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2015 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 165 VI. Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 23 Beschwerdeinstanz in Bausachen; Zuständigkeit des Regierungsrats Ist ein Teilentscheid des BVU integrierender Bestandteil einer Baubewilli- gung und richtet sich der Beschwerdeantrag gegen die Baubewilligung als Ganzes, so ist der Regierungsrat für die Beurteilung der Beschwerde zu- ständig. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. März 2015 in Sachen A. gegen B. sowie Gemeinderat C. und Departement Bau, Verkehr und Um- welt (WBE.2014.355). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Die Zuständigkeit der rechtsanwendenden Behörde ist eine Sachurteilsvoraussetzung und als solche von Amtes wegen zu prüfen (vgl. § 8 Abs. 1 VRPG). Die Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen von Amtes wegen schliesst die Prüfung, ob auch im vorinstanzlichen Entscheid die Sachurteilsvoraussetzungen vorgelegen haben, ein (BGE 122 V 372, Erw. 1; 116 II 385, Erw. 2; VGE III/14 vom 13. April 2011 [WBE.2010.331], S. 5; VGE III/27 vom 19. Juni 2008 [WBE.2006.312], S. 6; VGE III/33 vom 1. Mai 1996 [BE.95.00084], S. 4 f.; M ICHAEL M ERKER , Rechtsmittel, Klage und Normenkontroll- verfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechts- pflege, Kommentar zu den §§ 38 - 72 [a]VRPG, Diss., Zürich 1998, Vorbemerkungen zu § 38 N 3 f.). Stellt die Rechtsmittelinstanz fest, dass bereits im vorinstanzlichen Verfahren eine Sachurteilsvoraus- setzung fehlte, kann der angefochtene Entscheid aus diesem Grund aufgehoben werden. Steht fest, dass die Vorinstanz einen Sachent- scheid ausgefällt hat, obwohl dies wegen fehlender Sachurteils- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 166 voraussetzungen nicht zulässig gewesen wäre, ist der vorinstanzliche Entscheid selbst dann aufzuheben, wenn dies von keiner Partei verlangt wurde (M ERKER , a.a.O., Vorbemerkungen zu § 38 N 4; vgl. zum Ganzen auch VGE III/14 vom 13. April 2011 [WBE.2010.331], S. 5 f.; VGE III/93 vom 4. September 2001 [BE.2000.00191], S. 9 f. und VGE III/128 vom 17. Dezember 2001 [BE.2000.00321], S. 8; ferner: F RITZ G YGI , Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 73; A TTILIO R. G ADOLA , Das verwaltungsinterne Beschwerdeverfahren, Diss., Zürich 1991, S. 182; M ARTIN B ERTSCHI , in: A LAIN G RIFFEL [Hrsg.], Kommentar VRG, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, Vorbemerkungen zu §§ 19-28a N 57; je mit Hinweisen). Wird gegen eine Zuständigkeitsvorschrift verstossen, liegt eine Rechtsverletzung vor, die das Verwaltungs- gericht zu prüfen hat (§ 55 Abs. 1 VRPG; VGE III/14 vom 13. April 2011 [WBE.2010.331], S. 6; VGE III/93 vom 4. September 2001 [BE.2000.00191], S. 10). 2.2. (...) 3. 3.1. Der Regierungsrat beurteilt u.a. Beschwerden gegen Entscheide letztinstanzlicher kommunaler Behörden (§ 50 Abs. 1 lit. b VRPG). Er kann seine Entscheidkompetenz oder die Entscheidvorbereitung durch Verordnung delegieren (§ 50 Abs. 2 VRPG). In Ausführung dieser Bestimmung hat der Regierungsrat seine Kompetenz zur Beur- teilung von Beschwerden gegen Entscheide der Gemeinderäte u.a. in Anwendung der Bau- und Umweltschutzgesetzgebung einschliess- lich der Gemeindebauvorschriften und der Vorschriften aus dem Be- reich der Wasserversorgung sowie in Anwendung der Gewäs- serschutzgesetzgebung an das BVU delegiert (§ 13 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 und 2 der Verordnung über die Delegation von Kompetenzen des Regierungsrats vom 10. April 2013 [Delegationsverordnung, DelV; SAR 153.113]). Wo der angefochtene Entscheid auf einer verbindlichen Weisung oder einem Teilentscheid eines Departements beruht und sich ein Beschwerdeantrag dagegen richtet, bleibt es bei der Zuständigkeit des Regierungsrats (§ 9 Abs. 2 DelV). 2015 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 167 Bezüglich der Baugesetzgebung findet sich in § 61 BauV ausserdem folgende Regelung: Gegen Entscheide des Gemeinderats in Anwendung der Baugesetzgebung kann innert 30 Tagen seit Zustellung beim Departement Bau, Verkehr und Umwelt Beschwerde geführt werden, soweit keine andere Behörde als zuständig erklärt wird (§ 61 Abs. 1 BauV). Beruht der Entscheid des Gemeinderats auf einem Teilentscheid eines Departements und richtet sich ein Be- schwerdeantrag gegen diesen Teilentscheid, ist der Regierungsrat zu- ständig (§ 61 Abs. 2 BauV). 3.2. Vorliegend beruht die Baubewilligung vom 28. April 2014 auf einem Teilentscheid der Abteilung für Baubewilligungen des BVU vom 24. Juni 2013. Dispositiv-Ziff. II/2 der Baubewilligung be- stimmt explizit, "Die Verfügung der Abteilung für Baubewilligungen des BVU ist integrierender Bestandteil dieser Bewilligung. Die Auflagen sind einzuhalten.", wobei die konkreten Auflagen in der Folge wörtlich aufgelistet werden. Dass ein Teilentscheid eines Departements vorliegt, auf dem der Baubewilligungsentscheid be- ruht, lässt sich damit nicht wegdiskutieren. Entsprechend der Bestim- mung von § 61 Abs. 2 BauV (und auch der Regelung in § 9 Abs. 2 DelV) ist für eine Beschwerde gegen den Baubewilligungsentscheid deshalb der Regierungsrat zuständig, wenn sich ein Beschwerdean- trag gegen diesen Teilentscheid richtet. Nach dem klaren Wortlaut soll explizit der " Beschwerdeantrag " für die Zuständigkeit von Be- deutung sein. Die Beschwerdeführerin beantragte vor Vorinstanz, der bau- rechtliche Entscheid vom 28. April 2014 (in Sachen Sanierung / Erneuerung [...]) sei aufzuheben und die nachgesuchte Baubewilli- gung sei zu verweigern. Der Beschwerdeantrag richtete sich damit gegen den Baubewilligungsentscheid als Ganzes, d.h. auch gegen den kantonalen Teilentscheid, da dieser ja integrierender Bestandteil der Baubewilligung ist (siehe oben). Für die Beurteilung der Be- schwerde wäre entsprechend § 61 Abs. 2 BauV (und § 9 Abs. 2 DelV) der Regierungsrat und nicht das BVU zuständig gewesen. 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 168 Die Vorinstanz und der Rechtsdienst des Regierungsrats folgern die Zuständigkeit demgegenüber aus der Beschwerdebegründung, was jedoch § 61 Abs. 2 BauV (und § 9 Abs. 2 DelV) widerspricht. 3.3. (...) 4. Zusammenfassend ist der vorinstanzliche Entscheid aufzuhe- ben, da die Vorinstanz trotz fehlender Zuständigkeit einen Sachent- scheid ausgefällt hat. Die Sache ist zur Beurteilung an den sachlich zuständigen Regierungsrat zu überweisen. (...)
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2018 Wahlen und Abstimmungen 271 VII. Wahlen und Abstimmungen 25 Gemeindebeschwerde (§ 30 GG) Fehlende Referendumsfähigkeit von (formellen) Gemeindeversamm- lungsbeschlüssen, insbesondere Nichteintretens- und Rückweisungs- beschlüsse Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 15. September 2017, in Sachen A. gegen Einwohnergemeinde Z. und DVI (WBE.2017.152). Aus den Erwägungen 1.3. Gemäss § 30 GG entscheidet die Gemeindeversammlung über die zur Behandlung stehenden Sachgeschäfte abschliessend, wenn die beschliessende Mehrheit wenigstens einen Fünftel der Stimmbe- rechtigten ausmacht. Positive und negative Beschlüsse der Gemeindeversammlung, die von weniger als einem Fünftel der Stimmberechtigten gefasst wurden, unterstehen gemäss § 31 Abs. 1 GG dem fakultativen Referendum. Nach geltendem Recht unter- stehen demnach sowohl die inhaltlich festgelegten und von der Ge- meindeversammlung angenommenen Rechtssätze und Verwaltungs- akte als auch entsprechend abgelehnte Vorlagen dem fakultativen Re- ferendum (ANDREAS BAUMANN, Aargauisches Gemeinderecht, 4. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2017, S. 197). Wie sich bereits aus ihrem Wortlaut ergibt, beziehen sich die Bestimmungen über die ab- schliessende Beschlussfassung und das Referendum (§ 30 f. GG) auf Sachgeschäfte (s. auch BAUMANN, a.a.O., S. 194 f.). Von diesen (un- ter Vorbehalt der abschliessenden Beschlussfassung gemäss § 30 GG) referendumsfähigen materiellen Beschlüssen zu unterscheiden sind formelle Beschlüsse, die ihrer Natur nach nicht dem Referen- 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 272 dum unterstellt werden können. Nicht referendumsfähig sind dem- nach Nichteintretens- und Rückweisungsbeschlüsse der Gemeinde- versammlung. Auch mit dem Beschluss, einen früheren Beschluss nicht in Wiedererwägung zu ziehen, tritt die Gemeindeversammlung auf ein Geschäft nicht ein. Analog verhält es sich in Gemeinden mit Einwohnerrat. Zu den nicht referendumsfähigen formellen Beschlüssen des Einwohnerrats zählen jene über den Gang und den Ablauf des parlamentsinternen Meinungsbildungs- und Entschei- dungsverfahrens, namentlich die (Nicht-)Eintretens- und Rückwei- sungsbeschlüsse (BAUMANN, a.a.O., S. 196). Daraus, dass der Gemeindeammann nicht im Voraus, sondern erst nach der Abstimmung über die Frage, ob der Gemeinde- versammlungsbeschluss vom 26. November 2012 betreffend den Verkauf der gemeindeeigenen Parzelle Nr. yyy an die B. Holding AG in Wiedererwägung gezogen werden soll, darauf hingewiesen hat, dass gegen diesen Beschluss das Referendum nicht ergriffen werden kann, kann der Beschwerdeführer somit nichts zu seinen Gunsten ableiten. Er ist in seiner Erwartung, gegen jeden ihm nicht genehmen Beschluss das Referendum ergreifen zu können, von vornherein nicht zu schützen, soweit es um formelle Beschlüsse geht, da diese - wie dargelegt - von Gesetzes wegen gar nicht referendumsfähig sind. Dass der Beschwerdeführer diesbezüglich vom Gegenteil ausging, ändert nichts, zumal ihm die Abstimmungsfragen und das Abstim- mungsprozedere aufgrund der gemeinderätlichen Erläuterungen zu Traktandum 12 mindestens 14 Tage vor der Gemeindeversammlung bekannt waren. Deshalb hätte er sich ohne weiteres im Voraus beim Gemeinderat oder beim DVI über die Referendumsmöglichkeiten erkundigen können. Folglich bleibt es dabei, dass der Beschwer- deführer sein Beschwerderecht verwirkt hat. (Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen diesen Entscheid mit Urteil vom 19. April 2018 [1C_596/2017] abgewie- sen.)
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2015 Strassenverkehrsrecht 63 I. Strassenverkehrsrecht 8 Art. 15d Abs. 1 lit. e SVG Ein Arztbericht, der sich nicht abschliessend zur Fahreignung oder Fahr- kompetenz der untersuchten Person äussert, sondern zusätzliche medizi- nische Abklärungen (einer anderen Fachrichtung) empfiehlt, stellt für sich genommen noch keine Meldung dar, derentwegen die betroffene Per- son einer Fahreignungsuntersuchung unterzogen werden darf. Erst an- hand der empfohlenen zusätzlichen medizinischen Abklärungen kann im Rahmen einer Gesamtwürdigung zuverlässig beurteilt werden, ob die vom Erstarzt geweckten Zweifel an der Fahreignung oder Fahrkompe- tenz einer Person für die Anordnung einer Fahreignungsuntersuchung ausreichen. Der Bericht des Zweitarztes muss nicht den Beweiswert eines nach anerkannten Methoden durchgeführten medizinischen Gutachtens aufweisen und die Verdachtsdiagnose des Erstarztes zweifelsfrei bestäti- gen oder widerlegen. Wird vom Zweitarzt schlüssig aufgezeigt, dass kein genügender Anfangsverdacht auf das Vorliegen einer die Fahrfähigkeit beeinträchtigenden Krankheit besteht, ist in Ermangelung einer ärztli- chen Meldung, die eine Fahreignungsuntersuchung als notwendig er- scheinen lässt, von der Anordnung einer solchen Massnahme abzusehen. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 18. März 2015, i.S. A. gegen das Departement Volkswirtschaft und Inneres (WBE.2014.363). Aus den Erwägungen II. 4.3.3. Aktueller Anlass für die vom Strassenverkehrsamt erlassene Verfügung ist ein Geschehen ausserhalb des Strassenverkehrs, wel- ches die Beschwerdeführerin nicht bestreitet: Es erging vor bald zwei 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 64 Jahren ein Bericht der Klinik, Z., Dr. med. B., Oberarzt Neurologie, vom 2. April 2013, welcher bei der Beschwerdeführerin wegen eines diagnostizierten phobischen Schwankschwindels eine psychiatrische Stellungnahme zur Einschätzung der Fahreignung bei phobischem Schwankschwindel empfohlen hatte. Auch Dr. med. C., Amtsarzt, unterstützte diese Empfehlung mit Schreiben vom 11. April 2013. Die Vorinstanz ist der Auffassung, dass sich die Beschwerdeführerin mit den psychiatrischen Abklärungen bei Dr. med. D. der Aufforde- rung des Strassenverkehrsamts in der Verfügung vom 1. November 2013 zur verkehrspsychiatrischen bzw. -psychologischen Begutach- tung (teilweise) unterzogen hat. Nicht bekannt ist und es wird weder von der Vorinstanz noch vom Strassenverkehrsamt behauptet ge- schweige denn substantiiert dargelegt, dass die Beschwerdeführerin seither und ebenso wenig im Vorfeld jenes Berichts im Strassenver- kehr auffällig geworden oder negativ in Erscheinung getreten wäre. Auch sind für die Beschwerdeführerin keine Warnungsentzüge oder andere Administrativmassnahmen aktenkundig. Es gibt damit keine Hinweise dafür, dass die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit SVG-Widerhandlungen mit Administrativmassnahmen begangen hätte, dies auch nicht als Folge einer allfällig bestehenden fehlenden Fahreignung aus psychiatrischen Gründen. Die ärztliche Empfehlung der Abklärung der Fahreignung der Beschwerdeführerin erscheint im Verlauf der Zeit als Ereignis ohne direkten Bezug zu Implikationen im Strassenverkehr, das als solches allein unter den vorliegenden Umständen sowie nach den bereits getätigten aktenkundigen Abklä- rungen nicht (mehr) geeignet ist, die Fahrfähigkeit der Be- schwerdeführerin ernsthaft in Frage zu stellen. 4.3.4. Der automobilistische Leumund der Beschwerdeführerin ist - ausweislich der Akten - ungetrübt. Die Beschwerdeführerin gewär- tigte bislang keinen Führerausweisentzug. Ebenso wenig wurde ihr bisher der Führerausweis vorsorglich entzogen und es erfolgten bis- her auch noch keine gutachterlichen Abklärungen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin im Strassenverkehr bisher nichts zuschulden kommen lassen hat. 4.3.5. 2015 Strassenverkehrsrecht 65 Mit Blick auf den ärztlichen Bericht von Dr. med. B. vom 2. April 2013 gilt es Folgendes zu beachten: Dr. med. B. hielt im be- sagten Bericht zusammenfassend fest, der neurologische Untersu- chungsbefund zeige keine relevanten Auffälligkeiten. Anamnestisch fänden sich keine Hinweise für Stürze, Synkopen oder Anfälle in den letzten Monaten. Die festgestellte multifaktorielle Gangstörung schrieb Dr. med. B. neben einer degenerativen HWS-Veränderung und einer leichten unspezifischen vestibulären Funktionseinschrän- kung einem phobischen Schwankschwindel zu. Aus neurologischer Sicht sei die Beschwerdeführerin aber geeignet, ein Fahrzeug zu füh- ren. Zur Beurteilung der Fahreignung bei phobischem Schwank- schwindel sollte laut Einschätzung von Dr. med. B. eine psychiatri- sche Stellungnahme erfolgen, da aus neurologischer Sicht nicht aus- geschlossen werden könne, dass während der Fahrt plötzlich ausbre- chende Angst oder Panik vom Verkehr ablenken könnte oder unbere- chenbare Fahrmanöver veranlasst würden. Mit anderen Worten konnte sich Dr. med. B., der Neurologe ist, nicht oder zumindest nicht abschliessend zu einer allfälligen psychiatrisch bedingten Einschränkung der Fahreignung der Be- schwerdeführerin äussern. Damit kann der ärztliche Bericht vom 2. April 2013 für sich ge- nommen - ohne die vom Neurologen empfohlene psychiatrische Ab- klärung der Auswirkungen des diagnostizierten phobischen Schwankschwindels auf die Fahreignung der Beschwerdeführerin - nicht als Meldung im Sinne von Art. 15d Abs. 1 lit. e SVG verstan- den werden, dass eine Person wegen einer körperlichen oder psychi- schen Krankheit oder eines Gebrechens Motorfahrzeuge nicht sicher führen kann. Als Grundlage für die direkte Anordnung einer ver- kehrsmedizinischen Begutachtung kann eine ärztliche Meldung nur dann dienen, wenn daraus ein genügender Anfangsverdacht für eine verkehrsmedizinisch relevante Problematik hervorgeht. Ein solcher bestand mit dem ärztlichen Bericht vom 2. April 2013 gerade noch nicht. Dr. med. B. hat nur, aber immerhin in den Raum gestellt, dass der von ihm diagnostizierte phobische Schwankschwindel einen Ein- fluss auf die Fahreignung der Beschwerdeführerin haben könnte. Die vorläufige Beurteilung dessen, ob eine Beeinträchtigung der Fahreig- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 66 nung in psychiatrischer Hinsicht vorliegt, wollte er jedoch erklärter- massen einem Psychiater überlassen. Das Strassenverkehrsamt hätte somit den ärztlichen Bericht vom 2. April 2013 nicht ohne weitere vorgängige Abklärungen zum Anlass nehmen dürfen, eine verkehrspsychiatrische bzw. -psycholo- gische Begutachtung anzuordnen. Vielmehr wäre es gehalten gewe- sen, entweder selbst die von Dr. med. B. empfohlene psychiatrische Stellungnahme einzuholen oder die von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs angebotenen Arztbe- richte abzuwarten, um anschliessend anhand einer vollständigen Ak- tenlage zu prüfen, ob sich der Anfangsverdacht auf eine verkehrs- medizinisch relevante Problematik erhärtet. Wenn aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht länger mit der Anordnung einer Fahreig- nungsabklärung hätte zugewartet werden dürfen, wie das Strassen- verkehrsamt in der Stellungnahme im vorinstanzlichen Verfahren vom 20. Dezember 2013 vorbrachte, hätte der Beschwerdeführerin der Führerausweis vorsorglich entzogen werden müssen, was nicht geschehen ist. Das Strassenverkehrsamt hat der Beschwerde gegen die Anordnung der Fahreignungsabklärung nicht einmal die aufschie- bende Wirkung entzogen. In unzutreffender Interpretation der Ausgangslage hat die Vorin- stanz angenommen, die Beschwerdeführerin habe sich im Laufe des vorinstanzlichen Verfahrens mit den psychiatrischen Abklärungen bei Dr. med. D. der vom Strassenverkehrsamt angeordneten verkehrspsy- chiatrischen bzw. -psychologischen Begutachtung unterzogen. Dem ist nicht so. Das Strassenverkehrsamt hat eine Begutachtung bei den Psychiatrischen Diensten Aargau AG, Klinik Königsfelden / Foren- sik, angeordnet. Mit dem Hinweis in der Beschwerdeantwort im vo- rinstanzlichen Verfahren, es werde einen ärztlichen Bericht von Dr. med. D. zur Fahreignung der Beschwerdeführerin prüfen und allen- falls gestützt darauf seine Verfügung vom 1. November 2013 in Wie- dererwägung ziehen, ist das Strassenverkehrsamt dem Anliegen der Beschwerdeführerin entgegengekommen, die Durchführung der angeordneten verkehrspsychiatrischen bzw. -psychologischen Begut- achtung doch noch zu vermeiden. Es wird denn in diesem Zusam- menhang auch ausdrücklich von einem Bericht , und nicht etwa von 2015 Strassenverkehrsrecht 67 einem Fahreignungsgutachten gesprochen. An einen solchen Arztbe- richt dürfen nicht die gleichen formellen und inhaltlichen Anforde- rungen geknüpft werden wie an ein Fahreignungsgutachten, was mit der unterschiedlichen Funktion der beiden Instrumente zu erklären ist. Anhand eines Arztberichts zu einer allfälligen psychischen Fahr- eignungseinschränkung der Beschwerdeführerin, wie er bis zum Arztbericht von Dr. med. D. vom 10. April 2014 (in dieser Form) nicht vorgelegen hat, kann erst zuverlässig beurteilt werden, ob es überhaupt ein verkehrsmedizinisches Fahreignungsgutachten braucht. Entsprechend hat die Vorinstanz die Messlatte für die Quali- tät des Arztberichts zu hoch angesetzt. Der Bericht muss - zwecks Vervollständigung des ärztlichen Berichts von Dr. med. B. vom 2. April 2013 - nicht mehr, aber auch nicht weniger beinhalten als eine ärztliche Meldung im Sinne von Art. 15d Abs. 1 lit. e SVG und folglich darauf Antwort geben, ob ein genügender Verdacht auf das Vorliegen einer die Fahrfähigkeit der Beschwerdeführerin beein- trächtigenden psychischen Krankheit besteht. Hingegen muss er eine entsprechende psychische Erkrankung nicht (mit vollem Beweiswert) ausschliessen. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, genügt die "Gutachterliche Stellungnahme" von Dr. med. D. vom 10. April 2014 diesen Anforderungen allemal. 4.3.6. Für den Beweiswert eines medizinischen Gutachtens ist gemäss den insoweit korrekten Ausführungen der Vorinstanz u.a. entschei- dend, ob es für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden ist, in der Beurteilung der Zusammenhänge und in der Beurteilung der Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Gutach- ters begründet sind. Die Beweiskraft eines von der Verwaltung einge- holten medizinischen Gutachtens oder ärztlichen Berichtes richtet sich nach den drei generellen Kriterien der Vollständigkeit, Nachvoll- ziehbarkeit und Schlüssigkeit (vgl. AGVE 2010, S. 85 ff. mit weite- ren Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung; vgl. BGE 133 II 384, Erw. 4.2.3). Wie gesehen (Erw. 4.3.5 hiervor), dür- fen diese Kriterien nicht unbesehen auf eine ärztliche Meldung im Sinne von Art. 15d Abs. 1 lit. e SVG angewandt werden. 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 68 Aus den Akten ergibt sich, dass Dr. med. D. in seiner Stellung- nahme vom 10. April 2014 samt Ergänzungen vom 9. Juli und vom 4. August 2014 aus ähnlichen Überlegungen, wie sie andere Fachper- sonen zuvor auch angestellt haben (...), zum gleichen Schluss ge- langte wie in seiner früheren Einschätzung gemäss Schreiben vom 5. November 2013, nämlich, dass die Fahreignung der Beschwerde- führerin gegeben sei. Die vorinstanzliche Kritik an der Stellungnah- me vom 10. April 2014 fällt grösstenteils zu generell und pauschal aus und orientiert sich zu Unrecht am strengeren Beurteilungsmass- stab für ein verkehrsmedizinisches Fahreignungsgutachten, welches Zweifel an der Fahreignung bestätigen oder beseitigen und - anders als die ärztliche Meldung gemäss Art. 15d Abs. 1 lit. e SVG - nicht bloss solche Zweifel im Hinblick auf eine allfällige Fahreignungsab- klärung begründen muss. Zutreffend ist, dass Dr. med. D. bloss sehr knapp darlegte, wo- rauf er seine ärztliche Beurteilung stützte. Ebenso trifft zu, dass er auf die Durchführung von Testverfahren (neuropsychologische Screeningverfahren) verzichtete und sich nicht vertieft mit der ak- tuellen Medikation der Beschwerdeführerin sowie der Einnahme anderer Substanzen auseinandersetzte. Es gilt jedoch zu berücksichti- gen, dass es sich bei Dr. med. D. um den behandelnden Arzt der Be- schwerdeführerin handelt, der ihre Krankengeschichte kennt und der zur Frage der Fahreignung bereits am 5. November 2013 einen Be- richt verfasst und darin klar festgehalten hatte, es bestehe aus psychiatrischer Sicht kein Hinweis auf klinisch relevante Beein- trächtigungen in Bezug auf ihre "Fahrtüchtigkeit". Diese Ein- schätzung deckt sich, wie erwähnt, mit derjenigen anderer Fach- personen, weshalb sich keine andere Schlussfolgerung aufdrängte. Im Weiteren beruht die Stellungnahme vom 10. April 2014 auf einer eingehenden Exploration der Beschwerdeführerin unter Würdigung ihrer Vorgeschichte und des Behandlungsverlaufs. Der Vorwurf der Unvollständigkeit ist mit Blick auf die Funktion des Arztberichts (Abklärung, ob Zweifel an der psychischen Fahreignung der Beschwerdeführerin gerechtfertigt sind) unberechtigt. Ebenso ist das Resultat der Stellungnahme vom 10. April 2014 entgegen der Auf- fassung der Vorinstanz nachvollziehbar und schlüssig. Wenn der 2015 Strassenverkehrsrecht 69 Gutachter ausführt, weitere prognostische und gutachterliche Fragen seien über eine verkehrsmedizinische Gutachterstelle abzuwickeln, so ist verständlich, dass eine solche Aussage im vorliegenden Kon- text auffällt. Indes heisst dies noch nicht, dass die Fahreignung der Beschwerdeführerin schon deswegen zu bezweifeln oder die Stellungnahme vom 10. April 2014 "wertlos" wäre, denn es resultiert daraus keineswegs eine Relativierung der eigenen Befunde. Als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH ist Dr. med. D. ohne weiteres in der Lage zu beurteilen, ob Anhaltspunkte für eine psychiatrisch bedingte Fahreignungseinschränkung (durch einen kli- nisch relevanten phobischen Schwankschwindel) bestehen, was er einleuchtend verneint hat. Erneut ist zu betonen, dass es nicht seine Aufgabe war, eine verkehrsmedizinische Fahreigungsbegutachtung mit allen dazugehörigen Testverfahren durchzuführen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb zur Beantwortung der Frage nach Zwei- feln an der Fahreignung der Beschwerdeführerin nicht auf die Stellungnahme von Dr. med. D. abgestellt werden könnte. Es können keine (ins Gewicht fallende) Unzulänglichkeiten erkannt werden. Weil sich den Arztberichten von Dr. med. B. vom 2. April 2013 und von Dr. med. D. vom 10. April 2014 in der gebotenen Gesamtbe- trachtung unter Einbezug der Fachrichtungen Neurologie und Psy- chiatrie nichts mehr entnehmen lässt, was ernsthafte Zweifel an der Fahreignung der Beschwerdeführerin aufkommen liesse, braucht es auch kein verkehrsmedizinisches Fahreignungsgutachten, um derarti- ge Zweifel zu entkräften. Insofern erweist sich der Entscheid der Vorinstanz, wonach es mit Bezug auf die Beurteilung der Fahreig- nung der Beschwerdeführerin wegen mangelhaften Gutachtens weitergehender Abklärungen bedürfe, als rechtsfehlerhaft. 4.3.7. (...) 4.3.8. Alsdann hat das Bundesgericht in seiner jüngsten Rechtspre- chung klargestellt, dass für Fahreignungsabklärungen grundsätzlich die gleichen Anforderungen gelten wie für den vorsorglichen Siche- rungsentzug des Führerausweises, und im Falle der Anordnung einer Fahreignungsabklärung in der Regel auch der Führerausweis vor- sorglich zu entziehen ist (Urteile des Bundesgerichts vom 27. Mai 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 70 2014 [1C_70/2014], Erw. 2.2, und vom 16. Januar 2014 [1C_748/2013], Erw. 3.3; vgl. auch P HILIPPE W EISSENBERGER , Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2015, Art. 15d N 12 f.; J ÜRG B ICKEL , in: M ARCEL A LEXANDER N IGGLI /T HOMAS P ROBST /B ERNHARD W ALDMANN , [H RSG .], Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, Basel 2014, Art. 15d N 12). Das Strassenverkehrsamt hat auf einen vorsorglichen Entzug des Führerausweises der Beschwerdeführerin (ursprünglich) verzichtet und - soweit aus den Akten ersichtlich - auch in der Zwischenzeit keinen solchen angeordnet, was darauf hindeutet, dass es die Verkehrssicherheit nicht akut gefährdet sieht. Für die Annahme einer Ausnahmesituation, in welcher die Bedenken an der Fahreignung der Betroffenen (knapp) ausreichen für die Anordnung einer Fahreignungsabklärung, nicht jedoch für den sich als schwerwiegenderen Eingriff zu qualifizierenden vorsorglichen Sicherungsentzug (vgl. zu dieser Ausnahmekonstellation auch W EISSENBERGER , a.a.O., Art. 15d N 13), besteht im vorliegenden Fall kein Raum, zumal auch weder die Vorinstanz noch das Strassenverkehrsamt entsprechende Überlegungen thematisieren. Dementsprechend drängt sich auch unter diesem Aspekt keine verkehrsmedizinische Begutachtung auf (vgl. auch W EISSENBERGER , a.a.O., Art. 15d N 96).
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AG_VG_001_AGVE-2015-8_2015-03-01
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2008 Verwaltungsgericht 232 [...] 39 Interkantonaler Unterstützungswohnsitz bei anerkannten Flüchtlingen. - Bei anerkannten Flüchtlingen, welche die Niederlassungsbewilligung erlangt haben, sind die Bestimmungen des ZUG über die Unterstüt- zung von Ausländern mit Wohnsitz in der Schweiz (Art. 20 i.V.m. Art. 4-10 ZUG) anwendbar (Erw. 1). 2008 Sozialhilfe 233 - Voraussetzungen eines Richtigstellungsbegehrens nach Art. 28 ZUG (Erw. 2.1). - Bestimmung des Unterstützungswohnsitzes (Erw. 2.3 und 2.4). Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 30. April 2008 in Sachen Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern gegen den Entscheid des Kantonalen Sozialdiensts (WBE.2007.257). Aus den Erwägungen 1. 1.1. (...) 1.2. Nach Art. 1 Abs. 3 ZUG richtet sich die Unterstützung von Asylsuchenden, Flüchtlingen, Schutzbedürftigen, vorläufig Aufge- nommenen und Staatenlosen nach besonderen Erlassen des Bundes. Es sind dies das AsylG sowie die dazugehörige Asylverordnung 2 über Finanzierungsfragen vom 11. August 1999 (Asylverordnung 2, AsylV 2; SR 142.312). Am 1. Januar 2008 sind die von der Bundesversammlung am 16. Dezember 2005 beschlossenen Änderungen des Asylgesetzes in Kraft getreten. Diese Änderungen enthalten keine übergangsrechtli- che Regelung, ob das alte oder das neue Recht auf hängige Verfahren betreffend die Ausrichtung von Fürsorgeleistungen und Kinderzula- gen gemäss Art. 80-84 AsylG (in der Fassung vom 26. Juni 1998 [AS 1999, S. 2262]) anwendbar ist. Deshalb ist auf die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung von neuem Recht auf hängige Verfahren abzustellen. Danach ist auf hängige Verfahren grundsätzlich das Recht anwendbar, welches im Zeitpunkt des Erlasses der angefoch- tenen Verfügung in Kraft war (BGE 127 II 306 Erw. 7c; 125 II 591 Erw. 4e/aa; AGVE 1999, S. 148 f.; Ulrich Häfelin / Georg Müller / Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2006, Rz. 326 f. mit Hinweisen). Vorliegend ist somit vom AsylG in der Fassung vom 26. Juni 1998 (aAsylG) und der da- 2008 Verwaltungsgericht 234 zugehörigen AsylV 2 in der Fassung vom 11. August 1999 (aAsylV 2) auszugehen. 1.3. Gemäss Art. 80 Abs. 1 aAsylG sind die Kantone zuständig für die Gewährleistung der Fürsorge für Personen, die sich gestützt auf das aAsylG in der Schweiz aufhalten. Für die Ausrichtung von Für- sorgeleistungen gilt kantonales Recht (Art. 82 Abs. 1 aAsylG). Ge- mäss Art. 88 aAsylG zahlt der Bund den Kantonen Pauschalen für die entstandenen Kosten. Bei Flüchtlingen werden die Kosten bis zum Tag, an dem sie die Niederlassungsbewilligung erhalten oder ein Anspruch auf Niederlassung nach Art. 60 Abs. 2 aAsylG entsteht, vergütet (Abs. 3). In Spezialfällen vergütet der Bund die Fürsorgelei- stungen für Flüchtlinge auch nach der Erteilung der Niederlassungs- bewilligung (Abs. 4 i.V.m. Art. 23 aAsylV 2). Asylsuchende werden vom Bundesamt den Kantonen zugewie- sen (Art. 27 Abs. 3 aAsylG). Jeder Kanton gewährleistet hernach die Fürsorge für die ihm zugewiesenen Personen (Art. 80 Abs. 1 aAsylG [vgl. dazu auch dieselbe Bestimmung in der Neufassung vom 16. Dezember 2005, in welcher der Begriff "Zuweisungskantone" verwendet wird]). Die Zuständigkeit wird somit grundsätzlich auf den Zuweisungskanton bezogen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die Zuständigkeit geregelt werden soll, wenn eine asylsuchende Per- son nicht nur zu ihrem Zuweisungskanton, sondern auch noch zu ei- nem anderen Kanton in persönlicher Beziehung steht. Eine solche Situation kann sich ergeben, wenn ein Flüchtling nach Erteilung der Niederlassungsbewilligung nicht mehr an den Zuweisungskanton ge- bunden ist, sondern seinen Wohnsitz frei in einen anderen Kanton verlegen darf. Bestimmungen zur Regelung solcher interkantonaler Sachverhalte enthält das Asylgesetz nicht. 1.4. 1.4.1. Eine Gesetzeslücke liegt vor, wenn der betreffende Erlass nach den ihm zugrundeliegenden Ziel- und Wertvorstellungen eine plan- widrige Unvollständigkeit aufweist und deshalb anzunehmen ist, der Gesetzgeber hätte, wäre er sich dieser Tatsache bewusst gewesen, anders entschieden (BGE 102 Ib 224 Erw. 2; AGVE 1989, S. 311; 2008 Sozialhilfe 235 1986, S. 333; Häfelin / Müller / Uhlmann, a.a.O., Rz. 243 ff., je mit Hinweisen). 1.4.2. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber sich bei Erlass von Art. 1 Abs. 3 ZUG nicht bewusst war, dass sich bei der Unterstützung ausländischer Flüchtlinge interkantonale Zustän- digkeitsfragen stellen können, welche durch die Asylgesetzgebung nicht hinreichend beantwortet werden. Nur so ist zu erklären, dass Art. 1 Abs. 3 ZUG die Geltung des ZUG für die Unterstützung von Flüchtlingen generell ausschliesst und auf die Asylgesetzgebung verweist, obwohl diese sich bei der Zuständigkeitsregelung auf den Zuweisungskanton beschränkt und keine Bestimmungen zur Rege- lung interkantonaler Sachverhalte im Bereiche der Unterstützungszu- ständigkeit enthält. Es besteht somit eine Regelungslücke. 1.4.3. In Bezug auf die Rechtsstellung der Flüchtlinge verweist Art. 58 aAsylG auf das für Ausländerinnen und Ausländer geltende Recht sowie das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (SR 0.142.30 [Flüchtlingsabkommen]). Für Aus- länder mit Wohnsitz in der Schweiz ist das ZUG anwendbar. Sie werden gemäss Art. 20 Abs. 1 ZUG vom Wohnkanton unterstützt, soweit es dessen Gesetzgebung, das Bundesrecht oder völkerrechtli- che Verträge vorsehen. Ihr Unterstützungswohnsitz bestimmt sich daher auch nach den Bestimmungen von Art. 4 ff. ZUG (Werner Thomet, Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger, 2. Auflage, Zürich 1994, Rz. 225). Die personenrechtliche Stellung der Flüchtlinge bestimmt sich nach dem Wohnsitzland (Art. 12 Flüchtlingsabkommen), und gemäss Art. 23 Flüchtlingsabkommen ist den Flüchtlingen die gleiche Für- sorge und öffentliche Unterstützung zu gewähren wie den Einheimi- schen. Für Ausländer und Schweizer Bürger sind aufgrund der in Art. 115 Satz 2 BV vorgesehenen Zuständigkeitsregelung die beson- deren (Ausnahme-) Bestimmungen über den Unterstützungswohnsitz im ZUG anwendbar. Sinn der genannten Verfassungsbestimmung ist es, eine Benachteiligung der Kantone durch einen "Unterstützungs- tourismus" zu verhindern (vgl. Botschaft über eine neue Bundesver- 2008 Verwaltungsgericht 236 fassung vom 20. November 1996 [96.091], Separatdruck, S. 329). Sachliche Gründe dafür, dass die Bestimmungen des ZUG auf aner- kannte Flüchtlinge mit einer Niederlassungsbewilligung nicht an- wendbar sind, lassen sich nicht erkennen. Zusammenfassend sind bei anerkannten Flüchtlingen, welche die Niederlassungsbewilligung erlangt haben, die Bestimmungen des ZUG über die Unterstützung von Ausländern mit Wohnsitz in der Schweiz (Art. 20 i.V.m. Art. 4-10 ZUG) anwendbar. Nur ein solches Ergebnis verhindert Widersprüche mit den erwähnten Grundentschei- dungen des Bundesgesetz- und Verfassungsgebers. 1.4.4. Die Beschwerdeführerin geht zwar ebenfalls davon aus, dass die Frage nach dem Unterstützungswohnsitz im vorliegenden Fall gestützt auf das AsylG nicht beantwortet werden kann. Sie beruft sich aber auf Art. 115 BV und macht geltend, dass auf den zivil- rechtlichen Wohnsitz abzustellen sei. Die Beschwerdeführerin ver- kennt dabei, dass Art. 115 Satz 2 BV die Verfassungsgrundlage für das ZUG bildet. Dieses präzisiert in dem durch die Verfassung vor- gegebenen Rahmen, welcher Kanton für die Fürsorge zuständig ist, und regelt den Ersatz unter den Kantonen (Art. 1 Abs. 1 und 2 ZUG). Art. 115 Satz 2 BV lässt somit grundsätzliche Ausnahmen zur Unter- stützungszuständigkeit des Wohnkantons (Art. 115 Satz 1 BV) durch den Bundesgesetzgeber zu. Die Ausnahmen sind daher gestützt auf das ZUG zu ermitteln. 1.5. X. ist ein Flüchtling, der nach seiner Einreise in die Schweiz am 4. Juni 1980 dem Kanton Bern zugewiesen wurde. Am 17. Juni 1988 wurde ihm von der Fremdenpolizei des Kantons Bern die Niederlas- sungsbewilligung erteilt. Deshalb können im vorliegenden Fall die Bestimmungen des ZUG über die Unterstützung von Ausländern mit Wohnsitz in der Schweiz (Art. 20 i.V.m. Art. 4-10 ZUG) zur Beant- wortung der Frage nach dem Unterstützungswohnsitz herangezogen werden (siehe vorne Erw. 1.4.3). Dass X. zu einer Gruppe von Flüchtlingen gehört, welche im Rahmen eines Sonderprogramms des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) aufgenommen wurden und bei denen der Bund den Kantonen die Fürsorgeleistun- 2008 Sozialhilfe 237 gen auch nach der Erteilung der Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 88 Abs. 4 aAsylG i.V.m. Art. 23 Abs. 1 lit. a aAsylV 2 weiterhin vergütet, ändert daran nichts. Diese Bestimmungen regeln einzig die vertikale Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, nicht aber die interkantonale Zuständigkeit. Die Anwendung des ZUG im vorliegenden Fall beinhaltet grundsätzlich auch die Möglichkeit, ein Richtigstellungsbegehren gemäss Art. 28 ZUG zu stellen. 2. Im Folgenden ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Richtigstellung gegeben sind. 2.1. Ein beteiligter Kanton kann eine Richtigstellung verlangen, wenn ein Unterstützungsfall offensichtlich unrichtig geregelt oder beurteilt worden ist (Art. 28 Abs. 1 ZUG). Die Richtigstellung kann als ein der Revision nachgebildetes Rechtsinstitut bezeichnet werden. Indes beschränkt sich die Richtigstellung nicht auf die klassischen Revisionsgründe, wie sie etwa in Art. 121-123 BGG oder in Art. 66 VwVG enthalten sind. Vielmehr kann ein Kanton die Richtigstellung verlangen, sobald er entdeckt, dass die bisherige Regelung des Falls, auf die sich die Kantone ausdrücklich oder stillschweigend geeinigt hatten, auf einem Sachverhalt beruhte, den sie irrtümlich als richtig betrachteten. Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Richtig- stellung hebt die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts, insbesondere die sich aus der formellen Rechtskraft von Verfügungen ergebenden Folgen, jedoch nicht auf. Aus Art. 28 ZUG lässt sich da- her nicht ein vorbehaltloser Anspruch auf Korrektur sachlich nicht voll befriedigender Unterhaltsregelungen ableiten, mit dem sich die Folgen einer versäumten Rechtsmittelfrist jederzeit rückgängig ma- chen lassen. Vielmehr folgt aus dem in Art. 28 ZUG verwendeten Ausdruck "offensichtlich", dass qualifizierte Gründe für eine Rich- tigstellung sprechen müssen und es nicht ausreicht, wenn sich eine andere Lösung ebenfalls mit sachlichen Erwägungen vertreten lässt (BGE vom 10. Juli 2007 [2A.714/2006], Erw. 2.1 mit Hinweisen). Nach Art. 28 Abs. 3 ZUG besteht ein Anspruch auf Richtigstellung 2008 Verwaltungsgericht 238 nur für Unterstützungsleistungen, die in den letzten fünf Jahren vor dem Begehren ausgerichtet worden sind. 2.2. X. reiste am 4. Juni 1980 zusammen mit seinen Eltern in die Schweiz ein. Er wurde von den Bundesbehörden zuerst dem Kanton Bern zugewiesen. Seit seiner Einreise in die Schweiz war er in R. BE angemeldet. X. ist anerkannter Flüchtling. Am 17. Juni 1988 wurde ihm die Niederlassungsbewilligung erteilt. Bereits im Jahre 1981 trat X. wegen seiner schweren Behinderung (Epilepsie) in die Klinik Bethesda in Tschugg BE ein. Die Eltern von X. wurden ebenfalls als Flüchtlinge anerkannt und erhielten die Niederlassungsbewilligung. Am 1. Januar 1991 zogen sie von R. BE nach Y. AG. Am 25. Mai 1992 wurde X. von der Klinik Bethesda in das Heim Z. in Q. AG verlegt. Seine Eltern zogen am 1. Juni 2000 von Y. nach A. BL. Am 7. August 2000 errichtete die Vormundschaftsbehörde Y. AG für X. eine Vormundschaft. 2.3. Die revidierte Fassung des ZUG (Fassung vom 14. Dezember 1990) ist am 1. Juli 1992 in Kraft getreten. Der vorliegende Sachver- halt geht zurück bis in das Jahr 1980. Das neue Recht ist jedoch auf alle Unterstützungsfälle anwendbar, unabhängig davon, ob sie neu aufgenommen, wieder aufgenommen oder weitergeführt werden (Thomet, a.a.O., Rz. 320). Gemäss Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG hat das unmündige Kind, wenn es dauernd nicht bei seinen Eltern wohnt, einen eigenen Unterstüt- zungswohnsitz am letzten Unterstützungswohnsitz nach den Absät- zen 1 und 2. Der Unterstützungswohnsitz befindet sich somit am letzten Unterstützungswohnsitz, den das unmündige Kind gemein- sam mit seinen Eltern bzw. mit einem Elternteil geteilt hat. Sobald ein solches Kind das Mündigkeitsalter erreicht hat, richtet sich der Unterstützungswohnsitz nach den Art. 4-10 ZUG. Grundsätzlich bleibt jedoch der bisherige Unterstützungswohnsitz nach Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG über das Mündigkeitsalter hinaus weiterhin beste- hen, solange der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung andauert. Dies gilt auch dann, wenn zwischenzeitlich ein nahtloser Wechsel in eine andere stationäre Einrichtung erfolgt, da der Eintritt in eine 2008 Sozialhilfe 239 stationäre Einrichtung einen bestehenden Unterstützungswohnsitz nicht begründet bzw. beendigt (Art. 5 und Art. 9 Abs. 3 ZUG). Das Bundesgericht hat dazu indessen festgehalten, dass die Unterbrin- gung in einem Heim nicht dazu führe, dass der Unterstützungswohn- sitz praktisch nicht mehr ändern könne. Wenn davon auszugehen sei, dass die unterstützungsbedürftige Person ihre Beziehungen zum bisherigen Kanton abbreche und in subjektiver sowie objektiver Hin- sicht ein neues Verhältnis zu einem anderen Kanton begründet habe, könne der Unterstützungswohnsitz trotz ununterbrochenen Aufent- halts in einem Heim wechseln. Dies könne etwa der Fall sein, wenn die wichtigsten Bezugspersonen in einen neuen Kanton umzögen und die unterstützungsbedürftige Person ihnen durch eine Heimverlegung folge, sofern dies nicht hauptsächlich durch medizinische, sondern durch andere wie insbesondere familiäre Gegebenheiten begründet sei (BGE vom 10. Juli 2007 [2A.714/2006], Erw. 3.3). Diese Grundsätze für die Bestimmung des Unterstützungs- wohnsitzes kommen gemäss Art. 20 ZUG auch bei Ausländern mit Wohnsitz in der Schweiz zur Anwendung und sind damit auch im vorliegenden Fall anwendbar (siehe vorne Erw. 1.5). 2.4. 2.4.1. Es ist unbestritten, dass X. einen Unterstützungswohnsitz im Kanton Bern begründet hat, indem er nach seiner Einreise in die Schweiz vorerst zusammen mit seinen Eltern in R. BE wohnte. Die- ser (unselbständige; siehe dazu Thomet, a.a.O., Rz. 117) Unterstüt- zungswohnsitz blieb nach seiner Platzierung in der Klinik Bethesda in Tschugg BE bestehen und wurde zu seinem selbstständigen Wohn- sitz gemäss Art. 7 Abs. 3 ZUG (Thomet, a.a.O., Rz. 120 und 127). 2.4.2. Der Kantonale Sozialdienst weist darauf hin, dass am 25. Mai 1992 bei X. ein nahtloser Wechsel von der Klinik Bethesda in Tschugg BE in das Heim Z. in Q. AG erfolgt sei. Er macht zudem geltend, dass X. nicht aus familiären Gründen in den Aargau verlegt worden sei, sondern vielmehr aus finanziellen Gründen. Nachdem sich seine Eltern in Y. niedergelassen hätten, sei (der noch unmün- dige) X. ebenfalls zivilrechtlich im Kanton Aargau angemeldet, je- 2008 Verwaltungsgericht 240 doch noch im Kanton Bern hospitalisiert gewesen. Dies habe dazu geführt, dass der Kantonsärztliche Dienst des Kantons Aargau mas- sive Kosten für die ausserkantonale Hospitalisation habe überneh- men müssen. Der Kantonale Sozialdienst belegt seine Darstellung mit dem Briefverkehr zwischen der Caritas Aargau und der Sozial- kommission Y., der Psychiatrischen Klinik Königsfelden und der Klinik Bethesda in Tschugg BE sowie dem Kantonsärztlichen Dienst des Kantons Aargau und dem Kantonalen Sozialdienst des Kantons Aargau. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass die Verlegung aus- schliesslich aus finanziellen Gründen erfolgt sei, und macht geltend, dass es für die Pflege der Kontakte zwischen X. und dessen Angehö- rigen von Vorteil gewesen sei, wenn er in ein Heim in geringerer räumlicher Distanz vom Wohnort seiner Familienangehörigen habe eintreten können. Ausweislich der Akten haben familiäre Gründe bei der Verle- gung von X. keine Rolle gespielt. Dies wird zum einen dadurch be- stätigt, dass seine Betreuung überwiegend von der Caritas wahrge- nommen wurde, welche sich um die Verlegung nach Z. bemühte. Seine Eltern zogen am 1. Juni 2000 nach A. (BL) um, ohne dass sich der Aufenthalt von X. mit dem Ziel, die räumliche Distanz zu ihnen zu verringern, veränderte; sie waren auch überfordert. Aus dem er- wähnten Briefverkehr geht zudem eindeutig hervor, dass der Haupt- grund für die Verlegung in ein Heim im Kanton Aargau die anfallen- den Auslagen für die ausserkantonale Hospitalisierung waren. Der Anstoss für eine Verlegung ging denn auch vom Kantonsärztlichen Dienst aus. Für das Verwaltungsgericht ist deshalb erstellt, dass die Verlegung von X. von der Klinik Bethesda in Tschugg BE in das Heim Z. in Q. AG nicht zu einem Wechsel des Unterstützungswohn- sitzes geführt hat. Somit liegt eine falsche Regelung der Unterstüt- zungszuständigkeit vor. 2.4.3. Der Kantonale Sozialdienst hat das Begehren um Richtigstel- lung am 27. Juli 2006 gestellt. Materielle Unterstützung wurde X. erstmals mit Wirkung ab 1. Februar 2001 gewährt und dem Bundes- amt für Flüchtlingen (heute: Bundesamt für Migration) gemeldet. 2008 Sozialhilfe 241 Der Bund leistete daraufhin dem Kantonalen Sozialdienst eine Kos- tenvergütung für das 1.-3. Quartal 2001. Per 1. Januar 2003 ist SPG in Kraft getreten (AGS 2002, S. 275). Gleichzeitig wurde das Sozialhilfegesetz vom 2. März 1982 (SHG) - abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen - aufgeho- ben (§ 61 Abs. 1 lit. a SPG). Während nach SHG Sozialhilfeaufwen- dungen für Personen aus dem Ausland ausschliesslich vom Kanton zu tragen waren (Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat vom 30. Juni 1999 betreffend SPG [99.226], S. 8 f.), ist nach SPG die Gemeinde zahlungspflichtig für die Kosten der materiellen Hilfe - auch der Ausländerinnen und Ausländer (Botschaft, S. 8 f.) -, wo- bei ihr der Kanton einen Beitrag leistet, dessen Höhe abhängig ist von der Anzahl der Fälle, bezogen auf die Bevölkerung der Ge- meinde, sowie den pro Einwohnerin und Einwohner der Gemeinde entstandenen Nettoaufwendungen im Vergleich zum Kantonsmittel (§ 47 Abs. 1 SPG; § 49 Abs. 1 i.V.m. § 47 Abs. 3 lit. a und b SPG). Die Defizite im Fürsorgefall X. gingen damit zu Lasten der Ge- meinde Y., wobei erst bei der Abrechnung Ende 2003 feststand, dass der Kanton diese Defizite nicht mehr trägt und sie somit bei der Ge- meinde anfielen. Erst zu diesem Zeitpunkt bestand für die Sozialbe- hörden somit Anlass zu einer Abklärung der Fürsorgezuständigkeit. Der Kantonale Sozialdienst legt glaubhaft dar, er sei zuerst da- von ausgegangen, dass eine Fürsorgezuständigkeit des Bundes weiter bestehe. Er hat deshalb den Bund um Vergütung des monatlichen Fehlbetrags im Budget von X. gebeten. Nachdem feststand, dass der Bund wegen der mit der Revision des AsylG vom 26. Juni 1998 ein- geführten Pauschalierung der Bundesbeiträge nicht mehr für das Restdefizit von X. aufkam, machte sich der Kantonale Sozialdienst umgehend daran, tatsächliche und rechtliche Abklärungen bezüglich des Unterstützungswohnsitzes vorzunehmen. Es kann deshalb dem Kantonalen Sozialdienst nicht vorgeworfen werden, er habe es ver- säumt, den Sachverhalt rechtzeitig und vertieft abzuklären. Jedenfalls erweist sich eine Verzögerung in der Richtigstellung angesichts der komplexen rechtlichen und tatsächlichen Situation entschuldbar (vgl. BGE vom 10. Juli 2007 [2A.714/2006], Erw. 3.5).
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2000 Verwaltungsrechtspflege 391 [...] 91 Ausstand (§ 5 Abs. 1 und 2 VRPG). - Es ist mit der Ausstandspflicht vereinbar, dass am Entscheid nicht unmittelbar beteiligte Amtsstellen von Bauherren vorgängig der Bau- gesuchseinreichung konsultiert werden; die Ratsuchenden sind auf die Unverbindlichkeit entsprechender Auskünfte hinzuweisen (Erw. 2/b). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. September 2000 in Sachen A. AG gegen Regierungsrat. Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdegegnerin beabsichtigt, auf der Parzelle Nr. 715 der Erbengemeinschaft G. nach vorgängigem Abbruch des bestehenden Wohnhauses und der bestehenden Garage (Gebäude Nrn. 909 und 792) eine Tankstelle mit Shop und Waschanlage zu er- richten. Der Tankstellenbereich umfasst acht überdachte Betankungs- plätze und eine Zweitakt-Säule. Das vorfabrizierte Shop-Gebäude hat eine Grundfläche von 18,00 m x 12,00 m; im Gebäude integriert sind ein Verkaufsraum von 143 m 2 Grundfläche und die notwendigen Nebenräume. Die ebenfalls vorfabrizierte Waschanlage weist eine Grundfläche von 10,35 m x 5,00 m auf. Zwischen dem Shop-Ge- bäude und der Waschanlage wird der Technik- und Geräteraum er- stellt. 2. Die Beschwerdeführerin macht vorab geltend, aufgrund der Akten stehe fest, dass die Bauherrschaft die Verkehrsführung gemäss Baugesuch mit X. von der Abteilung Verkehr des Baudepartements 2000 Verwaltungsgericht 392 vorbesprochen und dieser sie als in Ordnung befunden habe; diese Vorbefassung habe zu einer Voreingenommenheit geführt, weshalb sich X. gemäss § 5 VRPG in den Ausstand hätte begeben müssen. Der Regierungsrat hat diese Rüge verworfen. a) Weil das Baugrundstück an die Kantonsstrasse K 110 an- grenzt, wurden mit dem Baugesuch auch kantonale Amtsstellen be- fasst. Bereits am 13. Dezember 1996 war das geplante Bauvorhaben zwischen der Bauherrschaft sowie Vertretern der Stadt Aarau und der Abteilung Verkehr des Baudepartements vorbesprochen worden; nachdem das Baugesuch am 5. Juni 1997 eingereicht worden war, fand am 19. Juni 1997 zwischen den Abteilungen Tiefbau und Ver- kehr des Baudepartements eine Besprechung statt, an welcher die Vertreter der Abteilung Verkehr (X. und Y.) die Rahmenbedingungen bekannt gaben. Entsprechend stellten die Abteilungen Tiefbau und Verkehr in ihren Mitberichten vom 20. Juni bzw. 17. Juli 1997 an die Baugesuchszentrale u. a. den Antrag, die verkehrsmässige Erschlies- sung der Anlage mit Einfahrt über einen neuen südwestlichen An- schluss (mit signalisiertem Ausfahrverbot) und Ausfahrt über den be- stehenden nordöstlichen Weganschluss sei nur auf Zusehen hin zu tolerieren, und vor Beginn der Bauarbeiten hätten Absprachen über die Verkehrsführungen und Signalisationen zu erfolgen. In diesem Sinne nahm die Baugesuchszentrale in ihre Verfügung vom 30. Juli 1997 eine Auflage auf, wonach das von den erwähnten Abteilungen vorgeschlagene Verkehrsregime (Einfahrt über den neuen Anschluss, Ausfahrt über den bestehenden Weganschluss) lediglich auf Zusehen hin toleriert werde; vor Beginn der Bauarbeiten seien die Verkehrsführungen und Signalisierungen im Bereich der bestehenden Wegeinmündung mit Rücksicht auf die bestehende Tankstelle und die Anlieferung mit Grossfahrzeugen mit dem Nachbarbetrieb und der Verkehrspolizei abzusprechen. Im Nachgang zur stadträtlichen Einspracheverhandlung mit Augenschein vom 17. September 1997, an der u. a. auch X. teilnahm, ersuchte hierauf das Stadtbauamt die Baugesuchszentrale mit Schreiben vom 10. Oktober 1997, eine 2000 Verwaltungsrechtspflege 393 Lösung zu treffen, die ,,lediglich die betroffene Parzelle 715 sowie allenfalls die mit Dienstbarkeiten sichergestellte Zufahrt" tangiere. In einem Mitbericht vom 28. Oktober 1997 an die Baugesuchszentrale stellte sodann X. in seiner Eigenschaft als Chef der Sektion Ver- kehrsplanung unter Bezugnahme auf den Augenschein vom 17. Sep- tember 1997 fest, dass die Eigentümerin der Nachbarparzelle Nr. 716 (= Beschwerdeführerin) nicht bereit sei, zu einer gemeinsamen Lösung Hand zu bieten; gestützt auf die neue Ausgangslage sei die Teilverfügung der Baugesuchszentrale vom 30. Juli 1997 dahin- gehend zu überprüfen, dass eine Absprache mit der Eigentümerin der Parzelle Nr. 716 entfalle und lediglich eine Optimierung der Ver- kehrsverhältnisse im Bereich der Ausfahrt gemäss Korrektur im Situationsplan 1:100 Nr. 96118-01 vom 30. Mai 1997 zu erfolgen habe. In einem weiteren Mitbericht vom 14. November 1997 erklärte sich der Chef der Sektion Verkehrsplanung auch damit einverstan- den, dass die Verkehrsführung aufgrund des von der Bauherrschaft eingereichten, vom 20. Oktober 1997 datierten Situationsplans 1:100 Nr. 96118-10 erfolge. Mit Teilverfügung vom 25. November 1997 (,,Änderung und Ergänzung der Zustimmung vom 30. Juli 1997") legte die Baugesuchszentrale die einschlägigen Auflagen abschlies- send wie folgt fest: ,,(...) 3. (Neu) Die Erschliessung der Anlage mit Einfahrt über einen neuen südwest- lichen Anschluss und Ausfahrt über den bestehenden nordöstlichen Weganschluss wird lediglich auf Zusehen hin toleriert. Dieses Regime ist nach Absprache mit dem Aargauischen Polizeikommando / Ver- kehrspolizei (...) zu signalisieren. Die Verkehrsverhältnisse im Bereich der Ausfahrt sind gemäss Korrektur im Plan 1:100, Nr. 96118-01, Eingang Baugesuchszentrale am 13. Okt. 1997, zu optimieren. (...) 6. Entfällt. (...)" b) § 5 VRPG lautet wie folgt: 2000 Verwaltungsgericht 394 1 Behördemitglieder und Sachbearbeiter dürfen beim Erlass von Ver- fügungen und Entscheiden nicht mitwirken, wenn ein Ausstandsgrund im Sinne der Zivilprozessordnung vorliegt. 2 Sie haben sich insbesondere in Ausstand zu begeben, wenn sie selbst oder ihnen nahe verbundene Personen an der Verfügung oder dem Entscheid persönlich interessiert sind, sowie in Angelegenheiten von juristischen Personen, deren Verwaltung sie oder ihnen nahe verbun- dene Personen angehören, ferner wenn sie in der Sache schon in einer untern Instanz, oder als Berater oder Vertreter eines Beteiligten mit- gewirkt haben. 3 (...)" Ein Ausstandsgrund im Sinne des Zivilrechtspflegegesetzes (Zivilprozessordnung, ZPO) vom 18. Dezember 1984 liegt nicht vor und wird auch nicht geltend gemacht. Ebenso wenig wird behauptet, X. oder ihm Nahestehende verträten im vorliegenden Fall persönli- che Interessen. Demnach kann sich die Ausstandspflicht nur aktuali- sieren, wenn X. in der Sache schon in einer untern Instanz oder als Berater oder Vertreter eines Beteiligten mitgewirkt hat. Dies ist zu verneinen. Fest steht zunächst, dass der Chef der Sektion Verkehrs- planung nicht - wie in § 5 Abs. 2 VRPG vorausgesetzt - auf zwei hierarchisch unterschiedlichen Verfahrensstufen tätig gewesen ist. Dazu kommt, dass der erwähnte Sachbearbeiter an keinen Entschei- den ,,mitgewirkt" hat. Entscheidungsträger waren im erstinstanzli- chen Verfahren die Baugesuchszentrale (nach Massgabe von § 63 lit. b BauG) und der Stadtrat; die Funktion des Chefs der Sektion Verkehrsplanung erschöpfte sich darin, das Fachwissen seiner Amts- stelle im Sinne einer Antragstellung in die Meinungsbildung der kanntonalen Koordinationsstelle einzubringen. Zumindest in der ver- waltungsinternen Rechtspflege, wo nicht die gleich strengen Mass- stäbe gelten wie in Bezug auf die verwaltungsunabhängigen Organe (Thomas Merkli / Arthur Aeschlimann / Ruth Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 9 N 8), rechtfertigt es sich, den Begriff der ,,Mitwirkung" in einem rein formalen Sinne aufzufassen (so auch VGE III/21 vom 2000 Verwaltungsrechtspflege 395 22. März 1996 in Sachen M., S. 5 ff., in Bezug auf die kantonale Denkmalpflege, welche einerseits in der ,,untern Instanz" am Baubewilligungsentscheid mitwirkte, anderseits im Verwaltungsbe- schwerdeverfahren als Fachstelle Stellungnahmen abgab). Andern- falls würde die namentlich im Zusammenhang mit der Planung komplexer Bauvorhaben durchaus sinnvolle Beratungstätigkeit der Verwaltung verunmöglicht. Es mag dahingestellt bleiben, ob sich § 28 ABauV, der sogar zulässt, dass die Entscheidungsträger selber (Gemeinderat und kantonale Koordinationsstelle) vor der Einrei- chung eines Baugesuchs um unverbindliche Auskünfte und Stel- lungnahmen ersucht werden, in allen Teilen mit der gesetzlich gere- gelten Ausstandspflicht verträgt; die diesbezüglichen Bedenken der Beschwerdeführerin, wären in einer vertieften Prüfung zu hinterfra- gen (vgl. zur Problematik auch: AGVE 1984, S. 443 f.), wofür im vorliegenden Verfahren kein Anlass besteht. Jedenfalls kann es nicht unzulässig sein, dass am Entscheid nicht unmittelbar beteiligte Amtsstellen des Kantons von Bauherren konsultiert werden, um ,,ab- zutasten, ob das Bauvorhaben überhaupt möglich ist"; von selbst versteht sich dabei, dass derartige Auskünfte und Stellungnahmen die rechtsanwendenden Instanzen nicht zu binden vermögen und die Ratsuchenden hierauf unmissverständlich hinzuweisen sind (vgl. § 28 Abs. 2 Satz 1 ABauV; AGVE 1984, S. 444). Entgegen der Auf- fassung der Beschwerdeführerin konnte die Beratungstätigkeit von X. diesen somit nicht hindern, im Mitberichtsverfahren vor der Bau- gesuchszentrale erneut tätig zu werden.
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AG_VG_001_AGVE-2000-91_2000-09-03
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2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 293 66 Gebäudeabstand. - Der Vorbehalt für Mehrfamilienhäuser in § 47 Abs. 2 Satz 2 BauG gilt ausschliesslich für den Fall der dienstbarkeitsvertraglichen Reduktion oder Aufhebung der Abstände gemäss § 47 Abs. 2 Satz 1 BauG; für eine kommunale Bestimmung, welche eine Verringerung des Gebäu- deabstands zulässt, sofern auf einem Nachbargrundstück bereits eine Baute mit zu geringem Grenzabstand steht und die Einhaltung des Gebäudeabstands zu Härten führen würde, bleibt auch im Zusam- menhang mit einem Mehrfamilienhaus Raum (Erw. 2/a und b). - Rechtsanwendung: Der Gesetzgeber darf die rechtsanwendenden Organe ermächtigen, ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit von der gesetzlichen Regelung abzuweichen (Erw. 2/c/aa). Dass das Bau- grundstück nur bei einer Herabsetzung des Gebäudeabstands optimal genutzt werden kann, bildet bei Berücksichtigung der entgegenste- henden öffentlichen und privaten Interessen keinen ausreichenden Grund für die Annahme eines Härtefalls (Erw. 2/c/bb). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. September 2001 in Sachen B. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdegegnerin 1 beabsichtigt, das Gebäude Nr. x auf der Parzelle Nr. y abzubrechen und ein Mehrfamilienhaus mit acht Wohnungen und einer Tiefgarage zu erstellen. Das Bauprojekt weist zwei Vollgeschosse und ein ausgebautes Dachgeschoss auf. Der Gebäudekubus hat eine Länge von 35 m, eine Tiefe von 10,2 m sowie eine Höhe ab gewachsenem Terrain von rund 12 m. Es sind im Untergeschoss 13 Autoabstellplätze vorgesehen, nebst drei oberirdi- schen Abstellplätzen. Der umbaute Raum wird mit 4'764 m3 angege- ben. 2. a) In der Dorfzone (D), in welcher die Parzelle Nr. y nach Massgabe des Bauzonenplans der Gemeinde B. (mit den gleichen Beschluss- und Genehmigungsdaten wie die BNO) gelegen ist, gel- ten ein minimaler Grenzabstand von 4,0 m und ein grosser Grenzab- 2001 Verwaltungsgericht 294 stand von 8,0 m (§ 40 Abs. 3 BNO). Der Gemeinderat hat im vorlie- genden Fall gestützt auf § 20 Abs. 2 ABauV, wonach der Gebäude- abstand durch die Summe der vorgeschriebenen Grenzabstände ge- bildet wird, einen Gebäudeabstand von 12 m ermittelt. Dieser Be- rechnung liegt die nach Massgabe von § 17 Abs. 2 ABauV und § 63 BNO vertretbare Annahme zugrunde, auf der Parzelle Nr. z der Be- schwerdeführer sei der grosse Gebäudeabstand von 8 m massgebend (vgl. auch AGVE 1994, S. 379 f.; 1997, S. 316; VGE III/85 vom 19. Juni 2000 [BE.98.00332/335] in Sachen W. u. Mitbet., S. 12). Den Soll-Abstand von 12 m hält das geplante Mehrfamilien- haus mit lediglich 10 m unbestrittenermassen nicht ein. Der Gemein- derat hat die Reduktion um 2 m in Anwendung von § 67 Abs. 2 BNO bewilligt; diese Bestimmung lautet: ,,Wenn auf Nachbargrundstücken bereits Bauten mit zu geringem Grenzabstand stehen, kann der Gebäudeabstand verringert werden, falls seine Einhaltung zu Härten führen würde. Der Grenzabstand ist dabei in jedem Fall einzuhalten. Die gesundheits-, feuer- und sicher- heitspolizeilichen Anforderungen müssen gewahrt bleiben." Der Gemeinderat räumt dabei ein, dass das Neubauprojekt die Besonnung auf dem Grundstück der Beschwerdeführer verglichen mit dem aktuellen Zustand möglicherweise beeinträchtige, doch sei dies weniger auf den partiell unterschrittenen Gebäudeabstand als vielmehr auf das zusätzlich erstellte Bauvolumen zurückzuführen. Generell sei davon auszugehen, dass bei zonenkonformer Überbau- ung eines Grundstücks (Einhaltung der Grenzabstände sowie der Ge- bäude- und Firsthöhe) für das benachbarte Grundstück kein über- mässiger Schattenwurf entstehe. Eine Zurückversetzung des geplan- ten Gebäudes um 2 m von der nördlichen Grundstücksgrenze hätte eine wesentliche Verkleinerung der Baute zur Folge, ohne dass dieser Einschränkung ein wesentlicher Vorteil für den Nachbarn oder die Allgemeinheit gegenüberstünde. Die Beschwerdeführer halten dieser Betrachtungsweise, die auch vom Baudepartement vertreten wird, entgegen, dass ihre Wohnräume wie auch der Sitzplatz, der Vorgar- tenbereich, die Kulturen und die Wiese vom Herbst bis zum Frühling durch die Nordfassade des Mehrfamilienhauses mehr als zwei Stun- den pro Tag beschattet würden; eine besondere Härte für die Bau- 2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 295 herrschaft ergebe sich nicht, wenn sie den ordentlichen Gebäudeab- stand einhalten müsse. b) Das BauG enthält in § 47 über die Grenz- und Gebäudeab- stände die folgende Grundsatznorm: ,, 1 Die Gemeinden schreiben Grenz- und Gebäudeabstände vor. 2 Soweit die Gemeinden nichts anderes festlegen, können die Abstände durch einen mit dem Baugesuch einzureichenden Dienstbarkeitsver- trag reduziert oder aufgehoben werden. Ausgenommen sind Abstände gegenüber Mehrfamilienhäusern." Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen einer Vernehmlas- sungsrunde die - im bisherigen Verfahren nicht thematisierte - Frage nach dem Verhältnis zwischen § 47 BauG und § 67 Abs. 2 BNO aufgeworfen. Die Beschwerdeführer haben dabei die Ansicht geäus- sert, es bestehe in Bezug auf Mehrfamilienhäuser für kommunale Bestimmungen in der Art von § 67 Abs. 2 BNO kein Raum mehr, wogegen der Gemeinderat und das Baudepartement die Anwendbar- keit der erwähnten Bestimmung bejahen. Bereits die Gesetzessystematik lässt kaum einen andern Schluss zu, als dass der Vorbehalt für Mehrfamilienhäuser ausschliesslich für den Fall gelten soll, dass die Grundstücksnachbarn die vorgeschrie- benen Grenz- oder Gebäudeabstände dienstbarkeitsvertraglich redu- zieren oder aufheben wollen; der erste Satz von § 47 Abs. 2 BauG enthält den Grundsatz (Abänderbarkeit der Abstände mittels eines Dienstbarkeitsvertrags), der zweite Satz die Ausnahme (Ausschluss von Vereinbarungen in Bezug auf Mehrfamilienhäuser). Auch die Materialien sprechen klar dafür, dass der Gesetzgeber nur dies im Auge hatte und nicht auch kommunale Spezialregelungen betreffend Grenz- und Gebäudeabstände (unter Miteinbezug von Mehrfamilien- häusern) ausschliessen wollte. In der regierungsrätlichen Botschaft vom 21. Mai 1990 zur Totalrevision des Baugesetzes vom 2. Februar 1971 wird diesbezüglich ausgeführt (S. 28): ,,§ 33 Abs. 2 (heute § 47 Abs. 2) geht wesentlich weiter als das gel- tende Recht (§ 164 Abs. 3 BauG), indem er den Nachbarn das Recht einräumt, schriftlich die Reduktion oder Aufhebung der Abstände zu vereinbaren. Er bindet diese Befugnis der Nachbarn aber an zwei Vor- behalte: 2001 Verwaltungsgericht 296 - keine Reduktion gegenüber Mehrfamilienhäusern, - die Gemeinde beharrt nicht auf dem zwingenden Charakter der Abstandsvorschriften." Die ratio legis, welche hinter dem erwähnten Vorbehalt steht, liegt auf der Hand. Offensichtlich ging es hauptsächlich um den Schutz der Mieter; der Ersteller eines Mehrfamilienhauses sollte nicht zum Nachteil der künftigen Bewohner, die sich in der Baube- willigungsphase ja noch nicht wehren können, auf der Ebene privat- rechtlicher Abmachungen Abstandsreduktionen vornehmen können. Abgesehen davon macht es auch durchaus Sinn, den Gemeinden einen Spielraum für besondere Regelungen zu belassen, denn das - auf Verfassungsstufe verankerte (Art. 5 Abs. 2 BV; § 2 Satz 2 KV) - Verhältnismässigkeitsprinzip kann durch eine Gesetzesnorm wie § 47 Abs. 2 Satz 2 BauG klarerweise nicht ausgeschaltet werden (vgl. AGVE 1991, S. 335; 1997, S. 314). c) Im Folgenden ist somit zu prüfen, ob die Voraussetzungen von § 67 Abs. 2 BNO erfüllt sind. Verlangt wird in erster Linie, dass die Einhaltung des Gebäudeabstands ,,zu Härten führen würde". aa) Der Gesetzgeber erlässt Vorschriften, die auf den Normalfall zugeschnitten sind. Es ist weder möglich noch sinnvoll, sämtliche besonders gelagerten Situationen legislatorisch zu erfassen. Um Härtefälle zu vermeiden, welche die gesetzliche Regelung mit sich bringen kann, darf der Gesetzgeber die rechtsanwendenden Organe ermächtigen, davon aus Gründen der Billigkeit (Einzelfallgerechtig- keit) ausnahmsweise abzuweichen. Ausnahmebewilligungen dürfen also nur im Einzelfall erteilt und nicht dazu missbraucht werden, generelle Gründe zu berücksichtigen, die sich praktisch immer an- führen liessen, weil auf diesem Wege das Gesetz selber abgeändert würde. So stellt etwa die optimale Nutzung des Baugrundstücks ein allgemeines (privates) Interesse dar, das für sich allein keinen ausrei- chenden Grund für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung bilden kann. Mit dieser dürfen auch keine öffentlichen Interessen verletzt werden; die mit der Grundregel verfolgten öffentlichen Interessen sind mit den entgegenstehenden privaten Interessen auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung abzuwägen (Ulrich Häfelin/ Georg Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, 2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 297 Zürich 1998, Rz. 1970; Leo Schürmann/Peter Hänni, Planungs-, Bau- und besonderes Umweltschutzrecht, 3. Auflage, Bern 1995, S. 268 f.; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, Kom- mentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 155 N 1 ff.; BGE 107 Ia 215 f.; AGVE 1997, S. 314 f.; VGE III/110 vom 20. August 1998 [BE.98.00078] in Sachen G., S. 10). bb) Die Beschwerdegegnerin 1 machte in ihrer Vernehmlassung vom 5. Oktober 1998 geltend, die Parzelle Nr. y lasse nur den Bau eines Mehrfamilienhauses zu; alle andern Varianten seien unwirt- schaftlich. Ähnlich hatte sie bereits an der vorinstanzlichen Augen- scheinsverhandlung vom 28. April 1998 argumentiert: Bei der Pla- nung der Baute hätten die Grundstückskosten berücksichtigt werden müssen; aus wirtschaftlichen Überlegungen habe man sich für die Erstellung eines Mehrfamilienhauses entschieden, weil Einfamilien- häuser schwieriger zu veräussern seien. An der Verhandlung vor Verwaltungsgericht ergänzte die Beschwerdegegnerin 1, in Anbe- tracht der ungünstigen Grundstücksform könne nur ein Längsbau sinnvoll sein. Der Gebäudeabstand sei schon heute unterschritten; das projektierte Gebäude würde ihn lediglich im Umfange eines Drittels verletzen. Werde keine Reduktion gewährt, könnten die Be- schwerdeführer, deren Wohnhaus den grossen Grenzabstand nicht einhalte, von einem rechtswidrigen Zustand profitieren. Ein Mehr- familienhaus mit einem Soll-Gebäudeabstand von 12 m wäre min- derwertig. Zwei kleinere Einfamilienhäuser anstelle des Mehrfami- lienhauses brächten weniger Rendite. Während des ganzen Verfahrens ist unbestritten geblieben, dass die Beschwerdegegnerin 1 trotz der länglichen Grundstücksform durchaus Überbauungsalternativen besitzt. Dabei ist namentlich von Bedeutung, dass das bestehende Gebäude auf der Parzelle Nr. y auf dem ursprünglichen Grundriss wiederaufgebaut werden könnte. Die Bestimmung in § 40 Abs. 3 BNO, wonach Abweichungen in Bezug auf Grenzabstände u.a. ,,beim Wiederaufbau eines Gebäudes auf dem alten Grundriss" gestattet werden können, setzt diese Möglichkeit voraus. Die Gemeindevertreter haben zudem vor Verwaltungsgericht bestätigt, dass der Abbruch und Wiederaufbau ,,im gleichen Volu- men" zulässig ist. Hieraus ergeben sich verschiedene Projektvarian- 2001 Verwaltungsgericht 298 ten. Eine davon hat der Vertreter der kantonalen Fachstelle (Baude- partement, Abteilung Hochbau) aufgezeigt; seine Idee geht in die Richtung einer ,,L-förmigen Anlage, bestehend aus wenigen Einfa- milienhäusern". Aber auch bei einem Wiederaufbau ohne Bindung an den vorgegebenen Grundriss wäre die Überbauungschance gewahrt. Die Beschwerdegegnerin wäre dabei aufgrund der ,,Selbst- schutzfunktion" des grossen Grenzabstands relativ frei in der Wahl der Hauptwohnseite, auf welcher der erwähnte Abstand einzuhalten ist (vgl. AGVE 1994, S. 379 f., und 1997, S. 316, je mit Hinweisen). Jedenfalls läuft das Ganze nicht auf die Frage der Überbaubarkeit als solche, sondern darauf hinaus, dass eine weniger dichte Überbauung auch wirtschaftlich weniger interessant ist. Dies allein aber setzt den Bauherrn noch nicht einer unzumutbaren Härte aus. Wie weiter oben dargelegt worden ist (Erw. aa hievor), besteht kein Anspruch auf optimale Nutzung eines Grundstücks. Hinzu kommt, dass einer Ver- kürzung des Gebäudeabstands öffentliche und private Interessen entgegenstehen. Hinter den Abstandsvorschriften stehen primär die Interessen des Nachbarn. Diese können sich in der unter Umständen eingeschränkten Überbaubarkeit sowie in der Einsehbarkeit seines Grundstücks, in der Besonnungssituation und dergleichen konkreti- sieren. Darüber hinaus dienen derartige Vorschriften öffentlichen Interessen, namentlich solchen der Feuerpolizei, der Wohnhygiene, der Siedlungsgestaltung und der Ästhetik (vgl. Zimmerlin, a.a.O., § 163-65 N 3; Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 638; AGVE 1997, S. 305). Gerade im Hinblick auf diese Interessenskonstellation dürfen die Öffentlichkeit und die Nachbarn auf der Einhaltung des Gebäudeabstands bestehen, sofern nicht aus der Sicht des Bauherrn eine ausserordentliche Situation vorliegt. Dies ist wie gesagt zu ver- neinen. Liesse man die von der Beschwerdegegnerin 1 vorgebrachten Gründe genügen, so wäre eine Aufweichung des Ausnahmecharak- ters von § 67 Abs. 2 BNO die Konsequenz. d) Damit erweist sich das Bauvorhaben als nicht bewilligungs- fähig, ohne dass die weiteren Voraussetzungen von § 67 Abs. 2 BNO zu prüfen wären. Ebenso erübrigt es sich, auf die Frage der Ortsbild- 2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 299 verträglichkeit einzugehen. In Gutheissung der Beschwerde ist die Baubewilligung aufzuheben. .
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2004 Kantonale Steuern 141 [...] 39 Ausserordentliche Einkünfte (§ 263 Abs. 2 StG). - Dividenden gelten namentlich dann als ausserordentlich, wenn es sich um Substanzdividenden handelt oder wenn als Folge einer geänderten Dividendenpolitik aus dem laufenden Gewinn höhere Dividenden ausgeschüttet werden als zuvor. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 16. Dezember 2004 in Sachen H.F. gegen Steuerrekursgericht. Zur Publikation vorgesehen in StE 2005.
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[...] 16 § 26a-26d StG - Steuerliche Nichtanerkennung von Mitarbeiteraktien, welche keine Beteiligung am Eigenkapital des Unternehmens, sondern lediglich eine Gewinnbeteiligung bezwecken. - Versagen des Vertrauensprinzips bei unlauterem Auskunftsbegehren. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 27. Januar 2016, i.S. A.H. gegen KStA (WBE.2015.274). Aus den Erwägungen 3. 3.1. 3.1.1. 2016 Kantonale Steuern 103 Gemäss KS Nr. 5 sind Mitarbeiteraktien Aktien der Arbeitge- berin, die Mitarbeitern zu einem Vorzugspreis übertragen werden. Sie sind zum Zeitpunkt der Übertragung durch die Mitarbeitenden als Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit zu versteuern. Als steuerbares Einkommen gilt der Differenzbetrag zwischen dem reduzierten Erwerbspreis und dem Marktwert der Aktien zum Er- werbszeitpunkt. Bei gebundenen Mitarbeiteraktien (d.h. bei vereinbarter Sperrfrist) ist der Verkehrswert pro Jahr der Sperrfrist mit 6% zu diskontieren. Der Diskont wird dabei mit dem (subjek- tiven) Minderwert der gesperrten Aktien begründet, da der Mitarbei- tende während der Sperrfrist nicht verkaufen und damit nicht auf Marktschwankungen reagieren kann. Ein beim Verkauf der Aktien erzielter Gewinn stellt einen steuerfreien Kapitalgewinn dar; ein allfällig erzielter Verlust fällt steuerlich ausser Betracht. 3.1.2. Die geschilderten Grundsätze, welchen unter altem Recht die Verwaltungs- und Gerichtspraxis folgte, wurden mit den bereits er- wähnten Gesetzesnovellen explizit in die Einkommenssteuergesetze von Bund und Kantonen aufgenommen (vgl. Art. 7c-f StHG sowie Art. 17a-d DBG; § 26a-d StG). 3.2. 3.2.1. Abgesehen von der Verwendung der zivilrechtlichen Bezeich- nung "Aktien" findet sich weder im KS Nr. 5 noch in den neuen Be- stimmungen eine Legaldefinition des Begriffs der Mitarbeiteraktien. Der Wortlaut der neuen Bestimmungen ist insoweit unergiebig. Damit ist - wie gerade der vorliegende Fall zeigt, wo es um die Besteuerung individuell nur einem einzigen leitenden Angestellten zugeteilter Aktien geht - das Problem ungelöst, wie (echte) Kapital- gewinne, die beim Verkauf am Markt von vom Arbeitgeber erwor- benen Aktien erzielt werden von solchen Einkünften abzugrenzen sind, die trotz der zivilrechtlichen Charakterisierung der zugrundelie- genden Geschäfte zumindest wirtschaftlich als Entgelt für unselbst- ständig erbrachte Arbeit zu charakterisieren sind. In der Literatur und Praxis wird die Problematik, soweit erkenn- bar, nirgends eingehend abgehandelt. Im Zusammenhang mit Mitar- 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 104 beiteraktien findet sich regelmässig nur die Äusserung, bei echten Mitarbeiterbeteiligungen beteilige sich der Mitarbeitende im Ergeb- nis am Eigenkapital des Arbeitgebers, dessen Muttergesellschaft oder einer anderen Konzerngesellschaft. Als unechte Mitarbeiterbetei- ligungen werden dagegen eigenkapital- oder aktienkursbezogene Bargeldanreize bezeichnet, die den Mitarbeitern keine Beteili- gungsrechte des Arbeitgebers, dessen Muttergesellschaft oder einer anderen Konzerngesellschaft einräumen (vgl. etwa M ARTIN P LÜSS , in: M ARIANNE K LÖTI -W EBER /D AVE S IEGRIST /D IETER W EBER [Hrsg.], Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 4. Auflage, Muri/Bern 2015 [Kommentar StG], N 5 zu § 26a mit Hinweis auf das Kreisschreiben Nr. 37 Besteuerung von Mitarbeiterbeteiligungen vom 22. Juli 2013 [zum neuen Recht]). Immerhin finden sich im neuen Kreisschreiben Textpassagen, die darauf hindeuten, dass sich die Praxis der Problematik bewusst ist, wird doch im Zusammenhang mit der Abgrenzung zwischen ech- ten und unechten Mitarbeiterbeteiligungen ausgeführt, in der Regel werde durch unechte Mitarbeiterbeteiligungen nur eine Geldleistung in Aussicht gestellt. Weil diese Instrumente dem Mitarbeitenden re- gelmässig keine weiteren Rechte wie Stimm- und Dividendenrechte einräumten, gälten sie bis zu ihrer Realisation als blosse Anwart- schaften (vgl. KS Nr. 37 Ziff. 2.3.2.). Darüber hinaus hat auch das Verwaltungsgericht Zürich in einem Entscheid, der Beteiligungen betraf, die leitenden Mitarbeitenden an einer von der Mutter- gesellschaft gegründeten Beteiligungsgesellschaft eingeräumt wor- den waren, die entsprechenden Beteiligungsrechte nicht als Mitar- beiteraktien anerkannt. Namentlich weil die Möglichkeit, sich an der Beteiligungsgesellschaft zu beteiligen, nur einem äusserst begrenzten Personenkreis von Konzernleitungsmitgliedern offenstand und diese mittels ihnen eingeräumter Put-Optionen das Verlustrisiko minimie- ren und die Beteiligungsrechte jederzeit wieder an ihren Arbeitgeber zurückgeben konnten, gelangte das Verwaltungsgericht zum Schluss, dass bei der Veräusserung solcher Beteiligungsrechte erzielter Gewinn steuerlich nicht etwa steuerfreien Kapitalgewinn, sondern wegen des engen Zusammenhangs mit dem Arbeitsverhältnis grundsätzlich Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit 2016 Kantonale Steuern 105 darstelle (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 27. Juni 2012 [SB.2010.00148]). 3.2.2. Wortlaut und systematische Stellung der neuen Bestimmungen geben für die Auslegung hinsichtlich der dargelegten Problematik nur wenig her. Die neuen Bestimmungen erwähnen zwar Aktien, Ge- nussscheine, Partizipationsscheine und Genossenschaftsanteile als Beispiele von Mitarbeiterbeteiligungen. Allein daraus lässt sich indessen kaum schliessen, dass damit alle zivilrechtlich in dieser oder ähnlicher Weise ausgestalteten Konstrukte nach dem Willen des Gesetzgebers als echte Mitarbeiterbeteiligungen qualifizieren sollen. Das erhellt zum einen daraus, dass bereits das Gesetz zwar diese zivilrechtlichen Begriffe enthält, als zentralen Anknüpfungspunkt je- doch den im Zivilrecht nicht verwendeten Begriff der Mitarbeiter- beteiligung benutzt (vgl. Marginale zu § 26a StG; ebenso Marginale zu Art. 7c StHG und zu Art. 17a DBG; ebenso sprechen die Ge- setzestexte von " Beteiligungen anderer Art, die die Arbeitgeberin, deren Muttergesellschaft oder eine andere Konzerngesellschaft den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abgibt"). Zentral ist somit für den Gesetzgeber der Begriff der Beteiligung und nicht etwa die einfache Anknüpfung an bestimmte zivilrechtliche Ausgestaltungen. Dies erhellt auch aus dem Anliegen der Revision, das darin bestand, Rechtssicherheit für Mitarbeiter beteiligungen zu schaffen (vgl. BBl 2005 587). Durch die Revision sollte der Bedeutung, die Mitarbeiter- beteiligungen in den letzten Jahren gewonnen haben, Rechnung getragen werden. Es sollten die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen werden, dass Unternehmen die Voraussetzungen für ein leistungsorientiertes, unternehmerisches Verhalten ihrer Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter schaffen. Insbesondere jungen Unterneh- men sollte ermöglicht werden, "zu günstigen Kosten hochquali- fizierte Mitarbeitende einzustellen, die erst Steuern bezahlen müssen, wenn sich der Erfolg auch einstellt" (BBl 2005 587). Auch diese Passage in der bundesrätlichen Botschaft verdeutlicht, dass es in erster Linie darum ging, sichere steuerliche Randbedingungen für bestimmte Arten von Lohnanreizen zu schaffen und nicht darum, Ve- hikel zur Verfügung zu stellen, welche eine möglichst steuerbefreite 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 106 Erzielung von Lohn oder wirtschaftlich lohnähnlichen Einkünften er- lauben. 3.2.3. Sinn einer echten Mitarbeiterbeteiligung ist es, den Mitarbeiten- den am Eigenkapital der Gesellschaft zu beteiligen. Dabei ist es möglich, den Mitarbeitenden von wesentlichen Aktionärsrechten aus- zuschliessen, so etwa dem Stimmrecht. Sowohl das alte Recht wie nunmehr auch § 26a Abs. 1 lit. a StG (ebenso Art. 7c Abs. 1 lit. a StHG und Art. 17a Abs. 1 lit. a DBG) bestimmen ausdrücklich, dass auch Genuss- und Partizipationsscheine als echte Mitarbeiterbetei- ligungen anzusehen sind. Auch bei diesen Beteiligungsformen be- steht indessen immerhin ein Anspruch auf Gewinnausschüttungen bzw. Beteiligung am Liquidationsergebnis (vgl. Art. 656f Abs. 1 so- wie Art. 657 OR); dass dieser durch die Gewinnausschüttungspolitik der Gesellschaft faktisch erheblich beschränkt werden kann, ändert nichts. Auch der Umstand, dass gewisse Aktien als Vorzugsaktien ausgestaltet sind (vgl. Art. 654 f. OR) und allfällige Mitarbeiteraktien nicht, lässt deren steuerliche Qualifikation unberührt. Auch Ver- äusserungsbeschränkungen oder die Pflicht, eine Mitarbeiteraktie im Falle des Verkaufs zunächst dem Arbeitgeberunternehmen anbieten zu müssen, lassen den Charakter der einem Mitarbeitenden zugeteil- ten Aktie als Mitarbeiteraktie im steuerrechtlichen Sinn unverändert. Der Umstand, dass eine Mitarbeiterbeteiligung in verschie- denster Hinsicht wie dargelegt gegenüber einer "normalen" Aktie Be- schränkungen unterliegen kann (Beschränkung des Gewinnrechts, der Veräusserbarkeit, des Stimmrechts etc.) ändert indessen nichts daran, dass in wirtschaftlicher Hinsicht von einer echten Mitarbeiter- beteiligung nur dann gesprochen werden kann, wenn als wesentlicher Inhalt der Begebung von Mitarbeiterbeteiligungsrechten eine Beteili- gung am Eigenkapital der Gesellschaft gewollt ist und - der bei einer Veräusserung einer allfälligen Beteiligung erzielte Gewinn qualifi- ziert in steuerlicher Hinsicht als steuerfreier Kapitalgewinn - nach Ablauf einer allfälligen Sperrfrist eine realistische Möglichkeit zur (echten) Veräusserung der Mitarbeiterbeteiligung besteht. Als essen- tialia des steuerrechtlichen Begriffs der Mitarbeiterbeteiligung müssen damit zum einen die echte Beteiligung am Kapital einer 2016 Kantonale Steuern 107 Gesellschaft (d.h. eben nicht wie bei der unechten Beteiligung eine blosse Koppelung gewisser Lohnbestandteile an die Gewinnent- wicklung der Gesellschaft) und damit einhergehend die dieser Beteiligung innewohnende Möglichkeit der echten Realisierung eines Kapitalgewinns am Markt angesehen werden (oder eben auch eines Verlusts; ein erheblicher Reiz des Instruments liegt eben auch in der Volatilität des Instruments; der praktische Ausschluss einer Verlustmöglichkeit dürfte wie der bereits angeführte Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich zeigt, ebenfalls die Qualität eines Instruments als Mitarbeiterbeteiligung im steuerrechtlichen Sinn ausschliessen). 3.2.4. Die hier zu beurteilende Mitarbeiterbeteiligung stellt sich bei einer genaueren Analyse ihres wirtschaftlichen Gehalts gesamthaft betrachtet nicht als echte Mitarbeiterbeteiligung im steuerrechtlichen Sinn, sondern als Schema zur steuerbegünstigten aufgeschobenen Auszahlung eines quantitativ direkt mit dem Erfolg des Unterneh- mens gekoppelten Bonus dar: Der Beschwerdeführer hat (selbst wenn offenbar auch andere leitende Mitarbeitende von Gruppengesellschaften der X. Gruppe an Gruppengesellschaften beteiligt werden können) als einziger Arbeitnehmer der Y. Aktien dieser Gesellschaft erworben; die restlichen Aktien verblieben als Vorzugsaktien im Eigentum der Z. AG. Die erworbenen Aktien be- rechtigten nicht zum Dividendenbezug, obwohl Dividenden - an die Muttergesellschaft - ausgeschüttet wurden. Statt einer Dividenden- ausschüttung wurde der auf den Beschwerdeführer entfallende Gewinnanteil einer allein für ihn reservierten Spezialreserve gut- geschrieben. Infolge der bestehenden Sperrfrist durfte er nicht über die Aktien verfügen. Eine Verfügung über die Aktien war auch tat- sächlich ausgeschlossen, da diese gemäss Ziff. 6. des Aktionär- bindungsvertrags zu hinterlegen waren. Schliesslich hatte der Be- schwerdeführer die Aktien der Muttergesellschaft nach Ablauf der Sperrfrist anzubieten und konnte sie nicht freihändig verkaufen (vgl. Art. 10 Aktienplan, Ziff. 7.-9. des Aktionärbindungsvertrags). Ein freihändiger Verkauf der Aktien wäre im Übrigen aus verschiedenen Gründen kein realistisches Szenario gewesen. Zum einen hätten, da 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 108 einem Kaufinteressenten nur die Zahlen der ordentlichen Abschlüsse hätten vorgelegt werden können, verlässliche Angaben über den Ver- kehrswert gefehlt. Zum andern handelte es sich bei den Aktien um solche einer im Wesentlichen personenbezogenen Gesellschaft, die überdies Teil der X. Gruppe und damit in ihrem Schicksal weithin von dieser abhängig war; die Aktien waren daher in jedem Fall, wenn überhaupt, im Fall eines freihändigen Verkaufs nur in einem sehr be- schränkten Umfang überhaupt verkehrsfähig (wobei selbst für einen Rückkauf realistische Bewertungskriterien gänzlich fehlten, sondern im Ergebnis einfach eine nachträgliche Ausschüttung der sog. Spezialreserve als Verkaufserlös erfolgen sollte). Insgesamt ist damit davon auszugehen, dass realistisch für den Beschwerdeführer als Erwerber der Aktien nur die Möglichkeit bestand, die Aktien an die X. Gruppe zurück zu verkaufen, welche ihm dann einen Preis unter Berücksichtigung der seit dem Erwerb geäufneten Spezialreserve ga- rantierte. Im Ergebnis liegt damit entgegen der Auffassung des Beschwer- deführers nicht etwa eine Mitarbeiterbeteiligung, sondern die Abrede einer zeitlich aufgeschobenen Gewinn- und Verlustbeteiligung vor. Entgegen der Auffassung des Spezialverwaltungsgerichts war dabei zwar auch möglich, dass der Beschwerdeführer an Verlusten der Y. partizipiert hätte, indem Verluste im Umfang von 17% der Spezial- reserve belastet worden wären und damit den Gewinnanteilsanspruch des Beschwerdeführers hätten verringern können. Ein solcher Effekt wurde indessen, worauf das KStA in seiner Stellungnahme zur Be- schwerde zutreffend hinweist, durch die Diskontierung hier (nur ge- ringe Verluste der Y. während der Haltedauer) jedenfalls voll kompensiert, so dass der Beschwerdeführer insoweit nur einem geringen Risiko unterlag. Entscheidend ist allerdings, dass zwar ein geringes Verlustrisiko bestand, es jedoch von vornherein klar war, dass es sich bei den an den Beschwerdeführern abgegebenen Titeln um keine (auch nach Ablauf der Sperrfrist) tatsächlich handelbaren Aktien handeln würde - und auch realistische Grundlagen für die Preisbemessung im Fall eines Rückkaufs der Aktien durch die Ge- sellschaft definitionsgemäss (Rückkauf zum Substanzwert zuzüglich Betrag der Spezialreserve) fehlen würden -, der Beschwerdeführer 2016 Kantonale Steuern 109 und die X. Gruppe aber dennoch davon ausgingen, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf der Sperrfrist (oder in gegenseitigem Einvernehmen auch früher) von seiner Arbeitgeberin zusätzlich zu seinem Lohn den seiner Beteiligung entsprechenden während der Sperrfrist entstandenen und in der Spezialreserve thesaurierten Ge- winn würde beziehen können. Der Beschwerdeführer hat somit mit dem "Verkauf" seiner Aktien an die X. Gruppe nicht etwa einen Kapitalgewinn erzielt, sondern eine Einkunft bezogen, die nach dem wirklichen Willen der Parteien während der Sperrfrist zu thesaurieren war. Das entsprechende Einkommen ist daher als Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu erfassen. Diese Qualifikation des hier zu behandelnden "Mitarbeiter- beteiligungsschemas" fusst, wie bereits dargelegt, nicht etwa auf einer kurzschlüssigen, nicht weiter begründeten Annahme einer wirtschaftlichen Anknüpfung bei der Auslegung (vgl. zum Begriff und zur Kritik, die Praxis nehme bisweilen ohne weiteres eine wirtschaftliche Anknüpfung einer Steuernorm an: S ILVIO B AUM - BERGER , Die Grenzen des Legalitätsprinzips im Steuerrecht, AJP 2012, S. 911). § 26a Abs. 1 lit. a StG, der im Wesentlichen die bis dahin unter Herrschaft des KS Nr. 5 geltenden Grundsätze übernimmt, zählt wie das KS Nr. 5 (vgl. KS Nr. 5 Ziff. 2.1.) Aktien, Genussscheine etc., wie bereits erwähnt, nämlich nur als Beispiele für die Beteiligung eines Arbeitnehmers am Unternehmen des Arbeit- gebers auf. Daneben definiert § 26a Abs. 2 StG unechte Mitar- beiterbeteiligungen als Anwartschaften auf blosse Bargeldabfin- dungen (im KS Nr. 5 fehlen entsprechende Kriterien ganz). Diese Abgrenzung (hier Beteiligung, dort Bargeldabfindung) bleibt zu- mindest teilweise begriffsunscharf, da es letztlich - bei echter wie unechter Beteiligung - immer um einen geldwerten Vorteil geht, durch den Mitarbeitende enger ans Unternehmen gebunden werden sollen. Selbst aus der neuen gesetzlichen Formulierung ergibt sich indessen klar, dass der Gesetzgeber nur wirkliche Beteiligungen am Eigenkapital des Unternehmens des Arbeitgebers steuerlich als Mitarbeiterbeteiligungen behandelt sehen wollte und nicht etwa Schemen, die in erster Linie direkt auf Geldflüsse an den Arbeitneh- mer (wenn auch solche, die vom Erfolg des Unternehmens abhängig 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 110 sind) zielen. Deshalb kann eben, wie dargelegt, nicht einfach an die zivilrechtlichen Begriffe von Aktie, Genussschein etc. angeknüpft werden. Vielmehr ist die wirtschaftliche Funktion eines Beteiligungs- plans in jedem Fall konkret zu untersuchen und sind nur solche Mitarbeiterbeteiligungen in steuerlicher Hinsicht als echte Mitarbei- terbeteiligungen zu qualifizieren, die wirklich auf eine Unter- nehmensbeteiligung ausgerichtet sind. Im Fall der "Beteiligung" des Beschwerdeführers an der Y. steht klar eine zwar aufgeschobene, aber direkte, unmittelbar geldmässige Partizipation an den Jahres- ergebnissen der Y. im Vordergrund, so dass die zivilrechtlich als Stammaktien ausgestaltete Beteiligung in steuerlicher Hinsicht nicht als echte Mitarbeiterbeteiligung qualifiziert werden kann. 4. Das von der X. Gruppe und dem Beschwerdeführer von der Überlassung der Aktien der Y. bis zu deren Rücknahme durch die X. Gruppe acht Jahre später gewählte Vorgehen erscheint im Übrigen, worauf das KStA zutreffend hinweist, als ungewöhnlich. Die von den Parteien gewählte Geschäftsgestaltung mittels Aktienvereinbarung, Aktienplan, Aktionärsbindungsvertrag und Rücknahmevertrag zielte wie dargelegt, in Wirklichkeit nicht auf eine mittel- oder langfristige Beteiligung des Beschwerdeführers an der Y. als einer der Tochterge- sellschaften der X. Gruppe, sondern darauf, dass dieser nach Rück- nahme der Aktien die bis dahin seit Begebung der Aktien aufgelaufe- nen, seiner Beteiligungsquote entsprechenden Gewinne vereinnah- men kann. Um dieses Ergebnis zu bewerkstelligen, hätte es keiner aktienmässigen Beteiligung des Beschwerdeführers an der Y. bedurft. Diese wurde nur deshalb gewählt, um auf diese Weise eine erhebli- che Steuerersparnis zu erzielen, indem das bei der Rücknahme der Aktien erzielte Einkommen als Kapitalgewinn einkommenssteuerfrei hätte bleiben sollen. Diese Steuerfreiheit hätte die Vermögenssteuer, die für die Aktien während deren Haltedauer zu entrichten war, bei weitem aufgewogen, d.h. die Versteuerung der Gewinnbeteiligung als Einkommen hätte in ganz beträchtlichem Ausmass eine höhere Einkommenssteuerlast ausgelöst als die kumulierte Vermögens- steuerlast während der Haltedauer der Aktien. Damit sind hier entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch sämtliche 2016 Kantonale Steuern 111 Voraussetzungen für die Annahme einer Steuerumgehung (Unge- wöhnlichkeit der gewählten Rechtsgestaltung, Ausrichtung der ge- wählten Rechtsgestaltung auf eine erhebliche Steuerersparnis sowie tatsächliche Steuerersparnis, sofern die Rechtsgestaltung steuerlich hingenommen würde; vgl. zum Ganzen BGE 138 II 239, Erw. 4 mit zahlreichen Hinweisen) erfüllt, so dass auch aus diesem Grund nicht die vom Beschwerdeführer und der X. Gruppe gewählte Rechts- gestaltung hinzunehmen, sondern das Gesamtgeschäft in steuerlicher Hinsicht wie das Rechtsgeschäft, das eigentlich gewollt war, nämlich eine - aufgeschobene - Gewinnbeteiligung, deren Auszahlungs- zeitpunkt auf den Willen des Beschwerdeführers gestellt war, zu behandeln ist. 5. 5.1. In masslicher Hinsicht ist entgegen den Vorinstanzen davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Umfang der Differenz zwischen dem 2002 bezahlten Kaufpreis, der wirtschaftlich nichts anderes als ein Entgelt für die vereinbarte Gewinnbeteiligung ("Ein- trittspreis": Fr. 71'514.75) darstellt, und dem im Jahr 2009 erhaltenen "Preis" für die Rücknahme der Aktien (Fr. 388'240.00) Einkommen zugeflossen ist (Fr. 388'240.00 abzüglich Fr. 71'514.75 = Fr. 316'725.25). Dabei stellt sich indessen die Frage, ob, da das Ver- waltungsgericht den angefochtenen Entscheid nicht zu Ungunsten der beschwerdeführenden Partei abändern darf (§ 199 Abs. 2 StG), die bisher noch nicht in die Besteuerung einbezogene Diskontierung der Einkommenssteuer unterworfen werden darf. 5.2. Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage, ist zu beachten, dass zu besteuerndes Einkommen die in den letzten acht Jahren aufgelaufene Beteiligung am Gewinn der Y. bildet. Es wäre daher zu- mindest denkbar, die kumulierte Gewinnauszahlung im Jahr 2009 als Kapitalabfindung für wiederkehrende Leistungen im Sinne von § 44 StG zu betrachten und dementsprechend die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der übrigen Einkünfte zu dem Steuersatz zu berechnen, der sich ergäbe, wenn an Stelle der einmaligen Leistung eine entsprechende jährliche Leistung ausgerichtet wurde. Nur wenn 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 112 die gemäss dieser Regel ermittelte Steuerlast die Steuerlast unter Zu- grundelegung der vom Spezialverwaltungsgericht gewählten Besteuerung überschritte, läge überhaupt eine von § 199 Abs. 2 StG verpönte reformatio in peius vor. Gegen dieses Vorgehen spricht, dass das Bundesgericht es abgelehnt hat, eine Steuersatzermässigung dann Platz greifen zu lassen, wenn die Ausrichtung einer Kapital- abfindung anstelle periodischer Teilleistungen und der Aus- zahlungszeitpunkt von der Wahl des Beteiligten abhängen, was hier zweifellos der Fall war (Entscheid vom 5. Oktober 2000 [2A.68/2000]). Dieser Rechtsprechung folgt auch das Spezialverwal- tungsgericht und es sind keine zwingenden Gründe erkennbar, wa- rum das Verwaltungsgericht ihr seinerseits nicht folgen sollte (vgl. dazu H ANS -J ÖRG M ÜLLHAUPT , Kommentar StG, § 44 N 2 mit Hin- weis). Dementsprechend muss es mit der vom Spezialverwaltungs- gericht gewählten Besteuerung (Erfassung der Spezialreserve im Umfang des diskontierten "Marktwerts" der Aktien bei Rücknahme [89%]) sein Bewenden haben. 6. 6.1. Der Beschwerdeführer beruft sich auf den Vertrauensschutz, ge- nauer auf die vom Bundesgericht für das Vertrauen in behördliche Auskünfte und insbesondere in Auskünfte von Steuerbehörden (sog. Rulings) entwickelten Regeln. Mit schriftlicher Anfrage habe die X. Gruppe, nachdem sie schon 2001 ein Ruling vom Kantonalen Steuer- amt Zürich eingeholt habe, am 22. Dezember 2008 eine entspre- chende Anfrage beim KStA gestellt. Dieses habe der Rechtsauffas- sung der X. Gruppe, wonach es sich bei den an den Beschwerde- führer zugeteilten Aktien der Y. in steuerlicher Hinsicht um eine echte Mitarbeiterbeteiligung und dementsprechend beim aus einer allfälligen Rücknahme durch die Arbeitgeberin resultierenden Ge- winn um einen steuerfreien Gewinn handle, am 27. Februar 2009, d.h. noch weit vor der Rücknahme der Aktien durch die X. Gruppe am 17. November 2009, zugestimmt. Damit seien die Voraussetzun- gen für die Gewährung des Vertrauensschutzes, d.h. konkret den Nichteinbezug des bei der Rücknahme der Aktien erzielten Gewinns in die Bemessungsgrundlage der Einkommenssteuer 2009, erfüllt. 2016 Kantonale Steuern 113 Diese Rechtsauffassung des Beschwerdeführers ist in verschie- dener Hinsicht fehlerhaft, so dass ihm die Steuerkommission und in der Folge das Spezialverwaltungsgericht zu Recht die Gewährung des von ihm verlangten Vertrauensschutzes versagt haben. 6.2. 6.2.1 Rulings bilden einen Anwendungsfall des allgemeinen Vertrauensschutzes. Es handelt sich um vorgängige Auskünfte der Steuerverwaltung, die zwar nicht Verfügungscharakter haben, aber nach den allgemein anerkannten Grundsätzen von Treu und Glauben (Art. 9 BV) Rechtsfolgen gegenüber den Behörden auslösen können. Voraussetzung für die Bindungswirkung des "Rulings" ist, dass sich (a) die Auskunft der Behörde auf eine konkrete, den Rechtsuchenden berührende Angelegenheit bezieht; (b) dass die Behörde, welche die Auskunft gegeben hat, hierfür zuständig war oder der Rechtsuchende sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; (c) dass der Rechtsuchende die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres hat erkennen können; (d) dass er im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat; (e) und dass die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung (BGE 141 I 161, Erw. 3.1 mit zahlreichen weiteren Nachweisen der bundesgericht- lichen Rechtsprechung). 6.2.2. Aus dem Umstand, dass Rulings einen Anwendungsfall des all- gemeinen Vertrauensschutzes darstellen, folgt, dass auch bei Rulings sämtliche allgemein geltenden Bedingungen für die Gewährung des Vertrauensschutzes erfüllt sein müssen, die - auch wenn nicht aus- drücklich genannt - implizit in den oben genannten Bedingungen enthalten sind. Dabei ist vor allem zu beachten, dass die Voraus- setzung, wonach der Rechtsuchende die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen können darf, nichts anderes als den all- gemeinen Vorbehalt des guten Glaubens des Rechtssuchenden zum Ausdruck bringt. Das Fehlen des guten Glaubens des Rechtssuchen- den ist aber nicht nur dann zu verneinen, wenn er von der Fehlerhaf- tigkeit einer Auskunft weiss oder wissen muss, sondern auch dann, 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 114 wenn er diese durch unlautere Mittel, wie bewusst falsche oder unvollständige Angaben, selbst (mit)verursacht hat (vgl. statt vieler B EATRICE W EBER -D ÜRLER , Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, Basel 1983, S. 92 und dort die Nachweise bei FN 20). 6.2.3. 6.2.3.1. Hier ergibt sich aus den Akten zunächst, dass die infrage stehenden Aktien und deren Besteuerung schon im Jahr 2008 Gegen- stand von Gesprächen zwischen dem Steueramt W. und dem Vertre- ter des Beschwerdeführers waren. Dabei war das Steueramt schon damals nicht dazu bereit, der Betrachtungsweise des Beschwerdefüh- rers zu folgen, wonach ein aus der Rücknahme der Aktien durch die Arbeitgeberin resultierender Gewinn als steuerfreier Kapitalgewinn und nicht als Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit zu betrachten sei. In der Folge entspann sich eine Diskussion zwischen Steueramt und Vertreter darüber, welche Einkommenssteuerfolgen der Beschwerdeführer allenfalls im Zusammenhang mit einer Rück- nahme der Aktien zu akzeptieren bereit sein würde. Auch wenn we- der der Beschwerdeführer selbst noch dessen Vertreter in der Folge bei Einreichung der Rulinganfrage ans KStA am 22. Dezember 2008 in Erscheinung traten, sondern allein die als Organ der X. Gruppe handelnden Verwaltungsräte A.B. und C.D., erhellt doch schon aus dem zeitlichen Ablauf, dass die Rulinganfrage offensichtlich dazu dienen sollte, die Schwierigkeiten, welchen die vom Beschwerde- führer bzw. seiner Arbeitgeberin gewünschte Besteuerung beim Steueramt am Wohnsitz begegnete, zu beheben. 6.2.3.2. Unvollständig war die Anfrage im Übrigen auch, worauf bereits die Vorinstanz zutreffend hingewiesen hat, hinsichtlich des Um- stands, dass die Zuteilung der Aktien der Y. nicht etwa bevorstand, sondern bereits mehrere Jahre zuvor erfolgt war. Auch dieser Umstand hätte das KStA mit Sicherheit zu einer eingehenderen Prüfung der Angelegenheit veranlasst, wäre doch dann erkennbar gewesen, was mit der Anfrage sicher gestellt werden sollte, nämlich allein die Steuerfreiheit eines aus der Rücknahme der Aktien des 2016 Kantonale Steuern 115 Beschwerdeführers durch seine Arbeitgeberin resultierenden Gewinns. 6.2.3.3. Wiederum zutreffend macht die Vorinstanz im Übrigen auf eine weitere Unvollständigkeit in der Rulinganfrage aufmerksam, nämlich den Umstand, dass die konkreten Randbedingungen mit Bezug auf den Beschwerdeführer - einziger Mitarbeiter der Y., der Aktien be- ziehen konnte und auch bezog, namentliche Bezeichnung des Be- schwerdeführers - nicht umschrieben wurden. 6.2.3.4. Insgesamt erscheint die Rulinganfrage damit als der gezielte Versuch, mittels einer möglichst unkonkret gehaltenen Anfrage durch Verschieben vom Steueramt W. auf eine höhere Hierarchiestufe die Schwierigkeiten, die im Hinblick auf die steuerliche Behandlung des Gewinns aus einer Rücknahme der Aktien durch die Arbeitgeberin des Beschwerdeführers, aufgetaucht waren, zu "umschiffen". Es kann offen bleiben, ob dieses Verhalten des Beschwerdeführers bzw. von dessen Arbeitgeberin nicht sogar als treuwidrig zu bezeichnen wäre. Entscheidend ist allein, dass die in verschiedener Hinsicht un- vollständige Präsentation des zu beurteilenden Sachverhalts in der Ruling-Anfrage keinen Vertrauensschutz zu begründen vermag. In- dem der Beschwerdeführer bzw. dessen Arbeitgeberin es nämlich un- terliessen, einen vollständigen Sachverhalt zu präsentieren, verhin- derten sie eine in jeder Hinsicht umfassende Prüfung der sich stellenden Rechtsfragen durch das KStA. Damit kann der Beschwer- deführer nicht als gutgläubig betrachtet werden, weshalb die Gewäh- rung von Vertrauensschutz ausser Betracht fällt. 7. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegrün- det und ist abzuweisen.
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2009 Verwaltungsrechtspflege 289 54 Kein Anspruch auf mündliche Verhandlung im Beschwerdeverfahren vor Verwaltungsgericht betreffend Steuern - Auf Steuerverfahren findet Art. 6 EMRK keine Anwendung. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 21. Oktober 2009 in Sachen H.G. und B.G. (WBE.2008.291). Aus den Erwägungen 2. Dem sinngemässen Antrag auf eine mündliche Verhandlung kann nicht entsprochen werden. Das Verfahren der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts ist in Steuerverfahren grundsätzlich schriftlich (vgl. M ICHAEL M ERKER , Rechtsmittel, Klage und Normenkontroll- verfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungs- rechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 57 N 12). Eine mündliche Äusserungsmöglichkeit ist hier nicht geboten, da es weder um persönliche Umstände geht, noch tat- sächliche Fragen zu klären sind, die sich nur aufgrund einer mündli- chen Anhörung klären liessen (G EROLD S TEINMANN , in: St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, 2. Aufl., Zürich 2008, Art. 29 N 25 mit Hinweisen). Ein Anspruch aus Art. 6 EMRK besteht im Übrigen schon deshalb nicht, weil Art. 6 EMRK auf Steuerverfahren keine Anwendung findet (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 15. August 2006 [2A.79/2006], Erw. 2.2). Zudem würde selbst Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht in jedem Fall die Durchführung einer mündli- chen Verhandlung verlangen (J OCHEN A BR . F ROWEIN / W OLFGANG P EUKERT , Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kom- mentar, 3. Aufl., Kehl 2009, Art. 6 N 163).
