO I-MARKUS, 2012, Art. 85 N. 6 ff. Siehe auch BGer 4A_502/2019 vom 15. Juni 2020 E. 7.2. 8 BGE 143 III 297 E. 8.2.5.2, 131 III 243 E. 5.1. 9 Ablehnend BAUMANN WEY, Die unbezifferte Forderungsklage nach Art. 85 ZPO, 2013, S. 123 f.; FREY, Die Ermittlung des Schadens und anderer quantifizierbarer Werte im Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 2 OR, 2017, S. 219 f. und 224 f. Bejahend BSK ZPO-DORSCHNER (Fn. 5), Art. 85 N. 34; BK ZPO I-MARKUS (Fn. 7), Art. 85 N. 7; GUT (Fn. 2), S. 188. 10 Vergleiche illustrativ dazu GUT (Fn. 2), S. 188. 11 BGE 144 III 155 E. 2.3; BGer 4A_6/2019 vom 19. September 2019 E. 4.3, 4A_/127/2011 vom 12 Juli 2011 E. 6.3; FREY (Fn. 9), S. 129 f. 12 BGE 143 III 297 E. 8.2.5.2. - 9 - lehnt denn auch die Anwendung der vorläufigen Entbindung von der Bezif- ferungspflicht auf andere Klagearten als die in Art. 85 ZPO vorgesehenen Formen der Stufenklage und der unbezifferten Klage im engeren Sinn ab, dies mit Hinweisen auf die Verfügbarkeit anderer prozessualer Mittel, die die Risiken für den Kläger minimieren.13 Die von Art. 42 Abs. 2 OR ver- langte Beweisnot schliesst die Bezifferbarkeit des Anspruchs gerade nicht aus.14 Eine Partei kann sich folglich nicht einfach auf Art. 42 Abs. 2 OR stützen und die Bezifferung in das Ermessen des Gerichts stellen, bloss, weil ihr ein Beweismittel fehlt. Demnach muss auch im Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 2 OR der Grundsatz gelten, dass ein Anspruch sobald und soweit möglich betragsmässig zu beziffern ist, sofern dies nicht ausnahms- weise durch dessen Natur gänzlich ausgeschlossen oder unzumutbar ist.15 Schliesslich hätte die Klägerin gar keine genügend substantiierten Anhalts- punkte für eine Schadensschätzung gemäss Art. 42 Abs. 2 OR geliefert. Insbesondere wäre es ihr zumutbar gewesen, ihren Anspruch mindestens der Grössenordnung nach aufzuzeigen,16 verfügt sie doch gestützt auf ihre Zusammenarbeit mit anderen Partnern über Erfahrungswerte betreffend deren durchschnittlichen Verdienste und hätte sie gestützt darauf zumin- dest Anhaltspunkte liefern können, die eine Eingrenzung des Anspruchs ermöglicht hätten. 1.3.3. Zwischenfazit Auf das klägerische Rechtsbegehren Ziff. 3 kann nicht eingetreten werden. 2. Verhandlungsmaxime Vorliegend gilt die Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO). Auf die sich daraus ergebenden Obliegenheiten der Parteien ist vorab einzugehen: 2.1. Behauptungslast Gemäss Art. 55 Abs. 1 ZPO haben die Parteien dem Gericht die Tatsa- chen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzugeben. Den Prozessparteien obliegt die Behauptungslast.17 Die Auf- teilung der Behauptungslast zwischen den Parteien folgt der Beweislast- verteilung nach Art. 8 ZGB.18 Somit trägt die Behauptungslast für rechtser- zeugende Tatsachen, wer ein Recht oder Rechtsverhältnis behauptet; für rechtsaufhebende Tatsachen, wer die Aufhebung oder den Untergang ei- nes Rechts behauptet (z.B. Verwirkung, Erlass etc.) und für rechtshin- dernde Tatsachen, wer sich darauf beruft (z.B. Verjährung, Stundung 13 BGE 142 III 102 E. 5.1 und 5.4. 14 BAUMANN WEY (Fn. 9), S. 123 f.; FREY (Fn. 9), S. 219 f. und 224 f. 15 BSK ZPO-DORSCHNER (Fn. 5), Art. 85 N. 33. 16 Vgl. HGer ZH, HG090209-O vom 26. Juni 2012 E. 3.2.7. 17 Vgl. BGer 5A_83/2019 vom 23. Juli 2019 E. 4, 4A_264/2015 vom 10. August 2015 E. 4.2.2; SCHNEUWLY, Lange Rechtsschriften – Wieso? Und was tun?, Anwaltsrevue 2019, S. 444. 18 BGE 132 III 186 E. 4; BGer 5A_808/2018 vom 15. Juli 2019 E. 4.2. - 10 - etc.).19 Dementsprechend hat das Bestehen einer vertraglichen Verpflich- tung zu behaupten, wer einen vertraglichen Anspruch erhebt.20 Eine Tatsachenbehauptung hat nicht alle Einzelheiten zu enthalten; es ge- nügt, wenn die Tatsachen, die unter die das Begehren stützenden rechtli- chen Normen zu subsumieren sind, in einer den Gewohnheiten des Lebens entsprechenden Weise in ihren wesentlichen Zügen oder Umrissen be- hauptet werden.21 Was offensichtlich in anderen, ausdrücklich vorgebrach- ten Parteibehauptungen enthalten ist, muss nicht explizit behauptet werden (sog. implizite bzw. mitbehauptete Tatsachen).22 Blosse Mutmassungen stellen jedoch keine rechtsgenüglichen Tatsachenbehauptungen dar.23 Ist ein Tatsachenvortrag im erwähnten Sinne vollständig, so wird er als schlüs- sig bezeichnet, da er bei Unterstellung, er sei wahr, den Schluss auf die anbegehrte Rechtsfolge zulässt.24 Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich in den Rechtsschriften aufzu- stellen (Art. 221 Abs. 1 lit. d und Art. 222 Abs. 2 Satz 1 ZPO).25 Der bloss pauschale Verweis auf Beilagen genügt in aller Regel nicht.26 Durch einen Verweis auf Urkunden können Sachverhaltselemente jedoch ausnahms- weise als behauptet gelten, wenn es überspitzt formalistisch wäre, eine Übernahme des Urkundeninhalts in die Rechtsschrift zu verlangen. Die Zu- lässigkeit des Verweises bedingt, dass die Partei die Tatsachen in ihren wesentlichen Zügen in der Rechtsschrift behauptet.27 Aus dem in der Rechtsschrift aufzuführenden Verweis muss zudem für das Gericht und die Gegenpartei klar ersichtlich sein, dass Informationen aus einem Aktenstück zum Tatsachenfundament erhoben werden sollen. Weiter hat die Rechts- schrift ein spezifisches Aktenstück zu nennen und es muss ersichtlich sein, welche Teile des Aktenstücks als Parteibehauptung gelten sollen.28 Weil ein Verweis auf Akten nicht dazu führen darf, dass die Gegenpartei und das Gericht die relevanten Tatsachen aus der Beilage selbst zusammensuchen 19 SUTTER-SOMM/SCHRANK, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 55 N. 18. 20 BGE 128 III 271 E. 2a/aa; weitergehend ZK ZGB-JUNGO, 3. Aufl. 2018, Art. 8 N. 387. 21 BGE 136 III 322 E. 3.4.2; BGer 4A_280/2019 vom 14. Oktober 2019 E. 4.1. 22 BGE 144 III 519 E. 5.3; BGer 4A_243/2018 vom 17. Dezember 2018 E. 4.2.1 m.w.N.; JOSI, Be- haupten, Bestreiten und Beweisen – praktische Fragen im Lichte der bundesgerichtlichen , in: Markus/Eichel/Rodriguez (Hrsg.), Der handelsgerichtliche Prozess, Chancen und Gefahren – national und international, 2019, S. 80. 23 BGer 4A_667/2014 vom 12. März 2015 E. 3.2.2. 24 BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.1 m.w.N.; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.1; SCHNEUWLY (Fn. 17), S. 445. 25 BGE 144 III 519 E. 5.2.1; 144 II 67 E. 2.1; BRUGGER, Der Verweis auf Beilagen in Rechtsschriften, SJZ 2019, S. 534; JOSI (Fn. 22), S. 60. 26 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.1 m.w.N.; JOSI (Fn. 22), S. 61. 27 Vgl. BGer 4A_398/2018 vom 25. Februar 2019 E. 10.4.1; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; BRUGGER (Fn. 25), S. 535 f. 28 BGE 144 III 519 E. 5.2.1.2; BGer 4A_535/2018 vom 3. Juni 2019 E. 4.2.1; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; eingehend BRUGGER (Fn. 25), S. 536 ff. - 11 - müssen, muss auf die fragliche Information bzw. Tatsache problemlos zu- gegriffen werden können und es darf kein Interpretationsspielraum beste- hen.29 Ein problemloser Zugriff ist gewährleistet, wenn eine Beilage selbst- erklärend ist und genau die verlangten (bzw. in der Rechtsschrift bezeich- neten) Informationen enthält. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kann ein Verweis nur genügen, wenn die Beilage in der Rechtsschrift derart konkretisiert und erläutert wird, dass die Informationen ohne weiteres zu- gänglich werden und nicht interpretiert und zusammengesucht werden müssen.30 Die in der Praxis beliebten Pauschalverweise auf eingereichte Akten bzw. die allgemeine Erklärung, diese würden "integrierenden Be- standteil" der Rechtsschrift bilden, stellen deshalb keine hinreichenden Be- hauptungen dar bzw. können fehlende Behauptungen nicht ersetzen.31 2.2. Bestreitungslast Die Kehrseite der Behauptungslast ist die sog. Bestreitungslast: Bestreitet eine Partei eine Tatsachenbehauptung ihres Gegners nicht, gilt diese als unbestritten und die betreffende Tatsache kann dem Entscheid ohne wei- teres zugrunde gelegt werden, da über nicht bestrittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO).32 Art. 222 Abs. 2 ZPO verlangt von der beklagten Partei, darzulegen, welche Tatsa- chenbehauptungen der klagenden Partei im Einzelnen anerkannt oder be- stritten werden. Es ist deshalb empfehlenswert, die Tatsachenbehauptun- gen der Klägerin detailliert, d.h. Punkt für Punkt zu bestreiten.33 Bestreitun- gen sind dabei so konkret zu halten, dass sich bestimmen lässt, welche einzelnen Behauptungen damit bestritten werden; die Bestreitung muss ih- rem Zweck entsprechend so bestimmt sein, dass die Gegenpartei weiss, welche einzelne Tatsachenbehauptung sie beweisen muss. Pauschale Be- streitungen reichen indessen selbst dann nicht aus, wenn sie explizit erfol- gen. Erforderlich ist eine klare Äusserung, dass der Wahrheitsgehalt einer bestimmten gegnerischen Behauptung infrage gestellt wird.34 Auch ein im- plizites Bestreiten genügt unter diesen Voraussetzungen den Anforderun- gen der rechtsgenügenden Bestreitung.35 29 BGer 4A_535/2018 vom 3. Juni 2019 E. 4.4.2; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.2 f. 30 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.3; einge- hend BRUGGER (Fn. 25), S. 538 ff. 31 BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 55 N. 21 m.w.N.; BRUGGER (Fn. 25), S. 540 Fn. 50 m.w.N. 32 BK ZPO I-HURNI (Fn. 31), Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO; JOSI (Fn. 22), S. 57. 33 Ähnlich DROESE, Bestreitungsbedürftige Beilagen – ein Hinweis zur bundesgerichtlichen Speise- karte, Note zu Urteil 4A_11/2018, SZZP 2019, S. 19. 34 BGE 141 III 433 E. 2.6; BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.3; SCHNEUWLY (Fn. 17), S. 445 f. 35 SCHMID/HOFER, Bestreitung von neuen Tatsachenbehauptungen in der schriftlichen Duplik, ZZZ 2016, S. 285 m.w.N. - 12 - 2.3. Substantiierungslast Bestreitet aber der Prozessgegner den schlüssigen Tatsachenvortrag der behauptungsbelasteten Partei in rechtsgenüglicher Weise, so greift eine über die Behauptungslast hinausgehende Substantiierungslast. Die Vor- bringen sind diesfalls nicht nur in den Grundzügen, sondern in Einzeltatsa- chen zergliedert so umfassend und klar darzulegen, dass darüber Beweis abgenommen oder dagegen der Gegenbeweis angetreten werden kann.36 Das Beweisverfahren darf nicht dazu dienen, ein ungenügendes Parteivor- bringen zu vervollständigen.37 Der nicht oder nicht substantiiert vorge- brachte Sachverhalt ist im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime dem nicht bewiesenen Sachverhalt gleichzusetzen.38 2.4. Bezeichnung der Beweismittel Die Parteien haben im Rahmen der Verhandlungsmaxime die einzelnen Beweismittel zu bezeichnen (vgl. Art. 221 Abs. 1 lit. e ZPO, wonach die Klage die Tatsachenbehauptungen sowie die Bezeichnung der einzelnen Beweismittel zu den behaupteten Tatsachen zu enthalten hat). Dazu gehört auch, dass aus dem Zusammenhang klar wird, inwiefern die angerufenen Beweismittel den angestrebten Beweis erbringen sollen. Es genügt nicht, in der Klage Behauptungen aufzustellen und pauschal auf die Klagebeila- gen zu verweisen.39 Ein Beweismittel ist nur dann formgerecht angeboten, wenn sich die Beweisofferte eindeutig der damit zu beweisenden Tatsa- chenbehauptung zuordnen lässt und umgekehrt.40 Deshalb sind die einzel- nen Beweisofferten unmittelbar im Anschluss an die entsprechenden Tat- sachenbehauptungen aufzuführen, welche durch sie bewiesen werden sol- len ("Prinzip der sog. Beweismittelverbindung").41 Es ist hingegen unzu- reichend, einen ganzen Sachverhaltskomplex zu behaupten und lediglich pauschal auf eine Vielzahl von Urkunden oder eine Anzahl Zeugen zu ver- weisen.42 Bei umfangreichen Urkunden ist zudem die für die Beweisführung erhebliche Stelle zu bezeichnen (Art. 180 Abs. 2 ZPO).43 36 BGE 144 III 519 E. 5.2.1.1; BGer 4A_280/2019 vom 14. Oktober 2019 E. 4.1. 37 DOLGE, Anforderungen an die Substanzierung, in: Dolge (Hrsg.), Substantiieren und Beweisen, 2013, S. 21; JOSI (Fn. 22), S. 86; vgl. auch BGE 108 II 337 E. 3. 38 BGer 4A_210/2009 vom 7. April 2010 E. 3.2; KUKO ZPO-OBERHAMMER, 2. Aufl. 2013, Art. 55 N. 12; ähnlich JOSI (Fn. 22), S. 62. 39 BGer 4A_195/2014 und 4A_197/2014 vom 27. November 2014 E. 7.3.3 m.w.N. (nicht publ. in BGE 140 III 602). 40 BGer 4A_291/2018 vom 10. Januar 2019 E. 4.4.2; 4A_370/2016 vom 13. Dezember 2016 E. 3.3 m.w.N. 41 BK ZPO II-KILLIAS, 2012, Art. 221 N. 29; PAHUD, in: Brunner/Gasser/Schwander (Fn. 5), Art. 221 N. 16 ff.; BRUGGER (Fn. 25), S. 537. 42 BK ZPO II-KILLIAS (Fn. 41), Art. 221 N. 29; JOSI (Fn. 22), S. 86; ähnlich BGer 4A_360/2017 vom 30. November 2017 E. 4. 43 BK ZPO II-RÜETSCHI, 2012, Art. 180 N. 17 ff.; WEIBEL, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 19), Art. 180 N. 10 ff., m.w.N. - 13 - 3. Novenrecht Noven sind nach dem Aktenschluss nur noch zulässig, wenn sie ohne Ver- zug vorgebracht werden und entweder erst nach dem Aktenschluss ent- standen (echte Noven) oder bereits zuvor entstanden sind aber trotz zu- mutbarer Sorgfalt nicht vorher vorgebracht werden konnten (unechte No- ven) (Art. 229 Abs. 1 ZPO). Soweit die Parteien in ihren Schlussvorträgen neue Tatsachen und Beweis- mittel vortrugen (vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom 20. November 2020), erläutern sie nicht und ist nicht ersichtlich, dass diese erst nach dem zweiten Schriftenwechsel entstanden wären bzw. trotz zumutbarer Sorgfalt nicht bereits vorher hätten vorgebracht werden können. Nachdem der Schriftenwechsel mit Erstattung der Duplik vom 16. Juni 2020 abgeschlos- sen war, wären die Noven an der Hauptverhandlung vom 20. November 2020 zudem nicht ohne Verzug, wofür praxisgemäss eine Frist von 10 Ta- gen gilt (vgl. das den Parteien mit Verfügung vom 6. Januar 2020 zuge- stellte Merkblatt des Handelsgerichts), vorgebracht worden und damit ver- spätet. Es erübrigt sich daher auf an der Hauptverhandlung vom 20. No- vember 2020 vorgetragene neue Tatsachen und Beweismittel einzugehen. Davon ausgenommen ist die Noveneingabe des Beklagten vom 18. Sep- tember 2020, worin der Beklagte ausführt, die V. AG habe die Klägerin er- neut für die Besetzung einer Stelle in B. mandatiert. Das entsprechende Stelleninserat wurde am 17. September 2020 ausgedruckt. Es handelt sich deshalb um ein echtes Novum, das ohne Verzug vorgebracht wurde (vgl. auch Beilage der Eingabe des Beklagten vom 18. September 2020). Die Beklagte trägt jedenfalls nichts Gegenteiliges vor (Protokoll der Hauptver- handlung vom 20. November 2020, Anhang 1 S. 16). 4. Anspruch auf entgangenes Honorar 4.1. Parteibehauptungen 4.1.1. Klägerin Die Klägerin behauptet, sie und der Beklagte hätten betreffend die Beset- zung von je einer Vakanz in den Filialen der V. AG in W. und S. eine Leis- tungsvereinbarung (KB 4) abgeschlossen, welche der Beklagte durch Un- tätigkeit verletzt habe (Klage Rz. 14 und 17 f.). Insbesondere hätte der Be- klagte am 31. Oktober 2018 gemäss Leistungsvereinbarung (KB 4) zehn bis zwölf vollständige Kandidatendossiers vorlegen müssen, bis zum 10. Januar 2019 habe er jedoch nur ein vollständiges Dossier vorgelegt. Weiter behauptet sie, diese Leistungsvereinbarung (KB 4) sei auch bezüg- lich der Besetzung von zwei Vakanzen in der Filiale der V. AG in B. zur Anwendung gelangt, worauf sich die Parteien mündlich geeinigt hätten (Klage Rz. 16, Replik "Zu 14"). Auch bei der Besetzung dieser Vakanzen sei die Leistungsvereinbarung (KB 4) vom Beklagten durch Untätigkeit ver- letzt worden (Klage Rz. 17 ff.). Diese Verletzungen der beiden Leistungs- vereinbarungen seien kausal dafür gewesen, dass die Klägerin das Mandat - 14 - betreffend die Besetzung von drei Vakanzen in B. nur für eine Stelle erfüllen konnte und es ihr für die zwei anderen Stellen wieder entzogen worden war (Klage Ziff. 19 und 27). Damit sei ihr das bei Besetzung aller Vakanzen zusätzlich geschuldete Honorar in der Höhe von Fr. 40'000.00 entgangen und ihr in dieser Höhe ein Schaden entstanden (Klage Rz. 26). 4.1.2. Beklagter Der Beklagte gesteht das Bestehen einer Leistungsvereinbarung (KB 4) zwischen ihm und der Klägerin für die beiden Vakanzen in W. und S. zu, behauptet jedoch, diese erfüllt zu haben, insbesondere durch die Kontak- tierung von mehr als 250 Personen über XING (Antwort "Zu 17" sowie "Zu 17 bis 19"). Weiter bestreitet er, dass bezüglich des Mandats der Klä- gerin für die Vakanzen in B. überhaupt eine Leistungsvereinbarung und da- mit seinerseits eine vertragliche Pflicht bestanden habe, tätig zu werden (Antwort "Zu 17 bis 19"). Insbesondere sei sein Verhalten für einen allfälligen im Zusammenhang mit den Mandaten der V. AG entstandenen Schaden nicht kausal gewesen, da von den 250 kontaktierten potentiellen Kandidaten keiner geeignet bzw. in- teressiert gewesen sei (Antwort "Zu 17" und "Zu 26" f.). Er habe damit ge- tan, was möglich gewesen sei und die Stellen wären auch nicht schneller zu besetzen gewesen, hätte er noch mehr gemacht. Betreffend das Mandat B. schliesse zudem die fehlende Leistungsvereinbarung aus, dass er über- haupt hätte tätig werden müssen, und eine Haftung könne diesbezüglich somit bereits ohne Prüfung der Kausalität ausgeschlossen werden (Antwort "Zu 26" f.). Für den Fall, dass er doch für den Schaden verantwortlich ge- macht würde, bringt der Beklagte vor, gemäss Leistungsvereinbarung (KB 4) hätte er selber einen Anspruch auf 40 % des zusätzlichen Honorars gehabt, womit ein allfälliger Schaden der Klägerin nur maximal Fr. 24'000.00 betragen könne (Antwort "Zu 26"). 4.2. Rechtliches 4.2.1. Vertragsverletzung Besteht ein Vertrag, kann jedoch die Erfüllung der darin festgehaltenen Verbindlichkeiten überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden (Ver- tragsverletzung), so hat der Schuldner für den daraus kausal entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Ver- schulden zur Last falle (Art. 97 Abs. 1 OR). Als positive Vertragsverletzung werden dabei alle Verletzungen vertragli- cher Verpflichtungen bezeichnet, die sich weder dem Verzug noch der Nichterfüllung zuordnen lassen.44 Auch die Verletzung von Nebenpflichten 44 BSK OR I-WIEGAND, 7. Aufl. 2020, Art. 97 N. 25. - 15 - qualifiziert als positive Vertragsverletzung.45 Das Verschulden des Beklag- ten wird vermutet.46 4.2.2. Schaden Schaden ist eine unfreiwillige Vermögensminderung, die in der Verminde- rung der Aktiven, der Vermehrung der Passiven oder im entgangenen Ge- winn bestehen kann. Die unfreiwillige Vermögensminderung entspricht der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand und dem hypo- thetischen Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte (sog. Differenztheorie).47 Die Schadenersatzbemessung unterliegt dem Recht der unerlaubten Handlung (Art. 99 Abs. 3 OR).48 Der Nachweis der Schadenshöhe obliegt dem Geschädigten (Art. 42 Abs. 1 OR). Es gilt der Grundsatz der Totalre- paration, wonach alle vermögenswerten Nachteile zu ersetzen sind. Um- gekehrt hat der Geschädigte keinen Anspruch auf einen Ersatz, der den eingetretenen Schaden übersteigt. Die effektive Höhe des Schadens be- grenzt den Schadenersatzanspruch nach oben (sog. Bereicherungsver- bot).49 Wegen des Bereicherungsverbots hat sich der Geschädigte diejeni- gen Vermögensvorteile anrechnen zu lassen, die mit dem schädigenden Ereignis in einem inneren Zusammenhang stehen.50 Zusätzlich trifft den Geschädigten die Obliegenheit, alle nach Treu und Glauben zumutbaren Massnahmen zu ergreifen, die zur Verminderung des Schadens geeignet sind (sog. Schadenminderungsobliegenheit). Eine Unterlassung führt zu ei- ner Reduktion der Schadenersatzpflicht. In diesem Fall ist nur derjenige Schaden zu ersetzen, der entstanden wäre, wenn der Geschädigte seiner Schadenminderungsobliegenheit nachgekommen wäre.51 Der Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses richtet sich auf die Her- beiführung des Vermögensstandes, in dem sich der Geschädigte befände, wenn der Vertrag richtig erfüllt worden wäre. Dazu gehören je nach den Umständen insbesondere folgende Schadenspositionen: Wert der verspro- chenen Leistung, die mit der Nichterfüllung bzw. der nicht gehörigen Erfül- lung direkt verbundenen Kosten (damnum emergens) und der entgangene Gewinn (lucrum cessans).52 45 BSK OR I-WIEGAND (Fn. 44), Art. 97 N. 32. 46 Vgl. HUGUENIN, Obligationenrecht, 3. Aufl. 2019, N. 857. 47 BSK OR I-WIEGAND (Fn. 44), Art. 97 N. 38 ff.; GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, Schweizerisches Obli- gationenrecht, Allgemeiner Teil, Band II, 10. Aufl. 2014, N. 2848 je m.w.N. 48 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 47), N. 2906. 49 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 47), N. 2912 m.w.N. 50 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 47), N. 2914. Ausführlich zur Vorteilsanrechnung: BK OR- BREHM, 4. Aufl. 2013, Art. 42 N. 27 ff. 51 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 47), N. 2916. 52 BK OR-WEBER, 2000, Art. 107 N. 201; BSK OR I-WIEGAND (Fn. 44), Art. 97 N. 38a; GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 47), N. 2898. - 16 - Die Partei, die Ersatz für einen Schaden fordert, muss Letzteren so konkret wie möglich beweisen.53 Entstand der Schaden aus einem Vertragsverhält- nis der fordernden Partei mit einem Dritten, welches sie aufgrund des schä- digenden Verhaltens selber nicht korrekt erfüllen konnte, gilt Folgendes: Ist erstellt, dass die fordernde Partei ihre eigene Leistung dem Dritten gegen- über bereits vollständig erbracht hat, so kann sie im Sinne des positiven Schadens Ersatz für den vollen Umsatz – und nicht nur ihre Nettogewinn- marge – aus dem Vertrag mit dem Dritten verlangen.54 Hat sie hingegen ihre Leistung noch nicht vollständig erbracht, muss sie von ihrer Forderung in Abzug bringen, was sie an hypothetischen Aufwendungen eingespart hat.55 Ihr steht in diesem Fall nur die Nettogewinnmarge zu.56 4.2.3. Kausalzusammenhang Zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Dieser setzt den natürlichen Kausalzu- sammenhang voraus. Natürliche Kausalität bedeutet, dass eine Ursache eine conditio sine qua non eines Erfolges ist. Das fragliche Verhalten darf nicht weggedacht werden können, ohne dass auch der eingetretene Erfolg entfiele. Adäquat kausal ist der Zusammenhang dann, wenn die schädi- gende Handlung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemei- nen Lebenserfahrung geeignet ist, den entstandenen Schaden herbeizu- führen.57 Bei Unterlassungen fehlt es naturgemäss an einem natürlichen Kausalzu- sammenhang in diesem Sinn.58 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist in diesen Fällen ein hypothetischer Kausalverlauf zu ermitteln.59 Dieser ist erstellt, sofern das Gericht gestützt auf Beweismittel sowie die allge- meine Lebenserfahrung zum Schluss gelangt, dass der eingetretene Scha- den bei recht- bzw. vertragsgemässem Handeln mit überwiegender Wahr- scheinlichkeit hätte vermieden werden können.60 Da damit bereits bei der Feststellung der hypothetischen Kausalität wertende Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, ist diese in der Regel nicht zusätzlich auf ihre Adä- quanz hin zu überprüfen.61 4.2.4. Verschulden Das Verschulden hat eine subjektive und eine objektive Komponente. Sub- jektiv schuldhaft ist das Verhalten einer urteilsfähigen Person, die fähig ist, die schädigenden Auswirkungen ihres Verhaltens zu erkennen. Objektiv 53 BGE 144 III 155 E. 2.3. 54 BGer 4C.225/2006 vom 20. September 2006 E. 2.4. 55 BGer 4C.225/2006 vom 20. September 2006 E. 2.4 f. 56 BGer 4C.225/2006 vom 20. September 2006 E. 2.4 f.; BSK OR I-WIEGAND (Fn. 44), Art. 97 N. 38a. 57 BSK OR I-WIEGAND (Fn. 44), Art. 97 N. 41, m.w.N. 58 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 47), N. 2950. 59 BGE 132 III 715 E. 2.3; GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 47), N. 2950 f. 60 BGE 132 III 715 E. 2.3 und 3.2. 61 BGE 132 III 715 E. 2.3. - 17 - schuldhaft ist ein Verhalten, das vom unter den konkreten Umständen an- gebrachten Durchschnittsverhalten abweicht. Das abweichende Verhalten, d.h. die Vertragsverletzung, kann gewollt (Vorsatz, Absicht), in Kauf ge- nommen (Eventualvorsatz) oder sorgfaltswidrig (Fahrlässigkeit) sein.62 4.3. Würdigung Vorab ist zu erwähnen, dass die Klägerin zwar behauptet, der Beklagte habe seine vertraglichen Pflichten in Bezug auf das Mandat der V. AG für W. und S. verletzt, daraus aber keinen Schadenersatz geltend macht. Viel- mehr wird der Schadenersatzanspruch einzig aus dem Mandat der V. AG für B. hergeleitet. Vor diesem Hintergrund behauptet die Klägerin, sie und der Beklagte hät- ten sich mündlich darauf geeinigt, die Leistungsvereinbarung betreffend das Mandat der V. AG für W. und S. (KB 4) solle auch für die Besetzung von zwei der drei Vakanzen in der Filiale der V. AG in B. zur Anwendung kommen (Klage Rz. 16). Der Beklagte bestreitet dies (Antwort "Zu 17 bis 19"). Aufgrund der ihr obliegenden Beweislast hätte folglich die Klägerin substantiiert behaupten müssen (vgl. oben E. 2.3), wie die mündliche Aus- dehnung der Leistungsvereinbarung für die Besetzung von zwei der drei Vakanzen in der Filiale der V. AG in B. zustande gekommen sein soll. Das hat die Klägerin jedoch unterlassen. Da die Klägerin bereits mangels sub- stantiierten Behauptungen nicht beweisen kann, dass bezüglich der Beset- zung der zwei Vakanzen in B. eine vertragliche Verpflichtung des Beklagten im Sinne der Leistungsvereinbarung bestanden hatte, ist das Bestehen ei- ner solchen und damit auch eine Vertragsverletzung durch den Beklagten im Mandat B. zu verneinen. Rechtsbegehren Ziff. 1 ist deshalb bereits aus diesem Grund abzuweisen. Unabhängig einer behaupteten Vertragsverletzung des Beklagten, hat es die Klägerin auch unterlassen, ihren geltend gemachten Schaden substan- tiiert zu behaupten: Es blieb zwar unbestritten, dass der Klägerin durch den Entzug des Mandats für zwei Vakanzen in B. ein Honorar von Fr. 40'000.00 entgangen ist. Es obliegt aber der Klägerin, ihren Schaden so konkret wie möglich zu behaupten, zu substantiieren und zu beweisen. Die Klägerin hätte daher aufzeigen müssen, welche Kosten ihr in Erfüllung des Mandats B. für die zwei offenen Vakanzen angefallen wären, wenn sie ihren Auftrag erfüllt hätte. Da sie ihre Leistung gegenüber der V. AG nicht erfüllt hat, kann sie nur den entgangenen Gewinn und nicht den gesamten verlorenen Um- satz als Schadenersatz einfordern. Zudem war A.T. (Verwaltungsratspräsi- dent der Klägerin) gemäss der Leistungsvereinbarung Projektleiter und hätte die Dossiers an die V. AG weiterleiten müssen sowie den direkten Kontakt mit dieser sicherzustellen gehabt (Abs. 3 der Leistungsvereinba- rung [KB 4]; Duplik "Zu 17 bis 19"). Die Klägerin behauptet nirgends jene 62 GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER (Fn. 47), N. 2963. - 18 - Kosten, die ihr hierfür angefallen und die vom Umsatz (Honorar von Fr. 40'000.00) noch abzuziehen wären. Zu den hypothetischen Kosten der Klägerin wäre auch noch der Honoraranteil des Beklagten (40 %) zu zäh- len, den die Klägerin diesem für seine Projektunterstützung zu leisten ge- habt hätte. Vor diesem Hintergrund bleibt es für das Handelsgericht unklar, welchen Gewinn die Klägerin mit der Besetzung der zwei Vakanzen der V. AG in B. erwirtschaftet hätte und wie hoch ihr Schaden damit effektiv wäre. Rechtsbegehren Ziff. 1 ist deshalb auch mangels einer genügenden Scha- denssubstantiierung abzuweisen. Schliesslich ist nicht erkennbar, wie eine behauptete Vertragsverletzung durch den Beklagten, welche die Klägerin damit begründet, dass dieser bis zum 31. Oktober 2018 keine 90 bis 150 potentiellen Kandidaten kontaktiert, keine 30 bis 40 Interessenten herauskristallisiert und auch nicht mindes- tens fünf Gespräche organisiert habe (Klage Rz. 17), für den eingetretenen Schaden kausal gewesen sein soll: Die Klägerin legt selbst dar, dass die V. AG die zwei Vakanzen erst am 11. Juni 2019 intern besetzt hat (Klage Rz. 19). Der Klägerin hätte nach dem 31. Oktober 2018 demnach mehr als genügend Zeit zur Verfügung gestanden, den Beklagten zu mahnen und in Verzug zu setzen bzw. in Erfüllung der Schadenminderungsobliegenheiten die entsprechenden Interessenten selbst zu suchen und den ihr von der V. AG erteilten Auftrag selbst zu erfüllen, so wie sie dies auch im Mandat W. und S. getan haben soll (Klage Rz. 18). Es kann auch nicht gesagt werden, eine behauptete Vertragsverletzung durch den Beklagten im Mandat W. und S. sei für den "Entzug" des Man- dats in B. relevant gewesen. Einerseits handelte es sich um voneinander unabhängige Mandate. Bei der V. AG waren intern auch andere Ansprech- personen involviert (H.K. in W. und S., S.S. in B. [KB 25 f.]), sodass nicht ohne entsprechende Behauptungen gesagt werden kann, diese Personen hätten von der jeweils anderen von den Schwierigkeiten bei der Vertragser- füllung durch die Klägerin erfahren. Anderseits gab die V. AG der Klägerin im Mandat B. bis zum 11. Juni 2019 Zeit zur Besetzung der bestehenden Vakanzen. Zu diesem Zeitpunkt lagen die allfälligen Vertragsverletzungen des Beklagten im Mandat W. und S. bereits mehrere Monate zurück. Die korrekte Erfüllung der Leistungsvereinbarung betreffend W. und S. durch den Beklagten hätte den Entzug des Mandats für die beiden Vakanzen in B. damit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht verhindert. Für eine Gutheissung von Rechtsbegehren Ziff. 1 fehlt es folglich auch am Kausal- zusammenhang. 4.4. Fazit Das Vorliegen einer Vertragsverletzung durch den Beklagten kann mangels Substantiierung einer vertraglichen Grundlage nicht bewiesen werden. Zu- dem substantiiert die Klägerin ihren Schaden nicht, da sie nur den entgan- - 19 - genen Gewinn geltend machen könnte, zu dessen Berechnung sie ihre in- ternen Kosten vom Umsatz in Abzug hätte bringen und auch den Honorar- anteil des Beklagten hätte berücksichtigen müssen. Soweit sich die Kläge- rin darauf bezieht, dass eine allfällige Vertragsverletzung des Beklagten im Mandat W. und S. zum Schadenseintritt beim Mandat B. geführt haben soll, so ist darin kein Kausalzusammenhang zu erblicken. Rechtsbegehren Ziff. 1 ist damit abzuweisen. 5. Schadenersatz für unterlassene Datenerfassung im "A." 5.1. Parteibehauptungen 5.1.1. Klägerin Die Klägerin bringt vor, sie habe Anfang April 2019 festgestellt, dass der Beklagte insgesamt 377 MB an Daten in einem eigenen Dateiordner auf dem Laufwerk "d.o." gespeichert hatte (Klage Rz. 6; KB 11). Sie behauptet weiter, der Beklagte hätte diese Daten gemäss Partnervertrag und internen Schulungsunterlagen zumindest teilweise in der Recruiting-Plattform A. ab- speichern müssen (Klage Rz. 6 und 29). Insbesondere habe der Beklagte "Call-Records" und damit Informationen über Absagen oder Informationen zur späteren Zusammenarbeit mit potentiellen Kunden nicht dort abgelegt (Klage Rz. 6). Als eine Reaktion auf eine E-Mail der Klägerin vom 10. April 2019 habe der Beklagte gezielt damit begonnen, Daten aus dem Laufwerk zu löschen oder abzuziehen (Klage Rz. 7). Zur Sicherung der Daten habe die Klägerin dem Beklagten am 17. April 2019 den Zugang zu ihren IT-Sys- temen sperren müssen. Zur Sichtung und Ablage der entsprechenden Da- ten im A. hätte die Klägerin erhebliche Aufwendungen gehabt (Klage Rz. 7). A.T. hätte dafür elf Stunden aufgewendet, sein Mitarbeiter S.B. 41.5 Stunden (KB 17). Für A.T. sei ein Stundenansatz von Fr. 250.00 eingesetzt worden, für S.B. einer von Fr. 200.00. Diese Ansätze entsprächen erfah- rungsgemäss dem unteren Level von Stundenansätzen von IT Experten (Klage Rz. 30). 5.1.2. Beklagter Der Beklagte räumt ein, einen Dateiordner unter seinem Namen ausserhalb von A. geführt zu haben und diesen oder zumindest Dateien daraus bei seinem Austritt gelöscht zu haben (Antwort "Zu 6"). Es habe sich dabei je- doch nur um seine persönlichen Betriebsunterlagen gehandelt und der Be- klagte habe sämtliche Daten vertragsgemäss im A. erfasst (Antwort "Zu 7"). Der Beklagte bestreitet die behaupteten Stundenansätze der Klägerin (Ant- wort "Zu 30"). Es könnten insbesondere nicht die Stundenansätze für Kun- den angewendet werden, da diese Gewinnmargen beinhalten würden, wel- che der Beklagte so oder so nicht zu bezahlen hätte (Duplik "Zu 7"). 5.2. Würdigung Der von der Klägerin im Zusammenhang mit der behaupteten unterlasse- nen Datenerfassung im "A." behauptete Schadenersatzersatzanspruch in Höhe von Fr. 11'030.00 wurde vom Beklagten bestritten. Aufgrund der ihr - 20 - obliegenden Beweislast hätte folglich die Klägerin diesen Schaden sub- stantiiert behaupten müssen (vgl. oben E. 2.3). Das hat die Klägerin jedoch unterlassen: Sie macht weder geltend, dass sie die behaupteten intern an- gefallenen Arbeitsstunden im Wert von Fr. 11'030.00 tatsächlich auch be- zahlen musste noch werden muss. Damit sind sowohl eine Verminderung der Aktiven als auch eine Vermehrung der Passiven und damit ein Schaden im Sinne der Differenztheorie nicht gegeben. Weiter behauptet die Klägerin auch nicht, dass sie diese Arbeitsstunden anderweitig in Mandatsarbeit hätte investieren können und ihre deshalb ein Gewinn entging. Schliesslich hätte die Klägerin in diesem Fall nicht bloss die zu verrechnenden Stun- densätze mit den Arbeitsstunden multiplizieren dürfen (Umsatz), sondern hätte davon die internen Kosten abziehen müssen (Gewinn). Rechtsbegeh- ren Ziff. 2 ist damit bereits mangels substantiiertem Schaden abzuweisen. Überdies ist nicht bewiesen, dass der Beklagte mit dem Abspeichern der Daten in einem eigenen Dateiordner auf dem Laufwerk "d.o." eine Vertrags- verletzung begangen hat: Gemäss Ziff. 3 und 7 des Partnervertrags (KB 4) verpflichten sich die Partner jeweils, die von der Klägerin zur Verfügung gestellten Arbeitsinstrumente, insbesondere die Recruiting Plattform A., den internen Vorgaben gemäss und einheitlich anzuwenden. Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe diese Vorgaben betreffend die Datenablage im A. verletzt. Im Partnervertrag selber finden sich abgesehen von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Nutzung der Plattform keine konkreten Vorgaben (Ziff. 3). Es ist davon auszugehen, dass der Beklagte zumindest eine Einführungsschulung erhielt, da er zu einer solchen mit E-Mail vom 12. März 2018 eingeladen wurde und dies auch nicht bestreitet (Replik "Zu 6"; Duplik "Zu 6"; Replikbeilage [RB] 2). Unklar ist hingegen der genaue Inhalt dieser Einführungsschulung, insbesondere bezüglich der Nutzung von A.. Die Klägerin macht hierzu keine substantiierten Ausführungen, son- dern gibt schlicht an, die Nutzung von A. sei Teil dieser Einführung gewe- sen (Replik "Zu 6"). Das im Zusammenhang mit der Einführung einge- reichte "Einführungsprogramm" (KB 6) ist nicht datiert und entspricht nicht der tatsächlich erfolgten Einführung, da – wie die Klägerin selber bestätigt – diese von Herrn S. K. und A.T. durchgeführt wurde und nicht wie dort angegeben nur von A.T. (Replik "Zu 6"). Das Dokument "Arbeitsteilung / Workflow" (KB 6) datiert vom 12. September 2018 und es ist unklar und wurde von der Klägerin auch nicht behauptet, wie und wann dieses dem Beklagten übergeben worden wäre. Schliesslich datieren die eingereichten Traktandenlisten für die Schulungen vom 26. Februar 2018 und 1. März 2018 und damit vor Tätigkeitsbeginn des Beklagten am 1. April 2018. Aus den Schulungsunterlagen (KB 6) lassen sich damit ebenfalls keine konkre- ten Informationen dazu entnehmen, welche Daten der Beklagte wann und wie im A. hätte ablegen müssen. Bezüglich weiterer Schulungen, die zu diesem Thema im Rahmen der Partnersitzungen stattgefunden hätten, be- gnügt sich die Klägerin mit einer pauschalen Behauptung, ohne bspw. kon- krete Angaben zum Inhalt dieser Schulungen zu machen (Replik "Zu 6"). - 21 - Konkrete Angaben macht sie nur zur Partnersitzung vom 28. August 2018. Zwar war die Nutzung von A. dort wohl thematisiert worden, allerdings ging es gemäss Protokoll nur um die Definition von Funktionen sowie die Nut- zung der Plattform zum standardisierten Versand der AGB. Als interne Vor- gabe zur Ablage von Daten im A. verbleibt damit nur die unbestrittene Be- hauptung der Klägerin, dass Call-Records abzulegen waren sowie dass solche im als "Bibel" bezeichneten Handbuch zur Nutzung von A. enthalten sind (RB 4). Bezüglich der Call-Records enthält die "Bibel" Beispiele, wie diese im A. nachzuführen sind. Soweit ersichtlich handelt es sich hierbei aber nicht um eigentliche Dateien, sondern vielmehr um eine Liste, in die Eintragungen beispielsweise betreffend Terminvereinbarungen, Telefonge- spräche oder Anfragen vorzunehmen sind (RB 4, S. 5). Weiter sind gemäss der "Bibel" für Kandidaten, die auf XING oder LinkedIn angeschrieben wer- den, aber auf die Anfrage nicht reagieren, keine Daten im A. zu erfassen (RB 4, S. 7). Daraus, dass der Beklagte die Ablage von PDF-Dateien von solchen Kandidaten ausserhalb von A. selber bestätigt (Antwort "Zu 6"), lässt sich folglich entgegen der Ansicht der Klägerin nichts zu ihren Guns- ten ableiten (Replik "Zu 6"). Dass dem Beklagten dies verboten gewesen wäre, behauptet selbst die Klägerin nicht (Replik "Zu 6."). Die Klägerin un- terlässt es, substantiiert zu behaupten, welche Dateien der Beklagte unzu- lässigerweise nicht im A. abgespeichert hat. Insbesondere genügt es nicht, einfach unvollständige Call-Records zu behaupten, wenn der Beklagte dies bestreitet. Es wäre an der Klägerin gewesen, zumindest konkrete Beispiele von Daten aufzuzeigen und zu belegen, welche im Dateiordner des Beklag- ten vorhanden waren, nicht jedoch im entsprechenden Call-Record im A. Dass dies grundsätzlich durch Screenshots von Auszügen aus Call-Re- cords möglich gewesen wäre, belegt die Klägerin selber, indem sie solche Screenshots in ihrer "Bibel" verwendet. Zudem ist es ebenfalls ungenü- gend, eine Übersicht von Kandidaten sowie deren Feedback zu präsentie- ren, die so nicht vollständig im A. abgebildet sei (KB 12, S. 10 ff.). Hier hätte die Klägerin konkret aufzeigen müssen, welche Kandidaten bzw. Informa- tionen dies betrifft. Darüber hinaus nennt die Klägerin kein einziges Beweis- mittel, mit dem sie beweisen könnte, welche Dateien des Beklagten, die sie nun ins A. übergeführt haben W.l, darin vorher tatsächlich nicht abgelegt waren. Die Klägerin behauptet zwar, der Beklagte bestreite nicht, dass die Daten, die er in seinem d.o.-Ordner gespeichert gehabt hätte, nicht im A. erfasst worden seien (Replik "Zu 7"). Dem ist allerdings nicht so, wie sich aus der Klageantwort "Zu 7" und der Duplik "Zu 6" und "Zu 7" ergibt. Damit bleibt unbewiesen, dass der Beklagte Daten vertragswidrig nicht im A. ab- legte. 5.3. Fazit Der von der Klägerin behauptete Schaden in Höhe von Fr. 11'030.00 kann mangels Substantiierung nicht bewiesen werden. Zudem kann die Klägerin eine Vertragsverletzung des Beklagten betreffend fehlerhafte Ablage von - 22 - Daten in der Recruiting Plattform A. nicht aufzeigen. Das Rechtsbegehren Ziff. 2 ist abzuweisen. 6. Anspruch auf Genugtuung 6.1. Parteibehauptungen 6.1.1. Klägerin Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe durch sein Untätigsein im Rah- men der Mandate für die Besetzung von Vakanzen in W. und S. und B. ihren Ruf bei der V. AG schwer beschädigt. Dadurch sei der Klägerin ein schwerer immaterieller Schaden entstanden, der die Zusprechung einer Genugtuung rechtfertige. Dies zeige sich insbesondere darin, dass die Klä- gerin von der V. AG erst seit Anfang 2020 wieder Mandate erhalte, dies jedoch in – im Vergleich zu früher – reduziertem Ausmass (Replik "Zu 39 bis 41"). 6.1.2. Beklagter Der Beklagte bringt dagegen vor, bezüglich des Mandats B. habe keine vertragliche Pflicht seinerseits bestanden, tätig zu werden, womit ein An- spruch auf Genugtuung für die Verletzung einer solchen von vornherein entfalle. Bezüglich der Schlechterfüllung des Mandats W. und S. wäre ein allfälliges Verschulden des Beklagten nicht gross genug, um einen Genug- tuungsanspruch der Klägerin zu rechtfertigen. Zudem zeige der Umstand, wonach die Klägerin von der V. AG wieder Mandate erhalte, dass eine Ruf- schädigung der Klägerin bzw. ein Vertrauensverlust auf Seiten der V. AG nicht die Schwere erreicht hätte, die eine Genugtuung rechtfertigen würde (Antwort "Zu 39 bis 41"; Duplik "Zu 39 bis 41"). 6.2. Rechtliches Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind auch juristische Personen aktivlegitimiert, einen Genugtuungsanspruch in ihrem eigenen Namen geltend zu machen.63 Soll dieser durch eine Vertragsverletzung be- gründet werden, enthält das Vertragsrecht zwar dafür keine eigene An- spruchsnorm, die Verweisung von Art. 99 Abs. 3 OR erfasst jedoch gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch Art. 47 und 49 OR.64 Durch die- sen Verweis soll auch im Rahmen von Vertragsverletzungen ein Ausgleich nicht vermögensmässig fassbarer Beeinträchtigung möglich werden.65 Vo- raussetzungen eines Genugtuungsanspruchs sind jedoch auch in einem solchen Fall neben der Vertragsverletzung, der adäquaten Kausalität, der Widerrechtlichkeit und dem fehlenden anderweitigen Schadensausgleich eine schwere Persönlichkeitsverletzung sowie ein Verschulden im Sinne von Art. 47 und 49 OR.66 63 BGE 138 III 337 E. 6.1 i.f. 64 BGE 116 II 519 E. 2c. 65 BK OR-WEBER (Fn. 52), Art. 99 N. 269. 66 BGE 123 III 204 E. 2b; BSK OR I-KESSLER, 7. Aufl. 2020, Art. 49 N. 2, 4 und 15. - 23 - Ein Anspruch auf Genugtuung nach Art. 49 OR besteht nur, wenn sowohl die objektive als auch die subjektive Schwere – die erlittene seelische Unbill – einer Verletzung dies rechtfertigen.67 Die Zusprechung einer Genugtuung verlangt folglich mehr als eine normale, sozialadäquate Beeinträchtigung. Eine genugtuungsberechtigende seelische Unbill liegt vielmehr erst vor, wenn dieses Mass deutlich übertroffen wird.68 Eine einfache Vertragsver- letzung genügt dafür folglich nicht, sofern sie nur zu einer leichten Verlet- zung der wirtschaftlichen, sozialen oder beruflichen Ehre führt,69 insbeson- dere da Art. 49 OR nicht vertragliche Ansprüche als solche schützt.70 Die Schwere der Verletzung ist zunächst in objektiver Hinsicht zu beurtei- len, wobei die Umstände des Einzelfalls massgebend sind.71 Dabei können folgende Kriterien berücksichtigt werden: a) das verletzte Persönlichkeits- gut: Je bedeutsamer das verletzte Persönlichkeitsgut für den Verletzten, desto schwerer wiegt die Verletzung;72 b) die Art der Verletzung: Hier kön- nen der Zweck, die Dauer, die verwendeten Mittel und die Folgen der Ver- letzung gewürdigt werden. Eine Verletzung gilt dabei als umso schwerer, je nachteiliger sie sich insgesamt auf den Verletzten auswirkt und in diesem Sinn wiegt beispielsweise eine den Ruf schädigende Äusserung umso gra- vierender, je grösser deren Adressatenkreis ist;73 und c) die Begleitum- stände: Als erschwerend könnte bspw. ein für den Verletzten besonders ungünstiger Zeitpunkt angenommen werden.74 Dem Gericht steht bei der Frage, ob die Schwere der Verletzung eine Genugtuung rechtfertigt, letzt- lich ein weites Ermessen zu.75 6.3. Würdigung Vorliegend behauptet die Klägerin eine schwere Beeinträchtigung ihres Rufs bei der V. AG, da sie zwei von ihr erhaltene Mandate aufgrund des Untätigseins des Beklagten nur verspätet oder gar nicht erfüllen konnte. Als in der Unternehmensberatung und Personalvermittlung tätiges Unterneh- men stellt ihr Ruf – im Sinne ihrer beruflichen Ehre – als seriöser und zu- verlässiger Betrieb für die Klägerin ein Rechtsgut von grossem Interesse dar. Insgesamt konnte der Vertrauensverlust bei der V. AG, zu dem die verspätete Besetzung der Vakanzen in beiden Mandaten geführt hatte, und 67 BGE 129 III 715 E. 4.4. 68 BSK ZGB-I-MEILI, 6. Aufl. 2018, Art. 28a N. 17; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 4. Aufl. 2016, N. 14.63. 69 BGE 125 III 70 E. 3a; BK OR-BREHM (Fn. 50), Art. 49 N. 25 und 75; BSK OR I-KESSLER (Fn. 66), Art. 49 N. 11. 70 BSK OR I-KESSLER (Fn. 66), Art. 49 N. 13. 71 BGE 129 III 715 E. 4.4. 72 INDERKUM, Schadenersatz, Genugtuung und Gewinnherausgabe aus Persönlichkeitsverletzung, 2008, S. 295. 73 INDERKUM (Fn. 72), S. 296. 74 INDERKUM (Fn. 72), S. 296. 75 BGer 5C.66/2006 vom 7. Dezember 2006 E. 4.3 (nicht publ. in BGE 133 III 153); BSK OR I-KESS- LER (Fn. 66), Art. 49 N. 11. - 24 - damit die Verletzung des Rufs der Klägerin, jedoch nicht allzu gravierend sein. Andernfalls hätte die V. AG nicht bereits rund ein halbes Jahr nach Entzug des Mandats B. damit begonnen, der Klägerin wieder neue Man- date zu erteilen (vgl. Replik "Zu 17. bis 19." i.f.; Antwortbeilage 4), auch in Bezug auf B. (vgl. Eingabe des Beklagten vom 18. September 2020 mit entsprechendem Anhang und vorne E. 3). Zudem betraf das rufschädi- gende Ereignis auch nur einen einzelnen Kunden der Klägerin. Insgesamt erscheinen damit die Nachteile, zu denen die behauptete Schlechterfüllung der Mandate geführt habe, als nicht besonders gravierend. Erschwerende Umstände sind im Übrigen nicht ersichtlich. Auch die Art und Weise der vorgeworfenen Ehrverletzung wiegen nicht schwer. Der Beklagte soll nicht etwa die Klägerin gegenüber der V. AG diskreditiert haben, sondern bloss im Rahmen eines ihm von der Klägerin erteilten Auftrags untätig geblieben sein. Demnach liegt jedenfalls keine schwere Persönlichkeitsverletzung der Klägerin vor, die eine Genugtuung rechtfertigen würde. Selbst wenn man die Verspätung im Mandat für W. und S. berücksichtigt und deren negative Auswirkungen auf den Ruf der Klägerin zusammen mit dem von der Klägerin behaupteten Untätigsein im Mandat B. betrachtet, genügt bereits deren objektive Schwere aus den genannten Gründen nicht für die Zusprechung einer Genugtuung. 6.4. Fazit Rechtsbegehren Ziff. 4 ist bereits mangels objektiver Schwere der behaup- teten Vertragsverletzungen abzuweisen. 7. Prozesskosten Abschliessend sind die Prozesskosten entsprechend dem Verfahrensaus- gang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Prozesskosten werden der unterlie- genden Partei auferlegt. Da die Klage vollumfänglich abgewiesen wird, so- fern auf sie überhaupt eingetreten werden kann und der Rückzug von Ziff. 2 der Rechtsbegehren der Klageantwort vom 25. Februar 2020 mangels Ge- ringfügigkeit kostenmässig unberücksichtigt bleibt, gilt die Klägerin als voll- umfänglich unterliegend und sind ihr die gesamten Prozesskosten aufzuer- legen (Art. 106 ZPO). 7.1. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen vorliegend allein aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Entscheidgebühr be- trägt bei einem Streitwert von Fr. 71'030.00 gemäss § 7 Abs. 1 Zeile 5 VKD Fr. 5'742.10. Diese werden der Klägerin auferlegt und mit ihrem Gerichts- kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO). - 25 - 7.2. Parteientschädigung Die Parteientschädigung gemäss Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO besteht aus den Kosten der berufsmässigen Vertretung. In vermögensrechtlichen Streitsa- chen beträgt die Grundentschädigung bei einem Streitwert von Fr. 71'030.00 gemäss § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 5 AnwT Fr. 10'462.70. Dadurch sind die Instruktion, das Aktenstudium, rechtliche Abklärungen, die Korres- pondenz und Telefongespräche sowie eine Rechtsschrift und die Teil- nahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (§ 6 Abs. 1 AnwT). Für den doppelten Schriftenwechsel erfolgt ein Zuschlag von praxisgemäss 20 %. Mit der Kleinkostenpauschale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Parteientschädigung von gerundet Fr. 12'931.90. Da der Beklagte die Zusprechung des Mehrwertsteuerzuschlags nicht be- antragte, ist ihm ein solcher auch nicht zuzusprechen.76 76 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Partei- entschädigung der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: <https://www.ag.ch//kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf> (zuletzt am 20. November 2020). https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 26 - Das Handelsgericht erkennt: 1. 1.1. Auf Rechtsbegehren Ziff. 3 der Klage wird nicht eingetreten. 1.2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 5'742.10 werden der Klägerin auferlegt und mit dem von ihr geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet. 3. Die Klägerin hat dem Beklagten eine Parteientschädigung von Fr. 12'931.90 zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Protokoll der Hauptverhandlung vom 20. November 2020 und Abrechnung) den Beklagten (Vertreter; zweifach mit Protokoll der Hauptverhandlung vom 20. November 2020) 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 27 - Aarau, 20. November 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
16,528
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AG_HG_002
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Forder_2020-11-20
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_20._November_2020.pdf
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2011 Obergericht 56 [...] 15 Art. 12 lit. b, 422 StPO Ein Kostenersatz für die Anklagevertretung der Staatsanwaltschaft vor Gericht kann nicht gewährt werden: Die in Art. 422 StPO definierten Verfahrenskosten setzen sich aus den Gebühren, die den allgemeinen Aufwand des Bundes und der Kantone für die Rechtsprechung - zumin- dest teilweise - decken sollen, und den Auslagen, die im konkreten Straf- verfahren angefallen sind, zusammen. Die Vertretungskosten der Staats- anwaltschaft vor Gericht stellen insbesondere keine Auslagen i.S.v. Art. 422 Abs. 2 StPO dar, da die Anklagevertretung zu ihren typischen Tätigkeiten als Strafverfolgungsbehörde (Art. 12 lit. b StPO) in einem konkreten Strafverfahren gehört. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 18. August 2011 i.S. Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm gegen O.J. (SST.2011.63). 2011 Strafprozessrecht 57 Aus den Erwägungen 6.3. Die Staatsanwaltschaft machte anlässlich der Berufungsver- handlung für ihre Anklagevertretung einen Kostenersatz von Fr. 900.00 geltend. Ein solcher kann jedoch nicht gewährt werden: Die in Art. 422 StPO definierten Verfahrenskosten setzen sich aus den Gebühren, die den allgemeinen Aufwand des Bundes und der Kantone für die Rechtsprechung - zumindest teilweise - decken sollen, und den Auslagen, die im konkreten Strafverfahren angefallen sind, zusammen (T HOMAS D OMEISEN , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, Art. 422 N. 1). Die Ver- tretungskosten der Staatsanwaltschaft vor Gericht stellen insbeson- dere keine Auslagen i.S.v. Art. 422 Abs. 2 StPO dar, da die Anklage- vertretung zu ihren typischen Tätigkeiten als Strafverfolgungsbe- hörde (Art. 12 lit. b StPO) in einem konkreten Strafverfahren gehört (vgl. D OMEISEN , a.a.O. Art. 422 N. 11).
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AG_HG_001
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AG_HG_001_AGVE-2011-15_2011-08-01
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-15.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-15.pdf
AGVE_2011_15
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2008 Obergericht 26 [...] 2 Art. 265a SchKG. Bewilligung des Rechtsvorschlags mangels neuen Ver- mögens. Gegen den Entscheid des Gerichtspräsidenten gemäss Art. 265a Abs. 1 SchKG gibt es kein kantonales Rechtsmittel, auch dann nicht, wenn es sich um einen Prozessentscheid handelt. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 17. September 2008 i.S. S.L. gegen S.L. Aus den Erwägungen 1. Erhebt der Schuldner Rechtsvorschlag mit der Begründung, er sei nicht zu neuem Vermögen gekommen, so legt das Betrei- bungsamt den Rechtsvorschlag dem Richter des Betreibungsorts vor (Art. 265a Abs. 1 Satz 1 SchKG). Dieser hört die Parteien an und entscheidet endgültig (Art. 265a Abs. 1 Satz 2 SchKG). Das be- deutet, dass von Bundesrechts wegen jegliche kantonalen Rechts- 2008 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 27 mittel - ordentliche und ausserordentliche - ausgeschlossen sind (Ur- teil des Bundesgerichts 5A_695/2007 vom 18. April 2008 Erw. 1.2 und 1.3 mit Hinweisen; BGE 131 I 28, 126 III 112; Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbe- treibung und Konkurs (SchKG) vom 8. Mai 1991, Bundesblatt 1991 III 159). Der Ausschluss kantonaler Rechtsmittel gegen den Ent- scheid über den Rechtsvorschlag mangels neuen Vermögens nach Art. 265a Abs. 1 bis 3 SchKG erfolgt im Hinblick darauf, dass den ordentlichen Prozessweg nach Art. 265a Abs. 4 SchKG beschreiten kann, wer mit dem Bewilligungsentscheid im summarischen Verfahren nicht einverstanden ist (Urteil des Bundesgerichts 5A_695/2007 vom 18. April 2008 Erw. 1.2 mit Hinweisen; BBl 1991 III 159). Der Ausschluss sämtlicher kantonaler Rechtsmittel be- schneidet daher den Rechtsschutz der Parteien nicht, da diese das ordentliche Verfahren gemäss Art. 265a Abs. 4 SchKG einleiten kön- nen (Urteil des Bundesgerichts 5A_695/2007 vom 18. April 2008 Erw. 1.3 mit Hinweisen). Im Ergebnis dient die Klage auf Bestrei- tung oder Feststellung neuen Vermögens nach Art. 265a Abs. 4 SchKG somit als Rechtsbehelf zur Überprüfung des summarischen Entscheids über die Bewilligung des Rechtsvorschlags. Sie erfüllt im Verhältnis zum vorausgegangenen summarischen Entscheid über den Rechtsvorschlag die Funktion eines Rechtsmittels (Urteil des Bun- desgerichts 5A_695/2007 vom 18. April 2008 Erw. 1.3 mit Hinwei- sen; BGE 131 I 29/30). Die zivilrechtliche Beschwerde an das Bun- desgericht gegen einen summarischen Entscheid über den Rechts- vorschlag nach Art. 265a Abs. 1 bis 3 SchKG ist daher nur zulässig, wenn eine Rüge durch den Entscheid im ordentlichen Verfahren nach Art. 265a Abs. 4 SchKG nicht behandelt und ein allfälliger Mangel nicht behoben werden kann (Urteil des Bundesgerichts 5A_695/2007 vom 18. April 2008 Erw. 1.3 mit Hinweisen). In einigen Kantonen wird zwar ein kantonales Rechtsmittel gegen bestimmte Entscheide über den Rechtsvorschlag des Summarverfahrens zugelassen (Bauer, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Ergänzungsband, Basel/Genf/München 2005, N 31 zu Art. 265a mit Hinweisen), doch ist das nicht Praxis im Kanton Aargau (AGVE 1997 Nr. 12 S. 54; Entscheid der 4. Zivilkammer des Obergerichts 2008 Obergericht 28 vom 25. Oktober 2001 [ZSU.2001.315] Erw. 1). Insbesondere die von einigen Kantonen praktizierte Unterscheidung in Entscheide über das Vorhandensein der formellen Voraussetzungen für die Einrede des fehlenden neuen Vermögens, welche weiterziehbar sein sollen, und solche über das Vorhandensein neuen Vermögens, welche nicht weiterziehbar sein sollen, ist nach Auffassung des Obergerichts des Kantons Aargau nicht statthaft. Eine Beschwerde gemäss § 335 ZPO gegen den Entscheid des Gerichtspräsidenten gemäss Art. 265a Abs. 1 SchKG ist deshalb entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht gegeben, auch dann nicht, wenn es sich um einen Prozessent- scheid handelt. § 21 EG SchKG i.V.m. § 20 lit. o EG SchKG ist bun- desrechtswidrig und daher unbeachtlich. Auf die Beschwerde des Klägers ist folglich nicht einzutreten.
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AG_HG_001
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AG_HG_001_AGVE-2008-2_2008-09-04
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2003 Obergericht/Handelsgericht 46 [...] 11 Art. 31 Abs. 1/32 Abs. 1 Bst. a und Art. 34 Abs. 1/39 Abs. 1 LugÜ; Art. 80/82 und Art. 271 Abs. 1 SchKG. Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung, Massnahme ohne Anhörung des Schuldners zur Sicherung der Zwangsvollstreckung eines gestützt auf das LugÜ zu vollstreckenden Urteils auf Geldzahlung. Gemäss dem für die Durchführung und Sicherung der Zwangsvollstrek- kung massgebenden SchKG (Art. 38 Abs. 1 SchKG) ist 1. für die Zwangsvollstreckung des Urteils auf Geldzahlung die Betrei- bung einzuleiten (Art. 38 Abs. 1 und 2 SchKG), in dieser nach dagegen erhobenem Rechtsvorschlag des Schuldners (Art. 74/78 SchKG) durch Rechtsöffnungsentscheid des Rechtsöffnungsrichters (Art. 80/ 81 SchKG) über die Vollstreckbarkeit und Zulassung der Zwangsvollstreckung des Urteils zu entscheiden und kein Raum für eine gesonderte Vollstreckbarerklärung in einem sog. Exequaturver- fahren (E. 1 und 2), 2. zur Sicherung der Zwangsvollstreckung im Sinne der Art. 34 Abs. 1/39 Abs. 1 LugÜ als Massnahme ohne Anhörung des Schuldners der Arrest (Art. 271 Abs. 1 SchKG) vorgesehen. Dieser ist auf Begehren des Gläubigers um Erlass einer Sicherungsmassnahme bei vorliegendem rechtskräftigem Urteil gestützt auf Art. 34 Abs. 1 LugÜ vorbehaltlos, ohne Nachweis eines Arrestgrundes, durch Arrestbefehl (Art. 272/274 SchKG) anzuordnen (E. 3). Soll der Arrest als Sicherungsmassnahme nicht hinfällig werden (Art. 280 SchKG), ist er 2003 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 47 durch fristgemässe Anhebung der Betreibung zu prosequieren (Art. 279 SchKG; E. 4). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 15. August 2003 in Sachen L. B. gegen O. S. Sachverhalt 1. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Februar 2001 wurde dem Gesuchsteller als Kläger gegen den Ge- suchsgegner als Beklagten eine Forderung von DM 18'251,92 nebst 5 % Zins zugesprochen. Mit Eingabe vom 17. Februar 2003 stellte der Kläger beim Gerichtspräsidium X unter Vorlegung des rechts- kräftigen Urteils das Begehren, es sei - 1. dieses Urteil in der Schweiz für vollstreckbar zu erklären und - 2. zur Sicherung der darin zugesprochenen Forderung ein Ar- restbefehl zu erlassen und die Forderung des Beklagten gegen die Firma G. AG zu verarrestieren. 2. Der Präsident des Bezirksgerichts X verwies Ziffer 1 dieses Begehrens in ein gesondertes summarisches Exequaturverfahren, er- klärte in diesem ohne Anhörung des Beklagten das Urteil für voll- streckbar und stellte den Entscheid beiden Parteien zu. Er verweigerte mit weiterem bloss dem Kläger zugestelltem Entscheid den von diesem beantragten Arrestbefehl im Wesentlichen mit der Begründung, es sei bislang noch nicht durch Bundesgerichts- entscheid über die Zulässigkeit des Arrests als Sicherungsmassnahme im Sinne des Art. 34 Abs. 1 LugÜ entschieden worden und ein Ar- restgrund nach Art. 271 Abs. 1 SchKG nicht gegeben. Das Obergericht, 4. Zivilkammer, hiess mit Entscheid vom 15. August 2003 die Beschwerden sowohl des Beklagten gegen die Vollstreckbarerklärung des Urteils durch Exequaturentscheid wie des Klägers gegen die Verweigerung des Arrestbefehls gut, hob den Exe- quaturentscheid auf und wies das Gerichtspräsidium X zum Erlass eines Arrestbefehls an. 2003 Obergericht/Handelsgericht 48 Aus den Erwägungen 1. Der Gesuchsteller hat mit seinem beim Gerichtspräsidium X. als Rechtsöffnungs- und Arrestrichter (Art. 25 Ziff. 2 Bst. a SchKG i.V.m. § 13 Bst. b und q AG SchKG) am Wohnsitz des Gesuchsgeg- ners (vgl. Art. 64 SchKG) eingereichten Begehren um Vollstreckbar- erklärung des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Berlin vom 19. Februar 2001 und Erlass eines Arrestbefehls gegen den Gesuchs- gegner das Zwangsvollstreckungsverfahren für dieses Urteil mit der ihm darin zuerkannten Forderung von 18'251.92 DM nebst Zins ge- gen den Gesuchsgegner eingeleitet und deren Sicherung für die Voll- streckung durch eine Sicherungsmassnahme verlangt. a) Für die Vollstreckung dieses rechtskräftigen Forderungsur- teils gilt das für die Schweiz am 1. Januar 1992 und für Deutschland am 1. März 1995 in Kraft getretene Übereinkommen über die ge- richtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Ent- scheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (Lugano-Übereinkommen, SR 0.275.11; nachfolgend LugÜ ge- nannt). Gemäss dessen Vorschriften über die Vollstreckung (Art. 31 ff. i.V.m. Art. 27 und 28 LugÜ) ist dieses Forderungsurteil in der Schweiz nach schweizerischem Vollstreckungsrecht (Art. 33 Abs. 1 LugÜ) in dem für die Vollstreckung von Forderungen vorgesehenen Vollstreckungsverfahren auf dem Wege der Schuldbetreibung nach den Vorschriften des SchKG zu vollstrecken (Art. 38 Abs. 1 SchKG). b) Gemäss dessen Vorschriften beginnt die Zwangsvollstrek- kung gestützt auf ein Betreibungsbegehren (Art. 67 SchKG) mit der Betreibung durch Zustellung des Zahlungsbefehls (Art. 38 Abs. 2 i.V.m. Art. 69 SchKG), wobei der Schuldner mit einem dagegen er- hobenen Rechtsvorschlag (Art. 74 SchKG) die Einstellung der Be- treibung bewirken kann (Art. 78 SchKG) und der Gläubiger dann zu deren Fortsetzung beim Rechtsöffnungsrichter im summarischen Verfahren (Art. 25 Ziff. 2 Bst. a i.V.m. Art. 84 SchKG) die Aufhe- bung des Rechtsvorschlags durch definitive Rechtsöffnung (Art. 80/81 SchKG) verlangen muss. Die definitive Rechtsöffnung besteht in der Zwangsvollstreckbarerklärung des zur Vollstreckung vorgelegten Forderungsurteils und Zulassung der Zwangsvollstre- 2003 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 49 ckung durch Aufhebung des Rechtsvorschlags für die Fortsetzung der Betreibung auf dem Wege der Pfändung, der Pfandverwertung oder des Konkurses (Art. 38 Abs. 3 i.V.m. Art. 88 ff. bzw. Art. 151 ff. oder Art. 39 und 159 ff. SchKG). 2. a) Gemäss dem für die Vollstreckung von Geldforderungen massgebenden SchKG (Art. 38 Abs. 1 SchKG) hat ausschliesslich der Rechtsöffnungsrichter in dem im summarischen Rechtsöffnungs- verfahren zu erlassenden Rechtsöffnungsentscheid (Art. 80/81 SchKG) über die Vollstreckbarerklärung des zur Vollstreckung vor- gelegten Forderungsurteils und Zulassung der Zwangsvollstreckung zu befinden. Aus diesem Grund sieht Art. 32 Abs. 1 Bst. a LugÜ ausdrücklich vor, dass der Antrag auf Vollstreckung "in der Schweiz ... für Entscheidungen, die zu einer Geldleistung verpflichten, an den Rechtsöffnungsrichter im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens nach den Artikeln 80 und 81 des Bundesgesetzes über Schuldbetrei- bung und Konkurs" zu richten ist. b) Das für die Vollstreckung von Urteilen auf Geldleistung massgebende SchKG (Art. 38 Abs. 1 SchKG) sieht für die Vollstre- ckung solcher Urteile ausschliesslich deren Vollstreckbarerklärung und Zulassung zur Zwangsvollstreckung durch Rechtsöffnungsent- scheid des Rechtsöffnungsrichters (Art. 80/81 SchKG) im summari- schen Verfahren (Art. 25 Ziff. 2 Bst. a i.V.m. Art. 84 SchKG) in einer für diese Zwangsvollstreckung angehobenen Betreibung vor und kennt die blosse Vollstreckbarerklärung eines auf Geldleistung lau- tenden Urteils in einem sog. Exequaturverfahren nicht. Es besteht vollstreckungsrechtlich kein Raum und auch kein Rechtsschutzinte- resse für die blosse Vollstreckbarerklärung eines ausländischen auf Geldzahlung lautenden Urteils ausserhalb des Rechtsöffnungsverfah- rens, weil eine solche blosse Vollstreckbarerklärung durch richterli- chen Entscheid für die nach den Vorschriften des SchKG durchzu- führende Zwangsvollstreckung nichts bringt. Das mit Eingabe des Gesuchstellers vom 7. Februar 2003 eingereichte Arrestbegehren hät- te daher im Antrag Ziffer 1 auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 19. Februar 2001 sogleich, mit dem Ent- scheid über den Arrest, durch Nichteintretensentscheidung erledigt werden müssen. 2003 Obergericht/Handelsgericht 50 c) Gemäss dem für die Vollstreckung von Geldforderungen massgebenden SchKG (Art. 38 Abs. 1 SchKG) sind Geldforderungen vorbehaltlos und ohne Rücksicht darauf, ob ein schweizerisches oder ausländisches Urteil für die darin zuerkannte Geldforderung zu voll- strecken ist, im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens durch Rechts- öffnungsentscheid des Rechtsöffnungsrichters vollstreckbar zu erklä- ren und mit der Vollstreckbarerklärung durch definitive Rechtsöff- nung (Art. 38 Abs. 1 i.V.m. Art. 80/81 SchKG) zur Zwangsvollstre- ckung auf dem Wege der Fortsetzung der Betreibung zuzulassen. Nach neuerer bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird allerdings die Zulässigkeit eines kantonal-rechtlich vorgesehenen gesonderten Anerkennungs-, sog. Exequaturverfahrens für die Vollstreckbarerklä- rung ausländischer Zivilurteile, auch wenn sie auf Geldleistung lau- ten, nicht mehr ausgeschlossen (BGE 116 Ia 394; vgl. zur Kontrover- se betreffend Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Zivilurteile auf Geldleistung nach Staatsvertrag, insbesondere LugÜ, gemäss Art. 81 Abs. 3 SchKG und ausserhalb eines Staatsvertrags gemäss Art. 25 ff. IPRG, Daniel Staehelin, in: Kommentar zum Bun- desgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, Basel 1998, N 59 zu Art. 80 und N 27 ff. zu Art. 30a SchKG mit Hinweisen auf Literatur und Rechtsprechung). Ein solches gesondertes kanto- nal-rechtliches Exequaturverfahren für die Anerkennung und Voll- streckbarerklärung ausländischer Urteile kennt die ZPO AG nicht (s. §§ 424 ff. und 432 i.V.m. §§ 289 ff. ZPO). Damit bleibt auch aus die- sem Grund für die in einem gesonderten summarischen Verfahren durch den angefochtenen vorinstanzlichen Entscheid vorgenommene Vollstreckbarerklärung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 19. Februar 2003 kein Raum. d) Die Vorinstanz hätte demnach den im Arrestbegehren gestell- ten dahingehenden Antrag im Entscheid über den verlangten Arrest durch Nichteintretensentscheidung erledigen müssen und den Ent- scheid über diesen Antrag jedenfalls dem Gesuchsgegner nicht zu- stellen dürfen, da der Gesuchsteller als Gläubiger mit dem Anspruch auf eine Sicherungsmassnahme ohne vorgängige Anhörung des Schuldners (Art. 34 Abs. 1 i.V.m. Art. 39 LugÜ) im Interesse der Si- cherung der Zwangsvollstreckung Anspruch darauf hat, dass der 2003 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 51 Schuldner bis zum Erlass der Sicherungsmassnahme nichts von dem gegen ihn eingeleiteten Zwangsvollstreckungsverfahren erfährt. Der in einem gesonderten summarischen Verfahren erlassene, beiden Par- teien zugestellte vorinstanzliche Entscheid ist daher in Gutheissung der dagegen eingelegten Beschwerde des Gesuchsgegners als unge- setzlich aufzuheben und durch eine Nichteintretensentscheidung zu ersetzen; dies ohne dass der Gesuchsteller dazu noch anzuhören wä- re, weil ihm durch die Aufhebung und Ersetzung dieses Entscheids durch einen Nichteintretensentscheid kein Rechtsnachteil erwachsen kann. 3. a) In dem gemäss Art. 33 Abs. 1 LugÜ nach schweizerischem Zwangsvollstreckungsrecht des SchKG (Art. 38 Abs. 1 SchKG) durchzuführenden Zwangsvollstreckungsverfahren für die Vollstre- ckung des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Berlin vom 19. Februar 2001 ist auch über deren im LugÜ vorgesehene Sicherung durch eine unverzüglich, ohne Anhörung des Schuldners zu erlas- sende Sicherungsmassnahme (Art. 34 Abs. 1 i.V.m. Art. 39 Abs. 1 LugÜ) zu entscheiden, die mit dem Vollstreckungsantrag (Art. 33 Abs. 1 LugÜ) verlangt und für die Verfahrensdauer bis zur Rechts- kraft des Entscheids des Richters über die Zulassung der Zwangs- vollstreckung (Art. 39 Abs. 1 i.V.m. Art. 36/37 LugÜ) erlassen wer- den kann (vgl. dazu Erläuterungen des Bundesamts für Justiz vom 18. Oktober 1991 zur Geldvollstreckung im Hinblick auf das Inkraft- treten des Lugano-Übereinkommens am 1. Januar 1992, BBl 1991 IV S. 319 Ziff. 3.4; Volken in: RVJ-1992-472 ff.; Walter A. Stoffel in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG III, Basel 1998, N 117 ff. zu Art. 271 SchKG; BGE 126 III 438 ff.). Das für die Vollstreckung von Urteilen auf Geldzahlung massgebende SchKG (Art. 38 Abs. 1 SchKG) sieht als Sicherungs- massnahme für die Vollstreckung von Geldforderungen ohne vor- gängige Anhörung des Schuldners den Arrest (Art. 271 ff. SchKG) durch Arrestbefehl des Arrestrichters (Art. 274 SchKG) vor. Das LugÜ knüpft an die Sicherungsmassnahmen keine Voraussetzungen (Art. 34 Abs. 1 i.V.m. Art. 39 Abs. 1 LugÜ), geht als Staatsver- tragsrecht auf Verfassungsstufe dem im SchKG auf Gesetzesstufe normierten Zwangsvollstreckungsrecht vor und ist durch dieses 2003 Obergericht/Handelsgericht 52 (Art. 33 Abs. 1 LugÜ) zu vollziehen, ohne dass einer der in Art. 271 Abs. 1 Ziff. 1 bis 5 SchKG vorgesehenen Arrestgründe dargetan sein müsste (Art. 272 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG). Es darf nicht die Anwen- dung der innerstaatlichen Vollstreckungsvorschrift des Art. 271 Abs. 1 SchKG dazu führen, dass dem Gläubiger der ihm gemäss LugÜ voraussetzungslos zustehende vollstreckungsrechtliche An- spruch auf eine ohne vorgängige Anhörung des Schuldners zu erlas- sende Sicherungsmassnahme (Art. 34 Abs. 1 i.V.m. Art. 39 LugÜ), die nach schweizerischem Vollstreckungsrecht des SchKG für Geld- forderungen im Arrest besteht, versagt wird (Jan Kropholler, Euro- päisches Zivilprozessrecht, 6. A., Heidelberg 1998, N 4 zu Art. 39 LugÜ). b) Der Arrestbefehl ist deshalb auf Antrag des Gläubigers vor- behaltlos gestützt auf ein von diesem vorgelegtes, in einem Vertrags- staat ergangenes, als rechtskräftig bescheinigtes, auf Geldzahlung lautendes Urteil für die darin ausgewiesene Forderung gegen den Schuldner zu erlassen (Art. 272 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 i.V.m. Art. 274 SchKG) und dem Betreibungsamt zum Arrestvollzug zu übergeben (Art. 275 SchKG). Nach dieser Arrestlegung, gegen die der Schuld- ner Einsprache erheben kann (Art. 278 SchKG), hat der Antrag stel- lende Gläubiger innert zehn Tagen seit Zustellung der Arresturkunde gegen den Schuldner die Betreibung anzuheben (Art. 279 Abs. 1 SchKG) und nach einem Rechtsvorschlag des Schuldners (Art. 74/68 SchKG) innert zehn Tagen mit Rechtsöffnungsbegehren das Rechts- öffnungsverfahren einzuleiten (Art. 279 Abs. 2 SchKG), in welchem durch Rechtsöffnungsentscheid des Rechtsöffnungsrichters über die Vollstreckbarerklärung des zur Vollstreckung vorgelegten Urteils und dessen Zulassung zur Zwangsvollstreckung für die darin zuerkannte Forderung durch Aufhebung des Rechtsvorschlags für die Fortset- zung der Betreibung zu entscheiden ist (Art. 80/81 SchKG). 4. In einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem ein in Deutschland erlassenes, als rechtskräftig bescheinigtes Urteil auf Geldzahlung nach dem LugÜ in der Schweiz gegen den hier wohn- haften Schuldner an dessen Wohnsitz gemäss schweizerischem Voll- streckungsrecht des SchKG zu vollstrecken ist (Art. 33 Abs. 1 LugÜ i.V.m. Art. 38 Abs. 1/64 SchKG), hat somit der Gläubiger zwei Mög- 2003 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 53 lichkeiten: Er kann das mit einem Vollstreckungsantrag (Art. 33 LugÜ) einzuleitende Vollstreckungsverfahren a) mit einem Betreibungsbegehren beim Betreibungsamt (Art. 67 SchKG) durch Anhebung der Betreibung mit Zustellung des Zahlungsbefehls (Art. 38 Abs. 3 i.V.m. Art. 69 SchKG) oder b) mit einem Arrestbegehren beim Arrestrichter (Art. 25 Ziff. 2 Bst. a SchKG i.V.m. § 13 Abs. 1 Bst. q AG SchKG) zur Erwirkung eines als vorsorgliche Sicherungsmassnahme gestützt auf das als rechtskräftig bescheinigte Urteil voraussetzungslos zu erlassenden Arrestbefehls (Art. 34 Abs. 1/39 Abs. 1 LugÜ i.V.m. Art. 272 Abs. 1 Ziff. 1 und 3/274 SchKG) einleiten und den Arrest für die Vollstre- ckung durch Anhebung der Betreibung prosequieren (Art. 279 Abs. 1 und 2 SchKG). Dabei ist im einen wie im andern Fall ausschliesslich in der an- gehobenen Betreibung nach dem Rechtsvorschlag des Schuldners (Art. 74 SchKG) auf Antrag des Gläubigers im summarischen Rechtsöffnungsverfahren (Art. 25 Ziff. 2 Bst. a i.V.m. Art. 84 SchKG) durch Entscheid des Rechtsöffnungsrichters (Art. 32 Abs. 1 Bst. a LugÜ i.V.m. Art. 80/81 SchKG) über die Vollstreckbarerklä- rung des Urteils und dessen Zulassung zur Zwangsvollstreckung für die darin ausgewiesene Forderung zu entscheiden und bei unterblie- benem Rechtsvorschlag die mit der Betreibung angehobene Zwangs- vollstreckung ohne solchen Vollstreckungsentscheid durchzuführen. 5. a) Demnach hätte die Vorinstanz dem mit Eingabe des Ge- suchstellers vom 17. Februar 2003 unter Vorlegung des als rechts- kräftig bescheinigten Urteils des Landgerichts Berlin vom 19. Feb- ruar 2001 eingereichten Begehren um Erlass eines Arrestbefehls für die Forderung des Gesuchsgegners gegenüber der G. AG stattgeben und den beantragten Arrestbefehl (Art. 274 SchKG) erlassen müssen. Die gegen den ablehnenden Entscheid eingelegte Beschwerde des Gesuchstellers (Art. 40 Abs. 1 LugÜ i.V.m. Art. 25 Ziff. 2 Bst. a SchKG und §§ 298 Abs. 2/336 Abs. 1 ZPO) ist daher im Antrag auf Aufhebung dieses Entscheids gutzuheissen. b) Der Gesuchsteller hat mit seiner Beschwerde, welche schrift- lich mit Antrag und Begründung (§ 337 ZPO), d.h. mit einem Abän- derungsbegehren mit der Angabe einzureichen ist, wie und inwieweit 2003 Obergericht/Handelsgericht 54 der angefochtene Entscheid abgeändert und wie anders entschieden werden soll, nur das Begehren um Aufhebung des angefochtenen Entscheids der Vorinstanz gestellt. Der Beschwerdebegründung in Verbindung mit den vorinstanzlichen Akten lässt sich indessen ein- deutig entnehmen, dass der Gesuchsteller die Aufhebung des vorin- stanzlichen Entscheids und dessen Abänderung durch Erlass des in der Vorinstanz beantragten Arrestbefehls verlangen will, der wegen der gesetzlich vorgesehenen Einsprachemöglichkeit (Art. 278 SchKG) nur vom erstinstanzlichen Arrestrichter erlassen werden kann. Die Beschwerde ist daher in diesem Sinne gutzuheissen.
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2007 Zivilrecht 25 B. Registerrecht 2 Kenntnis der eigenen Abstammung Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Kenntnis der eigenen Abstam- mung ist beschränkt auf die Angaben, welche registerrechtlich erfasst sind. Urteil des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 12. März 2007 i.S. I.B. Aus den Erwägungen 1. 1.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie verlange Kennt- nis über die Person ihres Erzeugers, D. sel., der gemäss altem Kin- desrecht als Zahlvater bezeichnet werde. Sie beantrage, dass ihr in Anerkennung ihres rechtmässigen Anspruches auf Kenntnis ihrer eigenen Abstammung bezüglich ihres verstorbenen leiblichen Vaters Zugang zu denjenigen Informationen zu gewähren sei, welche ihr er- möglichten, sich ein Bild von ihrem Erzeuger zu machen. Dazu ge- höre für sie auch, dass sie sich ein Bild von dessen äusserer Erschei- nung machen könne, weshalb sie eine Fotografie von ihm verlange. Da eine solche wohl kaum in den Zivilstandsakten vorhanden sei, verlange sie die Kenntnisgabe allfälliger Nachkommen oder der letz- ten Ehefrau ihres Vaters. Da ihr leiblicher Vater bereits 1982 verstor- ben sei und er offenbar Nachkommen und eine Witwe hinterlassen habe, seien diese Personen als Rechtsnachfolger des gesuchten leib- lichen Vaters durch die zuständige Behörde anzufragen, ob sie mit der Bekanntgabe ihrer Adresse an sie - die Beschwerdeführerin - einverstanden seien, damit sie den gewünschten Kontakt zu den Angehörigen ihres verstorbenen Vaters herstellen könne. Zudem beantrage sie die Angabe seiner letzten Ruhestätte. 1.2. Nach Art. 119 Abs. 2 lit. g BV hat jede Person Zugang zu den Daten über ihre Abstammung. Dieser grundrechtliche Anspruch 2007 Obergericht/Handelsgericht 26 auf Kenntnis der eigenen Abstammung wurde im Zusammenhang mit der Regelung der künstlichen Fortpflanzung mit Keimzellen- spende in der Bundesverfassung verankert, gilt indes nicht nur für das mittels Samenspende gezeugte Kind, sondern für jedes Kind, unabhängig von der Art seiner Zeugung (Schweizer, in: Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, Stand Mai 1995, N 101 ff. zu Art. 24novies aBV; Reusser/Schweizer, Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus völker- und landesrechtlicher Sicht [Abstammung], in: ZBJV 2000, S. 619 f.; Besson, Das Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung - Wege und Auswirkungen der Konkretisierung eines Grundrechts, Jusletter vom 15. März 2005 [www.weblaw.ch], S. 3 und 5; BGE 128 I 63 ff.). Das Zugangsrecht beschränkt sich dabei auf die Daten der Abstammung; ein Recht auf persönlichen Verkehr gibt es nicht (Schweizer, a.a.O., N 101 zu Art. 24 novies aBV; Reusser/Schweizer, in: Ehrenzeller/Mastronardi/ Schweizer/Vallender [Hrsg.], Die schweizerische Bundesverfassung [BV], Zürich 2002, N 37 zu Art. 119 BV). 1.3. Im Rahmen der Fortpflanzungsmedizin sind die Daten der Abstammung vom behandelnden Arzt zu dokumentieren und dem Eidgenössischen Amt für Zivilstandwesen zu übermitteln (Art. 24 f. FMedG). Die Daten umfassen neben der Angabe von Name, Vorna- me, Geburtstag, Geburtsort, Wohnort, Heimatort oder Nationalität, Beruf und Ausbildung u.a. auch Angaben zur äusseren Erscheinung des Samenspenders (Art. 24 Abs. 2 lit. a und d FMedG). Sie sind dem Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat, ohne weiteren Interessennachweis - so wie sie vom Arzt oder der Ärztin gemeldet und beim Eidgenössischen Amt für Zivilstandswesen registriert wor- den sind - bekannt zu geben (Art. 27 Abs. 1 FMedG; Reusser/ Schweizer, Abstammung, a.a.O., S. 628). Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird im Rahmen einer gesetzgeberischen Interessenabwägung dabei auf die Bekanntgabe der im Register er- fassten Daten des Spenders beschränkt. Ähnliches gilt für die Bekanntgabe der leiblichen Eltern eines adoptierten Kindes. Gemäss Art. 268c Abs. 1 ZGB kann das Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat, jederzeit Auskunft über die Personalien seiner leiblichen Eltern verlangen. Das Recht des Adop- 2007 Zivilrecht 27 tivkindes, seine leiblichen Eltern zu kennen, umfasst gegenüber dem Zivilstandsamt einzig den Anspruch des Adoptivkindes auf Zugang zu den überdeckten Eintragungen betreffend seine Abstammung (BGE 128 I 72 und 77), d.h. den Anspruch auf Ausstellung eines Registerauszuges mit den daraus ersichtlichen Daten seiner leibli- chen Eltern. Mitzuteilen sind dem Adoptierten die aktualisierten Daten, d.h. Familiennamen, Vornamen, Heimatort bzw. Staatsange- hörigkeit und - sofern die leiblichen Eltern den Kontakt mit dem Kind nicht ablehnen - deren Adresse (Kreisschreiben des Eidgenössi- schen Amtes für das Zivilstandswesen vom 21. März 2003 N 3.5.1. und 3.5.2.). Über diese vorhandenen Daten hinaus hat das Zivil- standsamt keine weiteren Angaben z.B. über das Aussehen der leiblichen Eltern oder deren Angehörige zu sammeln bzw. dem Ge- suchsteller bekannt zu geben. 1.4. Nach dem Gesagten hat der Verfassungsgeber zwar einen Anspruch auf Kenntnis der eigenen Abstammung verankert. Die Mo- dalitäten der Rechtsausübung werden indes durch die gesetzlichen Bestimmungen geregelt und gegenüber dem Zivilstandsamt (Adop- tion) bzw. dem Eidgenössischen Amt für Zivilstandswesen (Fort- pflanzungsmedizin) auf die Bekanntgabe der registerrechtlich erfass- ten Personalien der leiblichen Eltern bzw. des Samenspenders be- schränkt. Ein Anspruch auf Bekanntgabe von Angehörigen eines leiblichen Elternteils oder auf Beschaffung von weiteren Informatio- nen über diesen besteht nicht. Soweit dem ausserhalb einer Ehe ge- borenen Kind oder dem Ehebruchskind ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Kenntnis der eigenen Abstammung zukommt, kann er in Bezug auf die Auskunftserteilung durch das Zivilstandsamt nicht darüber hinausgehen, was registerrechtlich überhaupt vermerkt ist. Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. l und m ZStV werden die Angaben über Kindesverhältnis und Adoption erfasst; eine Aufnahme von Daten über die altrechtliche Zahlvaterschaft, mit welcher die biologische Vaterschaft nicht im rechtlichen Sinne anerkannt und kein Kindesverhältnis begründet wurde (Tuor/Schnyder, Das schweizeri- sche Zivilgesetzbuch, 9.A., Zürich 1975, S. 258), ist nicht vorgese- hen. 2007 Obergericht/Handelsgericht 28 Eine Bekanntgabe von Personalien des mutmasslichen biologi- schen Vaters der Beschwerdeführerin, zu welchem offenbar lediglich eine Zahlvaterschaft besteht, kann daher nicht mittels Ausstellung ei- nes entsprechenden Registerauszuges erfolgen. Ebenso wenig kann das Zivilstandsamt verpflichtet werden, der Beschwerdeführerin Zu- gang zu Daten allfälliger Nachkommen bzw. der Ehefrau ihres mut- masslichen leiblichen Vaters zu gewähren oder von diesen eine Foto- grafie und Angaben über dessen Grabstätte zu verlangen. Die Be- schwerde ist damit abzuweisen.
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1,236
AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2007-2_2007-03-03
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2002 Strafprozessrecht 93 [...] 31 § 140 Abs. 1 StPO, Entschädigung und Genugtuung für ungerechtfertigte Untersuchungshaft bei Freispruch. Der Tagessatz von Fr. 200.-- als Genugtuung für ungerechtfertigte Unter- suchungshaft ist nach wie vor angemessen. Bei längerdauernder Untersuchungshaft wird die Genugtuung nicht nach einem Tagessatz bemessen, sondern als Pauschale festgesetzt. Einschlägige Erfahrungen aus früheren Strafuntersuchungen und frühe- rer Untersuchungshaft können zu einer Kürzung der Genugtuung füh- ren. Die üblichen Auswirkungen einer Strafuntersuchung und der dazu gehörigen Zwangsmassnahmen (z.B. Hausdurchsuchung) verschaffen keinen Anspruch auf Genugtuung. Es bedarf dazu einer schweren Verlet- zung der Persönlichkeit. Aus dem Urteil des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 25. Juni 2002 i.S. R.N. gegen StA. Aus den Erwägungen 1. a) Die 1975 angesetzte Genugtuungs-Tagespauschale von Fr. 200.-- für ungerechtfertigte Untersuchungshaft (AGVE 1975 Nr. 51 S. 138) war als Maximalbetrag gedacht und im Vergleich mit 2002 Obergericht/Handelsgericht 94 den Leistungen anderer Kantone und des Bundes sehr hoch (vgl. hiezu die in ZBJV 134 [1998] S. 238 ff. zusammengefasste Praxis des Bundesgerichts). Das Obergericht, Beschwerdekammer in Straf- sachen, hat in seinem Entscheid vom 25. Juni 1998 i.S. T.S. ausge- führt (ST.1998.00183, S. 4), es bestehe kein Grund, diesen Ansatz um die seither eingetretene Teuerung zu erhöhen; ein Tagesansatz von Fr. 200.-- sei als Richtlinie für die auszurichtende Genugtuung nach wie vor angemessen. Bei längerdauernder Untersuchungshaft wird dann die Genugtuung nach der neueren Rechtsprechung des Obergerichts nicht mehr nach einem Tagesansatz bemessen, sondern als Pauschale festgesetzt (vgl. OGE 2. Strafkammer vom 1. Dezem- ber 1999 i.S. StA ca. K.K., ST.1999.00139, S. 9/10, wo für 19 Mona- te Haft Fr. 30'000.--, und OGE 1. Strafkammer vom 10. April 2002 i.S. StA / J.K., ST.2002.00069, S. 35, wo für 174 Tage Untersu- chungshaft Fr. 17'000.-- als Genugtuung ausgerichtet wurden). In den zitierten Entscheiden wurde festgehalten, die Regel einer Tagespau- schale von Fr. 200.-- pro Tag Haftdauer sei nur auf kurze Freiheits- strafen anwendbar. b) Die Vorinstanz hat im zu beurteilenden Fall den Pauschalan- satz von Fr. 200.-- pro Tag um 50 % gekürzt mit der Begründung, der Gesuchsteller sei vorbestraft. Die Kürzung ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. Der Ansatz von Fr. 200.-- gilt für unbescholtene Perso- nen (AGVE 1975 S. 138). Der Gesuchsteller wurde am 10. Juli 1996 durch das Strafgericht Basel-Stadt wegen gewerbsmässigen Betruges und mehrfach versuchten Kreditkartenmissbrauchs mit 14 Monaten Gefängnis (bedingt, Probezeit 2 Jahre), abzüglich 22 Tage Untersu- chungshaft, bestraft. Es erweist sich somit, dass entgegen der Auffas- sung des Gesuchstellers (Berufung S. 4) die Kürzung aufgrund der genannten Vorstrafe sachlich gerechtfertigt ist. Der Gesuchsteller hat einschlägige Erfahrungen in einer Strafuntersuchung gemacht und hat sich vor allem bereits während mehrerer Wochen in Untersu- chungshaft befunden. Die neue Untersuchung und Untersuchungs- haft waren demnach für ihn nicht derart einschneidend wie für unbe- scholtene Personen. Eine Kürzung des Ansatzes auf Fr. 150.-- trägt indessen diesem Umstand genügend Rechnung. Für die Untersu- 2002 Strafprozessrecht 95 chungshaft sind ihm als Genugtuung demnach Fr. 300.-- zuzuspre- chen. 2. Für die Hausdurchsuchung hat die Vorinstanz eine Genugtu- ung von Fr. 100.-- als angemessen erachtet. Der Gesuchsteller ver- langt die Erhöhung auf mindestens Fr. 200.--. Es ist zwar richtig, dass das Obergericht in einem Entscheid vom 22. September 1961 für die Beeinträchtigung der Ehre wegen einer ergebnislosen Wohnungsdurchsuchung eine Genugtuung von Fr. 100.-- zugesprochen hat (Beat Brühlmeier, Aargauische Strafpro- zessordnung, Kommentar, 2. A., Aarau 1980, S. 287, Anm. 4c zu § 140 StPO). Dies ändert indessen nichts daran, dass eine Genugtu- ung nur bei einer schweren Verletzung der Persönlichkeit geschuldet ist. Die üblichen Auswirkungen einer Strafuntersuchung und der zu- gehörigen Zwangsmassnahmen geben keinen Anspruch auf Genug- tuung. Der Gesuchsteller hat nicht dargelegt und es ist aus den Akten auch nicht ersichtlich, inwiefern ihn die Hausdurchsuchung beson- ders schwer getroffen hat. Vorliegend ist das Begehren demzufolge gänzlich abzuweisen. Dies verstösst nicht gegen das Verbot der refor- matio in peius, weil gesamthaft keine kleinere Summe als von der Vorinstanz festgesetzt ausgerichtet wird.
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AG_HG_001
AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2002-31_2002-06-02
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2,003
de
2003 Obergericht/Handelsgericht 40 [...] 8 Art. 257d OR. Wirkungslosigkeit der Kündigung nach zu kurz bemessener Zahlungs- frist. Die dem sich mit der Zahlung fälliger Mietzinse in Rückstand be- findenden Mieter vom Vermieter zu kurz bemessene Zahlungsfrist kann nicht in eine der gesetzlichen Bestimmung von Art. 257d Abs. 1 OR ent- sprechende Frist umgedeutet werden und hat die Wirkungslosigkeit einer trotzdem ausgesprochenen ausserordentlichen Kündigung gemäss Art. 257d Abs. 2 OR zur Folge. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 27. Mai 2003 in Sachen E. L. gegen H. S. Aus den Erwägungen 1. a) Gemäss Art. 257d Abs. 1 OR kann der Vermieter bei Zah- lungsrückstand fälliger Mietzinse oder Nebenkosten dem Mieter eine Zahlungsfrist ansetzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ab- lauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Die Frist beträgt bei Wohn- und Geschäftsräumen mindestens dreissig Tage. Bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, so kann der Vermieter bei Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Frist von mindestens dreissig Tagen auf Ende eines Monats kündigen (Art. 257d Abs. 2 OR). In Lehre und Rechtsprechung wird teilweise die Auffassung vertreten, eine zu kurz bemessene Zahlungsfrist bewirke nicht die Nichtigkeit der Androhung, sondern sei in eine erweiterte, den ge- setzlichen Bestimmungen entsprechende Frist umzudeuten (Higi, Zürcher Kommentar, N 39 zu Art. 257d OR; Zürcher Obergericht, 2003 Zivilrecht 41 ZR 90 [1991] Nr. 54). Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die Analogie, welche Higi (a.a.O.) zu Art. 266a Abs. 2 OR zieht, wonach bei Nichteinhaltung einer Kündigungsfrist oder eines Kündigungstermins die Kündigung für den nächstmöglichen Termin gilt, ist deshalb nicht schlüssig, weil die Kündigung ihre Wirkung un- abhängig von der Reaktion des Vertragspartners entfaltet, während es für die Rechtswirkungen der Zahlungsfrist von Art. 257d OR gerade auf das Verhalten des Mieters ankommt. Die Frist von 30 Tagen soll dem Mieter ermöglichen, den rückständigen Mietzins doch noch zu begleichen und so die Kündigung zu vermeiden. Ist die Frist zu kurz bemessen, so wird der grundsätzlich zahlungswillige Mieter seine Bemühungen zur Beschaffung der erforderlichen Mittel vorzeitig ab- brechen oder sie zum vornherein für unnütz erachten, obwohl die Anstrengungen bei korrekt angesetzter Frist hätten erfolgreich sein können. Deshalb wird nur eine korrekt angesetzte Zahlungsfrist dem Zweck der gesetzlichen Vorschrift gerecht (so auch Lachat/Stoll/ Brunner, Mietrecht für die Praxis, 4. Aufl., Zürich 1999, S. 201; Guhl/Koller, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl., Zürich 2000, § 44 N 146, S. 438; Urteil des Kantonsgerichts Waadt vom 9. Mai 1989 in: SJZ 86 [1990] S. 182). Sind die Voraussetzungen von Art. 257d Abs. 1 OR nicht erfüllt, kann eine trotzdem ausgesprochene ausserordentliche Kündigung gemäss Art. 257d Abs. 2 OR keine Wirkungen entfalten und auch nicht in eine ordentliche Kündigung mit entsprechend längerer Kün- digungsfrist umgedeutet werden (Lachat/Stoll/Brunner, a.a.O., S. 205 und 471; Higi, a.a.O., N 57 zu Art. 257d und N 72 zu Art. 257f). Die Kündigung bleibt nur dann gültig, wenn ausser dem Kün- digungsgrund des Zahlungsverzugs noch andere Kündigungsgründe geltend gemacht oder der unbedingte Kündigungswille ungeachtet des Vorliegens eines Zahlungsverzugs aus der Kündigung explizit hervorgeht.
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2,005
de
2005 Zivilprozessrecht 51 B. Anwaltsrecht 9 Art. 12 lit. c BGFA; Unzulässiger Parteiwechsel Unzulässigkeit der Vertretung einer Partei im Streitfall bei vorgängigem Beratungs- oder Mediationsmandat für beide Parteien Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 30. Mai 2005 i.S. U. Aus den Erwägungen 2. Der beanzeigten Anwältin wird vorgeworfen, sie habe die Berufsregel von Art. 12 lit. c BGFA verletzt, indem sie S. S. in einem Eheschutzverfahren gegen Y. S. vertreten habe, nachdem sie vorgän- gig für beide Parteien eine Trennungsvereinbarung ausgearbeitet habe. a. [...] cc) Ein unzulässiger Parteiwechsel liegt schliesslich vor, wenn ein Anwalt in derselben Streitsache zuerst für die eine Partei, dann aber für den Prozessgegner tätig wird oder ein Mandat gegen seinen ehemaligen Klienten übernimmt (F ELLMANN W ALTER , in: F ELL - MANN /Z INDEL [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich 2005, Art. 12 BGFA, N 108 ff.; zum alten Recht: Verein Zürcheri- scher Rechtsanwälte [Hrsg.], Handbuch über die Berufspflichten des Rechtsanwaltes im Kanton Zürich [zit. Handbuch], Zürich 1988, S. 136). b) Im vorliegenden Fall ist der Parteiwechsel von besonderem Interesse. Unter diesem Titel wird die Frage diskutiert, ob ein Anwalt gegen einen ehemaligen Klienten ein Mandat übernehmen darf. Lehre und Rechtsprechung sind sich bei der Beurteilung dieser Frage weitgehend einig. Ein Anwalt darf aufgrund der das Mandatsverhält- nis überdauernden Treue- und Schweigepflicht einen Auftrag, der sich direkt oder indirekt gegen einen früheren Klienten richtet, nur dann annehmen, wenn nicht Kenntnisse zu verwerten oder zu erör- 2005 Obergericht 52 tern sind, die er in einem früheren Verfahren als Berufsgeheimnis er- fahren hat. Das Vorgehen gegen einen früheren Klienten ist schon dann untersagt, wenn die Möglichkeit besteht, dass Kenntnisse aus dem ehemaligen Mandatsverhältnis bewusst oder unbewusst verwen- det werden können. Je enger der Zusammenhang des neuen Mandats mit dem abgeschlossenen Auftrag ist, desto eher muss der Anwalt mit der Möglichkeit der Verwertung von Kenntnissen aus dem abge- schlossenen Mandat rechnen (F ELLMANN , a.a.O., Art. 12 BGFA N 108 ff.; T ESTA G IOVANNI A NDREA , Die zivil- und standesrechtli- chen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, Diss. Zürich 2001, S. 116 f. mit Hinw.; H ESS B EAT , Verbot von Interessen- kollisionen bei Prozessvertretungen und bei beratender Tätigkeit, in: Anwaltsrevue 1/2005, S. 23 f.; zum alten Recht: F ELLMANN /S IDLER , Standesregeln des Luzerner Anwaltsverbandes, Bern 1996, Art. 25 N 2). c) Zweifellos ist es zulässig, gleichzeitig für beide scheidungs- oder trennungswillige Ehegatten tätig zu werden, falls beide dem An- walt ein Beratungs- oder Mediationsmandat erteilen und er im Rah- men dieser Beratung oder Mediation gemeinsam mit den Ehegatten eine Konvention erarbeitet. Unzulässig ist es hingegen, im Auftrag beider Parteien eine Scheidungs- oder Trennungsvereinbarung auszu- arbeiten und im nachfolgenden Prozess eine der Parteien zu vertre- ten. In diesem Fall besteht die erhebliche Gefahr, dass einerseits der Anwalt Kenntnisse verwendet, die er aufgrund seines Berufsgeheim- nisses erfahren hat, und andererseits dass die Gegenpartei das Gefühl hat, ihre Interessen seien ungenügend wahrgenommen worden (vgl. Entscheid der Anwaltskammer des Kantons Solothurn vom 25. März 2004; ähnlich: Entscheid des Verwaltunsgerichts des Kantons Aargau vom 28. Oktober 2003; Entscheid der Anwaltskommission des Kan- tons Aargau vom 16. August 2001 i.S. G.; Entscheid der Aufsichts- kommission des Kantons Zürich über die Anwälte vom 3. März 2005; H ESS , a.a.O., S. 25; F ELLMANN , a.a.O., Art. 12 BGFA, N 103; T ESTA , a.a.O., S. 106 mit Hinw. auf Entscheid des zürcherischen Standesgerichts vom 4. November 1996 [Nr. 267] S. 10; zum alten Recht: F ELLMANN /S IDLER , a.a.O., Art. 23 N 5). 2005 Zivilprozessrecht 53 Die Folge eines gemeinsamen Beratungs- oder Mediationsman- dates ist somit, dass der Anwalt bei einem späteren Streit nicht eine der Parteien gegen die andere im Prozess vertreten darf. Andernfalls würde er einem seiner beiden früheren Mandanten untreu. Um diese Problematik zu vermeiden, hat der Anwalt deshalb bereits bei Beginn der Beratung oder Mediation klarzustellen, dass er im Streitfalle keiner der Parteien als Vertreter zur Verfügung steht (vgl. Ethische Richtlinien des Schweizerischen Dachverbandes Mediation vom 4. Mai 2004, Ziff. A.2.; H ESS , a.a.O., S. 25).
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AG_HG_001
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de
2010 Zivilrecht 25 I. Zivilrecht A. Familienrecht 1 Art. 310 und 307 Abs. 1 ZGB; Platzierung eines Kindes in einer Pflege- familie. Die Platzierung eines Kindes in einer Pflegefamilie kann entweder von den sorgeberechtigten Eltern in Ausübung ihres Obhutsrechts oder bei bestehendem oder neu angeordnetem Obhutsentzug von der Vormund- schaftsbehörde als Kindesschutzmassnahme vorgenommen werden. Das Kindesschutzverfahren nach ZGB (z.B. hinsichtlich der Beschwerdefrist oder der Pflicht zur Anhörung des Kindes) gilt nur bei einer Platzierung durch die Vormundschaftsbehörde. Ein bloss passives Einverständnis der sorgeberechtigten Eltern zu einer kindesschutzrechtlich notwendigen Platzierung lässt die Notwendigkeit eines Obhutsentzugs nicht entfallen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Kammer für Vormundschaftswesen, vom 3. Dezember 2010 (XBE.2010.20) Sachverhalt 1. 1.1. B., geboren am [...] 1994, ist der Sohn der allein sorgeberech- tigten Kindsmutter M.. B. besuchte vom 11. August 2008 an das Schulheim S., wurde aber, nachdem er sich mehrfach unerlaubt vom Heim entfernt hatte, im Oktober 2009 aus dem Heim ausgeschlossen. Am 8. November 2009 trat B. in das Berufsbildungsheim H. ein. Auch aus diesem Heim entfernte sich B. mehrfach unerlaubt, zuletzt am 23. Juni 2010. Während einer dieser Abwesenheiten mandatierte B. offenbar selbständig die Rechtsanwältin A. [...]. B. weigerte sich nach dem 23. Juni 2010, in das Heim H. zurückzukehren. Ein mit Präsidialverfügung vom 14. Oktober 2009 angeordneter Obhutsent- zug wurde bereits mit Beschluss der Vormundschaftsbehörde V. vom 2010 Obergericht 26 8. Februar 2010 wieder aufgehoben, so dass das Obhutsrecht derzeit bei der sorgeberechtigten Kindsmutter liegt. [...] 1.3. Am 21. Juli 2010 fand eine Not-Standortbestimmung statt, an welcher B., seine Mutter, sein Vater mit dessen Partnerin, die Kinds- beiständin X., Rechtsanwältin A. und ein von ihr beauftragter Fami- liencoach, der Lebenspartner der Schwester von B. und zwei Vertre- ter des Heimes H., jedoch keine Vertretung der Vormundschaftsbe- hörde V. teilnahmen. Gemäss Protokoll sprach sich dabei die Kinds- mutter für die Einweisung in eine "Beobachtungsstation" aus und die Beiständin hielt eine Fortführung des Aufenthalts im Heim H. für ideal, schlug aber den Eintritt in eine offene Beobachtungsstation vor, welche eine genaue Abklärung machen könne. Schliesslich wurde aber "beschlossen", dass B. gemäss seinem eigenen Wunsch unter Vorbehalt der "Bewilligung" der Vormundschaftsbehörde zu einer Pflegefamilie stossen solle, wobei er bis zum 18. August 2010 bei seiner Schwester und deren Lebenspartner leben solle, wo er sich offenbar schon vor dem Gespräch aufgehalten hatte. [In der Folge wurde der Vormundschaftsbehörde mit separaten Eingaben je von der Kindsbeiständin und der vom Jugendlichen B. mandatierten Anwältin beantragt, B. in eine sozialpädagogische Pfle- gefamilie zu platzieren, welche eine von der Anwältin beauftragte Organisation vermittelt hatte.] 1.5. [Mit Beschluss vom 9. August 2010 lehnte der Gemeinderat V. die Kostengutsprache für die Platzierung in der vorgeschlagenen Pflegefamilie ab. Es werde erwartet, dass B. in das Heim H. zurück- kehre.] Gemäss der auf dem Beschluss aufgeführten Rechtsmittelbeleh- rung konnte dagegen innert einer Frist von 30 Tagen Beschwerde ge- führt werden. 2010 Zivilrecht 27 2. 2.1. Gegen diesen Beschluss erhob B., vertreten durch Rechtsanwäl- tin A., mit Eingabe vom 13. September 2010 Beschwerde an das Bezirksamt Y. [...]. 2.2. [Mit Beschluss 24. September 2010 trat das Bezirksamt Y. auf die Beschwerde nicht ein.] Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Ge- meinderat V. habe den angefochtenen Beschluss in seiner Funktion als kommunale Vormundschaftsbehörde erlassen. Daher habe dieser Beschluss mit Vormundschaftsbeschwerde gemäss Art. 420 Abs. 2 ZGB innert einer Frist von zehn Tagen angefochten werden können. [...] Die zehntägige Beschwerdefrist habe demnach am 31. August 2010 geendet und die Beschwerdeerhebung mit Postaufgabe am 13. September 2010 sei verspätet erfolgt. Die beschwerdeführende Anwältin hätte bei gehöriger Sorgfalt erkennen müssen, dass es sich um eine vormundschaftliche Angelegenheit handle und die entspre- chende Beschwerdefrist von zehn Tagen gelte, weshalb sie sie sich nicht auf die falsche Rechtsmittelbelehrung berufen könne. [...] 3. 3.1. Dagegen erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechts- anwältin A., mit Eingabe vom 6. Oktober 2010 fristgerecht Be- schwerde an die Kammer für Vormundschaftswesen [...] Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Streitge- genstand sei weder ein Obhutsentzug noch eine behördlich vorge- nommene Platzierung. Es handle sich nicht um eine vormundschaft- liche Massnahme, sondern die Gemeinde habe im Rahmen ihrer für- sorgerischen Aufgaben Kostengutsprache für den das Heim H. erteilt bzw. mit Beschluss vom 9. August 2010 die Kostengutsprache für ei- ne andere Platzierung abgelehnt. Deshalb gelte nicht die vormund- schaftsrechtliche Beschwerdefrist. [...] 2010 Obergericht 28 Aus den Erwägungen 1. Im vorliegenden Verfahren geht es in der Sache um den Wunsch des minderjährigen Beschwerdeführers B., in einer Pflegefamilie zu leben. 1.1 Nach der Konzeption des schweizerischen Zivilgesetzbuches bestimmen grundsätzlich Minderjährige ihren Aufenthaltsort nicht selbst, sondern darüber entscheiden die sorgeberechtigten Eltern; die- ses Aufenthaltsbestimmungsrecht ist der Kern des sogenannten Ob- hutsrechts gemäss Art. 301 Abs. 3 ZGB, welches wiederum einen Teil der elterlichen Sorge darstellt (vgl. BGE 136 III 353, E. 3.2.). 1.2. Die Vormundschaftsbehörde hat die elterliche Obhut allerdings aufzuheben, wenn einer Kindsgefährdung nicht anders begegnet wer- den kann (Art. 310 Abs. 1 ZGB). Diesfalls verlieren die sorgeberech- tigten Eltern ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht und dieses wird neu von der Vormundschaftsbehörde wahrgenommen - diese platziert das Kind an einem geeigneten Ort. Die gleiche Anordnung trifft die Vor- mundschaftsbehörde auf Begehren der Eltern oder des Kindes, wenn das Verhältnis so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist und nach den Umständen nicht anders geholfen werden kann (Art. 310 Abs. 2 ZGB). 1.3. Eine Platzierung eines Minderjährigen in eine Pflegefamilie kann damit rechtlich auf zwei verschiedene Arten erfolgen. Bei einer massgeblichen Kindsgefährdung entzieht die Vor- mundschaftsbehörde sofern notwendig den Kindseltern die Obhut und nimmt die Platzierung vor. Die Platzierung ist dann eine mit an- fechtbarem Beschluss der Vormundschaftsbehörde angeordnete Kin- desschutzmassnahme. Die Beschwerdefrist richtet sich entsprechend nach dem Kindesschutzrecht des ZGB und beträgt gemäss Art. 420 Abs. 2 ZGB zehn Tage. Kosten von Kindesschutzmassnahmen sind gemäss Art. 276 Abs. 1 ZGB Unterhaltskosten, welche grundsätzlich 2010 Zivilrecht 29 von den Eltern zu tragen sind. Soweit die Kosten von rechtswirksam angeordneten Kindesschutzmassnahmen allerdings nicht gedeckt sind, hat die zuständige Fürsorgebehörde dafür aufzukommen (vgl. BGE 135 V 134). Für den Leistungserbringer im Rahmen von Kin- desschutzmassnahmen ist die Bezahlung damit sichergestellt, sobald die Massnahmen von der Vormundschaftsbehörde rechtswirksam an- geordnet sind. Die sorgeberechtigten Eltern können ihr minderjähriges Kind in Ausübung ihres Obhutsrechts aber auch selbst in eine Pflegefamilie platzieren. Es handelt sich dann nicht um eine Kindesschutzmassnah- me, sondern um einen autonomen Entscheid der Eltern im Rahmen der elterlichen Sorge; die Vormundschaftsbehörde wirkt an der Plat- zierung an sich nicht mit. Häufig werden die platzierenden Eltern aber trotzdem auf die Mitwirkung der Behörden angewiesen sein, wenn sie die Platzierung nicht aus eigenen Mitteln zu finanzieren vermögen respektive der Leistungserbringer (d.h. die Pflegefamilie oder die Organisation, welche die Pflegeplätze vermittelt) die Sicher- stellung der Finanzierung verlangt. In diesem Fall sind die Eltern auf eine Kostengutsprache der zuständigen Fürsorgebehörde angewiesen und müssen zur Sicherstellung der Finanzierung bei dieser Behörde ein entsprechendes Gesuch stellen. Die einschlägige Bestimmung im Kanton Aargau dazu ist § 9 Abs. 2 SPV, wonach das Gesuch um Kostengutsprache durch die Hilfe suchende Person oder durch eine bevollmächtigte Vertretung vor Inanspruchnahme der entsprechen- den Leistung zu stellen ist. Der Entscheid über dieses Gesuch kann gemäss § 58 Abs. 3 SPG innert 30 Tagen angefochten werden. 1.4. Der Gemeinderat ist im Kanton Aargau sowohl Vormund- schaftsbehörde (§ 59 Abs. 1 EG ZGB) als auch Fürsorgebehörde (§ 44 Abs. 1 und 2 SPG). Der Gemeinderat kann sich bei einer Plat- zierung eines Minderjährigen in eine Pflegefamilie damit entweder in seiner Funktion als Vormundschafts- oder in seiner Funktion als Für- sorgebehörde damit befassen. Im ersten Fall nimmt er bei einem be- stehenden oder neu angeordneten Obhutsentzug die Platzierung sel- ber vor, im zweiten Fall nimmt er auf Gesuch des platzierenden ge- setzlichen Vertreters des Kindes (Sorgerechtsinhaber oder Vormund) 2010 Obergericht 30 bloss eine Kostengutsprache vor. Erste Beschwerdeinstanz ist in bei- den Fällen das Bezirksamt (§ 2 Abs. 2 lit. a EG ZGB und § 58 Abs. 3 SPG). 1.5. Im vorliegenden Fall macht die Vorinstanz geltend, der Be- schluss des Gemeinderats V. vom 9. August 2010 sei in dessen Funk- tion als Vormundschaftsbehörde erfolgt, womit eine Beschwerdefrist von zehn Tagen gelten würde, welche mit der Beschwerde vom 13. September 2010 nicht eingehalten worden wäre, während die von B. mandatierte Rechtsanwältin geltend macht, der Gemeinderat habe den Beschluss in seiner Funktion als Fürsorgebehörde getroffen, wo- mit die einschlägige Beschwerdefrist von 30 Tagen eingehalten sei. Würde die in der vorliegenden Beschwerde vertretene Auffassung zutreffen, wäre die Kammer für Vormundschaftswesen für deren Be- handlung nicht zuständig, denn für Beschwerden gegen Entscheide des Bezirksamts in Fürsorgesachen ist gemäss § 58 Abs. 2 SPG das Verwaltungsgericht zuständig. 1.6. Es handelt sich im vorliegenden Verfahren allerdings offensicht- lich um eine kindesschutzrechtliche und nicht um eine sozialhilfe- rechtliche Angelegenheit. Es ist nicht die sorgeberechtigte Kindsmut- ter, welche B. in einer Pflegefamilie platzieren möchte und zu die- sem Zweck ein Gesuch um Kostengutsprache an den Gemeinderat gerichtet hätte. Mit Schreiben an die Vormundschaftsbehörde V. vom 20. Juli 2010 beantragte sie selbst einen Obhutsentzug. Gemäss Pro- tokoll der Not-Standortbestimmung vom 21. Juli 2010 befürwortete die Kindsmutter die Einweisung in eine Beobachtungsstation. Schliesslich liegt weder eine Anmeldung oder ein von der Kindsmut- ter abgeschlossener Pflegevertrag für die Platzierung in eine Pflegfa- milie noch ein Gesuch von ihr um Kostengutsprache zu diesem Zweck vor. In der vorliegenden Beschwerde wird auf S. 2 selbst aus- geführt, die Mutter unternehme ihrerseits keine eigenen Schritte für die Umsetzung der geforderten Platzierung in eine Pflegfamilie. Die Eingaben an den Gemeinderat, mit welcher die Platzierung in eine Pflegefamilie anbegehrt wurden, stammten vielmehr einer- seits von der Kindsbeiständin und andererseits von Rechtsanwältin 2010 Zivilrecht 31 A., welche nach eigenen Angaben nur von B., nicht aber von der sorgeberechtigten Kindmutter mandatiert ist, so dass sie nicht als ihre bevollmächtigte Vertreterin ein Gesuch um Kostengutsprache stellen konnte. Nach Treu und Glauben können die Anträge in den Eingaben an den Gemeinderat V. von der Kindsbeiständin vom 5. August 2010 sowie der Rechtsanwältin A. vom 9. Juli 2010 und vom 12. August 2010 nur als im Sinne von Gefährdungsmeldungen erfolgte Begehren auf Kindesschutzmassnahmen verstanden werden. Es ging offen- sichtlich nicht darum, bloss die Finanzierung einer von der sorge- und obhutsberechtigten Mutter eingeleiteten Platzierung sicherzustel- len, sondern der Gemeinderat V. hätte nach dem Sinn dieser Einga- ben als Vormundschaftsbehörde anstelle der Kindsmutter für die Platzierung besorgt sein sollen, was, wenn auch nicht explizit be- antragt, einen Obhutsentzug bedingt hätte. In der Eingabe der Kinds- beiständin vom 5. August 2010 wird auf S. 2 sogar ausdrücklich be- richtet, die Kindsmutter habe sich gegen eine Platzierung in der Pflegefamilie ausgesprochen. 1.7. Damit ist offensichtlich, dass sich die Anträge der Kindsbeistän- din und von Rechtsanwältin A. an den Gemeinderat als Vormund- schaftsbehörde richteten und dieser seinen Beschluss vom 9. August 2010 auch als Vormundschafts- und nicht als Sozialhilfebehörde gefällt hat. Eine Beschwerde dagegen wäre daher innert der zehntägi- gen Frist von Art. 420 Abs. 2 ZGB zu erheben gewesen und die Beschwerde an das Bezirksamt erfolgte verspätet. 1.8. Richtigerweise hat die Vorinstanz auch die Frage geprüft, ob der rechtsanwaltlich vertretene Beschwerdeführer auf die falsche Rechts- mittelbelehrung auf dem Beschluss der Vormundschaftsbehörde V. vom 9. August 2010 vertrauen durfte. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung geniesst nur Vertrauensschutz, wer die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung nicht kennt und sie auch bei gebührender Aufmerksamkeit nicht hätte erkennen können. Rechtsuchende ge- niessen keinen Vertrauensschutz, wenn der Mangel für sie bezie- hungsweise ihren Rechtsvertreter allein schon durch die Konsultie- rung der massgeblichen Verfahrensbestimmung ersichtlich ist. Dage- 2010 Obergericht 32 gen wird nicht verlangt, dass neben den Gesetzestexten auch noch die einschlägige Rechtsprechung oder Literatur nachgeschlagen wird (BGE 134 I 199, E. 1.3.1. mit Hinweisen). Für die vom Beschwerde- führer mandatierte Rechtsanwältin hätte bei gebührender Aufmerk- samkeit ersichtlich sein müssen, dass es sich vorliegend um eine vormundschaftliche Angelegenheit handelte und die Dauer der Be- schwerdefrist von zehn Tagen wäre mit einem Blick in das ZGB erkennbar gewesen. Der Beschwerdeführer kann sich daher nicht auf die falsche Rechtsmittelbelehrung berufen. 1.9. Die Vorinstanz ist damit zu Recht nicht auf die verspätet einge- reichte Beschwerde eingetreten. 2. 2.1. Damit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Die Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts ist nicht nur Beschwer- deinstanz, sondern gemäss § 59 Abs. 4 EG ZGB auch zweit- instanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde. Sie hat in dieser Funktion die sachrichtige Anwendung des Vormundschafts- und Kin- desrechts durch die ihrer Aufsicht unterstehenden vormundschaftli- chen Behörden und Organe durchzusetzen. In den vorliegenden Ak- ten finden sich zahlreiche Hinweise, welche die Prüfung und allfäl- lige Anordnung eines Obhutsentzugs nahelegen. Die Vormund- schaftsbehörde V. hat jedoch mit Beschluss vom 8. Februar 2010 auf Antrag der Beiständin in einer Eingabe vom 30. Januar 2010 hin einen bereits bestehenden Obhutsentzug wieder aufgehoben und seit- her soweit ersichtlich den neuerlichen Entzug der Obhut nicht ge- prüft, und dies, obwohl die sorgeberechtigte Kindsmutter mit Einga- be vom 20. Juli 2010 selber einen Antrag auf Obhutsentzug gestellt hat. 2.2. In Laienkreisen bis weit hinein in Bereiche des professionellen Sozialwesens ist die Ansicht verbreitet, dass bei Einverständnis der sorgeberechtigten Eltern mit einer Platzierung gestützt auf das in Art. 307 Abs. 1 ZGB festgehaltene Subsidiaritätsprinzip kein Ob- hutsentzug angezeigt sei. Dass dies in dieser allgemeinen Form nicht 2010 Zivilrecht 33 zutrifft, lässt sich bereits aus Art. 310 Abs. 2 ZGB ersehen, wonach unter Umständen ein Obhutsentzug sogar auf Begehren der Eltern zu erfolgen hat. Gemäss C HRISTOPH H ÄFELI ist nur - aber immerhin - auf einen Obhutsentzug zu verzichten, wenn Eltern und Kind mit der Platzierung einverstanden sind oder die Eltern über die Platzierung entscheiden und das Kind gehorcht. Sind entweder Kind oder Eltern mit der Platzierung nicht einverstanden, ist auch nach seiner Ansicht die Obhut aufzuheben (Wegleitung für vormundschaftliche Organe, 4. Aufl. 2005, S. 149). Aus Art. 310 ZGB ergibt sich hingegen, dass grundsätzlich jede vormundschaftsrechtliche Platzierung mit einem Obhutsentzug ver- bunden ist. Im Wortlaut des ZGB findet sich der Begriff der "Platzie- rung" überhaupt nicht, sondern in Art. 310 ZGB wird unter dem Randtitel "Aufhebung der elterlichen Obhut" festgehalten, die Vor- mundschaftsbehörde habe unter bestimmten Umständen das Kind den Eltern "wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubrin- gen". Daraus ergibt sich, dass im Kindesschutzrecht der Obhutsent- zug und die Platzierung bloss zwei Seiten desselben Vorgangs sind. Mit dem Obhutsentzug wird den sorgeberechtigten Eltern im Wesent- lichen das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind entzogen, welches auf die Vormundschaftsbehörde übergeht, und mit der Plat- zierung übt die Vormundschaftsbehörde dieses Recht aus. Ein Ob- hutsentzug ohne Platzierung ist ebenso sinnlos wie eine kindes- schutzrechtliche Platzierung einen Obhutsentzug voraussetzt. 2.3. Selbstverständlich kann aber eine Platzierung nicht nur durch die Vormundschaftsbehörde, sondern bei bestehendem Obhutsrecht auch durch die Eltern erfolgen. Wie oben in Erwägung 1.3. ausge- führt, hat die Vormundschaftsbehörde damit als solche rechtlich nichts zu tun, weshalb es dann auch nicht zu einem Obhutsentzug kommt. Es handelt sich dann nicht um eine Kindesschutzmassnahme, sondern um einen autonomen Entscheid der sorgeberechtigten Eltern. Die Abgrenzung kann in der Praxis im Einzelfall aber schwierig sein, da oft wie derzeit noch im Kanton Aargau die Gemeindebehörden sowohl als Vormundschaftsbehörde für die hoheitliche Anordnung von Kindsschutzmassnahmen als auch als Fürsorgebehörde für die 2010 Obergericht 34 materielle und immaterielle Hilfe zuständig sind. Gemäss dem be- reits erwähnten Subsidiaritätsprinzip nach Art. 307 Abs. 1 ZGB trifft die Vormundschaftsbehörde nur Kindesschutzmassnahmen, wenn die sorgeberechtigten Eltern nicht selber die Kindsgefährdung abwen- den. Sofern daher die sorgeberechtigten Eltern eine bestehende Kindsgefährdung selbständig erkennen, darauf mit einer angemesse- nen Platzierung des Kindes reagieren und sich im Wesentlichen nur noch zur Sicherstellung der Finanzierung mit dem Gesuch um Kostengutsprache an die Gemeinde wenden, braucht die Gemeinde als Kindesschutzbehörde nach dem Subsidiaritätsprinzip nicht mehr tätig zu werden und keinen Obhutsentzug anzuordnen. Auch wenn die sorgeberechtigten Eltern eine Kindsgefährdung erkennen, sich zu ihrer Unterstützung bei der Suche nach einer angemessenen Lösung des Problems an die Gemeinde wenden und diese zum Beispiel einen Pflegplatz vermittelt, sind die Eltern grundsätzlich noch die treibende Kraft bei der Beseitigung der Kindsgefährdung, welche letztlich mit Hilfe der Behörden über eine Platzierung selbständig entscheiden, so dass ein Eingreifen der Vormundschaftsbehörde mit einem Obhuts- entzug nicht notwendig erscheint (zur weiteren Unterstützung der Eltern und des Kindes kann vormundschaftsrechtlich allenfalls eine Beistandschaft errichtet werden). Sofern allerdings die Vormund- schaftsbehörden auf Grund einer Gefährdungsmeldung Dritter tätig werden, die Eltern nicht aktiv an der Beseitigung der Kindswohlsge- fährdung mitwirken, sondern bloss passiv die von der Vormund- schaftsbehörde in die Wege geleitete Platzierung akzeptieren und sich mit einer blossen Einverständniserklärung darin fügen, ohne sel- ber diese Lösung angestrebt zu haben, kann nach Auffassung der Kammer für Vormundschaftswesen nicht davon die Rede sein, dass die Eltern im Sinne des Subsidiaritätsprinzips die Kindsgefährdung selber abgewendet hätten. Entsprechend ist in diesen Fällen der Kindsgefährdung unabhängig vom Vorliegen des Einverständnisses der Eltern mit einem Obhutsentzug und einer vormundschaftsrechtli- chen Platzierung zu begegnen. 2.4. Selbstverständlich ist es auch in den letztgenannten Fällen psy- chologisch und für den weiteren Verlauf der Massnahme wichtig, 2010 Zivilrecht 35 dass die Behörden die Kindseltern von der Notwendigkeit der Plat- zierung zu überzeugen versuchen. Bloss wird es nach der hier ver- tretenen Auffassung der Sache nicht gerecht, das Einverständnis an- sonsten passiv bleibender Eltern mit dem Verzicht auf einen Obhuts- entzug zu "belohnen". Da mit dem Verzicht auf den Obhutsentzug die Platzierung nämlich keinen kindesschutzrechtlichen Charakter mehr hat, gehen damit grundsätzlich auch die kindesschutzrechtli- chen Verfahrensgarantien verloren. So ist bei einer formell von den Kindseltern angeordneten Platzierung mit blosser Kostengutsprache der Behörden Art. 314 Ziff. 1 ZGB, wonach das Kind von der Vor- mundschaftsbehörde in der Regel anzuhören ist, nicht anwendbar, was sich nur rechtfertigt, wenn die Platzierung effektiv von den Eltern ausgeht. Auch wird den Eltern die Möglichkeit genommen, die Platzierung mittels Beschwerde gemäss Art. 420 Abs. 2 ZGB von der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde überprüfen lassen zu kön- nen. Wenn die Behörde die Platzierung für unumgänglich hält und vorantreibt, auf Grund des Einverständnisses der passiven Eltern aber auf einen Obhutsentzug verzichtet, sich jedoch offen oder insge- heim vorbehält, die Platzierung bei einem Abbruch durch die Eltern mittels sofortigem Obhutsentzug aufrechtzuerhalten, so wird den El- tern entgegen Treu und Glauben eine Entscheidautonomie vorgespie- gelt, welche diese gar nicht haben, denn die Vormundschaftsbehörde wird in einem solchen Fall die Platzierung so oder so durchsetzen. Ein Einverständnis der Eltern beruht dann unter Umständen auch nicht mehr auf ihrem freien Willen, sondern sie erklären sich mög- licherweise sogar wider Willen einverstanden, bloss um einen als stigmatisierend empfundenen Obhutsentzug zu vermeiden. 2.5. Zusammenfassend kann nach Ansicht der Kammer für Vor- mundschaftswesen auf einen Obhutsentzug nur verzichtet werden, wenn die sorgeberechtigten Eltern aktiv auf die Platzierung hinge- wirkt haben. Ein bloss passives Einverständnis hingegen lässt die Notwendigkeit eines Obhutsentzugs nicht dahinfallen. Ein gewisser Ermessensspielraum lässt sich in dieser Frage nicht vermeiden, doch werden sich auch viele Fälle klar unter diesen Kriterien einordnen lassen. 2010 Obergericht 36 3. [...] 3.2. Gemäss der Eingabe der Kindsbeiständin an die Vormund- schaftsbehörde V. vom 5. August 2010 (letzter Absatz auf S. 2) habe sich die Kindsmutter geäussert, dass sie nicht länger Verantwortung übernehmen möchte für Platzierungen von B.. Es befindet sich im Übrigen eine Eingabe der Mutter an die Vormundschaftsbehörde vom 20. Juli 2010 bei den Akten, mit welcher sie selber den Entzug der Obhut über B. beantragt. Rechtsanwältin A. führt in der Be- schwerde an das Bezirksamt vom 13. September 2010 aus, schon im frühen Kindesalter bald nach der Scheidung der Kindseltern sei die Kindsmutter mit der Erziehung und Pflege der Kinder überfordert gewesen. Persönliche Probleme der Mutter einerseits, insbesondere die Alkoholsuchtproblematik und der häufige Partner- und Wohnorts- wechsel, und Probleme von B. wie Legasthenie und ADHS anderer- seits hätten dazu geführt, dass dieser schon seit früher Kindheit meist in Institutionen untergebracht gewesen sei. Gemäss Aktennotiz des Bezirksamts Y. vom 16. September 2010 habe Rechtsanwältin A. in einem Telefongespräch mit dem Sachbearbeiter des Bezirksamts unter anderem ausgeführt, die Kindsmutter sei lediglich eine Mario- nette, die das befürworte, was man ihr sage. Faktisch sei das Heim H. in dieser Sache federführend und nicht die Kindsmutter oder die Beiständin. In der vorliegend zu behandelnden Beschwerde führt Rechtsanwältin A. auf S. 6 aus, der Beschwerdeführer sei schon seit Jahren damit konfrontiert, dass formell nach wie vor seine Mutter als Inhaberin der elterlichen Sorge Entscheidträgerin, faktisch aber zur Pflege und Erziehung nicht fähig sei, was dazu führe, dass die Vor- mundschaftsbehörde faktisch Entscheidungen fälle, formell aber nicht Entscheidungsträger sei und nicht in der Verantwortung stehe. Der Beschwerdeführer werde damit zum Spielball gemacht in einem Schwarz-Peter-Spiel in Bezug auf die Verantwortung, eine im Kindeswohl liegende Entscheidung in Bezug auf den Aufenthalt des Beschwerdeführers zu treffen. Die Beiständin ihrerseits bemühe sich zwar um eine im Kindeswohl liegende Lösung, habe aber keine Ent- scheidungskompetenzen. 2010 Zivilrecht 37 3.3 Zusammenfassend ergibt sich damit aus den Akten, dass die Kindsmutter selber einen Antrag auf Obhutsentzug gestellt hat und gemäss den Angaben der Kindsbeiständin geäussert hat, sie wolle keine Verantwortung für die Platzierungen von B. mehr übernehmen und die vom Beschwerdeführer beauftragte Rechtsanwältin A. gel- tend macht, schon bisher seien die Entscheidungen hinsichtlich des Aufenthaltsorts von B. faktisch nicht von der sorgeberechtigten Kindsmutter getroffen worden. 3.4 Die Vormundschaftsbehörde V. wird damit auf Grund des An- trags der Mutter aber auch von Amtes wegen darüber beschliessen müssen, ob der Kindsmutter die Obhut über B. entzogen wird. Bei einem Obhutsentzug wird sie gleichzeitig über die Platzierung von B. entscheiden müssen. Ein Obhutsentzug ist anzuordnen, wenn eine Kindsgefährdung vorliegt, welche die sorgeberechtigten Eltern nicht beseitigen und sich auch nicht mit milderen Kindesschutzmassnah- men beheben lässt. 3.5. Vorliegend ist es soweit ersichtlich unumstritten, dass B. nicht ohne Kindswohlsgefährdung bei seiner Mutter leben kann. Als er das Heim H. ohne Erlaubnis verliess, wurde er jeweils sogar polizeilich ausgeschrieben. Die Kindsmutter hat offenbar selber erklärt, die Ver- antwortung für die Platzierung von B. nicht mehr übernehmen zu können. Gemäss den Ausführungen von Rechtsanwältin A. hat die Kindsmutter im Übrigen schon bisher sich nicht selber aktiv um eine kindgerechte Platzierung von B. gekümmert, sondern sich lediglich passiv in das von der Beiständin oder dem Heim vorgegebene Vorge- hen gefügt. Falls dies zutrifft, hätte schon früher die Obhut entzogen beziehungsweise auf eine Wiedererteilung der Obhut verzichtet wer- den müssen, denn eine bloss passive Kooperation der sorgeberechtig- ten Eltern mit den Behörden führt nicht dazu, dass von einem Obhutsentzug abgesehen werden kann. Auf jeden Fall liegt heute offenbar eine Kindsgefährdung vor, welche nach einer Platzierung von B. verlangt, sei es in einem Heim oder in einer Pflegefamilie, und die Mutter ist erklärtermassen nicht mehr willens oder in der 2010 Obergericht 38 Lage, die nötigen Entscheide hinsichtlich der anstehenden Platzie- rung zu fällen, so dass ein Obhutsentzug angezeigt erscheint. 3.6. Im vorliegenden Fall zeigt sich exemplarisch, welche Konse- quenzen ein zu Unrecht auf Grund eines passiven Akzeptierens der Platzierung durch die sorgeberechtigten Eltern unterlassener Obhuts- entzug mit sich bringen kann. Formell bleiben die sorgeberechtigten Elternträger Entscheidungsträger, während ihnen faktisch die Ent- scheidung aber vorgegeben wird. Damit bleibt ein formeller Platzie- rungsentscheid der Vormundschaftsbehörde aus, so dass dagegen kein Rechtsmittel vorliegt. So konnte auch im vorliegenden Fall der Beschwerdeführer seine faktische Platzierung im Heim H. aus die- sem Grund nicht anfechten. Im Übrigen hat die Vormundschafts- behörde V. - da sie bisher keinen Obhutsentzug ausgesprochen und damit auch keinen Platzierungsentscheid gefällt hat - den 16-jähri- gen Beschwerdeführer B. soweit ersichtlich noch überhaupt nie zu den zu treffenden und für ihn lebensprägenden Entscheidungen ange- hört. An der Not-Standortbestimmung vom 21. Juli 2010, an welcher unter anderem B., beide Kindseltern, die Beiständin, Rechtsanwältin A. und Vertreter des Heims H. teilnahmen, und an welcher gemäss Protokoll "Beschlüsse", unter anderem hinsichtlich der Platzierung von B. in eine Pflegefamilie gefasst wurden, war die für rechtsgültige Beschlüsse betreffend Kindesschutzmassnahmen allein zuständige Vormundschaftsbehörde nicht vertreten [...].
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2002 Obergericht/Handelsgericht 78 B. Anwaltsrecht [...] 25 Ungebührliche Urteilskritik Der Vorwurf, man werde "den Eindruck nicht los, es handle sich um ein politisches, rassistisches und sexistisches Urteil", überschreitet die Gren- zen der zulässigen Urteilskritik und verstösst gegen § 14 Abs. 1 AnwG. Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 12. August 2002 i.S. R. (bestätigt durch Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2002) Aus den Erwägungen 4. d) Der beschuldigte Anwalt führte in seiner Beschwerde- schrift gegen das Urteil des Gerichtspräsidiums X aus (S. 2/3), es sei derart einseitig, emotional, ja geradezu gehässig, dass es sich gerade selber disqualifiziere. Im Übrigen werde man den Eindruck nicht los, es handle sich um ein politisches, rassistisches und sexistisches Ur- teil. aa) In seinem Schreiben vom 28. Dezember 2001 stellte der beschuldigte Anwalt sich dann auf den Standpunkt, nicht behauptet zu haben, das Urteil sei politisch, rassistisch und sexistisch. Diese 2002 Zivilprozessrecht 79 Argumentation ist spitzfindig und nicht überzeugend, da die in der Beschwerdeschrift gewählte Formulierung klar zum Ausdruck bringt, dass die Urteilskritik den Vorwurf, das Urteil sei ,,politisch, rassi- stisch und sexistisch", beinhaltetet. In seiner Stellungnahme vom 22. Februar 2002 an die Anwaltskommission hält der beschuldigte Anwalt überdies fest, er habe nur die ,,relative und zweifellos erlaubte Empfindung" zum Ausdruck bringen wollen, dass man den entsprechenden Eindruck (nämlich, dass es sich um ein politisches, rassistisches und sexistisches Urteil handle) nicht loswerde. Durch die Formulierung (,,zweifellos erlaubte Empfindung", ,,man (...) den Eindruck nicht los werde") suggeriert der beschuldigte Anwalt, dass dieser Eindruck schlechthin gerechtfertigt sei. Er bringt damit aber auch zum Ausdruck, dass er selbst sehr wohl das angefochtene Urteil als politisch, rassistisch und sexistisch erachtet. bb) Dies zeigt sich auch darin, dass er im Schreiben vom 28. Dezember 2001 mitteilte, er habe sich stellvertretend bei seinem Klienten für das Urteil entschuldigt. Damit bringt er zum Ausdruck, dass sich seines Erachtens im Grunde Gerichtspräsident Y zu ent- schuldigen hätte. Der beschuldigte Anwalt wiederholt damit die an die Adresse von Gerichtspräsident Y in der Beschwerde erhobenen Vorwürfe. Dass er sich im Schreiben vom 28. Dezember 2001 an Ge- richtspräsident Y wohl formell entschuldigte, ist zudem nicht aus- schlaggebend, liess er doch klar durchscheinen, dass er seine Äusse- rung nicht zurückzunehmen bereit war, und erhob zusätzlich den neuen Vorwurf der Zensur. Das ,,Entschuldigungsschreiben" kann daher nicht als ein solches verstanden werden. cc) Somit steht fest, dass die beanstandete Äusserung durch- aus als Urteilskritik des beschuldigten Anwaltes anzusehen ist. e) Damit stellt sich die Frage nach der (Un-)Gehörigkeit der ge- machten Äusserung. Der Vorwurf, ein Urteil sei einseitig und gehäs- sig respektive politisch, rassistisch und sexistisch wiegt schwer. Er beinhaltet den Verdacht auf Parteilichkeit und Befangenheit (aus po- litischen und gesellschaftlichen Motiven), aber auch den Vorwurf moralisch verwerflichen und allenfalls strafrechtlich relevanten Ver- haltens. Diese Vorwürfe wiegen umso schwerer, als das Angriffsub- jekt ein Richter ist, an dessen Integrität im Interesse einer funktionie- 2002 Obergericht/Handelsgericht 80 renden Rechtspflege und zur Durchsetzung der materiellen Wahrheit und Gerechtigkeit hohe Anforderungen zu stellen sind. Die durch den beschuldigten Anwalt gewählten Worte zweifeln letztlich diese Inte- grität von Gerichtspräsident Y an. Sie sind aufgrund der Schwere der darin enthaltenen Vorwürfe geeignet, auf ihn ehrverletzend zu wir- ken. Sie sind unsachlich, aggressiv, unnötig und verunglimpfend (vgl. ZR 1998 Nr. 93 S. 229, ZR 1999 Nr. 55 S. 273 ff.). Damit hat der beschuldigte Anwalt die Grenze der zulässigen Urteilskritik und damit des prozessualen Anstandes überschritten. Die Äusserungen sind ungehörig und eines seriös tätigen Anwaltes nicht würdig. Der beschuldigte Anwalt hat somit gegen § 14 Abs. 1 AnwG verstossen.
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2001 Zivilprozessrecht 53 [...] 12 § 105 lit. b ZPO; Sicherstellung von Parteikosten Die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung während der Hängigkeit des Konkursverfahrens ist beschränkt auf Klagen des Konkursiten; die Kon- kursmasse ist daher nicht per se sicherstellungspflichtig. Dies schliesst nicht aus, dass die Konkursmasse aus anderen Gründen als zahlungsun- fähig erscheint (Erw. 1a). Zahlungsunfähigkeit der Konkursmasse kann gegeben sein, wenn diese vermutlich nicht über genügend Aktiven verfügt, um die Prozesskosten zu decken. Aus der Anordnung des summarischen Konkursverfahrens darf nicht ohne weiteres auf die Zahlungsunfähigkeit der Konkursmasse geschlossen werden (Erw. 1a und b). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 26. Februar 2001 i.S. Konkursmasse der U. AG in Liquidation gegen R.E. Aus den Erwägungen 1. Gemäss § 105 lit. b ZPO hat eine Partei, die als Kläger oder Widerkläger auftritt, der Gegenpartei für die Parteikosten auf deren Begehren Sicherheit zu leisten, wenn gegen sie ein Konkursverfah- ren hängig ist, Verlustscheine bestehen oder wenn sie aus anderen Gründen als zahlungsunfähig erscheint. Sicherstellungspflichtig ist grundsätzlich jede natürliche und juristische Person. Das Bundes- recht lässt es zudem zu, auch der Konkursmasse eine Parteikostensi- cherstellung aufzuerlegen (BGE 105 Ia 252 ff. Erw. 2d; Büh- ler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aarg. Zivilprozessordnung, 2. A., Aarau 1998, N 2 zu § 105 ZPO). a) Während der Hängigkeit des Konkursverfahrens ist die Ver- pflichtung zur Sicherheitsleistung beschränkt auf Klagen des Kon- kursiten (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 13a. zu § 105 ZPO). 2001 Obergericht/Handelsgericht 54 Unter Konkursit ist nur eine natürliche Person zu verstehen, so dass eine Konkursmasse durch Eröffnung des Konkursverfahrens nicht per se sicherstellungspflichtig wird (LGVE 1998 I Nr. 27). Dies schliesst aber nicht aus, dass die Konkursmasse aus anderen Gründen als zahlungsunfähig erscheint und deshalb die Parteikosten sicherzu- stellen hat. Die Generalklausel der "Zahlungsunfähigkeit aus anderen Gründen" gestattet, in Fällen, die nicht unter die qualifizierten Tatbe- stände (hängiges Konkursverfahren, Verlustscheine) fallen, doch eine Sicherstellung anordnen zu können (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 13c. zu § 105 ZPO). Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die betreffende Partei we- der über Mittel noch über Kredite verfügt, fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit ist von der Partei zu beweisen, die Sicherheit von der Gegenpartei verlangt (AGVE 1992 S. 86 f.; SJZ 91 [1995] S. 96 ff.). Eine Zahlungsunfähigkeit der Konkurs- masse im vorstehenden Sinn kann gegeben sein, wenn diese vermut- lich nicht über genügend Aktiven verfügt, um die Prozesskosten zu decken (LGVE 1998 I Nr. 27; RBOG 1991 Nr. 23). b) Der Beklagte machte im Sicherstellungsgesuch geltend, am 21. Mai 1999 sei gestützt auf die Überschuldungsanzeige der Re- visionsstelle der Klägerin gemäss Art. 729b Abs. 2 OR der Konkurs eröffnet worden. Weiter gab er unter Hinweis auf die Anzeige im Amtsblatt und die Akten des Konkursverfahrens an, dass das summa- rische Konkursverfahren durchgeführt werde. Die Zahlungsunfähig- keit sei aufgrund des laufenden und summarischen Konkursverfah- rens als erwiesen zu betrachten. Weitere Ausführungen zur Zah- lungsunfähigkeit der Klägerin machte der Beklagte nicht. Die Prozesskosten stellen, wie weitere von der Konkursmasse nach Eröffnung des Konkurses eingegangene Verpflichtungen, Mas- severbindlichkeiten dar, die aus dem Verwertungserlös der Aktiv- masse vorweg zu begleichen sind. Reicht der Erlös des inventari- sierten Vermögens voraussichtlich zur Deckung der Kosten aus oder leistet ein Gläubiger Sicherheit, wird das ordentliche Konkursverfah- ren durchgeführt (Art. 231 Abs. 1 Ziff. 1 und Abs. 2 SchKG). Wer- den die Kosten des ordentlichen Verfahrens voraussichtlich nicht gedeckt oder sind die Verhältnisse einfach, sind die Bestimmungen 2001 Zivilprozessrecht 55 über das summarische Konkursverfahren anwendbar (Art. 231 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 SchKG). Dass vorliegend das summarische Konkurs- verfahren angeordnet wurde, kann somit durchaus in einfachen, rasch überblickbaren Verhältnissen begründet sein. Jedenfalls darf daraus nicht ohne weiteres auf Zahlungsunfähigkeit der Konkursmasse ge- schlossen werden. Diese ist vielmehr im Verfahren um Sicherstellung vom Antragsteller zu substanziieren und nachzuweisen. Der Beklagte hat den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit der Klägerin nicht erbracht. Insbesondere genügt sein pauschaler Hin- weis auf die Durchführung des summarischen Konkursverfahrens und auf die Konkursakten nicht. Er hätte vielmehr darlegen müssen, weshalb beispielsweise die inventarisierten Aktiven zur Deckung der Massekosten nicht ausreichen oder aus welchen Gründen die Kon- kursverwaltung das summarische Konkursverfahren eröffnet hat. Auch aus der Tatsache der Konkurseröffnung aufgrund einer Über- schuldungsanzeige der Revisionsstelle kann im Übrigen nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Klägerin geschlossen werden. Die Über- schuldungsanzeige bedeutet nur, dass Aktiven und Passiven in einem Missverhältnis stehen, nicht aber, dass unzureichende Aktiven vor- handen sind, um die Kosten des Konkursverfahrens zu decken. Die Klägerin kann nach dem Gesagten mangels Nachweises ih- rer Zahlungsunfähigkeit nicht zur Sicherstellung der Parteikosten des Beklagten verhalten werden. Ihre Anschlussbeschwerde ist deshalb gutzuheissen.
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2004 Obergericht/Handelsgericht 46 [...] 6 Art. 80 Abs. 2 Ziff. 3 SchKG. In der Betreibung von Steuerforderungen ist die Vorlage der definitiven Steuerveranlagung als Rechtsöffnungstitel auch innerkantonal dann nicht erforderlich, wenn die Abschrift der definitiven Steuerrechnung zusam- men mit der Bestätigung der Steuerbehörden, dass bei der Festsetzung der Steuerforderung die Voraussetzungen an das Verfahren im Sinne von Art. 3 des Konkordats über die Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe zur Vollstreckung öffentlichrechtlicher Ansprüche vom 28. Oktober 1971 er- füllt worden sind, eingereicht wird. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 22. Oktober 2004 in Sachen Kt. AG, Einwohnergemeinde E. und Kirchgemeinden E. gegen P. R. 2004 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 47 Aus den Erwägungen 2. a) Die Kläger betreiben den Beklagten für die ordentlichen Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern für das Jahr 2002. Als Rechtsöffnungstitel legten sie die Abschrift der definitiven Rechnung vom 16. Januar 2004 und die Bestätigung der Steuerkommission ein, dass bei der Festsetzung der Forderung die Voraussetzungen an das Verfahren im Sinne von Art. 3 des Konkordats über die Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe zur Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Ansprüche vom 28. Oktober 1971 erfüllt worden sind, das heisst, dass der Betriebene Gelegenheit gehabt hat, sich zur Sache zu äus- sern, eine Einsprache bei der verfügenden Behörde zu erheben oder von einem anderen, die Überprüfung des Sachverhalts gewährleisten- den Rechtsmittel Gebrauch zu machen, dass der Betriebene auf das gegen den Entscheid oder die Verfügung zulässige ordentliche Rechtsmittel, die Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist auf- merksam gemacht worden ist, dass die gegen die Steuerveranlagung zulässigen ordentlichen Rechtsmittel nicht ergriffen worden bzw. er- schöpft worden sind und dass die Steuerveranlagung somit rechts- kräftig ist. Dies genügt nach der Rechtsprechung des Obergerichts grundsätzlich zur Erteilung der definitiven Rechtsöffnung, das heisst die Vorlage der definitiven Steuerveranlagung ist entgegen der Auf- fassung der Vorinstanz nicht in jedem Fall notwendig (nicht publi- zierter Entscheid der 4. Zivilkammer des Obergerichts vom 23. März 2004; Staehelin, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetrei- bung und Konkurs, Basel/Genf/München 1998, N 120 f. und N 135 zu Art. 80 mit Hinweisen; a.M. Stücheli, Die Rechtsöffnung, Zürich 2000, S. 303 und 307).
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2005 Obergericht 80 [...] 18 §§ 186 ff. StPO; § 41 i.V.m. § 43 Abs. 3 Ziff. 4 StPO Abwesenheit im Privatstrafverfahren. Ausstand des Gerichtsschreibers. - Erscheint der Beklagte unentschuldigt nicht zur Instruktionsverhand- lung, muss - gestützt auf die allgemeinen Bestimmungen im ordentli- chen Verfahren - zu einer weiteren Instruktionsverhandlung vorgela- den werden (E. 2 und 3a). Im dem Instruktionsverfahren folgenden Gerichtsverfahren findet dagegen die Verweisung auf die allgemeinen Vorschriften gemäss § 205 StPO keine Anwendung, da die spezielle Regelung gemäss § 190 Abs. 3 StPO Geltung hat (E. 3b). - Derselbe Gerichtsschreiber darf nicht sowohl an der Instruktions- als auch an der Gerichtsverhandlung mitwirken, da er Protokollführer im Sinne von § 41 i.V.m. § 43 Abs. 3 Ziff. 4 StPO ist (E. 3c). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 31. März 2005 in Sachen Kanton Aargau gegen M.J. Aus den Erwägungen 2. a) Der Beklagte hat die Busse nicht innert der ihm gestützt auf die Regelung des vereinfachten Verfahrens gemäss § 185a StPO angesetzten Frist von 30 Tagen bezahlt, weshalb das ordentliche Pri- vatstrafverfahren zur Anwendung gelangte. Dieses gliedert sich in die Phasen der Instruktion (§ 186 ff. StPO) und des Gerichtsverfah- rens (§ 190 ff. StPO). Zweck des Instruktionsverfahrens ist es, die Gerichtsverhand- lung vorzubereiten und den Prozessstoff abzuklären (Benno Weber, Das Privatstrafverfahren nach aargauischem Recht, Diss. Zürich 1987, S. 112). Der Prozessstoff ist soweit zusammenzutragen, dass die Hauptverhandlung in einem Zug durchgeführt werden kann und keine weitere Beweisverhandlung mehr nötig ist. Das Verfahren dient der Erforschung der materiellen Wahrheit. Es gilt das Offizial- 2005 Strafprozessrecht 81 prinzip (Beat Brühlmeier, Aarg. Strafprozessordnung, Kommentar, 2. Aufl., Aarau 1980, Ziff. 4 f. zu § 186). b) Der Gerichtspräsident I des Bezirksgerichts X. hat als In- struktionsrichter die Untersuchung eingeleitet. So hat er dem Beklag- ten die Klage mit der Möglichkeit, die beantragte Busse innert 30 Tagen zu bezahlen, zugestellt (vgl. oben) und mit Verfügung vom 5. August 2004 zur Instruktions- und gleichzeitigen Hauptverhand- lung vorgeladen. Schliesslich ordnete er eine Beweiserhebung (Ein- vernahme eines Parkwächters) an (act. 3). Obwohl in der Verfügung vom 5. August 2004 von einer Vorla- dung zur Instruktions- und gleichzeitigen Hauptverhandlung die Rede war, kann die entsprechende Vorladung einzig als Vorladung zur Instruktionsverhandlung im Sinne von §§ 186 ff. StPO verstan- den werden. Eine gleichzeitige Durchführung der Instruktionsver- handlung und des eigentlichen Gerichtsverfahrens sieht das Gesetz nicht vor. Eine solche ist bereits schon deshalb nicht möglich, weil das mit der Instruktion befasste Gerichtsmitglied beim materiellen Entscheid nicht mitwirken darf (vgl. dazu § 41 lit. c StPO sowie BGE 115 Ia 217 ff.). Diese Ansicht dürfte auch von der Vorinstanz vertreten worden sein, denn der materielle Entscheid vom 4. Oktober 2004 wurde nicht mehr vom Gerichtspräsidenten I, der die Untersu- chung geführt hatte, sondern vom Gerichtspräsidenten II gefällt. Weiter wurde im begründeten Urteil unter anderem festgehalten, dass der Beklagte nicht an der Instruktionsverhandlung vom 8. September 2004 teilgenommen habe (vorinstanzliches Urteil, S. 4). Der Beklagte war zur Instruktionsverhandlung vom 8. Septem- ber 2004 unentschuldigt nicht erschienen. Dies wird unterdessen auch von ihm selber anerkannt (vgl. dazu Berufung, S. 3 unten). Er stellt sich allerdings auf den Standpunkt, dass er (gestützt auf § 190 Abs. 3 StPO) ein zweites Mal hätte vorgeladen werden müssen. Keinesfalls hätte bereits bei einem erstmaligen (unentschuldigten) Nichterscheinen in Abwesenheit geurteilt werden dürfen. Die Vorinstanz hält in ihrem Entscheid vom 4. Oktober 2004 fest, dass der Beklagte unentschuldigt an der Instruktionsverhandlung vom 8. September 2004 nicht teilgenommen habe und sich gestützt auf § 170 Abs. 1 lit. a StPO, welcher gestützt auf eine Lücke im Gesetz 2005 Obergericht 82 direkt und anstelle von § 190 Abs. 3 StPO anwendbar sei, eine zweite Vorladung nicht gerechtfertigt habe. Eine Durchführung der Haupt- verhandlung in Abwesenheit des Beklagten sei gestützt auf seine Säumnis an der Instruktionsverhandlung gerechtfertigt gewesen (vor- instanzliches Urteil, S. 4). 3. Das vorinstanzliche Urteil leidet an verschiedenen Mängeln: a) Wie bereits oben dargelegt, war der Beklagte unentschuldigt nicht zur Instruktionsverhandlung erschienen. Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung über die Folgen unentschuldigten Fernbleibens von der Einvernahme anlässlich der Instruktionsver- handlung im Privatstrafverfahren. In § 190 Abs. 3 StPO wird zwar das Kontumazialverfahren geregelt, aber aufgrund seiner systemati- schen Stellung bezieht sich dieses nur auf das Gerichtsverfahren . Zu- rückzugreifen ist gestützt auf den Verweis in § 205 StPO auf die All- gemeinen Bestimmungen im ordentlichen Verfahren. § 51 Abs. 1 StPO (i.V.m. § 205 StPO) sieht die polizeiliche Vorführung vor, wenn der Vorgeladene auch einer zweiten Vorladung keine Folge leistet und ihm diese Massnahme angedroht worden ist. Im Weiteren kann dem Beklagten gestützt auf § 46 StPO (i.V.m. § 205 StPO) eine Ord- nungsbusse auferlegt werden (vgl. dazu Brühlmeier, a.a.O., Ziff. 1 zu § 186 Abs. 2). Kommt der Beklagte auch einer zweiten Vorladung nicht nach, so kann demnach nicht einfach auf seine Einvernahme verzichtet werden, wie dies im privatstrafrechtlichen Gerichtsverfahren gestützt auf § 190 Abs. 3 StPO vorgesehen ist. Das Gericht kann sich in der Hauptverhandlung bei seinem Kontumazentscheid nämlich auf die vorhandenen Instruktionsakten abstützen, weshalb die Gefahr eines unrichtigen Urteils nicht so gross ist. Würde aber bereits auf die Ein- vernahme im Instruktionsverfahren verzichtet, so müsste das Gericht ohne Stellungnahme des Beschuldigten entscheiden. § 188 StPO be- stimmt für die Instruktion, dass die Parteien einzuvernehmen sind. Bei Säumnis des Beklagten hat ihn der Instruktionsrichter deshalb, wie oben dargelegt, polizeilich vorführen zu lassen (vgl. zum Ganzen auch: Benno Weber, a.a.O., S. 115 f.). Indem die Vorinstanz ohne erneute Vorladung des Beklagten zu einer weiteren Instruktionsverhandlung (allenfalls unter Androhung 2005 Strafprozessrecht 83 einer polizeilichen Vorführung) eine Hauptverhandlung (notabene wieder ohne Beklagten) durchgeführt und diesen verurteilt hat, hat sie demnach gesetzeswidrig gehandelt. b) Die vorinstanzliche Annahme, dass § 190 Abs. 3 StPO im privatstrafrechtlichen Gerichtsverfahren nicht anwendbar sei, son- dern vielmehr - ausgehend von einer Lücke - § 170 lit. a StPO, ist ebenfalls nicht richtig. So wird von der Vorinstanz einerseits § 205 StPO falsch zitiert, indem festgehalten wird, dass gestützt auf diese Bestimmung auf das Strafverfahren auch die allgemeinen Vorschrif- ten des ersten und zweiten Abschnittes Anwendung fänden (vorin- stanzliches Urteil, S. 3 ganz unten). § 205 StPO sieht aber vor, dass auf die besonderen Verfahren die Vorschriften des ersten und zweiten Abschnittes des zweiten Teiles nur dann entsprechende Anwendung finden, soweit die §§ 181 bis 204 nicht etwas anderes bestimmten. § 190 Abs. 3 StPO enthält eine spezielle Regelung hinsichtlich des Verfahrens gegen Abwesende. Dass der Gesetzgeber, als er § 170 lit. a StPO mit Datum vom 2. Juli 2002 geändert hat, gleichzeitig auch eine Änderung des Verfahrens gegen Abwesende im Privatstraf- verfahren beabsichtigte, wird durch nichts, insbesondere auch nicht durch die entsprechenden Gesetzesmaterialien (vgl. dazu Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 21. März 2001 und vom 6. März 2002), belegt. Es mag zwar sein, dass dem Beklagten dadurch im Privatstrafverfahren ein besseres Recht als dem Angeklagten im ordentlichen Strafverfahren zukommt. Hinsichtlich § 190 Abs. 3 StPO aber von einer Lücke und somit von einer Regelung zu sprechen, die im Hinblick auf eindeutige und wichtige Zielsetzungen des Gesetzes unvollständig und deshalb von der rechtsanwendenden Behörde zu füllen sei (vgl. zur Definition der Lücke Häfelin/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Zü- rich 2002, N 243), wäre verfehlt. Festzuhalten ist demnach, dass hin- sichtlich des dem Instruktionsverfahren folgenden Gerichtsverfah- rens im Privatstrafverfahren die spezielle Abwesenheitsregelung ge- mäss § 190 Abs. 3 StPO Geltung beanspruchen muss. c) Das vorinstanzliche Urteil leidet schliesslich an einem dritten Mangel. Zwar hat der mit der Instruktion befasste Richter (Gerichts- präsident I) beim materiellen Entscheid nicht mitgewirkt, sondern 2005 Obergericht 84 der materielle Entscheid wurde vom Gerichtspräsidenten II erlassen. Sowohl bei der Instruktion wie auch bei der materiellen Entscheidfällung wirkte aber die gleiche Gerichtsschreiberin mit. § 41 StPO nennt als Personen, die in den Ausstand zu treten ha- ben, Untersuchungsrichter, Staatsanwälte, Richter oder Protokollfüh- rer. Es ergibt sich aus dieser Bestimmung zwar nicht ganz klar, ob das Gesetz unter dem Begriff "Protokollführer" auch die Gerichts- schreiber versteht. Da in der Bestimmung über das Ausstandsverfah- ren in § 43 Abs. 3 Ziff. 4 StPO der Gerichtsschreiber jedoch explizit genannt wird, ist davon auszugehen, dass für ihn die gleichen Regeln wie für die Richter gelten (vgl. auch OGE vom 3. Oktober 2003, S. 12, [ST.2003.00026]). Folglich muss das oben Ausgeführte (vgl. Ziff. 2b) hinsichtlich des Verbots der Personalunion zwischen Unter- suchungsrichter und erkennendem Strafrichter auch für Gerichts- schreiber gelten. Damit war der Einsatz der Gerichtsschreiberin A., welche sowohl im Instruktionsverfahren als auch im Strafverfahren mitwirkte, gesetzeswidrig.
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2012 Strafprozessrecht 65 [...] 10 Art. 230 StPO - Der Staatsanwaltschaft sind im Verfahren vor dem Zwangsmass- nahmengericht auch dann alle Parteirechte einzuräumen, wenn es um einen Entscheid über die Entlassung aus der Sicherheitshaft während des erstinstanzlichen Verfahrens geht (E. 1.1). - Stellt ein Beschuldigter, der sich bis anhin im vorzeitigen Strafvollzug befand, ein Haftentlassungsgesuch und wird dieses abgewiesen, so steht er fortan unter dem Regime der Untersuchungs- bzw. Sicher- heitshaft. Diese ist alle drei bzw. sechs Monate zu überprüfen, erst- mals jedoch drei Monate nach dem rechtskräftig abgewiesenen Haf- tentlassungsgesuch (E. 2.8). Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 2. Mai 2012 i.S. S.S. gegen Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten (SBK.2012.100). Eine gegen diesen Entscheid ergriffene Beschwerde ans Bundesgericht wurde abgewiesen (Urteil des Bundesgerichts 1B_331/2012 vom 25. Juni 2012). Aus den Erwägungen 1.1. Die Staatsanwaltschaft hat am 22. März 2012 beim Bezirksge- richt Bremgarten Anklage erhoben. Damit wurde das Verfahren beim Bezirksgericht rechtshängig (Art. 328 Abs. 1 StPO). Das Gesuch des Beschuldigten um Entlassung aus der Untersuchungs- bzw. Sicher- heitshaft (Art. 220 Abs. 2 StPO) erfolgte am 27. März 2012. Da der gemäss Art. 230 Abs. 2 StPO für die Beurteilung des Gesuchs zuständige Präsident III des Bezirksgerichts Bremgarten dem Gesuch nicht entsprechen wollte, leitete er es in Anwendung von Art. 230 Abs. 3 StPO zutreffend an das Zwangsmassnahmengericht weiter. 2012 Obergericht 66 Das führt aber nicht dazu, dass dem Bezirksgericht Bremgarten oder dem Verfahrensleiter im Verfahren vor Zwangsmassnahmengericht Parteistellung zukäme. Will der Verfahrensleiter dem Haftentlas- sungsgesuch nicht entsprechen, beschränkt sich seine Rolle auf die Weiterleitung des Gesuchs an das Zwangsmassnahmengericht. Im Rubrum des Entscheids des Zwangsmassnahmengerichts hätte mithin nicht das Bezirksgericht Bremgarten als "Antragstellerin", sondern der Beschuldigte als Gesuchsteller und die Staatsanwaltschaft als Gesuchsgegnerin aufgeführt werden müssen. Der Staatsanwaltschaft sind im Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht auch alle Parteirechte einzuräumen (Art. 230 Abs. 5 i.V.m. Art. 228 Abs. 4 StPO). Insbesondere muss der Staatsanwaltschaft entweder die Mög- lichkeit zur Teilnahme an der Verhandlung oder - im Falle des schriftlichen Verfahrens - die Möglichkeit einer Stellungnahme zum Haftentlassungsgesuch des Beschuldigten eingeräumt werden. So- dann ist der Entscheid auch der Staatsanwaltschaft zu eröffnen (Art. 226 Abs. 2 StPO, auf den Art. 228 Abs. 4 StPO verweist; vgl. zum Ganzen auch Urteil des Bundesgerichts 1B_188/2012 vom 19. April 2012 E. 2.3), so dass diese nötigenfalls ein Rechtsmittel ergreifen kann. Demgegenüber wäre der Verfahrensleiter des Be- zirksgerichts, dem keine Parteistellung zukommt, selbstredend nicht zur Beschwerde legitimiert. [...] 2.8. Grundsätzlich ist auch die Sicherheitshaft alle drei bzw. sechs Monate zu überprüfen (Urteil des Bundesgerichts 1B_188/2012 vom 19. April 2012 E. 2.1 mit Verweis auf BGE 137 IV 180 E. 3.5 S. 185 f.; Urteil des Bundesgerichts 1B_386/2011 vom 26. August 2011). Wird einem Beschuldigten der vorzeitige Straf- oder Mass- nahmenvollzug bewilligt und tritt er diesen in der Folge auch an, entfällt hingegen eine Überprüfung alle drei bzw. sechs Monate, denn der Beschuldigte befindet sich dann weder in Untersuchungs- noch in Sicherheitshaft. Vorliegend trat der Beschwerdeführer per 23. Juni 2011 den vorzeitigen Strafvollzug an. Aufgrund seines Haftentlassungsgesuchs vom 27. März 2012 ist davon auszugehen, dass er mit dem vorzeiti- gen Strafvollzug nicht mehr einverstanden ist. Dies führt dazu, dass 2012 Strafprozessrecht 67 der Beschwerdeführer fortan unter dem Regime der Sicherheitshaft steht, die wiederum alle drei bzw. sechs Monate zu überprüfen ist. Wird das Haftentlassungsgesuch eines Beschuldigten, der sich bis anhin im vorzeitigen Straf- oder Massnahmenvollzug befand, abge- wiesen, ist davon auszugehen, dass die Sicherheitshaft erstmals drei Monate nach dem rechtskräftig abgewiesenen Haftentlassungsgesuch zu überprüfen ist. Soweit ersichtlich, ist diese Frage höchstrichterlich aber noch nicht entschieden worden. Es ist somit nicht auszu- schliessen, dass im Falle eines Haftentlassungsgesuchs eines sich im vorzeitigen Strafvollzug befindenden Beschuldigten die Sicherheits- haft spätestens zusammen mit dem abweisenden Entscheid über das Haftentlassungsgesuch anzuordnen ist. Das hat das Zwangsmass- nahmengericht nicht getan. Zur Vermeidung einer ungesetzlichen Haft und aus verfahrensökonomischen Gründen ist die Sicher- heitshaft vorliegend deshalb einstweilen für drei Monate bis zum 27. Juni 2012 anzuordnen. Diese kann nötigenfalls verlängert werden bzw. ist alle drei bzw. sechs Monate zu überprüfen.
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2006 Strafprozessrecht 59 13 § 140 Abs. 1 StPO; § 139 Abs. 3 StPO Voraussetzungen für die Verweigerung einer Entschädigung für Untersu- chungshaft und andere erlittene Nachteile bzw. für die Kostenauflage. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Straf- sachen, vom 18. April 2006 i.S. R.B. Aus den Erwägungen 1. Gemäss § 140 Abs. 1 StPO kann einem Beschuldigten, gegen den das Verfahren fallen gelassen oder eingestellt wird, von der Staatsanwaltschaft auf Begehren eine Entschädigung für die Untersu- chungshaft und andere erlittene Nachteile gewährt werden. Die Ent- schädigung kann verweigert werden, wenn der Beschuldigte das Ver- fahren durch ein verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen ver- schuldet oder erschwert hat. Die Gründe für eine Verweigerung der anbegehrten Entschädi- gung sind die gleichen wie jene für eine ganze oder teilweise Kosten- auflage an den Beschuldigten (§ 139 Abs. 3 StPO). Diese Gründe be- ruhen auf dem Verursacherprinzip, das für die Kostenauflage, resp. die Verweigerung einer Entschädigung, ein für die entstandenen Ver- fahrenskosten, bzw. den entstandenen Schaden, ursächliches, qualifi- ziertes Fehlverhalten des Beschuldigten verlangt, das unter haft- pflichtrechtlichen Gesichtspunkten nach seiner Schwere die Haftbar- keit des Beschuldigten zu rechtfertigen vermag. Es ist mit der Bundesverfassung und der Europäischen Konvention für Menschen- rechte vereinbar und verstösst nicht gegen die Unschuldsvermutung, einem nicht verurteilten Angeschuldigten die Kosten zu überbinden, oder eine Entschädigung zu verweigern, wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze, gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm klar verstossen und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert 2006 Obergericht 60 hat (BGE 120 Ia 155 Erw. 3b, 119 Ia 334 Erw. 1b, 116 Ia 175 Erw. 2e). Solche Verhaltensnormen ergeben sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung, u.a. aus Privat-, Verwaltungs- und Strafrecht, gleichgültig, ob es sich um eidgenössisches oder kantonales, geschriebenes oder ungeschriebenes Recht handelt (BGE 116 Ia 169 Erw. 2c mit Verweisungen). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf Art. 23 Abs. 2 KV, wonach das verantwortliche Gemeinwesen vollen Ersatz des Schadens und allenfalls Genugtuung schuldet, wenn sich ein Freiheitsentzug oder eine andere schwere Beschränkung der persön- lichen Freiheit als ungesetzlich oder unbegründet erweist. Es kann demnach auch eine Staatshaftung für rechtmässig zugefügten Scha- den geltend gemacht werden, wenn in concreto der Freiheitsentzug zwar auf gesetzlicher Regelung beruht, diese jedoch unzutreffend an- gewendet worden ist (Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, S. 120, N 7 zu § 23 KV). 2. 2.1. Unabhängig von einer strafrechtlichen Beurteilung ist fest- zustellen, dass der Beschuldigte in seinen SMS vom 28. Juli 2005 massive Drohungen ausgestossen hat. Er hat gedroht, seine Knarre zu laden, Bomben an Plätzen mit vielen Leuten loszulassen und mit dieser Welt aufzuräumen, bevor er selbst gehe. Damit hat er ernst zu nehmende Morddrohungen gegen eine unbestimmte Vielzahl von nicht näher bezeichneten Personen ausgestossen und zur Bekräfti- gung dieser Vorsätze (zu Handen seiner Ex-Freundin) noch ausge- führt, sie solle ihn nicht unterschätzen, das Leben bedeute ihm gar nichts mehr, es tue ihm leid, sie zu enttäuschen, sie solle aber nie an ihm zweifeln. Zu Recht nahm X. die Drohungen sehr ernst und alarmierte die Polizei, die beim Beschuldigten eine grössere Anzahl Waffen samt Munition sicherstellte. Angesichts dieser bedrohlichen Situation und der Lebenskrise, in welcher der Beschuldigte steckte, wurde er ge- stützt auf § 67 Abs. 2 StPO zu Recht in Präventionshaft genommen, denn es konnte nicht abgeschätzt werden, ob er seine Drohungen wahr machen würde oder nicht. Es blieb den Untersuchungsbehörden 2006 Strafprozessrecht 61 gar nichts anderes übrig, als ihn festzunehmen und seine Gefährlich- keit eingehend abzuklären. Nach 14 Tagen wurde er dann, nachdem sich die Untersuchungsbehörden davon überzeugt hatten, dass im Moment keine akute Gefahr mehr bestand, resp. dass sich die Situa- tion beruhigt hatte, bereits wieder aus der Untersuchungshaft entlas- sen. 2.2. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Beschuldigte durch sein krass rechtswidriges und grob schuldhaftes Verhalten die Strafuntersuchung und auch die Untersuchungshaft adäquat kausal verursacht hat. Die Voraussetzungen für eine Präventionshaft nach § 67 Abs. 2 StPO waren erfüllt. Die Haft war nicht nur nicht unbe- gründet, sondern zum Schutz der Bevölkerung unvermeidlich, und es kann auch keine Rede davon sein, dass sie mit 14 Tagen zu lange ge- dauert hat. 2.3. Für eine Haftentschädigung besteht demnach kein Raum. Die staatsanwaltschaftliche Verfügung ist zu bestätigen, und die Be- schwerde ist abzuweisen.
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2006 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 29 II. Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 3 Art. 85a Abs. 2 SchKG. Vorläufige Einstellung der Betreibung. Gegen den Entscheid über die vorläufige Einstellung der Betreibung ge- mäss Art. 85a Abs. 2 SchKG gibt es kein kantonales Rechtsmittel (Bestäti- gung der Rechtsprechung in AGVE 1997 Nr. 10 S. 51). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 14. August 2006 in Sachen M. AG gegen J.E. Aus den Erwägungen 3. Von Bundesrechts wegen wird die Klage gemäss Art. 85 SchKG im summarischen und die Klage gemäss Art. 85a SchKG im beschleunigten Verfahren durchgeführt. Das gilt auch für die vorläu- fige Einstellung der Betreibung gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG (Art. 85a Abs. 4 SchKG; AGVE 1997 Nr. 10 S. 51 ff. Erw. 1b). Die- ser publizierte Entscheid gilt nach wie vor, da das revidierte kanto- nale Recht keine Änderung in dieser Frage brachte. Gemäss § 301 Abs. 1 ZPO entscheidet der Gerichtspräsident im summarischen Ver- fahren die durch § 20 Abs. 1 und 2 des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (EG SchKG) vom 22. Februar 2005 in dieses Verfahren gewiesenen Rechtssachen. Ge- mäss § 20 Abs. 1 lit. c EG SchKG entscheidet der Präsident des Be- zirksgerichts im summarischen Verfahren lediglich über die Aufhe- bung oder Einstellung der Betreibung gemäss Art. 85 SchKG, nicht aber über die vorläufige Einstellung der Betreibung gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG. Nachdem das erst kürzlich revidierte kantonale Recht die vorläufige Einstellung der Betreibung gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG nicht in das summarische Verfahren verweist (§ 23 Abs. 1 i.V.m. § 20 EG SchKG), geht es nicht an, die Bestimmung von § 20 Abs. 1 lit. c EG SchKG analog auf die vorläufige Einstellung der 2006 Obergericht 30 Betreibung gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG anzuwenden, auch wenn es sich sachlich um eine vorsorgliche Massnahme handelt und solche üblicherweise im summarischen Verfahren erlassen werden. Den Materialien zum EG SchKG lässt sich nicht entnehmen, weshalb Art. 85a Abs. 2 SchKG nicht in der (abschliessenden) Aufzählung von § 20 EG SchKG erscheint. Dass dies so ist, hat aber seinen guten Grund, denn andernfalls wären die (vorläufigen) Zwischenentscheide gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG mit Beschwerde anfechtbar (§ 21 EG SchKG), was dem Beschleunigungsgebot von Art. 85a Abs. 4 SchKG (i.V.m. Art. 25 Ziff. 1 SchKG) zuwiderliefe (vgl. dazu Jaeger/Walder/ Kull/Kottmann, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. A., Zürich 1997, N 30 zu Art. 85a SchKG, welche kantonale Rechtsmittel gegen die vorläufige Einstellung der Betreibung gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG aus diesem Grund für bundesrechtswidrig halten). 4.1. Die Frage, ob gegen einen Massnahmeentscheid gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG ein Rechtsmittel gegeben ist, beurteilt sich gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nach kantonalem Recht (BGE 125 III 440 ff. Erw. 2b). Nach kantonalem Recht gibt es aber kein Rechtsmittel gegen die vorläufige Einstellung der Betreibung gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG (AGVE 1997 Nr. 10 S. 51 ff.). Dieser publizierte Entscheid gilt, wie bereits erwähnt, nach wie vor, da das revidierte kantonale Recht keine Änderung in dieser Frage brachte. Auch ändert BGE 125 III 440 ff. daran nichts, weil dieser Entscheid einzig das solothurnische Zivilprozessrecht beschlägt, das vom aar- gauischen Zivilprozessrecht in wesentlichen Punkten abweicht. 4.2. Gemäss § 21 EG SchKG sind die Entscheide der Ge- richtspräsidentin oder des Gerichtspräsidenten und des Bezirksge- richts gemäss § 20 EG SchKG an das Obergericht weiterziehbar, mit Ausnahme der Fälle gemäss § 20 Abs. 1 lit. d, g, l, m, n und p. § 20 Abs. 1 EG SchKG, auf welchen sich § 21 EG SchKG bezieht, enthält aber - wie dargelegt zu Recht - keine Ausführungsbestimmung zu Art. 85a SchKG, sondern nur eine solche zu Art. 85 SchKG (§ 20 Abs. 1 lit. c EG SchKG). Aus dem Einführungsgesetz zum SchKG ergibt sich somit keine Möglichkeit der Weiterziehung des Ent- scheids über die vorläufige Einstellung der Betreibung gemäss 2006 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 31 Art. 85a Abs. 2 SchKG und eine analoge Anwendung von § 20 lit. c EG SchKG ist aus den erwähnten Gründen abzulehnen. 4.3. Der Entscheid über die vorläufige Einstellung der Betrei- bung gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG ist per definitionem kein Endentscheid, sondern lediglich ein (vorläufiger) Zwischenentscheid im beschleunigten Verfahren gemäss Art. 85a SchKG (Art. 85a Abs. 3 SchKG), so dass sowohl die Appellation gemäss § 317 ZPO als auch die Beschwerde gemäss § 335 lit. a ZPO von vornherein ausscheiden (§ 318 ZPO ist nicht anwendbar, da die vorläufige Ein- stellung der Betreibung kein Zwischenentscheid im Sinne von § 274 ZPO ist). In Frage kommt demnach höchstens die Beschwerde ge- mäss § 335 lit. b ZPO. Danach ist die Beschwerde zulässig gegen prozessleitende Entscheide, wenn sie nach dem Gesetz selbständig weiterziehbar sind, sowie wenn sie gegen grundlegende gesetzliche Bestimmungen verstossen und daraus einer Partei ein schwer wieder gutzumachender Nachteil entsteht. Die erste Eventualität liegt nicht vor, da weder im revidierten Einführungsgesetz zum SchKG noch in der Zivilprozessordnung die Möglichkeit der Weiterziehung der Ent- scheide nach Art. 85a Abs. 2 SchKG vorgesehen ist. Aber auch eine Beschwerdemöglichkeit nach der zweiten Eventualität ist zu vernei- nen, da der angefochtene Entscheid des Präsidenten des Bezirksge- richts K. vom 27. Juni 2006 nicht gegen grundlegende gesetzliche Bestimmungen verstösst (AGVE 1997 Nr. 10 S. 51 ff. Erw. 2a).
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2002 Zivilprozessrecht 57 III. Zivilprozessrecht A. Zivilprozessordnung 11 § 11 f. ZPO. Die sachliche Zuständigkeit bei Klagen auf Abänderung von Schei- dungsurteilen liegt in jedem Fall beim Bezirksgericht (§ 12 Abs. 2 ZPO). Die Begründung der sachlichen Zuständigkeit des Einzelrichters in Ana- logie zu § 11 lit. d ZPO ist nicht zulässig. Aus dem Urteil des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 20. Februar 2002 in Sachen H. St. gegen I. St.-L. Sachverhalt Der mit einer Abänderungsklage befasste Präsident des Bezirks- gerichts X fragte die Parteien nach Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels an, ob sie die Beurteilung ihres Falles durch das Gerichtspräsidium oder das Gesamtgericht wünschten. Beide Partei- en erklärten sich mit der Beurteilung durch den Gerichtspräsidenten einverstanden. Aus den Erwägungen 1. a) Über die Appellation gegen einen Entscheid eines Gerichtspräsidenten entscheidet das Obergericht auf Grund der Ak- ten, wenn nicht zu einer Beweisverhandlung geladen wird (§ 331 ZPO). Vorliegend hat der Gerichtspräsident gestützt auf § 11 lit. d ZPO über das Abänderungsbegehren des Klägers entschieden. b) Der Richter prüft die prozessuale Zulässigkeit einer Klage, insbesondere die sachliche Zuständigkeit, von Amtes wegen. Fehlt eine Prozessvoraussetzung, ergeht ein Nichteintretensentscheid im Sinne von § 273 ZPO. 2002 Obergericht/Handelsgericht 58 Die Prüfung der prozessualen Zulässigkeit einer Klage erfolgt gemäss § 173 Abs. 1 ZPO bei Klageeinleitung. Doch ergeht auch dann, wenn der Mangel einer Prozessvoraussetzung erst im späteren Verfahrensverlauf festgestellt wird, ein Prozessurteil, weil die Pro- zessvoraussetzungen im Zeitpunkt des Urteils vorliegen müssen (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozess- ordnung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, N 6 zu § 173 ZPO mit Hinweisen). Eine nachträgliche Überprüfung der Prozess- voraussetzungen ist immerhin ausgeschlossen, wenn ein verbesserli- cher Mangel vorliegt und sich die beklagte Partei vorbehaltlos auf die Klage eingelassen hat; in solchen Fällen gilt ein prozessualer Mangel gemäss § 175 ZPO als geheilt. Heilbar sind unter anderem gewisse Mängel im Zusammenhang mit Zuständigkeitsvorschriften (Bühler/ Edelmann/Killer, a.a.O., N 5 zu § 175 ZPO). c) Gemäss § 11 lit. d ZPO entscheidet der Gerichtspräsident als Einzelrichter in Ehescheidungssachen, sofern das Urteil in Gutheis- sung eines gemeinsamen Scheidungsbegehrens gefällt werden kann und beide Gesuchsteller den Entscheid über strittige Scheidungsfol- gen dem Gerichtspräsidenten überlassen. Diese Zuständigkeitsbe- stimmung wurde anlässlich der Anpassung der Zivilprozessordnung an das neue Scheidungsrecht eingefügt (Dekret über die Zivilrechts- pflege in Ehescheidungssachen vom 2. November 1999, in Kraft seit 1. Januar 2000 [AGS 1999 S. 355]). Nach dem Wortlaut von § 11 ZPO besteht die Möglichkeit der Beurteilung von Ehescheidungssa- chen durch den Gerichtspräsidenten als Einzelrichter nur unter der Voraussetzung, dass entweder über ein gemeinsames Scheidungs- begehren mit umfassender anfänglicher oder während des Verfahrens erzielter Einigung der Parteien über die Nebenfolgen zu befinden ist (lit. c) oder aber ein gemeinsames Scheidungsbegehren vorliegt und die Parteien den Entscheid über die streitigen Nebenfolgen dem Ge- richtspräsidenten überlassen (lit. d). Gemäss § 196g Abs. 2 ZPO ge- langen die Verfahrensvorschriften in Ehescheidungssachen auf die Ehetrennungsverfahren sinngemäss zur Anwendung; das Abände- rungsverfahren ist dagegen nicht erwähnt. Auch aus den Materialien lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, dass der Gesetzgeber auch die Verfahren betreffend Abänderung eines Scheidungsurteils in 2002 Zivilprozessrecht 59 die Revision einbeziehen wollte. Im Gegenteil ist aus der Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat vom 8. September 1999 zu schliessen, dass mit der Revision nur vom Bundesrecht verlangte Anpassungen des Verfahrensrechts an das neue Scheidungsrecht vollzogen werden sollten (vgl. Botschaft S. 7 ff.). d) Der Präsident des Bezirksgerichts Bremgarten begründete im vorliegenden Abänderungsverfahrens seine Zuständigkeit mit einer analogen Anwendung von § 11 lit. d ZPO und mit prozessökonomi- schen Gründen. Diese Argumentation hält einer Prüfung nicht stand. Eine gesetzlich vorgesehene sachliche Zuständigkeit ist grund- sätzlich zwingender Natur, schliesst also sowohl eine Prorogation der Parteien über den sachlich zuständigen Richter als auch eine Einlas- sung vor dem sachlich unzuständigen Richter aus (Hauser/Schweri, Kommentar zum zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetz, Zürich 2002, N 21a der Vorbemerkungen zu §§ 1 ff. GVG; Walder-Richli/ Grob-Andermacher, Tafeln zum Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1999 T 11; Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 17 der Vorbemerkun- gen zu §§ 10 - 22 ZPO; Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zür- cherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 1997, N 7 zu § 12 und N 19 zu § 17 ZPO; Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozess- rechts, 7. Aufl., Bern 2001, 4 N 15). Nur wo das Gesetz es aus- nahmsweise vorsieht (z.B. § 13 lit. a Ziff. 1 und § 364 ZPO), ist die Vereinbarung der sachlichen Zuständigkeit eines Gerichts möglich (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 17 der Vorbemerkungen zu §§ 10 - 22 ZPO; Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N 19 zu § 17 ZPO; Gulde- ner, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 109 [FN 12] und 121). Die Aargauer Praxis lässt zwar weiter die Einlassung vor dem ordentlichen Gericht anstelle des an sich zuständigen Sondergerichts (Arbeits- oder Handelsgerichts) zu, doch erfolgt diese Ausnahme ge- stützt auf eine Auslegung der Gesetzesmaterialien, wonach zwar für das Arbeits- und Handelsgericht ausschliessliche Zuständigkeiten im Verhältnis zu den ordentlichen Gerichten statuiert sind, aber damit lediglich die ausdrückliche Prorogation an die ordentlichen Gerichte ausgeschlossen werden sollte (AGVE 1996 S. 72; Bühler, Das No- venrecht im neuen Aargauischen Zivilprozessrecht, Zürich 1986, 2002 Obergericht/Handelsgericht 60 S. 20 FN 33; vgl. auch Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N 19 zu § 17 ZPO). Es handelt sich damit bei den Bestimmungen, welche die sachliche Zuständigkeit von Arbeits- und Handelsgericht regeln (§§ 362 und 404 ZPO), um teilzwingende Bestimmungen (Büh- ler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 18 der Vorbemerkungen zu §§ 10 - 22 ZPO). Bei der im vorliegenden Fall zu beurteilenden Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit (sachliche Zuständigkeit des Gerichtspräsidenten als Einzelrichter einerseits und des Bezirksgerichts anderseits) darf eine vergleichbare teilzwingende Natur von §§ 11 und 12 ZPO jedenfalls mangels an- ders lautender Hinweisen im Gesetz oder den Gesetzesmaterialien nicht angenommen werden, dies umso weniger, als im Verhältnis von Gerichtspräsident und Bezirksgericht beliebige Zuständigkeitsver- schiebungen denkbar sind, die es, weil die Schaffung der Zuständig- keitsordnung Sache des Gesetzgebers ist, von vornherein zu verhin- dern gilt. Wegen der zwingenden Natur der sachlichen Zuständigkeit scheiden per analogiam bestimmte sachliche Zuständigkeiten aus, zumal mit § 12 Abs. 2 ZPO, wonach das Bezirksgericht alle Streitsa- chen erledigt, für die kein anderes Gericht zuständig ist, dem Auftre- ten von Lücken in der Zuständigkeitsordnung vorgebeugt wird (Büh- ler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 2 zu § 12 ZPO). e) Es ist daher zusammenfassend festzustellen, dass die sachli- che Zuständigkeit für Abänderungsklagen gegen Scheidungsurteile gemäss § 12 Abs. 2 ZPO auch nach Einführung von § 11 lit. c und d ZPO ausschliesslich beim Bezirksgericht liegt.