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2006 Verwaltungsgericht 234 [...] 45 Materielle Hilfe. - Berechnung der materiellen Hilfe, wenn der Sozialhilfeempfänger in einem gefestigten Konkubinat lebt. Unzulässigkeit der Gleichstellung mit einem Ehepaar (Bestätigung der Rechtsprechung von AGVE 2003, S. 292 ff.). Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 28. April 2005 erhobene staatsrechtliche Beschwerde (siehe AGVE 2005 57 283) hat das Bundesgericht mit Urteil vom 10. Juli 2006 (2P.230/2005) abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
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2000 Verwaltungsgericht 246 [...] 62 Öffentliches Baurecht und privates Nachbarrecht. - Die Baubewilligung verleiht als Polizeierlaubnis dem Bauherrn einen Rechtsanspruch auf Erteilung, wenn die öffentlichrechtlichen Voraus- setzungen erfüllt sind (Erw. 2/b). - Die Abweisung des Baugesuchs wegen der ungünstigen Präjudi- zierung allfälliger künftiger Bauabsichten des Grundstücksnachbarn verstösst mangels einer ausreichenden Rechtsgrundlage im konkreten Fall gegen das Grundrecht der Eigentumsgarantie (Erw. 2/c). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 30. Mai 2000 in Sachen Stadtrat Klingnau gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bildet ausschliesslich der vom Stadtrat abgelehnte und vom Baudepartement bewilligte Einbau je eines Fensters an der Südostfassade des Gebäudes Nr. 242 im Kinderzimmer der Vierzimmerwohnung im 1. Obergeschoss und im Schlafzimmer der Vierzimmerwohnung im Dachgeschoss. Die Bauparzelle liegt nach dem Zonenplan der Gemeinde Klingnau vom 26. April 1988 / 5. März 1991 in der Dorfzone Weier. 2. a) Der Stadtrat begründet seine ablehnende Haltung aus- schliesslich damit, dass aufgrund der öffentlichrechtlichen Bauvor- schriften eine Erweiterung der bestehenden Baute auf der Nach- barparzelle Nr. 1198 denkbar sei. Deshalb müsse verlangt werden, dass die Brandmauer des Gebäudes Nr. 242 auf der Parzelle Nr. 1199 geschlossen bleibe, damit dem Grundstücksnachbar die Möglichkeit erhalten bleibe, in geschlossener Bauweise freien Raum auf seinem Grundstück baulich zu nutzen. Wenn nach dem Grundsatz ,,wer zu- erst kommt, mahlt zuerst" verfahren werde, werde die öffentlich- 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 247 rechtliche planerische Zielsetzung gemäss Art. 38 BO aus den An- geln gehoben. b) Die Baubewilligung stellt eine sogenannte Polizeierlaubnis dar, mit der festgestellt wird, dass dem ihr zugrundeliegenden Bau- vorhaben keine öffentlichrechtlichen, insbesondere baupolizeilichen und raumplanerischen Hindernisse entgegenstehen (Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 152 N 5). Dies bedeutet zweierlei: Zum Einen besteht ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Bewilligung, wenn alle (öffent- lichrechtlichen) Voraussetzungen erfüllt sind (Zimmerlin, a.a.O.). Zum Andern dürfen die Baubewilligungsbehörden grundsätzlich keine privatrechtlichen Fragen beurteilen, sondern sind sie nur zur Anwendung der Vorschriften über Raumplanung, Umweltschutz und Bauwesen sowie weiterer öffentlichrechtlicher Vorschriften berufen. Sie haben im Rahmen eines Baubewilligungsverfahrens in der Regel einzig zu prüfen, ob einem Bauvorhaben öffentlichrechtliche Hinder- nisse entgegenstehen. Dieser Grundsatz wird dort durchbrochen, wo die öffentlichrechtliche Ordnung unmittelbar an das Privatrecht anknüpft; hier muss die Baubewilligungsbehörde vorfrageweise privatrechtliche Fragen beantworten. Es muss sich dabei aus dem öffentlichen Recht selber ergeben, dass eine privatrechtliche Vorfrage durch die Baubewilligungsbehörde zugunsten des Baugesuchstellers entschieden sein muss, bevor die Baubewilligung erteilt werden darf. Dies ist etwa da der Fall, wo die Erschliessung einer Bauparzelle im Sinne von § 32 Abs. 1 lit. b BauG privatrechtlich abgesichert ist, beispielsweise mit einem Fahrwegrecht. Oder ein Bauherr erfüllt die ihm obliegende Pflicht zur Schaffung von Abstellplätzen dadurch, dass er diese auf einem fremden Grundstück bereitstellt, und zwar so, dass sie ,,dauernd als solche benutzt werden können"(§ 55 Abs. 1 BauG); im allgemeinen setzt dies den Nachweis einer entsprechenden dinglichen Berechtigung, etwa aufgrund eines Bau- oder Benützungsrechts, voraus. In all diesen Fällen bildet die vorgängige Prüfung von Fragen aus dem Bereich des Privatrechts die 2000 Verwaltungsgericht 248 rechtliche Grundlage für den Baubewilligungsentscheid. Demgegen- über sind privatrechtliche Einwände, wie der Hinweis auf eine Bau- verbotsdienstbarkeit oder behauptete Eigentumsrechte Dritter, von den Baubewilligungsbehörden nicht zu beachten. Hiefür steht der zivilrechtliche Rechtsweg offen, und ein privatrechtlicher Berech- tigter hat die Möglichkeit, die Errichtung einer seinen Rechten widersprechenden Baute mittels richterlicher Anordnung zu verhin- dern. Aufgabe der Baubewilligungsbehörden ist es nicht, die Rechte Privater durch die Verweigerung einer Baubewilligung zu wahren, mögen diese auch noch so offenkundig sein. Diese Aufgabe ist von Verfassungs wegen den Zivilgerichten zugedacht; Verwaltungsbe- hörden und Verwaltungsgericht sind hiefür nicht zuständig (Zimmer- lin, a.a.O., § 152 N 1b; AGVE 1987, S. 226 ff. und 1992, S. 305 f., je mit Hinweisen; VGE III/41 vom 8. April 1999 in Sachen R., S. 4 f.). c) Zur Rechtsanwendung im vorliegenden konkreten Einzelfall lässt sich aus diesen Grundsätzen was folgt ableiten: aa) Wie bereits erwähnt, steht nach Auffassung des Stadtrats der Baubewilligung einzig die ungünstige Präjudizierung allfälliger künftiger Bauabsichten der Grundstücksnachbarn entgegen (vgl. Erw. a hievor). Die Brandschutzproblematik (Einhaltung der Vor- schriften betreffend Durchbrechung von Brandmauern [Art. 76 Abs. 3 BO]) ist kein Thema mehr, nachdem sich das Aargauische Versicherungsamt im vorinstanzlichen Verfahren dahingehend ge- äussert hat, dass die Südostfassade des Gebäudes Nr. 242 im fraglichen Bereich nicht als Brandmauer im Rechtssinne betrachtet werden kann. Ebenso wenig bildet der Ortsbildschutz ein Hindernis; die Ansicht des Stadtrats, dass die Südostfassade des Gebäudes Nr. 242 keinen besonderen architektonischen Wert aufweist, wird durch den am verwaltungsgerichtlichen Augenschein beigezogenen Fachbeamten des Baudepartements (Abteilung Hochbau) gestützt. Weitere Hindernisse öffentlichrechtlicher Art werden nicht genannt und sind auch nicht ersichtlich. 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 249 bb) Die Verweigerung der vom Beschwerdegegner beabsich- tigten baulichen Vorkehr tangiert das Grundrecht der Eigentums- garantie (Art. 26 Abs. 1 BV). Einschränkungen von Grundrechten bedürfen u. a. einer gesetzlichen Grundlage (Art. 36 Abs. 1 BV). Eine Bestimmung, welche die Berücksichtigung künftiger Bauvor- haben des Nachbarn ausdrücklich vorschreibt, enthält nun aber we- der das kantonale noch das kommunale Recht; auch die Vertreter des Stadtrats mussten dies an der verwaltungsgerichtlichen Augen- scheinsverhandlung einräumen. Eine ausreichende Rechtsgrundlage wäre möglicherweise dann zu bejahen, wenn in der Dorfzone Weier die geschlossene Bauweise zwingend vorgeschrieben wäre, was in- dessen nicht zutrifft (vgl. Art. 38 BO; anders in der Altstadtzone, in welcher die geschlossene Bauweise zumindest als Regel gilt [Art. 41 Abs. 8 BO]). cc) Damit steht fest, dass das Argument, mit welchem der Stadt- rat die Abweisung des Baugesuchs begründet, ausschliesslich die privatrechtliche Ebene berührt. Es wäre Sache der betroffenen Nach- barn, ihre diesbezüglichen Interessen vor dem Zivilrichter im dafür vorgesehenen Verfahren geltend zu machen (vgl. zur privatrechtli- chen Rechtslage beim Durchbruch einer Mittel- oder Grenzmauer, die gemeinschaftlich werden kann: BGE 120 Ib 330); die Verwal- tungsbehörden und das Verwaltungsgericht sind dafür jedenfalls sachlich nicht zuständig (vgl. Erw. b hievor; ferner AGVE 1997, S. 336). Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang beigefügt, dass die Eigentümer der Nachbarparzelle Nr. 1198 allfällige spätere Bau- absichten nicht selber ins Spiel gebracht, sondern in ihrer Einsprache vom 30. August 1997 lediglich auf die Beeinträchtigung ihrer Pri- vatsphäre durch den Fenstereinbau hingewiesen haben. 3. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass dem Bauvor- haben des Beschwerdegegners kein Hindernis öffentlichrechtlicher Art entgegensteht, weshalb er Anspruch auf Erteilung der Baube- willigung hat. Die Beschwerdegründe, welche der Stadtrat vorbringt, 2000 Verwaltungsgericht 250 erweisen sich nicht als stichhaltig, die Beschwerde ist demzufolge abzuweisen.
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2004 Enteignungsrecht 205 V. Enteignungsrecht 51 Festsetzung des Verkehrswerts bei formeller Enteignung (§ 143 Abs. 1 lit. a BauG). - Grundsatz der vollen Entschädigung gemäss Art. 26 Abs. 2 BV und § 21 Abs. 4 KV (Erw. 2/a). - Präferenz für die statistische oder Vergleichsmethode (Erw. 2/b). - Massgebender Zeitraum für die Heranziehung von Vergleichspreisen; Folgerungen aus dem Umstand, dass die Preisgestaltung im Regelfall vergangenheitsbezogen ist; Ausnahmen (Erw. 2/c). - Fehlende Gesetzmässigkeit zwischen den Preisen für Industrie- und jenen für Wohnbauland (Erw. 2/d). - Rechtsanwendung: Bejahung der Marktüblichkeit bei einem im Streite liegenden Grundstück; Bedeutung einer Unternehmerklausel im Kaufvertrag (Erw. 3/a). Festlegung der Kriterien für die Heranzie- hung von Vergleichsgrundstücken (Erw. 3/b). Erhebung von Ver- gleichspreisen in Gemeinden der nähern Region; Extrapolationsmög- lichkeiten (Erw. 3/c). Hochrechnung der vergleichbaren Landwerte auf den Stichtag; Festlegung der Preissteigerungsquote anhand kan- tonaler Bodenpreisstatistiken (Erw. 3/d). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. November 2003 in Sachen Erbengemeinschaft W. und Mitb. gegen Schätzungskommission nach Baugesetz. Aus den Erwägungen 2. a) Bei Enteignungen ist volle Entschädigung zu leisten (Art. 26 Abs. 2 BV; § 21 Abs. 4 KV; Art. 5 Abs. 2 RPG; § 138 BauG). Dies bedeutet, dass dem Enteigneten der durch die Enteig- nung entstandene Schaden voll auszugleichen ist; er soll weder einen Verlust erleiden noch einen Gewinn erzielen, also nach der 2004 Verwaltungsgericht 206 Enteignung wirtschaftlich gleichgestellt sein wie vorher (BGE 127 I 190 mit Hinweisen; Ulrich Häfelin / Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich 2002, Rz. 2107). Bei einer materiellen Enteignung bemisst sich die Entschädigung nach dem Minderwert, wie er im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Ei- gentumsbeschränkung entstanden ist (BGE 119 Ib 233 mit Hinwei- sen). b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der zu ent- schädigende Verkehrswert (§ 143 Abs. 1 lit. a BauG) primär anhand von Vergleichspreisen festzulegen (statistische Methode oder Ver- gleichsmethode). Was eine unbestimmte Vielzahl von Kaufinteres- senten auf dem freien Markt für das enteignete Grundstück bezahlt hätte, lässt sich am zuverlässigsten auf Grund der tatsächlich gehan- delten Preise für vergleichbare Liegenschaften ermitteln. Allerdings führt diese Methode nur dann zu richtigen Resultaten, wenn Ver- gleichspreise in genügender Zahl für Objekte ähnlicher Beschaffen- heit zur Verfügung stehen. An diese Voraussetzungen dürfen jedoch nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. So erfordert die Ver- gleichbarkeit nicht, dass in Bezug auf Lage, Grösse, Erschliessungs- grad und Ausnützungsmöglichkeiten praktisch Identität besteht. Un- terschieden der Vergleichsgrundstücke kann durch Preiszuschläge oder -abzüge Rechnung getragen werden. Auch braucht das Ver- gleichsgrundstück nicht im selben Quartier zu liegen, sofern es hin- sichtlich Lage, Umgebung, Ausnützungsmöglichkeit usw. dem Schätzungsobjekt ähnlich ist. In der Regel lässt sich selbst aus ver- einzelten Vergleichspreisen auf das allgemeine Preisniveau schlies- sen. Sind nur wenige Kaufpreise bekannt, müssen diese besonders sorgfältig untersucht werden; sie können nur insoweit zur Entschädi- gungsbestimmung verwendet werden, als dem Vertragsabschluss nicht - wie etwa bei Verkäufen unter Verwandten sowie bei Arrondie- rungs- und ausgesprochenen Spekulationskäufen - unübliche Ver- hältnisse zu Grunde liegen. Nur wenn überhaupt keine Vergleichs- preise vorhanden sind, dürfen sich die Schätzungsbehörden auf die ausschliessliche Anwendung von Methoden beschränken, die - wie die Lageklassemethode oder die Methode der Rückwärtsrechnung - auf blosse Hypothesen abstellen, auf heute nicht mehr durchwegs 2004 Enteignungsrecht 207 geltenden Rentabilitätsüberlegungen beruhen und bei denen das Er- gebnis selbst durch kleinere Erhöhungen oder Reduktionen der Aus- gangswerte fast beliebig verändert werden kann (siehe zum Ganzen: BGE 122 I 173 f. mit Hinweisen; BGE vom 1. Juli 1997, in: ZBl, 99/1998, S. 142). Das Bundesgericht zieht also die statistische Methode allen andern Wertermittlungsmöglichkeiten vor. Wenn irgend möglich soll der Verkehrswert anhand von Vergleichspreisen bestimmt werden. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass unter Umständen auch Vergleichskäufe in benachbarten Gemeinden in die Betrachtung ein- bezogen werden müssen. Allerdings kommt dies nur in Frage, wenn sich die fraglichen Grundstücke mit dem Schätzungsobjekt hinsicht- lich Lage, Erschliessung, Nutzungsmöglichkeiten und weiteren preis- bestimmenden Faktoren tatsächlich vergleichen lassen. Diese Vor- aussetzung dürfte in relativ homogenen, mehrheitlich ländlich ge- prägten Verhältnissen eher gegeben sein als in Gebieten mit einer starken Bautätigkeit (ZBl 99/1998, S. 143). c) Sind für die Wertbestimmung in erster Linie schlüssige Ver- gleichspreise heranzuziehen, so stellt sich als nächstes die Frage, welcher Zeitraum dafür massgebend ist. Die bisherige Rechtspre- chung des Verwaltungsgerichts geht dahin, dass Vergleichspreise, denen bedeutende zeitliche oder räumliche Abstände zu Grunde lie- gen, nicht in die Beurteilung einbezogen werden (VGE I/77 vom 9. Dezember 1993 [BE.1992.00118] in Sachen Einwohnergemeinde Schwaderloch, S. 12; siehe auch Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 194 N 1a). Massgebender Zeitpunkt für die Verkehrswertermittlung war in die- sem Urteil der 21. März 1991 (Datum des angefochtenen Entscheids der Schätzungskommission). Herangezogen zum statistischen Ver- gleich wurden Verkäufe mit den Abschlussdaten vom 13. März 1989, 9. November 1989, 20. Dezember 1989 und 22. November 1990. Unberücksichtigt blieb ein am 6. Juni 1991 getätigter Verkauf, weil für die Ermittlung des Verkehrswerts in der Regel die Verhältnisse im Zeitpunkt des Entscheids der Schätzungskommission massgebend seien und sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Einzel- fallausnahmen keine Abweichung vom gesetzlichen Regelfall auf- 2004 Verwaltungsgericht 208 dränge. Das Gleiche galt für einen am 14. November 1988 abge- schlossenen Kaufvertrag; ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren zwischen Verkaufs- und Stichtag sei zu gross. Die Schätzungs- kommission zog im Sinne dieser Praxis grundsätzlich weder Preise, die mehr als zwei Jahre vor dem Stichtag liegen, noch solche, die nach dem Stichtag erzielt wurden, zum Vergleich heran. Die Beschwerdeführerinnen vertreten die Auffassung, in Zeiten markanter Landpreisbewegungen müsse beim Vergleich der zeitlich zurück- und nachliegenden Handänderungsfälle strikte zeitliche Symmetrie beachtet werden; beim massgebenden Stichtag 11. Juni 1988 seien also die Vergleichsfälle zwei Jahre vorher und zwei Jahre nachher zu betrachten. Diese Betrachtungsweise ist bezüglich der später erfolgten Handänderungen verfehlt. Der Enteignete soll so gestellt werden, wie wenn er sein Grundstück im Zeitpunkt der Ent- eignung freihändig veräussert hätte. Nun ist die Preisgestaltung in aller Regel vergangenheitsbezogen, d.h. der Landhandel richtet sich an früher erzielten Preisen mit vergleichbaren Objekten aus, unter Berücksichtigung der seither eingetretenen Wertsteigerung oder - abnahme. Wie sich die Zukunft gestaltet, ist rein spekulativ und kann sich deshalb bei der Verkehrswertbestimmung auch nicht direkt aus- wirken. Vorbehalten mag hier der Fall sein, dass eine künftige Ent- wicklung, welche die Preise ansteigen oder sinken lässt, bereits jetzt klar erkennbar ist, wie dies etwa bei Bauerwartungsland im Vorfeld einer beabsichtigten Einzonung zutreffen kann. Bei Beachtung der von den Beschwerdeführerinnen propagierten zeitlichen Symmetrie dagegen würde der auf diese Weise ermittelte Verkehrswert den am Stichtag im freien Handel erzielbaren Preis nicht mehr widerspie- geln, und es käme zu Verzerrungen. An der im zitierten VGE in Sachen Einwohnergemeinde Schwaderloch eingeschlagenen Linie ist somit grundsätzlich festzuhalten. Ein Ausblick in die auf den Stichtag folgende Zeitperiode er- weist sich noch unter einem andern, besondern Aspekt als sachge- recht. Namentlich wenn längere Zeit vor dem Stichtag keine Ver- gleichspreise verfügbar sind, kann es hilfreich sein, Vergleichspreise, die innerhalb eines gut überblickbaren Zeitraums nach dem Stichtag erzielt wurden, in die Beurteilung mit einzubeziehen, um den Verlauf 2004 Enteignungsrecht 209 der Preiskurve in der Spanne zwischen dem letzten Vergleichswert vor dem Stichtag und dem per Stichtag festzulegenden Verkehrswert zu interpretieren. Über eine Interpretationshilfe geht indessen der Einbezug solcher Vergleichspreise nicht hinaus. Es bleibt dabei, dass für die Bestimmung des Verkehrswerts ausschliesslich in der Vergan- genheit erzielte Vergleichspreise unmittelbar massgebend sind; sie bilden die Beurteilungsgrundlage. Ist die zeitliche Nähe zum Stichtag ausreichend, bzw. sind die Vergleichspreise unter diesem Aspekt ge- eignet, den Verkehrswert am Stichtag zu indizieren, muss es dabei ohne Ausblicke auf die Zeit nach dem Stichtag sein Bewenden ha- ben. d) Die Schätzungskommission hat festgestellt, innerhalb der massgebenden Zeitperiode finde sich in der Gemeinde Niederlenz - abgesehen von einem am 16. Mai 1989 auf der Parzelle Nr. 1642 im "Oberen Lenzhardfeld" begründeten selbständigen und dauernden Baurecht - kein einziges Grundstück, das in der Industriezone liege und diesbezüglich zum Vergleich tauglich sei. In dieser Situation komme auch den für Bauland in der Wohnzone bezahlten Preisen eine Bedeutung zu. Wie die Fachrichter der Schätzungskommission aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung wüssten, entspreche der Preis von Bauland in der Industriezone bei normaler Konjunkturlage etwa der Hälfte des Preises, der für Wohnbauland erzielt werde. In Phasen mit grossen Schwankungen erreiche der Industrielandpreis dagegen oft nur noch einen Drittel des Wohnbaulandpreises, was gegen Schluss der Immobilienpreishausse Ende der Achtzigerjahre wohl der Fall gewesen sei. Der hier relevante Stichtag liege zu Beginn dieser durch fast exponentiell ansteigende Immobilienpreise gekenn- zeichneten Endphase. Es sei deshalb davon auszugehen, dass sich die Industrielandpreise noch immer auf ungefähr der Hälfte des Preises für Wohnbauland belaufen hätten. Im Weitern könne unter Zugrunde- legung der Preise, die zuletzt für die im Streit liegenden Grundstücke bezahlt worden seien, der Verkehrswert für Industrieland im Sinne einer Kontrollrechnung zur "Hälfteregel Wohnzone", angelehnt an die prozentuale Preissteigerung in den andern Bauzonen, extrapoliert werden. Dabei würden die früher bezahlten Preise um die um die 2004 Verwaltungsgericht 210 Hälfte reduzierte prozentuale Wertsteigerung der Vergleichszonen erhöht. Die Beschwerdeführerinnen bezeichnen die "Regel", wonach der Baulandpreis in der Industriezone etwa der Hälfte bis einem Drit- tel des Wohnbaulandpreises entspreche, unter Berufung auf einen von ihnen konsultierten "erfahrenen und renommierten Immobilien- treuhänder" als nicht haltbar, und sie unterlegen diesen Einwand mit Vergleichswerten aus der Gemeinde Niederlenz und verschiedenen Nachbargemeinden. Das Verwaltungsgericht teilt diese Bedenken. Die angeführte Gesetzmässigkeit zwischen den Preisen für Industrie- und Wohnbauland gibt es namentlich darum nicht, weil die Nachfrage nach derartigem Land von gänzlich unterschiedlichen Faktoren abhängt. Die Schätzungskommission weist selber zu Recht darauf hin, dass bei Bauland für Wohnzwecke nicht nur ökonomische Faktoren wie die Ausnützungsziffer, sondern auch ideelle Aspekte wie die Lage des Grundstücks oder die persönliche Situation der Interessenten die Preisbildung massgeblich beeinflussten. Bei Industrieland spielen derartige Gesichtspunkte praktisch keine Rolle. Zudem sind die Nutzungsmöglichkeiten und die lagemässigen Gegebenheiten von Gemeinde zu Gemeinde anders. Die der Ver- kehrswertbestimmung zugrunde zu legende Preisstatistik hat sich deshalb auf die Industriezone zu beschränken, und eine Auswertung der in den Wohnzonen erzielten Landpreise kann unterbleiben. 3. Die Anwendung der vorstehend aufgeführten Grundsätze auf den vorliegenden konkreten Einzelfall ergibt Folgendes: a) In der massgebenden Zweijahresperiode vor dem Stichtag (11. Juni 1988) gab es, wie dies bereits die Schätzungskommission angemerkt hat, in der Gemeinde Niederlenz keinen eigentlichen Han- del für Industriezonenland. Die einzige diesbezügliche Handände- rung betrifft die Parzelle Nr. 1026, welche mit Kaufvertrag vom 12. Juni 1986 von der Beschwerdeführerin 2 an die N. AG zu einem Preis von Fr. 177.--/m 2 veräussert wurde. (...). Sofern es sich um einen marktüblichen Preis handelt, steht nichts entgegen, das Rechtsgeschäft vom 12. Juni 1986 hier zu be- rücksichtigen, auch wenn es sich um ein im Streite liegendes Grund- stück handelt. Die Frage der Marktüblichkeit ist dabei zu bejahen. 2004 Enteignungsrecht 211 Zunächst können die Auszonungsbestrebungen, welche damals in der Gemeinde Platz griffen und darin gipfelten, dass am 22. Dezember 1986 eine Initiative auf Zuweisung u.a. der Parzelle Nr. 1026 zum übrigen Gemeindegebiet eingereicht wurde, kaum auf den Kaufpreis abgefärbt haben, da sich die Käuferin mit der im Kaufvertrag verein- barten Rücktrittsklausel für den Fall, dass ihr eine Baubewilligung für den geplanten Industrieneubau rechtskräftig verweigert werden sollte, eines entsprechenden Risikos entledigte. Zudem hatte die Gemeindeversammlung noch am 30. November 1984 einen Antrag auf Auszonung der Industriezone 2 nördlich des Lenzhardwegs deutlich abgelehnt. Die Beschwerdeführerinnen weisen sodann in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die Verkäuferin (und Beschwerdeführerin 2) das Recht ausbedungen habe, bei der Über- bauung der Parzelle Nr. 1026 sämtliche Erd-, Baumeister- und Zimmereiarbeiten ausführen zu können; sie habe also den Verkauf nicht nur nach dem Preis, sondern auch unter dem Blickwinkel der Auftragsbeschaffung bewertet. Es mag sein, dass der Kaufpreis ohne die Unternehmerverpflichtung etwas höher vereinbart worden wäre, aber von erheblicher Relevanz kann dieser Umstand auch nicht ge- wesen sein, wurde doch die Übertragung der Arbeiten an "ortsübli- che, mittlere Konkurrenzpreise und Bedingungen" geknüpft. b) Es versteht sich von selbst, dass beim Vorliegen eines einzi- gen Vergleichspreises, der zudem ganz am Anfang der Beurtei- lungsperiode erzielt wurde, ohne weitere schlüssige Indikatoren kein repräsentatives Bild entsteht. Der Blick auf die Verhältnisse in den Nachbargemeinden bzw. der näheren Region erweist sich deshalb als unumgänglich. Vorgängig muss festgelegt werden, nach was für Kri- terien allfällige Vergleichsgrundstücke heranzuziehen sind. Dies wie- derum hängt von der Qualität der Grundstücke ab, für welche die Enteignungsentschädigung festzulegen ist. In den vorangegangenen Entscheiden hat das Verwaltungsge- richt die im "Lenzhardfeld" gelegenen Grundstücke der Beschwer- deführerinnen als für eine allfällige Überbauung geeignet und ins- besondere als groberschlossen qualifiziert. Sie seien eben, rechteckig geformt und genügend gross. Die verkehrsmässige Anbindung er- folge über den Lenzhardweg, der ein Teil der um die Industriezone 1 2004 Verwaltungsgericht 212 herumführenden Ringstrasse sei; die kanalisationsmässige Entwässe- rung sowie Wasser- und Energieversorgung seien ebenfalls gewährleistet. Zulässig waren in der Industriezone 2, in welcher sich die fraglichen Grundstücke befanden, Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe (Art. 45 Abs. 1 der Bauordnung der Ge- meinde Niederlenz vom 30. November 1984 / 31. Mai 1988 [BO 84]). Störende Betriebe waren zugelassen, soweit benachbarte Wohngebiete keinen übermässigen Einwirkungen ausgesetzt waren (Art. 45 Abs. 2 BO 84). Der für die Industriezone 2 geltende Immissionsgrad 3 ("störend") galt für Betriebe, von denen starke Beeinträchtigungen ausgehen (Art. 38 lit. c i.V.m. Art. 39 Abs. 2 BO 84). Im Zusammenhang mit der Immissionsproblematik führte das Verwaltungsgericht aus, die Parzellen Nrn. 1026, 1580, 1581 und 1582 lägen weit von den Wohnzonen der Gemeinde Niederlenz entfernt, weshalb sie ohne Störungspotential auf Anwohner überbaut werden könnten; dieser Vorteil werde allerdings durch die häufige Westwindlage sowie den Umstand relativiert, dass der motorisierte Verkehr entweder über Lenzburg oder - von Norden her kommend - durch das Dorf Niederlenz fahren müsse, um zur Industriezone zu gelangen. Gestützt auf diese - nie bestrittenen - Ausführungen dürfen Lage und Nutzungsmöglichkeiten der umstrittenen Grundstücke als gut bezeichnet werden. Die Lagequalität wird zudem durch die nahe Autobahn erhöht (vom "Lenzhardfeld" zum Autobahnanschluss Aarau-West sind es etwa 4.5 km, zum Autobahnanschluss Lenzburg etwa 3.8 km). Bei der Heranziehung von Vergleichspreisen aus an- dern Gemeinden ist auf ähnlich situierte, zumindest groberschlossene Grundstücke von ungefähr gleicher Fläche abzustellen. Vergleichbar sind sodann nur unüberbaute Grundstücke. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die dienstbarkeitsvertraglich gesicherte Möglichkeit zur Realisierung eines Bahnanschlusses den Wert von Industrieland eher erhöht. Vernachlässigbar ist dagegen - entgegen der Meinung der Schätzungskommission -, dass auf der westlich angrenzenden Par- zelle Nr. 666 eine Schiessanlage betrieben wird; auf eine Industrie- baute wirkt sich deren Konfliktpotential schon deshalb nicht 2004 Enteignungsrecht 213 nennenswert aus, weil der Schiesslärm erfahrungsgemäss grössten- teils ausserhalb der ordentlichen Arbeitszeiten anfällt. c) aa) Bereits die Schätzungskommission hat für die Jahre 1986 bis 1989 Industrielandpreise in den vier Gemeinden Dintikon, Hun- zenschwil, Schafisheim und Seon erhoben. Das Verwaltungsgericht hat seinerseits von den Gemeinden Birr, Brunegg, Dintikon, Eglis- wil, Hendschiken, Hunzenschwil, Lenzburg, Lupfig, Mägenwil, Mö- riken-Wildegg, Othmarsingen, Rupperswil, Schafisheim und Seon die vollständigen Grundstücksmutationen in der Industriezone im Zeitraum vom 1. Juni 1986 bis 30. Juni 1989 einverlangt. Die tabellarische Übersicht zeigt dabei das folgende Bild (berücksichtigt sind ausschliesslich unüberbaute Grundstücke): (...) bb) Im Folgenden ist zu prüfen, welche dieser Vergleichspreise bei der Festsetzung des Verkehrswerts per 11. Juni 1988 schlüssige Anhaltspunkte liefern können. aaa) (...) bbb) Unter den verbleibenden Handänderungsgeschäften, wel- che innerhalb der Vergleichsperiode getätigt wurden, sind naturge- mäss in erster Linie jene relevant, welche möglichst nahe beim Stichtag (11. Juni 1988) liegen, weil dann bei der Extrapolation auf diesen Tag am wenigsten Ungenauigkeiten in Kauf genommen wer- den müssen. (...). Zu den Extrapolationsmöglichkeiten (vorne Erw. 2/c) ergibt sich was folgt: · Der Verkauf der 12'407 m 2 haltenden Parzelle Nr. 570 in Dintikon ist am 22. Januar 1988 zu einem Preis von Fr. 2'605'470.-- bzw. umgerechnet Fr. 210.--/m 2 erfolgt. Am 5. Juli 1989 ist dasselbe Grundstück zum Preis von Fr. 3'722'100.-- bzw. umgerechnet Fr. 300.--/m 2 weiterver- äussert worden. Geht man von einer linearen Preissteigerung zwischen dem 22. Januar 1988 und dem 5. Juli 1989 aus, betrug der Wert der Parzelle Nr. 570 am Stichtag somit rund Fr. 240.--/m 2 . · Die Veräusserung der 9'574 m 2 haltenden Parzelle Nr. 1005 in Hunzenschwil ist am 22. Juni 1987 zu einem Preis von 2004 Verwaltungsgericht 214 Fr. 1'972'244.-- bzw. umgerechnet Fr. 206.--/m 2 erfolgt. Am 28. September 1988 ergab der Verkauf der - im gleichen Ge- biet ("Neuland") gelegenen - Parzelle Nr. 1006 im Halte von 8'043 m 2 den Preis von Fr. 2'091'180.-- bzw. umgerechnet Fr. 260.--/m 2 . Geht man wiederum von einer linearen Preis- steigerung aus, ergibt sich für den Stichtag ein Wert von knapp Fr. 250.--/m 2 . · Der Verkauf der 20'443 m 2 haltenden Parzelle Nr. 1943 in Seon ist am 6. Januar 1988 zu einem Preis von Fr. 3'986'385.-- bzw. umgerechnet Fr. 195.--/m 2 erfolgt. Ebenfalls zum Preis von Fr. 195.--/m 2 ist am 15. Januar 1988 die im gleichen Gebiet ("Birren") gelegene Parzelle Nr. 3437 im Halte von 2'508 m 2 gehandelt worden, wobei die Einwoh- nergemeinde Seon als Verkäuferin auftrat. An sich drängt sich hier die Überlegung auf, ob der Umstand, dass die Gemeinde mit Kaufvertrag vom 6. Januar 1987 dasselbe Grundstück zum Preis von Fr. 72.--/m 2 erworben hatte, eine Hochrechnung des diesbezüglichen Preissteigerungsfaktors auf den Stichtag erlaubt. Davon ist nun freilich abzusehen, weil der Vergleich der beiden Erwerbspreise vom 6. Januar 1987 und vom 15. Januar 1988 eine mit Sicherheit unrealisti- sche Steigerungsquote von (auf das Jahr umgerechnet) 71% ergibt (siehe dazu hinten Erw. d/cc). d) aa) Ausgangspunkt für die Bestimmung des Verkehrswerts bildet der am 12. Juni 1986 erzielte Preis von Fr. 177.--/m 2 für die Parzelle Nr. 1026 (vorne Erw. a). Von einer Hochrechnung auf den Stichtag anhand von Vergleichspreisen in der Gemeinde selber muss hier abgesehen werden. Aktenkundig ist zwar die Begründung eines selbständigen und dauernden Baurechts auf der Parzelle Nr. 1642 im "Oberen Lenzhardfeld", öffentlich beurkundet am 16. Mai 1989. Rein von der zeitlichen Situierung her könnte der dem Baurechtszins zugrunde gelegte Bodenpreis von Fr. 150.--/m 2 im Rahmen der Preiskurvenbestimmung herangezogen werden (vorne Erw. 2/c). Dies verbietet sich aber, weil ein Bodenwert, der bei tendenziell steigen- den Landpreisen unter einem rund drei Jahre vorher für ein Grund- stück im gleichen Gebiet erzielten Preis liegt, von vornherein nicht 2004 Enteignungsrecht 215 relevant sein kann. Mit der Schätzungskommission ist das Verwal- tungsgericht im Übrigen der Ansicht, dass ein in einem Baurechts- vertrag angenommener Bodenpreis nicht ohne weiteres einem ge- handelten Marktwert gleichgestellt werden kann, weil die Rahmen- bedingungen anders sind als bei einem Kaufvertrag. bb) Insgesamt stehen somit vier Vergleichspreise für die Fest- setzung des Verkehrswerts am Stichtag (11. Juni 1988) zur Verfü- gung. Das Verwaltungsgericht geht dabei davon aus, dass bezüglich der Eignung zur Überbauung (Lage, Form, Beschaffenheit) und des Erschliessungsgrads keine hier ins Gewicht fallenden Unterschiede bestehen. Näher zu betrachten ist lediglich die Qualität der Anbin- dung an die Autobahn. Diesbezüglich hat die Schätzungskommission erwogen, die Industriezone von Hunzenschwil liege ungleich besser als die Grundstücke der Beschwerdeführerinnen. Während jene direkt am Autobahnanschluss Aarau-Ost gelegen sei, führten die Wege vom "Lenzhardfeld" zur Autobahn durch Lenzburg hindurch. Dieser Unterschied müsse sich in einer deutlichen Preisdifferenz auswirken. Unter dem Erschliessungsaspekt sei Niederlenz eher mit Seon vergleichbar, dessen Industriezone ebenfalls nicht direkt an der Autobahn liege, wobei die Distanz zum Autobahnanschluss aber län- ger sei. Das Verwaltungsgericht misst diesem Kriterium hier weniger Bedeutung bei; Distanzunterschiede von 1 - 4 km zur Autobahn sind in der Regel für einen Industriebetrieb irrelevant. cc) Die Anwendung der statistischen Methode (vorne Erw. 2/b) kann somit auf vier vergleichbaren Landwerten basieren. Die beiden Werte aus den Gemeinden Dintikon und Hunzenschwil von Fr. 240.-- /m 2 bzw. Fr. 250.--/m 2 sind dabei bereits anhand von Vergleichsprei- sen in den betreffenden Gemeinden selber auf den Stichtag hochge- rechnet. Bei den beiden Werten aus den Gemeinden Niederlenz (Veräusserungsdatum: 12. Juni 1986) und Seon (Veräusserungsda- tum: 6./15. Januar 1988) rechtfertigt es sich, die Extrapolation auf- grund der allgemeinen Preissteigerung vorzunehmen, welche im damaligen Zeitraum bei den Industrielandpreisen zu verzeichnen war. Aus den von den Beschwerdeführerinnen ins Recht gelegten Bodenpreisstatistiken der Kantone und Zürich und Basel-Landschaft 2004 Verwaltungsgericht 216 (gemäss Auskunft des Chefs des Statistischen Amts führt der Kanton Aargau keine derartige Statistik) lässt sich herauslesen, dass · im Kanton Zürich (ohne Stadt Zürich) seit dem Jahr 1983, als die Preise nach einer Stabilisierungsphase deutlich anzu- ziehen begannen, die durchschnittliche jährliche Zuwachs- rate auf den Gewerbe- und Industriebaulandpreisen bis 1988 24% (Schnitt = Preise je m 2 mit m 2 -Gewicht), 20% (Mittel = arithmetisches Mittel der m 2 -Preise) und 15% (Median = Wert, unter und über dem jeweils die Hälfte der Werte liegt) betrug sowie zwischen 1987 und 1988 die Preise um 21% (Schnitt), 26% (Mittel) und 12% (Median) stiegen, · im Kanton Basel-Landschaft die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate auf den Baulandpreisen in den Industriezonen zwischen 1985 und 1990 22% betrug. Dem entsprechen in etwa auch die Preissteigerungen, welche die Parzelle Nr. 570 in Dintikon (auf das Jahr umgerechnet 29%) und die Parzelle Nr. 1005 in Hunzenschwil (auf das Jahr umgerechnet 21%) mitgemacht haben. Die Annahme einer jährlichen Steigerungs- quote von 20% dürfte der damaligen Realität im Kanton Aargau bzw. in Niederlenz und seiner Region am nächsten kommen. Demzufolge betragen die Landwerte per Stichtag für die Parzelle Nr. 1026 in Niederlenz Fr. 248.--/m 2 (+ 40%) und für die Parzellen Nrn. 1943 und 3437 in Seon Fr. 215.--/m 2 (+ 10%). Das arithmetische Mittel der vier Werte ergibt für die Parzellen Nrn. 1026, 1580, 1581 und 1582 einen Verkehrswert per 11. Juni 1988 von Fr. 238.--/m 2 bzw. gerundet Fr. 240.--/m 2 .
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2018 Steuern 79 8 Liegenschaftsunterhaltskosten Keine Gewährung einer Liegenschaftenhändlerpauschale für Gemein- kosten am Hauptsteuerdomizil im Nebensteuerdomizil, wenn keine Kos- ten nachgewiesen sind bzw. sämtliche Kosten bereits im Liegenschafts- kanton berücksichtigt wurden Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 14. Juni 2018, in Sachen A. gegen KStA und Gemeinderat Z. (WBE.2018.110). 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 80 Aus den Erwägungen 1. Der Streit dreht sich allein um die Gewährung der sog. Liegen- schaftenhändlerpauschale, d.h. um die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein solcher Abzug vom Gewinn aus dem Ver- kauf der Stockwerkeigentumseinheiten in Z., für den die Besteue- rungszuständigkeit allein dem Kanton Aargau als Belegenheitskanton zusteht, zuzulassen ist. 1.1. Den vom Liegenschaftenhändler erzielten Gewinn ganz dem Kanton der gelegenen Sache zuzuweisen, lässt sich sachlich nur rechtfertigen, wenn alle Aufwendungen, die dem Händler im Hin- blick auf die Gewinnerzielung erwachsen, von diesem Kanton zum Abzug zugelassen werden müssen und deshalb vom Kanton, in dem der Händler zufolge Wohn- oder Geschäftssitz sein übriges Einkom- men zu versteuern hat, nicht berücksichtigt zu werden brauchen (so schon BGE 92 I 461 E. 2a S. 467). Im Sinn eines interkantonalen Ausgleichs hat daher nach konstanter bundesgerichtlicher Recht- sprechung zum interkantonalen Doppelbesteuerungsverbot der Lie- genschaftskanton einen Anteil an den allgemeinen Unkosten (Um- triebe beim Ankauf, der Erschliessung und Überbauung sowie beim Verkauf in Form von Personal- und Sachauslagen, Reisespesen, Telefongebühren, Büromietkosten, Porti usw.) am steuerrechtlichen Wohnsitz bzw. Sitz des interkantonalen gewerbsmässigen Liegen- schaftenhändlers zu übernehmen, der im entsprechenden Umfang dem Wohnsitz- bzw. Sitzkanton zusteht. Dabei handelt es sich nur um einen interkantonalen Ausgleich, d.h. im selben Ausmass, in dem der Liegenschaftskanton allgemeine Unkosten zu übernehmen hat, wird der Wohnsitz-/Sitzkanton von deren Berücksichtigung als Auf- wand bei der allgemeinen Gewinn- bzw. Einkommenssteuer entlastet (vgl. FELIX RICHER/WALTER FREI/STEFAN KAUFMANN/HANS ULRICH MEUTER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 3. Aufl., Zürich 2013, § 221 Rz 164; Urteil des Bundesgerichts vom 4. April 2011 [2C_689/2010] Erw. 2.1). 1.2. 2018 Steuern 81 Die Liegenschaftenhändlerpauschale soll einerseits die verän- derlichen d.h. auf das einzelne Rechtsgeschäft bezogenen Kosten und andererseits einen Anteil der festen Kosten (Gemeinkosten) berücksichtigen. Sie soll mithin einen Anteil an jenen Unkosten des Liegenschaftenhändlers am Hauptsitz übernehmen, die mit dem Ver- kauf von Liegenschaften zusammenhängen. Von dem als Faustregel aufzufassenden Satz von 5 % kann abgewichen werden, wenn hin- reichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er zu tief oder zu hoch ist. Ein niedriger Satz kann sich etwa rechtfertigen, wenn Vermitt- lungsprovisionen und Dienstleistungshonorare an Dritte zum Abzug gebracht werden (Urteil des Bundesgerichts vom 4. April 2011 [2C_689/2010] Erw. 2.1 mit Hinweisen). 2. 2.1. Der Beschwerdeführer hat mit der Steuererklärung 2011 Ein- künfte aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit von Fr. 191'511.00 so- wie unter Ziff. 120 des Steuererklärungsformulars andere Entschä- digungen von Fr. 297'000.00 deklariert. Für die zuletzt genannten Einkünfte lag der Steuererklärung ein Beiblatt bei, in dem erläuternd ausgeführt wurde: Position 120, Verwaltungskosten zu Gunsten Sitzkanton - A.Strasse yy, Z. Fr. 220'000.- zugunsten Sitzkanton (5% Verwaltungskosten wurden nicht voll ausgeschöpft) - B.Strasse, W. Fr. 77'500.- zugunsten Sitzkanton (5% Verwaltungskosten) Total Verwaltungskosten zu Gunsten Sitzkanton Fr. 297'000.- Der Kanton Q. hat, wie sich aus der in den Akten liegenden Interkantonalen Steuerausscheidung ergibt, einen Betrag von insge- samt (Fr. 191'511.00 + Fr. 297'000.00 =) Fr. 488'511.00 als Einkom- men aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit erfasst und in den Kan- ton Q. allokiert. 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 82 Eine Buchhaltung für die Einkünfte aus Liegenschaftenhandel wurde nicht eingereicht. In den Akten findet sich hingegen die Bau- kostenabrechnung der Architektur A. AG für die Stockwerkeigen- tumseinheiten in Z., aus der sich Gesamtbaukosten von Fr. 5'407'939.45 ergeben. Gemäss einer ebenfalls in den Akten liegenden Berechnung betrug der Preis für das Grundstück Fr. 1'525'000.00, so dass Gesamtkosten im Zusammenhang mit dem Erwerb und der Überbauung der Liegenschaft von (Fr. 5'407'939.45 + Fr. 1'525'000.00 =) Fr. 6'932'939.45 bzw. - nach Abzug der (bloss) kalkulatorischen Position Eigenmittelverzinsung von Fr. 200'000.00 - Fr. 6'732'939.45 resultieren. Diesen Gesamtkosten für das Baupro- jekt stehen Verkaufserlöse von insgesamt Fr. 6'950'231.40 gegenüber, so dass sich ein Gewinn von Fr. 217'291.45 aus dem Bauprojekt ergibt. 2.2. Der - pauschale (mittels Liegenschaftenhändlerpauschale) oder effektive - Abzug von auf den Wohnsitzkanton des Liegenschaften- händlers entfallenden Kosten kommt nur dann infrage, wenn am Wohnsitz auch entsprechende Kosten entstanden sind. Da es vor allem für nicht einem individuellen Bauprojekt zuordenbare Kosten schwerfällt exakt zu quantifizieren, in welchem Ausmass sie die Lie- genschaft betreffen, welche veräussert wurde (und hinsichtlich des dabei erzielten Gewinns der Belegenheitskanton ein Besteuerungs- recht in Anspruch nehmen kann), drängt es sich insbesondere für diese festen oder Gemeinkosten auf, den auf den Liegen- schaftskanton entfallenden Anteil zu schätzen und mittels einer Pauschale zu berücksichtigen. Auch insoweit ist indessen Voraus- setzung für die Gewährung eines Abzugs im Liegenschaftskanton - welcher umgekehrt im Wohnsitzkanton die steuerliche Nicht- berücksichtigung der entsprechenden Aufwendungen nach sich zieht -, dass entsprechende Kosten tatsächlich angefallen sind. 2.2.1. Die Zielsetzung der Liegenschaftenhändlerpauschale besteht darin, Kosten, welche im Zusammenhang mit einem Gewinn aus Liegenschaftenhandel entstehen, angemessen zwischen dem Liegen- schaftskanton und dem Hauptsteuerdomizil zu verteilen: Soweit im 2018 Steuern 83 Zusammenhang mit der Erzielung eines solchen Gewinns entstan- dene Kosten - seien es nun das konkrete Projekt betreffende verän- derliche Kosten oder Gemeinkosten des Liegenschaftenhändlers - in der Buchhaltung eines Liegenschaftenhändlers auftauchen, drängt es sich auf, den Liegenschaftskanton ganz oder teilweise mit diesen Kosten zu belasten. Bereits vor Vorinstanz wie nun auch mit der Beschwerde ans Verwaltungsgericht hat der Beschwerdeführer zwar geltend gemacht, es seien entsprechende Kosten im Wohnsitzkanton angefallen. Diese Kosten hat er indessen in keiner Weise substanziiert. Vor allem hat er nicht einmal behauptet - und darauf wäre es angesichts der Ziel- setzung der Liegenschaftenhändlerpauschale angekommen -, dass direkte Kosten im Zusammenhang mit der Erstellung und dem Ver- kauf der Stockwerkeigentumseinheiten in Z. oder Gemeinkosten aus der Liegenschaftenhändlertätigkeit des Beschwerdeführers im Kan- ton Q. als Aufwand verbucht und steuerlich geltend gemacht worden seien, der Kanton Q. diesen Aufwand jedoch im Hinblick auf die Ge- währung einer Liegenschaftenhändlerpauschale im Zusammenhang mit dem Gewinn aus dem Verkauf der Stockwerkeigentumseinheiten in Z. gekürzt hätte. 2.2.2. Nach Lage der Dinge ist im vorliegenden Fall auszuschliessen bzw. mindestens nicht einmal ansatzweise nachgewiesen, dass es mit Bezug auf die verkauften Stockwerkeigentumseinheiten in Z. solche Kosten gab, welche dem Kanton Aargau zu belasten wären. Aus der Baukostenabrechnung der Architektur A. AG ergibt sich vielmehr, dass der Baukostenabrechnung sämtliche im Zusammenhang mit der Erstellung der Stockwerkeigentumseinheiten in Z. verbundenen Kosten belastet wurden (z.B. Architektenhonorar [BKP 291], Kosten für Bewilligungen, Baugespann [BKP 511], Kosten für Vervielfäl- tigungen, Plankopien [BKP 524]; Kosten für Inserate [BKP 527], Versicherungsprämien [BKP 534], Kosten für Telefon und Porto [BKP 535], Verkaufsprovisionen [BKP 597]). Darauf hat bereits das KStA im Rekursverfahren hingewiesen und die Vorinstanz hat dies im angefochtenen Entscheid ebenfalls zutreffend erkannt. Damit sind diese Kosten steuermindernd in die Berechnung des im Kanton Aar- 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 84 gau als Belegenheitskanton steuerbaren Gewinns eingeflossen und es fällt ausser Betracht, sie unter dem Titel der Liegenschaftenhändler- pauschale (nochmals) geltend zu machen. Nichts anderes kann für Gemeinkosten des Beschwerdeführers gelten. Er hat - auch im verwaltungsgerichtlichen Beschwerde- verfahren - keine seine Liegenschaftenhändlertätigkeit betreffende Erfolgsrechnung vorgelegt, welche allgemeine Aufwandpositionen enthalten würde, welche im Kanton Q. steuerlich als Aufwand gel- tend gemacht worden wären bzw. dort wegen des im Kanton Aargau erzielten Liegenschaftsgewinns teilweise nicht als Aufwand aner- kannt worden wären und deshalb im Kanton Aargau im Rahmen der Gewährung einer Liegenschaftenhändlerpauschale steuermindernd zu berücksichtigen wären. 2.2.3. Der Beschwerdeführer bzw. sein Rechtsvertreter unterliegt einem grundlegenden Missverständnis, wenn er davon ausgeht, allein weil der Kanton des Hauptsteuerdomizils (zu Unrecht) im Ergebnis eine Liegenschaftenhändlerpauschale der Besteuerung unterwirft (und nicht etwa ansonsten steuerlich zu berücksichtigenden Aufwand infolge Gewährung einer Liegenschaftenhändlerpauschale im Lie- genschaftskanton nicht berücksichtigt), müsse der Liegenschafts- kanton im gleichen Umfang eine Liegenschaftenhändlerpauschale gewähren d.h. den bei ihm zu besteuernden Gewinn um diesen Be- trag reduzieren. Der Sinn der Liegenschaftenhändlerpauschale be- steht darin, Kosten im Zusammenhang mit einem Liegenschafts- gewinn angemessen zwischen dem Hauptsteuerdomizil und dem Liegenschaftskanton zu verteilen. Sind jedoch im Kanton des Haupt- steuerdomizils steuerlich gesehen gar keine solchen Kosten ent- standen, sondern sind die entsprechenden Kosten wie hier sämtlich direkt bei der Ermittlung des steuerbaren Gewinns im Liegen- schaftskanton berücksichtigt worden, indem sie als Aufwand dem Verkaufserlös gegenüber gestellt wurden, so kann die Gewährung einer Liegenschaftenhändlerpauschale nicht infrage kommen, hat doch der Liegenschaftskanton damit die tatsächlich angefallenen Kosten bei der Ermittlung des steuerbaren Gewinn bereits voll berücksichtigt.
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Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 15. Januar 2013 (WBE.2013.10) Ein Behandlungsplan ist nicht mit Beschwerde anfechtbar. III. 1. Des Weiteren erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den vom am 1. Januar 2013 zuständigen Kaderarzt, pract. med. C. Seifried, erstellten Behandlungsplan. Zu prüfen ist, ob gegen den Behandlungsplan als solchen Beschwerde erhoben werden kann, mithin ob dieser einen gültigen Anfechtungsgegenstand darstellt. 2. Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB sieht vor, dass eine betroffene Person bei einer psychischen Störung ohne Zustimmung innert 10 Tagen seit Mitteilung des Entscheids schriftlich das zuständige Gericht anrufen kann. Das Verwaltungsgericht beurteilt Beschwerden gegen die Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung (§ 67q Abs. 1 lit. f EG ZGB). Fraglich ist, ob gestützt auf diese Bestimmung ein Behandlungsplan als solcher beim Verwaltungsgericht angefochten werden kann. 3. 3.1. In der Botschaft zum neuen Erwachsenenschutzrecht wird zu Art. 439 Abs. 1 Ziffer 4 ZGB folgendes ausgeführt (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7072): "Unter Behandlung ist zum einen die Behandlung in einer Notfallsituation (Art. 435) zu verstehen. Diesfalls kann etwa geltend gemacht werden, es liege kein Notfall vor oder die angeordnete medizinische Massnahme sei nicht verhältnismässig. Zum anderen kann sich die betroffene Person oder eine ihr nahe stehende Person auch gegen den Behandlungsplan als solchen (Art. 433) und die darauf abgestützte Behandlung ohne Zustimmung (Art. 434 Abs. 2) zur Wehr setzen." Aufgrund des Wortlauts dieses Abschnitts könnte davon ausgegangen werden, dass der Behandlungsplan als solcher anfechtbar ist. Wie aufgezeigt wird, sprechen sich in der Lehre einige Autoren jedoch gegen diese Möglichkeit aus. 3.2. SCHMID führt hierzu folgendes aus (HERMANN SCHMID, Kommentar , Zürich 2010, Art. 439 N 14) : "Das Gericht kann bei "Behandlung" angerufen werden, während der bloss ein Dokument betreffend eine "in Aussicht genommene" (nArt. 433 Abs. 2), "vorgesehene" (nArt. 434 Abs. 1 Einleitungssatz) medizinische Massnahme darstellt. Der Behandlungsplan als solcher (nArt. 433) ist somit nicht anfechtbar (Art. 433 N 4; a.M. Botsch. BBl 2006, S. 7072), zumal die Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung (nArt. 434) erst angeordnet wird, wenn die zusätzlichen Voraussetzungen nach nArt. 434 Abs. 1 Ziff. 1–3 erfüllt sind." GEISER/ETZENSBERGER entscheiden sich auch gegen die Anfechtung des Behandlungsplans. Sie betonen, dass dieser weder einen hoheitlichen Akt (THOMAS GEISER/MARIO ETZENSBERGER, in: Geiser/ Reusser [Hrsg.], Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 439 N 15) noch eine Zwangsmassnahme darstellt (THOMAS GEISER/ MARIO ETZENSBERGER, in: a.a.O., Art. 433 N 21). Die KOKES teilt diese Meinung. Die Beschwerdemöglichkeit gestützt auf Art. 439 Ziff. 4 ZGB beziehe sich auf die bei fehlender Zustimmung der betroffenen Person angeordneten medizinischen Massnahmen (Art. 434 ZGB) oder die medizinischen Massnahmen, welche im Rahmen einer Notfallsituation (Art. 435 ZGB) ergriffen würden. Nicht anfechtbar sei der Behandlungsplan als solcher, weil dieser lediglich eine Grundlage für eine in Aussicht genommene, vorgesehene medizinische Massnahme darstelle, das Gericht aber gemäss Wortlaut nur "bei Behandlung" angerufen werden könne (KOKES, a.a.O., Ziff. 12.15 und 10.40). 4. 4.1. Art. 433 ZGB sieht vor, dass der behandelnde Arzt einen Behandlungsplan erstellen muss, wenn eine Person zur Behandlung einer psychischen Störung in einer Einrichtung untergebracht wird. Dieser Behandlungsplan soll Auskunft über die geplanten Abklärungen und Untersuchungen geben, eine erste oder eine bereits gesicherte Diagnose enthalten, die dazu passende Therapie umschreiben, Ausführungen über Risiken und Nebenwirkungen der Therapie machen und eine mögliche Prognose stellen. Zudem sind andere mögliche Behandlungswege und die Gefahren einer unterlassenen Therapie aufzuzeigen (Art. 433 Abs. 2 ZGB; Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7068). Der Behandlungsplan wird der betroffenen Person zur Zustimmung unterbreitet (Art. 433 Abs. 3 ZGB). Wenn eine Zustimmung zur Behandlung nicht vorliegt, ist die Ergreifung von medizinischen Massnahmen nur unter den engen Voraussetzungen von Art. 434 ZGB erlaubt (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 7068; KOKES, a.a.O., Ziff. 10.39). Gemäss Art. 434 ZGB kann eine im Behandlungsplan vorgesehene medizinische Massnahme ohne Zustimmung der betroffenen Person durch den Chefarzt oder die Chefärztin der Abteilung schriftlich angeordnet werden, sofern bestimmte Voraussetzungen erlaubt sind. 4.2. Mit Erstellen des Behandlungsplans wird somit nicht über eine bestimmte Behandlung entschieden, sondern, wie auch in der Botschaft ausgeführt, lediglich Auskunft über die geplanten Therapien oder über alternative gegeben. Stimmt eine Person dem zu, können die darin erwähnten Behandlungen durchgeführt werden. Stimmt sie dem Behandlungsplan nicht zu, kann eine medizinische Massnahme auf der Grundlage von Art. 434 ZGB durchgesetzt werden. Hierzu bedarf es aber gemäss Wortlaut des Gesetzes eines schriftlichen Entscheids, welcher gestützt auf Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB anfechtbar ist. Vorbehalten bleibt natürlich auch die Anordnung medizinischer Massnahmen, welche sofort aufgrund einer Notfallsituation umgesetzt müssen (Art. 435 ZGB). Diese sind ebenfalls gestützt auf dieselbe Bestimmung anfechtbar (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7072). Da somit mit dem Behandlungsplan keine konkrete medizinische Massnahme angeordnet wird, sondern lediglich gewisse Absichten aufgezeigt werden, ist der Behandlungsplan nicht als möglicher Anfechtungsgegenstand einer Beschwerde anzusehen. Gegen die einzelnen Massnahmen kann sich eine betroffene Person wehren, wenn die Einrichtung einen Entscheid gestützt auf Art. 434 ZGB fällt, mithin "eine im Behandlungsplan vorgesehene medizinische Massnahme" schriftlich und ohne Zustimmung der betroffenen Person anordnet. Folglich ist auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen ihren Behandlungsplan als solchen nicht einzutreten.
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2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 229 [...] 60 Entzug einer Gewässernutzungsbewilligung nach GNG für eine Fischerhütte in einem Auengebiet von nationaler Bedeutung aufgrund eines Widerrufsvorbehalts. - Anwendbarkeit des GNG auf Bauten im ufernahen Bereich, wenn sie sich auf der öffentlichen Gewässerparzelle befinden (Erw. 2). - Die auf unbestimmte Zeit vorgesehene feste Verbindung einer Baute mit dem öffentlichen Grund deutet dogmatisch auf eine Sondernut- zung hin; dessen ungeachtet wollte der aargauische Gesetzgeber solche Tatbestände lediglich unter dem Vorbehalt des Widerrufs er- lauben (§ 6 Ziff. 1 und § 28 GNG; Erw. 3/b). - Ausschluss der Ersitzung dinglicher Rechte an einem öffentlichen Gewässer (§ 115 Abs. 1 BauG); Berufung auf ein ehehaftes Recht? (Erw. 3/c). - Rechtsnatur und Aktualisierung des Widerrufsvorbehalts (Erw. 4/b). - Begriff und Bedeutung der Auengebiete; Rechtsgrundlagen, Schutz- ziele und zulässige Nutzung (Erw. 4/c/aa). - Öffentliches Interesse an der Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands (Erw. 4/c/bb). - Privates Interesse an der Beibehaltung der Baute (Erw. 4/c/cc). - Interessenabwägung (Erw. 4/c/dd). - Verhältnismässigkeit des Widerrufs (Erw. 4/d). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. Dezember 1999 in Sachen Fischerzunft L. und E. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. Streitgegenstand bildet der angefochtene Widerruf der was- serpolizeilichen Bewilligung vom 8. August 1975. Darin war der Be- schwerdeführerin 1 vom Baudepartement die Beibehaltung einer be- stehenden Fischerhütte und eines bestehenden Netzflickstandes sowie die Stationierung verschiedener Boote an näher bezeichneten Stellen am und auf dem Rhein bewilligt worden. Das Baudeparte- 2000 Verwaltungsgericht 230 ment qualifiziert diese Bewilligung als Nutzungserlaubnis gemäss § 6 Ziff. 1 GNG, die gemäss § 28 GNG jederzeit und entschädi- gungslos widerrufen werden könne, wenn es das öffentliche Interesse erfordere; mit dem Erlöschen der Bewilligung seien nach § 30 GNG auch die Nutzungsanlagen zu beseitigen. 2. Die Beschwerdeführer bestreiten vorab die Anwendbarkeit des GNG im vorliegenden Zusammenhang. Dieses bezwecke, die Nutzung und den Schutz der eigentlichen Gewässer im öffentlich- rechtlichen Sinne zu regeln, und knüpfe nicht an die See- oder Fluss- parzellen an. Die Fischerhütte befinde sich ca. 100 m vom Rheinufer entfernt und habe mit der Gewässernutzung grundsätzlich nichts mehr zu tun, zumal sie in einem Gebiet mit Waldcharakter stehe. Den Gemeingebrauch übersteigende Nutzungen an oberirdi- schen Gewässern und ihrem Gebiet sind - von hier nicht interes- sierenden ,,geringfügigen" Nutzungen abgesehen - bewilligungs- pflichtig (§ 4 Abs. 2 GNG). Insbesondere ist die Inanspruchnahme der öffentlichen Gewässer und ihrer Gebiete ,,durch Bauten jeder Art (...)" bewilligungspflichtig (§ 5 Abs. 2 lit. a VGNG). Diese Bestim- mungen sind nach wie vor gültig (vgl. AGVE 1994, S. 268 mit Hin- weisen). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer vermag die örtliche Distanz der Bauten zum Rhein von 80 oder 100 m an der Anwendbarkeit des GNG nichts zu ändern. Entscheidend ist, dass die Bauten sich, was nicht bestritten wird, auf der in öffentlichem Eigen- tum stehenden, ausgemarkten Rheinparzelle befinden und damit die gesamte - innerhalb des Marks liegende - Fläche als Gebiet des öffentlichen Gewässers ausgeschieden ist (vgl. Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, 2. Auflage, Aarau 1985, § 80 N 3; § 4 des Regulativs zur Vollziehungsverord- nung über die Grundbuchvermessung vom 17. Oktober 1921). Auch das GNG erklärt die über den Gemeingebrauch hinausgehende Nut- zung ,,an oberirdischen Gewässern und ihrem Gebiet " für bewilli- gungspflichtig (§ 4 Abs. 2 und insoweit identisch § 5 Abs. 2 lit. a VGNG; vgl. auch den Wortlaut der Bewilligung vom 8. August 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 231 1975). Es sollen klarerweise sämtliche Nutzungen, die im Zusam- menhang mit dem öffentlichen Gewässer stehen, und insbesondere Bauten und Anlagen am Wasser oder in Ufernähe vom GNG erfasst werden (AGVE 1994, S. 268 mit Hinweis). Nur am Rande sei er- wähnt, dass inzwischen durch Hochwasser mindestens 30 Meter Land an der Uferzone abgetragen sind, so dass die streitige Hütte heute entsprechend näher am Ufer steht. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ist das GNG jedenfalls sehr wohl auf den vorlie- genden Tatbestand anwendbar. Wäre dies anders, würden sich die Beschwerdeführer zu ihren übrigen Ausführungen bezüglich des Zwecks der Hütte (Fischerei, Pflege des Fischbestandes, Aufbewah- ren von Fischereiutensilien usw.) in Widerspruch setzen, und es wäre von einer widerrechtlichen Nutzung der Hütte auszugehen. 3. a) Die Beschwerdeführer machen geltend, die über 80 Jahre dauernde Nutzung des Gebäudeplatzes stelle nicht gesteigerten Ge- meingebrauch, sondern eine Sondernutzung dar. Diese habe mit der wasserpolizeilichen Bewilligung vom 8. August 1975 nicht aufgeho- ben werden können. Hierzu sei vielmehr der Weg der Enteignung zu beschreiten, zumal gestützt auf die Verleihung erhebliche Investitio- nen vorgenommen worden seien. Selbst wenn keine formelle Kon- zession erteilt worden sei, hätten die Beschwerdeführer eine solche nach Jahrzehnten ausschliesslichen Gebrauchs spätestens im Zeit- punkt der Bewilligungserteilung im August 1975 bereits ersessen. Das Baudepartement bestreitet demgegenüber, dass die Bauten seit rund 80 Jahren bestehen. Es lässt in seiner Vernehmlassung vom 17. Dezember 1996 offen, ob bereits vor Jahrzehnten einzelne Kleinstunterstände für eine damals angeblich betriebene Fasanerie bestanden haben, datiert den Hüttenbau auf das Jahr 1957 und ver- weist auf eigene Angaben des Beschwerdeführers 2 und auf diejeni- gen des Aargauischen Versicherungsamtes. b) Den Beschwerdeführern ist insoweit beizupflichten, als rein dogmatisch betrachtet eine auf unbestimmte Zeit vorgesehene feste Verbindung einer Baute mit dem öffentlichen Grund auf eine Son- 2000 Verwaltungsgericht 232 dernutzung hindeutet (vgl. Ulrich Häfelin / Georg Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 1892; Tobias Jaag, Gemeingebrauch und Sondernutzung öffentli- cher Sachen, in: ZBl 93/1992, S. 155 f.; AGVE 1994, S. 278); diese Art von Nutzung setzt die Erteilung einer Konzession voraus, und deren Erteilung begründet ein wohlerworbenes Recht, das unter dem Schutz der Eigentumsgarantie steht (Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 1888, 1898, 2010; AGVE 1994, 278). Der aargauische Gesetz- geber wollte nun aber Sondernutzungen nicht konzessionieren, son- dern - nach Massgabe von § 6 Ziffer 1 und § 28 GNG - lediglich unter dem Vorbehalt des Widerrufs erlauben. Der Grund für diese von der Dogmatik abweichende Regelung liegt auf der Hand (vgl. dazu und zum Folgenden: AGVE 1994, S. 278 f. mit Hinweisen, u. a. auf die Materialien): Besonders bei der Gewässernutzung durch Pri- vate muss der Staat auf Erkenntnisse im Bereich des Gewässer- schutzes reagieren können; es kann ihm nicht zugemutet werden, Nutzungen an öffentlichen Sachen, die Einzelne unter Ausschluss der Allgemeinheit vornehmen, auf Jahrzehnte hinaus tolerieren zu müssen. Die Enteignung ist in diesem Zusammenhang ein wenig geeignetes Mittel, Rechtsänderungen durchzusetzen; diesem Zweck dient vielmehr der Vorbehalt des öffentlichen Interesses. Der gesetz- liche Widerrufsvorbehalt bewirkt, dass ein schutzwürdiger Vertrau- enstatbestand im Grundsatz nicht entstehen kann. Die Beschwerdeführer gehen daher fehl in der Annahme, sie seien im Besitz einer vor 1975 erworbenen, unter dem Schutz der Ei- gentumsgarantie stehenden Sondernutzungskonzession zur Beibehal- tung der Fischerhütte samt Netzflickstand. Das Alter dieser Bauten ist dabei irrelevant. Eine Konzession müsste im Übrigen in die Form eines staatlichen Verleihungsakts gekleidet sein (§ 6 Ziff. 2 GNG; vgl. auch Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 1894, 2010). Ein entsprechen- des Dokument können die Beschwerdeführer aber nicht vorlegen. Sie verfügen einzig über die wasserbaupolizeiliche Bewilligung vom 8. August 1975, mit welcher die von den Behörden zuvor während 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 233 längerer Zeit geduldete Nutzung formalrechtlich erfasst und legali- siert worden ist (vgl. AGVE 1994, S. 272 f.). Diesen Verwaltungsakt hat die Beschwerdeführerin 1 als Bewilligungsnehmerin formell rechtskräftig werden lassen. Auch dem Beschwerdeführer 2, der damals bereits Mitglied der Fischerzunft Laufenburg war, wäre es möglich gewesen, auf eine Abänderung der Bewilligung im Rechts- mittelverfahren hinzuwirken. Unbehelflich ist in diesem Zusammen- hang schliesslich der Hinweis, die Beschwerdeführer seien stets davon ausgegangen, mit der Bewilligung vom 8. August 1975 habe der Staat in erster Linie Gebührenfragen regeln wollen; der Inhalt der Bewilligung liess eine solche Annahme schlechterdings nicht zu. c) Die Beschwerdeführer erblicken einen weiteren Rechtstitel darin, dass die faktische Sondernutzung nach Jahrzehnten des aus- schliesslichen Gebrauchs im August 1975 ersessen gewesen sei; massgebend sei die ausserordentliche Ersitzungsfrist von 30 Jahren gemäss Art. 622 ZGB. An einem öffentlichen Gewässer können nun aber weder Eigentum noch andere dingliche Rechte ersessen werden (§ 115 Abs. 1 BauG; vgl. schon § 78 Abs. 1 des Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 [aBauG]; ferner BGE 97 II 32 und Zimmerlin, a.a.O., § 78 N 1, je mit Hinweisen). Die langjährige Tolerierung der fraglichen Bauten durch die Behörden bedeutet zwar rechtlich, dass die Bauten insoweit als bewilligt gelten, gleichgültig ob eine förmliche Bewilligung besteht oder nicht (AGVE 1994, S. 272). Von einer Ersitzung, die ein wohlerworbenes Recht an der ersessenen Sache begründet, kann aber keine Rede sein. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Berufung auf ein sog. ehehaftes, historisches Recht hier versagen würde. Gemäss § 60 Abs. 1 GNG gelten vor dem 1. Januar 1912 (Inkrafttreten des ZGB) begonnene und ohne erheblichen Unterbruch getätigte Grund- wassernutzungen in dem Umfange als wohlerworben, in dem sie am 1. Januar 1912 tatsächlich ausgeübt worden sind. Nach diesem Zeit- punkt können solche Rechte nicht mehr neu begründet werden (Zimmerlin, a.a.O., § 78 N 1 mit Hinweisen). Dasselbe muss, wenn 2000 Verwaltungsgericht 234 diesbezüglich nicht gar das Inkrafttreten des ersten Baugesetzes, nämlich des Gesetzes über den Strassen-, Wasser- und Hochbau vom 23. März 1859 als Stichtag massgebend sein soll, analog für den Gemeingebrauch übersteigende Nutzungen an oberirdischen Gewäs- sern und ihrem Gebiet im Sinne von § 4 Abs. 2 GNG gelten. Hin- weise auf eine derart lange zurückliegende Nutzung gibt es nun aber keine. Nach den eigenen Angaben der Beschwerdeführer reicht der Ursprung der Fischerhütte in die Zehner- bzw. Zwanzigerjahre, und im heutigen Zustand hergerichtet wurde sie unmittelbar vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. d) Zusammenfassend ist unter diesem Titel somit festzuhalten, dass die Nutzung der Fischerhütte und des Netzflickstands der Be- schwerdeführer auf der staatlichen Rheinparzelle im Gebiet ,,Ross- garten" weder konzessioniert noch ersessen ist und auch auf kein ehehaftes Recht zurückgeht. 4. Damit ist weiter zu prüfen, ob das Baudepartement den in der wasserbaupolizeilichen Bewilligung vom 8. August 1975 vorbehalte- nen Bewilligungswiderruf zu Recht verfügt hat. a) Das Baudepartement begründet den Widerruf und die damit verbundene Beseitigungsanordnung wie folgt: Die Bauten lägen in einem Auengebiet von nationaler Bedeutung. Die Kantone seien gemäss Art. 5 Auenverordnung verpflichtet, Auenbereiche mit einem vollständig oder weitgehend intakten Gewässer- und Geschiebehaus- halt vollumfänglich zu schützen und dafür zu sorgen, dass beste- hende und neue Nutzungen mit dem Schutzziel in Einklang stünden. Mit § 42 Abs. 5 KV (in der Fassung vom 6. Juni 1993) sei der Kan- ton beauftragt worden, zum Schutz des bedrohten Lebensraums der Flussauen und zur Erhaltung der landschaftlich und biologisch ein- zigartigen, national bedeutsamen Reste der ehemaligen Auengebiete einen Auen-Schutzpark zu schaffen. Die Schutzziele hätten ihren Niederschlag in § 40 BauG gefunden. Während sich für Bauten am Rande von Auengebieten oder Naturschutzzonen, welche sich durch ihren Bestand und Betrieb nicht störend auswirken, keine Beseiti- 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 235 gung aufdränge, seien solche Objekte in eigentlichen Schutzgebieten mit störenden Auswirkungen gemäss den erwähnten Rechts- grundlagen zu beseitigen. Vorliegendenfalls wirke sich der Publi- kumsverkehr mit Zugängen und Zufahrten zu den Objekten negativ aus und widerspreche den Schutzzielen. Die Beschwerdeführerin 1 sei zudem auf diese Bauten nicht angewiesen, sondern könne ihre Utensilien - wie auch das Boot - auch ausserhalb des Auengebiets lagern. Zudem liege die Fischereistrecke der Beschwerdeführerin 1 auf dem Rhein nur zu einem kleinen Teil im Bereich des Auen- schutzgebiets. Dem halten die Beschwerdeführer entgegen, die bestehende Fi- scherhütte habe stets dazu gedient, das Gebiet ,,Rossgarten" und insbesondere den Fischbestand zu pflegen. Dieses Unterfangen habe man trotz der massiven Eingriffe in Rhein- und Flusslandschaft (Kraftwerkbau, Kiesausbeutung, Zerstörung der natürlichen Rhein- ufer aus Nagelfluhfelsen) weitergeführt. Nun wolle der Kanton, unter dessen Ägide die tiefgreifenden Eingriffe erfolgt seien, das Gebiet renaturieren, wobei unersichtlich sei, wie beispielsweise die ausge- baggerten Fischgründe artgerecht wiederhergestellt werden könnten. Zudem sei geplant, unmittelbar neben der heutigen Fischerhütte einen künstlichen Kieslagerplatz zu errichten. Diesfalls würde die Hütte sicherlich nicht störend wirken. Kein stichhaltiges Argument stelle der angebliche Publikumsverkehr dar, welcher mit der Hütte angeblich gefördert werde. Die Beschwerdeführer würden ihre Auf- gaben im Zusammenhang mit der Fischerei mit oder ohne Hütte wahrnehmen, weshalb diese in keiner Art und Weise ein zusätzliches Verkehrsaufkommen verursache. Schliesslich sei der Widerruf auch unverhältnismässig, zumal der unmittelbar bei der Hütte gelegene - keinem militärischem Nutzen dienende - Bunker ebenfalls nicht ent- fernt werde. Das Unterlassen einer Beseitigungsverfügung bezüglich dieses Bunkers verletze das Rechtsgleichheitsgebot. b) Die verfügende Behörde kann sich von Anfang an aus- drücklich das Recht vorbehalten, ihre Verfügung unter bestimmten 2000 Verwaltungsgericht 236 Voraussetzungen zu widerrufen. In Ziffer 14 der ,,Allgemeinen Be- dingungen und Auflagen" in der Bewilligung vom 8. August 1975 hat das Baudepartement dies getan (vgl. § 28 GNG). Es handelt sich hiebei um eine resolutiv bedingte Verfügung mit Widerrufsvorbehalt. Enthält eine Bewilligung einen solchen, darf sie widerrufen werden, wenn die darin genannten Voraussetzungen erfüllt sind und keine Willkür vorliegt. Der Unterschied zu einer bedingungslos erteilten Bewilligung besteht darin, dass bestimmte Widerrufsgründe bereits zum Voraus festgelegt sind und der Bewilligungsnehmer insofern eher mit einem Widerruf rechnen muss, womit sein Ver- trauensschutzinteresse an Gewicht verliert. Jedenfalls ist so oder so - nach den Widerrufsregeln - die allgemeine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. René A. Rhinow / Beat Krähenmann, Schweize- rische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel/Frankfurt a. M. 1990, Nr. 41/B/I/b mit Hinweisen; BGE 109 Ia 130 f.; 101 Ia 191; 99 Ia 458; AGVE 1993, S. 249; 1996, S. 292; VGE III/140 vom 16. Oktober 1998 in Sachen S. AG, S. 5). c) Die wasserbaupolizeiliche Bewilligung vom 8. August 1975 ist widerrufbar, wenn sie an wesentlichen Mängeln leidet, insbeson- dere gegen zwingendes Recht verstösst, und/oder das öffentliche Interesse es erfordert (vgl. § 26 Abs. 1 VRPG). aa) Kanton und Gemeinden treffen in Erfüllung des Bundes- auftrages (Art. 24 sexies Abs. 4 aBV bzw. Art. 78 nBV; Art. 1 lit. d und Art. 18a NHG in der Fassung vom 19. Juni 1987; Art. 5 der Auenverordnung) Massnahmen, um die landschaftlich und biolo- gisch bedeutenden Auengebiete des Kantons zu erhalten oder wie- derherzustellen (§ 42 Abs. 5 KV in der Fassung vom 6. Juni 1993; § 40 Abs. 1 lit. e BauG). Auen sind jene Bereiche von Bächen, Flüs- sen und Strömen und teils auch Seen, die mit jeweils unterschiedli- cher Dauer periodisch oder episodisch von Wasser überflutet werden und in denen das Grundwasser zeitweise die Wurzeln der Pflanzen erreicht, sonst jedoch stark schwankt (Jean-Daniel Gallandat, Kartierung der Auengebiete von nationaler Bedeutung, Nr. 199 der 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 237 BUWAL-Schriftenreihe, Bern 1993, Ziff. 3.1.1). Auengebiete erfül- len eine überragende biologische Funktion, indem sie etwa die ans Wasser gebundenen Lebensgemeinschaften mit organischen Stoffen versorgen, das Grundwasser reinigen und ein Reservoir an Mineral- stoffen enthalten; in den Auen liegt auch die Verbindungsstelle zahl- reicher aquatischer und terrestrischer Nahrungsketten (Gallandat, a.a.O., Ziff. 3.2). Die ins Bundesinventar aufgenommenen Auengebiete von nationaler Bedeutung (das betroffene Auen-Gebiet ,,Rossgarten" figuriert im Inventar als Objekt Nr. 220 [Anhang 1 zur Auenverord- nung]) sollen gemäss Art. 4 Satz 1 der Auenverordnung ungeschmä- lert erhalten werden. Die generelle Bedeutung des Erhaltungsziels wird dabei manifest, wenn bedacht wird, dass aus verschiedensten Gründen (vorrangig sind es die Gewässerkorrektionen und die Ent- wässerung der Flussebenen, später der Bau von Verkehrsträgern) seit 1850 etwa 90 % der Schweizer Auen verschwunden sind (Faltblatt ,,Die Auen der Schweiz", herausgegeben vom Bundesamt für Um- welt, Wald und Landschaft [im Folgenden: Faltblatt BUWAL], S. 2). Zum Schutzziel gehören insbesondere die Erhaltung und Förderung der auentypischen einheimischen Pflanzen- und Tierwelt und ihrer ökologischen Voraussetzungen sowie die Erhaltung und, soweit es sinnvoll und machbar ist, die Wiederherstellung der natürlichen Dynamik des Gewässer- und Geschiebehaushalts (Art. 4 Satz 2 der Auenverordnung). Nach Art. 5 Abs. 2 der Auenverordnung haben die Kantone insbesondere dafür zu sorgen, dass Pläne und Vorschriften, welche die zulässige Nutzung des Bodens im Sinne der Raum- planungsgesetzgebung regeln, mit der Verordnung übereinstimmen (lit. a), Auenbereiche mit einem vollständig oder weitgehend intakten Gewässer- und Geschiebehaushalt vollumfänglich geschützt werden (lit. b), bestehende und neue Nutzungen, u. a. die Erholungsnutzung einschliesslich der Fischerei, mit dem Schutzziel in Einklang stehen (lit. c), seltene und gefährdete Pflanzen und Tiere sowie ihre Lebensgemeinschaften gezielt gefördert werden (lit. d) sowie die 2000 Verwaltungsgericht 238 Wasser- und Bodenqualität durch Verminderung des Nähr- und Schadstoffeintrags verbessert wird (lit. e). Der Kanton Aargau hat sich dazu verpflichtet, zum Schutz des bedrohten Lebensraums der Flussauen und zur Erhaltung der landschaftlich und biologisch einzi- gartigen, national bedeutsamen Reste der ehemaligen Auengebiete innert zwanzig Jahren einen Auen-Schutzpark zu schaffen, der eine Gesamtfläche von mindestens einem Prozent der Kantonsfläche auf- weist (§ 42 Abs. 5 KV in der Fassung vom 6. Juni 1993). Die streitige Fischerhütte samt Netzflickstand liegt vollständig innerhalb des Inventar-Objekts Nr. 220, zudem innerhalb des Schutz- gebiets gemäss dem Kantonalen Nutzungsplan mit Rheinuferschutz- dekret (RhD in der Fassung vom 2. Juli 1996). Gemäss § 2 RhD schliesst das geschützte Gebiet die Wasser- und die Sperrzone ein. Sowohl in der Wasser- als auch in der Sperrzone sind Bauten jeder Art grundsätzlich verboten (§§ 3 f. RhD). Gesuche für Bauten und Anlagen in beiden Zonen, einschliesslich Umgestaltung und Zweck- änderungen, dürfen nur mit Zustimmung des Baudepartements be- willigt werden; für Bauten in der Wasserzone ist zudem eine Bewil- ligung gemäss GNG erforderlich (§ 5 RhD). Das Baudepartement kann Ausnahmen bewilligen, wenn ausserordentliche Verhältnisse vorliegen und die Anwendung der Zonenvorschriften zu hart wäre und sofern es mit dem öffentlichen Wohl vereinbar ist (§ 6 RhD). bb) Das öffentliche Interesse an der Aktualisierung des er- wähnten Widerrufsvorbehalts erhellt allein schon daraus, dass die beiden fraglichen Bauten in einem Auengebiet von nationaler Be- deutung liegen, dessen ungeschmälerter Schutz erklärtes Ziel ist (Art. 1 und 4 der Auenverordnung). Im Aargau befinden sich 12 der- artige Auengebiete mit einer Fläche von 804 ha, nebst 21 Auen von kantonaler Bedeutung mit einer Fläche von 784 ha (vgl. die vom Baudepartement herausgegebene Broschüre ,,Auenschutzpark Aar- gau - ein dynamischer Lebensraum für Natur und Mensch" [im Fol- genden: Broschüre Auenschutzpark], S. 6). Das 13 ha haltende Auengebiet ,,Rossgarten" zeichnet sich dadurch aus, dass es den ein- 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 239 zigen noch erhaltenen Silberweiden-Auenwald (,,Weichholzaue" als eine der drei Auenzonen) am Rhein aufweist (Bericht ,,Renaturie- rungskonzept Rossgarten Gemeinde Schwaderloch AG" vom 15. März 1994, verfasst vom Büro Stöckli, Kienast & Koeppel, Landschaftsarchitekten/Landschaftsplaner, Wettingen [im Folgenden: Bericht SKK], S. 3, 8, 17; Faltblatt BUWAL, S. 1; Broschüre Auenschutzpark, S. 5). Im Gebiet kommen auch zahlreiche auen- typische Tierarten wie Kleinspecht, Pirol oder Grosser Schillerfalter vor (Bericht SKK, S. 25, 29; Homepage: www.ag.ch/natur2001/pro- gramme/auenschutzpark). Hinzu kommt, dass der Kanton im Gebiet ,,Rossgarten" schritt- weise mit erheblichen finanziellen Aufwendungen ein Renaturie- rungs- bzw. Revitalisierungskonzept umsetzt (vgl. das entsprechende Dossier des Baudepartements mit dem Bericht SKK). Dessen Hintergrund bildet namentlich der Umstand, dass das Auengebiet ,,Rossgarten" im Laufe der Zeit immer weniger überschwemmt wurde und infolgedessen die Silberweide sich wegen fehlender offe- ner Sand- und Kiesflächen nicht mehr verjüngen konnte; deshalb wurde bereits eine bestehende Flutmulde abgesenkt und ausgeweitet, so dass die erwähnten Flächen wieder vermehrt dem Hochwasser ausgesetzt sind (Bericht SKK, S. 32 f.; erwähnte Homepage). Die positiven Auswirkungen dieser Massnahmen zeigten sich am Augenschein bereits darin, dass in Ufernähe wieder junge Silber- weiden stocken. Ob die wieder häufigeren Überschwemmungen des Auenwaldgebiets weniger durch die künstlich ausgebaggerte Flut- mulde im Uferbereich als durch eine natürliche Flutmulde im hinter- liegenden Bereich bedingt sind, ist dabei von zweitrangiger Bedeu- tung; wesentlich ist, dass wirksame Anstrengungen zur Aufwertung des Auengebiets ,,Rossgarten" unternommen werden und die damit verknüpften Erwartungen nicht einfach mit ,,Zweckoptimismus" ab- getan werden können. Im Weitern ist auch vorgesehen, im Rahmen der Neukonzessionierung das Abflussregime des Rheinkraftwerks Albbruck-Dogern zu verbessern. 2000 Verwaltungsgericht 240 Die Bestrebungen des Kantons, Bauten beseitigen zu lassen, welche sich innerhalb des Schutzbereichs befinden, erweisen sich vor diesem Hintergrund als durchaus verständlich. Zunächst ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, dass dort, wo es Bauten hat, verstärkter Publikumsverkehr entstehen kann, der dem Schutzgedan- ken zuwiderläuft (vgl. den Bericht des Baudepartements ,,Nutzungs- bewilligungen für Boots- und Badehäuser und ähnliche Bauten auf öffentlichen Gewässerparzellen des Kantons; Frage der Bewilli- gungserneuerung" vom 28. Juli 1995, S. 13). Dabei darf auch Ge- sichtspunkten präjudizieller Natur angemessen Rechnung getragen werden; mit Blick auf die Anforderungen des Rechtsgleichheitsge- bots besteht gerade in sensiblen Bereichen bei Bauten, die - wie dies für die Fischerhütte und den Netzflickstand zutrifft - als Neubauten klarerweise nicht mehr zulässig wären (§§ 3 f. und 6 RhD), ein ent- sprechend hohes Interesse daran, dass der ungesetzliche Zustand beseitigt wird (vgl. BGE 123 II 255 mit Hinweis; AGVE 1994, S. 419 mit Hinweisen). cc) Dem öffentlichen Interesse an der Aktualisierung des Wi- derrufsvorbehalts ist das Interesse der Beschwerdeführer an der Bei- behaltung der Fischerhütte und des Netzflickstands gegenüberzu- stellen. Unter diesem Gesichtspunkt fällt namentlich ins Gewicht, dass ein objektives Bedürfnis, die Fischerhütte an ihrem jetzigen Standort belassen zu können, kaum vorhanden ist. So wird nur der Keller der Hütte für Fischereizwecke genutzt, indem dort die Fi- schernetze zwischengelagert werden. Wie sich am Augenschein ge- zeigt hat, ist der Keller aber seit dem letzten Hochwasser eingesandet und demzufolge nicht brauchbar; die Netze sind in einem Werkhof in Laufenburg eingelagert. Auch das früher bei der Fischerhütte statio- nierte Boot hat seit fünf Jahren seinen Standplatz in Laufenburg. Dass es komfortabler wäre, die Fischereiutensilien und das Boot in oder bei der bestehenden Fischerhütte zu lagern, ist kein stichhaltiges Argument, da bei Bauten ausserhalb der Bauzonen die Frage der Standortgebundenheit strikt nach objektiven Massstäben und nicht 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 241 aufgrund subjektiver Vorstellungen und Wünsche oder persönlicher Zweckmässigkeit und Bequemlichkeit zu beurteilen ist (vgl. BGE 117 Ib 281 mit Hinweisen). Die Bedeutung der Hütte als Geräteraum für die Fischer wird im Übrigen allein schon deswegen relativiert, weil sich die Fischereistrecke der Beschwerdeführer von Laufenburg bis Leibstadt erstreckt, wovon das Gebiet ,,Rossgarten" nur einen verhältnismässig kleinen Teil ausmacht. Schliesslich ist die - mit einem Holzherd sowie einem Tisch und Stühlen bestückte - Hütte auch nicht als allgemeiner Unterstand für die Mitglieder der Fischerzunft gedacht; Zutritt hat ausschliesslich der Zunftrat. dd) Werden diese einander widerstrebenden Interessen gegen- einander abgewogen, so überwiegen die öffentlichen Interessen klar. Das vom Bund vorgegebene Gesamtziel, das national bedeutsame Auengebiet ,,Rossgarten" ungeschmälert zu erhalten (Erw. aa hie- vor), und das vom Kanton gesteckte Teilziel, die Urtümlichkeit und Ungestörtheit des Gebiets zu bewahren, zu verstärken und auf grös- sere Flächen auszudehnen (Bericht SKK, S. 33), lassen sich letztlich nur erreichen, wenn Bauten, die nicht zwingend nötig sind, beseitigt werden. Das Störungspotential, das von der Fischerhütte ausgeht, ist gewiss nicht überaus gross; auch die Vertreter des Kantons haben am Augenschein nicht behauptet, rund um die Hütte sei ein ,,Rummel- platz" entstanden. Ebenso wenig lässt sich aber bestreiten, dass die für eine Baute erforderliche Infrastruktur (Zufahrtswege usw.) ver- mehrten Besucherverkehr anziehen kann; während der warmen Jah- reszeit herrscht denn offenbar am Rheinufer auch ein reger Badebe- trieb. Wird zudem berücksichtigt, dass im Zusammenhang mit der Fischerhütte keine nennenswerten Investitionen getätigt worden sind und die Beschwerdeführer gestützt auf den Vorbehalt in der wasser- baupolizeilichen Bewilligung vom 8. August 1975 mit dem Widerruf rechnen mussten (Erw. b hievor), erweist sich dieser als rechtmässig. d) Dass die Beseitigung der Fischerhütte und des Netzflick- stands eine gemessen am übergeordneten Schutzziel geeignete und notwendige Massnahme darstellt (vgl. Häfelin/Müller, a.a.O., 2000 Verwaltungsgericht 242 Rz. 486), ist offensichtlich. Das Verhältnismässigkeitsgebot wird es allerdings auch erforderlich machen, geeignete Massnahmen zu tref- fen, damit die Erholungsfunktion des Gebiets ,,Rossgarten" nicht zu unerwünschten Auswüchsen führt; in dieser Richtung ist offenbar zumindest geplant, die Zufahrt zum Rheinufer mit einem Schlag- baum zu versperren.
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2007 Verwaltungsgericht 78 [...] 20 Ausserordentliche Einkünfte (§ 263 Abs. 2 StG). - Dividenden. Kriterium für die Qualifikation von Dividenden als aus- serordentliche Einkünfte ist die Aussergewöhnlichkeit der Dividende, nicht deren Besteuerungswürdigkeit (Erw. 3). - Beurteilung der Aussergewöhnlichkeit bei einer jungen Firma, die noch gar keine klare Dividendenpolitik haben konnte: Berücksichti- gung der Dividendenpolitik der folgenden (mindestens) zwei Ge- schäftsjahre (Erw. 3.5, 4). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 23. August 2007 in Sachen D.B. gegen Steuerrekursgericht (WBE.2006.207). Zur Publikation vorgesehen in StE 2008. Sachverhalt Die S AG, an welcher der Steuerpflichtige zur Hälfte beteiligt ist, wurde Mitte 1996 gegründet. Die Geschäftsjahre dauern von Juli bis Juni. Der Geschäftserfolg und die Dividendenausschüttungen entwickelten sich wie folgt: Geschäfts- Ergebnis Dividende in % des Fälligkeit Vortrag auf jahr Fr. Fr. Ergebnisses neue Rechnung 1996/97 94'680 - 44'680 * 1997/98 7'198 6'000 83,36 % 1999 45'878 1998/99 312'369 300'000 96,04 % 2000 58'246 1999/00 333'418 300'000 89,98 % 2001 91'665 2000/01 579'680 500'000 86,25 % 2002 371'344 2001/02 198'150 - 369'495 * (Fr. 50'000.-- Zuweisung an die gesetzlichen Reserven) 2007 Kantonale Steuern 79 Aus den Erwägungen 3./3.1. Das Bundesgericht bezeichnet Einkünfte als ausseror- dentlich, wenn sie "im Lichte des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu keiner adäquaten Steuerbelastung führen. ... Es handelt sich um Einkünfte, die im Lückenjahr nicht unbesteuert gelassen werden können, weil sich sonst eine Disparität zwischen Leistungsfähigkeit und effektiver Steuerbelastung ergäbe. Ihr Merk- mal ist, dass die steuerpflichtige Person ihr Einkommen gewöhnlich nicht oder nicht in dieser Weise schöpft." (BGE vom 5. September 2006 [2A.75/2006], Erw. 3.2; siehe auch, noch etwas ausführlicher, BGE vom 28. April 2006 [2A.301/2005], Erw. 3.2). Im Normalfall seien Dividenden periodische Leistungen, indessen könnten auch in Dividendenzahlungen aperiodische Vermögenserträge enthalten sein, so namentlich bei Substanzdividenden oder auch, wenn zwar nur der Vorjahresgewinn ausgeschüttet werde, aber die AG ihre Dividenden- politik gerade in der Bemessungslücke zugunsten höherer Aus- schüttungen ändere (a.a.O., Erw. 3.3). Im Übrigen verweist das Bundesgericht regelmässig auf das Kreisschreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 20. Au- gust 1999 (ASA 68/1999-2000, S. 384 ff.), ohne sich aber allzu eng an die dort erwähnten Indizien für die Ausserordentlichkeit des Ein- kommen zu halten. Im Kreisschreiben wird ausgeführt, im Zusam- menhang mit dem Systemwechsel könne die Ausserordentlichkeit des Einkommens namentlich herrühren aus der Einmaligkeit einer Leistung (z.B. Liquidationsgewinn), aus der aussergewöhnlichen Höhe eines an sich regelmässigen Einkommens (z.B. ausserordentli- che Dividende), aus der Änderung der Verbuchungsmethode; bei der Beurteilung könne dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Steuerpflichtige die Umstände der Ausrichtung seines Einkom- mens beeinflussen könne. 3.2. Gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht zur steuerlichen Erfassung von in der Bemes- sungslücke ausgerichteten Dividenden ausgeführt: (Zitat von StE 2005, B 65.4 Nr. 19, Erw. 4/b = AGVE 2004, S. 141) 2007 Verwaltungsgericht 80 Seither hat das Verwaltungsgericht hieran festgehalten (VGE II/48 vom 9. Mai 2007 [WBE.2006.301], S. 5 ff.). 3.3./3.3.1. Die vorliegend zur Beurteilung stehende, im Jahr 2000 ausgerichtete Dividende von Fr. 300'000.-- konnte vollumfäng- lich durch den Reingewinn des vorangehenden Geschäftsjahres 1998/99 finanziert werden. Es handelt sich nicht um eine Substanz- dividende. 3.3.2. Die S AG wurde Mitte 1996 gegründet. Vor den Bemes- sungslückenjahren 1999 und 2000 hatte sie nur gerade zwei Ge- schäftsjahre abgeschlossen und im ersten Jahr auf eine Ausschüttung verzichtet, im zweiten - das bereits für die im ersten Lückenjahr fliessende Ausschüttung massgeblich war - eine geringe Dividende (entsprechend dem geringen ausgewiesenen Gewinn) beschlossen. Eine konstante Dividendenpolitik ist hieraus nicht erkennbar. Viel- mehr handelt es sich um einen der Fälle, wo bis zu den Lückenjahren noch gar keine (konstante) Dividendenpolitik möglich war. 3.3.3. Damit erweisen sich die Kriterien, die das Verwaltungs- gericht in seiner bisherigen Rechtsprechung verwenden konnte, als unanwendbar. Es stellt sich die Frage, worauf beim vorliegenden Sachverhalt abzustellen ist, um die Ausserordentlichkeit der Ein- künfte zu beurteilen. 3.4./3.4.1. Stellt man mit dem Bundesgericht die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Art. 127 Abs. 2 BV) ins Zentrum der Überlegungen, so spricht dies dafür, Dividenden- zahlungen, mit denen in einem Lückenjahr begonnen wurde, von An- fang an zu besteuern, auch wenn es sich nicht um die Folge einer ge- änderten Dividendenpolitik handelt. In diesem Zusammenhang mag die Höhe der Dividende eine Rolle spielen (zu diesem Kriterium siehe BGE vom 8. Februar 2006 [2P.181/2005, 2A.438/2005], Erw. 2.2). Im Ergebnis läuft auch der angefochtene Entscheid hierauf hin- aus. 3.4.2. Ausser den verfassungsmässigen Besteuerungsgrundsät- zen gilt es aber auch die konkrete Ausgestaltung in Art. 69 StHG zu beachten (Art. 190 BV). Das ursprünglich vorgeschriebene Diffe- renzsteuerverfahren beim Wechsel der zeitlichen Bemessung wurde durch die Revision vom 9. Oktober 1998 aufgegeben zugunsten der 2007 Kantonale Steuern 81 jetzt geltenden Regelung (siehe Dieter Weber, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/1 [StHG], 2. Aufl., Basel/Genf/ München 2002, Art. 69 N 1 ff.). Während dem Differenzsteuerver- fahren eine bestimmte Anschauung über die Besteuerungswürdigkeit zugrunde lag, lässt sich die Ausserordentlichkeit der Einkünfte, auf die es nun nach Art. 69 Abs. 2 und 3 StHG und § 263 Abs. 2 StG ankommt, schwerlich über die Besteuerungswürdigkeit definieren. Als ausserordentlich erscheinen im Bereich der Dividendenausschüt- tungen neben den Substanzdividenden vielmehr diejenigen, die abweichend von der bisherigen Praxis oder abweichend von einem vernünftigen, rational begründbaren Geschäftsverhalten erfolgten (vgl. VGE II/20 vom 21. April 2005 [BE.2004.00176], S. 13 f.) und von daher als aussergewöhnlich erscheinen. Soweit es darum geht, das Ausnützen der Bemessungslücke durch eine "konstruierte" Divi- dendenpolitik zu verhindern - ein Hauptziel der Regelung in Art. 69 StHG/§ 263 StG, soweit sie die Dividenden betrifft (StE 2005, B 65.4 Nr. 18, Erw. 3/c/dd) -, entspricht diese Auslegung dem Geset- zeszweck am unmittelbarsten. 3.4.3. Diese doch recht klaren Vorgaben des Gesetzgebers legen es nahe, auf das Kriterium des Aussergewöhnlichen (dem zudem kla- rere Konturen gegeben werden können) abzustellen statt auf dasje- nige der Besteuerungswürdigkeit. 3.5. Bei der Prüfung der Ausserordentlichkeit einer Dividen- denausschüttung sind die gesamten Umstände des Einzelfalls zu be- rücksichtigen (erwähnter BGE vom 28. April 2006, Erw. 3.2). Dies gilt ganz besonders, wenn auf die Aussergewöhnlichkeit des Vorge- hens, auf das ungewöhnliche Geschäftsgebaren abgestellt wird. Wenn es darum geht, unter diesen Gesichtspunkten zu prüfen, ob bei einer erst vor kurzem gegründeten Gesellschaft die Dividendenaus- schüttung als ausserordentlich zu qualifizieren ist, stellt sich die Frage, ob auch auf die Verhältnisse in den folgenden Jahren abzu- stellen ist. Das Verwaltungsgericht hat es bisher in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichts (StE 2002, B 65.4 Nr. 11, Erw. 3.1; BGE vom 4. Oktober 2002 [2A.92/2002, 2A.103/2002], Erw. 3.3.1) abgelehnt, die Folgejahre mit zu berücksichtigen (AGVE 2004, S. 141 = StE 2005, B 65.4 Nr. 18, Erw. 6/a; VGE II/81 vom 19. 2007 Verwaltungsgericht 82 November 2003 [BE.2003.00029], Erw. 3/c/cc), jedoch eingeräumt, dass sich dies möglicherweise nicht vermeiden lasse, wenn ein Vergleich mit den Vorjahren unmöglich sei (StE 2005, B 65.4 Nr. 19, Erw. 4/b/bb; siehe auch VGE II/93 vom 7. Dezember 2004 [BE.2004.00113], S. 8). Bei einer neu gegründeten Aktiengesell- schaft kann es sich in der Tat aufdrängen, auch die Folgejahre zu be- achten, wenn dies für eine ausreichend abgestützte Bewertung des Geschäftsgebarens erforderlich ist. 4. Dass vom Ergebnis des ersten Geschäftsjahres Fr. 50'000.-- den Reserven zugewiesen und die restlichen rund Fr. 45'000.-- auf die neue Rechnung vorgetragen wurden, ist nicht auffällig. Am An- fang der Geschäftstätigkeit gewisse Reserven anzulegen, entspricht solider Geschäftspolitik. Im zweiten Geschäftsjahr war der Gewinn so minim, dass seine Verwendung nichts aussagt, doch in den fol- genden drei Geschäftsjahren wurde jeweils ein grosser Teil des Er- gebnisses als Dividende ausgeschüttet, der Rest auf die neue Rech- nung vorgetragen; die etwas unterschiedlichen Prozentzahlen sind auf die runden Beträge für die Ausschüttung zurückzuführen. In die- sem Zeitraum wurde eine Dividendenpolitik begründet, die konstant erscheint und der auch sonst nichts Auffälliges anhaftet (dies gilt insbesondere bei einem Kleinbetrieb, der trotz der äusseren Form ei- ner AG eigentlich das Geschäft des einen bzw. der wenigen Inhaber darstellt). Erst im Geschäftsjahr 2001/02 wurde davon abgewichen und trotz rund Fr. 200'000.-- Gewinn auf die Ausschüttung einer Di- vidende verzichtet. Die dafür gegebene Begründung bevorstehender grösserer Investitionen im Zusammenhang mit ..., ist nicht unglaub- würdig, sodass nicht von einem "Bruch" in der Dividendenpolitik ge- sprochen werden kann. Jedenfalls behielt die S AG die im Bemes- sungslückenjahr 2000 begonnene Ausschüttung des Grossteils des erzielten Gewinns auch in den zwei Jahren nach der Bemessungs- lücke und damit innerhalb des Zeitraumes bei, der auf jeden Fall ge- geben sein muss, um verlässlich prüfen zu können, ob von einer Konstanz in der Dividendenpolitik auszugehen ist. Da keine anderen Argumente ersichtlich sind, welche die im Jahr 2000 erfolgte Ausschüttung als ausserordentlich erscheinen las- sen, erweist sich die Erfassung mit einer gesonderten Jahressteuer als 2007 Kantonale Steuern 83 unzulässig. Dies führt zur vollumfänglichen Gutheissung der Be- schwerde.
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2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 151 [...] 25 Beschwerdelegitimation (§ 28 BauG). - formelle Beschwer nach § 4 Abs. 2 BauG: War die Einsprache form- ungültig, hat die Gemeinde aber auf eine Nachfrist zur Verbesserung verzichtet, widerspricht es dem Grundsatz von Treu und Glauben, dem Beschwerdeführer den Mangel im Beschwerdeverfahren entge- genzuhalten (Erw. 3.3). Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 9. April 2008 in Sachen B.M. und A.W. gegen den Regierungsrat (WBE.2006.423). Aus den Erwägungen 3. 3.1. (Legitimationsanforderungen gemäss § 28 BauG; vgl. AGVE 2002, S. 279 f.; und AGVE 1999, S. 264; 1998, S. 351 je mit Hinweisen). 3.2. Die Beschwerdeführer 1 und 2 bilden eine Erbengemeinschaft (Art. 602 Abs. 1 ZGB) und sind damit Gesamteigentümer der Par- zelle Nr. 000 (Art. 602 Abs. 2 ZGB). Der vom Erschliessungsplan 2008 Verwaltungsgericht 152 "H." vorgesehene Wendehammer, gegen den sich die Beschwerde- führer wehren, befindet sich auf der Parzelle Nr. 000, weshalb die Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung bzw. Änderung des angefochtenen Erschliessungsplans haben. Die Erfordernis der materiellen Beschwer ist daher zu bejahen. 3.3. Wie erwähnt (siehe vorne Erw. 3.1), ist für die Beschwerdelegi- timation zudem eine formelle Beschwer vorausgesetzt. Nach § 4 Abs. 2 BauG kann einen Entscheid nicht anfechten, wer es unterlas- sen hat, Einsprache zu erheben, obwohl Anlass dazu bestanden hätte. Die Voraussetzung der formellen Beschwer erfüllt demnach nur, wer sich formell richtig am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und dort seine Antrags- bzw. Beschwerdemöglichkeiten formell richtig ausge- schöpft hat. Deshalb ist auf Verwaltungsgerichtsbeschwerden von Personen nicht einzutreten, welche sich am vorinstanzlichen Verfah- ren nicht beteiligt haben, ausser sie wären zu Unrecht von der Betei- ligung ausgeschlossen oder erst durch den vorinstanzlichen Ent- scheid betroffen worden (AGVE 1999, S. 264 mit Hinweisen; Mer- ker, a.a.O., § 38 N 146; VGE IV/27 vom 16. Oktober 2003 [BE.2003.00064], S. 5 f.; VGE IV/51 vom 14. Juni 2007 [WBE.2006.419], S. 9). Die Vorinstanz weist richtigerweise darauf hin, dass der Be- schwerdeführer 1 die Einsprache an den Gemeinderat X. vom 14. März 2005 nicht unterzeichnet hat und die Einsprache insoweit (form-)ungültig war (vgl. dazu AGVE 1997, S. 292 ff. mit Hinwei- sen). Es würde aber dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV; Ulrich Häfelin / Georg Müller / Felix Uhlmann, Allge- meines Verwaltungsrecht, 5. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2006, Rz. 707 ff.) widersprechen, dem Beschwerdeführer 1 den genannten Formmangel im Zusammenhang mit dem Erfordernis der formellen Beschwer entgegenzuhalten, zumal der Gemeinderat X. ausweislich der Akten darauf verzichtet hat, dem Beschwerdeführer 1 in Anwen- dung von § 4 Abs. 1 BauG i.V.m. § 39 Abs. 3 VRPG eine Nachfrist zur Verbesserung der Einsprache anzusetzen. Statt dessen hat er ihn zur Einspracheverhandlung vom 19. August 2005 vorgeladen und ist in der Folge materiell auf die Einsprache eingetreten. Im Ergebnis ist 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 153 der Vorinstanz somit zuzustimmen, dass die Voraussetzung der for- mellen Beschwer und insbesondere von § 4 Abs. 2 BauG im Falle der Beschwerdeführer erfüllt ist.
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2012 Schulrecht und Ausbildungsbeiträge 199 VII. Schulrecht und Ausbildungsbeiträge 29 Bemessung von Ausbildungsbeiträgen bei Zweitausbildungen - Der Gesetzgeber hat die Berücksichtigung der finanziellen Leistungs- fähigkeit der Eltern zur Bemessung von Ausbildungsbeiträgen bei Zweitausbildungen nach § 15 Abs. 3 StipG unabhängig von der zivil- rechtlichen Unterhaltspflicht geregelt. - Die Anrechnung eines Einkünfteüberschusses im Elternbudget von pauschal 35 % im Budget des Gesuchstellers, wie sie § 24 Abs. 2 StipV vorsieht, bewirkt keine rechtsungleiche Behandlung von besser gestellten und aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Gesuch- stellern. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 9. Dezember 2011 in Sa- chen A. gegen Regierungsrat des Kantons Aargau (WBE.2011.235). Aus den Erwägungen 4.2. 4.2.1. Das Stipendiengesetz trat am 1. August 2007 in Kraft. Nach § 15 Abs. 1 lit. a StipG sind die massgeblichen Kosten und Leistun- gen bei der Bemessung der Ausbildungsbeiträge unter anderem die anerkannten Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern wird nur teilweise berücksichtigt, wenn die gesuchstellende Person eine zur Berufsausübung befähigte Aus- bildung abgeschlossen hat und entweder älter als 25 Jahre ist oder vor Beginn der neuen Ausbildung während mindestens drei Jahren finanziell unabhängig war (§ 15 Abs. 3 StipG). Der Regierungsrat regelt die Einzelheiten der Bemessung und legt die Ansätze fest. Er kann pauschale Ansätze festlegen und weitere Ausnahmen vom 2012 Verwaltungsgericht 200 Grundsatz der kostengünstigeren Variante vorsehen (§ 15 Abs. 4 StipG). 4.2.2. Das aargauische Stipendienrecht ist - wie das Stipendienrecht anderer Kantone - vom Grundsatz der Subsidiarität beherrscht (vgl. § 1 StipG). Stipendien stellen unterhaltsergänzende Spezialleistungen dar, d.h. sie ergänzen den in quantitativer Hinsicht mangelnden fa- miliären Unterhalt, ohne an dessen Stelle zu treten (vgl. Markus Müller, Das Stipendienrecht des Kantons St. Gallen mit Berücksich- tigung der Stipendiengesetzgebung des Bundes, St. Gallen 1987, S. 16 ff.). Zum Subsidiaritätsprinzip wird in der Botschaft des Regie- rungsrats insbesondere festgehalten, dass der Staat unter bestimmten Voraussetzungen Ausbildungsbeiträge leistet. Die Ausbildungsfinan- zierung bleibe in erster Linie Aufgabe der auszubildenden Person, ihrer Eltern und anderer Drittpersonen, soweit diesen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und persönlichen Umstände die Tra- gung der Ausbildungskosten zugemutet werden kann. Es sei nicht Aufgabe des Staates, dort Ausbildungsbeiträge zu leisten, wo genü- gend private Mittel zur Verfügung stünden (Botschaft des Regie- rungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 30. Novem- ber 2005 [Botschaft], 05.322, S. 15 f.). 4.3. Der in Art. 8 Abs. 1 BV und § 10 Abs. 1 KV verankerte Gleich- heitssatz verlangt, dass Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Es dürfen keine Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen, über die zu entscheiden ist, nicht gefunden werden kann. Die Rechts- gleichheit ist verletzt, wenn zwei gleiche tatsächliche Situationen ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt werden (BGE 131 I 91, Erw. 3.4; AGVE 2010, S. 153; 1999, S. 210; VGE III/40 vom 17. Juni 2009 [WBE.2008.85], S. 15; VGE III/28 vom 19. Juni 2008 [WBE.2007.136], S. 13, je mit Hinweisen). Das Gleichbehandlungsgebot in der Rechtssetzung ist verletzt, wenn ein Erlass hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in 2012 Schulrecht und Ausbildungsbeiträge 201 den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse auf- drängen. Die Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein ver- nünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich beantwortet werden, je nach den herrschenden Anschauungen und Zeitverhältnissen. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser Grundsätze und des Willkür- verbots ein weiter Spielraum der Gestaltung (BGE 134 I 23, Erw. 9.1; 132 I 157, Erw. 4.1; Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 497; Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli/Markus Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Bern 2009, § 23 N 5 ff.; vgl. auch Rainer J. Schweizer, in: St. Galler Kommentar zur BV, 2. Aufl., 2008, Art. 8 N 39 ff.). 4.4. Einen direkten Anspruch auf Ausrichtung von Stipendien kann der Beschwerdeführer weder aus der Bundesverfassung noch aus der Kantonsverfassung ableiten. Art. 19 BV (Anspruch auf unentgeltli- chen Grundschulunterricht), Art. 41 Abs. 1 lit. f BV (Sozialziele) und Art. 62 ff. BV (Schulwesen) verleihen dem Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Ausrichtung von Ausbildungsbeiträgen. Auch §§ 28 ff. KV (Erziehung und Bildung) enthalten diesbezüglich keine An- sprüche. Nach § 34 Abs. 4 KV kann der Kanton Ausbildungsbeiträge gewähren. 4.5. 4.5.1. Der Beschwerdeführer begründet die Verletzung der Rechts- gleichheit im konkreten Fall im Wesentlichen damit, dass nach der geltenden Regelung Gesuchsteller wohlhabenderer Eltern, welche eine Zweitausbildung absolvieren und von diesen aufgrund der elter- lichen Unterstützungspflicht keine Unterstützung mehr erzwingen könnten, bei Zweitausbildungen gegenüber aus ärmeren Verhältnis- sen stammenden Gesuchstellern stipendienrechtlich benachteiligt würden. 2012 Verwaltungsgericht 202 4.5.2. Der Beschwerdeführer übersieht bei seiner Argumentation, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern bei Zweitausbildungen im Sinne von § 15 Abs. 3 StipG nicht den Anspruch auf Ausrichtung von Stipendien als solchen betrifft, sondern nur bei deren Bemessung Berücksichtigung findet. Dem Beschwerdeführer ist mit Verfügung des Departements Bildung, Kultur und Sport (BKS) ein Stipendium von Fr. 5'400.00 gewährt worden. Die Abteilung Bildungsberatung, Sport und Jugend hat entsprechend den Vorgaben von §§ 20 ff. StipV ein Elternbudget für beide Elternteile erstellt. Hierbei wurde beim Vater ein Einkünfteüberschuss von Fr. 42'973.00 ermittelt und davon 35 % als anrechenbarer Vaterbeitrag im Budget des Beschwerdefüh- rers berücksichtigt. Die Anrechnung ist entsprechend den Vorgaben von § 25 Abs. 2 StipV erfolgt. Nach der gesetzlichen Bestimmung von § 15 Abs. 3 StipG ist die Leistungsfähigkeit der Eltern im Falle des Beschwerde- führers teilweise zu berücksichtigen. Insofern enthält § 15 Abs. 3 StipG eine spezielle Ausgestaltung des Subsidiaritätsprinzips, wo- nach bei Zweitausbildungen von Personen, welche ein bestimmtes Alter haben oder über eine gewisse eigene finanzielle Unabhängig- keit verfügen, die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern bei der Bemessung nur teilweise zu berücksichtigen ist. In diesen Fällen werden Gesuchstellern pauschal 35 % des elterlichen Einkommens- überschusses im Budget angerechnet (§ 15 Abs. 4 StipG i.V.m. § 24 Abs. 2 Satz 2 StipV). Nach dem in § 24 Abs. 2 Satz 1 StipV enthal- tenen generellen Subsidiaritätsprinzip sind die elterlichen Vermö- gens- und Einkommensverhältnisse dagegen vollständig zu berück- sichtigen und sind Beitragsgesuche abzulehnen, wenn die Eltern über ausreichende Einkunftsüberschüsse verfügen. In der Botschaft des Regierungsrats wird ausdrücklich festgehalten, § 15 Abs. 3 StipG trage der "oft verlangten Elternunabhängigkeit der Ausbildungsfi- nanzierung" Rechnung (Botschaft, S. 34). 4.5.3. Wenn Gesetz- und Verordnungsgeber die von den Eltern zu- mutbare Unterstützung bei Zweitausbildungen pauschal und losge- löst von der tatsächlichen Realisierbarkeit auf 35 % des Einkünfte- 2012 Schulrecht und Ausbildungsbeiträge 203 überschusses festgelegt haben, kann darin keine Verletzung des Ge- bots der Rechtsgleichheit erblickt werden. Es ist dem Beschwerde- führer zwar zuzustimmen, dass diese Anrechnung bei aus besseren Verhältnissen stammenden Gesuchstellern zu geringeren Ausbil- dungsbeiträgen oder gar zum Entfallen dieser führen kann. Eine exakte Gleichbehandlung ist oft aus praktischen Gründen nicht möglich. Der Gesetzgeber darf und muss daher bis zu einem gewis- sen Grad schematisieren und pauschalieren. Schematische oder typi- sierende Regelungen verletzen die Rechtsgleichheit nicht, sofern sie sich aus praktischen Gründen rechtfertigen (vgl. Häfelin/Müller/Uhl- mann, a.a.O., Rz. 497; Tschannen/Zimmerli/ Müller, a.a.O., § 23 N 9). Zum andern ist nicht einzusehen, dass in Fällen wie dem vorliegenden, wo der Vater über ein gewisses Vermögen sowie über ein höheres Einkommen verfügt (eine Liegenschaft mit einem Steuerwert von Fr. 548'100, wobei Schulden von Fr. 380.000 be- stehen, und Jahreseinkünfte von Fr. 85'452), diese Umstände bei der Bemessung der Höhe der Ausbildungsbeiträge keine Berücksichti- gung finden können. Bereits unter altem Stipendienrecht war je nach Höhe der Anwartschaft auf einen Teil des elterlichen Vermögens im Erbfall den Gesuchstellern zuzumuten, ihre Ausbildung durch die Aufnahme privater Darlehen (z.B. Darlehen der Eltern, Ausbild- ungskredit einer Bank usw.) selber zu finanzieren (AGVE 1992, S. 558 f.). Diese Überlegungen gelten bei der Bemessung der Ausbildungsbeiträge unter der Geltung des neuen Stipendienrechts als Folge des Subsidiaritätsgrundsatzes weiterhin. Wenn der Be- schwerdeführer vorbringt, gegenwärtig keinen Kontakt mehr zu sei- nem Vater zu haben, muss sich dieser Umstand daher nicht zwingend auf die Bemessung der Höhe der Ausbildungsbeiträge auswirken. Ebenfalls nicht relevant sein muss diesbezüglich, dass der Beschwer- deführer aufgrund der Unterhaltspflicht nach Art. 276 f. ZGB keine Unterstützung vom Vater mehr erhältlich machen kann und die Leistung eines freiwilligen Beitrages als unzumutbar erachtet. Aus besseren Verhältnissen stammenden Gesuchstellern ist es erfahrungs- gemäss eher möglich, für die Kosten einer Zweitausbildung bei- spielsweise durch die Aufnahme eines privaten Darlehens teilweise aufzukommen. Das Bundesgericht hat bereits in einem nicht publi- 2012 Verwaltungsgericht 204 zierten Urteil vom 20. November 1990 festgehalten, dass Kinder geschiedener, aber dennoch vermögender Eltern, die diesen gegen- über keinen durchsetzbaren Unterhaltsanspruch mehr besitzen und bereits über eine abgeschlossene Ausbildung verfügen, regelmässig in der besseren Lage seien als Kinder weniger gut situierter Familien, so dass bei jenen eher zumutbar sei, die Vermögensverhältnisse ihrer Eltern anzurechnen; dies gelte umso mehr, als in diesen Fällen die Möglichkeit bestehe, die Ausbildung durch Darlehen der Eltern oder Dritter zu finanzieren (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 20. November 1990 [2P.36/1990 und 2P.128/1990]). Diesbezüglich ist auch darauf hinzuweisen, dass das Stipendiengesetz selbst die Möglichkeit der Gewährung von Darlehen vorsieht (vgl. § 17 f. StipG). Die Berücksichtigung des elterlichen Einkommensüber- schusses rechtfertigt sich ferner aufgrund des erbrechtlichen Pflicht- teilsschutzes nach Art. 470 Abs. 1 ZGB; die Berücksichtung der Vermögensverhältnisse der Eltern ist im Hinblick auf die Anwart- schaft ebenfalls angezeigt. Eine rechtsungleiche Bevorzugung von aus ärmeren Verhältnissen stammenden Gesuchstellern, wie sie der Beschwerdeführer geltend macht, kann unter diesen Umständen nicht angenommen werden. Die Abklärung der finanziellen und erbrechtli- chen Verhältnisse im Einzelfall ist aufwändig. Aus Gründen der Praktikabilität kann diesen Umständen durch eine Pauschalierung bei der Bemessung der Stipendien Rechnung getragen werden. 4.6. 4.6.1. Hinsichtlich der Frage, ob die Gewährung von Stipendien an die zivilrechtliche Unterhaltspflicht zu knüpfen sei resp. die Stipendien- gesetzgebung und Art. 277 Abs. 2 ZGB den gleichen Zumutbarkeits- begriff verwenden, ist festzuhalten, dass gemäss Art. 62 BV die Schulhoheit den Kantonen zusteht. Die kantonale Schulhoheit gilt indessen nicht unbegrenzt. Sie wird durch zahlreiche bundesrechtli- che Vorschriften abgesteckt, eingeschränkt und umrahmt (vgl. Bernhard Ehrenzeller/Markus Schott, in: St. Galler Kommentar zur BV, 2. Aufl., 2008, Art. 62 N 10). Die Ordnung des Stipendienwe- sens, die Festsetzung der Voraussetzungen und der Höhe von Stipen- dien sowie das Verfahren verbleiben im Kompetenzbereich der 2012 Schulrecht und Ausbildungsbeiträge 205 Kantone (vgl. BBl 1964 I 1115; Marco Borghi, in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Basel 1996, Art. 27 quater [a]BV N 17; Peter Breitschmid, in: Basler Kom- mentar, Zivilgesetzbuch I, 4. Aufl., 2010, Art. 293 ZGB N 6). Der Kanton Aargau ist der interkantonalen Vereinbarung zur Harmonisie- rung von Ausbildungsbeiträgen vom 18. Juni 2009 nicht beigetreten (abrufbar unter: http://www.edk.ch/dyn/9966.php). Das Bundeszivilrecht findet im Stipendienrecht lediglich bei ei- nem allfälligen entsprechenden Verweis als fakultatives, subsidiäres öffentliches Recht Anwendung (vgl. hierzu: Entscheid des Verwal- tungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. September 2005, in: St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis [GVP] 2005 Nr. 8, Erw. 2d). Im Übrigen regeln die elterliche Unterhaltspflicht und das kantonale Stipendienrecht unterschiedliche Bereiche: Bei der elterli- chen Unterhaltspflicht nach Art. 277 Abs. 2 ZGB geht es um die nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Mündigkeit angemessene Ausbildung, bei den Stipendien dagegen um die im jeweiligen Alter des Gesuchstellers angemessene staatliche Unterstützung einer Erst- oder Zweitausbildung (vgl. Cyril Hegnauer, in: Berner Kommentar, Die Gemeinschaft der Eltern und Kinder, Die Unterhaltspflicht der Eltern, 1997, Art. 277 ZGB N 48). 4.6.2. In der Botschaft des Regierungsrats wird festgehalten, § 15 Abs. 3 StipG trage der "oft verlangten Elternunabhängigkeit der Ausbildungsfinanzierung" Rechnung. Die Beschränkung auf das vollendete 25. Altersjahr und die Voraussetzung des Abschlusses einer ersten zur Berufsausübung befähigenden Ausbildung (Berufs- lehre, Hochschulabschluss etc.) würden sowohl dem Subsidiari- tätsprinzip als auch der zivilrechtlichen Pflicht der Eltern Rechnung tragen, dem Kind eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entspre- chende allgemeine und berufliche Ausbildung zu ermöglichen (Art. 302 Abs. 2 ZGB; Botschaft, S. 34). Es wird ausdrücklich ausge- führt, dass bei den nächsten Angehörigen der gesuchstellenden Per- son auf die Zumutbarkeit der Leistungserbringung und nicht auf die zivilrechtliche Verpflichtung dazu abgestellt werden soll, wenn die Eltern über bedeutende finanzielle Mittel verfügen würden. Aller- 2012 Verwaltungsgericht 206 dings sollten die finanziellen Verhältnisse der Eltern nur noch teil- weise berücksichtigt werden, wenn ihr Kind eine erste Ausbildung abgeschlossen hat und entweder älter als 25 Jahre alt oder während einer bestimmten Dauer finanziell unabhängig gewesen ist (Bot- schaft, S. 16). 4.6.3. Nach dem Gesagten stand es Gesetz- und Verordnungsgeber frei, die Bemessung der Höhe der Ausbildungsbeiträge bei Zweit- ausbildungen unabhängig vom Bestehen der zivilrechtlichen Unter- haltspflicht nach Art. 277 Abs. 2 ZGB festzulegen. Staatliche Aus- bildungsbeiträge sind nach dem Willen des Gesetzgebers subsidiär gegenüber möglichen und üblichen und nicht gegenüber zivilrecht- lich geschuldeten Elternbeiträgen. Die zumutbaren Elternbeiträge im Sinne des Stipendiengesetzes werden rein rechnerisch als Einkünfte- überschuss aus der Gegenüberstellung von stipendienrechtlich aner- kannten Einnahmen und Ausgaben im Elternbudget bestimmt. Wenn vom Einkünfteüberschuss des Elternbudgets einem Gesuchsteller 35 % in seinem Budget als Einkünfte pauschal angerechnet werden (§ 15 Abs. 3 StipG i.V.m. § 24 Abs. 2 StipV), kann darin keine rechtsungleiche Behandlung im Verhältnis zu jenen Gesuchstellern gesehen werden, bei welchen sich kein Einkünfteüberschuss im Elternbudget ergibt. Eine Verletzung der Rechtsgleichheit nach Art. 8 Abs. 1 BV und § 10 Abs. 1 KV liegt demnach nicht vor.
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2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 286 29 Weisungsrecht des Arbeitgebers; Kündigungsgrund Eine Weisung des Arbeitgebers, wonach der erkrankte Arbeitnehmer durch ein auf eigene Kosten zu veranlassendes Gutachten die vollständige Wiedererlangung seiner Arbeitsfähigkeit zu belegen hat, ist unzulässig (Erw. 3.6.2). Ein Weisungsbruch des Arbeitnehmers bildet in diesem Fall keinen sachlich zureichenden Grund für eine Kündigung des Anstellungs- verhältnisses durch den Arbeitgeber (Erw. 3.6.3). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 3. Mai 2018, in Sachen A. gegen Einwohnergemeinde B. (WKL.2017.8). Aus den Erwägungen II. 3.6.2 Das Weisungsrecht des Arbeitgebers bzw. die Befolgungspflicht des Arbeitnehmers ist begriffswesentlicher Inhalt des Arbeitsverhält- nisses und ein Ausfluss des typischen Subordinationsverhältnisses zwischen den Parteien. Die Ausübung des Weisungsrechts konkreti- siert die Arbeits- und Treuepflicht des Arbeitnehmers und gibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, durch Weisungen auf die Ausführung 2018 Personalrecht 287 der Arbeit Einfluss zu nehmen. Der Arbeitnehmer hat die Weisungen des Arbeitgebers nach Treu und Glauben zu befolgen, sofern die geforderte Handlung durch die Arbeits- und Treuepflicht zumutbar und nicht schikanös ist. Anordnungen, die das Verhalten des Arbeit- nehmers betreffen, müssen sich auf den unmittelbaren Zusammen- hang mit der Arbeitsleistung beschränken (THOMAS GEISER/ROLAND MÜLLER, Arbeitsrecht in der Schweiz, 3. Auflage, Bern 2015, N 329, 337). Grundsätzlich müssen rechts- oder sittenwidrige Weisungen nicht befolgt werden (ULLIN STREIFF/ADRIAN VON KAENEL/ROGER RUDOLPH, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2012, Art. 321d N 3). Das Weisungs- recht findet seine Grenzen dort, wo die Rechtmässigkeit der angeord- neten Massnahmen überschritten wird (BGE 132 III 115, Erw. 5.2). Der Arbeitnehmer darf und muss sich ihnen widersetzten (JÜRG BRÜHWILER, Einzelarbeitsvertrag: Kommentar zu den Art. 319-343 OR, 3. Auflage, Basel 2014, Art. 321d N 5). Zur Frage, wie es sich in Grenzfällen verhält, in denen die Rechtmässigkeit der Weisung unklar ist, werden dagegen unterschiedliche Auffassungen vertreten. Zum einen wird vorgebracht, der Arbeitnehmer sei zur Nicht- befolgung von Weisungen lediglich dann berechtigt (und auch verpflichtet), wenn schwere und offenkundige, d.h. leicht erkennbare Fehler ihre Unverbindlichkeit bewirken (vgl. WALTER HINTER- BERGER, Disziplinarfehler und Disziplinarmassnahmen im Recht des öffentlichen Dienstes, Diss. St. Gallen 1986, S. 178). Letzteres betreffe insbesondere Weisungen, welche inhaltlich offensichtlich rechtswidrig sind oder in erkennbarer Weise gegen höherstehende Weisungen verstossen (Entscheid des Erziehungsrates St. Gallen, St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis [GVP] 2011, Nr. 100, Erw. 6.a; Entscheid des Kantonsgerichts Baselland vom 29. Juni 2016 [810 15 238], Erw. 9.1). Zum andern wird vertreten, auch in Grenzfällen, bei denen die Rechtmässigkeit unklar sei, könne die Befolgung der betreffenden Weisung nicht verlangt werden (vgl. MANFRED REHBINDER/JEAN-FRITZ STÖCKLI, Berner Kommentar, Einleitung und Kommentar zu den Art. 319-330b OR, Bern 2010, Art. 321d N 46; RENÉ HIRSIGER, Die Zielvereinbarung im Einzel- 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 288 arbeitsverhältnis - Gleichzeitig ein Beitrag zu erfolgs- und leistungs- abhängigen Vergütungssystemen und Bonuszahlungen im schwei- zerischen Arbeitsrecht, Diss. St. Gallen 2011, S. 123). Überschreite der Arbeitgeber seine Weisungsbefugnisse, unterstehe der Arbeitneh- mer nicht der Befolgungspflicht. Die Nichtbefolgung könne daher durch den Arbeitgeber nicht sanktioniert werden (MICHÈLE SCHNIDER, Schutz des Arbeitnehmers vor psychischem Druck, Diss. Bern 2016, ASR 823, 118 f. mit weiteren Hinweisen). Auslagen, die die Ausführung der Arbeit ermöglichen, liegen im Interesse des Arbeitgebers und sind deshalb von ihm zu tragen (REHBINDER/STÖCKLI, a.a.O., Art. 327a N 12; Botschaft des Bundes- rates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Revision des Zehnten Titels und des Zehnten Titelsbis des Obligationenrechts [Der Arbeitsvertrag] vom 25. August 1967, BBl 1967 II 341). Die Pflicht des Arbeitnehmers bei Arbeits- unfähigkeit infolge Krankheit erschöpft sich in der Vorlage eines einfachen Arztzeugnisses (vgl. § 28 Personalreglement [der Einwoh- nergemeinde B.]). Erachtet der Arbeitgeber eine weitergehende Begutachtung, namentlich eine vertrauensärztliche Untersuchung, als erforderlich, hat er hierfür die Kosten zu übernehmen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 13. April 2015 [8C_619/2014], Erw. 3.2.1; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 324a/b N 12). Ver- tragliche Abreden, wonach der Arbeitgeber die Kosten einer vertrauensärztlichen Untersuchung auf den Arbeitnehmer abwälzen kann, sind als nichtig zu qualifizieren (MANUEL STENGEL, Der Ver- trauensarzt im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis, Diss. St. Gallen 2014, S. 246). 3.6.3 Spätestens aufgrund ihrer Präzisierung vom 14. Februar 2017 war klar, dass die Beklagte eine Bestätigung der behandelnden Psychiaterin, mithin ein einfaches Arztzeugnis, nicht genügen lassen wollte. Dass die Beibringung zu eigenen Lasten , mithin auf Kosten des Klägers gefordert war, geht aus dem Gemeinderatsbeschluss vom 31. Januar 2017 hervor. Zur Beibringung eines weitergehenden Gut- achtens auf seine eigenen Kosten war der Kläger jedoch nicht ver- pflichtet. Ein solches Gutachten wäre von der Beklagten auf deren 2018 Personalrecht 289 Kosten anzuordnen gewesen. Die Weisung, wonach der Kläger zu seinen Lasten ein fachärztliches Gutachten beizubringen habe, er- weist sich damit als unzulässig. (...) Insgesamt kann in der Nichtbeachtung der unzulässigen Wei- sung auch im Gesamtkontext des übrigen Verhaltens des Klägers kein zureichender sachlicher Kündigungsgrund (...) erblickt wer- den. (...)
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2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 234 19 Schutzumfang in einer Altstadtzone Auslegung kommunaler Vorschriften im Hinblick auf den Schutzumfang in einer Altstadtzone. Im Anwendungsfall fehlt es an einer klaren gesetz- lichen Grundlage, die es dem Stadtrat erlaubt, bei inneren Umbauten von Gebäuden in den Altstadtzonen Bauvorgaben anzuordnen. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 24. Oktober 2018, in Sachen A. AG gegen Stadtrat X. und Departement Bau, Verkehr und Umwelt (WBE.2018.160). Aus den Erwägungen 1. Die Parzelle Nr. yyy befindet sich in der Altstadt von X. (...). Das auf dieser Parzelle befindliche Gebäude Nr. zzz liegt in der Alt- stadtzone (grösstenteils in der Altstadtzone Ab; vgl. Nutzungsplan [...]). Das Haus ist Teil der Häuserzeile an der Verzweigung (...). Vor- gesehen bzw. bereits vollendet sind der Einbau von Dachlukarnen und Ochsenaugen, Fassadenänderungen sowie innere Umbauten. Im Keller, im EG und teilweise im 1. OG soll das Haus in ein Bistro/Café/Bar umgenutzt werden. In der nordöstlichen Gebäude- ecke ist deshalb der Einbau eines 0.8 x 1.0 m (gemäss Vorinstanz) grossen Warenlifts (nachfolgend: Kleingüteraufzug) geplant. Dieser soll vom Keller ins EG und weiter ins 1. OG (Küche) führen. Die für den Kleingüteraufzug erforderlichen Durchbrüche der Geschoss- decken sind heute bereits vorhanden, wobei unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin diese Durchbrüche (unabhängig von deren vorbestehenden Grösse) zumindest auf die für den Einbau erforder- lichen Abmessungen erweitert hat. Streitgegenstand vor Verwaltungsgericht bildet einzig die Frage, ob der Kleingüteraufzug (inkl. der dafür erforderlichen Durchbrüche) bewilligt werden kann. 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 235 2. (...) 3. 3.1. Ausgangspukt der Auslegung eines Rechtssatzes bildet der Wortlaut der Bestimmung (grammatikalisches Element; BGE 143 I 277; 142 V 404 f.). Ist der Wortlaut der Bestimmung klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich, darf davon nur abgewichen wer- den, wenn triftiger Grund für die Annahme besteht, der Wortlaut ziele am wahren Sinn der Regelung vorbei. Anlass für eine solche Annahme können die Entstehungsgeschichte der Bestimmung (histo- risches Element), ihr Zweck (teleologisches Element) oder der Zu- sammenhang mit andern Vorschriften (systematisches Element) ge- ben (BGE 143 I 277; 142 I 138). Nur für den Fall, dass der Wortlaut der Bestimmung unklar bzw. nicht restlos klar ist und verschiedene Interpretationen möglich bleiben, muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden. Dabei sind alle anerkannten Ausle- gungselemente zu berücksichtigen (pragmatischer Methodenpluralis- mus; BGE 143 I 277; 142 I 138). Auch eine solche Auslegung findet ihre Grenzen aber am klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzes- bestimmung, indem der eindeutige Wortsinn nicht zugunsten einer solchen Interpretation beiseitegeschoben werden darf (BGE 143 I 277; 141 V 225). Steht die Anwendung und Auslegung kommunaler Bestim- mungen in Frage, darf die Gemeinde im Rahmen ihres Ermessens- spielraums den verfassungsrechtlichen Schutz beanspruchen, der ihr gestützt auf die Gemeindeautonomie zusteht (§ 106 Abs. 1 KV). Die Rechtsmittelinstanzen haben sich deshalb bei der Überprüfung kommunaler Entscheide insbesondere dort zurückzuhalten, wo eine Regelung unbestimmt ist und verschiedene Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar erscheinen. Sie sind diesfalls gehalten, das Ergebnis der gemeinderätlichen Rechtsauslegung zu respektieren und nicht ohne Not ihre eigene Rechtsauffassung an die Stelle der gemeinderätlichen zu setzen (BGE 115 Ia 118 f. = Pra 78/1989, S. 796 f.; AGVE 2015, S. 174; 2010, S. 441, 447, 451; 2008, S. 164; 2006, S. 187 f.; 2003, S. 190). Die Autonomie der Gemeinde- behörden hat jedoch insbesondere dort ihre Grenzen, wo sich eine 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 236 Auslegung mit dem Wortlaut sowie mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht mehr vereinbaren lässt (vgl. AGVE 2015, S. 174; 2006, S. 188; 2005, S. 152; 2003, S. 190). Räumt eine Norm der rechtsanwendenden Behörde Ermessen ein, ist die Gemeindebehörde bei der Ermessensbetätigung ausserdem an die Verfassung, insbeson- dere an das Rechtsgleichheitsgebot, das Verhältnismässigkeitsprinzip und an die Pflicht zur Wahrung öffentlicher Interessen gebunden (AGVE 2015, S. 174 f.; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich/St. Gallen 2016, Rz. 409). 3.2. 3.2.1. § 33 BNO definiert die (kommunalen) Schutzobjekte: Als sol- che gelten alle Objekte gemäss §§ 34 - 39 BNO sowie alle Gebäude in den Altstadtzonen und im Kernbereich Bäderzone (§ 33 BNO). Da die hier betroffene Liegenschaft in den Altstadtzonen liegt (Erw. 1), handelt es sich somit um ein (kommunales) Schutzobjekt. Von einem Baudenkmal i.S.v. § 39 BNO - welches ebenfalls als (kommunale) Schutzobjekte sind - kann dagegen nicht gesprochen werden (vgl. Nutzungsplan [...] sowie Anhang III zur BNO). Ebenso wenig steht die Liegenschaft unter kantonalem Denkmalschutz (vgl. Nutzungs- plan [...]). Der projektierte Einbau des Kleingüteraufzugs steht im Zusam- menhang mit dem Umbau (und der teilweisen Umnutzung) des Alt- stadthauses (Gebäude Nr. zzz). Es handelt sich um bauliche Mass- nahmen ausschliesslich im Inneren des Gebäudes. Den Vorschriften in § 13 Abs. 2, 3 und 4 BNO lässt sich dagegen entnehmen, dass es hier um den Erhalt des Orts- bzw. Stadtbilds sowie um den Erhalt der Struktur der Altstadt geht: Die Altstadt ist in ihrem Gesamtbild und ihrer Struktur zu erhalten. Bauten Freiräume und stadtbildprägende Elemente mit kulturgeschichtlicher, architektonischer oder städte- baulicher Bedeutung sind in ihrem Bestand zu sichern (Abs. 2). Bauliche Massnahmen sind zulässig, wenn sie den Charakter des historisch gewachsenen Stadtbilds wahren und die schützenswerten Bestandteile der inneren Struktur erhalten. Sie müssen sich bezüglich Ausmassen, Gestaltung, Materialien und Farbgebung gut in die 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 237 bestehende Bebauung einfügen (Abs. 3). Für bauliche Massnahmen gilt ergänzend das Altstadtreglement (Abs. 4). Dieses befasst sich mit Dächern und Dachgeschossen (Trauf- und Firstlinien, Dachneigun- gen; Dacheindeckungen und Spenglerarbeiten; Dachaufbauten; Dachterrassen und -einschnitte; Ausbau Dachgeschosse) sowie mit Fassaden (Fenster; Fensterläden und Storen; Schaufenster, Schau- und Briefkästen; Anbauten) (vgl. Altstadtreglement). Die § 13 Abs. 2, 3 und 4 BNO sowie das Altstadtreglement beziehen sich somit schon nach dem Wortlaut auf das historisch gewachsene Stadtbild und die Struktur der Altstadt. Ein Objekt soll in die Altstadt passen. Was die Gebäude anbelangt, betrifft dies mithin ihr Äusseres. § 13 Abs. 3 BNO hält in einem Satzteil zwar fest, dass die schützenswerten Bestandteile der inneren Struktur zu erhalten seien; diese Formulierung ist jedoch im Kontext mit der Altstadt bzw. mit dem historisch gewachsenen Stadtbild zu sehen, auf dessen Charakter im selben Satz gleich zuvor explizit Bezug genommen wird (siehe oben). Zudem wird im nachfolgenden Satz ergänzt, dass sich die baulichen Massnahmen bezüglich Ausmassen, Gestaltung, Materialien und Farbgebung gut in die bestehende Bebauung einfü- gen müssen (siehe oben), womit ebenfalls nur das Stadtbild der Alt- stadt gemeint sein kann. Von der Struktur spricht im Übrigen auch § 13 Abs. 2 BNO, wobei nach dem klaren Wortlaut auch dort die Struktur der Altstadt gemeint ist. § 13 Abs. 5 BNO hält sodann fest, dass betreffend Unterhalt und Abbruch § 39 Abs. 1 und 4 BNO gelten. Altstadtgebäude dürfen somit grundsätzlich nicht beseitigt oder beeinträchtigt werden. Der Stadtrat kann Ausnahmen vom Beseitigungs- oder Beeinträch- tigungsverbot bewilligen, wenn wichtige Gründe dies rechtfertigen (vgl. § 13 Abs. 5 i.V.m. § 39 Abs. 1 BNO). Die Bausubstanz von Altstadtgebäuden ist zudem so zu unterhalten, dass ihr Wert erhalten bleibt. Unterhalt und Pflege sind grundsätzlich Sache der Eigentümer (§ 13 Abs. 5 i.V.m. § 39 Abs. 4 BNO). Was den vorliegenden Fall anbelangt, so geht es indes weder um Fragen des Unterhalts noch um den Abbruch eines Altstadtgebäudes. Zur Beurteilung stehen vielmehr bauliche Massnahmen (Einbau eines Kleingüteraufzugs) im Zusammenhang mit einem inneren Umbau (und einer teilweisen 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 238 Umnutzung). Bei einem (kommunalen) Baudenkmal wäre dieses Vorhaben wohl nach Massgabe von § 39 Abs. 3 BNO zu beurteilen, welche Bestimmung besagt, dass Bauvorhaben, insbesondere Um- und Ergänzungsbauten, wärmetechnische Sanierungen, Renova- tionen sowie Umnutzungen, die Charakteristiken des Baudenkmals erhalten müssen (§ 39 Abs. 3 BNO). Bezüglich der Altstadtzonen - um die es vorliegend geht - fehlt es jedoch an einer rechtsgenüg- lichen Vorschrift bzw. gesetzlichen Grundlage, welche bei Bau- vorhaben (wie z.B. Umbauten) und Umnutzungen die Altstadt- gebäude auch im Inneren schützen würde. Dies ist ein Unterschied zu den (kommunalen) Baudenkmälern. Letztere unterstehen einem höheren Schutzumfang, was sich auch darin äussert, dass die ein- zelnen Baudenkmäler im Nutzungsplan eingetragen und im An- hang III zur BNO aufgelistet sind und die Objekte im Verzeichnis der Baudenkmäler konkret beschrieben werden (vgl. auch § 39 Abs. 1 und 2 BNO). Der unterschiedliche Schutzumfang spiegelt sich im Übrigen auch in den Vorschriften zur Bewilligungspflicht wider: Während in den Altstadtzonen nebst der Bewilligungspflicht nach Bundesrecht und kantonalem Recht (vgl. § 83 Abs. 1 BNO) nur die in § 83 Abs. 2 lit. a BNO bezeichneten Vorkehren am Äusseren - Fassadenrenova- tionen, wie insbesondere die Änderung von Dacheindeckungen, das Ersetzen und der Einbau von Fenstern, Türen und Fensterläden, Spenglerarbeiten sowie Fassadenanstriche; Beschriftungen, Aussen- beleuchtungen und Fassadenreklamen; Sonnenstoren - zusätzlich bewilligungspflichtig sind (§ 83 Abs. 2 lit. a BNO), sind bei Bau- denkmälern über die in § 83 Abs. 2 lit. a BNO festgehaltenen Vorkehren (am Äusseren) hinaus auch alle baulichen Massnahmen im Inneren bewilligungspflichtig (§ 83 Abs. 2 lit. c BNO). Auch darin zeigt sich, dass der Schutzumfang und das öffentliche Interesse an einer behördlichen Kontrolle im Inneren von Baudenkmälern hö- her ist als bei Gebäuden in der Altstadtzone, für welche § 83 Abs. 2 lit. c BNO nicht gilt. Demgemäss besteht in den Altstadtzonen keine gesetzliche Grundlage, welche bei Bauvorhaben (wie z.B. Umbauten) und Um- nutzungen auch das Innere der Gebäude spezifisch schützen würde. 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 239 3.2.2. Soweit der Stadtrat eine entsprechende Grundlage aus § 13 Abs. 2 und 3 BNO ablesen will, kann ihm nicht gefolgt werden. Er zitiert bereits falsch, wenn er ausführt, die rechtliche Grundlage liege in § 13 Abs. 2 BNO begründet, wonach Altstadthäuser in ihrem Ge- samtbild und ihrer Struktur zu erhalten sind . § 13 Abs. 2 Satz 1 BNO lautet nicht so, sondern Die Altstadt ist in ihrem Gesamtbild und ihrer Struktur zu erhalten. . Weiter ist die vom Stadtrat aus § 13 Abs. 3 BNO zitierte Formulierung Bauliche Massnahmen sind u.a. unter Erhalt der schützenswerten Bauteile der inneren Struktur zuläs- sig - worauf er dann von einem inneren und äusseren Substanz- schutz spricht - aus dem Zusammenhang gerissen. Die Formulie- rung, dass die schützenswerten Bestandteile der inneren Struktur zu erhalten sind, ist, wie dargelegt (Erw. 3.2.1), im Kontext mit der Altstadt bzw. dem historisch gewachsenen Stadtbild zu verstehen und betrifft somit nicht das Innere der einzelnen Gebäude, worauf im Übrigen auch die Vorinstanz hinweist. Im Weiteren kann aber auch der Vorinstanz nicht gefolgt wer- den, welche die gesetzliche Grundlage für den Schutzumfang der kommunalen Einschätzung in § 39 Abs. 1 und 4 BNO sieht. § 13 Abs. 5 BNO verweist bezüglich Unterhalt und Abbruch auf die §§ 39 Abs. 1 und 4 BNO. Wie dargelegt geht es im konkreten Fall aber um bauliche Massnahmen im Zusammenhang mit einem Umbau (und späterer teilweiser Umnutzung) und nicht um Unterhalt oder den Abbruch des Altstadtgebäudes. Für Gebäude in den Altstadt- zonen besteht keine Vorschrift bzw. gesetzliche Grundlage, welche bei Bauvorhaben (wie z.B. Umbauten) und Umnutzungen auch das Innere der Gebäude schützen würde (siehe bereits Erw. 3.2.1). Unzu- treffend ist sodann der Hinweis der Vorinstanz, wonach bei Gebäu- den in der Altstadtzone eine explizit statuierte Bewilligungspflicht auch für innere Umbauten bestehe. Eine Bewilligungspflicht für alle baulichen Massnahmen im Inneren besteht nur für Baudenkmäler, nicht jedoch für Gebäude in der Altstadtzone (Erw. 3.2.1; § 83 Abs. 2 lit. c und a BNO). Die explizit statuierte Bewilligungspflicht spricht somit nicht für, sondern gegen die Auslegung der Vorinstan- zen. Ebenfalls nicht weiter hilft, dass die kantonale Denkmalpflege 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 240 zur Unterstützung beigezogen werden kann (§ 82 Abs. 3 Satz 3 BNO). In den Altstadtzonen kann diese Unterstützung von Bedeu- tung sein, weil es um den Schutz des historisch gewachsenen Stadt- bilds sowie der Struktur der Altstadt geht. Ausserdem befinden sich in den Altstadtzonen zahlreiche (kantonale) Denkmalschutzobjekte (vgl. Nutzungsplan [...]). Insgesamt lässt sich die Ansicht des Stadtrats zum kommunalen Schutzumfang von § 13 BNO somit auch unter Berücksichtigung der Gemeindeautonomie (vgl. Erw. 3.1) nicht halten. Die Auslegung des Stadtrats ist rechtsfehlerhaft, ebenso wenig überzeugt die Argumen- tation der Vorinstanz. 3.3. Nach dem Gesagten fehlt es an einer klaren gesetzlichen Grund- lage, die es dem Stadtrat erlaubt, bei inneren Umbauten von Gebäu- den in den Altstadtzonen Bauvorgaben anzuordnen. Die von den Vorinstanzen herangezogenen § 13 BNO und (§ 13 Abs. 4 i.V.m.) § 39 Abs. 1 und 4 BNO genügen nicht, um dem Einbau des geplan- ten Kleingüteraufzugs im Inneren des Gebäudes (inkl. dafür erforder- liche Durchbrüche Keller/EG sowie EG/1. OG) die Baubewilligung zu versagen. Wollte die Stadt in den Altstadtzonen (auch) das Innere der Gebäude absichern bzw. besonders schützen, so wäre im Hin- blick darauf eine entsprechende gesetzliche Grundlage zu schaffen. Schutzvorschriften stellen einen Eingriff in die Eigentumsgarantie dar, weshalb sie einer klaren gesetzlichen Grundlage bedürfen (vgl. Art. 36 Abs. 1 sowie Art. 26 BV; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., Rz. 2344 ff.).
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2017 Submissionen 186 [...] 33 Vergabestelle - Ein Kantonsspital ist eine Vergabestelle im Sinne von § 5 Abs. 1 lit. c SubmD (Erw. 1.2.2). - Auch private Listenspitäler mit rein privater Trägerschaft unter- stehen dem öffentlichen Beschaffungsrecht (Erw. 1.2.3). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. April 2017, i.S. A. AG gegen B. AG (Beigeladene) und Kantonsspital X. AG (WBE.2016.539) Aus den Erwägungen 1.2.2. Dem Dekret unterstehen aufgrund von § 5 Abs. 1 SubmD der Kanton und seine Anstalten (lit. a), die Gemeinden, deren Anstalten sowie die Gemeindeverbände (lit. b), andere Träger kantonaler und kommunaler Aufgaben (lit. c), privatrechtliche Träger, soweit der zu vergebende Auftrag von Bund, Kantonen, Gemeinden, Gemeindever- 2017 Submissionen 187 bänden oder anderen öffentlichrechtlichen Organisationen zu mehr als 50 % subventioniert wird (lit. d) sowie andere öffentlichrechtliche Organisationen (lit. e). Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts unterstehen dem SubmD auch öffentliche Unternehmungen mit privatrechtlicher Struktur sowie gemischtwirtschaftliche Unterneh- mungen, welche in personeller und finanzieller Hinsicht massgeblich von der öffentlichen Hand beherrscht werden und nicht in Konkur- renz zu (privaten) Dritten agieren (AGVE 2013, S. 195; 2001, S. 349 ff.). Bei der Kantonsspital X. AG handelt es sich um eine gemein- nützige Aktiengesellschaft des Schweizerischen Obligationenrechts (§ 9 Abs. 1 Spitalgesetz vom 25. Februar 2003 [SpiG; SAR 331.200]). Der Kanton hält mindestens 70 % des Aktienkapitals und der Aktienstimmen (§ 11 Abs. 1 SpiG). Die Wahrnehmung von wichtigen öffentlichen Aufgaben im Gesundheitswesen (Betrieb eines Kantonsspitals), die kantonale Mindestbeteiligung zu 70 % am Aktienkapital und die damit verbundenen Entscheid- und Aufsichts- befugnisse des Kantons führen zur Unterstellung der Kantonspital X. AG unter das Submissionsdekret (AGVE 2013, S. 194 f.; vgl. auch AGVE 1997, S. 343; VGE III/99 vom 21. Dezember 2009 [WBE.2009.207], S. 4; VGE III/51 vom 8. Juni 2005 [BE.2004.00381], S. 4 f.; vgl. ferner H ANS R UDOLF T RÜEB /D ANIEL Z IMMERLI , Spitalfinanzierung und Vergaberecht, Zürich/Basel/Genf 2012, Rz. 12 ff., 30, 39 ff.). Es besteht keinerlei Veranlassung zur Änderung dieser Rechtsprechung. Bei der Kantonsspital X. AG han- delt es sich somit um eine Vergabestelle im Sinne von § 5 Abs. 1 lit. c SubmD (und Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB; vgl. AGVE 2013, S. 195). 1.2.3. Die Vergabestelle verkennt, dass auch die Listenspitäler mit rein privater Trägerschaft dem öffentlichen Beschaffungsrecht unter- stehen. Sie sind "andere Träger kantonaler oder kommunaler Aufga- ben" und als solche im Umfang ihres Leistungsauftrags nicht kommerziell oder industriell tätig, da im Bereich der Leistungsauf- träge im Sinne von Art. 39 Abs. 1 lit. e KVG ein wirksamer Wettbe- werb im Sinne des Kartellrechts und des öffentlichen Beschaffungs- 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 188 rechts fehlt (vgl. T RÜEB /Z IMMERLI , a.a.O., Rz. 121 ff.; Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrats des Kantons Zürich, Sitzung vom 8. Juli 2015, Nr. 758. Beschaffungsrecht [GZO AG; Verpflichtung zur Einhaltung des öffentlichen Beschaffungswesens], insbes. Erw. 4.3.2; C LAUDIA S CHNEIDER H EUSI , Vergaberecht in a nutshell, Zürich/St. Gallen 2014, S. 28; P ETER G ALLI /A NDRÉ M OSER /E LISABETH L ANG /M ARC S TEINER , Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 144; vgl. ferner Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. Dezember 2016 [VB.2015.00555], Erw. 3 ff., insbes. Erw. 6.1). Aus dem Umstand, dass die von der Vergabestelle genannten Klini- ken ihrer Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung allenfalls in rechts- widriger Weise nicht nachkommen, kann die Vergabestelle jedenfalls keinen Anspruch ableiten, sich ihrerseits nicht an das öffentliche Be- schaffungsrecht halten zu müssen.
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AG_VG_001
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2002 Verwaltungsgericht 188 [...] 57 Internationale Steuerausscheidung. - Aargauische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens. Die quotenmässige Ausscheidung setzt voraus, dass der Reinertrag oder -verlust des Gesamtunternehmens rechtsgenüglich nachgewiesen wird. Andernfalls ist die objektmässige Ausscheidung unausweich- lich. 2002 Kantonale Steuern 189 Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 23. Oktober 2002 in Sachen W. Inc. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Publiziert in StE 2003, B 11.3 Nr. 14.
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[...] 18 Liegenschaftsunterhaltskosten Anwaltskosten eines Nachbarn im Planungsverfahren der von einem Bauprojekt nicht direkt betroffen ist und aus diesem keine einkommens- und/oder vermögensrelevanten negativen Folgen zu befürchten hat, sind keine Unterhaltskosten. 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 120 Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 13. Juni 2016, i.S. A.X. und B.X. gegen KStA (WBE.2015.270). Aus den Erwägungen 1. 1.1. Bei beweglichem Privatvermögen können die Kosten der Ver- waltung durch Dritte abgezogen werden (§ 39 Abs. 1 StG). Bei Liegenschaften im Privatvermögen können die Unterhaltskosten, die Kosten der Instandstellung von neu erworbenen Liegenschaften, die Versicherungsprämien und die Kosten der Verwaltung durch Dritte abgezogen werden (§ 39 Abs. 2 StG). Nicht abziehbar sind sowohl im Bereich des beweglichen wie des unbeweglichen Vermögens Aufwendungen für die Anschaffung, Herstellung oder Wertvermehrung von Vermögensgegenständen (§ 41 lit. d StG) sowie Aufwendungen, die zur Erzielung von steuer- freien Kapitalgewinnen auf beweglichem Privatvermögen notwendig sind. Es handelt sich dabei um Anlagekosten (D IETER E GLOFF , in: M ARIANNE K LÖTI -W EBER /D AVE S IEGRIST /D IETER W EBER [Hrsg.], Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 4. Auflage, Muri/Bern 2015 [Kommentar StG], § 39 N 13). Die gleichen Regelungen finden sich in Art. 32 Abs. 1 und Abs. 2 bzw. Art. 34 lit. d DBG. Kosten, die dem Werterhalt dienen, sind demnach abzugsfähig. So können etwa Anwalts- und Gerichtskosten in Abzug gebracht werden, sofern die Streitigkeit die Nutzung oder die Erhaltung des Nutzwerts einer Liegenschaft zum Gegenstand hat (D IETER E GLOFF , Kommentar StG, § 39 N 40, mit Hinweis). Die Frage, wie erfolg- reich diese anwaltlichen Bemühungen gewesen sind, muss dabei nicht geprüft werden, da auch unzweckmässige oder nutzlose (körperliche wie rechtliche) Unterhaltsvorkehren anrechenbar sind (AGVE 1994, S 486, mit Hinweis). 2. 2.1.-2.3. (...) 2.4. 2016 Kantonale Steuern 121 2.4.1. In einem Urteil vom 28. Januar 2015 führt das Verwaltungsge- richt des Kantons Zürich (SB.2014.00099, Erw. 3.3) mit Bezug auf die Anerkennung von Anwalts- und Prozesskosten als Unterhalts- kosten aus, dass die Abweisung eines Rechtsmittels die Anrechnung nicht ausschliesse. Denn auch unzweckmässige und nutzlose körper- liche Unterhaltsarbeiten seien anrechenbar. Jedoch könnten Prozess- und Anwaltskosten zur Werterhaltung eines Grundstücks jedenfalls dann nicht vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden, wenn das die Kosten auslösende Verfahren von vornherein als offensicht- lich aussichtslos erscheine. Diesfalls seien die entsprechenden Auf- wendungen von vornherein ungeeignet, um werterhaltend zu wirken, und es gehe ihnen die Eigenschaft von Gewinnungskosten, nämlich zum Erhalt des Vermögenssubstrates bzw. zur Erzielung der daraus fliessenden steuerbaren Einkünfte beizutragen, per se ab. Gemäss der Rechtsprechung des Steuerrekursgerichts des Kantons Zürich ist die offensichtliche Unbegründetheit eines Rechtsmittels gegeben, wenn eine Beschwerde bzw. ein Rekurs aus formellen Gründen (z.B. Ver- säumen einer Rechtsmittelfrist, fehlende Anfechtungsbefugnis) oder materiellen Erwägungen von vornherein aussichtslos ist (Entscheid vom 7. Februar 2013 [DB.2012.253; ST.2012.281], Erw. 1.c). 2.4.2. Wie der Verfahrensgeschichte zu entnehmen ist, wurde die Legitimation der Beschwerdeführer im Verfahren betreffend die Nutzungs- und Gestaltungsplanung "Torfeld Süd" erstinstanzlich ver- neint, was anschliessend von den Rechtsmittelinstanzen geschützt wurde. Auch wenn es damit im Rahmen jenes Verfahrens einzig um die Legitimation der Beschwerdeführer ging, kann vorliegend nicht von einem von vornherein offensichtlich aussichtslosen oder unbe- gründeten Verfahren ausgegangen werden. Gerade in bau- und raum- planungsrechtlichen Angelegenheiten ist der Kreis der legitimierten Personen oftmals schwierig zu bestimmen. Dies wird auch aus dem Verfahren ersichtlich, welches die Beschwerdeführer selbst geführt haben. Die dabei befassten Instanzen setzten sich je intensiv und aus- führlich mit der Frage der Legitimation auseinander, was im vor- 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 122 liegenden Fall gegen die offensichtliche Aussichtslosigkeit oder Unbegründetheit spricht. 2.5. Die Abzugsfähigkeit der im Rahmen des Verfahrens betreffend die Nutzungs- und Gestaltungsplanung "Torfeld Süd" aufgewendeten Anwalts- und Prozesskosten kann somit nicht wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit oder Unbegründetheit des geführten Verfahrens verneint werden. Wie im Folgenden zu zeigen ist, fällt hier indes schon aus anderen Gründen ein Abzug ausser Betracht. 3. 3.1.-3.2. (...) 3.3.1. Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil vom 25. April 2013 (1C_204/2012) betreffend die Nutzungs- und Gestaltungsplanung Torfeld Süd fest, dass sich die Liegenschaft der Beschwerdeführer in einem städtischen Quartier befinde, welches aufgrund der dichten Überbauung und verschiedener Infrastrukturanlagen (Spital, Schulhäuser usw.) einer gewissen Verkehrsbelastung ausgesetzt sei. Bei der Weltistrasse, an welcher die Liegenschaft der Beschwer- deführer liege, handle es sich um eine verkehrsberuhigte Quartier- strasse (Tempo 30-Zone), welche nicht direkt zum neuen Pla- nungsgebiet führe. Nach den vorhandenen Studien würden die vor- gesehenen neuen Nutzungen im Gebiet Torfeld Süd voraussichtlich zwar auch auf der Weltistrasse zu etwas Mehrverkehr führen. Auch wenn sich die Zunahme nicht exakt bestimmen lasse, dürfte diese aber bescheiden bleiben. Denn als Quartierstrasse eigne sich die Weltistrasse nur sehr beschränkt zur Zufahrt zum Planungsgebiet. Je- denfalls sei aufgrund der vorhandenen Prognosen - auch nach jener der Beschwerdeführer - nicht davon auszugehen, dass die zu er- wartende Steigerung des Verkehrs für die Beschwerdeführer nach den Erfahrungswerten zu einer deutlich wahrnehmbaren Erhöhung des Lärmpegels führe (Urteil des Bundesgerichts, a.a.O., Erw. 8). Das Grundstück der Beschwerdeführer liege unbestrittenermassen rund 680 Meter vom Planungsgebiet Torfeld Süd entfernt. Es bestehe keine direkte Sichtverbindung und die Liegenschaft der Beschwerde- führer werde auch keinen Lärmimmissionen ausgesetzt, die vom Be- 2016 Kantonale Steuern 123 trieb des Stadions, vom Einkaufszentrum oder von anderen Nutzun- gen ausgehen würden (Urteil des Bundesgerichts, a.a.O., Erw. 5). Weiter begründete das Bundesgericht die Abweisung der Beschwerde damit, dass aufgrund der vorhandenen Prognosen - auch jener der Beschwerdeführer - nicht davon auszugehen sei, dass die tägliche durchschnittliche Verkehrszunahme 25 % oder mehr betragen werde. Eine Steigerung des durchschnittlichen täglichen Verkehrsaufkom- mens um rund 25 % entspreche einer Zunahme von einem dB(A), was gemäss Erfahrungsregel gerade noch wahrnehmbar sei; bei ge- ringeren Verkehrsmengen sei es eine etwas kleinere Zunahme. 3.3.2. In Bezug auf die Legitimation führt das Bundesgericht im er- wähnten Entscheid vom 25. April 2013 aus, dass nach bundes- gerichtlicher Rechtsprechung Nachbarn von Bauprojekten zur Be- schwerdeführung legitimiert sind, wenn sie mit Sicherheit oder zu- mindest grosser Wahrscheinlichkeit durch Immissionen (Lärm, Staub, Erschütterungen, Licht oder andere Einwirkungen), die der Bau oder Betrieb der fraglichen Anlage hervorruft betroffen werden. Als wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Betroffenheit dient in der Praxis die räumliche Distanz zum umstrittenen Bauvorhaben. Allerdings könne die Betroffenheit von Anwohnern auch aus Immis- sionen herrühren, die vom Zubringerverkehr ausgingen, die ein Bau- vorhaben verursache (Erw. 4). So kommt das Bundesgericht in sei- nem Urteil zum Schluss, dass die umstrittenen neuen Nutzungen die Beschwerdeführer mit Blick auf den Lärm zwar nicht gänzlich unberührt liessen, jedoch nicht von einer spezifischen Betroffenheit gesprochen werden könne, wie sie die Legitimation voraussetze. Bei gesamthafter Betrachtung könne nicht von einer besonderen Betroffenheit der Beschwerdeführer gesprochen werden (Erw. 8). 3.3.3. Demzufolge wurde mit Bezug auf die Lärmimmissionen die spezifische Betroffenheit der Beschwerdeführer verneint. Diese Betroffenheit ist aber nicht nur in bau- und raumplanerischen Ange- legenheiten, sondern auch im Steuerrecht zu verlangen, wenn ein Abzug für Anwalts- und Prozesskosten zur Abwehr von Immissionen beantragt wird. Ebenso wie mit der Einschränkung des Kreises der 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 124 legitimierten Personen im Bau-, Planungs- und Umweltrecht Po- pularbeschwerden verhindert werden sollen, kann es auch im Steuer- recht nicht angehen, dass Personen, welche nicht unmittelbar und in einschränkender Weise tangiert sind, Aufwendungen betreiben und diese dann von den Steuern abziehen können. Dazu bedarf es vielmehr einer spezifischen Betroffenheit. Dies wird bereits aus den in der einschlägigen Literatur jeweils verwendeten Beispielen er- sichtlich (D IETER E GLOFF , Kommentar StG, § 39 N 40; F ELIX R ICHNER /W ALTER F REI /S TEFAN K AUFMANN /H ANS U LRICH M EUTER , Handkommentar zum DBG, Zürich 2016, Art. 32 N 108, je mit Hinweisen; AGVE 1994, S. 486, Erw. 2.c): - Anwaltskosten zur Abwendung einer wertbeeinträchtigenden Umzonung des Grundstücks; - Baueinsprachen, welche den Zweck haben, den Wert der eigenen Parzelle zu erhalten; - Anwalts- und Gerichtskosten bei Streitigkeiten, welche die Nut- zung oder die Erhaltung des Nutzwerts einer Liegenschaft (z.B. die Einhaltung von Grenzabständen oder der Ausnützungsziffer bei Bauten auf Nachbargrundstücken; die Abwendung von über- mässigen Immissionen; die Abwendung einer wertbeeinträchti- genden Herabsetzung der Ausnützungsziffer usw.) zum Gegen- stand haben; - Anwaltskosten im Zusammenhang mit einem Rechtsmittelverfah- ren, mit welchem der Abbruch und Neubau einer Liegenschaft auf dem Nachbargrundstück, der zu einer Entwertung der eigenen Liegenschaft führen könnte, erreicht werden soll; - Anwaltskosten im Zusammenhang mit der Nichteinhaltung von Grenzabständen, mit früher bewilligten Bauten für die Tierhal- tung, welche am falschen Ort und ohne Beachtung der Auflagen erstellt wurden und der Nichteinhaltung der Bauzone ent- sprechende immissionsrechtliche Auflagen und Massnahmen für die ordnungsgemässe Tierhaltung auf dem Nachbargrundstück. In all diesen Beispielen ist das fragliche Grundstück von einer Massnahme direkt betroffen. Die Beeinträchtigung wirkt sich un- mittelbar auf einkommensrelevante (Eigenmietwert, erzielbare Fremdmieten) und/oder vermögensrelevante (Verringerung des 2016 Kantonale Steuern 125 Marktwerts) Eigenschaften einer Liegenschaft aus bzw. solche Aus- wirkungen sind zumindest ohne Einsatz der geltend gemachten Kos- ten im Zusammenhang mit der Abwehr einer Massnahme mit rechtlichen Mitteln mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Eine solche Beeinträchtigung im Miet- und/oder Vermögenswert der von den Beschwerdeführern bewohnten Liegenschaft ist hier - und zwar trotz der in den vorstehend behandelten Verfahren eingereichten Gut- achten - weder substanziiert behauptet noch erscheint sie sonst als plausibel. Bei der Liegenschaft der Beschwerdeführer handelt es sich um eine komfortable städtische Wohnliegenschaft in einem verkehrs- beruhigten Quartier. Der an der Liegenschaft vorbeiführende Verkehr wird als Folge der Massnahmen zur Erschliessung des Torfeldquar- tiers zwar in Zukunft mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit in einem moderaten Ausmass zunehmen. Dass der Miet- und/oder Ver- mögenswert der Liegenschaft in absehbarer Zukunft deswegen abnehmen oder nicht im gleichen Mass zunehmen wird wie bei Lie- genschaften in vergleichbarer Lage ohne Berührtheit durch den in- folge des neuen Quartiers "Torfeld Süd" entstehenden Verkehr, ist in- dessen äusserst unwahrscheinlich, so dass aus diesem Grund die gel- tend gemachten Anwaltskosten nicht als Liegenschaftsunterhalts- kosten qualifiziert werden können. Die geltend gemachten Kosten sind nicht abzugsfähig. Das führt zur Abweisung der Verwaltungsge- richtsbeschwerde. (Hinweis: Das Bundesgericht wies die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil vom 2. Februar 2017 [2C_690/2016] ab.)
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2003 Verwaltungsgericht 278 [...] 64 Varianten; Globalangebote. - Eine Vergütungsart, welche von den Bedingungen der Ausschreibung abweicht, stellt nicht eine Variante, sondern ein ausschreibungswid- riges Angebot dar. Die Vergabestelle muss die Zulässigkeit abwei- chender Vergütungsarten in den Ausschreibungsunterlagen aus- drücklich vorsehen. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 20. Oktober 2003 in Sachen M. AG gegen Gemeinderat Möriken-Wildegg. 2003 Submissionen 279 Aus den Erwägungen 3. Es stellt sich die Frage, ob es sich beim Globalangebot der Beschwerdegegnerin um eine zulässige Variante zum Grundangebot handelt oder ob ein ausschreibungswidriges Angebot vorliegt, das von der Vergabe hätte ausgeschlossen werden müssen. a) Den Anbietenden steht es frei, Offerten für Varianten und Teilangebote einzureichen (§ 16 Abs. 1 SubmD). Die Vergabestelle bezeichnet in den Ausschreibungsunterlagen die Mindestanforde- rungen an Varianten und Teilangebote (§ 16 Abs. 2 SubmD). Das Angebot einer Variante ist ungültig, wenn damit nicht eine Offerte für das Grundangebot eingereicht wird (§ 16 Abs. 3 SubmD). b) In der Baubranche wird als Variante üblicherweise jeder Of- fertvorschlag bezeichnet, der inhaltlich von der ausgeschriebenen Bauleistung abweicht. Bei der Projektvariante offeriert ein Unter- nehmer die Werkausführung mit einer Projektierung, die von den ausgeschriebenen Planunterlagen ganz oder teilweise abweicht. Bei einer Ausführungsvariante bietet ein Unternehmer die Ausführung in einer Art und Weise an, die sich von den Ausschreibungsunterlagen (z.B. bezüglich Baumethode, Konstruktionsart, Reihenfolge der Ar- beiten) unterscheidet (vgl. AGVE 2001, S. 337 mit Hinweisen). Keine Unternehmervariante im soeben umschriebenen Sinne liegt vor, wenn ein Anbieter nicht eine leistungsbezogene Abwei- chung von den Ausschreibungsbedingungen, sondern lediglich eine von den Ausschreibungsunterlagen abweichende Vergütungsart (z.B. Pauschal- statt Einheitspreise) vorschlägt (Roland Hürlimann, Unter- nehmervarianten - Risiken und Problembereiche, in: BR 1996, S. 3 f.). Die Frage, ob als Variante auch ein von den Aus- schreibungsunterlagen abweichender Vergütungsmodus, insbeson- dere ein Pauschal- oder Globalpreisangebot zusätzlich zum Grundangebot nach Einheitspreisen (oft in Verbindung mit einem Preis nach Aufwand) vorgeschlagen werden kann, ist in der Recht- sprechung und Lehre umstritten. Die eine Seite bejaht die Frage. Eine Variante sei eine Abweichung von etwas Vorgegebenem. Im Submissionsverfahren sei das Vorgegebene das, was der Auftragge- ber in der Ausschreibung bzw. in den entsprechenden Unterlagen an 2003 Verwaltungsgericht 280 Bedingungen für die Offerte bekannt gebe. Verlange ein Auftraggeber für die Grundofferte ausschliesslich Einheitspreisan- gebote, so stelle ein Pauschal- oder ein Globalangebot eine Abweichung von den Ausschreibungsbedingungen und somit grundsätzlich ebenfalls eine Variante dar (Peter Rechsteiner, in: BR 2001, S. 60; ebenfalls bejahend: Urteil der Eidgenössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen vom 7. November 1997, in: BR 1998, S. 126 Nr. 335 E. 5). Andere wiederum vertreten die Auffassung, dass eine Variante immer (auch) eine leistungsbezogene Abweichung von den Ausschrei- bungsunterlagen enthalte; wähle der Anbieter lediglich eine Preisart, die von den Bedingungen der Ausschreibung abweiche, liege keine Variante, sondern ein ausschreibungswidriges Angebot vor (Peter Gauch/Hubert Stöckli, Vergabethesen 1999, Thesen zum neuen Ver- gaberecht des Bundes, Freiburg 1999, S. 46, Rz. 19.2). Das Verwal- tungsgericht des Kantons Zürich hat sich in einem neueren Entscheid ebenfalls mit der Problematik befasst und festgehalten, dass die Preisbestimmung bei den verschiedenen Preisarten nach ganz ande- ren Grundsätzen erfolge. Pauschal- und Einheitspreisangebote seien damit nicht oder höchstens bedingt miteinander vergleichbar. Weiche beispielsweise die im Leistungsverzeichnis zu den einzelnen Leistungen angenommenen Mengen von der für die geschuldete Einheitspreisvergütung massgeblichen tatsächlichen Menge ab, so könne ein höherer Einheitspreis preislich günstiger sein als ein tiefe- res Pauschalangebot. Umgekehrt könne ein höherer Pauschalpreis günstiger sein als ein Angebot mit Einheitspreisen und zusätzlich separat zu entschädigenden Regiearbeiten. Art. 6 Abs. 2 SIA-Norm 118 sehe denn auch für die dieser Norm unterstellten privaten Aus- schreibungen vor, dass der Bauherr in der Ausschreibung die ge- wünschte Preisart bekannt gebe. Werde ein Pauschalpreis verlangt, so sei dies in den Ausschreibungsunterlagen ausdrücklich festzuhal- ten (Art. 6 Abs. 2 und Art. 41 Abs. 3 SIA-Norm 118). Im konkreten Fall konnte es das Zürcher Verwaltungsgericht allerdings offen las- sen, ob eine zusätzlich zur ausgeschriebenen Preisart offerierte, an- dere Vergütungsart zulässig sei (Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Januar 2003 [VB.2002.00195], E. 4a). 2003 Submissionen 281 Auch nach Auffassung des Aargauischen Verwaltungsgerichts stellt eine Vergütungsart, welche von den Bedingungen der Aus- schreibung abweicht, nicht eine Variante, sondern ein ausschrei- bungswidriges Angebot dar. Eine Variante im Sinne von § 16 Abs. 1 SubmD beinhaltet immer eine leistungsbezogene Abweichung von den Ausschreibungsbedingungen (z.B. Projektierungs- oder Ausführungsvariante); mit ihr soll den Anbietern die Möglichkeit eingeräumt werden, von der Amtslösung abweichende, innovative Alternativen anzubieten. Demgegenüber wird bei einer von den Bedingungen der Ausschreibung abweichenden Vergütungsart in Bezug auf die nachgefragte Leistung - gleich wie beim Grundangebot - lediglich die Amtslösung angeboten. Wesentlich er- scheint auch, dass sich Pauschal- und Einheitspreisangebote nicht bzw. höchstens bedingt miteinander vergleichen lassen und dadurch die seriöse sachliche Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Ange- bots erheblich erschwert wird. Es kann diesbezüglich auf die über- zeugenden Ausführungen des Zürcher Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Angesichts der bestehenden Problematik muss verlangt werden, dass die Vergabebehörde die Zulässigkeit abweichender Vergütungsarten in den Ausschreibungsunterlagen ausdrücklich vorsieht, wie dies auch § 12 Abs. 2 SubmD in Verbindung mit Ziffer 6 von Anhang 5 vorschreibt; andernfalls ist ein solches Angebot als ausschreibungswidrig von der Vergabe aus- zuschliessen. c) Die vorliegenden Ausschreibungsunterlagen enthalten keine Vorschriften über Zulässigkeit und Bedingungen für Pauschal- oder Globalangebote. Folglich hätte die Vergabebehörde das Globalan- gebot der Beschwerdegegnerin als ausschreibungswidrig von der Vergabe ausschliessen müssen. Der an die Beschwerdegegnerin für das Globalangebot erteilte Zuschlag ist daher in Gutheissung von Ziffer 1 der Beschwerdebegehren aufzuheben.
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AG_VG_001
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AG_VG_001_AGVE-2003-64_2003-10-03
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2008 Verwaltungsgericht 82 [...] 19 Verdeckte Gewinnausschüttung; "Darlehensgewährung" im Kontokor- rentverhältnis. - Die Beweislast für das Missverhältnis zwischen den gegenseitigen Leistungen trägt die Veranlagungsbehörde. - Die Beurteilung, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt, er- folgt bei einem Kontokorrentverhältnis auf den Zeitpunkt der Saldo- ziehung. Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 7. April 2008 in Sachen T. (WBE.2007.163). Zur Publikation vorgesehen in StE 2009. 2008 Kantonale Steuern 83 Aus den Erwägungen 1. 1.1. Gemäss § 22 Abs. 1 aStG ist das gesamte Einkommen jeder Art steuerbar. Streitgegenstand im vorliegenden Fall bildet die Frage, ob die Steuerkommission S. dem Beschwerdeführer für die Steuerperi- ode 1999/2000 zu Recht Fr. .... als geldwerte Leistung im Sinne von § 22 Abs. 1 lit. e aStG aufrechnete. 1.2. 1.2.1. (...). Zusammenfassend sind die Voraussetzungen für den Nachweis einer verdeckten Gewinnausschüttung: - eine gesellschaftsrechtlich relevante Beziehung zwischen den Beteiligten; - eine Leistung, der keine angemessene Gegenleistung gegen- übersteht und - die Erkennbarkeit des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung (AGVE 1996, S. 134; VGE II/104 vom 9. De- zember 2004 [BE.2004.00064], S. 5). 1.2.2. Gewährt eine Gesellschaft einer nahestehenden Person ein Dar- lehen, so kann dies ein Anwendungsfall einer verdeckten Gewinn- ausschüttung sein. Zu untersuchen ist dabei, ob der Darlehensvertrag in gleicher Weise mit einem unbeteiligten Dritten abgeschlossen worden wäre. Kriterien, die gegen eine solche Annahme sprechen, sind: überhöhte Darlehenssumme im Verhältnis zu den eigenen Mit- teln des Darlehensnehmers; die Darlehenszinsen werden nicht be- zahlt bzw. zum Kapital geschlagen; die Gewährung des Darlehens steht mit dem statutarischen Zweck der darlehensgebenden Ge- sellschaft in keinerlei Zusammenhang; fehlende Bonität des Schuld- ners; der Verzicht auf einen schriftlichen Darlehensvertrag, insbeson- dere das Fehlen von Sicherheiten und von Abmachungen über die Rückzahlung des Darlehens; die tatsächlich unterbleibende Rück- zahlung; ein Klumpenrisiko bei der darlehensgebenden Gesellschaft (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 23. August 2007 [2C_72/2007], 2008 Verwaltungsgericht 84 Erw. 2.1; Reto Heuberger, Die verdeckte Gewinnausschüttung aus Sicht des Aktienrechts und des Gewinnsteuerrechts, Bern 2001, S. 286 ff.). Ein Darlehen kann auch lediglich mit einem Teilbetrag eine verdeckte Gewinnausschüttung darstellen, was namentlich bei der nachträglichen Erhöhung eines ursprünglich geschäftsmässig begründeten Darlehens zutreffen kann (Urteil des Bundesgerichts vom 13. August 2004 [2P.128/2003], Erw. 3.3). 1.3. Wenn streitig ist, ob einer Leistung der Gesellschaft überhaupt eine Gegenleistung des Anteilsinhabers gegenübersteht, trägt die Ge- sellschaft bzw. der Anteilsinhaber die Beweislast für das Vorhanden- sein der Gegenleistung. Liegt bei Vorhandensein einer Gegenleistung der Verdacht auf eine verdeckte Gewinnausschüttung vor, hat grund- sätzlich die Veranlagungsbehörde aufgrund ihrer Untersuchungen aufzuzeigen, dass zwischen den gegenseitigen Leistungen ein offen- sichtliches Missverhältnis besteht (Heuberger, a.a.O., S. 186 ff.; Martin Zweifel, Die Sachverhaltsermittlung im Steuerveranlagungs- verfahren, Zürich 1989, S. 111 f.). Eine Simulation muss sich aus den Indizien klar ergeben (Urteil des Bundesgerichts vom 27. Januar 2003 [2A.79/2002], Erw. 2.2). 2. 2.1. Es ist unbestritten, dass zwischen der C. GmbH und dem Be- schwerdeführer eine gesellschaftsrechtlich relevante Beziehung be- steht. Am Stammkapital von Fr. 30'000.-- sind der Beschwerdeführer mit Fr. 29'000.-- und die Beschwerdeführerin mit Fr. 1'000.-- betei- ligt. 2.2. Um zu prüfen, ob das gewährte Darlehen einen Anwendungsfall einer verdeckten Gewinnausschüttung darstellt, sind vorab die Aus- gestaltung und die Höhe des massgeblichen Darlehens näher zu un- tersuchen. 2.2.1 Die Vorinstanz ging bei der Höhe des Darlehens, ohne eigene Berechnungen anzustellen, anlehnend an die Berechnung des Revi- sors des KStA von einer bilanziellen Korrektur von Fr. ... aus. 2008 Kantonale Steuern 85 2.2.2. Der Beschwerdeführer nahm gegenüber der C.GmbH kein ei- gentliches Darlehen in bestimmter Höhe auf. Vielmehr wurden in der Buchhaltung der C. GmbH einerseits die Guthaben gegenüber dem Beschwerdeführer gemäss dessen Kontokorrentkonto als Debitoren und andererseits die Schulden aus den Leistungen der Einzelfirma des Beschwerdeführers als Kreditoren verbucht. 2.3. 2.3.1 Grund für die Entstehung der Forderung der C. GmbH gegen- über dem Beschwerdeführer war die Zurverfügungstellung von Geld. Es steht auch fest, dass der Beschwerdeführer das Geld für die Rück- zahlung der Hypothek, also für private Zwecke, benötigte. Es ist so- mit zu prüfen, ob einer Drittperson dieses Geld unter den gleichen Bedingungen gewährt worden wäre oder ob eine verdeckte Gewinn- ausschüttung vorliegt. 2.3.2. Im vorliegenden Fall handelt es sich, wie bereits ausgeführt, nicht um ein klassisches Darlehensverhältnis, gestützt auf einen for- mellen Darlehensvertrag. Vielmehr ergibt sich die "Darlehens-"Ge- währung allein aus der buchhalterischen Behandlung. Der Be- schwerdeführer bezog aus "seiner" C. GmbH Geld für private Zwecke. Weil seine Bezüge den Wert der durch seine Einzelfirma für die GmbH erbrachten Leistungen auf Dauer überstiegen, bestand re- gelmässig eine Nettoschuld gegenüber der GmbH. Es wurde keine Höchstlimite, keine Verzinsung, keine Sicherheitsleistung für den Kredit des Beschwerdeführers vereinbart. Die Gewährung von Dar- lehen entsprach denn auch nicht dem Gesellschaftszweck. Die Beschwerdeführer bringen in erster Linie vor, dass zur Sicherstellung bei der Bank Schuldbriefe in der Höhe von Fr. ... übernommen worden seien. Diese Sicherstellung erfolgte jedoch erst im Frühling 2000, während entscheidend ist, ob die Schuld des Be- schwerdeführers im massgeblichen Zeitpunkt Ende 1998 gesichert war. Nachträgliche ungewisse Sicherheiten können dabei keine Rolle spielen. Spätere Entwicklungen können nur relevant sein, wenn sie 2008 Verwaltungsgericht 86 im Zeitpunkt der Darlehensgewährung bereits bekannt oder zumin- dest absehbar waren (vgl. Heuberger, a.a.O., S. 285, mit Hinweis). Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, dass das Darle- hen für das Jahr 1997 mit 3,5 % mit einem Betrag von Fr. ... und für das Jahr 1998 mit 3 % mit einem Betrag von Fr. ... verzinst worden sei. Anstatt dass Zinsen bezahlt wurden, wurden diese jedoch eben- falls zum Kapital geschlagen. Der Beschwerdeführer vermochte die Kreditsumme im Ge- schäftsjahr 1998 um rund Fr. ... zu reduzieren. Eine Verpflichtung zur Rückzahlung war allerdings nicht statuiert. Der Beschwerdefüh- rer verdankte die Rückzahlung letztendlich einem guten Geschäfts- jahr, das ihm ermöglichte, im Rahmen seiner Einzelfirma für die C. GmbH Leistungen zu erbringen; wären die Forderungen des Be- schwerdeführers gegenüber der C. GmbH gleich geblieben wie im Vorjahr, wäre es zu einem weiteren, massiven Anstieg des Kredits gekommen. Dass aber die Geschäfte weiterhin so gut laufen und den baldigen Ausgleich der Kontokorrentschuld ermöglichen würden, wie die Beschwerdeführer geltend machen, war damals nicht mehr als eine spekulative Annahme. Ein solches Kontokorrentverhältnis, wie es der Beschwerdefüh- rer mit der C. GmbH führte, wäre unter den genannten Bedingungen einer Drittperson nicht eingeräumt worden. Zu Beginn war die ge- samte Kreditforderung ungedeckt. Die Kreditsumme machte über- dies einen nicht geringen Teil der Bilanzsumme aus. Es widerspricht jedoch den Interessen der Gesellschaft, wenn ein beträchtlicher Teil der Aktiven in Kontokorrentforderungen gegenüber einem Gesell- schafter umgewandelt werden (vgl. Arnold Rusch, Interzession im Interesse des Aktionärs, Zürich 2004, S. 178). 2.3.3. Die Beschwerdeführer wenden ein, es gebe "unzählige ähnlich gelagerte bzw. viel krassere Fälle", in denen keine verdeckte Ge- winnausschüttung angenommen worden sei. Obwohl rechtskundig vertreten, führen sie keinen einzigen vergleichbaren Fall an, sondern begnügen sich mit dem Antrag, beim KStA "entsprechende Aus- künfte einzuholen". Unter solchen Umständen ist das Verwaltungsge- richt nicht zu einer umfassenden Abklärung der Steuerpraxis ver- 2008 Kantonale Steuern 87 pflichtet (VGE II/81 vom 19. November 2003 [BE.2003.00029], S. 15). 2.4. 2.4.1. Es ist im Nachfolgenden zu prüfen, in welcher Höhe eine ver- deckte Gewinnausschüttung angenommen werden muss. Die Be- schwerdeführer machen dabei geltend, die Steuerbehörde hätte von Anfang an eine Aufrechnung vornehmen müssen, wenn sie der Mei- nung gewesen wären, das Darlehen sei geschäftsmässig nicht be- gründet. Das Darlehen habe bereits per 31. Dezember 1996 in der Höhe von Fr. ... bestanden. Eine Aufrechnung sei damals jedoch nicht erfolgt. 2.4.2. Wird in einer Erhöhung des Schuldbetrages ein eigenständiges Darlehen erblickt, so erstreckt sich eine zu bejahende Simulation grundsätzlich bloss auf diesen Betrag. Ein früher begründetes und als Darlehen anerkanntes Rechtsverhältnis hat unter dem Aspekt der Ernsthaftigkeit des Rechtsgeschäfts Bestand (Louis F. Bochud, Dar- lehen an Aktionäre, Bern 1991, S. 319). Unechte Schuldverhältnisse, die in der Bemessungsperiode eingegangen wurden, lassen sich im Veranlagungsverfahren als verdeckte Gewinnausschüttung behan- deln. Hinsichtlich zuvor abgeschlossener Vereinbarungen ist von rechtskräftigen Veranlagungen auszugehen. Über die Simulation im Zeitpunkt der ursprünglichen Darlehensgewährung ist mithin eine erneute Beweiswürdigung grundsätzlich ausgeschlossen (Bochud, a.a.O., S. 298 f.). Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar nicht um ein klassi- sches Darlehensverhältnis, doch zumindest analog sind diese Grund- sätze auch hier zu beachten. 2.4.3. Bereits im Abschluss des Geschäftsjahres 1996, mithin vor der Bemessungsperiode 1997/1998, war beim Konto "KK-Guthaben T." ein Betrag von Fr. ... verbucht. Bei der Veranlagung für die Veranla- gungsperiode 1997/98 (mit Bemessungsperiode 1995/96) wurde der Betrag von Fr. ... nicht als verdeckte Gewinnausschüttung qualifi- ziert. Die dem Drittvergleich zugrunde zu legenden Verhältnisse la- 2008 Verwaltungsgericht 88 gen damals nicht anders; die Rückzahlung der Kontokorrentschuld durch den Beschwerdeführer erschien damals höchstens noch weni- ger gesichert. Es kann also nicht argumentiert werden, erst aus der späteren Entwicklung habe sich auf die Uneinbringlichkeit oder min- destens massive Gefährdung der Rückzahlung schliessen lassen. Unter diesen Umständen kann im vorliegenden Verfahren nicht mehr darauf zurückgekommen werden. 2.4.4. Im Unterschied zu einem normalen Darlehen, bei dem ein fixer Betrag auf einen bestimmten Zeitpunkt ausbezahlt wird, ergeben sich bei einem Kontokorrentverhältnis stetig neue Forderungen. Die Par- teien stehen dabei in einem gegenseitigen Abrechnungsverhältnis. Alle von diesem Verhältnis erfassten Forderungen werden gestundet und können nicht separat geltend gemacht werden (Flavio Cometta, in: Handkommentar zum Schweizerischen Obligationenrecht, Zürich 2002, Art. 117 N 1). Mittels Saldoziehung wird dann jeweils die aus- stehende Forderung bzw. Schuld anerkannt. Als Saldo wird der auf einen bestimmten Zeitpunkt berechnete Stand des Kontokorrents verstanden, der die derzeitige Forderung der einen und die respektive Schuld der anderen Partei beziffert (Eugen Bucher, Grundprobleme des Kontokorrentrechts, in: recht 1994, S. 170). Die gebuchten For- derungen und Gegenforderungen erlöschen durch Verrechnung, wo- bei bezüglich des Saldos eine neue Forderung entsteht (BGE 130 III 697 = Pra 94/2005, S. 494). Die Beurteilung, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung vor- liegt, erfolgt bei einem Kontokorrentverhältnis auf den Zeitpunkt der Saldoziehung. Erst in diesem Zeitpunkt entsteht ein bestimmter Be- trag. Zuvor besteht lediglich ein Abrechnungsverhältnis und die ver- bleibende Forderung der einen Partei ist nicht bestimmt. Die Unge- wissheit besteht umso mehr, wenn beim Kontokorrentverhältnis keine Kreditlimite festgelegt wurde. Vorliegend ist somit auf die Sal- doziehung am 31. Dezember 1998 abzustellen; dies entspricht der Auffassung des KStA. Zu diesem Zeitpunkt bestand eine Kontokor- rentforderung der C. GmbH von Fr. ... Spätere Entwicklungen kön- nen nur relevant sein, wenn sie im Zeitpunkt der Saldoziehung be- reits bekannt oder zumindest absehbar waren (siehe vorne 2008 Kantonale Steuern 89 Erw. 2.3.2). Wie bereits ausgeführt, liegt zwischen dem Beschwerde- führer und der C. GmbH keine schriftliche Vereinbarung vor. Insbe- sondere die Rückzahlung des Kredites wurde nicht geregelt. Der Beschwerdeführer war darauf angewiesen, dass er mit seiner Einzel- firma möglichst viele Leistungen gegenüber der C. GmbH verrech- nen konnte, um den Kredit abzubauen. Ob und in welcher Höhe eine Rückzahlung in der Zukunft möglich sein würde, war nicht absehbar. Insofern kann der Steuerbehörde auch nicht vorgeworfen werden, sie habe es unterlassen, dem Beschwerdeführer die Vorlage eines Rück- zahlungsplans zu ermöglichen, um so die Aufrechnung zu verhin- dern; die im massgeblichen Zeitpunkt bestehende Ungewissheit, ob sich ein solcher Plan dann auch realisieren lasse, hätte dadurch nicht behoben werden können. 2.5. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Steuerkommission S. die Kontokorrentforderung der C. GmbH gegenüber dem Beschwerde- führer in Höhe von Fr. ... per 31. Dezember 1998 zu Recht als ver- deckte Gewinnausschüttung behandelte. Davon entfiel jedoch ein Betrag von Fr. ... auf die Zeit vor der Bemessungsperiode 1997/98. Als steuerbares Einkommen war damit der Differenzbetrag von Fr. ... aufzurechnen (vorne Erw. 2.4.2; 2.4.3). (Hinweis: Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 18. November 2008 eine Beschwerde gegen dieses Urteil abgewiesen, soweit darauf einzutreten war [2C_446/2008] )
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2000 Verwaltungsgericht 262 [...] 65 Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands (§ 159 Abs. 1 BauG). Schutz des guten Glaubens. - Umstände, unter welchen die Duldung eines rechtswidrigen Zustands die Behörde an dessen späterer Behebung hindert (Erw. 4/b/bb). - Eine Zeitspanne von 15 Jahren reicht im konkreten Einzelfall zur Verwirkung des Beseitigungsanspruchs nicht aus (Erw. 4/b/cc). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. Juni 2000 in Sachen F. AG und W. gegen Regierungsrat. Aus den Erwägungen 4. a) Wird durch die Errichtung von Bauten ohne Bewilligung, unter Verletzung einer solchen oder auf andere Weise ein unrecht- mässiger Zustand geschaffen, so kann u. a. die Herstellung des recht- mässigen Zustandes, insbesondere die Beseitigung oder Änderung der rechtswidrigen Bauten angeordnet werden (§ 159 Abs. 1 BauG). Dabei sind die in diesem Zusammenhang massgebenden allgemeinen verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Prinzipien des Bundes- rechts zu beachten. Zu ihnen gehören die Grundsätze der Verhält- nismässigkeit und des Schutzes des guten Glaubens. So kann der Abbruch unterbleiben, wenn die Abweichung vom Erlaubten nur 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 263 unbedeutend ist oder der Abbruch nicht im öffentlichen Interesse liegt, ebenso wenn der Bauherr in gutem Glauben angenommen hat, er sei zur Bauausführung ermächtigt. Schliesslich dürfen der Beibe- haltung des ungesetzlichen Zustandes nicht schwerwiegende öffent- liche Interessen entgegenstehen (BGE 123 II 255; 111 Ib 221 ff.). b) aa) Der Regierungsrat wertet die langjährige Duldung des Lagerplatzes durch die Behörden in voller Kenntnis von dessen Rechtswidrigkeit als die Wiederherstellungsfrage beeinflussenden Vertrauenstatbestand. Die Baubewilligung sei vom Gemeinderat am 8. Juni 1976 erteilt und dem Baudepartement zur Kenntnis gebracht worden. Am 3. Dezember 1990 habe sich der Beschwerdeführer 2 beim Gemeinderat erstmals über den seiner Ansicht nach wider- rechtlichen Lagerplatz beschwert. Das Baudepartement habe am 28. Mai 1991 bei der Gemeinde einen Amtsbericht über die Zonen- konformität des Lagerplatzes angefordert. Angesichts der Tatsache, dass der Lagerplatz schon vor seiner Einkiesung bestanden habe und während rund 15 Jahren anstandslos von den zuständigen kantonalen und kommunalen Behörden wie auch von den Nachbarn geduldet worden sei, widerspräche es dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, die Beschwerdeführerin 1 zur Räumung des Lagerplatzes zu ver- pflichten. bb) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt der An- spruch der Behörde auf Beseitigung eines baurechtswidrigen Zu- stands bzw. Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands nicht unbegrenzt. Die Frist, nach deren Ablauf die Behörden ihren Besei- tigungsanspruch verwirken, beträgt dabei - sofern eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt - dreissig Jahre, weil der Grund- eigentümer der baurechtswidrigen Baute das Recht zur Beibehaltung des rechtswidrigen Zustands gleichsam "ersitze" und daher eine analoge Anwendung der Regel des Art. 662 ZGB über die ausseror- dentliche Ersitzung richtig erscheine (BGE 107 Ia 124 f.; vgl. auch Walter Haller / Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Umwelt- recht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 883 f.). Der betroffene 2000 Verwaltungsgericht 264 Eigentümer kann sich unter Berufung auf sein zu schützendes Ver- trauen sodann in jenen Fällen gegen eine Beseitigungsanordnung wehren, in denen der rechtswidrige Zustand zwar noch keine dreissig Jahre angedauert hat, aber von der zuständigen Behörde über Jahre hinweg geduldet worden ist, obschon ihr die Gesetzwidrigkeit be- kannt war oder sie diese bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte kennen müssen. Er ist dann in seinem Vertrauen zu schützen, wenn die durch den gesetzwidrigen Zustand bewirkte Verletzung öffentli- cher Interessen nicht schwer wiegt (Bundesgericht, in: ZBl 81/1980, S. 73 f.). Solange die Behörde jedoch bloss untätig geblieben ist, d. h. keine Auskünfte oder Zusicherungen erteilt hat, die beim Bau- herrn die Meinung haben aufkommen lassen, er handle rechtmässig, ist grosse Zurückhaltung bei der Deutung der Untätigkeit als behörd- liche Duldung geboten. Grundsätzlich hindert die bloss vorüberge- hende Duldung eines rechtswidrigen Zustands die Behörde nicht an dessen späteren Behebung. Nur wenn der widerrechtliche Zustand während sehr langer Zeit hingenommen worden ist und die Verlet- zung öffentlicher Interessen nicht schwer wiegt, vermag der Um- stand allein, dass die Behörden nichts dagegen unternommen haben, einen Vertrauenstatbestand zu begründen (Verwaltungsgericht Zü- rich, in: ZBl 89/1988, S. 263 f. mit Hinweisen; Haller / Karlen, a.a.O., Rz. 879; vgl. zum Ganzen auch: VGE III/176 vom 20. De- zember 1999 in Sachen P. und E., S. 12 f.). cc) Unklar ist zunächst, ob das Baudepartement von der Bau- bewilligung vom 8. Juni 1976 überhaupt Kenntnis erhalten hat. Im Verteiler ist das Baudepartement zwar erwähnt, und der Vertreter der Koordinationsstelle Baugesuche schloss den Erhalt der Baubewilli- gung zumindest nicht aus; die entsprechenden Akten des Baudepar- tements sind offenbar verlegt worden. Diese Frage kann indessen offen bleiben, weil der Einwand der Beschwerdeführerin 1 so oder so nicht durchschlägt. Die Untätigkeit des Baudepartements dauerte - ob mit oder ohne Wissen um die rechtswidrige Baubewilligung aus dem Jahre 1976 - rund 15 Jahre. Mit Schreiben vom 21. Mai 1991 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 265 wandte sich der Beschwerdeführer 2 durch seinen Rechtsvertreter (erstmals) an das Baudepartement, orientierte dieses über die Bauten der Beschwerdeführerin 1 in der Landwirtschaftszone und ersuchte um Abhilfe. In der Folge nahm sich die Baugesuchszentrale der An- gelegenheit an. Selbst wenn das Baudepartement seinerzeit von der Bewilligungserteilung Kenntnis erhalten hätte, wäre eine Zeitspanne von 15 Jahren zu kurz, um allfällige Beseitigungsansprüche unterge- hen zu lassen, zumal die Beschwerdeführerin 1 bzw. ihre Rechts- vorgängerin die Rechtswidrigkeit der Baubewilligung kannte (vgl. Erw. bb hievor).
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2011 Kantonale Steuern 111 I. Kantonale Steuern 29 Begriff des Liegenschaftsunterhalts Wird mit der "Renovation" einer Baute deren Nutzung grundlegend ver- ändert, so können die "Renovations"kosten generell nicht als Liegen- schaftsunterhalt anerkannt werden (Erw. 5.). Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 2. Februar 2011 in Sachen B. gegen KStA und Gemeinderat V. (WBE.2010.164). Aus den Erwägungen 5. (...) Damit Kosten als Liegenschaftsunterhaltskosten geltend ge- macht werden können, ist nach der bundesgerichtlichen Recht- sprechung stets vorausgesetzt, dass die vor der Durchführung der entsprechenden Massnahmen und die nachher bestehende Nutzung im Wesentlichen miteinander vergleichbar sind (vgl. BGE 123 II 218 = StE 1997 B 25.6 Nr. 30; vgl. dazu auch Peter Locher, in: Kommen- tar zum DBG, I. Teil, Therwil/Basel 2001, Art. 32 N 45). Liegt nach der "Renovation" ein eigentliches Aliud vor, so stellt sich die Frage nach der Qualifikation der baulichen Massnahmen im Einzelnen nicht, sondern es ist gesamthaft die Abzugsfähigkeit zu verweigern. Ein solcher Fall liegt hier vor: Bei einem Kaufpreis von Fr. 1.1 Mio. haben die Beschwerdeführer das infrage stehende Objekt - ein land- wirtschaftliches Zweifamilienhaus mit zugehörigen Funktionsbauten (Scheune und Schweinestall) - in den Jahren 2003 bis 2005 für ins- gesamt über Fr. 1.5 Mio. nicht nur umfassend sanieren, sondern um- bauen lassen. Das Zweifamilienhaus wird neu als Einfamilienhaus genutzt und die Annexgebäude dienen, wie sich aus den Unterlagen ergibt, als grosszügiger Pferdestall mit zugehörigem Auslauf. Diese 2011 Verwaltungsgericht 112 Verwendung der Liegenschaft hat mit der ursprünglichen Nutzung höchstens noch am Rande zu tun. Im Ergebnis hat hier eine Privat- person die Chance ergriffen, eine ausserhalb des Siedlungsgebietes liegende, ursprünglich der landwirtschaftlichen Nutzung dienende Liegenschaft zu übernehmen und diese für seine Wohn- und Freizeit- zwecke umzufunktionieren. Die mit einer solchen grundlegenden Nutzungsänderung verbundenen, erheblich über dem Kaufpreis lie- genden Kosten fallen nach dem Gesagten nicht unter den Begriff des Liegenschaftenunterhalts (...). (Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen diesen Entscheid mit Urteil vom 15. Juli 2011 [2C_233/2011] abgewiesen.)
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AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2011-29_2011-02-02
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AGVE_2011_29
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870,002
1,091,491,200,000
2,004
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2004 Verwaltungsgericht 226 55 Freihändiges Verfahren mit mehreren Anbietern; Bekanntgabe der Zuschlagskriterien. - Das Erfordernis der rechtzeitigen Bekanntgabe der Zuschlags- kriterien gilt auch bei kommunalen Vergaben, die nach § 5 Abs. 1 lit. d SubmD nicht dem Submissionsdekret unterstehen (Erw. 2/d). - Unterbleibt die rechtzeitige Bekanntgabe der Zuschlagskriterien, gilt auch hier der Preis als einziges Zuschlagskriterium (Erw. 2/e). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 4. August 2004 in Sa- chen P. gegen Finanzdepartement. Aus den Erwägungen 2. a) Gemäss § 18 Abs. 1 SubmD erhält das wirtschaftlich gün- stigste Angebot den Zuschlag. Kriterien zur Ermittlung des wirt- schaftlich günstigsten Angebots sind insbesondere Qualität, Preis, Erfahrung, Innovation, Termin, Garantie- und Unterhaltsleistungen, Ästhetik, Umweltverträglichkeit, Kundendienst, gerechte Abwechs- lung und Verteilung sowie die Ausbildung von Lehrlingen (§ 18 Abs. 2 SubmD). Die von der Vergabebehörde ausgewählten Zu- schlagskriterien sind in der Reihenfolge ihrer Bedeutung und mit ihrer Gewichtung in der Ausschreibung aufzuführen. Fehlt diese Angabe, gilt als Zuschlagskriterium der Preis (§ 18 Abs. 3 SubmD). b) Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, da in den Aus- schreibungsunterlagen keinerlei Kriterien zur Ermittlung des wirt- schaftlich günstigsten Angebots aufgeführt worden seien, habe der Zuschlag nicht nach § 18 Abs. 1 SubmD, sondern nach § 18 Abs. 3 SubmD zu erfolgen. Da sie mit Fr. 138'588.80 (inkl. MWST) das niedrigste der fünf eingegangenen Angebote eingereicht habe, müsse der Zuschlag an sie erfolgen. Demgegenüber vertritt die Beschwerdegegnerin unter Berufung auf die IVöB vom 25. November 1994 und die zugehörige Vergaberichtlinie (VRöB) vom 1. Dezember 1995 sowie auf ausser- kantonale Urteile den Standpunkt, dass im freihändigen Verfahren die freie Vergabe des Auftrags ohne vorgängige Festlegung von Zu- 2004 Submissionen 227 schlagskriterien erlaubt sei. Um das wirtschaftlich günstigste Ange- bot zu ermitteln, könnten von der Vergabestelle Bewertungskriterien angewendet werden, die verschiedenen Anbietern nicht vorgängig bekannt sein müssten und die nicht nur auf den Preis als einziges Kriterium abstellten. § 18 Abs. 3 SubmD finde dabei keine Anwen- dung. c) In der Offertanfrage (per E-Mail erfolgt), im Begleitbrief zur Offertanfrage sowie im Aufgabenbeschrieb, der den Anbietern abge- geben wurde, wurden unbestrittenermassen keine Zuschlagskriterien bekannt gegeben. Die Bewertung der Angebote im Rahmen der Offertevaluation erfolgte jedoch nicht allein aufgrund des Preises, sondern es wurden zusätzlich die Kriterien "Erfahrung", "Kenntnisse kantonale Verwaltung AG", "Methodik, Vorgehen" und "Ge- samteindruck Offerte" herangezogen. Dies hatte zur Folge, dass das Angebot der Beschwerdegegnerin, die als einzige über Kenntnisse der kantonalen Verwaltung verfügt, trotz des höheren Preises besser bewertet wurde als die (günstigere) Offerte der Beschwerdeführerin. d) Die Berücksichtigung von Zuschlagskriterien, die den An- bietenden nicht vorgängig bekannt gegeben worden sind, lässt sich mit einem fairen, den Grundsätzen der Transparenz und Nichtdiskri- minierung verpflichteten Wettbewerb nicht vereinbaren. Wenn Trans- parenz und Gleichbehandlung gewährleistet sein sollen, ist die (ver- bindliche) Bekanntgabe der Entscheidkriterien (Eignung und Zu- schlag) bereits mit der Aufforderung zur Offertstellung unverzichtbar (AGVE 1997, S. 357; Hubert Stöckli, in: BR 2000, Anmerkung zu S45-S46, S. 130). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungs- gerichts gilt das Erfordernis der rechtzeitigen Bekanntgabe der Zu- schlagskriterien deshalb auch bei im freihändigen Verfahren mit mehreren Anbietern erfolgenden kommunalen Vergaben, die nach § 5 Abs. 1 lit. d SubmD nicht dem Submissionsdekret unterstehen. Gibt die Vergabebehörde den Anbietern keine Zuschlagskriterien bekannt, so darf für den Zuschlag auch hier einzig der Preis massgebend sein (VGE III/40 vom 18. Mai 2004 [BE.2004.00111] in Sachen T. AG, S. 6). Für kantonale Vergabebehörden ergibt sich diese Konsequenz zudem unmittelbar aus § 18 Abs. 3 SubmD, der für sämtliche Verga- 2004 Verwaltungsgericht 228 beverfahren mit Wettbewerbscharakter, also auch für das Einla- dungsverfahren und - entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin - das freihändige Verfahren mit mehreren Anbietern gemäss § 8 Abs. 4 SubmD, Geltung beansprucht. Der Standpunkt der Beschwer- degegnerin, die Verpflichtung zur vorgängigen Bekanntgabe von Zu- schlagskriterien sei mit dem Charakter eines freihändigen Verfahrens nicht zu vereinbaren, ist nicht haltbar. § 7 Abs. 4 SubmD hält für das freihändige Verfahren einzig fest, dass die Vergabestelle den Auftrag ohne öffentliche Ausschreibung vergibt. Im Einladungsverfahren und im freihändigen Verfahren erfolgt die Einladung zur Angebotsabgabe durch direkte Mitteilung (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SubmD). § 8 Abs. 4 SubmD bestimmt, dass in den Fällen des freihändigen Verfahrens nach § 8 Abs. 3 SubmD die Vergabestelle eine Wettbewerbssituation dadurch schaffen kann, dass sie ohne öffentliche Ausschreibung ver- schiedene Anbieter nach ihrer Wahl zur Einreichung eines Angebots einlädt. Damit entscheidet sich die Vergabestelle gegen eine Direkt- vergabe und für ein Verfahren mit mehreren Anbietern, letztlich also für ein Einladungsverfahren. Aus der Tatsache, dass keine öffentliche Ausschreibung des Auftrags erfolgt, sondern die Anbieter durch di- rekte Mitteilung zur Offertstellung eingeladen werden, lässt sich ent- gegen der Beschwerdegegnerin nicht der Schluss ziehen, die übrigen Bestimmungen des SubmD gelangten nicht zur Anwendung. Das SubmD enthält dafür keinerlei Anhaltspunkte, und die Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung der Anbietenden stehen einer solchen Schlussfolgerung - wie bereits ausgeführt - klar entge- gen. Nichts zu ihren Gunsten ableiten kann die Beschwerdegegnerin aus der IVöB und der VRöB. Festzuhalten ist zunächst, dass der Kanton Aargau dem revidierten Konkordat noch nicht beigetreten ist. Folglich gilt für ihn immer noch die ursprüngliche Fassung vom 25. November 1994, die nur dann Anwendung findet, wenn der ge- schätzte Auftragswert von Lieferungen und Dienstleistungen mindes- tens Fr. 403'000.-- erreicht. Dieser Schwellenwert wird beim vorlie- genden Auftrag, dessen Wert Fr. 150'000.-- nicht erreicht, klar unter- schritten, weshalb die IVöB und die VRöB gar nicht anwendbar sind. Aber auch die VRöB zur revidierten IVöB enthält keine Bestimmun- 2004 Submissionen 229 gen, welche den Standpunkt der Beschwerdegegnerin stützen wür- den. § 9 revVRöB sieht unter dem Titel "Freihändiges Verfahren" le- diglich vor, dass ein Auftrag unter bestimmten Voraussetzungen di- rekt und ohne Ausschreibung vergeben werden kann (vgl. Art. 12 Abs. 1 lit. c revIVöB). Nach § 10 Abs. 3 VRöB erfolgt im Einla- dungsverfahren und im freihändigen Verfahren die Einladung zur Offertstellung durch direkte Mitteilung. Im freihändigen Verfahren kann dies formlos erfolgen. Die Beschwerdegegnerin verkennt, dass es sich beim freihändigen Verfahren nach IVöB um eine Direktver- gabe ohne Wettbewerbscharakter handelt. Das heisst, es wird ledig- lich ein einzelner Anbieter aufgefordert, ein Angebot einzureichen. Hingegen enthalten weder die IVöB noch die VRöB eine zu § 8 Abs. 4 SubmD (freihändiges Verfahren mit mehreren Anbietern) analoge Bestimmung. e) Das Finanzdepartement geht in der Vernehmlassung somit zu Recht davon aus, dass im vorliegenden Fall für den Zuschlag nur der Preis massgebend ist. Aufgrund der den eingeladenen Anbietern abgegebenen Unterlagen durften und mussten auch diese davon aus- gehen. Der Vorwurf der Beschwerdegegnerin, sie hätte ihr Angebot anders gestaltet und nur den geforderten Leistungsumfang angebo- ten, wenn sie gewusst hätte, dass für den Zuschlag nur der Preis eine Rolle spielen würde, geht fehl und ist auch widersprüchlich. Ange- sichts des Fehlens von Zuschlagskriterien musste sie davon ausge- hen, dass das preisgünstigste Angebot den Zuschlag erhalten würde. Andere Anhaltspunkte hatte sie nicht.
1,836
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AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2004-55_2004-08-03
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AGVE_2004_55
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2,014
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2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 128 21 Nichtverlängerung einer Aufenthaltsbewilligung; Rechtsschutzinteresse Trotz erneuter Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach Wieder- verheiratung bleibt ein Rechtsschutzinteresse an der Beurteilung einer Beschwerde betreffend die Nichtverlängerung einer gestützt auf die erste Ehe erteilte Aufenthaltsbewilligung bestehen (Erw. I/2.). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 8. Juli 2014 in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integration (WBE.2012.1050). Aus den Erwägungen I. 1. (...) 2. Zur Beschwerde befugt ist, wer ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder der Änderung des Entscheids hat (§ 41 lit. a VRPG). Schutzwürdig ist ein Interesse, wenn der Ausgang des Verfahrens die tatsächliche oder rechtliche Situation des Be- schwerdeführers beeinflussen kann. Zusätzlich ist ein aktuelles und praktisches Interesse an der Beschwerdeführung vorausgesetzt, wo- mit sichergestellt werden soll, dass die rechtsanwendende Behörde konkrete und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet. Die Be- schwerdelegitimation ist eine Sachurteilsvoraussetzung, welche von Amtes wegen zu prüfen ist (vgl. AGVE 2009, S. 291 f., mit Hinwei- sen). Dem Beschwerdeführer wurde am 15. Januar 2014, also wäh- rend des laufenden Beschwerdeverfahrens, aufgrund seiner erneuten Heirat mit einer Schweizerin eine Aufenthaltsbewilligung erteilt. Ge- mäss Art. 42 Abs. 1 AuG haben ausländische Ehegatten von 2014 Migrationsrecht 129 Schweizerinnen Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen. Ein- zig wenn wichtige Gründe geltend gemacht werden, kann vom Erfor- dernis des Zusammenwohnens abgewichen werden; die Familienge- meinschaft muss aber auf alle Fälle weiterbestehen (Art. 49 AuG). Der Anspruch der derzeit gültigen Aufenthaltsbewilligung des Be- schwerdeführers ist somit akzessorisch, d.h. er bedingt den Verbleib bei der Ehegattin. Streitgegenstand der vorliegenden Beschwerde ist demgegen- über die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung, welche ge- stützt auf die inzwischen geschiedene Ehe erteilt wurde (vgl. zum Streitgegenstand in migrationsrechtlichen Verfahren und zu dessen Erweiterung bzw. Reduktion: Urteil des Bundesgerichts vom 29. April 2014 [2C_961/2013], Erw. 3.3). Eine allfällige Gutheissung der Beschwerde hätte zur Folge, dass dem Beschwerdeführer eine nichtakzessorische und somit originäre Aufenthaltsbewilligung erteilt würde, welche keinen Verbleib beim Ehegatten bedingt. Der Aus- gang des Verfahrens ist somit geeignet, die rechtliche Situation des Beschwerdeführers zu beeinflussen, womit der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse hat. Dies umso mehr, als gemäss neuster bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei einem allfälligen Scheitern der zweiten Ehe die Dauer des ehelichen Zusammenlebens der bei- den Ehen nicht addiert werden darf, um die Voraussetzung des dreijährigen ehelichen Zusammenlebens im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG zu erfüllen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 25. März 2014 [2C_773/2013]) und es zu einem späteren Zeitpunkt erheblich schwieriger sein dürfte, in Bezug auf die erste Ehe einen wichtigen Grund im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG, der den weiteren Auf- enthalt in der Schweiz erforderlich macht, nachzuweisen. Entgegen der offenbar durch das Bundesgericht bislang vertretenen, aber so- weit ersichtlich nicht einlässlich begründeten Auffassung, dass bei erneuter Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach Wiederver- heiratung von einer Gegenstandslosigkeit des Verfahrens betreffend Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach gescheiterter erster Ehe auszugehen ist (vgl. Urteile des Bundesgerichts vom 18. Dezember 2012 [2C_432/2012], Erw. 2.2 und vom 29. Februar 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 130 2012 [2C_481/2011], Erw. 2), besteht seitens des Betroffenen ein schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung seines Gesuchs um Erteilung einer eigenständigen Aufenthaltsbewilligung, auch wenn der Betroffene bereits wieder im Besitze einer (akzessorischen) Auf- enthaltsbewilligung ist. Nach dem Gesagten und nachdem die vorlie- gende Beschwerde innert der angesetzten Frist nicht zurückgezogen wurde, ist darauf einzutreten.
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AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2014-21_2014-07-02
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AGVE_2014_21
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2,013
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2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 124 [...] 27 Vorbereitungshaft; Haftdauer Bei einer Vorbereitungshaft gestützt auf Art. 75 Abs. 1 lit. f AuG ist mit Blick auf Art. 37 AsylG grundsätzlich innerhalb von zehn Arbeitstagen mit einem Nichteintretensentscheid im Asylverfahren zu rechnen. Ohne besondere Gründe rechtfertigt sich deshalb eine mehrmonatige Haft zur Sicherstellung des Wegweisungsverfahrens nicht. Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 15. November 2013 in Sachen Amt für Migration und Integration gegen A. (WPR.2013.177). Aus den Erwägungen 2013 Migrationsrecht 125 7. Das MIKA ordnete die Vorbereitungshaft für sechs Monate an und schöpfte damit das gemäss Art. 75 Abs. 1 AuG für die Vorberei- tungshaft erlaubte Höchstmass aus. Wie das Bundesgericht mit Entscheid vom 4. September 2007 (2C_275/2007) festgehalten hat, wurde die Regelung gemäss Art. 75 Abs. 1 lit. f AuG in das Gesetz aufgenommen, um die Vorbereitungs- haft mit dem asylrechtlichen Nichteintretensgrund der missbräuchli- chen Nachreichung eines Asylgesuches gemäss Art. 33 AsylG zu ko- ordinieren (Erw. 2.1). Hinsichtlich der vorliegend interessierenden Haftdauer ist daher zu berücksichtigen, dass gemäss Art. 37 AsylG Nichteintretensentscheide in der Regel innerhalb von zehn Arbeitsta- gen nach der Gesuchstellung zu treffen und summarisch zu begrün- den sind. Ist die 10-tägige Frist abgelaufen, steht dies zwar einem Nichteintretensentscheid gemäss Art. 33 AsylG nicht entgegen; die Behörden sind jedoch verpflichtet, gerade bei Personen, die sich in Haft befinden, rasch zu entscheiden (Art. 75 Abs. 2 AuG). Diese zeitlichen Vorgaben für die Durchführung des Asylverfahrens müs- sen bei der Bemessung der Dauer der Vorbereitungshaft berücksich- tigt werden. Ohne besondere Gründe rechtfertigt es sich bei der vorliegenden Konstellation nicht, die Vorbereitungshaft gestützt auf Art. 75 Abs. 1 lit. f AuG für mehrere Monate anzuordnen. Erweist sich im Verlauf des Asylverfahrens, dass eine Erledigung durch einen Nichteintretensentscheid gemäss Art. 33 AsylG ausser Betracht fällt, ist die auf Art. 75 Abs. 1 lit. f AuG beruhende Vorbereitungshaft zu beenden, wobei jedoch ein anderer Haftgrund gemäss Art. 75 AuG die weitere Aufrechterhaltung der Vorbereitungshaft rechtfertigen kann. Nach Erlass des erstinstanzlichen Wegweisungsentscheids ist dessen Vollzug gegebenenfalls mit einer Ausschaffungs- oder Durch- setzungshaft zu sichern (Urteil des Bundesgerichts vom 4. September 2007 [2C_275/2007], Erw. 2.3 und 5.2, mit Hinweis). Vorliegend erfolgte die Einreichung des Asylgesuchs durch den Gesuchsgegner am 14. November 2013. Besondere Umstände, wel- che im vorliegenden Fall die Anordnung einer Vorbereitungshaft für mehrere Monate rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Unter den dargelegten Umständen erscheint daher eine Haftdauer von 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 126 einem Monat als angemessen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine Verlängerung der Vorbereitungshaft gemäss Art. 75 Abs. 1 lit. f AuG möglich ist, wenn innerhalb der festgesetzten Haftdauer kein Nichteintretensentscheid gemäss Art. 33 AsylG gefällt werden kann (Urteil des Bundesgerichts vom 4. September 2007 [2C_275/2007], Erw. 5.2).
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AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2013-27_2013-11-02
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2,004
de
2004 Verwaltungsgericht 276 [...] 73 Projektänderung während des Beschwerdeverfahrens. Ausstand (§ 5 VRPG). - Wesentliche nachträgliche Änderungen am Projekt eines regionalen Sport-, Freizeit- und Begegnungszentrums, die eine nochmalige öffentliche Auflage erfordern (Erw. 1/b). - Grundsätze der Ausstandspflicht (Erw. 2/b). Rechtsanwendung: Fehlen der Voraussetzung, dass die Mitwirkung in einer "andern Instanz" (§ 2 lit. c ZPO i.V.m. § 5 Abs. 1 VRPG) bzw. "untern Instanz" (§ 5 Abs. 2 VRPG) erfolgt ist (Erw. 2/c). Fehlerhafte Mitwirkung von Gemeinderäten, welche Exekutivfunktionen in dem als Bauherr auftretenden Gemeindeverband ausüben, am betreffenden Baubewilligungsentscheid (Erw. 2/d). vgl. AGVE 2004 45 164
195
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AG_VG_001
AG_VG
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AG_VG_001_AGVE-2004-73_2004
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2,010
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2010 Strassenverkehrsrecht 81 [...] 19 Sicherungsentzug für immer (Unverbesserlichkeit). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 15. Dezember 2010 in Sachen J.A. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und Inne- res (WBE.2010.271). 2010 Verwaltungsgericht 82 Aus den Erwägungen 2. 2.1. Eine Grundvoraussetzung für die Erteilung des Führerausweises ist die sog. Fahreignung. Mit diesem Begriff umschreiben alle betrof- fenen wissenschaftlichen Disziplinen (insbesondere Medizin, Psy- chologie und Jurisprudenz) die körperlichen und geistigen Vorausset- zungen des Individuums, ein Fahrzeug im Strassenverkehr sicher lenken zu können. Die Fahreignung muss grundsätzlich dauernd vor- liegen (vgl. die bundesrätliche Botschaft vom 31. März 1999 zur Än- derung des Strassenverkehrsgesetzes, in deren Rahmen Art. 16d SVG erlassen wurde; BBl 1999 S. 4462 ff., 4483 f.). Ausweise und Bewilligungen sind zu entziehen, wenn festge- stellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen (Art. 16 Abs. 1 SVG). Art. 16d Abs. 1 SVG - in Kraft seit dem 1. Januar 2005 - bestimmt, dass der Führeraus- weis einer Person auf unbestimmte Zeit entzogen wird, wenn ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht oder nicht mehr ausreicht, ein Motorfahrzeug sicher zu führen (lit. a), sie an einer Sucht leidet, welche die Fahreignung ausschliesst (lit. b) oder sie auf Grund ihres bisherigen Verhaltens nicht Gewähr bietet, dass sie künftig beim Führen eines Motorfahrzeugs die Vorschriften beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen wird (lit. c). Diese so- genannten Sicherungsentzüge dienen der Sicherung des Verkehrs vor ungeeigneten Lenkern. Angesichts des in Art. 16 Abs. 1 SVG veran- kerten Grundsatzes muss ein Sicherungsentzug in jedem Fall ange- ordnet werden, bei dem die Fahreignung nicht mehr gegeben ist (BGE 133 II 384, Erw. 3.1). 2.2. Wer ein Motorfahrzeug auf öffentlichen Strassen führen will, bedarf neben den theoretischen und praktischen Kenntnissen eines Mindestmasses an Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und Selbstbeherrschung. Die öffentliche Verkehrssicherheit erfordert die 2010 Strassenverkehrsrecht 83 Rücksichtnahme auf die anderen Verkehrsteilnehmer. Die Art und Weise, wie jemand sich im Verkehr verhält, ist weitgehend eine Fra- ge des Charakters. Doch kann wegen eines allgemein getrübten und schlechten Leumundes der Führerausweis nicht ohne Weiteres entzo- gen werden. Die charakterlichen Mängel müssen sich vielmehr als nachteilig für das Verhalten und die Einstellung als Motorfahrzeug- führer herausstellen. Dies ergibt sich aus der Rechtsnatur des Führer- ausweisentzuges, der eine Administrativmassnahme darstellt und die Gewährleistung der Verkehrssicherheit bezweckt. Der Sicherungsent- zug ist kein Mittel der Verbrechensbekämpfung. Aus verübten Straf- taten lassen sich zwar Rückschlüsse auf bestimmte Charaktereigen- schaften eines Täters ziehen; hinsichtlich dessen Eignung als Motor- fahrzeugführer haben sie aber nur die Bedeutung von Indizien. Die Verurteilung wegen eines Deliktes kann daher nicht ohne Weiteres zu einem Sicherungsentzug führen. Es müssen die Art der Straftaten und deren Umstände, der allgemeine Leumund und vor allem das auto- mobilistische Vorleben berücksichtigt werden. Massgebend für einen unbefristeten Führerausweisentzug im Sinne einer verkehrsrecht- lichen Sicherungsmassnahme ist, ob auf Charaktermängel geschlos- sen werden muss, die ernsthaft befürchten lassen, der Führer werde früher oder später wieder verkehrsgefährdende Verkehrsregelverlet- zungen begehen (VGE I/34 vom 26. März 2009, S. 8 f.). In Ziffer 6 des Leitfadens "Verdachtsgründe fehlender Fahreignung" der Exper- tengruppe Verkehrssicherheit des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation vom 26. April 2000 wird betreffend charakterlichen Defiziten festgehalten, dass Fahr- zeuglenker über eine Reihe minimaler charakterlicher Eigenschaften verfügen müssten, so Risikobewusstsein, Tendenz zu Vermeidung hoher Risiken, geringe Impulsivität, geringe Aggressionsneigung, reife Konfliktverarbeitung, Stressresistenz, soziales Verantwortungs- bewusstsein, soziale Anpassungsbereitschaft, Flexibilität im Denken und psychische Ausgeglichenheit. 2.3. Anzeichen dafür, dass eine Person auf Grund ihres bisherigen Verhaltens nicht Gewähr bietet, dass sie künftig beim Führen eines Motorfahrzeugs die Vorschriften beachten und auf die Mitmenschen 2010 Verwaltungsgericht 84 Rücksicht nehmen wird, bestehen, wenn Charaktermerkmale des Be- troffenen, die für die Eignung im Verkehr erheblich sind, darauf hindeuten, dass er als Lenker eine Gefahr für den Verkehr darstellt (Urteil des Bundesgerichts vom 13. September 2007 [1C_98/2007], Erw. 4.1, mit Hinweis auf BGE 104 Ib 95, Erw. 1). Für den Siche- rungsentzug aus charakterlichen Gründen ist die schlechte Prognose über das Verhalten als Motorfahrzeugführer massgebend. Die Behör- den müssen gestützt hierauf den Ausweis verweigern oder entziehen, wenn hinreichend begründete Anhaltspunkte vorliegen, dass der Füh- rer rücksichtslos fahren bzw. sich rücksichtslos verhalten wird (vgl. Botschaft vom 24. Juni 1955 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr, BBl 1955 II S. 21 f.). Die Frage ist anhand der Vorkommnisse (unter anderem Art und Zahl der begangenen Verkehrsdelikte) und der persönlichen Umstände zu beurteilen; in Zweifelsfällen ist ein verkehrspsychologisches oder psychiatrisches Gutachten anzuordnen (Urteil des Bundesgerichts vom 13. Septem- ber 2007 [1C_98/2007], Erw. 4.1). Bezugspunkt für die Beurteilung des Charakters ist dabei einzig die Verkehrssicherheit. Ein Sicherungsentzug hat zu erfolgen, wenn ein Motorfahrzeugführer zu der fundierten Annahme Anlass gibt, dass er aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur eine besondere Ge- fahr für die andern Verkehrsteilnehmer darstellt. Liegen solche An- haltspunkte vor, so hat die Behörde die weiteren erforderlichen Ab- klärungen zu treffen. Um eine Prognose für das künftige Verhalten eines Motorfahrzeugführers fällen zu können, ist somit eine umfas- sende Würdigung seiner Persönlichkeit notwendig (vgl. auch AGVE 1995, S. 164 ff.). 2.4. Gemäss Art. 16d Abs. 3 SVG wird Unverbesserlichen der Aus- weis für immer entzogen. Diese Bestimmung entspricht Art. 17 Abs. 2 der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung des SVG (AS 1959 S. 679; abgekürzt: aSVG). Es handelt sich dabei um einen Sicherungsentzug, der sich von den übrigen Sicherungsentzügen einzig dadurch unterscheidet, dass gemäss Art. 17 Abs. 4 SVG der für immer entzogene Führerausweis nur unter den Bedingungen des Art. 23 Abs. 3 SVG, d.h. frühestens nach fünf Jahren und wenn 2010 Strassenverkehrsrecht 85 glaubhaft gemacht wird, dass die Voraussetzungen für den Entzug weggefallen sind, wiedererteilt werden kann. Unverbesserlich ist, wer in verhältnismässig kurzer Folge immer wieder trotz Strafen und Administrativmassnahmen Widerhandlungen gegen das Strassenver- kehrsgesetz begeht (vgl. Rz. 332 der von der Interkantonalen Kom- mission für den Strassenverkehr herausgegebenen Richtlinien über die Administrativmassnahmen im Strassenverkehr [mittlerweile nicht mehr in Kraft]). 3. 3.1. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, seit dem vorsorglichen Führerausweisentzug vom 18. Oktober 2007 habe er keine Gefährdung der Verkehrssicherheit mehr begangen. Er sei zwar mehrfach trotz Entzugs des Führerausweises gefahren, dabei habe er sich aber an die Verkehrsregeln gehalten und damit lediglich die Prognose des Gutachtens bestätigt. Die Empfehlung des Gutachters sei daher umzusetzen, d.h., es sei ein bfu-Kurs inkl. Vor- und Nach- besprechung sowie ein verkürztes verkehrspsychologisches Gutach- ten anzuordnen. 3.2. Die Vorinstanz stützt sich zur Bejahung der charakterlichen Nichteignung im Wesentlichen auf das Gutachten und begründet die Unverbesserlichkeit des Beschwerdeführers mit dessen vielen Ge- schwindigkeitsübertretungen und seiner Uneinsichtigkeit auch nach dem vorsorglichen Sicherungsentzug. 4. 4.1. Wie jedes Beweismittel unterliegen auch Gutachten der freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung und die Be- antwortung der sich stellenden Rechtsfragen ist Aufgabe des Rich- ters. Dieser hat zu prüfen, ob sich auf Grund der übrigen Beweis- mittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Er- scheint ihm die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat er nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klä- 2010 Verwaltungsgericht 86 rung dieser Zweifel zu erheben (BGE 133 II 384, Erw. 4.2.3 mit wei- teren Hinweisen). Für den Beweiswert eines medizinischen Gutachtens oder eines Arztberichtes ist u.a. entscheidend, ob es/er für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden ist, in der Beurteilung der Zusam- menhänge und in der Beurteilung der Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Gutachters begründet sind (vgl. auch BGE 125 V 351, Erw. 3a). Die Beweiskraft eines von der Verwaltung eingeholten medizi- nischen Gutachtens oder ärztlichen Berichtes richtet sich nach den drei generellen Kriterien der Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit (Urteil des Bundesgerichts vom 27. März 2007 [I 355/06], Erw. 5.1). 4.2. 4.2.1. Die Gutachterin X wurde vom Strassenverkehrsamt gebeten, dem Strassenverkehrsamt die folgenden Fragen zu beantworten: "1. Bietet J. A. Gewähr, dass er inskünftig als Motorfahrzeug- führer die Vorschriften beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen würde, das heisst, ist er als Motorfahr- zeuglenker charakterlich geeignet? 2. (Falls Frage 1. mit Nein beantwortet werden muss:) Unter welchen Voraussetzungen kann die charakterliche Eig- nung wieder bejaht werden?" 4.2.2. Am 19. März 2008 erfolgte die verkehrspsychologische Unter- suchung des Beschwerdeführers durch das Verkehrsinstitut X, eine behördlich anerkannte Stelle, die im Auftrag kantonaler Administra- tivbehörden seit 1998 verkehrspsychologische Eignungsuntersuchun- gen von Motorfahrzeuglenkerinnen und -lenkern durchführt. Das 12-seitige Gutachten datiert vom 20. März 2008 und stützt sich auf die Akten des Strassenverkehrsamtes sowie auf eine Unter- suchung des Beschwerdeführers vom 19. März 2008, anlässlich wel- cher ein 57-minütiges Gespräch mit dem Beschwerdeführer stattfand, 2010 Strassenverkehrsrecht 87 und anlässlich welcher verschiedene verkehrsspezifische Tests (ART 2020) durchgeführt wurden. Zusammenfassend kommt das Gutachten zum Schluss, dass die charakterliche Eignung des Beschwerdeführers zum Motorfahrzeug- lenker zu verneinen sei, da wenig Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sich der Beschwerdeführer in Zukunft an die Verkehrsregeln werde halten können bzw. halten wollen. Es bestehe bei ihm eine Neigung zu riskanten Fahrmanövern und zur Selbstüberschätzung. Zudem müsse beim Beschwerdeführer von einer mangelnden Im- pulssteuerung im Fahrsetting ausgegangen werden. Sehr erschwe- rend für eine mögliche Verhaltensänderung sei auch das Testergeb- nis, wonach beim Beschwerdeführer eine geringe Beeinflussung durch soziale Kritik bestehe. 4.3. Die Verneinung der Fahreignung durch das Gutachten ist abso- lut schlüssig und nachvollziehbar. Nach einem ersten Warnungsent- zug im Jahr 1986 musste dem Beschwerdeführer zwischen 1991 und 2005 der Führerausweis sechsmal wegen Geschwindigkeitsüber- schreitungen entzogen werden. Die zwei letzten Warnungsentzüge in den Jahren 2002 und 2005 dauerten je 7 Monate und bewirkten beim Beschwerdeführer keine Verhaltensänderung - im Gegenteil: Im April 2007 fuhr er erneut 156 km/h (nach Abzug der Toleranz) an- stelle von 120 km/h, worauf ihm der Führerausweis vorsorglich ent- zogen wurde. Während dieses vorsorglichen Entzugs erfolgte die Begutachtung, anlässlich welcher der Beschwerdeführer schon im Gespräch deutlich zeigte, dass er das einzige Problem bei den Ge- schwindigkeitsüberschreitungen darin sieht, dass er sich zu oft hat erwischen lassen. Die verkehrsspezifischen Testuntersuchungen be- legen schlüssig und nachvollziehbar, dass beim Beschwerdeführer eine Neigung zu riskanten Fahrmanövern und zu Selbstüberschät- zung besteht. Diese Charaktermerkmale in Verbindung mit der mangelnden Impulssteuerung führen zu einer schlechten Prognose für den Beschwerdeführer, d.h., es ist mit grösster Wahrscheinlich- keit damit zu rechnen, dass er sich auch in Zukunft nicht an Ver- kehrsregeln, insbesondere auch Geschwindigkeitsbegrenzungen, hal- ten wird und dadurch eine Gefährdung im Strassenverkehr darstellen 2010 Verwaltungsgericht 88 würde. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass dem Beschwer- deführer bei seinen mehrfachen Fahrten trotz Entzugs des Führeraus- weises keine Verkehrsregelverletzungen nachgewiesen wurden. Dass ihn ein rechtskräftig verfügter vorsorglicher Sicherungsentzug nicht davon abhält, regelmässig ein Fahrzeug zu führen, wirft ein schlech- tes Licht auf seinen Charakter. Auch wenn er dabei keine konkrete Verkehrsgefährdung darstellte, bestätigt er mit diesem Verhalten, dass er nicht gewillt ist, sich an Anordnungen und Regeln zu halten. Zusammenfassend ergibt sich eindeutig, dass dem Beschwerde- führer Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und Selbstbe- herrschung fehlen, um Gewähr dafür zu bieten, dass er in Zukunft die Verkehrsvorschriften beachten und auf andere Verkehrsteilneh- mer Rücksicht nehmen wird. Dem Beschwerdeführer fehlt es somit an der charakterlichen Fahreignung. 5. 5.1. Uneinig sind sich der Beschwerdeführer und die Vorinstanzen insbesondere betreffend Schlussfolgerungen aus dem Gutachten. Im Gutachten wird ausgeführt, die charakterliche Eignung könnte wie- der bejaht werden, wenn der Beschwerdeführer einen bfu-Kurs inkl. Vor- und Nachgespräche absolviert habe und ein positives, verkürz- tes verkehrspsychologisches Gutachten vorliege. Daraus schliesst der Beschwerdeführer, die charakterlichen Mängel würden durch die Ab- solvierung des bfu-Kurses beseitigt, weshalb dieser sowie ein neues, verkürztes verkehrspsychologisches Gutachten anzuordnen seien. 5.2. Wie bereits ausgeführt wurde, unterliegen Gutachten der freien richterlichen Beweiswürdigung. Wenn das Gutachten davon ausgeht, die charakterliche Fahreignung könnte wieder bejaht werden, wenn der Beschwerdeführer einen bfu-Kurs inkl. Vor- und Nachgespräche durchgeführt habe und ein positives, verkürztes verkehrspsychologi- sches Gutachten vorliege, so sagt das Gutachten noch gar nichts über den Zeithorizont aus. Es wird auch nicht schlüssig dargelegt, dass die Absolvierung des bfu-Kurses mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer Charakteränderung führen würde. Es bleibt völlig offen, ob nach dem Kurs ein erneutes verkürztes verkehrspsychologisches Gutach- 2010 Strassenverkehrsrecht 89 ten die Fahreignung des Beschwerdeführers bejahen könnte. Das Er- gebnis des vorliegenden Gutachtens, die vielen Verkehrsregelverlet- zungen in der Vergangenheit und das Verhalten des Beschwerdefüh- rers nach dem vorsorglichen Sicherungsentzug (zwölf Mal Fahren trotz Entzugs) sowie anlässlich der Begutachtung (lachen und Unter- suchung nicht ernst nehmen) lassen vielmehr darauf schliessen, dass gravierende charakterliche Eigenheiten vorliegen, die durch einen bfu-Kurs nicht so schnell verändert werden können. Dementspre- chend spricht das Gutachten auch ausdrücklich davon, dass sich der Beschwerdeführer in Zukunft kaum wird an die Verkehrsregeln hal- ten können bzw. halten wollen. Die Prognose für künftiges Wohl- verhalten im Strassenverkehr und damit auch für ein positives ver- kehrspsychologisches Gutachten sind schlecht, weshalb zu Recht ein definitiver Sicherungsentzug angeordnet worden ist. 5.3. Es stellt sich einzig noch die Frage, ob der Beschwerdeführer zu Recht als unverbesserlich im Sinne von Art. 16d Abs. 3 SVG einge- stuft wurde. Allein schon die Tatsache, dass der Beschwerdeführer nach sieben Warnungsentzügen erneut mit massiv überhöhter Ge- schwindigkeit fuhr, zeigt, dass er sich durch Strafen und Administra- tivmassnahmen nicht von weiteren Verkehrsregelverletzungen ab- halten lässt. Er wurde mehrfach rückfällig und ist daher als unver- besserlich zu betrachten. Diese Charaktereinschätzung wird noch verstärkt durch seine Neigung zu riskanten Fahrmanövern und die fehlende Impulskontrolle sowie das mehrfache Fahren trotz Ausweis- entzugs.