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2002 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 49 II. Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 7 Art. 80 ff. SchKG. Von der Vormundschaftsbehörde genehmigte Unterhaltsverträge als Rechtsöffnungstitel. Anders als im Falle richterlich genehmigter Unter- haltsverträge kann gestützt auf von der Vormundschaftsbehörde geneh- migte Unterhaltsverträge nicht definitive, sondern bloss provisorische Rechtsöffnung erteilt werden. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 31. Juli 2002 in Sachen E. A. gegen R. B. Aus den Erwägungen 1. a) Die Klägerin hat in ihrem Rechtsöffnungsbegehren bean- tragt es sei ihr für die in Betreibung gesetzte Forderung provisorische Rechtsöffnung zu gewähren. Sie stützt ihr Rechtsöffnungsbegehren auf einen von der zuständigen Vormundschaftsbehörde genehmigten Unterhaltsvertrag. Da der Richter jedoch das Recht von Amtes we- gen anzuwenden hat, hat er unabhängig eines allfälligen entsprechen- den Antrags darüber zu befinden, ob definitive oder provisorische Rechtsöffnung zu gewähren ist (Daniel Staehelin, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel/Genf/Mün- chen 1998, N 38 zu Art. 84 SchKG). b) Lehre und Praxis sind in ihren Meinungen geteilt, ob für vor- mundschaftsbehördlich genehmigte Unterhaltsverträge definitive oder provisorische Rechtsöffnung zu erteilen sei. Daniel Staehelin führt im genannten Kommentar dazu aus, sie berechtigten dann zur definitiven Rechtsöffnung, wenn sie gerichtlich genehmigt worden seien, jedoch nur zur provisorischen, wenn sie lediglich von der Vor- mundschaftsbehörde genehmigt worden seien, da diese keine gericht- liche Instanz sei (a.a.O., N 24 zu Art. 80 SchKG). Er zitiert darin 2002 Obergericht/Handelsgericht 50 auch die gleichlautende Rechtsprechung in den Kantonen Thurgau, Graubünden, St. Gallen und Genf. In einem ausführlichen Entscheid hat sich auch der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Be- zirksgerichts Zürich für die Erteilung der bloss provisorischen Rechtsöffnung ausgesprochen (SJZ 95 [1999] S. 98 ff.). Er weist da- rin auf den Wortlaut von Art. 80 SchKG hin, welcher diesen Sachver- halt nicht erfasse. Zudem erachtet er es als angemessen, dass gegen einen die Rechtsöffnung gewährenden Entscheid die Aberken- nungsklage offen stehe, da es für den Schuldner beispielsweise schwer sei, bei einer nachträglichen Bestreitung der Vaterschaft den Urkundenbeweis erbringen zu können. Es wäre unbefriedigend, wenn er - bei Gewährung der definitiven Rechtsöffnung - diesbezüg- lich oder betreffend Willensmängel oder Schulderlass auf die Aufhe- bungsklage bzw. die negative Feststellungsklage gemäss Art. 85 resp. 85a SchKG zu verweisen wäre. Schliesslich sprächen auch prak- tische Gründe gegen die Erteilung definitiver Rechtsöffnung: Vie- lerorts würden den Genehmigungsentscheiden keine Rechtsmit- telbelehrungen angefügt und zudem müsste der Nachweis der Voll- streckbarkeit mittels Rechtskraftbescheinigung erbracht werden. In der Praxis werde dem Richter jedoch meist nur ein unterzeichneter Unterhaltsvertrag mit einem Genehmigungsvermerk vorgelegt. Die gegenteilige Auffassung, dass definitive Rechtsöffnung zu gewähren sei, vertreten Hegnauer (Berner Kommentar, Bern 1997, N 48 zu Art. 289 ZGB) und Stettler (Schweizerisches Privatrecht, Band III/2, Basel/Frankfurt am Main 1992, S. 372 ff.). Hegnauer er- achtet dies aufgrund der bundesrechtlichen Gleichstellungsbestim- mung von Art. 287 Abs. 1 und 3 ZGB und des Haager Unterhalts- vollstreckungsübereinkommens von 1973 als zwingend. Für Stettler ist wesentlich, dass die Genehmigungspflicht für Unterhaltsverträge mehr als eine Formvorschrift bedeute. Die Unterhaltsverträge bilde- ten eine echte Alternative zur Unterhaltsklage und entsprächen inso- fern einem Urteil. Halte man sich die Anforderungen an die Geneh- migung vor Augen, erscheine es als fragwürdig, den Rechtsweg der Aberkennungsklage einem Schuldner zu eröffnen, der sich auf die Vereinbarung eingelassen habe, um einer Unterhaltsklage zu entge- hen. Die Vormundschaftsbehörde genehmige die Verträge erst nach 2002 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 51 einer Prüfung ihrer Angemessenheit. Im Übrigen könnte das Fehlen eines Kindsverhältnisses durchaus als Einrede im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG geltend gemacht werden. Bezüglich der Anfechtung der Beitragshöhe sei entscheidend, dass der Unterhaltspflichtige mit der Einwilligung in den Vertrag darauf verzichte, den Beitrag ge- richtlich festsetzen zu lassen. Daher solle er ebenso wie das Kind die vereinbarten Beiträge nur unter der Voraussetzung veränderter Ver- hältnisse wieder in Frage stellen können. Wenn schliesslich gerichtli- che, nicht aber vormundschaftlich genehmigte Unterhaltsverträge als definitive Rechtsöffnungstitel anerkannt würden, ergäbe dies eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, da Art. 287 ZGB die bei- den Genehmigungen einander gleichstelle. Den erstgenannten Auffassungen ist zu folgen. Die von der Vor- mundschaftsbehörde genehmigten Unterhaltsverträge werden vom Wortlaut von Art. 80 Abs. 2 SchKG nicht erfasst. Den gerichtlichen Urteilen sind lediglich gerichtliche Vergleiche und Schuldanerken- nungen, auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistungen gerichtete Ver- fügungen und Entscheide von Verwaltungsbehörden des Bundes und innerhalb des Kantonsgebiets Verfügungen und Entscheide kantona- ler Verwaltungsbehörden über öffentlich-rechtliche Verpflichtungen, soweit das kantonale Recht die Gleichstellung vorsieht, gleichge- stellt, obschon die Problematik bei der kürzlich erfolgten Revision des SchKG bekannt war. Es geht deshalb nicht an, gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes vormundschaftlich genehmigte Unterhaltsver- träge gerichtlichen Urteilen gleichzustellen und als definitive Rechts- öffnungstitel zu behandeln. Im Unterschied zu den Gerichten und den im Gesetz genannten Behörden, deren Verfügungen und Ent- scheide gerichtlichen Urteilen gleichgestellt werden, kommt der Vor- mundschaftsbehörde bei der Genehmigung der Unterhaltsverträge keine materielle Entscheidungsbefugnis zu. Die Genehmigung soll lediglich nachteilige Regelungen zu Lasten des Kindes verhindern. Gestützt auf solche vormundschaftlich genehmigten Unterhaltsver- träge ist deshalb bloss provisorische Rechtsöffnung zu erteilen (so auch Peter Stücheli, Die Rechtsöffnung, Zürich 2000, S. 259 f.). c) Für die in Betreibung gesetzte Forderung liegt somit ein vor- mundschaftlich genehmigter Unterhaltsvertrag zugrunde, der einen 2002 Obergericht/Handelsgericht 52 gültigen provisorischen Rechtsöffnungstitel bildet (Art. 82 Abs. 1 SchKG).
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2009 Zivilprozessrecht 33 II. Zivilprozessrecht A. Zivilprozessordnung 4 § 184 f. ZPO; Art. 368 OR Beim während eines hängigen Prozesses erklärten Wechsel von einem Mängelrecht aus Werkvertrag zu einem andern handelt es sich um die Ausübung eines Angriffs- bzw. Verteidigungsmittels im Sinne des Noven- rechts. Demgemäss ist der nach Abschluss des Behauptungsverfahrens er- folgte Wechsel einer auf Nachbesserung von Werkmängeln gerichteten Klage zur Minderungsklage grundsätzlich ausgeschlossen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 20. Oktober 2009 i.S. B. und U. L. gegen W.B. und O. AG. Sachverhalt Die Kläger verlangten mit Klage die Nachbesserung diverser Mängel durch die Beklagte, eventualiter Minderung. In einer Stel- lungnahme zu einem vom Gericht eingeholten Gutachten und damit nach Abschluss des Behauptungsverfahrens verlangten sie neu zur Hauptsache Minderung und eventualiter Nachbesserung. Aus den Erwägungen 3.3.2. Die Erklärung, mit welcher der Besteller Nachbesserung ver- langt, stellt die Ausübung eines Gestaltungsrechts dar und ist deshalb grundsätzlich unwiderruflich (Gauch, Der Werkvertrag, 4. Aufl., Zü- rich 1996, Rz. 1835). Durch die Geltendmachung des Nachbesse- rungsrechts erlischt ein allfälliges Wandelungs- und Minderungs- recht, weil die Mängelrechte, unter denen der Besteller auswählen kann, zueinander in elektiver Konkurrenz stehen (Gauch, a.a.O., 2009 Obergericht 34 Rz. 1835 und 1489). Dieser Grundsatz erleidet folgende Relativie- rungen: (1) So kann das ursprüngliche Wahlrecht des Bestellers wieder aufleben, wenn der Unternehmer mit der Erfüllung seiner Nachbes- serungsschuld in Verzug gerät oder die verlangte Mängelbeseitigung objektiv unmöglich wird (Gauch, a.a.O., Rz. 1843). Nach Art. 107 Abs. 1 OR ist der Gläubiger bei Verzug des Schuldners berechtigt, diesem eine angemessene Frist zur nachträglichen Erfüllung anzuset- zen oder durch die zuständige Behörde ansetzen zu lassen (Art. 107 Abs. 1 OR); wird auch bis zum Abschluss der Frist nicht erfüllt, so kann der Gläubiger immer noch auf Erfüllung nebst Schadenersatz wegen Verspätung klagen, statt dessen aber auch, wenn er es unver- züglich erklärt, auf die nachträgliche Leistung verzichten und entwe- der Ersatz des aus der Nichterfüllung entstandenen Schadens verlan- gen (z.B. die Schadenersatz im Umfang der Kosten der Ersatzvor- nahme durch einen Dritten) oder vom Vertrag zurücktreten (Art. 107 Abs. 2 OR); die Ansetzung einer Frist zur nachträglichen Erfüllung ist unter anderem dann nicht erforderlich, wenn aus dem Verhalten des Schuldners hervorgeht, dass sie sich als unnütz erweisen würde (Art. 108 Ziff. 1 OR). Die Ausübung der durch Art. 107 OR zur Ver- fügung gestellten Wahlrechte stellt die Wahrnehmung von Gestal- tungsrechten dar (Schwenzer, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl., Bern 2006, Rz. 3.06). Die Ausübung von Gestaltungsrechten zählt ihrerseits zu den Angriffs- bzw. Verteidi- gungsmitteln, die in einem Prozess, der wie der vorliegende der Ver- handlungsmaxime untersteht, nach Massgabe der Eventualmaxime rechtzeitig, d.h. grundsätzlich im Behauptungsverfahren, das mit der Duplik seinen Abschluss findet (§§ 183 f. ZPO), in den Prozess ein- zuführen, d.h. auszuüben, sind (Bühler, Das Novenrecht im neuen Aargauischen Zivilprozessrecht, Zürich 1986, S. 18 und 84). (2) Ferner hat sich der Unternehmer, der das Nachbesserungs- recht des Bestellers oder dessen wirksame Ausübung aus irgendei- nem Grund bestreitet, bei dieser Bestreitung behaften zu lassen, d.h. er kann dem Besteller, der auf die Bestreitung hin das Wandelungs- oder Minderungsrecht ausübt, nicht entgegenhalten, dieses Recht sei durch die frühere Ausübung des Nachbesserungsrechts erloschen; 2009 Zivilprozessrecht 35 dies gilt auch dann, wenn der Grund der Bestreitung darin liegt, dass der Unternehmer eine Mängelhaftung überhaupt ablehnt; ob und wie lange der Besteller nach erfolgter Klageerhebung noch befugt ist, die Nachbesserungserklärung durch eine Wandelungs- oder Minderungs- erklärung zu ersetzten, beurteilt sich nach dem anwendbaren Pro- zessrecht (Gauch, a.a.O., Rz. 1845). Denn auch bei der Geltendma- chung von Mängelrechten handelt es sich um die Ausübung von Ge- staltungsrechten und - sofern im Prozess erfolgend - um die Aus- übung von der Novenordnung unterstehenden Angriffs- bzw. Vertei- digungsmitteln (Bühler, a.a.O., S. 18 und 83).
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2,010
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2011 Anwaltsrecht 43 [...] 10 § 14 Abs. 1 EG BGFA Kostentragung im Disziplinarverfahren, obwohl der Anzeige keine Folge gegeben wurde: Schuldhafte Veranlassung des Verfahrens durch die be- anzeigte Anwältin. Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 26. Mai 2011, i.S. Y. (AVV.2010.17). Aus den Erwägungen 2.4. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die bean- zeigte Anwältin nicht gegen Art. 12 lit. a BGFA verstossen hat, da keine Anhaltspunkte für eine krasse Verletzung der Pflicht zur be- förderlichen Mandatsführung vorliegen. Für eine Disziplinierung gibt es demnach keine Veranlassung. 2011 Obergericht 44 3. (...) 4. Gemäss § 14 EG BGFA sind die Verfahrenskosten von der an- zeigenden Person zu tragen, wenn die Anzeige mutwillig oder tröle- risch erstattet wurde, von der Anwältin oder dem Anwalt, wenn sie oder er bestraft wird oder das Verfahren schuldhaft veranlasst hat, in den übrigen Fällen vom Staat. 4.1. Im vorliegenden Fall wurde das Verfahren von der beanzeigten Anwältin schuldhaft veranlasst. 4.1.1. So hat sie (die beanzeigte Anwältin) es der Anzeigerin (und der Anwaltskommission) aufgrund des mangelhaft geführten Klienten- dossiers verunmöglicht, präzise abzuklären, was sie genau zu wel- chem Zeitpunkt für ihre Klientin unternommen hat. Um die Anzeige- rin bei einer allfälligen Nachfrage jederzeit über ihre Aktivitäten und den Inhalt der geführten Telefongespräche zuverlässig informieren zu können, wäre ein lückenloses Festhalten dieser in Schriftform unab- dingbar gewesen. Erst eine solche Mandatsführung stärkt das Ver- trauen in einen Anwalt bzw. eine Anwältin und zeigt dem Klienten bzw. der Klientin auf, dass der Anwalt bzw. die Anwältin das Mandat ernst nimmt und alles unternimmt, um dieses beförderlich zu behan- deln. Die beanzeigte Anwältin konnte aber, auch nach Aufforderung durch die Anwaltskommission, zur Untermauerung ihrer Behauptun- gen bezüglich der geführten Telefongespräche keine Handnotizen o.ä. einreichen. Im beigezogenen Klientendossier befanden sich ebenfalls keine entsprechende Hinweise. Infolge dieser schlechten Dokumentation des Klientendossiers ist denn davon auszugehen, dass sie das Mandat entsprechend unsorgfältig geführt und die An- zeigerin auch dadurch das Vertrauen in die beanzeigte Anwältin ver- loren hat. 4.1.2. Angesichts dieser Umstände ist es nachvollziehbar, dass die Anzeigerin mit dem Vorgehen der beanzeigten Anwältin nicht mehr 2011 Anwaltsrecht 45 einverstanden und eine Anzeige gegen sie eingereicht hat. Aus- schlaggebend für die Anzeige dürfte aber insbesondere auch das Nichtreagieren der beanzeigten Anwältin auf das Schreiben der An- zeigerin vom (...) gewesen sein, auf welches die beanzeigte Anwäl- tin nach eigenen Aussagen nicht geantwortet und lediglich die Kün- digung des Mandats durch die Anzeigerin abgewartet hat. Nachdem sich die ganze Angelegenheit bereits sehr lange dahingezogen hat, hätte die beanzeigte Anwältin umgehend auf dieses Schreiben reagie- ren und ihrer Klientin die gestellten Fragen beantworten bzw. mit ihr die Sache klären müssen. Mit ihrer unterlassenen Reaktion hat sie ihre Klientin weiter im Ungewissen gelassen und das Vertrauen voll- ständig zerstört. Bei einer anderen Reaktion der beanzeigten An- wältin hätte wohl die vorliegende Anzeige vermieden werden kön- nen. 4.2. Angesichts der obigen Erwägungen ist festzuhalten, dass die beanzeigte Anwältin die vorliegende Anzeige schuldhaft veranlasst hat. Die beanzeigte Anwältin hat somit die Hälfte der Verfahrensko- sten zu tragen. Parteikosten werden keine zugesprochen.
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2008 Anwaltsrecht 45 [...] 10 Art. 13 BGFA: Entbindung vom Berufsgeheimnis Entbindung einer Anwältin vom Berufsgeheimnis, damit diese allfällige vormundschaftliche Massnahmen einleiten kann, wenn ihre Klientin ge- mäss ärztlichem Zeugnis in Bezug auf das Scheidungsverfahren momen- tan nicht (ver-)handlungsfähig ist. Entscheid der Anwaltskommission vom 24. Juni 2008 i.S. M.W. (AVV.2008.25) Aus den Erwägungen 3. Die faktische Unmöglichkeit, mit der Klientin Kontakt aufzu- nehmen, ist vorliegend der Grund für das Entbindungsgesuch. Die Gesuchstellerin kann ihre Klientin nicht erreichen und sich nicht mit ihr besprechen. Dies kommt auch im Arztzeugnis vom 5. Juni 2008 zum Ausdruck, in welchem ausgeführt wird, dass sie "aufgrund ihres Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bis auf Weiteres nicht dazu in der Lage ist, sich mit dem laufenden Scheidungsverfahren bewusst auseinander zu setzen und notwendige Entscheidungen zu treffen" (Gesuchsbeilage [GB] 2). Aus naheliegenden Gründen muss deshalb auf die vorgängige Einräumung des rechtlichen Gehörs für die Klien- tin in diesem Fall verzichtet werden. 4. 4.1. - 4.2. [...] 4.3. [...] 2008 Obergericht 46 5. 5.1. - 5.2. [...] 5.3. Aufgrund des Aufenthalts ihrer Klientin in einer psychiatrischen Klinik ist diese vorliegend für die Gesuchstellerin nicht erreichbar. [...] Aufgrund der Ausführungen der Gesuchstellerin ist zudem auch zu befürchten, dass sie nicht im Besitz aller notwendigen Unterlagen ist, die dem Gericht eingereicht werden müssten. Die vom Gerichts- präsidenten angedrohte Folge, wenn innert angesetzter Frist keine Klageantwort eingereicht wird, nämlich die Fortführung des Verfah- rens mit Erlass der Beweisanordnung und Vorladung zur Hauptver- handlung, könnte für die Klientin in gewissen Bereichen zu einem Rechtsverlust führen. Nicht alle Punkte in einem Scheidungsver- fahren unterliegen der Offizialmaxime. Im Interesse der Klientin ist es demnach zweifellos, dass je- mand an ihrer Stelle - soweit überhaupt möglich - die notwendigen Entscheidungen trifft und gegebenenfalls die nötigen Unterlagen be- sorgt. Dies kann aber nicht die Gesuchstellerin sein, jedenfalls nicht allein gestützt auf die Anwaltsvollmacht. Ihre Aufgabe ist es nicht, anstelle der Klientin zu entscheiden, sondern diese zu beraten und für sie gemäss ihren Weisungen zu handeln. Gemäss telefonischen Ausführungen der Gesuchstellerin stellt sich im Scheidungsverfahren die Frage nach dem Scheidungswillen grundsätzlich nicht mehr, da gestützt auf Art. 114 ZGB geklagt wird und die zweijährige Trennungsfrist bereits abgelaufen ist. Die Klien- tin kann sich somit der Scheidung gar nicht mehr widersetzen. Es stehen aber - insbesondere für ihre Zukunft - wichtige Entscheidun- gen im Verfahren an. Da der Gerichtspräsident offenbar, trotz mo- mentaner, ärztlich bezeugter (Ver-) Handlungsunfähigkeit der Klien- tin / Beklagten in Bezug auf die Scheidung nicht bereit ist, das Verfahren zu sistieren oder einen Prozessbeistand zu bestellen, liegt es zweifellos im Interesse der Klientin, dass die Gesuchstellerin in die Lage versetzt wird, selber bei der Vormundschaftsbehörde um die notwendigen Massnahmen zu ersuchen. Dafür muss sie aber vom 2008 Anwaltsrecht 47 Anwaltsgeheimnis entbunden werden. Ihr Antrag ist somit in diesem Umfang gutzuheissen.
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AG_HG_001
AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2008-10_2008-06-24
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2019.134 / sm / mv Art. 186 Entscheid vom 20. November 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin D. GmbH, _ vertreten durch lic. iur. Martin Schwaller, Rechtsanwalt, Laurenzenvor- stadt 11, Postfach 2145, 5001 Aarau Gesuchsgegne- rin E. AG, _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Reinach (AG). Sie bezweckt im Wesentlichen _ (Gesuchsbeilage [GB] 1). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Zug. Sie hat insbesondere das _ zum Zweck (GB 2). Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grdst.-Nr. 123 GB Wettin- gen (E-GRID: CH 987; GB 4). 3. Mit Gesuch vom 31. Oktober 2019 (Postaufgabe: 31. Oktober 2019) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Das Grundbuchamt Baden sei anzuweisen, zu Gunsten der Ge- suchstellerin ein gesetzliches Pfandrecht über CHF 32'419.55 nebst Zins zu 5 % seit dem 27.08.2019 auf der Liegenschaft / 123 provisorisch einzutragen (Vormerkung). 2. Die Anweisung an das Grundbuchamt Baden sei superproviso- risch zu erlassen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen." 4. 4.1. Mit Verfügung vom 1. November 2019 bewilligte der Vizepräsident den An- trag um superprovisorische Anordnung der Vormerkung der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts im Umfang von Fr. 32'419.55 zuzüglich Zins zu 5 % ab dem 29. August 2019 und wies das Grundbuch- amt Baden an, die Vormerkung sofort einzutragen, verpflichtete die Ge- suchstellerin zur Bezahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von Fr. 1'500.00 und setzte der Gesuchsgegnerin Frist zur Antwort bis zum 18. November 2019 an. 4.2. Das Grundbuchamt Baden merkte die vorläufige Eintragung mit der Nr. 321 am 1. November 2019 im Tagebuch vor. 4.3. Am 11. November 2019 bezahlte die Gesuchstellerin den Kostenvor- schuss. - 3 - 5. Mit Gesuchsantwort vom 15. November 2019 stellte die Gesuchsgegnerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Das Gesuch der Gesuchstellerin sei vollumfänglich abzuweisen. 2. Eventualiter sie die Gesuchsgegnerin zu verpflichten, einen Be- trag von 32'419.55 Franken auf ein vom Handelsgericht Konto einzuzahlen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen." Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Der Einzelrichter am Handelsgericht ist örtlich, sachlich und funktionell zur Beurteilung der im summarischen Verfahren zu behandelnden Streitigkeit zuständig (vgl. dazu E. 4 der Verfügung vom 1. November 2019). 2. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 2.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 2.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.1 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.2 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die 1 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 5. Aufl. 2015, Art. 839/840 N. 37. 2 BGE 86 I 265 E. 3, 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4, 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. - 4 - blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.3 3. Pfandsumme 3.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, sie habe der Gesuchsgegnerin am 17. Ok- tober 2018 eine Auftragsbestätigung für die Produzierung, Lieferung und Installierung eines Swimming-Pools verschickt. Die Gesuchsgegnerin habe diese am 29. Oktober 2018 bestätigt. Der Werkpreis habe Fr. 87'114.20 betragen (GB 6; Gesuch Rz. 10). Ende April/anfangs Mai 2019 seien die vertraglichen Leistungen der Gesuchstellerin überwiegend erbracht gewe- sen. Die ausstehenden Abschlussarbeiten hätte die Gesuchstellerin noch nicht vornehmen können, da die Gesuchsgegnerin die bauseits zu erbrin- genden Elektro- und Sanitärinstallationen nicht erbracht habe (Gesuch Rz. 12 f.). Mit Schreiben vom 29. Juli 2019 habe die Gesuchstellerin von der Gesuchsgegnerin die Ausführung dieser Arbeiten verlangt (GB 11; Ge- such Rz. 14). Am 27. Juli 2019 habe die Gesuchstellerin der Gesuchsgeg- nerin die Schlussrechnung zukommen lassen (GB 10; Gesuch Rz. 14). Ab- züglich der beiden von der Gesuchsgegnerin bezahlten Akontorechnungen vom 19. November 2018 (GB 8) und 8. Februar 2019 (GB 9) über je Fr. 29'038.00 würde der offene Werkpreis noch Fr. 32'419.55 betragen (GB 10; Gesuch Rz. 15). Die Gesuchsgegnerin anerkennt, dass zwischen ihr und der Gesuchstelle- rin am 29. Oktober 2019 ein Werkvertrag zustande gekommen sei. Jedoch sei das Werk bis heute nicht fertiggestellt worden, da die Gesuchstellerin weder die erforderlichen Abschlussarbeiten noch die erforderlichen Fertig- stellungsarbeiten ausgeführt habe; auch die Schlüsselübergabe sei noch ausstehend. Es sei der Gesuchsgegnerin somit bis zum heutigen Tag nicht möglich gewesen, das Werk abzunehmen. Zudem weigere sich die Ge- suchstellerin bis zum heutigen Tage, für ihre Haftung als Unternehmerin während der Garantiefrist eine Sicherheit zu leisten, wie etwa eine Solidar- bürgschaft einer Bank oder Versicherung. Gemäss Auffassung der Ge- suchsgegnerin habe die Gesuchstellerin die Schlussrechnung mit diesem Betrag gemäss Art. 372 Abs. 1 OR noch nicht stellen dürfen, da der letzte Teil der Vergütung erst bei Ablieferung des Werkes zu bezahlen sei. 3 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1395. - 5 - 3.2. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.4 Die Fälligkeit der Vergütungsforderung ist nicht Voraussetzung für die Ein- tragung eines Bauhandwerkerpfandrechts. Gemäss Art. 839 Abs. 1 ZGB kann dieses bereits nach Vertragsabschluss vor Arbeitsbeginn im Grund- buch eingetragen werden.5 3.3. Würdigung Die Gesuchsgegnerin entgegnet der von der Gesuchstellerin geltend ge- machten Pfandsumme von Fr. 34'419.55 (vgl. GB 10) nichts. Die Gesuchs- gegnerin argumentiert lediglich, deren Fälligkeit sei noch nicht eingetreten. Dabei übersieht die Gesuchsgegnerin, dass die Fälligkeit der Vergütungs- forderung keine Voraussetzung für die Eintragung eines Bauhandwerker- pfandrechts ist. Ein Bauhandwerkerpfandrecht kann auch vor Ablieferung des Werkes eingetragen werden. Die Fragen, ob die Gesuchstellerin die ausstehenden Abschlussarbeiten vertragswidrig nicht vorgenommen hat oder ob die Gesuchsgegnerin ihren vertraglichen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, sowie die Frage, ob die Gesuchstellerin für ihre Haftung als Unternehmerin während der Ga- rantiefrist eine Sicherheit zu leisten hat, werden im Forderungsprozess über die ausstehende Werkvertragsforderung zu klären sein. Im Rahmen des vorsorglichen Massnahmeverfahrens ist der Vergütungs- anspruch der Gesuchstellerin gegenüber der Gesuchsgegnerin in Höhe von Fr. 34'419.55, und damit die entsprechende Pfandsumme, glaubhaft gemacht. 3.4. Verzugszinsen Der in der Verfügung vom 1. November 2019 E. 5.3 der Gesuchstellerin auf der Pfandsumme von Fr. 34'419.55 zugesprochene Verzugszins von 5 % ab 29. August 2019 ist unumstritten. Daran wird festgehalten. 4 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 436, 438 und 547. 5 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 473. - 6 - 4. Eintragungsfrist Die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist ist unumstritten und wurde bereits in der Verfügung vom 1. November 2019 E. 5.2 bejaht. Daran wird festgehalten. 5. Sicherheitsleistung 5.1. Parteibehauptung Die Gesuchsgegnerin verlangt eventualiter, sie sei zu verpflichten, einen Betrag von Fr. 32'419.55 auf ein vom Handelsgericht bestimmtes Konto einzuzahlen. Die Auszahlung dieses Betrags an die Gesuchstellerin macht die Gesuchsgegnerin von verschiedenen Bedingungen abhängig. 5.2. Rechtliches Gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB kann die Eintragung eines Bauhandwerker- pfandrechts nicht verlangt werden, wenn der Grundeigentümer für die an- gemeldete Forderung hinreichende Sicherheit leistet. Das Fehlen einer hin- reichenden Sicherheit ist daher eine negative Voraussetzung für die Eintra- gung bzw. den Weiterbestand des Bauhandwerkerkerpfandrechts.6 Mit an- deren Worten kann der Unternehmer kein Bauhandwerkerpfandrecht ver- langen, wenn ihm für die entsprechende Forderung eine hinreichende Si- cherheit geleistet wird.7 Die Leistung einer hinreichenden Sicherheit hat die Funktion einer Ersatzsicherheit: Anstelle eines mittelbaren gesetzlichen Grundpfandrechts in der Form des Bauhandwerkerpfandrechts8 erhält der Unternehmer eine Ersatzsicherheit.9 Art. 839 Abs. 3 ZGB schreibt die Art der zu leistenden Sicherheit nicht vor. Damit kann die Sicherheit leistende Person Art und Gegenstand der Sicherheitsleistung innerhalb der Schran- ken der Rechtsordnung grundsätzlich frei wählen.10 Als Sicherheitsleistung kommen Personalsicherheiten wie die Garantie11 oder die Bürgschaft12 so- wie Realsicherheiten wie die Sicherheitshinterlegung13 in Frage.14 Dabei ist stets entscheidend, dass die Sicherheitsleistung als "hinreichend" i.S.v. Art. 839 Abs. 3 ZGB qualifiziert wird.15 Dies setzt voraus, dass die Sicher- heitsleistung qualitativ und quantitativ die gleiche Sicherheit bietet wie das Bauhandwerkerpfandrecht.16 Ob die Sicherheitsleistung als "hinreichend" 6 SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, Sachenrecht, 4. Aufl. 2012, N. 1742; SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1237. 7 VETTER/BRUNNER, Die hinreichende Sicherheit gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB, in: Jusletter 27. Feb- ruar 2017, Rz. 1. 8 Statt vieler SCHUMACHER (Fn. 1), N. 5 ff. m.w.N. 9 VETTER/BRUNNER (Fn. 7), Rz. 3. 10 VETTER/BRUNNER (Fn. 7), Rz. 6; SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1268. 11 Siehe zur Garantie statt vieler SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1273 ff. m.w.N. 12 Siehe zur (Solidar-)Bürgschaft statt vieler SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1288 ff. m.w.N. 13 Siehe zur Sicherheitshinterlegung statt vieler SCHUMACHER (Fn. 6), N. 1292 ff. m.w.N. 14 BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 11; SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1269 f. m.w.N. 15 VETTER/BRUNNER (Fn. 7), Rz. 6. 16 BGE 142 III 738 E. 4.4.2.; VETTER/BRUNNER (Fn. 7), Rz. 8. - 7 - qualifiziert wird, obliegt vorab der Disposition der involvierten Parteien.17 Akzeptiert der Unternehmer die von der sicherleistenden Person angebo- tene Ersatzsicherheit anstelle des Bauhandwerkerpfandrechts, wird das Gericht nicht mehr überprüfen, ob die Sicherheitsleistung "hinreichend" i.S.v. Art. 839 Abs. 3 ZGB ist und entsprechend die Löschung des Bau- handwerkerpfandrechts anordnen.18 Lehnt der Unternehmer hingegen die eingereichte Sicherheitsleistung ab oder reicht er überhaupt keine Stellung- nahme ein, hat das Gericht zu überprüfen, ob diese als hinreichend gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB zu qualifizieren ist. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage.19 5.3. Würdigung Die Gesuchsgegnerin hat bis heute weder effektiv eine hinreichende Si- cherheit gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB geleistet noch hat sie den Nachweis erbracht, dass die Gesuchstellerin die Hinterlegung des Betrags von Fr. 32'419.55 verknüpft mit den verschiedenen Bedingungen als hinrei- chende Sicherheitsleitung akzeptiert. Ungeachtet der Frage der Zulässig- keit der Bedingungen qualifiziert die Hinterlegung des Betrags von Fr. 32'419.55 nicht als hinreichend gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB, weil damit die Verzugszinsen nicht sichergestellt sind.20 Der Eventualantrag der Ge- suchsgegnerin ist daher abzuweisen. 6. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts für eine Pfandsumme von Fr. 32'419.55 zuzüglich Zins zu 5 % ab 29. August 2019 erfüllt sind und die mit Verfügung vom 1. November 2019 superprovisorisch angeordnete Vormerkung der vorläufigen Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts zu bestätigen ist. 7. Prosequierung 7.1. Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei ungenutztem Ablauf der Frist ohne Weiteres und ersatzlos gelöscht werde.21 Die Prose- quierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vor- liegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 17 Vgl. SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1312. Siehe auch Merkblatt des Handelsgerichts des Kantons Aar- gau, abrufbar unter <https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte//Merkblatt_Handelsgericht.pdf>, zuletzt besucht am 20. November 2019. 18 VETTER/BRUNNER (Fn. 7), Rz. 30; SCHUMACHER (Fn. 6), N. 1314. 19 VETTER/BRUNNER (Fn. 7), Rz. 31. 20 BGE 142 III 738 E. 4.4.2 ff.; VETTER/BRUNNER (Fn. 7), Rz. 26 ff. m.w.N. 21 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 672 ff. https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_Handelsgericht.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_Handelsgericht.pdf - 8 - Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen.22 7.2. Der Gesuchstellerin ist daher Frist bis 20. Februar 2020 anzusetzen, um beim zuständigen Gericht Klage im ordentlichen Verfahren auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts einzureichen. 8. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 8.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 1'500.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 1'500.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 1'500.00, direkt zu ersetzen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 8.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin zudem eine Parteientschä- digung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 32'419.55 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 6'712.95 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 4 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarab- zugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 1'678.25. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach weiteren Abzügen von 20 % wegen der nicht durchgeführten Verhandlung (§ 6 Abs. 2 AnwT), resultiert ein Betrag in Höhe von Fr. 1'342.60. Nach Hinzurechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 1'380.00 den die Gesuchsgegnerin der Gesuchstellerin als Parteientschädigung zu bezahlen hat. Der Antrag des Rechtsvertreters der Gesuchstellerin, es sei ihm eine Frist zur Einreichung einer Kostennote anzusetzen (Eingabe vom 4. November 2019), hat der Vizepräsident mit Verfügung vom 5. November 2019 mit dem Hinweis, es stehe dem Rechtsvertreter der Gesuchstellerin jederzeit zu, eine Kostennote einzureichen, abgewiesen. Der Rechtsvertreter der 22 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 1), N. 688. - 9 - Gesuchstellerin hat bis heute keine Kostennote eingereicht, weshalb es bei der nach dem AnwT zugesprochenen Entschädigung bleibt. 8.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handels- gericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder auf- grund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehalten. Der Vizepräsident erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung des Gesuchs vom 31. Oktober 2019 wird die mit Verfügung vom 1. November 2019 zugunsten der Gesuchstellerin auf dem Grundstück der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 123 GB Wettingen (E- GRID: CH 987) superprovisorisch für eine Pfandsumme von Fr. 32'419.55 zuzüglich Zins zu 5 % ab dem 29. August 2019 vorsorglich bestätigt. 2. Das Grundbuchamt Baden wird angewiesen, die Vormerkung gemäss Dispositiv-Ziff. 1 aufrechtzuerhalten. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 20. Februar 2020 beim zuständigen Ge- richt im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung des Bau- handwerkerpfandrechts anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkung im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht wird. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'500.00 sind von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 1'500.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten der Ge- suchstellerin direkt zu ersetzen. - 10 - 4.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin deren Parteikosten in rich- terlich festgesetzter Höhe von Fr. 1'380.00 (inkl. Auslagen) zu ersetzen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreter; zweifach mit Doppel der Eingabe der Gesuchsgegnerin vom 15. November 2019) die Gesuchsgegnerin Zustellung an: das Grundbuchamt Baden (nach Ablauf der Rechtsmittelfrist) Mitteilung an: die Obergerichtskasse 5. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 11 - Aarau, 20. November 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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2003 Zivilrecht 23 I. Zivilrecht A. Familienrecht 1 Art. 114 und 115 ZGB; § 274 Abs. 1 ZPO Die Frage, ob ein Anspruch auf Scheidung der Ehe gegeben ist, bildet keine prozessuale oder materielle Vorfrage im Sinne von § 274 Abs. 1 ZPO der Scheidungsnebenfolgen. Kommt die urteilende Instanz zum Er- gebnis, dass die Voraussetzungen der Scheidungsklage nach Art. 114/115 ZGB (Ablauf des vierjährigen Getrenntlebens bzw. Vorliegen eines Un- zumutbarkeitsgrunds) erfüllt sind, so bleibt für den Erlass eines Zwi- schenentscheids kein Raum, sondern sind mittels Endurteil die Eheschei- dung auszusprechen und die Nebenfolgen zu regeln. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 10. Dezember 2002, i.S. R.S. gegen A.S. Aus den Erwägungen: 3. b) Die Vorinstanz hat sich offenbar von der Idee tragen las- sen, zunächst die streitige Scheidungsfrage zu klären und erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Anfechtung des Zwischenentscheids bzw. nach Vorliegen eines bestätigenden Entscheids des Obergerichts über die Nebenfolgen der Scheidung zu befinden. Die Frage der Be- gründetheit der Scheidungsklage bildet indessen keine prozessuale oder materielle Vorfrage im Sinne von § 274 Abs. 1 ZPO der Schei- dungsnebenfolgen. Kommt die urteilende Instanz zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Scheidungsklage nach Art. 114/115 ZGB (Ablauf des vierjährigen Getrenntlebens bzw. Vorliegen eines Unzu- mutbarkeitsgrunds) erfüllt sind, so bleibt für den Erlass eines Zwi- schenentscheids kein Raum, sondern sind mittels Endurteil die Ehe- scheidung auszusprechen und die Nebenfolgen zu regeln.
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2001 Zivilrecht 21 I. Zivilrecht A. Familienrecht 1 Art. 146 f. ZGB. Honorar des anwaltlichen Kinderbeistandes: - Die Kosten für die Vertretung des Kindes sind Gerichts-, nicht Unter- haltskosten (§ 196f Abs. 2 ZPO) (Erw. 3a). - Rechtsmittel, wenn der Kinderbeistand ausschliesslich die Festset- zung seines Honorars beanstandet (Erw. 3b). - Bemessung des Honorars des anwaltlichen Kinderbeistandes: Direkte Anwendung des Anwaltstarifs (§ 3 Abs. 1 lit. b AnwT); das zum Grundhonorar des Anwalts in einer Scheidung ohne Streitwert in Be- ziehung zu setzende Grundhonorar des anwaltlichen Kinderbei- standes beträgt - aussergewöhnliche Fälle vorbehalten - Fr. 2'500.-- (Erw. 3c). Mediation zwischen den Eltern ist nicht Aufgabe des Kinderbeistandes (Erw. 3c/dd). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 26. September 2001 in Sachen K. J.-T. gegen Ph. J. Aus den Erwägungen 3. a) Bezüglich der Kosten schreibt das Bundesrecht lediglich vor, dass das Kind nicht mit Gerichts- und Parteikosten belastet wer- den darf (Art. 147 Abs. 3 ZGB). Im Übrigen richtet sich die Rege- lung der Kosten der Kindesvertretung nach kantonalem Recht (Spühler, Neues Scheidungsverfahren, Zürich 1999, S. 46 f.; Bähler, Die Vertretung des Kindes im Scheidungsprozess, Beistandschaft nach Art. 146 ZGB, ZVW 2001 S. 196). Bei der Kindesvertretung handelt es sich faktisch um eine Kindesschutzmassnahme, weshalb für die Entschädigung der Kindesvertretung die Grundsätze des Vormundschaftsrechts zur Anwendung kommen (Botschaft vom 2001 Obergericht/Handelsgericht 22 15. November 1995 zum neuen Scheidungsrecht, S. 148). Einige Autoren vertreten deshalb die Auffassung, die Kosten seien - soweit sie die Tätigkeit des Beistandes und nicht das Verfahren seiner Ein- setzung betreffen - von den Eltern als Unterhaltskosten i.S.v. Art. 276 Abs. 1 ZGB, d.h. entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit, zu tragen (Reusser, Die Stellung der Kinder im neuen Scheidungsrecht, in: Hausheer [Hrsg.], Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, Rz. 4.97; Hausheer, Die wesentlichen Neuerungen des neuen Scheidungsrechts, ZBJV 1999 S. 29 f.). Der überwiegende Teil der Lehre hält hingegen dafür, dass die Kosten der Kindesvertretung unter Einschluss der durch die Vertretung ausgelösten Folgekosten (Gutachten, Zeugenbefragungen etc.) aufgrund des überwiegenden prozessualen Konnexes als Verfahrenskosten zu qualifizieren sind, welche vom Gericht - wie die Kosten eines Prozesses über den Fa- milienstand (Hegnauer, Berner Kommentar, Bern 1997, N 42 zur Art. 276 ZGB) - nach dem Prozessausgang, oder, falls dies nicht möglich ist, weil z.B. die Kindesvertretung gegen ein von den Eltern akzeptiertes Urteil appelliert, nach Billigkeitsgesichtspunkten zu verlegen sind (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Schei- dungsrecht, N 59 zu Art. 146/147 ZGB; Freiburghaus, Auswirkungen der Scheidungsrechtsrevision auf die Kinderbelange und die vormundschaftlichen Organe, ZVW 1999 S. 148; Sutter-Somm, Das neue Scheidungsrecht als Schwerpunkt der Änderung des Zivilge- setzbuches vom 26. Juni 1998, ZZW 1998 S. 355; PraxisKommen- tar/Schweighauser, Basel 2000, N 46 ff. zu Art. 147 ZGB; Breit- schmid, Kind und Scheidung der Elternehe, in: Das neue Schei- dungsrecht, Zürich 1999, S. 134; Steck, Die Vertretung des Kindes im Prozess der Eltern, AJP 1999 S. 1566; Bähler, a.a.O., S. 196). Der Qualifikation als Unterhaltskosten wird vorab entgegengehalten, dass in diesem Fall die Kosten durch die Vormundschaftsbehörde festge- setzt und von den Eltern mittels vormundschaftlicher Aufsichtsbe- schwerde angefochten werden müssten, was zu einer unnötigen Komplizierung des Rechtsweges führe (Sutter-Somm, a.a.O., S. 355; Freiburghaus, a.a.O., S. 148; Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 59 zu Art. 146/147 ZGB). Bereits in der Botschaft zum neuen Scheidungs- recht war darauf hingewiesen worden, dass die Kosten, die direkt 2001 Zivilrecht 23 oder indirekt wegen der Vertretung des Kindes entstehen, zu den Gerichtskosten geschlagen und den Parteien je nach Ausgang des Verfahrens ganz oder teilweise auferlegt werden können. Mit Schrei- ben vom 26. März 1999 empfahl sodann das Bundesamt für Justiz den Kantonen, aus prozessökonomischen Gründen eine Regelung zu schaffen, wonach im Scheidungsurteil die Höhe der Vertretungs- kosten festgesetzt und über deren Verteilung entschieden wird, um im Interesse des Rechtsfriedens ein separates vormundschaftliches Streitverfahren im Nachgang zur Scheidung zu vermeiden. Der Kanton Aargau hat - wie die meisten Kantone (Freiburg- haus/Leuenberger/Sutter-Somm, Übersicht über die kantonale Ein- führungsgesetzgebung zum neuen Scheidungsrecht, FamPra 2000 S. 396) - diese Lösung gewählt und in § 196f Abs. 2 ZPO bestimmt, dass die Kosten für die Vertretung des Kindes im Prozess Bestandteil der Gerichtskosten bilden. Laut Botschaft des Regierungsrates vom 8. September 1999 zum Entwurf der entsprechenden Änderung der Zivilprozessordnung war für die vorgeschlagene - und vom Grossen Rat alsdann diskussionslos angenommene - Regelung ausschlagge- bend, dass der Beistand vor allem Vertretungsaufgaben im Prozess wahrnimmt und die Einschätzung seiner Kosten als Verfahrenskosten ermöglicht, dass das Gericht im Scheidungsurteil über deren Höhe und Verlegung befindet und zudem die unentgeltliche Rechtspflege gewähren kann (Botschaft, S. 15). Damit ist gleichzeitig gesagt, dass der Richter im Scheidungsurteil gesamthaft und abschliessend über die direkten und indirekten (z.B. durch eine beantragte Expertise oder Zeugenbefragungen entstandenen) Kosten der Kindesvertretung entscheidet. Eine separate Rechnungsstellung der Vormundschafts- behörde gegenüber den Eltern mit Überprüfungsmöglichkeit auf dem vormundschaftlichen Beschwerdeweg findet nicht statt (Sut- ter/Freiburghaus, N 59 und 62 zu Art. 146/147 ZGB; Bähler, a.a.O., S. 196; Schreiben des Bundesamtes für Justiz vom 26. März 1999, S. 4). Der Hinweis in der Botschaft des Regierungsrates vom 8. Sep- tember 1999, dass der Kindervertreter künftig zwei Rechnungen zu führen habe, nämlich eine für die Leistungen im Rahmen des ordent- lichen Kindesschutzes und eine zweite für die im Rahmen der pro- zessualen Interessenwahrnehmung notwendigen Leistungen (Bot- 2001 Obergericht/Handelsgericht 24 schaft, S. 15), kann sich aufgrund der Entstehungsgeschichte sowie von Sinn und Zweck der in § 196f Abs. 2 ZPO getroffenen Regelung nur auf ein allfälliges Doppelmandat des Beistandes i.S.v. Art. 308 und 146 f. ZGB beziehen, das in der Praxis wohl nicht selten anzu- treffen sein dürfte (vgl. dazu Steck, Die Vertretung des Kindes - erste praktische Erfahrungen, ZVW 2001 S. 102 ff.). b) Das Rechtsmittel gegen die im ordentlichen Verfahren ergan- genen Endentscheide des Bezirksgerichtes ist die Appellation (§ 317 ZPO). Gegen Endentscheide über die Tragung und Festsetzung der Prozesskosten ist indes das Rechtsmittel der Beschwerde einzulegen, wenn nicht in der Sache selbst Appellation erklärt wird oder die Ko- stenbeschwerde i.S.v. § 94 GOG gegeben ist (§§ 121 Abs. 3 i.V.m. 335 lit. c ZPO). Letzteres ist der Fall, wenn eine Partei nur die Fest- setzung der Gerichtskosten bemängelt (AGVE 1962 S. 73; Büh- ler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessord- nung, Aarau 1998, N 1 der Vorbemerkungen zu §§ 100-134 ZPO, N 17 zu § 121 ZPO). Die Verteilung der Gerichtskosten oder die Zu- sprechung und Festsetzung der Parteikostenersatzforderung ist hin- gegen mit der Beschwerde i.S.v. § 335 lit. c ZPO zu rügen (Büh- ler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 17 zu § 121 ZPO). Diese ist im or- dentlichen Verfahren innert 20 Tagen einzureichen (§ 336 Abs. 1 ZPO; Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 1 zu § 336 ZPO). Da die Kosten für die Vertretung des Kindes im Scheidungspro- zess Bestandteil der Gerichtskosten (§ 196f Abs. 2 ZPO) bilden, wäre deren Festsetzung nach den vorab dargelegten Grundsätzen grundsätzlich mit der Kostenbeschwerde i.S.v. § 94 GOG zu rügen. Die Kostenbeschwerde ist Verwaltungsbeschwerde, da die Einforde- rung von Kostenvorschüssen und die Erhebung der tarifgemässen Gebühren und Barauslagen dem Gericht übertragene Verwaltungstä- tigkeit darstellt und im Streit um die Höhe dieser Kosten die Partei dem Staat gegenübersteht (AGVE 1962 S. 73 ff.; Botschaft des Re- gierungsrates vom 8. Dezember 1980 zum Gesetz über die Organisa- tion der ordentlichen richterlichen Behörden, GOG, S. 17). Verlangt aber der Kindesvertreter i.S.v. Art. 146 f. ZGB eine Erhöhung seiner Entschädigung, so wirkt sich die allfällige Gutheissung seines Be- gehrens direkt zum Nachteil der - nach § 196f Abs. 2 ZPO kosten- 2001 Zivilrecht 25 pflichtigen - Parteien des Scheidungsprozesses aus. Die prozessuale Interessenlage bei der Anfechtung des Honorars des Kindesvertreters entspricht damit viel eher derjenigen der Beschwerde i.S.v. § 335 lit. c ZPO, mit welcher die Festsetzung der Parteikostenersatzfor- derung zu rügen ist, als der Kostenbeschwerde i.S.v. § 94 GOG. Es kann auch nicht gesagt werden, der Kindesvertreter habe seine all- fällige Mehrforderung - wie der vom Gericht eingesetzte Sachver- ständige - gegenüber dem Staat auf dem Weg der verwaltungsge- richtlichen Klage geltend zu machen (Pra 1990 S. 241 Erw. 2c; Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 3 zu § 261 ZPO). Denn im Ge- gensatz zum - als Gehilfe des Richters eingesetzten (BGE 114 Ia 462 ff. Erw. 2b = Pra 1990 S. 241; Vogel, Grundriss des Zivilprozess- rechts, 6. A., Bern 1999, Kapitel 10 Rz. 154) - Sachverständigen ist der Kindesvertreter Parteivertreter, dessen Entschädigung vom Scheidungsrichter endgültig und abschliessend festgesetzt wird (Erw. 3a hievor). Ein Begehren um Erhöhung oder Herabsetzung der mit den Gerichtskosten festgesetzten Entschädigung der Kindesvertre- tung ist daher mit der Beschwerde i.S.v. § 335 lit. c ZPO gegen das Scheidungsurteil geltend zu machen. Vorliegend kommt hinzu, dass die Beiständin nicht nur im Kostenpunkt, sondern auch in weiteren Punkten gegen das Scheidungsurteil appelliert hat. Auch wenn auf die diesbezüglichen Anträge nicht eingetreten werden kann (Erw. 2 hievor), ist ihr Antrag auf Änderung des vorinstanzlichen Kostenent- scheides gleichwohl im Rahmen des dadurch ausgelösten Ap- pellationsverfahrens zu überprüfen und nicht in ein separates Be- schwerdeverfahren zu verweisen. Die Postulationsfähigkeit des Kindesvertreters ist gemäss Art. 147 Abs. 2 ZGB auf Anträge und Rechtsmittel in Bezug auf die Zuteilung der elterlichen Sorge, grundlegende Fragen des persönli- chen Verkehrs und Kindesschutzmassnahmen beschränkt. Da dem Kind durch die Einsetzung einer Kindesvertretung i.S.v. Art. 146 ZGB im Rahmen der beschränkten Kompetenzen von Art. 147 Abs. 2 ZGB im Scheidungsprozess seiner Eltern zumindest parteiähnliche Stellung zukommt (Erw. 2b) und die Kosten seiner Vertretung im Scheidungsurteil abschliessend festgesetzt und verlegt werden (Erw. 3a), muss der Vertreter aber auch bei der Anfechtung des Kos- 2001 Obergericht/Handelsgericht 26 tenpunktes als postulationsfähig betrachtet werden (PraxisKom- mentar/Schweighauser, a.a.O., N 53 zu Art. 147 ZGB). c) aa) (...) bb) In Bezug auf die Höhe des Honoraranspruches des Beistan- des enthält das Gesetz keine Vorgaben. Aufgrund der Vergleichbar- keit der Vertretung mit einer Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 2 bzw. 309 ZGB kommen diesbezüglich die Grundsätze des Vormund- schaftsrechts zur Anwendung (Botschaft zum neuen Scheidungs- recht, S. 148). Damit ist die Regelung der Entschädigung grund- sätzlich Sache der Kantone (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 61 zu Art. 146/147 ZGB; PraxisKommentar/Schweighauser, a.a.O., N 50 zu Art. 147 ZGB; Freiburghaus, a.a.O., S. 149; Reusser, a.a.O., N. 4.97; Bähler, a.a.O., S. 196). Nach der bundesgerichtlichen Recht- sprechung sind dabei kantonale Tarifordnungen für Berufsgruppen zu berücksichtigen, wobei die festsetzende Behörde eine gewisse Er- messensfreiheit behält, die es ihr erlaubt, je nach den Umständen das gemäss Tarif geschuldete Honorar herabzusetzen oder von diesem sogar abzuweichen (BGE 116 II 399 ff. = Pra 1991 861 ff.). In der Lehre wird mehrheitlich eine Entschädigung des Kindesvertreters nach Massgabe des konkreten Aufwandes und unter Berücksichti- gung der für die entsprechende Berufsgruppe üblicherweise anwend- baren Ansätze befürwortet (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 61 zu Art. 146/147 ZGB; PraxisKommentar/Schweighauser, N 50 ff. zu Art. 147 ZGB; Sutter-Somm, a.a.O., S. 358 f. FN 61; Bähler, a.a.O., S. 196; a.M. Breitschmid [a.a.O., S. 134], der die Auffassung vertritt, die Vertretung durch einen Anwalt sei nur dann nach dem entspre- chenden Tarifansatz zu entschädigen, wenn das konkrete Mandat den Beizug eines Anwaltes als solchen erfordert habe). Schweighauser empfiehlt, auf die Festlegung eines starren Kostenrahmens zu ver- zichten, und spricht sich auch gegen eine Abstufung des Stunden- aufwandes nach Tätigkeit am oder ausserhalb des Gerichtes aus; wegen der Beschränkung auf kinderrelevante Fragen erachtet er ei- nen um 50 % reduzierten Zeitaufwand gegenüber dem Aufwand des Scheidungsanwaltes als angemessen (Die Vertretung der Kindes- interessen im Scheidungsverfahren - Anwalt des Kindes, Diss. Basel 1998, S. 282 f.). 2001 Zivilrecht 27 cc) Mit der Einsetzung einer Kindesvertretung wollte der Ge- setzgeber die verfahrensrechtliche Position des Kindes stärken. Der Prozessbeistand soll, soweit es um die Zuteilung der elterlichen Sorge, um grundlegende Fragen des persönlichen Verkehrs oder um Kindesschutzmassnahmen geht (Art. 147 Abs. 2 ZGB), für die best- mögliche Wahrung des Kindeswohles sorgen, wobei er - soweit tun- lich - die Meinung des Kindes berücksichtigt (Art. 301 Abs. 2 ZGB). Dazu ist erforderlich, dass er über umfassende Aktenkenntnis ver- fügt, mit dem Kind und allenfalls mit weiteren involvierten Personen in direkten Kontakt tritt, an der Gerichtsverhandlung teilnimmt und sich mündlich oder schriftlich im Verfahren äussert sowie das Kind über den Gang des Verfahrens informiert und in gewisser Weise im Prozess begleitet (PraxisKomentar/Schweighauser, N 18 ff. zu Art. 147 ZGB; Reusser, a.a.O., N. 4.98 ff.; Steck, a.a.O. [AJP 1999], S. 1562 f; Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 46 f. zu Art. 146/147 ZGB; Bähler, a.a.O., S. 190 f.). Die Vertretung des Kindes ist nicht An- wälten vorbehalten. Das Gesetz spricht lediglich von einer in fürsor- gerischen und rechtlichen Fragen erfahrenen Person, die von der Vormundschaftsbehörde zu ernennen ist (Art. 147 Abs. 1 ZGB). Es kommen somit unter anderem auch Sozialarbeiter oder Psychologen mit entsprechenden Kenntnissen im Scheidungs-, Kindschafts- und Prozessrecht in Frage. Der Kindesvertreter wird aber gerade auf- grund seiner besonderen fachlichen Qualifikation zur Ausübung die- ses Mandates berufen. Für die Bemessung seiner Entschädigung sind daher die für seine Berufsgruppe geltenden Ansätze zu berücksichti- gen (vgl. BGE 116 II 403 f. = Pra 1991 S. 864 Erw. 4c). Ausgangspunkt bildet, dass der Kinderbeistand im Rahmen ei- nes Scheidungsverfahrens tätig wird. Deshalb ist die Honorierung des als Kinderbeistand eingesetzten Anwalts grundsätzlich in Bezie- hung zu setzen zum Honorar, das einem Anwalt in Scheidungen zugesprochen wird. Gemäss AGVE 1996 S. 83 beträgt das Grundho- norar (für Aktenstudium, Instruktion, Korrespondenz, Telefonate, Abfassen einer Rechtsschrift und Teilnahme an einer Gerichtsver- handlung; § 6 AnwT) für durchschnittliche Scheidungen nach § 3 Abs. 1 lit. b AnwT Fr. 3'300.-- bzw. unter Berücksichtigung der zwi- schenzeitlich erfolgten Teuerungsanpassung Fr. 3'630.--, sofern nicht 2001 Obergericht/Handelsgericht 28 zufolge eines güterrechtlichen Streitwerts gemäss § 3 Abs.1 lit. a AnwT ein höheres Grundhonorar resultiert (§ 3 Abs. 1 lit. c AnwT). Dieses Grundhonorar von Fr. 3'630.-- setzt den Rahmen für die Ho- norierung des anwaltlichen Kinderbeistandes. Zu beachten ist aller- dings, dass im Scheidungsverfahren regelmässig mehr als bloss ein- zelne Kinderbelange streitig sind und der Scheidungsanwalt daher in der Regel einen erheblich höheren Zeitaufwand zu verzeichnen hat als der Kindesvertreter. Unter diesen Umständen erscheint es in An- wendung von § 3 Abs. 1 lit. b AnwT gerechtfertigt, bei einem als Kindesvertreter bzw. -beistand im Sinne Art. 146 f. ZGB tätigen Anwalt ein Grundhonorar von Fr. 2'500.-- für die in § 6 Abs. 1 AnwT aufgeführten Bemühungen (Aktenstudium, Instruktion, Korres- pondenz, Telefonate, Abfassen einer Rechtsschrift und Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung) einzusetzen. Diese schliesst - wie beim Scheidungsanwalt - ein höheres Grundhonorar in Einzelfällen, die von der Bedeutung und/oder Schwierigkeit des Mandates her vom Durchschnitt deutlich abweichen, nicht aus. dd) [Die Kinderbeiständin machte im konkreten Verfahren gel- tend, wegen eines entsprechenden Mandats des Bezirksgerichtspräsi- denten habe die Vermittlung zwischen den Parteien die primäre Auf- gabe der Kinderbeiständin gebildet.] Eine solche Auffassung der Prozessbeistandschaft, welche die Konfliktbereinigung zwischen den Eltern in den Vordergrund stellt, widerspricht aber der gesetzlichen Konzeption einer unabhängigen Vertretung des Kindes, die einzig dessen wohlverstandenen Interes- sen verpflichtet ist (vgl. für das vergleichbare Institut des Verfah- renspflegers gemäss § 50 des deutschen Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit Motzer, Die neueste Entwicklung von Gesetzgebung und Rechtsprechung auf dem Gebiet von Sorge- und Umgangrecht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FamRZ 2001 S. 1043). Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass der Beistand im Streit der Eltern eine gewisse Vermittlungsfunktion wahrnimmt (PraxisKom- mentar/Schweighauser, N 24 zu Art. 147 ZGB; Steck, a.a.O. [AJP 1999] S. 1563), doch darf dadurch niemals seine primäre und eigent- liche Aufgabe - die Kindesvertretung - beeinträchtigt werden oder in den Hintergrund treten (Schweighauser, a.a.O. [Diss.], S. 223; Pra- 2001 Zivilrecht 29 xisKommentar/Schweighauser, N 16 zu Art. 147 ZGB; Steck, a.a.O. [AJP 1999], S. 1563; Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 35 i.f. zu Art. 146/147 ZGB). Schlechterdings ausgeschlossen ist aber auf jeden Fall eine Weisung des Gerichts oder der Vormundschaftsbehör- de über die inhaltliche Mandatsausführung (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 52 zu Art. 146/147 ZGB; PraxisKommentar/Schweighau- ser, N 8 ff. zu Art.147 ZGB). Dass aus einer zu weit ausgelegten Vermittlungsaufgabe mit ei- ner sachgerechten Kindesvertretung nicht mehr vereinbare Interes- senkollisionen und Widersprüchlichkeiten entstehen können, wird aus der Eingabe vom 3. November 2000 deutlich, mit welcher die Beiständin dem Gericht Antrag auf dringliche Abklärung und thera- peutische Begleitung der Kinder wegen erheblichen Verdachts auf sexuelle Ausbeutung durch den Kindsvater stellt und in gleichem Zug eine gemeinsam mit den Eltern erarbeitete Vereinbarung über ein das übliche Mass weit übersteigendes Besuchsrecht des Kinds- vaters (jedes 2. Wochenende von Freitagabend bis Sonntagabend) zur Genehmigung einreicht.
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AG_HG_001_AGVE-2001-1_2001-09-01
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-1.html
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2002 Zivilprozessrecht 67 [...] 16 § 125 ZPO. Gesamtrechnung bei Ehepaaren. Lebt der Gesuchsteller mit seiner Ehe- gattin in einer Haushaltsgemeinschaft, ist sein prozessualer Zwangsbe- darf anhand einer Gesamtrechnung zu ermitteln, das heisst die Nettoein- kommen der Ehegatten sind zusammenzuzählen und dem nach den all- gemeinen Regeln berechneten gemeinsamen Bedarf inklusive Zuschlag gegenüberzustellen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 18. Juni 2002 in Sachen J. F. Aus den Erwägungen 1. b) Lebt der Gesuchsteller mit seiner Ehegattin in einer Haus- haltsgemeinschaft, ist sein prozessualer Zwangsbedarf anhand einer Gesamtrechnung zu ermitteln, da aufgrund der Unterhalts- oder Bei- standspflicht der Ehegatten (Art. 163 Abs. 1 bzw. Art. 159 Abs. 3 ZGB) die familienrechtliche Pflicht besteht, die Prozesskosten des andern Ehegatten mitzufinanzieren, selbst wenn es sich um vermö- gensrechtliche Prozesse handelt. Dies folgt aus dem Grundsatz, dass der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege subsidiär zur familien- rechtlichen Unterhalts- respektive Beistandspflicht ist und deshalb die Pflicht des Staats, der bedürftigen Partei für einen nicht aus- sichtslosen Prozess die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, der Unterhalts- und Beistandspflicht aus Familienrecht nachgeht (BGE 85 I 1 Erw. 3; Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N. 22 zu § 125 ZPO mit Hinweisen; Alfred Bühler, Die Prozessarmut, Sonderdruck aus Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Pro- zessführung, Bern 2001, S. 143 f. mit Hinweisen; ZBJV 2000 S. 594 f.). 2002 Obergericht/Handelsgericht 68 Bei Lohnpfändungen sind das monatliche Nettoeinkommen bei- der Ehegatten und ihr gemeinsames Existenzminimum zu bestim- men. Das gemeinsame Existenzminimum ist zwischen den Ehegatten im Verhältnis zu deren Nettoeinkommen aufzuteilen. Zieht man vom Nettoeinkommen des betriebenen Ehegatten den auf ihn entfallenden Anteil des Existenzminimums ab, erhält man den pfändbaren Teil des Einkommens. So verfuhr die Vorinstanz gestützt auf BGE 114 III 12 ff. im angefochtenen Entscheid. Diese Art der Berechnung läuft je- doch richtig besehen darauf hinaus, dass der Ehegatte des Gesuch- stellers aus der Bedürftigkeitsberechnung ausgeklammert wird und sich deshalb im Endeffekt nicht an den Prozesskosten des Gesuch- stellers beteiligen muss, was der Subsidiarität der unentgeltlichen Rechtspflege widerspricht. Eine strikte Anwendung dieser Berech- nungsart im Rahmen der unentgeltlichen Prozessführung könnte des- halb zu stossenden Ergebnissen führen, wenn zum Beispiel der Ge- suchsteller nur ein geringes Einkommen erzielt, durch das Einkom- men des Ehegatten aber im Wohlstand oder gar Luxus leben kann (ZBJV 2000 S. 594). Um die formellen Voraussetzungen zur Bewil- ligung der unentgeltlichen Rechtspflege an eine verheiratete Person zu prüfen, welche mit dem Ehegatten in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, sind deshalb bei einer Gesamtrechnung die Nettoeinkommen beider Ehegatten zusammenzuzählen und diesen ist der nach den allgemeinen Regeln berechnete gemeinsame Bedarf inklusive Zu- schlag gegenüberzustellen. Resultiert kein oder nur ein geringfügiger Überschuss, der zur Finanzierung des Prozesses weder ganz noch teilweise ausreicht, ist die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen, andernfalls zu verweigern (Bühler, a.a.O., S. 144; ZBJV 2000 S. 595).
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Handelsgericht 2. Kammer HOR.2017.38 / as / as Art. 95 Urteil vom 25. Juni 2018 [aufgehoben durch das Urteil des Bundesgerichts 4A_454/2018 vom 5. Juni 2019] Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Ersatzrichterin Fischer Handelsrichter Felber Handelsrichter John Handelsrichter Laube Gerichtsschreiber Schneuwly Gerichtsschreiber-Stv. Neuhaus Angebliche A._, angeblich vertreten durch lic. iur. M. und Dr. iur N., O. [Anwaltskanzlei AG], oder lic. iur. L., Rechtsanwalt Beklagte B._, vertreten durch lic. iur. AA., Rechtsanwalt Beklagtischer C._, vertreten durch lic. iur. BB., Rechtsanwalt Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Nichtigkeits- und Anfechtungsklage - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die angebliche Klägerin ist eine Gesellschaft panamaischen Rechts mit Sitz in Z., Panama (Klagebeilage [KB] 4-6). 2. Die Beklagte ist eine schweizerische Aktiengesellschaft mit Sitz in Y. (AG). Sie bezweckt [...]. 3. Der beklagtische Nebenintervenient ist eine natürliche Person mit in X. (Eingabe des beklagtischen Nebenintervenienten vom 7. Juni 2017 Rz. 1). 4. Mit Klage vom 4. Mai 2017 (Postaufgabe: 4. Mai 2017) stellten die Klägerin sowie D. und E. die folgenden Rechtsbegehren: " 1.a. Es sei festzustellen, dass sämtliche Beschlüsse der angeblichen Generalversammlung der Beklagten vom 6. März 2017, namentlich die Absetzung des Verwaltungsrats F. und die Wahl von G. als neuen Verwaltungsrat, sowie alle weiteren der Beklagten, insbesondere auch die der angeblichen ausserordentlichen Generalversammlungen vom 27. März 2017, d.h. u.a. die Wahl von H. zum Verwaltungsrat, und vom 26. April 2017, d.h. u.a. die Festlegung von neuen Statuten der B., welche ohne vorgängige Einladung der Klägerin 1 und ohne die Teilnahme der Klägerin 1 gefasst wurden, nichtig sind. 1.b. Eventualiter seien sämtliche Beschlüsse der angeblichen Generalversammlung der Beklagten vom 6. März 2017, namentlich die Absetzung des Verwaltungsrats F. und die Wahl von G. als neuen Verwaltungsrat, sowie alle weiteren der Beklagten, insbesondere auch die Beschlüsse der angeblichen ausserordentlichen Generalversammlungen vom 27. März 2017, d.h. u.a. die Wahl von H. zum Verwaltungsrat, und vom 26. April 2017, d.h. u.a. die Festlegung von neuen Statuten der B., welche ohne vorgängige Einladung der Klägerin 1 und ohne die der Klägerin 1 gefasst wurden, aufzuheben. 2. Es sei festzustellen, dass der angebliche Beschluss des der Beklagten vom 6. März 2017, so wie alle weiteren , die von G. und/oder H. als angebliche Verwaltungsräte gefasst wurden, insbesondere der Konstituierungsbeschluss vom 27. März 2017, nichtig sind. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten. - 3 - und folgendem Antrag um Anordnung vorsorglicher Massnahmen 1. Bis zum Abschluss des vorliegenden Verfahrens, jedoch mindestens für ein Jahr, ist mit sofortiger Wirkung F., eventualiter I., ein vom Gericht zu bestimmender sachkundiger Dritter (nicht G. oder H.), als einziges Mitglied des Verwaltungsrats der B. einzusetzen und zugleich ist G. und H. zu verbieten, ihre Funktion als angebliche Verwaltungsräte der B. auszuüben. Zudem ist das des Kantons Aargau anzuweisen, G. und H. mit Wirkung als angebliche Verwaltungsräte und/oder Direktoren der B. aus dem Handelsregister zu löschen. 2. Eventualiter zu Ziff. 1 sei bis zum Abschluss des vorliegenden , jedoch mindestens für ein Jahr, ein von den Streitparteien Sachwalter einzusetzen, welcher den Verwaltungsrat und die Organe der B. beaufsichtigt und welchem sämtliche über die Geschäftsführung hinausgehenden Handlungen, Veräusserung und Belastung von Aktiven, zur Genehmigung vorgelegt werden müssen; zudem sei dieser Sachwalter anzuweisen, sämtliche Handlungen, welche die Interessen der Aktionärin (Klägerin 1) und / oder der Kläger 2 und 3 [recte: D. sowie E.] beeinträchtigen könnten, zu verhindern. 3. Subeventualiter zu Ziff. 1 und Ziff. 2 sei der Verwaltungsrat der B. , bis zum Abschluss des vorliegenden Verfahrens keinerlei über die gewöhnliche Geschäftsführung hinausgehenden Handlungen vorzunehmen, d.h. insbesondere Veräusserung und Belastung von Aktiven zu unterlassen. 4. Bis zum Abschluss des vorliegenden Verfahrens sei der Beklagten mit sofortiger Wirkung zu untersagen, angebliche General- und , welche ohne vorgängige Einladung der Klägerin 1 und ohne die Teilnahme der Klägerin 1 gefasst wurden, als General- und Universalversammlungsbeschlüsse der Beklagten und/oder beim Handelsregisteramt anzumelden. 5. Der Beklagten sowie den für sie handelnden Organe sei für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Befehle oder Verbote gemäss Ziff. 1-4 hiervor die Bestrafung wegen Ungehorsams gegen eine Verfügung im Sinne von Art. 292 StGB (Busse) sowie eine von 1000 Franken für jeden Tag der Zuwiderhandlung anzudrohen. 6. Die Kosten des Massnahmeverfahrens seien zur Hauptsache zu schlagen." - 4 - Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die angeblichen der Beklagten vom 6. März 2017 und 27. März 2017 seien nichtig, eventualiter anfechtbar, da die angebliche Klägerin als Alleinaktionärin daran nicht teilgenommen habe. 5. Da die rechtsgültige Vertretung der angeblichen Klägerin für den unklar war, wurde die Klage von D. sowie E. mit Verfügung vom 9. Mai 2017 in das separate Verfahren HOR.2017.39 abgetrennt. wurden lic. iur. M., Dr. iur. N. und/oder MLaw J. aufgefordert, ihre Vertretungsvollmacht nachzuweisen. Sollte dieser Nachweis nicht möglich sein, so würden die ohne Vollmacht vorgenommenen Prozesshandlungen unbeachtlich. Der Nachweis des allfällig relevanten ausländischen Rechts wurde den Parteien gemäss Art. 16 IPRG überbunden. Schliesslich die Akten aus den Verfahren HSU.2016.101, HSU.2017.14, HSU.2017.23, HOR.2017.8 und HOR.2017.11 beigezogen. 6. Mit Verfügung vom 29. Mai 2017 wurde das Verfahren vorerst auf die Frage der rechtmässigen Vertretung der angeblichen Klägerin durch die Rechtsanwälte lic. iur. M., Dr. iur. N. und/oder MLaw J. beschränkt. 7. 7.1. Mit Eingabe vom 7. Juni 2017 liess der beklagtische Nebenintervenient folgende Rechtsbegehren stellen: " 1. Es sei C. in den Verfahren HOR.2017.38 und HSU.2017.62 zur Unter- stützung der B. als Nebenintervenient zuzulassen. 2. Es sei C. nach Zulassung als Nebenintervenient in den Verfahren HOR.2017.38 und HSU.2017.62 eine nicht einmalige Frist von 30 Tagen zur Einreichung einer Stellungnahme zur Klage vom 4. Mai 2017 zu gewähren. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zuzüglich MWST nach Ermessen des Gerichts.“ 7.2. Mit Verfügung vom 8. Juni 2017 wurde der Beklagten die Antwortfrist einstweilen abgenommen und die angebliche Klägerin und die Beklagte aufgefordert, zum Gesuch des beklagtischen Nebenintervenienten zu nehmen. - 5 - 7.3. Die angebliche Klägerin und die Beklagte reichten ihre jeweiligen am 19. Juni 2017 ein. Mit Eingaben vom 30. Juni 2017 die angebliche Klägerin sowie der beklagtische Nebenintervenient je eine weitere Eingabe ein. 7.4. Mit Verfügung vom 30. August 2017 wurde der beklagtische zugelassen. 8. 8.1. Am 16. September 2017 stellte die Beklagte den Antrag, das Verfahren zu sistieren, eventualiter die Frist zur Erstattung einer schriftlichen betreffend die Frage der rechtsgültigen Vertretung der Klägerin nach Vorliegen des Entscheids im Verfahren HSU.2017.62 neu anzusetzen, subeventualiter die Frist zur Erstattung einer schriftlichen Stellungnahme betreffend die Frage der rechtsgültigen Vertretung der Klägerin um mindestens 20 Tage zu erstrecken. 8.2. Mit Verfügung vom 18. September 2017 wies der Vizepräsident das der Beklagten vom 16. September 2017 ab. 9. 9.1. Mit Eingabe vom 16. September 2017 zeigte lic. iur. L. an, er sei von der angeblichen Klägerin mit der Rechtsvertretung betraut worden. Diese keine Klage eingereicht und auch keine Dritten hiermit beauftragt. sei die angebliche Klägerin auch nicht Partei des vorliegenden Verfahrens. 9.2. Mit Eingabe vom 28. September 2017 beantragte die angebliche Klägerin, die Eingabe von lic. iur. L. vom 16. September 2017 aus dem Recht zu weisen, beim Entscheid des Handelsgerichts nicht zu beachten und ohne Weiteres an den Absender zurückzuweisen. 10. Am 28. September 2017 erstatteten die Beklagte und der beklagtische Nebenintervenient je ihre Klageantworten im beschränkten Verfahren. 11. 11.1. Mit Eingabe vom 2. Oktober 2017 reichte der Rechtsvertreter der dem Vizepräsidenten eine Kostennote ein. Dabei hielt er fest, dass - 6 - dieses Schreiben ausschliesslich für das Handelsgericht des Kantons Aargau bestimmt sei und den anderen Verfahrensparteien nicht zugestellt bzw. nicht zur Kenntnis gebracht werden soll. 11.2. Mit Verfügung vom 3. Oktober 2017 wurde die Eingabe des der Beklagten diesem zurückgesandt. 12. Am 25. Oktober 2017 wurde das Summarverfahren betreffend Massnahmen (HSU.2017.62) zufolge Vergleichs abgeschrieben. 13. Mit Eingabe vom 14. November 2017 verzichtete lic. iur. L. namens der angeblichen Klägerin auf die Einreichung einer Replik, da die angebliche Klägerin nicht Verfahrenspartei sei. 14. Mit Eingabe vom 5. Dezember 2017 erstatteten lic. iur. M. und Dr. iur. N. ihre Replik im beschränkten Verfahren. 15. Mit Verfügung vom 7. Dezember 2017 wurden die Akten des Verfahrens HSU.2017.62 beigezogen. 16. 16.1. Anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 13. Dezember 2017 im HOR.2017.39 beantragten lic. iur. M. und Dr. iur. N., die Beklagte und der beklagtische Nebenintervenient, das vorliegende Verfahren bis zum 31. Januar 2018 zu sistieren. 16.2. Mit Verfügung vom 13. Dezember 2017 wurde das Verfahren bis zum 31. Januar 2018 sistiert. 16.3. Mit Verfügung vom 2. Februar 2018 wurde die Verfahrenssistierung . 17. 17.1. Am 28. März 2018 reichten lic. iur. M. und Dr. iur. N. eine Eingabe die Beantragung einer Beistandschaft vor dem erstinstanzlichen von W. für den beklagtischen Nebenintervenienten ein. - 7 - 17.2. Mit Eingaben je vom 6. April 2018 nahmen die Beklagte und der Nebenintervenient Stellung zur Eingabe vom 28. März 2018. 18. 18.1. Mit Eingabe vom 10. April 2018 erstattete der beklagtische seine Duplik im beschränkten Verfahren. 18.2. Mit Eingabe vom 11. April 2018 erstattete die Beklagte ihre Duplik zur Klage im beschränkten Verfahren. 19. 19.1. Mit Verfügung vom 13. April 2018 überwies der Vizepräsident die zur Beurteilung an das Handelsgericht, gab dessen bekannt und forderte die Parteien auf, sich über einen allfälligen Verzicht auf die Durchführung einer Hauptverhandlung auszusprechen. 19.2. Mit Eingabe vom 20. April 2018 teilte der beklagtische Nebenintervenient mit, dass er auf die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung grundsätzlich verzichte. 19.3. Mit Eingabe vom 26. April 2018 nahmen lic. iur. M. und Dr. iur. N. Stellung zu den Dupliken der Beklagten und des beklagtischen im beschränkten Verfahren und stellten folgende Anträge: " 1. Das vorliegende Verfahren vor dem Handelsgericht Aargau sei zu bis das griechische Gericht (Multi-member First Instance Court of W.s) im Verfahren, datierend vom 27. Juni 2017, eingereicht von C. mit der generellen Akten-Nummer [...] und der speziellen [...], sowie im Widerklageverfahren, datierend vom 25. September 2017, eingereicht von D. und E. gegen C. mit der Akten-Nummer [...] und der speziellen Akten-Nummer [...] über die Frage der Gültigkeit der angeblichen Schenkung von A. [in Kurzform]-Aktien im November 2015 und deren angeblichen Widerruf (erstinstanzlich) entschieden hat, vorläufig längstens aber bis zum 31. Oktober 2018. 2. Eventualiter: Die mündliche Hauptverhandlung im vorliegenden sei erst anzusetzen, wenn das griechische Gericht ( First Instance Court of W.s) im Verfahren, datierend vom 27. Juni 2017, eingereicht von C. gegen D. und E. mit der generellen Akten-Nummer [...] und der speziellen Akten-Nummer [...], sowie im Widerklageverfahren, datierend vom 25. September 2017, eingereicht - 8 - von D. und E. gegen C. mit der generellen Akten-Nummer [...] und der speziellen Akten-Nummer [...] über die Frage der Gültigkeit der Schenkung von A. [in Kurzform]-Aktien im November 2015 und deren angeblichen Widerruf (erstinstanzlich) entschieden hat." 19.4. Mit Eingabe vom 27. April 2018 teilte die Beklagte mit, dass sie auf die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung grundsätzlich . 19.5. Mit Eingabe vom 27. April 2018 teilten lic. iur. M. und Dr. iur. N. mit, sie wünschten die Durchführung einer Hauptverhandlung. Gleichzeitig hielten sie an ihrem Sistierungsbegehren gemäss Eingabe vom 26. April 2018 fest. 19.6. Mit Eingabe vom 27. April 2018 teilte lic. iur. L. mit, dass sich die Klägerin nicht als Partei im vorliegenden Verfahren betrachte. bestehe keine Veranlassung, sich zur Durchführung einer zu äussern. Eine Teilnahme an einer Hauptverhandlung sei nicht opportun. 19.7. Mit Verfügung vom 1. Mai 2018 wies der Vizepräsident den Sistierungs- und Verschiebungsantrag von lic. iur. M. und Dr. iur. N. ab. Gleichzeitig verfügte er die Durchführung einer Hauptverhandlung, da nicht alle verzichtet haben. 20. Mit Verfügung vom 16. Mai 2018 lud der Vizepräsident für die vom 25. Juni 2018 vor und erliess die Beweisverfügung. 21. Mit Schreiben vom 21. Juni 2018 reichte lic. iur. M. eine weitere Eingabe betreffend die Beantragung einer Beistandschaft vor dem Gericht von W. für den beklagtischen Nebenintervenienten ein. 22. 22.1. Am 25. Juni 2018 fand die Hauptverhandlung statt. Die Parteien hielten ihre Schlussvorträge und konnten sich dabei je zweimal äussern. 22.2. Daraufhin zog sich das Handelsgericht zur Beratung zurück und fällte das Urteil. - 9 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Vorbemerkungen Im vorliegend beschränkten Verfahren ist darüber zu entscheiden, ob die Rechtsanwälte lic. iur. M., Dr. iur. N. und MLaw J. als rechtmässige der angeblichen Klägerin auftreten können. Da MLaw J. bisher nicht als Vertreter der angeblichen Klägerin ist – er hat keinerlei Eingaben unterzeichnet –, muss betreffend ihn nicht entschieden werden. Zudem hat die angebliche Klägerin mit vom 23. August 2017 im Verfahren HSU.2017.62 erklärt, dass MLaw J. zu Studienzwecken im Ausland weile und daher nicht mehr als der angeblichen Klägerin aufgeführt werde. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. stellen sich neuerdings auf den Standpunkt, die angebliche Klägerin werde auch durch die O. [Anwaltskanzlei AG] (vgl. Replik Rz. 5). Die Frage, ob und wie sich eine Partei in einem Zivilprozess rechtsgültig vertreten lassen kann, richtet sich nach der lex fori, d.h. vorliegend nach schweizerischem Recht. Eine prozessfähige Partei kann ihren Prozess grundsätzlich selbst führen oder sich vertreten lassen (Art. 68 Abs. 1 ZPO). Erfolgt die Vertretung berufsmässig, so sind hierzu im ordentlichen Verfahren nur Anwälte und Anwältinnen zugelassen, die nach dem BGFA berechtigt sind, Parteien vor schweizerischen Gerichten zu vertreten (Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO). Eine juristische Person kann nicht als Prozessvertreterin mandatiert werden.1 Die O. [Anwaltskanzlei AG] ist als Aktiengesellschaft eine juristische . Dementsprechend ist sie nicht berechtigt, die angebliche Klägerin im vorliegenden Verfahren vor Gericht zu vertreten. Irrelevant sind deshalb auch das Schreiben vom 27. November 2017 und jenes vom 29. November 2017 (Replikbeilagen [RB] 86 f.; vgl. unten E. 2.4.3). Hinzu kommt, dass die O. [Anwaltskanzlei AG] im bisherigen Verfahren nie als Vertreterin der angeblichen Klägerin aufgetreten ist. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. haben sämtliche Eingaben mit ihrem eigenen Namen und nicht für die O. [Anwaltskanzlei AG] unterzeichnet. 1 OGer Zürich PD110004 vom 19. Mai 2011; OGer Zürich PS110104 vom 30. Juni 2011; KUKO ZPO-DOMEJ, 2. Aufl. 2014, Art. 68 N. 9; HRUBESCH-MILLAUER, in: Brunner/Gasser/Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, 2. Aufl. 2016, Art. 68 N. 2; BSK , 3. Aufl. 2017, Art. 68 N. 1a. - 10 - 2. Vollmachtloses Handeln 2.1. Parteibehauptungen 2.1.1. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupten, der beklagtische Nebenintervenient sowie D. und E. seien gemäss Generalvollmacht vom 20. November 2015 (KB 1) jeweils mit Kollektivzeichnungsberechtigung zu zweien berechtigt, die angebliche Klägerin zu vertreten. D. und E. hätten mit Vollmacht vom 23. November 2016 lic. iur. M. und Dr. iur. N. sowie die O. [Anwaltskanzlei AG] bevollmächtigt, in der vorliegenden Angelegenheit die Rechte der Klägerin zu vertreten. Diese Vollmacht sei nach wie vor gültig (Klage, Rz. 1, 87; Replik Rz. 7; KB 1 und 2). Bestritten wird, dass der beklagtische Nebenintervenient seinen Söhnen D. und E. am 19. November 2015 je einen Drittel der Aktien der Klägerin geschenkt haben soll, wobei diese Schenkung am 6. bzw. 8. April 2016 widerrufen worden sein soll. Daraufhin sollen die Direktoren der angeblichen Klägerin am 31. Mai 2016 die Aktienzertifikate von D. und E. an der angeblichen Klägerin für ungültig erklärt und zugunsten des Nebenintervenienten ein neues Aktienzertifikat ausgestellt haben. Am 10. Juni 2016 sollen die Direktoren der angeblichen Klägerin dann beschlossen haben, die Generalvollmacht vom 20. November 2015 zu widerrufen und gleichentags zugunsten des beklagtischen eine neue Generalvollmacht auszustellen. Dies treffe alles nicht zu (Klage Rz. 65; 71 ff.; Replik Rz. 7; KB 47 f.; Gesuchsbeilage 24 im HSU.2017.14). Dennoch hätten sich D. und E. dazu veranlasst gesehen, die Beschlüsse des Board of Directors der angeblichen Klägerin vom 31. Mai 2016 (KB 47) und der Generalversammlung der angeblichen Klägerin vom 10. Juni 2016 (KB 48) beim Juzgado Quinto del Primer Circuito Judicial de anzufechten. Mit Entscheid vom 21. und 24. Februar 2017 habe der Juzgado Quinto de Circuito de lo Civil del Primer Circuito Judicial de im Verfahren Nr. [...] die Wirkungen der Beschlüsse des Board of Directors vom 31. Mai 2016 und der Generalversammlung der Klägerin vom 10. Juni 2016 suspendiert (KB 64 f.). Damit sei die Generalvollmacht vom 20. November 2015 (KB 1) nach wie vor gültig (Klage Rz. 83 ff. und KB 64 f.). Ferner seien die Beschlüsse des Board of Directors vom 31. Mai 2016 (KB 47) und der Generalversammlung der angeblichen Klägerin vom 10. Juni 2016 (KB 48) nichtig. Da die vom 20. November 2015 (KB 1) nach wie vor gültig sei, sei auch die Vollmacht von lic. iur. M. und Dr. iur. N. vom 23. November 2016 (KB 2) noch gültig (Replik Rz. 7). Anlässlich der Verhandlung vom 24. Oktober 2017 im Verfahren HSU.2017.62 habe der beklagtische Nebenintervenient zudem ein Schreiben von K. vom 25. November 2016 eingereicht, welches angeblich - 11 - zeige, dass die Vollmacht der Klägerin an die O. [Anwaltskanzlei AG] worden sei (Beilage 17 im Verfahren HSU.2017.62). Dieses Schreiben sei im Namen der A. [mit einem fehlenden –s in der Firma] der A. ausgestellt worden. Diese Gesellschaft sei lic. iur. M. und Dr. iur. N. nicht bekannt. Zudem würde es sich nicht um einen Widerruf handeln. Ein solcher sei jedenfalls nichtig (Replik Rz. 11 ff.). Am 6. März 2017 hätten D. und E. die bisherigen Direktoren der Klägerin durch neue Direktoren ersetzt (Klage Rz. 88). könne K. nicht mehr für die angebliche Klägerin handeln und lic. . L. sei nicht von der angeblichen Klägerin bevollmächtigt worden ( Rz. 7 und 121 ff.). Vielmehr habe die angebliche Klägerin die der O. [Anwaltskanzlei AG] auch im Nachhinein genehmigt (Replik Rz. 8, RB 86). Ferner sei das öffentliche Register betreffend die angebliche Klägerin in Panama derzeit blockiert, weshalb es nicht die aktuelle Rechtslage und ihm keine erhöhte Glaubwürdigkeit zukomme (Replik Rz. 45). 2.1.2. Beklagte Die Beklagte ist der Ansicht, eine gültige Vollmacht hätten lic. iur. M. und Dr. iur. N. nicht eingereicht (Antwort der Beklagten Rz. 20 und 30; Duplik der Beklagten Rz. 43). Sie verfügten über keine gültige Vollmacht. Die ohne Vollmacht vorgenommenen Prozesshandlungen seien unwirksam und zurückzuweisen. Auf die Klage sei nicht einzutreten (Antwort der Rz. 22 f. und 33; Duplik der Beklagten Rz. 44). Einzig zulässiger Vertreter der angeblichen Klägerin sei lic. iur. L. (Antwort der Beklagten Rz. 24 ff.). Das Registro Público de Panamá sei ein auf einem Gesetz von Panama beruhendes allgemein zugängliches Register, das die Veröffentlichung von Tatsachen und von Rechtsverhältnissen bezwecke. Es sei hinsichtlich Funktion und Publikationswirkung dem schweizerischen Handelsregister gleichzusetzen. Entsprechend komme den Auszügen aus dem Registro Público de Panamá gemäss Art. 179 ZPO erhöhte Beweiskraft zu. ergebe sich aus dem Auszug über die angebliche Klägerin vom 10. Mai 2017 (Antwortbeilage der Beklagten [ABB] 1), wer die Direktoren seien. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. würden zwar , der Inhalt dieses Registerauszugs entspreche nicht der , den Nachweis hierfür könnten sie allerdings nicht erbringen. Es seien daher einzig die Handlungen der im Registerauszug ersichtlichen der angeblichen Klägerin massgebend (Antwort der Beklagten Rz. 8 ff.; Duplik der Beklagten Rz. 19 ff.). - 12 - Der Beschluss der Direktoren der angeblichen Klägerin vom 22. Mai 2017 (ABB 2, Antwortbeilage des beklagtischen Nebenintervenienten [ABbN] 3) stelle eine Urkunde i.S.v. Art. 178 ZPO dar. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. der Nachweis nicht, dass die beschlussfassenden Personen hierzu nicht legitimiert gewesen seien (Antwort der Beklagten Rz. 16 ff.). sei die Generalvollmacht vom 20. November 2015 (KB 2) widerrufen worden (Duplik der Beklagten Rz. 28). Die im panamaischen Handelsregister eingetragenen Direktoren der Klägerin hätten zudem mehrfach erklärt und beschlossen, dass die angebliche Klägerin lic. iur. M. und Dr. iur. N. nicht mandatiert habe, lic. iur. M. und Dr. iur. N. die angebliche Klägerin weder in den hängigen Verfahren noch sonst vertreten würden, die angebliche Klägerin lic. iur. M. und Dr. iur. N. bzw. der O. [Anwaltskanzlei AG] keine Vollmacht erteilt , die angebliche Klägerin die Handlungen von lic. iur. M. und Dr. iur. N. nicht genehmige und die angebliche Klägerin beim angerufenen Gericht keine Klage und kein Gesuch gegen die Beklagte eingereicht habe und dies auch nicht beabsichtige (Duplik der Beklagten Rz. 41; ABB 2; der Beklagten [DBB] 10-18; ABbN 1). Zudem hätten lic. iur. M. und Dr. iur. N. bereits im Jahre 2016, jedenfalls aber vor der Klageeinreichung, Kenntnis vom Widerruf der vom 20. November 2015 (KB 1) erhalten (Duplik der Beklagten Rz. 61; KB 51 f.). Schliesslich sei die angebliche Wahl der neuen Direktoren, welche das Schreiben vom 29. November 2017 (RB 87) unterzeichnet hätten, ohne Einladung des beklagtischen Nebenintervenienten zur entsprechenden Generalversammlung erfolgt (Duplik der Beklagten Rz. 235, 322, 333). Auch genüge diese Wahl den statutarischen Anforderungen der Klägerin nicht, da die Zustimmung des beklagtischen fehlte (Duplik der Beklagten Rz. 69, 107). 2.1.3. Beklagtischer Nebenintervenient Der beklagtische Nebenintervenient bestreitet die Gültigkeit der Vollmacht von lic. iur. M. und Dr. iur. N. (KB 2). Der Nachweis einer gültigen sei nicht erbracht worden. Entsprechend sei die angebliche nicht Verfahrenspartei und die von lic. iur. M. und Dr. iur. N. Handlungen gälten als unbeachtlich (Antwort des Nebenintervenienten Rz. 10, 12, 36 f., 59, 64; Duplik des Nebenintervenienten Rz. 248 f.). Im Wesentlichen wird behauptet, für die angebliche Klägerin seien nur die zurzeit in den einschlägigen Registern in Panama eingetragenen Organe der Gesellschaft handlungsberechtigt. Mit Schreiben vom 20. Juli 2017 hätten der Präsident und der Sekretär/Direktor der angeblichen Klägerin - 13 - bestätigt, die Kanzlei O. [Anwaltskanzlei AG] bzw. deren Anwälte nicht mandatiert zu haben (ABbN 1). Bereits mit Beschluss vom 22. Mai 2017 hätten die im public registry von Panama für die angebliche Klägerin Direktoren bestätigt, die Kanzlei O. [Anwaltskanzlei AG] bzw. deren Rechtsanwälte nicht mandatiert zu haben (ABbN 3). Die vom 20. November 2015 (KB 1) sei widerrufen worden und könne daher keine Rechtswirkungen mehr entfalten. Daran ändere auch eine gerichtliche Suspendierung nichts (Antwort des beklagtischen Rz. 57 ff.; Duplik des beklagtischen Rz. 16). Die Direktoren der angeblichen Klägerin hätten mehrmals bestätigt, dass sie die O. [Anwaltskanzlei AG] bzw. deren Rechtsanwälte nicht beauftragt hätten, das vorliegende Verfahren einzuleiten. Vielmehr hätten sie lic. iur. L. bevollmächtigt (Antwort des beklagtischen Nebenintervenienten Rz. 57 f.). Insgesamt sei die Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) bereits mehrfach widerrufen worden, so durch (Antwort des beklagtischen Rz. 13, 24 ff., 58; 65 ff.; Duplik des beklagtischen Rz. 17, 118 ff.): • das Schreiben des Präsidenten der angeblichen Klägerin vom 25. November 2016 (Duplikbeilage des beklagtischen [DBbN] 13), • den Beschluss der Direktoren der angeblichen Klägerin vom 22. Mai 2017 (ABB 2; ABbN 3), • den Brief der angeblichen Klägerin vom 20. Juli 2017 (DBbN 1), • die Mandatierung und Bevollmächtigung von lic. iur. L. vom 13. September 2017 (DBbN 16), • den Brief der angeblichen Klägerin vom 17. Oktober 2017 (DBbN 17), • den Beschluss der Direktoren der angeblichen Klägerin vom 17. Oktober 2017 (DBbN 18), • den Beschluss der Direktoren der angeblichen Klägerin vom 14. März 2018 (DBbN 19), • den Beschluss der Generalversammlung der angeblichen Klägerin vom 14. März 2018 (DBbN 20) und • das Schreiben der angeblichen Klägerin vom 14. März 2018 (DBbN 21). - 14 - Die Wahl der angeblich neuen Direktoren der angeblichen Klägerin sei nichtig, weil statutenwidrig. Zudem sei der beklagtische Nebenintervenient als Aktionär nicht zur Generalversammlung vom 6. März 2017 eingeladen worden, als die angebliche Ab- und Neuwahl der Direktoren stattgefunden haben solle. Auch deshalb sei dieser Generalversammlungsbeschluss nichtig. Folglich seien die angeblich neuen Direktoren auch nicht in das public registry eingetragen worden (Duplik des beklagtischen Rz. 29, 32 f., 89 ff., 110, 150 ff., 161 ff., 266). 2.2. Fragestellungen Der Entscheid über die im vorliegenden beschränkten Verfahren relevante Frage, ob lic. iur. M. und Dr. iur. N. die angebliche Klägerin rechtsgültig vertreten, hängt von den Antworten auf folgende Fragen ab: • Wurden lic. iur. M. oder Dr. iur. N. von der angeblichen Klägerin ursprünglich rechtsgültig bevollmächtigt? (vgl. unten E. 2.4.1) • Falls ja, wurde diese Vollmacht nachträglich widerrufen? (vgl. E. 2.4.2) • Falls ja, wurden die vollmachtlosen Handlungen durch die Klägerin genehmigt oder wurde eine neue Vollmacht erteilt? (vgl. unten E. 2.4.3 und 2.4.4) 2.3. Rechtliches Nach Art. 68 Abs. 3 ZPO hat sich der Vertreter durch eine Vollmacht . Die Beweislast hierfür liegt nach Art. 8 ZGB beim angeblichen Vertreter.2 Bei der rechtsgültigen Vertretung handelt sich um eine .3 Die Vollmachtserteilung muss gehörig erfolgen. Wird der Vertreter von einer juristischen Person bevollmächtigt, so ist darauf zu achten, dass die vollmachtsunterzeichnende Person ihrerseits berechtigt ist, für die juristische Person zu handeln.4 Wird der Nachweis einer Vollmacht nicht erbracht, ist beim angeblichen Vertreter von einem falsus procurator, d.h. von einer nicht bevollmächtigten Person, . Dessen Handlungen sind ex tunc nichtig und dürfen nicht beachtet werden.5 Entsprechend fehlt es für die im Namen der angeblich Partei vorgenommenen Handlungen an einer Prozessvoraussetzung und auf die Klage ist nicht einzutreten (Art. 59 ZPO e contrario). 2 BGer 4A_99/2007 vom 15. August 2007 E. 3.3; BK-ZÄCH/KÜNZLER, 2. Aufl. 2014, Art. 34 OR N. 64 3 BK ZPO I-STERCHI, 2012, Art. 68 N. 13. A.M. KUKO ZPO-DOMEJ (Fn. 1), Art. 59 N. 23. 4 STAEHELIN/SCHWEIZER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schwei- zerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 68 N. 28. 5 BGer 5D_70/2016 E. 1.2; HRUBESCH-MILLAUER (Fn. 1), Art. 68 N. 12; BK ZPO I-STERCHI (Fn. 3), Art. 68 N. 17; BSK ZPO-TENCHIO (Fn. 1), Art. 68 N. 17. - 15 - 2.4. Würdigung 2.4.1. Gültige Bevollmächtigung Die Frage, ob ein Vertreter rechtsgültig bevollmächtigt wurde, richtet sich nach der lex causae (vgl. Art. 126 IPRG). Die Parteien sind sich einig, dass die umstrittene Bevollmächtigung von lic. iur. M. und Dr. iur. N. grundsätzlich auf der Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) basiert. Diese Vollmacht wurde von D. und E. im Namen der angeblichen Klägerin unterzeichnet. Mit der Generalvollmacht vom 20. November 2015 (KB 1) wurde von der angeblichen Klägerin dem beklagtischen Nebenintervenienten sowie D. und E. je eine Vollmacht eingeräumt, mit Kollektivzeichnungsberechtigung zu zweien für die angebliche Klägerin zu handeln. Damit bestehen keine Zweifel an der grundsätzlichen Gültigkeit der vom 23. November 2016 (KB 2) im Zeitpunkt der . Der angebliche Widerruf der Generalvollmacht vom 20. November 2015 (KB 1) an der Generalversammlung vom 10. Juni 2016 hat darauf keinen Einfluss, da dessen Wirkungen mit Entscheid des Juzgado Quinto de Circuito de lo Civil del Primer Circuito Judicial de Panamá im Nr. [...] vom 21. und 24. Februar 2017 suspendiert wurden (Duplik des beklagtischen Nebenintervenienten Rz. 30 und 116). Das Argument der Beklagten und des beklagtischen Nebenintervenienten, wonach ein vorsorglicher Massnahmeentscheid nach panamaischem Recht durch blosse Einlegung eines Rechtsmittels seine Wirkungen verliere, überzeugt nicht. Soweit ersichtlich handelt es sich auch nicht um ein "Vorab-Haupturteil", da er nur bis zum Ergehen des Haupturteils entfaltet, ähnlich einer vorsorglichen Massnahme nach der ZPO. Diese nach panamaischem Recht zu beurteilende Rechtsfrage muss aber letztlich nicht entschieden werden, da eine allfällig Vollmacht gültig widerrufen wurde (unten E. 2.4.2), die Handlungen von der angeblichen Klägerin nicht genehmigt wurden und bisher keine neue Vollmacht ausgestellt wurde (unten E. 2.4.3 f.). 2.4.2. Nachträglicher Widerruf der Vollmacht Umstritten ist, ob die Vollmacht an lic. iur. M. und Dr. iur. N. vom 23. November 2016 (KB 2) nachträglich widerrufen wurde. Die Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) untersteht aufgrund der gemäss Art. 116 IPRG zulässigen Rechtswahl Schweizer Recht: "Swiss law shall be applicable". Daran ändert auch nichts, wenn die Rechtswahl für die Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) ungültig wäre. In Fall unterstünde sie dem auf ihren Vertrag anwendbaren Recht - 16 - (Art. 126 IPRG).6 Dieser untersteht gemäss Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) ebenfalls Schweizer Recht. Ist auf die Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) Schweizer Recht anwendbar, so untersteht auch die Frage, ob die Vollmacht in der widerrufen wurde, Schweizer Recht. Irrelevant ist deshalb die Feststellung Nr. 9 von Dr. P. in seinem Gutachten vom 16. Juni 2017, die Vollmacht nach panamaischem Recht gültig sei (Replik Rz. 21 S. 33). Gemäss Art. 34 OR kann eine durch Rechtsgeschäft erteilte vom Vollmachtgeber jederzeit beschränkt oder widerrufen werden, unabhängig vom jeweiligen Grundverhältnis.7 Es ist unbestritten, dass K. am 25. November 2016 gültig gewählter der angeblichen Klägerin war. Mit Schreiben vom 25. November 2016, handelnd für die angebliche Klägerin, widerrief dieser jegliche , welche die angebliche Klägerin allenfalls an die O. [Anwaltskanzlei AG] oder deren Partner oder Anwälte erteilt hatte (DBbN 13). Der , dass in diesem Schreiben von einer A. [mit einem fehlenden -s in der Firma] anstelle von einer A. die Rede ist, ändert daran nichts. Es sich dabei um einen Schreibfehler, der sich durch das ganze hindurchzieht (klassischer copy-paste Fehler; so auch Duplik der Rz. 129 f.). K. hat in diesem Schreiben offensichtlich für die Klägerin gehandelt. Die Einwände von lic. iur. M. und Dr. iur. N. vermögen daran keine Zweifel zu erwecken. Daran ändert auch das Gutachten von Dr. P. vom 16. Juni 2017 nichts (insb. Feststellung Nr. 9, Replik Rz. 21 S. 33), da diesem das Schreiben von K. vom 25. November 2016 (DBbN 13), wonach die Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) widerrufen wurde, gar nicht vorgelegt worden war (Replik S. 21 f.). Zwar kommt Dr. P. in seinem Gutachten vom 15. November 2017 (RB 116 f.) in Rz. 34 – wiederholt im Gutachten vom 14. Juni 2018 (Beilage zu den Plädoyernotizen von lic. iur. M. 152) auf S. 6 – zum Schluss, das Dokument vom 25. November 2016 sei null und nichtig (Replik Rz. 85 S. 96). Diese Schlussfolgerung ist aber nicht : Sie basiert auf der Annahme, dass K. weder damals noch heute Mitglied des Board of Directors der angeblichen Klägerin war. Die erste Feststellung widerspricht dem vorliegend erstellten und unbestrittenen Sachverhalt, wonach K. am 25. November 2016 Präsident der Klägerin war. Ansonsten hätten ihn D. und E. am 6. März 2017 nicht angeblich abgesetzt (RB 107). Die zweite Feststellung, dass K. nach dem 25. November 2016 – insbesondere am 10. April 2018, als das Schreiben 6 BSK IPRG-AMSTUTZ/WANG, 3. Aufl. 2013, Art. 116 N. 1; BSK IPRG-WATTER/ROTH PELLANDA, 3. Aufl. 2013, Art. 126 N. 5 und 21 f. 7 BK-ZÄCH/KÜNZLER (Fn. 2), Art. 34 OR N. 11. - 17 - vom 25. November 2016 (DBbN 13) in den vorliegenden Prozess wurde – nicht mehr Mitglied des Board of Directors der Klägerin war, ist für die Frage der Gültigkeit dieses Schreibens . Entsprechend ändert auch die Schlussfolgerung lit. g des Gutachtens (Replik Rz. 85 S. 97) nichts am gültigen Widerruf der Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) durch das Schreiben vom 25. November 2016 (DBbN 13). Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupten weiter, es handle sich beim vom 25. November 2016 (DBbN 13) nicht um einen Widerruf, da es wohl vom beklagtischen Nebenintervenienten in Auftrag gegeben worden sei (Replik Rz. 12). Diesbezüglich handelt es sich um eine reine ("wohl"), worauf nicht weiter einzugehen ist. Solche Mutmassungen stellen jedenfalls keine rechtsgenügenden Behauptungen dar,8 da unklar ist, ob die Behauptenden selbst von dieser Tatsache ausgehen. An der Hauptverhandlung vom 25. Juni 2018 behauptete lic. iur. M. erstmals: "[a]le angeblichen 'Widerrufe' erfolgten also unter der falschen Annahme, dass [C.] Alleinaktionär der A. [in Kurzform] sei." (Plädoyernotizen von lic. iur. M., Rz. 48/i). Diese neue Behauptung ist verspätet und kann nicht mehr berücksichtigt werden.9 Zudem überzeugt sie auch inhaltlich nicht, da sich aus DBbN 13 mit keinem Wort ergibt, dass das Schreiben vom 25. November 2016 nur unter der Annahme ausgestellt worden sein soll, dass C. Alleinaktionär der A. [in Kurzform] war. Auch der Entscheid des Juzgado Quinto de Circuito de lo Civil del Primer Circuito Judicial de Panamá im Verfahren Nr. [...] vom 21. und 24. Februar 2017 (KB 64 f.) ändert daran nichts, weil der Widerruf vom 25. November 2016 (DBbN 13) nicht Gegenstand dieses Verfahrens war. Daran ändert auch das "Statement of Q." vom 16. Februar 2017 (KB 66) nichts: Dessen Kanzlei vertritt D. und E. im panamaischen gegen die angebliche Klägerin (Antwort des beklagtischen Rz. 14 f.). Es liegt daher offensichtlich keine unabhängige Aussage zum panamaischen Recht vor. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. gleichermassen der legal opinion von R. vom 22. September 2017 (ABbN 2) ihre Unabhängigkeit ab, da diese Kanzlei die angebliche im panamaischen Verfahren vertrete (Replik Rz. 78). Deshalb muss dasselbe für jene Anwaltskanzlei gelten, welche in Panama D. und E. die angebliche Klägerin vertritt. Anderseits äussert sich Q. mit keinem Wort zum Schreiben vom 25. November 2016 (DBbN 13). Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupten weiter, D. und E. würden als der angeblichen Klägerin höchste Führungsautorität und könnten alle anderen rechtmässigen Direktoren überstimmen 8 BGer 4A_667/2014 vom 12. März 2015 E. 3.2.2. 9 Vgl. etwa BGer 4A_229/2017 vom 7. Dezember 2017 E. 3.1-3.4. - 18 - (Replik Rz. 7). Allerdings behaupten sie keine spezifische Handlung von D. und E., mittels welcher der Widerruf der Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) am 25. November 2016 (DBbN 13) rückgängig gemacht sein soll. Entsprechend kann diese nach panamaischem Recht zu beurteilende Rechtsfrage offen gelassen werden. Zudem würden die Handlungen von D. und E., soweit diese sich auf die Generalvollmacht vom 20. November 2015 (KB 1) stützten – bspw. im Rahmen des vom 27. November 2017 (RB 86) oder im Rahmen der Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) –, keine Handlungen in deren als Aktionäre der angeblichen Klägerin darstellen, die gleichzeitig den Handlungen der Direktoren der angeblichen Klägerin vorgingen. würden D. und E. vielmehr in ihrer Eigenschaft als durch die Klägerin behaupteterweise Bevollmächtigte, d.h. als bürgerliche , auftreten ("In our capacity as representatives of A. [in ]", "as 'true and lawful attorneys of the corporation'", "on behalf of A. [in Kurzform]") und nicht in eigenem Namen als Aktionäre der angeblichen Klägerin (so auch die Ansicht von lic. iur. M. und Dr. iur. N. in Replik Rz. 59 i.f. und 182; RB 86). Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupten nicht und es ist auch nicht ersichtlich, dass nach panamaischem Recht auch der bürgerlichen Stellvertreter den Handlungen der Direktoren der angeblichen Klägerin vorgingen und welche Handlungen von D. und E. im vorliegenden Streit überhaupt als Handlungen der Aktionäre und nicht bloss der Bevollmächtigten zu gelten hätten. Im Gegenteil, es werden von der Wahl angeblich neuer Direktoren der angeblichen (s. hierzu unten E. 2.4.3) und dem Schreiben vom 27. November 2017 (RB 86) keine weiteren Handlungen von D. und E. behauptet, die relevant erscheinen. Insbesondere die Bevollmächtigung von lic. iur. M. und Dr. iur. N. stellt keine Handlung als Aktionär, sondern eine Handlung als bürgerlicher Stellvertreter dar. Dass D. und E. gleichzeitig Aktionäre der angeblichen Klägerin sind, ändert daran nichts. Entsprechend wurde die Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) durch das Schreiben von K. vom 25. November 2016 (DBbN 13) noch vor des vorliegenden Prozesses gültig widerrufen. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. haben daher bei Einreichung der vorliegenden Klage vom 4. Mai 2017 ohne Vollmacht gehandelt. 2.4.3. Nachträgliche Genehmigung Damit stellt sich noch die Frage, ob die bisherigen Handlungen von lic. iur. M. und Dr. iur. N. durch die angebliche Klägerin nachträglich genehmigt wurden (vgl. Art. 38 OR). Gemäss lic. iur. M. und Dr. iur. N. seien ihre Handlungen mit Schreiben vom 27. November 2017 (RB 86) nachträglich indirekt für die angebliche Klägerin durch D. und E. und direkt mit Schreiben vom 29. November 2017 (RB 87) durch die angebliche Klägerin selbst genehmigt worden. - 19 - Das durch D. und E. unterzeichnete Schreiben vom 27. November 2017 (RB 86) lautet wie folgt: " Power of Attorney granted to O. [Anwaltskanzlei AG] by A. [in Kurzform] of 23 November 2016 Dear Mr. Vice-President, dear Members of the Commercial Court of the Canton of Aargau We, the undersigned, have learnt that the validity of the Power of of A. [in Kurzform] of 20 November 2015 on the one hand and of the Power of Attorney issued on behalf of A. ("A. [in Kurzform]") to O. [Anwaltskanzlei AG] dated 23 November 2016 on the other hand is challenged by the counterparties in the pending ordinary proceedings (HOR.2017.38). In this context, we herewith state as follows: In our capacity as representatives of A. [in Kurzform], based on the valid General Power of Attorney of 20 November 2015, in which we were designated, constituted and appointed as "true and lawful of the corporation" (A. [in Kurzform]) with joint signature power, we confirm that we validly mandated O. [Anwaltskanzlei AG] on behalf of A. [in Kurzform] on 23 November 2016 to represent A. [in Kurzform] in all matters concerning "C. / S. / B.". Moreover, we confirm that this Power of Attorney encompasses all neccessary powers to defend the interests of A. [in Kurzform] in court. Furthermore, we confirm that also after 6 March 2017, we, on behalf of A. [in Kurzform], authorized and empowered O. [Anwaltskanzlei AG] in particular to file the challenge / nullity claim of 4 May 2017 and all other submissions in these HOR.2017.38. If and to the extent necessary for the continuation of the proceedings HOR.2017.38, we, on behalf of A. [in Kurzform], also retrospectively approve the filing of the challenge / nullity claim of 4 Mai 2017 and all other submissions in these proceedings HOR.2017.38." Das durch T., U. und V. unterzeichnete Schreiben vom 29. November 2017 (RB 87) lautet folgendermassen: " Power of Attorney granted by A. [in Kurzform] to O. [ AG] Dear Mr. Vice-President, dear Members of the Commercial Court of the Canton of Aargau We, the undersigned, have learnt that the validity of the Power of of A. ("A. [in Kurzform]") to O. [Anwaltskanzlei AG] is by the counterparties in the pending ordinary proceedings (HOR.2017.38). In this context, we herewith state as follows: In our capacity as directors and representatives of A. [in Kurzform], we confirm that A. [in Kurzform] validly mandated O. [Anwaltskanzlei AG] to represent A. [in Kurzform] in all matters concerning "C. / S. / B." and in particular to file the challenge / nullity claim of 4 May 2017 and all other submissions in these proceedings HOR.2017.38. - 20 - If and to the extent necessary for the continuation of the proceedings HOR.2017.38, we, on behalf of A. [in Kurzform], also retrospectively approve the filing of the challenge / nullity claim of 4 Mai 2017 and all other submissions in these proceedings HOR.2017.38." Die angebliche Wahl der neuen Direktoren, welche das Schreiben vom 29. November 2017 (RB 87) unterzeichnet haben, erfolgte ohne des beklagtischen Nebenintervenienten zur entsprechenden . Eine solche Generalversammlung ist aber nach eigener Ansicht von lic. iur. M. und Dr. iur. N. und von deren Parteigutachter, Dr. P., ungültig und nichtig (Replik Rz. 27, S. 29). Diese Ansicht vertritt auch der Parteigutachter des beklagtischen Nebenintervenienten, RR. (Duplik des beklagtischen Nebenintervenienten Rz. 163 und DBbN 36; ABbN 11 S. 9).10 Entsprechend sind T., U. und V. nicht rechtsgültig gewählte der angeblichen Klägerin und können für diese auch nicht die Handlungen von lic. iur. M. und Dr. iur. N. nachträglich . Dr. P. führt in seinem ersten Gutachten (RB 88) aus, diese der bisherigen und Wahl der neuen Direktoren sei deshalb zulässig gewesen, weil die Handlungen von D. und E. als Mehrheitsaktionäre der angeblichen Klägerin jeglichen Handlungen des Board of Directors der angeblichen Klägerin vorgingen – eine nach panamaischem Recht zu Rechtsfrage, deren Richtigkeit im vorliegenden Prozess werden kann. Selbst wenn diese Rechtsfrage zu bejahen , stellte die Wahl der bisherigen Direktoren kein Akt des Board of dar, sondern ein Akt der bisherigen Aktionäre im Rahmen einer . Jedenfalls behaupten lic. iur. M. und Dr. iur. N. nichts Gegenteiliges. Zudem beziehen sich beide Schreiben auf eine Bevollmächtigung der O. [Anwaltskanzlei AG] und der Genehmigung ihrer bisherigen Handlungen im vorliegenden Verfahren und – entgegen den Behauptungen (Replik Rz. 8 f.) – nicht auf die Handlungen von lic. iur. M. und Dr. iur. N.. Dabei handelt es sich nicht um einen Schreibfehler. Vielmehr wurden die einer juristischen Person anstelle derjenigen zweier natürlicher Personen umschrieben. Ein Versehen kann insbesondere deshalb werden, weil D. und E. in ihrem Schreiben kurz zuvor vom 15. September 2017 (RB 141) nebst der "O. [Anwaltskanzlei AG]." explizit auch die "individual lawyers Messrs. M., N. and J." aufgezählt haben. Die O. [Anwaltskanzlei AG] ist bisher im vorliegenden Verfahren nicht als der angeblichen Klägerin aufgetreten. Dazu wäre sie auch nicht befugt gewesen (vgl. oben E. 1). Es kommt entsprechend nicht auf die Vollmacht der O. [Anwaltskanzlei AG] oder auf die Genehmigung von angeblich vorgenommener – effektiv aber nicht stattgefundener – 10 Vgl. auch Art. 40 ff. des Ley No. 32 de 26 de febrero de 1927 "Sobre Sociedades Anónimas" <https://www.oas.org/juridico/spanish/mesicic3_pan_ley32.pdf>; letztmals besucht am 25. Juni 2018. https://www.oas.org/juridico/spanish/mesicic3_pan_ley32.pdf - 21 - Handlungen im vorliegenden Verfahren an. Dies ist wohl auch der Grund, wieso lic. iur. M. und Dr. iur. N. neuerdings behaupten, erstmals in ihrer Replik, d.h. nach den Schreiben vom 27. November 2017 (RB 86) und vom 29. November 2017 (RB 87), die angebliche Klägerin werde auch von der O. [Anwaltskanzlei AG] vertreten. Die bisherigen Handlungen von lic. iur. M. und Dr. iur. N. wurden durch die Schreiben vom 27. November 2017 (RB 86) und vom 29. November 2017 (RB 87) jedenfalls auch im Nachhinein nicht genehmigt. In Bezug auf das Schreiben vom 27. November 2017 (RB 86) ist zu beachten, dass die Generalvollmacht vom 20. November 2015 (KB 1) im Schreiben vom 25. November 2016 (DBbN 13) für sämtliche die Beklagte betreffenden Angelegenheiten (konkludent) widerrufen wurde, da darin der Rechtsvertreter des beklagtischen Nebenintervenienten mit diesen Aufgaben betraut wurde. Aus dem Umstand, dass diese Vollmacht später ausgestellt wurde als jene vom 20. November 2015 (KB 1) und auf eine ganz spezifische Materie beschränkt ist (alle in Bezug auf die Beklagte), geht der Wille der angeblichen Klägerin hervor, die in DBbN 13 enthaltene Vollmacht jener vom 20. November 2015 (KB 1) vor- und nicht nachgehen zu lassen.11 Entsprechend stand es D. und E. gar nicht zu, im Namen der angeblichen Klägerin von lic. iur. M. und Dr. iur. N. im vorliegenden Prozess nachträglich zu genehmigen. Aus den Schreiben vom 27. November 2017 (RB 86) und vom 29. November 2017 (RB 87) können lic. iur. M. und Dr. iur. N. somit weder eine zu ihren Gunsten lautende Vollmacht noch eine nachträgliche ihrer bisherigen Handlungen im vorliegenden Verfahren und dem Verfahren HSU.2017.62 ableiten (Duplik der Beklagten Rz. 126). Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupten in ihrer Stellungnahme vom 26. April 2018 neu, die angebliche Wahl der neuen Direktoren sei durch Beschluss vom 6. März 2017 (RB 107) erfolgt, was nach Recht gültig sei, sofern jeder stimmberechtigte Aktionär den zugestellt bekomme sowie die Möglichkeit erhalte, den Beschluss abzulehnen, sich der Stimme zu enthalten oder zuzustimmen. Die , dass der beklagtische Nebenintervenient Kenntnis von diesem schriftlichen Beschluss gehabt habe, wollen sie durch einen "Letter of " vom 6. März 2017 (Beilage 147) sowie einen Fax vom 3. November 2016 und eine E-Mail vom 5. Juni 2017 (Beilage 148) beweisen. 11 BK-ZÄCH/KÜNZLER (Fn. 2), Art. 34 OR N. 3 m.w.N. - 22 - Dem Ley No. 32 de 26 de febrero de 1927 "Sobre Sociedades "12 lässt sich, soweit ersichtlich, keine Bestimmung entnehmen, die ein solches Vorgehen erlauben würde. Auch lic. iur. M. und Dr. iur. N. keine Rechtsquelle im panamaischen Recht an, aufgrund derer ein solches Vorgehen zulässig sein soll (Stellungnahme vom 26. April 2018 Rz. 33). Selbst Dr. P. schreibt nicht, so etwas sei zulässig (RB 88 S. 19; RB 116 S. 16). Kommt hinzu, dass die angebliche Wahl der angeblich neuen Direktoren den statutarischen Anforderungen der angeblichen nicht genügte, da die Zustimmung des beklagtischen fehlte. Darum wurden die angeblich neuen Direktoren bisher auch nicht in das public registry von Panama eingetragen, was lic. iur. M. und Dr. iur. N. nicht bestreiten. Ebenfalls wurde der schriftliche Beschluss von D. und E. vom 6. März 2017 (RB 107) vom angeblichen Sekretär der Klägerin PP. nie unterzeichnet. Zudem ergibt sich weder aus dem "Letter of Notice" vom 6. März 2017 (Beilage 147) noch aus dem Fax vom 3. November 2016 und der E-Mail vom 5. Juni 2017 (Beilage 148), dass die Entwürfe der Beschlüsse vom 6. März 2017 dem beklagtischen Nebenintervenienten tatsächlich worden sind. Dass aus Beilage 148 entnommen werden können soll, es handle sich bei [...] um die private Faxnummer des beklagtischen , ist nicht nachvollziehbar und erscheint jedenfalls als sehr zweifelhaft. Auch aus der letzten Seite von Beilage 147 ergibt sich nicht, dass a) die E-Mail überhaupt zugestellt wurde und b) dieser E-Mail überhaupt ein Anhang beigefügt worden wäre (letzte Seite der Beilage 147). Dass es sich bei [...] tatsächlich um die private E-Mail Adresse des beklagtischen Nebenintervenienten handeln soll, ergibt sich aus Beilage 148 bereits deshalb nicht, weil nicht ersichtlich ist, inwiefern Seite 1 mit den restlichen Seiten dieser Beilage – welche bereits aufgrund ihrer Sprache als unverständlich gelten – in Zusammenhang stehen. Vielmehr scheint die Seite 1 einfach vor die weiteren Seiten gelegt zu sein, zumal sich der Seite 1 auch nicht entnehmen lässt, dass die restlichen Seiten Beilagen einer E-Mail gewesen sein sollen, welche von [...] verschickt worden war und sich die folgenden Seiten auch vom her nicht mit Seite 1 in Verbindung bringen lassen. Entsprechend die Behauptung, dem beklagtischen Nebenintervenienten seien der Beschlüsse vom 6. März 2017 zugestellt worden, auch bei der Beilagen 147 f. als Beweismittel nicht nachgewiesen. Relevanz kann offengelassen werden, ob die neuen Behauptungen und Beweismittel in der Stellungnahme vom 26. April 2018 als Noven i.S.v. Art. 229 ZPO überhaupt noch zu berücksichtigen sind. Die der Eingaben wäre wohl zu verneinen.13 12 Ley No. 32 de 26 de febrero de 1927 "Sobre Sociedades Anónimas" <https://www.oas.org/juridico/spanish/mesicic3_pan_ley32.pdf>; letztmals besucht am 25. Juni 2018. 13 BGer 4A_229/2017 vom 7. Dezember 2017 E. 3.1-3.4. https://www.oas.org/juridico/spanish/mesicic3_pan_ley32.pdf - 23 - Ob eine nachträgliche Genehmigung überhaupt zulässig ist, kann einer solchen offenbleiben. Damit bleibt es bei der gültig Vollmacht und somit dem vollmachtlosen Handeln von lic. iur. M. und Dr. iur. N.. 2.4.4. Neue Vollmacht Schliesslich stellt sich noch die Frage, ob lic. iur. M. und Dr. iur. N. eine neue Vollmacht vorweisen können. Diese Frage ist zu , da bis heute keine neue Vollmacht vorgelegt wurde: Jene vom 23. November 2016 (KB 2) wurde gültig widerrufen und die Schreiben vom 27. November 2017 (RB 86) und vom 29. November 2017 (RB 87) enthalten lediglich ungültige (vgl. oben E. 2.4.3) Bestätigungen der – aber mittlerweile widerrufenen – Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) bzw. angebliche nachträgliche Genehmigungen. Zudem beziehen sich diese überhaupt nur auf die O. [Anwaltskanzlei AG] und nicht auf lic. iur. M. und Dr. iur. N.. Eine neue Vollmacht von lic. iur. M. und Dr. iur. N. wäre darin selbst bei deren Gültigkeit nicht enthalten (Duplik der Rz. 53). 2.4.5. Nachfrist Nach Art. 132 Abs. 1 ZPO hat das Gericht bei Mängeln einer eine kurze Nachfrist anzusetzen. Eine solche setzt jedoch voraus, dass der Mangel auf einem Versehen beruht, d.h. unfreiwillig eingetreten ist.14 Zweck von Art. 132 ZPO ist es, den Rechtsweg nicht aus rein Gründen, d.h. bei formellen Fehlern, zu verweigern.15 Wer jedoch fehlerhafte Eingaben macht, bspw. unter Verwendung einer Vollmacht, wird nicht durch Art. 132 ZPO geschützt und es ist keine Nachfrist anzusetzen. Vorliegend erübrigt es sich, der angeblichen Klägerin bzw. lic. iur. M. und Dr. iur. N. eine Nachfrist gemäss Art. 132 Abs. 1 ZPO zur Genehmigung der bisher im Namen der angeblichen Klägerin vorgenommen bzw. zur Bevollmächtigung eines Vertreters anzusetzen. Die Klägerin bzw. lic. iur. M. und Dr. iur. N. wussten seit 28. November 2016 (Klage Rz. 63 i.V.m. Rz. 80) bzw. spätestens seit 30. November 2016 (Datum Zustellung der KB 51 f. mit der Verfügung vom 29. November 2016 im Verfahren HSU.2016.101 an lic. iur. M. und Dr. iur. N.; Duplik der Beklagten Rz. 61), dass die Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) mit Schreiben vom 25. November 2016 (DBbN 13) wurde. Ihr vollmachtloses Handeln basiert deshalb nicht auf einem 14 BGE 142 I 10 E. 2.4.7; BGer 5D_94/2017 vom 15. Dezember 2017 E. 4.4, 5D_124/2016 vom 26. September 2016 E. 2.2, 4D_2/2013 vom 1. Mai 2013 E. 3.1; BSK ZPO-GSCHWEND, 3. Aufl. 2017, Art. 132 N. 6; BK ZPO I-FREI, 2012, Art. 132 N. 5; KRAMER/ERK, in: Brunner/Gasser/Schwander (Fn. 1), Art. 132 N. 1 f.; BSK ZPO-TENCHIO (Fn. 1), Art. 68 N. 17. 15 BSK ZPO-GSCHWEND (Fn. 14), Art. 132 N. 1; BK ZPO I-FREI (Fn. 14), Art. 132 N. 1. - 24 - Versehen oder einem Fehler, sondern wurde bewusst in Kauf genommen. Schliesslich stellen sich lic. iur. M. und Dr. iur. N. auf den Standpunkt, ihre Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) sei nach wie vor gültig (Klage Rz. 1). Allerdings war diese Vollmacht seit Beginn des vorliegenden umstritten – der Vizepräsident wies bereits in der Erstverfügung vom 9. Mai 2017 (vgl. auch Replik Rz. 16) auf seine Zweifel hin – und lic. iur. M. und Dr. iur. N. hatten über ein Jahr Zeit, den prozessualen Mangel bis zum heutigen Urteil zu beheben. 2.5. Fazit Die Vollmacht von lic. iur. M. und Dr. iur. N. vom 23. November 2016 (KB 2) wurde mit Schreiben von K. vom 25. November 2016 (DBbN 13) widerrufen. Die Handlungen von lic. iur. M. und Dr. iur. N. wurden weder nachträglich genehmigt noch wurde eine neue Vollmacht eingereicht. Es liegt folglich vollmachtloses Handeln von lic. iur. M. und Dr. iur. N. vor. 3. Interessenkonflikt Falls lic. iur. M. und Dr. iur. N. über eine rechtsgültige Vollmacht der Klägerin für die vorliegenden Prozesshandlungen verfügen würden, stellte sich die Frage, ob diese Prozesshandlungen aufgrund Interessenkonflikts unzulässig wären. 3.1. Parteibehauptungen 3.1.1. Beklagte Die Beklagte behauptet, lic. iur. M. und Dr. iur. N. unterlägen einem , weil ihnen die persönliche Auferlegung der Prozesskosten des vorliegenden Verfahrens drohe (Antwort der Beklagten Rz. 60 ff.). Die eigenen finanziellen Interessen an der Nichtauferlegung dieser Kosten widersprächen dem wahren Interesse der angeblichen Klägerin. Zudem würden sich die Äusserungen von lic. iur. M. und Dr. iur. N. einerseits und der angeblichen Klägerin anderseits widersprechen. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupteten im Namen der angeblichen Klägerin, diese sei der Beklagten, während die angebliche Klägerin behaupten würde, sie sei gar nicht Aktionärin der Beklagten (Antwort der Beklagten Rz. 63). Entsprechend würde die angebliche Klägerin auch die des beklagtischen Nebenintervenienten betreffend die Beklagte , während D. und E. dies im Verfahren HOR.2017.39 nicht täten. Das stehe in einem krassen Widerspruch zueinander (Duplik der Rz. 14). 3.1.2. Beklagtischer Nebenintervenient Der beklagtische Nebenintervenient behauptet, lic. iur. M. und Dr. iur. N. unterlägen einem konkreten Interessenkonflikt, wenn sie die angebliche Klägerin und D. sowie E. gleichzeitig vertreten würden, weil D. sowie E. in Panama gegen die angebliche Klägerin mehrere Gerichtsprozesse führen und die Beschlüsse deren Generalversammlung und des Verwaltungsrats - 25 - anfechten würden. Diese Umstände seien lic. iur. M. und Dr. iur. N. (Antwort des beklagtischen Nebenintervenienten Rz. 41 f.). Ein liege auch deshalb vor, weil lic. iur. M. und Dr. iur. N. mit einer persönlichen Auferlegung der Prozesskosten zu rechnen hätten und daher eigene finanzielle Interessen wahrnehmen würden (Antwort des beklagtischen Nebenintervenienten Rz. 43). Der Beschluss der angeblichen Klägerin vom 22. Mai 2017, in welchem diese kundtat, sie werde nicht von lic. iur. M. und Dr. iur. N. vertreten (ABB 2), sei gültig und nicht angefochten worden (Duplik des Nebenintervenienten Rz. 348 i.V.m. Rz. 7). Die Interessen der Klägerin seien nicht deckungsgleich mit jenen von D. und E. (Duplik des beklagtischen Nebenintervenienten Rz. 368). Die angebliche Klägerin habe sodann kein Interesse, die Beschlüsse der Direktoren vom 31. Mai 2016 (KB 47) und der Generalversammlung vom 10. Juli 2016 (KB 48) anzufechten (Duplik des beklagtischen Nebenintervenienten Rz. 369). Da die angebliche Klägerin nicht Aktionärin der Beklagten sei, habe sie auch kein Interesse am vorliegenden Verfahren (Duplik des Nebenintervenienten Rz. 369). Zudem habe die angebliche Klägerin mit Schreiben vom 18. November 2016 mitgeteilt, dass es nicht in ihrem Interesse sei, eine Klage gegen die Beklagte zu führen (Duplik des beklagtischen Nebenintervenienten Rz. 369; DBbN 44). Lic. iur. M. und Dr. iur. N. würden zudem nicht von den vertretungsberechtigten der angeblichen Klägerin, sondern bloss von D. und E. instruiert. Es sei offensichtlich, dass lic. iur. M. und Dr. iur. N. nur die Interessen von D. und E. vertreten würden (Duplik des beklagtischen Rz. 370 i.V.m. Rz. 7). Schliesslich habe die angebliche Klägerin, vertreten durch die Kanzlei R., in Panama u.a. gegen die O. [Anwaltskanzlei AG] eine Zivilklage und würde diese demnächst einreichen (Duplik des beklagtischen Rz. 370 i.V.m. Rz. 7; DBbN 35). 3.1.3. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupten, sie unterlägen keinem . Sie hätten keine eigenen finanziellen Interessen am Ausgang des vorliegenden Verfahrens, da D. und E. aufgrund einer vom 15. September 2017 (RB 141) für allfällige ihnen auferlegte Kosten vollumfänglich aufkommen würden (Replik Rz. 143, 145 und 170). Der Beschluss vom 22. Mai 2017 (ABB 2) sei zudem nichtig und könne keinen Einfluss auf das vorliegende Verfahren zeitigen. Zudem hätten die am 6. März 2017 von D. und E. gewählten Direktoren der angeblichen Klägerin nie eine Erklärung abgegeben, das vorliegende Verfahren nicht führen zu wollen (Replik Rz. 145 f.). - 26 - Ein Interessenkonflikt bestehe bereits deshalb nicht, weil sie (lic. iur. M. und Dr. iur. N.) von D. und E. instruiert würden, deren Handeln als gemäss panamaischem Recht allen Handlungen der der angeblichen Klägerin vorgingen (Replik Rz. 167). Auch die von D. und E. in Panama gegen die angebliche Klägerin ( der Generalversammlungsbeschlüsse vom 10. Juni 2016 und der der angeblichen Klägerin vom 31. Mai 2016) begründeten keinen Interessenkonflikt (Replik Rz. 168). Diese Prozesse lägen im Interesse der angeblichen Klägerin (Replik Rz. 169). 3.2. Rechtliches Nach Art. 12 lit. b BGFA üben Anwälte ihren Beruf unabhängig, in Namen und auf eigene Verantwortung aus. Sie meiden jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen (Art. 12 lit. c BGFA). Ein Anwalt unterliegt einem Interessenkonflikt, wenn er die Wahrung fremder Interessen übernommen hat und dabei Entscheidungen zu treffen hat, mit denen er sich potentiell in Konflikt zu eigenen oder anderen ihm zur Wahrung übertragenen Interessen begibt.16 Dies ist der Fall, wenn der Anwalt eine konkrete Handlung vorzunehmen hat, bei welcher die des Auftraggebers von denjenigen eines Dritten oder des Anwalts selbst abweichen.17 Der Begriff des Konflikts ist weit zu verstehen.18 Das Gebot zur Vermeidung von widerstreitenden Interessen ist einer der Grundpfeiler der anwaltlichen Berufspflichten.19 Art. 12 lit. c BGFA ist deshalb zum Schutz des Klienten streng und konsequent zu handhaben.20 Die bloss abstrakte Möglichkeit des Auftretens gegensätzlicher reicht jedoch nicht aus, um auf eine unzulässige Vertretung zu schliessen. Verlangt wird ein konkretes Risiko eines Interessenkonflikts. Nicht erforderlich ist jedoch, dass sich das konkrete Risiko realisiert hat und der Anwalt sein Mandat schlecht oder zum Nachteil des Klienten hat.21 Entsprechend müssen konkrete Anhaltspunkte für das eines Interessenkonflikts sprechen.22 Vertritt der Anwalt gleichzeitig verschiedene Parteien, deren Interessen sich widersprechen (Doppel- 16 BAUMANN, in Aargauischer Anwaltsverband (Hrsg.), Festschrift 100 Jahre Aargauischer Anwaltsver- band, 2005, S. 440; FELLMANN, Anwaltsrecht, 2. Aufl. 2017, N. 346; FELLMANN, in Fellmann/Zindel (Hrsg.), Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, Art. 12 N. 84; PFISTER, Aktuelle Entscheide zur Interessenkollision, plädoyer 4/2010, S. 66. 17 BAUMANN (Fn. 16), S. 440 f. 18 BERNHART, Die professionellen Standards des Rechtsanwalts: Ein Handbuch zum Anwaltsrecht, 2. Aufl. 2011, S. 97; BAUMANN (Fn. 16), S. 444; PFISTER (Fn. 16), S. 66; SCHILLER, Schweizerisches Anwaltsrecht: Grundlagen und Kernbereich, 2009, N. 794. 19 BERNHART (Fn. 18), S. 96; PFISTER (Fn. 16), S. 66; SCHILLER (Fn. 18), N. 781. 20 SCHILLER (Fn. 18), N. 781. 21 BGer 2C_814/2014 vom 22. Januar 2015 E. 4.1.1 m.w.N.; BERNHART (Fn. 18), S. 98; FELLMANN (Fn. 16), N. 348; FELLMANN (Fn. 16), Art. 12 N. 84b und N. 87; PFISTER (Fn. 16), S. 66 f.; SCHILLER (Fn. 18), N. 845. 22 PFISTER (Fn. 16), S. 66 m.w.N. - 27 - bzw. Mehrfachvertretung), sind Interessenkonflikte vorprogrammiert, weil er sich weder für den einen noch den anderen Klienten voll einsetzen könnte.23 Das BGFA verbietet in jedem Fall Konflikte mit den Interessen anderer Klienten.24 Die Doppelvertretung im Prozess gilt als Verletzung der Berufspflicht.25 Dabei sind die Interessen subjektiv zu bestimmen.26 Bei der Vermeidung von Interessenkonflikten geht es um den Schutz öffentlicher Interessen. Die Einwilligung der betroffenen ist daher ausgeschlossen.27 Der Anwalt hat Mandate abzulehnen, die ihn in einen Konflikt bringen würden. Entsteht der Konflikt nachträglich, ist er verpflichtet, eines oder mehrere Mandate niederzulegen (Kontrahierungsverbot bzw. Pflicht zur Vertragsauflösung).28 Tut er dies nicht und unterliegt der Anwalt einem , so fehlt ihm als Konsequenz die Postulationsfähigkeit.29 Seit Einführung der ZPO obliegt es von Bundesrechts wegen dem , hierüber zu entscheiden (Art. 59 f. ZPO).30 3.3. Würdigung Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupten, sie könnten einerseits die Klägerin sowie anderseits D. und E. gleichzeitig vertreten, ohne dass ein Interessenkonflikt vorliege. Diese Ansicht trifft nicht zu: Die angebliche Klägerin hat im Schreiben vom 18. November 2016 (DBbN 44) – also noch bevor lic. iur. M. und Dr. iur. N. überhaupt von der angeblichen durch die Vollmacht vom 23. November 2016 (KB 2) mandatiert wurden – der Beklagten mitgeteilt, dass sie zwar Aktionärin der Beklagten habe werden wollen, diese Pläne aber nie vollzogen worden seien. Damit behauptet die angebliche Klägerin nichts anderes, als nicht Aktionärin der Beklagten zu sein. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupten nicht und es ist 23 BGer 2C_814/2014 vom 22. Januar 2015 E. 4.1.2 m.w.N.; BAUMANN (Fn. 16), S. 441; BERNHART (Fn. 18), S. 105; BRUNNER/HENN/KRIESI, Anwaltsrecht, 2015, S. 129; FELLMANN (Fn. 16), N. 346; FELLMANN (Fn. 16), Art. 12 N. 96; PFISTER (Fn. 16), S. 67. 24 BRUNNER/HENN/KRIESI (Fn. 23), S. 129; FELLMANN (Fn. 16), N. 353; SCHILLER (Fn. 18), N. 861 ff. 25 BERNHART (Fn. 18), S. 109. 26 BAUMANN (Fn. 16), S. 444 f.; SCHILLER (Fn. 18), N. 785 ff. 27 BAUMANN (Fn. 16), S. 453. Grosszügiger aber beim direkten Mandatskonflikt ebenfalls ausschlies- send: PFISTER (Fn. 16), S. 68 und SCHILLER (Fn. 18), N. 825 ff. und 867. 28 BERNHART (Fn. 18), S. 96 und 108; FELLMANN (Fn. 16), N. 351; FELLMANN (Fn. 16), Art. 12 N. 85; SCHILLER (Fn. 18), N. 846; TESTA, Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, S. 95. 29 BGE 138 II 162 E. 2.5.1; BGer 1A.223/2002 vom18. März 2003 E. 5.5; BOHNET/MARTENET, Droit de la profession d'avocat, 2009, N. 1465; GRODECKI/JEANDIN, Approche critique de l'interdiction de chez l'avocat aux prises avec un conflit d'intérêts, SJ 2015 II, S. 126. 30 BOHNET, in Nohnet/Haldy/Jeandin/Schweizer/Tappy, CPC: Code de procédure civile commenté, Art. 59 N. 83; GRODECKI/JEANDIN (Fn. 29), S. 129 ff. Bereits vor Einführung der ZPO konnten die Kantone hierfür das Sachgericht für zuständig bezeichnen; ohne kantonale Regelung sei immer das Sachgericht hierfür zuständig (BGE 138 II 162 E. 2.5.1). Für die StPO: BGE 141 IV 257 E. 2.2; BGE 135 I 261 E. 5.3 (nicht publ. Erwägung); BGer 1B_263/2016 vom 4. Oktober 2016 E. 2, 1B_226/2016 vom 15. September 2016 E. 2; Cour de Justice des Kantons Genf, AA/283/2017 vom 14. März 2017 E. 9 ff. - 28 - auch nicht ersichtlich, wieso dieses Schreiben den Willen der angeblichen Klägerin nicht richtig wiedergeben sollte. Dennoch behaupten D. und E. in ihrer in das Verfahren HOR.2017.39 abgetrennten Klage, die angebliche Klägerin sei Aktionärin der Beklagten. In den beiden Verfahren HOR.2017.38 und HOR.2017.39 geht es letztlich um die entscheidende Vorfrage, wer Aktionärin der Beklagten ist. Nicht behauptet wird, dass D. und E. direkt Aktionäre der Beklagten seien. Es steht daher in deren , zu behaupten, die angebliche Klägerin, an welcher sie als Aktionäre beteiligt sind, sei alleinige Aktionärin der Beklagten. Entsprechend liegt es auch in ihrem Interesse, die Verfahren HOR.2017.38 und HOR.2017.39 zu führen. Die angebliche Klägerin ist der Ansicht, sie sei nicht Aktionärin der Beklagten. Sie hat keinerlei Interesse am vorliegenden Verfahren HOR.2017.38. Im Gegenteil, es entspricht ihrem Interesse, das vorliegende Verfahren schnell und ohne Kostenfolgen zu beenden bzw. sie hätte es von Beginn weg nicht eingeleitet. Bereits daraus ergibt sich, dass die der angeblichen Klägerin einerseits und D. und E. anderseits die Verfahren HOR.2017.38 und HOR.2017.39 gegensätzlich sind. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. können somit nicht die Interessen von D. und E. einerseits und der angeblichen Klägerin anderseits gleichzeitig und voneinander vertreten, ohne gleichzeitig die Interessen der jeweils anderen zu verletzen. Sie befinden sich damit in einem Interessenkonflikt. Mit dem Schreiben vom 18. November 2016 (DBbN 44) bestehen konkrete Anhaltspunkte für einen sich bereits verwirklichten, und tatsächlichen Interessenkonflikt. Folgende zwei Umstände zeigen zudem, dass lic. iur. M. und Dr. iur. N. in Wirklichkeit nicht von der angeblichen Klägerin, sondern von D. und E. werden: Lic. iur. M. und Dr. iur. N. werden einzig von D. und E. und nicht von der angeblichen Klägerin honoriert (Duplik des Nebenintervenienten Rz. 99). Weiter haben sich lic. iur. M. und Dr. iur. N. von D. und E. eine Schadloshaltungserklärung abgeben lassen (RB 141) für den Fall, dass ihnen persönlich Prozesskosten auferlegt würden. Wenn lic. iur. M. und Dr. iur. N. aber tatsächlich von der Klägerin instruiert und mandatiert worden wären, hätte es viel näher gelegen, von dieser selbst eine Schadloshaltungserklärung einzuholen. Es sieht deshalb so aus, als würde die angebliche Klägerin die mit lic. iur. M. und Dr. iur. N. verweigern. Zumindest wird nicht dargelegt, wieso nicht die angebliche Klägerin anstelle von D. und E. die Schadloshaltungserklärung abgegeben hat. Demnach handeln lic. iur. M. und Dr. iur. N. im Interesse von D. und E. und nicht in jenem der Klägerin. Weiter überlegt sich die angebliche Klägerin, in Panama demnächst u.a. gegen die O. [Anwaltskanzlei AG] eine Zivilklage einzureichen (DBbN 35), was – entgegen den Behauptungen von lic. iur. M. und Dr. iur. N. (Stel- - 29 - lungnahme vom 26. April 2018 Rz. 29) – durchaus von Relevanz ist. Zwar tritt die O. [Anwaltskanzlei AG] vorliegend gar nicht als Vertreterin auf, aber lic. iur. M. und Dr. iur. N. sind beides Anwälte der O. [Anwaltskanzlei AG], ersterer sogar Partner und deren Verwaltungsratspräsident. In einer solchen Konstellation können lic. iur. M. und Dr. iur. N. nicht behaupten, sie würden die Interessen der angeblichen Klägerin unabhängig wahren, wenn diese angebliche Klägerin gleichzeitig gegen die Arbeitgeberin von lic. iur. M. und Dr. iur. N. eine Zivilrechtsklage einzureichen gedenkt. Es besteht deshalb vorliegend auch ein Konflikt mit den eigenen Interessen von lic. iur. M. und Dr. iur. N. zum Schutz der O. [Anwaltskanzlei AG]. Schliesslich behaupten D. und E. in einem griechischen Verfahren, die angebliche Klägerin existiere gar nicht (Duplik des beklagtischen Rz. 22; zugestanden von lic. iur. M. und Dr. iur. N. in ihrer Stellungnahme vom 26. April 2018 Rz. 9). Zwar steht es D. und E. offen, in anderen Verfahren andere juristische Argumente zu vertreten. Es zeigt jedoch, dass D. und E. nicht nur in Panama direkt gegen die angebliche Klägerin prozessieren, sondern, dass sie eben auch in Griechenland die Interessen der angeblichen Klägerin agieren, indem sie sogar Existenz verneinen. Es ist nicht ersichtlich, wie ein Anwalt in einer Konstellation die Interessen von D. und E. und der angeblichen unabhängig voneinander und zum Besten aller vertreten können soll. Der Interessenkonflikt ist auch deshalb ausgewiesen. Da lic. iur. M. und Dr. iur. N. das behauptete Mandat der angeblichen bisher nicht niedergelegt haben, obliegt es dem Handelsgericht, ihnen zufolge eines Interessenkonflikts i.S.v. Art. 12 lit. c BGFA die als Vertreter der angeblichen Klägerin zu versagen. 4. Auf die Klage vom 4. Mai 2017 ist aus folgenden zwei Gründen nicht : Einerseits handeln lic. iur. M. und Dr. iur. N. vollmachtlos im Namen der angeblichen Klägerin (vgl. oben E. 2), weshalb die Klage für die angebliche Klägerin ohne Rechtswirkungen bleibt. Anderseits ist lic. iur. M. und Dr. iur. N. zufolge eines Interessenkonflikts die abzusprechen, weshalb ihnen die Fähigkeit fehlt, vor vorliegendem Gericht überhaupt im Namen der Klägerin eine Klage einzureichen (vgl. oben E. 3). 5. Kosten 5.1. Verlegung In E. 9.2 der Verfügung vom 30. August 2017 wurde angekündigt, die Prozesskosten des vorliegenden Verfahrens lic. iur. M. und/oder Dr. iur. N. persönlich aufzuerlegen, sollte ihnen der Nachweis einer gültigen Vollmacht nicht gelingen. Dieser Nachweis wurde nicht erbracht. Gestützt auf Art. 106 Abs. 3 und 108 ZPO werden die Prozesskosten den Rechts- - 30 - anwälten lic. iur. M. und Dr. iur. N. unter solidarischer Haftung persönlich auferlegt.31 Gemäss E. 3 des Vergleichs vom 24. Oktober 2017 sind zusätzlich noch die Prozesskosten für das Verfahren HSU.2017.62 in vorliegendem zu verlegen. Die vorliegend ausgeführten Überlegungen gelten für das Verfahren HSU.2017.62 sinngemäss mit der zusätzlichen , dass sich die angeblichen nachträglichen Genehmigungen vom 27. und 29. November 2017 (KB 86 f.) darauf nicht beziehen. lag auch im Verfahren HSU.2017.62 vollmachtloses Handeln von lic. iur. M. und Dr. iur. N. vor und auf deren Eingaben wäre nicht worden. Auch diese Kosten sind ihnen unter solidarischer Haftung persönlich aufzuerlegen. 5.2. Gerichtskosten 5.2.1. HOR.2017.38 Die Gerichtskosten bestehen einzig aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Diese bemisst sich nach dem Streitwert. Lautet das Rechtsbegehren, wie vorliegend, nicht auf eine bestimmte Geldsumme, so setzt das Gericht den Streitwert fest, sofern sich die Parteien darüber nicht einigen (Art. 91 Abs. 2 ZPO). Vorliegend sind sich die Parteien über den Streitwert nicht einig: Lic. iur. M. und Dr. iur. N. behaupten, der Streitwert liege bei Fr. 50'000.00 (Klage Rz. 13). Die Beklagte schätzt den Streitwert anlässlich ihres nominellen Aktienkapitals von Fr. 3 Mio. auf mindestens Fr. 400'000.00. Schliesslich seien lic. iur. M. und Dr. iur. N. im Verfahren HSU.2016.101 selbst von einem Streitwert von Fr. 200'000.00 ausgegangen (Antwort der Beklagten Rz. 42 f. und 56). Der beklagtische Nebenintervenient hält den Streitwert von Fr. 50'000.00 für zu tief, ohne einen eigenen Streitwert zu nennen (Antwort des beklagtischen Rz. 134; Duplik des beklagtischen Nebenintervenienten Rz. 341). Ermessensweise wird der Streitwert auf Fr. 300'000.00 festgelegt. Dieser entspricht 10 % des Aktienkapitals der Beklagten (KB 7) und dem Mittel zwischen der Streitwertangabe von lic. iur. M. und Dr. iur. N. im Verfahren HSU.2016.101 in Höhe von Fr. 200'000.00 und jener des beklagtischen Nebenintervenienten über Fr. 400'000.00. Der Grundansatz für die Gerichtsgebühr beträgt bei einem Streitwert von Fr. 300'000.00 gemäss § 7 Abs. 1 Zeile 7 VKD Fr. 13'470.00. Die der Gerichtsgebühr wegen ausserordentlicher Aufwendungen (Rechtsschriften im Umfang von über 650 Seiten, zahlreiche Beilagenord- 31 Vgl. HGer ZH, HG130117-O vom 1. November 2013 E. 4.1; OGer Zürich PF120059 vom 19. Mai 2011 E. 4; BK ZPO I-FREI (Fn. 14), Art. 132 N. 7; BSK ZPO-RÜEGG/RÜEGG, 3. Aufl. 2017, Art. 106 N. 2; KUKO ZPO-DOMEJ (Fn. 1), Art. 68 N. 7; KUKO ZPO-SCHMID (Fn. 1), Art. 108 N. 5 i.f.; BK ZPO I-STERCHI (Fn. 3), Art. 68 N. 17 je m.w.N. - 31 - ner) und erhöhter Komplexität der Streitsache gleicht den Abzug aufgrund der Beschränkung des Verfahrens auf die Frage der rechtmässigen der angeblichen Klägerin durch die Rechtsanwälte lic. iur. M. und Dr. iur. N. aus (§ 7 Abs. 3 VKD), sodass es im Ergebnis bei der von Fr. 13'470.00 bleibt. 5.2.2. HSU.2017.62 Die Gerichtsgebühr für das Verfahren HSU.2017.62 besteht aus der (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO), welche sich nach § 8 VKD . Sie wird in Berücksichtigung des verursachten gerichtlichen und angesichts von Schwierigkeit und Umfang der Streitigkeit dessen Erledigung durch Vergleich auf insgesamt Fr. 2'000.00 . 5.2.3. Fazit Die gesamten Gerichtskosten von Fr. 15'470.00 (Fr. 13'470.00 + 2'000.00) werden lic. iur. M. und Dr. iur. N. solidarisch auferlegt und mit dem von diesen geleisteten Kostenvorschüssen von total Fr. 6'950.00 (Fr. 4'300.00 im vorliegenden Verfahren + Fr. 2'650.00 im Verfahren HSU.2017.62) verrechnet (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Fehlbetrag von Fr. 8'520.00 wird von lic. iur. M. und Dr. iur. N. nachgefordert (Art. 111 Abs. 1 Satz 2 ZPO). 5.3. Parteientschädigung Dem beklagtischen Nebenintervenienten ist dem Grundsatz folgend32 Parteientschädigung zuzusprechen. Der beklagtische behauptet zwar, mit ihrer Klage vom 4. Mai 2017 hätten lic. iur. M. und Dr. iur. N. auch dem beklagtischen Nebenintervenienten einen , unnötigen Aufwand verursacht (Antwort des beklagtischen Rz. 23). Darin allein liegt jedoch kein Billigkeitsgrund, dem beklagtischen Nebenintervenienten eine Parteientschädigung . Das Ausmass und die Notwendigkeit des produzierten Aufwands haben allenfalls Konsequenzen auf die Höhe der Parteientschädigung, nicht aber auf die Frage, ob dem beklagtischen Nebenintervenienten aus Billigkeitsgründen überhaupt eine Parteientschädigung zuzusprechen ist. 5.3.1. HOR.2017.38 Die Parteientschädigung bemisst sich nach § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 7 AnwT. Die Grundentschädigung beträgt bei einem Streitwert von Fr. 300'000.00 Fr. 23'430.00. Damit sind gemäss § 6 Abs. 1 AnwT unter anderem eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer Verhandlung abgegolten. Für die zusätzliche Rechtsschrift infolge doppelten Schriftenwechsels ist ein Zuschlag von 20 % gerechtfertigt (vgl. § 6 Abs. 3 AnwT). Zusätzlich der Kleinkostenpauschale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 32 BGE 130 III 571 E. 6; BSK ZPO-GRABER, 3. Aufl. 2017, Art. 77 N. 3 je m.w.N. - 32 - Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Parteientschädigung zugunsten der Beklagten von gerundet Fr. 29'000.00. Darauf ist bereits mangels Antrags keine Mehrwertsteuer geschuldet.33 5.3.2. HSU.2017.62 Die Parteientschädigung bemisst sich nach § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 7 AnwT. Die Grundentschädigung beträgt bei einem Streitwert von Fr. 300'000.00 rund Fr. 23'430.00. Davon hat gestützt auf § 3 Abs. 2 AnwT ein von praxisgemäss 75 % zu erfolgen, womit Fr. 5'857.50 . Damit sind gemäss § 6 Abs. 1 AnwT unter anderem eine und die Teilnahme an einer Verhandlung abgegolten. Zusätzlich der Kleinkostenpauschale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Parteientschädigung zugunsten der Beklagten von Fr. 6‘000.00. Darauf ist ebenfalls bereits mangels Antrags keine geschuldet. 5.3.3. Fazit Lic. iur. M. und Dr. iur. N. haben der Beklagten eine Parteientschädigung von total Fr. 35'000.00 (Fr. 29'000.00 + Fr. 6‘000.00) zu bezahlen. Dem beklagtischen Nebenintervenienten wird keine Parteientschädigung . Das Handelsgericht erkennt: 1. Auf die Klage vom 4. Mai 2017 wird nicht eingetreten. 2. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 15'470.00 werden lic. iur. M. und Dr. iur. N. solidarisch auferlegt und mit dem von ihnen geleisteten von Fr. 6'950.00 verrechnet. Den Fehlbetrag von Fr. 8'520.00 lic. iur. M. und Dr. iur. N. mit beiliegendem Einzahlungsschein der zu bezahlen. 3. Lic. iur. M. und Dr. iur. N. haben der Beklagten eine gerichtlich festgelegte Parteientschädigung in Höhe von Fr. 35'000.00 zu bezahlen. 33 Vgl. SUTER/VON HOLZEN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 4), Art. 95 N. 39 m.w.N. Siehe auch Merkblatt der Gerichte des Kantons Aargau zur Frage der Berücksichtigung der bei der Bemessung der Parteientschädigung, publiziert unter: https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_M wSt.pdf (letztmals besucht am 25. Juni 2018). https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_M - 33 - Zustellung an: − lic. iur. M. und Dr. iur. N. (zweifach mit Protokoll der Hauptverhand- lung vom 25. Juni 2018 und Einzahlungsschein) − lic. iur. L. (zweifach mit Protokoll der Hauptverhandlung vom 25. Juni 2018) − die Beklagte (Vertreter; zweifach mit Protokoll der Hauptverhandlung vom 25. Juni 2018) − den beklagtischen Nebenintervenienten (Vertreter; zweifach mit der Hauptverhandlung vom 25. Juni 2018) Mitteilung an: − die Anwaltskommission des Kantons Aargau 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Beschwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elektronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel , sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 25. Juni 2018 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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2010 Zivilprozessrecht 39 II. Zivilprozessrecht 2 § 196f Abs. 2 ZPO, Art. 146 ZGB. Bemessung des Honorars der Vertreterin (Amtsvormundin) eines Kindes im Eheschutzverfahren: Sinngemässe Anwendung der Verordnung über das Vormundschaftswesen; bei einer Geltendmachung eines Honorars nach Stundenaufwand gilt grundsätzlich der Stundenansatz gestützt auf § 15 Abs. 2 der Verordnung über das Vormundschaftswesen von Fr. 80.--. Aus dem Entscheid der Inspektionskommission vom 17. Dezember 2010 i.S. R.B. gegen das Gerichtspräsidium B. (IVV.2010.20)
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2004 Zivilrecht 25 I. Zivilrecht A. Familienrecht 1 Kindesschutzmassnahmen/fürsorgerische Freiheitsentziehung; Zustän- digkeitsbestimmung Beschluss der Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts und des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. Dezember 2004 1. Die Zuständigkeit liegt für die a) Anordnung und Überprüfung von Kindesschutzmassnahmen (Art. 307 bis 312 ZGB), die als Eingriff in die elterliche Sorge von einer blossen Anweisung an die Kindseltern zur Ausübung des el- terlichen Sorgerechts (Art. 307 ZGB) über dessen Beschränkung durch eine Beistandschaft (Art. 308/309 ZGB) und die Aufhebung der elterlichen Obhut durch Unterbringung des Kindes an einem Drittort (Art. 310 ZGB) bis hin zur Entziehung der elterlichen Sorge (Art. 311 und 312 ZGB) gehen können, bei den vormundschaftlichen Behörden (Art. 315 ZGB), kantonal-letztinstanzlich der Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts als Aufsichts- und gerichtli- che Beschwerdeinstanz (Art. 361 Abs. 2 ZGB/§ 59 Abs. 4 EGZGB i.V.m. Art. 314a Abs. 1 ZGB) und nur für die b) gerichtliche Beurteilung der angeordneten fürsorgerischen Freiheitsentziehung (Art. 397a ff. ZGB) für "eine mündige oder ent- mündigte Person" durch deren Unterbringung oder Zurückbehaltung in einer Anstalt (Art. 397a Abs. 1 ZGB) beim Verwaltungsgericht (Art. 397d ZGB i.V.m. § 67o EGZGB). 2. Die durch beschwerdefähigen Beschluss der Vormundschafts- behörde (Art. 315 i.V.m. Art. 420 Abs. 2 ZGB) angeordnete Kindes- schutzmassnahme des Obhutsentzugs durch Unterbringung des Kindes in einer Anstalt (Art. 310 ZGB) ist mit vormundschaftlicher Beschwerde binnen 10 Tagen (Art. 420 ZGB) nach Massgabe des Art. 314a Abs. 1 ZGB direkt an die Kammer für Vormundschafts- wesen des Obergerichts als gerichtliche Beschwerdeinstanz wei- 2004 Obergericht/Handelsgericht 26 terziehbar, und zwar auch durch das Kind selber, wenn dieses das 16. Altersjahr zurückgelegt hat (Art. 314a Abs. 2 ZGB). 3. Dieser Kindesschutzmassnahme gleich steht die durch be- schwerdefähigen Beschluss der Vormundschaftsbehörde (Art. 420 Abs. 2 ZGB) im Rahmen einer Vormundschaft (Art. 368 Abs. 1 ZGB) auf Veranlassung des Vormunds angeordnete Unterbringung des Kindes in einer Anstalt (Art. 405a Abs. 1 ZGB). Auch ein solcher Beschluss der Vormundschaftsbehörde ist mit vormundschaftlicher Beschwerde binnen 10 Tagen (Art. 420 ZGB) nach Massgabe des Art. 405a Abs. 2 ZGB direkt an die Kammer für Vormundschafts- wesen des Obergerichts als gerichtliche Beschwerdeinstanz wei- terziehbar, und zwar auch durch das Kind selber, wenn dieses das 16.Altersjahr zurückgelegt hat (Art. 405a Abs. 3 ZGB). 4. Die Unterbringung des Kindes in einer Anstalt ist ein in das Sorgerecht der Kindseltern eingreifender Obhutsentzug gemäss Art. 310 Abs. 1 ZGB und kann als solcher nur durch beschwerdefähi- gen Beschluss der Vormundschaftsbehörde (Art. 315 i.V.m. Art. 420 Abs. 2 ZGB) angeordnet werden, der mit vormundschaftlicher Beschwerde nach Massgabe des Art. 314a Abs. 1 ZGB direkt an die Kammer für Vormundschaftswesen des Obergerichts als gerichtliche Beschwerdeinstanz weiterziehbar ist, und zwar auch durch das Kind, wenn dieses das 16. Altersjahr zurückgelegt hat (Art. 314a Abs. 2 ZGB). 5. Das Verwaltungsgericht ist zuständig für die gerichtliche Be- urteilung von Beschwerden von psychisch kranken Unmündigen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren gegen bezirksärztliche Anstaltsein- weisungen zur - vorübergehenden - stationären Behandlung (Art. 314a Abs. 2 ZGB i.V.m. § 67b Abs. 2 EGZGB) sowie gegen Zwangsmassnahmen im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsent- ziehung in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden (§ 67e bis EGZGB).
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2000 Obergericht 82 [...] 27 §§ 208 und 218 StPO. Die Einreichung einer Eingabe in fremder Sprache als integrierender Be- standteil der durch einen amtlichen Verteidiger eingereichten ordentli- chen Berufung ist jedenfalls dann unzulässig, wenn der Angeklagte der deutschen Sprache mächtig ist und seinen amtlichen Verteidiger vor Ein- reichung der Berufung ausreichend instruieren konnte. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 26. Mai 2000 in Sachen StA gegen J.E. Aus den Erwägungen 1. Der Angeklagte hat mit seiner Berufung ein 36-seitiges Schreiben in hebräischer Sprache und Schrift einreichen und von seinem Verteidiger zum integrierenden Bestandteil der Berufung erklären lassen. Gleichzeitig liess er beantragen, dieses sei "allenfalls übersetzen zu lassen". Dem Angeklagten wurde ein amtlicher Verteidiger bestellt, der eine in sich vollständige und erschöpfende Berufung eingereicht hat. Wie darin ausgeführt wird, erfolgte diese nach den mündlichen und schriftlichen Instruktionen des Angeklagten. Offensichtlich nach 2000 Strafprozessrecht 83 Abschluss der Instruktion und kurz vor Ablauf der Berufungsfrist sandte der Angeklagte seinem Verteidiger das der Berufung beige- legte (36 Seiten starke) Schreiben vom 4. April 2000 in hebräischer Sprache zu und verlangte dessen Einreichung zusammen mit der Berufung. Wie der Angeklagte jedoch durch zahlreiche Eingaben an die Strafverfolgungs- und Justizbehörden belegt hat, ist er ohne wei- teres in der Lage, seine Begehren und Beanstandungen in deutscher Sprache zu formulieren. Es kann angenommen werden, dass der An- geklagte seinen Verteidiger vor Einreichung der Berufung ausrei- chend instruiert hat, weshalb weitere Eingaben sinnlos sind und le- diglich die Verzögerung des Verfahrens bezwecken. Jedenfalls wäre der Angeklagte zu einer rechtzeitigen und ausreichenden Instruktion seines Verteidigers verpflichtet gewesen oder hätte zumindest seine Eingabe innert der Berufungsfrist in deutscher Sprache einreichen sollen. Unter den geschilderten Umständen geht es nicht an, nebst der ordentlichen Berufung eine weitere Eingabe in fremder Sprache einzureichen und deren Übersetzung durch das Gericht zu verlangen. Das Schreiben des Angeklagten ist folglich nicht zu übersetzen und kann deshalb auch nicht berücksichtigt werden.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2019.111 / as / as Art. 164 Entscheid vom 17. September 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchsteller P.H., _ vertreten durch Dr. iur. Christoph Thurnherr, Rechtsanwalt, Stadtturm- strasse 17, Postfach 160, 5401 Baden Gesuchsgegne- rin I.- AG, _ vertreten durch Dr. iur. Reto Bieri, Rechtsanwalt, Jurastrasse 58, Postfach 2118, 5430 Wettingen Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Der Gesuchsteller ist Inhaber der Einzelunternehmung D.B. mit Sitz in S. (AG). Deren Zweck besteht _ (Gesuchsbeilage [GB] 2). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Z. Sie bezweckt hauptsächlich _ (GB 3). Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grdst.-Nr. XX. GB B. (E- GRID: CH _; GB 4). 3. Mit Gesuch vom 28. August 2019 (Postaufgabe: 28. August 2019) stellte der Gesuchsteller die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Das Grundbuchamt Baden sei gerichtlich anzuweisen, zulasten des im Alleineigentum der Gesuchsgegnerin stehenden Grundstücks Nr. XX in der Gemeinde B. (_), zugunsten des Gesuchstellers ein Bauhandwerkerpfandrecht gemäss Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB für die Pfandsumme von Fr. 209'812.60 nebst 5% Zins seit dem 17. Juli 2019 vorläufig als Vormerkung im Grundbuch einzutragen. 2. Die Anweisung gemäss der vorstehenden Ziff. 1 sei superprovisorisch (d.h. sofort nach Eingang des Gesuchs und ohne Anhörung der ) zu verfügen und dem Grundbuchamt Baden zur sofortigen vorläufigen Eintragung im Grundbuch mitzuteilen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zuzüglich Mehrwertsteuer) zu Lasten der Gesuchsgegnerin." 4. Am 29. August 2019 verfügte der Vizepräsident: " 1. In teilweiser Gutheissung des Gesuchs um Erlass Massnahmen vom 28. August 2019 wird dem Gesuchsteller die Vormerkung einer vorläufigen Eintragung eines gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB auf dem der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. XX. GB B. (E-GRID: _), superprovisorisch für eine Pfandsumme von Fr. 209'812.60 Zins zu je 5 % für den Betrag von Fr. 119'420.30 ab dem 17. Juli 2019 und den Betrag von Fr. 63'228.00 Fr. ab dem 24. Juli 2019 . 2. Das Grundbuchamt Baden wird angewiesen, die Vormerkung vorstehender Dispositiv-Ziff. 1 sofort einzutragen. - 3 - 3. Der Gesuchsteller hat mit beiliegendem Einzahlungsschein bis zum 13. September 2019 einen Gerichtskostenvorschuss von Fr. 3'000.00 zu leisten. 4. Zustellung des Doppels des Gesuchs (inkl. Beilagen) vom 28. August 2019 an die Gesuchsgegnerin zur Erstattung einer schriftlichen bis zum 13. September 2019. 5. Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichender Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustimmung der Gegenpartei oder von der Partei nicht vorhersehbare oder nicht Hinderungsgründe. 6. Die Gesuchsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass die Vormerkung im Grundbuch gelöscht wird, wenn sie für die angemeldeten hinreichende Sicherheiten leistet. 7. Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO)." 5. Das Grundbuchamt Baden merkte die vorläufige Eintragung am 29. August 2019 unter der Nr. 123 im Tagebuch vor. 6. Mit Gesuchsantwort vom 13. September 2019 stellte die Gesuchsgegnerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Das Gesuch vom 21. Mai 2019 sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 2. Eventualiter sei die Pfandforderung auf einen Betrag von CHF 20'000.00 zu reduzieren. - 4 - 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des ." Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Der Einzelrichter am Handelsgericht ist örtlich, sachlich und funktionell zur Beurteilung der im summarischen Verfahren zu behandelnden Streitigkeit zuständig (vgl. dazu E. 4 der Verfügung vom 29. August 2019). 2. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 2.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 u. 839 Abs. 2 ZGB). 2.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.1 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.2 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.3 3. Pfandsumme 3.1. Parteibehauptungen Der Gesuchsteller behauptet, er habe am 20. Februar 2019 mit der L. GmbH einen Werkvertrag abgeschlossen, wobei im Nachhinein deren Rolle nicht mehr klar sei. Verschiedene Abmachungen habe es sodann mit der B. GmbH gegeben (Gesuch Rz. 11 f.; GB 5). Der Werkvertrag habe den Abbruch des auf dem Grundstück der Gesuchsgegnerin stehenden 1 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 5. Aufl. 2015, Art. 839/840 N. 37. 2 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 3 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1395. - 5 - Gebäudes sowie den Aushub und die Entsorgung betroffen (Gesuch Rz. 12; GB 5). Hierfür sei eine pauschale Vergütung von Fr. 70'000.00 ver- einbart worden, wobei sich dieser Betrag allerdings nur auf einen Teil der vom Gesuchsteller ausgeführten Arbeiten bezogen habe. Der Aushub habe sich nur auf den Umfang des bestehenden Kellers bezogen. Später sei der Gesuchsteller von der B. GmbH, handelnd durch S.K., sowie durch dessen P. GmbH, handelnd durch J.P., angewiesen worden, einen deutlich um- fangreicheren Aushub zu erstellen, weshalb die ursprünglich vereinbarte Pauschale erheblich überschritten worden sei. Der Gesuchsteller habe die- sen Personen mitgeteilt, die Bestellungsänderungen seien nicht von der Vergütungspauschale erfasst (Gesuch Rz. 13; GB 5). Der Gesuchsteller habe sodann sämtliche vereinbarten Leistungen vertragsgemäss erbracht. Da der Gesuchsteller selbst nur Kleintransporte durchführe, sei für die Aus- führung der Transportarbeiten die H. AG beigezogen worden (Gesuch Rz. 14; GB 8 f.). Der Gesuchsteller habe Akontorechnungen gestellt. Die L. GmbH habe allerdings erst Fr. 50'000.00 bezahlt. Ausstehend seien noch Fr. 20'000.00. Am 16. Juli 2017 habe der Gesuchsteller der B. GmbH die bereits gestellte Rechnung für die zahlreichen Zusatzarbeiten ohne Trans- portkosten in Höhe von Fr. 63'228.00 nochmals per Einschreiben zukom- men lassen. Weiter habe der Gesuchsteller der B. GmbH eine Rechnung in Höhe von Fr. 119'420.30 für die Transportkosten der H. AG zukommen lassen. Gesamthaft sei ein Betrag von Fr. 126'584.60 für die Aufwendun- gen der H. AG offen. Da keine weiteren Zahlungen eingegangen seien, sei der Betrag von Fr. 209'812.60 noch offen (Gesuch Rz. 15; GB 10-12). Die Gesuchsgegnerin behauptet hingegen, es seien von Seiten der Ge- suchsgegnerin keinerlei Anweisungen zum Bauprojekt ausgegangen. Die eingereichten Rechnungen seien nicht bei der Gesuchsgegnerin angekom- men (Antwort Rz. 2). Der Gesuchsteller habe Nachträge lediglich behaup- tet, aber nicht begründet, geschweige diese nachgewiesen (Antwort Rz. 3). Die Arbeiten der H. AG seien in der Werkvertragspauschale von Fr. 70'000.00 enthalten. Von zusätzlichen Arbeiten diesbezüglich sei der Gesuchsgegnerin nichts bekannt. Es sei nie etwas zwischen den Parteien vereinbart worden (Antwort Rz. 4). Der Gesuchsteller habe keinen zusätz- lichen Vertrag eingereicht, nicht einmal eine Offerte, einen Nachtrag oder dergleichen. Die Pfandforderung sei damit ungenügend substantiiert (Ant- wort Rz. 5). Es sei der Gesuchsgegnerin unmöglich, den vom Gesuchstel- ler behaupteten Pfandbetrag mit Ausnahme der Fr. 70'000.00 rechtlich zu prüfen. Die Rechnungen seien keine hinreichenden Belege. Der Gesuch- steller sei seiner Substantiierungspflicht nicht nachgekommen (Antwort Rz. 6). 3.2. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material - 6 - und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.4 Gemäss Art. 55 Abs. 1 ZPO haben die Parteien dem Gericht die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzu- geben. Den Prozessparteien obliegt die Behauptungslast.5 Die Aufteilung der Behauptungslast zwischen den Parteien folgt der Beweislastverteilung nach Art. 8 ZGB.6 Somit trägt die Behauptungslast für rechtserzeugende Tatsachen, wer ein Recht oder Rechtsverhältnis behauptet; für rechtsauf- hebende Tatsachen, wer die Aufhebung oder den Untergang eines Rechts behauptet (z.B. Verwirkung, Erlass etc.) und für rechtshindernde Tatsa- chen, wer sich darauf beruft (z.B. Verjährung, Stundung etc.).7 Dement- sprechend hat das Bestehen einer vertraglichen Verpflichtung zu behaup- ten, wer einen vertraglichen Anspruch erhebt.8 Eine Tatsachenbehauptung hat nicht alle Einzelheiten zu enthalten; es genügt, wenn die Tatsachen, die unter die das Begehren stützenden rechtlichen Normen zu subsumieren sind, in einer den Gewohnheiten des Lebens entsprechenden Weise in ih- ren wesentlichen Zügen oder Umrissen behauptet werden.9 Ist ein Tatsa- chenvortrag im erwähnten Sinne vollständig, so wird er als schlüssig be- zeichnet, da er bei Unterstellung, er sei wahr, den Schluss auf die anbe- gehrte Rechtsfolge zulässt.10 Die Kehrseite der Behauptungslast ist die sog. Bestreitungslast: Bestreitet eine Partei eine Tatsachenbehauptung ihres Gegners nicht, gilt diese als unbestritten und die betreffende Tatsache kann dem Entscheid ohne wei- teres zugrunde gelegt werden, da über nicht bestrittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO).11 Art. 222 Abs. 2 ZPO verlangt von der beklagten Partei, darzulegen, welche Tatsa- chenbehauptungen der klagenden Partei im Einzelnen anerkannt oder be- stritten werden. Es ist deshalb empfehlenswert, die Tatsachenbehauptun- gen der Klägerin detailliert, d.h. Punkt für Punkt zu bestreiten. Bestreitun- gen sind dabei so konkret zu halten, dass sich bestimmen lässt, welche 4 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 436, 438 und 547. 5 Vgl. BGer 4A_264/2015 vom 10. August 2015 E. 4.2.2; 4A_210/2009 vom 7. April 2010 E. 3.2. 6 BGE 132 III 186 E. 4. 7 SUTTER-SOMM/SCHRANK, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 55 N. 18. 8 BGE 128 III 271 E. 2.a.aa. 9 BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.1 m.w.N.; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.1. 10 BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.1 m.w.N.; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.1. 11 BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO. - 7 - einzelnen Behauptungen damit bestritten werden; die Bestreitung muss ih- rem Zweck entsprechend so bestimmt sein, dass die Gegenpartei weiss, welche einzelne Tatsachenbehauptung sie beweisen muss. Erforderlich ist eine klare Äusserung, dass der Wahrheitsgehalt einer bestimmten gegne- rischen Behauptung infrage gestellt wird.12 Bestreitet aber der Prozessgegner den schlüssigen Tatsachenvortrag der behauptungsbelasteten Partei in rechtsgenüglicher Weise, so greift eine über die Behauptungslast hinausgehende Substantiierungslast. Die Vor- bringen sind diesfalls nicht nur in den Grundzügen, sondern in Einzeltatsa- chen zergliedert so umfassend und klar darzulegen, dass darüber Beweis abgenommen oder dagegen der Gegenbeweis angetreten werden kann.13 3.3. Würdigung Was die Gesuchsgegnerin vorliegend vorbringt, beschränkt sich auf nicht relevante Vorbringen bzw. Bestreitungen: Die Gesuchsgegnerin übersieht, dass vorliegend ein Drittpfandverhältnis vorliegt. Es hilft daher nicht, zu behaupten, die Gesuchsgegnerin habe we- der Anweisungen gegeben noch Rechnungen erhalten. Solches hat der Gesuchsteller denn auch nicht behauptet. Die vom Gesuchsteller behaup- teten Anweisungen, welche zu Bestellungsänderungen geführt haben sol- len, seien vielmehr von der B. GmbH ausgegangen. Solche Anweisungen bestreitet die Gesuchsgegnerin nicht. Sie bestreitet auch nicht, dass die Rechnungen der B. GmbH zugegangen sind. Weshalb die Nachträge hät- ten begründet werden müssen, wo diese unbestritten geblieben sind und das Recht von Amtes wegen anzuwenden ist (Art. 57 ZPO), bleibt unklar. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb der Gesuchsteller auf das Vorlegen eines weiteren schriftlichen Vertrags angewiesen sein soll, wo er doch die mündliche Vertragsänderung (Bestellungsänderung) behauptet. Irrelevant ist schliesslich der Umstand, dass die Gesuchsgegnerin Vertragsabreden zwischen ihr und dem Gesuchsteller verneint, da dieser keine solchen Ver- tragsabreden behauptet. Auch in Bezug auf den Einwand der Gesuchsgegnerin, die Transportkosten der H. AG seien in der Vertragspauschale enthalten, bestreitet sie nicht, dass der Gesuchsteller von seinem Vertragspartner im Rahmen einer Be- stellungsänderung mit einem deutlich umfangreicheren Aushub beauftragt wurde. Es trifft zwar zu, dass sich der Gesuchsteller im Rahmen des Werk- vertrags (GB 5) auch zur Entsorgung verpflichtete, weshalb diese grund- sätzlich im Pauschalpreis inbegriffen wäre. Hingegen könnten die vom Ge- suchsteller geltend gemachten Kosten der H. AG auf die Bestellungsände- rung zurückgeführt werden, weshalb deren Berechtigung im derzeitigen 12 BGE 141 III 433 E. 2.6; BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.3. 13 BGE 144 III 519 E. 5.2.1.1; BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.2. - 8 - Verfahrensstadium weder für ausgeschlossen noch für höchst unwahr- scheinlich bezeichnet werden kann. Es liegt ein Zweifelfall vor. Es wird dem Gesuchsteller obliegen, im Hauptsacheverfahren die von ihm geltend ge- machten Tatsachen in genügender Weise vorzubringen. Insgesamt betrachtet blieb der Tatsachenvortrag des Gesuchstellers von der Gesuchsgegnerin daher unbestritten und gilt als wahr. Der Vizepräsi- dent hat sich bereits in der Verfügung vom 29. August 2019 mit den Be- hauptungen des Gesuchstellers auseinandergesetzt und es für glaubhaft erachtet, dass es sich bei den geltend gemachten Forderungen um Ent- schädigungen für Handwerker- oder Unternehmerleistungen im Sinne von Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB handelt, ein Teil der Forderungen noch nicht beglichen ist sowie die gesetzliche Eintragungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Einzig beim Verzugszins musste das Gesuch teilweise abgewiesen werden. Mangels Bestreitung des Tatsachenvortrags ändert sich an dieser Würdigung nichts. Die Voraussetzungen für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts auf dem Grdst.-Nr. XX. GB B. (E-GRID: CH _) in Höhe von Fr. 209'812.60 zuzüglich Zins zu je 5 % für den Betrag von Fr. 119'420.30 ab dem 17. Juli 2019 und den Betrag von Fr. 63'228.00 ab dem 24. Juli 2019 sind erfüllt und ist die mit Verfügung des Vizepräsi- denten vom 29. August 2019 superprovisorisch angeordnete vorläufige Vormerkung des Bauhandwerkerpfandrechts in diesem Umfang vorsorg- lich zu bestätigen. 4. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei ungenutztem Ablauf der Frist ohne Weiteres und ersatzlos gelöscht werde.14 Die Prose- quierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vor- liegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen.15 5. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 14 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 672 ff. 15 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 1), N. 688. - 9 - 5.1. Gerichtskosten Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 3'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem vom Gesuchsteller geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat dem Gesuchsteller die Gerichtskosten, d.h. Fr. 3'000.00, direkt zu ersetzen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 5.2. Parteientschädigung Die Gesuchsgegnerin hat dem Gesuchsteller zudem eine Parteientschädi- gung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 209'812.60 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von rund Fr. 19'461.75 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 7 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarabzugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von rund Fr. 4'865.45. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teil- nahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach einem weiteren Abzug von 20 % wegen der nicht durchge- führten Verhandlung (§ 6 Abs. 2 AnwT), und der Hinzurechnung einer Aus- lagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 %, resultiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 4'000.00, den die Gesuchsgegnerin dem Gesuchsteller als Parteientschädigung zu bezahlen hat. Der Gesuchsteller verlangt zudem einen Mehrwertsteuerzuschlag. Dieser ist zuzusprechen, da er gemäss UID-Register16 über keine Mehrwertsteu- ernummer verfügt und folglich nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist.17 5.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handels- gericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder auf- grund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehalten. 16 Vgl. https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=ABC (zuletzt besucht am 17. September 2019). 17 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Partei- entschädigung der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: https://www.ag.ch//kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (letztmals am 17. September 2019). https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=ABC https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 10 - Der Vizepräsident erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung des Gesuchs vom 28. August 2019 wird die mit Verfügung vom 29. August 2019 zugunsten des Gesuchstellers auf dem Grundstück der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. XX. GB B. (E-GRID: CH _), superprovisorisch für eine Pfandsumme von Fr. 209'812.60 zu- züglich Zins zu je 5 % für den Betrag von Fr. 119'420.30 ab dem 17. Juli 2019 und den Betrag von Fr. 63'228.00 ab dem 24. Juli 2019 angeordnete Vormerkung vorsorglich bestätigt. 2. Das Grundbuchamt Baden wird angewiesen, die Vormerkung gemäss Dis- positiv-Ziff. 1 aufrechtzuerhalten. 3. 3.1. Der Gesuchsteller hat bis zum 18. Dezember 2019 beim zuständigen Ge- richt im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung des Bau- handwerkerpfandrechts anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkung im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht wird. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 sind von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem vom Gesuchsteller geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten dem Ge- suchsteller direkt zu ersetzen. 4.2. Die Gesuchsgegnerin hat dem Gesuchsteller dessen Parteikosten in rich- terlich festgesetzter Höhe von Fr. 4'000.00 (zzgl. MwSt.) zu ersetzen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. - 11 - Zustellung an: den Gesuchsteller (Vertreter; zweifach mit Gesuchsantwort vom 13. September 2019) die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach) Zustellung an: das Grundbuchamt Baden (nach Ablauf der Rechtsmittelfrist) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 17. September 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2019-09-17
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_17._September_2019.pdf
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fe9a1e71-7375-42ac-9229-1fd6e1345e60
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.44 / as / mv Verfügung vom 30. Juni 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin L. AG, _ Gesuchsgegne- rin K. AG, _ vertreten durch Dr. iur. Peter Heer, Rechtsanwalt, Stadtturmstrasse 19, 5401 Baden gesuchsgegneri- sche Streitbe-ru- fene E. AG, _ vertreten durch lic. iur. Michael Merz, Rechtsanwalt, Hardturmstrasse 11, 8005 Zürich Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Verlegung der Prozesskosten - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Am 31. Januar 2020 erliess der Vizepräsident im Verfahren HSU.2019.154 folgenden Entscheid: 1. Das Verfahren betreffend Vormerkung einer vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB auf dem Grundstück der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 123 GB A. (E-GRID: CH 987), für eine Pfandsumme von Fr. 222'847.05 wird zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abgeschrieben. 2. In Gutheissung des Gesuchs vom 17. Dezember 2020 wird gerichtlich vorsorglich festgestellt, dass die von der gesuchsgegnerischen Streitberufenen eingereichte Zahlungsgarantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 über Fr. 223'000.00 als hinreichende Sicherheit ge- mäss Art. 839 Abs. 3 ZGB gilt. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 4. Mai 2020 beim zuständigen Ge- richt im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Sicherstellung der von der gesuchsgegnerischen Streitberufenen eingereichten Zahlungs- garantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 über Fr. 223'000.00 anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 2 angeord- nete vorsorgliche Massnahme dahin. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 sind von der Gesuchsgeg- nerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrech- net. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten der Gesuchstellerin direkt zu ersetzen. 4.2. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Ver- fügung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. - 3 - 2. Die Gesuchstellerin unterliess es in der Folge bis zum 4. Mai 2020 beim zuständigen Gericht im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Sicher- stellung der von der gesuchsgegnerischen Streitberufenen eingereichten Zahlungsgarantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 über Fr. 223'000.00 anzuheben. 3. Mit Gesuch vom 2. Juni 2020 (Postaufgabe: 2. Juni 2020) stellte die Ge- suchsgegnerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Die Gerichtskosten seien der Gesuchstellerin aufzuerlegen. 2. Die Gesuchstellerin sei zu verpflichten, der Gesuchsgegnerin eine Par- teientschädigung von CHF 10'021 zu bezahlen." 4. 4.1. Mit Verfügung vom 3. Juni 2020 stellte der Vizepräsident das Doppel der Eingabe der Gesuchsgegnerin vom 2. Juni 2020 an die Gesuchstellerin und an den Rechtsvertreter der gesuchsgegnerischen Streiberufenen zur Kenntnis- und allfälligen Stellungnahme bis zum 15. Juni 2020 zu, mit der Androhung, dass das Verfahren ohne die versäumte Handlung weiterge- führt wird, falls die Stellungnahme innert der angesetzten Frist ausbleibt (Art. 147 Abs. 2 ZPO). 4.2. Die Gesuchstellerin stellte mit Eingabe vom 15. Juni 2020 ein Fristerstre- ckungsgesuch, welchem mit Verfügung vom 16. Juni 2020 teilweise ent- sprochen und die Frist zur Erstattung einer allfälligen Stellungnahme letzt- mals bis 26. Juni 2020 erstreckt wurde. Die Gesuchstellerin liess sich auch innert der erstreckten Frist nicht vernehmen. 4.3. Die gesuchsgegnerische Streitberufene teilte mit Eingabe vom 15. Juni 2020 mit, sie verzichte auf eine Stellungnahme. - 4 - Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Prozesskosten vorsorglicher Massnahmen Gemäss Art. 104 Abs. 3 ZPO kann über die Prozesskosten vorsorglicher Massnahmen zusammen mit der Hauptsache entschieden werden. Ist über die vorsorglichen Massnahmen vor Rechtshängigkeit des Hauptprozess- prozesses zu entscheiden, gibt es unterschiedliche Lösungen: 1) Auferle- gung der Kosten des Massnahmeverfahrens – nach Massgabe seines Un- terliegens – an den Gesuchsgegner. Obsiegt dieser im anschliessenden ordentlichen Prozess oder wurde dieser von der Gesuchstellerin wie im vorliegenden Fall gar nicht anhängig gemacht, steht ihm ein Rückerstat- tungsanspruch zu. 2) Vorläufige Kostenauferlegung an den obsiegenden Gesuchsteller, mit oder ohne einstweilige Prozessentschädigung an den Gesuchsgegner, unter Vorbehalt der definitiven Regelung im ordentlichen Prozess.1 Das Handelsgericht des Kantons Aargau hat sich für die erste Variante ent- schieden und verteilt die Prozesskosten des Massnahmeverfahrens praxis- gemäss bereits im Massnahmeverfahren selber, unter ausdrücklichem Hin- weis des Vorbehalts einer abweichenden Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handelsgericht des Kantons Aargau stattfindenden Hauptpro- zess im ordentlichen Verfahren oder aufgrund separater Verfügung im vor- liegenden Verfahren.2 Dies erfolgte auch in E. 4. des Entscheids vom 31. Januar 2020. 5. 5.1. Da die Gesuchstellerin keine Klage auf definitive Sicherstellung der von der gesuchsgegnerischen Streitberufenen eingereichten Zahlungsgarantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 über Fr. 223'000.00 einreichte, ist die mit Entscheid vom 31. Januar 2020 ausgesprochene vorsorgliche Mas- snahme dahingefallen (vgl. Dispositiv-Ziff. 3.2 des Entscheids vom 31. Ja- nuar 2020). 5.2. Mit Verfügung vom 4. Juni 2020 im Verfahren HSU.2019.154 wurde die Obergerichtskasse bereits angewiesen, der gesuchsgegnerischen Streit- berufenen die eingereichten Zahlungsgarantie Nr. 567 der U. AG vom 28. Januar 2020 über Fr. 223'000.00 zurückzugeben. 5.3. Die mit Entscheid vom 31. Januar 2020 auferlegten Prozesskosten sind neu zu verteilen. Dabei gilt die Gesuchstellerin mangels Prosequierung als vollumfänglich unterliegend. 1 Vgl. BK ZPO I-STERCHI, 2012, Art. 104 N. 12 ff. m.w.N. 2 Vgl. zu den entsprechenden Überlegungen BSK ZPO-RÜEGG/RÜEGG, 3. Aufl. 2017, Art. 104 N. 6a; BK ZPO I-STERCHI (Fn. 1), Art. 104 N. 13; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2019, § 22 N. 32 je m.w.N. - 5 - 6. 6.1. In Dispositiv-Ziff. 4.1 des Entscheids vom 31. Januar 2020 wurden die Ge- suchsgegnerin verpflichtet, die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 zu tragen. Neu wird die Gesuchstellerin verpflichtet, die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 zu tragen. 6.2. In Dispositiv-Ziff. 4.2. des Entscheids vom 31. Januar 2020 wurden keine Parteientschädigungen zugesprochen, da die Gesuchstellerin – im Gegen- satz zur Gesuchsgegnerin – nicht anwaltlich vertreten war. Die Gesuchstellerin hat der Gesuchsgegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 223'000.00 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 20'042.00 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 7 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarab- zugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 5'010.50. Damit sind insbesondere die Gesuchsantwort vom 10. Januar 2020 und die Teilnahme an der Instruktionsverhandlung vom 31. Januar 2020 abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach Hinzurechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 5'160.00, den die Gesuchstellerin der Gesuchsgegnerin als Parteient- schädigung zu bezahlen hat. Der Vizepräsident erkennt: 1. Ziff. 4 des Entscheids vom 31. Januar 2020 im Verfahren HSU.2019.154 wird aufgehoben und wie folgt neu verfasst: 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 sind von der Gesuchstel- lerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. 4.2. Die Gesuchstellerin hat der Gesuchsgegnerin eine Parteientschädi- gung in richterlich festgesetzter Höhe von Fr. 5'160.00 (inkl. Auslagen) zu bezahlen. 2. Es werden für die vorliegende Verfügung weder Gerichtskosten erhoben, noch Parteientschädigungen zugesprochen. - 6 - Zustellung an: die Gesuchstellerin die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach) die gesuchsgegnerische Streitberufene (Vertreter; zweifach) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 30. Juni 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2020-06-30
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2000 Zivilprozessrecht 47 III. Zivilprozessrecht A. Zivilprozessordnung 10 §§ 75 Abs. 1, 167 Abs. 2 lit. b, 184, 196 Abs. 1, 236 und 335 lit. b ZPO. Gegen eine Beweisanordnung eines Gerichtspräsidenten, mit welcher nach Abschluss des Rechtsschriftenwechsels vom Kläger die Edition der sich in seinem Besitz befindlichen, aber von diesem in Klage und Replik lediglich zur Edition anerbotenen Beweisstücke verlangt wird, ist die Be- schwerde gemäss § 335 lit. b ZPO zulässig, da eine solche Anordnung eine Verletzung der Verhandlungsmaxime und damit einer grundlegenden ge- setzlichen Bestimmung darstellt und ein Sachentscheid wegen dieses Ver- fahrensmangels aufgehoben werden müsste, dadurch das Verfahren er- heblich verlängert würde und deshalb der Gegenpartei ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil entstünde. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 27. Juni 2000 in Sachen D. und P. B. gegen E. R. AG. Aus den Erwägungen 2. Das Rechtsmittel der Beschwerde ist gemäss § 335 ZPO nur gegen Endentscheide im summarischen Verfahren (lit. a) sowie ge- gen prozessleitende Entscheide zulässig, wenn diese nach dem Ge- setz selbständig weiterziehbar sind oder gegen grundlegende gesetz- liche Bestimmungen verstossen und daraus der Partei ein schwer wieder gutzumachender Nachteil entsteht (lit. b). a) Die vorliegende Beschwerde richtet sich nicht gegen einen Endentscheid im summarischen Verfahren, sondern gegen die im or- dentlichen Verfahren von der Vizepräsidentin des Bezirksgerichts B. erlassene Beweisanordnung vom 18. April 2000. Eine solche Be- weisanordnung nach Massgabe von § 196 Abs. 1 ZPO ist nicht ge- sondert mit Beschwerde anfechtbar und kann daher grundsätzlich nicht mit Beschwerde angefochten werden. 2000 Obergericht 48 b) Das Rechtsmittel der Beschwerde ist gegen solche prozess- leitenden Verfügungen nur dann zuzulassen, wenn sie "gegen grund- legende gesetzliche Bestimmungen verstossen und daraus der Partei ein schwer wieder gutzumachender Nachteil entsteht" (§ 335 lit. b ZPO). Diese Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Beschwerde sind hier erfüllt: Die Vizepräsidentin der Vorinstanz hat im Rahmen der strittigen Beweisanordnung vom 18. April 2000 in Ziffer 3 verfügt, die Kläge- rin habe innert zehn Tagen seit Zustellung sämtliche von ihr zur Edi- tion offerierten Unterlagen betreffend das Bauprojekt (Lösungsvor- schläge, Pläne, Submissionsunterlagen, Aktennotizen, Protokolle, Baubewilligung mit Plänen, Stundenlisten usw.) einzureichen. Ge- mäss § 167 Abs. 2 lit. b ZPO sind der Klage die von der Klagepartei angerufenen Urkunden, welche sich in ihrem Besitz befinden, beizu- legen. § 236 ZPO wiederholt der Vollständigkeit halber die Pflicht der Parteien zur Vorlegung der in ihrem Besitze befindlichen Urkun- den bereits im Rahmen des Behauptungsverfahrens (Bühler/Edel- mann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, N. 1 zu § 236 ZPO). Die im Besitze einer Klagepartei befindlichen Urkunden nehmen inso- fern eine besondere Stellung ein, als hier der Beweisantritt durch blosse Bezeichnung nicht genügt, sondern die Urkunden gleichzeitig vorzulegen sind, damit der Gegner schon im Rahmen des Behaup- tungsverfahrens dazu Stellung nehmen kann und die richterliche Be- weiswürdigung bereits in diesem Verfahrensstadium möglich ist, be- vor eine allfällige Beweisanordnung ergeht (welche unter Umständen gestützt auf die eingelegten Urkunden gar nicht mehr nötig ist). Da folglich nur dann ein gültiger Beweisantritt vorliegt, wenn die Ur- kunde ins Recht gelegt wird, können Urkunden, die der Beweisführer in Händen hat, nur so lange vorgelegt werden, als ein Beweisantritt nach den allgemeinen Regeln zulässig ist, also durch die Klagepartei spätestens mit der Replik. Eine spätere Vorlegung ist nur dann mög- 2000 Zivilprozessrecht 49 lich, soweit nachträgliche Vorbringen zulässig sind (Bühler/Edel- mann/Killer, a.a.O., N. 10 zu § 167 ZPO mit Hinweisen). Die Klägerin hat in ihrer Klage vom 16. Juli 1999 bzw. Replik vom 17. Dezember 1999 verschiedene Beweismittel offeriert und in diesem Rahmen auch Urkunden als Beweismittel angerufen; dabei hat sie sogenannte "Lösungsvorschläge" bzw. einen "Lösungsvor- schlag Variante 1 mit Anmerkungen der Beklagten" zur Edition offe- riert (Klage S. 4). Schliesslich hat die Klägerin Pläne, Aktennotizen und Protokolle, die Baubewilligung mit den bewilligten Plänen (Kla- ge S. 5), die gesamten von der Klägerin angefertigten Plan- und Sub- missionsunterlagen (Klage S. 8 und 9), Nebenkostenaufzeichnungen (Klage S. 10) sowie Stundenlisten (Klage S. 11) und letztlich erneut die Baubewilligung (Klage S. 12) zur Edition offeriert. Auch in der Replik vom 17. Dezember 1999 werden diese zur Edition offerierten Urkunden erneut angerufen; teilweise werden zusätzliche Urkunden zum Beweis unterstellt, indessen, und das ist von Belang, erneut zur Edition offeriert (Replik S. 11). Mit der in § 75 Abs. 1 ZPO statuierten Verhandlungsmaxime wird den Parteien die Behauptungs- und Substanziierungslast aufer- legt. Die Verhandlungsmaxime ist verletzt, wenn nicht oder nicht rechtzeitig behauptete Tatsachen oder Beweismittel berücksichtigt werden (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N. 6 zu § 75 ZPO mit Hin- weisen). Bei der Verhandlungsmaxime nach Massgabe von § 75 ZPO handelt es sich um eine Bestimmung grundlegender Bedeutung (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N. 8 zu § 335 ZPO), und von daher ist auf die Beschwerde einzutreten. Indem die Klägerin in ihrer Klage bzw. Replik die angeführten Urkunden als Beweismittel angerufen hat, hat sie zu erkennen gege- ben, dass sich diese in ihrem Besitz befinden; hingegen hat die Klä- gerin unterlassen, diese Urkunden, wie § 167 Abs. 2 lit. b ZPO gebie- tet (ebenso § 236 ZPO), dem Gericht einzureichen; vielmehr hat sie diese Urkunden bloss zur Edition offeriert, was den erwähnten Be- stimmungen zuwiderläuft. Es ist festzustellen, dass die Klägerin kei- 2000 Obergericht 50 ne Gründe namhaft machte, dass ihr die Vorlegung bzw. Einreichung der von ihr angerufenen Urkunden nicht hätte möglich sein sollen; damit ist festzustellen, dass auch der Tatbestand von § 184 ZPO nicht gegeben ist, nach welchem nach Abschluss des Behauptungs- verfahrens neue Beweismittel eingereicht werden können, wenn die Verspätung als entschuldbar erscheint. Die Klägerin wäre demnach gehalten gewesen, diese bloss zur Edition offerierten Urkunden mit der Klage bzw. spätestens mit der Replik einzureichen, was sie in- dessen nicht getan hat. Damit ist festzustellen, dass die erste in § 335 lit. b ZPO vorge- sehene Voraussetzung, nämlich ein Verstoss gegen eine grundlegende gesetzliche Bestimmung, erfüllt ist, indem die Vorderrichterin in Zif- fer 3 der Beweisanordnung verfügte, die Klägerin habe die von ihr bloss zur Edition offerierten Beweismittel einzureichen. Zu prüfen bleibt, ob der Klägerin gestützt auf diese Anordnung ein schwer wieder gutzumachender Nachteil entsteht. Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, darunter falle nicht vorab ein finan- zieller Schaden, sondern vielmehr eine Beeinträchtigung der gesam- ten Stellung der beschwerdeführenden Partei im Zusammenhang mit dem Prozess, z.B. weil das Verfahren erheblich verlängert werde, wenn es im Endurteil wegen Verfahrensmangels aufgehoben werden müsse (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N. 9 zu § 335 ZPO). Auch diese Voraussetzung ist erfüllt; wird von den Beklagten gegen das erst noch zu erlassende Sachurteil des Bezirksgerichts Ap- pellation eingereicht, so müsste dieser Entscheid wegen der erwähn- ten Verfahrensmängel aufgehoben werden und das Bezirksgericht müsste erneut, unter Ausschluss der bloss zur Edition offerierten Ur- kunden, einen Entscheid fällen; damit würde das Verfahren in der Tat erheblich verlängert, was nicht hingenommen werden kann. Unter diesen Umständen ist Dispositiv Ziffer 3 der Beweisan- ordnung vom 18. April 2000 in Gutheissung der Beschwerde der Be- klagten ersatzlos zu streichen.