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2011 Verwaltungsgericht 116 31 Verzugszinsen auf Steuerschulden - Das Gericht ist an das von ihm erlassene Urteil gebunden. Diese Bin- dungswirkung tritt erst mit der Eröffnung des Urteils gegenüber den Parteien ein (Erw. 1.3.). - Das Steuerrekursgerichts ist zum Eingreifen von Amtes wegen be- rechtigt und verpflichtet, wenn der angefochtene Entscheid an quali- fizierten, offenkundigen Mängeln leidet (Erw. 1.5.1.). - Verzugszinsen auf Steuerschulden sind von Amtes wegen zu berück- sichtigen (Erw. 1.5.3.). - Massgebender Zeitpunkt: Zu berücksichtigen sind Verzugszinsen auf Steuerschulden, soweit sie in der infrage stehenden Steuerperiode in Rechnung gestellt und/oder veranlagt wurden (Praxisänderung; Erw. 1.6.). Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 7. Dezember 2011 in Sachen S. gegen KStA (WBE.2011.153). Aus den Erwägungen 1. 1.1. Die Beschwerdeführer führen aus, sie hätten festgestellt, dass die von ihnen im Jahre 2001 bezahlten Verzugszinsen für Steuern der Vorjahre bei der Bemessung ihres steuerbaren Einkommens nicht berücksichtigt worden seien. Deshalb hätten sie mit eingeschriebe- nem Brief vom 26. Februar 2011 (Postaufgabe: 28. Februar 2011) bei der Steuerverwaltung Bremgarten und mit Schreiben vom 3. März 2011 (A-Post) beim Steuerrekursgericht verlangt, dass diese Ver- zugszinsen zusätzlich in Abzug zu bringen seien. Da jedoch das Urteil des Steuerrekursgerichts am 3. März 2011 gefällt worden sei, habe die Eingabe keine Berücksichtigung gefunden. Die Beschwer- deführer verlangen, dass das Verwaltungsgericht nunmehr diesen Abzug gewähren solle. 2011 Kantonale Steuern 117 1.2. Das Steuerrekursgericht hielt im angefochtenen Entscheid fest, dass ihm das Schreiben vom 26. Februar 2011 am 4. März 2011 zugegangen sei und damit nach der Urteilsfällung. Deshalb habe die verspätete Eingabe nicht mehr berücksichtigt werden können. 1.3. Grundsätzlich ist das Gericht an das von ihm erlassene Urteil gebunden. Diese Bindungswirkung tritt jedoch erst mit der Eröff- nung des Urteils gegenüber den Parteien ein. Vor Urteilseröffnung kann das Gericht seinen Entscheid jederzeit in Wiedererwägung zie- hen (Daniel Staehelin, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivil- prozessordnung, Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 236 N 23 m.w.H.; Georg Nägeli, in: Kurzkommentar Schweizerische Zivilprozessord- nung, Basel 2010, Art. 236 N 14). Daraus folgt, dass das Gericht Ein- gaben, die ihm nach der Urteilsberatung und -fällung, aber noch vor der Urteilseröffnung zugehen, nicht einfach unberücksichtigt lassen kann. Soweit das Steuerrekursgericht die Nichtgewährung des von den Beschwerdeführern verlangten zusätzlichen Abzugs für Verzugs- zinsen auf von ihnen geschuldeten Steuern allein damit begründet, sie hätten ihren Antrag nach Urteilsfällung gestellt - das Urteil da- tiert vom 3. März 2011; die Eingabe der Beschwerdeführer ging beim Gericht am 4. März 2011 ein; der Urteilsversand erfolgte am 14. März 2011 - erweist sich damit die von ihm vertretene Rechts- auffassung als unzutreffend. 1.4. Zu beantworten bleibt die Frage, ob die Eingabe der Beschwer- deführer vom 3. März 2011 zulässig war. Der von den Beschwerdeführern im Rekursverfahren nachträg- lich, d.h. nach Abschluss des Behauptungsverfahrens, gestellte An- trag auf Berücksichtigung der von ihnen im Jahr 2001 bezahlten Ver- zugszinsen auf von ihnen geschuldeten Steuern stellte eine unzuläs- sige Erweiterung des Rekursantrags dar. Die Beschwerdeführer ver- langten damit nämlich gegenüber ihren bisherigen Anträgen, auch wenn sie diese nicht rechnerisch beziffert hatten, im Ergebnis einen zusätzlichen Abzug vom steuerbaren Einkommen (vgl. AGVE 1981, S. 277; [VGE] II/60 vom 12. Juni 1998 [WBE.1996.231], Erw. I./4.; 2011 Verwaltungsgericht 118 VGE II/38 vom 8. April 1999 [WBE.1998.112], Erw. I./4.; VGE II/90 vom 26. Oktober 1999 [WBE.1998.180], Erw. I./2.; VGE II/17 vom 2. März 2006 [WBE.2005.105], Erw. I./4. Nichts anderes ergibt sich insbesondere auch aus dem vom Steuerrekursge- richt angeführten Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. September 2010 [WBE.2009.370], in dem es um eine Einschränkung d.h. im Er- gebnis um ein Eventualbegehren gegenüber dem ursprünglichen An- trag ging [ursprünglicher Antrag auf Nichtaufrechnung eines ver- deckten Eigenkapitals von mehr als Fr. 8 Mio.; zusätzlicher Antrag - wenigstens - auf Berücksichtigung des Bilanzverlusts von rund Fr. 1.9 Mio. bei der Berechnung des steuerbaren Eigenkapitals]). 1.5. 1.5.1. Im Rekursverfahren gilt grundsätzlich die Untersuchungsma- xime ebenso wie die Offizialmaxime. Das Steuerrekursgericht hat die erforderlichen Untersuchungen von Amtes wegen durchzuführen und ist bei seinem Entscheid nicht an die Anträge der Parteien gebunden, d.h. es ist unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt und ver- pflichtet, über die Anträge der Parteien hinauszugehen (§ 197 Abs. 1 und 2 StG sowie dazu Martin Plüss, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 3. Aufl., Muri-Bern 2009, § 197 N 3 ff.). Im Rekursver- fahren als gerichtlichem Verfahren steht indessen der Rechtsschutz für die Parteien im Vordergrund, obwohl die Offizialmaxime unter bestimmten Voraussetzungen auch ein (im Ergebnis) aufsichtsrecht- liches Einschreiten des Steuerrekursgerichts zulässt und erforderlich macht. Soll das erwähnte aufsichtsrechtliche Element des Rekurs- verfahrens nicht zu einer Schwächung des Vertrauens der Parteien in das Steuerrekursgericht als unabhängiges und unparteiliches Gericht führen, darf von der Möglichkeit einer reformatio in peius oder in melius aber nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden. Praktisch bedeutet dies, dass ein Eingreifen des Steuerrekursgerichts von Am- tes wegen sich nur dann rechtfertigt, wenn der angefochtene Ent- scheid an qualifizierten, offenkundigen Mängeln leidet (vgl. Martin Plüss, a.a.O., § 197 N 4 sowie Patrick M. Müller, Aspekte der Ver- waltungsrechtspflege, Bern 2006, S. 336). Es fragt sich somit, ob der Einspracheentscheid hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Ver- 2011 Kantonale Steuern 119 zugszinsen auf noch nicht beglichenen Steuerschulden an einem offenkundigen Mangel litt, so dass das Steuerrekursgericht trotz des unzulässigerweise erweiterten Antrags der Beschwerdeführer von Amtes wegen hätte beachten bzw. prüfen müssen, ob der angefoch- tene Entscheid diesbezüglich an einem offenkundigen Mangel litt. 1.5.2. Verzugszinsen, und zwar auch solche betreffend noch nicht be- glichene Steuerforderungen, fallen unter den Begriff der Schuld- zinsen gemäss § 40 lit. a StG und sind daher grundsätzlich von den Einkünften abzuziehen (Daniel Aeschbach, in: Kommentar zum Aar- gauer Steuergesetz, a.a.O., § 40 N 20; VGE II/31 vom 6. Mai 2002 [WBE.2001.175]; Peter Locher, in: Kommentar zum DBG, I. Teil, Therwil/Basel 2001, Art. 33 N 19 m.w.H.). Es fragt sich jedoch, ob Verzugszinsen auf Steuerschulden bei der Veranlagung von Amtes wegen steuermindernd zu berücksichtigen sind oder ob der Steuer- pflichtige einen entsprechenden Abzug geltend machen muss. 1.5.3. 1.5.3.1. Bei den Kantons- und Gemeindesteuern bereitet das Gemeinde- steueramt die Veranlagungen vor (die die Steuerkommission dann vornimmt; vgl. § 164 Abs. 3 und 4 StG), errechnet die Steuerbeträge und eröffnet die Veranlagungsverfügungen (§ 163 Abs. 3 StG). Der Gemeinderat bezieht die Einkommens- und Vermögenssteuer (§ 222 Abs. 1 StG): Bei den Einkommens- und Vermögenssteuern obliegen Veranlagung und Bezug somit der Gemeinde. Die Höhe der von einem bestimmten Steuerpflichtigen geschuldeten Steuerbeträge ebenso wie die Höhe allfälliger Verzugszinsen lässt sich heutzutage ohne weiteres aus den mittels EDV geführten Aufzeichnungen über den Steuerbezug beim betreffenden Steuerpflichtigen eruieren. Unbe- schadet dessen, dass es sich bei den Verzugszinsen auf Kantons- und Gemeindesteuern um steuermindernde Tatsachen handelt, muss daher den Gemeindebehörden, welche auch für den Steuerbezug verantwortlich sind, das Wissen über die Höhe allfällig ausstehender Steuerbeträge und damit auch über die Höhe ausstehender Verzugs- zinsen zugerechnet werden. Schon dies spricht dafür, dass die Veranlagungsbehörde - unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige 2011 Verwaltungsgericht 120 Steuerschulden und/oder Verzugszinsen auf solchen deklariert - bei Vornahme der Veranlagung die entsprechenden Beträge von Amtes wegen zu berücksichtigen hat. Auch hinsichtlich der direkten Bundessteuer rechtfertigt sich diese Lösung. Zwar fallen bei der direkten Bundessteuer die Zu- ständigkeit zur Veranlagung und zum Bezug auseinander, indem bei natürlichen Personen für die Veranlagung die Steuerkommission der Gemeinde zuständig ist (vgl. § 3 der Verordnung zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer vom 7. Dezember 1994 [V-DBG; SAR 621.111]), während das kantonale Steueramt die Veranlagung eröffnet (§ 12 V-DBG) und ihm auch der Bezug der Steuer obliegt (§ 13 V-DBG). Das ändert aber nichts daran, dass es der Veranla- gungsbehörde zumutbar ist, sich Kenntnis über die Daten betreffend allfällig geschuldete Beträge bei der direkten Bundessteuer sowie gegebenenfalls auch Verzugszinsen darauf zu verschaffen. 1.5.3.2. Zu Unrecht geforderte und bezahlte Steuern sind mit Vergü- tungszins zurückzuerstatten, soweit dafür nicht ein Skonto gewährt worden ist (§ 224 Abs. 3, 1. Satz StG; vgl. auch die Regelung zur di- rekten Bundessteuer in Art. 168 Abs. 2 DBG; vgl. zur unterschied- lichen Terminologie [Rückerstattungszins] bei der direkten Bundes- steuer Hans Frey, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2b, 2. Aufl., Basel 2008, Art. 168 N 10 und Art. 162 N 6). Ver- gütungszinsen werden fällig, wenn durch die definitive Veranlagung feststeht, dass der Steuerpflichtige zuvor aufgrund einer definitiven oder provisorischen Rechnung mehr als die geschuldete Steuer be- zahlt hatte. Sie sind der Ausgleich dafür, dass der Steuerpflichtige - ex post betrachtet - unfreiwillig zum Darlehensgeber gegenüber dem Fiskus wurde (VGE II/83 vom 18. September 2007 [WBE.2007.104], Erw.II./3.). Vergütungszinsen stellen steuerbare Einkünfte, nämlich Vermögensertrag dar (§ 29 Abs. 1 lit. a StG; vgl. ebenso Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG). Vergütungszinsen sind damit ein Pendant zu den Verzugszinsen auf geschuldeten Steuerbeträgen: Während im einen Fall der Steuerschuldner ein Entgelt für die ver- spätete Zahlung zu entrichten hat, erhält er im anderen Fall ein Ent- gelt dafür, dass er - ex post betrachtet - zu viel gezahlt hat. Dieser 2011 Kantonale Steuern 121 Umstand legt es nahe, Verzugszinsen und Vergütungszinsen bei der Veranlagung gleich zu behandeln (und zwar obwohl es bei diesen um steuermindernde, bei jenen aber um steuererhöhende Tatsachen geht). In der Veranlagungspraxis werden im Kanton Aargau Vergü- tungszinsen, sobald sie - mit Rechtskraft der definitiven Steuerver- anlagung - feststehen, von den Steuerbehörden automatisch, d.h. auch dann, wenn der Steuerpflichtige selbst sie in seiner Steuererklä- rung nicht deklariert hat, dem steuerbaren Einkommen zugerechnet. Die erläuterte Symmetrie zwischen Vergütungs- und Verzugszinsen gebietet daher (neben dem Umstand, dass die Verzugszinsen den Steuerbehörden bei Vornahme der Veranlagung bekannt sind bzw. sie sich - bei der direkten Bundessteuer - leicht Kenntnis darüber ver- schaffen können), auch Verzugszinsen bei der Veranlagung von Am- tes wegen zu berücksichtigen. 1.5.3.3. Sind Verzugszinsen auf geschuldeten Steuern wie dargelegt von Amtes wegen zu berücksichtigen, so hätte bereits die Gemeinde- steuerkommission Verzugszinsen auf den von den Beschwerde- führern geschuldeten Steuern zum Abzug zulassen müssen. Somit leidet der Entscheid an einem qualifizierten offenkundi- gen Mangel und die im Jahr 2001 in Rechnung gestellten Verzugs- zinsen auf von den Beschwerdeführern geschuldeten Kantons- und Gemeindesteuern hätten vom Steuerrekursgericht trotz dem insoweit verspäteten Vorbringen der Beschwerdeführer berücksichtigt werden müssen. Alternativ wäre eine Rückweisung der Angelegenheit an die Steuerkommission angezeigt gewesen. Daher ist es auch zulässig, wenn die Beschwerdeführer mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangen, diesen Mangel des Entscheids des Steuerrekursgerichts zu beheben (Martin Plüss, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, a.a.O., § 198 N 8; VGE II/17 vom 2. März 2006 [WBE.2005.105], Erw. II./4. f.). 1.6. Zum Umfang der Verzugszinsen hat das Verwaltungsgericht in einem früheren Urteil ausgeführt, dass Verzugszinsen auf Steuern nicht etwa nach Massgabe der Rechnungstellung durch die Steuerbe- 2011 Verwaltungsgericht 122 hörden zum Abzug zuzulassen seien. Für den Abzug sei vielmehr - entsprechend der allgemeinen Regelung für Schuldzinsen, wonach diese im Zeitpunkt der Fälligkeit abzugsfähig sind - darauf abzu- stellen, welche Verzugszinsen im in Frage stehenden Steuerjahr auf- gelaufen sind (vgl. dazu ausführlich VGE II/31 vom 6. Mai 2002 [WBE.2001.175], Erw. II./4). An dieser Rechtsprechung ist, obwohl sie dogmatisch über- zeugt, aus Praktikabilitätsgründen nicht festzuhalten. Aufgelaufene Verzugszinsen werden in den Steuerrechnungen regelmässig nicht auf das jeweilige Jahr bezogen ausgewiesen. Für den Steuerpflichti- gen bliebe damit ein für Verzugszinsen auf Steuern gewährter Abzug am steuerbaren Einkommen weithin untransparent und dessen Korrektheit wäre für ihn nur mit erheblichem Aufwand nachprüfbar. Andererseits würde ein exakter Ausweis der jeweils in einem Jahr aufgelaufenen Verzugszinsen auf Steuerbetreffnissen in den Steuer- rechnungen nicht wirklich zur Transparenz in der Rechnungstellung beitragen, sondern diese gegenüber dem heutigen Zustand sogar noch erheblich verkomplizieren. Diese Überlegungen rechtfertigen es, die bisherige Praxis aufzugeben und Verzugszinsen auf Steuer- schulden zum Abzug zuzulassen, soweit sie in der in Frage stehenden Steuerperiode in Rechnung gestellt und/oder veranlagt wurden (insbesondere sind damit auch die in der Steuerperiode veranlagten Zinsen auf im Nachsteuerverfahren veranlagten Steuern zum Abzug zuzulassen; vgl. § 206 Abs. 1 StG; ebenso Art. 151 Abs. 1 DBG ["samt Zins"]). Abzulehnen ist dagegen die in der Literatur bisweilen vertretene Lösung, die Verzugszinsen erst im Zeitpunkt deren Bezah- lung zum Abzug zuzulassen (in dieser Richtung etwa VGE II/31 vom 6. Mai 2002 [WBE.2001.175] Erw. II./4c; vgl. dazu auch die Belege bei Peter Locher, in: Kommentar zum DBG, a.a.O., Art. 33 N 4), ergibt sich doch damit für die Steuerbehörden ein erhöhter Kontroll- aufwand, um Gewähr leisten zu können, dass nicht zu viele Verzugszinsen in Abzug gebracht werden (so schon der Entscheid des Steuerrekursgerichts vom 29. März 2001 [RV.2000.20173/ 50174], Erw. 3b).
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2005 Verwaltungsgericht 284 [...] 58 Voraussetzungen der Kürzung materieller Hilfe infolge Nichtbeachtens einer Auflage oder Weisung. - Die Verwarnung mit Kürzungsandrohung kann gleichzeitig mit der Auflage bzw. Weisung verfügt werden (Erw. 4.1). - Vertragliche Vereinbarung über Auflagen und Weisungen (Erw. 4.2 und 4.3.2). 2005 Sozialhilfe 285 - Die Kürzungsandrohung muss nicht vor jedem Vollzug in Form einer Verfügung neu angedroht werden, und die Kürzung kann auch beim Bezug künftiger Leistungen vollzogen werden (Erw. 4.1 und 4.4). Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 13. Oktober 2005 in Sa- chen F.B. gegen das Bezirksamt Laufenburg. Aus den Erwägungen 4.1. Voraussetzung für eine Kürzung der materiellen Hilfe we- gen Missachtung einer Auflage oder Weisung ist, dass dem Betroffe- nen die Auflage oder Weisung im Sinne von § 13 SPG i.V.m. § 14 SPV in Form einer Verfügung eröffnet wurde (AGVE 1997, S. 169). Seit Inkrafttreten des SPG (1. Januar 2003) kann die Verwarnung mit Kürzungsandrohung, welche nach der Rechtsprechung zum aufge- hobenen Sozialhilfegesetz (SHG) vom 2. März 1982 einer zusätzli- chen Anordnung in Verfügungsform bedurfte (AGVE 1997, S. 176), gleichzeitig mit der Auflage bzw. Weisung verfügt werden (vgl. § 13 Abs. 2 SPG; Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 30. Juni 1999, S. 23). Auflagen und Weisungen, wie die Bestimmungen über die Auf- nahme einer Arbeit oder die Teilnahme an einem Beschäftigungspro- gramm (§ 14 lit. e SPV), werden zur Verbesserung der Lage der Hilfe suchenden Person angeordnet. Sie umschreiben die Anspruchsvor- aussetzungen in grundsätzlicher Weise und sind daher auf Dauer angelegt. Entsprechend ihrem Zweck und der Zielsetzung haben solche Weisungen Wirkung auf die gesamte Dauer der Ausrichtung der materiellen Hilfe an den Betroffenen (Entscheid des Verwal- tungsgerichts [VGE] IV/8 vom 14. Februar 2005 [BE.2004.00259], S. 13 f.). Die Auflagen oder Weisungen mit einer Kürzungsandro- hung müssen daher dem Betroffenen nicht vor jeder Kürzung formell und in Form einer Verfügung neu angedroht werden und können auch beim Bezug zukünftiger Leistungen durchgesetzt werden. 4.2. Vorliegend hat unmittelbar vor Erlass der angefochtenen Verfügung der Gemeinderat A mit Beschluss vom 21. Februar 2005 2005 Verwaltungsgericht 286 dem Beschwerdeführer eine Kürzung der Sozialhilfe angedroht. Die- ser Beschluss erfüllt die formellen Voraussetzungen einer Verfügung gemäss § 23 Abs. 1 und 4 VRPG (Bezeichnung als Entscheid, Be- gründung) und wurde dem Beschwerdeführer schriftlich eröffnet (§ 23 Abs. 2 VRPG). (...) Bereits an der Besprechung vom 12. August 2004 traf die Ge- meinde A mit dem Beschwerdeführer eine Vereinbarung über die Arbeitsbemühungen. Diese Vereinbarung wurde im Schreiben vom 26. August 2004 dem Beschwerdeführer bestätigt und die Kürzung der Sozialhilfe angedroht, falls zu wenige Arbeitsbemühungen nach- gewiesen würden (Schreiben der Gemeinde A vom 26. August 2004). In der Folge hat der Gemeinderat A am 4. Oktober 2004 eine Kürzung des Grundbedarfs I für den Monat Oktober 2004 be- schlossen, mit der Begründung, der Rapport über die Arbeitsbemü- hungen sei zu spät abgegeben und zudem seien ungenügende Ar- beitsbemühungen nachgewiesen worden. Dieser Beschluss erfüllt in formeller Hinsicht alle Voraussetzungen an eine gültige Verfügung und ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. 4.3.1. (...) 4.3.2. Im vorliegenden Fall wurde die Weisung zur Stellensuche erstmals an der Besprechung vom 12. August 2004 zwischen dem Beschwerdeführer und dem Gemeinderat A thematisiert. In Bestäti- gung dieser Besprechung hat der Gemeinderat die vereinbarte Stellensuche im Schreiben vom 26. August 2005 bestätigt. Gemäss Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts (AGVE 1997, S. 169) sind Auflagen und Weisungen in Verfügungsform zu fassen und zu eröff- nen. Diese Rechtsprechung betrifft den Regelfall, wo die Behörden die Verhaltensanweisungen an die Betroffenen einseitig anordnen. Verwaltungsrechtliche Rechtsverhältnisse können indessen nach heutiger Rechtsauffassung nicht nur in Verfügungsform, sondern auch auf dem Weg des verwaltungsrechtlichen Vertrages geregelt werden (Pierre Tschannen / Ulrich Zimmerli, Allgemeines Verwal- tungsrecht, 2. Auflage, Bern 2005, § 33 N 21; Ulrich Häfelin / Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2002, Rz. 1063 ff.). Im verwaltungsrechtlichen Vertrag regeln die Behörden und der Private mit übereinstimmender Willenserklä- 2005 Sozialhilfe 287 rung die gegenseitigen Rechte und Pflichten zweiseitig. Auch die Verwaltungstätigkeit in Form eines verwaltungsrechtlichen Vertrages wird für den Privaten verbindlich, sofern sie dem Gesetz nicht wider- spricht (vgl. Häfelin / Müller, a.a.O., Rz. 1069). Der Beschwerdeführer bestreitet den Abschluss und den Inhalt der Vereinbarung vom 12. August 2004, wie er von der Gemeinde bestätigt wurde, nicht. Weder das SPG noch das VRPG schliessen den Abschluss eines verwaltungsrechtlichen Vertrages über Auflagen und Weisungen aus (§ 60 VRPG; § 13 SPG i.V.m. § 14 SPV). Ein verwaltungsrechtlicher Vertrag kann sich als zweckmässig erweisen, wenn nur durch Vereinbarungen mit dem Betroffenen die konkrete Ausgestaltung einer Auflage oder Weisung geregelt werden kann. In grundsätzlicher Hinsicht ist aber festzuhalten, dass für hoheitliche Anordnungen der Sozialbehörde und mit Rücksicht auf Beweisprob- leme die Verfügungsform die Regel darstellt und die Möglichkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrages, insbesondere durch mündliche Ab- machungen mit dem Betroffenen und anschliessender schriftlicher Bestätigung, nur in Ausnahmefällen zweckmässig erscheint. Im vor- liegenden Fall ist von der Wirksamkeit der vertraglichen Vereinba- rungen auszugehen. Dem Beschwerdeführer war jedenfalls nach dem Bestätigungsschreiben vom 26. August 2004 klar, dass die Sozialbe- hörde von ihm Bemühungen zur Stellensuche verlangte, und es war für ihn auch erkennbar, dass ungenügende Bemühungen zu einer Kürzung der materiellen Hilfe führen können. Dafür spricht nicht zuletzt auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer sich gegen die mit Verfügung vom 4. Oktober 2004 vollzogene Kürzung entspre- chend der vertraglichen Regelung nicht gewehrt hat. 4.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Gemeinderat A die Auflage bzw. Weisung betreffend die Arbeitsbemühungen zwar nicht in Form einer Verfügung erliess, sondern darüber einen ver- waltungsrechtlichen Vertrag mit dem Beschwerdeführer abgeschlos- sen hat (siehe vorne Erw. 4.3.2.), wobei dem Beschwerdeführer die Kürzung der Sozialhilfe im Bestätigungsschreiben der Gemeinde A vom 26. August 2004 angedroht wurde. Damit bestand eine gültige Auflage bzw. Weisung an den Beschwerdeführer zur Stellensuche seit August 2004, welche die Grundlage und Voraussetzung für die 2005 Verwaltungsgericht 288 Kürzung im März 2005 bildete. Die (...) relativ kurze Zeit zwischen dieser Verfügung und dem Vollzug der Kürzung am 7. März 2005 sind für die Voraussetzungen der Kürzung (Rechtmässigkeit der Auf- lage und der Kürzungsandrohung) ohne Relevanz. Insbesondere ist nicht mehr zu prüfen, ob die Verfügung vom 21. Februar 2005 in Rechtskraft erwachsen oder noch anfechtbar ist. Dieses Ergebnis rechtfertigt sich umso mehr, als die rechtskräftige Kürzungsverfü- gung vom 4. Oktober 2004, mit der die im verwaltungsrechtlichen Vertrag vereinbarte Auflage erstmals vollzogen wurde, auch die for- mellen und materiellen Anforderungen an eine Auflage oder Weisung erfüllt. Die Voraussetzungen für den Vollzug der Auflage sind unter den vorliegenden Umständen gegeben.
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2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 195 [...] 36 Sozialhilfe; Existenzsicherung bei der Kürzung gebundener Auslagen Die Anordnung, wonach nachträglich abgerechnete Wohnnebenkosten nicht durch die Sozialhilfe übernommen werden, verstösst bei gleichzeiti- ger Kürzung des Grundbedarfs auf das Niveau der Existenzsicherung ge- gen § 15 Abs. 2 SPV. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 28. August 2017, i.S. A. gegen Gemeinderat B. und Departement Gesundheit und So- ziales (WBE.2017.178) Aus den Erwägungen 3.2. (...) Gemäss § 15 Abs. 2 Satz 2 SPV darf die Grenze der Existenz- sicherung auch bei der Kürzung gebundener Ausgaben, wie zum Bei- spiel Wohnungsmiete oder Versicherungsprämien, nicht unterschrit- ten werden (vgl. AGVE 2008, S. 265). Damit stellt sich die Frage, ob dadurch, dass der Beschwerdeführer die Wohnnebenkosten über den Grundbedarf finanzieren muss, in seine Existenzsicherung eingegrif- fen wird. § 10 Abs. 1 SPV erklärt die SKOS-Richtlinien für die Be- messung der materiellen Hilfe als grundsätzlich verbindlich. Danach ist der Wohnungsmietzins anzurechnen, soweit er im ortsüblichen Rahmen liegt. Ebenfalls anzurechnen sind die vertraglich vereinbar- ten Wohnnebenkosten (SKOS-Richtlinien, Kap. B.3, in der bis 31. Dezember 2016 verbindlichen Fassung, d.h. mit den bis 1. Juli 2004 ergangenen Änderungen). Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung gilt für die Übernahme von Wohnkosten, wie für alle Auslagen, der Effektivitätsgrundsatz, weshalb nur tatsächlich an- 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 196 fallende Wohnkosten zu berücksichtigen sind (VGE vom 15. Sep- tember 2015 [WBE.2015.248], Erw. II/3.4; vom 1. Juni 2015 [WBE.2015.101], Erw. II/2.4 f.). Soweit die Nebenkosten durch die Mietzinszahlung abgegolten sind, werden sie ohne Weiteres von § 15 Abs. 2 SPV erfasst. Zu Akontozahlungen hat das Verwaltungsgericht neuerlich erwogen, mit der Nachzahlung von Wohnnebenkosten ent- sprechend der ordnungsgemäss erstellten jährlichen Abrechnung er- fülle der Mieter seine ursprüngliche Pflicht zur Übernahme der Nebenkosten, eine Vertragsänderung sei damit nicht verbunden. Nachzahlungsforderungen seien nach Vorliegen der Nebenkostenab- rechnung und unter Berücksichtigung geleisteter Akontozahlungen bestimm- und erfüllbar (vgl. VGE vom 27. Oktober 2016 [WBE.2016.325], Erw. II/4 und 5.2 = AGVE 2016, S. 236 ff.). Damit stellen auch nachzuzahlende Nebenkosten gebundene Ausgaben im Sinne von § 15 Abs. 2 SPV dar. Es ist nicht einsichtig, mit dem Miet- zins abgegoltene oder bevorschusste Nebenkosten anders zu behan- deln als Nachzahlungen. Die Anordnung, dass nachträglich geltend gemachte Neben- kosten nicht übernommen werden, verstösst bei gleichzeitiger Kür- zung des Grundbedarfs auf das Niveau der Existenzsicherung gegen § 15 Abs. 2 SPV. Vertraglich geschuldete Nebenkosten müssten dies- falls über den Grundbedarf finanziert werden.
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2015 Sozialhilfe 217 X. Sozialhilfe 32 Sozialhilfe; Leistungen von privaten Hilfsorganisationen - Spenden und Unterstützungsleistungen privater Hilfsorganisationen unterstehen der Meldepflicht; sie sind gemäss § 11 Abs. 2 SPV nur als eigene Mittel anzurechnen, sofern die Ausgaben ansonsten über den Grundbedarf zu decken sind. - Zweckgebundene Barspenden privater Hilfsorganisationen sind grundsätzlich nicht als eigene Mittel anzurechnen, sofern sie für Aus- gaben ausserhalb des Grundbedarfs zugewendet werden; eine Anrechnung kann bei zweckwidriger Verwendung erfolgen, wofür die Sozialbehörde beweisbelastet ist. - Eine Grenze für die Nicht-Anrechnung von Zuwendungen als eigene Mittel bildet das Rechtsmissbrauchsverbot. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 10. Februar 2015 in Sa- chen A. und B. gegen Gemeinde C. und Departement Gesundheit und Soziales (WBE.2014.135). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Die Vorinstanzen werfen den Beschwerdeführern vor, sie hätten von der Stiftung D. Leistungen im Betrag von Fr. 13'275.35 erhalten und diese Zuwendungen in Verletzung ihrer Melde- und Mitwir- kungspflicht der Sozialbehörde nicht gemeldet. Bei den Zuwen- dungen handle es sich insbesondere um solche, welche von einer unterstützten Person grundsätzlich aus dem Grundbedarf zu bezahlen seien. Bei Leistungen, welche allenfalls von der Sozialhilfe als si- tuationsbedingte Leistungen übernommen werden, fehle es an einem entsprechenden Gesuch der Beschwerdeführer, was diese zu vertre- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 218 ten hätten. Die Beschwerdeführer hätten die materielle Hilfe, die zeitgleich mit den Drittleistungen ausgerichtet wurde, unrechtmässig bezogen und die materielle Hilfe sei daher im entsprechenden Umfang zurückzuerstatten. 2.2. Die Sozialhilfe wird vom Subsidiaritätsprinzip beherrscht. Als Grundprinzip im Sozialhilferecht meint die Subsidiarität, dass So- zialhilfe prinzipiell nur gewährt wird, soweit der Einzelne keinen Zugang zu einer anderweitigen, zumutbaren Hilfsquelle hat. Es ist damit Ausdruck der Pflicht zur Mitverantwortung und Solidarität gegenüber der Gemeinschaft, wie sie in Art. 6 BV verankert ist. Die Sozialhilfe richtet nur bei objektiv feststellbarer Bedürftig- keit Mittel aus, weshalb ein Anspruch auf Sozialhilfe mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz zu klären ist (vgl. dazu C LAUDIA H ÄNZI , Die Richtlinien der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Basel 2011, S. 114 f.; C HRISTOPH H ÄFELI , Prinzipien der Sozialhilfe, in: Ders. (Hrsg.), Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 73 ff.). Der Grundsatz der Subsidiarität gilt sowohl hinsichtlich der Nothilfe nach Art. 12 BV als auch im Rahmen der kantonal gere- gelten Sozialhilfe (§ 5 Abs. 1 SPG; vgl. etwa BGE 131 I 166, Erw. 4.1 mit Hinweisen; AGVE 2009, S. 223, Erw. 5.2). Die unter- stützte Person ist in Ausschöpfung des Subsidiaritätsprinzips ver- pflichtet, Leistungsansprüche Dritten gegenüber geltend zu machen. Auch Leistungen Dritter, auf welche kein durchsetzbarer Rechtsan- spruch besteht, die aber tatsächlich erbracht werden, gehen dem Leistungsanspruch gegenüber dem Staat vor (vgl. H ÄFELI , a.a.O., S. 73). Nach § 5 Abs. 1 SPG ist der Sozialhilfeanspruch auch sub- sidiär gegenüber andern Hilfeleistungen, worunter auch die Zuwen- dungen Dritter fallen (§ 4 Abs. 2 SPV; vgl. die gemäss § 10 Abs. 1 SPG i.V.m. § 10 Abs. 1 SPV für die Bemessung der materiellen Hilfe grundsätzlich verbindlichen SKOS-Richtlinien, 3. Auflage, Dezem- ber 2000, Kapitel A.4). Bei der Bemessung der Sozialhilfeleistungen ist von den faktischen Verhältnissen auszugehen und freiwillige Leistungen Dritter sind in dem Ausmass in die Berechnung einzube- ziehen, als sie tatsächlich ausgerichtet werden oder aufgrund von Zu- sicherungen ohne weiteres kurzfristig erhältlich sind (BGE 137 V 2015 Sozialhilfe 219 143, Erw. 3.7.1; Urteil des Bundesgerichts vom 15. Oktober 2013 [8C_42/2013], Erw. 3; VGE IV/75 vom 23. November 2006 [WBE.2006.295], Erw. 4.2; F ELIX W OLFFERS , Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Auflage, Bern 1999, S. 72 und 153). Bei Verletzung des Subsidiaritätsprinzips ist die Leistungsein- stellung zulässig, wenn infolge eines Mittelzuflusses die Bedürftig- keit nicht besteht oder nicht mehr erwiesen ist. In diesen Fällen fehlt es an den Anspruchsvoraussetzungen, weil die hilfesuchende Person in Kenntnis der Konsequenzen ihres Handelns auf zumutbare und konkrete Massnahmen zur Vermeidung oder Herabsetzung ihrer Not- lage (BGE 139 I 218, Erw. 3.3; AGVE 2009, S. 232, Erw. 1.1) oder auf tatsächlich erhältliche Einnahmen verzichtet. Dies gilt für alle Zuwendungen Dritter, die geeignet sind, die Bedürftigkeit effektiv zu mindern. Die Einstellung der materiellen Hilfe kann aber nur gestützt auf das Subsidiaritätsprinzip nicht als Sanktion verfügt werden (BGE 130 I 71, Erw. 4.3 mit Hinweisen). 2.3. 2.3.1. Eigene Mittel sind Zuwendungen aller Art an eine unterstützte Person (§ 11 Abs. 1 SPG). Die SPV umschreibt die Zuwendungen als freiwillige Leistungen Dritter, wie Naturalleistungen oder andere Leistungen mit wirtschaftlichem Wert, die ansonsten über den Grundbedarf zu decken sind (§ 11 Abs. 2 SPV). Auch Spenden oder Unterstützungsleistungen privater Hilfsorganisationen sind freiwil- lige Zuwendungen im Sinne dieser Bestimmung und gehen nach dem Grundsatz der Subsidiarität einem Anspruch auf materielle Hilfe vor (Handbuch Sozialhilfe des Kantonalen Sozialdienstes, 4. Auflage, 2003, Kapitel 5, S. 13). Erhält eine unterstützte Person freiwillige Zuwendungen von einer karitativen (Hilfs-) Organisation ist sie ver- pflichtet, diese Einnahmen zu melden (§ 2 Abs. 3 SPG und § 1 Abs. 1 und 2 SPV). 2.3.2. Die Sozialbehörde hat bei der Festlegung der materiellen Hilfe zu prüfen, ob und in welchem Umfang freiwillige Zuwendungen als eigene Mittel der unterstützten Person anzurechnen sind. Für die An- rechnung wegleitend ist § 11 Abs. 2 SPV. Nach dieser Bestimmung 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 220 sind Zuwendungen anrechenbar, die ansonsten über den Grundbedarf zu decken sind. Die Bestimmung konkretisiert das Subsidiaritätsprin- zip funktionell durch eine Anrechnung aller andern Leistungen, wel- che die finanzielle Bedürftigkeit einer hilfesuchenden Person mil- dern. Die Sozialhilfe ist aber nur insofern subsidiär, als die An- rechenbarkeit vorrangiger Eigenmittel deren Verfügbarkeit voraus- setzt. Sind anrechenbare Eigenmittel zeitlich nicht oder nicht mehr verfügbar, können sie die Bedürftigkeit nicht beheben und die Sozialhilfe geht vor (vgl. dazu VGE IV/28 vom 13. August 2004 [BE.2004.00153], Erw. II/2b/aa; G UIDO W IZENT , Die sozialhilfe- rechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 230 f.). Entsprechend ihrer systematischen Einordnung regelt § 11 Abs. 2 SPV die Anrechenbarkeit von freiwilligen Zuwendungen bei der Festlegung der materiellen Hilfe. Freiwillige Spenden sind anre- chenbar, wenn sie die Leistungspflicht der Gemeinde für den Grundbedarf I und II tatsächlich und rechtzeitig so reduzieren, dass insgesamt, d.h. die freiwilligen Zuwendungen zusammen mit den Leistungen der Sozialhilfe, den Grundbedarf I und II des sozialen Existenzminimums der hilfesuchenden Person abdecken. § 11 Abs. 2 SPV fokussiert auf die subsidiäre Leistungspflicht der Gemeinde und - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - nicht auf das Ausga- benverhalten der unterstützten Person. Die Anrechnung ist weder vom Gegenstand und vom Wert einer Leistung abhängig, noch ist massgebend, ob eine unterstützte Person eine Ausgabe tätigt, für wel- che ihr selbst nur die Mittel aus dem Grundbedarf I und II zur Verfü- gung stehen würden. Für das Ausgabeverhalten einer unterstützten Person gilt der Grundsatz der Eigenverantwortung. Die pauschalen Grundbeträge sind verfügbares Einkommen, das die unterstützte Per- son grundsätzlich und unter dem Vorbehalt, dass sie über die Fähig- keit zur selbstverantwortlichen Einteilung ihrer finanziellen Mittel verfügt, nach Gutdünken verwenden kann (§ 1 Abs. 2 SPG; vgl. AGVE 2009, S. 232; Handbuch Sozialhilfe, a.a.O., Kap. 5, S. 33). 2.3.3. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass für die Anrech- nung freiwilliger Zuwendungen gemäss § 11 Abs. 2 SPV mass- gebend ist, ob diese geeignet sind, die Leistungspflicht der Sozial- 2015 Sozialhilfe 221 hilfe effektiv herabzusetzen, weil die unterstützte Person sonst in den Genuss doppelter Leistungen kommt. Bei der Zuwendung von (Bar-) Geldleistungen, über welche die hilfesuchende Person frei verfügen kann und die im Zeitpunkt der Zuwendung auch tatsächlich frei ver- fügbar sind, ist diese Voraussetzung regelmässig erfüllt. Solche Zu- wendungen sind Einkünfte der hilfesuchenden Person, die ihren Unterstützungsbedarf effektiv reduzieren. Naturalleistungen oder andere Leistungen von wirtschaftlichem Wert sind unter der gleichen Voraussetzung anrechenbar. Andere Leistungen gemäss § 11 Abs. 2 SPV sind Sachleistungen, wie die Bezahlung von Dienstleistungen, Schulden und Sachgütern, soweit sie die Bedürftigkeit der hilfesuchenden oder unterstützten Person tatsächlich vermindern, d.h. das von der Sozialhilfe mit dem Grundbetrag zu deckende soziale Existenzminimum reduzieren. Zuwendungen von Dritten können im System der Sozialhilfe unter die medizinische Grundversorgung, die Wohnkosten, die situationsbedingten Leistungen (§ 10 Abs. 5 lit. a und b SPV), die Massnahmen der sozialen Prävention (SPV, 4. Abschnitt) und die immaterielle Hilfe (§ 7 SPV) fallen. Für solche Zuwendungen kommt § 11 Abs. 2 SPV nicht zur Anwendung. Die Anrechnung sol- cher Leistungen Dritter setzt voraus, dass die Sozialhilfe für solche Ausgaben tatsächlich aufkommt bzw. bei laufender Unterstützung aufgekommen ist. Ein unterlassenes Gesuch um Leistungen der Sozialhilfe für medizinische Massnahmen, situationsbedingte Leis- tungen oder weitere zusätzliche Unterstützungsleistungen vermag eine (nachträgliche) Reduktion oder Kürzung der materiellen Hilfe ebenfalls nicht zu begründen. Auf die Bedürftigkeit der hilfesu- chenden und unterstützten Personen haben Zuwendungen Dritter für solche Auslagen in der Regel keinen Einfluss. Die Verletzung der Melde- oder Mitwirkungspflicht hat auf die Qualifikation von Zuwendungen ebenfalls keinen Einfluss. § 11 Abs. 2 SPV ist - entgegen den Vorinstanzen - eine Anrechnungs- und keine Sanktionsnorm. 2.3.4. (...) 2.4. 2.4.1. (...) 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 222 2.4.2. Bargeld kann aufgrund seiner Beschaffenheit von der unter- stützten Person grundsätzlich nach Belieben verwendet werden. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 5 Abs. 1 SPG) haben die unterstützten und hilfesuchenden Personen kein Wahlrecht zwischen den verschiedenen Hilfsquellen (AGVE 2009, S. 232, Erw. 2.4.2 mit Hinweisen). Die unterstützten Personen dürfen daher über ihre zusätzlich zur materiellen Hilfe verfügbaren Barmit- tel nicht nach Belieben verfügen. Bei frei verfügbaren Barspenden Dritter besteht ein sozialhilferechtliches Gebot, sie zur Minderung der Bedürftigkeit und damit für Auslagen des Grundbedarfs zu ver- wenden. Spenden werden von Dritten in der Regel zweckgebunden zur Verfügung gestellt. Über diese Zuwendungen kann die unterstützte Person nicht nach Belieben verfügen, ohne den Willen des Spenders zu missachten. Das Sozialhilferecht verlangt die Missachtung des Spenderwillens nicht. Für zweckgebundene Zuwendungen, die von der unterstützten Person zweckkonform und nicht für Auslagen des Grundbedarfs verwendet werden, fehlt die Voraussetzung für eine Anrechnung gemäss § 11 Abs. 2 SPV. Dies ist nicht nur eine Folge des Subsidiaritätsprinzips, sondern ergibt sich auch aus dem Effek- tivitätsgrundsatz. Anrechenbar sind nur Eigenmittel, die tatsächlich den Grundbedarf herabsetzen. Eine Missachtung des Spenderwillens ist nicht zu vermuten. Eine Anrechnung ist daher nur unter der Voraussetzung zulässig, dass eine zweckwidrige Verwendung nach- gewiesen ist, wofür die Sozialbehörde die Beweislast trifft. Eine andere Frage ist, ob zweckgebundene Zuwendungen, die zusätzlich zur Sozialhilfe von Dritten geleistet werden, der unter- stützten Person eine (finanzielle) Lebenssituation verschaffen, die mit den Zielen und Grundsätzen der Sozialhilfe nicht vereinbar ist oder aus Billigkeitsgründen im Budget berücksichtigt werden muss (vgl. dazu hinten Erw. 2.6). Vorliegend haben die Beschwerdeführer unbestrittenermassen den Ferienbeitrag zweckbestimmt verwendet. Hinzu kommt, dass nach § 10 Abs. 5 lit. a SPV Ferienaufenthalte in der Regel ohnehin über Fonds oder Stiftungen zu finanzieren sind. Für den Barbetrag 2015 Sozialhilfe 223 von Fr. 600.00 wird nicht behauptet, er sei nicht für Winterkleider und -schuhe der Kinder verwendet worden. Auch den Akten lässt sich nichts anderes entnehmen. Eine Anrechnung dieser zweckkon- form verwendeten Barzuwendungen ist ausgeschlossen; diese Spen- den sind keine verfügbaren Zuwendungen gemäss § 11 Abs. 2 SPV. 2.4.3.-2.4.4. (...) 2.5. Das Subsidiaritätsprinzip verlangt die Berücksichtigung von Zuwendungen von privaten Hilfsorganisationen bei der Bemessung der materiellen Hilfe. Der Grundsatz hat aber weder zum Ziel noch den Zweck, die Hilfstätigkeit von Privaten oder von Hilfsorganisatio- nen zu behindern oder gar zu erschweren. Die Abschiebung hilfesu- chender Personen an private wohltätige Institutionen oder ein Zwang zur Inanspruchnahme freiwilliger Privathilfe ist unzulässig (SKOS- Richtlinien, Kap. G.3.1 mit Hinweis auf BGE 122 II 193). Den Sozialbehörden ist es auch verwehrt, mittels einer Anrechnungspra- xis die unterstützten Personen, die Unterstützungsleistungen von Dritten entgegennehmen, mit einer Leistungskürzung oder gar Ein- stellung der materiellen Hilfe zu "bestrafen". Sie können den priva- ten Hilfsorganisationen auch keine Vorschriften über den Umfang ihrer Hilfeleistung und deren Zweckbestimmung machen. Die aner- kannten karitativen Hilfsorganisationen leisten ihre Hilfe an Bedürf- tige nach Massgabe ihrer Statuten und internen Regelungen. Ein Ge- neralverdacht, dass sie mit ihren Leistungen unbillige "Komfortposi- tionen" der unterstützten Personen finanzieren, ist deplatziert. Sozial- hilfe erschöpft sich nicht in der Gewährleistung des sozialen Grundbedarfs. Zur Zielsetzung der Sozialhilfe gehört neben der Existenzsicherung die Förderung der wirtschaftlichen und persön- lichen Selbständigkeit der unterstützten Personen (SKOS-Richt- linien, Kap. A.1). In den Bereichen Schuldensanierung, berufliche und soziale Integration, Ausbildung und immaterielle Hilfe können private Hilfsorganisationen zweckmässige Hilfestellungen leisten, die im Interesse der Sozialhilfe sind und einen wertvollen Beitrag zur Armutsbekämpfung darstellen. Die staatliche Sozialhilfe und die privaten Hilfsorganisationen leisten nach der Verfassung (Art. 41 Abs. 1 BV; § 39 Abs. 1 KV) 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 224 gemeinsame Hilfestellungen zur Erreichung der Sozialziele. Sinnvoll ist eine zielorientierte Ergänzung der öffentlichen Sozialhilfe durch die private Initiative (vgl. P ASCAL E NGLER , Die private Sozialhilfe spielt bei der Armutsbekämpfung eine wichtige Rolle, in: Zeitschrift für Sozialhilfe [ZESO] 03/13, S. 18 und 19). Die gleichzeitige Hilfe durch Private und die Sozialhilfe erfordert eine Koordination der pri- vaten und öffentlichen Hilfssysteme und damit eine Zusammenarbeit zwischen der Sozialbehörde und den Hilfsorganisationen. Es ist daher bedauerlich, dass im vorliegenden Fall das Hilfswerk sein Hilfsgesuch an andere Institutionen vom Dezember 2012 der Sozial- behörde C. nicht zur Kenntnis brachte und die Sozialbehörde C. eine Zusammenarbeit mit der Stiftung ablehnte. 2.6. 2.6.1. Die Sozialbehörde C. und die Vorinstanz begründen ihre Ent- scheidungen zudem mit der unbilligen oder unrechtmässigen Komfortsituation der Beschwerdeführer als Folge der Hilfsleistungen der Stiftung D.. Die Definition und Konkretisierung einer sozialhilferechtlich nicht schützenswerten Komfortposition nach einem allgemeinen Massstab oder mittels genereller Kriterien ist nicht möglich. Die Lebenssituationen von hilfesuchenden Personen sind individuell und ihre jeweiligen Notlagen verschieden. Eine objektivierte Abgrenzung einer (luxuriösen) Lebenshaltung, die mit der Zielsetzung der Sozial- hilfe unvereinbar ist, lässt sich dem SPG nicht entnehmen. Massge- bend für die Beurteilung sind die konkreten Umstände des jeweiligen Unterstützungsfalles (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juni 2006 [2P.16/2006], Erw. 5.2; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Mai 2005 [VB.2005.00067], Erw. 3). Eine Grenze für die Ausrichtung freiwilliger, nicht anrechenbarer Zuwen- dungen Dritter an Sozialhilfeempfänger bildet das Rechtsmiss- brauchsverbot. Freiwillige Zuwendungen Dritter können im Ergebnis auch dazu führen, dass sich die unterstützte Person eine (luxuriöse) Lebenshaltung leisten kann, die den Sozialhilfebezug als un- rechtmässig und unbillig erscheinen lässt.
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2004 Verwaltungsrechtspflege 273 [...] 70 Beschwerdelegitimation (§ 38 Abs. 1 VRPG). - Die Beschwerdelegitimation setzt auch bei Beschwerden nach § 53 VRPG wegen Rechtsverzögerung ein schutzwürdiges eigenes Interesse voraus. - Kein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung einer abgeschlosse- nen Verfahrensverzögerung, die keine materiellen Konsequenzen in der Sache zur Folge hat. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 31. März 2004 in Sa- chen U.G.. gegen Finanzdepartement. Aus den Erwägungen (In einem Verfahren betreffend Steuererlass gelangte die Ge- suchstellerin mit Beschwerde gemäss § 53 VRPG ans Verwaltungs- gericht.) 5. a) Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich - ohne allerdings zwischen dem Verfahren vor dem Gemeinderat D. und dem vorin- stanzlichen Verfahren genau zu differenzieren - sinngemäss, die Vorinstanz habe sich im Sinne einer überlangen Verfahrensdauer der Rechtsverzögerung schuldig gemacht, weil sie über vier Jahre bis zum Entscheid über das Erlassgesuch habe verstreichen lassen. Da- mit sei ihr ein Nachteil entstanden, indem ihre Überschuldung um Fr. 20'000.-- zugenommen habe. b) Zur Beschwerdeführung ist legitimiert, wer ein schutzwürdi- ges eigenes Interesse geltend macht (§ 38 Abs. 1 VRPG). Dieses besteht im praktischen Nutzen, den die erfolgreiche Beschwerde dem Beschwerdeführer bringen würde, und setzt somit voraus, dass die tatsächliche oder rechtliche Stellung des Beschwerdeführers durch 2004 Verwaltungsgericht 274 den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann. Das Interesse muss deshalb auch aktuell sein, d.h. der Nachteil, den der Beschwer- deführer durch die angefochtene Verfügung erleidet, muss durch den Rechtsmittelentscheid beseitigt werden können (AGVE 2001, S. 379 f.; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfah- ren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 38 N 129 f., N 139 mit Hinweisen). Zur Legitimation für die Beschwerde gestützt auf § 53 VRPG hat das Verwaltungsgericht in Bezug auf die formelle Rechtsverwei- gerung ausgeführt, mit der Beteiligung des Beschwerdeführers am beanstandeten Verfahren sei das schutzwürdige eigene Interesse im Sinne von § 38 Abs. 1 VRPG praktisch nachgewiesen (AGVE 1971, S. 341). In diesem Entscheid ging es um die grundsätzliche Frage, ob § 53 VRPG neben der Rüge der formellen Rechtsverweigerung auch die allgemeine Willkürbeschwerde ("materielle Rechtsverweige- rung") erfasse; eine eingehende Prüfung der Legitimation der dama- ligen Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt des schutzwürdi- gen Interesses unterblieb. In letzterer Hinsicht erweist sich dieses Präjudiz denn auch als überholt. Es besteht kein sachlicher Grund, bei Rechtsverweigerungs- und Rechtsverzögerungsbeschwerden nicht auf die allgemeinen Voraussetzungen für die Beschwerdelegi- timation abzustellen (vgl. Merker, a.a.O., § 53 N 18). c) Ein schutzwürdiges Interesse der Beschwerdeführerin an der blossen Feststellung einer inzwischen beendeten Rechtsverzögerung, ohne Sanktionsmöglichkeit, besteht nicht (vgl. VGE II/102 vom 23. Dezember 1997 [BE.97.00291] in Sachen J.B., S. 12). Letztlich könnte es sich dabei nur um einen Feststellungsentscheid über eine Vorfrage im Rahmen einer allenfalls im Zivilprozessverfahren mit Klage gegen den Staat geltend zu machenden Schadenersatzforde- rung (§ 9 Abs. 1 und § 2 VG) oder eine Aufsichtsbeschwerde (§ 59a VRPG) handeln. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz besteht zur Beurteilung solcher Vorfragen, auch bei prinzipiell gegebener Zuständigkeit, nach konstanter Praxis nicht (VGE II/76 vom 19. November 2003 [BE.2003.00282] in Sachen R.B., S. 5; Merker, 2004 Verwaltungsrechtspflege 275 a.a.O., § 38 N 130 mit Hinweisen). Mangels Legitimation ist somit auf die Rüge der Rechtsverzögerung nicht einzutreten.
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2013 Verwaltungsrechtspflege 355 [...] 59 Rechtsverzögerung - Die vorgängige Abmahnung durch den Beschwerdeführer ist keine Eintretensvoraussetzung der Rechtsverzögerungsbeschwerde. - Die unterbliebene Anzeige von Verfahrensfehlern im Verwaltungs- verfahren ist unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. Oktober 2013 in Sa- chen A. und B. gegen C. AG, Gemeinderat D. und BVU (WBE.2013.270). Aus den Erwägungen 2.3. Die Vorinstanz beantragt unter Hinweis auf AGVE 2008, S. 478 die Abweisung der Beschwerde. Nach dieser Rechtsprechung könne eine Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerde nur gutgeheissen werden, wenn die Betroffenen ihre Pflicht zur (Ab-) Mahnung bzw. Androhung einer Rechtsverzögerungsbeschwerde vor Ergreifung des diesbezüglichen Rechtsmittels erfüllt haben. Eine sol- che Rügepflicht ergebe sich aus dem Grundsatz von Treu und Glau- ben. In der Beschwerdeantwort wird sodann das schwierige Verfah- ren mit dem umfangreichen Prozessstoff zur Begründung angeführt. Weiter wird geltend gemacht, der Verfahrensleiter habe die Ent- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 356 scheidausarbeitung mehrmals wegen anderen dringenden Geschäften unterbrechen müssen. Die Unterbrechung sei aus sachlichen Gründen wegen der Beschäftigung mit priorisierten Grossprojekten erklärbar. 2.4. Die Verfahrensdauer bis und mit Frühjahr 2012 wird von den Beschwerdeführern nur allgemein kritisiert, jedoch nicht substantiiert gerügt. Die Rüge wäre auch unbegründet. Die Beschwerdeführer wurden im Rahmen einer Sanierungsverfügung der Gemeinde D. in das Beschwerdeverfahren vor dem BVU beigeladen. Im Verlaufe des Rechtsmittelverfahrens wurde die alte Gebindereinigungsanlage im Betrieb der C. AG definitiv ausser Betrieb genommen und eine neue Anlage installiert. Dies geschah im Rahmen einer Sanierung nach Art. 16 Abs. 1 USG. Es liegt in der Natur einer umweltschutzrecht- lichen Sanierung, dass sie zu zeitaufwändigen Verwaltungs- und Verwaltungsprozessverfahren führen kann. Die Abklärungen der Ge- ruchsimmissionen bzw. Emissionen nach der Luftreinhalteverord- nung erforderten auch vorliegend umfangreiche technische Abklä- rungen und Berichte, Gutachten und Überprüfungen durch die kanto- nale Fachstelle. Hinzu kommt hier, dass das Beschwerdeverfahren ab 2009 zur Durchführung von Messungen an der erneuerten Anlage im Einverständnis der Beschwerdeführer sistiert war. Zudem haben die Beschwerdeführer durch zahlreiche Anträge zum erheblichen Verfah- rensaufwand beigetragen und den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass sie bei der Vorinstanz die Verfahrensdauer je beanstandet hätten. 2.5. Substantiiert machen die Beschwerdeführer eine Rechtsverzö- gerung ab April 2012 geltend, als der Sachbearbeiter den Parteien den Hauptentscheid in der Sache in Aussicht stellte. Nach Abschluss der Instruktion und Ablehnung des Vergleichs- vorschlags vom 29. November 2011 war das Verfahren vor der Vor- instanz spruchreif. Die verbliebene streitgegenständliche Entschei- dung (Erstellen eines Kamins) war nicht von besonderer Schwierig- keit. Mit dem Schreiben vom 11. April 2012 kündigte die Vorinstanz deshalb auch einen "raschen" Entscheid an. Festzuhalten ist, dass seit dieser Mitteilung im Verfahren über ein Jahr lang keine Aktivitäten feststellbar sind. 2013 Verwaltungsrechtspflege 357 Angesichts der Art des Verfahrens, der betroffenen Rechtsgüter sowie dem Umfang und der Komplexität der Sachverhalts- und Rechtsfragen liegt die Dauer dieses Verfahrensabschnitts über der Grenze des Angemessenen und verletzt das Beschleunigungsgebot. Daran ändert die Überlastung der Sachbearbeiter nichts, da auch eine chronische Überlastung der Verwaltungs- und Gerichtsbehörden kei- ne übermässig lange Verfahrensdauer rechtfertigen kann (BGE 107 Ib 160, Erw. 3c). Die Reaktion der Vorinstanz mit der raschen Zu- stellung des Entscheids nach Eingang der Rechtsverzögerungsbe- schwerde zeigt, dass einem sofortigen Entscheid nichts entgegen- stand. Das BVU hat sich im Schreiben vom 17. Mai 2013 für die "ungewöhnlich lange Dauer seit der letzten Instruktionsanordnung bis zum Entscheid" zu Recht entschuldigt. Die Rüge ist auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Immissionsverfahren mit der Sanierung der Gebindereinigungsanlage für die Beschwerdefüh- rer objektiv an Bedeutung einbüsste, begründet. 2.6. Der Beschleunigungsgrundsatz richtet sich in erster Linie an die Gerichte und Behörden. Sie haben für ein zielgerichtetes Verfahren unaufgefordert zu sorgen. Das Verhalten eines Beschwerdeführers kann jedoch bei der Beurteilung, ob eine Rechtsverzögerung vorliegt oder nicht, gewürdigt werden. Es gehört nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu den Pflichten eines Privaten, im Rahmen der prozessualen Sorgfaltspflicht festgestellte Verfahrensmängel anzuzei- gen (BGE 125 V 373, Erw. 2b mit Hinweisen; Urteil des Bundesge- richts vom 11. Juli 2012 [9C_502/2012]). Eine Abmahnungspflicht trifft den Beschwerdeführer grundsätzlich jedoch nicht. Sie ist auch nicht Voraussetzung für eine Rechtsverzögerungsbeschwerde, da ge- gen die Verzögerung eines Entscheides ohne Vorliegen besonderer Eintretensvoraussetzungen die Beschwerde möglich ist. Das schliesst indessen nicht aus, dass das Verhalten des Beschwerdeführers bei der materiellen Beurteilung gewürdigt wird. Vorliegend stellt sich die Frage, ob die Beschwerdeführer, nachdem ihnen die Vorinstanz im Schreiben vom 11. April 2012 einen "raschen" Entscheid im Rahmen der Möglichkeiten zugesichert hatte, einer Abmahnungspflicht unter- standen, wie dies von der Beschwerdegegnerin gefordert wird. Diese 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 358 Konstellation ist zu unterscheiden von jenen Fällen, wo es nach mehrmonatiger Untätigkeit der Beschwerdeführer zu einer Rechts- verweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerde kommt (vgl. dazu M ICHAEL M ERKER , Rechtsmittel, Klage und Normenkontroll- verfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechts- pflege, Kommentar zu den §§ 38-72 [a]VRPG, Zürich 1998, § 53 N 44). Angesichts der Zusage der Vorinstanz vom 11. April 2012 kann ihre anschliessende Untätigkeit nicht durch die fehlende Ab- mahnung der Beschwerdeführer gleichsam kompensiert werden. Die Verwaltung, welche einen raschen Entscheid verspricht, ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV; § 4 VRPG) gehalten, eine gegenüber ihrer Zusage verzögerte Zustellung des Entscheids den Parteien anzuzeigen. Im vorliegenden Kontext wäre daher die Rechtsverzögerungsbeschwerde hinsichtlich des Verfahrensab- schnitts seit April 2012 gutzuheissen gewesen.
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2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 221 [...] 40 Kündigung aus organisatorischen Gründen (§ 11 Abs. 1 lit. a GAL) - Eine Kündigung unter Berufung auf organisatorische Gründe ist ins- besondere zulässig, wenn an einer Schule aus Spargründen bzw. we- gen rückläufiger Schülerzahlen Lehrerpensen abgebaut und Stellen gestrichen werden müssen. Ein sachliches und diskriminierungs- freies Trennungskriterium bildet dabei der Umstand, dass die Klasse der von der Stellenstreichung betroffenen Lehrperson aufgelöst wird, sofern es sich nicht rechtfertigt, dieser Lehrperson das Pensum einer anderen Lehrperson zu übergeben. - Die bevorstehende Pensionierung darf grundsätzlich als sachliches Trennungskriterium gewertet werden, wenn die sozialen und finan- ziellen Folgen der Entlassung weniger einschneidend sind als bei jüngeren Lehrpersonen. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 5. Juli 2017, i.S. A. gegen Einwohnergemeinde B. (WKL.2016.16) Aus den Erwägungen II. 6.4.1. (...) In Bezug auf Lehrpersonen erweist sich eine Kündigung aus or- ganisatorischen Gründen insbesondere dann als gerechtfertigt, wenn infolge rückläufiger Schülerzahlen Lehrerpensen reduziert bzw. ge- 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 222 strichen werden müssen und sich keine andere Beschäftigungsmög- lichkeit für die betroffene Lehrperson finden lässt (AGVE 2008, S. 459 f.; PRGE vom 7. Dezember 2010 [2-KL.2010.1], Erw. II/5.2.4). Für den Entscheid, welchen oder welchem Mitarbei- tenden das Arbeitsverhältnis im Falle eines Stellenabbaus gekündigt werden muss, ist primär auf Inhalt und Auswirkungen der zugrunde liegenden Massnahmen abzustellen: Werden Stellen aufgehoben, so sind die entsprechenden Anstellungen aufzulösen. Allerdings können Reorganisationen oder Redimensionierungen in vielen Fällen so ge- plant werden, dass zum Vornherein bestimmte Personen sicher, ande- re hingegen nicht betroffen sind. Die Anstellungsbehörde hat diese Selektion nach sachlichen und diskriminierungsfreien Kriterien vor- zunehmen. Bei diesem Entscheid dürfen betrieblich bedeutsame Um- stände wie Leistung und Verhalten sowie Eignung der Mitarbeiten- den für zukünftige Aufgaben beigezogen werden. Zulässig dürfte es auch sein, gewisse soziale Kriterien zu berücksichtigen, z.B. Lebens- und Dienstalter bzw. Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder Familien- pflichten (U RS S TEIMEN , Kündigungen aus wirtschaftlichen oder be- trieblichen Gründen bzw. wegen Stellenaufhebung durch öffentliche Arbeitgeber, in: ZBl 2004, S. 657 f.). Das Vorliegen eines sachlichen Kündigungsgrundes ist grund- sätzlich von der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber darzutun und zu beweisen (PRGE vom 23. November 2012 [2-KL.2012.1], Erw. II/3.2.5; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. März 2009 [PB.2008.00041], Erw. 3.2). Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Beklagte eine durch Sparzwang be- dingte Änderung im Stellenetat der Sonderschule B. nachweisen muss, die zur Notwendigkeit einer Entlassung bzw. von Entlassungen geführt hat. In einem zweiten Schritt muss die Beklagte aufzeigen und belegen, dass sie sachliche, diskriminierungsfreie und situations- gerechte Trennungskriterien angewandt hat, aufgrund derer eine Auf- lösung des Anstellungsverhältnisses mit der Klägerin gegenüber der Auflösung des Anstellungsverhältnisses mit (einer) anderen Lehrper- son(en) zu favorisieren ist. 2017 Personalrecht 223 6.4.2. Beim Gespräch vom 7. April 2016 mit der Klägerin erklärte der Schulleiter, der auf der HPS B. lastende Spardruck von Seiten des Kantons sei hoch. Das BKS verlange einen Stellenabbau, nicht bloss Einsparungen beim Material. Die HPS B. führe mit 59 Kindern neun Klassen; im Vergleich dazu die HPS C. mit 61 Kindern deren acht. Die HPS B. müsse wegen rückläufiger Schülerzahlen mindestens Fr. 250'000.00 pro Jahr sparen. Der Spareffekt bei der Zusammenle- gung des Kindergartens mit der Unterstufenklasse zu einer Basisstufe sei mit ca. sieben Wochenlektionen weniger hoch als bei der Aufhe- bung einer Mittelstufenklasse mit 25 Wochenlektionen. Zudem könn- te die Schliessung des Kindergartens bewirken, dass man in drei Jah- ren gar keine Schüler mehr habe, weil quasi das Fundament wegbre- che. Die Aufhebung einer Mittelstufenklasse sei für die Schule besser verkraftbar. Beim Gespräch vom 20. Mai 2016 mit dem Schulleiter und der Klägerin doppelte der Schulpflegepräsident nach, es müssten zwei volle Pensen abgebaut werden, um den erwünschten Spareffekt zu erzielen. Gegenüber der Schlichtungskommission gaben die Ver- treter der Beklagten an, dass (auf das Schuljahr 2016/17) 130 Stel- lenprozente abgebaut worden seien. Dieser Stellenabbau betraf zum einen die ersatzlos gestrichene Stelle der Klägerin. Seit Beginn des Schuljahres 2016/17 führt die HPS B. anstelle der bisherigen drei nur noch zwei Mittelstufenklassen. Zum anderen wurden in der Unterstu- fe 30 Stellenprozente eingespart, indem ein Teil des Unterrichts des Kindergartens und der Basisstufe zusammengelegt wurde. Der Schulpflegepräsident ergänzte an der Verhandlung vor Verwaltungs- gericht, dass der Spardruck, der auf den Heilpädagogischen Schulen laste, noch höher sei als bei der Volksschule, was damit zu tun habe, dass diese Schulen Eigenwirtschaftsbetriebe seien. Insofern ist von einer echten Reorganisation mit Stellenabbau (im Umfang von 130 Stellenprozenten) auszugehen, zumal die Klä- gerin der Argumentation der Beklagten in diesem Punkt nichts Sub- stanzielles entgegenzusetzen vermag. Obendrein steht fest, dass ein Stellenabbau nur über die Kündigung eines unbefristeten Anstel- lungsverhältnisses bewerkstelligt werden konnte. 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 224 6.4.3. An der Verhandlung vor Verwaltungsgericht hat der Schulleiter der Heilpädagogischen Schule einlässlich dargelegt, welche Gründe gegen eine Weiterbeschäftigung der Klägerin sprachen. Tatsächlich war es ihre Klasse, die wegen einer zu geringen Schülerzahl aufge- löst werden musste. Es sei nicht in Frage gekommen, einer der Lehr- personen der verbleibenden zwei Mittelstufenklassen zu kündigen und deren Pensum der Klägerin zu geben. Der Bezug zwischen den Lehrpersonen einerseits und den Schülern und deren Eltern anderer- seits - so der Schulleiter - sei zu eng, um Lehrpersonen ohne Quali- tätseinbusse kurzerhand gegeneinander austauschen zu können. Fer- ner hatte die Klägerin zehn Jahre lang nur Klassen mit sog. "prak- tisch-bildungsfähigen" Schülern unterrichtet, wogegen die beiden verbleibenden Mittelstufenklassen sich mehrheitlich aus sog. "schul- bildungsfähigen" Schülern zusammensetzten. Auch wenn die Kläge- rin über die notwendigen Qualifikationen und Weiterbildungen für die Schulung gemischter Klassen verfüge, sei vor diesem Hinter- grund fraglich, ob sie für diese Arbeit mindestens gleich gut geeignet gewesen wäre wie die anderen beiden Lehrpersonen. Diese Argumentation erscheint überzeugend. Anders als an einer normalen Schule erscheint es nachvollziehbar, dass auf das enge persönliche Verhältnis zwischen Lehrpersonen einerseits sowie Schülerinnen/Schülern und Eltern anderseits besonders Rücksicht genommen wird. Dies gilt umso mehr, als für die Klägerin infolge Pensionierung ohnehin schon nach maximal 11⁄2 Jahren wieder ein Ersatz hätte gesucht werden müssen. Aufgrund der Klageantwort ergab sich der Eindruck, dass sich die Vertreter der Beklagten vor allem von der Überlegung leiten lies- sen, dass die Klägerin ohnehin bald (im Laufe des Schuljahrs 2016/17) in Rente gehen würde. Anders als die Schlichtungskommis- sion annimmt, handelt es sich bei einer kurz bevorstehenden Pensio- nierung nicht per se um ein untaugliches oder unstatthaftes Tren- nungskriterium. Es spricht nichts dagegen, bei vergleichbaren Quali- fikationen und Leistungsausweisen zu berücksichtigen, dass die wirt- schaftlichen und sozialen Folgen einer Kündigung für Arbeitnehmen- de, deren Pensionierung unmittelbar bevorsteht, allenfalls weniger 2017 Personalrecht 225 gravierend sind als für jüngere Arbeitnehmende. Allerdings muss im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung, unter Einbezug der sozialen Situation der übrigen Lehrpersonen (Lebensalter, Dienstal- ter, familiäre Verpflichtungen), u.a. dem Umstand Rechnung getra- gen werden, dass jemand, der kurz vor der Pensionierung steht, kaum noch eine andere Stelle finden kann (bestenfalls eine befristete). Im Weiteren hat sich aus der Parteibefragung durch das Verwal- tungsgericht ergeben, dass sich die Beklagte darum bemüht hat, der Klägerin eine andere, ihren Fähigkeiten, Erfahrungen und Eignungen entsprechende Stelle anzubieten. Tatsächlich waren jedoch nur zwei Stellen offen: Einerseits die "Springerinnen-Stelle" an der Primar- schule D., die der Klägerin wegen eines zu geringen Beschäftigungs- grades nicht zumutbar war, andererseits eine "Springerinnen-Stelle" für verschiedene Schulhäuser. Es kann offen bleiben, ob diese zweit- genannte Stelle der Klägerin tatsächlich angeboten wurde, da sie für die Klägerin ohnehin nicht in Betracht kam. Die 40 %-Stelle an der HPS B., welche der Klägerin nach eigenen Angaben zugesagt hätte, musste wegen eines krankheitsbedingten Ausfalls einer anderen Lehrperson schon im Mai 2016 neu besetzt werden, als die Klägerin noch nicht hätte einspringen können. Diese Stellenbesetzung war mit der Zusage der Weiterbeschäftigung ab Beginn des Schuljahres 2016/17 verbunden, falls die erkrankte Lehrperson definitiv ausfällt. 6.4.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beklagten der Be- weis gelungen ist, dass in Bezug auf die Klägerin ein sachlich zu- reichender Kündigungsgrund vorlag. Die Beklagte sah sich aus Spar- gründen gezwungen, an der Sonderschule B. eine Klasse aufzulösen und die von dieser Massnahme betroffene Lehrerstelle abzubauen. Dass die Wahl, von welcher Lehrperson man sich trennen wollte, auf die Klägerin respektive vielmehr auf die Lehrperson fiel, deren Klas- se aufgelöst wurde, beruht nach dem oben Gesagten auf sachlichen, diskriminierungsfreien und situationsgerechten Kriterien und ist insofern nicht zu beanstanden. Die einzigen Ersatzstellen, welche die Beklagte der Klägerin neben der Stellvertretung im November 2016 im Zeitraum ab 1. August 2016 anbieten konnte, stiessen bei der Klä- gerin auf Ablehnung. Die Kündigung des Anstellungsverhältnisses 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 226 mit der Klägerin war somit nicht nur in formeller, sondern auch in materieller Hinsicht rechtmässig. Damit ist das Feststellungsbegeh- ren der Klägerin abzuweisen und sie hat keinen Anspruch auf eine Entschädigung wegen widerrechtlicher Kündigung gemäss § 13 Abs. 1 GAL.
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2006 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 183 [...] 36 Ortsbildschutz. - Dem Gemeinderat zustehender Ermessensspielraum bei der Anwen- dung von Ästhetiknormen; Grenzen dieser Autonomie (Erw. 2.2). - Vereinbarkeit der Anordnung, in einer Altstadtzone Fenster mit äus- serer Sprossierung statt mit einer sog. "Sandwich"-Sprossierung ein- zubauen, mit dem dort geltenden Erhaltungsgebot (Erw. 2.3). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. Oktober 2005 in Sachen W. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. 1.1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet aus- schliesslich noch die Sprossierung der von der Beschwerdeführerin in den Jahren 2002 und 2003 an den vier Fassaden des Gebäudes Nr. 28 ausgewechselten Fenster; davon ausgenommen sind die Fenster 2006 Verwaltungsgericht 184 im Erdgeschoss der Ostfassade - sie wurden bereits 1973 ersetzt - und verschiedene Einzelfenster an der Nordfassade (Estrich- und Ba- dezimmerfenster). Früher wiesen die Fenster Holzsprossen auf; sie wurden durch Holz/Metall-Fenster mit einer Sprossierung im Schei- benzwischenraum der Isolierverglasung ("Sandwich"-Sprossen) er- setzt. Der Stadtrat hält diese Art der Sprossierung für unzulässig. Es seien in der Altstadt Holzfenster mit einer äusseren Sprossierung einzubauen. Die Fenster seien ein bei der Fassadengestaltung wichti- ges Element; ihre Grösse, Form, Anordnung und Ausgestaltung (Unterteilung, Profilierung usw.) prägten den Charakter des Gebäu- des. Holz/Metall-Fenster seien zwar auch bei Altstadtliegenschaften nicht grundsätzlich ausgeschlossen, wenn deren Farbgebung und Ge- staltung sehr sorgfältig und mit einer ähnlich feinen Detaillierung wie bei Holzfenstern erfolge. Im konkreten Fall der Beschwerdefüh- rerin sei die Ausführung der Fenster in Holz/Metall aufgrund der vorgesehenen Detaillierung möglich. Die im Zwischenglasraum an- gebrachte Sprossierung genüge jedoch den gestalterischen Anforde- rungen von § 18 Abs. 3 der Bau- und Nutzungsordnung der Stadt Baden vom 23. Oktober 2001 / 2. April 2003 (BNO) nicht. Es sei deshalb bei sämtlichen Fenstern eine zusätzliche Sprossierung an der Glasaussenfläche anzubringen, welche fest an der Glasfläche anliege. 1.2. Das Baudepartement wies die gegen diese Anordnung er- hobene Beschwerde ab. Es hielt sich im Wesentlichen an einen von der Kantonalen Denkmalpflege eingeholten Amtsbericht vom 20. Oktober 2003 und erwog u.a. Folgendes: Die Fenster stellten ge- nerell einen wesentlichen Teil des architektonischen Konzepts einer Fassade dar und prägten das Gesamtbild eines Hauses in starkem Masse. Bei einem wertvollen historischen Gebäude wie der "Mittle- ren Mühle" treffe dies umso mehr zu. Nachvollziehbar sei auch, dass schon das Entfernen von Läden oder Fenstersprossen zu einer erheb- lichen, bei solchen Bauten unerwünschten Veränderung des Fassa- denbildes führen könne. Die Fachperson beurteile das Weglassen der Sprossung bzw. den Verzicht auf die ursprüngliche Sprossierung als Beeinträchtigung, ja sogar als klare Abwertung der Gesamterschei- nung des Gebäudes. Die in Frage stehende Anordnung des Stadtrats erweise sich deshalb als zwingend. Sie sei durch die gesetzlichen Be- 2006 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 185 stimmungen, insbesondere durch § 36 BNO, hinreichend abgedeckt und auch verhältnismässig. Angesichts des Umstands, dass ein Teil der Fenster bereits eingebaut und der Rest geliefert sei, lasse der Stadtrat das nachträgliche Aufkleben der Sprossierung an der Glas- aussenseite genügen, obwohl nach Meinung der Fachperson eine bauliche Massnahme, die in den Produktionsprozess der Fenster ein- gebunden sei, langfristig besser und stabiler wäre. Die Kosten der Nachbesserung seien so oder so nicht unbeachtlich, der Beschwerde- führerin aber zumutbar; die Bedeutung der Fenstergestaltung gerade für eine so wertvolle und gut erhaltene Liegenschaft rechtfertige die- sen finanziellen Aufwand. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass die fragliche Anord- nung auf einer Rechtsgrundlage beruht. Die Fenster, die als solche bewilligt und bereits eingebaut seien, wiesen eine Sprossierung im "Sandwich"-System auf. Zum Schein sollten nun diese Sprossen mit einer zusätzlichen, auf die Glasaussenseite geklebten Sprosse verse- hen werden. Diese zusätzlichen Sprossen hätten faktisch keine Funktion mehr. Eine denkmalpflegerische Massnahme verlange nun aber eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den historischen Zusammenhängen. Unberücksichtigt geblieben sei auch der techni- sche Fortschritt. Heute würden Fenster anders hergestellt als vor 100 Jahren. Mit "Sandwich"-Sprossen werde praktisch der gleiche Effekt erzielt wie mit Sprossen früherer Konstruktionsweise. Fenster mit "Sandwich"-Sprossen liessen sich auch bedeutend leichter reinigen als solche mit normalen Sprossen; dies sei unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit wesentlich. Signifikanterweise werde der gleiche Fenstertyp auch von der Stadt Baden im Schulhaus "Ländli" verwendet, einer Liegenschaft, die sogar unter Denkmalschutz stehe. Die Stadt verlange von der Beschwerdeführerin überhaupt mehr, als wenn es um ihre eigenen Bauten gehe; vielfach wiesen diese gar keine Sprossierung oder sonst eine Befensterung auf, die mit denk- malschützerischen Grundsätzen nichts gemein habe. Inkonsequenzen seien auch in Bezug auf die Liegenschaften Weite Gasse 37 neben dem Stadtturm und die "Résidence am Wasser" gegenüber dem "Limmathof" ("Goldener Schlüssel") festzustellen. 2006 Verwaltungsgericht 186 2. 2.1. Die Parzelle Nr. 539 mit dem Gebäude Nr. 28 liegt ge- mäss dem Nutzungsplan der Stadt Baden (mit den gleichen Be- schluss- und Genehmigungsdaten wie die BNO) in der Altstadtzone Aa. Dort gelten u.a. die folgenden Nutzungsbestimmungen (§ 18 BNO): " 1 Die Altstadt ist in ihrem Gesamtbild und ihrer Struktur zu er- halten. Bauten, Freiräume und stadtbildprägende Elemente mit kulturgeschichtlicher, architektonischer oder städtebaulicher Bedeutung sind in ihrem Bestand zu sichern. Bauten dürfen grundsätzlich nicht abgebrochen werden und sind sachgemäss zu unterhalten. Es gelten § 36 Abs. 1 und 3 und § 39 Abs. 1 und 2 BNO. 2 (...) 3 Bauliche Massnahmen sind zulässig, wenn sie den Charakter des historisch gewachsenen Stadtbildes wahren, die schützens- werte innere Struktur erhalten und die kleinräumige Nutzungs- aufteilung beibehalten. Sie müssen sich in ihren Ausmassen, der Gestaltung, den Materialien und der Farbgebung gut in die be- stehende Bebauung einfügen. (...)" Der Stadtrat stützt die in Frage stehende Anordnung auf § 18 Abs. 1 und 3 BNO ab. Es ist allseits unbestritten, dass dies die vor- liegendenfalls massgebliche Rechtsgrundlage ist. Ergänzend verwies der Vertreter des Stadtrats anlässlich der verwaltungsgerichtlichen Augenscheinsverhandlung auf § 40 BNO. Dazu ist freilich zu be- merken, dass § 18 BNO die ästhetischen Anforderungen an Bauten in der Altstadtzone Aa offensichtlich abschliessend regelt; § 40 BNO enthält gemäss seinem Titel lediglich allgemeingültige Planungs- grundsätze, welche im Einzelfall vor den spezifischen Zonenvor- schriften zurückzutreten haben (siehe AGVE 1997, S. 339; 1993, S. 380 f.). Ebenso wenig ist die vom Baudepartement zitierte Verwei- sung auf § 36 BNO in § 18 Abs. 1 Satz 2 BNO einschlägig, bezieht sich doch die erwähnte Bestimmung ausschliesslich auf die im Nut- zungsplan bezeichneten Kulturobjekte (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BNO); die Liegenschaft der Beschwerdeführerin stellt kein derartiges Objekt dar (Anhang III BNO, Abschnitt H). 2006 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 187 2.2. Dem Gemeinderat steht bei der Handhabung von Ästhetik- vorschriften - und Vorschriften über die Fenstergestaltung fallen kla- rerweise in diese Kategorie - ein erheblicher Ermessensspielraum zu; die Gemeinde darf - auch dem Verwaltungsgericht gegenüber - den verfassungsrechtlichen Schutz beanspruchen, der ihr gestützt auf die Gemeindeautonomie zusteht (§ 106 Abs. 1 KV). Diesem Gesichts- punkt kommt dann besonderes Gewicht zu, wenn die Verwaltungsbe- schwerdeinstanz, die über die Ermessenskontrolle verfügt (§ 49 VRPG), den gemeinderätlichen Entscheid schützt und das Verwal- tungsgericht auf die Rechtskontrolle beschränkt ist (§ 56 VRPG). Das Gericht darf jedenfalls dann nicht korrigierend einschreiten, wenn sich die ästhetische Wertung der Vorinstanzen auf vernünftige Gründe stützen lässt, selbst wenn andere, ebenfalls vertretbare Lö- sungen denkbar wären. Eine Grenze findet diese Zurückhaltung dort, wo überwiegende öffentliche und private Interessen entgegenstehen (siehe AGVE 1995, S. 334 mit Hinweis). Auch das Bundesgericht betont, dass es in erster Linie den örtlichen Behörden obliege, über den architektonischen Aspekt zu wachen, weshalb sie diesbezüglich über einen breiten Ermessensspielraum verfügten. Die kantonale Rechtsmittelinstanz dürfe dieses Ermessen nicht ohne weiteres durch ihr eigenes ersetzen, sondern auferlege sich in solchen Fällen viel- mehr eine gewisse Zurückhaltung; dies gelte im Bereich der Ästhetik vor allem dort, wo es um die Lage, Grösse und Höhe von Gebäuden innerhalb eines neueren Quartier- oder Teilzonenplans gehe (BGE 115 Ia 118 f. = Pra 78/1989, S. 796 f.). Dieselbe Kognitionsbeschränkung ist insbesondere bei der An- wendung kommunaler Bestimmungen zu beachten. Die Gemeinden geniessen bei der Ausscheidung und Definition der verschiedenen Zonen (§ 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a BauG) aufgrund von § 106 KV ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Autonomie. Das Verwaltungsgericht hat sich deshalb bei der Überprüfung ein- schlägiger gemeinderätlicher Entscheide zurückzuhalten, zumindest soweit es bei den zu entscheidenden Fragen um rein lokale Anliegen geht und weder überörtliche Interessen noch überwiegende Rechts- schutzanliegen berührt werden. Die Gemeinde kann sich in solchen Fällen bei der Auslegung kommunalen Rechts insbesondere dort auf 2006 Verwaltungsgericht 188 ihre Autonomie berufen, wo eine Regelung unbestimmt ist und ver- schiedene Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar erscheinen. Die kantonalen Rechtsmittelinstanzen sind hier gehalten, das Ergebnis der gemeinderätlichen Rechtsauslegung zu respektieren und nicht ohne Not ihre eigene Rechtsauffassung an die Stelle der gemeinde- rätlichen zu setzen. Die Autonomie der Gemeindebehörden hat je- doch auch in diesen Fällen dort ihre Grenzen, wo sich eine Ausle- gung mit dem Wortlaut sowie mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht mehr vereinbaren lässt (AGVE 2003, S. 190 mit Hinweis). 2.3. 2.3.1. In seinem Amtsbericht vom 20. Oktober 2003 an das Baudepartement verweist der Vertreter der Kantonalen Denkmal- pflege zunächst auf die Bedeutung der Fenster ganz allgemein. Sie bildeten seit jeher einen wesentlichen Teil des architektonischen Konzepts einer Fassade und prägten das Gesamtbild eines Hauses in starkem Masse. Sie würden landläufig als die "Augen" des Hauses bezeichnet. Hinsichtlich Grösse, Anordnung und Proportion sowie Binnengliederung und Detailgestaltung zeigten sie eine für die je- weilige Bauepoche charakteristische Gestalt. Sodann wird im Amts- bericht darauf hingewiesen, dass die Mühlen seit jeher wichtige und oft stattliche Bauten mit einem gewissen Repräsentationsanspruch seien. So verhalte es sich auch mit der "Mittleren Mühle". Der mar- kante spätklassizistische Mauerbau sei der im Stadtbild dominante freistehende Schlussbau der Kronengasse. Von ihrer Stellung und Bedeutung für die Stadt her komme der "Mittleren Mühle" eine ge- wisse Vorbildfunktion zu. Dementsprechend seien auch erhöhte An- forderungen an die Fenstergestaltung zu stellen. Plastiksprossen zwi- schen den Isolierglasscheiben hätten nun insbesondere in Schrägsicht nicht die optische Wirkung von flügelrahmenbündigen, echten, auf dem Glas aufliegenden oder glastrennenden äusseren Sprossen. Die plastische Wirkung mit entsprechender Schattenbildung, welche auch in der Schrägsicht sichtbar bleibe, fehle. Bei sogenannten Isolierglas- sprossen zwischen den Scheiben sei in der optisch wichtigen Schrägsicht keine Sprossung, sondern nur noch die durchgehende flächige Scheibe zu sehen. Durch die heutigen, perfekt planen Gläser werde die spiegelnde, ungegliederte und bei historischen Bauten un- erwünschte lochhafte Wirkung von Fenstern, welche keine plastisch 2006 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 189 wirksame Sprossung hätten, die auf den Scheiben aufliege bzw. diese teile, noch gesteigert. Ein weiterer Grund, der gegen Isolier- glassprossen ohne glasaufliegende äussere Sprossen spreche, sei das Alterungsverhalten dieser Plastiksprossen. Ein Verzicht auf die pla- stisch wirksame flügelrahmenbündige Sprossung beeinträchtige die Gesamterscheinung eines historischen Baus erheblich und werte diese ab. Bei der "Mittleren Mühle" wäre besonders das Verhältnis von feingegliedertem spätklassizistischem Fenstergewände und grossflächigem Fensterflügel ohne plastische Sprossenwirkung unbe- friedigend. Die unerwünschte Lochwirkung von Fenstern lasse sich mit flügelrahmenbündig auf die Scheiben geklebten und abisolierten Sprossen vermeiden, womit eine optisch wirksame Binnengliederung der Glasflächen zu annehmbaren Bedingungen erreicht werde. 2.3.2. Das in der Altstadtzone geltende Erhaltungsgebot ist in verschiedener Hinsicht eingegrenzt. Schutzobjekt sind das "Gesamt- bild" und die "Struktur" der Altstadt (§ 18 Abs. 1 Satz 1 BNO); es geht um die Wahrung des Charakters des historisch gewachsenen Stadtbildes, die Erhaltung der schützenswerten inneren Struktur und die Beibehaltung der kleinräumigen Nutzungsaufteilung. Bauten müssen sich in ihren Ausmassen, der Gestaltung, den Materialien und der Farbgebung gut in die bestehende Bebauung einfügen (§ 18 Abs. 3 BNO). Schutzanordnungen müssen mit der kulturgeschichtli- chen, architektonischen oder städtebaulichen Bedeutung begründet werden können (§ 18 Abs. 1 Satz 2 BNO). Zu fragen ist demzufolge, ob das Verbot von "Sandwich"-Sprossen in der Altstadtzone mit die- ser vom kommunalen Gesetzgeber angestrebten und vorgegebenen "Schutzhöhe" vereinbar ist. Verwendet eine Nutzungsbestimmung Begriffe der genannten Art, so spricht sie damit offensichtlich die traditionellerweise prä- genden Elemente und Merkmale des Altstadtbildes an. Dieses soll in seinen grossen Linien und aus einer Gesamtschau erhalten bleiben. Der Wortlaut, der bei jeder Gesetzesauslegung den Ausgangspunkt bildet (Bundesgericht, in: ZBl 102/2001, S. 84 und BGE 125 II 152, je mit Hinweisen; siehe auch AGVE 2003, S. 191 f.), legt eine solche Deutung nahe. Geht es nun darum festzulegen, was im Einzelnen den altstadtbildprägenden Strukturelementen zuzuordnen ist, so ist der 2006 Verwaltungsgericht 190 praxisgemässen Anforderung Rechnung zu tragen, dass der Denk- mal- und Ortsbildschutz nicht lediglich die Interessen wissenschaft- lich geschulter Fachleute abdecken, sondern auch für einen grösseren Teil der Bevölkerung plausibel sein soll (siehe BGE 120 Ia 275; 118 Ia 389 f. mit Hinweisen; AGVE 1995, S. 400 f. mit weiteren Hinwei- sen; ferner Elsbeth Wiederkehr Schuler, Denkmal- und Ortsbild- schutz [Die Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Zürcher Verwaltungsgerichts], Zürich 1999, S. 28 mit Zitat von BGE 89 I 474). Aus dieser Optik kommt namentlich der Art und Massstäblich- keit der Bauweise (geschlossen, d.h. Zusammenbau der Gebäude in einer Häuserzeile, mit relativ einheitlichen, hohen Baukörpern und engen Gassen), der Dächergestaltung (Dachformen [Satteldach als vorherrschender Typ], Dachneigungen [eher steil], Materialwahl [z.B. Biberschwanzziegel], Farbgebung, Beschränkung der Dach- durchbrüche auf herkömmliche Gestaltungsmuster wie Lukarnen) sowie der Fassadengestaltung (Vorherrschen der Lochfassade) Be- deutung zu. Was nun die Fenstergestaltung im Besondern anbelangt, vermag ein durchschnittlicher Betrachter auf den ersten Blick wohl zu erkennen, ob ein Fenster mit einer Sprossierung oder mit Gewän- den versehen ist, und empfindet er solche Merkmale auch durchaus als typisch und prägend für das Erscheinungsbild einer Altstadt. Ob ein Fenster aussen am Glas aufliegende oder zwischen den Isolier- glasscheiben angebrachte "Sandwich"-Sprossen aufweist, stellt für ihn aber zweifellos nicht denselben "Blickfang" dar; er nimmt diese Unterschiede vielmehr nur bei bewusstem und gezieltem Hinsehen wahr. Offenbaren sich also die von den Fachstellen namhaft ge- machten optischen Unterschiede nur bei einer kleinräumigen und objektbezogenen Betrachtung der betreffenden Hausfassade, so kann ihnen letztlich keine rechtserhebliche Bedeutung für das "Gesamt- bild" und die "Struktur" der Altstadt beigemessen werden. Als Indiz für die Richtigkeit dieser Beurteilung mag auch gelten, dass es ge- rade in der Kronengasse insgesamt nicht weniger als sechs Beispiele von Gebäuden mit "Sandwich"-Sprossen an den Fenstern gibt (Haus- Nrn. 8, 18, 20, 23, 29 und 35), der Stadtrat aber bisher - abgesehen vom vorliegenden Fall - keinen Anlass sah, tätig zu werden; ginge es um ein wesentliches, "publikumswirksames" Stadtbildmerkmal, wäre 2006 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 191 es bei der Baubewilligungserteilung kaum - wie bezüglich der Lie- genschaft Kronengasse Nr. 18 - "vergessen gegangen". 2.3.3. Das Verwaltungsgericht gelangt somit zu einer andern Auslegung von § 18 Abs. 1 und 3 BNO als der Stadtrat. Es ist sich dabei sehr wohl bewusst, dass es im Hinblick auf die autonome Stellung der Gemeinden (vorne Erw. 2.2) Zurückhaltung zu üben hat und nicht ohne Not seine eigene Rechtsauffassung an die Stelle der gemeinderätlichen setzen darf. Wo sich jedoch eine Auslegung na- mentlich mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht mehr in Einklang bringen lässt, muss es korrigierend eingreifen (AGVE 2003, S. 190 mit Hinweis). Die angefochtene Anordnung ist deshalb aufzuheben. Offen bleiben kann damit, wie unter dem Gesichtspunkt des Verhält- nismässigkeitsprinzips zu würdigen ist, dass der Stadtrat von der Be- schwerdeführerin die Ausführung einer "Pseudo"-Variante (auf die Aussenfläche der Fensterscheibe geklebte Sprossen) verlangt und im Weitern auch - wie am Augenschein festgestellt - Gitterstäbe und mit Aluminiumprofilen eingerahmte Fliegengitter an Altstadthäusern to- leriert, was nach Auffassung des Verwaltungsgerichts um einiges problematischer ist als die zu beurteilenden Sprossierungen. Dass der Stadtrat im Bereich der Altstadtzone die möglichst detailgetreue Beibehaltung historischer Elemente anstrebt und durch- setzen will, wie eben etwa Konstruktionssprossen an den Fenstern, ist an sich nachvollziehbar. Nach dem Gesagten bedarf es aber dafür einer genügenden Rechtsgrundlage.
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AG_VG_001
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AG_VG_001_AGVE-2006-36_2005-10-03
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2004 Verwaltungsgericht 188 [...] 49 Bausperre (§ 30 BauG). Planbeständigkeit (Art. 21 Abs. 2 RPG). - Rechtsgrundsätze für den Erlass einer Bausperre (Erw. 2/c). - Prüfung der Frage, ob hinter den neuen Plänen und Vorschriften ein überwiegendes öffentliches Interesse steht, unter dem Aspekt der Planbeständigkeit (Erw. 2/d). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 15. Juli 2004 in Sa- chen R. AG gegen Baudepartement. 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 189 Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdeführerin beabsichtigt, auf der Parzelle Nr. 1413 drei freistehende Einfamilienhäuser zu erstellen. Das Bau- grundstück liegt an einem Hang mit Nord-Süd-Neigung. Das Bau- projekt sieht quer zum Hang angeordnete Satteldächer mit einer Dachneigung von 36° bzw. 37° vor. Geplant sind bei allen drei Häu- sern zudem Giebellukarnen mit einer Dachneigung von 45°. Die Ausnützungsziffer beträgt 0.398. 2. a) Die Parzelle Nr. 1413 liegt gemäss dem geltenden Bauzo- nenplan der Gemeinde Biberstein vom 12. Dezember 1997 / 8. Sep- tember 1998 in der Wohnzone A (WZA). In dieser Zone sind Wohnbauten zugelassen; einzelne Räume für nicht störende, in Wohngebiete passende Gewerbe sind gestattet (§ 6 der Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde Biberstein mit den gleichen Be- schluss- und Genehmigungsdaten wie der Bauzonenplan [BNO 97]). Die maximale Ausnützung beträgt 0.4, die maximale Gebäudehöhe 8.00 m und die maximale Firsthöhe 11.00 m; der kleine und der gros- se Grenzabstand betragen je 4.00 m (§ 4 BNO 97). Die BNO 97 und der Bauzonenplan befinden sich zur Zeit in Revision. Die geänderten Bestimmungen lagen vom 11. August bis zum 9. September 2003 öffentlich auf. Die Gemeindeversammlung Biberstein beschloss am 28. November 2003 u.a. Folgendes: · In der Zone WZA wurden die Gebäude- und die Firsthöhe neu auf 7.20 bzw. 10.20 m, der grosse Grenzabstand neu auf 6.00 m festgesetzt (§ 4 Abs. 1 der revidierten Bau- und Nutzungsordnung [BNO 03]). · Neu wurde als "überlagernde Schutzzone" die "Zone mit be- sonderer landschaftlicher Einordnung" geschaffen und dieser die Parzelle Nr. 1413 (zusammen mit andern Grundstücken im gleichen Schild) zugewiesen. Die dazugehörige Nutzungsbestimmung in § 27 bis BNO 03 lautet: " 1 Die im Bauzonenplan dargestellten Zonen mit besonderer landschaftlicher Einordnung sind einer Bauzone überlagert. Sie sind besonders empfindlich und von weit her sichtbar. Bauten und bauliche Veränderungen haben sich besonders gut 2004 Verwaltungsgericht 190 in die Landschaft einzuordnen. Es sind nur Flachdächer und bei guter Gestaltung geneigte Dächer zulässig. 2 Dach- und Attikageschosse haben eine Profillinie von 7.20 m, gemessen ab gewachsenem Terrain, parallel zum Hang ver- laufend, einzuhalten (vergleiche Anhang 1)." · Schliesslich wurde im Abschnitt "Ortsbildschutz" neu § 41 bis BNO 03 ("Dachgestaltung") mit folgendem Wortlaut einge- fügt: "Bei Schrägdächern ist die Firstrichtung parallel zum Hang auszurichten. Der Gemeinderat kann andere Ausrichtungen gestatten, wenn dadurch eine bessere Einordnung in das Orts- und Landschaftsbild gewährleistet wird." b) Im Zeitpunkt, als das Baudepartement den angefochtenen Entscheid erliess (27. Mai 2003), entsprachen noch etwas abwei- chende Revisionsentwürfe dem aktuellen Stand. Gemäss dem Ent- wurf vom 14. Januar 2003 waren in der Zone WZA eine Ausnützung von 0.35 (mit einem Bonus von 0.05 für Arealüberbauungen) und ein grosser Grenzabstand von 8.00 m vorgesehen (§ 4 Abs. 1); sodann war der letzte Satz von § 27 bis noch anders formuliert ("Es sind nur Flachdächer und bei guter Gestaltung leicht geneigte Dächer [maxi- male Neigung 6° a.T.] zulässig."), und es fehlte der Abs. 2. (...). c) Während der Erlass oder die Änderung von Nutzungsord- nungen vorbereitet werden, kann die zuständige Behörde die Ge- suche für die Bewilligung von Bauten in den von den neuen Plänen oder Vorschriften betroffenen Gebieten für die Dauer von höchstens 2 Jahren zurückstellen; Bewilligungen für Bauten dürfen nur erteilt werden, wenn feststeht, dass diese die Verwirklichung der neuen Pläne oder Vorschriften nicht erschweren (§ 30 BauG). Als "Vorbe- reitung" gelten dabei ernsthafte Massnahmen zur Verwirklichung der geplanten Neuordnung wie etwa die Verabschiedung eines Zonen- oder Bauordnungsentwurfs durch den Gemeinderat oder die Einrei- chung an das Baudepartement zur Vorprüfung (Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, §§ 126/27 N 6; AGVE 1996, S. 313 mit Hinweisen). § 30 BauG ist im Weitern eine "Kann"- oder Ermächtigungsnorm, d.h. der Entscheid, ob eine Bausperre anzuordnen sei oder nicht, ist in das 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 191 Ermessen der rechtsanwendenden Behörde gestellt; dieses Ermessen ist pflichtgemäss, unter Beachtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Rechtsgleichheit, der Verhältnismässigkeit usw. zu handhaben (Zimmerlin, a.a.O., §§ 126/27 N 5; AGVE 1996, S. 313 f. mit Hinweisen). Als "erschwerend" schliesslich betrachtet die Praxis ein Bauvorhaben dann, wenn mit ihm ein derart starkes Präjudiz geschaffen würde, dass die vorgesehene Zonierung generell fragwürdig würde; es geht darum, Abweichungen zu verhindern, die für die Ausscheidung, Abgrenzung und Gestaltung der Zonierung im fraglichen Gebiet wesentlich sind (AGVE 1997, S. 274 mit Hinwei- sen). Wenn die Ausarbeitung einer Nutzungsplanung soweit fortge- schritten ist, dass ein konkreter und gesicherter Massstab gewonnen worden ist, kann dies unter Umständen bedeuten, dass der Gemein- derat - trotz des ihm zustehenden Ermessens - insofern zum Erlass einer Bausperre verpflichtet ist, als er nur noch die Wahl hat, entwe- der in allen einschlägigen Fällen die Baugesuche zurückzustellen oder den Entwurf so abzuändern, dass das Bauvorhaben die Ver- wirklichung der Planung nicht erschwert (AGVE 1996, S. 314 mit Hinweisen). Die Beschwerdeinstanzen können ebenfalls in die Lage kommen, § 30 BauG erstinstanzlich anzuwenden, wenn die Pflicht zum Erlass einer Bausperre erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens entstanden ist; sie haben von Amtes wegen das jeweils geltende Recht anzuwenden, auch im Zusammenhang mit einer Bausperre (AGVE 1980, S. 256 ff.; VGE III/24 vom 17. März 1989 in Sachen W., S. 13; siehe auch § 169 Abs. 1 BauG; BGE 107 Ib 137; Bundes- gericht, in: ZBl 91/1990, S. 356; AGVE 1984, S. 314 mit Hinwei- sen). Mit Rücksicht auf die autonome Stellung der Gemeinden (§ 106 KV) darf eine Beschwerdeinstanz, die nicht selber Planungsorgan ist, § 30 BauG allerdings nur anwenden, wenn sich der Gemeinderat im Beschwerdeverfahren klar dahingehend äussert, er wolle an der Neuordnung festhalten bzw. würde § 30 BauG selber anrufen, wenn er (im heutigen Zeitpunkt) selber über die Baubewilli- gungssache zu entscheiden hätte (AGVE 1980, S. 257 f.; erwähnter VGE in Sachen W., S. 13). 2004 Verwaltungsgericht 192 d) aa) Die Beschwerdeführerin stellt vorab die Zulässigkeit der dem Erlass der Bausperre zugrundeliegenden Neuordnung in Frage. Diese verstosse gegen den Grundsatz der Planbeständigkeit. Nach einer erst vor kurzem erfolgten Gesamtüberprüfung seien Zonenan- passungen und -erweiterungen nur zulässig, wenn sie die bestehende Zonenplanung in untergeordneten Punkten ergänzten. Die Revision der Nutzungsplanung von 1997/98 sei umfassend gewesen, enthal- tend die neue BNO (einschliesslich neuer Ortsbildschutzvorschriften) und den abgeänderten Bauzonenplan. Der Gemeinderat habe eine zeitgemässe Nutzungsplanung schaffen wollen, die auf Sied- lungsqualität und landsparende Nutzung ausgerichtet sei und länger- fristig Bestand habe. In Bezug auf die Zone WZA seien alle planeri- schen Kennziffern abgeändert worden. Gegenüber der BNO 97 sei nun wiederum eine vollständige Überarbeitung der baulichen Kenn- daten für weite Gebiete der Gemeinde, u.a. für die Parzelle Nr. 1413, vorgesehen. Es handle sich mithin nicht um eine geringfügige Än- derung, für welche unter dem Aspekt der Planbeständigkeit kürzere Fristen gälten. Das Baudepartement kam demgegenüber zum Schluss, die gewichtigen öffentlichen Interessen der Gemeinde an einem verbesserten Ortsbild- und Landschaftsschutz überwögen klar die privaten Interessen der Beschwerdeführerin an der Planbe- ständigkeit während des Baubewilligungsverfahrens. bb) Eine Bausperre stellt eine öffentlichrechtliche Eigentums- beschränkung dar. Eine solche ist mit der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV; § 21 KV) nur vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grund- lage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist (Art. 36 BV; siehe BGE 121 I 120; AGVE 1995, S. 398 mit Hinwei- sen). Diese Schranke bezieht sich nicht nur auf die Bestimmung zum Erlass von Bausperren, sondern auch auf die neuen Pläne und Vor- schriften, für die sie eine Vorwirkung begründen; es ist also na- mentlich zu prüfen, ob das Planungswerk auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage und einem genügenden öffentlichen Interesse beruht (Zimmerlin, a.a.O., §§ 126/27 N 5; AGVE 1977, S. 208 f.; erwähnter VGE in Sachen W., S. 14). Bei dieser Überprüfung hat sich das Verwaltungsgericht indessen zurückzuhalten; die politischen Behörden - insbesondere wenn sie sich auf die Gemeindeautonomie 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 193 berufen können (§ 106 KV) - müssen über einen gewissen Spielraum verfügen, um planen zu können (AGVE 1977, S. 209; erwähnter VGE in Sachen W., S. 14). Der Einwand der Beschwerdeführerin, die im Gang befindliche Nutzungsplanungsrevision ermangle nach einem derart kurzen Planungsintervall eines überwiegenden öffentlichen Interesses, ist vor diesem Hintergrund zu prüfen. cc) Die Nutzungspläne werden überprüft und nötigenfalls ange- passt, wenn sich die Verhältnisse erheblich geändert haben (Art. 21 Abs. 2 RPG). Diese Bestimmung garantiert der Nutzungsplanung eine gewisse Beständigkeit und sichert die ihr vom Gesetzgeber zugedachte Funktion. Indessen hat der Grundsatz der Planbeständig- keit keine absolute Bedeutung. Die Pläne sind revidierbar, sofern sich die für die Planung massgebenden Verhältnisse seit der Planfest- setzung erheblich geändert haben (BGE 127 I 105; 124 II 396; 123 I 182 f.). Je neuer der Plan ist und je einschneidender sich die beabsichtigte Änderung auswirkt, desto stärkeres Gewicht hat der Grundsatz der Planbeständigkeit und umso gewichtiger müssen die Gründe sein, welche für eine Planänderung sprechen (BGE 120 Ia 233; 113 Ia 455; 109 Ia 113). Als Gründe für eine Planänderung fal- len dabei sowohl Änderungen in den rechtlichen als auch solche in den tatsächlichen Verhältnissen in Betracht (BGE 127 I 105 f.; 120 Ia 231). Eine gewandelte Einstellung der Planungsorgane hinsichtlich der Wünschbarkeit einer bestimmten Nutzung vermag indessen für sich allein nicht eine Änderung nach kurzer Zeit zu rechtfertigen (BGE 111 II 327; 109 Ia 115). Immerhin hat das Bundesgericht eine Richtplanrevision, die neue planerische Ordnungsvorstellungen ver- wirklichen will, als genügenden Grund für eine Zonenplanrevision anerkannt. Zudem sind Zonenpläne ungeachtet der Vorschrift von Art. 21 Abs. 2 RPG in der Regel nach etwa 15 Jahren zu überarbeiten (Art. 15 lit. b RPG; siehe BGE 119 Ib 145; Bundesgericht, in: ZBl 97/1996, S. 39). Im Rahmen dieser Gesamtrevision können auch ver- änderte politische Vorstellungen zum Ausdruck kommen, insbeson- dere das Anliegen, überdimensionierte Bauzonen zu verkleinern (BGE 115 Ia 386 f.; 113 Ia 454 f.). Je näher eine Planrevision dieser Frist von 15 Jahren kommt, desto eher dürfen daher auch geänderte Anschauungen und Absichten der Planungsorgane als zulässige Be- 2004 Verwaltungsgericht 194 gründung für eine Revision berücksichtigt werden (siehe zum Gan- zen auch: BGE 128 I 198 f.; BGE vom 25. Januar 2002 [1P.611/2001] in Sachen Einwohnergemeinde Lupfig, S. 4 f.). Nach dem Inkrafttreten des RPG am 1. Januar 1980 beschloss die Gemeindeversammlung Biberstein am 29. Juni 1984 eine neue Bauordnung und einen neuen Zonenplan (genehmigt vom Grossen Rat am 23. September 1986) sowie am 8. Dezember 1989 den Kul- turlandplan und die dazugehörige Nutzungsordnung (genehmigt vom Grossen Rat am 29. Juni 1993). Aus dem Jahre 1987 stammte sodann der Gestaltungsplan "Dorfkern" mit Spezialbauvorschriften. Im Nachgang zum Inkrafttreten des BauG am 1. April 1994 nahm die Gemeinde ab 1995 die Revision des erwähnten Planungswerks in Angriff. Dabei ging es klarerweise nicht um die integrale und umfas- sende Schaffung einer neuen Ordnung. Vielmehr nahm die Gemeinde neben formellen Anpassungen an das neue kantonale Recht kleinere materielle Änderungen der BNO vor mit dem Ziel, die Siedlungsqua- lität zu erhalten und eine landsparende Nutzung der Bauzonen zu ermöglichen; geändert wurden insbesondere die Vorschriften über die Ausnützungsziffer (Dach- und Untergeschoss), die Gebäude- und Firsthöhen sowie die Abstände, und auf die Festsetzung der maxi- malen Geschosszahl wurde verzichtet. Die Grösse der Bauzonen bil- dete kein Thema; es kam lediglich zu punktuellen, kleinflächigen Ein-, Aus- und Umzonungen, welche das Fassungsvermögen des Bauzonenplans nur unwesentlich beeinflussten (Erläuterungsbericht der Gemeinde Biberstein vom April 1996 / Mai 1997; Einladung zur Einwohnergemeindeversammlung vom 12. Dezember 1997, S. 4 ff.; Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat Nr. 98.003038 vom 24. Juni 1998, Ziff. 1, 3.3, 3.4, 3.5 und 4.1.4; siehe auch den Mitwir- kungsbericht des Gemeinderats zur Revision der Nutzungsplanung 1997/98 vom 26. Mai 2003, S. 5 ["Die Revision von 1998 war keine Gesamtrevision."]). Ähnlich wie im Fall der Einwohnergemeinde Lupfig liegen somit massgebende Grundlagen der - unbestrittener- massen RPG-konformen - Planung länger zurück als 1997/1998 (siehe den erwähnten BGE vom 25. Januar 2002, S. 5). Nimmt man die grossrätliche Genehmigung des Kulturlandplans und der Nutzungsordnung am 29. Juni 1993 als Anfangszeitpunkt, ergibt sich 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 195 bereits eine Zeitdauer, welche mehr als zwei Dritteln des ordent- lichen Planungshorizonts von 15 Jahren gemäss Art. 15 lit. b RPG entspricht. Seitens der Gemeinde wird im Übrigen glaubhaft ausge- führt, dass die laufende Nutzungsplanungsrevision auf eine in einem bestimmten Teilbereich unbefriedigende Entwicklung seit der Gel- tungskraft der Nutzungsplanung 1997/98 zurückgeht und dass die diesbezüglichen Erfahrungen erst gesammelt werden mussten. Im Mitwirkungsbericht vom 26. Mai 2003 (S. 6) und im Raumplanungsbericht vom gleichen Datum (S. 1) wird das Änderungsmotiv wie folgt dargestellt: "In den letzten Jahren zeigte sich an konkreten Bauvorhaben, dass mit der letzten Revision der Nutzungsplanung Bauvolumen mög- lich geworden sind, die dem Siedlungsbild in keiner Weise ent- sprechen und teilweise deutlich über die sonst sehr einheitliche Kubatur der bestehenden Bauten hinaus ragt. Solche neuen Volu- mina sind auch im Bereich des Ortsbildes von nationaler Bedeu- tung (ISOS) und an einigen sehr exponierten Lagen möglich. Die Analyse der konkreten Situationen und auch die Prüfung möglicher Volumina auf noch unbebauten Parzellen zeigt sehr deutlich, dass bei der letzten Revision allzu grosszügig Ziffern geändert worden waren. Die Nutzungsplanung von 1998 kann vielerorts nicht sicher stellen, dass sich neue -zonenkonforme - Bauten in die vorhandene, weitgehend einheitliche Siedlung integrieren; viel- mehr können neue Bauten dieses wertvolle Ortsbild von nationaler Bedeutung stark tangieren. Die Nutzungsplanung von 1998 vermag das öffentliche Interesse von Bund, Kanton und Gemeinde an einer Sicherung des Ortbildes an einigen Stellen nicht zu sichern; es besteht deshalb ein erhebliches öffentliches Interesse an einer Änderung der Nutzungsplanung. Eine Änderung ist dringlich." In der Gebietsanalyse als besonders wichtig und dringlich wur- den raumplanerische Massnahmen in den heiklen Gebieten "Gheld" und "Trottenacker" erachtet; diese seien landschaftlich sehr exponiert und von weit her einsehbar (Raumplanungsbericht vom 26. Mai 2003, S. 2). Demzufolge wurden die erwähnten Gebiete neu der Zone WZA zugewiesen und durch die "Zone mit besonderer land- schaftlicher Einordnung" überlagert (erwähnter Bericht, S. 5). Eine 2004 Verwaltungsgericht 196 abgestufte Reduktion der Gebäudehöhe (Zone WZA neu 7.20 m, übrige Zonen mit Wohnen neu 8.50 m) erschien ebenfalls als "wich- tig und dringlich" (erwähnter Bericht, S. 6). Man ging davon aus, dass die Kubatur von Bauten, welche sich im Sinne von § 27 bis Abs. 1 BNO 03 besonders gut in die Landschaft einordneten und insbe- sondere eine reduzierte Gebäudehöhe sowie ein Flachdach oder ein leicht geneigtes Dach aufwiesen, mit grosser Wahrscheinlichkeit in der Landschaft verträglich seien (erwähnter Bericht, S. 8). Dass dem Ortsbild- und Landschaftsschutz ganz allgemein ein hoher Stellen- wert beizumessen ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Besondere Tragweite erhält dieses öffentliche Interesse in einer Gemeinde, die wie Biberstein ein schützenswertes Ortsbild von nationaler Bedeu- tung aufweist (Anhang der Verordnung über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz vom 9. September 1981 [VISOS; SR 451.12]); durch die Aufnahme in ein derartiges Inventar wird dargetan, dass das betreffende Objekt in besonderem Masse die ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls aber die grösstmögliche Scho- nung verdient (Art. 6 Abs. 1 NHG, Fassung vom 18. Juni 1999). Der Gemeinderat war sich des Aspekts der Planbeständigkeit aber durch- aus bewusst, weshalb er sich im Wesentlichen auf Änderungen be- schränkte, welche die Wirkung der Bauten in der Landschaft klären (erwähnter Bericht, S. 6). Dem hochrangigen öffentlichen Interesse des Ortsbild- und Landschaftsschutzes steht nun ein privates Interes- se der Beschwerdeführerin gegenüber, das zu relativieren ist. Mit Recht verweisen der Gemeinderat und das Baudepartement darauf, dass es im vorliegenden Falle nicht um eine Auszonung geht; viel- mehr verbleibt eine Ausnützungsziffer von 0.4, und es werden ledig- lich die Gebäudehöhe reduziert und die Dachgestaltung neu um- schrieben. Um sehr erhebliche Eingriffe in die Eigentumsfreiheit handelt es sich hierbei nicht. Die Gewichte verschieben sich auch nicht deswegen entscheidend, weil die planerische Neuordnung erst nach Erteilung der Baubewilligung durch den Gemeinderat Gestalt angenommen hat. In einem staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, auf das sich die Beschwerdeführerin beruft, schützte das Bundesge- richt den Standpunkt des zürcherischen Verwaltungsgerichts, das in einer analogen Situation den privaten Interessen der Bauherrschaft 2004 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 197 von vornherein ein erhebliches Gewicht beimass, das nur aufgewo- gen werden könne, soweit besondere öffentliche Anliegen in Frage stünden (BGE 118 Ia 514). Derartige Interessen stehen nun aber wie ausgeführt fraglos auf dem Spiel. Ihnen gebührt klarerweise der Vor- rang. Die relativ rasch eingeleitete Nutzungsplanungsrevision ist durch das hinter ihr stehende gewichtige Anliegen gerechtfertigt; an- dernfalls käme es zu weiteren irreversiblen Beeinträchtigungen des schutzwürdigen Ortsbildes. Der Einwand der fehlenden Planbestän- digkeit versagt.