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AG_HG_001_AGVE-2000-10_2000-06-04
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2005 Strafprozessrecht 63 V. Strafprozessrecht 13 § 94 Abs. 1 GOG; Kostenbeschwerde Die Kostenbeschwerde ist auch möglich betreffend die Festsetzung des Honorars des freigewählten Verteidigers, der infolge Freispruchs aus der Staatskasse zu entschädigen ist. Aus dem Entscheid der Inspektionskommission vom 23. Juni 2005 i.S. R. D. c. Gerichtspräsidium Z. Aus den Erwägungen 1. a) [...] b) [...] c) Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht die Höhe der Entschä- digung eines amtlichen Verteidigers, sondern die Höhe des Honorars eines frei gewählten Verteidigers, der infolge Freispruchs durch die Staatskasse zu entschädigen ist, zu beurteilen. In § 94 Abs. 1 GOG ist die Beschwerde gegen die Festsetzung der Höhe dieses Honorars nicht ausdrücklich erwähnt. Jedoch wird in der Botschaft des Regie- rungsrates zum GOG vom 8. Dezember 1980 auf S. 17 ausgeführt, dass der Zweck der Kostenbeschwerde die Überprüfung der den Ge- richten im Rahmen des Kostenwesens übertragenen Verwaltungs- tätigkeit der Kostenfestsetzung ist. Wo jeweils die Höhe der Kosten, die der Staat zu tragen hat, ohne dass nebst der beschwerdeführenden eine weitere Partei unmittelbar davon betroffen ist, strittig ist, kommt die Kostenbeschwerde zur Anwendung; wo hingegen über die Höhe oder Tragung der Kosten zu entscheiden ist, durch die eine weitere Partei unmittelbar betroffen ist, gerät das Kostenwesen in den Bereich der Rechtsprechung und ist deshalb durch die prozessualen Rechtsmittel zu entscheiden. 2005 Obergericht 64 Diese gesetzgeberische Absicht findet sich auch in den Nor- men der Strafprozessordnung (StPO; SAR 251.100) wieder. Die StPO regelt die Tragung und Verteilung der Kosten (vgl. § 164 StPO) sowie die dagegen einzulegenden Rechtsmittel, nicht aber die Höhe der durch den Staat zu tragenden Parteikosten. Diese werden viel- mehr durch das Dekret über die Entschädigung der Anwälte (Anwaltstarif [AnwT]; SAR 291.150) bestimmt. Bei der autoritativen Festsetzung der durch den Staat zu tragenden Parteikosten wird dem- nach eine Verwaltungstätigkeit ausgeübt, da keine weitere Partei un- mittelbar betroffen ist. Für Streitigkeiten über die Höhe dieser Partei- kosten in Anwendung des Anwaltstarifes ist deshalb die Inspektions- kommission zuständig, falls in der Sache selbst kein Rechtsmittel er- hoben wird. Somit ist auf die Beschwerde einzutreten.
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AG_HG_001
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2012 Strafrecht 51 [...] 7 Art. 253 StGB, Art. 260 ff. ZGB Die Anerkennung der Vaterschaft gemäss Art. 260 ZGB beweist nur, dass ein Kind anerkannt worden ist, nicht aber die biologische Vaterschaft selbst. Das Zivilrecht lässt es zu, dass der nicht genetische Vater ein Kind anerkennt. Die Anerkennung trotz fehlender biologischer Vaterschaft kann deshalb nicht unter Strafe gestellt sein. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 13. September 2012 i.S. E. M. und P. G. gegen Staatsanwaltschaft Brugg- Zurzach (SBK.2012.211). 2012 Obergericht 52 Aus den Erwägungen 2. 2.1. Zur Aufklärung eines Verbrechens oder eines Vergehens kann von einer beschuldigten Person oder von anderen Personen eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt werden, soweit es notwendig ist, um von ihnen stammendes biologisches Material von jenem der beschuldigten Person zu unterscheiden (Art. 255 Abs. 1 lit. a und b StPO). Die Staatsanwaltschaft ist zuständig zur Anordnung einer DNA- Probe (F RICKER /M AEDER , in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 22 zu Art. 255 StPO mit Verweis auf Art. 198 StPO). Als Zwangsmassnahmen müssen DNA-Anordnun- gen und -Analysen die allgemeinen Voraussetzungen nach Art. 197 Abs. 1 StPO erfüllen. Das heisst sie müssen a) gesetzlich vorgesehen sein, b) es muss ein hinreichender Tatverdacht vorliegen, c) die damit angestrebten Ziele dürfen nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und d) die Bedeutung der Straftat muss die Zwangs- massnahme rechtfertigen (vgl. F RICKER /M AEDER , a.a.O., N. 1 und 4 ff. zu Art. 255 StPO). [...] 2.3. 2.3.1. Wie aus den Ausführungen der Staatsanwaltschaft hervorgeht, beabsichtigt sie, die DNA-Profile als Beweismittel zur Abklärung des den Beschwerdeführern vorgeworfenen Verbrechens des Er- schleichens einer falschen Beurkundung gemäss Art. 253 StGB zu verwenden. Wie sich aus dem Folgenden ergibt, kann nun aber von vornherein von keinem entsprechenden Tatverdacht gemäss Art. 253 StGB für die Anordnung der Abnahme von DNA-Proben ausgegan- gen werden. 2.3.2. Gemäss Art. 253 Abs. 1 StGB wird wegen Erschleichung einer falschen Beurkundung bestraft, wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich 2012 Strafrecht 53 erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt. Art. 253 Abs. 1 StGB regelt einen Spezialfall der mittelbaren Falschbeurkun- dung. Die Tathandlung besteht im Bewirken einer inhaltlich unwah- ren Beurkundung durch Täuschung, wobei die Täuschung den Vor- satz der Urkundsperson ausschliessen muss (Urteil des Bundesge- richts 6S.258/2006 vom 3. November 2006 E. 4.1). Was eine rechtlich erhebliche Tatsache nach Art. 253 StGB ist, bestimmt sich somit nach Art. 251 StGB (M ARKUS B OOG , in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 2. Aufl. 2007, N. 5 zu Art. 253 StGB). Eine Urkunde kann nur für den in ihr bezeugten Sachverhalt, niemals für dessen tatsächliche oder rechtliche Voraussetzungen Beweis er- bringen, auf welche bloss mittelbar aus den beurkundeten Tatsachen geschlossen werden kann. Diese sind nicht konkludent mitbeurkun- det. So beweist die Anerkennung der Vaterschaft (Art. 252 Abs. 2 und 260 ZGB) nur die Anerkennung, nicht aber die Vaterschaft selbst (B OOG , a.a.O., N. 45 zu Art. 251 StGB). 2.3.3. Vorliegend erklärte der Beschwerdeführer 2 am 20. April 2011 vor dem Zivilstandsamt die Anerkennung des Kindes M. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft erklärte er damit nicht, dass es sich bei M. um seinen leiblichen Sohn handle. Mit der blossen Aner- kennung im Sinne von Art. 252 Abs. 2 und Art. 260 ZGB liegen ge- mäss den obigen Ausführungen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer 2 eine inhaltlich unwahre Beurkundung er- wirkt bzw. dass die Beschwerdeführerin 1 ihn dazu angestiftet hätte. Die Anerkennung beweist nicht, dass der Beschwerdeführer 2 auch tatsächlich der Vater ist, sondern nur die Tatsache, dass ein Kind anerkannt wurde. Dies ergibt sich auch aus der zivilrechtlichen Rechtslage: Zur Anerkennung berechtigt ist gemäss Wortlaut von Art. 260 Abs. 1 ZGB "der Vater". Aus dieser Formulierung darf aber nicht geschlos- sen werden, nur der genetische Vater könne das Kind anerkennen. Das Zivilstandsamt darf denn auch keinen Nachweis der genetischen Vaterschaft verlangen. Die bewusst falsche Anerkennung ist deshalb möglich und wirksam, was sich bereits aus Art. 260b Abs. 1 ZGB 2012 Obergericht 54 ergibt, der in Bezug auf die Anfechtung einer Anerkennung festhält, dass der Kläger zu beweisen habe, dass der Anerkennende nicht der Vater des Kindes ist. Erst im Falle der Anfechtung der Vermutung spielt die biologische Vaterschaft eine Rolle. Richtigerweise bejaht ein Teil der Lehre deshalb die Zulässigkeit der Anerkennung im Wis- sen um die fehlende genetische Vaterschaft, während ein anderer Teil der Lehre dem Zivilstandsamt das Recht zugesteht, die Anerkennung abzuweisen, wenn sie offensichtlich falsch ist. Die Anerkennung sei dann rechtsmissbräuchlich, und es wird darauf hingewiesen, dass sie einen Straftatbestand darstelle (Übersicht bei T HOMAS G EISER , Kind und Recht - von der sozialen zur genetischen Vaterschaft?, in: FamPra.ch 1/2009 S. 41 ff., 47). Letztere Lehrmeinung kann zumin- dest hinsichtlich der strafrechtlichen Folgen nicht zutreffen. Das Zivilrecht lässt es zu, dass der nicht genetische Vater ein Kind aner- kennt. Wird ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann sogar von Gesetzes wegen als Vater, auch wenn er nachweislich nicht der genetische Vater ist. Das Gesetz misst der rechtlichen Vaterschaft ein höheres Gewicht als der biologischen Vaterschaft bei. Erfolgt keine Anfechtung der Anerkennung oder der Vaterschafts-Vermu- tung, so bleibt es bei der Vaterschaft, was - Extremfälle vorbehalten - durchaus auch dem Kindeswohl entspricht. Wenn es nun aber für die zivilrechtliche Anerkennung oder Vermutung nicht auf die gene- tische Vaterschaft ankommt, so kann eine Anerkennung ohne biolo- gische Vaterschaft auch nicht unter Strafe gestellt sein. Damit ist kein Tatverdacht gegeben und die Voraussetzungen für die Abnahme von DNA-Proben sind nicht erfüllt, so dass diese nicht rechtmässig wären. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach vom 7. August 2012 ist somit ersatzlos aufzuheben.
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AG_HG_001
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AG_HG_001_AGVE-2012-7_2012-09-13
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de
Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.84 Entscheid vom 16. November 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin E. AG, _ Gesuchsgegne- rin G. GmbH, _ Zustelladresse: _ Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in A. (ZG). Sie be- zweckt insbesondere _ (Gesuchsbeilage [GB] 7). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in A. (ZG). Sie hat im Wesentlichen _ zum Zweck (GB 7). Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grdst.-Nr. 1234 GB S. (E- GRID: CH 12345 67890 12; GB 1). 3. Mit Gesuch vom 16. Oktober 2020 (Postaufgabe: 16. Oktober 2020) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: [...] - 2 - 4. Am 19. Oktober 2020 erliess der Vizepräsident folgende Verfügung: 1. Der Eingang des Gesuchs vom 16. Oktober 2020 wird den Parteien bestätigt. 2. Die Streitsache gehört ins summarische Verfahren (Art. 248 ZPO). 3. Das Gesuch um Erlass superprovisorischer Massnahmen vom 16. Oktober 2020 wird abgewiesen. 4. Die Gesuchsstellerin hat bis 30. Oktober 2020 einen Kostenvor- schuss von Fr. 2'000.00 an die Obergerichtskasse mit beiliegendem Einzahlungsschein zu bezahlen (Art. 98 ZPO i.V.m. Art. 101 ZPO). 5. Der Gesuchsgegnerin wird Frist bis 3. November 2020 für die Er- stattung einer schriftlichen Antwort angesetzt. 6. Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. Aus- nahmsweise ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichender Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustim- mung der Gegenpartei oder von der Partei nicht vorhersehbare oder nicht beeinflussbare Hinderungsgründe. 7. Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO). 5. Die Gesuchstellerin hat den Kostenvorschuss von Fr. 2'000.00 am 30. Ok- tober 2020 bezahlt. 6. 6.1. Mit Verfügung vom 4. November 2020 stellte der Vizepräsident fest, dass die Gesuchsgegnerin keine Gesuchsantwort erstattete und setzte daher eine letzte, nicht erstreckbare Frist von 7 Tagen für die Erstattung einer schriftlichen Antwort an. 6.2. Diese Verfügung wurde der Gesuchsgegnerin am 5. November 2020 zu- gestellt. - 3 - 7. Die Gesuchsgegnerin hat auch innert der Nachfrist keine Gesuchsantwort eingereicht. Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit 1.1. Bei der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts handelt es sich um einen Anwendungsfall des vorsorglichen Rechtsschutzes i.S.v. Art. 261 ff. ZPO.1 Für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ist deshalb das Gericht am Ort, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder am Ort, wo die Massnahme vollstreckt werden soll, zwingend örtlich zuständig (Art. 13 ZPO). Für Klagen auf Er- richtung gesetzlicher Pfandrechte ist das Gericht am Ort, an dem das Grundstück im Grundbuch aufgenommen ist, zuständig (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO). Das Grundstück der Gesuchsgegnerin, auf welchem die Gesuchstel- lerin ein Bauhandwerkerpfandrecht vorläufig eintragen lassen will, befindet sich in S. (AG). Die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte ist gegeben. 1.2. Die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters am Handelsgericht für den Erlass superprovisorischer und vorsorglicher Massnahmen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ZPO und § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO AG, da die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist, ge- gen den Entscheid – bei einem behaupteten Streitwert von Fr. 55'000.00 (vgl. Art. 51-53 BGG) – die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesge- richt offen steht und die Parteien im schweizerischen Handelsregister ein- getragen sind. 2. Säumnisentscheid Die Gesuchsgegnerin ist mit der Erstattung einer Gesuchsantwort innert der ihr angesetzten Frist und Nachfrist säumig geblieben. Die Säumnisfol- gen wurden der Gesuchsgegnerin in der Verfügung vom 4. November 2020 angedroht. Das Gericht erlässt damit entweder einen Endentscheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder es lädt zur Hauptverhandlung vor (Art. 219 i.V.m. Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die im Gesuch vorgebrachten Tatsachenbehauptungen sind vorliegend un- bestritten geblieben. Zugestanden sind damit die Tatsachen, nicht aber die 1 BGE 137 III 563 E. 3.3. - 4 - Rechtsbegehren der Gesuchstellerin. Bei erheblichen Zweifeln an der Rich- tigkeit einer nicht streitigen Tatsache, d.h. bei fehlender Spruchreife, kann das Gericht nach Art. 153 Abs. 2 ZPO von Amtes wegen Beweis erheben. Ist die Angelegenheit hingegen spruchreif, trifft das Gericht direkt einen En- dentscheid. Hierzu muss das Gesuch soweit geklärt sein, dass darauf man- gels Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten oder es durch Sachurteil erledigt werden kann. Dies setzt voraus, dass die Vorbringen der Gesuch- stellerin nicht unklar, widersprüchlich, unbestimmt oder offensichtlich un- vollständig sind, weil das Gericht gegebenenfalls seine Fragepflicht ausü- ben muss.2 3. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 3.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). 3.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.3 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.4 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.5 2 LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), 3. Aufl. 2016, Art. 223 N. 5 und 7; BSK ZPO-WILLISEGGER, 3. Aufl. 2017, Art. 223 N. 18 ff. 3 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. 4 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 5 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 1395. - 5 - 4. Pfandsumme 4.1. Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.6 4.2. Würdigung Die Darstellung der Gesuchstellerin, sie habe auf dem Grundstück der Ge- suchsgegnerin pfandberechtigte Arbeiten i.S.v. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB erbracht und daraus sei derzeit eine Forderung in Höhe von Fr. 55'000.00 noch unbeglichen, erscheint nach Massgabe des für die vorläufige Eintra- gung eines Bauhandwerkerpfandrechts stark herabgesetzten Beweismas- ses als glaubhaft gemacht (vgl. GB 2, 3 und 5). Im erwähnten Sinne glaub- haft gemacht ist ferner, dass die viermonatige Eintragungsfrist (Art. 839 Abs. 2 ZGB) noch nicht verstrichen ist (vgl. GB 4). 4.3. Verzugszinsen Befindet sich der Forderungsschuldner in Verzug, können auch Verzugs- zinsen eingetragen werden.7 Die pfandberechtigte Forderung erhöht sich entsprechend um die Verzugszinsen ohne zeitliche Beschränkung. Bei der vorläufigen Eintragung hat der Unternehmer seinen Vergütungsanspruch und seine Forderung auf Verzugszins (inkl. Beginn des Zinsenlaufes) glaubhaft zu machen (Art. 961 Abs. 3 ZGB).8 Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, so- fern die Parteien einen bestimmten Verfalltag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie z.B. "zahl- bar 30 Tage netto", ohne weitere Mahnung in Verzug.9 Die Gesuchstellerin verlangt die vorläufige Eintragung ihres Bauhandwer- kerpfandrechts in Höhe von Fr. 55'000.00 zusätzlich Verzugszins von 5 % ab dem 2. September 2020. Die Rechnungen der Gesuchstellerin stammen vom 25. Mai 2020 über Fr. 20'000.00, vom 17. Juni 2020 über Fr. 5'000.00 6 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 436, 438 und 547. 7 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 468; vgl. auch BGE 121 III 445 E. 5a; 142 III 73 E. 4.4.2. 8 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 555. 9 AGVE 2003, S. 38; VETTER/BUFF, Verzugszinsen bei «zahlbar innert 30 Tagen», SJZ 2019, S. 151 f. m.w.N.; BSK OR I-WIDMER LÜCHINGER/WIEGAND, 7. Aufl. 2019, Art. 102 N. 9b; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2017, N. 55.32. - 6 - und vom Fr. 15. Juli 2020 über Fr. 30'000.00. Sämtliche drei Rechnungen enthalten die Zahlungskondition "Zahlbar innert 30 Tage netto" (GB 5). Folglich befand sich die Gesuchsgegnerin mit allen drei Forderungen am 2. September 2020 längstens in Verzug, so dass der Gesuchstellerin die beantragten Verzugszinsen zuzusprechen sind. 5. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts für eine Pfandsumme von Fr. 55'000.00 zuzüglich Zins zu 5 % ab 2. September 2020 erfüllt sind 6. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei ungenutztem Ablauf der Frist ohne weiteres und ersatzlos gelöscht werde.10 Die Prose- quierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vor- liegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen.11 7. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und Parteientschädi- gung, werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 7.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 2'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 2'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 2'000.00, direkt zu ersetzen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 7.2. Die Gesuchstellerin macht eine Parteientschädigung geltend. Indes wird einer Partei, die nicht durch einen Anwalt vertreten ist, keine Entschädigung für die Kosten einer berufsmässigen Vertretung gemäss Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO zugesprochen. Nur in begründeten Fällen, wie bei komplizierten 10 SCHUMACHER (Fn. 3), N. 672 ff. 11 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 3), N. 688. - 7 - Streitsachen, grossem Arbeitsaufwand oder Erwerbsausfall eines Selb- ständigerwerbenden ist allenfalls eine Umtriebsentschädigung gemäss Art. 95 Abs. 3 lit. c ZPO angezeigt.12 Da es sich vorliegend aber weder um eine komplizierte noch besonders aufwendige Angelegenheit handelt, ist der Gesuchstellerin keine Umtriebsentschädigung zuzusprechen. 7.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handels- gericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder auf- grund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehalten. Der Vizepräsident erkennt: 1. In Gutheissung des Gesuchs vom 16. Oktober 2020 wird der Gesuchstel- lerin die Vormerkung einer vorläufigen Eintragung eines Bauhandwer- kerpfandrechts gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB auf dem Grund- stück der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 1234 GB S. (E-GRID: CH 12345 67890 12), für eine Pfandsumme von Fr. 55'000.00 zuzüglich Zins zu 5 % ab dem 2. September 2020 bewilligt. 2. Das Grundbuchamt Wohlen wird angewiesen, die Vormerkung gemäss vorstehender Dispositiv-Ziff. 1 sofort einzutragen. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 17. Februar 2021 beim zuständigen Ge- richt im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung des Bau- handwerkerpfandrechts anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkung im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht wird. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 2'000.00 sind von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin 12 SUTER/VON HOLZEN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 2), Art. 95 N. 40 f. - 8 - geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 2'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten der Ge- suchstellerin direkt zu ersetzen. 4.2. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. Zustellung an: die Gesuchstellerin die Gesuchsgegnerin Zustellung an: das Grundbuchamt Wohlen Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 9 - Aarau, 16. November 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002
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AG_HG_002_-Handelsrecht-Bauhan_2020-11-16
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_16._November_2020.pdf
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2015 Sozialversicherungsrecht 37 I. Sozialversicherungsrecht 3 Art. 5 und 64 MVG Haftung der Militärversicherung für die Verschlimmerung eines (vor- dienstlichen) Diabetes mellitus während der Dienstzeit; Ausmass der Haf- tung - Der Diabetes mellitus ist vor Dienstantritt aufgetreten, womit das Er- fordernis der Vordienstlichkeit gemäss Art. 5 Abs. 2 lit. a MVG er- füllt ist (E. 3.1). - Unter dem Aspekt des Sicherheitsbeweises konnte medizinisch eine gewisse Verschlimmerung während des Dienstes nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Beschwerdegegnerin gelang damit be- züglich Art. 5 Abs. 2 lit. b MVG der Nachweis nicht, dass mit Sicher- heit keine dienstliche Verschlechterung stattgefunden habe, weshalb sie ihre Haftung nicht ablehnen durfte (E. 3.2.2). - Die Leistungen der Militärversicherung werden nach Art. 64 MVG angemessen gekürzt, wenn die versicherte Gesundheitsschädigung nur teilweise auf Einwirkungen während des Dienstes zurückgeht. Damit eine Kürzung vorgenommen werden kann, muss die nichtver- sicherte Schadensursache eine natürliche und adäquate Teilursache der Gesundheitsschädigung bilden. Bei der Leistungsreduktion gilt der Beweisgrad der empirischen Sicherheit (E. 4.2). - Vorliegend liegt das Ausmass der dienstfremden Einflüsse auf den Diabetes mellitus bei 95%. Daraus kann aber noch nicht auf die Haf- tungsquote geschlossen werden, denn zusätzlich ist die Angemessen- heit der Kürzung zu beurteilen, weshalb die Sache diesbezüglich an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen war (E. 4.3). Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 2. Kammer, vom 8. Januar 2015 i.S. R.E. gegen Suva Abteilung Militärversicherung (VBE.2014.296). 2015 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 38 Aus den Erwägungen 2. 2.1 ( Haftungsgrundsätze nach Art. 4 f. MVG ) 2.2. Art. 5 Abs. 1 MVG statuiert die gesetzliche Vermutung, wonach die während des Dienstes in Erscheinung getretene und festgestellte Gesundheitsschädigung während des Dienstes (vollständig) verur- sacht worden ist (sog. Kontemporalitätshaftung; C HRISTOF S TEGER - B RUHIN , Die Haftungsgrundsätze der Militärversicherung, 1996, S. 215; J ÜRG M AESCHI , Kommentar MVG vom 19. Juni 1992, 2000, N. 13 f. zu Art. 5). Die Vermutung bezieht sich dabei auf den natürli- chen sowie adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 111 V 370 E. 1b S. 272 f.; J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 30 bei Vorbemerkungen zu Art. 5 bis 7). Die Haftung erstreckt sich auf alle ungünstigen Einwir- kungen während des Dienstes, d.h. nicht nur durch den Dienst be- dingte Ursachen oder typische Militärgefahren. Sie beschränkt sich nicht auf die im spezifischen Militärrisiko begründeten Gefahren, sondern umfasst auch Schädigungen, die lediglich bei Gelegenheit des Dienstes verursacht worden sind und somit "dienstgleichzeitig" sind (C HRISTOF S TEGER , Die Haftungsgrundsätze in der Militärver- sicherung, SZS 2001, S. 250). 2.3. Für Gesundheitsschädigungen, welche während des Militär- diensts in Erscheinung getreten sind, gilt bei zeitlichem Zusammen- treffen von Dienst und Schädigung die widerlegbare Vermutung der dienstlichen Verursachung (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 17 zu Art. 5). Art. 5 Abs. 2 MVG bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Vermutung widerlegt werden kann. Der Entlastungsbeweis enthält ei- nerseits den Beweis der Dienstfremdheit im weiteren Sinne (Art. 5 Abs. 2 lit. a MVG) und andererseits den der fehlenden Verschlimme- rung (Art. 5 Abs. 2 lit. b MVG). Dabei hat die Militärversicherung die Entlastungsbeweise mit dem Beweisgrad der Sicherheit zu erbringen. Der Begriff der Sicherheit ist nicht absolut, sondern rela- tiv zu verstehen. Er bedeutet mehr als hohe Wahrscheinlichkeit, nicht 2015 Sozialversicherungsrecht 39 aber völlige Gewissheit und bewegt sich im Rahmen einer an Sicher- heit grenzenden Wahrscheinlichkeit (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 21 zu Art. 5; BGE 105 V 225 E. 4a S. 230). 3. 3.1 ( Wiedergabe der medizinischen Akten ) Nachdem Dr. med. K. eine Diagnose gestellt und eine adäquate medikamentöse Therapie (...) aufgenommen hatte, ist erstellt, dass der Diabetes mellitus vor dem Dienstantritt am xx.xx.2001 aufgetreten war. Unabhängig da- von, ob die Therapie bis zum Diensteintritt durchgeführt wurde, ist die Vordienstlichkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 2 lit. a MVG somit er- füllt. 3.2 3.2.1 ( Widergabe der medizinischen Akten ) 3.2.2 Die versicherungsmedizinische Stellungnahme basiert auf den Akten. Dr. med. R. analysierte den Verlauf der Krankengeschichte sorgfältig im Hinblick auf die verschiedenen Blutwerte und die vorgenommenen Therapien. Seine Folgerungen sind begründet und nachvollziehbar. Sie wird von den Parteien nicht gerügt (zum Rüge- prinzip: BGE 119 V 347 E. 1a S. 349 f., 110 V 48 E. 4a S. 52 f.). Es bestehen somit keine auch nur geringen Zweifel an der medizini- schen Beurteilung, weshalb darauf abzustellen ist (zum Beweiswert ärztlicher Berichte: BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232, insbes. von versi- cherungsinternen Ärzten: BGE 135 V 465 E. 4.6 S. 471). Demnach ist davon auszugehen, dass nicht mit Sicherheit eine gewisse dienstli- che Verschlimmerung ausgeschlossen werden kann. Da Dr. med. R. keinen Zeitpunkt nannte, an dem der Status quo sine erreicht sei, ist von einer dauerhaften Verschlechterung auszugehen. Dieser genannte Zeitpunkt kann im Übrigen nur ausnahmsweise festgelegt werden, weil ein hypothetischer Sachverhalt zu beurteilen ist - worauf auch Dr. med. R. hinwies -, und das Gesetz mit dem Sicherheitsbeweis (vgl. E. 2.3.) keinen Raum für Vermutungen lässt (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 42 zu Art. 5). Auch wenn Dr. med. R. nur einen sehr klei- nen Diensteinfluss erkannte, konnte die Beschwerdegegnerin im Hin- 2015 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 40 blick auf Art. 5 Abs. 2 lit. b MVG nicht nachweisen, dass mit Sicher- heit keine Verschlechterung stattgefunden hatte. Somit konnte sie ihre Haftung für den Diabetes mellitus (...) nicht ablehnen. Soweit die Beschwerdegegnerin vorbringt, die dienstliche Ver- schlimmerung sei nur vorübergehender Natur gewesen (...), wider- spricht sie Dr. med. R. Er hat nachvollziehbar und in Überein- stimmung mit den Akten begründet, worin die dienstliche Ver- schlimmerung bestand (vgl. E. 3.2.1: Intensivierung der Diabetes- Therapie, neu aufgetretene Sekundärkomplikationen). Entgegen der Beschwerdegegnerin beurteilt sich die Frage des Haftungsaus- schlusses ("Ausstiegsfrage" gem. C HRISTOF S TEGER , Die Haftungs- grundsätze in der Militärversicherung, SZS 2001, S. 256) nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Vielmehr ist nach dem Massstab der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlich- keit zu entscheiden (vgl. E. 2.3.). Die diesbezügliche Argumentation der Beschwerdegegnerin ist im Unfallversicherungsrecht nach dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung verhaftet; vorliegend sind aber die besonderen Normen des MVG anwendbar. Auch ist unzu- treffend, dass das Bundesgericht (mit M AESCHI ) der Kontemporali- tätshaftung (vgl. E. 2.2.) nicht folge (vgl. exemplarisch Urteil des Bundesgerichts M 8/05 vom 25. August 2006 E. 3.1 und 6), weshalb die Ausführungen zur Kausalität nicht verfangen. 4. 4.1. Nach der Bejahung der (grundsätzlichen) Haftung ist die An- schlussfrage des Haftungsausmasses zu beantworten. 4.2. Bezüglich des Ausmasses der Haftung bestimmt Art. 64 MVG (Leistungsbemessung bei Teilhaftung), dass die Leistungen der Mili- tärversicherung angemessen gekürzt werden, wenn die versicherte Gesundheitsschädigung nur teilweise auf Einwirkungen während des Dienstes zurückgeht. Von der Kürzung sind nur Geldleistungen be- troffen (Art. 66 MVG). Damit eine Kürzung vorgenommen werden kann, muss die nichtversicherte Schadensursache eine natürliche und adäquate Teil- ursache der Gesundheitsschädigung bilden. Bei der Leistungsre- 2015 Sozialversicherungsrecht 41 duktion gelten die gleichen Beweisregeln, wie sie für die Bundeshaf- tung Geltung haben; im Rahmen von Art. 5 MVG der Beweisgrad der empirischen Sicherheit (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 13 ff. zu Art. 64). Nach der Rechtsprechung (in BGE 123 V 137 nicht publizierte E. 4) sind bei der Festsetzung des Kürzungsmasses namentlich die vordienstliche Gesundheitsschädigung, ihr Stadium beim Dienstein- tritt, ihr mehr oder weniger schicksalsmässiger Charakter, ihr mut- masslicher Verlauf ohne den Dienst, die Dauer des Dienstes, die Na- tur der gesundheitlichen Einwirkungen während des Dienstes sowie der Umstand zu berücksichtigen, inwiefern diese von den zivilen Einflüssen, denen der Versicherte ohne den Dienst ausgesetzt wäre, verschieden sind (Urteil des Bundesgerichts M 8/05 vom 25. August 2006, E. 8.1; J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 19 zu Art. 64). Art. 64 MVG sieht sodann keine reine verhältnismässige Leistungskürzung vor. Im Rahmen der Angemessenheit sind die persönlichen und wirtschaftli- chen Verhältnisse des Versicherten zu berücksichtigen, so die Unter- haltspflichten des Anspruchsberechtigten, Einkommen und Vermö- gen sowie allfällige Schulden (Urteil des Bundesgerichts, a.a.O., E. 8.4 unter Hinweis auf J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 18 zu Art. 64). 4.3. Was die medizinischen Kriterien betrifft, ist festzustellen, dass sich Dr. med. R. damit in seiner Stellungnahme auseinandersetzte. Auch würdigte er den vordienstlichen Gesundheitszustand des Be- schwerdeführers anhand der Angaben von Dr. med. K. Er kam zum Schluss, dass das Ausmass der durch dienstliche Einwirkungen verursachten Verschlimmerung sehr gering sei. Er schätzte die dienstfremden Einflüsse bei diesem Diabetes mellitus auf "sicher" 95 %. Nachdem seiner Stellungnahme Beweiswert zukommt (vgl. E. 3.2.2.), ist darauf abzustellen. Daraus kann aber noch nicht auf die Haftungsquote geschlossen werden, denn zusätzlich ist die Ange- messenheit der Kürzung zu beurteilen. Weil darüber keine Angaben in den Akten liegen und hierbei der Beschwerdegegnerin ein ge- wisser Ermessensspielraum zusteht (Urteil des Bundesgerichts M 8/05 vom 25. August 2006, E. 8.4), ist die Streitsache an sie zurückzuweisen, damit sie die Haftungsquote festlege.
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AG_VSG_001_AGVE-2015-3_2015-01-02
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2015 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 42 4 Art. 5 und 8 f. AHVG; Art. 6 ff. AHVV Ob die Tätigkeit als Gemeindeschreiber ad interim sozialversicherungs- rechtlich eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit darstellt, ist unabhängig des vereinbarten Vertrags aufgrund der konkreten Verhält- nisse zu bestimmen. Relevanz des kommunalen Rechts. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 13. Januar 2015 i.S. H.G. gegen Ausgleichskasse A. (VBE.2014.365). Aus den Erwägungen 1. 1.1 (Grundsätze zur Beitragspflicht von Erwerbstätigen nach Art. 5 und 8 f. AHVG sowie Art. 6 ff. AHVV) 1.2. 1.2.1. Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzel- fall selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht aufgrund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Entscheidend sind vielmehr die tatsächlichen wirtschaftli- chen Gegebenheiten. Die zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen da- bei allenfalls gewisse Anhaltspunkte für die sozialversicherungs- rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch ausschlaggebend zu sein. Als unselbständig erwerbstätig ist im Allgemeinen zu betrach- ten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt (Urteil des Bundesgerichts 9C_799/2011 vom 26. März 2012 E. 3.2). 1.2.2. Aus diesen Grundsätzen allein lassen sich indessen noch keine einheitlichen, schematisch anwendbaren Lösungen ableiten. Die 2015 Sozialversicherungsrecht 43 Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu, die beitragsrechtliche Stellung eines Erwerbstätigen je- weils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zutage treten, muss sich der Entscheid oft danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall überwiegen (BGE 123 V 161 E. 1 S. 162 f.; BGE 122 V 169 E. 3a S. 171; Urteil des Bundesgerichts 9C_946/2009 vom 30. September 2010 E. 2.1). 1.3. 1.3.1. Charakteristische Merkmale einer selbständigen Erwerbstätig- keit sind die Tätigung erheblicher Investitionen, die Benützung eige- ner Geschäftsräumlichkeiten sowie die Beschäftigung von eigenem Personal. Das spezifische Unternehmerrisiko besteht dabei darin, dass unabhängig vom Arbeitserfolg Kosten anfallen, die der Er- werbstätige selber zu tragen hat. Für die Annahme selbständiger Er- werbstätigkeit spricht sodann die gleichzeitige Tätigkeit für mehrere Kunden in eigenem Namen, ohne indessen von diesen abhängig zu sein. Massgebend ist dabei nicht die rechtliche Möglichkeit, Arbeiten von mehreren Auftraggebern anzunehmen, sondern die tatsächliche Auftragslage (BGE 122 V 169 E. 3c S. 172 f.). 1.3.2. Von unselbständiger Erwerbstätigkeit ist auszugehen, wenn die für den Arbeitsvertrag typischen Merkmale vorliegen, d.h. wenn die erwerbstätige Person Dienst auf Zeit zu leisten hat, wirtschaftlich vom "Arbeitgeber" abhängig ist und während der Arbeitszeit auch in dessen Betrieb eingeordnet ist, praktisch also keine andere Erwerbs- tätigkeit ausüben kann. Indizien dafür sind das Vorliegen eines be- stimmten Arbeitsplans, die Notwendigkeit, über den Stand der Arbei- ten Bericht zu erstatten, sowie das Angewiesensein auf die Infra- struktur am Arbeitsort. Das wirtschaftliche Risiko des Erwerbstätigen erschöpft sich diesfalls in der alleinigen Abhängigkeit vom per- sönlichen Arbeitserfolg oder, bei einer regelmässig ausgeübten Tätig- keit, darin, dass bei Dahinfallen des Erwerbsverhältnisses eine ähn- liche Situation eintritt, wie dies beim Stellenverlust eines Arbeitneh- mers der Fall ist (BGE 122 V 169 E. 3c S. 172 f.). Wenn eine Person 2015 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 44 kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt, die Aufträge nicht selber zu akquirieren hat, keinen massgeblichen Kapitaleinsatz und keine Investitionen zu tätigen hat und keine Unkosten für Personal und Miete trägt, jedoch einer gewissen Weisungsbefugnis untersteht, ist daher eine unselbständige Erwerbstätigkeit anzunehmen. 1.4. Bei erwerbstätigen Personen, die gleichzeitig mehrere Tätigkei- ten ausüben, darf es für die Qualifizierung als Selbständig- bzw. Un- selbständigerwerbender nicht auf den überwiegenden Charakter ihrer Gesamttätigkeit ankommen; es ist deshalb ohne weiteres möglich, dass eine erwerbstätige Person für ein Unternehmen als Unselb- ständigerwerbstätiger und für ein anderes oder auch für das gleiche Unternehmen hinsichtlich einer anderen Aufgabe als Selbständiger- werbender tätig ist (H ANSPETER K ÄSER , Unterstellung und Bei- tragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl., Zürich 1996, Rz. 4.3). Hierbei ist jedoch rechtsprechungsgemäss namentlich auch Koordinationsgesichtspunkten Rechnung zu tragen (BGE 123 V 161 E. 4a S. 167). Dies gilt vorab bei Erwerbstätigen, die gleichzeitig mehrere Tätigkeiten für verschiedene oder denselben Arbeit- oder Auftraggeber ausüben. Es soll nach Möglichkeit vermieden werden, dass verschiedene Erwerbstätigkeiten für denselben Arbeit- oder Auftraggeber oder dieselbe Tätigkeit für verschiedene Arbeit- oder Auftraggeber unterschiedlich, teils als selbständige, teils als unselb- ständige Erwerbstätigkeit, qualifiziert werden (BGE 119 V 161 E. 3b S. 163 f.; Urteile des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 12/04 vom 17. Februar 2005 E. 3 und H 300/98 vom 4. Juli 2000 E. 8d/aa). 2. - 3. (...) 4. 4.1. (...) Dem (...) Vertrag zwischen der Beigeladenen und dem Be- schwerdeführer vom 19. August 2013 ist zu entnehmen, dass der Be- schwerdeführer aufgrund verschiedener Personalabgänge bei der fraglichen Gemeinde mit sofortiger Wirkung "interimsweise als Ge- meindeschreiber" mit einem Pensum von 30 bis 40 % tätig wurde. Dazu hatte der Beschwerdeführer ab Kalenderwoche 35 des Jahres 2015 Sozialversicherungsrecht 45 2013 in der Regel am Montag, Mittwoch und Freitag je halbtags so- wie alle zwei Wochen am Dienstagabend für die Gemeinderatssit- zung anwesend zu sein. Die Teilnahme an weitere Sitzungen und Be- sprechungen erfolgte nach Bedarf. Der Beschwerdeführer hatte im Rahmen seiner Tätigkeit insbesondere auch "die notwendigen perso- nellen Strukturen herzustellen" sowie eine klare Aufgabenverteilung und die Anwesenheitsregelung das (Teilzeit-)Personal betreffend si- cherzustellen (...). Hinsichtlich der Dauer des Einsatzes wurde fest- gelegt, dass dieser am 19. August 2013 beginne und mit der Tätig- keitsaufnahme des neuen Gemeindeschreibers sowie dessen Stell- vertretung ende. Möglich sei ab letzterem Zeitpunkt eine Fortsetzung des Engagements im Sinne eines Coachings mit allenfalls reduzier- tem Pensum (...). Der Beschwerdeführer verpflichtete sich zur "vor- schriftsgemässen Ausführung des Auftrages unter Einhaltung der ge- setzlichen Bestimmungen" und haftete für getreue und sorgfältige Ausführung (...). Das Honorar betrug Fr. 130.00 pro Stunde. Die Auszahlung erfolgte jeweils Ende Monat gegen Rechnungsstellung. Notwendige Fahrten ausserhalb der Gemeinde ausgenommen, waren damit sämtliche Spesen abgegolten, wobei Versicherungsprämien inkl. der AHV/IV/EO-Beiträge vollumfänglich zu Lasten des Be- schwerdeführers gingen (...). Der Vertrag wurde von den Parteien dem Auftragsrecht des Obligationenrechts (OR) unterstellt (...). 4.2. Gemäss § 40 Abs. 1 Gemeindegesetz werden der Gemeinde- schreiber und dessen Stellvertreter vom Gemeinderat auf Amtsdauer gewählt beziehungsweise durch öffentlich-rechtlichen Vertrag oder durch Verfügung auf unbefristete oder befristete Dauer angestellt. § 50 Abs. 1 des Gemeindegesetzes erlaubt es den Gemeinden, ein Dienst- und Besoldungsreglement zu erlassen. Fehlt ein solches oder enthält es Lücken, gelten sinngemäss die entsprechenden Bestim- mungen des kantonalen Personalrechts. Bereits daraus erhellt, dass die Tätigkeit eines Gemeindeschreibers nicht dem Obligationenrecht unterstellt werden kann. (...) Ferner ist nach Aktenlage (...) und § 40 Abs. 1 Gemeindegesetz allenfalls davon auszugehen, dass der Be- schwerdeführer nicht oder nicht für die ganze massgebende Periode ordentlich zum Gemeindeschreiber bestellt wurde. Dies ist jedoch für 2015 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 46 die sozialversicherungsrechtliche Qualifikation weiter nicht massge- bend und daher nicht zu vertiefen, ist doch für die Beurteilung, ob eine selbständige oder eine unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt auf die konkreten Verhältnisse abzustellen (vgl. E. 1.2.1). Da jedoch mindestens die Vertragsparteien davon ausgingen, es handle sich um eine Gemeindeschreibertätigkeit und dies offenkundig auch so gelebt wurde (...), darf zur Beurteilung der konkreten Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den Parteien auf die die Gemeindeschrei- bertätigkeit konkretisierenden gesetzlichen Bestimmungen zurückge- griffen werden. 4.3. 4.3.1. (...) 4.3.2. Nicht jede Investition, die aus beruflichen Gründen erfolgt, ist als Hinweis für das Vorliegen eines spezifischen Unternehmensrisi- kos geeignet. Darunter sind nur Investitionen zu verstehen, die aus- schliesslich oder zumindest vorwiegend zu beruflichen Zwecken er- folgen und zudem von einer gewissen Bedeutung sind (K ÄSER , a.a.O., Rz. 4.16 f. mit weiteren Hinweisen). Insbesondere bezüglich der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Weiterbildungskosten ergibt sich aus den Akten, dass diese alle vor Aufnahme der fragli- chen Tätigkeit angefallen sind (...). Der Beschwerdeführer führt denn auch selber aus, erst durch einige dieser Weiterbildungen sei ihm überhaupt die Idee gekommen, sich entsprechend beruflich zu verändern und zu betätigen (...). In Anbetracht der weiteren Tätig- keiten des Beschwerdeführers (Geschäftsleiter der sozialen Fach- bereiche des Bezirks A., Leiter Berufsbeistandschaft A. und Fach- referent für überbetriebliche Kurse im Rahmen der kaufmännischen Ausbildung) sowie dessen früherer Tätigkeit als Gemeindeschreiber (...) muss dann auch vielmehr geschlossen werden, dass die Weiter- bildungen primär im Zusammenhang mit diesen standen. Besonders aus der Tätigkeit als Fachreferent mit einer nicht unerheblichen Anzahl gehaltener Lektionen dürfte sich auch eine starke Misch- nutzung der Büroräumlichkeiten und der angeschafften Infrastruktur ergeben. Demnach beschränken sich die angegebenen Investitionen 2015 Sozialversicherungsrecht 47 grundsätzlich auf die Büroräumlichkeiten und sind auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers auf rund Fr. 9'000.00 festzusetzen (...), weshalb die Erheblichkeit der Investitionen zu verneinen ist (vgl. Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 381/1999 vom 26. September 2001 E. 4a), sofern diese überhaupt ausschliess- lich oder zumindest vorwiegend der behaupteten selbständigen Erwerbstätigkeit dienen (vgl. P ETER F ORSTER , AHV-Beitragsrecht, Diss. 2007, S. 427 ff.). Auch mit den weiteren genannten Investitionen wie dem Kauf eines Autos - welches auch für den privaten Gebrauch verwendet werden kann - hat der Beschwerdeführer keine erheblichen Inves- titionen getätigt, welche für das Vorliegen eines spezifischen Unter- nehmensrisikos sprechen würden. Dies gilt umso mehr, als min- destens für Fahrten in Ausübung der vertragsgemässen Tätigkeiten ausserhalb des Gemeindegebiets Spesenentschädigungen vorgesehen waren (...). Des Weiteren beschäftigte der Beschwerdeführer kein Personal und hat nach eigenen Angaben keine Offerten erstellt (...). Kostenpflichtige Werbung wurde bloss im Sinne einer Markteintritts- ankündigung und nur in äusserst geringem Ausmass betrieben (...). Hingegen trat der Beschwerdeführer mit diesen Werbeschreiben und tritt er insbesondere auch mit seiner Internetseite nach aussen sichtbar für eine unbestimmte Anzahl Kunden am Markt auf. Ferner hat der Beschwerdeführer Visitenkarten drucken lassen (...). 4.3.3. Für seine Arbeiten stellte der Beschwerdeführer in der Regel in monatlichen Abständen Rechnung (...), womit sich seine Entschädi- gung in Zeiteinheiten bemisst, was für eine arbeitnehmerähnliche Stellung spricht (Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich AB.2012.00033 vom 14. Mai 2014 E. 3.3 in fine). Hinsicht- lich der von ihm in Rechnung gestellten Arbeiten trägt der Beschwer- deführer zwar grundsätzlich das Inkasso- und Delkredererisiko. Auf Grund des wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses des Be- schwerdeführers zu seinem Vertragspartner tritt jedoch beim Wegfall der Tätigkeit eine ähnliche Situation ein, wie dies beim Stellenverlust eines Arbeitnehmers der Fall wäre (BGE 122 V 169 E. 3c; BGE 119 V 163 E. 3b). Anders als bei der Übernahme gegen eine pauschale 2015 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 48 Entschädigung besteht bei einer stundenweisen Abrechnung auch kein Risiko hinsichtlich des zu erwartenden Aufwands der Arbeit. Schliesslich ist der Beschwerdeführer mindestens teilweise auf die Infrastruktur des Vertragspartners (Dokumentationen, Akten, Daten- verarbeitungsanlagen resp. Datenbanken) angewiesen (vgl. ZAK 1982 S. 185). Einzig das vereinbarte Stundenhonorar von Fr. 130.00, welches deutlich über dem für eine unselbständige Erwerbstätigkeit vergleichbarer Art zu erwartenden Lohn liegt, kann als Indiz für eine selbständige Erwerbstätigkeit gesehen werden (Urteil des Bundes- gerichts 9C_1094/2009 vom 31. Mai 2010 E. 3.7 mit Hinweis auf Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 195/05 vom 19. Oktober 2006 E. 5). 4.3.4. Es fehlt damit zusammenfassend an erheblichen Investitionen und es besteht nur ein bestenfalls geringes Unternehmerrisiko. Der Umstand fehlender Investitionen und derjenige eines minimalen Unternehmerrisikos sind jedoch bei der vorliegend zu beurteilenden Dienstleistungstätigkeit nicht aussergewöhnlich. Ihnen darf nicht unabhängig ihres Zusammenhangs entscheidendes Gewicht verliehen werden. Vielmehr ist der Fokus auch auf die konkrete Ausgestaltung der Tätigkeit und damit auf die Frage nach einem Abhängigkeitsver- hältnis zu richten (Urteil des Bundesgerichts 9C_799/2011 vom 26. März 2012 E. 5.5). 4.4. 4.4.1. Für die Beurteilung einer allfälligen arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit ist zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer einer Weisungsgebundenheit unterliegt, rechenschaftspflichtig ist und sich in eine fremde Arbeitsorganisation einzugliedern hatte (T HOMAS G ÄCHTER , Die Abgrenzung von selbstständiger und unselbstständi- ger Erwerbstätigkeit, in: Aktuelle Fragen des Sozialversicherungs- und Migrationsrecht aus der Sicht der KMU, 2009, S. 1 ff., S. 10). 4.4.2. (...) Der Beschwerdeführer übte (...) im Wesentlichen in der öffentlichen Verwaltung eine Amtstätigkeit aus. Eine solche bedingt die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Gemeinwesens, für 2015 Sozialversicherungsrecht 49 das die betreffende Person tätig ist. Des Weiteren besteht regelmässig eine Gebundenheit an die gesetzlichen Vorgaben und die bestehenden Weisungen. Die aushilfsweise Übernahme von Gemeindeaufgaben stellt daher rechtsprechungsgemäss grundsätzlich eine unselbstän- dige Tätigkeit dar, da die Merkmale einer solchen überwiegen (vgl. statt vieler BGE 98 V 230 E. 3 S. 233 mit Hinweisen sowie Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich AB.2010.00010 vom 6. Juni 2011 E. 3.1 mit Hinweisen). Dies gilt auch für Ange- stellte der öffentlichen Verwaltung sowie Personen, die Kraft staat- licher Ernennung eine Funktion in der öffentlichen Verwaltung ausü- ben (vgl. K ÄSER , a.a.O., Rz. 4.67 f. mit weiteren Hinweisen). 4.4.3. Konkret stand der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Tätig- keit als Gemeindeschreiber der Gemeindekanzlei vor (vgl. hierzu A NDREAS B AUMANN , Aargauisches Gemeinderecht, 3. Aufl. 2005, S. 297 f.) und hatte sich damit in die bestehende arbeitsorganisatori- sche Gliederung der Gemeindeverwaltung einzufügen. Er unterstand schon von Gesetzes wegen den Weisungen des ihm vorgesetzten Ge- meinderates, der Führungs- und Vollzugsorgan der Gemeinde ist (§ 36 Gemeindegesetz, vgl. auch B AUMANN , a.a.O., S. 297). Aus den zahlreichen Regelungen betreffend Aufsicht über die Gemeindever- waltung (§§ 20 Abs. 3, 37 Abs. 2 lit. b und 100 ff. des Gemeinde- gesetzes) und damit auch über die Tätigkeit des Gemeindeschreibers ergibt sich ferner eine umfassende Rechenschaftspflicht. Schliesslich bestand, wenn auch mit gewissen Freiheiten, grundsätzlich eine Präsenzpflicht, die sich im Übrigen mindestens hinsichtlich der Ge- meinderatssitzung bereits aus dem Gesetz ergibt (§ 40 Abs. 3 Ge- meindegesetz). All diese Faktoren lassen keine Anhaltspunkte er- kennen, die auf eine selbständige Erwerbstätigkeit hindeuten würden. Die Art der Tätigkeit des Beschwerdeführers und sein Einsatz infolge personeller Engpässe seitens der Beigeladenen sind weiter vergleichbar mit der Tätigkeit eines freien Mitarbeiters, der fallweise zur Lösung besonderer Aufgaben beigezogen wird. Wie Akkordanten tragen die freien Mitarbeiter nicht nur selten ein spezifisches Unter- nehmerrisiko, sie sind auch - bedingt durch die Art ihrer Tätigkeit - regelmässig arbeitsorganisatorisch in die Abläufe und die Organisati- 2015 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 50 onsstruktur ihres Vertragspartners eingebunden (K ÄSER , a.a.O., Rz. 4.65). Aus den im verurkundeten Vertrag vom 19. August 2013 (...) beschriebenen Zielen und Aufgaben ergibt sich, dass der Be- schwerdeführer primär überbrückungsweise für die Bewältigung des Tagesgeschäfts beigezogen wurde, wie dies für einen freien Mitar- beiter typisch ist. Der Beschwerdeführer bezeichnet sich denn auch selber als "Troubleshooter" (...). Selbst wenn der Gemeinderat, wie dies vom Beschwerdeführer behauptet wird, möglicherweise seine Weisungs- und Kontrollrechte nicht umfassend wahrnahm, so war der Beschwerdeführer doch eindeutig in arbeitnehmerähnlicher Art in die bestehenden Verwaltungsstrukturen der Gemeinde eingebun- den und nahm dort sogar Führungsaufgaben wahr. Insbesondere war die freie Lösung struktureller Aufgaben, wie dies bspw. bei externen Unternehmensberatern (vgl. K ÄSER , a.a.O., Rz. 4.65) oder externen Supervisoren (vgl. Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kann- tons Zürich AB.2010.00010 vom 6. Juni 2011 E. 3.2) der Fall ist, nicht vorgesehen. Der Beschwerdeführer stand damit der Beigelade- nen nicht als gleichberechtigter Partner gegenüber, was ebenfalls auf eine unselbständige Erwerbstätigkeit hindeutet (ZAK 1983 S. 198). 4.4.4. Zusammenfassend ist daher zu schliessen, dass der Beschwer- deführer einer Weisungsgebundenheit unterlag, rechenschaftspflich- tig war und sich in eine fremde Arbeitsorganisation einzugliedern hatte, was auf das Vorliegen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit hindeutet. 4.5. Im Sinne vorstehender Erwägungen ist daher festzustellen, dass sowohl Merkmale einer selbständigen als auch einer unselbständigen Erwerbstätigkeit vorliegen. Auf Grund des erkannten minimalen unternehmerischen Risikos und dem Fehlen massgebender Investitio- nen sowie der Weisungsgebundenheit, Rechenschaftspflicht und der Subordination unter eine fremde Arbeitsorganisation überwiegen die für eine unselbständige Erwerbstätigkeit sprechenden Indikatoren je- doch klar. Einzig ein minimaler Marktauftritt (Internetseite, Visiten- karten, Werbeschreiben bei Markteintritt), das vereinbarte Stunden- honorar sowie eine gewisse Freiheit bei der Arbeitszeitgestaltung in- 2015 Sozialversicherungsrecht 51 dizieren eine selbständige Tätigkeit, haben aber infolge Häufung und Eindeutigkeit der erwähnten, für eine unselbständige Erwerbstätig- keit sprechenden Umstände, schliesslich in den Hintergrund zu treten (BGE 123 V 161 E. 1 S. 162 f. mit Hinweisen). Dies führt dazu, dass der Beschwerdeführer bezüglich der Tätigkeit als Gemeindeschreiber ad interim für die Beigeladene zwischen dem 19. August 2013 und dem 28. Februar 2014 als unselbständigerwerbend zu qualifizieren ist. 5. 5.1. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, er sei nach Stellenantritt des neuen ordentlichen Gemeindeschreibers der Beige- ladenen per 1. März 2014 weiterhin für die Gemeinde tätig gewesen, jedoch ohne vertragliche Grundlage (...). 5.2. Dem Vertrag zwischen dem Beschwerdeführer und der Beigela- denen vom 19. August 2013 (...) ist unter Ziff. 2 zu Dauer und Been- digung des Vertragsverhältnisses zu entnehmen, dass der Vertrag mit der Erwerbsaufnahme des neuen Gemeindeschreibers und dessen Stellvertretung endet, wobei eine Fortsetzung im Sinne eines Coachings als möglich bezeichnet wird. Der Beschwerdeführer gab in der als integrierenden Bestandteil der Beschwerdeschrift erklärten Einsprache vom 14. März 2014 an, er führe seine Tätigkeit für die Beigeladene als Coach weiter (...). Demnach ist von einer Verlänge- rung des Engagements wie in der erwähnten vertraglichen Regelung auszugehen und nicht etwa von "ausservertraglichen" (...) Leistun- gen. Dafür spricht auch, dass der Beschwerdeführer im Wesentlichen die gleichen Tätigkeiten wie bis anhin fortführte (...) und nicht etwa ein reines Coaching zugunsten des neuen ordentlichen Gemeinde- schreibers vorlag. Soweit überhaupt ein Coaching vorgelegen haben sollte, ist auf Grund der Umstände darauf zu schliessen, dass dieses insbesondere dem Wissenstransfer diente. Der Beschwerdeführer wurde also aus Sicht der Gemeinde zum Know-how-Erhalt in der bisherigen Tätigkeit weiterbeschäftigt. Ein eigentliches Coaching wie dies ein externer Unternehmensberater oder Supervisor 2015 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 52 durchführen würde, wird weder behauptet noch ergibt sich ein sol- ches aus den Akten. 5.3. Da der Beschwerdeführer zusammenfassend ab dem 1. März 2014 hauptsächlich die gleiche Arbeit weiterführt wie bisher (ergänzt um den vom Vertragspartner gewollten Wissenstransfer) ist für die Beurteilung dieser Periode auf das zur früheren Tätigkeit für den gleichen Vertragspartner zwischen dem 19. August 2013 und dem 28. Februar 2014 Gesagte zu verweisen und auf unselbständige Erwerbstätigkeit zu erkennen. Gleiches gilt auch, soweit eine bereits angefangene Arbeit noch beendet wurde (vgl. ZAK 1953 S. 417).
4,805
3,775
AG_VSG_001
AG_VSG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VSG_001_AGVE-2015-4_2015-01-01
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-4.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2015-4.pdf
AGVE_2015_4
null
nan
0529d66c-24c2-56ac-9a23-8e5f78c33617
1
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1,462,060,800,000
2,016
de
2016 Sozialversicherungsrecht 45 [...] 3 Art. 4 und 9 AHVG; Art. 17 und 23 AHVV Ob die Tätigkeit als Wertschriftenhändlerin sozialversicherungsrechtlich als beitragspflichtige selbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 9 AHVG oder als beitragsfreie Verwaltung des privaten Vermögens zu qua- lifizieren ist, bestimmt sich insbesondere aufgrund der Höhe des Trans- aktionsvolumens sowie des Einsatzes erheblicher fremder Mittel zur Fi- nanzierung der Geschäfte. Rund 30 Transaktionen pro Kalendermonat mit kurzfristig gehaltenen Derivaten erscheinen aufgrund der gewählten Finanzinstrumente nicht als ungewöhnlich hoch. Fehlender Einsatz von risikobegründenden erheblichen Fremdmitteln stellt ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit dar. Die schwerpunktmässige Verwendung von Derivaten begründet alleine keine Annahme von Gewerbsmässigkeit. Die Gewerbsmässigkeit wurde vorlie- gend verneint. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 31. Mai 2016 i.S. A.H. gegen SVA Aargau (VBE.2016.48) Aus den Erwägungen 2. 2.1.-2.3. (...) 2.4. 2.4.1. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage, ob Einkünfte oder Vermögenszuwachse (Erträge, Gewinne) aus einer selbständi- gen Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 46 AHVG herrühren, bildet praxisgemäss die bundesgerichtliche Recht- sprechung zur Abgrenzung zwischen Privat- und Geschäftsvermögen bei der Besteuerung von Kapitalgewinnen nach Art. 21 lit. d des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung einer direkten Bundes- steuer (BdBSt, in Kraft gewesen bis Ende 1994). Demnach besteht das entscheidende Kriterium für die Zuteilung eines Vermögenswer- tes zum Geschäftsvermögen darin, dass er für Geschäftszwecke erworben worden ist (Erwerbsmotiv) oder dem Geschäft tatsächlich dient (Zweckbestimmung). Wo sich die Zugehörigkeit nicht ohne weiteres ergibt, wie dies häufig bei Alternativgütern der Fall ist, die sowohl mit dem Geschäft im Zusammenhang stehen als auch aus- schliesslich für eine private Verwendung geeignet sein können, ist darüber auf Grund einer Würdigung aller für die Bestimmung der technisch-wirtschaftlichen Funktion des betreffenden Gegenstandes bedeutsamen Umstände zu entscheiden (BGE 125 V 386 E. 2b S. 386 f. mit Hinweisen). Diese Regeln gelten grundsätzlich auch un- ter der Herrschaft des auf den 1. Januar 1995 in Kraft getretenen DBG, wobei die in diesem Gesetz enthaltenen Änderungen zu berücksichtigen sind (vgl. BGE 125 V 386 E. 2d S. 388 f.; Urteil des Bundesgerichts 9C_455/2008 vom 5. November 2008 E. 4). 2.4.2. Ob eine einfache Vermögensverwaltung oder eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit vorliegt, ist immer unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen (BGE 125 II 113 E. 3c S. 118 und 6a S. 124). Als Indiz für eine über die blosse Ver- mögensverwaltung hinausreichende Erwerbstätigkeit fallen nach der in Konkretisierung der (...) ausgeführten allgemeinen Grundsätze vorab für Liegenschaftsgewinne entwickelten Rechtsprechung etwa die (systematische oder planmässige) Art und Weise des Vorgehens, die Häufigkeit der Geschäfte, der enge Zusammenhang eines Ge- schäfts mit der beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, spezielle Fachkenntnisse, die Besitzesdauer, der Einsatz erheblicher fremder Mittel zur Finanzierung der Geschäfte oder die Verwendung des erzielten Gewinns beziehungsweise die Wiederanlage in Betracht (Urteil des Bundesgerichts 9C_455/2008 vom 5. November 2008 E. 4. mit Verweis auf BGE 122 II 446 E. 3b S. 450 f.; Urteile des 2016 Sozialversicherungsrecht 47 Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 1/04 vom 30. April 2004 E. 4, H 185/03 vom 24. März 2004 E. 7 sowie H 210/02 vom 5. Feb- ruar 2003 E. 4; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 2C_868/2008 vom 23. Oktober 2009 E. 2.4). Nach neuerer steuerrechtlicher Rechtsprechung haben bei der Beurteilung einer Wertschriftenhandelstätigkeit die Kriterien der sys- tematischen und planmässigen Vorgehensweise sowie der speziellen Fachkenntnisse nur noch eine untergeordnete Bedeutung. Dagegen treten die beiden Kriterien der Höhe des Transaktionsvolumens so- wie des Einsatzes erheblicher fremder Mittel zur Finanzierung der Geschäfte in den Vordergrund (Urteil des Bundesgerichts 2C_375/2015 vom 1. Dezember 2015 E. 2.2 mit Hinweis auf Urteil des Bundesgerichts 2C_868/2008 vom 23. Oktober 2009 E. 2.7). Entscheidend ist jedenfalls, dass die Tätigkeit in ihrem gesamten Er- scheinungsbild auf Erwerb ausgerichtet ist (BGE 125 II 113 E. 3c S. 118 f ...). Bei der Verortung von Wertschriftengeschäften kann zu- sätzlich auf die im Kreisschreiben Nr. 36 der ESTV vom 27. Juli 2012 in Zusammenfassung der erwähnten Rechtsprechung formulier- ten Abgrenzungsindikatoren zurückgegriffen werden (vgl. hierzu B RAUCHLI R OHRER /W ILDMAN , Steuerfreier Kapitalgewinn, in ST 5/15 S. 391). Ob die steuerpflichtige Person Wertschriftenge- schäfte selber oder über einen bevollmächtigten Dritten abwickelt, ist dabei nicht von entscheidender Bedeutung, da das Wertschriftenge- schäft in der Regel ohnehin den Beizug fachkundiger Personen erfor- dert, deren Verhalten - als Hilfspersonen - der pflichtigen Person zu- gerechnet wird (Urteil des Bundesgerichts 2C_868/2008 vom 23. Oktober 2009 E. 2.4; gleiches gilt hinsichtlich des Handels über eine Internetplattform, vgl. P ETER H ONGLER , Hybride Finanzie- rungsinstrumente im nationalen und internationalen Steuerrecht der Schweiz, Diss. 2012, S. 95). Speziell im Wertschriftenhandel in Abweichung zu den allgemeinen Grundsätzen (...) nicht notwendig ist schliesslich die nach aussen hin sichtbare Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr (BGE 122 II 446 E. 3b S. 450 f. mit Hin- weis). 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 48 2.5. (Grundsätze zur Ermittlung des Einkommens und des Eigenkapitals durch die kantonalen Steuerbehörden nach Art. 23 AHVV) 3. 3.1. (...) 3.2. Die Beschwerdeführerin handelt vornehmlich mit Derivaten, welche sich auf den Deutschen Aktienindex (DAX) beziehen. Deri- vate sind Finanzinstrumente, deren Wert sich vom Wert eines oder mehrerer zu Grunde liegender Basiswerte (Vermögenswerte wie Ak- tien, Aktienobligationen und Rohstoffe oder Referenzsätze wie Ak- tien- und Obligationenindizes, Währungen und Zinsen) ableitet (vgl. B AUEN /R OUILLER , Schweizer Bankkundengeschäft, 2010, S. 367 und E MCH /R ENZ /A RPAGAUS , Das Schweizerische Bankgeschäft, 7. Aufl. 2011, Rz. 2224). Im Grundsatz werden mit unbedingten Ter- mingeschäften (Forwards, Futures und Ähnliches) einerseits sowie bedingten Termingeschäften (Optionen, Optionsscheine und Ähnli- ches) andererseits zwei Formen von Derivaten unterschieden (E MCH /R ENZ /A RPAGAUS , a.a.O., Rz. 2226 und F EINGOLD /L ANG , Handeln mit Futures und Optionen, 2. Aufl. 2014, S. 17 ff.). Auf Grund der in den vorerwähnten Kontoauszügen angegebenen Be- zeichnungen der von der Beschwerdeführerin gehandelten Wertpa- piere ist davon auszugehen, dass es sich im Wesentlichen um sogenannte Turbos, Mini-Futures sowie Waves und damit um Knock- out-Hebelpapiere handelt. Ein Knock-out-Papier hat wie ein Options- schein einen Basispreis, jedoch zusätzlich eine am Basispreis oder ein wenig davon entfernt liegende Knock-out-Schwelle mit einer einem Future ähnelnden Wirkungsweise. Bei Berührung der Schwelle während der Laufzeit verfallen die Knock-outs sofort und werden nur noch zurückgenommen. Der Hebel ergibt sich daraus, dass nicht der gesamte Preis des Basiswerts bezahlt wird, sondern nur ein geringer Teil davon. Zufolge der Verbriefung wird am Ver- fallstag eine allfällige positive Differenz zwischen aktuellem Kurs 2016 Sozialversicherungsrecht 49 und Basis ausbezahlt (vgl. zum Ganzen F EINGOLD /L ANG , a.a.O., S. 18 und 185 ff.). 3.3. 3.3.1. Hinsichtlich der Häufigkeit der vorliegend getätigten Geschäfte ist die Gesamtanzahl von 367 Transaktionen im Jahr 2014 oder rund 30.6 pro Kalendermonat die massgebende Ausgangsgrösse. Umge- rechnet auf einen Arbeitstag entspricht dies rund 1.65 Transaktionen. Das ist jedoch mit Blick auf die von der Beschwerdeführerin gewähl- ten Finanzinstrumente, welche zu den kurzfristigen Anlagen gehören, jedenfalls nicht ungewöhnlich hoch. Vielmehr liegt eine mehr oder weniger häufige Umschichtung des Vermögens mit entsprechender Transaktionszahl bei solchen Konstellationen in der Natur der Sache (vgl. Urteil des Kantonalen Steuerrekursgerichts des Kantons Aargau vom 30. Juni 1999 E. 5a/aa, in: AGVE 1999 S. 398). Gleiches gilt für das gesamte Transaktionsvolumen von EUR 868'274.29. Daraus ergibt sich ein mittleres Volumen pro Transaktion von EUR 2'365.87. Dieses ist zwar mit Blick auf die Hebelwirkung der jeweiligen Deri- vate nicht als gering zu bezeichnen und bedeutet ferner eine - wie er- wähnt typische - mehrfache Umschichtung des Portfolios. Indes lässt sich aus den Akten ableiten, dass die Beschwerdeführerin die jeweili- gen Derivate in der Regel maximal einige Tage hält und dabei kaum mehr als einige wenige Positionen aufweist. Aus einer solchen Exposition kann jedenfalls noch kein auf Gewerbsmässigkeit hindeu- tendes risikoaffines Anlageverhalten in Form einer riskanten Gewinnmaximierungsstrategie abgeleitet werden. Dies gilt umso mehr, als bei den von der Beschwerdeführerin gewählten Finan- zinstrumenten - im Unterschied zum Beispiel zum Margin-Call bei Futures - keine Nachschusspflicht besteht (vgl. hierzu F EINGOLD /L ANG , a.a.O., S. 186 f.), welche das freie Kapital in liqui- den Mitteln zu erklären vermögen würde. Die erwähnte relative kurze Haltedauer schliesslich ist vorab dort ein aussagekräftiges Indiz, wo mit eigentlich auf längere Frist ausgerichteten Anlagen kurzfristige, auf die Erzielung von Handelsgewinnen angelegte Geschäfte getätigt werden. Beim reinen Derivathandel kann jedoch einzig aus der relativ kurzen Haltedauer 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 50 nichts Entscheidendes abgeleitet werden, weil die Besitzdauer bei solchen Finanzinstrumenten allgemein kurz ist (Urteil des Kantona- len Steuerrekursgerichts des Kantons Aargau BB.1999.50001/E 4041 vom 22. Juni 2000 E. 3d/db mit Hinweis, in: AGVE 2000 S. 454, und Urteil des Kantonalen Steuerrekursgerichts des Kantons Aargau vom 30. Juni 1999 E. 5a/hh, in: AGVE 1999 S. 401; vgl. auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 19. Juni 1996 E. 4e in: StR 52/1997 S. 323). 3.3.2. Bezüglich des Einsatzes erheblicher fremder Mittel gibt die Be- schwerdeführerin an, ihre Geschäfte einzig aus Eigenmitteln zu finanzieren, was mit der Aktenlage übereinstimmt (....). Indes trage sie trotzdem ein erhöhtes Risiko aus Finanzierungskosten. Bei den von der Beschwerdeführerin mehrheitlich verwendeten Knock-out- Papieren werden die Nettofinanzierungskosten bei vorgesehener Fälligkeit als Auf- oder Abgeld berücksichtigt, bei nicht laufzeitbe- schränkten Produkten ergeben sie sich aus dem Finanzierungslevel (F EINGOLD /L ANG , a.a.O., S. 189 ff. und 202). Darin kann indes kein für die private Vermögensverwaltung untypischer Einsatz (vgl. hierzu P ETER L OCHER , Kommentar zum DBG, I. Teil (Art. 1 - 48): Allgemeine Bestimmungen/Besteuerung der natürlichen Personen, 2001, N. 47 zu Art. 18 DBG mit Hinweisen) erheblicher Fremdmittel erblickt werden, welcher ein erhöhtes Risiko begründen und auf Ge- werbsmässigkeit hindeuten würde. Das Anlagerisiko war auf den Verlust der jeweils eingesetzten Mittel beschränkt (vgl. dazu Ent- scheid des Steuerrekursgerichts des Kantons Zürich DB.2012.154/ST.2012.175 vom 15. Oktober 2012 E. 3d/cc (einseh- bar unter www.strgzh.ch)). Zwar ist der Beschwerdeführerin zuzu- stimmen, dass quasi eine indirekte Kreditvergabe vorliegt. Diese ist aber automatisch den jeweiligen Marktverhältnissen angepasst und in ihrer Wirkung auf die Haltedauer beschränkt. Darin besteht der we- sentliche Unterschied zu einem klassisch fremdfinanzierten Anlagegeschäft, bei dem der Anleger und Kreditnehmer unabhängig von Gang und Dauer seiner Investitionstätigkeit eine zinspflichtige Verschuldung eingeht und sich damit einem erheblichen Risiko aus- setzt (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 2. Dezember 1999 E. 2c, 2016 Sozialversicherungsrecht 51 in: ASA 69 S. 792). Schliesslich ist anzumerken, dass die Beschwer- deführerin auch aus dem Umstand, dass "der Kurs der Hebelprodukte (...) täglich auf Basis der abnehmenden Finanzierungskosten bis Laufzeitende" reduziert würde, nichts für sich abzuleiten vermag. Zum einen hält die Beschwerdeführerin - wie sie auch selber ausführt - die jeweiligen Derivate bloss für in der Regel maximal einige wenige Tage, womit dieser Effekt vernachlässigbar wird. Zum anderen trägt der Daytrader bei nicht laufzeitbeschränkten Derivaten wie Open-End Turbos während des Tageshandels sogar überhaupt keine Finanzierungskosten (F EINGOLD /L ANG , a.a.O., S. 197 und 202). Das Fehlen eines eigentlichen Unternehmerrisikos ist ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme einer selbständigen Erwerbs- tätigkeit. 3.3.3. Zum Einsatz derivativer Finanzprodukte wird im Kreisschrei- ben Nr. 36 der ESTV vom 27. Juli 2012 in Ziff. 4.3.2 ausgeführt, ein solcher deute auf gewerbsmässiges Vorgehen hin, wenn er nicht der Absicherung diene und wenn im Verhältnis zum Gesamtvermögen ein grosses Volumen umgesetzt werde. Derivate haben indes längst Eingang in die private Vermögensverwaltung gefunden (J ULIA VON A H , Besteuerung von Unternehmen und Unternehmern/Gewerbs- mässige Tätigkeit - Entwicklungen und Konsequenzen, in: Dogmatik und Praxis im Steuerrecht, 2014, S. 81 ff. mit Hinweis auf Urteil des Bundesgerichts 2C_868/2008 vom 23. Oktober 2009 und M ADELEINE S IMONEK , Unternehmenssteuerrecht - Entwicklungen 2009, in njus.ch 2010 S. 95 f. sowie F RITZ M ÜLLER , Der Quasi- Wertschriftenhandel: Umqualifikation von steuerfreiem Kapitalge- winn in steuerbares Einkommen, in ST 5/07 S. 405, und F RANCA C ONTRATTO , Konzeptionelle Ansätze zur Regulierung von Derivaten im schweizerischen Recht: Analyse de lege lata und Vorschläge de lege ferenda unter besonderer Berücksichtigung der Anlegerinforma- tion bei Warrants und strukturierten Produkten, Diss. 2006, S. 27 mit Nachweisen; vgl. auch Art. 13 der Richtlinien für Vermögensverwal- tungsaufträge 2013 der Schweizerischen Bankiervereinigung (ein- sehbar unter www.swissbanking.org)). Ferner ist ein grosses Han- delsvolumen für diese Art der Anlage geradezu typisch (...). Vor 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 52 diesem Hintergrund ist dieser Abgrenzungsindikator jedenfalls zu eng formuliert und findet in dieser Absolutheit in der Recht- sprechung auch keine Entsprechung (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 3. Juli 1998 E. 2b, in: ASA 68 S. 644; Urteil des Verwal- tungsgerichts des Kantons Zürich SB.2012.00164 vom 22. Mai 2013 E. 3.2. mit Hinweisen (einsehbar unter www.vgr.zh.ch)). Allein die Tatsache, dass Derivate einem grösseren Anlagerisiko ausgesetzt sind, darf jedenfalls nicht zur Folge haben, dass die Verwendung dieser Finanzinstrumente ohne Weiteres zur Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit führt (K AUFMANN /R ABAGLIO , Gewerbsmässiger Wertschriftenhandel: Zum Kreisschreiben Nr. 8 der ESTV, in ST 12/05 S. 1062; vgl. auch R ICHNER /F REI / K AUFMANN /M EUTER , Handkommentar zum DBG, 2. Aufl. 2009, N. 37 zu Art. 18 DBG). Die Anlagetätigkeit der Beschwerdeführerin mit schwerpunktmässigem Einsatz von Derivaten kann daher nicht alleine auf Grund der gewählten Finanzinstrumente als gewerbs- mässig qualifiziert werden. 3.3.4. Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, sie müsse für ih- ren Wertschriftenhandel täglich mindestens acht Stunden für Marktbeobachtungen, Nachrichtenauswertung, Chartanalysen und der Entwicklung von Handelsstrategien aufwenden und könne dabei ihre Kenntnisse als Wirtschaftsinformatikerin zu Anwendung bringen. Es ist zwar grundsätzlich zutreffend, dass insbesondere das Derivatgeschäft regelmässig eine systematische Marktbeobachtung und ein aktives Tätigwerden und Reagieren auf die Marktentwick- lung erfordern (Urteil des Bundesgerichts 2A.486/2002 vom 31. März 2003 E. 3; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom 12. No- vember 2002 E. 4, in: ASA 73 S. 307, und Urteil des Bundesgerichts vom 2. Dezember 1999 E. 2c, in: ASA 69 S. 792 f.). Indes ist in Erinnerung zu rufen, dass die von der Beschwerdeführerin ein- gesetzten Derivate grösstenteils auf dem DAX basieren (....). Der DAX ist ein Aktienindex, welcher die Aktien von 30 deutschen Aktiengesellschaften enthält und damit über 70 % des Grundkapitals deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften und über 80 % der in 2016 Sozialversicherungsrecht 53 Beteiligungspapieren getätigten deutschen Börsenumsätzen repräsen- tiert (vgl. H ANS B ÜSCHGEN , Das kleine Börsen-Lexikon, 23. Aufl. 2012, S. 258 zum Stichwort "DAX"). Ein Aktienindex dokumentiert die Wertentwicklung eines Aktienportfolios, welches für den Aktien- markt oder für einzelne Segmente oder Branchen repräsentativ ist (E MCH /R ENZ /A RPAGAUS , a.a.O., Rz. 2176). Für Spekulationen auf den DAX sind demnach allgemeine Kenntnisse des Marktes zum Handel objektiv ausreichend (zur massgebenden objektiven Betrach- tung vgl. A NDRI M ENGIARDI , Die Besteuerung der Investition in derivative Anlageprodukte ("strukturierte Produkte") nach Schweizer Recht, Diss. 2008, § 5 Rz. 17). Ein akribisches Verfolgen der Finanz- nachrichten die einzelnen Unternehmen betreffend ist jedenfalls nicht zwingend. Ferner handelt es sich bei den von der Beschwerdeführe- rin eingesetzten Derivaten um standardisierte Produkte, was deren Bewertung ebenfalls erleichtert (D ANIEL H ALTER , Der Einsatz von derivativen Finanzinstrumenten im Nichtbankenbereich: ein Beitrag zum Risikomanagement im Corporate Treasury, Diss. 2004, S. 11 mit Hinweisen). Im Übrigen darf auch für die private Vermögensverwal- tung das regelmässige Studium der entsprechenden Fachpresse vorausgesetzt werden (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kan- tons Basel-Landschaft vom 19. Juni 1996 E. 4b, in: StR 52/1997 S. 321 f.). Zudem ist die eigentliche Durchführung der Transaktionen nicht zeitintensiv und es existiert die Möglichkeit, die Märkte mittels mobiler Geräte und entsprechender Applikationen zu überwachen und sich gegenüber nachteiligen Entwicklungen abzusichern (Urteil des Bundesgerichts 2C_375/2015 vom 1. Dezember 2015 E. 6.3). Bezüglich der angeführten Fachkenntnisse der Beschwerdeführerin ist abschliessend anzumerken, dass diesen zum einen als Beurteilungskriterium bloss noch eine untergeordnete Bedeutung zu- kommt (....). Zum anderen weist der Handel mit derivativen Finanzinstrumenten auch stark aleatorische Züge auf (vgl. hierzu F RANCA C ONTRATTO , a.a.O., S. 10 mit Nachweisen), weshalb all- fällige spezifische Fachkenntnisse - anders als beispielsweise im Immobilien-, Kunst- oder Weinhandel - nicht wesentlich ins Gewicht fallen (Urteil des Kantonalen Steuerrekursgerichts des Kantons Aar- gau vom 30. Juni 1999 E. 5a/dd, in: AGVE 1999 S. 400). 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 54 3.3.5. Die Beschwerdegegnerin führt schliesslich in ihrem Ein- spracheentscheid vom 11. Dezember 2015 aus, gegen die Annahme einer gewerbsmässigen Wertschriftenhandelstätigkeit würde die Depotgrösse von weniger als CHF 200'000.00 sprechen (...). Dies- bezüglich ist ihr nicht zuzustimmen. Das schematische Vorgehen mit Anwendung fixer Kennzahlen oder Grenzwerte hat bei nicht ein- deutigen oder unklaren Verhältnissen, wie sie hier vorliegen, einer Gesamtwürdigung zu weichen (... Urteil des Bundesgerichts 2C_868/2008 vom 23. Oktober 2009 E. 2.6 sowie Urteil des Bundesgerichts vom 12. November 2002 E. 4 in fine, in: ASA 73 S. 307). Auch wenn der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden kann, wenn sie zur Bestimmung des Anlagevolumens das investierte Kapital mit einem angenommenen durchschnittlichen Hebel multipli- ziert, weil damit nicht die Kapitalexposition der Beschwerdeführerin wiedergegeben sondern einzig die Hebelwirkung beschrieben wird (...), kann jedenfalls alleine aus der objektiv eher geringen Depot- grösse - entgegen der Beschwerdegegnerin, die sich offenbar auf eine Richtlinie des Kantons Zug stützt - nichts abgeleitet werden, was gegen die Annahme von Gewerbsmässigkeit sprechen würde. 3.4. Zusammenfassend ergibt sich damit, dass der von der Beschwerdeführerin im Jahr 2014 betriebene Wertschriftenhandel auf Grund seiner konkreten Ausgestaltung und Intensität, aber auch zufolge der fehlenden risikobegründenden Fremdfinanzierung, nicht die Grenze dessen überschreitet, was noch als private Vermögensver- waltung gelten kann. Daran vermögen weder die angeführte Selbstorganisation noch die Reinvestition von Gewinnen etwas zu ändern, erscheint doch die Wertschriftenhandelstätigkeit der Be- schwerdeführerin in ihrem gesamten Erscheinungsbild im Sinne des Vorgesagten nicht als auf Erwerb ausgerichtet. Damit ist für das Jahr 2014 keine selbständige Erwerbstätigkeit anzunehmen. 3.5. (...) 2016 Sozialversicherungsrecht 55 4. Im Sinne vorstehender Erwägungen hat die Beschwerdegegne- rin mit Einspracheentscheid vom 11. Dezember 2015 die Wertschrif- tenhandelstätigkeit der Beschwerdeführerin für das Beitragsjahr 2014 zu Recht nicht als gewerbsmässig qualifiziert und die Beschwer- deführerin folglich richtigerweise nicht als Selbständigerwerbende der Ausgleichskasse angeschlossen. Die dagegen erhobene Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist daher abzuweisen.
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AG_VSG_001
AG_VSG
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Northwestern_Switzerland
AG_VSG_001_AGVE-2016-3_2016-05-01
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2002 Versicherungsgericht 112 [...] 36 Art. 85 lit. d i.V.m. 30 Abs. 2 AVIG, § 2 V EG AVIG, § 2 RAV-Verordnung Die kantonalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) sind nicht befugt, Ein- stellungsverfügungen nach Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG zu erlassen. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 5. März 2002 in Sachen H.A.S. gegen AWA. Aus den Erwägungen 2. a) Nach Art. 85 Abs. 1 AVIG gehört es zu den Aufgaben der kantonalen Amtsstellen, unter anderem Arbeitslose zu beraten (lit. a), ihnen Weisungen nach Art. 17 Abs. 3 AVIG, d.h. zum Besuch von Umschulungs- und Weiterbildungskursen, zu erteilen (lit. c) und sie im Falle der Nichtbefolgung solcher Weisungen in der Anspruchsbe- rechtigung einzustellen (lit. g i.V.m. Art. 30 Abs. 2 AVIG). Kantonale Amtsstelle im Sinne von Art. 85 AVIG ist im Kanton Aargau das KIGA bzw. AWA (vgl. § 2 des Einführungsgesetzes zum AVIG vom 20. August 1985 [EG AVIG] i.V.m. § 2 der Verordnung zum EG AVIG vom 24. März 1986). b) Im Rahmen der AVIG-Revision vom 23. Juni 1995 wurden die Kantone beauftragt, regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) einzurichten und diesen Aufgaben der kantonalen Amtsstellen und der Gemeindearbeitsämter zu übertragen (Art. 85b Abs. 1 und 113 Abs. 2 lit. c AVIG). Diese Bestimmung wurde auf den 1. Januar 1996 in Kraft gesetzt (Art. 121 Abs. 2 AVIG i.V.m. Bundesratsbeschluss vom 11. Dezember 1995, AS 1996 S. 293). Der Regierungsrat des Kantons Aargau erliess in der Folge am 17. April 1996 die kantonale Verordnung über die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV- Verordnung) und setzte diese auf den 28. Juni 1996 mit Geltungsdau- er bis zum Inkrafttreten des revidierten EG AVIG, längstens aber bis zum 31. Dezember 1997, in Kraft (§ 10 Abs. 1 RAV-Verordnung). Mit Verordnungsänderung vom 19. November 1997 wurde § 10 2002 Prozessrecht 113 Abs. 1 RAV-Verordnung aufgehoben (in Kraft seit 1. Januar 1998; AGS 1997 S. 390). Gemäss § 1 RAV-Verordnung betreibt der Kanton Aargau regio- nale Arbeitsvermittlungszentren (RAV), wobei das Departement des Innern deren Standorte und Zuständigkeitsregionen bestimmt und zudem RAV-Zweigstellen einrichten kann. Nach § 2 Abs. 1 RAV- Verordnung unterstützen und fördern die RAV Stellensuchende, ins- besondere arbeitslose oder unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedrohte, bei der Wiedereingliederung in den Erwerbsprozess. Zu diesem Zweck vermitteln sie Arbeit und beraten und informieren in Arbeits- markt-, Weiterbildungs- und Umschulungsfragen. Nach § 2 Abs. 2 RAV-Verordnung überträgt das Departement des Innern den RAV schrittweise jene in Art. 85 Abs. 1 AVIG aufgeführten Aufgaben der kantonalen Amtsstelle, die zur Erfüllung der sich aus § 2 Abs. 1 erge- benden Tätigkeiten erforderlich sind. c) Das Departement des Innern hat die Kompetenz des AWA zum Erlass von Einstellungsverfügungen im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG bis heute nicht an die RAV übertragen. Damit fehlte es dem RAV Zofingen vorliegend an der Befugnis zur Einstellung des Beschwerdeführers in der Anspruchsberechtigung wegen Nichtbefol- gung der Anweisung zum Besuch des Beschäftigungsprogramms. Diese Befugnis kann nicht dadurch hergestellt werden, dass der zu- ständigen Personalberaterin in einer Zusatzvereinbarung zum Anstel- lungsvertrag vom AWA die Kompetenz zum Erlass von Einstellungs- verfügungen im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG eingeräumt wird (vgl. Erw. Ziff. 1c hievor). Die angefochtene Verfügung ist da- her wegen fehlender Zuständigkeit des RAV Zofingen zu ihrem Er- lass ungültig und dementsprechend in Gutheissung der dagegen erho- benen Beschwerde aufzuheben. 3. Eine vom RAV erlassene Einstellungsverfügung könnte auch nach erfolgter Übertragung der entsprechenden Befugnis durch das Departement des Innern im Anfechtungsfall nicht geschützt werden. Die Übertragung der Befugnis zur Regelung der Zuständigkeit der RAV vom Regierungsrat an das Departement des Innern widerspricht § 91 Abs. 5 KV, wonach die Zuständigkeit des Regierungsrates zur Rechtsetzung nicht übertragen werden darf. Entsprechend ist § 2 2002 Versicherungsgericht 114 Abs. 2 der RAV-Verordnung, wonach dem Departement des Innern der Entscheid überlassen ist, ob und welche Aufgaben des AWA im Sinne von Art. 85 Abs. 1 AVIG den RAV übertragen werden, verfas- sungswidrig.
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AG_VSG_001_AGVE-2002-36_2002-03-04
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2001 Kinderzulagen 107 [...] 33 § 4 Abs. 3 KZG, § 7 Abs. 1 KZV Ausländische Arbeitnehmer haben Anspruch auf Kinderzulagen. Dies gilt sowohl für ihre in der Schweiz lebenden wie auch für ihre im Ausland wohnenden ehelichen und ausserehelichen Kinder sowie Adoptivkinder 2001 Versicherungsgericht 108 unter 16 Jahren. Ehe und Adoption müssen in der Schweiz gültig aner- kannt sein; bei ausserehelichen Kindern hat der ausländische Arbeit- nehmer den Beweis der Vaterschaft zu erbringen. § 27 Abs. 1 KZV Der Arbeitnehmer ist für die seinen Anspruch begründenden Tatsachen beweispflichtig. Die von der UNMIK (United Nations Interim Mission in Kosovo) als von der UNO eingesetzte, vorübergehende Administration ausgestellten Dokumente sind geeignet, diesen Nachweis zu erbringen. Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 18. September 2001 in Sachen R.R. gegen Ausgleichskasse P.
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1,963
de
2001 Versicherungsgericht 110 35 § 32 KZG, Art. 84 Abs. 1 AHVG Beschwerdelegitimation der Ehefrau (Erw. 1) § 4 Abs. 2 KZG, Art. 5 Abs. 2 AHVG - Die Bezugsberechtigung für Kinderzulagen beschränkt sich auf die Ar- beitnehmer der dem Gesetz unterstellten Arbeitgeber. Der Arbeitneh- merbegriff beurteilt sich nach den ahv-rechtlichen Regelungen (Erw. 2a und c). - Qualifikation als selbständigerwerbende Personen im Falle von Perso- nengesamtheiten (Erw. 2b). Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 18. De- zember 2001 in Sachen I. und B.M. gegen Sozialversicherungsanstalt Aus den Erwägungen 1. a) Gemäss § 32 Abs. 1 und § 35 des aargauischen Gesetzes über Kinderzulagen für Arbeitnehmer vom 23. Dezember 1963 i.V.m. Art. 84 Abs. 1 AHVG sind die von einer Verfügung Betroffe- nen sowie Blutsverwandte in auf- und absteigender Linie (und Ge- schwister des Rentenansprechers) zur Beschwerde legitimiert (vgl. dazu auch Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungs- rechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, Rz. 535 ff. und 576). b) Weil grundsätzlich ein enger sachlicher Zusammenhang zwi- schen den für beide Ehegatten verlangten Kinderzulagen (für den gleichen Zeitraum) besteht, in casu Arbeitsverhältnisse beim gleichen Arbeitgeber reklamiert werden und die Ehefrau auch unter dem Aspekt der Vertretungsbefugnis zur Beschwerde legitimiert wäre, wird die Beschwerdelegitimation beider Ehegatten angenommen. Auf die Beschwerde ist somit auch bezüglich der Ehefrau einzutre- ten. 2. a) Gemäss § 4 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 KZG haben Arbeit- nehmer, deren Arbeitgeber im Kanton Aargau einen Wohn- oder Ge- schäftssitz haben oder eine Zweigniederlassung oder eine Betriebs- stätte unterhalten, Anspruch auf Kinderzulagen. 2001 Kinderzulagen 111 Der Anspruch auf Kinderzulagen entsteht und erlischt mit dem Lohnanspruch (§ 5 Abs. 1 KZG). Die Kinderzulage beträgt min- destens Fr. 150.-- im Monat für jedes Kind, welches das 16. Al- tersjahr noch nicht vollendet hat (§ 7 Abs. 1 und 3 KZG). Kinderzu- lagen sind durch Einreichen einer Anmeldung bei der zuständigen Familienausgleichskasse geltend zu machen. Nicht bezogene Zula- gen können für die letzten fünf Jahre vor Geltendmachung des An- spruchs nachgefordert werden (§ 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KZG). Gegen die aufgrund des KZG erlassenen Verfügungen der Fa- milienausgleichskasse kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Obergericht des Kantons Aargau Beschwerde geführt werden (§ 32 KZG). Zuständig ist das Versicherungsgericht (§§ 52 und 42 Abs. 3 GOD). b) Gemäss § 35 KZG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 AHVV beur- teilt sich der Status selbständigerwerbender Personen nach den ahv- rechtlichen Regelungen. Nach diesen sind für die Alters- und Hinter- lassenenversicherung beitragspflichtig: Eigentümer, Nutzniesser und Pächter gemäss Art. 20 Abs. 1 AHVV sowie die Teilhaber von Kol- lektiv- und Kommanditgesellschaften sowie von anderen auf einen Erwerbszweck gerichteten Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit (Art. 20 Abs. 3 AHVV). Während bei Kollektiv- und Kommanditgesellschaften ein wirtschaftlicher Zweck vermutet wird, somit alle Teilhaber unabhängig von ihrer tatsächlichen persönlichen Mitarbeit und Mitverantwortung beitragspflichtig sind, gelten Teil- haber anderer Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit nur soweit als beitragspflichtig, als diese einen Erwerbszweck ver- folgen (vgl. zum Ganzen: Hanspeter Käser, Unterstellung und Bei- tragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl. 1996, Rz. 7.5 mit Hinweisen). c) In den kantonalen Zulagenordnungen wird nur die Unter- haltspflicht gegenüber Kindern als Familienlast anerkannt. Diese gibt in allen Kantonen Anspruch auf Kinderzulagen, sofern die Eltern Arbeitnehmer/-innen sind; bei selbständigerwerbenden Eltern in nichtlandwirtschaftlichen Berufen wird - meist mit Einkommens- grenzen bei den Eltern - die Unterhaltspflicht als anspruchsauslösen- der Tatbestand nur in neun Kantonen anerkannt (Luzern, Uri, 2001 Versicherungsgericht 112 Schwyz, Zug, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden und Innerrho- den, St. Gallen, Graubünden und Genf). Schliesslich wird in drei Kantonen (Freiburg, Wallis und Jura) unter bestimmten Vorausset- zungen auch bei nichterwerbstätigen Eltern die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern berücksichtigt. Die Arten und Ansätze dieser kantonalrechtlichen Familienzulagen werden vom Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) regelmässig veröffentlicht, letztmals mit Stand vom 1. Januar 2001 in AHI 2001/1, insbes. S. 6 (vgl. auch Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl., S. 100; Gertrud Bollier, Leitfaden Schweizerische Sozialversiche- rung, 1997, S. 169 ff.). Der Kanton Aargau hat - wie oben in Ziff. 2a festgehalten - in § 4 Abs. 2 KZG nur die Arbeitnehmer (der dem Gesetz unterstellten Arbeitgeber) als kinderzulagenberechtigt erklärt. Für den vom Gesetz selber nicht definierten Arbeitnehmerbegriff wird zwar nicht aus- drücklich auf das AHVG verwiesen, doch wird in § 35 KZG - wie schon mehrfach erwähnt - das AHVG für alle Fragen sinngemäss als anwendbar erklärt, für die das KZG keine Regelung enthält. Es ist daher auch beim aargauischen KZG für den Arbeitnehmerbegriff auf denjenigen des AHVG abzustellen. Auch nach aargauischem KZG kann daher nur anspruchsberechtigt sein, wer massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung erzielt (Art. 5 Abs. 2 AHVG; vgl. auch Urteil des Versicherungsgerichts i.S. N.C. vom 18. August 1998 [BE.98.00101], Erw. 2d). Auf welche Gründe sich schliesslich der aargauische Gesetzgeber bezüglich der Beschränkung des Kinderzu- lagenanspruchs auf Arbeitnehmer gestützt hat, ist den Materialien zum KZG nicht zu entnehmen (Sitzungsprotokoll der Grossratssit- zung vom 19. Februar und 30. April 1963); doch ist die Regelung in jedem Fall klar und kommt der Einbezug von Selbständigerwerben- den nicht in Frage, da eben gerade keine gesetzliche Grundlage vor- liegt. Anzumerken ist, dass nach dem aargauischen KZG auch keine freiwillige Unterstellung der Selbständigerwerbenden mit entspre- chender Beitragszahlungspflicht besteht.
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AG_VSG
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2,013
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2013 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 46 [...] 7 Art. 5 MVG Adäquanzprüfung in der Militärversicherung Die Prüfung der Adäquanz erfolgt bei psychischen Erkrankungen, welche während der Dienstzeit und ohne Zusammenhang mit dem Unfall in Er- scheinung getreten sind nach der allgemeinen Adäquanzformel. Es findet keine analoge Anwendung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 115 V 133) zu den psychischen Beschwerden nach einem Unfall statt. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 2. Kammer, vom 28. Februar 2013 in Sachen H.H. gegen S. Militärversicherung (VBE.2012.197). 2013 Sozialversicherungsrecht 47 Aus den Erwägungen 9. 9.1. (...) 9.2. (...) Die Militärversicherung haftet sowohl für Gesundheitsschäden infolge von Unfall als auch Krankheit. Die Adäquanzprüfung nach BGE 115 V 133 knüpft hingegen stets an einem (objektiv erfassba- ren) Unfallereignis an und auch die übrigen Kriterien zur Adäquanz bei Unfällen im mittleren Bereich beziehen sich weitgehend auf Um- stände im Zusammenhang mit einem Unfallereignis. Eine analoge Anwendung dieser Rechtsprechung auf psychische Erkrankungen, welche während der Dienstzeit und ohne Zusammenhang mit einem Unfall in Erscheinung getreten sind, erscheint daher nicht sachge- recht. Im Übrigen trägt eine solche Adäquanzprüfung auch dem hier anwendbaren Art. 5 MVG, welcher eine Adäquanzvermutung und da- mit Beweisprivilegierung zu Gunsten der versicherten Person bein- haltet, ungenügend Rechnung. Aufgrund dessen ist die Adäquanz nach der allgemein gültigen Definition zu prüfen. Das heisst, es ist zu fragen, ob nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allge- meinen Lebenserfahrung ein Ereignis geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen und ob der Eintritt dieses Erfolges durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint. Die Frage nach der adäquaten Kausalität ist dabei eine Rechtsfrage (J ÜRG M AESCHI , Kommentar zum MVG, Bern 2000, N. 26 zu Art. 5 bis 7), welche primär juristischer Natur ist (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 44 zu Art. 5 bis 7). Dabei ist die Verwaltung und im Beschwerdefall der Richter mangels eigener medizinischer Fachkenntnisse jedoch auf die Mitwirkung des Arztes angewiesen (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 44 zu Art. 5 bis 7). Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet dies, dass sich ein Psychiater zur Frage einer allfälligen Verschlechterung während der Dienstzeit, über die Bedeutung der verschiedenen Scha- densursachen sowie über Art, Umfang und Dauer der Verschlimme- rung (Status quo sine vel ante) zu äussern hat (J ÜRG M AESCHI , 2013 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 48 a.a.O., N. 46 zu Art. 5 bis 7). Erst wenn diese Gegebenheiten geklärt sind, kann (aus rechtlicher Sicht) überprüft werden, ob die Adäquanz, wie sie oben erläutert wurde, zu bejahen ist. Bejahendenfalls stünde sodann die Möglichkeit offen, die gesetzlich statuierte Adäquanzver- mutung mit dem Beweisgrad der Sicherheit zu widerlegen.
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Microsoft Word - 00706023.docx Versicherungsgericht 3. Kammer VBE.2020.407 / za / sc Art. 5 Urteil vom 6. Januar 2021 Besetzung Oberrichterin Gössi, Präsidentin Oberrichter Kathriner Oberrichterin Peterhans Gerichtsschreiber Zürcher Beschwerde- führer Verein A. Beschwerde- gegner AWA - Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Aargau, Rain 53, 5000 Aarau Gegenstand Beschwerdeverfahren betreffend AVIG (Einspracheentscheid vom 29. Juni 2020) - 2 - Das Versicherungsgericht entnimmt den Akten: 1. Der Beschwerdeführer ist ein Verein mit Sitz in _mit dem Zweck, _. Er nahm mit Eingabe vom 25. März 2020 beim eine Voranmeldung von Kurzarbeit für die Zeit ab dem 16. März 2020 für den Gesamtbetrieb vor. Am 4. Mai 2020 passte der Beschwerdeführer seine Voranmeldung an und unterteilte diese in die Betriebsabteilungen B (14 Mitarbeitende) und C (3 Mitarbeitende). Mit Verfügung vom 7. Mai 2020 erhob der Beschwerdegegner Einspruch gegen die Auszahlung von für den Gesamtbetrieb. Eine dagegen erhobene hiess der Beschwerdegegner teilweise gut und erhob mit vom 29. Juni 2020 gegen die Auszahlung von für die Betriebsabteilung B weiterhin Einspruch, hingegen einen Anspruch auf Auszahlung von für die Betriebsabteilung C für die Zeit vom 17. März 2020 bis 31. August 2020, sofern die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien. 2. 2.1. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 31. August 2020 fristgerecht Beschwerde und stellte folgende Anträge: " 1. Der Entscheid des Departements Volkswirtschaft und Inneres, Amt für Wirtschaft und Arbeit, Amtsstelle Arbeitslosenversicherung, vom 29. Juni 2020 sei aufzuheben und wie folgt zu ändern: "Ihre Einsprache wird gutgeheissen. Der Anspruch auf Ausrichtung von Kurzarbeitsentschädigung wird für die Betriebsabteilung "Gesamtbetrieb" bejaht." 2. Eventualiter: Der Entscheid des Departement Volkswirtschaft und Inneres, Amt für Wirtschaft und Arbeit, Amtsstelle Arbeitslosenversicherung, vom 29. Juni 2020 sei aufzuheben und wie folgt zu ändern: "Ihre Einsprache wird gutgeheissen. Der Anspruch auf Ausrichtung von Kurzarbeitentschädigung für die Betriebsabteilungen "C, D, E, F, G, H" wird bejaht." 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (inkl. MWSt) zu Lasten der ." 2.2. Mit Vernehmlassung vom 15. September 2020 beantragte der die Abweisung der Beschwerde. - 3 - Das Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf für die Betriebsabteilung "B". Der Beschwerdegegner lehnte den Anspruch im Wesentlichen mit der Begründung ab, für die "B" bestehe aufgrund der hauptsächlich spendenlastigen Finanzierung kein direkter Kontakt mit dem Markt, somit kein finanzielles Betriebsrisiko und damit kein unmittelbar drohender Arbeitsplatzverlust (Vernehmlassungsbeilage [VB] 15 f.). Der Beschwerdeführer bringt vor, durch die _ sei nachweislich ein Spendenrückgang zu verzeichnen. Zudem biete er neben _ verschiedene an, welche sich an eine breite Öffentlichkeit richteten und in direktem Kontakt zum Markt ständen. Zweifelsohne gelte dies für D und E sowie G. Der Personalbestand richte sich nach dem Leistungsangebot. Wenn wegfielen oder nur noch eingeschränkt möglich seien, komme es zu Arbeitsausfällen, welche einen Personalabbau zur Folge haben könnten. Es bestehe daher durchaus ein Betriebsrisiko (Beschwerde S. 8 f.). Sollte ein Anspruch für den Gesamtbetrieb verneint werden, weil _als solcher nicht als anspruchsberechtigt gelte, sei der Anspruch für die "C, D, E, F, G, H" zu bejahen (Beschwerde S. 10). 2. 2.1. Vorab wird die Möglichkeit einer Aufteilung des Gesamtbetriebes (ohne C) in die Abteilungen D, E, F, G, H geprüft, wobei zusätzlich der Betriebsteil B (betreffend _usw. [vgl. Beschwerde S. 3]) entstehen würde. 2.2. 2.2.1. Gemäss Art. 31 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer, deren normale verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, Anspruch auf , wenn sie für die Versicherung beitragspflichtig sind oder das Mindestalter für die Beitragspflicht in der AHV noch nicht erreicht haben (lit. a), der Arbeitsausfall anrechenbar ist (lit. b), das nicht gekündigt ist (lit. c) und der Arbeitsausfall voraussichtlich ist und erwartet werden darf, dass durch Kurzarbeit ihre erhalten werden können (lit. d). Diese Voraussetzungen müssen erfüllt sein (BGE 121 V 371 E. 2a S. 373 f.). Damit der Arbeitsausfall angerechnet werden kann, wird vorausgesetzt, dass dieser je mindestens 10 Prozent der Arbeitsstunden ausmacht, die von den Arbeitnehmern des Betriebes normalerweise insgesamt geleistet werden (Art. 32 Abs. 1 lit. b AVIG). - 4 - 2.2.2. Nach Art. 32 Abs. 4 AVIG bestimmt der Bundesrat, unter welchen eine Betriebsabteilung einem Betrieb gleichgestellt ist. Gemäss dem gestützt auf diese Bestimmung erlassenen Art. 52 Abs. 1 AVIV ist dies der Fall, wenn sie eine mit eigenen personellen und technischen Mitteln ausgestattete organisatorische Einheit bildet, die einer eigenen Leitung untersteht oder Leistungen erbringt, die auch von Betrieben erbracht und auf dem Markt angeboten werden . Gegen eine Betriebsabteilung spricht gemäss Rz. C33 ff. des des SECO über die Kurzarbeitsentschädigung in den Fassungen (KS KAE) eine enge personelle und technische mit anderen betrieblichen Einheiten wie z.B. reger von einer Abteilung zur anderen. Keine Betriebsabteilung liege vor, wenn die Gruppe nur wenige Arbeitnehmende oder gar nur einzelne erfasse. Ein Unternehmen kann zudem nicht künstlich in aufgeteilt werden, nur um in den Genuss des kontinuierlichen auf die Zulage für seine verschiedenen Bereiche zu kommen oder um die Mindestschwelle von 10 % für den Anspruch auf erreichen zu können (RUBIN BORIS, in: Commentaire de la loi sur l'assurance-chômage, 2014, N. 23 zu Art. 32 AVIG) 2.3. In der vom Beschwerdeführer ins Recht gelegten "Übersicht über den Rückgang der Einnahmen" im Vorjahresvergleich gehen für die Tätigkeitsbereiche im Jahr 2019 hochgerechnet auf zwölf Monate gerundet folgende Umsätze hervor (Beschwerdebeilage [Bb] 2; in Klammer die Erträge gemäss Übersicht "Finanzierung A 2019" [VB 70]): E: Fr. 21'900.00 D: Fr. 11'250.00 G: Fr. 3'400.00 (keine Angabe) H: Fr. 9'100.00 (Fr. 11'003.00) F: keine Angabe (Fr. 715.00) ("_": Fr. 58'271.00) - 5 - 2.4. Weder weisen diese Umsätze je Betriebsabteilung auf einen von mehr als (wenn überhaupt) einer Vollzeitstelle hin, noch geht aus den Akten hervor, dass die entsprechenden Angestellten nur einer der Betriebsabteilung zuzuordnen wären. Vielmehr weisen die des Beschwerdeführers in seiner Voranmeldung von Kurzarbeit vom 25. März 2020, wonach E und G via Z AG betrieben würden und die Lohnkosten "bei Bedarf" an die Z AG weiterverrechnet würden (VB 74), sowie der in der "Übersicht über den Rückgang der Einnahmen" nicht Personalaufwand (Bb 2; sofern aufgrund dessen Mangel von entlöhnter und nicht freiwilliger Arbeit durch die Vereinsmitglieder auszugehen ist) auf eine enge personelle und technische Verflechtung sämtlicher Mitarbeitenden zwischen den vorgebrachten betrieblichen selbst sowie dem Bereich B hin. Vor diesem Hintergrund ist eine über den Bereich C hinausgehende Aufteilung des Gesamtbetriebes in ausgeschlossen. Es bleibt demnach der Anspruch des Gesamtbetriebes (ohne C) auf Kurzarbeitsentschädigung zu prüfen. 3. 3.1. Neben der Verhinderung des Eintritts von Ganzarbeitslosigkeit dient die Kurzarbeitsentschädigung der Erhaltung von Arbeitsplätzen im Interesse sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber, indem die Möglichkeit der Erhaltung eines intakten Produktionsapparates über die Zeit der hinweg geboten wird (BARBARA KUPFER BUCHER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum AVIG, 5. Aufl. 2019, S. 18 ff. mit Verweis auf BGE 120 V 521 E. 3b S. 525; BGE 121 V 371 E. 3a S. 375). Nach Art. 32 Abs. 1 AVIG ist ein Arbeitsausfall als Grundvoraussetzung des Anspruchs auf Kurzarbeitsentschädigung (vgl. E. 2.2.1. hiervor) sodann grundsätzlich nur dann anrechenbar, wenn er auf einen wirtschaftlichen Grund ist, der die Existenz des Unternehmens gefährden könnte. Liegt kein Betriebsrisiko vor, wie dies beispielsweise regelmässig bei -rechtlichen Arbeitgebern der Fall ist, besteht kein Anspruch auf (RUBIN BORIS, in: Commentaire de la loi sur l'-chômage, 2014, N. 22 zu Art. 31 AVIG). Ein anrechenbarer und damit ein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung besteht demnach nur dann, wenn durch die wirtschaftlich (oder vorliegend durch behördliche Massnahmen) bedingten ausfallenden Arbeitsstunden Güter oder Dienstleistungen nicht produziert oder erbracht werden können und dadurch ein direkt dem Produkt oder der Dienstleistung zuordenbarer bzw. Entgelt wegfällt (vgl. auch SECO Weisung Aktualisierung « aufgrund der Pandemie in den Fassung 2020/08 bis 2020/12 [jeweils rückwirkend gültig ab 1. März 2020], wonach die für Unternehmen eingeführt worden sei, die Waren , Dienstleistungen erbringen, in einem direkten Kontakt mit dem - 6 - Markt stehen und ihr eigenes Betriebsrisiko tragen [unterschiedliche , vgl. bspw. Weisung 2020/08 S. 7]; abgelöst durch die Fassung 2020/15 [rückwirkend gültig ab 1. März 2020], wonach eine Organisation, z.B. ein Verein oder eine Genossenschaft, deren Zweckbestimmung das Wohlergehen ihrer Mitglieder sei und die sich durch Mitgliederbeiträge , keine wirtschaftliche Einbusse erleide und die Arbeitsplätze nicht gefährdet seien. Daher bestehe kein Anspruch auf , auch wenn die Arbeit von Angestellten vorübergehend aufgrund Massnahmen ausgesetzt werden müsse. Ein Verein, der erbringe und sich aus den dafür erhaltenen Entgelten finanziere (z.B. Verkaufserlöse, Eintrittsgebühren), könne jedoch aufgrund Massnahmen eine wirtschaftliche Einbusse erleiden und die könnten gefährdet sein. Daher könne der Anspruch auf erfüllt sein, wenn die übrigen Bedingungen erfüllt seien [ unvermeidbar, nicht durch wirtschaftlich tragbare Massnahmen vermeidbar, mindestens 10 %, vorübergehend, Art der Arbeitsverträge] [Weisung 2020/15 S. 13]). Als Entgelt gilt ein Vermögenswert, den der Empfänger oder an seiner Stelle eine Drittperson für den Erhalt einer aufwendet. Zwischen Leistung und Entgelt muss eine innere Verknüpfung bestehen (GEIGER FELIX, in: GEIGER /SCHLUCKEBIER REGINE, MWSTG Kommentar, Schweizerisches über die Mehrwertsteuer, 2. Aufl., Zürich 2019, zu Art. 3 Begriffe N. 59). Spenden, als freiwillige Zuwendung, ohne dass hierfür eine Gegenleistung im mehrwertsteuerlichen Sinn erwartet wird (vgl. Legaldefinition Spende in Art. 3 lit. i MWSTG), kommt dieser direkte Leistungscharakter nicht zu. Ein Arbeitsausfall, der einzig einen Rückgang von Spenden zur Folge hat, ist daher nicht anrechenbar im Sinne von Art. 31 ff. AVIG (vgl. auch Antwort des Bundesrates vom 19. August 2020 auf die Anfrage 20.1006 von Dandrès vom 4. Mai 2020, wonach ein Rückgang der Spenden keinen Arbeitsausfall darstelle und deshalb nicht als Begründung für einen auf Kurzarbeitsentschädigung vorgebracht werden könne). 3.2. Nach dem Dargelegten stellt ein vom Beschwerdeführer aufgrund der -19 Massnahmen des Bundes erlittener Wegfall von , welche einzig mittels Spenden und nicht direkter finanziert wurden, keinen anrechenbaren Arbeitsausfall im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. b bzw. Art. 32 Abs. 1 AVIG dar, womit dieser bei der Beurteilung des Anspruchs auf Kurzarbeitsentschädigung ausser Betracht fällt. - 7 - 3.3. Gemäss Aufstellung "Finanzierung A 2019" (Bb 4) stellte sich der anteilige Ertrag des Beschwerdeführers im Jahr 2019 aus Spenden unter der Betriebsabteilung C wie folgt zusammen: Bezeichnung Betrag in Fr. Anteil in % Spenden und 1'544'483.00 88.3 Übriger Ertrag (exkl. Verlust) 204'511.00 11.7 Total 1'748'994.00 100.0 Der "übrige Ertrag" stellt sich unter anderem aus den gemäss "Übersicht über den Rückgang der Einnahmen" erzielten Erträgen aus D, F, H usw. (vgl. E. 2.3. hiervor) sowie Erträgen aus _ [Veranstaltungen] . Anhand der in der "Übersicht über den Rückgang der " aufgeführten Erträge sowie dem diesen gegenübergestellten , welcher weder Personalkosten noch Aufwendungen im Bereich Räumlichkeiten, Einrichtungen, Strom usw. enthält, sondern sich im auf die verkauften Produkte beschränkt, ist zu schliessen, dass in diesen Tätigkeitsbereichen mehrheitlich ein negativer Erfolg erzielt und mittels Spenden querfinanziert wird. Dies erscheint insofern , als es im Vereinsleben üblich ist, dass die Vereinsmitglieder im durch Bezahlung des Mitgliederbeitrages (bzw. vorliegend Spenden) den Verein finanziell unterstützen und sich an zusätzlichen (wie _) grundsätzlich nur im ungefähren Umfang der Selbstkosten beteiligen. Ein weiteres Indiz hierfür sind beispielsweise die gemäss Homepage des Beschwerdeführers festgesetzten Kosten für die _ [Veranstaltung] J in Höhe von Fr. _ pro Person _. Der Preis _reicht nach der allgemeinen nicht zur Deckung der Fixkosten aus bzw. ist dieser selbst bei sehr günstigen _Verhältnissen _ höchstens kostendeckend (_). Der Wegfall solch maximal zum Selbstkostenpreis _ [Veranstaltungen] führt folglich nicht zu einem , sondern möglicherweise sogar zu Einsparungen. 3.4. Unter Berücksichtigung des soeben Dargelegten sowie der in E. 2.3. f. dargelegten Umsatz- / Aufwandsangaben kämen als anrechenbarer gemäss der Übersicht "Finanzierung A 2019" (VB 70), wenn überhaupt, einzig eine Verhinderung der Arbeitsleistung in den Bereichen K und L in Frage. Da es sich hierbei aber lediglich um einen Umsatzanteil von rund 0.3 % handelt ([Fr. 1'393.00 + Fr. 3'598.00] / 1'748'994.00) würde der gesetzliche Mindestausfall von 10 % ohnehin nicht erreicht. Eine Prüfung der einzelnen Positionen erübrigt sich daher. Da die von Art. 31 Abs. 1 i.V.m. Art. 32 Abs. 1 lit. b AVIG kumulativ - 8 - vorliegen müssen und mindestens die Voraussetzung des anrechenbaren Arbeitsausfalls nicht erfüllt ist, verneinte der Beschwerdegegner mit vom 29. Juni 2020 einen Anspruch auf des Beschwerdeführers zu Recht, weshalb die dagegen Beschwerde abzuweisen ist. 4. 4.1. Das Verfahren ist kostenlos (Art. 61 lit. a ATSG). 4.2. Dem Beschwerdeführer steht nach dem Ausgang des Verfahrens (Art. 61 lit. g ATSG) und dem Beschwerdegegner aufgrund seiner Stellung als (BGE 126 V 143) kein Anspruch auf zu. Das Versicherungsgericht erkennt: 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. 3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. Zustellung an: den Beschwerdeführer den Beschwerdegegner das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 82 ff. in Verbindung mit Art. 90 ff. BGG). Die Frist steht während folgender Zeiten still: vom Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern, vom 15. Juli bis und mit 15. August sowie vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar (Art. 46 BGG). - 9 - Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; der angefochtene Entscheid sowie die als angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit die Partei sie in hat (Art. 42 BGG). Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 82 ff. in Verbindung mit Art. 90 ff. BGG). Die Frist steht während folgender Zeiten still: vom Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern, vom 15. Juli bis und mit 15. August sowie vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar (Art. 46 BGG). Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; der angefochtene Entscheid sowie die als angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit die Partei sie in hat (Art. 42 BGG). - 10 - Aarau, 6. Januar 2021 Versicherungsgericht des Kantons Aargau 3. Kammer Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: Gössi Zürcher
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AG_VSG_002_-Sozialversicherungs_2021-01-06
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/sozialversicherungsrecht/Entscheid_des_Versicherungsgerichts_vom_6._Januar_2021.pdf
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2010 Versicherungsgericht 67 [...] 17 Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG. Die Beitragsbefreiung kommt nur zum Zug, wenn es der versicherten Person auch nicht möglich und zumutbar war, ein Teilzeitarbeitsverhält- nis einzugehen. Auch eine Teilzeitarbeit in geringem Umfang schliesst die Beitragsbefreiung aus. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. Okto- ber 2010 in Sachen M.M. gegen Öffentliche Arbeitslosenkasse (VBE.2010.257). Aus den Erwägungen 3.2.3. Für die Frage der Beitragsbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG ist grundsätzlich entscheidend, ob eine versicherte Person wegen Krankheit/Unfall mindestens im Umfang der gewünschten Er- werbstätigkeit und mindestens für die Dauer von zwölf Monaten ar- beitsunfähig war, und ob sie eben wegen dieser gesundheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen konnte. Zwar ist in der vorliegend massgeblichen Zeitspanne (Rahmenfrist für die Beitragszeit; 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2009) eine 100 %ige Arbeits- 2010 Versicherungsgericht 68 unfähigkeit bis 30. November 2008 ausgewiesen, doch ging die Be- schwerdeführerin einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach. Sie er- zielte mit dieser Tätigkeit ein monatliches Einkommen von Fr. 500.00; bei einer unselbständigen Erwerbstätigkeit hätte es sich damit um eine beitragspflichtige Beschäftigung gehandelt (vgl. Art. 23 Abs. 1 AVIG i.V.m. Art. 40 AVIV). Die Arbeit als Liegen- schaftsverwalterin nahm sie im Januar 2005 auf, d.h. zu einem Zeit- punkt, als sie medizinisch-theoretisch 100 % arbeitsunfähig war. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sie eine schon vor dem Unfall ausgeübte Nebenerwerbstätigkeit allein aufgrund des Entgegenkommens der Liegenschaftseigentümer und Grosseltern der Beschwerdeführerin auch während der Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit weiterführte. Vielmehr nahm sie diese Tätigkeit im Wissen um ihre gesundheitlichen Einschränkungen und Beschwerden überhaupt erst auf. Sie übte damit während der Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit mit einem Pensum von mindestens 10 % (vgl. Erw. 3.2.2. vorstehend) aus. Dem Einwand der Beschwerdeführerin, ihre Grosseltern hätten ihr die Liegenschaftsverwaltung nur als Be- schäftigungstherapie und zu einem Soziallohn übertragen, kann da- mit nicht gefolgt werden. Die Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit gemäss Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG kommt nur zum Zug, wenn es der Versi- cherten auch nicht möglich und zumutbar war, ein Teilzeitarbeitsver- hältnis einzugehen (Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Ulrich Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. XIV: Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, N. 234). Gemäss den vorstehenden Erwägungen war es der Beschwerdeführerin wäh- rend der Rahmenfrist für die Beitragszeit möglich, eine Teilzeiter- werbstätigkeit in einem nicht nur marginalen Umfang auszuüben. Auf den Befreiungsgrund von Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG kann sich die Beschwerdeführerin unter diesen Umständen praxisgemäss (...) nicht berufen.
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AG_VSG_001
AG_VSG
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AG_VSG_001_AGVE-2010-17_2010-10-03
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2009 Versicherungsgericht 84 [...] 18 Art. 13 BVG; Art. 23, 24 und 28 APK-Reglement; Art. 8 Abs. 1 und Art. 91 BV Die vorzeitige Pensionierung mit 61 Jahren ist auch nach dem Wechsel der APK vom Leistungs- zum Beitragsprimat möglich. Verfassungsmässi- ge Rechte, Normen des Berufsvorsorgerechts oder von Statuten und Ver- sicherungsbedingungen wurden beim Primatwechsel in Bezug auf die Re- gelung der vorzeitigen Pensionierung nicht verletzt. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. August 2009 in Sachen R.W. gegen Aargauische Pensionskasse (VKL.2008.41). Aus den Erwägungen 2.4. Die Möglichkeit der vorzeitigen Pensionierung ohne Leistungs- kürzung für Lehrer im Alter 61 wurde mit dem LPVK-Reglement 1999 geschaffen. Bei der Überführung der Lehrerpensionskasse (LPVK) in die Aargauische Pensionskasse (APK) per 1. Januar 2004 wurde diese Möglichkeit des privilegierten Rentenvorbezugs durch die Aufnahme einer entsprechenden Übergangsbestimmung in das APK-Reglement weitergeführt (§ 56 APK-Reglement 1995). Per 1. Januar 2008 erfolgte sodann bei der APK der Primatwechsel, d.h. vom bisher geltenden Leistungsprimat ging die Kasse zum Beitrags- primat über. Dies erforderte eine umfassende Reglementsänderung. 2009 Versicherungsgericht 85 Dabei wurde das ordentliche Rentenalter für alle männlichen Ange- stellten des Kantons auf 65 Jahre festgelegt. Eine vorzeitige Pen- sionierung bzw. ein Vorbezug von Altersleistungen ist ab Alter 58 zwar möglich, jedoch ist dies verbunden mit einer Kürzung der Ren- tenleistungen. § 56 des alten APK-Reglements wurde ersatzlos ge- strichen, d.h. die privilegierte Vorbezugsregelung ab Alter 61 wurde aufgehoben. (...) Strittig und zu prüfen ist, ob beim Primatwechsel per 1. Januar 2008 die Möglichkeit des privilegierten Rentenvor- bezugs im Alter von 61 Jahren (nach 40 Dienstjahren) zu Unrecht bzw. in Verletzung des geltenden Gesetzes- und Verfassungsrechts gestrichen wurde. 2.4.1. Die grundsätzliche Zulässigkeit eines Wechsels vom Leistungs- zum Beitragsprimat wird anerkannt (Hans-Ulrich Stauffer, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, S. 510 N 1350). Kommt es zu einer Regle- mentsänderung, die zu einer Leistungsherabsenkung führt, ist abzu- klären, inwieweit schützenswerte Interessen bestehen. Eine Grenze wird dort gesehen, wo in Vermögensrechte eingegriffen wird; ein Eingriff in bereits laufende Renten ist bei einem Primatwechsel mithin nicht ohne weiteres zulässig. Zu beachten sind generell die Kriterien der Gleichbehandlung und des Willkürverbots. So ist eine Änderung oder gar Aufhebung eines Leistungsversprechens aus sachlichen Gründen zulässig. Ebenso ist die Erhöhung der Beitrags- jahre bis zum Erreichen des Rentenalters bzw. die Erhöhung des or- dentlichen Rentenalters oder eine betragsmässige Kürzung einer an- wartschaftlichen Leistung zulässig, allerdings ist der Grundsatz zu beachten, dass das bereits angesparte Kapital nicht zweckentfremdet werden darf (Stauffer, a.a.O., S. 511 N 1352 f.; Ueli Kieser, Besitz- stand, Anwartschaft und wohlerworbene Rechte in der beruflichen Vorsorge, SZS 1999 S. 312). Per 1. Januar 2008 ging die APK vom Leistungs- zum Beitrags- primat über. Bereits laufende Renten wurden von der Änderung ausgenommen (vgl. § 51 Abs. 1 APK-Reglement 2008). Die Ände- rungen im Leistungsbereich wurden für alle übrigen Versicherten gleichermassen umgesetzt. Bereits angespartes Kapital wurde voll- umfänglich als persönliches Sparkapital übernommen. Insoweit ist 2009 Versicherungsgericht 86 der Primatwechsel per 1. Januar 2008 unter Beachtung des Gleich- heitsgebotes umgesetzt worden. Auch eine Verletzung des Will- kürverbotes ist nicht ersichtlich. 2.4.2. Der Kläger moniert des Weiteren, beim Primatwechsel seien wohlerworbene Rechte, wie etwa das Recht der langjährigen Versi- cherten, sich nach 40 Dienstjahren mit privilegierten Altersleistungen pensionieren zu lassen, verletzt worden. (...) Im LPVK-Reglement 1999 wurde bezüglich des privilegierten Altersrentenvorbezugs kein wohlerworbenes Recht geschaffen; we- der wurden generell noch bezüglich einer bestimmten Norm zukünftige Gesetzesänderungen ausgeschlossen, noch anderweitige Garantien statuiert. Dabei ist zu beachten, dass Statuten öffentlich- rechtlicher Vorsorgeeinrichtungen (was die LPVK war; vgl. § 1 Abs. 3 LPVK-Reglement 1999) auch dann geändert werden dürfen, wenn sie keinen ausdrücklichen Abänderungsvorbehalt aufweisen, welcher für privatrechtliche Vorsorgestiftungen gefordert wird (BGE 134 I 36 Erw. 7.2). Auch individuelle Zusicherungen gegenüber dem Kläger wurden ausweislich der Akten nicht abgegeben. Dass die Regelung der Frühpensionierung langjähriger Angestellter in die Übergangsbe- stimmungen des APK-Reglements (§ 56 APK-Reglement 1995) übernommen wurde, kann ebenso nicht als Garantie im Sinne eines wohlerworbenen Rechts qualifiziert werden. Zudem ist zu beachten, dass die Möglichkeit der vorzeitigen Pensionierung ohne Leistungs- einbusse erst 1999 geschaffen wurde (vgl. Erw. 2.3. vorstehend); dieser besondere Leistungsanspruch besteht somit nicht schon seit Jahrzehnten, und kann daher auch nicht bereits durch Zeitablauf den Status eines wohlerworbenen Rechts erworben haben. Auch aus dem Umstand, dass es sich bei der LPVK um eine Leistungsprimatkasse handelte, kann nicht auf eine individuelle Zusicherung einer be- stimmten Leistungshöhe ohne Änderungsvorbehalt geschlossen wer- den (Geiser, a.a.O., S. 624). Die Möglichkeit der vorzeitigen Pensio- nierung mit 61 Jahren / nach 40 Dienstjahren ohne Leistungseinbusse bei der Altersrente kann somit nicht als wohlerworbenes Recht quali- fiziert werden. 2009 Versicherungsgericht 87 2.4.3. Der Kläger macht weiter geltend, das Rechtsgleichheitsgebot sei verletzt, da Lehrerkollegen, welche bis 31. Dezember 2007 61 Jahre alt geworden seien, noch von der privilegierten Rentenregelung hätten profitieren können, während nur ein oder zwei Jahre ältere Versicherte - so wie er - seit 1. Januar 2008 davon ausgeschlossen seien. (...) Ein Lehrer mit Jahrgang 1946 ist im Sinne der vorgenannten Bestimmung (Art. 8 Abs. 1 BV) nicht sachlich gleich zu stellen wie der Kläger mit Jahrgang 1949. Da bei einem Leistungsfall immer dasjenige Recht anzuwenden ist, welches bei Eintritt des Leistungs- grundes Geltung hatte, ist auf Versicherte mit Jahrgang 1947 bezüg- lich der Frühpensionierung im Alter 61 noch auf die 2007 gültig gewesenen Normen, d.h. die Regelung vor Übergang der APK zum Beitragsprimat abzustellen. Für alle nachfolgenden Jahrgänge kann das nicht mehr gelten. Art. 8 BV wird dadurch nicht verletzt, da es sich eben gerade nicht um gleiche Gegebenheiten handelt. Zudem wurden nicht einzelne Versicherte von einem Leistungsanspruch aus- geschlossen, sondern eine generelle Grenze gezogen zwischen der Gruppe von Versicherten mit den Jahrgängen 1946 und älter und 1947 und jünger. Solche Abgrenzungen sind zulässig, soweit inner- halb der einzelnen Gruppen alle Versicherten gleich behandelt wer- den. Ebenfalls nicht tangiert wird die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV), handelt es sich beim Rentenanspruch des Klägers doch ledig- lich um eine Anwartschaft, welche durch den Primatwechsel bzw. die Statutenänderung 2008 in ihrer Grundlage (Sparkapital) nicht redu- ziert wird. (...) 2.4.4. Ebenfalls keine verfassungsmässigen Rechte wurden verletzt, indem bei der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Reglementsrevi- sion keine Übergangsbestimmung zur Frage des Altersrentenvorbe- zugs aufgenommen wurde. Angemessene Übergangsfristen können unter Umständen für neue belastende Regelungen aus dem Grundsatz 2009 Versicherungsgericht 88 von Treu und Glauben geboten sein (BGE 130 I 60 Erw. 8.1). Über- gangsfristen haben jedoch nicht den Zweck, die Betroffenen mög- lichst lange von der günstigeren bisherigen Regelung profitieren zu lassen, sondern einzig, ihnen eine angemessene Frist einzuräumen, sich an die neue Regelung anzupassen. Eine mit Treu und Glauben begründete Übergangsfrist soll den Betroffenen ermöglichen, ihre Lebenshaltung an ein allfällig reduziertes Einkommen anzupassen (BGE 134 I 40 Erw. 7.6.1). Im konkreten Fall ist zu beachten, dass der Kläger bei der Pensionierung im Alter 61 keine Leistungsein- busse gegenüber der Regelung vor dem Primatwechsel hinnehmen muss. Im Gegenteil fällt die Rentenhöhe im Beitragsprimat - auf- grund der Zusatzgutschrift des Kantons - noch höher aus als im Leis- tungsprimat. Gleiches gilt für die Pensionierung im Alter von 63 Jah- ren. Der Unterschied liegt allein darin, dass im Leistungsprimat zwi- schen 61 und 63, d.h. bis zum Erreichen des ordentlichen Rentenal- ters, keine weitere Erhöhung der Altersrente mehr erreicht werden konnte, während im Beitragsprimat weiteres Sparguthaben und wei- tere Zinsen geäufnet werden können und sich auch durch die Anwen- dung eines höheren Umwandlungssatzes eine höhere Altersrente ab 63 bzw. ab 65 Jahren ergibt. Dies ist jedoch kein Nachteil der Versi- cherten, welcher durch entsprechende Übergangsfristen aufgefangen werden könnte und müsste. (...) 2.5. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass weder generell bezüglich des Primatwechsels der APK per 1. Januar 2008 noch in- dividuell betreffend die Möglichkeit des Klägers, nach 40 Dienstjah- ren im Alter von 61 Jahren vorzeitig in Pension zu gehen, eine Ver- letzung verfassungsmässiger Rechte, von Normen des Berufsvorsor- gerechts oder von Statuten und Versicherungsbedingungen vorliegt. Dem Kläger bleibt es unbenommen, sich per 1. März 2010 pensio- nieren zu lassen, doch kann er dabei keine Alterleistungen verlangen, wie er sie bei Weiterführung der Erwerbstätigkeit bis zum Erreichen des ordentlichen Rentenalters beanspruchen könnte. (...)
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2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 82 [...] 11 § 17 Abs. 4-6 aEG KVG Wenn eine versicherte Person im ordentlichen Verfahren freiwillig auf ei- nen bestehenden Prämienverbilligungsanspruch verzichtet, kann sie die- sen später auch bei einer Einkommensverminderung nicht mehr im ausserordentlichen Verfahren geltend machen. Dies kann in gewissen Konstellationen zu stossenden Ergebnissen führen, wäre aber durch den Gesetzgeber zu korrigieren. 2016 Sozialversicherungsrecht 83 Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 10. Mai 2016 i.S. S.S. gegen SVA Aargau (VBE.2015.719) Aus den Erwägungen (Der Beschwerdeführer löste seinen Lehrvertrag per 30. Sep- tember 2014 auf. Am 22. März 2015 stellte er bei der Beschwer- degegnerin einen Antrag um rückwirkende Ausrichtung von Prä- mienverbilligung ab dem 1. Oktober 2014, weil sich sein Einkommen durch den Wegfall des Lehrlingslohnes um mehr als 20 % vermindert habe. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er vor dem Verlust seiner Lehrstelle trotz entsprechenden Anspruchs bewusst auf einen Antrag auf Prämienverbilligung verzichtet habe, da es ihm ein Anliegen gewesen sei, selbst für sein Auskommen sorgen zu können. Die Beschwerdegegnerin lehnte einen rückwirkenden Anspruch auf Prämienverbilligung ab) 5. 5.1. Vorliegend gilt es demnach zu klären, ob das ausserordentliche Verfahren nach § 17 Abs. 4-6 EG KVG angerufen werden kann, ob- wohl bereits im ordentlichen Verfahren eine Geltendmachung von Prämienverbilligungsbeiträgen möglich gewesen wäre. (...) 5.2. (Allgemeine Ausführungen zu den Regeln der Gesetzesausle- gung) 5.3. 5.3.1. Auf die Frage, ob ein Anspruch im ausserordentlichen Verfah- ren bei veränderten Einkommens- oder Familienverhältnissen auch dann geltend gemacht werden kann, wenn auf einen bereits früher bestehenden Anspruch (in gleicher oder anderer Höhe) freiwillig ver- zichtet worden war, nehmen weder § 17 Abs. 4-6 EG KVG noch die übrigen Bestimmungen zur Prämienverbilligung (vgl. §§ 11 ff. EG KVG sowie §§ 9 ff. der Verordnung zum EG KVG) explizit Bezug. 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 84 5.3.2. So enthält auch § 17 Abs. 4 EG KVG, welcher die Voraus- setzungen des ausserordentlichen Verfahrens regelt, diesbezüglich keinen ausdrücklichen Vorbehalt. Gemäss § 17 Abs. 6 EG KVG wird für die Berechnung des Anspruches im ausserordentlichen Verfahren jedoch eine Verminderung des steuerbaren Einkommens (um die Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem veränderten Erwerbseinkommen) vorausgesetzt. Beträgt das steuerbare Einkom- men, das für den Prämienverbilligungsanspruch neben dem steuer- baren Vermögen den massgebenden Parameter darstellt (§ 16 Abs. 1 EG KVG), bereits vor der Einkommensveränderung Fr. 0.00, bleibt die für das ausserordentliche Verfahren erforderliche Verminderung aus. Aus der Bestimmung von § 17 Abs. 6 EG KVG ergibt sich mithin, dass der Gesetzgeber das ausserordentliche Verfahren auf Fälle beschränken wollte, in denen sich die Einkommensveränderung auch tatsächlich auf die Höhe des Prämienverbilligungsanspruches auswirkt. 5.3.3. Betrachtet man die Einbettung des ausserordentlichen Verfah- rens innerhalb der Gesetzessystematik, wird zudem deutlich, dass ein Anspruch grundsätzlich im ordentlichen Verfahren geltend gemacht werden soll (§ 17 Abs. 1 EG KVG). Nur wenn in einem späteren Zeitpunkt aufgrund einer Änderung der wirtschaftlichen oder famili- ären Verhältnisse ein Anspruch neu entsteht (Erstanspruch) oder ein bereits geltend gemachter Anspruch nachträglich anzupassen ist, soll das ausserordentliche Verfahren zur Anwendung kommen (in diesem Sinne ist folglich auch § 17 Abs. 4 Satz 1 EG KVG zu verstehen: "Bei nachweisbarer Veränderung [...] kann ein Antrag auf Prä- mienverbilligung [d.h. ein Erstanspruch] oder, sofern bereits ein Anspruch besteht [und demzufolge auch geltend gemacht wurde], auf Nachvergütung gestellt werden"). Damit nimmt der Gesetzgeber einerseits Rücksicht auf die im Bereich der Prämienverbilligung vor- herrschende Massenverwaltung. Andererseits kann so der Vorgabe in Art. 65 Abs. 3 Satz 1 KVG Rechnung getragen werden, wonach für die Ermittlung des Prämienverbilligungsanspruches im Falle über- holter Steuerdaten aktuelle Bemessungsgrundlagen herangezogen 2016 Sozialversicherungsrecht 85 werden können sollen (Botschaft betreffend den Bundesbeschluss über die Bundesbeiträge in der Krankenversicherung und die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 21. September 1998 [BBI 1999 I 793, S. 845]; vgl. auch G EBHARD E UGSTER , Krankenversicherung, in: SBVR, Rz. 1396 f.; vor diesem Hintergrund erfolgte auch die Regelung der Nachvergütung gemäss § 16 Abs. 4 EG KVG). Im Übrigen hat der Bundesgesetzgeber den Kantonen bei der Ausgestaltung der Prämienverbilligung erhebliche Freiheit zugestanden (vgl. E. 2.1; E UGSTER , SBVR, Rz. 1394). 5.4. Nach dem Gesagten lässt sich den Gesetzesbestimmungen zur in E. 5.1 gestellten Frage durch Auslegung eine Regelung entneh- men. Ihre Anwendung kann im Einzelfall allerdings zu einem stossenden Ergebnis führen, wenn anspruchsberechtigten Personen, die trotz bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen auf staatliche Leistungen verzichten, bei (unvorhergesehener) weiterer erheblicher Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nach Ablauf der Einreichefrist für das ordentliche Verfahren die Inanspruchnahme von Prämienverbilligung im ausserordentlichen Verfahren versagt bleibt. Für eine solche Konstellation, wie sie auch beim Beschwerde- führer vorliegt, erweist sich die getroffene Regelung als sachlich nicht befriedigend im Sinne einer unechten Lücke (vgl. E. 5.2). Diese zu schliessen ist jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten, weshalb vorliegend das ausserordentliche Verfahren nicht zur Anwendung ge- langen kann.
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AG_VSG_001
AG_VSG
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2007 Versicherungsgericht 61 [...] 14 Art. 22 FZG; Art. 124, 148 Abs. 2 ZGB Ist der Vorsorgefall nach Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens und noch vor Erlass des Scheidungsurteils eingetreten, muss vom Scheidungs- richter eine Entschädigung i.S.v. Art. 124 ZGB festgelegt werden. Die Tei- lung der Freizügigkeitsleistungen ist diesfalls nicht mehr möglich und das Versicherungsgericht zur Festsetzung der Entschädigung nicht befugt. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 16. Okto- ber 2007 i.S. T. Aus den Erwägungen 2.2. Ist bei einem oder beiden Ehegatten vor Rechtskraft des Schei- dungsurteils ein Vorsorgefall eingetreten, ist eine Teilung der Aus- 2007 Versicherungsgericht 62 trittsleistung unmöglich. Diesfalls ist eine angemessene Entschädi- gung geschuldet (Art. 124 Abs. 1 ZGB; Ueli Kieser, Ehescheidung und Eintritt des Vorsorgefalles der beruflichen Vorsorge - Hinweise für die Praxis, AJP 2001 157 f.). Die Höhe der Entschädigung ist vom Scheidungsrichter festzusetzen (unpubl. Urteil des Eidgenössi- schen Versicherungsgerichts [EVG] vom 23. Februar 2006 [B 131/04], Erw. 3.3 = SZS 2007 163). Der Vorsorgefall Invalidität gilt in dem Zeitpunkt als eingetre- ten, in welchem erstmals ein Anspruch auf eine Rentenleistung erho- ben werden kann; nicht massgebend ist somit der Beginn der Arbeits- unfähigkeit (unpubl. Urteil des EVG vom 30. März 2005 [B 107/03] = SZS 2006 S. 141; Kieser, a.a.O., S. 157). 3. 3.1. Im vorliegenden Fall wurde das Scheidungsverfahren von den Parteien beim Bezirksgericht X. am 2. Juni 2004 anhängig gemacht. Das Scheidungsurteil wurde am 26. Januar 2006 gesprochen und ist am 18. Dezember 2006 in Rechtskraft erwachsen. Bezüglich Teilung der Guthaben der beruflichen Vorsorge kam im Scheidungsverfahren keine Einigung der Parteien zustande, sodass das Bezirksgericht das Teilungsverhältnis festlegte und die Sache sodann gemäss Art. 142 ZGB zur betragsmässigen Festsetzung der zu teilenden Austrittsleis- tung an das Versicherungsgericht überwies. Gemäss Vorbescheid der IV-Stelle Bern vom 24. Mai 2007 mel- dete sich der Beklagte am 21. Juni 2005 zum Bezug von IV-Leistun- gen an. Das Gesuch wurde in dem Sinne behandelt, als eine ganze Invalidenrente für die Zeit vom 1. August 2005 bis 28. Februar 2007 zugesprochen wurde. Der Vorsorgefall i.S.v. Art. 124 ZGB trat somit am 1. August 2005 ein (vgl. Erw. 2.2. vorstehend). Zu diesem Zeit- punkt war das Scheidungsverfahren bereits hängig, jedoch noch kein Scheidungsurteil ergangen. (...) 3.2. Ist der Vorsorgefall nach Rechtshängigkeit des Scheidungsver- fahrens eingetreten, das Scheidungsurteil bei Zusprechung der Ren- tenleistungen aber bezüglich der Teilung der Austrittsleistungen be- reits formell rechtskräftig, so kann gestützt auf Art. 148 Abs. 2 ZGB 2007 Versicherungsgericht 63 die Revision des entsprechenden Teils des Scheidungsurteils verlangt werden (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungs- recht, Zürich 1999, N 6 zu Art. 124 ZGB). Wurde die Teilung der Austrittsleistungen im Scheidungsverfahren nicht mittels Vereinba- rung zwischen den Parteien festgelegt sondern liegt nur eine vom Gericht autoritativ bestimmtes Teilungsverhältnis vor, fehlt es an ei- nem formell rechtskräftigen Urteil betreffend einer zahlenmässigen Teilung der Austrittsleistungen, so dass die Prozessüberweisung an das Versicherungsgericht nötig wird (Art. 122 und 141 f. ZGB). Ist der Vorsorgefall vor Erlass des Scheidungsurteils eingetreten, so fehlte es im Grunde genommen an der Voraussetzung für eine Pro- zessüberweisung. Wäre der Eintritt des Vorsorgefalls im Zeitpunkt des Scheidungsverfahrens bereits sicher gewesen, so hätte von Amtes wegen eine angemessene Entschädigung nach Art. 124 Abs. 1 ZGB festgesetzt werden müssen. Somit ist davon auszugehen, dass die Prozessüberweisung hinfällig wird und über die angemessene Ent- schädigung ein Nachverfahren vor dem nach Art. 135 Abs. 1 ZGB zuständigen Gericht durchzuführen ist (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 10 zu Art. 124 ZGB). 3.3. Gemäss den vorstehenden Erwägungen ist die Vornahme der Teilung der Austrittsleistung aufgrund des beim Beklagten am 1. Au- gust 2005 eingetretenen Vorsorgefalles unmöglich. Auf telefonische Nachfrage teilte die Pensionskasse Y. mit, das Freizügigkeitskonto des Beklagten sei nunmehr gesperrt und es könne keine Auszahlung mehr vorgenommen, d.h. keine Durchführbarkeitserklärung abgege- ben werden; dies unbesehen davon, dass die IV eine befristete Invali- denrente zugesprochen habe. Da der Vorsorgefall nach Rechtshängigkeit des Scheidungsver- fahrens und noch vor Erlass des Scheidungsurteils eingetreten ist, ob- liegt es dem Scheidungsrichter, über die Entschädigung i.S.v. Art. 124 ZGB zu befinden; das Versicherungsgericht ist hiezu nicht befugt (vgl. unpubl. Urteil des EVG vom 23. Februar 2006 [B 131/03], Erw. 3.3.). (...) Da die Teilung unmöglich geworden ist, d.h. vom Versicherungsgericht nicht vorgenommen werden kann, ist die Klage abzuweisen.
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2000 Versicherungsgericht 90 [...] 29 § 8 Abs. 6 KZG. Der Nebensatz ,,sofern dadurch keine Doppelzahlung erfolgt" ist dahin- gehend auszulegen, dass ein Zulagenberechtigter Anspruch auf nicht mehr als eine volle Zulage mit Bezug auf das Arbeitspensum (100%) ha- ben kann. § 8 Abs. 6 KZG enthält aber keine betragsmässige Begrenzung. Aufgrund der kantonal unterschiedlichen Ansätze ist es denkbar, dass ein in verschiedenen Kantonen tätiges Ehepaar bei einem gemeinsamen Ar- beitspensum von 100 % höhere Kinderzulagen erhält als ein ausschliess- lich im Kanton Aargau tätiges Ehepaar. Damit ist eine Gleichbehandlung der nach aargauischer Kinderzulagenordnung Berechtigten gewährleistet (Erw. 3c und f). Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 22. August 2000 in Sachen P.S. gegen T. AG. Aus den Erwägungen 3. (...) c) Die Regelung im (aargauischen) Kinderzulagengesetz (§ 8 Abs. 6 KZG), wonach die Zulage nach dem aargauischen Kinderzu- lagengesetz auszurichten ist, wenn verschiedene Anspruchsberech- tigte für das nämliche Kind nach diesem Gesetz und nach dem Ge- setz eines anderen Kantons Anspruch auf die Zulage haben, sofern dadurch keine Doppelzahlung erfolgt, ist insofern unklar, als der Nebensatz ,,sofern dadurch keine Doppelzahlung erfolgt" unter- schiedlich aufgefasst werden kann. Man kann darunter verstehen, dass ein Zulagenberechtigter Anspruch auf nicht mehr als eine volle Zulage mit Bezug auf das Arbeitspensum (100%) haben kann, oder dass eine volle Kinderzulage (im Kanton Aargau) betragsmässig 2000 Versicherungsgericht 91 nicht mehr als Fr. 150.-- betragen darf, wie dies von der Beschwer- degegnerin sinngemäss vertreten wird. Da der Wortlaut des Gesetzes somit nicht klar ist und verschiedene Auslegungen möglich sind, muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden, unter Berück- sichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zugrunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt (BGE 124 V 189 Erw. 3a mit Hinweisen). Ziel der Auslegung ist es, den Sinn eines Rechtssatzes zu ergründen, wobei grundsätzlich jede Vorschrift auslegungsbedürftig ist (AGVE 1997, S. 336 Erw. 2b/cc). Der Sinn und Zweck der vorliegenden Regelung ,,sofern dadurch keine Dop- pelzahlung erfolgt" liegt darin, dass einem erwerbstätigen Ehepaar nicht mehr als eine Zulage für das nämliche Kind ausgerichtet wer- den soll (vgl. Botschaft des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 5. Oktober 1962, S. 14 Ziff. 7 und Sitzungsprotokoll der Grossrats- kommission vom 7. Januar 1963, S. 7). Das Verbot der Doppelzah- lung will verhindern, dass zwei erwerbstätige Ehegatten mehr als 100% einer vollen Zulage für das nämliche Kind erhalten, wobei dies sowohl für erwerbstätige Ehegatten, welche beide einer Vollzeitbe- schäftigung nachgehen, als auch für solche, welche bloss eine Teil- zeitbeschäftigung ausüben, gelten muss. Eine volle Zulage wird dann ausgerichtet, wenn ein Arbeitnehmer während eines ganzen Monats beim gleichen Arbeitgeber angestellt ist und bei diesem während mindestens 120 Stunden pro Monat arbeitet (§ 9 Abs. 1 KZG). Dar- aus ergibt sich, dass eine volle Zulage bzw. eine solche im Umfang von 100% nach dem Arbeitspensum des Arbeitnehmers zu bemessen ist. Dass eine volle Zulage betragsmässig dem im Kanton Aargau geltenden Ansatz von Fr. 150.-- pro Kind zwingend entsprechen muss, ist nicht naheliegend. Indem jeder Arbeitnehmer eines Arbeit- gebers im Kanton Aargau eine seinem Arbeitspensum entsprechend prozentual abgestufte Kinderzulage erhält, ist eine Gleichbehandlung der nach aargauischer Kinderzulagenordnung Berechtigten gewähr- leistet. 2000 Versicherungsgericht 92 (... ) f) Die Berechnungsart, wonach die Kinderzulagen nach dem entsprechenden Beschäftigungsgrad unter Berücksichtigung der je- weiligen Zulagenordnung ausgerichtet werden, verdient zweifels- ohne den Vorzug, weil nur sie als sachgerecht anzusehen ist und überdies im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen des (aar- gauischen) Kinderzulagengesetz steht. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb der Beschwerdeführer nur Anspruch auf eine Teilzulage haben soll, welche der Differenz der Zulage seiner Ehefrau zur vol- len Zulage gemäss § 7 Abs. 1 KZG entspricht bzw. (aufgrund der höheren Ansätze der Kinderzulagen im Kanton Luzern) weniger als 60% der vollen Zulage im Kanton Aargau beträgt, obwohl er unbe- strittenermassen bei seiner Arbeitgeberin ein Arbeitspensum in die- sem Umfang leistet (vgl. Anstellungsvertrag vom 19. Juli 1999). Damit würde er gegenüber den nach der aargauischen Kinderzula- genordnung Berechtigten, welche eine ihrem Arbeitspensum ent- sprechende Kinderzulage erhalten, ungerechtfertigterweise benach- teiligt, bloss weil seine Ehefrau einer ausserkantonalen Teilerwerbs- tätigkeit (mit höheren Kinderzulagenansätzen) nachgeht. Mit dieser Vorgehensweise würde eine Rechtsungleichheit geschaffen, für die kein sachlicher Grund ersichtlich ist, der eine unterschiedliche Be- handlung der Zulagenberechtigten rechtfertigen würde (vgl. Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 397 f. mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung). Ausserdem ist bei der von der Beschwerdegegnerin vertretenen Auf- fassung unklar, ob sie im umgekehrten Fall - wenn die Ansätze der Kinderzulagen im Kanton Aargau höher wären als diejenigen im Kanton Luzern - ebenfalls die Differenz der Zulage der Ehefrau zur vollen Zulage ausgleichen und damit dem Beschwerdeführer eine prozentual über seinem Arbeitspensum liegende Kinderzulage aus- richten würde. Bei der nach Arbeitspensum prozentual abgestuften Ausrichtung der Zulagen nach der jeweiligen kantonalen Zulagen- ordnung liegt entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin 2000 Versicherungsgericht 93 keine Doppelzahlung gemäss § 8 Abs. 6 KZG vor, da die Ehefrau (ab 1. August 1999) einer Beschäftigung im Umfang von nunmehr 40% und der Beschwerdeführer einer solchen im Umfang von 60% nach- gehen, somit beide zusammen ein Arbeitspensum von 100% leisten. Damit beanspruchen der Beschwerdeführer und seine Ehefrau nicht mehr als eine volle Kinderzulage. Dass diese aufgrund der kantonal unterschiedlichen Ansätze gegenüber einem ausschliesslich im Kan- ton Aargau beschäftigten Ehepaar betragsmässig höher ausfällt, än- dert nichts daran. Damit liegt keine Ungleichbehandlung gegenüber den nach aargauischer Kinderzulagenordnung Berechtigten vor. Die Ausrichtung einer betragsmässig höheren vollen Zulage resultiert im vorliegenden Fall aus den kantonal geregelten Kinderzulagenord- nungen mit unterschiedlicher Höhe der Kinderzulagen und ist letzt- lich als Folge des Föderalismus anzusehen.
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2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 88 [...] 13 Art. 43 Abs. 2, Art. 47 Abs. 1 bis lit. b IVG Bei der Sistierung einer Invalidenrente infolge Doppelanspruches auf ein IV-Taggeld während der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen handelt es sich nicht um eine Zwischen- sondern um eine Endverfügung. Die Beschränkungen bezüglich der selbständigen Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen sind daher unbeachtlich. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 14. Dez- ember 2016, i.S. D.N. gegen SVA Aargau (VBE.2016.406). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Nach Art. 47 Abs. 1 bis lit. b IVG werden Invalidenrenten wäh- rend der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen nach Art. 8 IVG längstens bis zum Ende des dritten vollen Kalendermonats, der dem Beginn der Massnahmen folgt, weitergewährt. Zusätzlich zur Rente wird das Invalidentaggeld nach Art. 22 ff. IVG ausgerichtet, welches jedoch während der Dauer des Doppelanspruchs bei der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen um einen Dreissigstel des Rentenbetrags gekürzt wird (Art. 47 Abs. 1 ter IVG). Nach Ende des dritten dem Massnahmenbeginn folgenden vollen Kalendermo- 2016 Sozialversicherungsrecht 89 nats ist die Auszahlung der Invalidenrente im Sinne von Art. 43 Abs. 2 IVG zu sistieren und ein ungekürztes Invalidentaggeld auszu- richten (M EYER /R EICHMUTH , Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Invalidenver- sicherung [IVG], 3. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 43 IVG). Die Sistierung der Invalidenrente erfolgt dabei - gleich wie bei der Sistierung zu- folge eines Straf- oder Massnahmenvollzugs nach Art. 21 Abs. 5 ATSG - definitiv für die Dauer der Eingliederungsmassnahmen und damit nicht im Hinblick auf eine noch zu erlassende Endverfügung (vgl. hierzu K ÖLZ /H ÄNER /B ERTSCHI , Verwaltungsverfahren und Ver- waltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 905; K AYSER , in: Auer/Müller/Schindler, Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2008, N. 2 zu Art. 45 VwVG und U HLMANN / W ÄLLE -B ÄR , in Waldmann/Weissenberger, Praxiskommentar Ver- waltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2016, N. 3 zu Art. 45 VwVG), wie dies beispielsweise im Rahmen eines Revisionsverfahrens oder bei der Anordnung einer medizinischen Begutachtung der Fall wäre (U. M ÜLLER , Das Verwaltungsverfahren in der Invalidenversiche- rung, 2010, Rz. 2342). Der Rentenanspruch als solcher bleibt denn auch bestehen und lebt nach Massnahmenabschluss ohne Weiteres wieder auf (U. M ÜLLER , a.a.O., Rz. 2342 mit Hinweis auf BGE 114 V 143 E. 2 S. 144 f.; M EYER /R EICHMUTH , a.a.O., N. 2 zu Art. 43 IVG). Es handelt sich daher bei der Sistierung einer Invalidenrente in Anwendung von Art. 43 Abs. 2 i.V.m. Art. 47 Abs. 1 bis lit. b IVG auch nicht um eine vorsorgliche Massnahme und damit nicht um eine Zwischenverfügung im Sinne von Art. 55 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 46 VwVG, wie dies beispielswiese bei einer vorsorglichen Rentensis- tierung im Zusammenhang mit einer vermutlichen Meldepflicht- verletzung der Fall ist (vgl. U. M ÜLLER , a.a.O., Rz. 2211, 2323 ff. und 2342; vgl. auch U HLMANN /W ÄLLE -B ÄR , a.a.O., N. 7 zu Art. 45 VwVG). Für den Erlass vorsorglicher Massnahmen fehlt es überdies mangels später folgendem Endentscheid bereits an der Voraus- setzungen der positiven Entscheidprognose (vgl. hierzu K ÖLZ /H Ä - NER /B ERTSCHI , a.a.O., Rz. 565). Zu ergänzen bleibt, dass auch Anordnungen, welche in einem selbständigen Verfahren ergehen, aber - wie hier - bloss vorläufig gelten, als Endentscheide qualifi- 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 90 ziert werden können (vgl. K ÖLZ /H ÄNER /B ERTSCHI , a.a.O., Rz. 1434 mit Hinweis unter anderem auf BGE 136 V 131 E. 1.1 S. 133 ff. und 133 V 477 E. 4.1 S. 480 f.). 2.2. Soweit die Beschwerdegegnerin die hier angefochtene Verfü- gung vom 14. Juni 2016 als Zwischenverfügung ansah, so bezeich- nete und mit einer entsprechenden Rechtsmittelbelehrung versah, ist dies folglich unzutreffend. Da die Verfügung indes unstreitig sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht die Anforderungen an eine Verfügung im Sinne von Art. 49 ATSG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 VwVG erfüllt (vgl. hierzu M ARTIN /S ELTMANN /L OHER , Die Verfü- gung in der Praxis, 2. Aufl. 2016, S. 195 ff. und M. M ÜLLER , in: Auer/Müller/Schindler, a.a.O., N. 39 ff. zu Art. 5 VwVG) und der Beschwerdeführerin aus der falschen respektive fehlenden Rechts- mittelbelehrung jedenfalls keine Nachteile im Sinne von Art. 49 Abs. 3 ATSG erwachsen sind (vgl. hierzu Urteile des Bundesgerichts 8C_122/2013 vom 7. Mai 2013 E. 4.1, 8C_206/2010 vom 25. Mai 2010 E. 2 und 9F_11/2007 vom 3. März 2008 E. 2.1, je mit Hinwei- sen), ist zum einen von ihrer Rechtsbeständigkeit auszugehen und zum anderen auf die Beschwerde einzutreten. Da es sich jedoch nicht um eine Zwischenverfügung, sondern um eine Endverfügung han- delt, gelten die Beschränkungen bezüglich der selbständigen Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen (Drohen eines nicht wie- der gutzumachenden Nachteils oder sofortige Herbeiführung eines Endentscheids bei Gutheissung und damit verbunden eine bedeu- tende Ersparnis an Zeit- oder Kostenaufwand; vgl. Art. 55 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. a sowie b VwVG und U ELI K IESER , ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 17 f. zu Art. 56 ATSG sowie BGE 133 V 477 E. 5.2.1 S. 483 mit Hinweisen) hier nicht (vgl. K AYSER , a.a.O., N. 3 zu Art. 46 VwVG). 2.3. Zusammengefasst handelt es sich bei der Sistierung einer Invalidenrente nach Art. 43 Abs. 2 i.V.m. Art. 47 Abs. 1 bis lit. b IVG - anders als beispielsweise bei der vorsorglichen Rentensistierung im Rahmen eines Revisionsverfahrens oder bei der Anordnung einer medizinischen Begutachtung - nicht um eine Zwischen- sondern um 2016 Sozialversicherungsrecht 91 eine Endverfügung. Die Beschränkungen bezüglich der selbständi- gen Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen sind daher unbeacht- lich.
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2013 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 44 [...] 6 Art. 21 Abs. 5 ATSG Die IV-Rente wird trotz Massnahme in einer geschlossenen Einrichtung nicht sistiert, wenn die Möglichkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (Lehre) tatsächlich gegeben ist. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 12. No- vember 2013 in Sachen A.B. gegen Ausgleichskasse S. (VBE.2013.201). Aus den Erwägungen 3. Befindet sich die versicherte Person im Straf- oder Massnahme- vollzug, so kann während dieser Zeit die Auszahlung von Geldleis- tungen mit Erwerbsersatzcharakter ganz oder teilweise eingestellt werden (Art. 21 Abs. 5 ATSG). Sinn und Zweck des Art. 21 Abs. 5 ATSG ist rechtsprechungs- gemäss die Gleichbehandlung der invaliden mit der validen inhaftier- ten Person, welche durch einen Freiheitsentzug ihr Einkommen ver- liert. Entscheidend ist, dass eine verurteilte Person wegen der Ver- büssung einer Strafe oder Massnahme an einer Erwerbstätigkeit ge- hindert wird. Nur wenn die Vollzugsart der verurteilten versicherten Person die Möglichkeit bietet, eine Erwerbstätigkeit auszuüben und somit selber für die Lebensbedürfnisse aufzukommen, verbietet es sich, den Rentenanspruch zu sistieren. Massgebend für eine Sistie- rung der Rentenleistungen eines Invaliden ist somit, ob eine nicht in- 2013 Sozialversicherungsrecht 45 valide Person in der gleichen Situation durch den Freiheitsentzug einen Erwerbsausfall erleiden würde (BGE 138 V 140 E. 2.2 S. 141 f., 137 V 154 E. 5.1 S. 160 f.). Für die Rentensistierung gestützt auf Art. 21 Abs. 5 ATSG ist deshalb allein darauf abzustellen, ob der sta- tionäre Massnahmenvollzug gemäss Art. 59 StGB eine Erwerbstä- tigkeit zulässt oder nicht (BGE 137 V 154 E. 6 S. 161). 4. In einem ersten Schritt ist zu klären, ob der vorliegend angeord- nete stationäre Massnahmevollzug eine Erwerbstätigkeit zulässt oder nicht. 4.1. Aus den Akten ist ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 30. Juli 2009 in einer stationären Massnahme gemäss Art. 59 StGB befindet. Im Verlaufsbericht der Psychiatrischen Klinik K. vom 10. Dezember 2010 wird von einem verbesserten Gesund- heitszustand des Beschwerdeführers berichtet, weshalb er ab dem 12. Juli 2010 einen Arbeitsversuch an einem geschützten Arbeitsplatz (Stiftung W.) absolvieren konnte. Diesen konnte er erfolgreich ab- schliessen, woraufhin er ab dem 9. August 2010 seine zuvor abge- brochene Lehre als Maurer wieder aufnehmen konnte. Ab diesem Zeitpunkt hat sich der Beschwerdeführer an fünf Wochentagen tags- über nicht auf der Station befunden. 4.2. Der Beschwerdeführer konnte demzufolge, trotz eines stationä- ren Massnahmevollzugs, ab dem 9. August 2010 seine Maurerlehre wiederaufnehmen. Der vorliegend angeordnete stationäre Massnah- mevollzug lässt eine Erwerbstätigkeit daher zu. 5. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob eine nicht invalide Person in der gleichen Situation durch den Massnahmevollzug einen Erwerbsausfall erleiden würde. Hierbei ist insbesondere darauf ein- zugehen, ob die Lehre aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Re- gelverstössen bzw. Sicherheitsaspekten abgebrochen werden musste. 5.1. - 5-2. (...) 2013 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 46 5.3. Nach der Aktenlage erscheint es als überwiegend wahrschein- lich, dass der (erneute) Abbruch der Lehre vorwiegend gesundheit- lich begründet war. Wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt, führte letztlich die psychische Erkrankung bzw. deren Verschlechte- rung zum Abbruch der Lehre und es handelte sich dabei nicht etwa um eine disziplinarische Sanktion, die bei einer nichtinvaliden Per- son in einer solchen Situation angezeigt gewesen wäre. (...) 6. Gemäss den vorstehenden Ausführungen liess - zusammenge- fasst - die beim Beschwerdeführer angeordnete stationäre Mass- nahme nach Art. 59 StGB grundsätzlich eine Erwerbstätigkeit zu. Der Beschwerdeführer war denn auch tatsächlich in der Lage, die Maurerlehre während der Dauer von über einem Jahr im ersten Ar- beitsmarkt fortzusetzen. Wie gesehen, ist sodann mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Abbruch der Lehre im Oktober 2011 aus gesundheitlichen Gründen erfolgte. Als Folge davon ist in Nachachtung der dargelegten Rechtsprechung von einer Sistierung der Invalidenrente abzusehen und die Beschwerde gutzu- heissen.
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AG_VSG_001
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AG_VSG_001_AGVE-2013-6_2009-07-30
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2010 Versicherungsgericht 63 15 Art. 142 Abs. 1 ZGB; Art. 30c Abs. 5 BVG; Art. 5 Abs. 2, 22 Abs. 2 FZG. Teilung der Freizügigkeitsleistungen im Anschluss an die Ehescheidung: An das vom Scheidungsrichter festgelegte Teilungsverhältnis ist das Ver- sicherungsgericht gebunden. Ein zwischen den Parteien geschlossener Vergleich über die Teilung kann nur bewilligt werden, wenn er sich an das im Scheidungsverfahren festgelegte Teilungsverhältnis hält. Wird die Freizügigkeitsleistung einer Partei aufgrund eines gerichtlich nicht be- willigten Vergleichs ausbezahlt, hat der Teilungsausgleich aus dem Pri- vatvermögen der entsprechenden Partei zu geschehen. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 22. Juni 2010 in Sachen N.C. gegen E.C. (VKL.2007.23). Aus den Erwägungen 3. Vorab ist in grundsätzlicher Hinsicht festzuhalten, dass es dem Scheidungsrichter obliegt, über das Teilungsverhältnis zu befinden (Art. 142 Abs. 1 ZGB). Das Versicherungsgericht ist an diesen Tei- lungsschlüssel gebunden (BGE 130 III 341) und kann deswegen weder von diesem Schlüssel abweichen noch ihn selber festlegen. Zwar ist es grundsätzlich möglich, auf die Teilung ganz oder teilwei- se zu verzichten, doch hat dies im Scheidungsverfahren zu geschehen und ist im Dispositiv des Scheidungsurteils entsprechend festzuhal- ten. Demgemäss ist auch ein Vergleich zwischen den Parteien zu den Modalitäten der Teilung grundsätzlich im Scheidungsverfahren zu schliessen, da die Bestimmung des Verhältnisses, in welchem die Austrittsleistungen zu teilen sind, zwingend im Rahmen des Schei- dungsverfahrens zu erfolgen hat (Art. 141 Abs. 3 ZGB; BGE 132 V 337 Erw. 2.3; Urteil des Bundesgerichts vom 3. Dezember 2009 [9C_943/2008] = SVR 2010 BVG Nr. 19 S. 73). Im vorliegenden Fall hat das Bezirksgericht Brugg als Schei- dungsgericht die hälftige Teilung der Vorsorgeguthaben der Parteien festgelegt. Vor Versicherungsgericht erklärten die Parteien sodann, man wolle gegenseitig auf die Teilung verzichten; am 12. September 2010 Versicherungsgericht 64 2008 reichten sie einen entsprechenden Vergleich ein. Dieser Ver- gleich/Verzicht kann gemäss den vorstehenden Erwägungen vom Versicherungsgericht nicht genehmigt werden, widerspricht dieser doch der vom Bezirksgericht Brugg angeordneten hälftigen Teilung. Das Versicherungsgericht kann dem übereinstimmend geäusserten Willen der Parteien daher nicht Folge leisten und hat die Teilung trotz der Verzichtserklärung gemäss den gesetzlichen Bestimmungen und dem Teilungsschlüssel des Scheidungsgerichts (hälftige Teilung) zu berechnen und anzuordnen. (...) 4.4. Der Beklagte liess seine Freizügigkeitsleistungen von der Stif- tung A. und der B. Pensionskasse anfangs des Jahres 2008 auf ein Freizügigkeitskonto bei der Freizügigkeitsstiftung der X-Bank über- weisen. Durch Vorlage des Vergleichs vom 5. September 2008 und demzufolge mit Zustimmung der Klägerin liess er sich sein gesamtes Freizügigkeitsguthaben am 25. September 2008 zur Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit auszahlen. Die Freizügigkeitsleistung von Fr. 7'181.45, welche der Beklagte der Klägerin im Rahmen der Teilung der Vorsorgeguthaben nach Ehescheidung zu übertragen hat, ist mithin nicht mehr auf einem Konto einer BVG-Einrichtung vor- handen. 4.4.1. Der Anspruch auf Vorsorgeausgleich richtet sich grundsätzlich gegen den pflichtigen Ehegatten. Soweit die zu teilende Masse bei einer Vorsorge- oder Freizügigkeitseinrichtung liegt, wird der An- spruch so erfüllt, dass die Vorsorge- oder Freizügigkeitseinrichtung des schuldnerischen Ehegatten den entsprechenden Betrag an dieje- nige des Gläubigers überträgt. Soweit jedoch bei der Vorsorge- oder Freizügigkeitseinrichtung des pflichtigen Ehegatten infolge eines Vorbezugs nicht mehr genügend Mittel vorhanden sind, um den An- spruch des anderen Ehegatten zu befriedigen, kann sich der Teilungs- anspruch vorbehältlich einer allfälligen Schadenersatzpflicht nicht mehr gegen die Einrichtung richten; vielmehr hat der pflichtige Ehe- gatte den geschuldeten Betrag auf die Vorsorge- oder Freizügigkeits- 2010 Versicherungsgericht 65 einrichtung des berechtigten Ehegatten zu übertragen (BGE 135 V 424 f. Erw. 3 mit Hinweisen). Während der Ehe ist der Vorbezug nur mit schriftlicher Zustim- mung des Ehegatten zulässig (Art. 30c Abs. 5 BVG; Art. 331e Abs. 5 OR). Erfolgt ein Vorbezug ohne diese Zustimmung (Art. 5 Abs. 2 FZG), liegt darin eine nicht gehörige Erbringung der Austrittsleis- tung, welche zu einer Schadenersatzpflicht der Vorsorgeeinrichtung führt, wenn diese nicht nachzuweisen vermag, dass ihr kein Verschulden zur Last fällt (BGE 133 V 205 Erw. 4.3, 130 V 103 Erw. 3.3). 4.4.2. Im vorliegenden Fall erfolgte die Barauszahlung der Vorsorge- gelder des Beklagten am 25. September 2008. In jenem Zeitpunkt war die Ehe der Parteien rechtskräftig geschieden. Im Weiteren stimmte die Klägerin der Auszahlung des gesamten Vorsorgever- mögens des Beklagten zu (vgl. Vergleich vom 5. September 2008). Aufgrund dieser Gegebenheiten kann der auszahlenden Freizü- gigkeitseinrichtung (Freizügigkeitsstiftung der X-Bank) keine Sorg- faltspflichtverletzung angelastet werden. Es gibt keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für eine Überprüfung des Scheidungsurteils im Hinblick auf den Vollzug einer darin allenfalls angeordneten Vorsorgeausgleichsteilung in den Fällen, in welchen ein geschiedener Versicherter einen Vorbezug von seiner Einrichtung der beruflichen Vorsorge beantragt. Auch aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen lässt sich eine solche Verpflichtung der Vorsorgeeinrichtungen nicht rechtfertigen, zumindest dann nicht, wenn keine konkreten Hinweise auf eine Behinderung der Durchführung des Vorsorgeausgleichs durch den Vorbezug vorliegen (BGE 135 V 432 f. Erw. 6.6). Da im September 2008 die Ehe des Beklagten rechtskräftig geschieden war und zudem die - auch im damaligen Zeitpunkt bereits anwaltlich ver- tretene - Klägerin ausdrücklich der Barauszahlung zustimmte, be- standen für die Freizügigkeitsstiftung der X-Bank keine solchen Hin- weise. Eine Schadenersatzpflicht der Freizügigkeitsstiftung der X- Bank ist mithin zu verneinen. 2010 Versicherungsgericht 66 4.4.3. Durch den Vorbezug des Freizügigkeitsvermögens des Beklag- ten wurde nicht der Rechtsanspruch der Klägerin, sondern nur das Vollstreckungssubstrat für diesen Rechtsanspruch beeinträchtigt. Der Rechtsanspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten besteht nach wie vor. Entsprechend hat der Beklagte den Teilungsausgleich aus seinem Privatvermögen vorzunehmen.
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AG_VSG_001
AG_VSG
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AG_VSG_001_AGVE-2010-15_2010-06-03
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2016 Sozialversicherungsrecht 55 [...] 4 Art. 8 und 21 IVG; Art. 14 IVV; Art. 2 HVI; Ziff. 10.05 HVI-Anhang Prüfung des Anspruchs auf invaliditätsbedingte Abänderungen von Motorfahrzeugen als kostspielige Hilfsmittelversorgung. In begründeten Ausnahmen kann dabei von den Preislimiten gemäss dem entsprechenden Kreisschreiben des Bundesamtes für Sozialversicherungen abgewichen werden, wenn das Hilfsmittel die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt; vorliegend bejaht für den Einbau eines automatischen Getriebes. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. Februar 2016 i.S. A.S. gegen SVA Aargau (VBE.2015.521; bestätigt durch Urteil des Bundesgerichts 8C_256/2016 vom 22. Juli 2016) Aus den Erwägungen 2. (Grundsätze zum Anspruch auf kostspielige Hilfsmittel für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge nach Art. 8 und 21 Abs. 2 IVG, Art. 14 IVV, Art. 2 HVI sowie Ziff. 10.05 HVI-Anhang) 3. 3.1. Den Akten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer - nach vorgängiger Rücksprache mit der Beschwerdegegnerin - in Deutsch- 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 56 land das Fahrzeug "Mercedes-Benz E 220 CDI T-Modell" als Neuwagen erworben hat, weil sein bisheriges angepasstes Fahrzeug "Peugeot 406 Break" mit Jahrgang 2000 das Ende der Lebensdauer erreicht habe. Unter anderem waren im neuen Fahrzeug ab Werk fol- gende optionalen Ausstattungen verbaut: Code Bezeichnung Preis (in EUR) 211 Polsterung Leder "Lugano" schwarz 1'730.00 228 Standheizung 1'370.00 427 7G-TRONIC PLUS 2'150.00 Mit Eingabe vom 10. Juni 2014 ersuchte der Beschwerdeführer die Beschwerdegegnerin um Kostengutsprache für invaliditätsbe- dingte Änderungen am neuen Fahrzeug. Die Beschwerdegegnerin veranlasste in der Folge am 17. Juni 2014 eine fachtechnische Beur- teilung durch die SAHB, welche am 20. August 2014 erstattet wurde. Bezüglich der hier streitigen Positionen wird in dieser mit Verweis auf Rz. 2099 KHMI ausgeführt, das automatische Getriebe könne im Umfang von Fr. 1'300.00 übernommen werden. Lederausstattung und Standheizung seien nicht zu übernehmen. Dies könne jedoch we- gen möglicher medizinisch relevanter Faktoren nicht abschliessend beurteilt werden. Total seien neben den - hier unstreitigen - weiteren Kosten der Abänderung durch die G. AG, (...), im Umfang von total Fr. 48'968.45 für das automatische Getriebe Fr. 1'300.00 und für das weitere Zubehör ab Werk EUR 4'225.00 der Kostengutsprache zu- gänglich. Nachdem die Beschwerdegegnerin in diesem Sinne am 17. September 2014 einen Vorbescheid erlassen und der Beschwerde- führer am 15. Oktober 2014 Einwände erhoben hatte, holte die Be- schwerdegegnerin zusätzlich eine Stellungnahme bezüglich Harn- und Stuhlinkontinenz bei der behandelnden Ärztin ein. H., Fachärz- tin für Physikalische Medizin und Rehabilitation, (...), beantwortete diese Anfrage am 16. März 2015 dahingehend, dass trotz bestmög- licher Vorkehrungen eine Harn- und Stuhlinkontinenz nicht gänzlich vermieden werden könne. 2016 Sozialversicherungsrecht 57 3.2. Bezüglich der erwähnten ab Werk verbauten optionalen Aus- stattungen hat die Beschwerdegegnerin in ihrer Verfügung vom 16. Juli 2015 zutreffend erkannt, dass auch diese unter dem Titel der invaliditätsbedingten Abänderung von Motorfahrzeugen im Sinne von Ziff. 10.05 des HVI-Anhangs der Kostengutsprache zugänglich sind, auch wenn keine eigentliche Nachrüstung im Sinne einer Abänderung erfolgt (vgl. hierzu S ILVIA B UCHER , Eingliederungsrecht der Invalidenversicherung, 2011, Rz. 451 mit Hinweisen). 3.3. 3.3.1. Das automatische Getriebe "7G-TRONIC PLUS" hat einen Lis- tenpreis von EUR 2'150.00 exkl. MwSt. (...). Die Beschwerdegegne- rin will davon mit Verweis auf Rz. 2099 KHMI bloss Fr. 1'300.00 übernehmen. Bei der KHMI handelt es sich um eine Verwaltungs- weisung, die sich an die Durchführungsstellen richtet und für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich ist. Dieses soll sie bei seiner Entscheidung aber berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der an- wendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulässt. Das Gericht weicht also nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der Verwaltung, durch in- terne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewähr- leisten, Rechnung getragen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_331/2011 vom 19. Juli 2011 E. 3.1 mit Hinweisen). Setzt das BSV weisungsmässig Preislimiten fest und konkretisiert so das gesetzliche Erfordernis der einfachen und zweckmässigen Ausfüh- rung eines Hilfsmittels, so darf damit der Hilfsmittelanspruch einer versicherten Person jedoch nicht eingeschränkt werden. Eine Preisli- mite darf insbesondere nicht dazu führen, dass einer versicherten Person ein zuvor als notwendig erkanntes Hilfsmittel vorenthalten wird (BGE 130 V 163 E. 4.3.2 und 4.3.3 S. 172 ff.; vgl. auch B UCHER , a.a.O., Rz. 424 ff.). Auch ein die Preislimite überschreiten- des Hilfsmittel kann demnach das Erfordernis der einfachen und zweckmässigen Ausführung erfüllen (BGE 131 V 167 E. 3 S. 170 f.; 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 58 Urteil des Bundesgerichts 9C_554/2007 vom 22. August 2008 E. 4.3.1). 3.3.2. Unbestritten und auf Grund einer aktenkundigen Verfügung des kantonalen Strassenverkehrsamts vom 29. März 2001 auch hin- reichend erstellt ist, dass der Beschwerdeführer auf ein automa- tisches Getriebe angewiesen ist, wobei je nach Fahrzeugtyp für die Betätigung der Getriebewahlsperre eine Zusatzvorrichtung erforder- lich ist. Aus diesem Grund wurde beim früheren Personenwagen "Peugeot 406 Break" die Schalthebelvorrichtung des Automatik- getriebes entsprechend adaptiert, weil der Beschwerdeführer den Arretierungsknopf nicht betätigen konnte. Im hier fraglichen Fahrzeug "Mercedes Benz E 220 CDI T-Modell" sind ein Hebel- verlegungspaket zum Preis von EUR 540.00 sowie ein "DIRECT SELECT"-Wahlhebel verbaut. Im diesbezüglichen SAHB-Abklä- rungsbericht vom 20. August 2014 ging die Abklärungsperson davon aus, das Hebelverlegungspaket bewirke eine werkseitige Montage des Gangwahlhebels rechts an der Lenksäule. Dies ermögliche eine einfachere Bedienung, insbesondere der Hebelentsperrung. Ferner entfalle damit ein zusätzliches Transferhindernis. Dies sei nach- vollziehbar und zweckmässig, weil weitere Anpassungen des Gang- wahlhebels eingespart werden könnten. Es werde daher die Kosten- übernahme empfohlen. Die Abklärungsperson verkennt dabei, dass der "DIRECT SELECT"-Wahlhebel bei Auswahl des aufpreispflich- tigen "7G-TRONIC PLUS"-Automatikgetriebes ohne zusätzliche Kosten ab Werk rechts an der Lenksäule verbaut wird (...). Das Hebelverlegungspaket indes bewirkt die Bedienbarkeit der sich links der Lenksäule befindlichen Blinker- und Tempomathebel von rechts (...). Trotzdem ist dem SAHB-Abklärungsbericht vom 20. August 2014 insofern zuzustimmen, als das Fahrzeug durch die Wahl des "7G-TRONIC PLUS"-Automatikgetriebes gleichzeitig mit einem für den Beschwerdeführer bereits optimal angepassten Automatikwahl- hebel ("DIRECT SELECT"-Wahlhebel) ab Werk ausgeliefert wurde. Damit entfallen - anderes als beim erwähnten Fahrzeug "Peugeot 406 Break" oder anderen Fahrzeugen mit in der Mittelkonsole verbauten Gangwahlhebeln mit herkömmlicher Getriebewahlsperre - 2016 Sozialversicherungsrecht 59 weitere diesbezügliche Anpassungskosten, wie die Abklärungsperson richtigerweise festhält. Weil zwar der Preis für das Automatik- getriebe die gesetzte Limite von Fr. 1'300.00 gemäss Rz. 2099 KHMI übersteigt, jedoch die Voraussetzungen der Einfachheit und Zweck- mässigkeit der Massnahme im Sinne des Gesagten trotzdem erfüllt sind, liegt ein Ausnahmefall vor (vgl. vorne E. 3.3.1. und Urteil des Bundesgerichts 9C_308/2014 vom 19. Mai 2015 E. 4.5 mit Hin- weisen). Es ist damit vorliegend von der erwähnten Beschränkung in Rz. 2099 KHMI zu Gunsten des Beschwerdeführers abzuweichen und es sind die vollen Kosten für das automatische Getriebe im Umfang von EUR 2'150.00 zu übernehmen. Die Kostengutsprache hat - wie die Beschwerdegegnerin in ihrer Verfügung vom 16. Juli 2015 richtig erkannte - in Euro zu erfolgen, weil der Kaufpreis in Euro geleistet wurde, womit der Erstattungsanspruch ebenfalls auf Euro lautet (vgl. hierzu BGE 134 III 151). 3.4. Hinsichtlich der Lederausstattung "Lugano" gibt der Beschwer- deführer an, diese erleichtere ihm das Ein- und Aussteigen. Ferner leide er an Blasen- und Darmfunktionsstörungen, weshalb ein Leder- sitzbezug wegen der erleichterten Reinigung praktischer sei. Es ist indes der Beschwerdegegnerin zuzustimmen, dass damit jedenfalls bloss die Belederung des Fahrersitzes zu rechtfertigen wäre, wo- hingegen die Lederausstattung "Lugano" unbestrittenermassen die gesamte Innenausstattung erfasst. Doch auch bezüglich des leder- bezogenen Fahrersitzes ist nicht von einer einfachen und zweck- mässigen Ausführung auszugehen. Vielmehr sind sowohl der verein- fachte Transfer vom und in das Fahrzeug als auch die erleichterte Reinigungsfähigkeit auch durch die Verwendung geeigneter Schonbezüge wesentlich kostengünstiger ebenfalls zu erreichen. So- weit die Dauerhaftigkeit und Robustheit von Ledersitzbezügen ange- führt wird, sind diese weder aktenmässig erstellt noch angesichts heutiger moderner Stoffe überzeugend. Im Übrigen führen auch die erwähnten Schonbezüge zum gleichen Effekt. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bezüglich Standheizung un- ter anderem eine Temperaturregulationsstörung anführt (dazu so- gleich unter E. 3.5.; vgl. hierzu auch Urteil des Eidgenössischen Ver- 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 60 sicherungsgerichts I 829/05 vom 16. August 2006 E. 3.3.2). Erfah- rungsgemäss unterliegen jedoch Ledersitze wesentlich grösseren Oberflächentemperaturschwankungen als Stoffsitze, weshalb sie unter diesem Aspekt nicht als zweckmässig zu erachten sind, zumal das Fahrzeug zwar über eine Sitzheizung, nicht aber über eine Sitzbelüftung zur Kühlung verfügt. Die Übernahme der Kosten für die Lederausstattung "Lugano" wurde damit von der Beschwerde- gegnerin zu Recht verneint. 3.5. 3.5.1. Bezüglich der Standheizung gibt der Beschwerdeführer an, ihm stehe weder an seinem Wohn- noch am Arbeitsort ein geschützter Parkplatz zur Verfügung, was von der Beschwerdegegnerin so aner- kannt wird. Er sei weiter nicht in der Lage, das Fahrzeug von Eis und Schnee zu befreien, weshalb es der Standheizung bedürfe. Schliess- lich sei zu beachten, dass er als Tetraplegiker an Temperaturregulati- onsstörungen leide, weshalb ihm das Verharren im kalten Auto unzu- mutbar sei. Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung können Vereisung und Beschlag an den Scheiben grundsätzlich auch mit der Standardheizung des Fahrzeuges entfernt werden. Eine wesentliche Erleichterung durch eine Standheizung, welche die Finanzierung die- ser kostspieligen Zusatzausrüstung durch die Invalidenversicherung als verhältnismässig erscheinen liesse, sei grundsätzlich nicht gege- ben. Vielmehr sei es der versicherten Person im Rahmen ihrer Scha- denminderungspflicht zumutbar, den mit der alleinigen Verwendung der Standardheizung verbundenen zeitlichen Mehraufwand zu erbrin- gen. Dabei sei einer allfälligen Unterkühlung des Körpers mittels ge- eigneter Kleidung vorzubeugen (Urteil des Bundesgerichts 9C_314/2014 vom 7. November 2014 E. 6.1; vgl. auch Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 589/2003 vom 11. Dezem- ber 2003 E. 3.2). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die versi- cherte Person nicht mehr in der Lage sein sollte, beschlagene Schei- ben vom Rollstuhl aus zu säubern, und wenn ihr - auf Grund einer inkompletten Tetraplegie - das Ausharren im kalten Fahrzeug wäh- rend der Zeit, welche die Standardheizung für die Enteisung der Scheiben benötigt, weniger zumutbar ist (Urteil des Eidgenössischen 2016 Sozialversicherungsrecht 61 Versicherungsgerichts I 829/05 vom 16. August 2006 E. 3.3.2). Da- bei ist insbesondere zu beachten, dass es in den hiesigen Breitengra- den auch im Winter äusserst selten zu einer Vereisung der Fahrzeug- scheiben während eines Arbeitstages kommt. Leichten Fällen kann dabei mittels der Standardheizung begegnet werden, den sehr selte- nen Fällen starker Vereisung mit zu erwartender Hilfe von Drittpersonen wie Arbeitskollegen (Urteil des Bundesgerichts 9C_314/2014 vom 7. November 2014 E. 6.1 und 6.2.2; vgl. auch Ur- teil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 829/05 vom 16. Au- gust 2006 E. 3.4). 3.5.2. Vorliegend verhält es sich nicht anders. Zwar verfügt der Be- schwerdeführer weder an seinem Wohn- noch an seinem Arbeitsort über einen geschützten Parkplatz. Indes ist auf Grund der geographi- schen Lage der beiden Orte im Sinne erwähnter Rechtsprechung auch nicht mit einem häufigen Auftreten dieser Problematik zu rech- nen. Angesichts des ausgesprochenen Ausnahmecharakters von schweren Vereisungen ist es dem Beschwerdeführer vielmehr zumut- bar, den leicht erhöhten Aufwand durch die Benutzung der Standard- heizung in Kauf zu nehmen (Urteil des Bundesgerichts 9C_314/2014 vom 7. November 2014 E. 6.1 und 6.2.2; vgl. auch Urteil des Eidge- nössischen Versicherungsgerichts I 829/05 vom 16. August 2006 E. 3.4 in fine). Im Übrigen wird der Beschwerdeführer bei Fällen schwerer Vereisung in der Regel ohnehin auf Dritthilfe angewiesen sein, weil im Sinne der Betriebssicherheit auch die Scheinwerfer und Lichter des Fahrzeugs sowie bei Schneefall dessen Dach freigeräumt werden müssen (vgl. Art. 29 und 41 des Strassenverkehrsgesetzes [SVG]), was auch durch eine Standheizung nicht zu bewerkstelligen ist (Urteil des Bundesgerichts 9C_314/2014 vom 7. November 2014 E. 6.2.2). In diesem Sinne ist der Anspruch auf eine Standheizung zu verneinen. 4. Zusammenfassend ergibt sich damit, dass die Beschwerde- gegnerin die Kosten des automatischen Getriebes von EUR 2'150.00 vollumfänglich und nicht bloss teilweise im Umfang von Fr. 1'300.00 zu übernehmen hat. Ein Anspruch auf die Lederausstattung "Lugano" 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 62 und die Standheizung besteht demgegenüber nicht. Die Beschwerde ist damit teilweise gutzuheissen und die Verfügung der Beschwer- degegnerin vom 16. Juli 2015 entsprechend anzupassen.