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2001 Abgaben 177 VII. Abgaben 43 Kanalisationsanschlussgebühr. Kostendeckungsprinzip. Äquivalenz- prinzip. - Anwendung des Kostendeckungsprinzips auf die Abwasserentsorgung (Erw. 3). - Der Vergleich der Einnahmen und Ausgaben muss über eine längere Zeitspanne erfolgen. - Bei der Prüfung des Kostendeckungsprinzips sind bei den jährlichen Ausgaben- oder Einnahmenüberschüssen Zinsen, aber nicht Zinses- zinsen aufzurechnen; anzuwendender Zinsfuss (Erw. 3/b). - Bei einer Kumulation von Anschlussgebühren und Baubeiträgen ist dem Äquivalenzprinzip bei der Bemessung des Baubeitrags Rechnung zu tragen (Erw. 5). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 24. Oktober 2001 in Sachen Genossenschaft G. gegen Entscheid des Baudepartements. Aus den Erwägungen 2. Gebühren und Beiträge als sogenannte Kausalabgaben müs- sen das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip einhalten (vgl. AGVE 1991, S. 203; 1987, S. 139, je mit weiteren Hinweisen). 3. a) Das Kostendeckungsprinzip besagt, dass der Gesamtertrag der Gebühren und Beiträge die Gesamtkosten des betreffenden Ver- waltungszweiges nicht oder höchstens geringfügig überschreiten darf (BGE in: ZBl 97/1996, S. 329; Ulrich Häfelin/Georg Müller, Grund- riss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, Rz. 2050, 2064). Zum Gesamtaufwand sind nicht nur die laufenden Ausgaben des betreffende Verwaltungszweiges, sondern auch ange- messene Rückstellungen, Abschreibungen und Reserven hinzuzu- rechnen (BGE 126 I 188 = ASA 70/2001-2002, S. 248). 2001 Verwaltungsgericht 178 aa) Grundsätzlich ist das Kostendeckungsprinzip auf die Ab- wasserentsorgung als Ganzes anzuwenden. Doch kann es - jedenfalls in problematischen Fällen - geboten sein, getrennt zu untersuchen, ob die Investitionsausgaben verglichen mit den Baubeiträgen und An- schlussgebühren einerseits und die Unterhalts- und Betriebsaufwen- dungen verglichen mit den Benützungsgebühren andererseits das Kostendeckungsprinzip einhalten. Nur so lässt sich verhindern, dass die bereits an die Kanalisation Angeschlossenen (die in der über die Tarifgestaltung befindenden Gemeindeversammlung regelmässig weit zahlreicher sind als potentiell Neuanschliessende) bei der Fest- setzung des Abgabentarifs die Benützungsgebühren zu Lasten der Anschlussgebühren für Neuanschliessende ungerechtfertigt niedrig halten (AGVE 1987, S. 140 f.). Werden umgekehrt die Benützungs- gebühren höher angesetzt, als zur Deckung des Unterhalts- und Be- triebsaufwandes nötig wäre, fallen die Anschlussgebühren (sofern das Kostendeckungsprinzip insgesamt eingehalten ist) "zu niedrig" aus. Dieser Fall ist relativ unproblematisch, weil bei den Neuan- schliessenden ein Ausgleich zwischen den Anschluss- und den in Zukunft ebenfalls zu entrichtenden Benützungsgebühren erfolgt. Hier rechtfertigt es sich, in Verfahren, in denen es um die zulässige Höhe der Anschlussgebühren geht, auf die getrennte Beurteilung zu verzichten (AGVE 1995, S. 179). Eine getrennte Beurteilung kann auch an den Schwierigkeiten der Erhebung scheitern, so namentlich dann, wenn die Aufteilung der Einnahmen und Ausgaben gemäss der Verordnung über den Finanzhaushalt der Gemeinden und der Ge- meindeverbände (FinV) vom 9. Juli 1984 erfolgt, wo sich die Unter- scheidung zwischen Investitionen und Unterhalt zur Hauptsache nach der Höhe der Ausgabe richtet (§ 7 Abs. 2 - 6 FinV), was zur Folge hat, dass Instandstellungs- und Unterhaltskosten der Kanalisa- tion häufig (aber unsachgemäss) in der Investitionsrechnung erschei- nen (vgl. § 7 Abs. 2 lit. d FinV). Als Folge davon ist eine genaue Trennung von Investitionsausgaben einerseits und Unterhalts- und Betriebsaufwendungen andererseits fast unmöglich und würde re- gelmässig einen unverhältnismässigen Aufwand erfordern. Dem Bundesgesetz über den Gewässerschutz (GSchG) vom 24. Januar 1991 wurde mit Änderung vom 20. Juni 1997 ein neuer 2001 Abgaben 179 Art. 60a eingefügt. Nach dessen Abs. 1 sorgen die Kantone dafür, dass die Kosten für Bau, Betrieb, Unterhalt, Sanierung und Ersatz der Abwasseranlagen, die öffentlichen Zwecken dienen, mit Gebüh- ren und anderen Abgaben den Verursachern überbunden werden. Eine andere Finanzierung, so namentlich aus Steuergeldern, ist nur ausnahmsweise zulässig (Abs. 2). Die mittels Abgaben erzielten Ein- nahmen dürfen somit die Aufwendungen weder übertreffen (Kosten- deckungsprinzip) noch unterschreiten (Art. 60a Abs. 1 GSchG), son- dern müssen diesen theoretisch genau entsprechen. Praktisch ist dies unmöglich, gerade angesichts der Tatsache, dass immer auch mit Schätzungen über die zukünftige Entwicklung gearbeitet werden muss. Als Folge davon darf eine Verletzung des Kostenprinzips nicht schon bei geringfügigem oder kurzfristigem Einnahmenüberschuss bejaht werden. bb) Die unterschiedliche Funktion von einmaligen Anschluss- gebühren und wiederkehrenden Benützungsgebühren wird häufig so umschrieben, dass die ersten dem Einkauf in das bestehende Netz einschliesslich übergeordneter Anlagen, die zweiten der Finanzie- rung des Unterhalts der vorhandenen Anlagen dienen. Dabei handelt es sich allerdings um eine vereinfachende Ausdrucksweise, aus der nicht abgeleitet werden darf, eine solche "Einkaufsgebühr" sei un- zulässig, falls vom bestehenden Netz her kein Defizit mehr vorhan- den ist. Vielmehr entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass die Überprüfung des Kostendeckungsprinzips für einen grösseren Zeitraum erfolgt und die in absehbarer Zukunft zu erwartenden Inve- stitionskosten mitberücksichtigt werden müssen (AGVE 1998, S. 197; 1987, S. 141; vgl. auch BGE 118 Ia 325 = Pra 82/1993, S. 540). Das kann gar nicht anders sein, da gerade bei der Wasser- und Abwasserversorgung die Investitionen des Gemeinwesens und die private Bautätigkeit nicht im zeitlichen Gleichschritt erfolgen, wobei die Investitionen nicht notwendigerweise vorausgehen, son- dern zusätzliche Anschlüsse eben oft auch Folgekosten bewirken. Erträge und Aufwendungen stellen somit nicht "Momentaufnahmen" dar, sondern sind über einen längeren Zeitraum zu vergleichen (AGVE 1998, S. 197; 1995, S. 181 f.). 2001 Verwaltungsgericht 180 Gerade im vorliegenden Fall lässt sich dies anhand der Ent- wicklung der Ausgaben im Zeitablauf (vgl. hinten Erw. 3/b) illustrie- ren. Der Bau der Abwasserreinigungsanlage (ARA) in U. und der Zuleitung erforderte in den Jahren 1972 - 1975 grosse finanzielle Aufwendungen. Sie nützten nicht nur denjenigen, welche in diesen Jahren oder kurz danach an die Kanalisation anschlossen; auch die heutigen Anschlüsse wären ohne die (weiter-)bestehende ARA gar nicht zulässig. Andererseits führte die bauliche Entwicklung dazu, dass die ARA in nächster Zeit ausgebaut und saniert werden muss, wiederum mit Millionenaufwand. Es wäre rechtsungleich und gera- dezu willkürlich, wenn - wie dies in der Beschwerde verlangt wird - zeitlich irgendwo ein "Schlussstrich" für die Berücksichtigung der Baukosten der ARA gezogen würde (auch der Erlass eines neuen Abwasserreglements darf richtigerweise nicht diese Folge zeitigen) und dann das Kostendeckungsprinzip zunächst die Erhebung von Anschlussgebühren verhinderte, bis die nächsten grossen Ausgaben wieder für einige Zeit, bis zum nächsten "Schlussstrich", Anschluss- gebühren möglich machten. Zu berücksichtigen ist in diesem Zu- sammenhang auch, dass die grundsätzlich einmalig zu entrichtenden Anschlussgebühren - weit stärker als die periodisch zu bezahlenden Benützungsgebühren - aus Gründen der Rechtsgleichheit in ihrer Höhe für längere Dauer Bestand haben sollten und nicht ständig abgeändert werden dürfen. b) aa) Aus der Abwasserrechnung ist ersichtlich, dass eine Aufteilung in Investitions- und laufende Rechnung erst ab 1986 er- folgte, und zwar gemäss § 7 FinV. Die Jahre bis 1971 mit ihren ge- ringen Beträgen können vernachlässigt werden. Die grossen Auf- wendungen im Zusammenhang mit dem Bau der ARA und der Zu- leitung in den Jahren 1972 - 1975 führten dazu, dass - obwohl die Anschlussgebühren gleichzeitig zu fliessen begannen - Ende 1975 ein Defizit von rund Fr. 2 Mio. aufgelaufen war. Die regelmässigen Einnahmenüberschüsse ab 1976 führten dazu, dass die Rechnung per Ende 1990 erstmals einen Überschuss auswies. Ende 1991 war sie ausgeglichen. Per Ende 2000 betrug der Überschuss trotz wieder ansteigenden Investitionen rund Fr. 760'000.-- (die bisherigen Zah- lenangaben ohne Berücksichtigung von Passivzinsen). Dass trotzdem 2001 Abgaben 181 ein Negativsaldo von beinahe Fr. 2'500'000.-- ausgewiesen wird, ist auf die Einrechnung von Passivzinsen und -zinseszinsen zurückzu- führen. In der Abwasserrechnung wird der Zins vom jeweiligen Ge- samtsaldo berechnet, was zur Entstehung von Zinseszinsen führt. Anlässlich der Verhandlung wurde bestätigt, dass es sich bezüglich Zins und Zinseszins in der Abwasserrechnung um rein kalkulatori- sche Grössen handelt. Der folgende Vergleich zeigt die grossen Unterschiede, je nach- dem, ob ohne Zins, mit Zins oder mit Zins und Zinseszins gerechnet wird. In Kolonne 1 wird der jeweilige Jahressaldo (+ = Ausgaben- überschuss / - = Einnahmen überschuss) unverändert übernommen und der jeweilige Gesamtsaldo ab 1972 angegeben. In Kolonne 2 wird jeder Jahressaldo mit einem Jahreszins von 4% für die Ein- nahmenüberschüsse und von 5% für die Ausgabenüberschüsse (zur Begründung der Zinssätze vgl. hinten Erw. 3/b/cc/aaa) bis Ende 2000 hochgerechnet (der "Gesamtsaldo" nach jedem Jahr ist hier fiktiv, da abhängig davon, bis zu welchem Zeitpunkt hochgerechnet wird). In Kolonne 3 wird der Jahressaldo um den in der "Internen Abrechnung Abwasser" aufgeführten Zins (variabler Zinssatz) auf dem Gesamt- saldo des Vorjahres geändert. (Angaben in Fr. 1'000.--) 2001 Verwaltungsgericht 182 Ohne Zins Mit Zins Mit Zins und Zinseszins Jahr AÜ (+) EÜ (-) Saldo AÜ (+) EÜ (-) Saldo AÜ (+) EÜ (-) Saldo 1972 + 559 + 559 + 1341 + 1341 + 559 + 559 1973 + 662 + 1221 + 1556 + 2897 + 694 + 1253 1974 + 565 + 1786 + 1299 + 4196 + 652 + 1905 1975 + 237 + 2023 + 533 + 4729 + 381 + 2286 1976 - 79 + 1944 - 155 + 4574 + 62 + 2348 1977 - 261 + 1683 - 501 + 4073 - 138 + 2210 1978 - 183 + 1500 - 344 + 3729 - 84 + 2126 1979 - 127 + 1373 - 234 + 3495 - 45 + 2081 1980 - 108 + 1265 - 195 + 3300 - 16 + 2065 1981 - 27 + 1238 - 48 + 3252 + 89 + 2154 1982 - 382 + 856 - 657 + 2595 - 242 + 1912 1983 - 36 + 820 - 60 + 2535 + 71 + 1983 1984 - 194 + 626 - 318 + 2217 - 86 + 1897 1985 - 135 + 491 - 216 + 2001 - 32 + 1865 1986 - 37 + 454 - 58 + 1943 + 64 + 1929 1987 - 111 + 343 - 169 + 1774 - 10 + 1919 1988 - 149 + 194 - 221 + 1553 - 51 + 1868 1989 - 66 + 128 - 95 + 1458 + 42 + 1910 1990 - 203 - 75 - 284 + 1174 - 57 + 1853 1991 + 77 + 2 + 112 + 1286 + 224 + 2077 1992 + 222 + 224 + 311 + 1597 + 387 + 2464 1993 + 148 + 372 + 200 + 1797 + 332 + 2796 1994 - 291 + 81 - 361 + 1436 - 103 + 2693 1995 - 662 - 581 - 794 + 642 - 519 + 2174 1996 - 352 - 933 - 408 + 234 - 244 + 1930 1997 + 171 - 762 + 196 + 430 + 267 + 2197 1998 + 107 - 655 + 117 + 547 + 201 + 2398 1999 - 11 - 666 - 11 + 536 + 84 + 2482 2000 - 93 - 759 - 93 + 443 + 5 + 2487 2001 Abgaben 183 bb) aaa) Die Beschwerdeführerin vermutet inhaltliche Fehler in der Abwasserrechnung und hält sie auch für ungenügend aussage- kräftig. Der Finanzverwalter der Gemeinde hat an der Verhandlung dargelegt, wie die Abwasserrechnung geführt wurde. Konkrete An- haltspunkte für inhaltliche Fehler vermochte die Beschwerdeführerin nachher nicht mehr zu nennen, sodass das Verwaltungsgericht keinen Anlass für zusätzliche Untersuchungen sieht. (...) Auf den Inhalt der vorgelegten Abwasserrechnung kann somit abgestellt werden. cc) Damit ist von entscheidender Bedeutung, ob bei der Prüfung des Kostendeckungsprinzips Zinsen und Zinseszinsen einzurechnen sind. aaa) Gemäss § 44 des Gesetzes über die Nutzung und den Schutz der öffentlichen Gewässer (GSG) vom 22. März 1954 (AGS 4, S. 173) konnten die Gemeinden für die Beseitigung und Reinigung von Abgängen Abgaben erheben (Abs. 1), die auch eine angemessene Verzinsung und Abschreibung der Anlage ermöglichen sollten (Abs. 2). Diese Regelung wurde ab 1. Februar 1978 durch § 15 Abs. 1 EG GSchG abgelöst, wobei diese neue Bestimmung keine inhaltlichen Vorgaben an die kommunalen Reglemente enthielt und die vorgesehenen Richtlinien des Regierungsrats (§ 15 Abs. 2 EG GSchG) nie erlassen wurden. Die Schuldzinsen weiterhin zu be- rücksichtigen, wie dies in § 44 Abs. 2 AR ausdrücklich vorgesehen ist, wurde damit nicht in Frage gestellt. Die Bestätigung, dass eine derartige Regelung (seit jeher) sachlich richtig ist, ergibt sich insbe- sondere aus Art. 60a Abs. 1 lit. c GSchG. Somit ist die Berücksichti- gung von Zinskosten sachgerecht und zulässig, was im Übrigen auch die Beschwerdeführerin einräumt. Hinsichtlich des zugrundezulegenden Zinssatzes bestehen keine Bestimmungen. Bei der Prüfung, ob das Kostendeckungsprinzip von der Gemeinde eingehalten wird, geht es allein um die Situation der Gemeinde(-rechnung) und nicht um die Optik und die Interessen der Privaten. Für Ausgabenüberschüsse böte sich deshalb der Zinssatz an, der bei der Aufnahme von Gemeindedarlehen massgebend ist (vgl. VGE II/120 vom 18. Dezember 1990 in Sachen C. AG, S. 11). Um die Überprüfung des Kostendeckungsprinzips, bei der kleinere 2001 Verwaltungsgericht 184 Differenzen ohnehin keine Rolle spielen (vgl. vorne Erw. 3/a), nicht unpraktikabel zu machen, ist indessen die Wahl eines festen statt eines schwankenden Zinssatzes vorzuziehen. Mit Blick auf die Zins- angaben in der Abwasserrechnung der Gemeinde, die sich offenbar an den jeweiligen Hypothekarzinssätzen ausrichten, erscheint ein mittlerer Wert von 5%, der sich an die privatrechtliche Regelung (Art. 104 Abs. 1 und Art. 73 Abs. 1 OR) anlehnt, als sachgerecht. Für die Verzinsung der Einnahmenüberschüsse ist demgegenüber zu berücksichtigen, welcher Ertrag bei sicherer und langfristiger Anlage regelmässig erzielt werden sollte. Ein Verzinsung zu 4%, wie sie bei- spielsweise als Mindestverzinsung im Bereich der beruflichen Vor- sorge vorgesehen ist (vgl. Art. 12 der Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge vom 18. April 1984), erscheint angemessen. Unter Berücksichtigung dieser Zinsvorgaben resultiert ein Passivsaldo von rund Fr. 443'000.-- (vgl. die Tabelle vorne Erw. 3/b/aa). bbb) Das Verwaltungsgericht hat im erwähnten VGE vom 18. Dezember 1990 (S. 10 f.) ausgeführt, die Abwasserrechnung, die dort in gleicher Weise geführt wurde wie im vorliegenden Fall, eigne sich zur Prüfung des Kostendeckungsprinzips. Die Einrechnung von Zinskosten sei sachgerecht. Bei der Begründung fällt allerdings auf, dass lediglich von Zinsen die Rede ist. Offenbar blieb unbeachtet, dass die Art und Weise, wie die Abwasserrechnung geführt wurde, die Einrechnung von Zinseszinsen zur Folge hat; jedenfalls wurde diese Problematik nicht aufgegriffen. Namentlich im Zusammenhang mit Enteignungsentschädigun- gen wurde die Frage der Zahlung von Zinseszinsen verschiedentlich erörtert (vgl. BGE 114 Ib 179; BVR 1998, S. 158; VGE IV/45 vom 16. November 1999 in Sachen Gemeinde S. und Erben W., S. 16 f. mit weiteren Hinweisen, bestätigt durch BGE vom 20. Oktober 2000). Im letztgenannten Entscheid hat das Bundesgericht ausge- führt, soweit es an einer ausdrücklichen Regelung im öffentlichen Recht fehle, sei in erster Linie auf die Ordnung zurückzugreifen, die das öffentliche Recht für verwandte Fälle aufgestellt habe, subsidiär auf allgemeine Grundsätze unter Beachtung der privatrechtlichen Regelungen (vgl. auch Max Imboden/René A. Rhinow, Schweizeri- 2001 Abgaben 185 sche Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, 6. Aufl., Basel/Stuttgart 1986, Nr. 34 B III). So wie im Privatrecht ein Zinseszins nur in be- stimmten Ausnahmefällen zulässig und sonst ausgeschlossen sei (Art. 105 Abs. 3 OR; BGE 122 III 53 ff.), sei er auch im öffentlichen Recht grundsätzlich nicht zuzusprechen. Dies überzeugt auch für den vorliegenden Zusammenhang. Demgemäss ist bei der Prüfung des Kostendeckungsprinzips kein Zinseszins einzurechnen; der erwähnte VGE vom 18. Dezember 1990 ist insoweit überholt. Dies bedeutet, dass die Abwasserrech- nungen, wenn sie wie im vorliegenden Fall nach den Vorgaben der FinV geführt werden, nur mit entsprechender Modifikation benützt werden können. dd) Die Gemeinde hat das Investitionsprogramm und den Fi- nanzplan Abwasser für 2001-2005 eingereicht. Daraus gehen Auf- wendungen von rund Fr. 2'300'000.-- hervor. Es handelt sich im Wesentlichen um den Ausbau und die Sanierung der ARA und die Sanierung des Hauptsammelkanals. Die Werke sind bereits in Aus- führung oder beschlossen. Andererseits wird bis 2005 mit dem Ein- gang von Fr. 450'000.-- Subventionen gerechnet. Dazu kommen erwartete Anschlussgebühren von Fr. 880'000.-- und Baubeiträge von Fr. 200'000.--. Die Anschlussgebühren ab 2003 sind mit Fr. 80'000.-- bzw. Fr. 50'000.-- jährlich sehr vorsichtig eingesetzt (Jahresdurch- schnitt 2001-2005: Fr. 176'000.--), weil von einem möglichen Rück- gang der Bautätigkeit ausgegangen wird; andererseits ist der Eingang von Baubeiträgen möglicherweise etwas zu optimistisch geschätzt (vgl. dazu hinten Erw. 5/c); eine Korrektur der zu erwartenden Ein- nahmen aus Anschlussgebühren und Baubeiträgen auf gesamthaft Fr. 1'200'000.-- erscheint realistisch und vertretbar. Aus der laufen- den Rechnung werden, einschliesslich der Abgeltung für die Stras- sen, jährliche Überschüsse von rund Fr. 60'000.-- (in 5 Jahren somit Fr. 300'000.--) erwartet, was im Rahmen der letzten Jahre liegt. Eine Anpassung der Gebühren ist aus Sicht der Gemeinde weder geplant noch angebracht, da in den nächsten Jahren ein Defizit erwartet wird und später eine Normalisierung stattfinden soll. Für die Periode 2001-2005 stehen sich somit Aufwendungen von rund Fr. 2'300'000.-- und Einnahmen von rund Fr. 1'950'000.-- gegenüber, 2001 Verwaltungsgericht 186 womit ein geschätzter Ausgabenüberschuss von ca. Fr. 350'000.-- (ohne Zinsen) verbleibt. ee) Zusammenfassend ergibt sich aus der auf Ende 2000 nach- geführten Abwasserrechnung ein Ausgabenüberschuss von Fr. 443'000.--, der sich in den nächsten 5 Jahren voraussichtlich noch um rund Fr. 350'000.-- erhöhen wird. Von einer Verletzung des Kos- tendeckungsprinzips kann somit keine Rede sein. 5. a) Das Äquivalenzprinzip verlangt, dass sich der individuelle Beitrag des Abgabepflichtigen nach dem wirtschaftlichen Sonder- vorteil bemisst, den der Einzelne aus der betreffenden öffentlichen Einrichtung zieht (BGE 118 Ib 57; AGVE 1987, S. 139, 150 ff.; Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 2066). c) aa) Die Finanzierung von Sanierungsleitungen, die den An- schluss von bestehenden Bauten ausserhalb des Generellen Kanali- sationsprojekts (GKP) an die öffentliche Kanalisation bezwecken, richtet sich nach den Grundsätzen für Leitungen innerhalb des GKP, wobei die Verursacher zusätzliche Beiträge an die Baukosten zu leisten haben (§ 19 Abs. 3 EG GSchG). So sieht denn auch im Ab- schnitt "Baubeiträge ausserhalb Baugebiet" § 58 AR Baubeiträge für Sanierungsleitungen vor. Das Gebäude der Beschwerdeführerin wurde an die Sanie- rungsleitung G. angeschlossen, weshalb sie dafür nebst der "norma- len" Anschlussgebühr gemäss § 50 AR bzw. § 52 AR einen Baubei- trag an die Erstellungskosten zu entrichten hat. Eine solche Kombination von Anschlussgebühren und Beiträ- gen birgt die Gefahr, dass die betroffenen Grundeigentümer zu hohe Abgaben leisten müssen (AGVE 1998, S. 197). Nach der Rechtspre- chung des Verwaltungsgerichts ist diesem Problem bei der Erstellung des Beitragsplans Rechnung zu tragen, indem die Kosten der neuen Erschliessungsanlage (im vorliegenden Fall die Sanierungsleitung) nicht vollumfänglich auf die Grundeigentümer verlegt werden dür- fen, sondern auch ein Gemeindeanteil auszuscheiden ist (AGVE 1998, S. 198). Gegebenenfalls kann es zudem nötig werden, bei Abgabepflichtigen ihren Anteil - zu Lasten desjenigen der Gemein- de - herabzusetzen, wenn die Summe von Anschlussgebühr und Bei- trag mit dem Äquivalenzprinzip in Konflikt gerät. Der Beschwerde- 2001 Abgaben 187 führerin ist zuzustimmen, wenn sie geltend macht, dass in diesem Zusammenhang nur eine gesamthafte Betrachtung aller anfallenden einmaligen Abgaben sachgerecht ist. bb) Dies bedeutet nun aber nicht, dass das vorliegende Verfah- ren bis zum Vorliegen des Beitragsplans für die Baubeiträge sistiert werden müsste. Es würde, gerade in Anbetracht des grösseren Adres- satenkreises beim Beitragsplan, das Verfahren nicht vereinfachen, wenn die Gemeinde verpflichtet würde, die Kanalisationsanschluss- gebühren und die Baubeiträge gleichzeitig zu erheben. Vielmehr wird der Gemeinderat bei der neuen Festsetzung der Baubeiträge das Äquivalenzprinzip wie bereits erwähnt zu beachten haben. Dieser Verfahrensablauf ist der Beschwerdeführerin durchaus zumutbar; entscheidend ist, dass sie beim Erlass des Beitragsplans vollen Rechtsschutz geniesst.
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2006 Sozialhilfe 237 [...] 47 Rückerstattung von Sozialhilfe. - Vereinbarung über die Rückerstattung (Erw. 2). - Irrtumsanfechtung von Vereinbarungen über die Rückerstattung (Erw. 3). Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 22. Dezember 2005 in Sa- chen M.S. gegen das Bezirksamt Baden. Aus den Erwägungen 2. Wer materielle Hilfe bezogen hat, ist rückerstattungspflichtig, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse so weit gebessert haben, dass eine Rückerstattung ganz oder teilweise zugemutet werden kann (§ 20 Abs. 1 SPG). Die Gemeinde, die den Beschluss über die mate- rielle Hilfe gefasst hat, klärt periodisch die Voraussetzungen der Rückerstattung ab und entscheidet darüber, sofern keine Vereinba- rung mit der rückerstattungspflichtigen Person über die Rücker- stattung und deren Modalitäten zustande kommt (§ 21 Abs. 2 und 3 SPG). Die Rückerstattungspflicht setzt voraus, dass sich die wirt- schaftlichen Verhältnisse so weit gebessert haben, dass eine Rücker- stattung ganz oder teilweise zugemutet werden kann (§ 20 Abs. 1 SPG). Bessere wirtschaftliche Verhältnisse liegen vor, wenn Vermö- gen vorhanden ist, Vermögen gebildet wird oder Vermögen gebildet werden könnte (§ 20 Abs. 1 SPV). Die Gemeinden regeln die Rückerstattung in erster Linie mittels Vereinbarungen mit den rückerstattungspflichtigen Personen (§ 21 2006 Verwaltungsgericht 238 Abs. 2 SPG). Diese werden auf der Basis der Freiwilligkeit abge- schlossen, d.h. die Höhe der Zumutbarkeit (§ 20 Abs. 1 SPG) sowie die Modalitäten der Rückerstattung können vom Rückerstattungs- pflichtigen mit der Gemeinde frei vereinbart werden. Bei Vorliegen einer Vereinbarung i.S.v. § 21 Abs. 2 SPG kann daher grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der vereinbarte Betrag für den Pflichtigen zumutbar ist, und eine Überprüfung der Einkommens- oder Vermögensfreigrenzen ist nicht Voraussetzung für die Gültigkeit der Vereinbarung. Eine von der Gemeinde einseitig angeordnete Rückerstattung hat sich dagegen an die Schranken von § 21 Abs. 2 und 3 SPV zu halten. So ist bei der Rückerstattung aus Vermögen ein Vermögens- freibetrag von Fr. 5'000.-- für eine Person, jedoch höchstens Fr. 15'000.-- für eine Unterstützungseinheit nach § 32 Abs. 1 SPV zu gewähren (§ 20 Abs. 2 SPV). Die Rückerstattung aus Einkommen er- folgt auf der Basis des sozialen Existenzminimums (Grundbedarf I und II, situationsbedingte Leistungen) mit einem Zuschlag von 20 % und erweitert um die Auslagen für Steuern, Unterhaltsverpflichtun- gen und Darlehenstilgung (§ 20 Abs. 3 SPV). 3.1. (...) 3.2. Die Gemeinde A und der Beschwerdeführer haben am 26. September 2003 eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach der Beschwerdeführer zusätzlich zu den von der SVA Aargau an die Gemeinde A ausbezahlten Fr. 28'576.95 noch Fr. 17'215.05 an Letz- tere abtrete. Den Akten sind keine Hinweise zu entnehmen, dass diese Vereinbarung nicht dem freien Willen des Beschwerdeführers entsprach. In der Vereinbarung wurde sogar explizit festgehalten, dass es sich um eine freiwillige Abtretung handelt. In der Folge stellte sich heraus, dass die SVA Aargau die Fr. 17'215.05 an den Be- schwerdeführer auszahlen muss. Dies betrifft aber nur die Zah- lungsmodalitäten und ändert nichts daran, dass zwischen dem Be- schwerdeführer und der Gemeinde A am 26. September 2003 eine Vereinbarung über die Rückerstattung i.S.v. § 21 Abs. 2 SPG zu- stande gekommen ist. 2006 Sozialhilfe 239 Mit dem Zustandekommen der Vereinbarung entfällt die Ver- bindlichkeit der Schranken von § 20 Abs. 2 und 3 SPV (siehe vorne Erw. 2). Insbesondere muss die vom Beschwerdeführer freiwillig eingegangene vertragliche Vereinbarung nicht auf ihre Vereinbarkeit mit § 20 Abs. 2 und 3 SPV überprüft werden. Soweit der Beschwer- deführer geltend macht, es sei ihm ein Freibetrag zu gewähren und seine anderweitigen Schulden seien zu berücksichtigen, ist sein Ein- wand damit unbeachtlich. 3.3. 3.3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe darüber geirrt, wem die von ihm zusätzlich zurückbezahlten Fr. 17'215.05 zukom- men. Er wäre mit der Vereinbarung einverstanden gewesen, wenn es sich um die Tilgung der Schulden gegenüber der Gemeinde A ge- handelt hätte; dies sei aber nicht der Fall gewesen, vielmehr habe der Beschwerdeführer auch von Bund und Kanton Leistungen erhalten. 3.3.2. Weist ein verwaltungsrechtlicher Vertrag Willensmängel (Irr- tum, Täuschung oder Drohung beim Abschluss) auf, so finden die Bestimmungen der Art. 23 ff. OR analog Anwendung (Ulrich Häfelin / Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2002, Rz. 1118). Im Gegensatz zum Zivilrecht erweist sich das Vorliegen eines Motivirrtums (Art. 24 Abs. 2 OR) indessen regelmässig als rechtserheblich. Die Durchführung und der Vollzug des Gesetzes verlangen von der Verwaltung, dass die Fehler, die zu einer Diskrepanz zwischen Norm und Einzelakt führen, soweit möglich, korrigiert werden müssen. Vom demokratischen Bürger muss verlangt werden, dass er diese Durchsetzung des von ihm ge- tragenen Gerechtigkeitsmassstabes - von Härtefällen einmal abgese- hen - auch dann akzeptiert, wenn die Korrektur seinen augenblickli- chen Individualinteressen zuwiderläuft (Detlev Dicke, Der Irrtum bei der Verwaltungsmassnahme, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht [ZSR] Neue Folge 103/I [1984], S. 531; Häfelin / Müller, a.a.O., Rz. 1119). 2006 Verwaltungsgericht 240 3.3.3. Vorab ist festzuhalten, dass die Freiwilligkeit der Leistung in der Vereinbarung vom 26. September 2003 ausdrücklich festgehalten wurde. Mit keinem Wort hat der Beschwerdeführer erwähnt, er zahle nur, wenn das Geld schlussendlich an die Gemeinde A gehe. Soweit der Beschwerdeführer nun darauf abstellt, wem seine Leistungen zu- kommen, sind seine Aussagen widersprüchlich. Im Übrigen ist die Auszahlung der Unterstützungsbeiträge aus- weislich der Akten immer über die Gemeinde gelaufen. Es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern die interne Kostenaufteilung unter den öf- fentlichrechtlichen Kostenträgern nach § 47 ff. SPG für den Be- schwerdeführer bei Abschluss der Vereinbarung überhaupt von Be- lang war, war sie für ihn doch gar nicht transparent. Der behauptete Irrtum des Beschwerdeführers erscheint vielmehr als vorgeschoben. 3.3.4. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Irrtum bezieht sich auf den Beweggrund zum Abschluss der Vereinbarung und stellt somit einen Motivirrtum i.S.v. Art. 24 Abs. 2 OR dar (Peter Gauch / Walter R. Schluep / Jörg Schmid / Heinz Rey, Schweizerisches Obli- gationenrecht, Allgemeiner Teil, 8. Auflage, Zürich 2003, Rz. 768). Da es für die Rückerstattung der materiellen Hilfe gemäss § 20 SPG unbeachtlich ist, welchem Kostenträger der öffentlichen Hand das Geld schlussendlich zukommt, führt der vom Beschwerdeführer gel- tend gemachte Motivirrtum nicht zu einer Diskrepanz von Gesetz und der Vereinbarung vom 26. September 2003. Ein solcher Moti- virrtum wäre daher unbeachtlich. 3.4. Im Weiteren führt der Beschwerdeführer aus, er sei davon aus- gegangen, die Vereinbarung vom 26. September 2003 umfasse ledig- lich seine gesetzlichen Pflichten. Dieser Irrtum bezieht sich einerseits auf den Beweggrund zum Abschluss der Vereinbarung und stellt somit einen Motivirrtum dar (siehe vorne Erw. 3.3.2). Andererseits macht der Beschwerdeführer damit auch einen Rechtsirrtum geltend (vgl. BGE 118 II 58 Erw. 3 = Pra 82/1993 Nr. 142). 2006 Sozialhilfe 241 Die Pflicht zur Rückerstattung materieller Hilfe ist - ähnlich der Pflicht zur Rückerstattung der unentgeltlichen Rechtspflege (§ 133 ZPO) - grundsätzlich, d.h. sie besteht nicht nur unter bestimmten Voraussetzungen bzw. ab einer bestimmten Höhe. Der vom Be- schwerdeführer geltend gemachte Irrtum hat daher keinen Einfluss auf die Rechtmässigkeit der Vereinbarung vom 26. September 2003 und ist deshalb unbeachtlich (vgl. Dicke, a.a.O., S. 532). 3.5. Schliesslich führt der Beschwerdeführer aus, seine Familie habe noch weitere finanzielle Bedürfnisse und weitere Schulden. Es sei ihm daher eigentlich gar nicht möglich gewesen, die Fr. 17'215.05 zurückzuzahlen. Dies sei einzig aufgrund der Aufforderung vom 21. Oktober 2003 erfolgt, mit welcher der Beschwerdeführer zur irr- tümlichen Leistung des fraglichen Betrags verleitet worden sei. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, er habe sich bei Abschluss der Vereinbarung vom 26. September 2003 in Bezug auf die Schulden seiner Familie im Irrtum befunden. Sie können daher keinen Anfechtungsgrund begründen. Die Behauptung, dass der Be- schwerdeführer einzig aufgrund einer Aufforderung geleistet hat, ist im Übrigen aktenwidrig. 3.6. Zusammenfassend ist die Vereinbarung vom 26. September 2003 nicht mit Willensmängeln behaftet, und die Vorinstanz hat die Beschwerde zu Recht abgewiesen.
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2009 Verwaltungsgericht 176 [...] 34 Zonenkonformität einer Einkaufsanlage in der Industriezone Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. Juli 2009 in Sachen X. AG gegen Beschluss des Gemeinderats Seon (Sprungbeschwerde; WBE.2008.152). Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdeführerin plant auf der Parzelle Nr. 1947 den Neubau einer Filiale mit einer Verkaufsfläche von rund 1'198 m 2 und 111 Parkplätzen. Hinzu kommen verschiedene Nebenräume und Abstellplätze für Velos und Mofas. Die Zufahrt zur geplanten Ver- kaufsstelle soll über die Industriestrasse "Birren" erfolgen, die in ei- nem Abstand von rund 105 m zum Baugrundstück in die Lenzbur- gerstrasse (K 249) mündet. 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 177 Die Bauparzelle liegt gemäss Bauzonen- und Kulturlandplan der Gemeinde Seon vom 23. November 2001 / 26. August 2003 in der Industriezone. 2. (...) 3. 3.1.-3.3. (...) 3.4. 3.4.1. Das RPG erlaubt es den Kantonen, neben den in den Art. 15 - 17 RPG ausdrücklich genannten weitere Zonen vorzusehen. In der Ausgestaltung und Ergänzung der vom RPG geregelten Nutzungsar- ten kommt den Kantonen ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu, wobei sie an die bundesrechtliche Grundordnung gebunden bleiben. Die Gestaltungsfreiheit der Kantone wird begrenzt durch den Grundsatz der Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet, durch das Konzentrationsprinzip, das die Streubauweise für nicht freilandge- bundene Bauten verbietet, und durch die Ziele und Grundsätze der Raumplanung (zum Ganzen Bernhard Waldmann / Peter Hänni, Raumplanungsgesetz, Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung [RPG], Bern 2006, Art. 18 N 4 ff.). Nach § 15 Abs. 2 BauG können die Gemeinden innerhalb der Bauzone namentlich Wohn-, Kern-, Gewerbe-, Industriezonen und Zonen für öffentliche Bauten ausscheiden und Art sowie Ausmass der Nutzungen regeln. Das kantonale Recht schreibt den Gemeinden nicht vor, welche Nutzungen sie in diesen Zonen zuzulassen haben. Bei der Ausscheidung und der Definition der verschiedenen Zonen geniessen die Gemeinden vielmehr verfassungsrechtlich geschützte Autonomie (§ 106 Abs. 1 KV); hierin eingeschlossen ist die An- wendung des autonomen Gemeinderechts. Das kantonale Recht gewährt rechtlich erhebliche Entscheidungsfreiheit, und zwar in der Absicht, die Ordnung den Gemeinden zu überlassen, d.h. ihnen Kompetenzen für selbstständige Regelungen in einem für den Sinn und die Funktion der Gemeindefreiheit wichtigen Bereich offen zu halten. Daraus folgt, dass sich das Verwaltungsgericht bei der Über- prüfung gemeinderätlicher Entscheide zurückzuhalten hat, soweit es bei den zu entscheidenden Fragen um rein lokale Anliegen und ört- 2009 Verwaltungsgericht 178 lich-spezifische Interessen geht und weder überörtliche Interessen noch überwiegende Rechtsschutzanliegen berührt werden. Die Ge- meinde kann sich in solchen Fällen bei der Auslegung kommunalen Rechts insbesondere dort auf ihre Autonomie berufen, wo eine Re- gelung unbestimmt ist und verschiedene Auslegungsergebnisse recht- lich vertretbar erscheinen lässt. Die kantonalen Rechtsmittelinstan- zen sind hier gehalten, das Ergebnis der gemeinderätlichen Rechts- auslegung zu respektieren und nicht ohne Not ihre eigene Rechts- auffassung an die Stelle der gemeinderätlichen zu setzen. Die Autonomie der Gemeindebehörden hat jedoch dort ihre Grenzen, wo sich eine Auslegung mit dem Wortlaut sowie mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht mehr vereinbaren lässt (AGVE 2005, S. 152; 2003, S. 190). Wo eine Norm der rechtsanwendenden Behörde Er- messen einräumt, ist die Gemeindebehörde bei der Ermessensbe- tätigung ausserdem an die Verfassung, insbesondere an das Rechts- gleichheitsgebot, das Verhältnismässigkeitsprinzip und an die Pflicht zur Wahrung öffentlicher Interessen, gebunden (Ulrich Häfelin / Georg Müller / Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich 2006, Rz. 441). 3.4.2. Nach § 12 Abs. 1 der Bauordnung der Gemeinde Seon vom 23. November 2001 / 26. August 2003 (BO) ist die Industriezone be- stimmt für mässig und stark störende Industrie- und Gewerbebetrie- be. Wohnungen sind nur für den Betriebsinhaber sowie für betrieb- lich an den Standort gebundenes Personal gestattet. Eine Umschrei- bung dessen, was unter mässig und stark störenden Industrie- und Gewerbebetrieben zu verstehen ist, enthält das lokale Recht nicht. Die genaue Bedeutung von § 12 Abs. 1 BO ist daher durch Ausle- gung zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist bei der Auslegung vom Wortlaut auszugehen, doch kann dieser nicht allein massgebend sein. Besonders wenn der Text unklar ist oder verschiedene Deutungen zulässt, muss nach seiner wahren Trag- weite gesucht werden unter Berücksichtigung weiterer Auslegungs- elemente, wie der Gesetzessystematik, der Entstehungsgeschichte der Norm oder der Wertung, die der Gesetzesbestimmung zugrunde liegt (vgl. BGE 128 I 40 f.; BGE vom 21. März 2000, in: ZBl 102/2001, 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 179 S. 84; BGE 125 II 525; AGVE 2003, S. 191 f., je mit Hinw.; zum Ganzen auch Häfelin / Müller / Uhlmann, a.a.O., Rz. 216 ff.). Der Wortlaut von § 12 Abs. 1 BO führt zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis. Während sich der Begriff der Industrie nach herkömmlichem Sprachgebrauch auf die Produktion und Weiterver- arbeitung von Waren und Gütern bezieht, kann der Begriff des Ge- werbes je nach Sprachverständnis in einem engeren oder einem weiteren Sinn verwendet werden. In einem engeren Sinn fallen da- runter nur Betriebe, die der Bearbeitung oder Verarbeitung von Stoffen aller Art mit Hilfe von Maschinen oder anderen technischen Hilfsmitteln dienen (so ZBl 81/1980, S. 258; 90/1989, S. 211), nicht aber Verkaufsgeschäfte und Dienstleistungsbetriebe. In einem weite- ren Sinn umfasst der Begriff des Gewerbes jede wirtschaftliche Tä- tigkeit, die auf eigene Rechnung, eigene Verantwortung und auf Dauer mit der Absicht zur Gewinnerzielung betrieben wird (so http://de.wikipedia.org/wiki/Gewerbe). Darunter fielen auch Ver- kaufsgeschäfte und Dienstleistungsbetriebe. Auch die Gesetzessystematik lässt mehrere Deutungen zu. Zwar hat der Gesetzgeber in den §§ 10 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 BO termi- nologisch zwischen Gewerbe, Dienstleistungsbetrieben und Läden unterschieden, was darauf hinweisen könnte, dass er den Begriff des Gewerbes und der Industrie in § 12 Abs. 1 BO in einem engen Sinn verwenden wollte und darunter nur produzierende und weiterverar- beitende Betriebe verstand. Allerdings legt § 7 Abs. 1 BO den ge- genteiligen Schluss nahe, werden doch hier mit dem Begriff des "mässig störenden Gewerbes" offenbar auch Verkaufsgeschäfte ein- gefangen, von denen sich einige in der Kernzone befinden (so etwa Coop, Volg und Intersport [...]). Dagegen kann sich die Auffassung des Gemeinderats, wonach reine Verkaufsgeschäfte in der Industriezone unzulässig sind, auf die Entstehungsgeschichte stützen. Im Planungsbericht vom 31. Oktober 2001 zur Anpassung der Bauordnung an das neue Baugesetz, Teiländerungen Bauzonen- und Kulturlandplan, wurde ausdrücklich festgehalten, in den Industriezonen seien wegen ihrer peripheren Lage in Bezug auf den Ortskern weiterhin keine Einkaufsanlagen zulässig, ausser Fabrikläden, die als Bestandteile von Industriebauten 2009 Verwaltungsgericht 180 gelten würden (...). Die gleiche Zielsetzung ergibt sich aus dem Regionalen Entwicklungskonzept für die Region Seetal aus dem Jahr 2006 (...), wo explizit festgehalten wird, der Einkauf für den tägli- chen Bedarf [...] solle in den peripheren Arbeitsplatzgebieten ausge- schlossen werden (...). Zum gleichen Auslegungsergebnis führt auch eine teleologische Betrachtung: Zwar dürfen in Industriezonen unter immissions- rechtlichen Gesichtspunkten auch Betriebe errichtet werden, die nur mässig stören (sog. Recht zur Minderausnutzung; vgl. Erich Zim- merlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, §§ 130-33 N 10a), hinter dem Verbot von Verkaufsgeschäften in Industriezonen kann gleichwohl ein legitimes planerisches Anliegen stecken. So kann ein berechtigtes Ziel des Gesetzgebers darin bestehen zu verhindern, dass die Orts- zentren durch den Bau von abseits gelegenen Verkaufsgeschäften entleert oder in ihrer Lebensfähigkeit beeinträchtigt werden. Ge- genstand der Raumplanung darf somit mindestens in gewissen Schranken auch die Konsumversorgung der Wohngebiete sein (vgl. auch BGE 116 Ia 428 ff.). Ein Vorhaben der streitbetroffenen Art, das mit seinem Sortiment an Nahrungs- und Genussmitteln sowie an Ge- und Verbrauchsgütern den kurz- und mittelfristigen Bedarf von Endverbrauchern abdeckt, ist geeignet, diese vom Ortszentrum weg in die Industriezone zu locken und so (über das Absterben zentral gelegener Betriebe) die Güterversorgung im Ortszentrum in Frage zu stellen. Ein weiteres berechtigtes planerisches Interesse besteht darin, gewerbliche und industrielle Betriebe, die wegen ihrer Auswirkungen auf die Umwelt und/oder wegen ihres grösseren Raumbedarfs auf die Industriezone angewiesen sind, vor einer Verdrängung durch reine Verkaufsgeschäfte zu schützen, zumal solche auch in anderen Zonen betrieben werden können. Gemäss dem Planungsbericht handelt es sich bei den Industriezonen Birren und Egliswil um die einzigen beiden Industriegebiete mit regionaler Bedeutung für das Seetal. In den Gemeinden mit Seeanstoss sei aus Landschaftsgründen bewusst auf die Ausscheidung von Industriezonen verzichtet worden (...). Da somit das regionale Angebot an Zonen beschränkt ist, in denen sich Betriebe mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt und/oder 2009 Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht 181 grossem Raumbedarf niederlassen können, kann sich die Fernhaltung von Verkaufsgeschäften, die entweder weniger Immissionen verursachen oder geringeren Raumbedarf haben, auf ein berechtigtes raumplanerisches Interesse stützen. Zwar lässt sich anführen, dass ein Verkaufsgeschäft wie das ge- plante, bei dem das Einzugsgebiet der Kundschaft über den lokalen Bereich hinausgeht, infolge des Verkehrsaufkommens in einer pe- ripheren Industriezone besser aufgehoben wäre als im Ortskern, eine Gemeinde ist jedoch grundsätzlich nicht verpflichtet, auf ihrem Ge- biet jede beliebige Nutzung zuzulassen. Soweit es planerische oder infrastrukturelle Gründe rechtfertigen, können Gemeinden auch in Industrie- und Gewerbezonen bestimmte Betriebsarten (zum Beispiel Einkaufsanlagen) ausschliessen (vgl. auch Christoph Fritzsche / Peter Bösch, Zürcher Planungs- und Baurecht, 4. Aufl., Zürich 2006, Ziff. 3-15). Für die Ansicht des Gemeinderats, wonach reine Verkaufsge- schäfte in der Industriezone nicht zulässig sind, sprechen somit das historische und das teleologische Element. Mit Wortlaut und Geset- zessystematik lässt sich das Auslegungsergebnis zumindest vereinba- ren. Der angefochtene Beschluss beruht somit auf einer vertretbaren Auslegung des kommunalen Rechts. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Gemeinderat anfänglich selber davon ausgegangen war, das Vorhaben lasse sich in baurechtlicher Hinsicht nicht verhindern (...). Nach der Konzeption des Baugesetzes können ver- bindliche Zusagen nur noch als Vorentscheid im Sinn von § 62 BauG ergehen (vgl. auch BGE 117 Ia 288 f.). Das gilt jedenfalls solange, als Dritte davon betroffen sind (vgl. Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [VRPG] vom 9. Juli 1968, Diss., Zürich 1998, § 38 N 36; Zimmerlin, a.a.O., § 152 N 9). Im konkreten Fall fehlt es an einem förmlichen Vorentscheid, der auch gegenüber den Einsprechern verbindlich werden könnte.
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2004 Submissionen 221 [...] 53 Ausschluss eines Anbieters. - Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit (Erw. 2/c/bb). - Verletzung wesentlicher Formvorschriften (Erw. 2/c/cc). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 4. August 2004 in Sa- chen H. AG gegen Gemeinderat Unterkulm. Aus den Erwägungen 2. c) aa) Gemäss § 28 Abs. 1 SubmD schliesst die Vergabestelle Anbietende, die Steuern oder Sozialabgaben nicht bezahlt haben (lit. c) oder die sich in einem Konkursverfahren befinden (lit. f), vom Verfahren aus oder widerruft den Zuschlag. Der Ausschluss eines fehlbaren Anbieters ist zwingend (Protokoll des Grossen Rates [Prot. GR] vom 26. November 1996, Art. 1995, S. 622 [Votum Küng]; AGVE 2000, S. 315). Vom Verfahren auszuschliessen sind auch Anbieter, die zur Erfüllung des Auftrags nicht geeignet sind, da sie die dazu erforderliche finanzielle, wirtschaftliche oder fachliche Leistungsfähigkeit nicht oder nicht mehr aufweisen (§ 28 Abs. 1 lit. a SubmD; Peter Galli / André Moser / Elisabeth Lang, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, Zürich 2003, Rz. 279, 296). Bei der Beurteilung der Eignung kommt der Vergabestelle ein Ermes- sensspielraum zu. bb) Die Anbieter hatten im vorliegenden Fall mittels Selbstde- klaration u.a. zu bestätigen, dass sie die Zahlungspflichten gemäss 2004 Verwaltungsgericht 222 § 28 Abs. 1 lit. c SubmD (Steuern und Sozialabgaben) einhalten. Die Beschwerdegegnerin hat bejaht, dass sie die Mehrwertsteuer, die Gemeinde-, Kantons- und Bundessteuer aller Jahre vollumfänglich bis zum Fälligkeitstermin bezahlt hat; ebenso hat sie die Abrechnung und Bezahlung sämtlicher Sozialabgaben bzw. Sozialversicherungs- beiträge bejaht. Was die finanzielle Leistungsfähigkeit bzw. die Kreditwürdig- keit der Beschwerdegegnerin anbelangt, ist diese von der Verga- bestelle zwar nicht näher geprüft worden, vorgesehen ist aber, mit dem Werkvertrag eine Vertragserfüllungsgarantie in Form einer Soli- darbürgschaft einer von der Bauherrschaft anerkannten Bank oder Versicherungsgesellschaft einzufordern. Eine Erfüllungsgarantie (nach Art. 111 OR) ist in den Ausschreibungsunterlagen zwar ledig- lich für Aufträge über Fr. 200'000.-- ausdrücklich vorgesehen. Da sich die Beschwerdegegnerin aber - wie erwähnt - zwischenzeitlich bereit erklärt hat, eine Erfüllungs- bzw. Ausführungsgarantie frei- willig beizubringen, kann ihr die Kreditwürdigkeit und damit die finanzielle Leistungsfähigkeit nicht abgesprochen werden. Festzu- halten ist, dass die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Offerentin klarerweise im Ermessen der Vergabestelle liegt. Ein Ausschluss mangels Eignung kommt daher nicht in Betracht. cc) Es bleibt ein sich auf § 28 Abs. 1 SubmD stützender Aus- schluss zu prüfen. Festzustellen ist, dass die R. AG im Mai 2003 in Anwendung von Art. 708 Abs. 4 OR und Art. 86 Abs. 2 HRegV von Amtes wegen aufgelöst wurde, weil die ihr zur Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustandes in Bezug auf den Verwaltungsrat und die Vertretung angesetzte Frist fruchtlos abgelaufen war. Nachdem der gesetzliche Zustand in Bezug auf den Verwaltungsrat und die Vertretung wieder hergestellt worden war, wurde die Auflösung der Gesellschaft am 19. August 2003 widerrufen. Die Beschwerdegegne- rin befindet sich nicht mehr in Liquidation. Aus dem Handelsregister geht hervor, dass sich die Beschwerdegegnerin auch nicht in einem Konkursverfahren befindet. Ein sich auf § 28 Abs. 1 lit. g SubmD stützender Ausschluss vom Verfahren bzw. ein Widerruf des Zu- schlags kommt daher ebenfalls nicht in Betracht. Das Vorhandensein von Betreibungen führt hingegen nicht zu einem zwingenden 2004 Submissionen 223 Ausschluss nach § 28 SubmD. Die Frage, ob eine Vergabebehörde die Existenz von (berechtigten) Betreibungen bei der Eignung oder beim Zuschlag im Rahmen ihres Ermessens negativ berücksichtigen darf, kann vorliegend offen bleiben. dd) Die von der Beschwerdeführerin beanstandete, fehlende telefonische Erreichbarkeit der Beschwerdegegnerin sowie der Um- stand, dass bei einer zehnjährigen Anlage der Beschwerdegegnerin in Montreux die Unterhaltsarbeiten anderweitig vergeben worden sind, stellen ebenfalls keine Ausschlussgründe im Sinne des SubmD dar. Sie vermögen weder die Eignung der Beschwerdegegnerin in Frage zu stellen noch handelt es sich hierbei um "genügende" Gründe im Sinne von § 28 SubmD. Die Vergabebehörde hatte ihren Angaben zufolge keinerlei Schwierigkeiten, die Beschwerdegegnerin telefonisch zu erreichen. Auch hat die Beschwerdegegnerin ihr An- gebot im vorliegenden Fall fristgerecht eingereicht; insofern erscheint die auf Gerüchten basierende und nicht näher belegte Be- hauptung, auf eine Offerte der R. AG müsse man ewig warten oder man erhalte keine, im vorliegenden Zusammenhang irrelevant. Was schliesslich den Vorwurf anbelangt, die Beschwerde- gegnerin leiste keine Unterhaltsarbeiten mehr an bestehenden Anla- gen, ist festzuhalten, dass es sich auch nach Darstellung der Be- schwerdeführerin um Reparaturarbeiten an einer zehnjährigen An- lage handelt und somit nicht um Garantiearbeiten. Eine rechtliche Verpflichtung der Beschwerdegegnerin zu diesen Reparaturen be- stand folglich nicht und es ist im vorliegenden Zusammenhang - wie die Beschwerdegegnerin zu Recht geltend macht - unerheblich, aus welchen Gründen die R. AG bei der Anlage in Montreux nicht mehr tätig wurde.
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2006 Verwaltungsgericht 120 [...] 27 Abzug von Krankheits-, Unfall- und Invaliditätskosten (§ 40 lit. i StG). - Anwendung auf behinderungsbedingte Kosten. 2006 Kantonale Steuern 121 - Das Schulgeld für eine Privatschule, wo der Unterricht erheblich besser auf die behinderungsspezifischen Bedürfnisse eines Kindes ausgerichtet ist, als dies an der öffentlichen Schule möglich wäre, ist abzugsfähig. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 20. Januar 2006 in Sa- chen Kantonales Steueramt gegen Steuerrekursgericht und T.H. Publikation in StE 2007 vorgesehen. Sachverhalt Das Steuerrekursgericht anerkannte das Schulgeld für den Be- such einer Privatschule als abzugsfähig mit der Begründung, ange- sichts der weitherzigen Umschreibung der Krankheits-, Unfall- und Invaliditätskosten könnten auch die Kosten, wenn ein Kind mit Be- hinderung eine entsprechende Privatschule besuche, darunter fallen. Im vorliegenden Fall sei der Besuch der Privatschule X zwar nicht medizinisch zwingend, aber doch durch die behinderungsbedingten sprachlichen Defizite des Kindes begründet gewesen. Gegen diesen Entscheid erhob das KStA Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Aus den Erwägungen 1./1.1. Gemäss § 40 lit. i StG werden, in Übereinstimmung mit der Vorgabe in Art. 9 Abs. 2 lit. h StHG, von den Einkünften abgezo- gen "die Krankheits-, Unfall- und Invaliditätskosten der steuer- pflichtigen Person und der von ihr unterhaltenen Personen, soweit die steuerpflichtige Person die Kosten selber trägt" und diese einen bestimmten Prozentsatz der steuerbaren Einkünfte übersteigen. Auch Art. 31 Abs. 1 lit. h DBG enthält eine praktisch identische Regelung. Streitig ist allein, ob das von den Beschwerdegegnern entrich- tete Schulgeld für den Besuch der Privatschule X durch ihre Tochter Ch.H. unter § 40 lit. i StG fällt. 2006 Verwaltungsgericht 122 1.2./1.2.1. Wenn es um die abziehbaren Krankheits-, Unfall- und Invalidenkosten geht, werden in der Regel die Krankheitskosten umschrieben und die Unfall- und Invaliditätskosten dann "analog" behandelt, wobei unter die Invaliditätskosten auch Pflegekosten und behinderungsbedingte Kosten subsumiert werden. Ch.H. leidet unter einer Behinderung (hinten Erw. 2.1). Es ist deshalb besonders im Auge zu behalten, dass die sachgemässe Umschreibung und Begren- zung von Krankheitskosten und behinderungsbedingten Kosten we- gen der unterschiedlichen Art der möglichen bzw. angezeigten Be- handlungsmethoden nicht identisch sein kann. 1.2.2. Bei der Umschreibung der abziehbaren Kosten gibt es zwischen den Bereichen, wo die Abzugsfähigkeit klarerweise bejaht bzw. verneint wird, eine beträchtliche Grauzone. Unter Krankheits- kosten in einem engen Sinn werden die Ausgaben für medizinische Behandlungen, d.h. für medizinisch indizierte Massnahmen zur Wie- derherstellung der körperlichen und psychischen Gesundheit ver- standen, wie insbesondere Kosten für ärztliche Behandlungen, Spi- talkosten, Auslagen für Medikamente und medizinische Apparate; diese sind klarerweise abzugsfähig. Ihnen gleichgestellt werden Ko- sten für konkrete Massnahmen zur Gesundheitserhaltung, die über allgemeine Prävention hinausgehen. Ebenfalls als Krankheitskosten gelten die Franchisen und Selbstbehalte von Krankenkassen (nicht aber die Krankenkassenprämien). Anerkanntermassen nicht abzugs- berechtigt sind dagegen Aufwendungen für Selbsterfahrung, Persön- lichkeitsreifung, zur Erhaltung oder Steigerung der körperlichen Schönheit und des Wohlbefindens, für reine Prävention, ebenso Aufwendungen, die den Rahmen üblicher und notwendiger Mass- nahmen (klar) übersteigen oder die nur mittelbar und indirekt mit ei- ner Krankheit und der Heilung zusammenhängen (siehe - auch zum Folgenden - für das DBG: Kreisschreiben der ESTV vom 14. De- zember 1994, publiziert in ASA 63/1994-95, S. 727 ff.; Kreisschrei- ben der ESTV vom 31. August 2005; Entscheid des Bundesgerichts vom 7. Juni 2004 [2A.318/2004], Erw. 2.1; Peter Locher, Kommen- tar zum DBG, I. Teil, Therwil/Basel 2001, Art. 33 N 78 ff.; Rich- ner/Frei/Kaufmann, Handkommentar zum DBG, Zürich 2003, Art. 33 N 120 ff.; für das kantonale Recht: Merkblatt "Krankheitskosten" des 2006 Kantonale Steuern 123 KStA, Fassungen vom 30. September 2001 und vom 15. Juli 2002; Daniel Aeschbach, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Band 1, 2. Auflage, Muri/Bern 2004, § 40 N 145 ff.). Im "Graubereich" werden ebenfalls als abzugsfähig anerkannt: ärztlich angeordnete Kur- und Erholungsaufenthalte; Spital- und Heimkosten, die durch Pflegebedürftigkeit bedingt sind; Auslagen für die Betreuung durch Begleit- und Pflegepersonal; Anschaffung und Unterhalt von technischen Hilfsmitteln (wie Brillen, Hörappa- rate, Prothesen); Mehrkosten für den behindertengerechten Umbau von Wohnung und Fahrzeugen; Fahrtkosten, um ärztliche Leistungen in Anspruch zu nehmen (Merkblätter KStA; Aeschbach, a.a.O., § 40 N 148). Dass das Schulgeld, wenn Kinder eine ihrer Krankheit oder Behinderung entsprechende Privatschule besuchen, zu den abzugsfä- higen Krankheitskosten gehöre, wird dagegen nur vereinzelt vertre- ten (Richner/Frei/Kaufmann, a.a.O., Art. 33 N 124; Richner/Frei/ Kaufmann, Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, Zürich 1999, § 32 N 5, in beiden Fällen ohne Bezugnahme auf Ent- scheide oder gleichlautende Lehrmeinungen). 1.2.3. Das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteili- gungen von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2002 (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG; SR 151.3) brachte auch, mit Geltung ab 1. Januar 2005 (und damit im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar), Änderungen im Steuerrecht. In Art. 33 Abs. 1 lit. h DBG wurden die Invaliditätskosten gestrichen und neu in einer lit. h bis geregelt, wonach nun vollumfänglich abziehbar sind "die be- hinderungsbedingten Kosten des Steuerpflichtigen oder der von ihm unterhaltenen Personen mit Behinderungen im Sinne des Behinder- tengleichstellungsgesetzes vom 13. Dezember 2002, soweit der Steu- erpflichtige die Kosten selber trägt" (identische Änderungen erfolg- ten in Art. 9 Abs. 2 lit. h und h bis StHG). Als Mensch mit Behinde- rungen wird eine Person bezeichnet, "der es eine voraussichtlich dauernde körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung er- schwert oder verunmöglicht, alltägliche Verrichtungen vorzunehmen, soziale Kontakte zu pflegen, sich fortzubewegen, sich aus- und fort- zubilden oder eine Erwerbstätigkeit auszuüben." (Art. 2 Abs. 1 Be- hiG). Dazu wird im Kreisschreiben der ESTV vom 31. August 2005 2006 Verwaltungsgericht 124 u.a. ausgeführt, Mehrkosten, die durch den Besuch einer Privatschule entstehen, gälten nur dann als behinderungsbedingte Kosten, wenn mittels Bericht des kantonalen schulpsychologischen Dienstes nach- gewiesen wird, dass es sich beim Besuch der Privatschule um die einzig mögliche und notwendige Massnahme für eine angemessene schulische Ausbildung des behinderten Kindes handelt (Ziff. 4.3.10). Durch das BehiG klar vorgegeben, können auch Aufwendungen für den Besuch einer Privatschule zu den behinderungsbedingten und damit abzugsfähigen Kosten gehören; die im Kreisschreiben enthal- tenen Einschränkungen beziehen sich auf die Notwendigkeit derarti- ger Kosten. 1.2.4. Auch wenn in den Gesetzestexten nicht ausdrücklich auf- geführt, ist allgemein anerkannt, dass nur die notwendigen (oder die üblichen) Auslagen abzugsfähig sind (vorne Erw. 1.2.2). Der ent- sprechende Nachweis setzt in der Regel ein ärztliches Zeugnis oder eine amtliche Bestätigung voraus, doch bezeichnet der angefochtene Entscheid dies zu Recht nicht als unabdingbar. 2./2.1. Ch.H. leidet an Legasthenie und einer Sprach-Laut-Ge- dächtnisstörung (Zeugnis des Hausarztes Dr. H. vom 25. Februar 2004). In den Zeugnissen des Kantonsspitals Aarau vom 13. Oktober und 3. November 2005 wird die Behinderung als "schwere Sprach- lautbildungsstörung mit Schwierigkeiten der Artikulation und Ge- dächtnisstörungen im Sinne einer erschwerten Lern- und Merkfähig- keit und eingeschränktem visuell-räumlichem Vorstellungsvermö- gen" bzw. "Sprachentwicklungsstörung mit auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung" bezeichnet; eine logopädische Therapie sei zweifellos erforderlich, auch wenn sie die Behinderung bisher nur habe verringern, nicht aber beseitigen können. 2.3. (Darstellung der Unterrichtsmöglichkeiten in der Klein- klasse der öffentlichen Schule einerseits und der Privatschule X an- dererseits.) 3./3.1. Aufgrund der ärztlichen Zeugnisse ist zunächst einmal nicht zu bezweifeln, dass bei Ch.H. eine Behinderung (mit Krank- heitswert) vorliegt, die der Umschreibung in Art. 2 Abs. 1 BehiG entspricht und die der Behandlung bedarf. Weiter ergibt sich daraus, dass es nicht allein um eine Logopädie-/Legasthenie-Therapie geht, 2006 Kantonale Steuern 125 sondern dass auch die Art, wie der tägliche sprachliche Unterricht erteilt wird, eine eminent wichtige Rolle spielt, wenn es darum geht, die Behinderung und ihre Folgen zu lindern. Die erschwerte Lern- und Merkfähigkeit mit schwerer Störung bei der Sprachlautbildung wirkt sich offenbar erheblich weniger hemmend aus, wenn der Un- terricht in ruhiger Umgebung und einer kleinen Gruppe erteilt wer- den kann. Hier kommt zum Tragen, dass es nicht um Krankheitskos- ten, sondern um behinderungsbedingte Kosten geht (vorne Erw. 1.2.1). ... Weil es sich nicht um eine Krankheit, sondern um eine Behinderung handelt und aufgrund der Art der konkreten Be- hinderung und der Behandlungserfordernisse muss der vom KStA betonte Grundsatz, dass - neben der ohnehin notwendigen medizini- schen Indikation - nur Behandlungen medizinischer Art die Abzugs- fähigkeit von Schulkosten begründen können, hier relativiert werden. 3.2. Im Hinblick auf die speziellen Bedürfnisse von Ch.H. weist die Privatschule X von der möglichen Grösse und Zusammensetzung der Klasse her Vorteile gegenüber der als Alternative denkbaren Kleinklasse auf. Bei der Kleinklasse ist eine Schülerzahl von 12 (die sogar über mehrere Jahre hinweg überschritten werden darf) mög- lich, und darunter befinden sich in aller Regel Schüler mit Verhal- tensstörungen, die naturgemäss zu Unruhe und einem hohen Ge- räuschpegel führen können. Im Rahmen des Unterrichts (ohne ei- gentliche Therapiestunden) an der Privatschule X wird viel einge- hender auf die spezifischen Bedürfnisse von Ch.H. eingegangen (vorne Erw. 2.3). Die Therapiemöglichkeiten sind ihrerseits im Ver- gleich zu den Möglichkeiten an der staatlichen Schule zumindest gleichwertig... 3.3. Die Bestimmung im Kreisschreiben der ESTV vom 31. Au- gust 2005, dass die Notwendigkeit, eine Privat- statt der öffentlichen Schule zu besuchen, durch einen Bericht des kantonalen schulpsy- chologischen Dienstes belegt werden muss (damit das Schulgeld der Privatschule als behinderungsbedingte Aufwendung abzugsfähig ist), erscheint grundsätzlich sinnvoll. Im vorliegenden Fall kann sie nicht zur Anwendung kommen, da das Kreisschreiben erst lange nach dem massgeblichen Zeitpunkt (anfangs 2002) erlassen wurde und die Steuerbehörden selber keine derartige Abklärung verlangten. 2006 Verwaltungsgericht 126 3.4. Es handelt sich um einen Grenzfall, wie dies schon im (Mehrheits-)Entscheid der Vorinstanz zum Ausdruck kommt. Doch kann der angefochtene Entscheid selbst unter Berücksichtigung, dass dem Verwaltungsgericht die Ermessenskontrolle zusteht, nicht als unzutreffend bezeichnet werden. Bestärkt wird diese Beurteilung durch den Umstand (ohne dass dem neuen Recht damit eine unzuläs- sige Vorwirkung zugebilligt würde), dass nach den durch das BehiG bewirkten Rechtsänderungen das Ergebnis ohnehin kaum mehr an- ders lauten könnte.
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2005 Kantonale Steuern 137 [...] 33 Interkantonale Steuerausscheidung. - Kommt die Veranlagungsbehörde zum Schluss, die bisherige inter- kantonale Steuerausscheidung sei unzutreffend, und will sie diese demgemäss zu ihren Gunsten abändern, muss sie dies mit der Hauptveranlagung auf den Beginn einer Steuerperiode tun. Es ist unzulässig, zunächst eine Hauptveranlagung gemäss bisheriger Aus- scheidungspraxis zu erlassen und später für die betreffende Steuer- periode eine Zwischenveranlagung wegen Änderung der für die Steuerausscheidung massgebenden Verhältnisse vorzunehmen, wenn sich der Sachverhalt im Zeitpunkt der Zwischenveranlagung nicht verändert hat, sondern lediglich eine neue rechtliche Beurteilung er- folgt. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 24. August 2005 in Sachen P.M. gegen Steuerrekursgericht. Publiziert in StE 2006, A 24.1 Nr. 4.
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2017 Steuern 85 III. Steuern 14 Änderungsschätzung von Vermögenssteuerwerten (§ 218 Abs. 2 StG) - Tragweite der Änderungsschätzung wegen Übergang von Fremd- zu Eigennutzung - Anlass zu Schätzungskorrektur nur bei Abweichung von mehr als 15% gegenüber dem neu ermittelten Wert Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. Februar 2017, i.S. M.E. und P.E. gegen KStA (WBE.2016.495) Aus den Erwägungen 1. 1.1. Das aargauische System der Festsetzung der Eigenmietwerte ebenso wie der Vermögenssteuerwerte beruht auf einer möglichst individuellen Festsetzung der Eigenmietwerte aufgrund von Einzel- schätzungen, welche gemäss den Vorschriften der Bewertungsverord- nung bei jeder Liegenschaft zahlreiche Parameter berücksichtigen. So sind letztmals per 1. Januar 1999 im gesamten Kanton für sämt- liche Liegenschaften aufgrund von Individualschätzungen die Eigen- mietwerte und die Vermögenssteuerwerte festgesetzt worden, wobei Wertbasis die Verhältnisse am 1. Mai 1998 bildeten (§ 5 Abs. 1 VBG; M ARTIN P LÜSS in: M ARIANNE K LÖTI -W EBER /D AVE S IEGRIST /D IETER W EBER , [Hrsg.], Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 4. Auflage, Muri/Bern 2015 [Kommentar StG], § 218 N 4). 1.2. Einzelschätzungen werden indessen grundsätzlich nur dann - dann aber grundsätzlich für jedes im Kanton gelegene Grundstück - durchgeführt, wenn der Grosse Rat eine entsprechende Anordnung 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 86 trifft (vgl. § 218 Abs. 1 StG und dazu M ARTIN P LÜSS , a.a.O., § 218 N 2 f.). Letztmals wurde eine sog. allgemeine Neuschätzung nach einem entsprechenden Beschluss des Grossen Rates per 1. Januar 1999 (auf der Wertbasis 1. Mai 1998) durchgeführt (vgl. wiederum M ARTIN P LÜSS , a.a.O., § 218 N 4). 1.3. Ausserhalb einer allgemeinen Neuschätzung werden die Eigen- mietwerte und die Vermögenssteuerwerte nur bei Vorliegen besonde- rer Umstände aufgrund einer Einzelschätzung geändert, nämlich dann, wenn Anlass für eine sog. Änderungsschätzung oder eine Un- richtigkeitsschätzung besteht. 1.3.1. Eine Änderungsschätzung ist dann vorzunehmen, wenn sich Änderungen im Bestand, in der Nutzung oder im Wert eines Grund- stücks ergeben (vgl. § 218 Abs. 2 StG). Damit es zu einer Änderungsschätzung kommt, ist vorausgesetzt, dass es sich um eine wesentliche Änderung handelt (vgl. dazu im Einzelnen wiederum M ARTIN P LÜSS , a.a.O. § 218 N 20 ff.). Der Wechsel des Eigentümers (Handänderung) ist kein Grund für eine Änderungsschätzung, ausser mit dem Eigentumswechsel gehe eine Änderung von Bestand, Nutzung oder Wert des Grundstücks einher (z.B. Wechsel von Fremd- zu Eigennutzung oder umgekehrt). Hier wurde im Zusammenhang mit der Überbauung der Liegen- schaft in O. im Jahr 2010 zu Recht eine Änderungsschätzung wegen Bestandesänderung (Neubau) vorgenommen und dem damaligen Eigentümer eröffnet (vgl. Änderungsschätzung vom 20. Juli 2011). Diese Änderungsschätzung ist unangefochten in Rechtskraft erwach- sen. Sodann war wegen des mit dem Erwerb der Liegenschaft durch die Beschwerdeführer verbundenen Wechsels von der Fremdnutzung - vorher wurde die Liegenschaft vermietet - zur Eigennutzung eine erneute Änderungsschätzung durchzuführen. 1.3.2. Die im Rahmen einer allgemeinen Neuschätzung (oder mit einer Änderungsschätzung) vorgenommene Schätzung kann sehr lange Bestand haben. So liegt etwa die letzte allgemeine Neu- schätzung inzwischen mehr als 17 Jahre zurück. Ein Fehler in einer 2017 Steuern 87 Schätzung wirkt sich damit entsprechend lang aus; bei einer zu hoch ausgefallenen Schätzung muss sich ein Steuerpflichtiger unter Umständen über viele Jahre hinweg einen zu hohen Eigenmietwert und/oder Vermögenssteuerwert anrechnen lassen (Umgekehrt profi- tiert er gegebenenfalls auch über einen langen Zeitraum hinweg von zu tief festgelegten Werten). Diesem Umstand trägt der Gesetzgeber durch das Institut der Unrichtigkeitsschätzung Rechnung, indem ein steuerpflichtiger Eigentümer (insbesondere etwa beim Eigentümer- wechsel, der wie dargelegt keinen Grund für eine Einzelschätzung darstellt) geltend machen kann, die ursprünglich im Rahmen der all- gemeinen Neuschätzung oder bei einem später eingetretenen Grund für eine Änderungsschätzung vorgenommene Schätzung sei offen- sichtlich unrichtig. Ergibt sich bei einer Überprüfung der Schätzung, dass diese offensichtlich unrichtig war, so ist sie anzupassen. Offensichtliche Unrichtigkeit gemäss § 218 Abs. 2 StG wird da- bei nach gefestigter Praxis, zu deren Änderung kein Anlass besteht, zumal die Beschwerdeführer keine zwingenden Gründe für eine Änderung dieser Praxis nennen, dann - und nur dann - angenom- men, wenn der bei der letzten Schätzung ermittelte Eigenmietwert und/oder Vermögenssteuerwert um 15% oder mehr von dem Wert, wie er sich bei der Überprüfung ergibt, abweicht (vgl. M ARTIN P LÜSS , a.a.O., § 218 N 23 mit zahlreichen Hinweisen). Zu einer Änderung der bisherigen Schätzung aufgrund offensichtlicher Unrichtigkeit der bisher bestehenden Schätzung gemäss § 218 Abs. 2 StG kommt es somit nur dann, wenn - unabhängig von allfällig bei der Überprüfung zutage tretenden Fehlern der ursprünglichen Schätzung - gegenüber der bisherigen Schätzung eine Abweichung von mindestens 15% resultiert. Die Unrichtigkeitsschätzung gemäss aargauischem Recht stellt damit einen besonderen Revisionsgrund dar, der (nur) bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (Abweichung von mindestens 15%) eine Anpassung der bestehenden Schätzung gestützt auf eine Einzelschätzung vorsieht. Die "Vergleichsschätzung", gestützt auf welche das KStA fest- stellt, ob Anlass für die Vornahme einer Unrichtigkeitsschätzung be- steht, unterliegt dabei im Einspracheverfahren der freien Über- prüfung und auch in einem allfälligen Rekursverfahren hat das 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 88 Spezialverwaltungsgericht, Abt. Steuern, diese grundsätzlich frei, d.h. auch hinsichtlich der Ermessenshandhabung, zu überprüfen (vgl. § 53 Abs. 2 i.V.m. § 52 VRPG), wobei sich das Spezialverwaltungs- gericht als Gericht immerhin eine gewisse Zurückhaltung bei der Überprüfung rein schätzerischer Ermessensfragen auferlegt. Auf Beschwerde hin überprüft das Verwaltungsgericht schliesslich lediglich noch, ob der Sachverhalt zutreffend festgestellt wurde und/oder eine Rechtsverletzung vorliegt (vgl. zur Kognition des Verwaltungsgerichts in Schätzungsfällen wiederum M ARTIN P LÜSS , a.a.O., § 218 N 24b). 1.4. 1.4.1. Hier wurde, wie bereits erwähnt, 2011 wegen der Überbauung der Parzelle in O., eine Änderungsschätzung durchgeführt und den damaligen Eigentümern eröffnet. Diese Schätzung ist in Rechtskraft erwachsen. Nach dem Erwerb der Liegenschaft durch die Beschwerdeführer nahm das KStA am 30. Oktober 2015 eine weitere Änderungsschätzung infolge Nutzungsänderung (Wechsel von der Fremdnutzung zur Eigennutzung) vor. Dabei verfügte das KStA in der Schätzung vom 30. Oktober 2015 erstmals einen Eigenmietwert für die bisher fremdgenutzte Lie- genschaft, für die bis dahin kein Eigenmietwert, sondern Mietertrag zu versteuern war. Für die Bestimmung des Eigenmietwerts knüpfte das KStA dabei an den bestehenden, bereits in der Schätzung vom 20. Juli 2011 verfügten Mietwert von Fr. 31'229.00 an und setzte den Eigenmietwert gestützt auf § 24 Abs. 1 VBG i.V.m. Anhang 17 zur VBG Ziff. 2. auf 61% des Mietwerts fest (61% von Fr. 31'229.00 = Fr. 19'050.00). Ebenso passte das KStA den Vermögenssteuerwert entsprechend dem Umstand der Selbstnutzung an, indem es gemäss Anhang 17 zur VBG Ziff. 1. den Verkehrswert infolge Selbstbewoh- nens gegenüber der Schätzung vom 20. Juli 2011 um 10% absenkte. 1.4.2. Mit der Änderungsschätzung vom 30. Oktober 2015 liegt damit zwar eine Änderungsschätzung im Sinne des Gesetzes vor - als Folge des Umstands des Selbstbewohnens war neu ein Eigenmiet- wert festzusetzen und entsprechend Anhang 17 zur VBG Ziff. 2 der 2017 Steuern 89 Verkehrswert zu korrigieren. Eine eigentliche Schätzung wurde da- mit aber gar nicht vorgenommen und war auch gar nicht vorzuneh- men, da sich eine wesentliche Änderung nur hinsichtlich des Um- stands des Selbstbewohnens ergab, der lediglich die dargelegten Änderungen erforderlich machte. Thema einer allfälligen Anfechtung der Änderungsschätzung vom 30. Oktober 2015 konnten damit nur die Frage der Korrektheit dieser - zu Recht unbestrittenen - Anpas- sungen oder das Vorbringen sein, die Änderungsschätzung vom 20. Juli 2011, bei der letztmals mittels einer Individualschätzung Ver- kehrswert und Mietwert festgelegt worden waren, sei offensichtlich unrichtig. Die dargelegte Konsequenz, dass nämlich die ursprünglich fest- gelegten Werte (Verkehrswert und Mietwert) in Kraft bleiben und le- diglich mittels der gesetzlich vorgesehenen, rein rechnerischen Operationen anzupassen sind (Reduktion Verkehrswert um den Markttoleranzfaktor von 10% gemäss Anhang 17 zur VBG Ziff. 1, Reduktion Eigenmietwert gegenüber Normmietwert um 39% gemäss Anhang 17 zur VBG Ziff. 2 VBG), indessen der mit der Handände- rung verbundene Wechsel von der Fremd- zur Eigennutzung zu kei- ner - erneuten - individuellen Schätzung insbesondere des Normmietwerts führt, mag aus der Perspektive des Erwerbers einer bisher fremdgenutzten Liegenschaft, die er selbst nutzen will, als hart erscheinen: Der Neueigentümer hat - abgesehen vom Fall der offen- sichtlichen Unrichtigkeit - keinen Anspruch auf eine individuelle Schätzung des Eigenmietwerts und muss sich den Mietwert seines Vorgängers entgegenhalten lassen. Dies ist indessen als Folge des vom aargauischen Gesetzgeber gewählten Schätzungssystems hinzu- nehmen, zumal die Korrekturmöglichkeit der Unrichtigkeits- schätzung besteht. Diese Konsequenz rechtfertigt sich auch aus Rechtsgleichheitsüberlegungen, wird doch auf diese Weise die Gleichbehandlung der Liegenschafteneigentümer im aargauischen System der nur periodisch durchzuführenden Individualschätzungen erreicht und die Schaffung einer "Insellösung" für den Fall des Wechsels von der Fremd- zur Eigennutzung vermieden. Darüber hin- aus ist darauf hinzuweisen, dass die infrage stehenden Werte beim Erwerb einer Liegenschaft bekannt sind, der Käufer mit der Absicht 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 90 der Selbstnutzung die entsprechenden Werte vom Verkäufer erfragen kann und beim Kauf weiss, worauf er sich einlässt. 2. Die Beschwerdeführer haben denn auch der Sache nach sowohl im Rekursverfahren als auch nunmehr im Beschwerdeverfahren vor Verwaltungsgericht geltend gemacht, die Festsetzung des Mietwerts in der Änderungsschätzung vom 20. Juli 2011 sei offensichtlich un- richtig. 2.1. Mit ihrem Hauptantrag verlangen sie den Normmietwert auf Fr. 25'997.00 und den Eigenmietwert dementsprechend auf Fr. 15'858.00 (= 61% von Fr. 25'997.00) herabzusetzen. Zu diesem Wert gelangen die Beschwerdeführer, indem sie an den Mietzins gemäss dem Mietkaufangebot des Verkäufers vom 30. Juni 2015 (Fr. 2'400.- pro Monat bzw. Fr. 28'800.- pro Jahr) an- knüpfen und diesen gemäss eigenen Überlegungen im Zusammen- hang mit der pauschalen Erhöhung der Eigenmietwerte per 1. Januar 2016 auf Fr. 25'997.00 reduzieren. Wie bereits die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat, kann nicht auf den im Miet-/Kaufangebot enthaltenen Mietzins abgestellt wer- den. Das KStA hat in seiner Vernehmlassung zur Beschwerde zutref- fend auf den entscheidenden Unterschied zwischen einer "normalen" Miete und sog. Mietkaufmodellen hingewiesen. Bei letzteren handelt es sich um eine spezielle Finanzierungsform des Liegenschaften- kaufs mit uneinheitlichen Konditionen. Es führt daher nicht zu reali- tätsnahen Ergebnissen, wenn für die Schätzung des Normmietwerts auf den im Rahmen eines Mietkaufs bezahlten (bzw. hier sogar nur vorgeschlagenen) Mietzins abgestellt wird. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist es keineswegs abwegig, sondern erscheint bei einer Schätzung des Eigenmietwerts unabhängig von den Vorga- ben der VBG allein aufgrund von tatsächlichen Erhebungen als der einzig mögliche Weg, an den im Jahr 2014 erzielten Mietzins von Fr. 3'000.00 pro Monat bzw. Fr. 36'000.00 pro Jahr anzuknüpfen; und zwar selbst dann, wenn Leerstände berücksichtigt werden, die im Übrigen im behauptetem Umfang nicht belegt sind. Selbst wenn zu- sätzlich der Umstand berücksichtigt wird, dass es sich bei der 2017 Steuern 91 Vermietung um eine Erstvermietung handelte und weitere Besonder- heiten in Rechnung gestellt werden, liegt damit auf der Hand, dass der bei Vermietung der Liegenschaft jährlich erzielbare Mietertrag jedenfalls auch nicht einmal annäherungsweise nur 85% oder weni- ger als der vom KStA festgelegte Normmietwert vom Fr. 31'229.00 (85% = Fr. 26'545.00, entspricht einem monatlichen Mietzins von knapp unter Fr. 2'212.00) betragen kann. Wird, wie die Beschwerde- führer dies mit ihrem Hauptantrag verfechten, der Normmietwert un- abhängig von der Anwendung der VBG allein aufgrund von Markt- daten ihrer Liegenschaft ermittelt, ist daher die Festsetzung des Normmietwerts auf Fr. 31'229.00 nicht offensichtlich unrichtig. Selbst wenn der tatsächlich erzielbare Mietzins unterhalb dieses Werts liegen sollte, wird die Unrichtigkeitsschwelle von 15% klarer- weise verfehlt, so dass kein Anlass für eine Einzelschätzung besteht. Auch wenn davon ausgegangen wird, der vom KStA festgelegte Normmietwert stelle den historischen, d.h. auf die Basis der letzten allgemeinen Neuschätzung zurückgerechneten Wert, dar und wäre für den Vergleich mit tatsächlichen aktuellen Werten hochzurechnen (die Beschwerdeführer verfechten dafür den Faktor 10.78), ergäbe sich ein Betrag von Fr. 34'596.00. 85% davon entsprechen Fr. 29'406.00 (bzw. einem monatlichen Mietzins von Fr. 2'451.00). Es erscheint als höchstwahrscheinlich, dass mit dem von den Be- schwerdeführern erworbenen Objekt, einem trotz gewisser Mängel quasi neuen frei stehenden Einfamilienhaus (einschliesslich Garage) auch bei Einleitung der letzten allgemeinen Neuschätzung mindes- tens ein Mietzins in dieser Höhe zu erzielen gewesen wäre. Die offensichtliche Unrichtigkeit ist damit nicht dargetan. 2.2. Mit ihrem Eventualantrag 1 verlangen die Beschwerdeführer die Herabsetzung des Normmietwerts unter Berufung auf die Vor- schriften der VBG. Sie sind der Auffassung, sowohl das KStA als auch in der Folge das Spezialverwaltungsgericht hätten verschiedene der für die Feststellung des Normmietwerts massgebenden Kriterien (konkret: die Punkte bzw. die daraus resultierenden Zu- oder Ab- schläge für Ausbau, Anordnung, und Wohnlage gemäss den Anhän- gen 2, 3 und 8 sowie die Bestimmung der Anzahl der massgeblichen 2017 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 92 Raumeinheiten gemäss Anhang 9 zur VBG) falsch bzw. unzulänglich gewichtet. Die abweichende Gewichtung der Kriterien der VBG durch die Beschwerdeführer ergibt nach ihrer eigenen, rechnerisch richtigen Berechnung einen Normmietwert bzw. einen Eigenmietwert von Fr. 27'582.00 bzw. Fr. 16'825.00. Diese Werte belaufen sich, werden sie mit den vom KStA festgesetzten Werten (Normmietwert Fr. 31'229.00 bzw. Eigenmietwert Fr. 19'050.00) verglichen, auf rund 88.3% der vom KStA festgesetzten Werte. Sie liegen damit oberhalb der für die Vornahme einer Einzelschätzung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit der ursprünglichen Schätzung geltenden Schwelle von 85%. Die Beschwerdeführer berufen sich damit zwar darauf, die Schätzung des KStA sei offensichtlich unrichtig. Sie machen indes- sen mit ihren Ausführungen nicht einmal geltend, die für die An- nahme der offensichtlichen Unrichtigkeit der Schätzung geltende Er- heblichkeitsschwelle sei in ihrem Fall überschritten. Deshalb muss es mit der Schätzung des KStA sein Bewenden haben, ohne dass auf die Argumente der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den er- wähnten Schätzungskriterien gemäss den Anhängen 2, 3, 8 und 9 zur VBG einzugehen ist. Der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang angefügt, dass sich eine Auseinandersetzung mit die- sen Argumenten auch deshalb verbietet, weil die Beschwerdeführer lediglich Gesichtspunkte vorbringen, die allein den Bereich des schätzerischen Ermessens beschlagen, dessen Überprüfung dem Ver- waltungsgericht nicht zusteht. Ausserdem weichen der von den Be- schwerdeführern verfochtene Normmietwert bzw. der Eigenmietwert nur marginal von den durch die Vorinstanz ermittelten Werten (Normmietwert Fr. 29'771.00 bzw. Eigenmietwert Fr. 18'161.00; d.h. Abweichung von rund 7.4% von den Werten gemäss Beschwerde- schrift, S. 7: Fr. 27'582.00 Normmietwert bzw. Fr. 16'825.00 Eigen- mietwert) ab, so dass auch deshalb, zumal keine klaren Normver- stösse bzw. Verletzungen allgemein anerkannter Schätzungsmetho- den geltend gemacht werden und auch sonst nicht erkennbar sind, angesichts der beschränkten Kognition des Verwaltungsgerichts bei der Überprüfung von Grundstücksschätzungen eine Korrektur des angefochtenen Eigenmietwerts von vornherein ausser Betracht fällt.
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2015 Migrationsrecht Migrationsrecht 137 IV. Migrationsrecht 20 Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung; Zumutbarkeit und Zuläs- sigkeit des Wegweisungsvollzugs nach Sri Lanka Die Aufenthaltsbewilligung ist im konkreten Fall trotz überwiegenden öffentlichen Interesses an der Wegweisung aus der Schweiz zu ver- längern, da sich der Wegweisungsvollzug im Falle des sri-lankischen Be- schwerdeführers mit tamilischer Ethnie im Moment als unzulässig und unzumutbar erweist (Erw. 4). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 26. März 2015 in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integration (WBE.2013.451). Sachverhalt (Zusammenfassung) Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Sri Lankas tamili- scher Ethnie. Im August 1997 reiste er im Alter von acht Jahren zu- sammen mit seiner Mutter zu seinem Vater, der in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt hatte, in die Schweiz ein und lebte zunächst als Asylbewerber und später als vorläufig Aufgenommener in der Schweiz. Am 21. Oktober 2002 wurde ihm eine Aufenthaltsbewilli- gung erteilt und regelmässig verlängert, zuletzt mit Gültigkeit bis 30. September 2012. Ab seinem 9. Altersjahr war der Beschwerdeführer immer wie- der Gegenstand polizeilicher Ermittlungen. Seit 2007 wurde er auf- grund seines straffälligen Verhaltens regelmässig verurteilt, unter anderem zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten wegen einfacher Körperverletzung. Nachdem das MIKA den Beschwerdeführer am 1. Dezember 2011 verwarnt hatte, beging er weitere Straftaten. Mit Verfügung des MIKA vom 7. Mai 2013 wurde die Aufenthaltsbe- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 138 willigung des Beschwerdeführers nicht mehr verlängert und dieser aus der Schweiz weggewiesen. Aus den Erwägungen 3.4. Im Sinne eines Zwischenergebnisses ist damit festzuhalten, dass bei Gesamtwürdigung der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Interessen das sehr grosse öffentliche Interesse an der Ent- fernung des Beschwerdeführers aus der Schweiz sein bislang berück- sichtigtes privates Interesse, weiter in der Schweiz leben zu dürfen, klar überwiegen würde. 4. 4.1. Zu klären bleibt, wie es sich mit dem Vollzug einer allfälligen Wegweisung verhält. Nachdem der Beschwerdeführer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, kann aufgrund von Art. 83 Abs. 7 AuG selbst dann keine vorläufige Aufnahme ver- fügt werden, wenn der Vollzug der Wegweisung im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AuG als unzumutbar einzustufen wäre. (...) 4.2. (...) (Das Bundesgericht hat hierzu in BGE 135 II 110, Erw. 4.2 ausgeführt, dass) die Aspekte im Zusammenhang mit der Zumutbar- keit der Rückkehr bzw. des Vollzugs der Wegweisung im Rahmen der privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz zu berücksichtigen (sind). Diesbezüglich hielt die Vorin- stanz (...) unter Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsge- richts D-3345/2013 vom 28. Juni 2013 fest, die Rückkehr des Be- schwerdeführers nach Sri Lanka sei ohne weiteres zumutbar. Nach zwei bekannt gewordenen Vorfällen bei der Wiederein- reise von tamilischen Rückkehrern in Sri Lanka hat das Bundesver- waltungsgericht jedoch in der Zwischenzeit festgehalten, dass das BFM in Verfahren, die Staatsangehörige Sri Lankas tamilischer Ethnie betreffen, systematisch dazu übergegangen sei, keine Ausrei- sefristen mehr zu verhängen und bereits angeordnete Ausreisefristen 2015 Migrationsrecht Migrationsrecht 139 aufzuheben. Faktisch ziehe das BFM damit alle Verfahren (auch sol- che im Vollzugsstadium) in Wiedererwägung, dies unbesehen der konkreten Umstände im Einzelfall. Dieses Vorgehen gehe auf zwei bekannt gewordene Vorfälle zurück: Die sri-lankischen Behörden hätten tamilische Rückkehrer bei der Wiedereinreise in Haft genom- men. Daraufhin habe das BFM in Aussicht gestellt, nicht nur diese beiden Vorfälle, sondern auch eine allfällige Veränderung der allge- meinen Situation in Sri Lanka vertieft abzuklären. Es bestehe kein Zweifel, dass eine neue Lagebeurteilung vor Ort sich auf die kon- krete Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts auswirken könne, sei es im Flüchtlings- und Asylpunkt, sei es im Wegweisungs- vollzugspunkt (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2013 [D-2604/2013]; Urteil des Bundesverwaltungs- gerichts vom 30. Januar 2014 [E-2914/2013]). Bereits aufgrund dieser Entscheide trifft die Annahme der Vor- instanz, für den aus Jaffna stammenden Beschwerdeführer sei eine Rückkehr nach Sri Lanka "ohne weiteres zumutbar", nicht mehr zu. Die Vorinstanz hat zudem im Rahmen des Schriftenwechsels einen als vertraulich bezeichneten Newsletter des BFM eingereicht, wonach zwangsweise Rückführungen nach Sri Lanka bis auf weite- res ausgesetzt würden, wobei von dieser Regel abgewichen werde, wenn die Betroffenen in der Schweiz schwerwiegende Straftaten be- gangen hätten. Was das BFM in diesem Zusammenhang unter schwerwiegenden Straftaten versteht bzw. wie das BFM die Zumut- barkeit der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Sri Lanka beur- teilt, geht aus dem Bericht nicht hervor und wurde durch die Vorin- stanz auch nicht geklärt. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. Juni 2014 wurde der Vorinstanz Gelegenheit eingeräumt, nach Rücksprache mit dem BFM darzulegen, ob bzw. inwiefern dem Be- schwerdeführer zugemutet werden kann, in sein Heimatland zurück- zukehren bzw. wie stark eine allfällige Unzumutbarkeit zu gewichten ist und ob trotzdem noch von einem überwiegenden öffentlichen Interesse an der Wegweisung des Beschwerdeführers auszugehen ist. 4.3. Dem Bericht des BFM vom 8. Dezember 2014 ist nicht zu ent- nehmen, dass eine Rückkehr nach Sri Lanka für den Beschwerdefüh- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 140 rer zumutbar ist. Das BFM äussert sich auch nicht zur Frage, ob der Beschwerdeführer aufgrund seiner Straftaten zur Personengruppe zu zählen ist, die aufgrund der Schwere ihrer Straftaten trotz grundsätz- licher Aussetzung der Ausschaffungen nach Sri Lanka trotzdem zwangsweise ausgeschafft werden. Vielmehr weist der unsorgfältig abgefasste Bericht (er nimmt Bezug auf eine Anfrage des Migra- tionsamtes des Kantons Zürich vom 10. Juli 2014, obschon die An- frage des MIKA vom 19. September 2014 datiert) lediglich darauf hin, dass die Behörden bei einer Rückkehr nach Sri Lanka aufgrund der langen Landesabwesenheit und des Alters des Beschwerdeführers ihr Augenmerk auf ihn richten würden und die "Wachsamkeit der Be- hörden" bezüglich des Beschwerdeführers erhöht sei. Abgesehen da- von setzt sich der Bericht nicht mit der konkreten Situation des Be- schwerdeführers bei einer Rückkehr nach Sri Lanka auseinander. Vielmehr werden am Schluss lediglich allgemein bekannte Ausfüh- rungen dazu gemacht, unter welchen Voraussetzungen eine Äusse- rung eines Betroffenen als neues Asylgesuch zu gelten hat und dass wohl ein neues Asylgesuch vorliege. Aufgrund der unklaren Stellungnahme des BFM zur Rückkehr- möglichkeit ist aktuell nicht davon auszugehen, dass es dem Be- schwerdeführer zumutbar ist, nach Sri Lanka zurückzukehren. Viel- mehr deutet der Bericht des BFM gar darauf hin, dass die Rückkehr unzulässig im Sinne von Art. 83 Abs. 3 AuG sein könnte. Die Nicht- verlängerung der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung erweist sich deshalb im Moment als unzulässig, weshalb die Beschwerde gutzuheissen und das MIKA anzuweisen ist, die Aufenthaltsbewilli- gung des Beschwerdeführers zu verlängern. 4.4. Es steht dem MIKA jederzeit frei, erneut die Wegweisung zu prüfen, sofern sich die Situation in Sri Lanka derart verändert, dass sich die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Sri Lanka als zuläs- sig und zumutbar erweist. Sollte sich der Beschwerdeführer in der Zwischenzeit wohl verhalten und nicht erneut Anlass für eine Weg- weisung geben, wäre das entsprechende Wohlverhalten seit Juni 2012 im Rahmen der Interessenabwägung entsprechend zu berück- sichtigen.
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2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 181 30 Attikageschoss (§ 16a ABauV) Eine Sonnenschutzkonstruktion, bei der über eine fest montierte Metall- rahmenkonstruktion eine Markise aus- und eingefahren werden kann, stellt einen Bauteil gemäss § 16a Abs. 2 ABauV dar, welcher innerhalb der Attikagrundfläche liegen muss. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 12. Dezember 2014 in Sa- chen A. und B. gegen Gemeinderat C. sowie Departement Bau, Verkehr und Umwelt (WBE.2014.199). Aus den Erwägungen 1. Gegenstand des nachträglichen Baubewilligungsverfahrens bil- det die von den Beschwerdeführern auf dem Attikageschoss erstellte Sonnenschutzkonstruktion. Diese besteht aus einem rechteckigen Rahmen aus feuerverzinkten HEB-Profilen 120/120 mm (und einer Unterkonstruktion aus feuerverzinktem Flachstahl 60/8 mm) sowie einer an der Brüstung befestigten Stütze, die ebenfalls aus einem HEB-Profil 120/120 mm besteht. Der rechteckige Metallrahmen weist Masse von 4.77 m x 4.615 m auf. Auf dem Metallrahmen sind Führungsschienen für die ausziehbare Stoffmarkise montiert. Die Führungsschienen weisen gegen die Brüstung hin ein Gefälle von ca. 2.5 % auf. Die Sonnenschutzkonstruktion weist damit eine Grundflä- che von 22 m 2 auf, die lichte Höhe beträgt 2.45 m. Die Konstruktion ist auf der Terrasse situiert, in der innenliegenden Ecke der L-förmi- gen Wohnung. Das rechteckige Metallgestell ist an zwei Seiten an der Fassade und auf einer freiliegenden Ecke mit einer Stütze an der Brüstung befestigt. 2. 2.1. 2.1.1.-2.1.2. (...) 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 182 2.2. Bei einem Attikageschoss handelt es sich um ein auf Flachdach- bauten aufgesetztes, verkleinertes Geschoss, das wie ein Dachge- schoss behandelt wird (§ 64 Abs. 1 BauV i.V.m. § 16a Abs. 1 ABauV [Anhang 3 zur BauV]). Es gilt als Attikageschoss, wenn die Grund- fläche höchstens einem Geschoss entspricht, welches auf den Längs- seiten um das Mass seiner Höhe von der Fassade zurückversetzt ist. Mit Ausnahme von Dachvorsprüngen müssen alle Bauteile innerhalb dieser möglichen Grundfläche liegen (§ 16a Abs. 2 ABauV). 2.3. Vorliegend ist unbestritten, dass die maximale Attikagrundflä- che bereits mit dem Bau des Attikas vollständig ausgeschöpft wurde. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die zu beurteilende Sonnen- schutzkonstruktion als Bauteil im Sinne von § 16a Abs. 2 ABauV zu qualifizieren ist. Das Verwaltungsgericht hatte sich schon mit mehreren ähnlich gelagerten Fällen auseinanderzusetzen, so mit Vordächern (vgl. VGE III/55 vom 31. August 2006 [WBE.2005.289], S. 9; VGE III/16 vom 26. März 2010 [WBE.2009.99], S. 8 f.), mit einem Rankgerüst (VGE III/87 vom 20. Dezember 2006 [WBE.2006.90], S. 7 f.) oder mit einer wintergartenähnlichen Glas- konstruktion (VGE III/132 vom 1. Dezember 2014 [WBE.2014.239], S. 8 f.). Es knüpfte bei der Beurteilung u.a. an folgendes Kriterium an: Erlaube das Vordach eine erweiterte Nutzung der Terrassenfläche (beispielsweise in der Art, dass die überdeckte Terrassenfläche auch bei schlechtem Wetter genutzt werden kann und die Möblierung schützt) und führe es im Ergebnis zu einer Volumenerweiterung des Attikageschosses, müsse das Vordach innerhalb der zulässigen Ge- schossfläche erstellt werden (vgl. VGE III/55 vom 31. August 2006 [WBE.2005.289], S. 9; des Weiteren: VGE III/87 vom 20. Dezember 2006 [WBE.2006.90], S. 7; VGE III/16 vom 26. März 2010 [WBE.2009.99], S. 8 f.; VGE III/132 vom 1. Dezember 2014 [WBE.2014.239], S. 9). Sowohl die Vorinstanzen als auch die Beschwerdeführer neh- men wesentlich Bezug zum Entscheid des Verwaltungsgerichts betreffend ein Rankgerüst (VGE III/87 vom 20. Dezember 2006 [WBE.2006.90]). Das damals beurteilte Rankgerüst bestand aus vier 2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 183 Metallstützen und einem aufliegenden Metallrahmen, der mit Metall- drähten bespannt war. Das Verwaltungsgericht hielt fest, das Rankge- rüst erlaube als solches keine Erweiterung der Nutzung, da es in kei- ner Weise vor den Witterungseinflüssen schütze. Eine gewisse, wenn auch bescheidene Schutzwirkung (Beschattung, kurzzeitiger Schutz vor Niederschlägen) dürfte sich aber einstellen, sobald die Weinreben oder Schlingpflanzen nach einer mehrjährigen Wachstumsphase der- einst ein geschlossenes Blätterdach bildeten. Diese bescheidene, im Wesentlichen auf die Vegetationszeit im Sommer beschränkte Schutzwirkung sei jedoch in keiner Weise mit jener eines grosszügi- gen Vordachs oder anderer mit einem Dach versehenen Bauten ver- gleichbar (z.B. Zelt). Während hier selbst bei schlechtem Wetter eine Nutzung der überdeckten Flächen möglich sei, biete das Blätterdach wegen seiner Durchlässigkeit nur kurzzeitig Schutz. Bei näherer Be- trachtung sei die Wirkung des Blätterdachs am ehesten mit einem schattenspendenden Baum oder Strauch zu vergleichen. Die Rank- hilfe führe somit nicht zu einer erweiterten Nutzung der Terrassenflä- chen bzw. zu einer Volumenerweiterung. Hinzu komme, dass sich eine vergleichbare optische Wirkung auch mit bewilligungsfreien Pflanzentrögen (§ 30 Abs. 2 lit. a ABauV) erreichen liesse. Auch vom Erscheinungsbild her, welches sich heute filigran und nach er- folgtem Bewuchs seitlich durchlässig und naturnah präsentieren dürfte, könne nicht von einem volumenerweiternden Bauteil ausgegangen werden. Für den Betrachter handle es sich um eine bei Attikageschossen nicht unübliche Begrünung der Terrassenfläche (VGE III/87 vom 20. Dezember 2006 [WBE.2006.90], S. 7 f.). 2.4. 2.4.1. Die von den Beschwerdeführern an der innenliegenden Ecke der L-förmigen Wohnung erstellte Sonnenschutzkonstruktion besteht aus einer an der Brüstung befestigten Metallstütze und einem darauf aufliegenden Metallrahmen, der gleichzeitig an zwei Seiten der Fas- sade befestigt ist. Über die auf dem Metallrahmen befindlichen bei- den Führungsschienen lässt sich die ausziehbare Stoffmarkise nach Bedarf aus- bzw. einfahren (vgl. vorne Erw. 1.). Es stellt sich die 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 184 Frage, ob die Konstruktion eine erweiterte Nutzung im Sinne der obgenannten Rechtsprechung erlaubt. Die Beschwerdeführer bringen in ihrer Verwaltungsgerichtsbe- schwerde vor, die montierte Sonnenschutzkonstruktion sei vom Architekten einzig aus ästhetischen Gründen gewählt worden; sie bringe - im Vergleich zu einer Gelenkarm- bzw. Teleskoparmmarkise - bezüglich der Nutzung keinen Vorteil. Diese Vorbringen widerspre- chen jedoch früher gemachten Angaben: So hielt der Architekt im Begleitschreiben zum nachträglichen Baugesuch fest, der Bauingeni- eur habe aus "winddrucktechnischen Gründen" eine schmale Stütze hinter der Fassadenflucht vorgeschrieben und die Ausladung der textilen Horizontalmarkise von 4.5 m benötige in voll ausgefahrenem Zustand ein Auflager. Auch seitens der Beschwerdeführer wurde am vorinstanzlichen Augenschein festgehalten, das Gestell und die Stütze seien "wegen des Winddrucks nötig". Diese Angaben lassen somit nicht darauf schliessen, dass einzig ästhetische Gründe für die gewählte Sonnenschutzkonstruktion ausschlaggebend waren. Viel- mehr scheinen dies vor allem "winddrucktechnische Gründe" gewe- sen zu sein. Dass die montierte Sonnenschutzkonstruktion - im Vergleich zu einer Gelenkarm-Sonnmarkise - Vorteile in der Nutzung bringt, leuchtet dem Verwaltungsgericht, dem ein dipl. Architekt ETH als fachkundiger Richter angehört, durchwegs ein: Der Vorteil liegt nicht nur darin, dass die fest montierte, massive Metallkonstruktion schon als solches stabiler als eine ausgefahrene Gelenkarm-Sonnenstore ist, sondern auch darin, dass mit einer Konstruktion wie der vorliegen- den zudem grössere Flächen abgedeckt werden können und die Mar- kise in einer solchen Konstruktion entsprechend auch bei grösseren Ausladungen straff gespannt werden kann. Das Konstrukt ist insge- samt stabiler und gegenüber Witterungseinflüssen weniger anfällig. Seitens der Beschwerdeführer wurde selber festgehalten, das Gestell und die Stütze seien "wegen des Winddrucks nötig" (siehe oben) und "Eine Knickarmstore würde tiefer hängen und würde wackeln. Die- ses System hier hat Führungsschienen.". Die montierte Konstruktion ermöglicht es somit, dass die Markise länger ausgefahren und ungünstigen Witterungsverhältnissen ausgesetzt bleiben kann als eine 2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 185 Gelenkarm-Sonnenmarkise mit vergleichbarer Ausladung. Daran ändert, wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, nichts, dass einzelne Hersteller möglicherweise aus Haftungsbeschränkungsgründen die gleichen Empfehlungen betreffend Wind- und Regenexposition für Storen mit und ohne Hilfskonstruktion abgeben. Es ergibt sich von selbst, dass eine Bauherrschaft auf eine fest montierte, massive Hilfs- konstruktion, die in der Anschaffung wesentlich teurer ist, verzichten würde, wenn sie keinerlei Vorteile in der Nutzung brächte. Was die Schutzwirkung anbelangt, so schützt die montierte Sonnenschutzkonstruktion ihrem Zweck entsprechend vor Sonne. Für eine gewisse Zeit kann sie aber auch Schutz vor leichtem Regen bieten, da der verwendete Acryl-Tuchstoff - soweit aus den von den Beschwerdeführern beigebrachten Produktunterlagen ersichtlich - wasserabstossende Eigenschaften hat. Wenn die Vorinstanz erläutert, die heutigen Stoffe seien "eine gewisse Zeit regenabweisend", so kann ihr - entgegen dem Einwand der Beschwerdeführer - nicht vor- geworfen werden, den Sachverhalt ungenügend abgeklärt zu haben (§ 17 VRPG). Im Rahmen des normalen Unterhalts könnte der Markisenstoff problemlos durch einen andern Stoff, allenfalls auch eines andern Herstellers, ersetzt werden. Auf dem Markt sind über- dies z.B. auch Horizontal-Faltstoren erhältlich, die - trotz horizonta- lem Einbau - absolut wasserdicht sind, den Wasserablauf garantieren und praktisch in jede Rahmenkonstruktion eingebaut werden können. Es würde die Baubehörden vor erhebliche Kontroll- und Vollzugs- probleme stellen, wenn sie periodisch sämtliche Sonnenschutzkon- struktionen auf die verwendeten Stoffe/Markisen überprüfen und sich mit jedem einzelnen Produkt im Detail auseinandersetzen müss- ten. Deshalb ist nicht zu beanstanden, dass vorliegend bei der Prü- fung des Baugesuchs auch die Nutzungsmöglichkeit der Baute miteinbezogen wurde. Bei einer Gesamtbetrachtung trifft es zwar zu, dass die Konstruktion - so wie sie sich heute präsentiert - aufgrund der gerin- gen Neigung und dem verwendeten Markisenstoff (wasserabwei- send, allenfalls aber nicht wasserdicht) nicht als fixes Allwetterdach gedacht und geeignet ist. Die Konstruktion bietet jedoch im Ver- gleich zu einer Gelenkarm-Sonnenmarkise klarerweise einen weiter- 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 186 gehenden Schutz, indem die darunter liegende Fläche bei ungünsti- gen Witterungsbedingungen länger genutzt werden kann. Ausserdem könnte die Konstruktion mit relativ wenig Aufwand noch wetterre- sistenter gemacht werden (siehe oben). Die Konstruktion ist sodann auch mit dem in Erw. 2.3. zitierten Fall eines Rankgerüsts nicht ver- gleichbar: Beim Rankgerüst handelte es sich um eine Terras- senbegrünung, wobei das Blätterdach nur während der Vegetations- zeit im Sommer eine bescheidene Schutzwirkung bot. Im Gegensatz dazu ist die Schutzwirkung der vorliegenden Konstruktion nicht auf die Vegetationszeit beschränkt; die Schutzwirkung der straff ausfahrbaren Markise ist höher als bei einem blossen Blätterdach. Insgesamt bietet die Konstruktion zwar nicht den gleich hohen Schutz vor Witterungseinflüssen wie ein festes Vordach, auf der an- dern Seite ist die Schutzwirkung jedoch näher bei einem Vordach oder Zelt als z.B. bei einem Rankgerüst einzustufen. Im Ergebnis kann das Verwaltungsgericht die Ansicht der Vorinstanzen teilen, dass die zu beurteilende Konstruktion eine erweiterte Nutzung der überdeckten Fläche ermöglicht und insoweit zu einer Volumen- erweiterung führt. Es ist von einem Bauteil gemäss § 16 Abs. 2 ABauV auszugehen, welcher innerhalb der Attikagrundfläche liegen müsste. Da diese Grundfläche durch den Wohnungsgrundriss jedoch bereits ausgeschöpft ist, kann die nachgesuchte (ordentliche) Baube- willigung nicht erteilt werden. 2.4.2. Unabhängig davon gilt zu beachten, dass beim Fall des Rankge- rüsts auch vom optischen Erscheinungsbild her nicht von einem volumenerweiternden Bauteil ausgegangen werden konnte. Vielmehr wurde von einer nicht unüblichen Begrünung der Terrassenfläche ge- sprochen (vgl. Erw. 2.3.). Auch in dieser Hinsicht unterscheidet sich der vorliegende Fall erheblich. Die fest montierte massive Metall- konstruktion ist - insbesondere auch wenn die Markise eingefahren ist - ganzjährig gut sichtbar und verändert das Aussehen des Attikageschosses, bei dem es auch auf den optischen Eindruck eines verkleinerten Geschosses ankommt (vgl. § 16a Abs. 1 und 2 ABauV; VGE III/87 vom 20. Dezember 2006 [WBE.2006.90], S. 7 f.).