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Microsoft Word - 00698254.docx Versicherungsgericht 4. Kammer VBE.2020.400 / za / ce Art. 257 Urteil vom 11. November 2020 Besetzung Oberrichter Roth, Präsident Oberrichterin Fischer Oberrichter Lindner Gerichtsschreiber Zürcher Beschwerde- führerin A. _ KG vertreten durch lic. iur. Sibin Heuser, Rechtsanwalt, Rietstrasse 50, Postfach, 8702 Zollikon Beschwerde- gegner AWA - Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Aargau, Rain 53, 5000 Aarau Gegenstand Beschwerdeverfahren betreffend AVIG; Kurzarbeit (Einspracheentscheid vom 21. Juli 2020) - 2 - Das Versicherungsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Beschwerdeführerin ist eine Kommanditgesellschaft nach deutschem Recht mit Sitz in X. _, Deutschland. Am 19. Mai 2020 nahm sie beim Beschwerdegegner eine Voranmeldung von Kurzarbeit ab dem 1. Juni 2020 für 21 ihrer 23 in der Abteilung Küchenmontage beschäftigten Personen vor. Dabei gab sie an, die betroffenen Arbeitnehmenden seien zu 80 % bei der B. _ sowie zu 20 % bei ihr tätig und damit den schweizerischen Bestimmungen unterstellt. Mit Verfügung vom 29. Juni 2020 erhob der Beschwerdegegner Einspruch die Auszahlung von Kurzarbeitsentschädigung. Die von der dagegen am 9. Juli 2020 erhobene Einsprache wies er mit vom 21. Juli 2020 ab. 2. 2.1. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 27. August 2020 fristgerecht Beschwerde und stellte folgende Anträge: " I. Der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 21. Juli 2020 (BUR-Nr.: _) sei aufzuheben und der von der erhobene Einspruch gegen die Auszahlung von sei zu beseitigen. Eventuell sei die Sache zur erneuten Entscheidung an die zurückzuweisen. II. Es sei festzustellen, dass die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau in der Zeit ab dem 22. Mai 2020 Kurzarbeitsentschädigung an die Beschwerdeführerin zu entrichten hat, sofern von der Beschwerdeführerin die weiteren, zusätzlich zur Voranmeldung der Kurzarbeit erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden. III. Es sei der Beschwerdeführerin sowohl für das Einspracheverfahren als auch für das vorliegende Beschwerdeverfahren eine angemessene zuzusprechen." 2.2. Mit Vernehmlassung vom 14. September 2020 beantragte der die Abweisung der Beschwerde. - 3 - Das Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. 1.1. Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführerin für die von ihr für Kurzarbeit angemeldeten, teilweise in Deutschland, teilweise in der Schweiz wohnhaften, in der Abteilung Küchenmontage beschäftigten eines EU-Mitgliedstaates, welche zu 80 % in der Schweiz für eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz und zu 20 % für die (mit Sitz in Deutschland) tätig sind, ein Anspruch auf zukommt. 1.2. Der Beschwerdegegner verneinte dies mit Verfügung vom 29. Juni 2020 mit der Begründung, die Beschwerdeführerin habe keinen Sitz in der Schweiz, womit keine Voranmeldung von Kurzarbeit eingereicht werden könne. Gemäss Art. 36 Abs. 1 AVIG müsse der Arbeitgeber die bei der zuständigen kantonalen Amtsstelle einreichen, was bei eines entsprechenden Betriebssitzes in der Schweiz nicht möglich sei (Vernehmlassungsbeilage [VB] 44 f.). Die Beschwerdeführerin machte in der Folge einspracheweise geltend, für die Beurteilung der Anspruchsberechtigung seien die Rechtsgrundlagen des internationalen Sozialversicherungsrechts anzuwenden, und verwies auf diverse Bestimmungen von Verordnungen des Europäischen und des Rates bezüglich Zuständigkeit und Leistungspflicht der bei Sachverhalten mit internationalem Bezug (VB 35 f.). Der Beschwerdegegner nahm hierzu mit Einspracheentscheid vom 21. Juli 2020 nicht bzw. nur zu unbestrittenen Teilpunkten Stellung (VB 29). Ob er damit die ihm aufgrund von Art. 29 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 42 ATSG und Art. 52 Abs. 2 Satz 2 obliegende Begründungspflicht verletzt hat, was an sich bereits eine Rückweisung der Sache an ihn rechtfertigen würde, kann aufgrund der nachfolgenden Erwägungen offengelassen . 2. 2.1. Gemäss Art. 31 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer, deren normale verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, Anspruch auf , wenn sie für die Versicherung beitragspflichtig sind oder das Mindestalter für die Beitragspflicht in der AHV noch nicht erreicht haben (lit. a), der Arbeitsausfall anrechenbar ist (lit. b), das nicht gekündigt ist (lit. c) und der Arbeitsausfall voraussichtlich ist und erwartet werden darf, dass durch Kurzarbeit ihre erhalten werden können (lit. d). Diese Voraussetzungen müssen ku- - 4 - mulativ erfüllt sein (BGE 121 V 371 E. 2a S. 373 f.). Beabsichtigt ein , für seine Arbeitnehmer Kurzarbeitsentschädigung geltend zu , so muss er dies der kantonalen Amtsstelle mindestens zehn Tage vor Beginn der Kurzarbeit schriftlich voranmelden. Der Bundesrat kann für Ausnahmefälle kürzere Voranmeldefristen vorsehen (Art. 36 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AVIG). 2.2. Nach Art. 121 Abs. 1 AVIG sind in Bezug auf Personen, für die die der sozialen Sicherheit der Schweiz oder eines oder mehrerer EU-Mitgliedstaaten gelten oder galten und die Staatsangehörige der Schweiz oder eines EU-Mitgliedstaates sind, auf Flüchtlinge oder mit Wohnort in der Schweiz oder einem EU-Mitgliedstaat sowie auf die Familienangehörigen und Hinterlassenen dieser Personen auf die im Geltungsbereich des AVIG folgende Erlasse in der für die Schweiz verbindlichen Fassung von Anhang II, Abschnitt A, des anwendbar: Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (lit. a); Verordnung (EG) Nr. 987/2009 (lit. b); Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (lit. c); (EWG) Nr. 574/72 (lit. d). 2.3. Am 1. Juni 2002 ist das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) in Kraft getreten. Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage des Art. 8 FZA ausgearbeiteten und Bestandteil des Abkommens bildenden (Art. 15 FZA) Anhangs II ("Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit") FZA in Verbindung mit Abschnitt A dieses Anhangs wenden die untereinander unter anderem die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur der Systeme der sozialen Sicherheit (Verordnung [EG] Nr. 883/2004) an, deren Durchführung durch die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der Sicherheit (Verordnung [EG] Nr. 987/2009) geregelt wird (vgl. Art. 89 Verordnung [EG] Nr. 883/2004). Diese Verordnungen haben per 1. Mai 2010 in den EU-Mitgliedstaaten und in Kraft getreten für die Schweiz am 1. April 2012 die Verordnungen [EWG] Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, mit der dazugehörigen (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 ersetzt. - 5 - 2.4. Personen, für welche die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats (Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung [EG] Nr. 883/2004). Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine oder mehrere Beschäftigungen ausübt, , wenn sie im Wohnmitgliedstaat keinen wesentlichen Teil ihrer ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das oder der Arbeitgeber, das bzw. der sie beschäftigt, ausserhalb des Wohnmitgliedstaats seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie bei zwei oder mehr Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihre Sitze oder Wohnsitze in zwei Mitgliedstaaten haben, von denen einer der ist (Art. 13 Abs. 1 lit. b Ziff. iii i.V.m. Art. 11 Abs. 3 der Verordnung [EG] Nr. 883/2004). Wenn sie im Wohnmitgliedstaat einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt, untersteht sie dessen Rechtsvorschriften (vgl. Art. 13 Abs. 1 lit. a der Verordnung [EG] Nr. 883/2004). Als wesentlich gilt im Falle einer Beschäftigung (mithin einer unselbständigen ) ein prozentualer Anteil der Arbeitszeit und/oder des Arbeitsentgelts von 25 % oder mehr (vgl. Art. 14 Abs. 8 2. Absatz lit. a und 3. Absatz der Verordnung [EG] Nr. 987/2009). 2.5. Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt gemäss deren Art. 2 Abs. 1 unter anderem für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats und nach Art. 3 Abs. 1 lit. h für alle Rechtsvorschriften betreffend Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Kurzarbeitsentschädigung nach Art. 31 ff. AVIG wird – sofern auch die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind – bei einer Verkürzung der normalen Arbeitszeit sowie bei einer gänzlichen Arbeitseinstellung (Art. 31 Abs. 1 AVIG) und setzt mithin nicht den Verlust des voraus. Insofern handelt es sich eigentlich nicht um eine "Leistung bei Arbeitslosigkeit". Indessen fällt ins Gewicht, dass das Koordinationsrecht zwischen Teilarbeitslosigkeit und unterscheidet und dabei unter Teilarbeitslosigkeit die "Kurzarbeit" oder einen sonstigen vorübergehenden Arbeitsausfall im beschäftigenden Unternehmen versteht. Die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit hat im Beschluss Nr. U3 vom 12. Juni 2009 zur Bedeutung des Begriffs „Kurzarbeit“ im Hinblick auf die in Artikel 65 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 genannten Personen (in Kraft getreten für die Schweiz am 1. April 2012 [AS 2012 2345 2356 f.], nachfolgend Beschluss Nr. U3; vgl. auch FZA, Anhang II, Abschnitt B, Ziff. 20) in Erwägung 2 ausgeführt, auf Gemeinschaftsebene müssten Kriterien angewendet werden, um zu entscheiden, ob eine Person sich im Sinne von Art. 65 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 im Zustand der Kurzarbeit oder der vollständigen Arbeitslosigkeit befindet. Im Dispositiv Ziff. 1 des Beschlusses Nr. U3 wird präzisiert, dass die Natur der Arbeitslosigkeit (Kurzarbeit oder Vollarbeitslosigkeit) auf der Grundlage - 6 - des Bestehens oder der Aufrechterhaltung eines zwischen den Parteien und nicht der Dauer einer eventuellen Aussetzung der Tätigkeit des Arbeitnehmers bestimmt wird. Nach Dispositiv Nr. 2 des Beschlusses Nr. U3 wird eine in einem in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzstaat beschäftigte Person, deren Tätigkeit ausgesetzt wird, wenn sie jedoch jederzeit zu ihrer Stelle zurückkehren kann, als im Status der Kurzarbeit befindlich . Dass die Kurzarbeitsentschädigung nach AVIG in den Geltungsbereich des FZA fällt, steht demnach ausser Frage (UELI KIESER, Das und die Arbeitslosenversicherung, AJP 3/2003 S. 283 ff., 287, zu den der Verordnung [EG] Nr. 883/2004 vorangehenden [EWG] Nr. 1408/71 und 574/72 des Rates vom 21. März 1972; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. XIV, Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, S. 2402 Rz. 458). 2.6. Das Konstrukt der Kurzarbeit wird – wie bereits ausgeführt – in Art. 65 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 explizit erwähnt. Gemäss Art. 65 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (Kapitel 6, Leistungen bei Arbeitslosigkeit) muss sich eine Person, die während ihrer letzten Beschäftigung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat, bei Kurzarbeit Arbeitgeber oder der Arbeitsverwaltung des zuständigen zur Verfügung stellen. Sie erhält Leistungen nach den des zuständigen Mitgliedstaates, als ob sie in diesem Mitgliedstaat wohnen würde. Die Leistungen werden von dem Träger des zuständigen Mitgliedstaats gewährt. Ausschlaggebend für die Anwendung des Art. 65 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in seiner Gesamtheit ist, so Erwägung 2 des Beschlusses Nr. U2 vom 12. Juni 2009 der Verwaltungskommission für die der Systeme der sozialen Sicherheit zum Geltungsbereich des Artikels 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über den Anspruch auf wegen Arbeitslosigkeit bei anderen Vollarbeitslosen als , die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats haben (in Kraft getreten für die Schweiz am 1. April 2012 [AS 2012 2345 2356], nachfolgend Beschluss Nr. U2), dass die betreffende Person während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnte, dessen Rechtsvorschriften für sie galten, was nicht unbedingt der Staat sein muss, in dessen Gebiet sie beschäftigt war. - 7 - 3. 3.1. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen sinngemäss vor, Arbeitnehmenden, für welche sie Kurzarbeit vorangemeldet habe, seien Staatsangehörige eines Mitgliedstaates im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Verordnung 883/2004, wohnhaft in Deutschland oder der Schweiz und zu 80 % in der Schweiz bei einem schweizerischen Arbeitgeber erwerbstätig und andererseits zu 20 % für sie in Deutschland (Beschwerde S. 6 f., VB 51 ff.). Unterlagen, die dies belegten, lassen sich den Akten nicht entnehmen. Träfe die Darstellung der Beschwerdeführerin zu, so unterstünden die Arbeitnehmenden gemäss Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 lit. a und b Ziff. iii der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 14 Abs.8 2. Absatz lit. a und 3. Absatz der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 den schweizerischen Rechtsvorschriften. Des Weiteren wäre aufgrund des Fortbestandes der Arbeitsverhältnisse zwischen den fraglichen und der Beschwerdeführerin trotz vorübergehend faktisch, aber nicht arbeitsvertraglich reduzierten Pensums von einer Teilarbeitslosigkeit im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auszugehen (vgl. E. 2.5.). die betroffenen Arbeitnehmenden überdies in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis angestellt sind, was aus den Akten nicht hervorgeht, würde auch nach der mit Beschluss Nr. U3 der für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vom 12. Juni 2009 festgelegten Definition eine von der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 erfasste Kurzarbeit vorliegen. Bei dieser Konstellation hätten die betroffenen Arbeitnehmenden mit Wohnsitz in Deutschland gemäss Art. 65 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unter zusätzlicher von Erwägung 2 des Beschlusses Nr. U2 Anspruch auf des zuständigen Mitgliedstaates, hier der Schweiz, obwohl die letzte Beschäftigung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, die Tätigkeit bei der Beschwerdeführerin, nicht in der Schweiz, sondern im Wohnsitzstaat der betroffenen Arbeitnehmenden war. Für die Arbeitnehmenden mit Wohnsitz in der Schweiz würden Wohnsitz und zuständiger Mitgliedstaat im Sinne von Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, zusammenfallen, womit auch diesen Mitarbeitenden der Schweiz Anspruch auf Leistungen aus Kurzarbeit zukäme. Gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. h der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 31 ff. AVIG käme der Beschwerdeführerin bzw. deren beim für Kurzarbeit vorangemeldeten Arbeitnehmenden daher der Schweiz ein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung zu. 3.2. Nach Art. 36 Abs. 1 AVIG muss der Arbeitgeber die Voranmeldung bei der zuständigen kantonalen Amtsstelle einreichen. Die örtliche Zuständigkeit - 8 - der kantonalen Amtsstelle richtet sich nach Art. 119 Abs. 1 lit. b AVIV für die Kurzarbeitsentschädigung nach dem Ort des Betriebes. Im Kanton ist die kantonale Amtsstelle der Beschwerdegegner (§ 2 Abs. 1 V EG AVIG/AVG). Mangels innerstaatlichen Sitzes der Beschwerdeführerin Art. 119 Abs. 1 lit. b AVIV bei grammatikalischer Auslegung keine des Beschwerdegegners (oder einer anderen kantonalen im Sinne des AVIG) zu begründen. Sinn und Zweck der in Art. 119 Abs. 1 lit. b AVIV festgehaltenen Regelung der örtlichen Zuständigkeit muss indes im Rahmen der föderalistischen Grundkonzeption der auf Ebene Kanton erfolgten Schaffung der Amtsstelle das Anknüpfen an die geographische Nähe und politische Zugehörigkeit der Betriebe zur für sie zuständigen Amtsstelle sein. Als Anknüpfungspunkt für den örtlich und folgend sachlich zuständigen Träger des zuständigen Mitgliedstaats im Sinne von Art. 65 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (hier die Schweiz) kann daher ohne Weiteres auf den Ort des grössten Bezuges bzw. auf den Ort, wo die von Kurzarbeit betroffene Person den wesentlichen und damit den im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zuständigkeitsbegründenden Teil ihrer Tätigkeit erbringt (z.B. Sitz ihres [weiteren] Arbeitgebers im zuständigen Mitgliedstaat), werden. Diese Betrachtungsweise erscheint zudem auch vor dem Hintergrund als angezeigt, dass der Anspruch auf nicht dem Arbeitgeber selbst, sondern den von Kurzarbeit betroffenen arbeitnehmenden Personen zukommt (vgl. Art. 31 Abs. 1 AVIG) und für letztere nach Art. 65 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ein im zuständigen Staat fingiert wird. Da der grösste wirtschaftliche Bezug der von der Beschwerdeführerin beim Beschwerdegegner für Kurzarbeit vorangemeldeten Arbeitnehmenden zur Arbeitgeberin B. _ mit Sitz in Z. _, Kanton Aargau, besteht, ist für die Beurteilung der Zuständigkeit der kantonalen Amtsstelle für die Entgegennahme und Behandlung der Voranmeldung von Kurzarbeit durch die auf diesen Sitz bzw. Z. _abzustellen. Folglich wäre der unter den unter E. 3.1. hiervor getroffenen Annahmen für die Beurteilung der Voranmeldung von Kurzarbeit der Beschwerdeführerin vom 19. Mai 2020 zuständig. Der angefochtene Einspracheentscheid ist daher in teilweiser Gutheissung der Beschwerde aufzuheben und die an den Beschwerdegegner zurückzuweisen, damit dieser die zur des Anspruchs der von der Beschwerdeführerin für Kurzarbeit vorangemeldeten Arbeitnehmenden auf eine entsprechende erforderlichen weiteren Abklärungen vornehme und hernach neu über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Kurzarbeitsentschädigung für ihre entsprechend vorangemeldeten Arbeitnehmenden entscheide. 4. Die Beschwerdeführerin beantragt des Weiteren, es sei ihr für das eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen - 9 - (Rechtsbegehren Ziff. 3.). Zur Begründung führte sie aus, die seien sehr aufwendig gewesen und die Einsprache sei aufgrund der rechtswidrig fehlerhaften Begründung der Verfügung vom 29. Juni 2020 notwendig worden (Beschwerde S. 9). Gemäss Urteil des Bundesgerichts 9C_877/2017 vom 28. Mai 2018 E. 8.2. lässt sich die Zusprechung einer Parteientschädigung im an die obsiegende Partei weder aus allgemeinen noch aus den Verfahrensgarantien der Bundesverfassung ableiten; diesbezüglich massgebend ist einzig das im konkreten Fall anwendbare Verfahrensrecht. Im Einspracheverfahren gemäss Art. 52 ATSG kann die Ausrichtung einer Parteientschädigung nur als geboten betrachtet werden, wenn die betreffende Person im Falle des Unterliegens die unentgeltliche Vertretung hätte beanspruchen können. Daraus folgt, dass die einer Parteientschädigung aus formellen Gründen, etwa bei einer "rechtswidrig fehlerhafte[n]" Begründung der Verfügung, ebenso ausser Betracht fällt wie aufgrund des Umstands, dass die Einsprache mit Aufwand verbunden war. Da die Beschwerdeführerin nicht geltend macht, sie hätte im die unentgeltliche Vertretung beanspruchen können, sprach ihr der im Einspracheverfahren zu Recht keine zu. 5. 5.1. Das Verfahren ist kostenlos (Art. 61 lit. a ATSG). 5.2. Der Beschwerdeführerin steht nach dem Ausgang des Verfahrens auf Ersatz ihrer richterlich festzusetzenden Parteikosten zu (Art. 61 lit. g ATSG). Das Versicherungsgericht erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird der Einspracheentscheid vom 21. Juli 2020 aufgehoben und die Sache zur weiteren Abklärung im Sinne der Erwägungen und Neuverfügung an den Beschwerdegegner . 2. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. - 10 - 3. Der Beschwerdegegner wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin die in richterlich festgesetzter Höhe von Fr. 1'100.00 zu bezahlen. Zustellung an: die Beschwerdeführerin (Vertreter; 2-fach) den Beschwerdegegner Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 82 ff. in Verbindung mit Art. 90 ff. BGG). Die Frist steht während folgender Zeiten still: vom Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern, vom 15. Juli bis und mit 15. August sowie vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar (Art. 46 BGG). Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; der angefochtene Entscheid sowie die als angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit die Partei sie in hat (Art. 42 BGG). Aarau, 11. November 2020 Versicherungsgericht des Kantons Aargau 4. Kammer Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: Roth Zürcher
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https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/sozialversicherungsrecht/Entscheid_des_Versicherungsgerichts_vom_11._November_2020.pdf
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2016 Sozialversicherungsrecht 85 [...] 12 Art. 53 Abs. 3 ATSG Da einer Beschwerde an das Versicherungsgericht als ordentliches Rechtsmittel Devolutiveffekt zukommt, bleibt es der Verwaltung ab dem Zeitpunkt, in welchem sie sich hat vernehmen lassen, verwehrt, über den hängigen Streitgegenstand zu verfügen. Die nach Litispendenz und Er- stattung der Vernehmlassung erlassene Verfügung ist daher nichtig. Die 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 86 Nichtigkeit einer Verfügung kann auch in einem späteren Verfahren noch festgestellt werden, selbst wenn dies nicht beantragt wurde. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 24. Februar 2016, i.S. H.S. gegen SVA Aargau (VBE.2015.549). Aus den Erwägungen 2. 2.1 (...) Einer Beschwerde an das Versicherungsgericht kommt als ordentliches Rechtsmittel Devolutiveffekt zu. Demnach geht die Zu- ständigkeit zum Entscheid über eine angefochtene Verfügung grund- sätzlich auf die Beschwerdeinstanz über. Mit der Rechtshängigkeit wird der Verwaltung damit mit anderen Worten die Herrschaft über den Streitgegenstand, insbesondere auch in Bezug auf die tatsächli- chen Verfügungs- und Entscheidungsgrundlagen, grundsätzlich entzogen (vgl. BGE 136 V 2 E. 2.5 S. 5, 130 V 138 E. 4.2 S. 143, 127 V 228 E. 2b/aa S. 231 f.). Folglich bleibt es der Verwaltung ver- wehrt, über den hängigen Streitgegenstand verfügungsweise zu befinden. Dies gilt ab dem Zeitpunkt, in welchem sich die Verwal- tung hat vernehmen lassen (vgl. auch Art. 53 Abs. ATSG e contrario). Nach dem Zeitpunkt der Vernehmlassung erlassene Verfü- gungen haben lediglich den Charakter eines einfachen Antrags an den Richter (BGE 127 V 228 E. 2b/bb S. 233 f., 109 V 234 E. 2 S. 236 f.; vgl. auch SVR 2005 EL Nr. 3, S. 10). Rechtsprechungsge- mäss sind insbesondere nach Einreichung der Vernehmlassung pen- dente lite erlassene Verfügungen als nichtige Verfügungen zu be- trachten (BGE 109 V 234 E. 2 S. 236 f.; vgl. auch SVR 2005 EL Nr. 3, S. 10). 2.2. 2.2.1. Der Beschwerdeführer hat vorliegend am 25. März 2015 gegen die Verfügung vom 26. Februar 2015 Beschwerde erhoben. Das Ver- fahren wurde am Versicherungsgericht unter der Verfahrensnummer 2016 Sozialversicherungsrecht 87 VBE.2015.200 erfasst. Die Beschwerdegegnerin erstattete ihre Ver- nehmlassung in diesem Beschwerdeverfahren am 6. Mai 2015. Strei- tig war unter anderem, ob es der Beschwerdegegnerin erlaubt gewe- sen war, die Verfügung vom 26. Februar 2015 durch den Vorbescheid vom 12. März 2015 (dieser wiederum ersetzt durch Vorbescheid vom 19. März 2015) zu ersetzen. 2.2.2. Nach Erstattung ihrer Vernehmlassung im Verfahren VBE.2015.200 und vor dessen Abschluss erliess die Beschwerdegeg- nerin auf Grundlage des am 19. März 2015 erlassenen Vorbescheids die hier angefochtene Verfügung vom 21. Juli 2015. Diese nach Li- tispendenz und Erstattung der Vernehmlassung erlassene Verfügung verstösst gegen die vorerwähnten Grundsätze (vgl. E. 2.1.) und ist daher nichtig. Dies muss umso mehr gelten, als im Beschwer- deverfahren VBE.2015.200 gerade die Zulässigkeit des Ersatzes der Verfügung vom 26. Februar 2015 durch den Vorbescheid vom 12. März 2015 streitig war und die Beschwerdegegnerin daher bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschwerdeverfahrens keine gesicherte Kenntnis über das Schicksal der Verfügung vom 26. Februar 2015 hatte. Vor diesem Hintergrund kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, es liege ein bloss minder offensicht- licher Mangel vor, der die Annahme der Nichtigkeit der Verfügung vom 21. Juli 2015 nicht rechtfertigen würde. Vielmehr war die Be- schwerdegegnerin offenkundig nicht berechtigt, die fragliche Verfü- gung zu erlassen, worüber sie sich indes bewusst hinwegsetzte. Da- mit verbleibt einzig der Schluss auf deren Nichtigkeit, zumal es sich nicht um eine Frage der Prozessökonomie handelt (vgl. zum Ganzen Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 289/03 vom 17. Februar 2006 E. 2.2). 2.2.3. Dass mit Urteil des Versicherungsgerichts VBE.2015.200 vom 26. August 2015 die Nichtigkeit der beschwerdegegnerischen Verfü- gung vom 21. Juli 2015 nicht bereits festgestellt wurde, ist darauf zu- rückzuführen, dass diese dem Versicherungsgericht zum Urteilszeit- punkt nicht vorlag. Indes ist die Nichtigkeit einer Verfügung jederzeit von Amtes wegen zu beachten (vgl. H ÄFELIN /M ÜLLER /U HLMANN , 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 88 Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, Rz. 1096). Die erst im jetzt hängigen Beschwerdeverfahren VBE.2015.549 zu Tage tretende Nichtigkeit der Verfügung vom 21. Juli 2015 ist daher entsprechend festzustellen, auch wenn dies nicht beantragt wurde (vgl. Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts C 4/00 vom 29. März 2001 E. 1 und dessen Dispositiv-Ziff. II). Das Beschwerdeverfahren selbst ist zufolge Nichtigkeit der angefochtenen Verfügung als gegen- standslos geworden von der Kontrolle abzuschreiben.
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AG_VSG_001
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2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 32 2 Art. 35 AVIG; Art. 57b AVIV Der Höchstanspruch auf Kurzarbeitsentschädigung beurteilt sich inter- temporalrechtlich nach der materiellen Rechtslage respektive derjenigen Fassung der Verordnung, unter welcher sich der rechtserhebliche Sach- verhalt überwiegend ereignet hat. Nicht entscheidend ist demgegenüber der Zeitpunkt der Voranmeldung zum Leistungsbezug. Dies ist vereinbar mit dem Zweck der befristeten Verlängerung der Höchstbezugsdauer aus wirtschaftspolitischen Gründen und stellt keine Verletzung des Ver- trauensschutzes dar. Vorliegend war der Höchstanspruch auf Kurzar- beitsentschädigung bereits bezogen, sodass gestützt auf die massgebliche Fassung der Verordnung kein weiterer Anspruch auf Kurzarbeitsentschä- digung bestand. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 2. Kammer, vom 14. August 2018, in Sachen E. AG gegen B. Arbeitslosenkasse (VBE.2018.2, VBE.2018.142, VBE.2018.150). Aus den Erwägungen 1. 1.1. In den angefochtenen Einspracheentscheiden vom 17. Novem- ber 2017 und 19. Januar 2018 verneinte die Beschwerdegegnerin einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Kurzarbeitsentschädi- gung für die Abrechnungsperioden August bis Oktober 2017 und be- gründete dies im Wesentlichen damit, dass die Höchstbezugsdauer von 12 Monaten gemäss Art. 35 Abs. 1 AVIG ausgeschöpft sei. Die 2018 Sozialversicherungsrecht 33 per Ende Juli 2017 befristete Erhöhung der Höchstbezugsdauer auf 18 Monate sei vom Bundesrat nicht verlängert worden, weshalb ab August 2017 kein weiterer Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung bestehe (...). 1.2. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, der An- spruch auf Kurzarbeitsentschädigung für die Monate August bis Oktober 2017 richte sich nach der bis zum 31. Juli 2017 geltenden Rechtslage, insbesondere Art. 57b aAVIV. Entsprechend habe sie An- spruch auf Kurzarbeitsentschädigung für bis zu 18 Abrechnungs- perioden. Dies ergebe sich aus der Voranmeldung zum Leistungsbe- zug am 11. Juli 2017, den allgemeinen Grundsätzen über das anwendbare Recht und dem mutmasslichen Willen des Bundesrates. 1.3. Strittig ist somit der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Kurzarbeitsentschädigung für die Abrechnungsperioden August bis Oktober 2017. In diesem Zusammenhang ist vorliegend einzig zu klären, ob für den Leistungsanspruch auf Kurzarbeitsentschädigung ab dem 1. August 2017 weiterhin Art. 35 Abs. 2 AVIG i.V.m. Art. 57b aAVIV (in Kraft bis 31. Juli 2017, (aAVIV)) anwendbar ist, oder die Anzahl der Abrechnungsperioden für die Leistungsausrich- tung lediglich nach Art. 35 Abs. 1 AVIG zu beurteilen ist, wobei im letzteren Fall bei bereits erreichter Höchstbezugsdauer kein weiterer Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung bestehen würde. 2. 2.1. Gemäss Art. 31 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer, deren nor- male Arbeitszeit verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, An- spruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn sie für die Versicherung beitragspflichtig sind oder das Mindestalter für die Beitragspflicht in der AHV noch nicht erreicht haben (lit. a), der Arbeitsausfall an- rechenbar ist (lit. b), das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt (lit. c) und der Arbeitsausfall voraussichtlich vorübergehend ist und erwartet werden darf, dass durch Kurzarbeit ihre Arbeitsplätze erhalten wer- den können (lit. d). Die Kurzarbeitsentschädigung beträgt dabei nach 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 34 Art. 34 Abs. 1 AVIG 80 % des anrechenbaren Verdienstausfalls i.S.v. Art. 32 AVIG. 2.2. Innerhalb von zwei Jahren wird die Kurzarbeitsentschädigung während höchstens zwölf Abrechnungsperioden ausgerichtet. Diese Frist gilt für den Betrieb und beginnt mit dem ersten Tag der ersten Abrechnungsperiode, für die Kurzarbeitsentschädigung ausgerichtet wird (Art. 35 Abs. 1 AVIG; BGE 131 V 294 E. 2 f. S. 294 ff. mit Hinweisen). Der Bundesrat kann gemäss Art. 35 Abs. 2 AVIG bei an- dauernder erheblicher Arbeitslosigkeit die Höchstdauer der Leistun- gen allgemein oder für einzelne besonders hart betroffene Regionen oder Wirtschaftszweige um höchstens sechs Abrechnungsperioden verlängern. Mit Ziff. I der Verordnung vom 13. Januar 2016 verlängerte der Bundesrat gestützt auf Art. 35 Abs. 2 AVIG die Höchstdauer der Kurzarbeitsentschädigung um sechs Abrechnungsperioden (Art. 57b aAVIV in Kraft vom 1. Februar 2016 bis zum 31. Juli 2017; AS 2016 351). Gleichzeitig verkürzte der Bundesrat die Karenzfrist für den anrechenbaren Arbeitsausfall je Abrechnungsperiode während der Verlängerung der Höchstdauer der Kurzarbeitsentschädigung auf ei- nen Tag (AS 2016 351 Ziff. I, Art. 50 Abs. 3 aAVIV, in Kraft vom 1. Februar 2016 bis zum 31. Juli 2017). Die Verordnung trat gemäss deren Ziff. II Abs. 1 am 1. Februar 2016 in Kraft. Sie gelte bis zum 31. Juli 2017; danach seien alle darin enthaltenen Änderungen hin- fällig (AS 2016 351, Ziff. II Abs. 2). Mit Verordnung vom 28. Juni 2017 änderte der Bundesrat die AVIV dahingehend, als dass der anrechenbare Arbeitsausfall sich für jede Abrechnungsperiode um einen Karenztag vermindere (Art. 50 Abs. 2 AVIV, in Kraft vom 1. August 2017 bis zum 31. Dezember 2018; AS 2017 3693, Ziff. I). Eine Verlängerung der geänderten Höchstdauer der Kurzarbeitsentschädigung wurde vom Bundesrat demgegenüber nicht beschlossen. 2.3. In zeitlicher Hinsicht sind diejenigen Rechtssätze massgeblich, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 125 V 42 E. 2b S. 44 mit Hinweisen). 2018 Sozialversicherungsrecht 35 2.4. Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnis- methode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Ge- danken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm dar- stellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkreti- sierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unter- stellen (BGE 128 I 34 E. 3b S. 40). Es können auch die Gesetzes- materialien beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben und dem Gericht damit weiterhelfen (BGE 136 V 195 E. 7.1 S. 203 mit Hinweis). Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Be- stimmung. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Norm wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vor- schriften ergeben (BGE 137 V 126 E. 4.1 S. 129 mit Hinweisen). 2.5. Abgeleitet aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV), welcher den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf be- hördliches Verhalten schützt, können falsche Auskünfte von Verwal- tungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom ma- teriellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebie- ten. Gemäss Rechtsprechung und Lehre ist dies der Fall, 1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat; 2. wenn sie für die Erteilung der betreffen- den Auskunft zuständig war oder wenn die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; 3. wenn die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weite- 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 36 res erkennen konnte; 4. wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rück- gängig gemacht werden können, und 5. wenn die gesetzliche Ord- nung seit der Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 131 V 472 E. 5 S. 480 mit Hinweisen). 3. 3.1. Die Frage nach dem Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung beurteilt sich auf Grund der bei Verwirklichung des relevanten Sach- verhalts geltenden Rechtssätze, somit nach den in diesem Zeitpunkt gültig gewesenen Bestimmungen (vgl. E. 2.3.). Hierbei handelt es sich um einen vom Eidgenössischen Versicherungsgericht und dem Bundesgericht wiederholt bestätigten intertemporalen Grundsatz (BGE 126 V 134 E. 4b S. 136 mit Hinweisen). Auszugehen ist im Allgemeinen davon, dass dasjenige materielle Recht zur Anwendung gelangt, unter welchem sich der rechtserhebliche Sachverhalt überwiegend ereignet hat (BGE 126 V 134 E. 4b S. 136; 123 V 28 E. 3a; AHI 1995 S. 3 ff., 1994 S. 140 f. E. 5, je mit Hinweisen; UELI KIESER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl. 2016, N. 3/18). Vorliegend wirkt sich der durch die Kurzarbeit bewirkte Ar- beits- und somit Lohnausfall (Art. 31 Abs. 1 AVIG) für die Abrech- nungsperioden August bis Oktober erst ab dem 1. August 2017 aus. Der überwiegende und entscheidende Anteil des Sachverhaltes ereig- nete sich daher nach dem 31. Juli 2017, sodass grundsätzlich von der ab 1. August 2017 geltenden Rechtslage auszugehen ist. Der Verord- nung des Bundesrates vom 13. Januar 2016 ist sodann explizit zu entnehmen, dass die befristete Verlängerung der Abrechnungsperiode gemäss Art. 57b aAVIV bzw. alle darin enthaltenen Änderungen hinfällig würden. Für eine Ausrichtung von Kurzarbeitsentschädi- gung von mehr als 12 Abrechnungsperioden über den 31. Juli 2017 hinaus bleibt somit weder für neue noch für laufende Leistungsan- sprüche Platz. Insoweit gilt für die maximale Bezugsdauer von Kurzarbeitsentschädigung ab dem 1. August 2017 nicht mehr Art. 35 Abs. 2 AVIG i.V.m. Art. 57b aAVIV, sondern bloss Art. 35 Abs. 1 AVIG. 2018 Sozialversicherungsrecht 37 Insoweit und unter Berücksichtigung, dass der anrechenbare Lohnausfall erst nachträglich für die konkreten Abrechnungsperioden feststellbar ist (vgl. Art. 39 AVIG), ist hinsichtlich des Leistungsan- spruchs der Beschwerdeführerin für die Abrechnungsperioden August bis Oktober 2017 von der ab 1. August 2017 geltenden Rechtslage auszugehen. 3.2. Nicht massgebend sein können demgegenüber die Voranmel- dung für die Ausrichtung von Kurzarbeitsentschädigung vom 11. Juli 2017 bzw. die Verfügungen des Amtes C. vom 13. bzw. 18. Juli 2017 (...), mit welchen unter Vorbehalt der Erfüllung der weiteren An- spruchsvoraussetzungen kein Einspruch gegen die Auszahlung von Kurzarbeitsentschädigung erhoben werde. Hierbei handelt es sich le- diglich um eine offene Vorprüfung der Anspruchsvoraussetzungen und nur die betriebsbezogenen Anspruchsvoraussetzungen werden eingehend geprüft (Art. 36 AVIG; AVIG-Praxis KAE, G15 f.), wäh- rend die Verfügung betreffend Leistung von Kurzarbeitsentschädi- gungen durch die vom Leistungsansprecher im Rahmen der Voranmeldung zu bezeichnende Arbeitslosenkasse (Art. 36 Abs. 2 lit. c AVIG) erlassen wird (Art. 39 AVIG). Der Gesetzgeber wollte denn auch mit Art. 36 AVIG nicht ein Bewilligungsverfahren für je- den Einzelfall einführen, sondern den Entscheid - auch hinsichtlich der Höchstdauer der Kurzarbeitsentschädigung (Art. 35 AVIG) - der nachfolgend mit dem Anspruch konfrontierten Arbeitslosenkasse überlassen (vgl. nicht publ. E. 1.2 des Urteils BGE 131 V 294, mit Hinweis auf BGE 124 V 75 E. 4a/bb und BBl 1980 II 595). 3.3. Ausweislich der Akten bezog die Beschwerdeführerin per 1. August 2017 bereits seit Juni 2016 und damit seit über 12 Mona- ten Kurzarbeitsentschädigung (...). Die zweijährige Rahmenfrist gemäss Art. 35 Abs. 1 AVIG für den Leistungsbezug begann am 1. Juni 2016 und somit vor ausser Kraft treten von Art. 57b aAVIV zu laufen (BGE 131 V 294 E. 2 f. S. 294 ff. mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung ist eine gesetzliche Ordnung dann rückwirkend, wenn sie auf Sachverhalte angewendet wird, die sich abschliessend vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben (echte 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 38 Rückwirkung; BGE 126 V 134 E. 4a S. 135). Von einer derartigen Sachlage ist vorliegend nicht auszugehen, zumal die Durchführung der Kurzarbeit nach der Rechtsänderung per 1. August 2017 erfolgte und daher nicht ein vollständig vor der Rechtsänderung per 1. August 2017 abgeschlossener Sachverhalt vorliegt. Von dieser (echten) Rückwirkung zu unterscheiden ist die sogenannte unechte Rückwirkung. Hier findet gemäss Rechtsprechung das neue Recht - gestützt auf Sachverhalte, die früher eingetreten sind und noch an- dauern - lediglich für die Zeit seit Inkrafttreten (ex nunc et pro fu- turo) Anwendung. Diese Rückwirkung ist bei kantonalen Erlassen und bundesrechtlichen Verordnungen grundsätzlich als zulässig zu erachten, sofern ihr nicht wohlerworbene Rechte oder eine anderslautende Übergangsbestimmung entgegenstehen (BGE 126 V 134 E. 4a S. 135 f., 124 III 271 E. 4e, 122 II 124 E. 3b/dd, 122 V 8 E. 3a, 408 E. 3b/aa, KUPFER BUCHER, Rechtsprechung des Bundes- gerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die obli- gatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung, 4. Aufl. 2013, S. 146). Selbst wenn Ziff. II Abs. 2 der Verordnung des Bundesrates vom 13. Januar 2016 (AS 2016 352) intertempo- ralrechtlich nicht dahingehend verstanden würde, als dass im Sinne einer expliziten Übergangsbestimmung mit dem ausser Kraft treten von Art. 57b aAVIV ab 1. August 2017 unabhängig vom effektiven Beginn der Rahmenfrist kein Anspruch auf mehr als 12 Abrech- nungsperioden bestehe (vgl. E. 3.1.), wäre ein weitergehender Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin übergangsrechtlich nicht denkbar. Auch wenn es sich bei der Kurzarbeitsentschädigung grundsätz- lich um eine Leistung mit vorübergehendem Charakter handelt (vgl. Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG; BORIS RUBIN, Commentaire de la loi sur l'assurance-chômage, 2014, N. 1 zu Art. 35 AVIG), ändert dies nichts daran, dass es sich bei der laufenden Rahmenfrist um einen über die Änderung des Rechts hinaus andauernden Sachverhalt handelt. In ei- ner solchen Konstellation ist eine sogenannte unechte Rückwirkung - entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin (...) - bei bundesrechtlichen Verordnungen zulässig, soweit sie nicht durch ein Bundesgesetz ausdrücklich oder sinngemäss vorgesehen oder unter- 2018 Sozialversicherungsrecht 39 sagt ist (BGE 126 V 134 E. 4a S. 135; 124 III 271 E. 4e, 122 II 124 E. 3b/dd, 122 V 8 E. 3a, 122 V 408 E. 3b/aa, je mit Hinweisen). Dem AVIG sind keine diesbezüglich einschlägigen Übergangsbe- stimmungen zu entnehmen. Auch wenn die übergangsrechtlichen Bestimmungen des ATSG herangezogen werden, ergibt sich daraus keine Anwendbarkeit der vor dem 31. Juli 2017 geltenden Verord- nungsbestimmung von Art. 57b aAVIV. Art. 82 Abs. 1 ATSG sieht vor, dass die materiellen Bestimmungen des ATSG auf die bei sei- nem Inkrafttreten laufenden Leistungen und festgesetzten Forde- rungen nicht anwendbar sind. Anknüpfungspunkt für die Anwendung des neuen Rechts bildet dabei der Zeitpunkt des Entscheids über ein bestimmtes Rechtsverhältnis, was in der Regel in Form einer Verfü- gung erfolgt. Nicht von primärer Bedeutung ist demgegenüber die Frage, wann sich der mit der Entscheidung beurteilte Sachverhalt zu- getragen hat und ob sich dieser vor Inkrafttreten des ATSG bereits abschliessend verwirklicht hat (UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 7 ff. zu Art. 82 ATSG mit Hinweisen). Für die Ab- rechnungsperioden August bis Oktober 2017 erfolgte die verfügungs- weise Abweisung des Leistungsgesuchs erst nach dem 31. Juli 2017. Demnach ergeben sich aus den massgebenden bundesrechtlichen Grundlagen sowie unter Berücksichtigung der grundsätzlich zulässi- gen unechten Rückwirkung keine Anhaltspunkte, welche für eine Anwendung der bis zum 31. Juli 2017 in Kraft gewesenen Verord- nungsbestimmung Art. 57b aAVIV auf den Anspruch auf Kurzar- beitsentschädigung ab dem 1. August 2017 sprechen würden. 3.4. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, dies widerspreche dem Zweck der Verordnung des Bundesrates vom 13. Januar 2016 (...), kann dem nicht gefolgt werden. Gemäss Ziff. II der Verordnung des Bundesrates vom 13. Januar 2016 trat die Verlängerung der Höchstdauer der Kurzarbeitsent- schädigung um sechs Abrechnungsperioden am 1. Februar 2016 in Kraft und galt bis zum 31. Juli 2017, mithin 18 Monate (Art. 57b aAVIV; AS 2016 351 f.). Mit Ablauf der Befristung gemäss Ziff. II Abs. 2 »sind alle darin (in der Verordnung vom 13. Januar 2016) enthaltenen Änderungen hinfällig.« (Ziff. II, AS 2016 352). Nach 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 40 dem Wortlaut von Ziff. II der Verordnung vom 13. Januar 2016 sollte ein Anspruch auf eine verlängerte Kurzarbeitsentschädigung - in Abweichung vom Grundsatz nach Art. 35 Abs. 1 AVIG - lediglich bis zum 31. Juli 2017 andauern und anschliessend wieder der ordentliche Maximalanspruch von 12 Abrechnungsperioden gelten. Der Bundesrat nahm die Aufhebung des Mindestkurses von 1.20 Franken pro Euro für die befristete Anwendung von Art. 57b aAVIV zum Anlass (...), um den vom starken Schweizer Franken betroffenen Unternehmen (mehr) Zeit zu verschaffen, um sich an die neue Ausgangslage bzw. Marktlage anzupassen und allenfalls neue Ab- satzmärkte zu erschliessen (...). Insoweit handelte es sich um eine situative und von Anfang an befristete Intervention des Bundesrates im Sinne einer Übergangslösung bis zum 31. Juli 2017. Eine dadurch beabsichtigte Nachwirkung über das genannte Datum hinaus ist - entgegen der Beschwerdeführerin (...) - auch unter Einbezug der bis 31. Dezember 2018 gekürzten Karenzdauer nicht ersichtlich. Diese hat zudem im Unterschied zur Verkürzung der Karenzdauer mit Verordnung vom 13. Januar 2016 eine andere gesetzliche Grundlage (vgl. AS 2016 351, Ziff. I Art. 50 Abs. 3 aAVIV; AS 2017 3693 Ziff. I Art. 50 Abs. 2 AVIV). 3.5. Ebenso vermag die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten aus der (...) eingereichten Medienmitteilung des Staatssekretariats für Wirtschaft seco vom 31. Mai 2018 abzuleiten. In der betreffenden Medienmitteilung hielt das seco im Wesentlichen fest, dass ab dem 22. August 2018 Gesuche um Kurzarbeitsentschädigung mit der Be- gründung der Frankenstärke nicht mehr anerkannt würden. Demge- genüber ist der - für das Sozialversicherungsgericht ohnehin nicht verbindlichen (vgl. BGE 144 V 195 E. 4.2 mit Hinweisen) - besagten Verwaltungsweisung keine Grundlage zu entnehmen, welche die Zusprache von Kurzarbeitsentschädigung für mehr als 12 Abrechnungsperioden zu rechtfertigen vermöchte. Vielmehr richtet sich ab dem 1. August 2017 der maximale Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung nach Art. 35 Abs. 1 AVIG (vgl. E. 3.1.). Die Medienmitteilung des seco steht denn auch explizit unter dem Vorbehalt der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. 2018 Sozialversicherungsrecht 41 3.6. Schliesslich ist entgegen den Ausführungen der Beschwer- deführerin (...) keine Verletzung des Vertrauensschutzes ersichtlich. Die Verlängerung der Höchstdauer der Kurzarbeitsentschädigung gemäss Art. 57b aAVIV wurde vom Bundesrat beim Erlass auf den 31. Juli 2017 befristet (AS 2016 352, Ziff. II Abs. 2), weshalb die Verordnungsbestimmung bereits deshalb keine entsprechende Ver- trauensgrundlage darzustellen vermag (vgl. E. 2.4.). Ebenso begründen die Verfügungen des Amtes C. keine entsprechende Ver- trauensgrundlage, zumal sie nicht von der Beschwerdegegnerin selbst erlassen wurden (nicht dieselbe Behörde), jeweils unter dem expliziten Vorbehalt der Erfüllung aller (weiteren) Anspruchs- voraussetzungen erfolgten und überdies als Anhang das Merkblatt »Kurzinformation: Kurzarbeitsentschädigung« vom 5. Juli 2017 enthielten (...). In diesem Merkblatt wurde darauf hingewiesen, dass die Verlängerung der Kurzarbeitsentschädigung vom Bundesrat mit Verordnung vom 28. Juni 2017 (AS 2017 3693 f.) nicht verlängert worden sei. Schliesslich erfolgte per 1. August 2017 mit dem ausser Kraft treten von Art. 57b aAVIV zusätzlich eine Änderung der gesetzlichen Ordnung, sodass die Berufung auf Vertrauensschutz aus Treu und Glauben (vgl. E. 2.4.) offensichtlich nicht stichhaltig ist. 3.7. Zusammenfassend hat die Beschwerdegegnerin hinsichtlich des Höchstanspruchs auf Kurzarbeitsentschädigung der Beschwerde- führerin ab dem 1. August 2017 zu Recht auf Art. 35 Abs. 1 AVIG abgestellt und den in diesem Zeitpunkt ausser Kraft stehenden Art. 57b aAVIV nicht berücksichtigt. Da an die Beschwerdeführerin ausweislich der Akten per 1. August 2017 bereits 12 Abrechnungspe- rioden Kurzarbeitsentschädigung ausgerichtet wurden (...), verneinte die Beschwerdegegnerin einen weitergehenden Leistungsanspruch daher zu Recht.
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2012 Versicherungsgericht 74 12 Art. 6, 49 Abs. 1 und 2, 65d Abs. 3 und 4 BVG; Für umhüllende Vorsorgeeinrichtungen besteht die Möglichkeit, bereits bei erst drohender Unterdeckung eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip durchzuführen. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 24. April 2012 in Sachen R.B. gegen Pensionskasse C. (VKL.2011.33). Aus den Erwägungen 3. (...) 3.1. - 3.5. (...) 3.6. 3.6.1. Die Auffassung, dass eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip nur bei Unterdeckung möglich sei, wird hauptsächlich auf die Weisungen über Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge vom 27. Oktober 2004 (nachfolgend: Weisungen; BBl 2004 6789 ff.) gestützt (vgl. E RICH P ETER , Nullverzinsung, Unterdeckung und Sanierung - Minder-/Nullverzinsung und Rentnerbeiträge [nachfolgend: Nullver- zinsung], AJP 2009, S. 1412 f.). (...) 3.6.2. (...) Auf den 1. Juli 2003 erliess der Bundesrat, bei noch rudimentä- ren gesetzlichen Grundlagen betreffend Unterdeckungen, gestützt auf den bis 31. Dezember 2011 in Kraft gewesenen Art. 64 Abs. 2 BVG erste Weisungen an die Aufsichtsbehörden der beruflichen Vorsorge. In diesen Weisungen des Bundesrates über Massnahmen zur Behe- bung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge vom 21. Mai 2003 (nachfolgend: alte Weisungen; BBl 2003 4314 ff.) wurde unter der Überschrift ,,Minder- oder Nullverzinsung bei umhüllenden Vor- sorgeeinrichtungen im Beitragsprimat" in Ziff. 33 Abs. 1 festgehal- 2012 Versicherungsgericht 75 ten: ,,Registrierte Vorsorgeeinrichtungen im Beitragsprimat, die mehr als die Minimalleistungen des BVG erbringen (sogenannte um- hüllende Vorsorgeeinrichtungen), können im Fall einer Unterdeckung auf dem gesamten Sparguthaben eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip durchführen". Ziff. 331 Abs. 1 be- sagte: ,,Eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrech- nungsprinzip bei einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung im Bei- tragsprimat ist nur zulässig, sofern sie im Reglement vorgesehen ist und solange eine Unterdeckung besteht und die Informationspflich- ten gegenüber den Versicherten und der Aufsichtsbehörde eingehal- ten sind" (BBl 2003 4319). Das Bundesgericht verwies in BGE 132 V 278 E. 4.6 S. 285 in einem Obiter dictum auf diese alten Weisun- gen (vgl. E RICH P ETER , Unterdeckung und Sanierung - Rechte und Pflichten der Vorsorgeeinrichtung [nachfolgend: Sanierung], AJP 2009, S. 794), die aktuell nicht mehr in Kraft sind. 3.6.3. Auf den 1. Januar 2005 traten für den Fall einer Unterdeckung die erwähnten neuen gesetzlichen Grundlagen in BVG, BVV 2, FZG in Kraft. Eine ausdrückliche Regelung der Minder- oder Nullver- zinsung nach dem Anrechnungsprinzip enthalten diese Bestimmun- gen nicht. Die Botschaft zum Erlass dieser neuen gesetzlichen Grundlagen, die Botschaft über Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge (Änderung des Bundes- gesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invaliden- vorsorge) vom 19. September 2003 (nachfolgend: Botschaft; BBl 2003 6399 ff.), enthält zur Minder- oder Nullverzinsung folgende Ausführungen: ,,Bei umhüllenden Kassen im Beitragsprimat ist eine reduzierte Verzinsung oder Nullverzinsung nach dem Anrech- nungsprinzip möglich und zwar in Analogie zum Verzicht auf die gesetzliche Anpassung der laufenden Invaliden- und Hinterlassenen- renten (vgl. BGE 127 V 264). Diese Anrechnung ist jedoch nur so- lange möglich, als die reglementarischen Austrittsleistungen diejeni- gen nach Art. 17 FZG und der BVG-Schattenrechnung übersteigen. Sie finden somit nach heutiger Rechtslage ihre gesetzliche Schranke in den Zinspflichten nach Art. 17 Abs. 1 und 4 FZG bzw. Art. 6 Abs. 2 FZV" (BBl 2003 6409). 2012 Versicherungsgericht 76 Eine explizite Beschränkung der Minder- oder Nullverzinsung auf die Unterdeckung findet sich hierbei nicht. Im Gegenteil wurden die Grenzen dieser Massnahme zwar ausdrücklich thematisiert (,,[...] nur so lange möglich, als [...]"), diese jedoch lediglich in der BVG- Schattenrechnung, jedoch nicht (mehr) in der fehlenden Unter- deckung gesehen. In diesem Zusammenhang kann auch auf die par- lamentarische Beratung verwiesen werden, bei der im Zusammen- hang mit der Massnahme der Unterschreitung des Mindestzinssatzes gemäss Art. 65d Abs. 4 BVG bestätigt wurde, eine Zinsnullrunde bleibe unabhängig von dieser Massnahme nach wie vor möglich, wenn eine Kasse das (obligatorische) Alterskapital plus Zins ge- währleiste. Da die meisten Kassen im Überobligatorium seien, werde es damit weiterhin möglich sein, Zinsnullrunden zu fahren. Das Ge- setz konzentriere sich auf den Schutz des obligatorischen Teils (Vo- tum Kommissionssprecher David, AB 2004 S 61). 3.6.4. Gleichzeitig mit dem Erlass der neuen gesetzlichen Grundlagen setzte der Bundesrat neue Weisungen über Massnahmen zur Behe- bung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge vom 27. Ok- tober 2004 (BBl 2004 6789 ff.) in Kraft. Die Überschrift zu Ziff. 31 dieser Weisungen lautet neu: ,,Minder- oder Nullverzinsung bei um- hüllenden Vorsorgeeinrichtungen im Beitragsprimat bei Unter- deckung" (BBl 2004 6794). Ziff. 31 besagt sodann: ,,Registrierte Vorsorgeeinrichtungen im Beitragsprimat, die mehr als die Mindest- leistungen des BVG erbringen (umhüllende Vorsorgeeinrichtungen) und im Fall einer Unterdeckung auf dem gesamten Sparguthaben eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechungsprinzip durchführen, haben die untenstehenden Schranken einzuhalten". Diese Schranken regelt Ziff. 311 Abs. 1: ,,Eine Minder- oder Null- verzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung im Beitragsprimat ist zulässig, sofern sie im Reglement vorgesehen ist und die Informationspflichten gegenüber dem Versicherten und der Aufsichtsbehörde eingehalten sind. Die Anwendung eines Negativzinssatzes ist für sämtliche dem FZG un- terstellten Vorsorgeeinrichtungen (d.h. auch für sogenannte Kader- kassen) ausgeschlossen (Art. 15 und 17 FZG)". 2012 Versicherungsgericht 77 3.6.5. In der Lehre wird mit Verweis auf die Mitteilungen über die Be- rufliche Vorsorge des BSV die Auffassung vertreten, es sei kein Hinweis vorhanden, dass gemäss den neuen Weisungen eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip auch ohne das Vorliegen einer Unterdeckung erlaubt sein solle (E RICH P ETER , Null- verzinsung, a.a.O., S. 1412 f.). In den Mitteilungen über die beruf- liche Vorsorge Nr. 82 vom 24. Mai 2005 Rz. 482 gab das BSV dazu an, die bisherigen Ziffern 33 und 331 (der alten Weisungen) ent- sprächen neu den Ziffern 31 und 311 (der neuen Weisungen). Nach ihrem Dafürhalten sei die Rechtsprechung zur Minder- oder Nullver- zinsung nach dem Anrechnungsprinzip auch auf diese neuen Wei- sungen respektive Ziffern anwendbar. Ob das BSV bei diesen kurzen Ausführungen bewusst eine Aussage zur Beschränkung der Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip auf die Unterdeckung machen wollte, ist zu bezweifeln. Die Beschränkung auf die Unterdeckung wurde in den Mitteilungen nicht thematisiert. Hingegen gab das BSV in den er- wähnten späteren Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 94 vom 28. September 2006 ohne weitere Bemerkung ein Urteil wieder, indem bei einem Deckungsgrad von 100 % eine Verzinsung von 0.0 % geschützt wurde. In einem Obiter dictum in BGE 132 V 278 E. 4.6 S. 285, das zu der vom BSV erwähnten Rechtsprechung gehört, wurde zwar ausgeführt: Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass eine Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip nicht zur Dis- kussion stehe, weil dabei - was vorliegend nicht der Fall sei - ,,der Mindestzinssatz unter Anrechnung von Gutschriften aus dem weiter- gehenden Bereich der beruflichen Vorsorge unterschritten würde, was im Fall einer Unterdeckung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig wäre". Aus dem Umstand, dass hierbei mit Verweis auf die alten Weisungen die Unterdeckung in einem Nebensatz als Be- dingung erwähnt wurde, kann allerdings nicht gefolgert werden, damit habe eine Rechtsprechung zur Frage der Beschränkung auf die Unterdeckung begründet werden sollen. In diesem Fall war eine sol- che Beschränkung irrelevant. Weitere Rechtsprechung zu den alten Weisungen im Zusammenhang mit der Minder- oder Nullverzinsung 2012 Versicherungsgericht 78 nach dem Anrechnungsprinzip und Unterdeckung existiert - soweit ersichtlich - nicht. Mehrere Argumente sprechen hingegen dafür, dass in den neuen Weisungen keine Aussage für den Fall einer Überdeckung gemacht werden sollte. Der Inhalt der Ziff. 31 und 311 Abs. 1 der aktuellen Weisungen ist zwar im Wesentlichen identisch mit den früheren Wei- sungen. Auffallend ist allerdings, dass in einem Bereich eine Än- derung vorgenommen wurde, nämlich die Formulierung ,,nur (...) solange eine Unterdeckung besteht" der alten Weisungen wurde in Ziff. 311 Abs. 1 der Weisungen entfernt. Auch in der französischen Version der Weisungen wurde die Formulierung ,,n'est licite que (...) seulement durant la période pendant laquelle existe un découvert" gestrichen (vgl. BBl [französische Version] 2003 3868 und BBl 2003 6388). Gleiches gilt für die italienische Weisungen (BBl [italienische Version] 2003 3724 und BBl 2004 6034). Zudem wurde die Formu- lierung in Ziff. 33 Abs. 1 der alten Weisungen (...) Vorsorgeeinrich- tungen (...) können im Fall einer Unterdeckung auf dem gesamten Sparguthaben eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrech- nungsprinzip durchführen" ersetzt durch ,,(...) Vorsorgeeinrichtun- gen (...), die (...) im Fall einer Unterdeckung auf dem gesamten Sparguthaben eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem An- rechungsprinzip durchführen, haben die untenstehenden Schranken einzuhalten" (Ziff 31 der Weisungen). Diese Änderungen sprechen für die bewusste Vermeidung einer Aussage zur Überdeckung. Die aktuellen Weisungen wurden so abgeändert, dass im Gegensatz zu den alten Weisungen daraus kein Umkehrschluss mehr gezogen wer- den kann, bei fehlender Unterdeckung sei eine Minder- oder Null- verzinsung nach dem Anrechnungsprinzip nicht zulässig. In der Lehre wird ebenfalls der Standpunkt vertreten, die For- mulierung der alten Weisungen, wonach eine Nullverzinsung nach den Anrechnungsprinzip nur zulässig war, solange eine Unter- deckung bestanden habe, sei bewusst gestrichen worden (H ANSPETER K ONRAD , Minder- bzw. Nullverzinsung in Vorsorgeein- richtungen: auch bei Überdeckung möglich, AJP 2010, S. 128). Ge- stützt wird diese Annahme durch die Aussage des (ehemaligen) BSV- Vizedirektors Anton Streit gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung 2012 Versicherungsgericht 79 (NZZ) am 9. Januar 2010, wonach das BSV in den letzten Jahren stets die Meinung vertreten habe, eine Vorsorgeeinrichtung könne, um aus einer Unterdeckung herauszukommen oder um zu ver- hindern, dass die Kasse in eine finanziell schwierige unstabile Lage gerät, eine Minder- oder Nullverzinsung durchführen, wenn das gesetzlich obligatorische Leistungsniveau gewahrt bleibe. Es sei gut möglich, zu den Weisungen einige Präzisierungen anzubringen. Aus der aktuellen Formulierung in den Weisungen könne jemand den Schluss ziehen, dass etwas verboten sei, nur weil es nicht explizit erwähnt sei (S IMON G EMPERLI , Kontroverse um Nullverzinsung im BVG, NZZ, 9. Januar 2010 S. 11; AB 5). Diese Angaben des BSV lassen sich im vorliegenden Verfahren nicht weiter verifizieren (vgl. Art. 4a BVV 1). Sie stehen jedoch im Einklang mit dem davor Ausgeführten. Die gesamten bundesrätliche Weisungen beziehen sich nur auf die Situation bei Unterdeckungen, wie bereits aus dem Titel der Wei- sungen ersichtlich ist (vgl. auch Überschrift zu Ziff. 31 der Weisun- gen). Regeln für den Fall fehlender Unterdeckung im überobliga- torischen Bereich können daraus nicht abgeleitet werden. Der über- obligatorische Bereich sollte und konnte mit diesen Weisungen nicht geregelt werden. 3.6.6. In der Lehre wird eingewendet, wenn bereits einschränkende Bestimmungen bei Unterdeckung für die Minder- oder Nullverzin- sung nach dem Anrechnungsprinzip gelten würden (Ziff. 311 Abs. 1 der Weisungen), wäre es unlogisch, wenn bei Fehlen einer Unter- deckung keine Einschränkungen gelten sollten (E RICH P ETER , Null- verzinsung, a.a.O., S. 1413 f.). Diese Folgerung ist zwar grundsätz- lich nachvollziehbar, allerdings bestehen die rechtlichen Schranken gemäss Ziff. 311 Abs. 1 der Weisungen lediglich darin, dass die In- formationspflichten gegenüber den Versicherten und der Aufsichts- behörde zu wahren sind und die Minder- oder Nullverzinsung im Reglement vorzusehen ist (wobei eine allgemeine Kompetenz des obersten paritätisch zusammengesetzten Organs genügt, den jeweili- gen Zins aufgrund des Jahresergebnisses festzusetzen; vgl. E RICH P ETER , Sanierung, a.a.O., S. 794). Die gleichen rechtlichen Schran- 2012 Versicherungsgericht 80 ken ergeben sich - mit Ausnahme der Information der Aufsichtsbe- hörde - im überobligatorischen Bereich bereits aus den allgemeinen vertragsrechtlichen und verfassungsmässigen Rechtsgrundsätzen. Strengere Voraussetzungen zur Durchführung von Minder- oder Nullverzinsungen bei Unterdeckung im Vergleich zu Fällen bei Überdeckung sind daher nicht ersichtlich. 3.6.7. Insgesamt ergibt sich damit der Schluss, dass der Wortlaut der aktuellen Weisungen, dessen Veränderungen von den alten hin zu den neuen Weisungen und die Materialien (vorhandene Stellungnahmen von Bundesrat, BSV und Parlament) eine Minder- oder Nullverzin- sung nach dem Anrechnungsprinzip bei Überdeckung zumindest nicht verbieten. 3.6.8. Wenn argumentiert wird, die Weisungen enthielten keine Hin- weise darauf, dass eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem An- rechnungsprinzip ohne Vorliegen einer Unterdeckung erlaubt sein solle (E RICH P ETER , Nullverzinsung, a.a.O., S. 1413), wird von der falschen Annahme ausgegangen, die Vorsorgeeinrichtung benötigten eine solche Erlaubnis. Dies widerspräche dem Grundkonzept des BVG, wonach die Vorsorgeeinrichtungen in der weitergehenden Vor- sorge grundsätzlich frei sind (BGE 130 V 369 E. 6.4 S. 376). Aus den Mindestvorschriften des BVG können keine Ansprüche abgelei- tet werden, die über die entsprechenden Leistungsgarantien des Ge- setzes hinausgehen. Vielmehr wäre für gesetzliche Reglementierun- gen und Beschränkungen der Vorsorgeeinrichtungen in der weiterge- henden Vorsorge eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage voraus- gesetzt, wie sie Art. 49 Abs. 2 BVG darstellt. Eine gesetzliche Grundlage für das Verbot der Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip, bei der die gesetzlichen Mindestleistungen gemäss BVG garantiert sind, besteht jedoch nicht. Der Bundesrat führte dazu bereits am 26. September 2003 aus, sowohl Art. 14 BVG (Umwandlungssatz) als auch Art. 15 BVG (Mindestzinssatz) fehlten im Katalog der nach Art. 49 Abs. 2 BVG im Überobligatorium zwingend anwendbaren Gesetzesbestimmun- gen. Deshalb hätten in den letzten Jahren zahlreiche Vorsorgeein- 2012 Versicherungsgericht 81 richtungen als Sanierungsmassnahme entweder das überobligatori- sche Guthaben nicht verzinst oder sogar das ganze Altersguthaben einer Nullverzinsung unterworfen. Letzteres sei dort möglich gewe- sen, wo die Nachführung der Schattenrechnung den Nachweis er- bracht habe, dass die gesetzlichen obligatorischen Leistungen trotz Nullzinsrunde sichergestellt seien (Stellungnahme des Bundesrates vom 26. September 2003 zum Postulat betreffend Rückkommen auf die Genehmigung des Modells ,,Winterthur" der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates, 03.3437, vom 4. September 2003; vgl. auch C ARL H ELBLING , Zur Sanierung von Pensionskassen, in: Der Schweizer Treuhänder 4/2003, S. 219). 3.6.9. In der Lehre wird teilweise die Auffassung vertreten, die Min- der- oder Nullverzinsung nach dem Anrechungsprinzip gehöre zu den ,,anderen Massnahmen" gemäss Art. 65d Abs. 3 BVG, womit eine gesetzliche Grundlage bestünde (C HRISTINA R UGGLI -W ÜEST , Die Aufgaben der Aufsichtsbehörden bei Unterdeckung, SZS 2009, S. 564). Gemäss dieser Bestimmung kann die Vorsorgeeinrichtung, sofern ,,andere Massnahmen" nicht zum Ziel führen, während der Dauer einer Unterdeckung bestimmte Massnahmen ergreifen, die bei fehlender Unterdeckung im Widerspruch zu den Vorgaben des BVG stehen, wie die Erhebung von Sonderbeiträgen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Rentnern (Art. 65d Abs. 3 BVG). Das spricht allerdings noch nicht gegen eine Anwendung der ,,andere(n) Massnahmen" auch bei Überdeckung der Vorsorgeein- richtung. Zu solchen ,,andere[n] Massnahmen" im Sinn von Art. 65d Abs. 3 BVG werden in der Botschaft etwa die Reduktionen von Mehrverzinsungen und gesetzlich nicht vorgeschriebenen Erhöhun- gen laufender Renten sowie der Widerruf von Überbrückungsfinan- zierungen, Beitragspausen, Beitragsreduktionen usw. gezählt (BBl 2003 6408 f.). Diese Massnahmen sind unbestritten auch bei Überdeckung möglich. Art. 65d Abs. 3 BVG bildet damit nicht eine (unbestimmte) gesetzliche Grundlage zur Beschränkung der Vorsor- geeinrichtungen im überobligatorischen Bereich. Zweck von Art. 65d Abs. 3 BVG ist nicht, eine gesetzliche Grundlage für die ,,andere[n] Massnahmen" zu schaffen. Vielmehr wird damit klargestellt, dass in 2012 Versicherungsgericht 82 der Kaskade der zu ergreifenden Massnahmen zunächst die üblichen und zulässigen ,,andere[n] Massnahmen" zu ergreifen sind, bevor die Vorsorgeeinrichtungen die speziellen gesetzlichen Sanierungsmass- nahmen von Art. 65d Abs. 3 lit. a und b BVG (Erhebung von Son- derbeiträgen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Rentnern) an- wenden können und schliesslich, wenn auch diese Massnahmen sich als ungenügend erweisen sollten, nach Art. 65d Abs. 4 BVG als weitere gesetzliche Sanierungsmassnahme ausnahmsweise den Min- destzinssatz unterschreiten dürfen. Art. 65d Abs. 3 BVG bildet die gesetzliche Grundlage für diese speziellen Sanierungsmassnahmen und nicht für die dort erwähnten ,,andere[n] Massnahmen". Bei der Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip handelt es sich, wie bei den anderen genannten Beispielen in der Botschaft, nicht um eine Sanierungsmassnahme, die im Widerspruch zu den Regelungen des BVG steht und für deren (ausnahmsweise) Anwen- dung eine besondere gesetzliche Grundlage zu verlangen ist (vgl. Bericht des Bundesrates zuhanden der Bundesversammlung über die Zukunft der 2. Säule vom 24. Dezember 2011, Ziff. 11.1, S. 115). Das Anrechnungsprinzip ist im Gegenteil ein genereller Grundsatz, der unabhängig von der Frage der Verzinsung bei der umhüllenden Vorsorge zur Anwendung gelangt (vgl. BGE 136 V 65, 136 V 313, 127 V 264). Sollte bei der Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip der Gewichtung der Interessen der Versicherten auf höhere Versicherungsleistungen gegenüber den Interessen der Vorsorgeeinrichtungen auf eine nachhaltige Sicherstellung des Vor- sorgezwecks (Art. 65 Abs. 1 BVG) und deren Freiheit in der weiter- gehenden beruflichen Vorsorge der Vorzug gegeben werden, wäre eine gesetzliche Grundlage zu verlangen. Selbst wenn somit von einem klaren Wortlaut der hier umstrittenen, an die Aufsichtsbehör- den gerichteten (Verwaltungs-)Weisungen ausgegangen würde und diese eine Minder- oder Nullverzinsung bei Überdeckung verbieten würden, könnte auf sie in dem hier umstrittenen Punkt nicht abge- stellt werden, weil keine genügende Grundlage vorliegt, um zusätz- liche materiellrechtliche Einschränkungen aufzustellen (BGE 129 V 67 E. 1.1.1 S. 68). 2012 Versicherungsgericht 83 3.7. 3.7.1. (...) Ob bei einer Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip von einer Reduktion des Bestandes der Freizügigkeitsleistung und damit von einer Verletzung von wohlerworbenen Rechten gesprochen wer- den kann, hängt davon ab, ob von zwei Vorsorgeteilen, einem obli- gatorischen und einem überobligatorischen Teil ausgegangen wird, auf denen verschiedene Zinssätze (Zinssplit) anzuwenden sind (E RICH P ETER , Nullverzinsung, a.a.O., 1413 f.) oder ob ein einheit- liches reglementarisches Altersguthaben anzunehmen ist, bei dem im Rahmen einer Schattenrechnung nachgewiesen und sichergestellt werden muss, dass es mindestens so hoch ist wie das BVG-Guthaben inklusive BVG-Mindestzinsen (H ERMANN W ALSER , Sanierungs- massnahmen von Vorsorgeeinrichtungen und die Rechtsstellung der beruflich noch aktiven Versicherten [nachfolgend: Sanierungsmass- nahmen], SZS 2009, S. 604; M ARKUS M OSER , Das Anrech- nungsprinzip als Grundelement der umhüllenden beruflichen Vor- sorge im "Zerrspiegel" der Rechtsprechung, SZS 2011, S. 59 f.). Im ersten Fall würde bei einer Nullverzinsung des gesamten Vorsorge- kapitals der überobligatorische Teil aufgrund der garantierten ge- setzlichen Mindestverzinsung des obligatorischen Teils reduziert, womit eine Verletzung von wohlerworbenen Rechten gegeben wäre. Im zweiten Fall läge hingegen keine entsprechende Verletzung vor, weil bei einer Nullverzinsung der Bestand des reglementarischen Guthabens weiterhin garantiert wäre. Dieses würde sich nicht redu- zieren und das BVG-Guthaben wäre weiterhin sichergestellt. 3.7.2. Gemäss Art. 6 BVG enthält der zweite Teil BVG lediglich Mindestvorschriften. Die Vorsorgeeinrichtungen sind gemäss Art. 49 BVG im Rahmen des BVG in der Gestaltung ihrer Leistungen frei und können über die Mindestleistungen hinausgehen (vgl. H ERMANN W ALSER , Sanierungsmassnahmen, a.a.O., S. 603 f.). Der Grundkon- zeption des BVG entsprechend ist daher von einem einheitlichen re- glementarischen Vorsorgeguthaben auszugehen, bei dem mittels BVG-Schattenrechnung lediglich die Einhaltung der obligatorischen 2012 Versicherungsgericht 84 Mindestleistungen kontrolliert wird (vgl. BBl 2003 6409, Fn. 13). Die wohlerworbenen Rechte sind bei einer Nullverzinsung dieses einen reglementarischen Guthabens garantiert, da sich dieses nicht vermindert. Das bestätigt auch die Botschaft des Bundesrats. Sie verweist lediglich auf Art. 17 BVG und die BVG-Schattenrechnung, welche die gesetzlichen Schranken des Anrechnungsprinzips bildeten (BBl 2003 6409). Das Bundesgericht hat in diesem Sinne kürzlich seine frühere Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Bemessung des Leistungsumfangs bei nachträglicher Erhöhung des Invaliditätsgra- des (BGE 136 V 65) und bei einer verlangten zusätzlichen gesetz- lichen Invalidenkinderrente mit Verweis auf das Anrechnungsprinzip geändert bzw. präzisiert (BGE 136 V 313; vgl. M ARKUS M OSER , a.a.O., S. 60 ff.). Diesen Urteilen ist zu entnehmen, dass eine um- hüllende Vorsorgeeinrichtung die gesetzlichen Leistungen auszu- richten hat, falls diese höher sind als der aufgrund des Reglements berechnete Anspruch. Andernfalls bleibt es bei der reglementarisch vorgesehenen Leistung (Anrechnungs- oder Vergleichsprinzip). Die Anspruchsberechnung hat dabei nicht in der Weise zu erfolgen, dass für den Obligatoriumsbereich und die weitergehende Vorsorge je isolierte Berechnungen angestellt und die Ergebnisse anschliessend addiert werden (Splittings- oder Kumulationsprinzip). Vielmehr sind den sich aus dem Gesetz ergebenden Ansprüchen auf zeitlich identi- scher Grundlage beruhende und gleichartige, nach Massgabe des Reglements berechnete Leistungen gegenüberzustellen (Schatten- rechnung; BGE 136 V 65 E. 3.7 S. 71, 136 V 313 E. 4.4 S. 316; je mit Hinweisen). Bereits früher entschied das Bundesgericht in die- sem Sinne im Zusammenhang mit der gesetzlichen Teuerungsanpas- sung der BVG-Renten im Vergleich zu reglementarischen Hinterlas- senen- und Invalidenrenten (BGE 127 V 264; bei Ausrichtung der Leistung in Kapitalform vgl. SZS 2004 S. 576, B 74/03 E. 3.3.3). In der Botschaft wurde im Zusammenhang mit dem Anrechnungsprin- zip bei der Minder- oder Nullverzinsung ausdrücklich auf BGE 127 V 264 verwiesen (BBl 2003 6409; vgl. auch H ANS -U LRICH S TAUFFER , Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, Rz. 916). 2012 Versicherungsgericht 85 Da es sich bei den genannten Grundsatzurteilen des Bundesge- richts um Entscheide im sensiblen Bereich des Leistungsrechts han- delt (vgl. M ARKUS M OSER , a.a.O., S. 70), muss dies im Sinne einer einheitlichen und stringenten Rechtsprechung auch für die Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei der Verzin- sung des Vorsorgeguthabens gelten. 3.8. Zusammenfassend ist unter Berücksichtigung der Grundkon- zeption und der Systematik des BVG (Art. 6 und 49 BVG), der feh- lenden gesetzlichen Grundlagen, den Anhaltspunkten im Zusam- menhang mit der Änderung des Wortlauts der aktuellen Weisungen im Verhältnis zu den alten Weisungen, den Hinweisen aus den Ma- terialien (Botschaft, Stellungnahmen des Bundesrates, des BSV und des Parlaments) sowie der bundesgerichtlichen Grundsatzentscheide zum Anrechnungsprinzip (BGE 136 V 65, 136 V 313, 127 V 264) die Möglichkeit für umhüllende Vorsorgeeinrichtungen zu bejahen, eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bereits bei erst drohender Unterdeckung anzuwenden.
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2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 62 [...] 5 Art. 5 und 64 MVG Haftung der Militärversicherung für eine während der Rekrutenschule erstmals aufgetretene Bechterew-Erkrankung bejaht, da der Entlastungs- beweis nach Art. 5 Abs. 2 MVG nicht erbracht werden konnte. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 2. Kammer, vom 16. Juni 2016, i.S. F.T. gegen Militärversicherung S. (VBE.2016.50; bestätigt durch Urteil des Bundesgerichts 8C_522/2016 vom 1. Dezember 2016) Aus den Erwägungen 2. 2.1. (...) 2.2. Art. 5 Abs. 1 MVG statuiert die gesetzliche Vermutung, wonach die während des Dienstes in Erscheinung getretene und festgestellte Gesundheitsschädigung während des Dienstes (vollständig) verur- sacht worden ist (sog. Kontemporalitätshaftung; C HRISTOF S TEGER - B RUHIN , Die Haftungsgrundsätze der Militärversicherung, 1996, S. 215; J ÜRG M AESCHI , Kommentar zum MVG vom 19. Juni 1992, 2000, N. 13 f. zu Art. 5 MVG). Die Vermutung bezieht sich dabei auf den natürlichen sowie adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 111 V 370 E. 1b S. 272 f.; J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 30 bei Vorbemer- kungen zu Art. 5 bis 7 MVG). Die Haftung erstreckt sich auf alle ungünstigen Einwirkungen während des Dienstes, d.h. nicht nur durch den Dienst bedingte Ursachen oder typische Militärgefahren. Sie beschränkt sich nicht auf die im spezifischen Militärrisiko be- 2016 Sozialversicherungsrecht 63 gründeten Gefahren, sondern umfasst auch Schädigungen, die ledig- lich bei Gelegenheit des Dienstes verursacht worden sind und somit "dienstgleichzeitig" sind (C HRISTOF S TEGER , Die Haftungsgrund- sätze in der Militärversicherung, SZS 2001, S. 250). 2.3. Für Gesundheitsschädigungen, welche während des Militär- diensts in Erscheinung getreten sind, gilt bei zeitlichem Zusammen- treffen von Dienst und Schädigung die widerlegbare Vermutung der dienstlichen Verursachung (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 17 zu Art. 5 MVG). Art. 5 Abs. 2 MVG bestimmt, unter welchen Voraussetzun- gen die Vermutung widerlegt werden kann. Der Entlastungsbeweis enthält einerseits den Beweis der Dienstfremdheit im weiteren Sinne (Art. 5 Abs. 2 lit. a MVG) und andererseits den der fehlenden Ver- schlimmerung (Art. 5 Abs. 2 lit. b MVG). Dabei hat die Militärver- sicherung die Entlastungsbeweise mit dem Beweisgrad der Sicher- heit zu erbringen. Der Begriff der Sicherheit ist nicht absolut, son- dern relativ zu verstehen. Er bedeutet mehr als hohe Wahrscheinlich- keit, nicht aber völlige Gewissheit und bewegt sich im Rahmen einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 21 zu Art. 5 MVG; BGE 105 V 225 E. 4a S. 230). 3. (...) 4. 4.1. Unter den Parteien ist unbestritten (zum Rügeprinzip: BGE 119 V 347 E. 1a S. 349 f., 110 V 48 E. 4a S. 52 f.), dass die Bechterew- Erkrankung erstmals während der Rekrutenschule auftrat. (...) In medizinischer Hinsicht stimmen die Ärzte überein, dass der Beschwerdeführer eine genetische Prädisposition für den Morbus Bechterew aufwies. Abgesehen von (vorliegend nicht relevanten) in- fektiösen Auslösern der Spondylarthropathien seien die Ursachen, welche zur Aktivierung des Autoimmunprozesses führen, unbekannt. (...) 4.2. Nachdem die Bechterew-Erkrankung mit den dafür typischen Symptomen erstmals während der Rekrutenschule auftrat, haftet die 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 64 Beschwerdegegnerin für diese Erkrankung (Art. 5 Abs. 1 MVG). Das Gesetz verlangt nicht, dass die Gesundheitsschädigung während des Dienstes entstanden ist; die blosse Krankheits disposition stellt noch keine Gesundheitsschädigung dar (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 7 und 25 zu Art. 5 MVG). 4.3. Die Beschwerdegegnerin kann sich von der Haftung befreien, wenn sie den Entlastungsbeweis gemäss Art. 5 Abs. 2 MVG erbringt. Dafür hat sie den Sicherheitsbeweis zu erbringen (vgl. E. 2.3.). An diesem Beweisgrad wurde anlässlich der letzten Revision des MVG festgehalten (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 17-19, 33 bei Vorbemerkun- gen zu Art. 5 bis 7 MVG). Zudem ergibt sich dies bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Versicherten soll nicht nur jeder Zweifel in Bezug auf die Vordienstlichkeit eines Leidens, sondern generell auch die mangeln- de Kenntnis über Pathogenese und Verlauf bestimmter Krankheiten zugutekommen. Die Haftung der Militärversicherung bestimmt sich damit teilweise auch nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft (J ÜRG M AESCHI , a.a.O., N. 20 zu Art. 5 MVG mit Hin- weisen). Wie in Erwägung 4.1. ausgeführt, sind die Auslöser des Morbus Bechterew unklar. In einem aktenkundigen Artikel der Schweize- rischen Ärztezeitung (F REY /S CHWARZ / VAN DER L INDEN , Morbus Bechterew - Die Bedeutung der genetischen Prädisposition für die Beurteilung der Diensttauglichkeit an einem Fallbeispiel der Spondylitis ankylosans, SÄZ 2000 S. 2396 f.) wurde auf einen Ent- scheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts von 1986 hingewiesen, welcher die lebenslange Haftung für einen im Dienst aufgetretenen Morbus Bechterew bejaht hatte. Dem Entscheid lag ein Gutachten einer Universitätsklinik von 1980 zugrunde. Der Gutach- ter hielt es nicht nur für denkbar, sondern höchst wahrscheinlich, dass "für das Manifestwerden einer klinisch stummen Ileosakralar- thritis besondere äussere Einwirkungen (z.B. überdurchschnittliche körperliche Belastung oder ungünstige Witterungsverhältnisse wie sie im Militärdienst vorkommen können) die klinisch stumme Entzündung zu einem subjektiven Leiden, d.h. zu einer Krankheit 2016 Sozialversicherungsrecht 65 umzuwandeln" vermöchten. Eine französische Studie von 1990 habe zudem gezeigt, dass körperlich belastende Arbeiten, Kälte- und Feuchtigkeitsexpositionen zu häufigeren und schwereren Exazer- bationen des Morbus' Bechterew führten. Eine Kausalität zwischen diesen Faktoren und dem Ausbruch der Krankheit habe jedoch nicht belegt werden können. Wie bereits erwähnt, erachtete zudem Dr. med. T den Zusammenhang zwischen einer starken körperlichen Aktivierung und der Verursachung eines krankheitsauslösenden In- fekts als "möglich". Nach der Aktenlage ist somit nicht mit Sicherheit ausge- schlossen, dass die Bechterew-Erkrankung während des Dienstes verursacht wurde. Es fehlt damit auch nicht an "jeder denkbaren Kausalität", welche bei Gesundheitsschädigungen unbekannter Ätiologie eventuell einen Wegfall der Haftung nach sich ziehen könnte (C HRISTOF S TEGER , Die Haftungsgrunsätze der Militärver- sicherung, 1996, S. 238). Ausgehend vom Grundsatz der Kontempo- ralitätshaftung wirkt sich die Unklarheit betreffend die den Morbus Bechterew auslösenden Faktoren nicht zu Lasten des Beschwer- deführers aus. Damit kann sich die Beschwerdegegnerin nicht von ihrer Haftung befreien. 5. Die Beschwerdegegnerin bringt eventualiter vor, der anlässlich der Rekrutenschule aufgetretene Schub sei spätestens Ende Novem- ber / Anfang Dezember 2013 nach einem beschwerde- und behand- lungsfreien Intervall behoben gewesen, womit die allfällige Haftung ende. Nach dem in Erwägung 4.3. Festgestellten gelingt der Be- schwerdegegnerin der Entlastungsbeweis nach Art. 5 Abs. 2 lit. a MVG nicht. Somit besteht gemäss Abs. 3 kein Raum für eine Ver- schlimmerungshaftung. Ferner verfängt der Verweis auf J ÜRG M AESCHI (a.a.O., N. 14 zu Art. 6 MVG) nicht. Art. 6 MVG behan- delt die Feststellung von Gesundheitsschädigungen nach dem Dienst. Vorliegend wurde diese aber während des Dienstes festgestellt. So- dann berichtete Dr. med. M. nur von einer Remission, was ein Nach- lassen der Krankheitszeichen ist (Pschyrembel, Klinisches Wörter- buch, 266. Aufl. 2014, S. 1830), aber keine Heilung. Entsprechend 2016 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 66 äusserte sich auch Dr. med. T; die Bechterew-Erkrankung sei nicht heilbar. Im Zeitpunkt der Begutachtung führte Dr. T die Beschwerden "weniger" auf eine aktive Entzündung als auf eine Überlastung im lumbosacralen Übergang bei nachgewiesener leichter Spondylolis- thesis zurück. Der Hinweis der Beschwerdegegnerin auf die Bech- terew-fremden Beschwerden ändert ebenfalls nichts an der grundsätzlichen Haftung der Beschwerdegegnerin, die sich nur auf die Bechterew-Erkrankung beschränkt. 6. 6.1 Zusammengefasst ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Einspracheentscheid aufzuheben. Die Beschwerdegeg- nerin haftet für die Gesundheitsschädigung (Bechterew-Erkrankung) des Beschwerdeführers.
2,088
1,631
AG_VSG_001
AG_VSG
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AG_VSG_001_AGVE-2016-5_2016-06-02
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-5.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-5.pdf
AGVE_2016_5
null
nan
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1
418
871,679
1,102,636,800,000
2,004
de
2005 Versicherungsgericht 91 [...] 22 Art. 41 Abs. 1, 60 Abs. 1 ATSG Zwecks Wiederherstellung der Rechtsmittelfrist ist binnen 10 Tagen nach Wegfall des Hindernisses um Fristwiederherstellung zu ersuchen. Eine Beinverletzung des Rechtsvertreters stellt keinen Wiederherstel- lungsgrund dar. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 20. Sep- tember 2005 in Sachen A.Z. gegen Arbeitslosenkasse. Aus den Erwägungen 2. Die 30-tägige Beschwerdefrist (Art. 60 Abs. 1 ATSG) ist - der Einspracheentscheid war dem Versicherten bzw. seinem Rechts- vertreter am 10. November 2004 zugestellt worden - am 10. Dezem- ber 2004 abgelaufen. Die Beschwerde vom 20. Dezember 2004 ist daher grundsätzlich verspätet, sofern nicht die Voraussetzungen der Fristwiederherstellung gegeben sind (vgl. Art. 41 ATSG). 2.1. Gemäss Art. 41 Abs. 1 ATSG wird einer gesuchstellenden Person oder ihrer Vertretung, die unverschuldeterweise abgehalten worden ist, binnen Frist zu handeln, diese wiederhergestellt, sofern sie unter Angabe des Grundes binnen 10 Tagen nach Wegfall des Hindernisses darum ersucht, wobei gemäss Art. 41 Abs. 2 ATSG die versäumte Handlung erst nachzuholen ist, wenn die Fristwiederher- stellung bewilligt ist. Die ursprünglich angesetzte Frist für die entsprechende Vornahme beginnt dabei ab Zustellung des positiven Entscheides über die Fristwiederherstellung ,,neu zu laufen" (Ueli Kieser, Kommentar zum ATSG, Zürich 2003, N 7 zu Art. 41 ATSG). 2.2. Die Fristversäumnis gilt dabei als verschuldet, wenn sie un- ter den gegebenen Umständen bei der vom Säumigen zu erwartenden Sorgfalt hätte abgewendet werden können, wobei von einem Anwalt grössere Sorgfalt erwartet werden darf als von einem juristischen Laien (vgl. Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen 2005 Versicherungsgericht 92 Zivilprozessordnung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998, 2. Aufl., N 7 zu § 98 ZPO). Bei schweren Krankheiten (was auch bei gravierenden Unfällen gelten muss) wird eine Fristwiederherstellung nur zugelassen, sofern die Krankheit (bzw. der Unfall) derart ist, dass der Säumige krankheits- (bzw. unfall-)bedingt davon abgehalten wurde, selber innert Frist zu handeln oder eine Drittperson mit der Vornahme der Prozesshandlung zu betrauen (BGE 119 II 87 Erw. 2a, 112 V 255 f. Erw. 2a). 2.3. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers brachte im Schreiben vom 24. Januar 2005, in welchem er sich zum Vorwurf der Fristversäumnis äusserte, vor, er habe am 3. Dezember 2004 beim Sturz vom Pferd einen Bänderriss erlitten, der ihn für eine Woche (bis am 12. Dezember 2004) zur ,,Inaktivität" bzw. ,,Bettlägerigkeit" verurteilt und gezwungen habe, vom 13. Dezember 2004 bis Weih- nachten mit dem linken Fuss auf dem Schreibtisch zu arbeiten und sich an Krücken fortzubewegen. Nichtsdestotrotz habe er mit seiner Beschwerde vom 20. Dezember 2004, welche er ,,rechtsprechungs- gemäss" innerhalb der 30-tägigen Frist nach Wegfall des Hinde- rungsgrundes eingereicht habe, die Beschwerdefrist gewahrt. 2.4. (...) Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hat weder in der Beschwerde vom 20. Dezember 2004 noch im Schreiben vom 24. Januar 2005 - in welchem er lediglich die Feststellung der Frist- wahrung beantragte - um Fristwiederherstellung i.S.v. Art. 41 Abs. 1 ATSG ersucht. Auf ein allfälliges Fristwiederherstellungsbegehren vom 24. Januar 2005 könnte infolge Nichtwahrung der 10-tägigen Gesuchsfrist seit Wegfall des Hinderungsgrundes (gemäss Angaben des Rechtsvertreters am 12. Dezember 2004) ohnehin nicht eingetre- ten werden. Im Übrigen wäre selbst ein rechtzeitiges Fristwiederher- stellungsbegehren wegen Verschuldens an der Fristversäumnis abzu- weisen, hätte doch der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bei Anwendung der von ihm als Rechtsanwalt zu erwartenden Sorgfalt die Beschwerdefrist wahren können: Gemäss eigenen Angaben zog er sich beim Sturz vom Pferd (lediglich) einen Bänderriss am linken Bein zu. Weitere Verletzungen, die seine manuellen oder geistigen Fähigkeiten im fraglichen Zeitraum beeinträchtigt hätten, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich solche aus dem ,,Arbeits- 2005 Versicherungsgericht 93 unfähigkeitszeugnis". Selbst wenn ihm das Verfassen bzw. das Diktat der Beschwerdeschrift - notfalls von zu hause aus - effektiv nicht möglich gewesen wäre, wäre ihm noch ausreichend Zeit verblieben (zwischen Unfallereignis [3. Dezember 2004] und Ende der Be- schwerdefrist [10. Dezember 2004] lagen immerhin sieben Tage), ge- stützt auf das in der Anwaltsvollmacht vereinbarte Substitutionsrecht einen seiner in der Advokatur tätigen Kanzleipartner mit dem - we- der komplizierten noch zeitaufwändigen - Mandat zu betrauen.