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2003 Verwaltungsgericht 266 [...] 63 Schadenersatz nach Submissionsdekret. - Das Verwaltungsgericht entscheidet über Schadenersatzbegehren ge- mäss § 38 SubmD als erste und einzige (kantonale) Instanz im Klage- verfahren nach § 60 ff. VRPG (Erw. I/1). - Ein Schadenersatzanspruch nach § 38 SubmD kann einzig in den Fäl- len durchgesetzt werden, in denen ein Feststellungsurteil der Be- schwerdeinstanz betreffend der Widerrechtlichkeit der angefochtenen Verfügung ergangen ist, weil die Korrektur der begangenen Rechts- widrigkeit durch Aufhebung der Verfügung rechtlich nicht mehr mög- lich war (Erw. II/2). - Anwendbarkeit von § 5 AnwT auf verwaltungsgerichtliche Klagever- fahren (Erw. III/2). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 27. Juni 2003 in Sa- chen B. AG gegen I. AG. Aus den Erwägungen I. 1. a) Gemäss § 38 Abs. 1 SubmD haftet die Vergabestelle für Schaden, den sie durch eine rechtswidrige Verfügung verursacht hat. Die Haftung ist beschränkt auf die Aufwendungen, die den Anbie- tenden im Zusammenhang mit dem Vergabe- und Rechtsmittelver- fahren erwachsen sind (§ 38 Abs. 2 SubmD). Das Schadenersatzbe- gehren ist innert Jahresfrist, nachdem die Rechtswidrigkeit in einem Beschwerdeentscheid festgestellt worden ist, bei der Beschwerdein- stanz einzureichen. b) aa) Einzige kantonale Beschwerdeinstanz in submissions- rechtlichen Streitigkeiten ist das Verwaltungsgericht (§ 24 ff. SubmD). Das Verwaltungsgericht ist somit auch zur Behandlung von Schadenersatzbegehren gestützt auf § 38 Abs. 3 SubmD zustän- dig. Das Schadenersatzbegehren ist, wie sich aus dem Wortlaut von 2003 Submissionen 267 § 38 Abs. 3 SubmD ergibt, direkt beim Verwaltungsgericht einzurei- chen. bb) Das Verwaltungsgericht urteilt gemäss § 60 Ziff. 3 VRPG als einzige kantonale Instanz u.a. über vermögensrechtliche Streitig- keiten, an denen der Kanton, eine Gemeinde oder eine öffentlich- rechtliche Körperschaft oder Anstalt des kantonalen und kommuna- len Rechts beteiligt ist, sofern nicht die Verwaltungsgerichtsbe- schwerde gegeben oder ein Zivil- oder Spezialrekursgericht zustän- dig ist. Die Regelung von § 38 Abs. 3 SubmD, wonach das Schadener- satzbegehren direkt beim Verwaltungsgericht (und nicht wie im Bund zunächst bei der Auftraggeberin mit Weiterzugsmöglichkeit an die Rechtsmittelinstanz [vgl. die Regelung für das Bundesbeschaffungs- recht in Art. 35 des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaf- fungswesen (BoeB; SR 172.056.1) vom 16. Dezember 1994 und Art. 64 der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VoeB; SR 172.056.11) vom 11. Dezember 1995; vgl. ferner BR 2002, S. 74]) zu stellen ist, schliesst nicht nur die in Staatshaftungsfällen auf Grund von § 9 des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der öf- fentlichen Beamten und Angestellten und über die Haftung des Staa- tes und der Gemeinden für ihre Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz; SAR 150.100) vom 21. Dezember 1999 gegebene Zuständigkeit des Zivilgerichts, sondern auch das verwaltungsgerichtliche Beschwerde- verfahren nach § 51 ff. VRPG, das eine anfechtbare Verfügung oder einen anfechtbaren Entscheid voraussetzt, aus. Demgemäss steht fest, dass das Verwaltungsgericht über Schadenersatzbegehren gemäss § 38 SubmD als erste und einzige (kantonale) Instanz im Klageverfahren nach den §§ 60 - 67 VRPG entscheidet. Es handelt sich um einen Fall ursprünglicher Verwaltungsgerichtsbarkeit. c) Auch die übrigen Voraussetzungen von § 60 Ziff. 3 VRPG sind vorliegend erfüllt. Es geht um die Beurteilung des Ersatzes von im Zusammenhang mit dem Vergabe- und Rechtsmittelverfahren erwachsenen Aufwendungen, also um vermögensrechtliche Ansprü- che. Das Schadenersatzbegehren richtet sich gegen die I. AG, die den vom Verwaltungsgericht aufgehoben Zuschlag verfügt hat. Bei der I. AG handelte es sich um eine kommunale Anstalt, die als Vergabe- 2003 Verwaltungsgericht 268 stelle im Sinne von § 5 Abs. 1 lit. d SubmD aufgetreten ist (VGE III/26 [BE.2000.00002] vom 29. Februar 2000 in Sachen der Klägerin, S. 3 f.). Es ist seitens der Beklagten unbestritten, dass sie für die mit dem Unterwerk H. zusammenhängende Forderung passiv- legitimiert ist. Die Tatsache, dass es sich bei der Beklagten heute um eine juristische Person des Privatrechts handelt, schliesst die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts im Klageverfahren nicht aus (vgl. auch Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38 - 72 VRPG, Diss. Zürich 1998, § 60 N 34). II. 1. Die Vergabestelle haftet für den Schaden, den sie durch eine rechtswidrige Verfügung verursacht hat, wobei sich die Haftung auf die Aufwendungen beschränkt, die den Anbietenden im Zusam- menhang mit dem Vergabe- und Rechtsmittelverfahren erwachsen sind (§ 38 Abs. 1 und 2 SubmD; vgl. auch Art. XX Ziff. 7 lit. c des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (ÜoeB; SR 0.632.231.422) vom 15. April 1994. Es geht dabei ausschliesslich um die Aufwendungen, die der Anbieter in Erwartung eines regelkonformen Submissionsverfahrens auf sich genommen hat und die als Folge des Vergabefehlers nutzlos geworden sind; hinzu kom- men die Kosten des Beschwerdeverfahrens (BR 2002, S. 74). Entgangener Gewinn wird also nicht entschädigt (vgl. zur identi- schen Regelung im Bund: Peter Gauch/Hubert Stöckli, Vergabethe- sen 1999, Thesen zum neuen Vergaberecht des Bundes, Freiburg 1999, S. 66 Rz. 25.6). Zwischen dem Schaden und der widerrechtli- chen Verfügung muss überdies ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen (BR 2002, S. 74 f.). Nicht notwendig ist hingegen, dass der Vergabebehörde die Verletzung einer wesentlichen Amtspflicht oder ein Verschulden vorgeworfen werden muss. Es genügt, dass sie eine submissionsrechtswidrige Verfügung erlassen hat. Der Dekretsgeber hat mit der Regelung in § 38 SubmD die Empfehlung von § 34 Abs. 1 und 2 der Vergaberichtlinien (VRöB) auf Grund der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Be- schaffungswesen (IVöB; SR 172.056.4) vom 25. November 1994 für Vergaben im Anwendungsbereich des GATT-Übereinkommens in das 2003 Submissionen 269 kantonale Recht übernommen. Die eingeschränkte submissions- rechtliche Haftungsregelung in § 38 SubmD geht als lex specialis § 2 Verantwortlichkeitsgesetz vor. 2. Schadenerersatz kann nur verlangen, wer durch eine rechts- widrige Verfügung der Vergabestelle einen Schaden erlitten hat. Die Rechtswidrigkeit muss zudem in einem Beschwerdeentscheid vor- gängig festgestellt worden sein (§ 38 Abs. 3 SubmD). a) Die Klägerin macht als Schaden die Kosten der Ausarbeitung der Offerte im Betrag von Fr. 189'830.-- und die Kosten des Rechts- mittelverfahrens in Höhe von Fr. 15'670.-- geltend. Sie vertritt den Standpunkt, das Verwaltungsgericht habe im Entscheid vom 29. Februar 2000, mit dem es die Verfügungen der I. AG vom 21. und 22. Dezember 1999 betreffend den Zuschlag an die A. AG aufgehoben habe, die Widerrechtlichkeit der Verfügungen klar festgestellt, ansonsten keine Aufhebung des Zuschlages hätte erfol- gen können. Demgegenüber verneint die Beklagte, dass das Verwaltungsge- richt in seinem Entscheid die Widerrechtlichkeit der Verfügung rechtsverbindlich festgestellt habe. Sie vertritt die Auffassung, über die Frage der Widerrechtlichkeit müsse als Vorfrage für eine Haftung erst noch entschieden werden; die Widerrechtlichkeit ergebe sich nicht aus dem Dispositiv des Verwaltungsgerichtsentscheides vom 29. Februar 2000. Ein Zuschlag könne auch aufgehoben werden, ohne dass über eine durch die Vergabestelle geschaffene Widerrecht- lichkeit entschieden worden sei. Widerrechtlich sei ein Verhalten, wenn entweder ein absolut geschütztes Rechtsgut oder eine Schutz- norm verletzt worden sei. In casu sei die Klägerin höchstens vermö- gensrechtlich geschädigt worden; das Vermögen stelle aber kein absolut geschütztes Rechtsgut dar. b) Ziff. 1 des Dispositivs des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 29. Februar 2000 lautet folgendermassen: "In Gutheissung der Beschwerde werden die Verfügungen vom 21. und 22. Dezember 1999 betreffend den Zuschlag an die A. AG aufgeho- ben." 2003 Verwaltungsgericht 270 Begründet wird die Aufhebung des Zuschlags damit, dass "die im Anschluss an die Unternehmergespräche vorgenommenen massi- ven Korrekturen der Angebotspreise den Rahmen und das zulässige Ausmass einer Offertbereinigung im Sinne von § 17 SubmD (...) klar übersteigen und demzufolge unzulässig sind. Hinzu kommt, dass sie über weite Teile nicht nachvollziehbar sind. Dies gilt auch für die korrigierte Offerte der A. AG, weshalb der diesem Angebot erteilte Zuschlag aufzuheben ist" (Urteil vom 29. Februar 2000, S. 21). c) Gemäss § 27 Abs. 1 SubmD kann das Verwaltungsgericht die Aufhebung der Verfügung beschliessen und das Verfahren an die Vergabestelle mit oder ohne verbindliche Anordnungen zurückwei- sen. Für den Anwendungsbereich des GATT-Übereinkommens sieht § 37 Abs. 4 SubmD vor, dass die Beschwerdeinstanz die Aufhebung der Verfügung beschliessen und in der Sache selbst entscheiden oder das Verfahren an die Vergabestelle mit oder ohne verbindliche An- ordnungen zurückweisen kann. Das heisst, das Verwaltungsgericht erlässt einen reformatorischen oder einen kassatorischen Entscheid. Dies gilt jedenfalls dann uneingeschränkt, wenn zwischen der Ver- gabestelle und dem Zuschlagsempfänger noch kein (privatrechtli- cher) Vertrag abgeschlossen worden ist. Ist der Vertrag jedoch bereits rechtsgültig abgeschlossen, bleibt der Beschwerdeinstanz bei Gutheissung der Beschwerde gemäss Art. 9 Abs. 3 BGBM und Art. 18 Abs. 1 und 2 IVöB nur noch die Möglichkeit, die Rechtswid- rigkeit der angefochtenen Verfügung festzustellen (AGVE 2001, S. 320 f.; vgl. auch Alfred Kölz/Jürg Bosshart/Martin Röhl, Kom- mentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zürich 1999, § 55 N 10 mit Hinweisen). Gemäss § 21 Abs. 1 SubmD darf der Vertrag mit den Anbietenden nach dem Zu- schlag geschlossen werden, wenn die Beschwerdefrist unbenutzt ab- gelaufen ist (lit. a) oder die Beschwerdeinstanz einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen hat (lit. b; vgl. § 26 Abs. 2 SubmD). In seiner Praxis beschränkt sich das Verwaltungsgericht regel- mässig auf die Kassation der angefochtenen Zuschlagsverfügung und sieht davon ab, der Vergabebehörde für das weitere Vorgehen binden- de Weisungen zu erteilen. 2003 Submissionen 271 Die Aufhebung (Kassation) einer Zuschlagsverfügung im Rechtsmittelverfahren setzt voraus, dass der Zuschlag rechtsfehler- haft erfolgt ist. Bei dem von der Vergabebehörde begangenen Fehler muss es sich dabei um einen schwerwiegenden Verfahrensfehler (z.B. Wahl eine falschen Vergabeverfahrens, Durchführen von ver- botenen Abgebotsrunden) oder um andere Fehler handeln, die dazu geführt haben, dass der Zuschlag nicht dem wirtschaftlich günstig- sten, gültigen Angebot erteilt worden ist. Es führt somit nicht jede Rechtsverletzung, welche die Vergabebehörde begangen hat, bereits zur Kassation des Zuschlags. Die Aufhebung der Zuschlagsverfügung impliziert aber - entge- gen der Ansicht der Beklagten - deren Widerrechtlichkeit. Aufgeho- ben werden kann nur ein Zuschlag, der sich als rechtswidrig erwie- sen hat. Es bedarf dazu keiner gesonderten Feststellung im Disposi- tiv. Eine solche, d.h. ein Feststellungsurteil, erfolgt ausschliesslich in jenen Fällen, in denen der rechtswidrig ergangene Zuschlag nicht mehr aufgehoben werden kann. d) Es stellt sich des Weiteren aber die Frage, ob § 38 SubmD, insbesondere der Abs. 3, einen Schadenersatzanspruch von vorn- herein ausschliessen will, wenn die Beschwerdeinstanz nicht (wegen eines bereits gültig zustande gekommenen Vertragsschlusses) ledig- lich auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung beschränkt ist, sondern diese aufhebt und es so dem ge- schädigten Anbieter grundsätzlich ermöglicht, seine Chancen auf den Zuschlag in einem neuen rechtskonformen Beschaffungsverfahren zu wahren. aa) Festzuhalten ist zunächst, dass der Weg des Schadenersatzes im Verhältnis zum Beschwerdeweg subsidiär ist (Peter Galli/André Moser/Elisabeth Lang, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, Zürich 2003, Rz. 714). Entsprechend fällt eine Staatshaftung von vornherein ausser Betracht, wenn eine rechtskräftige, nicht mit Be- schwerde angefochtene Verfügung vorliegt. Weiter gilt, dass ein Be- troffener sein Recht auf Schadenersatz verliert, wenn er zuvor nicht von allen ihm zustehenden Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hat. Ein Anbieter kann also nicht wahlweise entweder den Zuschlag anfech- ten oder ein Schadenersatzbegehren stellen, sondern er muss auf alle 2003 Verwaltungsgericht 272 Fälle zunächst den Beschwerdeweg beschreiten. Daraus folgt insbe- sondere, dass ein nicht berücksichtigter Anbieter, der Ersatz verlan- gen will für den Schaden, den ihm eine Zuschlagsverfügung verur- sacht hat, sich nicht damit begnügen kann, zuzuwarten, bis einer seiner ebenfalls erfolglosen Mitbewerber die Rechtswidrigkeit bei der Beschwerdeinstanz hat feststellen lassen. Hat es der nicht berück- sichtigte Anbieter unterlassen, selber gegen die Zuschlagsverfügung offen stehende Rechtsmittel zu erheben, so steht ihm auch kein Klagerecht auf Schadenersatz zu (BGE 2P.218/2001 vom 31. Januar 2002, Erw. 3.4 mit Hinweisen; Galli/Moser/Lang, a.a.O., Rz. 714). bb) Für das Bundesvergaberecht bestimmt Art. 34 Abs. 1 BoeB, dass der Bund oder die Auftraggeberinnen ausserhalb der ordentli- chen Bundesverwaltung für einen Schaden haften, den sie durch eine Verfügung verursacht haben, deren Rechtswidrigkeit im Verfahren nach Art. 32 Abs. 2 BoeB (oder nach Art. 33 BoeB [Revision]) festgestellt worden ist. Art. 32 Abs. 2 BoeB besagt, dass die Rekurs- kommission (im Gegensatz zu Art. 32 Abs. 1 BoeB) lediglich feststellen kann, inwiefern die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt, wenn sich die Beschwerde als begründet erweist und der Vertrag mit dem Anbieter bereits abgeschlossen ist. Im Bundesbe- schaffungsrecht kommt die Schadenersatzregelung also nur dann zum Tragen, wenn die angefochtene, Bundesrecht verletzende Verfü- gung, namentlich ein rechtswidriger Zuschlag, nicht mehr aufgeho- ben werden kann und die Rekurskommission lediglich einen Feststel- lungsentscheid treffen kann (Vicent Carron/Jacques Fournier, La protection juridique dans la passation des marchés publics, Freiburg 2002, S. 137; Peter Galli/Daniel Lehmann/Peter Rechsteiner, Das öffentliche Beschaffungswesen in der Schweiz, Zürich 1996, Rz. 558). Die Schadenersatzregelung dient folglich als Korrelat da- für, dass es dem Beschwerdeführer trotz seines Obsiegens durch den erfolgten Vertragsabschluss verwehrt ist, seine Chancen auf den Zu- schlag erneut wahrnehmen zu können (BR 2002, S. 74). Wird ihm hingegen diese Chance durch einen kassatorischen oder reformatori- schen Entscheid der Beschwerdeinstanz wieder gegeben, ist die Rechtsverletzung korrigiert und es bleibt kein Raum mehr für ein Schadenersatzbegehren (Carron/Fournier, a.a.O., S. 137). 2003 Submissionen 273 cc) Diese Überlegungen müssen auch für das kantonale Verga- berecht Geltung haben. Die Aufhebung der rechtswidrigen Zu- schlagsverfügung im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren hat zur Folge, dass die Vergabebehörde den Zuschlag neu verfügen muss. Je nach Fehler, den oder die sie begangen hat, setzt dies die Wiederholung des gesamten Submissionsverfahrens oder auch nur eine Bewertungskorrektur voraus. Die Chancen des beschwerdefüh- renden Anbieters auf den Zuschlag bleiben damit intakt und seine im Zusammenhang mit der Ausarbeitung der Offertunterlagen getätigten Aufwendungen (und auch die Aufwendungen für das Beschwerde- verfahren) sind - anders als in Fällen, in denen der Vertrag bereits abgeschlossen worden ist, oder das Vergabeverfahren definitiv abge- brochen wird (vgl. dazu VPB 65/2001 Nr. 94 S. 1045 ff.; Galli/Moser/Lang, a.a.O., Rz. 695, 704) - nicht nutzlos geworden. Letzteres gilt selbst dann, wenn es zu einer Wiederholung des Ver- fahrens kommt und der vormalige Beschwerdeführer ein neues Angebot einreichen muss. Er wird auch hier auf seine Vorarbeiten zurückgreifen können. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Anbie- tenden für das Ausarbeiten der Offerten in der Regel nicht entschä- digt werden (§ 14 Abs. 2 SubmD). Das heisst, ein Anbieter muss stets damit rechnen, dass er keinen Auftrag erhalten wird und den mit der Offerterstellung verbundenen Aufwand letztlich vergeblich leis- ten wird. Dies kann seine Ursache vor allem darin haben, dass er nicht das wirtschaftlich günstigste Angebot eingereicht hat. Denkbar ist aber auch, dass die Vergabebehörde aus irgendwelchen Gründen gar keinen Zuschlag erteilt (vgl. § 22 SubmD). Ein Anbieter hat lediglich Anspruch auf ein regelkonformes Submissionsverfahren, nicht aber auf den Zuschlag bzw. den Auftrag (§ 22 Abs. 1 SubmD). Entscheidend ist, dass mit dem Entscheid der Beschwerdeinstanz ein dekretswidriger Zuschlag aufgehoben wurde und es damit an der Wi- derrechtlichkeit fehlt. Durch den Entscheid der Beschwerdeinstanz werden auch die Chancen auf den Zuschlag wieder hergestellt. Wird der Zuschlag in der Folge wiederum nicht dem obsiegenden Be- schwerdeführer erteilt, so kann er erneut den Beschwerdeweg be- schreiten. Dies gilt auch, falls die Vergabebehörde das Submissions- 2003 Verwaltungsgericht 274 verfahren ohne Auftragsvergabe definitiv abbricht. Auch die defini- tive Abbruchverfügung ist mit Beschwerde anfechtbar (§ 24 Abs. 1 SubmD). dd) Sowohl der Wortlaut von § 38 Abs. 3 SubmD als auch der Sinn und Zweck der Schadenersatzregelung legen damit den Schluss nahe, dass ein Schadenersatzanspruch einzig in jenen Fällen geltend gemacht werden kann, in denen ein Feststellungsurteil der Beschwer- deinstanz betreffend der Widerrechtlichkeit der angefochtenen Verfü- gung ergangen ist, weil die Korrektur der begangenen Rechtswidrig- keit durch Aufhebung der Verfügung rechtlich nicht mehr möglich war. Nur in diesen Fällen kann es überhaupt zu einem submissions- rechtlich relevanten Schaden des betreffenden Anbieters kommen. Da der Beschwerde im Normalfall aufschiebende Wirkung zukom- men und das Verwaltungsgericht einen widerrechtlich erfolgten Zu- schlag somit aufheben wird, ist der Anwendungsbereich von § 38 SubmD in der Praxis sehr eingeschränkt. Diese Konsequenz stimmt indessen durchaus mit dem Willen des Dekretgebers überein, der seinerseits die Geltung von § 38 SubmD bewusst auf Vergaben im GATT-Bereich beschränkt hat (vgl. Protokoll der 3. Sitzung vom 4. September 1996 der nichtständigen Kommission Nr. 19, S. 28 [Votum Pfisterer]). Das heisst, für rechtswidrige Vergaben, die nicht dem GATT-Abkommen unterstehen, gelangt die spezialgesetzliche Schadenersatzregelung von § 38 SubmD ohnehin nicht zur Anwen- dung. Diesbezüglich wären allfällige Haftungssprüche gegebenen- falls gestützt auf das Verantwortlichkeitsgesetz beim Zivilgericht geltend zu machen. e) Im vorliegenden Fall liegt nun mit dem Entscheid vom 29. Februar 2000 klarerweise kein Feststellungsurteil, sondern ein formell rechtskräftiges Gestaltungsurteil des Verwaltungsgerichts vor. Letzteres hat sich nicht darauf beschränkt, lediglich die Wider- rechtlichkeit des an die A. AG erteilten Zuschlags festzustellen, son- dern es hat die entsprechenden Zuschlagsverfügungen aufgehoben. Daran ändert nichts, dass das Verwaltungsgericht auf verbindliche Anweisungen im Hinblick auf die neuerliche Zuschlagserteilung verzichtete, sondern es der Vergabebehörde überliess, darüber in einem korrekten Verfahren neu zu befinden. Mit der gerichtlichen 2003 Submissionen 275 Aufhebung der Zuschlagsverfügung waren die Chancen der Kläge- rin, den Zuschlag in einem rechtskonformen Verfahren zu erhalten, wieder hergestellt. Damit fehlt es am für ein Schadenersatzbegehren erforderlichen Feststellungsentscheid. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, die weiteren Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch zu prüfen. 3. Vor diesem Hintergrund erweisen sich insbesondere auch die Gründe, warum die Klägerin auf die Wahrnehmung ihrer durch das verwaltungsgerichtliche Gestaltungsurteil wieder hergestellten Chan- cen in der Folge verzichtet hat, als nicht relevant. Die Vergabebe- hörde hatte die Anbietenden, darunter auch die Klägerin, im An- schluss an den verwaltungsgerichtlichen Entscheid aufgefordert, ein neues Angebot einzureichen. Mit Schreiben vom 14. April 2000 teilte die Klägerin der Vergabebehörde mit, dass sie das von ihr vorgesehe- ne Vorgehen zur Neuerteilung des Zuschlags als nicht rechtmässig erachte, weshalb sie darauf verzichte, erneut eine Offerte einzurei- chen und sich ein Schadenersatzbegehren vorbehalte. Die Klägerin macht geltend, das von der Vergabebehörde gewählte "Fortsetzungs- verfahren" sei wiederum widerrechtlich gewesen. Sie habe unter den gegebenen Voraussetzungen keine Chancen gehabt, den Zuschlag zu erhalten. Sie habe auch deshalb auf die Einreichung einer lediglich mit zusätzlichen Kosten verbundenen Offerte verzichtet. Unter die- sen Umständen hätten sich auch die bereits entstandenen Aufwendungen für die Ausarbeitung der ersten Offerte als nutzlos erwiesen. Die Klägerin verkennt, dass ihr nach erfolgter Aufhebung der Zuschlagsverfügung kein Wahlrecht zukam, entweder weiterhin ihre Chancen auf den Zuschlag zu verfolgen oder aber ein Schadener- satzbegehren zu stellen. Auch wenn sie (subjektiv) der Ansicht ge- wesen ist, das von der Vergabebehörde befolgte weitere Vorgehen sei wiederum rechtswidrig, hätte sie am Verfahren beteiligt bleiben und dann gegebenenfalls erneut den Zuschlag anfechten müssen. Durch den Verzicht auf die weitere Verfahrensbeteiligung hat sie freiwillig auf die ihr durch das verwaltungsgerichtliche Urteil wieder einge- räumten Chancen verzichtet. Daran vermag die Beurteilung der Klägerin, es sei für sie aussichtslos gewesen, den Zuschlag zu er- 2003 Verwaltungsgericht 276 halten, nichts zu ändern. Durch den Verzicht auf eine weitere Ver- fahrensbeteiligung hat sie auch darauf verzichtet, die Rechtmässig- keit der Fortsetzung des Submissionsverfahrens und den daraus re- sultierenden Zuschlag durch die Rechtsmittelinstanz überprüfen zu lassen. 4. Indem die Klägerin gegen das weitere Submissionsverfahren und den neuerlichen Zuschlag keine Beschwerde erhoben hat, fehlt ihrem Klagebegehren die Widerrechtlichkeit im Sinne von § 38 SubmD als Sachurteilsvoraussetzung. Auf Grund der vorstehenden Ausführungen steht fest, dass für die Bejahung eines, durch eine rechtswidrige Verfügung der Vergabebehörde entstandenen und von dieser gestützt auf § 38 SubmD zu ersetzenden, Schadens der Kläge- rin bereits ein entsprechendes Feststellungsurteil der Beschwerdein- stanz fehlt. Damit ist die Klage abzuweisen. III. 2. a) Nach § 37 VRPG kommen im Klageverfahren vor Ver- waltungsgericht die Bestimmungen der ZPO über die Prozesskosten zur Anwendung. Die Bemessung der Parteikosten wird durch grossrätliches Dekret näher geregelt (§ 100 Abs. 2 lit. b ZPO). Die ZPO verweist einerseits auf § 31 VKD und anderseits auf den An- waltstarif. Für Verwaltungssachen einschliesslich versicherungsge- richtlicher Streitigkeiten sieht § 5 Abs. 1 AnwT die sinngemässe Anwendung der §§ 3 und 4 AnwT vor. Der Rechtsvertreter der Beklagten bestreitet nicht (mehr), dass es sich beim verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren um eine Ver- waltungssache nach § 5 AnwT handelt. Dies ergibt sich auch schon daraus, dass vorliegend die Rechtsgrundlage von Haftung und Scha- denersatz in § 38 SubmD und somit im öffentlichen Recht begründet ist. b) aa) In Abweichung von der Regelnorm in § 5 Abs. 1 AnwT kann gemäss § 5 Abs. 2 AnwT bei hohen Streitwerten das Grundho- norar inkl. Zuschlägen um bis zu einen Drittel gekürzt werden, so- fern der Charakter des Verfahrens dies als gerechtfertigt erscheinen lässt. § 5 Abs. 2 AnwT hat Ausnahmecharakter, die Anwendung spielt sich auf zwei Ebenen ab (vgl. dazu AGVE 1991, S. 358 f.; VGE III/24 vom 27. Februar 2001 [BE.1997.00372] in Sachen Ar- beitsgemeinschaft A., S. 3 ff.): Zunächst hat über die Schwelle des 2003 Submissionen 277 "hohen Streitwerts" - ab ca. Fr. 80'000.-- - gewissermassen der Ein- stieg in die Sondernorm zu erfolgen. Auf der zweiten Ebene ist dann zu prüfen, ob der "Charakter des Verfahrens" eine Honorarkürzung tatsächlich zulässt, wobei damit nicht bloss die durch die Untersu- chungsmaxime bedingte Eigenart des Verfahrens in Verwaltungssa- chen gemeint ist, da es andernfalls des einschränkenden Nebensatzes gar nicht bedurft hätte. Umgekehrt schliesst die im Klageverfahren herrschende Verfahrensmaxime (§ 67 VRPG i.V.m. § 75 ZPO) die Anwendung der Abzugsmöglichkeit nicht aus. Aus den Materialien ergibt sich, dass die Abzugsmöglichkeit in erster Linie für die in der Praxis überwiegenden Beschwerdeverfahren diskutiert wurde, (vgl. Botschaft des Regierungsrates vom 7. September 1987, Art. Nr. 4575 zu § 5 AnwT). Eine Beschränkung des Anwendungsbe- reichs auf die Verfahren in denen der Untersuchungsgrundsatz gilt, ist aber mit dem Wortlaut der Bestimmung nicht vereinbar. Selbst bei hohen Streitwerten im Sinne von § 5 Abs. 2 AnwT bedarf eine solche Kürzung einer besonderen, einzelfallgerechten Rechtfertigung. Die Ausgestaltung als "Kann-Vorschrift" eröffnet der rechtsanwendenden Behörde einen Spielraum des Ermessens, das pflichtgemäss zu handhaben ist. Sinn der Ausnahmebestimmung von § 5 Abs. 2 AnwT ist, das streitwertabhängige (hohe) Anwaltshonorar in jenen Einzelfällen zu kürzen, wo es als "nicht verdient" und ge- messen an der Streitsache als übersetzt erscheint. Ein Abzug ist dort angebracht, wo eine Kürzung vom Aufwand, vom Schwierigkeits- grad und von der Tragweite her als angemessen erscheint. Die Ei- genart des individuellen Verfahrens kann namentlich durch den Grad der Schwierigkeit der sich stellenden Rechtsfragen, durch den objek- tiv - d.h. unabhängig von Spezialkenntnissen oder der Bearbeitungs- sorgfalt des Anwalts oder der Betreuungsbedürftigkeit seiner Man- danten - angemessenen Aufwand, durch die Tragweite der Streitsa- che für die Beteiligten, durch die Verantwortung des Anwalts usw. bestimmt sein (AGVE 1991, S. 360; VGE IV/54 vom 23. Dezember 2002 [BE.2000.00270] in Sachen R. und Mitb., S. 15 f.). Dabei ist zu beachten, dass sich die Höhe des Abzuges nicht etwa nach der Höhe des Streitwertes bemisst, sodass der maximale Abzug von einem Drittel erst ab einem bestimmten, Fr. 80'000.-- übersteigenden Streit- 2003 Verwaltungsgericht 278 wert zulässig wäre, sondern ebenfalls nach dem Charakter des Verfahrens. bb) Die Schadenersatzklagen nach dem Submissionsdekret sind in der Regel rechtlich einfache Verfahren. Einerseits wird die Rechts- widrigkeit schon im vorangegangenen Beschwerdeverfahren festge- stellt (siehe vorne, Erw. II/2) und anderseits ist der Schaden von Gesetzes wegen auf die Aufwendungen für das Vergabe- und das Rechtsmittelverfahren beschränkt (§ 38 Abs. 2 SubmD). Im Unter- schied zu zivilrechtlichen Haftpflichtprozessen sind im submissions- rechtlichen Schadenersatzverfahren keine umfangreichen Abklärun- gen und Aufwendungen für die Schadenssubtantiierung und die Kau- salität nötig. Ausserdem muss der Vergabebehörde weder ein Ver- schulden noch eine Verletzung von wesentlichen Amtspflichten nachgewiesen werden (siehe vorne, Erw. II/1). Somit lässt der Cha- rakter des submissionsrechtlichen Schadenersatzverfahrens einen maximalen Abzug nach § 5 Abs. 2 AnwT ohne weiteres zu. Vorliegend ist auf Grund der Bedeutung der Streitsache, der Schwierigkeit sowie der anwaltlichen Verantwortung ein Abzug von 25% gerechtfertigt. Dabei ist, nebst dem angemessenen Aufwand, auch berücksichtigt, dass für den Schadenersatzanspruch nach § 38 SubmD keine Präjudizien verfügbar sind.
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2001 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 213 IX. Fürsorgerische Freiheitsentziehung 52 Zwangsbehandlung; Folter?; Rechtsschutzinteresse an der Prüfung bereits vollzogener Zwangsmassnahmen. - auf ein Beschwerdebegehren, es sei die Rechtswidrigkeit einer bereits vollzogenen Zwangsmassnahme festzustellen, wird namentlich in jenen Fällen eingetreten, bei denen die betroffene Person mit weiteren Zwangsmassnahmen zu rechnen hat (Erw. 2). - Zwangsbehandlungen, welche Heilzwecken dienen und nach den Re- geln der Medizin vorgenommen werden, stellen keine Folter oder unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK dar (Erw. 3). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 13. Februar 2001 in Sachen A.R. gegen Verfügung des Bezirksarzts R. und Entscheide der Klinik Königsfelden. Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die an ihr vorge- nommenen Zwangsmassnahmen stellten Folter dar und verstiessen gegen Art. 3 (sowie 5 und evtl. 8) EMRK. Zwangsmedikation mit Neuroleptika sei ausnahmslos unzulässig, was formell festzustellen sei. 2. a) Gemäss § 38 Abs. 1 VRPG kann jedermann Verfügungen und Entscheide durch Beschwerde anfechten, der ein schutzwürdiges eigenes Interesse besitzt. Schutzwürdig ist ein eigenes Interesse ins- besondere dann, wenn der Ausgang des Verfahrens dem Beschwer- deführer einen naheliegenden, praktischen Nutzen bringt; dazu ge- hört im Allgemeinen, dass das Rechtsschutzinteresse aktuell ist und auch im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch besteht. Ausnahmsweise tritt das Verwaltungsgericht (in Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung) auf Beschwerden trotz fehlendem aktuellem Inte- 2001 Verwaltungsgericht 214 resse ein, wenn ein besonders bedeutsames Rechtsschutzbedürfnis dies rechtfertigt (vgl. AGVE 1990, S. 329 f.; 1986, S. 323 f., je mit Hinweisen; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkon- trollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungs- rechtspflege vom 9. Juli 1968, Diss. Zürich 1998, § 38 N 140 ff. mit Hinweisen; Isabelle Häner, Die Beteiligten im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Zürich 2000, Rz. 682, mit Hinweisen). b) Da gegenüber der Beschwerdeführerin Zwangsmassnahmen angeordnet und vollzogen wurden, ist die Voraussetzung des eigenen Interesses vorliegend zweifellos erfüllt. Dagegen fehlt es an einem aktuellen Rechtsschutzinteresse, da die Zwangsmassnahmen im heu- tigen Zeitpunkt bereits vollzogen sind. Das Verwaltungsgericht lässt in diesem Bereich Ausnahmen aber relativ grosszügig zu, namentlich wenn die betroffene Person mit weiteren Zwangsmassnahmen zu rechnen hat. Im vorliegenden Fall macht die Beschwerdeführerin geltend, die Zwangsmedikation sei allgemein wie auch im Speziellen ihr gegenüber unzulässig. Es rechtfertigt sich, auf die Beschwerde auch in diesem Punkt einzutreten, um diese Vorbringen beurteilen zu können. 3. a) aa) Gemäss Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unter- worfen werden (vgl. dazu Mark E. Villiger, Handbuch der Europä- ischen Menschenrechtskonvention (EMRK), 2. Auflage, Zürich 1999, Rz. 275). Erst wenn die Verletzung der persönlichen Freiheit eine genügende Schwere erreicht, liegt ein Verstoss gegen Art. 3 EMRK vor (Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonven- tion, EMRK-Kommentar, 2. Auflage, Kehl/Strasbourg/Arlington 1996, Art. 3 N 5 und 7). Grundsätzlich gehen die Garantien des Art. 3 EMRK nicht weiter als die entsprechenden Schutzbereiche der persönlichen Freiheit in der schweizerischen Rechtsordnung, welche in Art. 10 und Art. 25 Abs. 3 BV festgelegt worden sind (Villiger, a.a.O., Rz. 271). Ob im vorliegenden Fall ein Verstoss gegen Art. 3 EMRK vor- liegt, hängt davon ab, ob die an der Beschwerdeführerin vorgenom- menen Zwangsmassnahmen überhaupt eine unrechtmässige Verlet- 2001 Fürsorgerische Freiheitsentziehung 215 zung der persönlichen Freiheit darstellen und ob diese Verletzung derart gravierend ist, dass die Schwelle zu Art. 3 EMRK erreicht ist. bb) Die Beschwerdeführerin beruft sich auf Art. 5 EMRK, wel- cher den Schutz vor willkürlicher Freiheitsentziehung zum Ziel hat (Villiger, a.a.O., Rz. 313). Auch diese Bestimmung geht nicht über die Gewährleistung des Rechts der persönlichen Freiheit in Art. 10 BV und - hinsichtlich des Schutzes der Menschenwürde - auch in Art. 7 BV hinaus. Umfasst sind insbesondere das Recht auf körperli- che und geistige Unversehrtheit, auf Bewegungsfreiheit und Wah- rung der Würde des Menschen sowie auf alle Freiheiten, die ele- mentare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen. Das Recht auf persönliche Freiheit gilt indessen, wie die übrigen Frei- heitsrechte, nicht absolut. Einschränkungen sind zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind; zudem dürfen sie den Kerngehalt des Grundrechts nicht beeinträchtigen, das heisst, dieses darf weder völlig unterdrückt noch seines Gehalts als Institution der Rechtsord- nung entleert werden. Der Schutzbereich der persönlichen Freiheit samt ihren Ausprägungen sowie die Grenzen der Zulässigkeit von Eingriffen sind jeweils im Einzelfall - angesichts der Art und Inten- sität der Beeinträchtigung sowie im Hinblick auf eine allfällige be- sondere Schutzbedürftigkeit des Betroffenen - zu konkretisieren (BGE 126 I 114 f.). cc) Die Beschwerdeführerin beruft sich ferner auf Art. 8 EMRK, wonach jedermann Anspruch auf Achtung seines Privatle- bens hat. Diese Garantie geht im hier zu beurteilenden Bereich nicht über diejenigen in den bereits erwähnten Bestimmungen hinaus. b) aa) Die an der Beschwerdeführerin durchgeführten medizini- schen Zwangsmassnahmen, insbesondere die Verabreichung von Neuroleptika, stellen aufgrund der damit verbundenen starken Ver- änderung des geistigen und körperlichen Zustands schwere Eingriffe in deren persönliche Freiheit dar. Aufgrund ihrer tiefgreifenden Auswirkungen berühren sie den Kerngehalt dieses Grundrechts (BGE 126 I 115 mit Hinweisen). Eine Verletzung der EMRK-Be- stimmungen liegt nach der Rechtsprechung des Europäischen Ge- richtshofs und des Bundesgerichts indessen nicht vor, wenn die 2001 Verwaltungsgericht 216 Zwangsbehandlung zu Heilzwecken vorgenommen wurde, also unter medizinischen Gesichtspunkten als notwendig oder angebracht er- scheint und nach ärztlichen Regeln durchgeführt wird (Bundesge- richt in: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungs- recht [ZBl] 94/1993, S. 508 mit Hinweisen); sind diese Vorausset- zungen erfüllt, so ändert auch die zur Behandlung erforderliche Ge- waltanwendung (Festhalten zum Zweck der Injektion) nichts an der Beurteilung (ZBl 94, S. 509). Anders wäre es dagegen, wenn es sich um eine medikamentöse Zwangsbehandlung experimenteller Natur und mit erniedrigendem Charakter handelte (ZBl 94, S. 508) und der Heilzweck nur vorgeschoben wäre. Die Beschwerdeführerin bzw. ihr Vertreter vertritt demgegen- über die Meinung, ob eine Zwangsbehandlung als Folter anzusehen sei, beurteile sich einzig nach dem Empfinden der Betroffenen. In Übereinstimmung mit der angeführten Rechtsprechung vermag das Verwaltungsgericht einer solchen, rein subjektiven, Definition nicht zu folgen. In letzter Konsequenz würde sie dazu führen, dass jeder staatliche Eingriff (und sei es nur beispielsweise das Verbot, in be- stimmten Räumen zu rauchen) absolut unzulässig wäre, sofern nur die Betroffenen glaubhaft machten, sie empfänden den Eingriff als "Folter". Dass die Ausführungen über die Herkunft der heutigen Psychiatrie und die - nicht zu bestreitende - Möglichkeit des Miss- brauchs nicht geeignet sind, die Zwangsbehandlung generell als un- zulässig erscheinen zu lassen, bedarf keiner weiteren Begründung. Dies gilt erst recht für die angeblichen, politischen Hintergründe (Psychiatrie, Behandlung mit Psychopharmaka und fürsorgerische Freiheitsentziehungen als Mittel des Staates, die unterdrückten Mas- sen im Zaum zu halten). bb) Es besteht kein Zweifel, dass die in der Klinik erfolgten Zwangsbehandlungen Heilzwecken dienten, nach den Regeln der Medizin vorgenommen wurden und daher keine Folter oder un- menschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen.
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AG_VG_001
AG_VG
AG
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AG_VG_001_AGVE-2001-52_2001-02-01
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2010 Strafrecht 45 IV. Strafrecht 7 Art. 22 Abs. 1, 47, 48a und 49 Abs. 1 StGB. Liegt bei mehreren in echter Konkurrenz zueinander stehenden Tatbe- ständen in Bezug auf ein Delikt nur ein Versuch vor, kann keine Strafmil- derung nach Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 48a StGB vorgenommen werden. Dies ergibt sich aus der Anwendung von Art. 49 Abs. 1 StGB. Der Um- stand ist jedoch nach Art. 47 StGB strafmindernd zu berücksichtigen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 27. Mai 2010, i.S. Staatanwaltschaft des Kantons Aargau gegen J.M. (SST.2010.93) Aus den Erwägungen 3.1. (...) Der Umstand, dass in Bezug auf die Nötigung nur ein Versuch vorliegt, führt aber entgegen der Vorinstanz nicht dazu, dass eine Strafmilderung gemäss Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 48a StGB vorge- nommen werden könnte. Dies folgt aus der Anwendung von Art. 49 Abs. 1 StGB (vgl. Christian Schwarzenegger/Markus Hug/Daniel Jositsch, Strafrecht II, 8. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2007, § 5 Ziff. 3.121, S. 75 f., und Ziff. 3.131, S. 85 f.). Anders zu entscheiden würde bedeuten, dass derjenige, der bloss eine vollendete Nötigung begeht, hinsichtlich der Mindeststrafe schlechter gestellt wäre als derjenige, der neben einer vollendeten noch eine versuchte Nötigung oder nebst anderen vollendeten Verbrechen oder Vergehen noch eine versuchte Nötigung begeht (vgl. Schwarzenegger/Hug/Jositsch, a.a.O., § 5 Ziff. 3.121, S. 76). Der Umstand, dass vorliegend die Nötigung im Versuchsstadium stecken geblieben ist, ist jedoch im Rahmen von Art. 47 StGB strafmindernd zu berücksichtigen (BGE 121 IV 49 E. 1b S. 54 f.; zum Ganzen auch Urteil des Obergerichts 2010 Obergericht 46 des Kantons Aargau vom 10. November 2004 (SST.2004.736) E. 5 und Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 23. März 2006 (SST.2006.8) E. 3.2.1, beide mit Bezug auf aArt. 65 StGB).
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AG_HG_001_AGVE-2010-7_2010-05-01
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2002 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 55 [...] 10 Art. 84 Abs. 2 SchKG. Art. 272 ZPO läuft dem Beschleunigungsgebot des Art. 84 Abs. 2 ZPO zuwider und ist im summarischen Rechtsöffnungsverfahren nicht an- wendbar. Gegen eine trotzdem erfolgte Sistierung ist deshalb nicht die Beschwerde nach § 272 Abs. 3 ZPO offen, sondern kann einzig Aufsichts- beschwerde wegen Rechtsverzögerung oder Rechtsverweigerung nach § 80 GOG i.V.m. § 32 Abs. GOD an die Inspektionskommission des Ober- gerichts erhoben werden. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 1. Juli 2002 in Sachen T. gegen G. AG.
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2003 Zivilrecht 31 B. Sachenrecht 4 Art. 927 f. ZGB, §§ 300 ff. ZPO; Besitzesschutz Besitzesschutzklagen sind nach Massgabe von § 300 Abs. 1 ZPO im summarischen Verfahren abzuwandeln. Werden sie mit einer Schadener- satzklage verbunden, sind sie nach § 135 EG ZGB im beschleunigten Ver- fahren zu beurteilen. Im beschleunigten Verfahren ist alsdann Raum für eine vorsorgliche Verfügung gemäss § 302 Abs. 1 lit. a ZPO (Erw. 2/a; Be- stätigung der Rechtsprechung, AGVE 1991 S. 19 ff.). Besitzesrechtsklagen sind als Eigentumsprozess im ordentlichen Verfah- ren zu beurteilen. Vorläufiger Rechtsschutz kann mittels vorsorglicher Verfügung nach § 302 Abs. 1 lit. b ZPO gewährt werden (Erw. 2/b). Grundsätzlich kann jeder zivilrechtliche Anspruch vorsorglichen Rechts- schutz nach § 302 Abs. 1 lit. b ZPO erlangen; Voraussetzungen (Erw. 2/c). Im Falle von dringender Gefahr kann der Richter bei Verfahren nach § 300 und § 302 ZPO vorläufige Massnahmen im Sinne von § 294 ZPO erlassen (Erw. 2/d). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 30. Juni 2003, i.S. B. u. U.K. ca. T. u. J.M. Aus den Erwägungen: 2. a) Der possessorische Besitzesschutz im Sinne von Art. 927 und 928 ZGB richtet sich gegen Besitzesverletzungen und zwar in der Form einer Besitzesentziehung (Art. 927 ZGB) oder einer Besit- zesstörung (Art. 928 ZGB). Die Besitzesschutzklagen bezwecken grundsätzlich nur die Wiederherstellung und Erhaltung eines frühe- ren tatsächlichen Zustandes. Sie führen nicht zu einem Entscheid über die Rechtmässigkeit dieses Zustandes und gewähren dem Klä- ger daher insoweit nur einen provisorischen Schutz. Auch über das bessere Recht i.S.v. Art. 927 Abs. 2 ZGB wird im Besitzesschutzver- fahren wegen der Beschränkung auf dessen sofortigen, d.h. liquiden, 2003 Obergericht/Handelsgericht 32 Nachweis nicht rechtskräftig entschieden (Stark, Berner Kommentar, Bern 2001, 3. A., N 23 zu Art. 927 ZGB; Stark, Basler Kommentar, Basel 2003, 2. A., N 7 zu Art. 927 ZGB). Die Besitzesschutzklagen erfordern von Bundesrechts wegen ein rasches Verfahren, in wel- chem aber über die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes als solche endgültig entschieden wird, auch wenn der Entscheid durch ein späteres Urteil über das Recht an der Sache umgestossen werden kann und dieser daher nicht berufungsfähig ist (BGE 113 II 243 f., 94 II 353 Erw. 3). Weder § 135 EG ZGB, der solche Klagen ins beschleunigte Verfahren verweist, noch eine vorsorgliche Verfü- gung nach § 302 Abs. 1 lit. a ZPO, die nur vorläufigen Rechtsschutz gewährt, entspricht diesen bundesrechtlichen Anforderungen. Besit- zesschutzklagen sind daher grundsätzlich im - in Bezug auf den Be- sitzesschutz zu einem endgültigen Urteil führenden - summarischen Verfahren nach Massgabe von § 300 Abs. 1 ZPO abzuwandeln, in welches alle durch das Zivilrecht vorgesehenen Verfügungen zu ver- weisen sind, die ihrer Natur nach nicht in das ordentliche Verfahren gehören. Der Charakter der Klagen verlangt dabei, dass der Kläger den vollen Beweis der bisherigen tatsächlichen Sachherrschaft sowie der Besitzesentziehung oder -störung durch verbotene Eigenmacht zu erbringen hat. Werden Besitzesschutzklagen mit einer Schadener- satzklage verbunden, sind sie im beschleunigten Verfahren gemäss § 135 EG ZGB abzuwandeln, da die für die Beurteilung des Scha- denersatzanspruches erforderlichen umfassenden Beweiserhebungen im Summarverfahren nicht möglich sind. Im beschleunigten Verfah- ren ist alsdann Raum für eine vorsorgliche Verfügung gemäss § 302 Abs. 1 lit. a ZPO. Wird mit der Besitzesschutzklage blosser Besitzes- schutz verlangt, kann demgegenüber im Rahmen des nach Massgabe von § 300 ZPO durchzuführenden Summarverfahrens vorläufiger Rechtsschutz nur mittels vorläufiger Massnahme i.S.v. § 294 ZPO erlangt werden (vgl. zum Ganzen: AGVE 1991 S. 19 ff.). Die in AGVE 1991 S. 19 ff. dargelegte und vorstehend zusam- mengefasste obergerichtliche Rechtsprechung wird von Killer (Büh- ler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aarg. Zivilprozessordnung, 2. A., Aarau 1998, N 2 zu § 302 ZPO) zwar kritisiert, das Obergericht sieht sich aber nicht veranlasst, darauf zurückzukommen. Auf die 2003 Zivilrecht 33 von den Beklagten unter Berufung auf Killer (a.a.O.) gegen die vor- instanzliche Verfahrensleitung erhobenen Einwände ist daher nicht weiter einzugehen. b) Die vom possessorischen Schutzanspruch abzugrenzenden Besitzesrechtsklagen i.S.v. Art. 937 Abs. 1 ZGB sind als Eigentums- prozess im ordentlichen Verfahren zu beurteilen. Hier kann vorläufi- ger Rechtsschutz mittels vorsorglicher Verfügung nach § 302 Abs. 1 lit. b ZPO gewährt werden, wenn eine solche zur Abwehr eines dro- henden, nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteils oder zur Auf- rechterhaltung eines tatsächlichen Zustandes notwendig ist. Eine solche vorsorgliche Verfügung kann auch mit Hinblick auf einen noch anzuhebenden Eigentumsprozess erlassen werden, wobei eine Fristansetzung zur Klageanhebung nicht zwingend ist (§ 305 ZPO; Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 1 zu § 305 ZPO). c) Zu beachten ist, dass grundsätzlich jeder zivilrechtliche An- spruch vorsorglichen Schutz erlangen kann (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 2 und 3 der Vorbem. zu §§ 302-308 ZPO; Art. 641 ZGB). Solche Begehren sind nach den allgemeinen Vorschriften über das summarische Verfahren (§§ 289 ff. ZPO) und den besonderen Be- stimmungen von §§ 302 ff. ZPO abzuwandeln; es handelt sich um "typische" Summarverfahren (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 5 der Vorbem. zu §§ 302-308 ZPO). Gemäss § 302 Abs. 1 lit. b ZPO kann eine vorsorgliche Verfü- gung zur Aufrechterhaltung eines tatsächlichen Zustandes oder zur Abwehr eines drohenden, nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteils erlassen werden. Als drohender Nachteil kommt vor allem ein vermögensrechtlicher in Betracht, überdies auch eine andere Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Gesuchstellers. Der Nach- teil muss drohen, d.h. es muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit für seinen Eintritt bestehen. Sodann muss der Nachteil, wenn er eintreten würde, nicht leicht aus der Welt zu schaffen sein. Dies ist z.B. der Fall, wenn er durch Geldleistung nicht oder nur unvollständig aufge- hoben werden kann (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 9 ff. zu § 302 ZPO). Der Richter muss nicht von der Richtigkeit der aufgestellten Behauptungen überzeugt sein wie bei der Durchführung eines umfas- senden Beweisverfahrens. Für die Richtigkeit muss lediglich eine 2003 Obergericht/Handelsgericht 34 gewisse Wahrscheinlichkeit sprechen, weshalb blosse Glaubhaftma- chung der das Gesuch begründenden Tatsachen genügt (Büh- ler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 13 zu § 302 ZPO). Nicht glaubhaft zu machen ist die Rechtslage, aus welcher das Begehren um Erlass der vorsorglichen Verfügung hergeleitet wird. Der Gesuchsteller hat die Rechtslage anzuführen, und der Massnahmerichter nimmt eine vor- läufige und summarische Prüfung derselben vor. Es geht dabei im Wesentlichen um eine Hauptsachenprognose (Bühler/Edelmann/Kil- ler, a.a.O., N 15 zu § 302 ZPO). d) Im Falle von dringender Gefahr kann der Richter bereits vor der Anhörung der Gegenpartei vorläufige Massnahmen treffen und nötigenfalls deren Vollstreckung anordnen (§ 294 ZPO). Solche vor- läufigen Massnahmen sind fakultativer Bestandteil des Summarver- fahrens und sowohl bei Verfahren nach § 300 ZPO als auch im Rah- men von vorsorglichen Verfügungen nach § 302 ZPO - nicht aber ausserhalb des Summarverfahrens - möglich (Bühler/Edelmann/Kil- ler, a.a.O., N 1 f. zu § 294 ZPO). Die Anordnung vorläufiger Mass- nahmen wird nicht rechtskräftig. Diese können vom Richter jeder- zeit aufgehoben oder abgeändert werden, und zwar auch ohne Antrag der betroffenen Partei (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 5 zu § 294 ZPO).
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AG_HG_001
AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2003-4_2003-06-03
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2000 Obergericht 28 [...] 3 Art. 559 ZGB; Erbbescheinigung - Definition und Wesen (Erw. 2c) - Die Verweigerung der Ausstellung einer Erbbescheinigung ist ein be- schwerdefähiger Endentscheid im summarischen Verfahren gemäss § 335 lit. a ZPO. Zur Beschwerdeführung sind die eingesetzten Erben, nicht aber der Willensvollstrecker legitimiert (Erw. 2). - Zur Einsprache gegen die Ausstellung der Erbbescheinigung i.S.v. Art. 559 Abs. 1 ZGB berechtigt sind nicht nur die Pflichtteils-, son- dern auch andere durch Testament von der Erbfolge ausgeschlossene 2000 Zivilrecht 29 gesetzliche Erben; die Bestreitung bewirkt, dass die Erbbescheinigung nicht ausgestellt werden darf (Erw. 3b). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 15. August 2000 in Sachen M.K. u.a. gegen D.P.S. u.a. Aus den Erwägungen 2. a) Die Beschwerdegegner beantragen Nichteintreten auf die Beschwerde, da kein (anfechtbarer) Endentscheid i.S.v. § 335 lit. a ZPO vorliege und die Beschwerdeführer nicht beschwert seien. b) Die Sicherungsmassregeln über den Nachlass i.S.v. Art. 551 - 559 ZGB werden im Verfahren der freiwilligen, nichtstreitigen Ge- richtsbarkeit erlassen. Dieses richtet sich nach kantonalem Recht. Gemäss § 72 EG ZGB ist der Gerichtspräsident am letzten Wohnsitz des Erblassers die zuständige Behörde für alle den Erbgang betref- fenden Massnahmen. Gestützt auf § 300 Abs. 1 ZPO gelangt das summarische Verfahren zur Anwendung (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aarg. Zivilprozessordnung, 2. A., Aarau 1998, N 5(33) zu § 300 ZPO). Gegen Endentscheide im summarischen Ver- fahren ist gemäss § 335 lit. a ZPO die Beschwerde zulässig. Der Ausdruck Endentscheid umfasst Prozess- und Sachurteile sowie Ab- schreibungsbeschlüsse, die das summarische Verfahren als Ganzes abschliessen. Unerheblich ist, ob der Summarentscheid in materielle Rechtskraft erwachsen ist (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 1 ff. zu § 335 ZPO). Mit dem Entscheid des Gerichtspräsidiums K. wurde das summarische Verfahren betreffend Ausstellung einer Erbbe- scheinigung abgeschlossen; er ist daher nach § 335 lit. a ZPO mit Beschwerde anfechtbar. c) Die Erbbescheinigung ist die von der zuständigen Behörde ausgestellte Bestätigung, welche Person(en) die alleinigen Erben ei- nes bestimmten Erblassers sind und somit das ausschliessliche Recht haben, den Nachlass in Besitz zu nehmen und darüber zu verfügen. 2000 Obergericht 30 Sie wird nach Art. 559 Abs. 1 ZGB ausdrücklich unter Vorbehalt der Ungültigkeits- und Erbschaftsklage ausgestellt und ist daher stets nur ein provisorischer Ausweis ohne materiellrechtliche Bedeutung für die Erbenstellung der darin erwähnten Personen; über diese Fragen kann nur der ordentliche Richter definitiv entscheiden. Die Erbbe- scheinigung verleiht aber den prima facie berechtigt erscheinenden Erben einen provisorischen Legitimationsausweis zur Inbesitznahme und Verfügungsmöglichkeit über die Erbschaftsgegenstände (Martin Karrer, Basler Kommentar, Basel 1988, N 2 f. zu Art. 559 ZGB; Peter Tuor/Vito Picenoni, Berner Kommentar, 2. A., Bern 1964, N 23 ff. zu Art. 559 ZGB; Arnold Escher, Zürcher Kommentar, 3. A., Zü- rich 1960, N 8 f. zu Art. 559 ZGB). Keinen Anspruch auf eine Erb- bescheinigung hat der Vermächtnisnehmer, denn diesem kommt keine Erbenqualität zu (Karrer, a.a.O., N 9 zu Art. 559 ZGB; Tuor/Picenoni, a.a.O., N 3 zu Art. 559 ZGB). Die eingesetzten Erben M.K. und M.K. erleiden durch die Nichtausstellung der Erbbescheinigung zweifellos einen Rechts- nachteil, indem ihnen versagt ist, den Nachlass (vorläufig) zu behän- digen und darüber zu verfügen. Ihre Beschwerdelegitimation ist da- her zu bejahen. Der Willensvollstrecker ist dagegen zur Beschwerde- führung nur insoweit legitimiert, als es um seine Einsetzung, Stel- lung oder Funktion geht (Karrer, a.a.O., N 11 der Vorbemerkungen zu Art. 551 - 559 ZGB). Da vorliegend der eingesetzte Willensvoll- strecker durch den angefochtenen Entscheid keine Verletzung in ei- nem subjektiven Recht erfährt, kann auf seine Beschwerde nicht eingetreten werden. Auf die Beschwerde der Vermächtnisnehmerin ist ebenfalls nicht einzutreten, nachdem diese nicht als Adressatin der angefochtenen Verfügung berührt ist. 3. b) Die eingesetzten Erben machen geltend, ihre Erbberechti- gung ergebe sich zweifelsfrei aus dem Testament; die Erblasserin habe keine pflichtteilsberechtigten Nachkommen hinterlassen und über ihr Vermögen frei verfügen können. Zur Bestreitung gemäss Art. 559 Abs. 1 ZGB berechtigt sind nicht nur die Pflichtteils-, son- 2000 Zivilrecht 31 dern auch andere durch Testament von der Erbfolge ausgeschlossene gesetzliche Erben (ZR 1986 S. 25 f.; Karrer, a.a.O., N 10 zu Art. 559 ZGB; Tuor/Picenoni, a.a.O., N 4 zu Art. 559 ZGB). Die Bestreitung bewirkt, dass die Erbbescheinigung nicht ausgestellt werden kann. Dies ist auch dann der Fall, wenn sie nur von einem einzigen hiezu Berechtigten erhoben wurde bzw. wenn sie sich nicht gegen alle ein- gesetzten Erben richtet, denn die Erbbescheinigung muss sämtliche Personen anführen, die zusammen die Erbengemeinschaft bilden und gesamthänderisch über den Nachlass verfügen können (Karrer, a.a.O., N 13 zu Art. 559 ZGB; Tuor/Picenoni, a.a.O., N 16 zu Art. 559 ZGB; Paul Piotet, Schweizerisches Privatrecht, Bd. IV/2, Basel/Stuttgart 1981, S. 725 f.; Eduard Sommer, Die Erbbeschei- nigung nach schweiz. Recht, Diss. Zürich 1941, S. 45; AGVE 1984 S. 676). Die Verweigerung der Erbbescheinigung verhindert lediglich die (vorläufige) Auslieferung der Erbschaft an die eingesetzten Erben; über den Bestand des Erbanspruchs besagt sie nichts. Dieser ist im Rahmen der erbrechtlichen Klagen durch den ordentlichen Richter zu klären. Die Einsprache bezweckt einzig die Aufrechterhaltung einer prozessualen Situation. Ihre Wirkungen bestehen daher längstens bis zur Verjährung bzw. Verwirkung der erbrechtlichen Klagen (ZR 1986 S. 27; Sommer, a.a.O., S. 49).
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2009 Zivilrecht 25 I. Zivilrecht A. Familienrecht 1 Art. 137 ZGB; Unterhalt im Präliminarverfahren Nur bei der erstmaligen Festsetzung von vorsorglichem Unterhalt nach Rechtskraft der Scheidung bedarf es einer positiven Prognose im Unter- haltspunkt im Hauptverfahren. Bei der Festsetzung von Unterhaltsbeiträ- gen für die Dauer des Scheidungsverfahrens vor rechtskräftiger Schei- dung werden hingegen keine ehebedingten Nachteile vorausgesetzt. Die Höhe des vorsorglichen Unterhalts richtet sich in beiden Fällen nach den Art. 163 bis 165 ZGB, wobei dem mit der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes verfolgten Zweck der Aufhebung der Lebensgemeinschaft in- sofern Rechnung zu tragen ist, als der wirtschaftlichen Selbständigkeit (Eigenversorgungskapazität) grösseres Gewicht zugemessen wird. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 5. Zivilkammer, vom 21. September 2009 i.S. M.F. gegen M.K.F. Aus den Erwägungen 3.1. Der Kläger macht in der Beschwerde unter Berufung auf Six (Eheschutz, Bern 2008, N 2.67), der auf das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 12. März 2007 (ZSU.2005.421) verweist, und Gloor (Basler Kommentar, N 10 zu Art. 137 ZGB) geltend, der Eheschutz- resp. Präliminarrichter habe insbesondere von der Zu- sprechung von Ehegattenunterhaltsbeiträgen abzusehen, wenn mit einer Wiederherstellung des gemeinsamen Haushaltes nicht mehr zu rechnen ist und mit grosser Wahrscheinlichkeit auch im Scheidungs- verfahren kein nachehelicher Unterhalt nach Art. 125 ZGB zu erwar- ten ist. Das Scheidungsurteil vom 30. April 2009 verpflichte den Klä- ger zu keinen nachehelichen Unterhaltszahlungen, zumindest sofern und so lange sich seine finanzielle Lage nicht wesentlich verbessere. 2009 Obergericht 26 Damit habe die Unterhaltspflicht des Klägers bereits ab dem Zeit- punkt zu entfallen, an dem mit einer Wiederaufnahme des gemeinsa- men Haushaltes nicht mehr ernsthaft zu rechnen gewesen sei. Dies sei mindestens ab Einreichung der Abänderungsklage vom 25. Januar 2008 anzunehmen. Zudem hätten die Parteien bereits seit dem November 2003 getrennt gelebt, bei Klageeinreichung also bereits seit über vier Jahren. 3.2. Dem zitierten Urteil der 5. Zivilkammer des Obergerichts vom 12. März 2007 (ZSU.2005.421) lag die Situation zu Grunde, dass die Ehe der Parteien zur Zeit des Beschwerdeentscheides des Oberge- richts im Präliminarverfahren bereits rechtskräftig geschieden, im Hauptverfahren im Unterhaltspunkt aber noch eine Appellation hän- gig war. Das Obergericht führte in diesem Zusammenhang aus, Art. 137 Abs. 2 Satz 2 ZGB sehe vor, dass vorsorgliche Massnahmen auch dann angeordnet werden können, wenn die Ehe aufgelöst ist, aber das Verfahren über die Scheidungsfolgen fortdauert. Entspre- chend der allgemeinen Voraussetzung für den Erlass vorsorglicher Massnahmen sei erforderlich, dass der Ansprecher auf vorsorglichen Unterhalt angewiesen ist, wobei sich nach ausdrücklicher gesetzli- cher Bestimmung (Art. 137 Abs. 2 Satz 3 ZGB) die Höhe des vorsorglichen Unterhalts grundsätzlich am ehelichen (Art. 163 ZGB) und nicht am nachehelichen (Art. 125 ZGB) Unterhalt orientiere. Für die Zusprechung von vorsorglichem Unterhalt über die rechtskräftige Scheidung hinaus bedürfe es zusätzlich einer gewissen Prognose im Unterhaltspunkt im Hauptverfahren; dem Massnahmegericht müsse die Möglichkeit zugestanden werden, vorsorgliche Unterhaltsbei- träge zu verweigern, wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit auch im Scheidungsverfahren kein nachehelicher Unterhalt nach Art. 125 ZGB zu erwarten sei (Erw. 3.3.2). Im vorliegenden Fall geht es dem- gegenüber um die Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen bis zur Rechtskraft der Scheidung. Diese Ansprüche wurden auch im Ober- gerichtsurteil vom 12. März 2007 unabhängig von einer Prognose hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts im Hauptverfahren beur- teilt. Der Kläger kann daher aus diesem Urteil nichts für seinen Standpunkt herleiten. Gleich verhält es sich mit der vom Kläger zi- 2009 Zivilrecht 27 tierten Lehrmeinung. Gloor (Basler Kommentar, Basel/Genf/Mün- chen 2006, 3. Aufl., N 10 zu Art. 137 ZGB) differenziert zwar nicht zwischen vorsorglichen Massnahmen vor und nach Rechtskraft der Scheidung, verweist für seine Auffassung, die Zusprechung vor- sorglicher Unterhaltsbeiträge könne verweigert werden, wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit auch im Endurteil kein Unterhaltsbeitrag nach Art. 125 ZGB zu erwarten ist, aber auf ZR 100 Nr. 4 und Sut- ter/Freiburghaus (Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 41 und 45 f.). Beide Zitatstellen befassen sich ebenfalls mit der Zusprechung vorsorglicher Unterhaltsbeiträge nach rechtskräfti- ger Scheidung. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass das Schei- dungsgericht eine lebensprägende Ehe und einen auf zwei Jahre be- fristeten Unterhaltsanspruch der Beklagten bejaht (vgl. Schei- dungsurteil, Erw. 5.6.2), zur Zeit aber mangels Leistungsfähigkeit des Klägers von der Zusprechung eines Unterhaltsbeitrages abgese- hen (Scheidungsurteil, Erw. 5.5.5) und einen Vorbehalt gemäss Art. 129 Abs. 3 ZGB ins Urteil aufgenommen hat. Bei der Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen für die Dauer des Scheidungsverfahrens vor rechtskräftiger Scheidung können insbe- sondere bei der Frage der Wiederaufnahme oder Ausdehnung der Er- werbstätigkeit die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Krite- rien (Art. 125 ZGB) mit einbezogen werden (BGE 128 III 65 ff.). Diese Mitberücksichtigung der Kriterien für den Scheidungsunterhalt bedeutet nun jedoch nicht, dass der eheliche Unterhalt bereits nach den Regeln über den nachehelichen Unterhalt bemessen wird. Art. 125 ZGB kommt nicht direkt zur Anwendung; Grundlage des Unterhaltsanspruchs eines Ehegatten während der ganzen Dauer der Ehe bleibt ausschliesslich Art. 163 bis 165 ZGB und bemisst sich dieser nach der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes nach wie vor nach diesen Bestimmungen. Während der Ehe haben beide Ehe- gatten Anspruch auf grundsätzlich gleiche Teilhabe an der vereinbar- ten Lebenshaltung (BGE 119 II 314 Erw. 4b/aa) und auch während des Scheidungsverfahrens nicht nur auf Ausgleich ehebedingter Nachteile. Dem mit der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes ver- folgten Zweck der Aufhebung der Lebensgemeinschaft wird aber 2009 Obergericht 28 insofern Rechnung getragen, als der wirtschaftlichen Selbständigkeit (Eigenversorgungskapazität) grösseres Gewicht zugemessen wird.
1,418
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AG_HG_001
AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2009-1_2009-09-05
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de
2005 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 35 5 1. Art. 50 Abs. 1 LugÜ; Art. 80/81 Abs. 1 und 3 SchKG. Eine in Deutschland aufgenommene und zwangsvollstreckbare öffentliche Urkunde ist gleich einem vollstreckbaren gerichtlichen Entscheid in der Schweiz als definitiver Rechtsöffnungstitel für die danach ausgewiesene Forderung im Betreibungsverfahren durch definitive Rechtsöffnung voll- streckbar zu erklären und zur Zwangsvollstreckung zuzulassen (E. 1a und 4a und b). 2. Art. 80/81 bzw. 82/83 SchKG. Ob definitive oder provisorische Rechtsöffnung zu erteilen sei, ist als Rechtsfrage unabhängig vom Rechtsöffnungsantrag des Gläubigers von Amtes wegen zu entscheiden (E. 4b) 3. Der Gläubiger, der mangels Einreichung der für die Rechtsöffnung er- forderlichen Unterlagen mit seinem Rechtsöffnungsbegehren abgewiesen worden ist, ist berechtigt, dieses unter Nachreichung der erforderlichen Unterlagen binnen der Gültigkeitsdauer des Zahlungsbefehls (Art. 88 SchKG) beim erstinstanzlichen Rechtsöffnungsrichter zu erneuern (E. 4c und d; Bestätigung der Rechtsprechung). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 18. Mai 2005 in Sachen W. Bank AG gegen H. W. Sachverhalt 1. Mit auf dem Notariat 5 Lörrach in Deutschland durch Notar X. in vollstreckbarer Ausfertigung errichteter öffentlicher Urkunde vom 3. April 2001 (Urkundenrolle 866/01) wurde in Anwesenheit der Grundstücksverkäufer und des Grundstückkäufers H. W. für ein die- sem gewährtes Darlehen der Bank W. AG eine ,,Grundpfandbestel- lung" zu Lasten des verkauften, im Grundbuch von H. (Deutschland) eingetragenen Grundstücks Y. als Pfandobjekt mit einer für die ,, W. Bank AG " im Grundbuch einzutragenden " Briefgrundschuld über DM 157'000.-- , verzinslich von heute an mit 15 vom Hundert 2005 Obergericht 36 jährlich und jederzeit fällig" mit "jährlich nachträglich" zu entrich- tenden Zinsen vorgenommen mit den Bestimmungen: "Wegen aller Ansprüche aus der Grundschuld unterwerfe/n ich/wir den/die jeweiligen Eigentümer/Erbbauberechtigten der sofortigen Zwangs- vollstreckung aus dieser Urkunde nach § 800 ZPO. ... Der/Die Erschienene/n zu Ziffer 2 ( H. W.) übernimmt/übernehmen hiermit für die Entrichtung des Grundschuldbetrags und der Zinsen die per- sönliche Haftung und unterwirft/unterwerfen sich wegen dieser persönli- chen Zahlungsverpflichtung als Gesamtschuldner der sofortigen Zwangs- vollstreckung in das gesamte Vermögen. Die Gläubigerin ist berechtigt, den Zahlungsanspruch aufgrund der persönlichen Haftung geltend zu machen, bevor sie die Zwangsvollstreckung in das Pfandobjekt betreibt. ..." 2. Die in Deutschland niedergelassene W. Bank AG betrieb H. W. an dessen schweizerischem Wohnsitz mit Zahlungsbefehl des Betreibungsamts V. vom 10. Mai 2004 gestützt auf diese in Deutsch- land zwangsvollstreckbar ausgefertigte und zwangsvollstreckbare öf- fentliche Urkunde für eine Forderung von Fr. 20'000.-- unter Angabe des Forderungsgrundes: ,,Darlehensforderung Titel Nr. 866/01 vom 03.04.2001". Sie ersuchte nach dem Rechtsvorschlag des Beklagten mit Eingabe vom 23. August 2004 beim Gerichtspräsidium B. unter Vorlegung der zwangsvollstreckbaren Ausfertigung der öffentlichen Urkunde (866/01 vom 3. April 2001) und des Zahlungsbefehls um ,,(provisorische) Rechtsöffnung". 3. Das Gerichtspräsidium B. setzte mit Verfügung vom 13. Sep- tember 2004 dem Beklagten eine siebentägige Frist für eine allfällige Vernehmlassung zum Rechtsöffnungsbegehren an. Es entschied nach deren Eingang mit dem Antrag auf Zurück-, ev. Abweisung des Rechtsöffnungsbegehrens in Erwägung, dass die Klägerin ihre For- derung von Fr. 20'000.-- gemäss Art. 5 Ziff. 1 LugÜ bei dem für ,,Klagen aus Verträgen" zuständigen ,,Richter am Erfüllungsort die- ser Bringschuld in Deutschland" geltend zu machen habe: ,,Auf die Klage wird nicht eingetreten." 4. Auf Beschwerde der Klägerin hin hob das Obergericht, 4. Zi- vilkammer, den angefochtenen Entscheid auf und wies das Rechts- 2005 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 37 öffnungsbegehren mangels Spezifizierung der auf die zwangsvoll- streckbare öffentliche Urkunde abgestützten Forderung ab mit dem Hinweis, dass es während der einjährigen Gültigkeitsdauer des Zah- lungsbefehls in erster Instanz unter Nachreichung der für die Rechts- öffnung erforderlichen Unterlagen erneuert werden könne. Aus den Erwägungen 1. Die Klägerin hat den Beklagten mit Zustellung des Zahlungsbefehls Nr. 22670 des Betreibungsamts V. vom 10. Mai 2004 für eine Forderung von Fr. 20'000.-- gestützt auf den als Forde- rungsurkunde genannten "Titel Nr. 866/01 vom 03.04.2001" am 13. Mai 2004 betrieben (Art. 38 Abs. 2 i.V.m. Art. 69 SchKG). Sie hat in dieser Betreibung nach deren Einstellung durch Rechtsvor- schlag des Beklagten (Art. 74/78 SchKG) mit Eingabe vom 23. Au- gust 2004 bei der Vorinstanz als zuständigem Rechtsöffnungsrichter des Betreibungsorts (Art. 84 Abs. 1 SchKG i.V.m. § 13 Abs. 1 Bst. b AG SchKG) das summarische Rechtsöffnungsverfahren (Art. 25 Ziff. 2 Bst. a i.V.m. Art. 84 Abs. 2 SchKG) eingeleitet und gestützt auf diese von ihr vorgelegte Forderungsurkunde, die in vollstreckba- rer Ausfertigung auf dem Notariat 5 Lörrach durch Notar X. erstellte öffentliche Urkunde vom 3. April 2001 über die Grundbuchbestel- lung mit Briefgrundschuld über DM 157'000.--, verzinslich mit 15 % jährlich nachträglich, und deren Eintragung im Grundbuch von H., lastend auf dem als Pfandobjekt eingetragenen Grundstück Y. in H. (Deutschland) für die Klägerin als Gläubigerin zu Lasten des Beklag- ten als Schuldner, für die in Betreibung gesetzte Forderung von Fr. 20'000.-- provisorische Rechtsöffnung verlangt. a) Gemäss dem für die Schweiz am 1. Januar 1992 und für Deutschland am 1. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtli- cher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. Septem- ber 1989 (Lugano-Übereinkommen [LugÜ]; SR.0.275.11) ist die von der Klägerin vorgelegte, in Deutschland aufgenommene, nach deut- 2005 Obergericht 38 schem Recht vollstreckbare öffentliche Urkunde im Verfahren nach Art. 31 ff. LugÜ vollstreckbar zu erklären (Art. 50 LugÜ), d.h. einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil gleichgestellt und wie ein sol- ches nach Massgabe der Art. 31 ff. LugÜ vollstreckbar zu erklären und zu vollstrecken, wobei sie wie ein solches keinesfalls in der Sa- che selbst nachgeprüft werden darf (Art. 34 Abs. 3 LugÜ). Die Voll- streckung für eine danach ausgewiesene Forderung ist gemäss Art. 33 Abs. 1 LugÜ in der Schweiz nach schweizerischem Voll- streckungsrecht des SchKG auf dem Wege der Schuldbetreibung (Art. 38 Abs. 1 SchKG) und des - nach erhobenem Rechtsvorschlag des Schuldners (Art. 74/78 SchKG) einzuleitenden - summarischen Rechtsöffnungsverfahrens (Art. 25 Ziff. 2 Bst. a i.V.m. Art. 84 Abs. 2 SchKG) durchzuführen, in welchem der Rechtsöffnungsrichter des Betreibungsorts (Art. 84 Abs. 1 SchKG i.V.m. § 13 Abs. 1 Bst. b AG SchKG) mit der Rechtsöffnung über die Vollstreckbarerklärung des zur Vollstreckung vorgelegten Forderungstitels und dessen Zulassung zur Zwangsvollstreckung durch Aufhebung des Rechtsvorschlags zur Bewirkung der Fortsetzung der Betreibung und Durchführung der Zwangsvollstreckung entscheidet (Art. 80/81 SchKG). Dabei ist eine nach deutschem Recht zwangsvollstreckbar erlassene, der Zwangs- vollstreckung unterliegende öffentliche Urkunde (Art. 50 LugÜ), weil eine solche gleich einem Gerichtsurteil zu vollstrecken (Art. 50 i.V.m. Art. 31 ff. LugÜ) und ihre Überprüfung in der Sache wie bei einem solchen ausgeschlossen ist (Art. 34 Abs. 3 LugÜ), gleich einem rechtskräftigen Gerichtsurteil für die danach ausgewiesene Forderung durch definitive Rechtsöffnung gemäss Art. 81 SchKG zu vollstrecken, wenn deren Voraussetzungen nach dieser Bestimmung (Abs. 1 und 3) erfüllt sind. b) ... 2. ... 3. ... 4. Die Klägerin legt als Vollstreckungstitel die auf dem Notariat 5 Lörrach durch Notar X. in Anwesenheit des Beklagten in vollstreckbarer Ausfertigung errichtete öffentliche Urkunde vom 3. April 2001 über eine Grundschuldbestellung mit Briefgrundschuld über DM 157'000.--, "verzinslich von heute an mit 15 vom Hundert 2005 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 39 jährlich und jederzeit fällig" mit "jährlich nachträglich" zu entrichtenden Zinsen, lastend auf dem als Pfandobjekt im Grundbuch Hausen eingetragenen Grundstück Y. in H. (Deutschland), vor, wo- mit der Beklagte sich "wegen aller Ansprüche aus der Grundschuld ... der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde nach § 800 ZPO" unterworfen sowie "für die Entrichtung des Grund- schuldbetrages und der Zinsen die persönliche Haftung" übernom- men und "sich wegen dieser persönlichen Zahlungsverpflichtung als Gesamtschuldner der sofortigen Zwangsvollstreckung in das gesamte Vermögen" unterworfen hat. a) Öffentliche Urkunden, die in einem Vertragsstaat aufgenom- men und vollstreckbar sind, sind gemäss Art. 50 Abs. 1 LugÜ gerichtlichen Entscheidungen (Art. 25 LugÜ) gleichgestellt und wie solche in einem anderen Vertragsstaat im Verfahren nach Art. 31 ff. LugÜ für vollstreckbar zu erklären und zu vollstrecken, in der Schweiz also für eine sich daraus ergebende Geldforderung gleich ei- nem vollstreckbaren Gerichtsentscheid durch definitive Rechtsöff- nung zur Zwangsvollstreckung zuzulassen (Art. 33 Abs. 1 LugÜ i.V.m. Art. 80/81 SchKG), wobei sie wie ein solcher keinesfalls in der Sache nachgeprüft werden dürfen (Art. 34 Abs. 3 LugÜ). Die vorliegende in Deutschland nach deutschem Recht in vollstreckbarer Ausfertigung errichtete öffentliche Urkunde vom 3. April 2001 ist daher für die danach ausgewiesene Grundschuld- und Zinsforderung durch definitive Rechtsöffnung zur Zwangsvollstreckung zuzulassen, wenn nicht der Beklagte den Urkundenbeweis der Tilgung oder Stun- dung der Forderung leistet oder deren Verjährung anruft und diese - gemäss dem dafür massgebenden deutschen Recht - eingetreten ist (Art. 81 Abs. 1 SchKG), wobei ihm zur Abwendung der definitiven Rechtsöffnung noch die staatsrechtliche Einrede des Verstosses der Zwangsvollstreckung aus der öffentlichen Urkunde gegen die schweizerische öffentliche Ordnung offen steht (Art. 50 Abs. 1 Satz 2 LugÜ i.V.m. Art. 81 Abs. 3 SchKG), diese Einrede hier aber wohl offenkundig grundlos wäre (s. zur Vollstreckung einer in Deutsch- land aufgenommenen und vollstreckbaren öffentlichen Urkunde in der Schweiz: OGE SU.1996.00146 vom 15. Oktober 1996 i.S. R. B. 2005 Obergericht 40 u. D. B. gegen S. S., vgl. OGE SU.2004.00374 vom 23. August 2004 i.S. Raiffeisenbank W. gegen U.-P. B.). b) Ob definitive oder provisorische Rechtsöffnung zu erteilen sei (Art. 80/81 bzw. 82/83 SchKG), ist als Rechtsfrage unabhängig vom Rechtsöffnungsantrag der Klagepartei von Amtes wegen zu ent- scheiden. Die provisorische unterscheidet sich von der definitiven Rechtsöffnung durch die Möglichkeit der Aberkennungsklage (Art. 83 Abs. 2 und 3 SchKG), die für eine auf einem definitiven Vollstreckungstitel (Gerichtsurteile, solchen gleichgestellte gerichtli- che Vergleiche, Entscheidungen und im Ausland aufgenommene vollstreckbare öffentliche Urkunden; Art. 80 SchKG; Art. 25 und 50 LugÜ) wegen der ihr entgegenstehenden Rechtskraft bzw. Unzuläs- sigkeit der Neubeurteilung der Forderung (Art. 34 Abs. 3 LugÜ) aus- geschlossen ist. Die gestützt auf einen definitiven Vollstreckungstitel erteilte Rechtsöffnung ist daher, auch wenn bloss provisorische Rechtsöffnung verlangt und antragsgemäss ausgesprochen werden will, von Gesetzes wegen notwendig definitiv und damit auch definitiv zu erteilen. c) Für die auf der vorgelegten, zwangsvollstreckbaren deut- schen öffentlichen Urkunde vom 3. April 2001 beruhende Brief- grundschuldforderung der Klägerin gegen den Beklagten von DM 157'000.-- nebst 15 % Zins ab 3. April 2001, jährlich nachträg- lich zahlbar, ist demnach nur definitive Rechtsöffnung möglich. Für diese muss die zu vollstreckende Forderung einwandfrei feststehen. Dafür ist hier indessen, da die durch diesen Vollstreckungstitel aus- gewiesene Forderung in einer Grundschuld- und in einer Zinsforde- rung besteht und diese in jährlichen Zinsperioden zu tilgen ist, eine genaue Bezifferung der Forderung mit der Angabe erforderlich, ob es sich dabei um die Grundschuldforderung bzw. Restanz derselben, gegebenenfalls in welchem Betrag, oder um die Zinsforderung, gege- benenfalls für welche Zinsperiode, handelt, was, soweit nötig, ur- kundlich zu belegen ist. Die Klägerin hat die Betreibung gestützt auf diese vollstreckba- re öffentliche Urkunde unter Bezeichnung dieses Vollstreckungstitels für eine Forderung von Fr. 20'000.-- angehoben, diese jedoch in ih- rem Rechtsöffnungsgesuch in der Vorinstanz nicht näher beziffert 2005 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 41 und nicht angegeben, für welche der durch den vorgelegten Voll- streckungstitel ausgewiesenen Forderungen in welchem Betrag bzw. für welche Zinsperiode getilgt und vollstreckt werden soll. Da damit die zu vollstreckende Forderung nicht einwandfrei feststeht, kann sie auch nicht durch definitive Rechtsöffnung zur Vollstreckung zugelas- sen werden. Daher ist die definitive Rechtsöffnung zu verweigern und das Rechtsöffnungsbegehren der Klägerin - in Aufhebung der vorinstanzlichen Nichteintretensentscheidung (Dispositiv Ziffer 1) - abzuweisen. d) Die Klägerin kann ihr Rechtsöffnungsbegehren, mit dem sie wegen unterbliebener Spezifierung der in Betreibung gesetzten Forderung durch die dafür erforderlichen Unterlagen abgewiesen worden ist, binnen der einjährigen Gültigkeitsdauer des Zahlungsbe- fehls (Art. 88 SchKG) beim erstinstanzlichen Rechtsöffnungsrichter unter Nachreichung dieser Unterlagen wiederholen (AGVE 1993 Nr. 16 S. 71). Dieser wird im Falle einer solchen Erneuerung des Rechtsöffnungsbegehrens darüber im Sinne der vorstehenden Erwä- gungen zu entscheiden haben.