1,077
858
AG_VSG_001
AG_VSG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VSG_001_AGVE-2005-22_2004-12-10
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-22.html
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AGVE_2005_22
null
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37201148-f737-539c-9b7e-9c76a09dabcd
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418
869,726
1,131,062,400,000
2,005
de
2005 Versicherungsgericht 93 [...] 23 Art. 60, 82 Abs. 2 ATSG, § 30 VRS, § 89 Abs. 1 ZPO Im Verfahren vor Versicherungsgericht gelten hinsichtlich Fristenlauf und Gerichtsferien bis zur Anpassung des kantonalen Verfahrensrechts an das ATSG weiterhin die kantonalen Normen (vgl. BGE 131 V 314, 131 V 325); im Kanton Aargau demnach die Bestimmungen der VRS bzw. ZPO. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 1. Novem- ber 2005 in Sachen M.B. gegen Versicherung I. Aus den Erwägungen 1.1. Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den All- gemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) in Kraft ge- treten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen in den Einzelgesetzen geändert worden. In zeitlicher Hinsicht sind jedoch grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), was hier mit dem Bezug des Methadons bei der Apothe- ke N. in K. in den Jahren 1995 und 1996 geschehen ist. Daran ändert nichts, dass Verfügung und Einspracheentscheid (der an die Stelle der Verfügung tritt; BGE 119 V 350 Erw. 1b mit Hinw.) erst im Jahr 2004 bzw. 2005 ergangen sind (BGE 130 V 425). Im vorliegenden Fall sind daher die bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Bestim- mungen anwendbar. 2005 Versicherungsgericht 94 Anders verhält es sich mit den verfahrensrechtlichen Neuerun- gen. Diese sind mangels anders lautender Übergangsbestimmungen mit dem Tag des Inkrafttretens sofort und in vollem Umfang an- wendbar (BGE 117 V 93 Erw. 6b, 112 V 360 Erw. 4a; RKUV 1998 S. 316 Erw. 3b). Die im ATSG enthaltenen und die gestützt darauf in den Spezialgesetzen auf den 1. Januar 2003 geänderten Verfahrens- bestimmungen gelangen daher bereits zur Anwendung. 1.2. (...). 2. Gegen Einspracheentscheide des Versicherers kann innert ei- ner Frist von 30 Tagen Beschwerde am Versicherungsgericht erhoben werden (Art. 60 ATSG). Für die Berechnung der Frist, insbesondere die Dauer der Gerichtsferien, ist bis zur Anpassung durch die Kanto- ne, längstens bis 31. Dezember 2007 (Art. 82 Abs. 2 ATSG) kantona- les Recht anwendbar (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsge- richts vom 26. August 2005 i.S. Z. [U 268/03]). Die Rechtsmittelfrist steht danach in den Sommermonaten vom 1. Juli bis 15. August still (§ 30 VRS i.V.m. § 89 Abs. 1 ZPO).
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487
AG_VSG_001
AG_VSG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VSG_001_AGVE-2005-23_2005-11-04
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AGVE_2005_23
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397021df-6e90-5c00-9b42-733811c2d486
1
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870,579
1,225,670,400,000
2,008
de
2008 Versicherungsgericht 52 [...] 12 Art. 25 FZG, Art. 73 Abs. 2 BVG, § 112 ZPO Teilung der Freizügigkeitsguthaben im Nachgang zum Scheidungsver- fahren: Verhält sich eine Partei sowohl im Scheidungsverfahren als auch im Verfahren vor Versicherungsgericht passiv, stellt dies eine mutwillige Verletzung der Mitwirkungspflichten dar, was mit der Auferlegung von Gerichtskosten und der Verpflichtung zur Zahlung einer Parteient- schädigung an die anwaltlich vertretene Gegenpartei sanktioniert werden kann. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. November 2008 in Sachen M.C. gegen N.C. Aus den Erwägungen 5. 5.1. Gemäss Art. 25 FZG i.V.m. Art. 73 Abs. 2 BVG ist das Verfahren in der Regel kostenlos. In Ausnahmefällen, insbesondere bei leichtsinniger oder mutwilliger Prozessführung, können jedoch einer Partei Gerichtskosten auferlegt werden (§ 41 Abs. 2 VRS; BGE 128 V 323 Erw. 1a mit Hinw.). Diese Voraussetzungen sind im vor- liegenden Fall erfüllt. Der Beklagte verhielt sich nicht nur im vor- gängigen Scheidungsverfahren - wodurch der vorliegende Prozess überhaupt erst ausgelöst wurde - sondern auch im vorliegenden Ver- 2008 Versicherungsgericht 53 fahren passiv. Die Klägerin betrieb einen grossen Aufwand, um dem Versicherungsgericht die vorsorgerechtlichen Verhältnisse des Be- klagten darzulegen, was eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre. Dieser reagierte jedoch auf die Aufforderungen des Gerichts, An- gaben über sämtliche Arbeitgeber und die jeweiligen Einrichtungen der beruflichen Vorsorge zu machen, Anträge zu stellen und Ein- wendungen zu erheben, nicht. Eine solche Prozessführung muss we- gen der Verletzung der (auch dem Beklagten obliegenden) Mitwir- kungspflichten als mutwillig bezeichnet werden, zumal sie auch auf eine Verzögerungstaktik hinausläuft, welche durch Auferlegung der Gerichtskosten sanktioniert werden darf (vgl. BGE 124 V 289 f. Erw. 4b). Dementsprechend sind dem Beklagten wegen mutwilliger Prozessführung im Sinne von § 41 Abs. 2 VRS die Verfahrenskosten aufzuerlegen. 5.2. Im Gegensatz zu den Gerichtskosten regelt das BVG den Anspruch auf eine Parteientschädigung nicht. Diesbezüglich gilt (ebenfalls) das kantonale Prozessrecht (Hans-Ulrich Stauffer, Die berufliche Vorsorge, in: Murer/Stauffer [Hrsg.], Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Zürich 1996, S. 106). In § 30 VRS wird bezüglich der Parteikosten auf die Bestimmungen der Zivilprozessordnung verwiesen. Da die Ausgangslage aufgrund des Scheidungsurteils des Bezirksgerichts klar war, kann keine Partei als obsiegend im Sinne von § 112 ZPO betrachtet werden. Die Parteikosten sind jedoch nicht wettzuschlagen, da das Verhalten des Beklagten, wie in den vorstehenden Erwägungen (Ziff. 5.1. hievor) ausgeführt, als mutwillig zu qualifizieren ist. Es rechtfertigt sich daher, den Beklagten zum Ersatz der Hälfte der Parteikosten der anwaltlich vertretenen Klägerin zu verpflichten, da diese nicht nur ihre eigenen, sondern auch die vorsorgerechtlichen Verhältnisse des Beklagten dem Gericht in vorbildlicher Weise zur Kenntnis brachte und damit einen grossen, auch vom Beklagten zu entschädigenden Aufwand betrieb.
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AG_VSG_001
AG_VSG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VSG_001_AGVE-2008-12_2008-11-03
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AGVE_2008_12
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870,560
1,525,132,800,000
2,018
de
2018 Sozialversicherungsrecht 29 I. Sozialversicherungsrecht 1 Art. 23 Abs. 1 IVG Bemessung eines Taggelds der Invalidenversicherung: Begriff des letzten ohne gesundheitliche Einschränkung erzielten Erwerbseinkommens. Auslegung von Art. 23 Abs. 1 IVG und Anwendungsfall. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. Mai 2018, in Sachen R.M. gegen SVA Aargau, IV-Stelle (VBE.2017.761). Aus den Erwägungen 4.2. Der Beschwerdegegnerin ist zuzustimmen, dass nach Art. 23 Abs. 1 IVG für die Bemessung des Taggelds das letzte ohne gesund- heitliche Einschränkung erzielte Erwerbseinkommen massgebend ist (...). Indes stellt sich vorliegend die Frage, was darunter genau zu verstehen ist. Hierzu ist Folgendes zu beachten: Die seit dem 1. Januar 2004 in Kraft stehende (vgl. AS 2003 3841) und mit der 5. IVG-Revision per 1. Januar 2008 umformulierte, aber inhaltlich unveränderte (vgl. AS 2007 5138) Regelung von Art. 23 Abs. 1 IVG stimmt mit der früheren Regelung gemäss aArt. 24 Abs. 2 IVG in ih- rer bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung überein (vgl. Botschaft vom 21. Februar 2001 über die 4. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung in BBl 2001 S. 3251 ff. Ziff. 2.3.2 und AHI 2003 S. 183 E. 2). Nach der hierzu ergangenen und nach wie vor gültigen Rechtsprechung entspricht das der Bemessung des Tag- geldes zu Grunde zu legende Erwerbseinkommen nach Art. 23 Abs. 3 IVG - abgesehen vom Festsetzungszeitpunkt - dem Validenein- kommen bei der Invaliditätsbemessung nach der Einkommensver- gleichsmethode (SVR 2008 IV Nr. 4 S. 9, I 732/06 E. 2.1 mit Ver- weis auf das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 30 I 475/01 vom 13. Juni 2003 E. 4.2; vgl. auch das Urteil des Eidge- nössischen Versicherungsgerichts I 1081/06 vom 23. Oktober 2007 E. 3.1; vgl. ferner MEYER/REICHMUTH, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG), N. 4 zu Art. 23 IVG). Massgebend ist damit dasjenige Erwerbseinkommen, welches die versicherte Per- son zuletzt an ihrem letzten Arbeitsplatz ohne gesundheitliche Beein- trächtigung erzielt hat (ERWIN MURER, SHK IVG, 2014, N. 37 zu Art. 23-25 IVG mit Verweis auf EVGE 1963 S. 274 E. 2 S. 277 f und MICHEL VALTERIO, Droit de l'assurance-vieillesse et survivants (AVS) et de l'assurance-invalidité, 2011, Rz. 1960; vgl. auch VALTERIO, Droit et pratique de l'assurance-invalidité, 1985, S. 191, und Rz. 3006 sowie 3009 des Kreisschreibens über die Taggelder der Invalidenversicherung (KSTI) des Bundesamts für Sozialver- sicherungen (BSV)). Gemeint ist damit jene Tätigkeit, welche bei Eintritt der ersten wahrnehmbaren Auswirkungen der Gesundheitsbe- einträchtigung auf das Leistungsvermögen ausgeübt wurde (vgl. AMANDA WITTWER, Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im schweizerischen Sozialversicherungsrecht, Diss. 2017, S. 40 mit Hinweisen). Dies korreliert denn auch mit dem Zweck der Taggelder, welche ein wegen der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen nicht mehr erzielbares Einkommen ersetzen sollen (vgl. Botschaft vom 22. Juni 2005 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invali- denversicherung (5. Revision) in BBl 2005 S. 4537 Ziff. 1.6.2.1). 4.3. 4.3.1. Den Akten ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass der Be- schwerdeführer bei einem Bruttomonatslohn von Fr. 5'050.00 für die A. AG als Strassenbauer tätig war (...), ehe er sich am 23. August 2013 (Posteingang) wegen Rückenbeschwerden erstmals zum Leistungsbezug anmeldete. Im Wesentlichen ist den damaligen medi- zinischen Berichten die Diagnose eines lumbospondylogenen Schmerzsyndroms links bei einer nicht kompressiven Diskushernie L5/S1 und, weniger ausgeprägt, L4/L5 sowie geringgradigen Osteo- chondrosen L4/L5 und L5/S1 zu entnehmen (...). Der Beschwerde- führer wurde in seiner bisherigen Tätigkeit als Strassenbauer als 2018 Sozialversicherungsrecht 31 arbeitsunfähig beschrieben (...). RAD-Ärztin Dr. med. H., Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungs- apparates, schloss sich in ihrer Stellungnahme vom 9. Oktober 2013 dieser Ansicht an und empfahl eine Umschulung (...). 4.3.2. Im August 2014 trat der Beschwerdeführer bei der B AG eine Anstellung als Strassenbauer an. Anfangs betrug der Bruttomonats- lohn Fr. 5'635.00 und wurde per Januar 2015 auf Fr. 5'800.00 erhöht (...). Am 15. September 2015 wurde der Beschwerdeführer nach not- fallmässiger Selbstvorstellung im Spital Z. bei Diagnose eines lumboradikulären Schmerz- als auch sensomotorischen Ausfallsyn- droms, am ehesten L5 rechts, bei caudal sequestrierter Diskushernie L4/5 rechtsseitig mit rezessaler Kompression der L5-Wurzel rechts im Kantonsspital A. erstmals am Rücken operiert (...). Am 15. März 2016 fand ein weiterer Eingriff (...) statt (...). Mit Stellungnahme vom 19. Juli 2016 empfahl RAD-Ärztin Dr. med. H. erneut eine Um- schulung in eine rückenadaptierte Tätigkeit, da der Beschwerdefüh- rer für die angestammte Tätigkeit als Strassenbauer voll arbeitsunfä- hig sei (...). 4.4. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - bis September 2015 - bei seiner Tätigkeit als Strassenbauer für die B AG eine gesundheitsbedingte Verminderung seines Leistungsvermögens gewärtigen musste. Im Gegenteil sind den beschwerdeweise verurkundeten Lohnabrechnungen der Monate August 2014 bis August 2015 keine wesentlichen gesundheitsbeding- ten Ausfälle des Beschwerdeführers zu entnehmen. Auch die Kran- kentaggeldversicherung erbrachte erst ab September 2015 Leis- tungen (...) und es sind keine ärztlichen Arbeitsunfähigkeitszeug- nisse für den Zeitraum zwischen August 2014 bis August 2015 akten- kundig. Ferner erklärte der Arbeitgeber, der Lohn des Beschwer- deführers habe dessen Leistungen entsprochen (...). Es ist damit - entgegen der Beschwerdegegnerin - davon auszugehen, dass der gemäss RAD bereits im Jahr 2013 bestehende Gesundheitsschaden (vgl. dazu vorne E. 4.3.1.) zwar medizinisch-theoretisch Auswir- kungen auf die Arbeitsfähigkeit hatte, der Beschwerdeführer indes an 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 32 seinem letzten Arbeitsplatz bei der B AG nicht gesundheitsbedingt eingeschränkt war. Damit ist für die Bemessung des Taggelds auf den dort erwirtschafteten Lohn von monatlich Fr. 5'800.00 (zuzüglich Anteil 13. Monatslohn) abzustellen.
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AG_VSG_001
AG_VSG
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AG_VSG_001_AGVE-2018-1_2018-05-01
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AGVE_2018_1
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418
870,259
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2,013
de
2013 Sozialversicherungsrecht 41 I. Sozialversicherungsrecht 5 Art. 16b Abs. 3 EOG; Art. 29 lit. a und b EOV; Art. 27 Abs. 2 lit. b und Abs. 5 bis AVIG Anspruch einer unter 25-jährigen Mutter auf Mutterschaftsentschädi- gung bei zuvor bestehender Arbeitslosigkeit. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 26. März 2013 in Sachen A.B. gegen Ausgleichskasse C. (VBE.2012.752). Aus den Erwägungen 1. 1.1. (...) 1.2. Gemäss Ingress von Art. 16b Abs. 3 EOG und Art. 29 EOV ist Voraussetzung für den ausnahmsweisen Leistungsanspruch trotz Feh- lens einer Erwerbstätigkeit, dass die Mutter im Zeitpunkt der Geburt arbeitslos ist. Nach der Entstehungsgeschichte von Art. 16b Abs. 3 EOG soll allerdings nicht verlangt werden, dass eine Frau im Zeit- punkt der Niederkunft auch tatsächlich Arbeitslosenentschädigung bezieht. Ein Anspruch soll auch dann bestehen, wenn ohne Bezug von Arbeitslosenentschädigung im Zeitpunkt der Geburt eine Rah- menfrist für den Leistungsbezug eröffnet ist, unabhängig davon, ob unmittelbar vor der Niederkunft Arbeitslosenentschädigung bezogen wird, oder wenn unmittelbar vor oder unmittelbar nach der Nieder- kunft eine nach dem AVIG genügende Beitragszeit vorliegt. Im Sinne einer konsequenten Leistungsabgrenzung zwischen AVIG und EOG soll damit vermieden werden, dass sich Versicherte zur Wahrung ihrer Ansprüche auf Mutterschaftsentschädigung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung anmelden müssen (BGE 136 V 239 2013 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 42 E. 2.1 S. 242). Eine Abweichung ist jedoch nur vom formellen Er- fordernis der Anmeldung beim Arbeitsamt zulässig. Materiell muss Arbeitslosigkeit vorliegen. Nach Art. 10 Abs. 1 und 2 AVIG gilt als ganz bzw. teilweise arbeitslos, wer in keinem oder nur in einem teil- zeitlichen Arbeitsverhältnis steht und eine Vollzeit- bzw. eine weitere Teilzeitbeschäftigung sucht. 1.3. Vorausgesetzt ist des Weiteren für die Mutter, die nicht bis zur Geburt ein Taggeld der Arbeitslosenversicherung bezogen hat (Art. 29 lit. a EOV), dass sie am Tag der Geburt die für den Bezug eines Taggeldes nach dem AVIG erforderliche Beitragsdauer erfüllt (Art. 29 lit. b EOV). Unter Beitragsdauer ist nur diejenige, die in der ordentlichen zweijährigen Rahmenfrist zurückgelegt wurde, zu ver- stehen. Eine Verlängerung der Rahmenfrist analog zu Art. 9b Abs. 2 AVIG fällt daher ausser Betracht (BGE 136 V 239 E. 2.4 S. 243). Das AVIG unterscheidet zwei Arten von Rahmenfristen: die Rah- menfrist für den Leistungsbezug und die Rahmenfrist für die Bei- tragszeit. Art. 29 lit. b EOV setzt einzig die Rahmenfrist der Bei- tragszeit als Anspruch auf die Entschädigung voraus, d.h. jenen Zeit- rahmen, innerhalb welchem die Mindestbeitragszeit oder die Befrei- ungstatbestände erfüllt sein müssen. Somit haben Mütter, welche ihre ordentlichen Beiträge innerhalb der Rahmenfrist der Beitragsdauer geleistet haben, gemäss Art. 29 lit. b EOV Anspruch auf Mutter- schaftsentschädigung. Gemäss Rz. 1073 des Kreisschreibens über die Mutterschaftsentschädigung (KS MSE; Stand 1. Januar 2011) hat eine Frau keinen Anspruch auf die Entschädigung, wenn sie den ma- ximalen Taggeldbezug der Arbeitslosenversicherung im Zeitpunkt der Geburt bereits ausgeschöpft hat. Damit entspricht Rz. 1073 KS MSE dem Prinzip der Mutterschaftsentschädigung, da diese als Er- satz für den niederkunftsbedingten Erwerbsausfall aufzukommen hat. Indem eine Mutter bereits ihren Anspruch gegenüber der Arbeits- losenversicherung innerhalb der Rahmenfrist des Leistungsbezuges voll ausgeschöpft hat, kann sie keine Entschädigung aus der Mut- terschaftsversicherung geltend machen, denn diese fungiert unter anderem als Ersatz für den nichtbezogenen Beitrag aus der Arbeitslosenversicherung (vgl. Art. 16g Abs. 1 lit. a EOG). 2013 Sozialversicherungsrecht 43 2. 2.1. (...) 2.2. Die 1990 geborene Beschwerdeführerin hatte vorerst als unter 25-Jährige ohne Unterhaltspflichten gestützt auf Art. 27 Abs. 5 bis AVIG einen Höchstanspruch von 200 Taggeldern. Dieser Anspruch wurde mit Auszahlung vom 26. Juni 2012 ausgeschöpft. Am Tag der Geburt ihrer Tochter hatte die Beschwerdeführerin zwar das 25. Al- tersjahr nach wie vor nicht zurückgelegt, jedoch wurde sie infolge Elternschaft gegenüber dem neugeborenen Kind unterhaltspflichtig (vgl. Art. 276 ZGB). Damit war Art. 27 Abs. 5 bis AVIG nicht mehr auf sie anwendbar. Vielmehr galt fortan Art. 27 Abs. 2 lit. b AVIG, womit bei Nachweis einer Beitragszeit von insgesamt 18 Monaten ein Anspruch auf höchstens 400 Taggelder bestand. Die Beschwer- deführerin weist nach ihren unbestritten gebliebenen Angaben eine Beitragszeit von 19.513 Monaten nach. Damit erhöhte sich - inner- halb der Rahmenfrist für den Leistungsbezug - ihre Höchstzahl der Arbeitslosen-Taggelder von 200 auf 400, wie dies richtig im Schreiben der X. Arbeitslosenkasse festgehalten wurde. Die Arbeits- losen-Taggelder waren damit am Tag der Geburt noch nicht ausgeschöpft, weshalb ein Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung zu bejahen ist. 2.3. (...) Der Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung bei arbeits- losen Müttern ist einzig davon abhängig, ob der Versicherten ein Anspruch aus der Arbeitslosenversicherung zukommt. Wie gesehen, ist ein solcher Anspruch zu bejahen in Konstellationen, bei denen eine Mutter unter 25 Jahre alt ist und eine Beitragszeit von insgesamt 18 Monaten nachweisen kann, da sich in solchen Fällen die Höchstzahl der Taggelder aufgrund der Unterhaltspflicht gegenüber dem neugeborenen Kind von 200 auf 400 Taggelder erhöht. Zwar trifft es wohl zu, dass bei tot geborenen Kindern aufgrund der fehlen- den Unterhaltspflicht keine Erhöhung der Höchstzahl der Taggelder stattfinden würde, was aufgrund der menschlichen Tragik einer sol- 2013 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 44 chen Situation als befremdlich erscheinen könnte. Allerdings hat der Gesetzgeber für die Anwendbarkeit von Art. 27 Abs. 5 bis AVIG aus- drücklich das Alter (25-Jährige) und die fehlende Unterhaltspflicht gegenüber Kindern als kumulative Voraussetzungen vorgesehen, so dass bei Wegfallen einer dieser Anwendbarkeitsvoraussetzungen wieder die generelle Bestimmung von Art. 27 Abs. 2 AVIG zur An- wendung gelangt. Schliesslich ist zu bemerken, dass die Argumenta- tion der Beschwerdegegnerin vorliegend sachfremd anmutet, da hier kein Fall einer Totgeburt zu beurteilen ist.
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1,160
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AG_VSG
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AG_VSG_001_AGVE-2013-5_2013-03-01
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2010 Versicherungsgericht 66 [...] 16 Art. 73 Abs. 2 BVG. Im Verfahren der Teilung der Freizügigkeitsleistung nach Ehescheidung können einer Partei bei mutwilliger Prozessführung die Verfahrenskosten auferlegt werden. Absolute Passivität und Verweigerung der Mitwirkung ist als Mutwilligkeit zu werten. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. Januar 2010 in Sachen M.S. gegen K.S. (VKL. 2008.27). Aus den Erwägungen 6. Gemäss Art. 25 FZG i.V.m. Art. 73 Abs. 2 BVG ist das Verfah- ren in der Regel kostenlos. In Ausnahmefällen, insbesondere bei leichtsinniger oder mutwilliger Prozessführung, können jedoch einer Partei Gerichtskosten auferlegt werden (BGE 128 V 323 Erw. 1a mit Hinw.). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Kläger verhielt sich im vorliegenden Verfahren überwiegend passiv. An seiner Stelle versuchte die Beklagte dem Versicherungsgericht die berufsvorsorglichen Verhältnisse des Klägers darzulegen, was eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre. Dieser reagierte jedoch auf die Aufforderungen des Gerichts, Angaben über sämtliche Arbeitge- ber und die jeweiligen Einrichtungen der beruflichen Vorsorge zu machen und Anträge zu stellen erst mit mehrmonatiger Verspätung und nach mehrfacher Mahnung; dabei nannte er nur den aktuellen Arbeitgeber und eines seiner insgesamt vier Freizügigkeitskonten. Der an ihn gerichtete Fragebogen, welcher ihm das Gericht mit 2010 Versicherungsgericht 67 Verfügung vom 15. April 2009 zustellte, blieb unbeantwortet. Auch Unterlagen über seine Freizügigkeitskonten, welche er von den kontoführenden Kassen in der Zeit des laufenden Verfahrens erhielt (z.Bsp. Abrechnung über die Freizügigkeitspolice Freizügigkeitsstif- tung A. vom 17. September 2009), leitete er nicht an das Versiche- rungsgericht weiter, sondern überliess es gänzlich dem Gericht, die diversen Konten ausfindig zu machen. Eine solche Prozessführung muss wegen der Verletzung der (auch dem Kläger obliegenden) Mit- wirkungspflichten als mutwillig bezeichnet werden, zumal sie auch auf eine Verzögerungstaktik hinausläuft, welche durch Auferlegung der Gerichtskosten sanktioniert werden darf (vgl. BGE 124 V 289 f. Erw. 4b). Dementsprechend sind dem Kläger wegen mutwilliger Pro- zessführung die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
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AG_VSG_001
AG_VSG
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Northwestern_Switzerland
AG_VSG_001_AGVE-2010-16_2010-01-03
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-16.html
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2001 Kinderzulagen 107 II. Kinderzulagen 32 § 2 Abs. 2 KZG Die Vorschrift, dass der im Betrieb des Ehegatten mitarbeitende Ehegatte nicht als Arbeitnehmer im Sinne des KZG gilt, ist bundesverfassungswid- rig (Erw. 1c). Für die Anspruchsberechtigung massgebend ist die ahv-rechtliche Quali- fikation als Arbeitnehmer (AGVE 2001 35 110). Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 6. Novem- ber 2001 in Sachen R.H. gegen AHV-Ausgleichskasse X. Aus den Erwägungen 1. c) Gemäss § 2 Abs. 2 KZG gilt der im Betrieb des Ehepart- ners mitarbeitende Ehegatte nicht als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes. Mit Urteil vom 18. August 1998 hat das Versicherungsge- richt des Kantons Aargau in Sachen N. gegen SVA entschieden, dass diese Bestimmung gegen Art. 4 Abs. 1 der Bundesverfassung (heute: Art. 29 BV) verstosse und dementsprechend insoweit nicht anwend- bar sei, als auch im Betrieb des Ehegatten mitarbeitende Personen, die einen massgebenden Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG erzielen würden, vom Anspruch auf Kinderzulagen ausgeschlossen seien. Der Entscheid steht in Übereinstimmung mit einem Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern (BVR 1991 S. 283 ff.) und des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn (AHI 1997 S. 270 ff.).
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AG_VSG_001
AG_VSG
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Northwestern_Switzerland
AG_VSG_001_AGVE-2001-32_2001-11-04
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AGVE_2001_32
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2009 Versicherungsgericht 90 [...] 20 Art. 142 ZGB; Art. 22 Abs. 2 und Art. 25a FZG; Art. 30c Abs. 6 BVG Bei der Teilung der Freizügigkeitsleistungen im Anschluss an die Ehe- scheidung sind während der Ehe getätigte WEF-Vorbezüge der jeweiligen Austrittsleistung per Scheidungsdatum hinzuzurechnen. Sachenrechtliche und güterrechtliche Fragen im Zusammenhang mit einer durch Vorbezug finanzierten Liegenschaft sind vom Scheidungsgericht zu beurteilen. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 16. Juni 2009 in Sachen S.C. gegen F.I. (VKL.2007.74). Aus den Erwägungen 3.4. Die Klägerin bestreitet die vom Gericht errechneten, zur Tei- lung zu bringenden Vorsorgeguthaben der Parteien nicht, machte aber geltend, ihr WEF-Vorbezug von Fr. 50`000.-- bleibe bei dieser Art der Teilung unberücksichtigt. Der Betrag von Fr. 50`000.-- sei ihr daher zusätzlich aus dem Vorsorgevermögen des Beklagten zu über- tragen. Hiezu ist anzuführen, dass der im Juli 2001 getätigte WEF-Vor- bezug der Klägerin in Höhe von nominal Fr. 50`000.-- nicht unbe- rücksichtigt geblieben ist, sondern - wie auch der WEF-Vorbezug des Beklagten vom September 2001 in Höhe von Fr. 71`547.-- - der jeweiligen Austrittsleistung per Scheidungsdatum hinzugerechnet wurde, da ein Vorbezug aus Wohneigentum als Freizügigkeitsleis- 2009 Versicherungsgericht 91 tung gilt und entsprechend ebenfalls nach Art. 22 Abs. 2 FZG zu tei- len ist (vgl. 30c Abs. 6 BVG und Art. 331e Abs. 6 OR; BGE 132 V 344 Erw. 3.1, 128 V 235 Erw. 3). Auf diese vorsorgerechtlichen As- pekte der Teilung der Austrittsleistung beschränkt sich die sachliche Zuständigkeit des Sozialversicherungsgerichts. Die sich im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens im Zusammenhang mit einer durch einen Vorbezug finanzierten ehelichen Liegenschaft stellenden Fra- gen, wie beispielsweise in güterrechtlicher oder sachenrechtlicher Hinsicht, hat das Scheidungsgericht zu beurteilen. Eine sachliche Zu- ständigkeit des Sozialversicherungsgerichts für die Beurteilung sol- cher Fragen ergibt sich weder aus Art. 25a FZG noch aus Art. 142 ZGB (BGE 132 V 344 Erw. 3.1). Welcher der Parteien die Liegen- schaft in O. zugeteilt wurde, mit welchen güterrechtlichen Auswir- kungen und ob zu Recht, kann vom Versicherungsgericht im vorlie- genden Verfahren nicht mehr überprüft werden. Auch ob allenfalls eine Ausgleichszahlung des Beklagten an die Klägerin für den von ihr in die Liegenschaft investierten WEF-Vorbezug von Fr. 50`000.-- angeordnet wurde bzw. hätte angeordnet werden müssen, ist eine Frage des Güterrechts und nicht der Teilung der Freizügigkeitsgutha- ben und gehört damit nicht in die Zuständigkeit des Versicherungs- gerichts. Eine zum Teilungsanspruch von Fr. XX zusätzliche Zahlung des Beklagten von Fr. 50`000.-- an die Klägerin kann daher nicht angeordnet werden.
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AG_VSG_001
AG_VSG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VSG_001_AGVE-2009-20_2009-06-03
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47c12581-3712-56c2-badf-3abbcd579efb
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2017 Sozialversicherungsrecht 43 I. Sozialversicherungsrecht 4 Art. 6 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 und Art. 39 UVG; Art. 50 UVV Die Vornahme eines Blobbing-Sprunges ist auch nach Instruktion nicht beeinfluss- bzw. kontrollierbar und kann selbst bei günstigen Verhältnis- sen und Tragen von Sicherheitsausrüstungen zu gravierenden Verletzun- gen führen. Die Gefahr des Eintritts derartiger Verletzungen lässt sich trotz sämtlichen zur Verfügung stehenden Sicherheitsvorkehrungen nicht auf ein vernünftiges Mass reduzieren, weshalb ein Blobbing-Sprung als ein absolutes Wagnis zu qualifizieren ist. Entsprechend ist eine Kürzung des Taggeldanspruchs aus der Unfallversicherung um die Hälfte zulässig. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 28. März 2016, i.S. S.R. gegen S. Unfallversicherung (VBE.2016.721). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, werden die Ver- sicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt (Art. 6 Abs. 1 UVG). 2.2. Gemäss Art. 16 Abs. 1 UVG hat die versicherte Person, die in- folge des Unfalls voll oder teilweise arbeitsunfähig ist, Anspruch auf ein Taggeld. Arbeitsunfähigkeit ist gemäss Art. 6 ATSG die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten. Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt (BGE 135 V 287 E. 3.1 S. 288 f.). 2017 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 44 2.3. Nach Art. 39 UVG kann der Bundesrat aussergewöhnliche Gefahren und Wagnisse bezeichnen, die in der Versicherung der Nichtberufsunfälle zur Verweigerung sämtlicher Leistungen oder zur Kürzung der Geldleistungen führen. Die Verweigerung oder Kürzung kann er in Abweichung von Art. 21 Abs. 1-3 ATSG ordnen. Bei Nichtberufsunfällen, die auf ein Wagnis zurückgehen, wer- den die Geldleistungen um die Hälfte gekürzt und in besonders schweren Fällen verweigert (Art. 50 Abs. 1 UVV). Wagnisse sind Handlungen, mit denen sich der Versicherte einer besonders grossen Gefahr aussetzt, ohne die Vorkehren zu treffen oder treffen zu kön- nen, die das Risiko auf ein vernünftiges Mass beschränken. Rettungshandlungen zugunsten von Personen sind indessen auch dann versichert, wenn sie an sich als Wagnisse zu betrachten sind (Art. 50 Abs. 2 UVV). 2.4. In der Rechtsprechung und Lehre wird unterschieden zwischen absoluten und relativen Wagnissen (R UMO -J UNGO /H OLZER , Recht- sprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bun- desgesetz über die Unfallversicherung (UVG), 4. Aufl. 2012, S. 221 f.; BGE 141 V 216 E. 2.2 mit div. Hinweisen). Ein absolutes Wagnis liegt vor, wenn eine gefährliche Handlung nicht schützenswert ist oder wenn die Handlung mit so grossen Gefahren für Leib und Leben verbunden ist, dass sich diese auch un- ter günstigsten Umständen nicht auf ein vernünftiges Mass reduzie- ren lassen (BGE 138 V 522 E. 3.1 S. 524 f. mit Hinweisen). Dabei kann auch ein Wagnis vorliegen, wenn die versicherte Person mit grösster Sorgfalt und hohem Sachverstand handelt (BGE 138 V 522 E. 5.3 S. 528). Als nicht schützenswert hat das Bundesgericht beispielsweise qualifiziert, wenn sich eine versicherte Person an einem Samstag- abend im November um 22:40 Uhr bei schlechtem Wetter in dunkler Kleidung ausserorts auf eine Hauptstrasse legt (Urteil des Bundesge- richts 8C_504/2007 vom 16. Juni 2008 E. 6.2). Demgegenüber wur- den etwa das Deltasegeln, das Ski- und Motorradfahren, das Bergsteigen und Klettern, der Tauchsport einschliesslich des Höhlen- 2017 Sozialversicherungsrecht 45 tauchens als schützenswerte sportliche Betätigungen gewertet (BGE 112 V 44 E. 2a S. 47 mit Hinweisen). Als absolutes Wagnis galten nach der Rechtsprechung des Bun- desgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts etwa Dirt-Biken, Auto-Bergrennen, Motocross-Rennen, Motorradrennen, der Boxwettkampf, das wettkampfmässige Thaiboxen, Tauchen auf eine Tiefe von über 40 Metern, Sprung mit einem Kajak aus sieben Metern Höhe, Mountainbike-Abfahrtsrennen i.S.v. Downhill-Biking (BGE 141 V 37 E. 4.1 und 5 mit einem Überblick der Recht- sprechung). Die S. Unfallversicherung bzw. die Beschwerdegegnerin führt als weitere Beispiele namentlich Speedflying, Base-Jumping, Karate-Extrem und Hydrospeed/Riverboogie an (...). Diese Aufzäh- lung deckt sich mit den Empfehlungen zur Anwendung von UVG und UVV Nr. 5/83 Wagnisse der Ad-Hoc-Kommission Schaden UVG vom 10. Oktober 1983, Stand 16. November 2016 (...). Ein ab- solutes Wagnis ist vor allem dann anzunehmen, wenn eine gefähr- liche Sportart wettkampfmässig ausgeführt wird. Dies trifft etwa bei eigentlichen Rennen zu, wo es darum geht, schneller als die Kon- kurrenten zu sein. Diese Einstufung ist aber nicht auf solche Betätigungen beschränkt. Einer Sportart kann an sich ein derart gros- ses Verletzungsrisiko innewohnen, dass sie auch als absolutes Wag- nis gilt, wenn sie bloss hobbymässig ausgeübt wird, zumal sich die Verletzungsgefahr und das Risiko auch unter günstigen Umständen nicht auf ein vernünftiges Mass reduzieren lassen (BGE 141 V 37 E. 4.2 S. 41; 112 V 44 E. 2c S. 49; SVR 2012 UV Nr. 21 S. 77, 8C_472/2011 E. 5.2 in fine). Nicht als absolutes Wagnis eingestuft hat die Rechtsprechung demgegenüber das Deltasegeln, das Bergsteigen und Klettern, nicht wettkampfmässiges Kart-Fahren, das Canyoning, eine Rollbrettab- fahrt, welche nicht wettkampfmässig und auf Geschwindigkeit hin betrieben wurde, oder das Schneeschuhlaufen (BGE 141 V 37 E. 4.1 S. 40 mit Hinweisen; vgl. auch die Zusammenstellung bei R UMO - J UNGO /H OLZER , a.a.O., Art. 39 S. 224; F RÉSARD /M OSER -S ZELESS , Refus, réduction et suspension des prestations de l'assurance-acci- dents: état des lieux et nouveautés, in: HAVE 2005 S. 127, S. 131 ff.). 2017 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 46 Ein relatives Wagnis ist gegeben, wenn es die versicherte Per- son unterlassen hat, die objektiv vorhandenen Risiken und Gefahren auf ein vertretbares Mass herabzusetzen, obwohl dies möglich gewe- sen wäre (BGE 138 V 522 E. 3.1 S. 524 f. mit Hinweisen; vgl. auch Urteile des Bundesgerichts 8C_683/2010 vom 5. November 2010 E. 2; 8C_504/2007 vom 16. Juni 2008 E. 6.1). Als relative Wagnisse können etwa Bergsteigen, Klettern, Schneesportaktivitäten abseits der markierten und gesicherten Pisten, Canyoning gelten, wobei in den vorgenannten Fällen die jeweils sportüblichen Regeln und Vor- sichtsgebote in schwerwiegender Art und Weise missachtet worden sind (vgl. R UMO -J UNGO /H OLZER , a.a.O., Art. 39 S. 225 f. mit Hinweisen zur Rechtsprechung). 2.5. Für die Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Handlung als Wagnis zu gelten hat, sind je nach den Umständen entweder ein geschlossener längerer Handlungsablauf oder bloss einzelne Hand- lungsabschnitte zu betrachten. Der Tatbestand des Wagnisses setzt sodann Zurechnungsfähigkeit voraus (BGE 98 V 141 E. 4a; R UMO - J UNGO /H OLZER , a.a.O., Art. 39 S. 222). Um eine Handlung als Wag- nis zu qualifizieren, muss sich die versicherte Person wissentlich einer besonders grossen Gefahr aussetzen. Das subjektive Element des Wissens bezieht sich dabei auf die Gefahrensituation als solche und nicht auf die konkreten Umstände (BGE 138 V 522 Regeste und E. 6 f. S. 528 ff.). 3. 3.1. Der Beschwerdeführer hielt sich am 14. August 2016 im Raum K./L. mit Kollegen in einem Freibad auf. Gemäss eigenen Angaben vom 5. September 2016 sei er dort von einem Blob-Kissen circa sie- ben bis zehn Meter hoch gesprungen und anschliessend mit dem Rücken auf dem Wasser gelandet. Die Schmerzen im Rücken seien ein bis zwei Stunden später eingetreten. Für den Sprung habe er alle dazugehörige Schutzkleidung (Helm, Rückenpanzer, Neoprenanzug, Schwimmweste) getragen. Hinsichtlich besonderer Unfallumstände gab der Beschwerdeführer an, es habe sich um einen kontrollierten Fall mit unkontrolliertem Aufprall auf dem Wasser gehandelt (...). 2017 Sozialversicherungsrecht 47 Gemäss den unbestrittenen medizinischen Akten erlitt er dabei eine stabile Deckplattenimpressionsfraktur der BWK 3 und 5 AO A1 (...). 3.2. 3.2.1. Beim Blobbing handelt es sich um eine Wasser-Aktivität, wel- che im Freien durchgeführt wird. Dabei sitzt eine Person ("Blobber") auf einem Ende eines grossen, teilweise mit Luft gefüllten, im Wasser schwimmenden Gummischlauches ("Blob"), während ein bis zwei Personen ("Jumper") von einem Sprungturm aus auf das andere Ende des Blobs springen. Dadurch wird der Blobber meterhoch in die Luft katapultiert und landet im Wasser (...). 3.2.2. Gemäss Angaben des Deutschen Anbieters B. G., M., müssen bei einer Blobbing-Anlage folgende Kriterien berücksichtigt werden: Die Wassertiefe muss unter dem Blob und in der Landezone mindes- tens 2.5 m betragen und es dürfen sich keine spitzen, gefährlichen oder sonst störenden Gegenstände im oder auf dem Wasser befinden. Die Landezone bzw. der Sicherheitsbereich muss seitlich des Blobs mindestens 6 m und vor dem Blob mindestens 15 m messen. Schliesslich beträgt die maximale Absprunghöhe der Jumper 5 m (...). Soweit ersichtlich, tragen Blobber Schutzausrüstungen, beste- hend aus Helm, Neoprenanzug (teilweise), Schwimmweste und Rückenpanzer, wobei im vorliegenden Fall unbestritten und ausweis- lich der Akten ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer am 14. August 2016 eine vollständige Sicherheitsausrüstung getragen hat (...). 3.3. Wie den voranstehenden Beschreibungen zu entnehmen ist, be- steht die Eigenheit des Blobbings darin, dass der Blobber durch den Sprung der Jumper auf den Blob in die Luft geschleudert wird und - anders als etwa beim Klippen- oder Turmspringen - den "Sprung" nicht selbständig auslöst respektive einleitet. Da es sich beim Blob um einen teilweise mit Luft gefüllten bzw. zudem im (unruhigen) Wasser schwimmenden und daher sehr flexiblen Körper handelt und sich weder Aufprallwinkel bzw. -geschwindigkeit der Jumper, noch der Körperschwerpunkt des Blobbers vor dem Wegschleudern 2017 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 48 vorhersagen lassen, ist nicht ersichtlich, inwiefern sich ein Blobbing- Sprung in Sachen Richtung, Winkel, Höhe, Rotation etc. vom Blobber kontrollieren, geschweige denn planen liesse. In Pressebe- richten von "O." wurde die Flugphase von Redaktoren sowie Veran- staltern als praktisch bis vollständig unkontrollierbar und der Blobber als völlig hilflos und ohne die Möglichkeit, in Start oder Landung eingreifen zu können, bezeichnet (...). Demgegenüber schildern di- verse andere Online-Berichte das Blobbing als puren Nervenkitzel oder Adrenalinkick und verweisen allgemein auf Schutzbekleidung, um Verletzungen vorzubeugen (...). Gemäss eigenen Angaben des Beschwerdeführers habe es sich bei seinem Blob-Sprung um einen kontrollierten Fall mit unkontrolliertem Aufprall auf dem Wasser ge- handelt (...). Dies erscheint insofern nicht nachvollziehbar, als dass aus einer kontrollierten Flugphase folgelogisch eine vom Beschwer- deführer ebenso kontrollierbare Landung hätte resultieren müssen, zumal die Landung gerade während der besagten Flugphase vorbe- reitet respektive eingeleitet wird. Überwiegend wahrscheinlich ist demgegenüber, dass aufgrund des relativ instabilen Blobs und des mangelnden Einflusses des Beschwerdeführers auf den eigenen "Ab- sprung" ein Blob-Sprung weder beeinflusst noch kontrolliert werden kann. Auch wenn beim Blobbing nicht gleich hohe Geschwindigkei- ten wie bei Rennsportarten (...) erreicht werden, hat der Blobber während des gesamten Geschehensablaufes keine Kontrolle und ist beim Aufprall auf die Wasseroberfläche mit einer Geschwindigkeit von immerhin 40 bis 50 km/h (Geschwindigkeit (v) im freien Fall (Erdbeschleunigung; g = 9.81 m/s 2 ) in Abhängigkeit der Fallhöhe (s; vorliegend zwischen 7 m und 10 m); v =√(2 ∗ g ∗ s); √(2 ∗ 9.81 m/s 2 ∗ 7 m bzw. 10 m) = 11.72 m⁄s bzw. 14.00 m⁄s; Um- wandlung in km/h(m⁄s ∗ 3.6 =): 11.72 m⁄s ∗ 3.6 = 42.2 km/h bzw. 14.00 m⁄s ∗ 3.6 = 50.40 km/h) in willkürlicher Position der Situation vollständig ausgeliefert. Soweit der Beschwerdeführer darauf hinweist, er sei vor dem Sprung informiert worden und habe eine vollständige Schutzausrüs- tung getragen, weshalb es sich höchstens um ein nicht erfülltes relati- ves Wagnis handle (...), so kann dem nicht gefolgt werden. Der blosse Umstand, dass bei einer sportlichen Tätigkeit eine Schutzaus- 2017 Sozialversicherungsrecht 49 rüstung getragen wird, wie das etwa im Rennsport, dem Base- Jumping, Speedflying und weiteren Sportarten ebenso üblich ist (...), schliesst das Eingehen eines Wagnisses nicht per se aus. Ebenso trifft die Aussage des Beschwerdeführers, wonach Wasser erfahrungsge- mäss keine Landeoberfläche darstelle, welche gravierende Verletzun- gen bewirken könne (...), in dieser Absolutheit nicht zu. Auch wenn es sich bei Wasser um eine flexible und nicht feste Oberfläche han- delt, hängt die Heftigkeit des Aufpralls und somit direkt auch das Verletzungsrisiko erfahrungsgemäss mit der Absprung- bzw. Fall- höhe zusammen. So kann bereits eine unglückliche Landung von einem Drei- oder Fünfmeter-Sprungturm schmerzhafte bis gravie- rende Folgen nach sich ziehen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) der Bundesrepublik Österreich hatte im Urteil 4Ob34/16b vom 15. Juni 2016 die Haftungsfrage eines Blobbing-Veranstalters zu beurteilen. In jenem Sachverhalt stürzte ein Blobber aus einer Höhe von zweieinhalb bis drei Metern kopfvoran-seitlich ins Wasser und zog sich dabei - obwohl er einen Schutzhelm trug - einen Trommelfell- riss zu (...). Sodann wird im besagten Urteil ein Haftungsausschluss des beklagten Veranstalters zitiert, welcher den Teilnehmer auf mög- liche Verletzungen wie "Verstauchungen, Knochenbrüche, Halswir- belsäulenprellungen, Wirbelsäulenverletzungen, Gehirnerschütterun- gen" hinwies und die Tätigkeit Blobbing als "Risikosportart" einge- stuft (...). Vorliegend ist ein unkontrollierter Sturz auf den Rücken aus einer Höhe von mindestens sieben Metern zu beurteilen, wobei die Fallgeschwindigkeit bekanntlich in Abhängigkeit zur Fallhöhe konstant zunimmt. Eine Instruktion zum Verhalten auf der Blobbing- Einrichtung vor, während und nach dem Sprung mag sinnvoll erscheinen, ändert aber nichts am Umstand, dass der eigentliche Blob-Sprung vom Blobber nicht kontrolliert werden kann. Aufgrund der hohen zu erwartenden Fallhöhe und dem augenfällig für den Blobber unkontrollierbaren Handlungsablauf musste dem Beschwer- deführer bewusst sein, dass er beim Blobbing ein erhebliches und von ihm nicht beeinflussbares Risiko einging (...). 3.4. Zusammenfassend erscheint die Vornahme eines Blobbing- Sprunges als vom Blobber - insbesondere bei hobbymässiger 2017 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 50 Ausführung ohne jegliche Erfahrung - auch nach Instruktion nicht beeinfluss- bzw. kontrollierbar und kann auch bei günstigen Verhält- nissen und Tragen von Sicherheitsausrüstungen zu gravierenden Ver- letzungen führen. Die Gefahr des Eintritts derartiger Verletzungen lässt sich auch durch sämtliche zur Verfügung stehende Sicherheits- vorkehrungen nicht auf ein vernünftiges Mass reduzieren (vgl. BGE 138 V 522 E. 5.3 S. 528). Die Beschwerdegegnerin hat dem- nach zu Recht den Blobbing-Sprung vom 14. August 2016 als ab- solutes Wagnis qualifiziert und die Taggeldleistungen um die Hälfte gekürzt.
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AG_VSG_001
AG_VSG
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AG_VSG_001_AGVE-2017-4_2016-03-01
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2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 42 3 Art. 17 Abs. 1 IVG; Art. 28a Abs. 3 IVG; Art. 27bis IVV Rentenrevision infolge Statuswechsel: Mit der ab 1. Januar 2018 gelten- den Fassung von Art. 27bis IVV und der dadurch geänderten Berechnungsart wurde dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Sachen Di Trizio gegen die Schweiz Rechnung getra- gen. Namentlich fällt die bisherige doppelte Berücksichtigung der Teiler- werbstätigkeit weg. Seither besteht kein Anlass mehr, dem Urteil Di Trizio gleich oder ähnlich gelagerte Fälle generell von einer Revision auszuschliessen, selbst wenn der Statuswechsel die einzige wesentliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG darstellt. Anwendung der gemischten Methode. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 2. Kammer, vom 12. Dezember 2018, i.S. N. L. gegen SVA Aargau, IV-Stelle (VBE.2018.385). Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdegegnerin erachtete mit angefochtener Verfü- gung vom 20. April 2018 einen Revisionsgrund mit der Begründung der familiär bedingten Reduktion der Arbeitszeit von 100 % auf ein 40%iges Pensum als gegeben. Sie nahm dabei implizit auf das IV- Rundschreiben Nr. 372 vom 9. Januar 2018 Bezug. Demnach führt das seit 1. Januar 2018 anwendbare Modell zur Berechnung des IV- Grades für Teilerwerbstätige mit Aufgabenbereich grundsätzlich nicht mehr zu einer Schlechterstellung gegenüber Vollerwerbstätigen. Folglich könne zukünftig trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 2. Februar 2016 in Sachen Di Trizio gegen Schweiz (7186/09, nachfolgend: Urteil Di Trizio) der Statuswechsel wieder als möglicher Revisionsgrund herangezogen werden. Demgegenüber hält die Beschwerdeführerin fest, die Anwen- dung der revidierten gemischten Methode führe vorliegend zu einem erheblichen Nachteil in Form des vollständigen Verlusts des Rentenanspruchs. Die geltende Fassung des Art. 27bis Abs. 3 IVV 2018 Sozialversicherungsrecht 43 halte den Anforderungen des EGMR nicht stand. Auch unter der neuen Berechnungsmethode komme es zu einer unzulässigen Ein- schränkung des Grundrechts auf Achtung der Familie, weshalb vorliegend eine Revision einzig aufgrund des Statuswechsels bei der Beschwerdeführerin - nach wie vor - nicht zulässig sei. Unbestritten ist hingegen die Reduktion der Arbeitszeit im Gesundheitsfalle von 100 % auf ein 40%iges Pensum. 2. 2.1. Dem Urteil Di Trizio lag der Fall einer Versicherten zugrunde, welcher unter dem Status einer Vollerwerbstätigen ein Anspruch auf eine Invalidenrente zukam. Sie verlor diesen allein aufgrund des Um- standes, dass wegen der Geburt ihrer Kinder und der damit einherge- henden Reduktion des Erwerbspensums ein Revisionsgrund vorlag und die Versicherte neu als Teilerwerbstätige mit einem Aufgabenbe- reich qualifiziert wurde. Bei der folgenden, durch den Revisions- grund des familiär bedingten Statuswechsels ermöglichten Prüfung des Rentenanspruchs in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ohne Bindung an frühere Beurteilungen, kam neu für die Berechnung des Invaliditätsgrades nicht mehr die Berechnungsmethode des Einkom- mensvergleichs (Art. 28a Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG), sondern diejenige der gemischten Methode (Art. 28a Abs. 3 IVG) zur Anwendung. Der EGMR betrachtete es als Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Familienlebens) i.V.m. Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot), dass die sich aus dem Statuswech- sel ergebende Änderung in den Grundlagen der Invaliditätsbemes- sung zur Aufhebung der Invalidenrente führte und sich damit zu Un- gunsten der Versicherten auswirkte (vgl. BGE 143 V 77 E. 3.2.1 S. 80). 2.2. In BGE 143 I 50 E. 4.1 und 4.2 S. 58 f. (ergangen zur Umset- zung des EGMR-Urteils vom 2. Februar 2016) sowie BGE 143 I 60 E. 3.3.4 S. 64 entschied das Bundesgericht, dass zwecks Herstellung eines konventionskonformen Zustandes in derartigen Konstellatio- nen, in welchen allein familiäre Gründe (die Geburt von Kindern und die damit einhergehende Reduktion des Erwerbspensums) für einen 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 44 Statuswechsel von vollerwerbstätig zu teilerwerbstätig mit Aufga- benbereich sprechen, fortan auf die (alleine darauf beruhende) revisionsweise Aufhebung oder Herabsetzung der Invalidenrente im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG zu verzichten sei (vgl. auch IV- Rundschreiben Nr. 355 des BSV vom 31. Oktober 2016, aufgehoben per 1. Januar 2018). 2.3. Weiter entschied das Bundesgericht, dass im Rahmen einer An- spruchsüberprüfung nach den Schlussbestimmungen der 6. IV-Revi- sion, erstes Massnahmenpaket, ein rein familiär bedingter Statuswechsel (hier von vollerwerbstätig zu teilerwerbstätig (mit Aufgabenbereich)), auch wenn er nicht den Anlass für die Einleitung des Verfahrens zur Rentenüberprüfung bildete, unberücksichtigt zu bleiben habe, so dass der von der versicherten Person bisher innege- habte Status für die Invaliditätsbemessung beizubehalten sei (BGE 143 V 77 E. 3.2.3 S. 80). 2.4. Das Bundesgericht führte sodann seine Rechtsprechung mit BGE 144 I 21 fort und erachtete auch diejenigen Fälle von den vorgenannten EMRK-Garantien als erfasst, bei denen rein familiär bedingt (Reduktion des Betreuungsaufwandes) ein Wechsel von nicht erwerbstätig zu teilerwerbstätig vorgenommen werde (BGE 144 I 21 E. 4.5 S. 27). 2.5. In BGE 144 I 28 E. 4.5 S. 35 f. legte das Bundesgericht hinge- gen dar, dass das Urteil Di Trizio wie auch die Folgerechtsprechung des Bundesgerichts allein die wegen eines Statuswechsels zur Teiler- werbstätigkeit (mit Aufgabenbereich) anwendbare gemischte Me- thode der Invaliditätsbemessung betreffen würden. Der im konkreten Fall vorgenommene Wechsel von teilerwerbstätig zu nicht er- werbstätig wurde vom Bundesgericht daher nicht als vom Schutzbe- reich von Art. 8 EMRK i.V.m. Art. 14 EMRK erfasst beurteilt. Es be- gründete dies damit, dass im Anwendungsbereich der spezifischen Methode von vornherein keine Erschwernisse bezüglich Vereinbar- keit von Familienleben und Wahrnehmung beruflicher Interessen be- stünden. Ebenso wenig wirkten hier gemäss Bundesgericht die für 2018 Sozialversicherungsrecht 45 die gemischte Methode typischen nachteiligen Folgen, die nunmehr im Rahmen eines vom Bundesrat beschlossenen neuen Berechnungs- modells per 1. Januar 2018 beseitigt werden sollten (Art. 27bis IVV in der seit 1. Januar 2018 gültigen Fassung). Der Umstand, dass die für den Statuswechsel wesentliche Geburt des Kindes in den Schutzbe- reich dieser Bestimmung fällt, reicht dafür nicht aus (BGE 144 I 28 E. 4.6 S. 36). 2.6. In BGE 144 I 103 E. 4.2 S. 107 f. hielt das Bundesgericht wiederum fest, dass zwecks Herstellung eines konventionskonfor- men Zustandes in Konstellationen, in welchen allein familiäre Gründe (die Geburt von Kindern und die damit einhergehende Reduktion des Erwerbspensums) für einen Statuswechsel von vollerwerbstätig zu teilerwerbstätig (mit Aufgabenbereich) spre- chen, fortan auf die (allein darauf beruhende) revisionsweise Aufhe- bung oder Herabsetzung der Invalidenrente im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG zu verzichten sei. Die versicherte Person habe diesfalls Anspruch auf die Weiterausrichtung der bisherigen Rente. 2.7. Entsprechend der dargelegten Rechtsprechung ergibt sich, dass nicht der Statuswechsel per se, sondern lediglich der Wechsel von der einen Methode (Betätigungsvergleich oder Einkommensver- gleich) zur gemischten Methode als nicht EMRK-konform beurteilt wurde, sofern dies zu einer Reduktion/Aufhebung des bisherigen Rentenanspruchs führte. Eine Rentenreduktion/-aufhebung sollte demnach auch dann möglich sein, wenn die versicherte Person aus familiären Gründen (Geburt eines Kindes) ihren Status von voll- /teilerwerbstätig zu nicht erwerbstätig ändert. Daraus ist zu schliessen, dass sowohl die IV-Grad-Berechnung nach Einkommens- vergleich wie auch jene nach Betätigungsvergleich für sich genom- men im Einklang mit den EMRK-Garantien stehen. Zu keinem anderen Schluss kam auch der EGMR in seinem Ur- teil Di Trizio: So erachtete er explizit die gemischte Methode als dis- kriminierend ( De fait, pour la grande majorité des femmes souhai- tant travailler à temps partiel à la suite de la naissance des enfants, la méthode mixte s'avère discriminatoire , Urteil Di Trizio § 97 in 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 46 fine), nicht hingegen den Einkommensvergleich oder den Betäti- gungsvergleich. Des Weiteren hielt der Gerichtshof fest, que d'autres méthodes de calcul respectant mieux le choix des femmes de travailler à temps partiel à la suite de la naissance d'un enfant sont concevables, et qu'il serait ainsi possible de poursuivre le but du rap- prochement entre les sexes sans pour autant mettre en danger l'objectif de l'assurance-invalidité (Urteil Di Trizio § 101) und dies entraîne pour la requérante des conséquences concrètes importantes, même à supposer qu'elle puisse travailler à temps partiel (Urteil Di Trizio § 102). Der EGMR wies dabei insbesondere auf das angerechnete, gegenüber einer Vollzeitstelle tiefere, Valideneinkom- men in Teilzeitarbeit hin ( Son revenu fictif, calculé sur la base d'un travail à mi-temps, a été estimé par l'office à seulement [...] au mo- ment du calcul du taux d'invalidité; Urteil Di Trizio a.a.O.). 2.8. Aufgrund dieser Sachlage führte der Bundesrat per 1. Januar 2018 für die Festlegung des Invaliditätsgrades von Teilerwerbstäti- gen ein neues Berechnungsmodell ein. Nach dem revidierten Art. 27bis Abs. 2 - 4 IVV wird für die Bestimmung des Invaliditäts- grads von Teilerwerbstätigen, die sich zusätzlich im Aufgabenbereich nach Art. 7 Abs. 2 IVG betätigen, zwar wie bisher der entsprechend dem Status (Anteil Erwerbsbereich/Anteil Aufgabenbereich) gewich- tete Invaliditätsgrad in Bezug auf die Erwerbstätigkeit und in Bezug auf die Betätigung im Aufgabenbereich addiert. Geändert wurde je- doch die Berechnung des Invaliditätsgrads in Bezug auf die Er- werbstätigkeit vor Gewichtung. Während bisher das Valideneinkom- men lediglich in dem Umfang berechnet wurde, in welchem die versicherte Person tatsächlich noch tätig wäre (also dem Anteil Er- werbsbereich), wird gemäss neuem Art. 27bis Abs. 3 IVV das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person durch die Teiler- werbstätigkeit erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre, auf eine Vollerwerbstätigkeit hochgerechnet. Gemäss Medien- mitteilung des Bundesrates zur Änderung der IVV Art. 27bis Abs. 2 - 4 vom 1. Dezember 2017 würden durch diese Änderung die Anforde- rungen des EGMR (Urteil Di Trizio) erfüllt (vgl. auch den Bericht betr. die Vernehmlassung über die Änderung der IVV vom 2018 Sozialversicherungsrecht 47 7. November 2017 (nachfolgend Bericht IVV , ...), wonach das Ziel der Verordnungsänderung darin liege, die Anforderungen des EGMR an eine nichtdiskriminierende Ausgestaltung der gemischten Methode zu erfüllen; zudem könne die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert, eine rasche Klärung der Rechtslage sowie eine einheitliche Anwendung der gemischten Methode sichergestellt wer- den). 2.9. Das BSV hielt darauf abstützend nunmehr mit IV-Rundschrei- ben Nr. 372 vom 9. Januar 2018 fest, zukünftig gelte der Wechsel des Status einer versicherten Person wieder als möglicher Revisions- grund, weil mit dem neuen Berechnungsmodell Teilerwerbstätige mit Aufgabenbereich nun grundsätzlich nicht mehr schlechter gestellt würden. 3. 3.1. Mit dem neuen Berechnungsmodell gemäss Art. 27bis IVV wird der Invaliditätsgrad im Erwerbsbereich für Teil- wie auch Voller- werbstätige gleich berechnet. Im Aufgabenbereich erfolgte bereits bisher keine Unterscheidung bei der Berechnung zwischen Teilerwerbstätigen und Nichterwerbstätigen. Wie in E. 2.7 hiervor dargelegt, führt keine der beiden Berechnungsmethoden für sich al- leine zu einer Diskriminierung. Auch die Kombination beider Metho- den im Sinne der ab dem 1. Januar 2018 anwendbaren Invaliditäts- gradberechnung bei Teilerwerbstätigen führt folglich ebenso zu keiner Diskriminierung, findet doch lediglich eine mathematische Addition der prozentual ermittelten und gemäss Status gewichteten Teilwerte statt, wobei namentlich die bisherige doppelte Gewichtung der teilzeitlichen Erwerbstätigkeit wegfällt. Es bleibt somit zu prüfen, ob der Umstand des Wechsels von ei- ner vollen Erwerbstätigkeit in eine Teilerwerbstätigkeit mit Aufga- benbereich und die damit verbundene, weiterhin bestehende Möglichkeit einer (wenn auch gegenüber der altrechtlichen Bemes- sungsmethode abgeschwächten) Reduktion des IV-Grades und damit des Rentenanspruchs diskriminierend ist oder ob die mögliche Un- gleichbehandlung über eine sachliche Rechtfertigung verfügt. In die- 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 48 ser Verhältnismässigkeitsprüfung sind insbesondere Sinn und Zweck der Invalidenversicherung, die auch vom EGMR festgehaltenen res- sources limitées und das damit verbundene Leitprinzip der Kosten- kontrolle ( principes directeurs celui de la maîtrise des dépenses Ur- teil Di Trizio § 96) als auch die Folgen eines Festhaltens an der Di Trizio-Rechtsprechung zu berücksichtigen. In diesem Zusammen- hang ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der neuen Berechnungs- methode gemäss dem revidierten Art. 27bis IVV mit jährlichen Mehr- kosten von 6.8 Promillen auf die (bisherigen) Rentenkosten, d.h. etwa Fr. 35 Millionen, zu rechnen ist (vgl. Bericht IVV S. 6). 3.2. Der EGMR äusserte sich im Urteil Di Trizio nicht explizit zur Frage, ob jede Anpassung der Berechnungsmethode aufgrund eines familiär bedingten Statuswechsels von voll- zu teilerwerbstätig so- wie von nicht erwerbstätig zu teilerwerbstätig , die zu einer Reduktion des Rentenanspruchs führen kann, eine Diskriminierung darstellt. Er hielt einzig fest, dass die bisherige Berechnungsmethode im Rahmen von familiär bedingten Rentenrevisionen diskriminierend sei (hiervor E. 2.7.). Der EGMR verwies dabei auch mehrfach auf die bundesgerichtliche und kantonale Rechtsprechung wie auch die Ausführungen des Bundesrats vom 1. Juli 2015, wo jeweils Kritik an der damaligen gemischten Methode geäussert worden sei (Urteil Di Trizio § 99 ff.). In diesem Zusammenhang wies der EGMR sodann darauf hin, dass alternative Berechnungsmethoden ( d'une méthode plus favorable , Urteil Di Trizio § 101) denkbar seien, die die Wahl der Teilzeitarbeit von Frauen nach der Geburt eines Kindes besser berücksichtigten, und dass es somit möglich wäre, das Ziel der Geschlechtergleichstellung zu verfolgen, ohne das Ziel der Invaliditätsversicherung zu gefährden (Urteil Di Trizio § 101, vgl. auch E. 2.7. hiervor). 3.3. Daraus ist zu schliessen, dass der EGMR nicht jede durch ein familiäres Ereignis entstehende Änderung des Invaliditätsgrades als diskriminierend erachtete, somit die Bejahung eines Revisionsgrun- des im Fall eines Statuswechsels aufgrund der Geburt eines Kindes nicht generell eine Verletzung von Art. 8 EMRK i.V.m. Art. 14 2018 Sozialversicherungsrecht 49 EMRK darstellt (...). Mit Art. 27bis IVV liegt nun eine Berechnungs- methode vor, die weder in ihren Einzelberechnungen (Anteil Er- werbstätigkeit - Anteil Aufgabenbereich) noch in der Gesamtberech- nung des Invaliditätsgrades der versicherten Person eine Ungleichbe- handlung zu Vollerwerbstätigen bzw. Nichterwerbstätigen bein- haltet und damit das vom EGMR festgehaltene Ziel der Ge- schlechtergleichstellung in ausreichendem Masse und somit ohne Verletzung der EMRK-Garantien verfolgt, ohne das Ziel der Inva- lidenversicherung angesichts der eingeschränkten Ressourcen zu gefährden. Insbesondere wird mit der neuen Berechnungsmethode im Erwerbsbereich auf die vom EGMR gerügte doppelte Berücksich- tigung der erwerblichen Teilzeitlichkeit verzichtet (vgl. Urteil Di Trizio § 98). Eine andere Schlussfolgerung würde dazu führen, dass in Fäl- len, bei denen die versicherte Person aufgrund der Geburt eines Kin- des einen Statuswechsel zu teilerwerbstätig vornimmt, eine auf ei- nem Statuswechsel begründete Revision generell unzulässig wäre, was sowohl der Systematik der Invalidenversicherung als final konzipierter Erwerbsausfallversicherung (BGE 126 V 461 E. 2 S. 462) als auch der gesetzlich vorgesehenen Unterscheidung zwischen Aufgaben- und Erwerbsbereich zuwiderliefe. Darüber hinaus führte dies zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbe- handlung: Bei zunächst gesunden Personen, die ihren Status aus familiären Gründen von voll- zu teilerwerbstätig wechselten, würde bei einem späteren Eintritt der Invalidität der Invaliditätsgrad nach der gemischten Methode berechnet, wohingegen bei (hypothetisch) Vollerwerbstätigen mit einem Statuswechsel bei bereits bestehender Invalidität die bisherige Berechnungsmethode (Einkommensver- gleich) beibehalten würde. In den meisten Anwendungsfällen der gemischten Methode ver- hält es sich zudem - gerichtsnotorisch - so, dass im Wesentlichen aufgrund fehlender konkreter Einschränkungen im Aufgabenbereich bzw. in diesem Bereich verglichen mit dem Erwerbsbereich tiefer lie- gender Einschränkungen ein bestehender Rentenanspruch wegfällt oder reduziert wird (zur generellen Berücksichtigung des Erwerbsbe- reichs sowie des Aufgabenbereichs vgl. Urteil Di Trizio § 96). Auch 2018 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 50 im vorliegenden Fall erweisen sich insbesondere die Einschränkun- gen der Beschwerdeführerin im Erwerbsbereich als deutlich, währenddessen im Aufgabenbereich keine Einschränkungen festge- stellt wurden (...). Nachdem die Rente der Invalidenversicherung grundsätzlich eine Erwerbsausfall-Versicherungsleistung darstellt (Urteil des Bun- desgerichts 9C_734/2016 vom 27. Januar 2017 E. 3.2.4 mit Hinweis auf BGE 135 V 58 E. 3.4.1 S. 60 f.) und aufgrund der Tatsache, dass sich die Anforderungen im Aufgabenbereich von jenen im Erwerbs- bereich häufig erheblich unterscheiden, rechtfertigt sich auch eine aus insofern unterschiedlich starken Einschränkungen möglicher- weise resultierende unterschiedliche Höhe des Invaliditätsgrades. 4. Zusammenfassend wurde mit der ab dem 1. Januar 2018 gelten- den Fassung von Art. 27bis IVV und der geänderten Berechnungsart dem EGMR-Urteil Di Trizio Rechnung getragen. Durch den Wegfall der doppelten Berücksichtigung von teilzeitlicher Erwerbstätigkeit nähert sich die gemischte Methode dem Ziel der besseren Vereinbar- keit von Familie und Beruf bzw. dem Ziel der Geschlechtergleichbe- handlung deutlich an. Eine Methode, die unter Beibehaltung der vom Gesetzgeber gewollten Berücksichtigung sowohl der Erwerbstätig- keit als auch des Aufgabenbereichs zu einer nochmaligen Verbesse- rung der im Urteil Di Trizio festgehaltenen Problematik führt, ohne gleichzeitig eine Ungleichbehandlung der nicht unter diesen Sachverhalt fallenden Versicherten entstehen zu lassen, ist kaum denkbar (vgl. hierzu auch Bericht des Bundesrates vom 1. Juli 2015, Die Invaliditätsbemessung in der Invalidenversicherung bei Teiler- werbstätigkeit, S. 24 ff., wo verschiedene Berechnungsmethoden u.a. unter dem Aspekt der Gleichbehandlung der Versicherten diskutiert werden). Es besteht somit nach der Anpassung der Berechnungsmethode in Art. 27bis IVV kein Anlass mehr, dem Urteil Di Trizio gleich oder ähnlich gelagerte Fälle generell von einer Revision auszuschliessen, selbst wenn der Statuswechsel die einzige wesentliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG darstellt.
4,503
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AG_VSG_001
AG_VSG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VSG_001_AGVE-2018-3_2018-01-01
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2013 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 48 [...] 8 Art. 7 ZPO i.V.m. § 14 EG ZPO; Art. 62 ff. OR Hat die Klägerin (Versicherung) gestützt auf einen Versicherungsvertrag (Zusatzversicherung zur sozialen Krankenkasse) mit dem Beklagten (Versicherungsnehmer) fälschlicherweise eine Auszahlung an den Beklag- ten statt an einen Dritten vorgenommen, so ist das Versicherungsgericht für die Beurteilung der Rückforderung gemäss Art. 62 ff. OR zuständig. Auf das Verfahren findet die ZPO Anwendung. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 22. Okto- ber 2013 in Sachen H. Zusatzversicherungen AG. gegen R.S. (VKL.2013.24).
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2009 Versicherungsgericht 73 [...] 14 Art. 61 ATSG, §§ 343 ff. ZPO Voraussetzungen und Durchführung der Revision eines Urteils des Ver- sicherungsgerichts. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 1. Kammer, vom 22. Sep- tember 2009 in Sachen S.B.-I. gegen SVA Aargau (VBE.2007.463). 2009 Versicherungsgericht 74 Aus den Erwägungen 1. 1.1. Nach Art. 61 ATSG bestimmt sich das Verfahren vor dem kan- tonalen Versicherungsgericht unter Vorbehalt von Art. 1 Abs. 3 VwVG nach kantonalem Recht. Lit. a - i von Art. 61 ATSG, welche bundesrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung des kantona- len Gerichtsverfahrens festhalten, bestimmen in Bezug auf die Re- vision von Entscheiden, dass diese wegen Entdeckung neuer Tatsa- chen oder Beweismittel oder wegen Einwirkung durch Verbrechen gewährleistet sein muss (lit. i). Dass ein Gerichtsentscheid unter be- stimmten Voraussetzungen in Revision zu ziehen ist, entspricht ei- nem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsatz. Daher legt Art. 61 lit. i ATSG die für das kantonale Gerichtsverfahren massgeb- lichen Revisionsgründe fest, überlässt jedoch die Ausgestaltung des Revisionsverfahrens dem kantonalen Recht (BGE 111 V 53 Erw. 4b; Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl., Bern 2003, S. 500; Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Auflage, Zürich 2009, N 134 zu Art. 61 ATSG). Auf den 1. Januar 2009 ist das Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG) des Kantons Aar- gau in Kraft getreten und die kantonale Verordnung über die Rechts- pflege in Sozialversicherungssachen (VRS; SAR 271.131) aufgeho- ben worden. Zu diesem Zeitpunkt war das vorliegende Verfahren be- reits am Versicherungsgericht hängig. Gemäss § 84 VRPG werden die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits hängigen Verfahren nach dem bisherigen Recht zu Ende geführt. Die kantonale Verord- nung über die Rechtspflege in Sozialversicherungssachen (VRS; SAR 271.131) regelt das Revisionsverfahren nicht. Verfahrensmässig gelangen daher als ergänzendes Recht die Vorschriften der Zivilpro- zessordnung (ZPO; SAR 221.100) sinngemäss zur Anwendung (§ 30 VRS). 1.2. Die Beurteilung eines Revisionsgesuchs erfolgt in drei Schrit- ten. Vorab ist darüber zu befinden, ob die Sachentscheidsvorausset- zungen erfüllt sind. Darunter fällt die Prüfung der Zuständigkeit und 2009 Versicherungsgericht 75 der Zulässigkeit des Begehrens, welche insbesondere die Subsidia- rität mit umfasst, d.h. die Unmöglichkeit, die darin vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel in dem der rechtskräftigen Anordnung vorangegangenen Verfahren oder mit dem damals gegebenen ordent- lichen Rechtsmittel geltend zu machen. Ist eine dieser Vorausset- zungen nicht erfüllt, so ist auf das Gesuch nicht einzutreten (AGVE 2001 S. 390 f.). Gemäss § 343 ZPO kann sich ein Revisionsgesuch gegen ein im ordentlichen Verfahren ergangenes Urteil richten. Zuständig für die Behandlung ist der Richter, der in der Streitsache erstinstanzlich entschieden hat (§ 347 ZPO). Das Gesuch ist innert drei Monaten seit der Entdeckung des Revisionsgrundes, wobei der Fristenlauf ab sicherer Kenntnis der neuen Tatsache oder neuen Beweismittel beginnt, zu stellen (§ 345 Abs. 1 ZPO). Im Gesuch sind die Revisionsgründe und deren rechtzeitige Geltendmachung unter Angabe der Beweismittel darzulegen und anzugeben, welche Abänderung des früheren Entscheides verlangt wird (§ 348 ZPO). 1.3. Sind diese Verfahrensvoraussetzungen erfüllt, wird im Rahmen eines zweiten Schrittes darüber befunden, ob das Revisionsgesuch begründet ist. Als Revisionsgründe sieht Art. 61 lit. i ATSG vor, dass die Revision von Urteilen wegen Entdeckung neuer Tatsachen oder Beweismittel oder wegen Einwirkung durch Verbrechen gewährleis- tet sein muss. Dies bedeutet, dass die Revisionsgründe von § 344 ZPO, soweit sie über die bundesrechtlichen Vorschriften hinausge- hen, ebenfalls zu berücksichtigen sind. Mit dem Begriff des Ent- deckens wird betont, dass es sich um Tatsachen handeln muss, die im Zeitpunkt der Entscheidfällung bereits vorlagen, indessen noch nicht bekannt waren. Die Tatsachen müssen neu sein, was dann nicht der Fall ist, wenn das im Revisionsverfahren vorgebrachte Element lediglich eine abweichende Würdigung einer bereits bekannten Tat- sache in sich schliesst. Weiter muss es sich um eine erhebliche Tatsa- che handeln, die geeignet ist, die tatsächliche Grundlage des Urteils dahingehend zu ändern, dass bei erneuter Entscheidfällung ein anderer Entscheid resultiert hätte. In Bezug auf neue Beweismittel ist massgebend, dass diese nicht schon vor der Entscheidfällung beige- bracht werden konnten (Art. 61 lit. i ATSG i.V.m. Art. 53 Abs. 1 2009 Versicherungsgericht 76 ATSG; BGE 127 V 358, 122 V 273 Erw. 4, 115 V 313 Erw. 4a, 110 V 141 Erw. 2; Locher, a.a.O., S. 467 f.; Kieser, a.a.O., N 9 ff. zu Art. 53 ATSG; Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur Aargaui- schen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Aarau 1998, N 1 ff. zu § 344 ZPO). 1.4. Wird die Begründetheit des Revisionsgesuchs bejaht, ist der Entscheid aufzuheben und es ist in einem dritten Verfahrensabschnitt in der Sache neu zu entscheiden (§ 350 ZPO; AGVE 2001 S. 391; Ursina Beerli-Bonorand, Die ausserordentlichen Rechtsmittel in der Verwaltungsrechtspflege des Bundes und der Kantone, Diss. Zürich 1985, S. 160 ff.). 2. Im vorliegenden Fall richtet sich das Revisionsgesuch gegen das Urteil des Versicherungsgerichts vom 15. August 2001 (VBE 2000.741), welches unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist. Das Gutachten des Universitätsspitals Basel, auf welches sich die Gesuchsstellerin im Wesentlich stützt, erging am 7. Dezember 2006 und konnte weder im vorangehenden Verfahren noch mit dem or- dentlichen Rechtsmittel geltend gemacht werden, so dass die Subsidiarität des ausserordentlichen Rechtsmittels zu bejahen ist. Da das Versicherungsgericht als erstinstanzliche richterliche Behörde über die Streitsache entschieden hatte, ist das angerufene Gericht zur Beurteilung des Revisionsgesuches örtlich, sachlich und funktionell zuständig (§347 ZPO). Ebenso sind die Revisionsgründe und die be- antragte Abänderung des früheren Entscheides genügend dargetan. Schliesslich ist das Gesuch vom 8. Februar 2008 fristgerecht erfolgt, da zwischen Erstellung des Gutachtens und Gesuchseinreichung weniger als drei Monate vergangen sind. Demnach ist auf das Re- visionsgesuch einzutreten. 3. Streitig und zu prüfen ist, ob das Urteil des Versicherungs- gerichts vom 15. August 2001 aufgrund neuer Tatsachen und Be- weismittel in Revision zu ziehen ist. (...) 2009 Versicherungsgericht 77 3.1. Die Gesuchsstellerin ist der Ansicht, beim Medas-Gutachten des Universitätsspitals Basel handle es sich um ein Beweismittel, welches sie erst jetzt aufgefunden habe und das Anlass zu einer Revision gebe. Da das Gutachten erst im Jahre 2006 erstellt wurde, konnte es nicht bereits im Urteil vom 15. August 2001 berücksichtigt werden, insofern könnte von einem neuen Beweismittel gesprochen werden. Jedoch hätte die Gesuchsstellerin schon vor Abschluss des früheren Verfahrens ein interdisziplinäres Gutachten erstellen lassen oder dessen Erstellung von der Gesuchsgegnerin verlangen können. Grün- de, weshalb dies nicht möglich gewesen sein sollte, sind keine ersichtlich. Von der Entdeckung eines neuen Beweismittels kann daher nicht gesprochen werden. Das Revisionsverfahren dient nicht dazu, allfällige damalige vermeidbare Unterlassungen in sachverhalt- licher Hinsicht zu korrigieren oder umstrittene Anordnungen wieder zur Diskussion zu stellen. Ansonsten könnten sämtliche rechtskräf- tigen Entscheide mit bereits bestehenden, aber im konkreten Einzel- fall nicht angewandten Untersuchungsmethoden in Revision gezogen werden (vgl. Urteil des Versicherungsgerichts vom 15. August 2007, VBE 2007.63, Erw.4.2.2.). 3.2. Es kann auch nicht von der Entdeckung neuer Tatsachen gesprochen werden, wenn, wie die Gesuchsstellerin ausführt, das neue Gutachten feststellt, dass nicht bloss soziale Faktoren ihre Arbeitsfähigkeit eingeschränkt haben, sondern dass seit dem Jahre 1998 eine wesentliche, für die Invalidenversicherung relevante Be- einträchtigung der Arbeitsfähigkeit bestanden habe und die Gesuchs- stellerin in der angestammten Tätigkeit vollumfänglich arbeitsunfä- hig ist. Dabei handelt es sich um eine unterschiedliche Würdigung des im Wesentlichen gleichen Sachverhaltes. Für die Revision eines Entscheides genügt es aber nicht, dass die Gutachter aus den im Zeit- punkt des Haupturteils bekannten Tatsachen nachträglich andere Schlussfolgerungen ziehen. Ausschlaggebend ist, dass das allfällige Beweismittel nicht bloss der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Es genügt daher nicht, dass ein neues 2009 Versicherungsgericht 78 Gutachten den Sachverhalt anders bewertet, vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen. Solche Elemente sind hier aber nicht ersichtlich. Daran ändert auch nichts, dass die Beschwer- deführerin gemäss Gutachten nach 2000 ein depressives Syndrom entwickelt hat (und nicht wie die Gesuchsstellerin ausführte im Jahre 2000), denn das Gericht hat bei der Beurteilung des Sachverhalts je- weils auf denjenigen im Zeitpunkt der angefochtenen abzustellen. Dieser war im vorliegenden Fall im Juni 2000 und somit bevor sich das depressive Syndrom entwickelte (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinw.). 3.3. Zusammengefasst bringt die Gesuchstellerin in ihrem Revi- sionsgesuch keine neuen erheblichen Tatsachen oder neuen Beweis- mittel, die im früheren Verfahren nicht hätten beigebracht werden können, vor. Demnach liegen keine rechtsgenüglichen Revisions- gründe vor. Das Revisionsgesuch gegen das Urteil des Versiche- rungsgerichts vom 15. August 2001 ist somit abzuweisen.
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2003 Prozessrecht 85 I. Prozessrecht 27 Art. 85a SchKG Ist bei einer negativen Feststellungsklage gemäss Art. 85a SchKG das Be- stehen bzw. Nichtbestehen einer Prämienschuld gemäss Krankenversi- cherungsgesetz strittig, ist das Versicherungsgericht zur Beurteilung der Klage sachlich zuständig. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 4. Kammer, vom 11. No- vember 2003 in Sachen R.G. gegen Krankenkasse H. Aus den Erwägungen 2. b) Bezüglich der Zuständigkeit ist festzustellen, dass mate- riellrechtlich das Bestehen oder Nichtbestehen einer Prämienschuld gemäss Krankenversicherungsgesetz strittig ist. Zur Beurteilung dieser Frage ist das Versicherungsgericht zuständig (Art. 86 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung [KVG] i.V.m. § 32 des kantonalen Einführungsgesetzes zum Krankenversicherungsge- setz [EG KVG] und § 4 der Verordnung über die Rechtspflege in Sozialversicherungssachen [VRS]). Bezüglich der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit bei der negativen Feststellungsklage ist die Lehre uneinheitlich. In Anlehnung an Brönnimann (Jürg Brönni- mann, Zur Klage nach Art. 85a SchKG, AJP 1996 S. 1396) sowie Schwander (Ivo Schwander, Neuerungen in den Bereichen der Rechtsöffnung sowie der Aufhebung oder Einstellung der Betreibung durch den Richter, Schriftenreihe SAV, Band 13, 1995, S. 47), wel- che eine Doppelnatur der negativen Feststellungsklage gemäss Art. 85a SchKG bejahen, wonach einerseits mit materieller Rechts- kraft über die materiellrechtliche Frage des Bestehens der in Betrei- bung gesetzten Schuld entschieden werde, andererseits aber die Klage den betreibungsrechtlichen Zweck verfolge, über die Aufhe- 2003 Versicherungsgericht 86 bung bzw. die Fortführung oder über die Einstellung der Betreibung zu entscheiden, sieht das Versicherungsgericht ein überwiegendes Interesse an der materiellrechtlichen Klärung des Bestandes der in Betreibung gesetzten Schuld als gegeben, welche aufgrund der spe- zialrechtlichen Grundlage nur durch das im speziellen Falle zustän- dige Gericht beurteilt werden kann. Diese spezialrechtliche Frage- stellung dem Betreibungsrichter zu unterbreiten, würde dessen Kom- petenz übersteigen. Die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Versicherungsgerichts ist damit - sowohl für die materiellrechtlichen als auch die formell- bzw. betreibungsrechtlichen Fragestellungen - zu bejahen.
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-27.html
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2017 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 59 [...] 7 Art. 13 IVG; KLV Anhang 1 Ziff. 10 Komplementärmedizin Für medizinische Vorkehren im Bereich Ärztliche Klassische Homöopa- thie besteht dann eine Leistungspflicht des obligatorischen Krankenver- sicherers und damit der IV, wenn die Vorkehren getroffen wurden durch Ärzte und Ärztinnen mit einer Weiterbildung in Homöopathie, die dem Fähigkeitsprogramm Homöopathie (SVHA) entspricht. Betreffend die Voraussetzungen der Wissenschaftlichkeit der homöopathischen Behand- lung sowie der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der in die Spezialitätenliste aufgenommenen homöopathischen Präparate ist trotz bzw. bei laufender Evaluation von der Fiktion auszugehen, dass diese erfüllt sind (E. 3. f.). Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 2. Kammer, vom 8. Juni 2017, i.S. Krankenversicherung X gegen IV-Stelle Kt. Aargau, Beigeladene A.P. (VBE.2017.116). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Gemäss Art. 13 Abs. 1 IVG haben Versicherte bis zum vollen- deten 20. Altersjahr Anspruch auf die zur Behandlung von Geburts- 2017 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 60 gebrechen (Art. 3 Abs. 2 ATSG) notwendigen medizinischen Mass- nahmen. (...) 2.2.-2.3. (...) 3. 3.1. Als medizinische Massnahmen im Sinne dieser Bestimmung gelten sämtliche Vorkehren, die nach bewährter Erkenntnis der medi- zinischen Wissenschaft angezeigt sind und den therapeutischen Er- folg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2 Abs. 3 GgV). Die Massnahmen umfassen gemäss Art. 14 Abs. 1 IVG die Behandlung, die vom Arzt selbst oder auf seine Anordnung durch medizinische Hilfspersonen in Anstalts- oder Hauspflege vorge- nommen wird (lit. a) und die Abgabe der vom Arzt verordneten Arz- neien (lit. b). Die versicherte Person hat in der Regel nur Anspruch auf die dem jeweiligen Eingliederungszweck angemessenen, notwen- digen Massnahmen, nicht aber auf die nach den gegebenen Umstän- den bestmöglichen Vorkehren (vgl. Art. 8 Abs. 1 IVG); denn das Ge- setz will die Eingliederung lediglich so weit sicherstellen, als diese im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist. Ferner muss der voraussichtliche Erfolg einer Eingliederungsmassnahme in einem vernünftigen Verhältnis zu ihren Kosten stehen (BGE 124 V 108 E. 2a S. 110). 3.2. Eine Behandlungsart entspricht bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft, wenn sie von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Das Schwergewicht liegt auf der Erfahrung und dem Erfolg im Bereich einer bestimmten Therapie (BGE 123 V 53 E. 2b/aa S. 58). Die für den Bereich der Krankenpflege entwickelte Definition der Wissen- schaftlichkeit findet prinzipiell auch auf die medizinischen Massnah- men der Invalidenversicherung Anwendung. Eine Vorkehr, welche mangels Wissenschaftlichkeit nicht durch die obligatorische Krankenversicherung zu übernehmen ist, kann grundsätzlich auch nicht als medizinische Massnahme nach Art. 12 oder 13 IVG zu Las- ten der Invalidenversicherung gehen (Urteil des Bundesgerichts 2017 Sozialversicherungsrecht 61 8C_590/2011 vom 13. Juni 2011 E. 2.4 mit Hinweisen). Medizini- sche Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung sowie Analysen und Arzneimittel (Art. 4 bis IVV) werden somit nur unter der Voraussetzung gewährt, dass sie wissenschaftlich anerkannt sind. 3.3. Gemäss Anhang 1 Ziff. 10 Komplementärmedizin zur Kranken- pflege-Leistungsverordnung (KLV) befindet sich die Ärztliche Klassische Homöopathie betreffend die Wissenschaftlichkeit noch "in Evaluation", was eine Leistungspflicht des obligatorischen Kran- kenversicherers sowie folglich der IV grundsätzlich ausschliesst (Ur- teil des Bundesgerichts I 330/04 vom 29. November 2004 E. 3). Hierzu im Widerspruch besteht jedoch gemäss KLV für den Krankenversicherer gleichwohl dann eine Leistungspflicht, wenn die Behandlung durch Ärzte und Ärztinnen mit einer Weiterbildung in Homöopathie, die dem Fähigkeitsprogramm Homöopathie (SVHA) vom 1. Januar 1999, revidiert am 10. September 2015, entspricht, er- folgte. Als Folge wurden denn auch verschiedene homöopathische Heilmittel für einen befristeten Zeitraum in die durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erstellte Liste der pharmazeutischen Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel (Spezialitätenliste (SL); Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 64 KVV) aufgenommen, in wel- che grundsätzlich nur diejenigen Arzneimittel aufgenommen werden, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit nachge- wiesen ist (vgl. Art. 65 ff. KVV; Art. 30 KLV; Urteil des Bundesge- richts 8C_523/2016 vom 27. Oktober 2016 E. 2.3; vgl. ferner Art. 118a BV). 3.4. Gemäss Rz. 1205 des Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (KSME; in den für den massgeblichen Zeitpunkt gültigen Fassungen) gelten für jene Medikamente, welche auf der Spezialitätenliste (SL) aufgeführt werden, die in Art. 2 Abs. 3 GgV genannten Voraussetzungen als er- füllt. Hinsichtlich der in der SL enthaltenen Beschränkungen (Limitationen) der Medikamentenabgabe gilt in der IV folgendes: 1. Mengenmässige Beschränkungen (Beschränkungen der Packungs- grösse oder der Punktzahl für ein bestimmtes Produkt oder eine Pro- 2017 Obergericht, Abteilung Versicherungsgericht 62 duktegruppe) sind nicht zu berücksichtigen. 2. Beschränkungen auf bestimmte Indikationen sind in der Regel zu beachten. 3. In der SL vereinzelt vorgesehene besondere Kostengutsprachen sind in der IV nicht erforderlich (KSME Rz. 1208). In Übereinstimmung mit dem unter E. 3.3. Erwähnten werden gemäss KSME Rz. 1209 "(n)achfol- gend aufgeführte komplementärmedizinische Verfahren (...) unter den gleichen Bedingungen und Auflagen wie sie in der obligato- rischen Krankenpflegeversicherung OKP bzw. in der Krankenpflege- Leistungsverordnung KLV definiert sind, im Zeitraum vom 1.1.2012 bis zum 31.12.2017 auch von der Invalidenversicherung über- nommen: Akupunktur, Antroposophische Medizin, Arzneimittel- therapie der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), Ärztliche Klassische Homöopathie, Phytotherapie und Störfeldtherapie (Neu- raltherapie nach Huneke). Voraussetzung ist, dass sie durch Ärztinnen und Ärzte mit einer in der KLV definierten Weiterbildung im entsprechenden komplementärmedizinischen Fachgebiet und die Anerkennung durch die entsprechende Fachgesellschaft ausgeführt werden". 4. 4.1. Die Beschwerdegegnerin argumentierte in ihrer Verfügung vom 21. Dezember 2016 (...) sinngemäss, die durchgeführte homöopa- thische Behandlung sei nicht zu übernehmen, da (...) solche Behand- lungen nicht parallel zur schulmedizinischen Behandlung übernom- men werden könnten. 4.2. 4.2.1. Gemäss KSME Rz. 1209 i.V.m. KLV Anhang 1 Ziff. 10 Kom- plementärmedizin besteht wie in E. 3. hiervor dargelegt für medizini- sche Vorkehren im Bereich Ärztliche Klassische Homöopathie dann eine Leistungspflicht des obligatorischen Krankenversicherers und damit der IV, wenn die Vorkehren getroffen wurden durch Ärzte und Ärztinnen mit einer Weiterbildung in Homöopathie, die dem Fähig- keitsprogramm Homöopathie (SVHA) vom 1. Januar 1999, revidiert am 10. September 2015, entspricht. Der Fähigkeitsausweis Homöo- pathie regelt die Weiterbildung und Rezertifizierung für die Homöo- 2017 Sozialversicherungsrecht 63 pathie im ambulanten und stationären Bereich. Die Rezertifizierung erfolgt alle drei Jahre und umfasst pro Jahr 25 Stunden Fortbildung in Homöopathie. Die Fähigkeitsausweise werden von der Weiter- und Fortbildungskommission des SVHA verwaltet und rezertifiziert (Fähigkeitsprogramm vom 1. Januar 1999 (letzte Revision: 10. Sep- tember 2015) vgl. KLV Anhang 1 Ziff. 10 Komplementärmedizin Homöopathie (SVHA) Fn. 37). Betreffend die Voraussetzungen der Wissenschaftlichkeit der homöopathischen Behandlung sowie der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der in die SL aufgenommenen homöopathischen Präparate ist gemäss dem in E. 3. Ausgeführten trotz bzw. bei laufender Evaluation von der Fiktion auszugehen, dass diese erfüllt sind.
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2007 Versicherungsgericht 64 15 Art. 50 ATSG; Art. 22, 25a FZG; Art. 141 ZGB Im Verfahren vor Versicherungsgericht betreffend Teilung der Freizügig- keitsleistungen nach Ehescheidung ist ein Vergleichsabschluss zulässig. Aus dem Entscheid des Versicherungsgerichts, 3. Kammer, vom 23. Januar 2007 in Sachen F. Aus den Erwägungen 3.2. Streitigkeiten über sozialversicherungsrechtliche Leistungen können durch Vergleich erledigt werden (Art. 50 Abs. 1 ATSG). Die Bestimmungen des ATSG sind in der beruflichen Vorsorge grund- sätzlich nicht anwendbar, in der Literatur wird indessen einhellig die analoge Anwendbarkeit postuliert (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, Art. 2 Rz. 18 bis 20 mit Hinw.). Das EVG hat sich zur Zulässigkeit von Vergleichen bei der Tei- lung der Freizügigkeitsleistungen im versicherungsgerichtlichen Ver- fahren in BGE 132 V 337 ff. geäussert. Danach folgt aus Art. 141 Abs. 1 ZGB, dass den Parteien im Rahmen der Teilung der Aus- trittsleistung ein gewisser inhaltlicher Spielraum zukommt, da ihnen die Möglichkeit einer Einigung zugestanden wird. Jedoch besteht dieser Spielraum nach der Konzeption des Gesetzes primär im Rah- men des Scheidungsverfahrens, denn Art. 141 Abs. 1 in fine ZGB legt klar fest, dass die Genehmigung der Vereinbarung über die Tei- lung der Austrittsleistungen und die Art der Durchführung dieser Tei- lung durch das Gericht zu erfolgen hat. Die Bestimmung des Verhält- nisses, in welchem die Austrittsleistungen zu teilen sind, hat deshalb zwingend im Rahmen des Scheidungsverfahrens zu erfolgen (Erw. 2.3). Die Notwendigkeit der Teilung vor dem Scheidungsge- richt ändert jedoch nichts an der Möglichkeit der beteiligten Parteien, sich - mindestens in einem gewissen Rahmen und unter Zugrundele- gung des verbindlichen Teilungsschlüssels - im Verfahren vor dem Sozialversicherungsgericht über die Durchführung der Teilung der Austrittsleistung zu einigen. Eine solche Einigung der Parteien stellt 2007 Versicherungsgericht 65 prozessual einen Vergleich dar. Da das ATSG im Bereich der berufli- chen Vorsorge nicht anwendbar ist, kann die den Vergleich betref- fende Bestimmung des Art. 50 ATSG nicht massgebend sein. Die Zu- lässigkeit eines gerichtlichen Vergleichs ergibt sich für das letztin- stanzliche Verfahren jedoch aus Art. 40 und Art. 135 OG i.V.m. Art. 73 BZP, woraus sich auch die Möglichkeit zum Vergleichsab- schluss für das kantonale Verfahren ergibt (vgl. auch Art. 73 BVG). Falls der Inhalt des Vergleichs dem öffentlichen Recht untersteht und der Disposition der Parteien entzogen ist, hat das Gericht einen Ver- gleich als übereinstimmenden Antrag der Parteien zu betrachten und diesen auf seine Übereinstimmung mit Tatbestand und Gesetz zu überprüfen. Die Genehmigung eines solchen Vergleichs setzt voraus, dass das kantonale Versicherungsgericht dafür sachlich zuständig ist (Erw. 2.4 mit Hinw.). 3.3. Die von den Parteien abgeschlossene Vereinbarung respektiert den Grundsatz der hälftigen Teilung und trägt somit Art. 122 ZGB sowie dem Teilungsentscheid des Bezirksgerichts Brugg als Schei- dungsgericht Rechnung. Die Teilung der beidseitigen Freizügigkeits- guthaben erfolgt grundsätzlich per Rechtskraftdatum des Schei- dungsurteils. (...) Für das sachlich zuständige Versicherungsgericht (vgl. Erw. 1) besteht kein Anlass, den Vergleich nicht zu genehmi- gen, da er sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegt und dem übereinstimmenden Parteiwillen entspricht.
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