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AG_HG_001
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2005-5_2005-05-04
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-5.html
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nan
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HOR.2019.39 Urteil vom 19. August 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Ersatzrichter Meichssner Handelsrichter Friedli Handelsrichter Meyer Handelsrichter Nauer Gerichtsschreiber Schneuwly Rechtspraktikant Stich Klägerin B_AG, _ vertreten durch lic. iur. Markus Läuffer, Rechtsanwalt, Lang- haus am Bahnhof, 5401 Baden Beklagte B.B AG, _ vertreten durch lic. iur. Urs Lienhard, Rechtsanwalt, Kasinostrasse 25, 5000 Aarau Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in O. (AG). Sie bezweckt hauptsächlich _ (Klagebeilage [KB] 2). 2. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Z. Sie bezweckt im We- sentlichen _ (KB 3). 3. 3.1. Die Parteien vereinbarten am 26. Februar 2019 einen Kaufvertrag über die Übertragung des Geschäftsbereichs S. von der Klägerin auf die Beklagte (Klage Rz. 6; Antwort Ziff. II/1.1; KB 5). Im Rahmen dieses Kaufvertrags verpflichtete sich die Beklagte zur Übernahme bestimmter Mitarbeiter der Klägerin sowie verschiedener, mit dem Geschäftsbereich zusammenhän- genden Aktiven (Werkzeuge in den Motorfahrzeugen, Warenlager, Elektro- geräte) (Klage Rz. 7 ff., Antwort Ziff. II/1.2 ff., KB 5). Ebenso sollten die be- stehenden Aufträge der Klägerin per 1. März 2019 auf die Beklagte über- tragen werden. Dazu zählte unter anderem auch das Projekt "S.", ein Werk- vertrag mit der Einwohnergemeinde S. im Zusammenhang mit der Sanie- rung des dortigen Schwimmbads (Klage Rz. 25, Antwort Ziff. II/4). Betreffend die Montagefahrzeuge wurde der Beklagten ein Kaufrecht ein- geräumt (KB 5 Ziff. 4). In Ausübung dieses Kaufrechts schlossen die Par- teien über die drei Montagefahrzeuge (Chassis-Nrn. 123, 456 und 789 000 6432 4889) am 27. Februar 2019 einen separaten Vertrag (Klage Rz. 8 und 10; Antwort Ziff. II/1.2; KB 19). 3.2. Die Parteien vereinbarten folgende Kaufpreise: Fr. 25'000.00 für den Geschäftsbereich S. (exkl. MwSt.; KB 5 Ziff. 1), Fr. 15'000.00 für die Werkzeuge in den Montagefahrzeugen (exkl. MwSt.; KB 5 Ziff. 3), Fr. 31'500.00 für die drei Montagefahrzeuge (exkl. MwSt.; umstrit- ten, ob Mehrwertsteuer zusätzlich geschuldet ist; KB 5 Ziff. 4 und KB 19), 5 % der Auftragssumme für die per 1. März 2019 zu übertragenden Aufträge (KB 5 Ziff. 5a), das Warenlager zu Einkaufspreisen (KB 5 Ziff. 7) und - 3 - durch die Klägerin zu offerierende "moderate Pauschalpreise" für die von der Beklagten aus einer Liste vom 21. Dezember 2018 aus- gewählten Elektrogeräte (KB 5 Ziff. 8). 4. 4.1. Mit Datum vom 28. Februar 2019 überwies die Beklagte der Klägerin den Betrag von Fr. 52'773.00 (Klage Rz. 34). 4.2. Am 1. März 2019 überwies die Einwohnergemeinde S. der Klägerin für das Projekt S. den Betrag von Fr. 116'316.00 (Klage Rz. 40). 4.3. Eine zweite Zahlung der Beklagten erfolgte am 21. März 2019 in Höhe von Fr. 31'500.00 für die Übernahme der drei Fahrzeuge. Diese Zahlung ent- hielt keinen Mehrwertsteueranteil (Klage Rz. 35, Antwort Ziff. 1.2). 5. Am 2. Mai 2019 wurde der Beklagten die Schlussrechnung der Klägerin über den Betrag von Fr. 52'000.00 zugestellt (KB 37) und gleichzeitig Frist zur Zahlung bis zum 8. Mai 2019 angesetzt. Die Beklagte bezahlte diese Rechnung nicht (Klage Rz. 42). 6. Die Beklagte liess die Klägerin mit Zahlungsbefehl vom 13. Juni 2019 über den Betrag von Fr. 121'162.40 betreiben. Die Klägerin erhob dagegen Rechtsvorschlag. Das anschliessend von der Beklagten beim Bezirksge- richt Z. eingeleitete Rechtsöffnungsverfahren wurde mit Entscheid vom 20. September 2019 mangels Rechtsöffnungstitel abgewiesen (Klage Rz. 45, KB 38). 7. Mit Klage vom 10. Oktober 2019 (Postaufgabe: 10. Oktober 2019) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 52'000.00, zu- züglich Zins zu 5 % p. a. seit dem 9. Mai 2019 zu bezahlen. 2. Der Rechtsvorschlag der Beklagten in der Betreibung Nr. 355800 des Betreibungsamts Z. sei aufzuheben, und es sei der Klägerin für den Betrag von CHF 52'000.00 nebst 5 % Zins seit dem 9. Mai 2019 sowie CHF 103.30 Zahlungsbefehlskosten die definitive Rechtsöffnung zu erteilen. - 4 - 3. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zuzüglich der ge- setzlich geschuldigten Mehrwertsteuer zulasten der Beklagten. " Zur Begründung führte die Klägerin im Wesentlichen aus, es handle sich um Forderungsansprüche aus dem zwischen den Parteien am 26. Februar 2019 geschlossenen Kaufvertrag betreffend die Übertragung des Ge- schäftsbereichs S. von der Klägerin auf die Beklagte. Für die gestützt auf diesen Vertrag erbrachten Leistungen stünden der Klägerin noch insge- samt Fr. 173'167.10 zu. Dieser Betrag werde mit zwei anerkannten Forde- rungen der Beklagten gegenüber der Klägerin in Höhe von Fr. 116'316.00 und Fr. 4'846.40 verrechnet, weshalb eine Forderung zugunsten der Klä- gerin in der eingeklagten Höhe von rund Fr. 52'000.00 resultiere (Klage Rz. 33 ff.). 8. Mit Klageantwort vom 9. Dezember 2019 stellte die Beklagte die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die Klage vom 10.10.2019 sei vollumfänglich abzuweisen. 2. Das klägerische Rechtsbegehren Ziff. 2 vom 10.10.2019 sei ab- zuweisen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Kläge- rin." Zur Begründung führte die Beklagte hauptsächlich aus, der Klägerin stün- den aus dem Kaufvertrag vom 26. Februar 2019 keine Forderungen mehr zu. Die Klägerin werde vielmehr auf dem anerkannten Forderungsanspruch zugunsten der Beklagten in Höhe von Fr. 121'162.40 behaftet, auf eine Wi- derklage werde jedoch ausdrücklich verzichtet (Antwort Ziff. II/5). 9. 9.1. Der Vizepräsident lud mit Verfügung vom 20. Dezember 2019 auf den 23. Januar 2020 zu einer Instruktionsverhandlung mit informeller Parteibe- fragung und Vermittlungsgespräch vor und erliess die Beweisverfügung. 9.2. Anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 23. Januar 2020 konnten die Parteien das Verfahren nicht durch Vergleich erledigen. 10. Mit Replik vom 20. März 2020 und Duplik vom 3. Juni 2020 hielten die Par- teien im Wesentlichen an ihren bisherigen Ausführungen fest. - 5 - 11. 11.1. Mit Verfügung vom 25. Juli 2020 wurde die Streitsache ans Handelsgericht überwiesen und die Zusammensetzung des Gerichts bekannt gegeben. Zu- dem forderte der Vizepräsident die Parteien auf, dem Handelsgericht schriftlich mitzuteilen, ob sie auf eine Hauptverhandlung gänzlich verzich- ten (Art. 233 ZPO) bzw. alternativ auf die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung verzichten und dem Gericht beantragen, ihre Schluss- vorträge schriftlich einzureichen (Art. 232 Abs. 2 ZPO). Stillschweigen in- nert Frist galt als Antrag auf Durchführung einer Hauptverhandlung. 11.2. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte liessen sich innert Frist nicht vernehmen. 11.3. Mit Verfügung vom 13. Juli 2020 lud der Vizepräsident zur Hauptverhand- lung vor und liess die eingereichten Urkunden als Beweismittel zu. 11.4. Mit Eingabe vom 15. Juli 2020 beantragte die Klägerin erneut, die von ihr angerufenen Zeugen an der Hauptverhandlung zu befragen. 11.5. Mit Verfügung vom 20. Juli 2020 änderte der Vizepräsident die Beweisver- fügung vom 13. Juli 2020 insoweit, als neu auch der Zeuge L.L. angehört werde. 12. 12.1. Am 19. August 2020 fand die Hauptverhandlung statt. Zu Beginn der Hauptverhandlung passte der Vizepräsident die Beweisverfügung insoweit an, als neu nebst der Zeugenbefragung von L.L. auch die Parteien zu den entsprechenden Tatsachen befragt würden (Protokoll der Hauptverhand- lung vom 19. August 2020 S. 2). Zwar erschien der Zeuge L.L. nicht per- sönlich zur Hauptverhandlung. Er meldete sich jedoch telefonisch. Auf An- frage hin teilten die Parteien ihr Einverständnis mit, den Zeugen L.L. tele- fonisch zu befragen. In der Folge wurden der Zeuge L.L. telefonisch und die Parteien persönlich befragt. Die Parteien hielten anschliessend ihre Schlussvorträge und konnten sich dabei je zwei Mal äussern. - 6 - 12.2. Daraufhin zog sich das Handelsgericht zur Beratung zurück und fällte das Urteil. Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen 1.1. Örtliche Zuständigkeit Die Beklagte lässt sich auf den vorliegenden Prozess i.S.v. Art. 18 ZPO ein, weshalb die örtliche Zuständigkeit des Handelsgerichts gegeben ist. 1.2. Sachliche Zuständigkeit Die Streitigkeit beschlägt die geschäftliche Tätigkeit beider Parteien. Diese sind zudem im Handelsregister eingetragen (KB 2 f.) und der Streitwert be- trägt Fr. 52'000.00. Das Handelsgericht ist demgemäss nach Art. 6 Abs. 2 ZPO sachlich zuständig. 2. Verhandlungsmaxime Vorliegend gilt die Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO). Auf die sich daraus ergebenden Obliegenheiten der Parteien ist vorab einzugehen: 2.1. Behauptungslast Gemäss Art. 55 Abs. 1 ZPO haben die Parteien dem Gericht die Tatsa- chen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzugeben. Den Prozessparteien obliegt die Behauptungslast.1 Die Auftei- lung der Behauptungslast zwischen den Parteien folgt der Beweislastver- teilung nach Art. 8 ZGB.2 Somit trägt die Behauptungslast für rechtserzeu- gende Tatsachen, wer ein Recht oder Rechtsverhältnis behauptet; für rechtsaufhebende Tatsachen, wer die Aufhebung oder den Untergang ei- nes Rechts behauptet (z.B. Verwirkung, Erlass etc.) und für rechtshin- dernde Tatsachen, wer sich darauf beruft (z.B. Verjährung, Stundung etc.).3 Dementsprechend hat das Bestehen einer vertraglichen Verpflichtung zu behaupten, wer einen vertraglichen Anspruch erhebt.4 Eine Tatsachenbehauptung hat nicht alle Einzelheiten zu enthalten; es ge- nügt, wenn die Tatsachen, die unter die das Begehren stützenden rechtli- chen Normen zu subsumieren sind, in einer den Gewohnheiten des Lebens 1 Vgl. BGer 5A_83/2019 vom 23. Juli 2019 E. 4; 4A_264/2015 vom 10. August 2015 E. 4.2.2; SCHNEUWLY, Lange Rechtsschriften – Wieso? Und was tun?, Anwaltsrevue 2019, S. 444. 2 BGE 132 III 186 E. 4; BGer 5A_808/2018 vom 15. Juli 2019 E. 4.2. 3 SUTTER-SOMM/SCHRANK, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 55 N. 18. 4 BGE 128 III 271 E. 2.a.aa; weitergehend ZK ZGB-JUNGO, 3. Aufl. 2018, N. 387. - 7 - entsprechenden Weise in ihren wesentlichen Zügen oder Umrissen be- hauptet werden.5 Was offensichtlich in anderen, ausdrücklich vorgebrach- ten Parteibehauptungen enthalten ist, muss nicht explizit behauptet werden (sog. implizite bzw. mitbehauptete Tatsachen).6 Blosse Mutmassungen stellen jedoch keine rechtsgenüglichen Tatsachenbehauptungen dar.7 Ist ein Tatsachenvortrag im erwähnten Sinne vollständig, so wird er als schlüs- sig bezeichnet, da er bei Unterstellung, er sei wahr, den Schluss auf die anbegehrte Rechtsfolge zulässt.8 Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich in den Rechtsschriften aufzu- stellen (Art. 221 Abs. 1 lit. d und Art. 222 Abs. 2 Satz 1 ZPO).9 Der bloss pauschale Verweis auf Beilagen genügt in aller Regel nicht.10 Durch einen Verweis auf Urkunden können Sachverhaltselemente jedoch ausnahms- weise als behauptet gelten, wenn es überspitzt formalistisch wäre, eine Übernahme des Urkundeninhalts in die Rechtsschrift zu verlangen. Die Zu- lässigkeit des Verweises bedingt, dass die Partei die Tatsachen in ihren wesentlichen Zügen in der Rechtsschrift behauptet.11 Aus dem in der Rechtsschrift aufzuführenden Verweis muss zudem für das Gericht und die Gegenpartei klar ersichtlich sein, dass Informationen aus einem Aktenstück zum Tatsachenfundament erhoben werden sollen. Weiter hat die Rechts- schrift ein spezifisches Aktenstück zu nennen und es muss ersichtlich sein, welche Teile des Aktenstücks als Parteibehauptung gelten sollen.12 Weil ein Verweis auf Akten nicht dazu führen darf, dass die Gegenpartei und das Gericht die relevanten Tatsachen aus der Beilage selbst zusammensuchen müssen, muss auf die fragliche Information bzw. Tatsache problemlos zu- gegriffen werden können und es darf kein Interpretationsspielraum beste- hen.13 Ein problemloser Zugriff ist gewährleistet, wenn eine Beilage selbst- erklärend ist und genau die verlangten (bzw. in der Rechtsschrift bezeich- neten) Informationen enthält. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kann ein Verweis nur genügen, wenn die Beilage in der Rechtsschrift derart konkretisiert und erläutert wird, dass die Informationen ohne weiteres zu- gänglich werden und nicht interpretiert und zusammengesucht werden 5 BGE 136 III 322 E. 3.4.2; BGer 4A_280/2019 vom 14. Oktober 2019 E. 4.1. 6 BGE 144 III 519 E. 5.3; BGer 4A_243/2018 vom 17. Dezember 2018 E. 4.2.1 m.w.N. 7 BGer 4A_667/2014 vom 12. März 2015 E. 3.2.2. 8 BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.1 m.w.N.; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.1; SCHNEUWLY (Fn. 1), S. 445. 9 BGE 144 III 519 E. 5.2.1; 144 II 67 E. 2.1; BRUGGER, Der Verweis auf Beilagen in Rechtsschriften, SJZ 2019, S. 534. 10 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.1 m.w.N. 11 Vgl. BGer 4A_398/2018 vom 25. Februar 2019 E. 10.4.1; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; BRUGGER (Fn. 9), S. 535 f. 12 BGE 144 III 519 E. 5.2.1.2; BGer 4A_535/2018 vom 3. Juni 2019 E. 4.2.1; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2. Eingehend BRUGGER (Fn. 9), S. 536 ff. 13 BGer 4A_535/2018 vom 3. Juni 2019 E. 4.4.2; 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.2 f. - 8 - müssen.14 Die in der Praxis beliebten Pauschalverweise auf eingereichte Akten bzw. die allgemeine Erklärung, diese würden "integrierenden Be- standteil" der Rechtsschrift bilden, stellen deshalb keine hinreichenden Be- hauptungen dar bzw. können fehlende Behauptungen nicht ersetzen.15 2.2. Bestreitungslast Die Kehrseite der Behauptungslast ist die sog. Bestreitungslast: Bestreitet eine Partei eine Tatsachenbehauptung ihres Gegners nicht, gilt diese als unbestritten und die betreffende Tatsache kann dem Entscheid ohne wei- teres zugrunde gelegt werden, da über nicht bestrittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO).16 Art. 222 Abs. 2 ZPO verlangt von der beklagten Partei, darzulegen, welche Tatsa- chenbehauptungen der klagenden Partei im Einzelnen anerkannt oder be- stritten werden. Es ist deshalb empfehlenswert, die Tatsachenbehauptun- gen der Klägerin detailliert, d.h. Punkt für Punkt zu bestreiten.17 Bestreitun- gen sind dabei so konkret zu halten, dass sich bestimmen lässt, welche einzelnen Behauptungen damit bestritten werden; die Bestreitung muss ih- rem Zweck entsprechend so bestimmt sein, dass die Gegenpartei weiss, welche einzelne Tatsachenbehauptung sie beweisen muss. Pauschale Be- streitungen reichen indessen selbst dann nicht aus, wenn sie explizit erfol- gen. Erforderlich ist eine klare Äusserung, dass der Wahrheitsgehalt einer bestimmten gegnerischen Behauptung infrage gestellt wird.18 Auch ein im- plizites Bestreiten genügt unter diesen Voraussetzungen den Anforderun- gen der rechtsgenügenden Bestreitung.19 2.3. Substantiierungslast Bestreitet aber der Prozessgegner den schlüssigen Tatsachenvortrag der behauptungsbelasteten Partei in rechtsgenüglicher Weise, so greift eine über die Behauptungslast hinausgehende Substantiierungslast. Die Vor- bringen sind diesfalls nicht nur in den Grundzügen, sondern in Einzeltatsa- chen zergliedert so umfassend und klar darzulegen, dass darüber Beweis abgenommen oder dagegen der Gegenbeweis angetreten werden kann.20 14 BGer 4A_443/2017 vom 30. April 2018 E. 2.2.2; 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.3. Einge- hend BRUGGER (Fn. 9), S. 538 ff. 15 BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 55 N. 21 m.w.N.; BRUGGER (Fn. 9), S. 540 Fn. 50 m.w.N. 16 BK ZPO I-HURNI (Fn. 15), Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO. 17 Ähnlich DROESE, Bestreitungsbedürftige Beilagen – ein Hinweis zur bundesgerichtlichen Speise- karte, Note zu Urteil 4A_11/2018, SZZP 2019, S. 19. 18 BGE 141 III 433 E. 2.6; BGer 4A_9/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 2.3; SCHNEUWLY (Fn. 1), S. 445 f. 19 SCHMID/HOFER, Bestreitung von neuen Tatsachenbehauptungen in der schriftlichen Duplik, ZZZ 2016, S. 285 m.w.N. 20 BGE 144 III 519 E. 5.2.1.1; BGer 4A_280/2019 vom 14. Oktober 2019 E. 4.1. - 9 - Das Beweisverfahren darf nicht dazu dienen, ein ungenügendes Parteivor- bringen zu vervollständigen.21 Der nicht oder nicht substantiiert vorge- brachte Sachverhalt ist im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime dem nicht bewiesenen Sachverhalt gleichzusetzen.22 2.4. Bezeichnung der Beweismittel Die Parteien haben im Rahmen der Verhandlungsmaxime die einzelnen Beweismittel zu bezeichnen (vgl. Art. 221 Abs. 1 lit. e ZPO, wonach die Klage die Tatsachenbehauptungen sowie die Bezeichnung der einzelnen Beweismittel zu den behaupteten Tatsachen zu enthalten hat). Dazu gehört auch, dass aus dem Zusammenhang klar wird, inwiefern die angerufenen Beweismittel den angestrebten Beweis erbringen sollen. Es genügt nicht, in der Klage Behauptungen aufzustellen und pauschal auf die Klagebeila- gen zu verweisen.23 Ein Beweismittel ist nur dann formgerecht angeboten, wenn sich die Beweisofferte eindeutig der damit zu beweisenden Tatsa- chenbehauptung zuordnen lässt und umgekehrt.24 Deshalb sind die einzel- nen Beweisofferten unmittelbar im Anschluss an die entsprechenden Tat- sachenbehauptungen aufzuführen, welche durch sie bewiesen werden sol- len ("Prinzip der sog. Beweismittelverbindung").25 Es ist hingegen unzu- reichend, einen ganzen Sachverhaltskomplex zu behaupten und lediglich pauschal auf eine Vielzahl von Urkunden oder eine Anzahl Zeugen zu ver- weisen.26 Bei umfangreichen Urkunden ist zudem die für die Beweisführung erhebliche Stelle zu bezeichnen (Art. 180 Abs. 2 ZPO).27 3. Ausgangslage Die klägerischen Rechtsbegehren stützen sich einerseits auf den am 26. Februar 2019 abgeschlossenen Kaufvertrag (KB 5) und anderseits auf den Kaufvertrag betreffend die drei Montagefahrzeuge vom 27. Februar 2019 (KB 19). Die Klägerin argumentiert, die ihr aus diesen Verträgen zu- stehenden Ansprüche seien bisher nicht bzw. nur teilweise erfüllt worden. Die eingeklagten Positionen belaufen sich auf einen Gesamtbetrag von Fr. 173'167.10, der sich im Einzelnen wie folgt zusammensetzt: 21 DOLGE, Anforderungen an die Substanzierung, in: Dolge (Hrsg.), Substantiieren und Beweisen, 2013, S. 21; vgl. auch BGE 108 II 337 E. 3. 22 BGer 4A_210/2009 vom 7. April 2010 E. 3.2; KUKO ZPO-OBERHAMMER, 2. Aufl. 2013, Art. 55 N. 12. 23 BGer 4A_195/2014 und 4A_197/2014 vom 27. November 2014 E. 7.3.3 m.w.N. (nicht publ. in BGE 140 III 602). 24 BGer 4A_291/2018 vom 10. Januar 2019 E. 4.4.2; 4A_370/2016 vom 13. Dezember 2016 E. 3.3 m.w.N. 25 BK ZPO II-KILLIAS, 2012, Art. 221 N. 29; PAHUD, in: Brunner/Gasser/Schwander (Hrsg.), Schweizeri- sche Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2016, Art. 221 N. 16 ff.; BRUGGER (Fn. 9), S. 537. 26 BK ZPO II-KILLIAS (Fn. 25), Art. 221 N. 29. 27 BK ZPO II-RÜETSCHI, 2012, Art. 180 N. 17 ff.; WEIBEL, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 3), Art. 180 N. 10 ff., je m.w.N. - 10 - Position Betrag Mehrwertsteuer zum Kaufpreis der drei Montage- fahrzeuge (KB 5 Ziff. 4 und KB 19) Fr. 2'425.50 Entgelt für die Übernahme des Warenlagers (KB 5 Ziff. 7) Fr. 153'891.72 Entgelt für Übernahme der Elektrogeräte (KB 5 Ziff. 8) Fr. 9'253.58 Aufwand im Kontext des Projekts S. Fr. 7'596.30 Mit diesem Gesamtbetrag von Fr. 173'167.10 verrechnet die Klägerin ei- nerseits den der Beklagten aus dem Projekt S. noch geschuldeten Betrag von Fr. 116'316.00 sowie anderseits noch offene Positionen aus diversen Arbeiten von Fr. 4'846.40 (Total: Fr. 121'162.40; Klage Rz. 46, Antwort Ziff. II/6). Die eingeklagte Forderung beziffert die Klägerin nach dieser Sub- traktion auf Fr. 52'000.00 (Klage Rz. 40 f. und 46), womit sie auf die Diffe- renz von Fr. 4.70 verzichtet. 4. Vertragsauslegung Zum Abschluss eines Vertrags ist die übereinstimmende gegenseitige Wil- lensäusserung der Parteien erforderlich (Art. 1 Abs. 1 OR). Der Inhalt eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie durch subjektive Auslegung, d.h. nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen (Art. 18 Abs. 1 OR).28 Haben sich die Parteien tatsächlich richtig, d.h. nach dem erklärten wirkli- chen Willen, verstanden und stimmen die Willenserklärungen überein, so liegt ein natürlicher Konsens vor.29 Wenn eine tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, sich die Parteien aber übereinstimmend geäussert haben, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens in objektivierter Art und Weise die Erklä- rungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umstän- den nach Treu und Glauben verstanden werden durften und mussten.30 Vertragsauslegung ist in diesem Sinne die gerichtliche Feststellung des durch die Parteierklärungen geäusserten Vertragswillens.31 Neben dem pri- mären Auslegungsmittel des Wortlauts sind die ganze Entstehungsge- schichte des Vertrags wie Vorverhandlungen und Begleitumstände, Verhal- ten der Parteien bei Vertragsschluss, Interessenlage, Zweck und Systema- 28 BGE 131 III 467 E. 1.1. 29 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Band I, 10. Aufl. 2014, N. 310 ff. sowie N. 1200. 30 BGE 130 III 686 E. 4.3; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 1201. 31 ZK OR-JÄGGI/GAUCH/HARTMANN, 4. Aufl. 2014, Art. 18 N. 309 m.w.N. - 11 - tik des Vertrags, Verkehrsauffassung und -übung im Rahmen einer ganz- heitlichen Auslegung zu würdigen.32 Wenn die nach dem Vertrauensprinzip ermittelten Willenserklärungen übereinstimmen, liegt ein normativer Kon- sens vor und ein Vertrag ist zustande gekommen.33 Nachträgliches Parteiverhalten ist bei der Auslegung nach dem Vertrau- ensprinzip nicht von Bedeutung; es kann höchstens – im Rahmen der Be- weiswürdigung – auf einen tatsächlichen Willen der Parteien schliessen lassen.34 5. Mehrwertsteuer für die drei Montagefahrzeuge 5.1. Parteibehauptungen 5.1.1. Klägerin Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe ihre in Ziff. 4 des Kaufvertrags vereinbarte Option, die drei Montagefahrzeuge zu erwerben, ausgeübt. Die Einzelheiten hätten die Parteien im Vertrag vom 27. Februar 2019 (KB 19) geregelt, worin die Beklagte die drei Montagefahrzeuge zu einem Kaufpreis von insgesamt Fr. 31'500.00 (exkl. MwSt.) gekauft habe (Klage Rz. 8 ff.). Die Mehrwertsteuer sei zusätzlich geschuldet (Replik Rz. 8). Den Betrag von Fr. 31'500.00 habe die Beklagte der Klägerin am 21. März 2019 überwiesen, jedoch ohne die ebenfalls geschuldete Mehrwertsteuer. Im beidseitig unterzeichneten Kaufvertrag sei jedoch explizit festgehalten, dass sich der Kaufpreis für die drei Montagefahrzeuge in Höhe von insge- samt Fr. 31'500.00 (exkl. MwSt.) verstehe. Die Beklagte sei somit verpflich- tet, der Klägerin auch die Mehrwertsteuer von 7.7 % auf der Forderung von Fr. 31'500.00 zu erstatten, was dem Betrag von Fr. 2'425.50 entspräche. Diese Forderung sei bis heute unbezahlt geblieben (Klage Rz. 35). Dem Umstand, wonach die Mehrwertsteuer noch geschuldet sei, stehe nicht entgegen, dass davon in Ziff. 4 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) nichts stehe, da die Beklagte auch bei den anderen Positionen die Mehrwertsteuer bezahlt habe (Geschäftsbereich, Werkzeuge der Mon- tagefahrzeuge sowie Akontobetrag für die Auftragsübernahme), obwohl im Kaufvertrag – wie bei den Montagefahrzeugen – jeweils "exkl. MwSt." ge- standen habe (Replik Rz. 6). 5.1.2. Beklagte Die Beklagte führt aus, es sei sinnwidrig und widersprüchlich, den Kauf- preis per Vertragsunterzeichnung fällig zu stellen, wenn der Vertrag dies- bezüglich auf einen noch zu bestimmenden Eurotaxwert verweise. Das 32 BGE 131 III 280 E. 3.1; JÄGGI/GAUCH/HARTMANN (Fn. 31), a.a.O., Art. 18 N. 370 ff.; KOLLER, Schwei- zerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2017, N. 9.06 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 1206 ff. 33 ZK OR-JÄGGI/GAUCH/HARTMANN (Fn. 31), Art. 18 N. 24; KOLLER (Fn. 32), N. 6.04. 34 BGE 132 III 626 E. 3.1. - 12 - habe sich die Klägerin als Verfasserin des Kaufvertrags (KB 5) vorab ent- gegenhalten zu lassen (Antwort Ziff. II/1.2). Weiter sei in Ziff. 4 des Kaufvertrags (KB 5) von einer Mehrwertsteuer nicht die Rede, im Unterschied zu beispielsweise Ziff. 3 desselben Vertrags. Im Kaufvertrag für Firmenfahrzeuge vom 27. Februar 2019 (KB 19) sei zu den Preisen jeweils festgehalten "exkl. MwSt.". Es sei unverständlich, weshalb im Kaufvertrag für Firmenfahrzeuge (KB 19) verbindliche Preise festgelegt worden sein sollen, da doch im Kaufvertrag vom 26. Februar 2019 (KB 5) auf noch zu ermittelnde Eurotaxwerte verwiesen werde und im Kaufvertrag vom 27. Februar 2019 nicht festgehalten sei, die dort vereinbarten Preise würden den vereinbarten Eurotaxwerten entsprechen. Zudem würden im Kaufvertrag vom 27. Februar 2019 Preise festgehalten, die höher seien als die Preise gemäss den von der Klägerin veranlassten Bewertungen. Wenn unter diesen Umständen festgehalten sei, die Preise verstünden sich exkl. Mehrwertsteuer, habe die Beklagte nach Treu und Glauben im Geschäfts- verkehr davon ausgehen dürfen, die Mehrwertsteuer würde ihr nicht noch zusätzlich in Rechnung gestellt werden. Die Klägerin habe unter diesem Titel daher nichts zu fordern (Antwort Ziff. II/1.2; Duplik "zu Rz. 5-8"). 5.2. Würdigung Umstritten ist, ob die Beklagte zusätzlich zum Kaufpreis von Fr. 31'500.00 die Mehrwertsteuer von 7.7 % schuldet, womit der Klägerin ein restlicher Anspruch von Fr. 2'425.50 zustünde. Zu diesem Zweck sind die massge- benden Vertragsbestimmungen unter Einbezug der konkreten Umstände auszulegen. Die Beklagte behauptet zu Recht, dass weder Ziff. 4 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) noch der Kaufvertrag für Firmenfahrzeuge (KB 19) explizit regeln, ob zusätzlich zum Kaufpreis die Mehrwertsteuer geschuldet ist. Klar ist einzig, dass diese nicht bereits im Kaufpreis enthalten ist, son- dern sich die Preise ohne Mehrwertsteuer verstehen. Allerdings kann der Beklagten aufgrund der Umstände im vorliegenden Fall nicht gefolgt werden, wenn sie behauptet, sie habe nach Treu und Glauben nicht damit rechnen müssen, dass ihr die Mehrwertsteuer zusätzlich zum Kaufpreis in Rechnung gestellt werden würde: Die Parteien haben sämtli- che Positionen beider Kaufverträge jeweils konsequent ohne Mehrwert- steuer berechnet und entsprechend angegeben. Dass die Mehrwertsteuer jeweils zusätzlich geschuldet wird, ergibt sich zwar auch für die anderen Positionen (namentlich Geschäftsbereich, Werkzeuge, Akontozahlung für die Übernahme der Aufträge) nicht explizit aus dem Kaufvertrag vom 26. Februar 2019 (KB 5). Dennoch hat die Beklagte am 28. Februar eine Zahlung in Höhe von Fr. 52'773.00 als Entgelt für den Geschäftsbereich, die Werkzeuge der Montagefahrzeuge sowie die Akontozahlung für die - 13 - Übernahme der Aufträge getätigt. Dieser Betrag entspricht den Kaufprei- sen für die entsprechenden Positionen jeweils zuzüglich 7.7 % Mehrwert- steuer (vgl. Klage Rz. 34). Hätten die Parteien tatsächlich für die Montage- fahrzeuge eine andere Regelung, d.h. einen Kaufpreis ohne zusätzliche Mehrwertsteuer, gewollt, hätten sie das angesichts ihrer anders gelebten Praxis ausdrücklich vereinbart. Daran ändert auch das Argument der Beklagten nichts, wonach die Par- teien im Vertrag vom 26. Februar 2019 (KB 5 Ziff. 4) als Kaufpreis den Eu- rotaxwert der Montagefahrzeuge vereinbart hätten, dieser unter Fr. 31'500.00 gelegen habe und die Beklagte daher davon habe ausgehen dürfen, die Mehrwertsteuer werde nicht mehr zusätzlich in Rechnung ge- stellt. Im Vertrag vom 27. Februar 2019 (KB 19) haben die Parteien explizit eine von Ziff. 4 des Vertrags vom 26. Februar 2019 abweichende Vertrags- vereinbarung getroffen und diese (Eurotaxwerte) daher durch eine neue Vereinbarung über den Preis (Fr. 31'500.00 exkl. MwSt.) ersetzt. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Parteien auch für die drei Monta- gefahrzeuge vereinbarten, die Mehrwertsteuer von 7.7 % sei zuzüglich zum Kaufpreis von Fr. 31'500.00 geschuldet. Entsprechend steht der Klägerin unter diesem Titel eine Restforderung für die Mehrwertsteuer von Fr. 2'425.50 zu. 6. Warenlager 6.1. Parteibehauptungen 6.1.1. Klägerin Die Klägerin führt aus, die Beklagte habe sich gemäss Ziff. 7 des Kaufver- trags (KB 5) zur Übernahme des Warenlagers verpflichtet. Für den Wert des Warenlagers hätten die Parteien auf die Inventarliste per 21. Dezember 2018 verwiesen, welche einen Betrag von Fr. 55'285.50 ausweise (KB 22). Gleichzeitig sei vereinbart worden, dass das Warenlager per 28. Februar 2019, mithin zwei Tage nach Unterzeichnung des Kaufvertrags, gezählt werde. Der Kaufpreis für das Warenlager sei im Zeitpunkt des Vertragsab- schlusses daher noch nicht bestimmt gewesen. Im Rahmen der erneuten Inventur, welche von zwei Mitarbeitern der Klägerin vorgenommen worden sei (H.K. und S.B.), habe man festgestellt, dass die Inventarliste vom 21. Dezember 2018 mit dem darin festgelegten Wert von Fr. 55'258.80 feh- lerhaft sei. Die Klägerin habe bei Produkten mit der Einheit "lfm" (Laufme- ter) fälschlicherweise nicht mit Laufmetern, sondern mit Quadratmetern ge- rechnet, was zu einem erheblich tieferen Wert des Warenlagers geführt habe. Gestützt auf diese Erkenntnis habe die Klägerin eine neue, korri- gierte Inventarliste per 1. März 2019 erstellt, welche einen Wert des Wa- renlagers von Fr. 142'889.26 ergeben habe (Klage Rz. 15 ff.; Replik Ziff. 11; KB 23). Dieser Wert entspreche der vertraglichen Abmachung, wo- nach das Warenlager per 28. Februar 2019 erneut gezählt und auf der Ba- sis der Einkaufspreise in Rechnung gestellt werde (Replik Rz. 12). - 14 - Die korrigierte Inventarliste sei den Verantwortlichen der Beklagten von P.W. am 1. März 2019 persönlich ausgehändigt worden mit der Aufforde- rung, die Beklagte möge das Warenlager ihrerseits ebenfalls prüfen (Klage Rz. 18). Anlässlich dieser Übergabe sei auch L.L. anwesend gewesen. P.W. habe I.B. und L.L. gegenüber erklärt, der Lagerbestand sei vorher falsch ermittelt worden. Die Nachzählung habe nun einen Wert des Waren- lagers im Umfang von Fr. 153'891.72 ergeben. L.L. habe darauf erwidert, er und I.B. würden dies kontrollieren und für den Fall, dass Ungereimtheiten auftauchen sollten, sich bei der Klägerin melden. L.L. habe weiter ausge- führt, dass er persönlich dafür sorgen werde, dass das Lager im Wert von Fr. 153'891.72 bezahlt werde (Replik Rz. 13). Trotz mehrfacher mündlicher Aufforderung durch P.W. habe die Beklagte das Warenlager nicht selbst geprüft. Sie habe ab dem 1. März 2019 laufend Material aus dem Warenlager bezogen und abholen lassen, ohne den Be- stand oder den Wert des Warenlagers zu diesem Zeitpunkt selbst festzu- stellen. Daraus sowie aus dem Umstand, dass weder die Beklagte noch L.L. die Inventarliste per 1. März 2019 je bestritten hätten, ergebe sich, dass die Beklagte den von der Klägerin ermittelten Wert des Warenlagers in Höhe von Fr. 142'889.26 im Sinne eines Realakzepts akzeptiert habe, jedenfalls könne die Klägerin von einem solchen Akzept ausgehen. Wäre die Beklagte mit diesem Wert nicht einverstanden gewesen, hätte sie die Warenbezüge nicht tätigen dürfen, bis der Wert des Lagers definitiv geklärt gewesen sei. Indem sie jedoch im Wissen um den Preis des Warenlagers Waren bezogen habe, habe sie den Preis der Klägerin akzeptiert (Klage Rz. 20; Replik Rz. 13 und 17). Letztlich wäre der Vertragsabschluss jedoch auch durch Stillschweigen der Beklagten i.S.v. Art. 6 OR zu bejahen (Replik Rz. 22). Zudem sei es rechtsmissbräuchlich, wenn die Beklagte aus dem Warenla- ger Waren beziehe, obwohl sie wisse, dass die Klägerin von einem be- stimmten Warenwert ausgegangen sei, den die Beklagte im Nachhinein bestreite (Replik Rz. 16). Schliesslich argumentiert die Klägerin, die Beklagte wäre nach Treu und Glauben und unter analoger Anwendung der Rechtsprechung zum kauf- männischen Bestätigungsschreiben verpflichtet gewesen, innert kurzer Frist zu erklären, sie sei mit der neuen Wertermittlung nicht einverstanden. Da die Beklagte dies nicht getan habe, dürfe die Klägerin davon ausgehen, die Beklagte habe den Wert von Fr. 142'889.26 akzeptiert (Replik Rz. 18 ff.). Auf diesen Preis von Fr. 142'889.26 sei zudem die Mehrwertsteuer in Höhe von Fr. 11'002.46 geschuldet, woraus sich eine Forderung der Klägerin im - 15 - Betrag von Fr. 153'891.72 ergebe. Dieser Betrag sei bis heute unbezahlt geblieben (Klage Rz. 21 und 36). 6.1.2. Beklagte Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin ihr am 1. März 2019 die neue Inventarliste (KB 23) übergeben habe. Die Beklagte habe die fragliche Wertdifferenz auch nicht akzeptiert; für sie habe das Warenlager höchstens einen Wert von Fr. 20'000.00. Aus dem Schreiben der Klägerin an die Be- klagte vom 22. Mai 2019 (Antwortbeilage 1) ergebe sich vielmehr, dass die Differenzen zwischen den Parteien an diesem Datum noch bestanden hät- ten. Die Beklagte sei zu keinem Zeitpunkt bereit gewesen, das Warenlager zum korrigierten Preis von Fr. 153'891.72 zu übernehmen (Antwort Ziff. II/2; Duplik "zu Rz. 13-15"). Die Warenbezüge der Beklagten würden kein Akzept der einseitig geän- derten Mengen und Preise beinhalten. Die Beklagte habe vielmehr von dem im Kaufvertrag vom 26. Februar 2019 (KB 5) festgelegten Warenwert von Fr. 55'258.80 ausgehen dürfen (Duplik "zu Rz. 16-17"). Ein Akzept könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Beklagte oder allen- falls L.L. gesagt hätten, man werde die Angelegenheit regeln. Gerade dar- aus würde sich vielmehr die Uneinigkeit der Parteien ergeben. Dasselbe folge aus der Aussage von L.L., er werde persönlich für den Differenzbetrag aufkommen, wenn dieser nicht von der Beklagten bezahlt werde. Daraus fliesse gerade, dass die Beklagte den höheren Kaufpreis nie akzeptiert habe (Antwort Ziff. II/2; Duplik "zu Rz. 18-20"). Rechtsmissbräuchlich sei das Verhalten der Beklagten nicht, da es nicht in ihrem Verantwortungsbereich liege, dass der Wert des Warenlagers von der Klägerin ursprünglich falsch ermittelt worden sei (Antwort Ziff. II/2; Dup- lik "zu Rz. 16-17"). 6.2. Rechtliches 6.2.1. Kaufpreis Im Kaufvertrag verpflichtet sich der Käufer zur Zahlung des Kaufpreises an den Verkäufer. Die Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises ist somit die Haupt- leistungspflicht des Käufers.35 Sie gehört zu den wesentlichen Vertrags- punkten, den sogenannten essentialia negotii, über welche sich die Par- teien geeinigt haben müssen, damit ein Vertrag zustande gekommen ist.36 Der Kaufpreis muss gemäss Art. 184 Abs. 3 OR eindeutig bestimmt oder nach den Umständen bestimmbar sein. Damit der Kaufpreis nach den Um- ständen bestimmbar ist, müssen die Parteien ausdrücklich oder stillschwei- 35 ZK OR-SCHÖNLE, 1993, Art. 184 N. 83. 36 BSK OR I-KOLLER, 7. Aufl. 2019, Art. 184 N. 43. - 16 - gend Kriterien vereinbart haben, die die spätere Kaufpreisfestsetzung er- möglichen. Der Preis muss also ohne erneute Einigung der Parteien ermit- telt werden können und kann nicht einer späteren Abmachung vorbehalten werden.37 6.2.2. Vertragsabschluss Zum Abschluss eines Vertrags ist die übereinstimmende gegenseitige Wil- lensäusserung der Parteien erforderlich (Art. 1 Abs. 1 OR). Die Willenser- klärung besteht in der Mitteilung des Willens zur Begründung, Änderung oder Beendigung eines Rechts oder Rechtsverhältnisses.38 Der Erklärende kann seinen Willen dem Erklärungsempfänger auf ver- schiedene Art und Weise mitteilen.39 Der Erklärende kann seine Erklärung ausdrücklich, durch konkludentes Verhalten oder stillschweigend erklä- ren.40 Die Annahme ist die zeitlich zweite, auf den Antrag folgende Vertragserklä- rung. Mit ihr erklärt der Antragsempfänger gegenüber dem Antragsteller, dessen Offerte annehmen zu wollen.41 Die Annahme hat daher gegenüber dem Antragsteller zu erfolgen.42 Grundsätzlich ist die Annahmeerklärung formfrei möglich, d.h. auch sie kann ausdrücklich, konkludent oder still- schweigend erfolgen.43 Beim sog. Realakzept – als Form der konkludenten Ausdrucksweise – erklärt der Antragsempfänger die Annahme durch eine dem angebotenen Vertrag entsprechende Erfüllungshandlung, indem er bspw. eine gebotene Kaufsache bezahlt oder eine Teillieferung ausführt.44 Blosses Schweigen auf einen Antrag stellt demgegenüber grundsätzlich keine Annahmeerklärung dar, auch nicht im kaufmännischen Verkehr (Art. 6 OR e contrario). Den Antragsempfänger trifft grundsätzlich keine Antwortpflicht und daher auch keine Pflicht, einen Antrag abzulehnen. 45 Davon ausgenommen kann blosses Schweigen dann eine Annahmeerklä- rung darstellen, wenn wegen der besonderen Natur des Geschäfts oder nach den Umständen eine ausdrückliche Annahme nicht zu erwarten ist. Eine ausdrückliche Annahme ist dann nicht zu erwarten, wenn der Antrag- steller aus dem Schweigen des Antragsempfängers auf dessen Annah- mewillen schliessen darf und muss, weil besondere Umstände vorliegen. Solche Umstände liegen etwa bei Rahmenverträgen vor, in denen sich der Antragsempfänger grundsätzlich bereit erklärt hat, bestimmte Aufträge des 37 ZK OR-SCHÖNLE (Fn. 35), Art. 184 N. 83. 38 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 168. 39 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 177. 40 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 181 und 188 ff. 41 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 435. 42 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 437. 43 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 445. 44 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 447. 45 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 451. - 17 - Antragstellers auszuführen, bei einer Einladung zur Offertstellung durch Auskündung, bei längeren Vertragsverhandlungen oder auch bei einer be- stehenden Geschäftsbeziehung.46 Zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben ist auszuführen, dass sich hierzu besondere Regeln herausgebildet haben. Insbesondere entfaltet ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben rechtserzeugende Kraft mit konsti- tutiver Wirkung – weshalb der Vertrag mit dem bestätigten Inhalt gilt –, wenn diesem nicht innerhalb einer angemessenen Frist widersprochen wird.47 Keine konstitutive Wirkung kommt dem kaufmännischen Bestäti- gungsschreiben allerdings zu, wenn es vom Verhandlungsergebnis derart abweicht, dass nach Treu und Glauben nicht mehr mit dem Einverständnis des Empfängers gerechnet werden darf, was sich nach einem objektiven Massstab beurteilt und nicht dem subjektiven Empfinden des Urhebers des kaufmännischen Bestätigungsschreibens.48 6.3. Würdigung Die Parteien haben in Ziff. 7 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) folgende Vereinbarung getroffen: "Es wird vereinbart, dass das Warenlager in O. per 28. Februar 2019 gezählt wird und auf der Basis der Einkaufs- preise in Rechnung gestellt wird. Zahlung 30 Tage netto + MWST, Beilage 5, 5.1-5.2 (Inventarliste per 21.12.2018 Fr. 55'258.80). a) Sollten noch of- fene Bestellungen bestehen, übernimmt diese der Käufer zu Einstandsprei- sen und gibt die Lieferadresse bekannt. b) Eine Detailinformation erhält der Käufer spätestens per 28.02.2019." Daraus ergibt sich, dass sich die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsab- schlusses über den Vertragsgegenstand und den dafür zu leistenden Preis grundsätzlich einig waren. Demnach übernimmt die Beklagte das gesamte Warenlager der Klägerin zu den Einkaufspreisen. Weil der 1. März 2019 der Stichtag der Geschäftsübernahme darstellt, wurde vereinbart, das La- ger per 28. Februar 2019 zu zählen, damit die Beklagte nur jene Waren bezahlen muss, die an diesem Datum tatsächlich im Warenlager vorhan- den sind. Die dem Kaufvertrag angehängte Inventarliste per 21. Dezember 2018 im Umfang von Fr. 55'258.80 (KB 22) kann daher nur eine Orientie- rungsgrundlage gewesen sein, sodass die Parteien erkennen konnten, wie sich das Warenlager zu diesem Zeitpunkt zusammensetzte und welchen Wert es hatte. Die Inventarliste per 21. Dezember 2018 (KB 22) hat folglich wesentlich zur Umschreibung des Kaufgegenstandes und damit auch zur Willensbildung der Beklagten bei Vertragsschluss beigetragen. 46 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 453 ff.; BSK OR I-ZELLWEGER-GUTKNECHT, 7. Aufl. 2020, Art. 6 N. 13 f. je mit entsprechenden Beispielen. 47 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 1163. 48 BGE 114 II 250 E. 2a; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 1164. - 18 - Die von den Parteien getroffene Vertragsbestimmung kann und muss nach Treu und Glauben so verstanden werden, dass basierend auf der Inventar- liste per 21. Dezember 2018 (KB 22) bis spätestens am 1. März 2019 eine neue Inventarliste erstellt wird, damit die seit dem 21. Dezember 2018 ein- getretenen Änderungen des Lagerbestandes nachvollzogen werden. Die so neu erstellte Warenlagerliste wäre dann Vertragsgrundlage geworden. Der im Vertrag angegebene Wert des Warenlagers von Fr. 55'258.80 ist somit im Sinne eines Referenzwerts zu verstehen, der die Grössenordnung des Kaufpreises vorgab. Tatsächlich hat die Klägerin aber nicht bloss die eingetretenen Änderungen des Warenlagerbestandes nachvollzogen. Sie hat vielmehr bemerkt, dass ihre eigene Inventarliste per 21. Dezember 2018 (KB 22) diverse Fehler enthalten habe, da bei mehreren Positionen die Laufmeter- und Quadrat- meterpreise verwechselt worden seien. Sie erstellte daher per 1. März 2019 eine neue Inventarliste (KB 23), die nicht bloss die Bestandesände- rungen nachvollzog, sondern auch andere Einkaufspreise enthielt. Dabei behauptet die Klägerin aber weder, welche tatsächlichen Bestandesände- rungen des Warenlagers mit der neuen Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) nachvollzogen worden seien, noch dass die darin neu eingesetzten Preise die tatsächlich von ihr damals bezahlten Einkaufspreise waren. Letz- teres scheint auch höchst unwahrscheinlich, da die Klägerin ansonsten be- reits in der Inventarliste per 21. Dezember 2018 (KB 22) die korrekten Ein- kaufspreise ausgewiesen hätte. Das Vorgehen der Klägerin entspricht so- mit nicht der vertraglichen Abmachung gemäss Ziff. 7 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) und die Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) kann nicht als das am 26. Februar 2019 Vereinbarte betrachtet werden, jedenfalls nicht soweit, als die neue Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) über reine Bestandesänderungen hinausging. Schliesslich hatten sich die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (26. Februar 2019) über die Einkaufspreise geeinigt. Sie waren in der sechsten Spalte der In- ventarliste per 21. Dezember 2018 (KB 22) angegeben. Die Beklagte ist der Ansicht, die Inventarliste per 21. Dezember 2018 (KB 22) mit Nennung des Warenwerts sei als integrierter Bestandteil des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 zu betrachten (Antwort Rz. II/2). Damit hat sich die Beklagte zur Übernahme des Warenlagers zu einem Preis von Fr. 55'258.80 (exkl. MwSt.) bzw. Fr. 59'513.75 (inkl. MwSt.) bereit erklärt (vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom 19. August 2020 S. 11 und 14). Jedenfalls bestreitet sie nicht, dieses Warenlager erhalten zu haben und behauptet auch nicht, mit diesem Warenwert nicht einverstanden gewesen zu sein. Soweit die Beklagte ausführt, für sie habe das Warenlager nur ei- nen Wert von Fr. 20'000.00, hätte sie entsprechende Einreden (Mängelrü- gen) erheben müssen, was sie allerdings nicht tat. Demnach ist der Kläge- rin zumindest der Kaufpreis von Fr. 59'513.75 (inkl. MwSt.) zuzusprechen. - 19 - Wenn die Klägerin nun von der Beklagten gestützt auf die neue Inventar- liste per 1. März 2019 (KB 23) einen Betrag von Fr. 153'891.72 (inkl. MwSt.) fordert, so hat sie diejenigen Tatsachen darzulegen und nachzu- weisen, die einen entsprechenden Konsens der Parteien begründen. Der Klägerin kann insoweit nicht gefolgt werden, wie sie die neue Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) als vertragsgemäss i.S.v. Ziff. 7 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) erblickt. Eine vertragsgemässe Inventarliste hätte lediglich den Lagerbestand aktualisiert und nicht die Parameter (Ein- kaufspreise) verändert. Die blossen Bestandesänderungen wurden von der Klägerin allerdings nicht behauptet und es ist weder die Aufgabe des Ge- richts noch der Gegenpartei, diese Änderungen aus zwei Listen mit Dut- zenden von Warenpositionen (KB 22 f.) selbst zu berechnen (vgl. oben E. 2.4). Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (26. Februar 2019) war für die Beklagte nicht Absehbar und hatte diese auch nicht zu erwarten, dass die Klägerin ihr nach der Nachzählung des Warenlagers einen Warenwert von Fr. 153'891.72 (inkl. MwSt.) anstelle von Fr. 59'513.75 (inkl. MwSt.) – d.h. eine Erhöhung um den Faktor 2.59 – präsentieren werde, ohne dass das Warenlager im entsprechenden Umfang mehr Material umfassen würde. Soweit die Klägerin geltend macht, die Inventarliste vom 21. Dezember 2018 (KB 22) habe falsche Parameter – also falsche Einkaufspreise – ent- halten, so ist das ihrem Verantwortungsbereich zuzuordnen. Dies hat auch der Zeuge L.L. so bestätigt (Protokoll der Hauptverhandlung vom 19. Au- gust 2020 S. 7). Demnach hätte sich die Klägerin bei Vertragsabschluss allenfalls in einem Grundlagenirrtum i.S.v. Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR befun- den, da sie ihren Willen auf der Grundlage einer fehlerhaften Vorstellung über den Wert des Warenlagers gebildet hätte. Die Klägerin behauptet je- doch nicht, eine entsprechende Vertragsanfechtung i.S.v. Art. 31 OR er- klärt zu haben, womit der Vertrag auch mit dem Grundlagenirrtum geneh- migt worden wäre. Da die Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) somit nicht dem vertraglich vereinbarten Mechanismus zur Bestimmung des Warenwerts entsprach, bleibt zu untersuchen, ob die Parteien über das Warenlager im Sinne der Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) einen neuen Konsens gebildet ha- ben, der jenen gemäss Ziff. 7 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) ersetzt hätte. Hierzu vertritt die Klägerin die Ansicht, die Beklagte habe aufgrund der Entnahme von Waren aus dem Lager das neue Wa- reninventar real akzeptiert. Gleichzeitig begründet die Klägerin die Ver- tragsänderung auch mit einer analogen Anwendung der Rechtsprechung zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben sowie einem stillschweigen- den Akzept. Allen diesen Argumenten liegt die umstrittene Tatsache zu- grunde, wonach die Klägerin der Beklagten die Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) übergeben habe. Der Zeuge L.L. sagte bei seiner Befragung aus, es habe zwei Inventarlisten gegeben. Es ist demnach nachgewiesen, - 20 - dass die Klägerin der Beklagten die Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) übergeben hat. Das ändert allerdings nichts daran, dass zwischen den Par- teien kein Konsens über den neuen Wert des Warenlagers entstanden ist, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden. Zunächst macht die Klägerin geltend, die Beklagte habe dem Warenlager trotz Kenntnisnahme des Warenwerts von Fr. 153'891.72 (inkl. MwSt.) Wa- ren entnommen. Weil sie dabei den neuen Warenwert nicht in Zweifel ge- zogen oder diesen zurückgewiesen habe, habe sie mit dem Warenbezug ihr Einverständnis zum Warenwert gemäss der Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) i.S. eines Realakzepts gegeben (Klage Rz. 51 ff.; Replik Rz. 17). Dem ist entgegenzuhalten, dass die Parteien bereits einen Kon- sens über das Warenlager getroffen hatten. Aus dieser Perspektive handelt es sich bei der Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) um eine Änderungs- offerte seitens der Klägerin. Die Beklagte war demgegenüber darauf ange- wiesen, das Warenlager ab dem 1. März 2019 nutzen zu können, um die an diesem Datum übergegangenen Projekte zu bearbeiten. Die Warenent- nahme in Kenntnis der Änderungsofferte bezog sich demnach nicht auf den neuen Inventarwert und richtete sich auch nicht an die Klägerin als Antrag- stellerin. Die Warenentnahme durch die Beklagte entspricht daher nicht – anders als etwa die Bezahlung des neuen Warenwerts es tun würde – einer dem Angebot entsprechenden Erfüllungshandlung und kann daher nicht als Realakzept verstanden werden. Dies gilt umso mehr als der Warenwert in der Änderungsofferte um den sehr erheblichen Faktor 2.59 und nicht bloss im Detail erhöht wurde. Vielmehr war für die Klägerin erkennbar oder hätte erkennbar sein müssen, dass die Warenentnahme durch die Beklagte der Bearbeitung der Projekte – basierend auf dem bereits geschlossenen Vertragswillen gemäss Ziff. 7 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) – dient und sich nicht auf den Warenwert bezog. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Warenentnahme rechtsmissbräuchliches Verhal- ten durch die Beklagte darstellen sollte. Zum stillschweigenden Akzept führt die Klägerin aus, sie habe nicht damit rechnen müssen, dass die Beklagte die neue Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) ausdrücklich annehmen müsse, damit eine Einigung über den Kaufpreis zustande kommen würde, da die Parteien in Ziff. 7 des Kaufver- trags vom 26. Februar 2019 (KB 5) die erneute Zählung des Warenlagers bzw. die Bestimmung des Kaufpreises gerade vereinbart hätten. Gestützt auf diese Umstände wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, die neue In- ventarliste explizit abzulehnen, wenn sie diese nicht hätte akzeptieren wol- len. Der Klägerin ist grundsätzlich zuzustimmen, dass vorliegend ein still- schweigendes Akzept durch die Beklagte denkbar ist, dies insbesondere dann, wenn die Inventarliste im Rahmen des zu Erwartenden angepasst worden wäre. Allerdings wurde bereits gezeigt, dass die neue Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) nicht dem vertraglich vereinbarten Vorgehen ent- - 21 - sprach. Danach wäre die Inventarliste bloss dem Umfang des Warenbe- standes nach anzupassen gewesen – dieser Umfang der Anpassung des Warenlagers wurde allerdings nicht behauptet – und nicht hinsichtlich der Bemessungsfaktoren (Einkaufspreise). Solches war für die Beklagte ge- nauso wenig zu erwarten wie der Fakt, dass der neue Warenwert um den Faktor 2.59 höher ausfiel als per 21. Dezember 2018. Gerade wegen den gewichtigen Änderungen der Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) gegen- über jener vom 21. Dezember 2018 (KB 22), welche die Parteien bloss drei Tage vor der neuen Inventur des Warenlagers in den Vertrag vom 26. Feb- ruar 2018 (KB 5) integrierten, liegen Umstände vor, welche die Klägerin nach Treu und Glauben nicht hätten dazu veranlassen dürfen, von einem stillschweigenden Akzept der Beklagten auszugehen. Wer derart grosse Änderungen an der vereinbarten Ausgangslage vornimmt, muss von der Gegenpartei ein ausdrückliches Akzept einholen. Daran ändert nichts, dass die Parteien vorliegend in einem Vertragsverhältnis standen und ein sol- ches gemeinhin als möglicher Fall besonderer Umstände, die ein still- schweigendes Akzept ermöglichen, bezeichnet wird. In den angegebenen Beispielen ist immer von einer bereits seit einiger Zeit andauernden Ge- schäftsbeziehung die Sprache und nicht wie vorliegend von einem einma- ligen Austauschverhältnis.49 Was die Rechtsprechung zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben an- belangt, erkennt die Klägerin zu Recht, dass das neue Inventar des Wa- renlagers per 1. März 2019 (KB 23) kein solches kaufmännisches Bestäti- gungsschreiben darstellt (Replik Rz. 19), sodass eine direkte Anwendung besagter Rechtsprechung ausgeschlossen ist. Die analoge Anwendung dieser Rechtsprechung begründet die Klägerin mit dem Umstand, wonach die Beklagte gestützt auf Ziff. 7 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) gewusst habe, dass sich der Kaufpreis des Warenlagers gestützt auf eine neue Inventur per 1. März 2019 neu bemessen werde. Wenn eine Vertragspartei wisse, dass die Zählung des von ihr übernommenen Waren- lagers zur Preisbestimmung stattfinden werde, und wolle sie diese Zählung bzw. den daraus resultierenden Wert nicht akzeptieren, so müsse von ihr gestützt auf Treu und Glauben verlangt werden, dass sie innert kurzer Frist eine ablehnende Erklärung abgebe (Replik Rz. 20 f.). Was die Klägerin hier vorbringt, unterscheidet sich nicht wesentlich von ihrem Argument, die Be- klagte habe den neuen Inventarwert per 1. März 2019 (KB 23) stillschwei- gend akzeptiert. Es kann demnach auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden. Die Klägerin übersieht, dass die Beklagte gestützt auf Ziff. 7 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) gerade nicht mit einer derart grossen Änderung, wie es jene des Inventars per 1. März 2019 (KB 23) darstellt (Faktor 2.59), rechnen musste. Seitens der Beklagten wa- ren vielmehr Veränderungen im Bestand des Warenlagers zu erwarten, die 49 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID (Fn. 29), N. 453 ff.; BSK OR I-ZELLWEGER-GUTKNECHT (Fn. 46), Art. 6 N. 13 f. - 22 - durch Zukäufe und Abgänge zwischen dem 21. Dezember 2018 und dem 28. Februar 2019 stattgefunden hätten. Eine Änderung der anderen preis- bestimmenden Faktoren, die einen 2.59 Mal höheren Warenwert ergeben, musste nicht vorhergesehen werden, weshalb auch nicht gesagt werden kann, die Beklagte hätte damit rechnen und daher ein entsprechendes In- ventar explizit ablehnen müssen, wenn sie es nicht hätte akzeptieren wol- len. Vielmehr weicht die Inventarliste per 1. März 2019 (KB 23) so sehr von jener vom 21. Dezember 2018 (KB 22) ab, dass die Klägerin nach Treu und Glauben nicht mehr mit dem Einverständnis der Beklagten rechnen durfte. Darüber hinaus hat der Zeuge L.L. ausgesagt, die Parteien seien sich un- einig gewesen und hätten keine Lösung finden können. Diese Zeugenaus- sage wurde selbst von der Klägerin in ihrer Parteiaussage bestätigt (Proto- koll der Hauptverhandlung vom 19. August 2020 S. 5 und 7 f.). Wenn somit selbst die Klägerin nicht der Ansicht ist, sie habe ihre Meinungsverschie- denheit mit der Beklagten beilegen können, kann weder von einem aus- drücklichen noch einem stillschweigenden oder konkludenten Akzept der Beklagten ausgegangen werden. Zusammenfassend gelingt der Klägerin der Beweis, dass sich die Parteien explizit, konkludent oder stillschweigend auf einen Wert des Warenlagers von Fr. 153'891.72 (inkl. MwSt.) geeinigt haben, nicht. Demnach bleibt es bei dem von der Beklagten zugestandenen Kaufpreis von Fr. 59'513.75 (inkl. MwSt.). 7. Elektrogeräte 7.1. Parteibehauptungen 7.1.1. Klägerin Die Klägerin führt aus, die Beklagte habe gemäss Ziff. 8 des Kaufvertrags (KB 5) auswählen dürfen, welche der Werkzeuge aus einer dem Vertrag beigefügten Liste per 21. Dezember 2018 (KB 21) sie aus dem Warenlager der Klägerin übernehmen wolle. Der Zeitwert dieser Elektrogeräte sei per 21. Dezember 2018 mit Fr. 13'500.00 veranschlagt worden (Beilagen 6.1 und 6.2 zum Kaufvertrag). Die Klägerin habe sich verpflichtet, dafür einen moderaten Pauschalpreis zu offerieren (Klage Rz. 13; Replik Rz. 23). Nach einer Besichtigung des Lagers durch die Beklagte habe die Klägerin eine Inventur über diejenigen Werkzeuge durchgeführt, welche die Be- klagte habe übernehmen wollen und in der Inventarliste "Elektro-Geräte" vom 28. Februar 2019 festgehalten (KB 25). Diese habe einen Lagerwert der Werkzeuge von Fr. 8'592.00 ergeben, wobei als Lagerwert 50 % des Einkaufspreises veranschlagt worden seien. Die Beklagte habe sich mit diesem Preis einverstanden erklärt und die in der Inventarliste Elektroge- räte aufgeführten Werkzeuge nach dem 1. März 2019 bezogen. Auf den - 23 - Kaufpreis von Fr. 8'592.00 sei zudem die Mehrwertsteuer geschuldet, wo- raus ein Betrag von Fr. 9'253.58 resultiere (Klage Rz. 37). Diese Forderung sei bis heute unbeglichen geblieben (Klage Rz. 22 ff.; Replik Rz. 24). Die Liste an Elektrogeräten sei am 1. März 2019 zwischen L.L. und I.B. besprochen worden. Daraufhin habe L.L. P.W. gesagt, die Beklagte werde alle Elektrogeräte zum dort aufgeführten Preis übernehmen. Über L.L. habe die Beklagte die Klägerin gebeten, die Elektrogeräte, die sich auf einer Pa- lette mit zwei Rahmen befunden hätten, in das Lager der Beklagten zu stel- len, was die Klägerin so ausgeführt habe (Replik Rz. 24). 7.1.2. Beklagte Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin Ziff. 8 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 eingehalten habe. Sie könne daraus daher keine Forde- rung ableiten. Der Kaufvertrag (KB 5) verweise in Ziff. 8 vorbehaltslos auf die Liste per 21. Dezember 2018. Es sei weiter nicht belegt, dass die In- ventarliste per 28. Februar 2019 (KB 25) tatsächlich nur diejenigen Werk- zeuge enthalte, die von der Beklagten ausgewählt worden seien. Nicht be- legt sei ferner, dass es sich bei den Preisen gemäss KB 25 um moderate Pauschalpreise handle, zumal die Spalte "Lagerwert 50 %" insgesamt drei Positionen enthalte, die im Preis gleich hoch oder höher seien als der letzte Einkaufspreis (Antwort Ziff. II/3; Duplik "zu Rz. 23-24"). 7.2. Würdigung In Ziff. 8 des Kaufvertrags haben die Parteien die nachfolgende Vereinba- rung getroffen: "Für das Warenlager senden wir eine Liste per 21. Dezem- ber 2018. Sie können auswählen, welche Werkzeuge Sie übernehmen möchten. Wir bemühen uns, einen moderaten Pauschalpreis zu offerieren, Beilage 6 (6.1-6.2)." Aus dieser Vertragsbestimmung geht weder hervor, welche Werkzeuge die Beklagte erwerben wollte, noch welchen Preis die Parteien dafür vereinbart haben. Ziff. 8 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) geht damit nicht über eine Absichtserklärung bzw. eine nicht gezogene Kaufoption hinaus und kann nicht als verbindliche Grundlage für die Übernahme der Elektrogeräte durch die Beklagte herangezogen wer- den. Die Klägerin behauptet, die Inventarliste der Elektrogeräte per 28. Februar 2019 (KB 25) enthalte diejenigen Geräte, welche die Beklagte nach einer Besichtigung des Lagers habe übernehmen wollen. Sie habe sich mit dem Preis von Fr. 8'592.00 (exkl. MwSt.) einverstanden erklärt. Die Beklagte wendet ein, es sei nicht belegt, dass die Liste vom 28. Februar 2019 (KB 25) nur jene Elektrogeräte enthalte, die von der Beklagten ausgewählt worden seien. Damit bestreitet die Beklagte nicht, einzelne Elektrogeräte tatsächlich gekauft zu haben. Die Beklagte führt allerdings auch nicht aus, welche der Elektrogeräte gemäss Inventarliste per 28. Februar 2019 - 24 - (KB 25) sie nicht erworben haben will. Ihre Bestreitung erlaubt es der Klä- gerin daher nicht, herauszufinden, für welche Elektrogeräte sie einen tat- sächlichen Konsens über den Kauf behaupten muss. Damit genügt die Be- streitung der Beklagten, weil nicht genügend konkret, den prozessualen Anforderungen nicht und es ist so zu halten, wie wenn der klägerische Vor- trag unbestritten bliebe (vgl. oben E. 2.2). Es ist daher davon auszugehen, dass die Beklagte die in der Inventarliste vom 28. Februar 2019 (KB 25) erwähnten klägerischen Elektrogeräte tatsächlich gekauft hat. Soweit die Beklagte argumentiert, der angegebene Wert der Elektrogeräte sei teilweise gleich hoch oder höher als der letzte Einkaufspreis und es handle sich deshalb nicht um einen, wie vertraglich vereinbart, moderaten Kaufpreis, kann ihr nicht gefolgt werden. Die beklagtische Aussage kann sich nur auf die Positionen 1, 12 und 15 beziehen, wobei hier anstelle von bloss einem Stück zwei oder drei Stück verkauft wurden. Der letzte Ein- kaufspreis bezieht sich allerdings offensichtlich auf den Einkaufspreis pro Stück, sodass der Verkaufspreis: "Lagerwert 50 %" auch bei diesen Positi- onen nur die Hälfte des letzten Einkaufspreises ausmacht. Weshalb dar- über hinaus kein moderater Kaufpreis vorliegen soll, legt die Beklagte nicht dar. Zusammenfassend steht der Klägerin der eingeklagte Betrag von Fr. 9'253.58 (inkl. MwSt.) zu. 8. Projekt S. 8.1. Parteibehauptungen 8.1.1. Klägerin Die Klägerin behauptet, die Parteien hätten vereinbart, die bestehenden Aufträge würden per 1. März 2019 für den Preis von 5 % der Auftrags- summe auf die Beklagte übergehen (Klage Rz. 11; KB 5 Ziff. 5a). Die an- gefangenen Arbeiten sollten zudem von der Beklagten fertiggestellt werden (Replik Rz. 26; KB 5 Ziff. 6). Einer der so auf die Beklagte übergegangenen Aufträge sei jener mit der Einwohnergemeinde S. gewesen (Klage Rz. 25). Für diesen Auftrag habe S.B. von der Klägerin auch nach dem 1. März 2019 mehrfach an Bausitzungen teilnehmen müssen, um das Projekt in fachli- cher Hinsicht zu begleiten und weil die Einwohnergemeinde S. dies so ver- langt habe. Dies betreffe die Bausitzungen vom 8., 20. und 27. März 2019, vom 3., 10. und 17. April 2019 sowie jene vom 1. Mai 2019 (Klage Rz. 26 f. und 48; Replik Rz. 27; KB 28-35). Dieses Vorgehen sei zwischen den Par- teien abgesprochen gewesen (Klage Rz. 26 f.). Weil dieses Projekt per 1. März 2019 auf die Beklagte übergegangen sei, habe diese ihr den Aufwand für die Arbeit von S.B. zu ersetzen. Dabei handle es sich um 19.5 Arbeitsstunden zu je Fr. 140.00 (Fr. 2'730.00 exkl. MwSt.) sowie Autospesen von 798 Kilometern zu Fr. 1.30 (Fr. 1'037.40 - 25 - exkl. MwSt.), total: Fr. 3'767.40 (exkl. MwSt.; Klage Rz. 26; KB 27). Die Stunden- und Spesenansätze seien der Beklagten bekannt gewesen (Klage Rz. 28; Replik Rz. 29). Dass S.B. auf Rechnung der Beklagten wei- terhin für das Projekt S. Leistungen erbringen werde, sei zwischen den Par- teien abgesprochen gewesen (Replik Rz. 28 f.). Nebst S.B. hätten auch vier Monteure der Klägerin am 28. Februar 2019 für das Projekt "S." diverse Arbeiten im Umfang von je sieben Stunden zu Fr. 105.00 geleistet. Dazu kämen Autospesen für 266 Kilometer zu Fr. 1.30, woraus eine weitere Forderung von Fr. 3'285.80 (exkl. MwSt.) folge (Klage Rz. 29 f.; Replik Rz. 32). Die Stunden- und Spesenansätze seien branchenüblich und entsprächen auch jenen Honoraransätzen, die die Beklagte ihren Kunden verrechne (Klage Rz. 31; Replik Rz. 33; KB 36). Insgesamt betrage der klägerische Aufwand daher Fr. 7'596.30 (inkl. MwSt.). Diesen habe die Beklagte der Klägerin zu ersetzen, da die Aufwen- dungen für die Fertigstellung der übernommenen Aufträge gemäss Ziff. 6 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5) von der Beklagten getragen werden müssten. Die Bezahlung durch die Beklagte sei bisher jedoch aus- geblieben (Klage Rz. 32). 8.1.2. Beklagte Die Beklagte behauptet, im Kaufvertrag zwischen den Parteien sei nirgends davon die Rede, dass die Klägerin berechtigt sei, Arbeitsaufwendungen und Spesen ihrer Mitarbeiter, welche nach dem 28. Februar 2019 anfielen, der Beklagten in Rechnung zu stellen. Im Gegenteil sei die Rede davon, dass die Aufwendungen für die Fertigstellung nach dem 28. Februar 2019 durch die Beklagte erfolgen würden. Im Kontext der Übertragung der Auf- träge von der Klägerin auf die Beklagte sei in Ziff. 5b des Kaufvertrags be- züglich der langjährigen Kundin J.P. A. ein gemeinsamer Besuchstermin vereinbart worden. Das von der Klägerin bezeichnete Projekt S. betreffe einen Werkvertrag zwischen der Einwohnergemeinde S. als Bauherrschaft, der Klägerin als Unternehmerin und der J.P. A. als Generalplanerin (KB 26). Wäre die Mitarbeit von S.B. für dieses Projekt unabdingbar not- wendig gewesen, hätte dies im Kaufvertrag (KB 5) ausdrücklich erwähnt und geregelt werden müssen. Ziff. 5b des Kaufvertrags erwähne S.B. hin- gegen nicht als Teilnehmer des vereinbarten gemeinsamen Besuchster- mins. Damit ergebe sich, dass die Aufwendungen und Reisespesen von S.B. nicht der Beklagten in Rechnung gestellt werden könnten. Es müsse davon ausgegangen werden, dass diese Aufwendungen und Spesen im Werklohn gemäss dem vorgenannten Werkvertrag (KB 26) inbegriffen ge- wesen seien. Gleiches habe mit Bezug auf den Einsatz der vier Monteure der Klägerin am 28. Februar 2019 zu gelten, zumal zwei der vier Monteure am 1. März 2019 in die Dienste der Beklagten übergetreten seien. Da diese vier Monteure bis und mit dem 28. Februar 2019 im Dienste der Klägerin - 26 - gestanden hätten, gingen auch die entsprechenden Aufwendungen zulas- ten der Klägerin (Antwort Ziff. II/4; Duplik "zu Rz. 25-29" und "zu Rz. 30- 33"). Ziff. 6 des Kaufvertrags (KB 5) könne nur so verstanden werden, dass die Aufwendungen für Fertigstellungen nach dem 28. Februar 2019 allein der Beklagten obliegen würden und diese nach Treu und Glauben im Ge- schäftsverkehr nicht habe damit rechnen müssen, dass für die Fertigstel- lung des Projekts S. noch Drittkosten, wie die angeblich notwendige Be- gleitung des Projekts durch S.B., anfallen würden. Dass die Klägerin nicht berechtigt sei, der Beklagten Aufwand im Zusammenhang mit dem Projekt S. in Rechnung zu stellen, sei auch durch KB 36 belegt, in der ein Mitarbei- ter der Klägerin festhalte, dass die Konditionen noch nicht besprochen wor- den seien. Entsprechend sei zwischen den Parteien keine Einigung zu- stande gekommen (Antwort Ziff. II/4). Der Beweis für eine Absprache mit der Beklagten fehle (Duplik "zu Rz. 25-29"). 8.2. Würdigung Mit dem Kaufvertrag vom 26. Februar 2019 vereinbarten die Parteien, dass der klägerische Geschäftsbereich "S." per 1. März 2019 auf die Beklagte übergeht (KB 5 Ziff. 1). In einem solchen Fall regeln die Parteien sinnvoll- erweise auch, wie bereits angefangene Projekte unter den Parteien aufzu- teilen sind. Dabei haben sich die Parteien vorliegend dazu entschieden, diese Projekte ebenfalls per 1. März 2019 auf die Beklagte zu übertragen und zwar zu einem Preis von 5 % der Auftragssumme (KB 5 Ziff. 5a). Die im Zeitpunkt des Übergangs bereits angefangenen Arbeiten (Projekte) wer- den dem Endkunden durch die Klägerin in Rechnung gestellt. Die Fertig- stellung dieser Projekte fällt demgegenüber ab dem 1. März 2019 in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Die von ihr aufgewendeten Kosten für das Material und den Arbeitsaufwand und Spesen kann die Beklagte dann der Klägerin in Rechnung stellen (KB 5 Ziff. 6). In Bezug auf den Einsatz der vier Monteure der Klägerin vom 28. Februar 2019 im Umfang von Fr. 3'538.81 (inkl. MwSt.) bedeutet dies, dass deren Aufwände noch in die Verantwortungsphase der Klägerin fallen und daher auch von dieser zu tragen sind. Wegen des diesbezüglich klaren Wortlauts des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5 Ziff. 6) kann die Klägerin von der Beklagten hierfür keine Entschädigung fordern. In Bezug auf den Einsatz von S.B. nach dem 1. März 2019 sind sich die Parteien über die Kostentragungspflicht nicht einig. Im Vertrag vom 26. Februar 2019 (KB 5 Ziff. 6) vereinbarten die Parteien, dass die Fertig- stellung ab dem 1. März 2019 durch die Beklagte zu erfolgen habe und diese der Klägerin ihre Kosten in Rechnung stellt. Die Parteien vereinbarten aber grundsätzlich nichts darüber, wie abzurechnen ist, wenn anstelle der Beklagten die Klägerin nach dem 1. März 2019 noch Arbeiten leistet. - 27 - Unbestritten ist, dass S.B. von der Klägerin für das Projekt S. ab dem 1. März 2019 noch 19.5 Arbeitsstunden leistete und 798 Kilometer Auto- fahrten zurücklegte. Während die Klägerin behauptet, die Parteien hätten sich hierüber insofern geeinigt, als die Beklagte diese Arbeitsstunden zu je Fr. 140.00 und die Kilometer zu je Fr. 1.30 zu ersetzen habe, bestreitet die Beklagte einen entsprechenden Konsens. Die Frage, ob ein ausdrücklicher Konsens nachgewiesen werden kann, kann vorliegend offenbleiben: Die Beklagte bestreitet nicht, dass sie zur Fertigstellung des Projekts S. auf das Fachwissen von S.B. angewiesen war. Wenn sie vor diesem Hintergrund die Arbeit von S.B. tolerierte und sich bei der Klägerin darüber nie beschwerte, so teilte sie der Klägerin da- mit durch konkludentes Verhalten mit, sie sei damit einverstanden. Entspre- chend haben die Parteien durch konkludentes Verhalten vereinbart, dass S.B. von der Klägerin der Beklagten bei der Fertigstellung des Projekts S. hilft. Dass diese Hilfestellung unentgeltlich erfolgen würde, kann im Rahmen ei- ner geschäftlichen Beziehung nicht angenommen werden, weshalb der Einwand der Beklagten, sie sei davon ausgegangen, es handle sich um eine Unterstützungsleistung gemäss Ziff. 10 des Kaufvertrags vom 26. Februar 2019 (KB 5), nicht überzeugt. Vielmehr ist nicht davon auszu- gehen und konnte auch die Beklagte nach Treu und Glauben nicht erwar- ten, dass die umfangreichen Arbeiten von S.B. unentgeltlich erfolgen wür- den. Heutzutage spricht eine faktische Vermutung für die Entgeltlichkeit von Arbeitsleistungen.50 Wenn eine genaue Vergütungsregel nicht verein- bart wurde, ist eine übliche, angemessene Vergütung geschuldet.51 Des- halb ist irrelevant, ob die Parteien vorliegend effektiv Stundenansätze ver- einbarten oder ob sich die Parteien hierüber noch uneinig waren, wie die Beklagte im Hinblick auf die E-Mail der Klägerin an die Beklagte vom 22. März 2019 (10:59 h) (KB 36 unten) geltend macht. Bei der Bestimmung des üblichen, angemessenen Honorars sind der Zeitaufwand, die Schwie- rigkeit der Tätigkeit, die zu tragenden Risiken, die Verantwortung des Be- auftragten und etwa Tarife für ähnliche Leistungen zu berücksichtigen.52 Mit E-Mail vom 22. März 2019 (11:09 h) teilte die Beklagte der Klägerin mit, der Stundenansatz eines ihrer Monteure betrage Fr. 105.00 und der Spe- senersatz für ein Fahrzeug Fr. 1.30 pro Kilometer (KB 36). Wird berück- sichtigt, dass S.B. nicht bloss ausführender Monteur, sondern planend an den Bausitzungen sein Fachwissen einbrachte und die Klägerin dement- sprechend auch Gewährleistungsrisiken in Bezug auf diese Arbeiten zu tra- gen hat, rechtfertigt es sich, den geltend gemachten Stundenansatz von 50 BSK OR I-OSER/WEBER, 7. Aufl. 2020, Art. 394 N. 35. 51 BSK OR I-OSER/WEBER (Fn. 50), Art. 394 N. 36. 52 BSK OR I-OSER/WEBER (Fn. 50), Art. 394 N. 39. - 28 - Fr. 140.00 als üblich bzw. angemessen anzunehmen. Dasselbe gilt für die Fahrspesen, die die Beklagte der Klägerin gestützt auf Art. 402 Abs. 2 OR zu ersetzen hat und selbst mit Fr. 1.30 pro Kilometer veranschlagt (KB 36). Da die Anzahl geleisteter Stunden und gefahrener Kilometer unumstritten sind, sind der Klägerin somit Fr. 4'057.49 (inkl. MwSt.) zuzusprechen. 9. Fazit Zusammenfassend können der Klägerin folgende Positionen zugespro- chen werden: Fr. 2'425.50 für die Mehrwertsteuer auf dem Kaufpreis der drei Mon- tagefahrzeuge (oben E. 5), Fr. 59'513.75 (inkl. MwSt.) für den Kaufpreis des Warenlagers (oben E. 6), Fr. 9'253.58 (inkl. MwSt.) für den Kaufpreis der Elektrogeräte (oben E. 7) und Fr. 4'057.49 (inkl. MwSt.) für die Aufwendungen von S.B. in Bezug auf das Projekt S. (oben E. 8). Total ergibt das einen Anspruch von Fr. 75'250.32. Davon ist jedoch der von der Klägerin anerkannte und selbst bereits verrechnete Anspruch der Beklagten im Umfang von Fr. 121'162.40 abzuziehen, weshalb der Kläge- rin im Ergebnis nichts mehr zusteht. Die Klage ist demnach vollständig ab- zuweisen. 10. Prozesskosten Abschliessend sind die Prozesskosten entsprechend dem Verfahrensaus- gang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteient- schädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Prozesskosten werden der unterlie- genden Partei auferlegt. Da die Klage vollumfänglich abgewiesen wird, gilt die Klägerin als unterliegend und sind ihr die gesamten Prozesskosten auf- zuerlegen (Art. 106 ZPO). 10.1. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen vorliegend allein aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Entscheidgebühr be- trägt bei einem Streitwert von Fr. 52'000.00 gemäss § 7 Abs. 1 Zeile 4 VKD Fr. 4'410.00. Diese werden der Klägerin auferlegt und mit ihrem Gerichts- kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 10.2. Parteientschädigung Die Parteientschädigung gemäss Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO besteht aus den Kosten der berufsmässigen Vertretung. In vermögensrechtlichen Streitsa- chen beträgt die Grundentschädigung bei einem Streitwert von - 29 - Fr. 52'000.00 gemäss § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 5 AnwT Fr. 8'750.00. Dadurch sind die Instruktion, das Aktenstudium, rechtliche Abklärungen, die Korres- pondenz und Telefongespräche sowie eine Rechtsschrift und die Teil- nahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (§ 6 Abs. 1 AnwT). Für den doppelten Schriftenwechsel und die zweite Verhandlung erfolgt ein Zuschlag von praxisgemäss je 20 %. Mit der Kleinkostenpauschale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Parteient- schädigung von Fr. 12'617.50. Da die Beklagte die Zusprechung des Mehrwertsteuerzuschlags nicht be- antragte, ist ihr ein solcher auch nicht zuzusprechen.53 53 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Partei- entschädigung der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: <https://www.ag.ch//kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf> (zuletzt am 19. August 2020). https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 30 - Das Handelsgericht erkennt: 1. Die Klage vom 10. Oktober 2019 wird abgewiesen. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'410.00 werden der Klägerin auferlegt und mit dem von ihr geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 4'410.00 verrechnet. 3. Die Klägerin hat der Beklagten eine Parteientschädigung von Fr. 12'617.50 zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Protokoll der Hauptverhandlung vom 19. August 2020 und Abrechnung) die Beklagte (Vertreter; zweifach mit Protokoll der Hauptverhandlung vom 19. August 2020) 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 31 - Aarau, 19. August 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002
AG_HG
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AG_HG_002_-Handelsrecht-Forder_2020-08-19
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_19._August_2020.pdf
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2008 Obergericht 44 [...] 9 Art. 12 lit. c BGFA: Interessenkollision Die anwaltliche Vertretung der Eltern eines anlässlich des Sportunter- richts einer Volksschule verstorbenen Schülers im Strafverfahren gegen die beschuldigten Lehrer ist, auch wenn der Rechtsanwalt Schulratspräsi- dent des Bezirks dieser Schule ist, zulässig; der Anwalt war in seiner 2008 Anwaltsrecht 45 Funktion als Schulratspräsident weder in den konkreten Fall involviert noch musste er sich mit den diesen Sportunterricht betreffenden Fragen befassen. Entscheid der Anwaltskommission vom 23. September 2008 i.S. X. (AVV.2007.46)
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2,009
de
2009 Anwaltsrecht 51 [...] 9 Art. 13 BGFA Tötung der Ehefrau (Klientin im Eheschutzverfahren), Entbindung der Anwältin vom Berufsgeheimnis im polizeilichen Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann (Täter). An der Abklärung der Motive des Täters besteht ein höherwertiges Interesse als an der Aufrechterhaltung des Berufsgeheimnisses. 2009 Obergericht 52 Entscheid der Anwaltskommission vom 28. April 2009 i.S. M. F. (AVV.2009.17). Aus den Erwägungen 3. Im vorliegenden Fall wurde die Klientin der Gesuchstellerin am 9. April 2009 von ihrem Ehemann auf der Strasse erschossen. Da zwischen den Eheleuten ein Eheschutzverfahren hängig war, erhofft sich die Polizei von der Gesuchstellerin als Anwältin der Verstorbe- nen Angaben, welche zur Klärung des Tötungsdeliktes beitragen können. An der Aufklärung eines begangenen Tötungsdeliktes sowie der genauen Umstände, insbesondere auch der Motive des Täters, besteht zweifellos ein berechtigter Anspruch der Öffentlichkeit. Zudem ist davon auszugehen, dass es im - hypothetischen - Interesse der Getö- teten liegen dürfte, wenn das schwere Verbrechen, dem sie erlegen ist, abgeklärt wird (vgl. dazu auch ZR 1982 (Bd. 81) Nr. 38, 99). Es sind demgegenüber keinerlei Interessen ersichtlich, welche gegen eine Entbindung sprechen würden. So wird insbesondere der Ehe- mann / Täter als Gegenpartei im Eheschutzverfahren zumindest kei- ne schutzwürdigen Interessen an einer Geheimhaltung geltend ma- chen können. In Würdigung der öffentlichen und privaten Interessen erscheint zusammenfassend die Bekanntgabe der Berufsgeheimnisse als not- wendig und wesentlich schutzwürdiger als das entgegenstehende In- teresse an der Geheimhaltung. Das Gesuch ist demnach gutzuheis- sen.
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2,002
de
2002 Strafprozessrecht 97 [...] 33 Teilrechtskraft der Gewährung des bedingten Strafvollzuges. Wird von der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten lediglich der Strafpunkt, nicht aber die Gewährung des bedingten Strafvollzuges angefochten, bedeutet dies nicht, dass die Gewährung des bedingten Strafvollzuges gestützt auf § 221 StPO in Rechtskraft erwachsen und nicht mehr zu überprüfen ist. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 12. Dezember 2002 in Sachen Staatsanwaltschaft und G.G. gegen E.P. Aus den Erwägungen 1. a) Die Staatsanwaltschaft beantragt, der Angeklagte sei nicht wegen versuchter sexueller Nötigung, sondern wegen versuchter Vergewaltigung schuldig zu befinden und mit 18 Monaten Gefängnis 2002 Obergericht/Handelsgericht 98 und Fr. 100.-- Busse zu bestrafen, der bedingte Strafvollzug für 10 Tage Gefängnis sei zu widerrufen und es sei eine Landesverweisung von 8 Jahren, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges, auszu- sprechen. Die Zivilklägerin beantragt die Zusprechung einer Genugtuung von Fr. 5'000.--, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Angeklagten. b) Die Staatsanwaltschaft beantragt in ihrer Berufung lediglich die Aufhebung der Ziffern 1 bis 3, 7 und 8, nicht aber der Ziff. 5 des vorinstanzlichen Urteils, wonach dem Angeklagten für die Freiheits- strafe der bedingte Strafvollzug gewährt worden ist. Dies bedeutet indessen nicht, dass die Gewährung des bedingten Strafvollzugs gestützt auf § 221 StPO in Rechtskraft erwachsen und nicht mehr zu überprüfen ist. Die Gewährung des bedingten Strafvollzugs hängt eng mit der auszufällenden Strafe zusammen und kann, falls die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten im Strafpunkt Berufung erhebt, nicht gesondert in Rechtskraft erwachsen. In einem solchen Fall ist das Obergericht an den Strafantrag der Staatsanwalt- schaft nicht gebunden und kann zum Beispiel, ohne gegen das Verbot der reformatio in peius zu verstossen (§ 210 StPO), auch eine 18 Monate übersteigende Freiheitsstrafe aussprechen, welche die Ge- währung des bedingten Strafvollzugs schon in objektiver Hinsicht ausschliesst (vgl. Werner Dubach, in: Aargauisches Strafprozess- recht, Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Aargauischen Juris- tenvereins, Aarau 1961, S. 198).
501
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AG_HG_001
AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2002-33_2002-12-01
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-33.html
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2,011
de
2011 Obergericht 64 19 Art. 135 Abs. 2 StPO Weder das Bundesrecht noch das kantonale Recht räumen gesetzlich einen Anspruch auf Leistung einer Akontozahlung an den amtlichen Ver- teidiger ein. Eine Ausnahmesituation ist nur dann zu bejahen, wenn ohne Ausrichtung einer Akontozahlung die Wirksamkeit der amtlichen Vertei- digung nachgerade in Frage gestellt ist. In einer derartigen Situation besteht allerdings auch nur Anspruch auf Deckung der notwendigen laufenden Kosten. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 10. November 2011 i.S. M.B. gegen Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau (SBK.2011.257).
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AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2011-19_2011-11-10
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2,012
de
2012 Strafrecht 39 IV. Strafrecht 6 Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG, aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG Die Einnahme von GHB und GBL birgt, insbesondere bei Mischkonsum, erhebliche Gesundheitsrisiken und kann bei exzessivem Konsum zu einer physischen und psychischen Abhängigkeit führen. Das Gefahrenpotential von GHB/GBL liegt jedoch deutlich unter demjenigen von harten Drogen wie Kokain und Heroin. Nach dem derzeitigen Wissensstand sind GHB und GBL nicht geeignet, die körperliche oder seelische Gesundheit vieler Menschen in eine naheliegende und ernstliche Gefahr zu bringen. Die Annahme eines mengenmässig schweren Falles scheidet deshalb aus. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 28. Juni 2012 i.S. Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau gegen C.H. (SST.2011.158) Aus den Erwägungen 4.2.2. Art. 19 Ziff. 1 aBetmG wie auch Art. 19 Abs. 1 BetmG stellen den unbefugten Handel mit Betäubungsmitteln gleichermassen in allen seinen Formen unter Strafe. Sowohl nach dem aBetmG als auch nach dem BetmG gelten GHB und GBL als dessen Ester, sofern er privat verwendet wird, als Betäubungsmittel (vgl. Art. 1 aBetmG i.V.m. der Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts über die Betäubungsmittel und psychotropen Stoffe vom 12. Dezember 1996, in Kraft bis zum 30. Juni 2011; Art. 2 BetmG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 und Anhang 1 der Verordnung des EDI über die Verzeichnisse der Betäubungsmittel, psychotropen Stoffe, Vorläuferstoffe und Hilfschemikalien vom 30. Mai 2011, in Kraft seit 1. Juli 2011). In Bezug auf Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG ist festzuhalten, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (Urteil des Bundesge- richts 6B_13/2012 vom 19. April 2012 E. 1.3.1) die seit dem 1. Juli 2012 Obergericht 40 2011 revidierte Bestimmung nicht milder ist als Art. 19 Ziff. 2 lit. a aBetmG (Art. 2 Abs. 2 StGB). 4.3. 4.3.1. GHB (Gammahydroxybuttersäure, neben der freien Säure wer- den auch die Natrium- und Kaliumsalze als GHB bezeichnet) ist auch bekannt unter den Namen "Fantasy", "G", "K.O.-Tropfen", "Liquid Ecstasy", "Natriumoxybat" oder "Salty Water". Obschon GHB unter dem Namen ,,Liquid Ecstasy" im Handel ist, hat es mit dem Amphetaminderivat ,,Ecstasy" (Methylendioxymethampheta- min, MDMA) nichts zu tun. Gehandelt wird es als Salz (in Pulver- form) oder als farblose Flüssigkeit. Es hat einen salzigen und leicht seifigen Geschmack und ist praktisch geruchlos. Hergestellt wird GHB aus seinem Vorläuferstoff GBL. Bei einmaliger Einnahme in der richtigen Dosierung (ca. 0.5-2.5 g Na-GHB) versetzt GHB nach ca. 15 Minuten in einen rauschartigen Zustand, der mit demjenigen eines Alkoholrauschs zu vergleichen ist, d.h. es wirkt antidepressiv, angstlösend, leicht euphorisierend und fördert die emotionale, sozia- le, intellektuelle und sexuelle Interaktion. Überdies stimuliert es die optische Wahrnehmung insbesondere von Farbnuancen. Nach einer gewissen Zeit führt es zu Müdigkeit und Entspannung (fact sheet des Bundesamts für Gesundheit [BAG] vom Februar 2012; vgl. ausführ- lich zu den einzelnen Wirkungen: H ANS C OUSTO , Fachinformation: GHB [Gamma-Hydroxybutyrat] - Mischkonsum, 2. Fassung, 2011, http://www.drogenkult.net/?file=GHB, S. 2 ff., S. 12; P ETER X. I TEN u.a., Eine neue Droge erreicht die Schweiz: Koma nach Einnahme von Gamma-Hydroxybuttersäure [GHB], in Schweiz Med Wochen- schr 2000, 130: S. 356-361, S. 359). GBL (Gammabutyrolakton) ist eine farblose Flüssigkeit mit schwachem Geruch, die mit Wasser gemischt werden kann und leicht sauer reagiert. Als Massenchemikalie wird GBL hauptsächlich in der chemischen Industrie verwendet, etwa als Ausgangsstoff für che- mische Synthesen oder als Wirkstoff in Reinigungs- und Lösungs- mitteln. Im menschlichen Körper wird GBL zu GHB umgewandelt, weshalb GBL nicht nur künstlich zu GHB umgewandelt, sondern auch direkt als Droge konsumiert wird. Die direkte Einnahme von 2012 Strafrecht 41 GBL verstärkt die Wirkungen des GHB allerdings in unangenehmer Weise, weshalb GBL meist künstlich in GHB umgewandelt und so- dann dieses eingenommen wird (fact sheet des BAG, a.a.O., S. 2; Ur- teil des Bundesgerichtshofs, 1. Strafsenat, vom 8. Dezember 2009 [1 StR 277/09]; Ärzteblatt Baden-Württemberg, Amts- und Mitteilungs- blatt der ärztlichen Körperschaften, 02/2011, unter: www.aerzteblatt- bw.de; R OBERT H ÄMMIG , GHB als natürliche Substanz, Droge und Medikament, in Schweiz Med Forum, 2011, S. 736-738, S. 738). GBL wird gemäss Angaben der Hersteller sowie von "eclipse" (Ve- rein für akzeptierende Drogenarbeit) in einer Reinheit von über 99 % gehandelt, d.h. abgesehen von unbedeutenden Verunreinigungen wird GBL als in der Industrie erlaubtes Mittel in Reinform verkauft (http://www.eclipse-online.de/ghb.html, zuletzt besucht am 28. Juni 2012). W ERNER B ERNHARD gab den durchschnittlichen Reinheits- gehalt vor Vorinstanz ein wenig geringer an, nämlich mit 98 %. Es ist demnach davon auszugehen, dass GBL grundsätzlich in Reinform gehandelt wird, wobei geringfügige Verunreinigungen nicht auszu- schliessen sind. Da GHB meist in Form von Natrium-GHB (Na-GHB) gehan- delt wird, daneben aber auch als Flüssigkeit eingenommen werden kann und GBL zur Erzielung derselben Wirkungen wie GHB in we- sentlich geringerer Dosis zu verwenden ist, sind die folgenden Mengenverhältnisse zu beachten (vgl. H ANS C OUSTO , a.a.O., S. 11): - 1 g GHB entspricht 1.211 g Na-GHB, resp. 1 g Na-GHB ent spricht 0.825 g GHB; - 1 g GHB entspricht 2.4 ml Lösung zum Einnehmen, resp. 1 ml Lösung entspricht 0.417 g GHB; - 1 g GHB erzeugt die gleiche Wirkung wie 0.824 g GBL, resp. 1 g GBL erzeugt die gleiche Wirkung wie 1.213 g GHB; - 1 g Na-GHB erzeugt die gleiche Wirkung wie 0.68 g GBL, resp. 1 g GBL erzeugt die gleiche Wirkung wie 1.47 g Na-GHB. Nicht entscheidend ist die Menge GHB, welche aus GBL herge- stellt werden kann, da diese die unterschiedlichen Wirkungsweisen von GHB und GBL nicht berücksichtigt. Aufgrund der beschriebenen unterschiedlichen Wirkungsweise von GHB und GBL sind für den 2012 Obergericht 42 Vergleich diejenigen Mengen entscheidend, welche die gleiche Wir- kung entfachen (vgl. dazu die obigen Umrechnungswerte). [...] 4.3.2. Die einmalige Einnahme von GHB kann aus folgenden Grün- den für Gesundheit und Leben eines Menschen gefährlich sein: Es besteht eine grosse Gefahr der Überdosierung, bei der Gesundheit und Leben des Konsumenten gefährdet werden (4.3.2.1.). Besonders hoch ist diese Gefahr, wenn GHB zusammen mit anderen Substanzen eingenommen wird (4.3.2.2.). Bei der Einnahme von GHB kann es sodann zu Verätzungen kommen (4.3.2.3.) und die Gefahr, Täter oder Opfer eines Delikts zu werden, ist aufgrund der mangelnden Konzen- trations- und Abwehrfähigkeiten des Konsumenten im Rauschzu- stand erhöht (4.3.2.4. und 4.3.2.5.). 4.3.2.1. Während 0.5-2.5 g Na-GHB resp. 1-2/1-4 ml GBL einer übli- chen einzelnen Dosierung entsprechen, lösen ab 2.5 g GHB resp. 2 ml GBL die massiven Nebenwirkungen die gewollten Wirkungen ab. Es wird daher von einer Überdosierung gesprochen (Freiburg- Schwarzwald.de, Zahl der GBL-Abhängigen nimmt in Freiburg zu, unter: http://www.frsw.de/gbl.htm; Informationsblatt der Stadtpolizei Zürich, unter: http://www.stadt-zuerich.ch/con- tent/dam/stzh/ssd/Deutsch/Gesundheit%20Praevention/Sucht- praevention/Formulare%20und%20Merkblaetter/pdfs%20Substanz- en/GHB%20GBL.pdf). Bei einer Überdosierung bei der Einnahme von GHB kann es zu Übelkeit, Erbrechen, Benommenheit, Schläfrigkeit, Unterkühlung, Krämpfen, Atemnot und Bewusstlosigkeit kommen. Eine nur wenig noch höhere Dosierung führt zu tiefem Koma. Aus diesem erwachen die Patienten nach einigen Stunden rasch und vollständig wieder und sind beschwerdefrei. Akut vergiftete Patienten müssen ärztlich über- wacht und ihre Atemwege müssen gesichert werden. In schweren Fällen (v.a. Kombinationsvergiftungen) muss künstlich beatmet wer- den. Ein Koma ohne medizinische Überwachung und Behandlungs- möglichkeiten birgt das Risiko von lebensgefährlichen Komplikatio- nen wie Atemstillstand, Blutdruckabfall, Unterkühlung oder krampf- 2012 Strafrecht 43 artigen Anfällen. Selten kommt es zu Todesfällen (vgl. anstatt vieler: fact sheet des BAG, a.a.O., S. 3 ff.; M ICHAEL R ATH , Praxisbuch Sucht, 2012, S. 197 f.; P ETER X. I TEN u.a., a.a.O., S. 359; Pressemit- teilung der EU-Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon vom 17. März 2008 [im Folgenden: Pressemitteilung europäische Beobachtungs- stelle], http://www.emcdda.europa.eu/attachements.cfm/att_50185_DE_GH BandGBL_FinalDE.pdf, S. 2). Wird GBL direkt eingenommen, tre- ten diese Wirkungen des GHB schneller und stärker ein (B ERN - HARD /W EINMANN , IRM der Universität Bern, Gutachten vom 14. Ju- li 2011). Vergiftungen kommen in der Schweiz praktisch ausschliesslich im Rahmen des Missbrauchs vor. In der Zeitspanne von 1997 und 2005 wurde das Schweizerische Toxikologische Informationszen- trum (STIZ) mit 334 Fällen von GHB-Vergiftungen konfrontiert. Zu diesen Vergiftungsfällen hat das STIZ 187 ärztliche Verlaufsberichte erhalten. Dabei sind 80 schwere Fälle und ein tödlicher Fall zu verzeichnen gewesen. In derselben Zeitspanne erhielt das STIZ 101 Fälle von Vergiftungen mit GBL. In 65 % der vom STIZ untersuch- ten Fälle waren noch weitere Drogen wie Alkohol, Kokain, Amphe- tamine oder Ecstasy eingenommen worden. Im Jahre 2010 waren 18 Vergiftungen (15 davon mit tiefem Koma als Folge) die Folge des Konsums von GHB, GBL, 1-4-Butandiol oder flüchtigen Nitriten (fact sheet des BAG, a.a.O., S. 3 f.; H UGO K UPFERSCHMIDT / C HRISTINE R AUBER -L ÜTHY , Zum Jahresbericht 2010 des Schweize- rischen Toxikologischen Informationszentrum [STIZ], Vergiftungen in der Schweiz, in Schweizerische Ärztezeitung, 2011, 92: 39, S. 1489 ff., S. 1489). Da die tödliche Menge GHB bei einer min- destens dreissigfachen Menge der bestimmungsgemässen Dosis liegt, besteht auch bei Überdosierung gemäss der Literatur keine erhöhte Todesgefahr infolge der Wirkungen der Substanz selbst (H ANS C OUSTO , a.a.O., S. 9; vgl. jedoch zur Todesgefahr infolge unbeauf- sichtigten Komas oder Mischkonsums die obigen und folgenden Ausführungen; vgl. zu internationalen Publikationen zu tödlichen GHB-Vergiftungen: A RMIN F IEGUTH u.a., Erster Todesfall durch - Hydroxybuttersäure [GHB] nach Aufnahme von -Butyrolacton 2012 Obergericht 44 [GBL] in Niedersachsen, in Archiv für Kriminologie, 2009, S. 45-51, S. 49, mit dem Hinweis, dass viele Todesfälle aufgrund GHB-Kon- sums unerkannt blieben, da sich GHB nur kurze Zeit nach der Ein- nahme nachweisen lasse; E NNO F REYE , Pharmacology and Abuse of Cocaine, Amphetamines, Ecstasy and Related Designer Drugs, 2009, S. 205). Die Differenz zwischen der für den erwünschten Effekt benö- tigten und der zu unerwünschten toxischen Wirkungen führenden Menge GHB und GBL ist sehr klein und es besteht daher eine hohe Gefahr der Überdosierung. Risikovergrössernd ist die oft mangelnde Kenntnis der Reinheit und Konzentration der Stoffe (fact sheet des BAG, a.a.O., S. 3 f.; Peter X. I TEN /A NDREA O ESTREICH , in: Analy- tical chemistry at forensic institutes, chimia 2002, 56 No. 3, S. 91 ff., S. 94; Pressemitteilung europäische Beobachtungsstelle, S. 2) . Besonders hoch ist die Gefahr der Überdosierung bei der di- rekten Einnahme von GBL. Dieses ist aufgrund seiner schnellen und verstärkten Wirkung wesentlich niedriger zu dosieren als GHB (Hans Cousto, a.a.O., S. 6). Auch der Umstand, dass GHB und GBL meist in Flüssigkeiten aufgelöst in sehr unterschiedlichen Konzentrationen verkauft und getrunken werden, steigert das Risiko der Überdosierung (vgl. u.a. Informationsseite Suchtprävention Zürich). 4.3.2.2. Wird GHB gleichzeitig mit sedierenden Substanzen, seien es Drogen, Medikamente oder Alkohol, eingenommen (Mischkonsum), wie dies gerade in Partyszenen meistens getan wird, führt dies zu einer Verstärkung der Vergiftung. Es besteht die Gefahr einer ver- stärkten Atemdepression, des Kreislaufkollapses und Brechreizes im Zustand der Bewusstlosigkeit. Die Einnahme von GHB, welche nach dem Gesagten an sich bereits eine hohe Gefahr der Überdosierung in sich birgt, wird dadurch zu einer lebensgefährlichen Substanz. Ein solcher Mischkonsum macht oft eine sofortige Einweisung in ein Krankenhaus unumgänglich. Patienten, die wegen Mischkonsums von GHB und Alkohol in eine Klinik eingeliefert werden, müssen dort auf der Intensivstation betreut werden (R OBERT H ÄMMIG , a.a.O., S. 738; fact sheet des BAG, a.a.O., S. 3 f.; M ICHAEL R ATH , a.a.O., 2012 Strafrecht 45 S. 197 f.; H ANS C OUSTO , a.a.O., S. 8, S. 13 f. mit ausführlichen An- gaben zum Mischkonsum mit Alkohol, LSD, Ecstasy und Ketamin; Freiburg-Schwarzwald.de, a.a.O., S. 2 ) . 4.3.2.3. Bei der Einnahme von GHB besteht zusätzlich Verätzungsge- fahr im Mund und im oberen Magendarmtrakt durch in der Her- stellung nicht vollständig umgesetztes Natriumhydroxid (fact sheet des BAG, a.a.O., S. 3; P ETER X. I TEN u.a., a.a.O., S. 357). 4.3.2.4. Der Konsum von GHB setzt die Abwehrfähigkeit erheblich herab, weshalb in diesem Zustand eine erhöhte Gefahr besteht, Opfer eines Delikts zu werden. Bekannt ist GHB insbesondere als "Vergewaltigungsdroge". Es kann unbemerkt in Getränke geschüttet werden, die Abwehrmög- lichkeiten des Konsumenten werden bis zur Wehrlosigkeit herabge- setzt und die Substanz lässt sich anschliessend im Körper des Opfers nur kurzzeitig nachweisen. Die internationalen Daten dazu weisen jedoch darauf hin, dass GHB bei diesen Delikten dennoch selten eingesetzt wird. Bevorzugt werden Benzodiazepine (R OBERT H ÄMMIG , a.a.O., S. 738; Pressemitteilung europäische Beobach- tungsstelle, S. 2). Auch bei gewolltem GHB-Konsum besteht jedoch aufgrund der herabgesetzten Abwehrmöglichkeiten die Gefahr, Opfer verschie- dener Delikte, bspw. eines Raubes, zu werden (R OBERT H ÄMMIG , a.a.O., S. 738). 4.3.2.5. Konsumenten von GHB sind jedoch nicht nur selber gefährdet, Deliktsopfer zu werden, sondern stellen auch für andere eine Gefahr dar. Da GHB die Konzentrationsfähigkeit herabsetzt, besteht die Gefahr, dass Konsumenten, die sich überschätzen und beispielsweise in diesem Zustand Auto fahren, andere Personen erheblich gefährden (R OBERT H ÄMMIG , a.a.O., S. 738; vgl. zu konkreten Fällen: P ETER X. I TEN /A NDREA O ESTREICH , a.a.O., S. 93 f.). 4.3.3. Bei langfristiger Einnahme von GHB besteht die Gefahr einer psychischen und physischen Abhängigkeit (4.3.3.1. und 4.3.3.2.). 2012 Obergericht 46 Dass die langfristige Einnahme Körper oder Geist anderweitig schä- dige, konnte dagegen (noch) nicht nachgewiesen werden (4.3.3.3.). 4.3.3.1. Die gelegentliche Einnahme von GHB und GBL erzeugt nor- malerweise noch keine Abhängigkeit. Erst regelmässiger bzw. chro- nischer und hochdosierter GHB-/GBL-Konsum über längere Zeit birgt das Risiko einer psychischen und physischen Abhängigkeits- entwicklung. Die Abhängigkeit entspricht hinsichtlich ihres Charak- ters (Wirkungen des Drogenkonsums und -entzuges) am ehesten derjenigen von Alkohol und Benzodiazepinen bzw. Barbituraten (Michael Rath, a.a.O., S. 197 f.; fact sheet des BAG, a.a.O., S. 3). Zu Entzugssymptomen nach Absetzen dieser Stoffe kommt es bei Konsumenten, die über Wochen und Monate hohe Dosen in kurzen Abständen konsumieren. Sie beginnen wenige Stunden nach dem letzten Konsum und bestehen in Zittern, raschem Puls, Unruhe, Schlaflosigkeit, Angst, Übelkeit und Erbrechen bis hin zum Delirium mit Schweissausbrüchen und Blutdruckabfall. Wegen der kurzen Halbwertszeit der Substanz setzt der GHB- /GBL-Entzug sehr rasch und häufig bereits in der Anfangsphase massiv ein. Das Spektrum reicht über milde, ambulant beherrschbare Verläufe über stationär unkomplizierte bis zu schweren deliranten Beschwerdebildern. Gängige Entzugsschemata bei der Entzugsbe- handlung wirken im GHB-/GBL-Entzug häufig nicht oder nicht aus- reichend. Die Entzugsbehandlung bei chronischer GHB-Abhängig- keit erfordert eine Spitaleinweisung. Sie stellt aufgrund häufig (gemäss einer Untersuchung bei ca. 40 % der Fälle) einsetzender Komplikationen wie Krampfanfällen und Delirium sowie des rasch einsetzenden und oft schlecht beherrschbaren schweren Entzuges ein besonderes Problem dar. Häufig sind stark beruhigende Medikamen- te notwendig und oftmals bleibt nur noch die Verlegung des Patien- ten auf eine Intensivstation, wo der Entzug unter intensivmedizini- schen Bedingungen (künstliche Beatmung, künstliches Koma, Infusi- onsbehandlung) fortgeführt werden muss. Im Einzelnen sind inten- sivmedizinische Behandlungsphasen von mehr als einer Woche erforderlich. Als Nebenwirkungen der chronischen Therapie werden Kopfschmerzen, Bettnässen und Krämpfe in den Beinen beobachtet 2012 Strafrecht 47 (fact sheet des BAG, a.a.O., S. 3 und 5). Im Anschluss an die Entzugsbehandlung sollte eine Entwöhnungstherapie durchgeführt werden, welche in der Aufarbeitung der Defizite und Probleme des Patienten liegen sollte, welche zum Drogenkonsum führten. Ohne eine solche anschliessende Entwöhnungstherapie sind im Allgemei- nen rasche Rückfälle in das alte Konsummuster zu erwarten (Michael Rath, a.a.O., S. 201; Robert Hämmig, a.a.O., S. 737; Ärzte- blatt Baden-Württemberg, a.a.O., S. 94; vgl. auch Freiburg-Schwarz- wald.de, a.a.O., S. 2, wo allgemein von einer hohen Rückfallquote gesprochen wird). 4.3.3.2. Noch ungenügend erforscht ist die Frage, wie hoch die Gefahr einer Abhängigkeit ist und ab welcher Menge und nach welcher Zeit sich eine solche mit grosser Wahrscheinlichkeit einstellt. In den einschlägigen Internetforen finden sich Berichte von Konsumenten, die bereits nach wenigen Konsumeinheiten und kurzer Zeitdauer (bspw. einer Woche) über massive Entzugserscheinungen berichteten, und andere, die regelmässig und langfristig GHB/GBL konsumierten, ohne eine Abhängigkeit zu entwickeln. Daraus ist zu schliessen, dass GHB/GBL auf unterschiedliche Konsumenten ganz unterschiedlich wirkt und generelle Angaben zur Entwicklung einer Abhängigkeit schwierig sind. In der Literatur besteht jedoch Einigkeit darin, dass zur Ent- wicklung einer Abhängigkeit für gewöhnlich ein regelmässiger, über Wochen und Monate dauernder Konsum hoher Dosen GHB/GBL in kurzen Abständen notwendig sei (Ärzteblatt Baden-Württemberg, a.a.O., S. 94; H ANS C OUSTO , a.a.O., S. 9; fact sheet des BAG, a.a.O., S. 3; R OBERT H ÄMMIG , a.a.O., S. 737). Vereinzelt finden sich konkrete mengenmässige Angaben. So erklären H ANS C OUSTO , R OBERT H ÄMMIG (Universitäre Psychiatrische Dienste in Bern) sowie M ATTHIAS E. L IECHTI (Universitätsspital Zürich)/H UGO K UPFERSCHMIDT (Schweizerisches toxikologisches Informations- zentrum), dass sich erst bei regelmässiger Einnahme von Dosen über ca. 20 g GHB pro Tag Toleranz und demgemäss eine Abhängigkeit entwickeln könne (H ANS C OUSTO , a.a.O., S. 9; R OBERT H ÄMMIG , a.a.O., S. 737; M ATTHIAS E. L IECHTI /H UGO K UPFERSCHMIDT , - 2012 Obergericht 48 hydroxybutyrate [GHB] and -butyrolactone [GBL]: analysis of overdose cases reported to the Swiss Toxicological Information Centre, in: Swiss Med Wkly 2004, 134: S. 543-537, S. 536 mit Hinweis auf weitere Literatur). Eine Abhängigkeit bedinge zudem mindestens einen zwei- bis dreimonatigen Konsum (R OBERT H ÄMMIG , a.a.O., S. 737). Nach diesen Angaben besteht die Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung demnach beim Konsum einer durchschnittlichen Menge von 20 g pro Tag über mindestens zwei Monate hinweg, d.h. ab einer insgesamt konsumierten Menge von 1'200 g GHB (20 g x 60 Tage). Dies entspricht für 20 Personen einer Menge von 24 kg GHB (1'200 g x 20) resp. 20 kg GBL (vgl. zur Umrechnung Ziff. 4.3.1). W ERNER B ERNHARD vom IRM Bern legt seiner Berechnung dagegen die Annahme zugrunde, GHB/GBL sei ebenso gefährlich wie Heroin, und errechnet deshalb den Grenzwert für GHB/GBL in Anlehnung an die bundesgerichtliche Berechnung des Heroin- grenzwerts. Dieses hat in Bezug auf Heroin festgehalten, eine Ge- sundheitsgefahr für 20 Personen liege ab 600 Konsumeinheiten vor. Ausgehend von einer Einzeldosis von 1 g gelangt W ERNER B ERN - HARD deshalb zum Ergebnis, bei GHB liege eine Gesundheitsgefahr für 20 Personen ab 600 g (600 Konsumeinheiten x 1 g) vor. Die in der Literatur zur Entwicklung einer Abhängigkeit ge- nannte Mindestkonsummenge von 20 g GHB über mehrere, aber mindestens zwei Monate hinweg (d.h. Gesundheitsgefahr für 20 Personen bei 24 kg GHB) und die von W ERNER B ERNHARD errech- nete Abhängigkeit ab 600 g GHB, liegen somit weit auseinander. Angesichts der übereinstimmenden Angaben in der Literatur, nach der ein chronischer, lang anhaltender Konsum über Wochen und Monate in hohen Dosen und kurzen Abständen Voraussetzung einer Abhängigkeitsentwicklung ist, kann der Einschätzung W ERNER B ERNHARDS nicht gefolgt werden: Nach seiner Berechnung müsste eine Einzelperson nach 30 Konsumeinheiten 1 g eine Abhängigkeit entwickeln (600 g resp. Konsumeinheiten 1 g / 20 Personen). Be- reits die Festlegung einer Einzeldosis von 1 g steht den Angaben in der Literatur entgegen, da 1 g innerhalb der Bandbreite üblicher Konsumdosen von 0.5-2.5 g weit unten angesetzt ist, gemäss 2012 Strafrecht 49 Literatur aber hohe Einzeldosen erforderlich sind. Gemäss W ERNER B ERNHARDS Berechnung, die von 30 Einzeldosen ausgeht, müsste sodann bei mehrmals täglichem Konsum nach wenigen Tagen eine Abhängigkeit entstehen. Dem stehen wiederum die Literaturangaben entgegen, wonach für eine Abhängigkeit ein mehrere wochen- und monatelanger Konsum erforderlich sei. Die Berechnung W ERNER B ERNHARDS widerspricht demnach den Angaben in der Literatur, und auch seine Grundannahme, GHB/GBL sei in Bezug auf die Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung mit Heroin zu vergleichen, findet in der Literatur, soweit ersichtlich, an keiner Stelle Be- stätigung. Vielmehr ist GHB/GBL gemäss der Literatur in Bezug auf die Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung als eher gering einzu- schätzen und bedarf es hierzu eines regelmässigen, lang anhaltenden Konsums grosser Mengen, während die Abhängigkeit bei Heroin sehr viel schneller eintritt. Die bei Heroin festgelegte Grenzmenge für eine Abhängigkeitsentwicklung bei 600 Konsumeinheiten ist demnach für GHB/GBL nicht aussagekräftig. Auf die von W ERNER B ERNHARD errechnete Grenzmenge von 600 g GHB kann daher nicht abgestellt werden. Festzuhalten ist demnach, dass bei regelmässigem, mehrmals täglich erfolgendem, hochdosiertem GHB/GBL-Konsum über mehrere Monate hinweg die Gefahr einer psychischen und physi- schen Abhängigkeit besteht. Angesichts der Voraussetzung eines solch exzessiven Konsums hoher Mengen GHB/GBL ist indes das Abhängigkeitspotential bei diesem Stoff nicht mit demjenigen von Heroin oder Kokain zu vergleichen, welche als harte Drogen gelten, sondern mit demjenigen von Ecstasy oder Marihuana, welche im Bereich der weichen Drogen liegen. Auch bei diesen besteht zwar die Gefahr der Abhängigkeit, doch ist sie sehr viel geringer als bei Heroin und Kokain (vgl. BGE 125 IV 90 E. 3b, gg und 3d; 117 IV 314 E. 2f, cc und 2g, aa). 4.3.3.3. Inwieweit durch die Einnahme von GHB weitere langfristige Gesundheitsschädigungen wie etwa Leberschädigungen bewirkt werden, wie es in verschiedenen Internetforen häufig vermutet wird, 2012 Obergericht 50 kann derzeit noch nicht abschliessend festgestellt werden (M ICHAEL R ATH , a.a.O., S. 197 f.). Da bei der Einnahme von GBL schneller eine grosse Menge von GHB in den Blutkreislauf gelangt, wurden Patienten auf organi- sche Schäden sowie karzinogene Wirkungen hin untersucht. Beides konnte aber nicht beobachtet oder nachgewiesen werden (H ANS C OUSTO , a.a.O., S. 6). 4.3.4. Schliesslich ist festzuhalten, dass weder GHB noch GBL als Einstiegsdrogen für andere Substanzen wie Heroin oder Kokain gelten. 4.3.5. Zusammenfassend kann demnach beim heutigen Wissensstand festgehalten werden, dass der einmalige oder gelegentliche Konsum von GHB, sofern es in der richtigen Dosis und nicht mit anderen Substanzen (insb. Alkohol) eingenommen wird, an sich keine hohe Gefahr für die Gesundheit darstellt, insb. nur selten Nebenwirkungen hervorruft. Gerade in diesen Faktoren liegen jedoch stoffinhärente Probleme dieses Betäubungsmittels: Es besteht eine hohe Gefahr der Überdosierung und der Mischkonsum ist gerade in der Partyszene weitverbreitet. Der Konsument fällt bei einer solchen Überdosierung, insbesondere in Verbindung mit anderen Substanzen wie Alkohol, rasch in ein tiefes Koma, welches unbeaufsichtigt lebensgefährlich ist, insbesondere aufgrund des ebenfalls auftretenden Brechreizes. Es ist aber festzuhalten, dass trotz dieser an sich bestehenden Gefährlichkeit Todesfälle nach GHB/GBL-Konsum sowie ebenfalls nach Mischkonsum vergleichsweise selten auftreten. Grundsätzlich erwacht der Konsument nach wenigen Stunden beschwerdefrei. Von einer ernsthaften und dringlichen Gefahr kann unter diesen Um- ständen nicht gesprochen werden. Aufgrund der herabgesetzten Kon- zentrations- und Abwehrfähigkeit besteht im Rauschzustand sodann eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Täter (Fahrlässigkeitsdelikte insbesondere im Strassenverkehr) oder Opfer eines Delikts (Raub, Sexualdelikte etc.) zu werden. Obwohl die Wirkungen und Abhängigkeitsentwicklungen je nach Konsument sehr unterschiedlich zu sein scheinen, ist die Gefahr 2012 Strafrecht 51 einer physischen und psychischen Abhängigkeit im Gegensatz zu Heroin und Kokain im Allgemeinen als gering einzustufen. Sie entsteht erst bei exzessivem Konsum, d.h. täglich mehrmaligem Konsum hoher Mengen über mehrere Monate. 4.4. Die Einnahme von GHB/GBL ist demnach nicht ungefährlich, sondern birgt, insbesondere bei Mischkonsum, erhebliche Gesund- heitsrisiken und kann bei exzessivem Konsum zu einer physischen und psychischen Abhängigkeit führen. Das Gefahrenpotential von GHB/GBL liegt jedoch deutlich unter demjenigen der harten Drogen wie Kokain und Heroin, deren Konsum regelmässig zu erheblichen gesundheitlichen Belastungen mit den entsprechenden sozialen Folgeproblemen führt. Mit diesen Stoffen darf GHB/GBL nicht gleichgestellt werden. Nach dem heutigen Wissensstand kann nicht gesagt werden, dass GHB/GBL geeignet sei, die körperliche oder seelische Gesundheit in eine naheliegende und ernstliche Gefahr zu bringen. Aufgrund der mit BGE 117 IV 314 begründeten restriktiven Rechtsprechung ist Art. 19 Ziff. 2 lit. a aBetmG deshalb bei GHB/GBL nicht anwendbar, d.h. es kann bei GHB/GBL kein schwe- rer Fall aufgrund einer Gesundheitsgefährdung vieler Menschen im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a aBetmG vorliegen (vgl. jedoch zum schweren Fall bei Gewerbs- und Bandenmässigkeit Art. 19 Ziff. 2 lit. b und c aBetmG).
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-6.html
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2001 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 45 [...] 7 Art. 80 SchKG; definitive Rechtsöffnung In der Betreibung für rückständige Alimentenforderungen muss es für den Rechtsöffnungsrichter genügen, wenn sich aus dem gesamten recht- zeitig eingebrachten Prozessstoff ergibt, für welche Periode die Betrei- bung eingeleitet wurde, auch wenn diese im Zahlungsbefehl nicht aus- drücklich bezeichnet ist (Präzisierung der in AGVE 1987, S. 56 publizier- ten Rechtsprechung). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 22. Oktober 2001 i.S. M.E. gegen U.Z. Aus den Erwägungen 1. a) Im Verfahren betreffend der definitiven Rechtsöffnung hat der Richter von Amtes wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit gemäss Art. 80 SchKG aufgrund der eingelegten Urkunden erfüllt sind. Die Rechtsöffnung ist nur dann zu erteilen, 2001 Obergericht/Handelsgericht 46 wenn die im Zahlungsbefehl bezeichnete Forderung fällig und zwei- felsfrei identisch ist mit derjenigen, die durch den Rechtsöffnungsti- tel ausgewiesen ist. Damit die in Betreibung gesetzte Forderung überhaupt bestimmt werden kann, muss der Forderungsgrund im Zahlungsbefehl angegeben werden. Es ist nicht notwendig, dass der Forderungstitel im Betreibungsbegehren bezeichnet wird, solange die Forderung eindeutig identifiziert werden kann (Stücheli, Die Rechts- öffnung, Zürich 2000, S. 189). Nach einem in AGVE 1987, S. 56 publizierten Entscheid ist bei der Betreibung für rückständige Ali- mentenforderungen deshalb erforderlich, dass sich der Zahlungs- befehl darüber ausspricht, für welchen Zeitraum die Unterhaltsbei- träge verlangt werden (vgl. auch Staehelin/Bauer/Staehelin, Basler Kommentar, Basel 1998, N 37 und 40 zu Art. 80 SchKG). Diese Pra- xis ist insoweit zu präzisieren, als es für den Rechtsöffnungsrichter genügen muss, wenn sich aus dem gesamten rechtzeitig einge- brachten Prozessstoff - d.h. auch unter Berücksichtigung der schuld- nerischen Stellungnahme - eindeutig ergibt, für welche Periode die Betreibung eingeleitet wurde, auch wenn diese im Zahlungsbefehl nicht ausdrücklich aufgeführt ist. b) Die Klägerin hat im Zahlungsbefehl vom 6. Juni 2001 einzig vermerken lassen, bei der in Betreibung gesetzten Forderung handle es sich um eine Alimentenforderung in der Höhe von Fr. 4'620.70, und hat es damit unterlassen, die betriebene Periode näher zu be- zeichnen. Indessen hat sie im Rechtsöffnungsbegehren vom 23. Juli 2001 ausgeführt, der Beklagte habe die Alimente für den Monat Juni 2001 nicht bezahlt, da er sich auf den Standpunkt stelle, die im Ehe- scheidungsurteil festgehaltene Rentenzahlungspflicht ruhe ab dem 3. Mai 2001. Für die Mai-Alimente sei bereits ein Rechtsöffnungs- verfahren angestrengt worden. Die Alimente für den Monat Juni in Höhe von Fr. 4'620.70 seien ebenfalls geschuldet und noch offen. Aufgrund dieser Darstellung war auch für den Beklagten offenkun- dig, dass es sich bei der vorliegend betriebenen Alimentenforderung um diejenige für den Monat Juni 2001 handelt. .
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2006 Obergericht 38 [...] 6 § 171 ZPO; Vereinigung Der Instruktionsrichter kann getrennt eingereichte Klagen vereinigen, wenn die Voraussetzungen von § 171 Abs. 1 ZPO vorliegen. Erfolgt die Vereinigung unmittelbar bei Prozesseinleitung, bestimmt sich der Streit- wert des Verfahrens aufgrund des Gesamtbetrages der eingeklagten Forderungen. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren liesse es sich mit der ge- setzlichen Beschränkung der Rechtswohltat des kostenlosen Verfahrens auf betraglich geringfügige Streitsummen (Art. 343 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 OR) nicht vereinbaren, wenn sich die Arbeitsgerichte die kostenlose Durchführung von Parallelprozessen über einzelne Forderungen aus demselben Rechtsverhältnis, die in ihrem Gesamtbetrag den Schwellen- wert der Kostenfreiheit übersteigen, aufzwingen lassen müssten. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 19. Juni 2006, i.S. T. AG ca. C.T. Aus den Erwägungen 2.2. Die Klägerin macht geltend, die Vorinstanz habe die von ihr be- wusst getrennt eingereichten Klagen auf Rückerstattung von Mehr- wertsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen zu Unrecht vereinigt; sie sei nicht bereit, die ihr daraus erwachsenen Kostennachteile zu tragen. Hinzu komme, dass der Nichteintretensentscheid der Vorin- 2006 Zivilprozessrecht 39 stanz vom 30. April 2004 im Kostenpunkt in Rechtskraft erwachsen sei; damit sei für das Arbeitsgericht einzig noch der Streitwert der Klage betreffend Rückerstattung der Sozialversicherungsbeiträge von Fr. 24'286.10 massgebend gewesen, für welchen von Bundes- rechts wegen Kostenfreiheit bestehe. 2.2.1. Gemäss § 171 ZPO kann der Kläger mit der gleichen Klage mehrere Ansprüche einklagen, wenn dafür der angerufene Richter zuständig und die gleiche Verfahrensart vorgeschrieben ist (Abs. 1). Aus zureichenden Gründen kann der Instruktionsrichter die Tren- nung verfügen oder getrennt geltend gemachte Ansprüche vereinigen (Abs. 2). Die Ausgestaltung als Kann-Bestimmung zeigt, dass dem Richter bei diesem Entscheid ein erheblicher Ermessenspielraum zu- kommt. Er wird von der Befugnis zur Klagevereinigung im Interesse der Prozessökonomie namentlich dann Gebrauch machen, wenn zwi- schen mehreren gerichtlichen Verfahren ein Zusammenhang besteht und von deren Vereinigung eine zweckmässigere Abwicklung des Verfahrens zu erwarten ist (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1998, N 4 und 12 zu § 171 ZPO; AGVE 1963, S. 54). Erfolgt die Vereinigung bei Prozesseinleitung, kann sie eine Veränderung des Streitwertes bewirken, da der Wert mehrerer Ansprüche, die sich nicht gegenseitig ausschliessen, nach § 18 Abs. 1 ZPO zusammenge- zählt wird. Massgeblicher Zeitpunkt für die Streitwertberechnung ist nämlich die Einreichung der Klage beim erstinstanzlichen Richter. Der damit festgelegte Streitwert bleibt grundsätzlich für den ganzen kantonalen Prozess massgebend (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 6 zu §§ 16 und 17, N 4 zu § 18 und N 12 zu § 171 ZPO). 2.2.2. Die Klägerin hat in ihren der Vorinstanz gleichentags getrennt eingereichten Klagen gegen den Beklagten einerseits einen Anspruch auf Rückerstattung von Mehrwertsteuerbeiträgen im Betrag von Fr. 13'534.15 und anderseits einen Anspruch auf Rückerstattung von Sozialversicherungsbeiträgen im Betrag von Fr. 24'286.10 geltend gemacht. Beide Forderungen gründen nach unbestritten gebliebener Darstellung der Klägerin in einem Arbeitsverhältnis zwischen den 2006 Obergericht 40 Parteien und waren damit im Rahmen eines Arbeitsgerichtsverfah- rens zu beurteilen. Die Voraussetzungen für eine objektive Klagen- verbindung i.S.v. § 171 Abs. 1 ZPO waren somit gegeben. Es bedarf sodann keiner Erläuterung, dass die Führung mehrerer Prozesse über Forderungen zwischen den gleichen Parteien aus demselben Rechts- verhältnis für das Gericht einen erheblichen Mehraufwand darstellt, weshalb sich schon aus Gründen der Prozessökonomie eine Vereini- gung der Klagen aufdrängte. Demgegenüber vermochte die Klägerin, abgesehen von der Erlangung der Kostenfreiheit i.S.v. Art. 343 Abs. 2 i.V.m Abs. 3 OR, kein sachliches Interesse an einer getrennten Beurteilung ihrer Forderungen darzutun. Es liesse sich aber mit der gesetzlichen Beschränkung der Rechtswohltat des kostenlosen Ver- fahrens auf betraglich geringfügige Streitsummen (Art. 343 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 OR) nicht vereinbaren, wenn sich die Arbeitsgerichte die kostenlose Durchführung von Parallelprozessen über einzelne Forderungen aus demselben Rechtsverhältnis, die in ihrem Gesamt- betrag den Schwellenwert der Kostenfreiheit übersteigen, aufzwin- gen lassen müssten. Die von der Klägerin erwähnte Möglichkeit einer Teilklage, die von der Lehre als zulässiges Mittel zur Erlangung der Kostenfreiheit anerkannt wird (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 6 zu § 369 ZPO), ist mit der hier in Frage stehenden gleichzeitigen Anhebung von zwei separaten Prozessen nicht vergleichbar, da der Kläger mit der Teilklage - wohl mit Hinblick auf die präjudizielle Wirkung des Urteils - auf einen Vollstreckungstitel für den Rest sei- ner Forderung und insoweit auf die Inanspruchnahme der Gerichte vorerst verzichtet. Dass die Arbeitsgerichtspräsidentin vorliegend die von der Klägerin angehobenen Klagen vereinigt hat, ist nach dem Gesagten nicht zu beanstanden, sondern war im Interesse einer straf- fen und beförderlichen Prozessleitung (§ 8 GOG; § 72 Abs. 1 ZPO) geboten. Da die Vereinigung unmittelbar bei Prozesseinleitung er- folgte, bestimmt sich der Streitwert des Verfahrens aufgrund des Ge- samtbetrages der eingeklagten Forderungen von Fr. 37'820.25, so- dass die Grenze der Gerichts- und Parteikostenfreiheit von Fr. 30'000.-- bzw. Fr. 20'000.-- (vgl. Art. 343 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 OR; § 369 Abs. 1 ZPO) überschritten wird. An der grundsätzlichen Kostenpflicht ändert auch nichts, dass heute - nachdem der Nicht- 2006 Zivilprozessrecht 41 eintretensentscheid der Vorinstanz vom 30. April 2004 in Bezug auf die Rückerstattung der Mehrwertssteuer von Fr. 13'534.15 in Rechts- kraft erwachsen ist - nur mehr die Rückerstattung der Sozialver- sicherungsbeiträge von Fr. 24'286.10 streitig ist (Erw. 2.2.1. hievor; BGE 115 II 30 Erw. 5b, 104 II 222 Erw. 2b; Staehelin/Vischer, Zür- cher Kommentar, Teilband V/2c, 3. Aufl., Zürich 1996, N 23 zu Art. 343 OR).
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AG_HG
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-6.html
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 1. Kammer HOR.2019.12 / ts / ts Art. 134 Urteil vom 3. Juli 2019 Besetzung Oberrichter Dubs, Präsident Ersatzrichter Boner Handelsrichterin Baumann Handelsrichter Felber Handelsrichter Gruntz Gerichtsschreiberin Schmutz Kläger A._, Beklagter 1 B._ genannt Bb._, Beklagter 2 C._, Beklagter 3 D._, 1, 2 und 3 vertreten durch lic. iur. Peter Krebs, Fürsprecher, Mellin- gerstrasse 207, 5405 Baden-Dättwil Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Übertragung Aktienzertifikate, Konven- tionalstrafe - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Der Kläger ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in Z. Die Beklagten sind natürliche Personen mit Wohnsitz in Y. (Beklagter 1), X. AG (Beklagter 2) und W. AG (Beklagter 3). 2. Mit Eingabe vom 12. März 2019 (Postaufgabe: gleichentags) hat der Kläger eine vom 28. Februar 2019 datierte "Anklageschrift" eingereicht. Diese hatte er am 1. März 2019 bereits beim Bezirksgericht Bremgarten einge- reicht. Mit Schreiben vom 4. März 2019 war dem Kläger vom Bezirksgericht Bremgarten mitgeteilt worden, dass seine Begehren gesellschaftsrechtli- che Fragen betreffen würden und das Bezirksgericht Bremgarten demzu- folge sachlich nicht zuständig sei (Klagebeilage [KB] 4). Die "Anklage- schrift" vom 28. Februar 2019 enthielt die folgenden Begehren: " 1. Das Handelsregisteramt des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3c, 5001 Aarau, sei anzuweisen, die Eintragung der am [Tag der GV] 2019 von der ausserordentlichen Generalversammlung Wahl der Revisionsstelle «E.» (Adresse der : [...]) bei der Beklagten F., V., nicht einzutragen. 2. Die Beklagte F., V. sei zu verpflichten, meinen Dividendenanteil für das Geschäftsjahr 2017 auf das ehemalige Lohnkonto von A. bei der Raiffeisenbank U. zu überweisen. 3. Die Beklagten Bb., C. und D. seien zu verpflichten, 3.1. Dem Kläger ihre Aktienzertifikate zu überschreiben a. Bb. Aktienzertifikat Nr. 1, 170 Aktien b. C., Aktienzertifikat Nr. 2, 140 Aktien c. D., Aktienzertifikat Nr. 4, 50 Aktien 3.2. Dem Kläger sind zusätzlich zwei Mal CHF 50'000.- (=CHF 100'000.-) Konventionalstrafe pro Aktionär bzw. den Beklagten in Rechnung zu stellen. Das ergibt total CHF 300'000.-. 4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zuzüglich MWST) der Beklagten." Verfahrensantrag: 5. - 3 - Das Handelsregisteramt sei anzuweisen, A. Einsicht in die und in die Belege zu gewähren, indem das ihm – vorerst – Kopien dieser Unterlagen zustellt. Eventualiter sei ihm die Einsichtnahme auf dem zu gewähren (Art. 162 Abs. 2 HRegV)." 3. Die Rechtsbegehren Ziff. 3.1. und 3.2. wurden im vorliegenden Verfahren zusammengefasst. Für die restlichen Rechtsbegehren wurden separate Verfahren eröffnet (HSU.2019.38 für die Rechtsbegehren Ziff. 1. und 5. so- wie HOR.2019.13 für das Rechtsbegehren Ziff. 2.). Mit Verfügung vom 18. März 2019 wurde den Parteien der Eingang der Klage (Rechtsbegehren Ziff. 3.1. und 3.2.) bestätigt und der Kläger aufge- fordert, bis zum 5. April 2019 einen Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 2'000.00 zu bezahlen. Zudem wurde der Kläger aufgefordert, zwei wei- tere (identische) Exemplare der Klage (inkl. Beilagen) vom 28. Februar 2019 einzureichen, wobei angedroht wurde, dass die fehlenden Kopien im Säumnisfall vom Gericht auf Kosten des Klägers angefertigt würden. 4. Mit Verfügung vom 11. April 2019 wurde dem Kläger nach Abweisung sei- nes Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege erneut eine Frist von 5 Tagen zur Leistung des Kostenvorschusses angesetzt. Innert Frist leistete der Kläger den Kostenvorschuss nicht. 5. Mit Verfügung vom 6. Mai 2019 wurde dem Kläger eine letzte Frist von 5 Tagen zur Leistung des Kostenvorschusses von Fr. 2'000.00 angesetzt. Die Fristansetzung wurde mit der Androhung verbunden, dass bei erneuter Säumnis auf die Klage nicht eingetreten würde. Der Kläger hat auch innert der Nachfrist den Kostenvorschuss nicht bezahlt. 6. Mit Verfügung vom 5. Juni 2019 wurde die Streitsache an das Handelsge- richt überwiesen und das Handelsgericht bestellt. 7. Mit Eingabe vom 7. Juni 2019 (Postaufgabe: gleichentags) stellten die Be- klagten den Antrag, die Kosten des Verfahrens seien dem Kläger aufzuer- legen und den Beklagten sei eine Parteientschädigung in Höhe von Fr. 5'198.25 (inkl. MWST) zuzusprechen. - 4 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Das Gericht kann von der klagenden Partei einen Vorschuss bis zur Höhe der mutmasslichen Gerichtskosten verlangen, wobei es eine Frist zur Leis- tung des Kostenvorschusses ansetzt (Art. 98 und 101 Abs. 1 ZPO). Ge- mäss Art. 101 Abs. 3 ZPO tritt das Gericht auf die Klage nicht ein, wenn der eingeforderte Kostenvorschuss für die Gerichtskosten auch innert einer Nachfrist nicht geleistet wird (vgl. auch Art. 59 Abs. 1 und 2 lit. f ZPO). 2. Der Kläger blieb mit der Zahlung des Kostenvorschusses innert der mit Ver- fügungen vom 18. März 2019 bzw. 11. April 2019 angesetzten Fristen säu- mig. Deshalb wurde ihm mit Verfügung vom 6. Mai 2019 eine Nachfrist zur Leistung des Kostenvorschusses angesetzt, verbunden mit der Androhung, dass im Säumnisfall auf die Klage nicht eingetreten würde. Weil der Kläger den Kostenvorschuss auch innert der ihm angesetzten Nachfrist nicht geleistet hat, ist androhungsgemäss auf die Klage nicht ein- zutreten. 3. 3.1. Gemäss Art. 106 Abs. 1 ZPO werden die Prozesskosten der unterliegen- den Partei auferlegt. Bei Nichteintreten gilt die klagende Partei als unterlie- gend. 3.2. Die Prozesskosten bestimmen sich nach dem Streitwert, welcher sich nach dem Rechtsbegehren richtet. Lautet das Rechtsbegehren nicht auf eine be- stimmte Geldsumme, setzt das Gericht den Streitwert fest, sofern sich die Parteien darüber nicht einigen oder ihre Angaben offensichtlich unrichtig sind (Art. 91 ZPO). Der Kläger beziffert den Streitwert für sein Rechtsbegehren Ziff. 3.1. auf Fr. 8'514'544.68 ("Anklageschrift" vom 28. Februar 2019, S. 9). Die Streit- wertberechnung des Klägers basiert auf dem Steuerwert der F. für das Jahr 2017 in der Höhe von Fr. 11'825'755.18. Der Kläger behauptet, dass der tatsächliche Unternehmenswert der F. mit rund Fr. 16.3 Millionen noch hö- her gewesen sei ("Anklageschrift" vom 28. Februar 2019, S. 9). Zugunsten des Klägers ist für die Streitwertberechnung allerdings vom tieferen Steu- erwert auszugehen. Mit Rechtsbegehren Ziff. 3.1. verlangt der Kläger die Übertragung von 72% der Aktien an der F., woraus sich ein Streitwert von rund Fr. 8'514'544.00 für das Rechtsbegehren Ziff. 3.1. ergibt. - 5 - Das Rechtsbegehren Ziff. 3.2. lautet auf eine bestimmte Geldsumme (Fr. 300'000.00), womit der Streitwert Fr. 300'000.00 beträgt. Total ergibt sich ein Streitwert von Fr. 8'814'544.00 für die im vorliegenden Verfahren zu behandelnden Rechtsbegehren Ziff. 3.1. und 3.2. 3.3. Der Grundansatz der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO) beträgt gestützt auf § 7 Abs. 1 VKD (SAR 221.150) Fr. 54'713.63. Bei diesem Ver- fahrensausgang (Nichteintreten infolge Nichtleistung des Kostenvorschus- ses) kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise ver- zichtet werden (§ 13 Abs. 1 VKD). Der Kläger hat das Handelsgericht des Kantons Aargau angerufen, weil das Bezirksgericht Bremgarten ihm mit Schreiben vom 4. März 2019 mit- geteilt hat, dass seine "Anklageschrift" vom 28. Februar 2019 ausschliess- lich gesellschaftsrechtliche Fragen betreffe, welche unter das Recht der Handelsgesellschaften gemäss Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO zu subsumieren seien, weshalb das Bezirksgericht Bremgarten für die eingegangene "An- klageschrift" sachlich unzuständig sei (vgl. Begleitschreiben des Klägers zur Klage vom 12. März 2019). Damit hat das Bezirksgericht Bremgarten nach Ansicht des Handelsgerichts des Kantons Aargau zumindest teilweise eine falsche Auskunft erteilt. Die Rechtsbegehren Ziff. 3.1. und 3.2. betref- fen keine gesellschaftsrechtlichen, sondern vertragsrechtliche Fragen.1 Da es sich bei sämtlichen Parteien im vorliegenden Verfahren um natürliche Personen handelt, liegt keine handelsrechtliche Streitigkeit i.S.v. Art. 6 Abs. 1 - 3 ZPO vor und auf die Klage wäre somit auch bei rechtzeitiger Leistung des Kostenvorschusses mangels sachlicher Zuständigkeit des Handelsgerichts nicht einzutreten gewesen. Weil dem Kläger diesbezüglich eine falsche Auskunft erteilt wurde, würde es sich grundsätzlich rechtferti- gen, auf die Erhebung von Gerichtskosten gänzlich zu verzichten. Allerdings wurde der Kläger mit Verfügung vom 18. März 2019 in Anwen- dung von Art. 131 ZPO aufgefordert, zwei weitere Exemplare seiner Ein- gabe einzureichen. Damit wurde die Androhung verbunden, dass die Ko- pien im Säumnisfall auf seine Kosten erstellt würden. Innert Frist hat der Kläger keine weiteren Exemplare eingereicht. Es sind ihm deshalb die Kos- ten für den Kopieraufwand aufzuerlegen. Gemäss § 26 VKD i.V.m. § 1 Abs. 1 lit. c der Verordnung über die Kanzleigebühren (SAR 661.113) wer- den für Kopien Fr. 1.00 pro kopierte A4-Seite fällig. Die eingereichte "An- klageschrift" umfasste inkl. Beilagen 151 Seiten. Für die zwei eingeforder- ten Exemplare sind dem Kläger somit 302 kopierte A4-Seiten, d.h. Fr. 302.00, zu verrechnen. Weil auf die Klage nicht einzutreten ist und diese 1 Vgl. HGer ZH vom 6. Oktober 2011, ZR 2012, Nr. 9, E. 6 und VETTER, Kommentar zur Schweizeri- schen Zivilprozessordnung (ZPO), Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), 3. Auflage 2016, Art. 6 N. 36, wonach Streitigkeiten aus einem Aktionärbindungsvertrag unter Vorbehalt von Art. 6 Abs. 1 und 2 ZPO nicht in die handelsgerichtliche Zuständigkeit fallen. - 6 - der Gegenseite somit nicht zugestellt wird, ist dem Kläger das überzählige Exemplar zur weiteren Verwendung zur Verfügung zu stellen. Das Akten- exemplar verbleibt beim Handelsgericht. 3.4. Die Beklagten 1 - 3 haben für die Führung des vorliegenden Verfahrens einen Rechtsvertreter bevollmächtigt. Sie fordern mit Eingabe vom 7. Juni 2019 die Zusprechung einer Parteientschädigung in Höhe von Fr. 5'198.25 (inkl. MWST). Laut Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO dient die Parteientschädigung insbesondere der Tragung der Kosten einer berufsmässigen Vertretung. Den Beklagten ist die Klageschrift allerdings noch nicht zugestellt worden. Entsprechend ist ihnen bis zum heutigen Zeitpunkt noch kein Aufwand ent- standen, der zu einer Entschädigung berechtigen würde. Den Beklagten ist deshalb praxisgemäss keine Parteientschädigung zuzusprechen. Das Handelsgericht erkennt: 1. Auf die Klage vom 28. Februar 2019 bzw. 12. März 2019 (Rechtsbegehren Ziff. 3.1. und 3.2.) wird nicht eingetreten. 2. Die Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 302.00 werden dem Kläger aufer- legt. 3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. Zustellung an: den Kläger (mit Einzahlungsschein und Eingabe der Beklagten vom 7. Juni 2019 sowie einem Exemplar der Eingabe vom 12. März 2019 bzw. vom 28. Februar 2019 [inkl. Beilagen]) die Beklagten (Vertreter; vierfach) 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. - 7 - Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 3. Juli 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: Dubs Schmutz
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https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_3._Juli_2019.pdf
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2004 Obergericht/Handelsgericht 64 [...] 17 Art. 8 BGFA; Unabhängigkeit; Verpflichtung, Unterlagen beizubringen Verpflichtung des Anwalts, der Anwaltskommission die für die Überprü- fung der Unabhängigkeit notwendigen Unterlagen einzureichen. Entscheid der Anwaltskommission vom 21. Oktober 2004 i.S. A. R. Aus den Erwägungen 3. a) Der Gesuchsteller wurde von der Anwaltskommission mit Schreiben vom 20. April 2004 auf die Bedeutung der Unabhängigkeit des Anwalts für die Registereintragung und deren Aufrechterhaltung aufmerksam gemacht und unter Hinweis auf die neuere Rechtsprechung aufgefordert, vollständige Angaben über sein Ar- beitsverhältnis zu machen und diesbezüglich relevante Unterlagen einzureichen. Das Urteil des Bundesgerichts vom 29. Januar 2004 (BGE 130 II 87 ff.) wurde dabei explizit erwähnt und stellenweise sogar zitiert. In der Verfügung vom 28. Mai 2004 wies die Anwalts- kommission nochmals auf die vorliegend zentralen Punkte hin. Sie betonte insbesondere die Wichtigkeit der Ausgestaltung des Ange- stellten-Arbeitsverhältnisses sowie die im Hinblick auf die selbstän- dige Tätigkeit getroffenen organisatorischen Vorkehrungen. Ab- schliessend setzte sie dem Gesuchsteller Frist, zu den angesproche- nen Punkten, d.h. zur Frage seiner Unabhängigkeit, zur Weiterfüh- rung seines Anstellungsverhältnisses und einer allfälligen Löschung im Anwaltsregister Stellung zu nehmen. b) [...] 2004 Zivilprozessrecht 65 c) Insgesamt lässt sich feststellen, dass es der Gesuchsteller während des ganzen Verfahrens trotz mehrmaliger Aufforderung und Hinweis auf die geltende Bundesgerichtspraxis sowie die Praxis der Anwaltskommission des Kantons Aargau unterlassen hat, in Bezug auf die Frage seiner anwaltlichen Unabhängigkeit für klare Verhält- nisse zu sorgen. Den erforderlichen Nachweis, dass die Ausgestal- tung seines Arbeitsverhältnisses und die im Hinblick auf die selb- ständige Tätigkeit getroffenen organisatorischen Vorkehren eine Be- einflussung durch die Interessen des [Arbeitgebers] verunmöglichen und auch sonst der korrekten Ausübung des Anwaltsmandats in kei- ner Weise entgegenstehen, hat er damit nicht erbracht. Es kann nicht Aufgabe der Anwaltskommission sein, dem Gesuchsteller - selber Rechtsanwalt - sämtliche relevanten Angaben und erforderlichen Unterlagen einzeln aufzuzeigen und diese unter namentlicher Nen- nung einzuverlangen. Er erfüllt demnach die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Registereintrags nicht, weshalb der Eintrag im Anwaltsregister zu löschen ist (Art. 9 BGFA; vgl. BGE 130 II 87 Erw. 7; Urteil des Bundesgerichts 2A.126/2003 vom 13. April 2004, Erw. 5.2).
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2005 Obergericht 74 15 § 230 StPO Das Rechtsmittel der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäss §§ 230 ff. StPO ist auf Sachurteile zugeschnitten. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Wiederaufnahme aber auch gegen (rechtskräftige) Prozessurteile zulässig, wenn ein klassischer Revisionsgrund vorliegt. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 18. August 2005 in Sachen K. M. W.-K. gegen K. C. Aus den Erwägungen 2.2. Das Rechtsmittel der Wiederaufnahme ist nach dem Wort- laut von § 230 StPO, insbesondere auch im Zusammenhang mit § 234 StPO, auf Sachurteile zugeschnitten (BGE 127 I 137). Auch wenn der in der genannten Bestimmung verwendete Begriff des Strafurteils praxisgemäss nicht eng zu fassen ist, sind darunter doch nur Urteile zu subsumieren, die für den Verurteilten in irgend einer Weise pönalen Charakter haben (vgl. Brühlmeier, Aargauische Straf- prozessordnung, Kommentar, 2. Aufl., Aarau 1980, S. 382 N 3, 6). Liegt kein solches Urteil vor, ist zu prüfen, ob unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung ein Anspruch auf Wiederaufnahme des Verfah- rens besteht (BGE 127 I 137). Nach der unter Art. 4 aBV entwickelten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die unter Art. 29 Abs. 1 und 2 BV ihre Gültigkeit behält (vgl. Botschaft über die neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 1 ff., S. 181 f.), ist eine Verwaltungsbehörde von Verfassungs wegen verpflichtet, auf einen rechtskräftigen Entscheid zurückzukommen und eine neue Prüfung vorzunehmen, wenn ein klassischer Revi- sionsgrund vorliegt. Dies ist der Fall, wenn der Gesuchsteller er- hebliche Tatsachen oder Beweismittel anführt, die ihm im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu ma- chen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder keine Ver- anlassung bestand. Diese Praxis ist auch auf das Strafverfahren an- wendbar (BGE 127 I 137 f. m.w.H.). 2005 Strafprozessrecht 75 3. Vorliegend wurde weder mit Beschluss des Bezirksgerichts Aarau vom 23. Mai 2001 noch im angefochtenen Urteil des Oberge- richts vom 26. Oktober 2001 ein Sachurteil bzw. ein Urteil pönalen Charakters gefällt: Das Bezirksgericht Aarau stellte das Verfahren mangels gültigen Strafantrags ein, was von der Gesuchstellerin nicht angefochten wurde. Das Obergericht befand damit nur noch über die verbleibende strittige Frage der erstinstanzlichen Kostenverteilung. Das Rechtsmittel der Wiederaufnahme nach §§ 230 ff. StPO ist folg- lich nicht gegeben. Auch auf die Verfahrensgarantie nach Art. 29 Abs. 1 BV kann sich die Gesuchstellerin nicht berufen, da sie keinen klassischen Revisionsgrund geltend macht. Sie schildert in ihrer Eingabe im We- sentlichen den im Hinblick auf die Urteile vom 23. Mai 2001 und 26. Oktober 2001 erfolgten Verfahrensablauf sowie die (angeblichen) Verfahrensfehler und rügt u.a. eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Weiter führt sie aus, die Behauptung des Oberge- richts, wonach sie selbst durch das späte Stellen des Strafantrags das mit einem formellen Mangel behaftete Strafverfahren veranlasst habe, sei falsch. Neue Tatsachen zum Sachverhalt - nur solche kön- nen zur Wiederaufnahme des Verfahrens führen (vgl. Gass, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, Basel 2003, N 59 zu Art. 397 StGB) - bringt sie hingegen (ebenso wenig wie neue Beweismittel) nicht vor. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens fällt somit auch gestützt auf Art. 29 Abs. 1 BV ausser Be- tracht, denn dieses Rechtsmittel bezweckt nicht die Behebung rechtlicher Mängel des früheren Verfahrens und Urteils, sondern lediglich die Korrektur des früher unrichtig angenommenen Sachver- halts (vgl. Brühlmeier, a.a.O., S. 383 N 3). Die Gesuchstellerin hätte ihre Rügen im Anschluss an das Berufungsverfahren vor Obergericht innert Frist beim Bundesgericht geltend machen müssen (im Gegen- satz zum in BGE 127 I 133 ff. behandelten Fall wurde ihr der ordentliche Instanzenzug nicht verunmöglicht). Zusammenfassend ist demnach festzustellen, dass das Rechts- mittel der Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegend nicht zulässig ist. Demnach ist auf das Wiederaufnahmegesuch der Gesuchstellerin nicht einzutreten.
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AG_HG_001_AGVE-2005-15_2005-08-01
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Microsoft Word - Entscheid vom 1. April 2019.docx Handelsgericht 1. Kammer HOR.2018.54 / ts / ts Art. 60 Urteil vom 1. April 2019 Besetzung Oberrichter Dubs, Präsident Ersatzrichter Boner Handelsrichterin Baumann Gerichtsschreiberin Schmutz Klägerin A._, vertreten durch lic. iur. Carmen De La Cruz Böhringer und MLaw Boris , Rechtsanwältin, Industriestrasse 7, 6300 Zug Beklagter B._, Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung aus Urheberrecht: - und Netzwerkvergütungen - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Genossenschaft mit Sitz in Y. Sie bezweckt die der Rechte der Urheber, Urheberinnen, Verlage und anderer bzw. Rechtsinhaberinnen von literarischen und dramatischen sowie von Werken der bildenden Kunst und der Photographie, soweit ihr diese Rechte vertraglich zur kollektiven Wahrnehmung anvertraut . Gemäss Bewilligung des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum (nachfolgend: "IGE") ist die Klägerin berechtigt, die Vergütungsansprüche gemäss dem Urheberrechtsgesetz für die Jahre 2013 bis 2022 geltend zu machen (Klagebeilage [KB] 2). 2. Der Beklagte ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in Z. Er betreibt unter der Firma "C." ein Einzelunternehmen in Z. Dieses bezweckt Beratungen und Planungen in den Bereichen Innenarchitektur und Kommunikation (KB 3). 3. Nachdem die Klägerin mangels Retournierung des Erhebungsbogens eine Schätzung des Beklagten vorgenommen hatte und diese Schätzung vom Beklagten nicht innert 30 Tagen beanstandet worden war (Klage Rz. 8), stellte die Klägerin dem Beklagten folgende Beträge in Rechnung (KB 4): Rechnung Nr. 19153706 vom 7. April 2017: Fr. 26.15; Rechnung Nr. 19219504 vom 5. April 2018: Fr. 26.15. 4. Mit Schreiben vom 28. September 2018 mahnte die Klägerin die Forderungen von insgesamt Fr. 52.30 und forderte den Beklagten auf, den offenen Betrag bis spätestens am 8. Oktober 2018 zu überweisen (KB 6). 5. Mit Klage vom 12. Dezember 2018 (gleichentags elektronisch übermittelt) stellte die Klägerin die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Die beklagte Partei sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 26.15 gemäss den Forderungen aus dem Jahre 2017 zu bezahlen, zzgl. Zins seit 09.10.2018. 2. - 3 - Die beklagte Partei sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 26.15 gemäss den Forderungen aus dem Jahre 2018 zu bezahlen, zzgl. Zins seit 09.10.2018. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zuzüglich MwSt. zu Lasten der beklagten Partei." Zur Begründung führte die Klägerin im Wesentlichen aus, es handle sich um Ansprüche aus unbezahlten Forderungen basierend auf der Vergütungspflicht des Beklagten, die auf den Gemeinsamen Tarifen (GT) 8 VI resp. VII (Reprografie im Dienstleistungsbereich) und 9 VI resp. VII (Nutzung von geschützten Werken und geschützten Leistungen in elektronischer Form zum Eigengebrauch mittels betriebsinternen im Dienstleistungsbereich) beruhten (GT 8 VII vgl. KB 5). 6. Nachdem die Klägerin den Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 905.00 hatte, stellte der Präsident des Handelsgerichts dem Beklagten das Doppel der Klage inklusive Beilagen mit Verfügung vom 4. Januar 2019 zu und setzte ihm eine Frist an zur Erstattung einer schriftlichen Antwort bis zum 6. Februar 2019. 7. Der Beklagte erstattete innert der angesetzten Frist keine Antwort. Daher setzte ihm der Präsident des Handelsgerichts mit Verfügung vom 11. 2019 zur Erstattung einer schriftlichen Antwort eine letzte, nicht Frist von 10 Tagen an. Damit war die Androhung verbunden, dass das Gericht bei erneuter Säumnis einen Endentscheid fälle, sofern die spruchreif sei, oder zur Hauptverhandlung vorlade (vgl. Art. 223 ZPO). Die Beklagte blieb auch innert der angesetzten Nachfrist mit der Antwort säumig. 8. Mit Verfügung vom 7. März 2019 wurde die Streitsache an das überwiesen. - 4 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 60 ZPO). Darunter fallen insbesondere die örtliche und die sachliche des angerufenen Gerichts. 1.1. Örtliche Zuständigkeit Für Klagen aus dem Bereich einer geschäftlichen oder beruflichen oder einer Zweigniederlassung ist laut Art. 12 ZPO das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder am Ort der Niederlassung zuständig. In den Anwendungsbereich von Art. 12 ZPO gehört unter die berufliche oder geschäftliche Niederlassung einer natürlichen oder einer Einzelfirma.1 Laut Auszug aus dem Handelsregister hat der Beklagte Wohnsitz in Z. und betreibt gleichenorts eine Einzelfirma (KB 3). Dementsprechend sind die aargauischen Gerichte örtlich zuständig. 1.2. Sachliche Zuständigkeit Aus Art. 6 Abs. 4 lit. a ZPO i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a ZPO i.V.m. § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO ergibt sich die Zuständigkeit des Handelsgerichts für Streitigkeiten. Folglich ist die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts gegeben. Da der Streitwert die für die Zulässigkeit der in Zivilsachen an das Bundesgericht vorgeschriebene Höhe von Fr. 30'000.00 nicht erreicht (vgl. Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG), entscheidet das Handelsgericht in Dreierbesetzung (§ 3 Abs. 6 lit. b GOG). 2. Versäumte Klageantwort Der Beklagte ist mit der Erstattung einer Klageantwort auch innert der ihm gestützt auf Art. 223 Abs. 1 ZPO angesetzten Nachfrist säumig geblieben. Bei zweimaliger Säumnis erlässt das Gericht entweder einen , sofern die Angelegenheit spruchreif ist, oder es lädt zur vor (Art. 223 Abs. 2 ZPO). Die in der Klageschrift vorgebrachten Tatsachenbehauptungen sind (formell) unbestritten geblieben. Anerkannt sind damit die Tatsachen, nicht aber die klägerischen Rechtsbegehren. Bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit einer nicht streitigen Tatsache, d.h. bei fehlender , kann das Gericht nach Art. 153 Abs. 2 ZPO von Amtes wegen Beweis erheben. Diesfalls hat es in der Regel eine Verhandlung anzusetzen. 1 LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2016, Rz. 2.57 mit . - 5 - Ist die Angelegenheit hingegen spruchreif, trifft das Gericht direkt einen . Hierzu muss die Klage soweit geklärt sein, dass darauf Prozessvoraussetzungen nicht eingetreten oder sie durch Sachurteil erledigt werden kann. Dies setzt voraus, dass die Vorbringen der Klägerin nicht unklar, widersprüchlich, unbestimmt oder offensichtlich unvollständig sind, weil das Gericht andernfalls seine Fragepflicht ausüben müsste.2 3. Aktiv- und Passivlegitimation 3.1. Die Klägerin behauptet, sie sei eine konzessionierte im Sinne von Art. 40 ff. URG, besitze eine Bewilligung des IGE für die Geltendmachung der gesetzlichen Vergütungsansprüche und sei somit aktivlegitimiert (KB 2, Klage Rz. 2). Der Beklagte sei gestützt auf Art. 19 f. URG verpflichtet, für seine urheberrechtlichen Nutzungen eine Vergütung zu bezahlen. Er sei trotz wiederholter Mahnungen seiner Zahlungspflicht nicht nachgekommen und deshalb hinsichtlich der eingeklagten passivlegitimiert (Klage Rz. 3) 3.2. Gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. c URG dürfen veröffentlichte Werke zum verwendet werden. Darunter fällt das Vervielfältigen (inkl. die Verbreitung und das Zugänglichmachen über ein betriebsinternes Netzwerk) von Werkexemplaren in Betrieben, öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen für die interne oder Dokumentation. Der Betriebsbegriff ist weit auszulegen. Eine Rechtspersönlichkeit oder Betriebsstätte ist dazu nicht notwendig.3 Erfasst wird somit die gesamte Berufs- und Arbeitswelt, egal ob öffentlich oder , von den Selbstständigerwerbenden über Beamte, Verbände, bis zu den internationalen Konzernen.4 Weiter bestimmt Art. 20 Abs. 2 URG, dass dem Urheber oder der Urheberin hierfür eine schuldet, wer nach Art. 19 Abs. 1 lit. c URG Werke auf Art vervielfältigt. Gemäss Art. 20 Abs. 4 URG können diese nur kollektiv von Verwertungsgesellschaften werden, die über eine Bewilligung im Sinne von Art. 40 ff. URG des IGE verfügen. Die Verwertungsgesellschaften sind nach Art. 44 URG , die zu ihrem Tätigkeitsgebiet gehörenden Rechte wahrzunehmen. Dazu stellen die Verwertungsgesellschaften für die von ihnen geforderten Vergütungen gemäss Art. 46 Abs. 1 URG Tarife auf. Sind mehrere im gleichen Nutzungsbereich tätig, so stellen sie sog. 2 Zum Ganzen: LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 223 N. 5 und 7; BSK ZPO-, 3. Aufl. 2017, Art. 223 N. 18 ff. 3 SHK URG-GASSER, 2. Aufl. 2012, Art. 19 N. 19, 21; REHBINDER/VIGANÒ, URG Kommentar, 3. Aufl. 2008, Art. 19 N. 26. 4 BARRELET/EGLOFF, Das neue Urheberrecht, Kommentar zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, 3. Aufl. 2008, Art. 19 N. 16. - 6 - gemeinsame Tarife (GT) auf und bezeichnen eine gemeinsame Zahlstelle (Art. 47 Abs. 1 URG). Gemäss Art. 46 Abs. 3 URG sind die Tarife der Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK) im Sinne von Art. 55 URG zur vorzulegen und nach Genehmigung zu veröffentlichen. Im Dienstleistungsbereich wurde dazu insbesondere der GT 8 VII (: 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2021) für die Reprografie aufgestellt.5 3.3. Die Klägerin ist eine vom IGE bewilligte Verwertungsgesellschaft im Sinne von Art. 40 ff. URG (KB 2). Laut Ziff. 4 GT 8 VII ist die Klägerin Vertreterin des Tarifs und gemeinsame Zahlstelle der Verwertungsgesellschaften (KB 5, S. 6). Folglich kommen ihr das Recht und die Pflicht zu, die Rechte der Urheberinnen und Urheber und damit deren Vergütungsansprüche und nötigenfalls durchzusetzen. Die Klägerin ist somit . Der Beklagte ist Inhaber eines Einzelunternehmens, das Beratungen und Planungen in den Bereichen Innenarchitektur und Kommunikation (KB 3). Damit wird er vom Betriebsbegriff des Art. 19 Abs. 1 lit. c URG erfasst und schuldet dem Urheber oder der Urheberin nach Art. 20 Abs. 2 URG für die Vervielfältigung von Werkexemplaren grundsätzlich eine Vergütung. Laut Zweckumschreibung ist der Beklagte mit seinem im Dienstleistungsbereich tätig (KB 3). Gemäss Ziff. 2.1 GT 8 VII bezieht sich der Tarif auch auf den Dienstleistungsbereich und deckt unter anderem die Branchen "Wirtschafts- und " sowie "übrige Dienstleistungen" ab (vgl. KB 5). Der Beklagte als wird damit vom GT 8 VII erfasst und ist folglich . 4. Vergütungsanspruch 4.1. Die Klägerin behauptet, sie habe die Fotokopiervergütung des Beklagten gestützt auf Ziff. 6 ff. und insbesondere Ziff. 8.3 GT 8 VI und VII sowie Ziff. 8.3 GT 9 VI und VII eingeschätzt, weil er das Erhebungsformular nicht ausgefüllt zurückgesandt habe. Der Beklagte habe diese Einschätzung nicht beanstandet, weshalb sie als anerkannt gelte (Klage Rz. 8). Nachdem der Beklagte den offenen Betrag der beigelegten Rechnungen (KB 4) trotz mehrmaliger Aufforderung nicht beglichen habe, habe ihn die Klägerin nochmals gemahnt. Wiederum habe der Beklagte keine Zahlung geleistet (KB 6; Klage Rz. 9). Auch auf eine weitere schriftliche und mündliche Zah- 5 Vgl. dazu auch SHK URG-GASSER (Fn. 3), Art. 20 N. 11. - 7 - lungsaufforderung durch die Rechtsvertreter der Klägerin sei keine erfolgt. Insgesamt belaufe sich der offene Rechnungsbetrag auf Fr. 52.30 (Klage Rz. 10; KB 4). 4.2. Tatsächlich hat die Klägerin dem Beklagten mit Faktura Nr. 19153706 vom 7. April 2017 und Faktura Nr. 19219504 vom 5. April 2018 jeweils lediglich die Fotokopier-Vergütungen von je Fr. 26.15 in Rechnung gestellt. Sie stützte sich dabei jeweils auf den GT 8 VII. Der in Art. 20 Abs. 2 URG Vergütungsanspruch der Urheberinnen und Urheber wird unter vom GT 8 VII (Gültigkeitsdauer: 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2021) konkretisiert. Der Tarif ist für die Gerichte grundsätzlich verbindlich.6 Art. 51 Abs. 1 URG sowie Ziff. 8.4 GT 8 VII sehen eine Auskunftspflicht der Nutzer gegenüber den Verwertungsgesellschaften vor. Die Nutzer müssen demnach den Verwertungsgesellschaften alle Auskünfte erteilen, welche diese für die Gestaltung und die Anwendung des Tarifs benötigen, soweit es ihnen zuzumuten ist. Ziff. 8.2 GT 8 VII sieht dazu vor, dass die Angaben mittels Erhebungsbogen erfasst werden. Dieser muss innert 30 Tagen nach Aufforderung mit den notwendigen Angaben an die Klägerin retourniert werden. Werden die notwendigen Angaben nach einer schriftlichen Mahnung auch innert Nachfrist nicht eingereicht, kann die Klägerin die Angaben schätzen und gestützt darauf Rechnung stellen (Ziff. 8.3 GT 8 VII). Gibt der Nutzer die für die Berechnung notwendigen Angaben innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Schätzung nicht schriftlich bekannt, gilt die Schätzung als anerkannt. 4.3. Die klägerische Behauptung, die Einschätzung des Beklagten sei aufgrund des fehlenden Eingangs des Erhebungsformulars erfolgt, blieb . Weil der Beklagte seiner Auskunftspflicht nicht nachkam, war die berechtigt, ihn einzuschätzen. Die Rechnungen der Klägerin (KB 4) wurden vom Beklagten nicht . Die Klägerin stützt die geltend gemachten Vergütungsansprüche auf Ziff. 6.4.27 GT 8 VII (KB 4). Dabei handelt es sich um den Ansatz für " Dienstleistungsunternehmen". Da dieser Satz gleich hoch ist wie jener für "Wirtschafts- und Unternehmensberatung" (vgl. Ziff. 6.4.3 GT 8 VII), kann auf den Ansatz gemäss Ziff. 6.3.27 GT 8 VII ("Übrige ") abgestellt werden. Gestützt darauf sind die Berechnungen der Klägerin für ihre Forderungen aus den Jahren 2017 und 2018 korrekt 6 BGE 125 III 141 E. 4a; BGer 4A_203/2015 vom 30. Juni 2015 E. 3.3. - 8 - und der Klägerin ist der eingeklagte Betrag von total Fr. 52.30 . 5. Verzugszinsen 5.1. Die Klägerin verlangt zudem Verzugszinsen von 5 % auf Fr. 52.30 seit 9. Oktober 2018. 5.2. Der Schuldner hat Verzugszins von 5 % zu leisten, wenn er sich mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug befindet (Art. 104 Abs. 1 OR). setzt die Fälligkeit der Forderung voraus (Art. 102 Abs. 1 OR). Fällig ist eine Forderung dann, wenn deren Gläubiger die Leistung fordern und einklagen darf. Dabei gilt der Grundsatz, dass eine Forderung sofort fällig wird, sofern nichts anderes verabredet wurde oder sich aus der Natur des Rechtsverhältnisses ergibt (Art. 75 OR). Der Schuldner einer fälligen Forderung gerät entweder durch Mahnung (Art. 102 Abs. 1 OR) oder, sofern die Parteien einen bestimmten Verfalltag verabredet haben, schon mit dessen Ablauf (Art. 102 Abs. 2 OR) in Verzug. Praxisgemäss gerät er auch mit Ablauf einer in einer Rechnung gesetzten Zahlungsfrist, wie beispielsweise „zahlbar 30 Tage netto“, ohne weitere Mahnung in Verzug.7 5.3. Die Klägerin verlangt Verzugszins ab 9. Oktober 2018. Sie stellt damit auf den Tag nach Ablauf der mit Mahnung vom 28. September 2018 gesetzten Zahlungsfrist ab (KB 6). Da die entsprechenden Rechnungen innerhalb von 30 Tagen zahlbar waren (KB 4), fiel der Beklagte jeweils bereits ab dem 31. Tag in Verzug. Der Verzugsbeginn liegt folglich jeweils vor dem von der Klägerin geforderten Beginn des Zinsenlaufs. In Anwendung der (Art. 58 Abs. 1 ZPO) sind der Klägerin die beantragten zuzusprechen. 6. Kosten Abschliessend sind die Kosten entsprechend dem Verfahrensausgang zu verlegen. Sie bestehen aus den Gerichtskosten und der (Art. 95 Abs. 1 ZPO). Die Klägerin obsiegt vollumfänglich. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Prozesskosten antragsgemäss dem aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). 7 AGVE 2003, S. 38; BSK OR I-WIEGAND, 6. Aufl. 2015, Art. 102 N. 9; BK OR-WEBER, 2000, Art. 102 N. 115 m.w.N.; KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht: Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2009, S. 882 N. 33. - 9 - 6.1. Die Gerichtskosten bestehen einzig aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO). Der Grundansatz für die Gerichtsgebühr beträgt bei Streitwert von Fr. 52.30 (Zinsen werden nicht mitgerechnet [Art. 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO]) gestützt auf § 7 Abs. 1 VKD rund Fr. 905.00. Die sind ausgangsgemäss vom Beklagten zu tragen und werden mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 905.00 (Art. 111 Abs. 1 ZPO). Der Beklagte hat der Klägerin die von Fr. 905.00 direkt zu ersetzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). 6.2. Die Parteientschädigung besteht aus den Kosten der berufsmässigen der Parteien (Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO). Bei ihrer Festsetzung ist von den kantonalen Tarifen auszugehen (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 96 ZPO). Gemäss § 3 ff. AnwT bemisst sich die Parteientschädigung grundsätzlich nach dem Streitwert. Dieser beträgt vorliegend Fr. 52.30. Die beläuft sich auf Fr. 1'121.51 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 AnwT), eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen abgegolten sind (§ 6 Abs. 1 AnwT). Dem eingesparten Aufwand der behördlichen Verhandlung wird praxisgemäss mit einem Abschlag von 20 % Rechnung getragen (§ 6 Abs. 3 AnwT). Hinzu kommt der pauschale Auslagenersatz von praxisgemäss rund 3 % (§ 13 AnwT). Es resultiert eine Parteientschädigung von gerundet Fr. 924.00. Dem klägerischen Antrag auf Zusprechung des Mehrwertsteuerzuschlags ist nicht zu entsprechen. Die Klägerin ist gemäss UID-Register8 selber mehrwertsteuerpflichtig. Sie kann die ihren Anwälten bezahlte als Vorsteuer von ihrer eigenen Mehrwertsteuerrechnung in Abzug bringen (Art. 28 MWSTG).9 Die Mehrwertsteuer stellt somit keinen Kostenfaktor dar und ist bei der Bemessung der Parteientschädigung nicht zu berücksichtigen. 8 Vgl. https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-108.028.505, zuletzt besucht am 1. April 2019. 9 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Partei- entschädigung der Gerichte des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: https://www.ag.ch/media/ kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (zuletzt besucht am 1. April 2019). https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-108.028.505, https://www.ag.ch/media/ - 10 - Das Handelsgericht erkennt: 1. In Gutheissung der Klage wird der Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 52.30 nebst Zins zu 5 % seit 9. Oktober 2018 zu bezahlen. 2. Die Gerichtskosten von Fr. 905.00 werden dem Beklagten auferlegt und mit dem von der Klägerin geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 905.00 . Der Beklagte hat der Klägerin den Betrag von Fr. 905.00 direkt zu . 3. Der Beklagte hat der Klägerin eine gerichtlich festgelegte in Höhe von Fr. 924.00 zu bezahlen. Zustellung an: die Klägerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) den Beklagten 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 11 - Aarau, 1. April 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: Dubs Schmutz
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https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_des_Handelsgerichts_vom_1._April_2019.pdf
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2002 Obergericht/Handelsgericht 70 [...] 18 § 133 Abs. 1 ZPO. Fälligkeit und Verjährung bei der Nachzahlung. Der Eintritt der günsti- gen wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne von § 133 Abs. 1 ZPO muss in- nerhalb, die Anordnung der Nachzahlung hingegen nicht innerhalb der zehn Jahre seit Rechtskraft des Urteils liegen, da erst mit dem Eintritt der günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse die Nachzahlungsforderung als gestundete und vom Eintritt der günstigen wirtschaftlichen Verhält- nisse abhängige Forderung fällig wird und die zehnjährige Verjährungs- frist gemäss § 78a Abs. 2 VRPG erst ab Fälligkeit der Forderung zu lau- fen beginnt. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 18. Dezember 2001 in Sachen M. H.
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-18.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-18.pdf
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2001 Strafprozessrecht 83 [...] 27 § 197 Abs. 1, § 146 Abs. 1 und 2, § 198 Abs. 2 StPO; Einsprache des Geschädigten. - Voraussetzungen zur Einspracheerhebung durch den Geschädigten. - Prüfung der Einsprache durch das Gericht. - Kostenauflage bei Rückzug der Einsprache durch den mangels Gel- tendmachung privatrechtlicher Ansprüche gar nicht einsprachebe- rechtigten Geschädigten zu Lasten des Staates. Auszug aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 23. Oktober 2001 i.S. S.B. Aus den Erwägungen 2. a) Ein Einspracherückzug, der erst nach Eingang der Anklage beim Bezirksgericht erfolgt, zieht Kostenfolgen nach sich; neben den dem Beschuldigten im Strafbefehl rechtskräftig auferlegten Kosten 2001 Obergericht/Handelsgericht 84 für das Strafbefehlsverfahren sind zusätzliche Kosten für die der Einsprache nachfolgenden Schritte entstanden. Grundsätzlich hat diejenige Partei die Kosten zu tragen, die mit ihrem Begehren unter- liegt oder das Rechtsmittel beziehungsweise den Rechtsbehelf zu- rückzieht. Gemäss § 198 Abs. 2 StPO sind solche durch den Rückzug der Einsprache vor der Urteilsfällung entstandenen Mehrkosten dem Einsprecher aufzuerlegen. Es ergibt sich demnach, dass bei einem Rückzug der vom Ge- schädigten erhobenen Einsprache grundsätzlich dieser (und nicht der Angeklagte) die entstandenen Mehrkosten zu tragen hat. b) aa) Gemäss § 56 StPO sind Parteien im Strafverfahren der Beschuldigte oder Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und der Ver- letzte oder Geschädigte, wenn er privatrechtliche Ansprüche aus der strafbaren Handlung geltend macht und als Zivilkläger auftritt (Ziff. 3). Letzterer kann, soweit er privatrechtliche Ansprüche gel- tend gemacht hat, gegen einen Strafbefehl innert 20 Tagen seit Zu- stellung beim Bezirksamt Einsprache erheben (§ 197 Abs. 1 StPO). Die Einsprache bewirkt die Aufhebung des Strafbefehls. bb) Ein Verletzter oder Geschädigter ist nur dann zur Einsprache berechtigt, wenn er als Zivilkläger am Strafbefehlsver- fahren teilgenommen hat (vgl. dazu Urteil der 2. Strafkammer vom 16. Januar 2001, StA und C.D.M. gegen S.H., S. 4; vgl. auch Gomm/Stein/Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, N 13 f. zu Art. 8). Er muss seine privatrechtlichen Ansprüche vor der Ausfällung des strafbefehlsrichterlichen Entscheids beziffert und eingeklagt haben (vgl. für das ordentliche Rechtsmittelverfahren Beat Brühlmeier, Aargauische Strafprozessordnung, Kommentar, 2. Aufl., Aarau 1980, N 5 e zu § 206 StPO). Fehlt dem Verletzten oder Geschädigten die Zivilklägereigenschaft, weil er seine Forde- rung überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig eingeklagt hat, geht ihm auch die Legitimation zur Einsprache ab (Mark Schwitter, Der Straf- befehl im aargauischen Strafprozess, Aarau 1996, S. 294). 3. a) Der Geschädigte hat bis zum Zeitpunkt der Ausfällung des Strafbefehls nie privatrechtliche Ansprüche geltend gemacht; auch anlässlich seiner Befragungen vom 30. Dezember 1999 und 3. Januar 2000 hat er mit keinem Wort darauf hingewiesen, dass er Forderun- 2001 Strafprozessrecht 85 gen gegenüber dem Angeklagten geltend machen wolle. Der darauf- hin erlassene Strafbefehl wurde dem Geschädigten deshalb bloss in Form einer Mitteilung zugestellt, war er doch infolge fehlender Gel- tendmachung privatrechtlicher Ansprüche nicht Partei im Sinne von § 56 Ziff. 3 StPO. b) Gemäss § 146 Abs. 1 und 2 StPO hat das Bezirksgericht nach Anklageerhebung, vor der Verhandlung und dem Entscheid in der Sache, den rechtlichen Bestand der Einsprache zu prüfen. Unter an- derem ist abzuklären, ob eine Einsprache gegen einen Strafbefehl gültig ist, das heisst insbesondere, ob sie von einem Einsprachebe- rechtigten erhoben worden ist. Ist die Einsprache ungültig, liegt mit dem Strafbefehl eine rechtskräftige Entscheidung in der betreffenden Strafsache vor. c) aa) Bei korrekter Prüfung hätte das Gericht zum Schluss kommen müssen, dass der Geschädigte infolge fehlender Legitima- tion nicht zur Einsprache berechtigt war, diese demnach ungültig war. Das Bezirksgericht hätte somit ein Prozessurteil erlassen müs- sen, indem es das Verfahren für erledigt erklärt und die Rechtskraft des Strafbefehls festgestellt hätte. bb) Gestützt auf den Umstand, dass der rechtliche Bestand der Einsprache durch das Gericht von Amtes wegen als Prozessvoraus- setzung hätte geprüft werden müssen, dass die Vorinstanz die Ungül- tigkeit der Einsprache rechtzeitig hätte bemerken können und das Verfahren dementsprechend ohne Beweiserhebung hätte einstellen müssen (§ 146 Abs. 2 StPO), können dem Einsprecher grundsätzlich nur gerade jene Verfahrenskosten auferlegt werden, die er hätte tra- gen müssen, wenn das Gericht die Ungültigkeit der Einsprache rechtzeitig bemerkt hätte. Die übrigen Prozesskosten sind auf die Staatskasse zu nehmen. Dasselbe muss bezüglich der Parteikosten gelten (der Angeklagte hat sich erst nach Erhalt der Vorladung zur Hauptverhandlung einen Anwalt genommen). cc) Ein Einspracherückzug, der erst nach Eingang der Anklage beim Bezirksgericht erfolgt, zieht, wie oben dargelegt, Kostenfolgen nach sich (§ 198 Abs. 2 StPO). Nur wenn ein Einsprecher den Rück- zug seiner Einsprache erklärt, bevor die Staatsanwaltschaft die Sache 2001 Obergericht/Handelsgericht 86 durch Einreichung der Anklage beim Bezirksgericht rechtshängig gemacht hat, hat er grundsätzlich keine Kosten zu tragen. Aufgrund der Tatsache, dass das Gericht zur Beweisverhand- lung vorgeladen hat und die für das Anhandnehmen des Verfahrens durch das Bezirksgericht angefallenen Verfahrenskosten als gering einzustufen sind, rechtfertigt es sich, keine Aufteilung der Verfah- renskosten vorzunehmen und die gesamten angefallenen Kosten dem Staat aufzuerlegen.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HOR.2019.1 / as / mv Art. 205 Zwischenentscheid vom 16. Dezember 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Ersatzrichter Meichssner Handelsrichter Alberati Handelsrichter Laube Handelsrichter Meyer Gerichtsschreiber Schneuwly Gerichtsschreiberin-Stv. Albert Klägerin Z GmbH in Liquidation, _ vertreten durch das Konkursamt Aargau, Amtsstelle Brugg, Haupt- strasse 8, 5201 Brugg Beklagte I AG, _ vertreten durch lic. iur. Heinz Schild und lic. iur. Michael Wolff, Rechtsan- wälte, Dufourstrasse 60, 8702 Zollikon A Holding AG, _ vertreten durch lic. iur. Thomas Schmid und MLaw Mario Mastai, Rechts- anwälte, Ueberlandstrasse 103, 8600 Dübendorf Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Forderung - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in B. (AG). Am 21. Juni 2019 firmierte sie sich von S GmbH auf Z GmbH um und änderte ihren Zweck im Wesentlichen auf _. 2. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in O. (AG). Sie bezweckt im Wesentlichen die _. 3. Mit Klage vom 21. Dezember 2018 (Postaufgabe gleichentags) stellte die Klägerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von CHF 2'183'723.34 (inkl. MWST) nebst Zins zu 5% p.a. seit dem 3. April 2017 zu bezahlen. 2. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zuzüglich MWST auf der Parteientschädigung) zulasten der Beklagten." Zur Begründung führte die Klägerin hauptsächlich aus, sie habe als Sub- unternehmerin der Beklagten im Rahmen des Neu- und Umbaus des Ver- teilzentrums Elektroinstallationsarbeiten erbracht. Die Parteien hätten ei- nen mündlichen Vertrag mit Einheitspreisen abgeschlossen. Das ursprüng- liche Leistungsverzeichnis sei unvollständig gewesen. Der Klägerin seien daher Mehraufwendungen entstanden. Weiter habe sie diverse Leistungen in der Form von Nachträgen und Regiearbeiten erbracht. Werde das Ent- gelt für die Leistungen aus dem Grundvertrag, den Nachträgen und den Regiearbeiten zusammengezählt, so habe die Klägerin eine Forderung von gesamthaft Fr. 6'465'381.46 (exkl. MwSt.) zugute. Davon habe die Be- klagte bereits Fr. 4'443'415.40 (exkl. MwSt.) bezahlt, weshalb der Klägerin noch Fr. 2'183'723.34 (inkl. MwSt.) zustünden (Klage Rz. 1-7 und 18 f.). - 3 - 4. Mit Antwort und Widerklage vom 14. März 2019 (Postaufgabe gleichen- tags) stellte die Beklagte folgende Rechtsbegehren: " 1. Es sei die Klage vollumfänglich abzuweisen; 2. Es sei die Klägerin/Widerbeklagte – unter Nachklagevorbehalt – zu , der Beklagten/Widerklägerin CHF 76'132.20 zu bezahlen; 3. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. MWST auf der Parteientschädigung) zu Lasten der Klägerin/Widerbeklagten." Die Beklagte führte im Wesentlichen aus, die Klägerin habe tatsächlich nicht so viel geleistet, wie sie behaupte. Solche Mehrarbeiten könne die Klägerin mangels Aufnahme eines Ausmasses auch nicht nachweisen. Im Gegenteil habe die Beklagte der Klägerin für die erbrachten Arbeiten irr- tümlich bereits mindestens Fr. 421'470.15 (exkl. MwSt.) zu viel bezahlt. Da die Beklagte aufgrund der werkvertraglichen Bestimmungen mit der Bau- herrin C. das von der Klägerin unberechtigterweise beantragte Bauhand- werkerpfandrecht mittels Garantien habe ablösen müssen, sei der Klägerin ein Schaden von insgesamt Fr. 76'132.20 entstanden, den sie widerklage- weise geltend mache (Antwort Rz. 10, 12 und 15). 5. Mit Entscheid vom 24. Juni 2019 bewilligte das Gerichtspräsidium Z. der Klägerin antragsgemäss die provisorische Nachlassstundung bis und mit 24. Oktober 2019 (Beilage 3 zur Stellungnahme der Klägerin vom 17. Ok- tober 2019). 6. Am 26. Juni 2019 fand eine Instruktions- und Vermittlungsverhandlung statt, anlässlich welcher kein Vergleich abgeschlossen werden konnte, die Beklagte jedoch ihre Widerklage zurückzog. 7. Mit Verfügung vom 27. Juni 2019 setzte der Vizepräsident der Klägerin eine einmalige Frist zur Erstattung der Replik bis zum 1. Oktober 2019. - 4 - 8. 8.1. Mit Eingabe vom 12. Juli 2019 stellte die Beklagte folgende Rechtsbegeh- ren: " 1. Es sei die Klägerin zu verpflichten, der Beklagten Sicherheit für deren Parteientschädigung in der Höhe von CHF 105'796.10, eventualiter von mindestens CHF 91'689.95, zu leisten; 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Klägerin." Zur Begründung brachte die Beklagte im Wesentlichen vor, über die Klä- gerin sei die provisorische Nachlassstundung eröffnet worden, so dass ihre Zahlungsunfähigkeit gemäss Art. 99 Abs. 1 lit. b ZPO unwiderlegbar ver- mutet werde und damit ein Kautionsgrund vorliege. Überdies ergebe sich auch aus der Betreibungsauskunft über die Klägerin vom 11. Juli 2019 (Bei- lage 36 zur Eingabe der Beklagten vom 12. Juli 2019) eine erhebliche Ge- fährdung der (nicht durch den Vorschuss gedeckten) Gerichtskosten und der Parteientschädigung. Aufgrund der Komplexität und des Aufwands des Verfahrens sei die sicherzustellende Parteientschädigung auf Fr. 105'796.10, eventualiter auf Fr. 91'689.96 festzusetzen. 8.2. Mit Verfügung vom 22. Juli 2019 nahm der Vizepräsident der Klägerin die Frist zur Erstattung der Replik ab und setzte ihr Frist, zum Antrag der Be- klagten auf Parteikostensicherstellung schriftlich Stellung zu nehmen. 8.3. Die Klägerin reichte am 20. August 2019 eine Stellungnahme zur Eingabe der Beklagten vom 12. Juli 2019 ein. Darin stellte die Klägerin den Antrag, das Verfahren sei einstweilen zu sistieren, bis Klarheit über die Abtretung der Forderung herrsche. 8.4. Mit Verfügung 22. August 2019 wies der Vizepräsident den Sistierungsan- trag der Klägerin ab und verpflichtete die Klägerin, bis zum 16. September 2019 eine Parteikostensicherheit im Umfang von Fr. 70'530.00 zu leisten. 9. 9.1. Mit Eingabe vom 16. September 2019 stellte die Klägerin folgende Anträge: " 1. Es sei die Anordnung zur Leistung einer Parteikostensicherheit gemäss Verfügung vom 22. August 2019 aufzuheben. - 5 - 2. Es sei vom Parteiwechsel Vormerk zu nehmen und es sei die A Holding AG als Klägerin ins Rubrum aufzunehmen. 3. Es sei der (eingetretenen Klägerin) eine neue Frist zur Erstattung der Replik anzusetzen." Zur Begründung brachte die Klägerin im Wesentlichen vor, die strittige For- derung sei am 13. September 2019 an die A Holding AG zediert worden. In der beiliegenden Zessionserklärung hätten sowohl die Klägerin als auch die A Holding AG erklärt, mit dem Parteiwechsel einverstanden zu sein. Die A Holding AG würde gestützt auf Art. 83 Abs. 1 ZPO in den Prozess eintre- ten. Die Voraussetzungen für die Parteikostensicherstellung gemäss Art. 99 ZPO seien nicht mehr gegeben. Seitens der A Holding AG bestün- den keinerlei Anzeichen, dass die Zahlungsfähigkeit gefährdet sei. 9.2. Die Beklagte reichte mit Eingabe vom 25. September 2019 eine Stellung- nahme ein und stellte folgende Anträge: " 1. Die Anträge der Klägerin gemäss Eingabe vom 16. September 2019 seien abzuweisen und auf die Klage sei nicht einzutreten; Eventualiter sei die A Holding AG als eintretende Partei zu verpflichten, der Beklagten Sicherheit in der Höhe von CHF 70'530.00 zu leisten; 2. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Klägerin." Die Beklagte begründete ihre Anträge im Wesentlichen damit, dass sie bei einer Aufhebung der Kautionierung wesentlich schlechter gestellt würde. Falls nämlich die Zessionarin den Prozess verlieren und die Parteientschä- digung nicht bezahlen können sollte, so bliebe der Beklagten nur noch die Möglichkeit, die bis zum Parteiwechsel aufgelaufene Parteientschädigung im Nachlass der Zedentin als Forderung einzugeben. Unbesehen des Par- teiwechsels wäre die Klägerin gehalten gewesen, innert Frist die Parteikos- tensicherheit zu leisten. Da dies nicht gemacht worden sei, sei auf die Klage nicht einzutreten. Zur Zessionarin und Zedentin sei anzufügen, dass der Geschäftsführer bei beiden identisch sei, d.h. beide Gesellschaften würden von H.R. geführt. Die A Holding AG sei auch alleinige Gesellschafterin der Zedentin bzw. der Klägerin. Die Zessionarin biete ihrerseits ebenfalls keine Sicherheit für die Vollstreckbarkeit der Parteientschädigung, da sie lediglich aus einem "Mantel" bestehe, d.h. keine Substanz aufweise. Eine Rekapita- lisierung der A Holding AG sei nicht behauptet, geschweige denn belegt worden. Schliesslich könnten gemäss Art. 298 Abs. 2 SchKG während der Stundung ohne Ermächtigung des Nachlassgerichts oder des Gläubiger- - 6 - ausschusses nicht mehr in rechtsgültiger Weise Teile des Anlagevermö- gens veräussert oder unentgeltliche Verfügungen getroffen werden. Die umstrittene Forderung der Klägerin gegenüber der Beklagten sei mit der Einleitung der Nachlassstundung zum Aktivum geworden, da die Klägerin alle geschäftlichen Aktiven eingestellt habe. Eine Genehmigung des Nach- lassgerichts oder des Gläubigerausschusses für die Zession vom 13. Sep- tember 2019 wäre zwingend notwendig gewesen, da die Abtretung der For- derung nicht zum täglichen Geschäftsbetrieb der Klägerin gehöre und die Forderung entweder eine Schenkung oder ein gemischtes Rechtsgeschäft (Schenkung/Kauf) darstelle. 9.3. Mit Eingabe vom 4. Oktober 2019 nahm die Klägerin zur Eingabe der Be- klagten vom 25. September 2019 Stellung. Dabei wehrte sie sich vorab ge- gen die Editionsbegehren der Beklagten. Bezüglich der Auffassung der Be- klagten, aufgrund der Nichtbezahlung der Parteikostensicherstellung innert der inzwischen verstrichenen Frist sei auf die Klage nicht einzutreten, ent- gegnete die Klägerin, erst wenn die Kaution auch innert einer gerichtlich anzusetzenden Nachfrist nicht geleistet würde, hätte dies ein Nichteintreten zur Folge (Art. 101 Abs. 3 ZPO). Die von der Beklagten behauptete Schlechterstellung aufgrund des Parteiwechsels sei nicht gegeben, da die Klägerin gemäss Art. 83 Abs. 2 ZPO für die bis zum Parteiwechsel aufge- laufenen Prozesskosten solidarisch mithafte. Zudem biete die der Klägerin auferlegte Kaution für die Beklagte de facto keine Sicherheit, da der Sach- walter der Klägerin gegenüber H.R. mehrfach mitgeteilt habe, er bezahle die Kaution nicht (Beilage 3 der klägerischen Stellungnahme vom 4. Okto- ber 2019). Dies würde zu einem Nichteintretensentscheid führen, und die Beklagte könnte für ihre Parteientschädigung nur noch auf eine Dividende aus dem Nachlass der Klägerin hoffen. Die Mutmassungen der Beklagten zur Zahlungsfähigkeit der A Holding AG seien unzutreffend: Ein gesetzli- cher Tatbestand gemäss Art. 99 Abs. 1 lit. b ZPO sei nicht erfüllt. Für eine angebliche Zahlungsunfähigkeit der A Holding AG würde die Beklagte die Beweislast tragen. Mit der Bilanz der A Holding AG per 31. Dezember 2018 und 1. Oktober 2019 sei im Gegenteil deren ausreichende Kapitalisierung belegt (Beilage 1 der klägerischen Stellungnahme vom 4. Oktober 2019). Die Erfolgsrechnung der A Holding AG würde ausserdem eine sehr gute Rentabilität dieser Gesellschaft ausweisen (Beilage 2 der klägerischen Stellungnahme vom 4. Oktober 2019). Die Auffassung der Beklagten, die Abtretung sei ungültig, da sie ohne Zustimmung des Sachwalters oder des Nachlassgerichts erfolgt sei, treffe nicht zu, da dieses Geschäft nicht unter den abschliessenden Katalog von Art. 298 Abs. 2 SchKG falle und daher nicht unter Bewilligungsvorbehalt stehe. Aufgrund der Weigerung des Sachwalters, die Zahlung für die Sicherheitsleistung freizugeben, sei die Forderung gegenüber der Beklagten in der Nachlassbilanz als wertlos zu bilanzieren gewesen. Aus Sicht des Nachlasses der Klägerin sei die Zes- sion der Forderung an die A Holding AG ein gutes Geschäft, da dadurch - 7 - die Aktiven der Masse haben vergrössert werden können. Schliesslich würde die Zession selbst bei der Annahme eines zustimmungsbedürftigen Geschäfts nicht ungültig bzw. unwirksam, da der Schuldner nach wie vor handlungsfähig sei. Der Sachwalter habe zudem keine Weisung erteilt, die Abtretung dürfe nicht erfolgen. Er sei nur nicht bereit gewesen, diese selber zu unterzeichnen. 10. 10.1. Mit Verfügung vom 8. Oktober 2019 beschränkte der Vizepräsident das Verfahren auf die Frage der Gültigkeit des Parteiwechsels zufolge einer Veräusserung des Streitobjekts und die Anordnung einer Sicherheitsleis- tung für die Parteientschädigung der Beklagten. Zudem verpflichtete der Vizepräsident die Klägerin zur Edition verschiedener Urkunden. Schliess- lich forderte er die Parteien auf, dem Handelsgericht schriftlich mitzuteilen, ob sie auf eine Hauptverhandlung verzichten bzw. schriftliche Schlussvor- träge beantragen. 10.2. Mit Eingabe vom 16. Oktober 2019 teilte die Beklagte mit, sie verzichte auf die Durchführung einer Hauptverhandlung und beantrage stattdessen schriftliche Schlussvorträge. 10.3. Die Klägerin reichte mit Eingabe vom 17. Oktober 2019 die zu edierenden Urkunden ein, erklärte auch im Namen der A Holding AG den Verzicht auf die Durchführung einer Hauptverhandlung und ersuchte das Handelsge- richt, Frist zur Einreichung schriftlicher Schlussvorträge anzusetzen. 11. 11.1. Am 23. Oktober 2019 wurde die Streitsache an das Handelsgericht über- wiesen. 11.2. Mit Verfügung vom 24. Oktober 2019 erliess der Vizepräsident die Beweis- verfügung und setzte den Parteien im auf die Fragen der Gültigkeit des Parteiwechsels zufolge einer Veräusserung des Streitobjekts und der An- ordnung einer Sicherheit für die Parteientschädigung beschränkten Verfah- rens Frist zur Einreichung schriftlicher Parteivorträge bis zum 18. Novem- ber 2019. - 8 - 11.3. Die Beklagte reichte ihren Schlussvortrag am 1. November 2019 ein. Darin stellte sie folgenden Anträge: " 1. Die Anträge der Klägerin gemäss Eingabe vom 16. September 2019 seien abzuweisen; 2. Es sei der Klägerin eine kurze Nachfrist zur Leistung der Parteikosten- sicherheit gemäss Verfügung vom 22. August 2019 anzusetzen, mit der Androhung, dass bei Nichtbezahlung auch innert Nachfrist auf die Klage nicht eingetreten werde; Eventualiter sei die A Holding AG als eintretende Partei zu verpflichten, der Beklagten Sicherheit in der Höhe von CHF 70'530.00 zu leisten; 3. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Klägerin." Die Beklagte begründete ihre Anträge im Wesentlichen damit, dass man- gels abgetretener Forderung kein Parteiwechsel stattgefunden habe. Die von der Klägerin gegenüber der Beklagten eingeklagte Forderung über Fr. 2'183.723.34 sei in der Nachlassbilanz per 31. März 2019 (Beilage 6 zur Eingabe der Klägerin vom 17. Oktober 2019) weder als "volle" Forderung noch wertberichtigt enthalten. Sie existiere folglich nicht. Eventualiter sei mangels wirksamer Forderungsabtretung kein Parteiwechsel erfolgt: Die Gegenleistung für die angebliche Forderung der Klägerin gegenüber der Beklagten habe gemäss Zessionserklärung vom 13. September 2019 (Bei- lage 2 zur Eingabe der Klägerin vom 17. Oktober 2019) Fr. 10'000.00 und damit knapp 0.458 % des angeblichen Forderungswerts betragen. Für die Wirksamkeit einer solchen Verfügung wäre gestützt auf Art. 298 Abs. 2 SchKG zwingend die Zustimmung des Nachlassgerichts oder des Gläubigerausschusses Voraussetzung gewesen. Subeventualiter habe die A Holding AG als eintretende Partei die mit am 22. August 2019 verfügte Parteikostensicherheit zu leisten, da die Beklagte durch die angebliche Ab- tretung nach verfügter Kautionspflicht der Klägerin nicht schlechter gestellt werden dürfe. Zudem ergäbe sich aus der Bilanz der A Holding AG, dass diese illiquid und damit zahlungsunfähig bzw. die Parteientschädigung der Beklagten durch die Abtretung der angeblichen Forderung erheblich ge- fährdet sei. 11.4. Die Klägerin teilte mit Eingabe vom 18. November 2019 mit, sie und die A Holding AG verzichteten auf die Einreichung schriftlicher Schlussvorträge. - 9 - 11.5. Mit Verfügung vom 19. November 2019 wurden die Eingaben gegenseitig zugestellt und die Parteien darauf aufmerksam gemacht, dass sich vorlie- gend Fragen zur Rechtsmissbräuchlichkeit i.S.v. Art. 2 Abs. 2 ZGB stellen könnten. 12. Mit Verfügung vom 21. November 2019 eröffnete das Gerichtspräsidium Z. über die Klägerin den Konkurs. 13. Am 2. Dezember 2019 reichten die Rechtsanwälte lic. iur. Thomas Schmid und MLaw Mario Mastai namens die Klägerin unaufgefordert eine weitere Stellungnahme ein. Dabei teilten sie vorab mit, dass über die Klägerin am 21. November 2019, 16:00 Uhr, der Konkurs eröffnet worden sei. Danach legten sie dar, dass es sich beim angestrebten Parteiwechsel nicht um die zweckwidrige Verwendung eines Rechtsinstituts handle. Ziel der Abtretung und des damit einhergehenden Parteiwechsels sei nicht die Umgehung der Kautionierung gewesen. Vielmehr ginge es darum, der Möglichkeit der ge- richtlichen Durchsetzung nicht dadurch verlustig zu gehen, weil der Sach- walter die Zahlung der Sicherheit für die Parteientschädigung schlicht ver- weigert habe. Schliesslich gingen die Rechtsanwälte lic. iur. Thomas Schmid und MLaw Mario Mastai namens die Klägerin nochmals auf die Parteistandpunkte und den Schlussvortrag der Beklagten vom 1. Novem- ber 2019 ein. - 10 - Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Gemäss Art. 60 ZPO prüft das Gericht von Amtes wegen, ob die Prozess- voraussetzungen gegeben sind. Zu den Prozessvoraussetzungen gehört unter anderem die örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). Die Zulässigkeit eines Parteiwechsels oder eines Parteibeitritts stellt ebenfalls eine Prozessvoraussetzung dar.1 2. Zuständigkeit 2.1. Örtlich Die Beklagte lässt sich auf den vorliegenden Prozess i.S.v. Art. 18 ZPO ein, weshalb das Handelsgericht örtlich zuständig ist. 2.2. Sachlich Die Streitigkeit betrifft die geschäftlichen Tätigkeiten beider Parteien, beide Parteien sind im Handelsregister eingetragen (KB 1 und 2) und der Streit- wert beträgt Fr. 2'183'723.34. Das Handelsgericht ist demgemäss nach Art. 6 Abs. 2 ZPO sachlich zuständig. 3. Eingabe der Rechtsanwälte lic. iur. Thomas Schmid und MLaw Ma- rio Mastai namens die Klägerin vom 2. Dezember 2019 Gemäss Art. 35 Abs. 1 OR erlischt die durch Rechtsgeschäft erteilte Voll- macht, sofern nicht das Gegenteil bestimmt ist oder aus der Natur des Ge- schäfts hervorgeht, unter anderem mit dem Konkurs des Vollmachtgebers. Nach Rechtsprechung und Lehre erlöschen durch die Konkurseröffnung alle bestehenden Vollmachten des Vollmachtgebers zwingend und dies auch bei gegenteiligen Anordnungen in den Vollmachten wie bspw. im Voll- machtsformular des Zürcher Anwaltsverbands.2 Eine Erneuerung der Voll- macht hat der Konkursverwalter auszusprechen.3 Vorliegend wurde über die Klägerin am 21. November 2019 der Konkurs eröffnet. Damit ist die Anwaltsvollmacht der Rechtsanwälte lic. iur. Thomas Schmid und MLaw Mario Mastai vom 6. März 2017 trotz anderslautender Bestimmung in der Vollmachtsurkunde mit der Konkurseröffnung der Klä- gerin erloschen. Eine Erneuerung der Vollmacht durch das Konkursamt Aargau liegt nicht vor. Weil die Rechtsanwälte lic. iur. Thomas Schmid und MLaw Mario Mastai ihre Eingabe vom 2. Dezember 2019 nur namens der 1 Vgl. GÖKSU, in: Brunner/Gasser/Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung Kommen- tar, 2. Aufl. 2016, Art. 83 N. 31; BK ZPO I-GROSS/ZUBER, 2012, Art. 83 N. 5; BK ZPO I-ZINGG, 2012, Art. 59 N. 169; ZÜRCHER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 59 N. 69 m.w.N. 2 BGer 4A_150/2013 vom 11. Februar 2014 E. 3.2; ZR 2014 Nr. 77 S. 264 E. 3.3; BK /KÜNZLER, 2. Aufl. 2014, Art. 35 N. 37, 44 und 89; BSK OR II-WATTER, 6. Aufl. 2015, Art. 35 N. 6 je m.w.N. 3 BK OR-ZÄCH/KÜNZLER (Fn. 2), Art. 35 N. 44. - 11 - Klägerin und nicht auch im Namen der A Holding AG eingereicht haben, ist sie mangels Vertretungsberechtigung unbeachtlich. 4. Zwischenentscheid Kommt das Gericht nach einer Verfahrensbeschränkung zum Schluss, dass die Beurteilung der vorweggenommenen Punkte zu keinem Endent- scheid führt, kann es die Beschränkung aufheben und das Verfahren ohne Weiteres bis zum Endentscheid fortführen oder gestützt auf Art. 237 ZPO einen Zwischenentscheid fällen.4 Ein solcher ist angezeigt, wenn durch ab- weichende oberinstanzliche Beurteilung sofort ein Endentscheid herbeige- führt und so ein bedeutender Zeit- oder Kostenaufwand gespart werden kann (Art. 237 Abs. 1 ZPO). Falls das Handelsgericht den Parteiwechsel von der Klägerin zur A Holding AG zulassen und das Bundesgericht im Falle einer Beschwerde diesen Parteiwechsel verneinen und den Entscheid des Handelsgerichts aufheben würde, führte dies bezüglich dieses Parteiwechsels zu einem Endent- scheid. Damit könnte ein bedeutender Zeit- und Kostenaufwand gespart werden. Andernfalls wäre es möglich, dass das Handelsgericht den vorlie- genden Prozess zunächst mit der A Holding zu Ende führt und nach einer bundesgerichtlichen Verneinung der Zulässigkeit des Parteiwechsels das Verfahren mit der Klägerin noch einmal durchzuführen wäre. Es ist, wie in E. 2.1 der Verfügung vom 8. Oktober 2019 bereits ausgeführt, den Parteien nicht zuzumuten, das Verfahren mit dem zweiten Schriftenwechsel fortzu- führen, ohne definitiv zu wissen, ob das Handelsgericht die Klägerin oder die A Holding AG als klagende Partei betrachtet. Zudem würde diese Un- gewissheit die Verfahrensinstruktion unnötig verkomplizieren. Daher recht- fertigt sich vorliegend die Ausfällung eines Zwischenentscheids. 5. Rechtliches 5.1. Wirkung der Nachlassstundung auf die Verfügungsbefugnis des Schuldners Während der Nachlassstundung ist zum Schutz der Gläubiger das Verfü- gungsrecht des Schuldners über sein Vermögen eingeschränkt.5 Zudem steht der Schuldner bei der Ausübung seiner Geschäftstätigkeit unter der Aufsicht des Sachwalters.6 Dieser hat dafür zu sorgen, dass die Interessen der Gläubiger gewahrt bleiben.7 Aufgrund seines Weisungsrechts kann der Sachwalter dem Schuldner bestimmte Rechtsgeschäfte verbieten oder von 4 A. STAEHELIN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 125 N. 4; D. STAEHELIN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 237 N. 10. 5 AMMON/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 54 N. 37. 6 UMBACH-SPAHN/KESSELBACH/BOSSART in: Kren Kostkiewicz/Vock (Hrsg.), Kommentar zum Bundes- gesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl. 2017, Art. 298 N. 3. 7 UMBACH-SPAHN/KESSELBACH/BOSSART (Fn. 6), Art. 298 N. 4. - 12 - seiner Zustimmung abhängig machen.8 Einschränkungen der Verfügungs- befugnis bestehen bei entsprechenden Anordnungen des Nachlassge- richts (Art. 298 Abs. 1 SchKG) sowie im Bereich der von Gesetzes wegen bewilligungspflichtigen Geschäfte (Art. 298 Abs. 2 SchKG). Zu letzteren gehören die Veräusserung oder Belastung von Anlagevermögen, die Be- stellung bestimmter Sicherheiten (Pfänder, Bürgschaften) sowie unentgelt- liche Verfügungen.9 Zu den unentgeltlichen Verfügungen zählen auch Fälle, in welchen lediglich eine symbolische Gegenleistung erbracht wird.10 Handlungen, die der Schuldner in Missachtung gerichtlicher Verfügungs- beschränkungen vornimmt, sind zivilrechtlich gültig, jedoch mit Ausnahme des Gutglaubensschutzes (Art. 298 Abs. 3 SchKG) vollstreckungsrechtlich unbeachtlich. Wie bei der Anfechtungsklage (Pauliana), wird das veräus- serte Objekt zur Masse gezogen.11 Besteht der veräusserte Vermögens- wert in einer abgetretenen Forderung, so hat der Zessionar die Verwertung der Forderung zu dulden. Eine Retrozession findet nicht statt.12 5.2. Zession Gemäss Art. 164 Abs. 1 OR kann ein Gläubiger eine ihm zustehende For- derung ohne Einwilligung des Schuldners an einen anderen abtreten, so- weit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses ent- gegenstehen. Unter einer Zession (Abtretung) wird die vertragliche Über- tragung einer Forderung vom bisherigen Gläubiger (Zedenten) auf einen neuen Gläubiger (Zessionar) verstanden.13 Die Zession bedarf zu ihrer Gül- tigkeit der schriftlichen Form (Art. 165 Abs. 1 ZPO). 5.3. Parteiwechsel Gemäss Art. 83 Abs. 1 ZPO kann die Erwerberin oder der Erwerber an Stelle der veräussernden Partei in den Prozess eintreten, falls während des Prozesses das Streitobjekt veräussert wird. Der Parteiwechsel gemäss Art. 83 Abs. 1 ZPO hat folglich zum Zweck, dass der Prozess trotz Ver- äusserung des Streitobjekts während des Prozesses weitergeführt werden kann. Dieser Parteiwechsel ist prozessökonomisch sinnvoll: Bei einer Ver- äusserung des Streitobjekts durch den Kläger fällt seine Aktivlegitimation grundsätzlich dahin. Könnte der Erwerber nicht in das laufende Verfahren eintreten, müsste der Prozess des Veräusserers mangels Aktivlegitimation 8 UMBACH-SPAHN/KESSELBACH/BOSSART (Fn. 6), Art. 298 N. 9. 9 UMBACH-SPAHN/KESSELBACH/BOSSART (Fn. 6), Art. 298 N. 14 sowie umfassend LORANDI, Genehmi- gungsbedürftige Geschäfte während der Nachlassstundung (Art. 298 Abs. 2 SchKG), ZZZ 2004, S. 81 ff. m.w.N. 10 UMBACH-SPAHN/KESSELBACH/BOSSART (Fn. 6), Art. 298 N. 21. Siehe auch LORANDI (Fn. 9),, S. 87 f. 11 UMBACH-SPAHN/KESSELBACH/BOSSART (Fn. 6), Art. 298 N. 12; BSK SchKG II-VOLLMAR, 2. Aufl. 2010, Art. 298 N 14; AMMON/WALTHER (Fn. 5), § 54 N. 42. 12 Vgl. KUKO SchKG-UMBACH-SPAHN/BOSSART, 2. Aufl. 2014, Art. 291 N. 4.; AMMON/WALTHER (Fn. 5), Art. 291 N. 4. 13 BSK OR I-GIRSBERGER/HERMANN, 6. Aufl. 2015, Vor Art. 164-174 N.1; LARDELLI, Die Einreden des Schuldners bei der Zession, 2008, S. 7 m.w.N. - 13 - abgewiesen und ein zweites Verfahren in die Wege geleitet werden.14 Das Institut des Parteiwechsels ist gemäss Rechtsprechung jedoch kein Mittel für den Kläger, seine prozessualen Versäumnisse bei der Bezeichnung des Aktiv- oder Passivlegitimierten zu beheben.15 Der Parteiwechsel tritt bei Veräusserung des Streitobjekts während des Prozesses nicht ohne Weite- res ein. Vielmehr bedarf es dazu einer ausdrücklichen Erklärung des Er- werbs, die dem Gericht mitzuteilen ist.16 Eine Zustimmung der Gegenseite ist jedoch nicht erforderlich.17 5.4. Rechtsmissbrauch Nach Art. 2 ZGB hat jedermann in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln (Abs. 1). Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz (Abs. 2). Das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben und das Verbot des Rechtsmissbrauchs gilt auch im Zivilprozess (Art. 52 ZPO).18 Die Rechts- missbräuchlichkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB ist zwingendes Recht und von Amtes wegen zu berücksichtigen. Einer besonderen Einrede be- darf es nicht.19 Die Prüfung der Rechtsmissbräuchlichkeit von Art. 2 Abs. 2 ZGB erfordert eine Bewertung des Einzelfalls unter Berücksichtigung der konkreten Um- stände.20 Dabei sind die von der Lehre und Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen zu beachten.21 Nach einer dieser Fallgruppen22 liegt Rechts- missbrauch insbesondere dann vor, wenn ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will.23 In der Lehre wird dies als zweckwidrige Verwendung von Rechtsinstituten oder als Institutsmissbrauch bezeichnet.24 Rechts- missbrauch liegt in diesem Fall namentlich dann vor, wenn der Rückgriff auf das Rechtsinstitut mit dem vom Gesetzgeber angestrebten Zweck 14 BSK ZPO-GRABER, 3. Aufl. 2017, Art. 83 N. 2 f. und 10 je m.w.N.; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLI- MUND, Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2019, § 13 N. 79. 15 BGE 142 III 782 E. 3.2.2 = Pra 107 (2018) Nr. 46 E. 3.2.2; KGer FR 102 2017 262 vom 5.12.2017 E. 5.3.1 m.w.N. 16 BSK ZPO-GRABER (Fn. 14), Art. 83 N. 19. 17 BSK ZPO-GRABER (Fn. 14), Art. 83 N. 9. 18 SUTTER-SOMM/CHEVALIER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 52 N. 20. 19 BGE 134 III 52 E. 2.1; BSK ZGB I-HONSELL, 6. Aufl. 2018, Art. 2 N. 34 je m.w.N. 20 HRUBESCH-MILLAUER/BOSSHARDT, Die Einleitungsartikel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 2019, § 3 N. 129. 21 BGer 4A_25/2019 vom 15. April 2019 E. 3; HRUBESCH-MILLAUER/BOSSHARDT (Fn. 20), § 3 N. 133 je m.w.N. 22 BSK ZGB I-HONSELL (Fn. 19), Art. 2 N. 37 ff. 23 BGE 143 III 279 E. 3.1, 140 III 583 E. 3.2.4, 138 III 401 E. 2.2, 135 III 162 E. 3.3.1; BSK ZGB I- HONSELL (Fn. 19), Art. 2 N. 24 m.w.N. 24 BSK ZGB I-HONSELL (Fn. 19), Art. 2 N. 51 m.w.N. - 14 - nichts mehr zu tun hat.25 Dazu gehört unter anderem auch die missbräuch- liche Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Befugnisse.26 Der offenbare Missbrauch eines prozessualen Rechts oder Rechtsinstituts soll nicht ge- schützt werden.27 6. Würdigung 6.1. Zessionserklärung vom 13. September 2019 findet infolge offen- baren Rechtsmissbrauchs keinen Rechtsschutz Vorab sind die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse und der chronologi- sche Ablauf der Ereignisse in Erinnerung zu rufen: H.R. ist gemäss den entsprechenden Handelsregisterauszügen sowohl Geschäftsführer der Klägerin als auch der A Holding AG je mit Einzelunterschrift. Die A Holding AG ist zudem seit 10. Mai 2019 alleinige Gesellschafterin der Klägerin und damit deren Muttergesellschaft. Der Klägerin wurde mit Entscheid vom 24. Juni 2019 des Gerichtspräsidiums Z. die provisorische Nachlassstun- dung bis und mit 24. Oktober 2019 bewilligt und die Afinco GmbH (Herr Simon Zimmermann) als provisorische Sachwalterin eingesetzt (Beilage 3 zur Stellungnahme der Klägerin vom 17. Oktober 2019). Mit Entscheid vom 21. November 2019 eröffnete das Gerichtspräsidium Z. den Konkurs über die Klägerin. Am 13. September 2019, d.h. während laufender provisori- scher Nachlassstundung, zedierte die Klägerin die eingeklagte Forderung im Umfang von Fr. 2'183'723.34 (inkl. MwSt.) nebst Zins zu 5 % p.a. seit dem 3. April 2017 für Fr. 10'000.00 an die A Holding AG (Beilage 3 zur Stellungnahme der Klägerin vom 17. Oktober 2019). Ausweislich der Akten lag dazu weder eine Zustimmung des Sachwalters noch eine Ermächtigung des Gerichtspräsidiums Z. als Nachlassgericht vor. Die Klägerin behauptet, ihr Sachwalter habe gegenüber H.R. (Geschäfts- führer der Klägerin) mehrfach mitgeteilt, er beabsichtige die vom Vizeprä- sidenten angeordnete Parteikostensicherstellung nicht zu zahlen (Stellung- nahme der Klägerin vom 4. Oktober 2019 Rz. 10/1.2 mit Verweis auf Bei- lage 3). H.R. habe aufgrund der provisorischen Nachlassstundung keinen Zugriff mehr auf die Konten der Klägerin gehabt und habe die Zahlungsver- weigerung des Sachwalters hinnehmen müssen. Um einen Nichteintreten- sentscheid im vorliegenden Verfahren abzuwenden, habe die Klägerin den Parteiwechsel vollzogen (Stellungnahme der Klägerin vom 4. Oktober 2019 Rz. 10/1.2). Die Klägerin räumt damit ein, dass sie die eingeklagte Forde- rung einzig und allein deshalb am 13. September 2019 an die A Holding AG zedierte (Beilage 2 zur Stellungnahme der Klägerin vom 17. Oktober 2019), um die ihr gemäss Verfügung vom 22. August 2019 auferlegte Leis- tung der Parteikostensicherheit in Höhe von Fr. 70'530.00 zu vermeiden; dies in Umgehung des Entscheids der provisorischen Sachwalterin, die 25 BSK ZGB I-HONSELL (Fn. 19), Art. 2 N. 51. 26 BSK ZGB I-HONSELL (Fn. 19), Art. 2 N. 51 mit Verweis auf BGE 105 III 18. 27 SUTTER-SOMM/CHEVALIER (Fn. 18), Art. 52 N. 20. - 15 - Parteikostensicherheit nicht zu leisten. Dadurch konnte sich H.R. mit der Klägerin betreffend die eingeklagte Forderung und damit den vorliegenden Prozess der gemäss Art. 298 Abs. 1 SchKG bestehenden Aufsicht der ein- gesetzten provisorischen Sachwalterin entziehen (vgl. oben E. 5.1). Ist die Klägerin mit der Weigerung der provisorischen Sachwalterin, die Parteikos- tensicherstellung zu bezahlen, nicht einverstanden gewesen, hätte es ihr offengestanden, dagegen eine Beschwerde gemäss Art. 17 ff. SchKG zu erheben.28 Dies hat sie unterlassen. Vielmehr versuchte sie mittels der Zes- sionserklärung vom 13. September 2019 den Entscheid der provisorischen Sachwalterin und die Leistung der Parteikostensicherstellung zu umgehen. Wäre die Klägerin nicht zur Leistung einer Parteikostensicherstellung ver- pflichtet worden, hätte sie die eingeklagte Forderung auch nicht an die A Holding AG zediert. In Ziff. 2 der Zessionserklärung vom 13. September 2019 haben die Kläge- rin und die A Holding AG für die eingeklagte Forderung zudem einen Par- teiwechsel vereinbart. Der Parteiwechsel will den Nachvollzug der Entwick- lung der materiellen Rechtslage gewährleisten (vgl. oben E. 5.3). Das be- dingt, dass die Gründe für die Entwicklung der materiellen Rechtslage (vor- liegend die Zession) tatsächlich gewollt sind und sich nicht einzig aus einer auferlegten prozessualen Pflicht ergeben. Mit anderen Worten: Wenn einer Partei eine prozessuale Pflicht auferlegt wird, und sie deshalb den Streit- gegenstand veräussert, so ist dieser Sachverhalt vom Zweck des Partei- wechsels nicht abgedeckt. Der Parteiwechsel dient nicht der Umgehung prozessualer Pflichten, sondern dem Nachvollzug der Entwicklung der ma- teriellen Rechtslage. Indem H.R. namens der Klägerin die eingeklagte For- derung nach der mit Verfügung vom 22. August 2019 auferlegten Pflicht zur Leistung einer Parteikostensicherstellung in Höhe von Fr. 70'530.00 zu einem Gegenwert von knapp 0.458 % an ihre Muttergesellschaft A Holding AG abgetreten hat, um durch den Parteiwechsel ohne die angeordnete Par- teikostensicherstellung und ungeachtet des drohenden Konkurses der Klä- gerin weiter prozessieren zu können, liegt ein offenbarer Rechtsmissbrauch vor. Die Zession und der damit bewirkte Parteiwechsel während der Nachlass- stundung der Klägerin erfolgte somit zweckwidrig. Infolge offenbarem Rechtsmissbrauch findet die Zessionserklärung vom 13. September 2019 keinen Rechtsschutz. 6.2. Eingeklagte Forderung wird trotz Zession zur Konkursmasse der Klägerin gezogen Durch die Zession vom 13. September 2019 wurden der Klägerin und damit ihren Gläubigern zudem höchstwahrscheinlich Vermögenswerte entzogen. 28 Vgl. BGE 129 III 94 E. 3.1; UMBACH-SPAHN/KESSELBACH, in: Kren Kostkiewicz/Vock (Fn. 6), Art. 295 N. 31; KUKO SchKG-HUNKELER, 2. Aufl., 2014, Art. 298 N. 37. - 16 - Die Zession vom 13. September 2019 ist ökonomisch betrachtet nicht nachvollziehbar: Die A Holding AG musste für die Abtretung der eingeklag- ten Forderung in behaupteter Höhe von Fr. 2'183'723.34 (inkl. MwSt.) nebst Zins zu 5 % p.a. seit dem 3. April 2017 einen Gegenwert von lediglich Fr. 10'000.00, und damit knapp 0.458 % der eingeklagten Forderung, be- zahlen. Wie die Klägerin und die A Holding AG diesen sehr tiefen Gegen- wert berechneten, wird nirgends erläutert. Aufgrund des hohen Streitwerts und des damit verbundenen hohen Prozesskostenrisikos – alleine der Kos- tenvorschuss für die Gerichtskosten belief sich auf Fr. 32'500.00 (vgl. Ver- fügung vom 3. Januar 2019) – hätte eine vernünftige Klägerin sicherlich nicht einen Betrag von Fr. 2'183'723.34 eingeklagt, um etwas mehr als ein halbes Jahr später diese eingeklagte Forderung zu einem "Spottpreis" von Fr. 10'000.00 an ihre Muttergesellschaft abzutreten. Die Gegenleistung von Fr. 10'000.00 darf deshalb als bloss symbolisch betrachtet werden.29 Für Fälle, in welchen lediglich eine symbolische Gegenleistung erbracht wird, ist gemäss Art. 298 Abs. 2 SchKG die Zustimmung des Nachlassrichters erforderlich. Eine Zustimmung des Gerichtspräsidiums Z. für die Zession vom 13. September 2019 lag ausweislich der Akten nicht vor. Die Zession vom 13. September 2019 ist daher vollstreckungsrechtlich unbeachtlich und die eingeklagte Forderung wird zur Konkursmasse der Klägerin gezo- gen. Die A Holding AG hat die Verwertung durch die Konkursverwaltung der eingeklagten Forderung zu dulden (vgl. oben E. 5.1). Da die Zessions- erklärung vom 13. September 2019 infolge offenbarem Rechtsmissbrauch jedoch keinen Rechtsschutz findet (vgl. oben E. 6.1), kann offen bleiben, ob die A Holding AG bei der Zulässigkeit eines Parteiwechsels über die eingeklagte Forderung überhaupt noch verfügen und damit den vorliegen- den Prozess weiterführen könnte oder ob dies zufolge von Doppelspurig- keiten mit der Verwertung derselben Forderung durch die Konkursverwal- tung unzulässig bliebe. Um die Gläubiger der Klägerin nicht zu schädigen, wäre jedenfalls gemäss Art. 126 Abs. 1 ZPO eine Sistierung des vorliegen- den Prozesses bis zur Klärung der Vorgehensweise der Konkursverwal- tung angebracht. 7. Fazit H.R. bzw. die Klägerin zedierten die eingeklagte Forderung und versuchten damit einen Parteiwechsel einzig deshalb zu erwirken, um die der Klägerin gemäss Verfügung vom 22. August 2019 auferlegte Leistung der Partei- kostensicherheit in Höhe von Fr. 70'530.00 sowie die Aufsicht des einge- setzten provisorischen Sachwalters zu umgehen. Damit liegt ein Instituts- 29 Falls die Zustimmung des Nachlassgerichts für die Zession vom 13. September 2019 verneint würde, könnte die eingeklagte Forderung gestützt auf Art. 298 Abs. 2 Ziff. 1 Abs. 3 SchKG eines objektiven Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung mittels einer sog. Schenkungspauliana zur Konkursmasse der Klägerin gezogen werden (KUKO SchKG-HUNKELER [Fn. 28], Art. 298 N. 26; MAIER, in: Kren Kostkiewicz/Vock [Fn. 6], Art. 286 N. 7 ff. m.w.N. und Art. 291 N. 5). - 17 - missbrauch sowohl der Zession gemäss Art. 164 ff. OR als auch des Par- teiwechsels i.S.v. Art. 83 ZPO und folglich ein offenbarer Rechtsmiss- brauch gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB vor. 8. Nachfrist zur Leistung der Parteikostensicherheit / Verfahrenssis- tierung 8.1. Die Klägerin wurde in E. 3 der Verfügung vom 22. August 2019 verpflichtet, bis zum 16. September 2019 eine Parteikostensicherheit im Umfang von Fr. 70'530.00 zu leisten. 8.2. Innert Frist ist die Klägerin weder dieser Verpflichtung nachgekommen, noch hat sie ein Fristerstreckungsgesuch gestellt. Der Klägerin wäre des- halb gestützt auf Art. 101 Abs. 3 ZPO eine angemessene Nachfrist mit An- drohung der Säumnisfolgen nach Art. 147 Abs. 3 ZPO anzusetzen. Da über die Klägerin mit Verfügung des Gerichtspräsidiums Z. vom 21. November 2019 jedoch der Konkurs eröffnet wurde, ist das vorliegende Verfahren ge- mäss Art. 207 SchKG von Gesetzes wegen zu sistieren. Die Nachfristan- setzung zur Leistung der Parteikostensicherstellung erfolgt bei einer allfäl- ligen Weiterführung des Verfahrens. 9. Prozesskosten Vorliegend wird auf eine Festsetzung der Prozesskosten verzichtet. Die entsprechenden Prozesskosten werden der Klägerin mit dem Endurteil auf- erlegt (vgl. Art. 104 Abs. 1 ZPO). Das Handelsgericht erkennt: 1. Es wird festgestellt, dass das Verfahren mit der Z GmbH in Liquidation fort- geführt wird. 2. Die Prozesskosten werden der Klägerin mit dem Endurteil auferlegt. 3. Das Verfahren wird bis 10 Tage nach der zweiten Gläubigerversammlung eingestellt. 4. Das Konkursamt Aargau, Amtsstelle Brugg, wird ersucht, dem Handelsge- richt schriftlich mitzuteilen, a) - 18 - wenn der Konkurs gegebenenfalls mangels Aktiven eingestellt wird (Art. 230 SchKG), b) wenn der Konkurs gegebenenfalls widerrufen wird (Art. 195 SchKG), c) ob im Falle der Durchführung des Konkurses, sei es im ordentlichen oder im summarischen Verfahren (Art. 231 SchKG), der Prozess durch die Kon- kursmasse selbst oder durch einen Abtretungsgläubiger (Art. 260 SchKG) weitergeführt wird. Zustellung an: die Klägerin (vertreten durch das Konkursamt, Amtsstelle Brugg zweifach mit Kopie der Eingabe der Eingabe der Rechtsanwälte lic. iur. Thomas Schmid und MLaw Mario Mastai vom 2. Dezember 2019 [inkl. Beilagen]) die Beklagte (Vertreter; zweifach mit Kopie der Eingabe der Eingabe der Rechtsanwälte lic. iur. Thomas Schmid und MLaw Mario Mastai vom 2. Dezember 2019 [inkl. Beilagen]) A Holding AG (Vertreter; zweifach) Mitteilung an: Gerichtspräsidium Z. 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 19 - Aarau, 16. Dezember 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Die Gerichtsschreiberin-Stv.: Vetter Albert
10,097
7,479
AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Zivilp_2019-12-16
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Zwischenentscheid_des_Handelsgerichts_vom_16._Dezember_2019.pdf
null
nan
15c0a3a1-7798-40b7-952e-faeb33f5639c
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414
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1,604,880,000,000
2,020
de
Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2020.87 Entscheid vom 9. November 2020 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin A. Aktiengesellschaft, _ vertreten durch Dr. iur. Markus Siegrist, Rechtsanwalt, Bleichematt- strasse 43, Postfach, 5001 Aarau Gesuchsgegne- rin I. SA, _ vertreten durch MLaw Simon Fluri und MLaw Noëmi Nenniger, Rechtsan- wälte, Jungfraustrasse 1, 3000 Bern 6 Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrecht Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in S. (AG). Sie be- zweckt im Wesentlichen _[GB] 3). 2. Die Gesuchsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in F. Sie hat ge- mäss Handelsregisterauszug (GB 4) folgenden Zweck _. Die Gesuchsgegnerin ist Alleineigentümerin der Grdst.-Nrn. 123 GB R. (E- GRID: CH 123; GB 2a) und 456 GB R. (E-GRID: CH 456; GB 2b). 3. Mit Gesuch vom 19. Oktober 2020 (Postaufgabe: 19. Oktober 2020) stellte die Gesuchstellerin die folgenden Rechtsbegehren: [...] - 2 - 4. Am 21. Oktober 2020 erliess der Vizepräsident folgende Verfügung: 1. In teilweiser Gutheissung des Gesuchs vom 19. Oktober 2020 wird der Gesuchstellerin die Vormerkung je einer vorläufigen Eintra- gung eines Bauhandwerkerpfandrechts gemäss Art. 837/839 i.V.m. Art. 961 ZGB wie folgt: Fr. 109'489.40 zuzüglich Zins zu 5 % seit 14. September 2020 auf Grdst.-Nr. 123 GB R. (E-GRID: CH 123) Fr. 38'469.25 zuzüglich Zins zu 5 % seit 14. September 2020 auf Grdst.-Nr. 456 GB R. (E-GRID: CH 456) superprovisorisch bewilligt. 2. Das Grundbuchamt A. wird angewiesen, die Vormerkung gemäss vorstehender Dispositiv-Ziff. 1 sofort einzutragen. 3. Die Gesuchstellerin hat mit beiliegendem Einzahlungsschein bis zum 5. November 2020 einen Gerichtskostenvorschuss von Fr. 3'000.00 zu leisten. 4. Zustellung des Doppels des Gesuchs (inkl. Beilagen) vom 12. Okto- ber 2020 an die Gesuchsgegnerin zur Erstattung einer schriftlichen Antwort bis zum 5. November 2020. 5. Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. Aus- nahmsweise ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichender Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustim- mung der Gegenpartei oder von der Partei nicht vorhersehbare oder nicht beeinflussbare Hinderungsgründe. 6. Bei Säumnis wird das Verfahren ohne die versäumte Handlung wei- tergeführt (Art. 147 Abs. 2 ZPO). 7. Die Gesuchsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass die Vormer- kung im Grundbuch gelöscht wird, wenn sie für die angemeldeten Forderungen hinreichende Sicherheiten leistet. Für die Anmel- dung der Löschung sind die Parteien selbst verantwortlich. - 3 - 8. Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO). 5. Das Grundbuchamt A. merkte die vorläufigen Eintragungen am 21. Okto- ber 2020 unter der Tagebuchnummer XXX vor. 6. Der Kostenvorschuss für die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 der Gesuchstellerin ging am 27. Oktober 2020 bei der Obergerichtskasse ein. 7. Mit Gesuchsantwort vom 5. November 2020 stellte die Gesuchsgegnerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Das Grundbuchamt A. sei anzuweisen, das zugunsten der auf der Liegenschaft der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 123 GB R., als vorläufige Eintragung vorgemerkte Bauhandwerkerpfandrecht im Betrag von CHF 109'489.40 Zins von 5 % seit 14. September 2020 zu löschen, 3. Das Grundbuchamt A. sei anzuweisen, das zugunsten der auf der Liegenschaft der Gesuchsgegnerin, Grdst.-Nr. 456 GB R., als vorläufige Eintragung vorgemerkte Bauhandwerkerpfandrecht im Betrag von CHF 38'469.25 Zins von 5 % seit 14. September 2020 zu löschen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge." Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Der Einzelrichter am Handelsgericht ist örtlich, sachlich und funktionell zur Beurteilung der im summarischen Verfahren zu behandelnden Streitigkeit zuständig (vgl. dazu E. 4 der Verfügung vom 21. Oktober 2020). 2. Allgemeine Voraussetzungen der vorläufigen Eintragung 2.1. Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts setzt im Wesentlichen die Forderung eines Bauhandwerkers oder Unternehmers für die Leistung von Arbeit und allenfalls von Material zugunsten des zu belastenden Grundstücks sowie die Wahrung der viermonatigen Eintragungsfrist voraus (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 und 839 Abs. 2 ZGB). - 4 - 2.2. Die Eintragungsvoraussetzungen sind im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts lediglich glaubhaft zu ma- chen. An diese Glaubhaftmachung werden zudem weniger strenge Anfor- derungen gestellt, als es diesem Beweismass für vorsorgliche Massnah- men (Art. 261 ff. ZPO) sonst entspricht.1 Die vorläufige Eintragung darf nur verweigert werden, wenn der Bestand des Pfandrechts ausgeschlossen o- der höchst unwahrscheinlich erscheint. Im Zweifelsfall, bei unklarer Be- weis- oder Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung zu bewilligen und die Entscheidung dem Richter im ordentlichen Verfahren zu überlassen.2 Letzt- lich läuft es darauf hinaus, dass der gesuchstellende Unternehmer nur die blosse Möglichkeit eines Anspruchs auf ein Bauhandwerkerpfandrecht nachzuweisen hat.3 3. Pfandsumme 3.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, von der M. AG mit dem Werkvertrag Nr. 29 vom 3. Mai 2019 mit der Ausführung der BKP 281.2 Bodenbelag aus Kunst- stoff und Textil für das Projekt P., in R., zu einem Werkpreis von Fr. 180'604.25 (netto; inkl. MwSt.) beauftragt worden zu sein (Gesuch Rz. 2; GB 8). In der Folge seien der vereinbarte Auftrag sowie zusätzliche Nachtragsarbeiten von der Gesuchstellerin ausgeführt worden (Gesuch Rz. 3). Für die bisher vom 1. März bis 7 Juli 2020 geleisteten Arbeiten ge- mäss Ausmassliste sei eine Vergütung von Fr. 276'101.85 (exkl. MwSt.) geschuldet. Abzüglich bereits geleisteter Akontozahlungen ergebe sich ein Rechnungsbetrag von Fr. 123'298.80 (Gesuch Rz. 4; GB 10). Die M. AG habe mit der Unternehmensschlussabrechnung vom 13. August 2020 die Schlussrechnung der Gesuchstellerin vom 7. Juli 2020 und damit der ge- schuldete Restbetrag von Fr. 123'298.85 bestätigt (Gesuch Rz. 6; GB 12a). Die Gesuchsgegnerin wendet ein, dass Leistungen nur in der Höhe von Fr. 199'901 inkl. MwSt. genehmigt worden seien. Unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Teilrechnungen in der Höhe von insgesamt Fr. 174'062.90 inkl. MwSt. könne die Gesuchstellerin somit maximal noch Anspruch auf einen Werklohn in der Höhe von Fr. 25'838.10 haben. Dieser Betrag werde jedoch mit Nichtwissen bestritten; Schuldnerin einer allfälli- gen Forderung wäre die M. AG (Gesuchsantwort Rz. 14). Sollte der An- spruch auf vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts wider 1 BGE 137 III 563 E. 3.3; 86 I 265 E. 3; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 1394; BSK ZGB II-THURNHERR, 6. Aufl. 2019, Art. 839/840 N. 37. 2 BGE 86 I 265 E. 3; 102 Ia 81 E. 2b.bb; BGer 5A_426/2015 vom 8. Oktober 2015 E. 3.4; 5A_924/2014 vom 7. Mai 2015 E. 4.1.2; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N. 628. 3 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 1395. - 5 - Erwarten teilweise gutgeheissen werden, so wäre lediglich ein Sicherheits- zuschlag von maximal 10 % zu Lasten der einzelnen Parzellen anzuerken- nen (Gesuchsantwort Rz. 16). 3.2.Rechtliches Pfandberechtigt sind die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbruchar- beiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Die mit dem Bauhandwerkerpfand zu sichernde bzw. die gesicherte Forde- rung besteht entsprechend in der Vergütungsforderung des Handwerkers oder Unternehmers. Sie ist mit dieser identisch. Für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch ist daher nach Art. 794 Abs. 1 i.V.m. Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine bestimmte Pfandsumme anzuge- ben.4 Werden auf mehreren Grundstücken pfandberechtigte Leistungen er- bracht, so ist die Pfandsumme auf die einzelnen Parzellen zu verteilen.5 Die Aufteilung hat derart zu erfolgen, dass jedes einzelne Grundstück nur mit demjenigen Anteil belastet wird, der dem Anteil an den Bauarbeiten entspricht, die tatsächlich für das betreffende (belastete) Grundstück er- bracht worden sind. Die sich aus der Aufteilung ergebenden Teilbeträge sind in der Folge als Teilpfandrechte i.S.v. Art. 798 Abs. 2 ZGB einzutra- gen.6 Der Unternehmer hat grundsätzlich nachzuweisen, welche konkreten Leistungen an Arbeit und Material er zu welchen Preisen für jedes einzelne Grundstück erbracht hat.7 Im Verfahren betreffend vorläufige Eintragung ist indes – aufgrund der drohenden Verwirkung bei Nichteintragung innerhalb der Frist von Art. 839 Abs. 2 ZGB – eine Aufteilung auf die einzelnen Lie- genschaften nach Bruchteilen (etwa auf der Grundlage von Quadrat- oder Kubikmeterzahlen) statthaft. Die im Grundbuch vorläufig eingetragenen Teilpfandsummen sind dann im Verfahren betreffend definitive Eintragung aufgrund konkreter Nachweise der auf den verschiedenen Grundstücken erbrachten Leistungen zu berichtigen.8 3.3. Würdigung Mit der Unternehmensschlussabrechnung vom 13. August 2020 (GB 12a) hat die M. AG ausdrücklich bestätigt, dass die ausstehende Werklohnfor- 4 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 436, 438 und 547. 5 BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 1), Art. 839/840 N. 18 m.w.H. 6 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 593, 837; vgl. BRITSCHGI Das belastete Grundstück beim Bauhandwerker- pfandrecht, Luzerner Beiträge zur Rechtswissenschaft, Band/Nr. 30, 2008, S. 103-118, 105, 113 f.; vgl. auch MATHIS, Das Bauhandwerkerpfandrecht in der Gesamtüberbauung und im , 1988, S. 150, 152. 7 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 593; BRITSCHGI (Fn. 6), S. 114; MATHIS (Fn. 6), S. 152. 8 Vgl. SCHUMACHER (Fn. 1), N. 840; BRITSCHGI (Fn. 6), S. 115; MATHIS (Fn. 6), S. 150 f. - 6 - derung der Gesuchstellerin Fr. 123'298.85 beträgt. Damit hat die Gesuch- stellerin die von ihr behauptete Pfandforderung glaubhaft gemacht. Im vor- liegenden Verfahren betreffend Bauhandwerkerpfandrechte ist dabei uner- heblich, dass diese vermeintliche Summe nicht die Gesuchsgegnerin, son- dern die M. AG schuldet. Im Rahmen der vorläufigen Eintragung von Bau- handwerkerpfandrechten ist bei Gesamtüberbauungen ein Sicherheitszu- schlag bzw. eine Sicherheitsmarge von 10 bis 20 % von Lehre und Recht- sprechung bei der Bemessung der Teilpfandsummen zulasten der einzel- nen Parzellen anerkannt.9 Es ist vorliegend kein Grund ersichtlich, davon abzuweichen. 3.4. Verzugszinsen In Bezug auf die Verzugszinsen bringt die Gesuchsgegnerin nichts vor, weshalb es bei den Ausführungen gem. E. 5.3 der Verfügung vom 21. Ok- tober 2020 bleibt. 4. Eintragungsfrist 4.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin behauptet, sie habe die letzten Arbeiten am 7. Juli 2020 ausgeführt. Dabei habe es sich um Anpassungsarbeiten des Über- gangsbereichs vom Bettenbereich zum Bestand OG gehandelt und damit um zentrale Punkte des Werkvertrags, nämlich der Verlegung von Boden- belägen, konkret von Teppichen. Zweifelsohne habe es sich bei den Arbei- ten vom 29. Juni bis 1. Juli 2020 um Vollendungsarbeiten gehandelt (Ge- such Rz. 5.4, GB 6 und 9). Die Gesuchsgegnerin bestreitet die Ausführungen der von der Gesuchstel- lerin behaupteten Vollendungsarbeiten nicht. Entgegen den Ausführungen der Gesuchstellerin könne jedoch aus der Höhe und/oder dem Zeitumfang der in Rechnung gestellten Leistungen nicht auf deren Qualifikation als Vollendungsarbeiten geschlossen werden; die Arbeiten seien nicht nach quantitativen, sondern vielmehr nach qualitativen Gesichtspunkten zu wür- digen. Solche qualitativen Anhaltspunkte seien jedoch von der Gesuchstel- lerin keine geltend gemacht worden (Gesuchsantwort Rz 11 f.). 4.2. Rechtliches Die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts muss bis spätestens vier Monate nach der Arbeitsvollendung erfolgen, andernfalls verwirkt der An- spruch (Art. 839 Abs. 2 ZGB).10 Die Eintragungsfrist berechnet sich nach Art. 7 ZGB i.V.m. Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 i.V.m. Abs. 2 OR. Sie endet somit an demjenigen Tag des letzten Monats, der durch seine Zahl dem Tag der Arbeitsvollendung entspricht.11 9 Vgl. SCHUMACHER (Fn. 1), N. 850 f.; BRITSCHGI (Fn. 6), S. 110 je m.w.N. 10 BGE 126 III 462 E. 4c.aa; BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 1), Art. 839/840 N. 29. 11 BSK ZGB II-THURNHERR (Fn. 1), Art. 839/840 N. 31a. - 7 - Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 839 Abs. 2 ZGB gel- ten Bauarbeiten grundsätzlich dann als vollendet, wenn alle Verrichtungen, die Gegenstand des Werkvertrages bilden, ausgeführt sind. Nicht in Be- tracht fallen dabei geringfügige oder nebensächliche, rein der Vervoll- kommnung dienende Arbeiten oder Ausbesserungen wie der Ersatz gelie- ferter, aber fehlerhafter Teile oder die Behebung anderer Mängel. Gering- fügige Arbeiten gelten aber dann als Vollendungsarbeiten, wenn sie uner- lässlich sind; insoweit werden Arbeiten weniger nach quantitativen als viel- mehr nach qualitativen Gesichtspunkten gewürdigt.12 4.3. Würdigung Die vorliegenden Bauhandwerkerpfandrechte wurden am 21. Oktober 2020 im Grundbuch vorgemerkt. Folglich genügt es, wenn die Arbeitsvoll- endung der Gesuchstellerin am 21. Juni 2020 noch nicht eingetreten ist. Im Verfahren um vorläufige Eintragung von Bauhandwerkerpfandrechten kommt nicht das ordentliche Beweismass, sondern dasjenige der Glaub- haftmachung zur Anwendung. Es ist vorliegend nicht ausgeschlossen oder höchst unwahrscheinlich, dass es sich bei den von der Gesuchstellerin zwi- schen dem 29. Juni und 7. Juli 2020 ausgeführten Arbeiten um Vollen- dungsarbeiten i.S.v. Art. Art. 839 Abs. 2 ZGB handelte. Es wird sich im Ver- fahren um die definitive Eintragung der Bauhandwerkerpfandrechte zeigen, ob es sich bei diesen letzten Arbeiten der Gesuchstellerin tatsächlich um Vollendungsarbeiten handelte. Demnach ist glaubhaft, dass die Gesuch- stellerin ihre Arbeiten per 21. Juni 2020 noch nicht vollendet hatte. 5. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Eintragung der Bauhandwerkerpfandrechte in der mit Verfügung vom 21. Oktober 2020 festgehaltenen Höhe inkl. 5 % Verzugszinsen seit 14. September 2020 erfüllt sind und die superprovisorisch angeordneten Vormerkungen der vorläufigen Eintragungen der Bauhandwerkerpfand- rechte entsprechend zu bestätigen sind. 6. Prosequierung Ist eine Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht rechtshängig, ist der gesuchstellenden Partei nach Art. 263 ZPO eine Frist zur Einreichung der Klage mit der Androhung anzusetzen, dass die Vormerkung der vorläufigen Eintragung im Grundbuch bei ungenutztem Ablauf der Frist ohne weiteres und ersatzlos gelöscht werde.13 Die Prose- quierungsfrist beträgt nach handelsgerichtlicher Praxis bei Fällen der vor- liegenden Grösse rund drei Monate. Der Fristenstillstand gemäss Art. 145 12 BGer 5A_613/2015 vom 22. Januar 2016 E. 4 m.w.N. 13 SCHUMACHER (Fn. 1), N. 672 ff. - 8 - Abs. 1 ZPO ist bei der Prosequierungsfrist nach Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 961 Abs. 3 ZGB ausgeschlossen.14 7. Prozesskosten Die Prozesskosten bestehen vorliegend nur aus Gerichtskosten und wer- den der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Geringfügiges Überklagen wird als vollständiges Obsiegen behan- delt.15 Ausgangsgemäss sind sie von der Gesuchsgegnerin zu tragen. 7.1. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 3'000.00 festgesetzt (§ 8 VKD; SAR 221.150). Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden sie vorab mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvor- schuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin die Gerichtskosten, d.h. Fr. 3'000.00, direkt zu ersetzen (vgl. Art. 111 Abs. 2 ZPO). 7.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin zudem eine Parteientschä- digung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 148'783.00 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 16'0852.10 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 6 AnwT) resultiert nach Vornahme ei- nes Summarabzugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von rund Fr. 4'013.00. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teil- nahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach einem weiteren Abzug von 20 % wegen der nicht durchge- führten Verhandlung (§ 6 Abs. 2 AnwT), resultiert ein Betrag in Höhe von Fr. 3'210.40. Nach Hinzurechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von Fr. 3'306.75, den die Gesuchsgegnerin der Gesuchstellerin als Parteient- schädigung zu bezahlen hat. Einen Mehrwertsteuerzuschlag macht die Gesuchstellerin zu Recht nicht geltend, da sie mehrwertsteuerpflichtig16 und damit auch vorsteuerabzugs- berechtigt ist.17 14 BGE 143 III 554 E. 2.5.2 m.w.H.; vgl. auch SCHUMACHER (Fn. 1), N. 688. 15 JENNY, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivil- prozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 106 N. 10. 16 XXX (letztmals besucht am 9. November 2020). 17 Vgl. SUTER/VON HOLZEN, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 15), Art. 95 N.39 m.w.N; Siehe auch Merkblatt der Gerichte des Kantons Aargau zur Frage der Berücksichtigung der bei der Bemessung der Parteientschädigung, publiziert unter: https://www.ag.ch//kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (letztmals am 9. November 2020). https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 9 - 7.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten im allenfalls vor Handels- gericht stattfindenden Hauptprozess im ordentlichen Verfahren oder auf- grund separater Verfügung im vorliegenden Verfahren bleibt vorbehalten. Der Vizepräsident erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung des Gesuchs vom 19. Oktober 2020 werden die mit Verfügung vom 21. Oktober 2020 zugunsten der Gesuchstellerin super- provisorisch angeordneten Vormerkungen wie folgt: Fr. 109'489.40 zuzüglich Zins zu 5 % seit 14. September 2020 auf Grdst.-Nr. 123 GB R. (E-GRID: CH 123) Fr. 38'469.25 zuzüglich Zins zu 5 % seit 14. September 2020 auf Grdst.-Nr. 456 GB R. (E-GRID: CH 456) vorsorglich bestätigt. 2. Das Grundbuchamt A. wird angewiesen, die Vormerkung gemäss Disposi- tiv-Ziff. 1 aufrechtzuerhalten. 3. 3.1. Die Gesuchstellerin hat bis zum 10. Februar 2021 beim zuständigen Ge- richt im ordentlichen Verfahren Klage auf definitive Eintragung der Bau- handwerkerpfandrechte anzuheben. 3.2. Im Säumnisfall fällt die in der vorstehenden Dispositiv-Ziff. 1 angeordnete vorsorgliche Massnahme dahin, wobei die Vormerkung im Grundbuch nur auf entsprechendes Gesuch hin gelöscht wird. 3.3. Es gilt kein Stillstand der Fristen. 4. 4.1. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.00 sind von der Gesuchsgegnerin zu tragen und werden mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von Fr. 3'000.00 verrechnet. - 10 - Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu tragenden Gerichtskosten der Ge- suchstellerin im Umfang von Fr. 3'000.00 direkt zu ersetzen. 4.2. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin eine Parteientschädigung von Fr. 3'306.75 zu bezahlen. 4.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten mittels separater Verfü- gung oder im ordentlichen Verfahren bleibt vorbehalten, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet. Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung und Kopie der Gesuchsantwort vom 5. November 2020 [inkl. Beilagen]) die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach) Zustellung an: das Grundbuchamt A. (nach Ablauf der Rechtsmittelfrist) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). - 11 - Aarau, 9. November 2020 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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2001 Obergericht/Handelsgericht 66 [...] 20 Doppelvertretungsverbot (§ 14 Abs. 2 Satz 1 AnwG) Die Tätigkeit des Anwaltes als Vermittler oder Vertreter zweier Parteien ist zulässig, sofern beide Parteien zustimmen und jede Benachteiligung einer Partei ausgeschlossen ist (§ 11 Abs. 2 Standesregeln). Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 27. August 2001 Aus den Erwägungen 3. c) Im Weiteren ist zu prüfen, ob der beschuldigte Anwalt ge- gen die Interessen seiner Mandantin gehandelt hat. Der Anwalt hat die Interessen der Mandantschaft gewissenhaft und nach Recht und Billigkeit zu wahren (§ 14 Abs. 2 Satz 1 AnwG) und darf nicht Per- 2001 Zivilprozessrecht 67 sonen mit sich widersprechenden Interessen dienen (§ 11 Abs. 1 der Standesregeln). Das Verbot der Vertretung gegensätzlicher Interessen gründet in der anwaltlichen Treuepflicht. In der Anzeige wird die Frage nach dem Vorliegen eines persönlichen Interessenkonfliktes sowie einer verpönten Doppelvertretung aufgeworfen. Ob die über- tragenen Interessen den eigenen oder anderen, dem beschuldigten Anwalt ebenfalls zur Wahrung übertragenen Interessen zuwiderlau- fen, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles zu prüfen (vgl. zum Ganzen: Giovanni Andrea Testa, Die zivil- und standes- rechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, Zürich 2001, S. 93 ff.). (...) dd) Vorliegend hatte der beschuldigte Anwalt zu beiden Parteien vorbestehende anwaltliche Beziehungen. Eine Vertretung von zwei Vertragsparteien durch denselben Anwalt erfordert stets besonders sorgfältiges anwaltliches Vorgehen, weil der Anwalt nie den Eindruck erwecken darf, er habe die eine Partei gegenüber der ande- ren bevorzugt. Daher ist ein solches Doppelmandat nur dann nicht zu beanstanden, wenn keine Interessenkollision daraus entsteht. Gerade bei reinen Beratungsmandaten ist die Doppelvertretung in der Regel zulässig, sofern beide Parteien die Aufgabe auf den Anwalt übertra- gen und dieser nicht bereits vorher eine Partei in derselben Sache vertreten hat (vgl. Testa, a.a.O., S. 93 und S. 104). Die Standesregeln erklären in § 11 Abs. 2 die Tätigkeit des Anwaltes als Vermittler oder Vertreter zweier Parteien als zulässig, sofern beide zustimmen und jede Benachteiligung einer Partei ausge- schlossen ist. In diesem Sinn kann auch § 14 Abs. 2 AnwG ausgelegt werden. Solange die Tätigkeit für beide Parteien (z.B. als Vermittler eines Darlehensvertrages wie vorliegend) den Interessen beider Par- teien gerecht wird, d.h. keine der Parteien dadurch benachteiligt wird, und auch beide Parteien einverstanden sind, ist dagegen nichts einzuwenden. Dass Frau X. benachteiligt worden wäre, ist, wie vorerwähnt, nicht ersichtlich. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass der beschuldigte Anwalt Frau X. nicht über die vorbestehenden an- waltlichen oder geschäftlichen Beziehungen zum Darlehensnehmer 2001 Obergericht/Handelsgericht 68 in Kenntnis gesetzt hatte. Dies gab sie am 27. Juni 2001 zu Protokoll, und auch der beschuldigte Anwalt räumte - im Widerspruch zu seiner Stellungnahme vom 10. August 2001 (S. 2) - ein, es sei gut möglich, dass er ihr nicht gesagt habe, dass er Mandate vom Darlehensnehmer habe (Protokoll, S. 9). Daraus ist zu schliessen, dass Frau X. dachte, zwischen dem beschuldigten Anwalt und dem Darlehensnehmer bestünde ,,lediglich" eine freundschaftliche Beziehung, und nicht wusste, dass der beschuldigte Anwalt auch gegenüber dem Darle- hensnehmer in die anwaltlichen Treuepflichten eingebunden war und nach wie vor ist. Selbstredend kann die Zustimmung zum Doppel- mandat nur in Kenntnis der zweiseitigen Anwaltstätigkeit und einer möglichen, damit einhergehenden Interessenkollision erfolgen. Da Frau X. nicht wusste, dass der beschuldigte Anwalt vorbestehende anwaltliche Beziehungen zu beiden Vertragsparteien hatte, konnte sie die notwendige Zustimmung zum Doppelmandat gar nicht erteilen. Dass dies ihrer eigenen Aussage zufolge nichts an ihrer Zustimmung zum Darlehensvertrag geändert hätte, vermag diesen Mangel nicht zu heilen, liegt doch die Pflichtverletzung des Anwaltes darin, sie nicht darüber informiert zu haben.
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2004 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 45 II. Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 5 Art. 80 SchKG; definitive Rechtsöffnung Enthält ein Urteil nur die grundsätzliche, betraglich nicht bezifferte Ver- pflichtung zur Ablieferung allfällig bezogener Kinderzulagen, ist nur für Beträge, die der Pflichtige ausweislich der Akten tatsächlich als Kinder- zulagen erhält, Rechtsöffnung zu erteilen. Der Unterhaltsberechtigte hat nicht nur die ihm allfällige Kinderzulagen zusprechende Urkunde vorzu- legen, sondern ebenfalls durch Urkunde zu beweisen, dass er selbst keine Zulagen erhält sowie, dass und in welchem Umfang der Verpflichtete sei- nerseits bezugsberechtigt ist. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 20. Dezember 2004, i.S. I.E. ca. D.E. Aus den Erwägungen 2. a) (...) b) aa) Nach Art. 285 Abs. 2 ZGB sind Kinderzulagen, die dem Unterhaltspflichtigen zustehen, zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu zahlen, soweit der Richter es nicht anders bestimmt. Diese Bestim- mung bildet für sich allein keinen Rechtsöffnungstitel für Kinderzu- lagen. Solche müssen in einem Urteil ausdrücklich erwähnt sein (BGE 113 III 9; ZR 84 Nr. 59). Enthält ein Urteil nur die grundsätzli- che, betraglich nicht bezifferte Verpflichtung zur Ablieferung allfäl- lig bezogener Kinderzulagen, ist nur für Beträge, die der Pflichtige ausweislich der Akten tatsächlich als Kinderzulagen erhält, Rechtsöffnung zu erteilen (ZR 72 Nr. 64). Dabei obliegt der Nach- weis für Bestand und Höhe der Zulagenberechtigung dem Gläubiger (Staehelin/Bauer/Staehelin, Basler Kommentar, Basel 1998, N 42 zu Art. 80 SchKG; a.M. RBOG 1998, S. 8; Hegnauer, Berner Kom- mentar, Bern 1997, N 98 zu Art. 285 ZGB). Der Unterhaltsberech- 2004 Obergericht/Handelsgericht 46 tigte hat daher in der Rechtsöffnung nicht nur die ihm allfällige Kin- derzulagen zusprechende Urkunde vorzulegen, sondern grundsätzlich ebenfalls durch Urkunde zu beweisen, dass er selbst keine Zulagen erhält sowie, dass und in welchem Umfang der Verpflichtete seiner- seits bezugsberechtigt ist (Stücheli, Die Rechtsöffnung, Zürich 2000, S. 205 f.; Urteil der 5. Zivilkammer des Obergerichts vom 28. Juni 2004 i.S. S.G. ca. R. H., Urteil der 3. Zivilkammer des Obergerichts vom 27. August 2004 i.S. S.B. ca. M.B.). Die von der Klägerin da- gegen in der Beschwerde vorgetragenen Einwände lassen sich auch nicht durch Praktikabilitätsüberlegungen oder angebliche Beweis- schwierigkeiten rechtfertigen. So wird diejenige Person oder Amts- stelle, die für das Kind sorgt, von der zuständigen Familienaus- gleichskasse im Kanton Aargau oder im Kanton Zürich ohne weite- res eine Bestätigung über die Zulagenberechtigung des Schuldners erhältlich machen können, nachdem sie bei nicht zweckentsprechen- der Verwendung der Zulagen sogar die Ausrichtung der Zulage an sich beanspruchen kann (§ 10 des Aargauischen Gesetzes über die Kinderzulagen für Arbeitnehmer vom 23. Dezember 1963; vgl. auch § 10 Abs. 2 des Zürcherischen Gesetzes über die Kinderzulagen vom 8. Juni 1958).
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2003 Obergericht/Handelsgericht 44 [...] 10 Art. 80 SchKG, Art. 164 OR; definitive Rechtsöffnung Mit rechtsgültiger Forderungsabtretung zum Zweck der Bevorschussung geht die Unterhaltsforderung vom Abtretenden auf die Gemeinde über, welche anstelle des Abtretenden forderungsberechtigt wird. Der Forde- rungsübergang kann mit Abtretungsurkunde oder Legalzession nachge- wiesen werden. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 5. Zivilkammer, vom 20. Januar 2003, i.S. Gemeinde O. ca. W.B. Aus den Erwägungen: 1. a) Definitive Rechtsöffnung muss gewährt werden, wenn die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil oder auf einem Urteilssurrogat beruht (Art. 80 SchKG). Die im Entscheid als Gläubiger bezeichnete Person und der Betreibende müssen grund- sätzlich identisch sein (Staehelin/Bauer/Staehelin, Basler Kommen- tar, Basel 1998, N 33 zu Art. 80 SchKG). Ein allfälliger Rechtsnach- folger des Gläubigers hat neben der Forderung als solche auch seine Rechtsnachfolge durch Urkunde zu beweisen. Wurde die Forderung abgetreten, ist somit zusätzlich zum betreffenden Urteil die schriftli- che Zessionserklärung des ursprünglich Berechtigten vorzulegen (Art. 165 Abs. 1 OR; Stücheli, Die Rechtsöffnung, Diss. Zürich 2000, S. 170). Die Forderungsabtretung ist als Vertrag zwischen dem abtretenden Gläubiger bzw. dessen gesetzlichen Vertreter und dem neuen Gläubiger ohne Einwilligung des Schuldners gültig, soweit 2003 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 45 nicht das Gesetz, eine Vereinbarung oder die Natur des Rechtsver- hältnisses dem entgegenstehen (Art. 164 Abs. 1 OR). Aufgrund der höchstpersönlichen Natur des familienrechtlichen Unterhaltsan- spruchs des Kindes ist dieser grundsätzlich einer Abtretung nicht zugänglich (BGE 107 II 474 f.). Das Abtretungsverbot, das dem Schutze des Kindes dient und auf die besondere Art der Unterhalts- ansprüche Rücksicht nimmt, kann aber dort nicht angerufen werden, wo weder der Leistungsinhalt verändert noch die Forderung ihrem Zweck entfremdet wird, wie bei der Forderungsabtretung an die Ge- meinde zum Zweck der Alimentenbevorschussung (§ 31 Abs. 3 So- zialhilfegesetz, aufgehoben per 1. Januar 2003; vgl. auch RBOG 2001 Nr. 15 S. 126 für das mündige Kind und BlSchKG 1992 Nr. 33 für Unterhaltsbeiträge der Ehefrau). Mit der rechtsgültigen Forderungsabtretung zum Zweck der Bevorschussung geht die Forderung vom abtretenden Gläubiger so- mit auf die Gemeinde über, welche anstelle des Abtretenden forde- rungsberechtigt wird und an dessen Stelle die Forderung gegenüber dem Schuldner geltend machen und, soweit sie auf einem Urteil oder Urteilssurrogat beruht, definitive Rechtsöffnung verlangen kann (RBOG 2001 Nr. 15 S. 126; allgemein: Staehelin/Bauer/Staehelin, a.a.O., N 35 zu Art. 80 SchKG; AGVE 1992, S. 60). Der Schuldner kann die Rechtsöffnung jedoch abwenden, wenn er durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Urteils getilgt oder gestundet worden ist, oder die Verjährung anruft und diese eingetreten ist (Art. 81 Abs. 1 SchKG). b) Mit unbestritten rechtskräftigem Entscheid des Bezirksge- richtes Z. vom 17. Juni 1993 wurde der Beklagte verpflichtet, seiner früheren Ehefrau an den Unterhalt der Tochter N. unter Berücksich- tigung der Indexierung monatlich vorschüssig Fr. 650.-- zuzüglich Kinderzulagen bis Ende April 2002 bzw. Fr. 700.-- zuzüglich Kin- derzulagen ab Mai 2002 bis zur vollen Erwerbsfähigkeit, mindestens bis zum vollendeten 18. Altersjahr und längstens bis zur Mündigkeit, zu bezahlen. Mit Erklärung vom 10. Dezember 1993 hat die frühere Ehefrau des Beklagten als gesetzliche Vertreterin der Tochter N. die Unterhaltsbeiträge an die Klägerin gemäss Art. 164 ff. OR im Um- fang von Fr. 560.-- mit Wirkung ab 1. Juli 1993 zum Zwecke der 2003 Obergericht/Handelsgericht 46 Alimentenbevorschussung abgetreten. Aus den Ausführungen der Klägerin geht hervor, dass sie Ausstände von Juli 1993 bis Dezember 1994, somit insgesamt für 18 Monate, geltend macht. Dies ergibt bei einer abgetretenen Forderung in der Höhe von monatlich Fr. 560.-- einen Gesamtbetrag von Fr. 10'080.--, für welchen die Klägerin über einen definitiven Rechtsöffnungstitel verfügt. Für den Restbetrag kann keine definitive Rechtsöffnung gewährt werden, da sich dieser nicht aus der Abtretungsurkunde ergibt und eine Legalzession (bzw. gesetzliche Subrogation) i.S.v. Art. 289 Abs. 2 ZGB entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht nachgewiesen ist. Die Klägerin hat es vorliegend versäumt, die Bevorschussung neben dem die Unterhalts- pflicht festlegenden Titel durch Urkunden zu belegen.
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AG_HG_001_AGVE-2003-10_2003-01-05
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-10.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-10.pdf
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2007 Zivilprozessrecht 31 III. Zivilprozessrecht A. Zivilprozessordnung 4 § 105 lit. b ZPO. Sicherstellung der Parteikosten. Für die Beurteilung der Zahlungs(un)fähigkeit der klagenden Partei ist (auch bei einer klägerischen Konkursmasse) auf den Zeitpunkt des Ge- suchs um Sicherstellung der Parteikosten abzustellen. Aus dem Entscheid der 4. Zivilkammer des Obergerichts vom 6. Juni 2007 in Sachen G. AG im Konkurs gegen G.B. et al. Aus den Erwägungen 2. Die Beklagten werfen der Vorinstanz vor, der angefochtene Entscheid widerspreche der Praxis des Obergerichts des Kantons Aargau, da er für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit der Kon- kursmasse auf deren jetzige ökonomische Situation und nicht darauf abstelle, wie sich diese nach Abschluss des Konkursverfahrens dar- stelle. Sie vertreten die Auffassung, Zahlungsunfähigkeit liege vor, wenn nach Abzug aller möglichen vorab zu tilgenden Massaschul- den, zu denen auch Prozessentschädigungen gehörten, von den Kon- kursaktiven kein Überschuss mehr verbleibe (Appellation S. 5), und stützen sich dabei auf den Entscheid in den AGVE 2001 Nr. 12 S. 53 ff. bzw. auf den darin zitierten Entscheid in den LGVE 1998 I Nr. 27 S. 56 ff. 2.1. Vor Obergericht unbestritten ist, dass der klägerischen Kon- kursmasse grundsätzlich eine Parteikostensicherstellung auferlegt werden kann, dass dies aber nicht bereits deshalb geschehen darf, weil gegen den Konkursiten ein (summarisches) Konkursverfahren hängig ist, sondern erst dann, wenn die Konkursmasse aus anderen Gründen zahlungsunfähig erscheint (§ 105 lit. b ZPO; Bühler/Edel- mann/Killer, a.a.O., N 13a zu § 105; AGVE 2001 Nr. 12 S. 53). 2007 Obergericht/Handelsgericht 32 2.2. Bereits aufgrund des Gesetzeswortlauts von § 105 lit. b ZPO ist für die Beurteilung der Zahlungs(un)fähigkeit der klagenden Partei auf den Zeitpunkt des Gesuchs um Sicherheitsleistung für die Parteikosten und nicht auf einen zukünftigen Zeitpunkt abzustellen. Dies muss auch deshalb so sein, weil nur der aktuelle Stand der fi- nanziellen Situation der klagenden Partei und nicht ein mutmassli- cher zukünftiger mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann. Schliesslich folgt das auch aus der Definition der Zahlungsun- fähigkeit. Zahlungsunfähig ist, wer weder über die Mittel verfügt, fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, noch über den erforderlichen Kredit, sich diese Mittel nötigenfalls zu beschaffen (Bühler/Edel- mann/Killer, a.a.O., N 14 zu § 105 mit Hinweisen). Da diese Defini- tion der Zahlungsunfähigkeit auf den Begriff der Fälligkeit abstellt, ergibt sich ohne weiteres, dass zur Feststellung der Zahlungsunfähig- keit allein die derzeitige ökonomische Lage der klägerischen Partei von Belang sein und es nicht darauf ankommen kann, ob sie nach Prozessbeendigung bzw. nach Abschluss des Konkursverfahrens mutmasslich in der Lage sein wird, die Parteikostenersatzforderung der Gegenpartei zu bezahlen (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O.). Ent- gegen der Meinung der Beklagten lässt sich aus dem Entscheid in den AGVE 2001 Nr. 12 S. 53 nichts Gegenteiliges im Sinne einer neuen Praxis des Obergerichts ableiten. Die Zahlungsunfähigkeit wird in diesem Entscheid genau gleich definiert wie allgemein üblich und wenn ausgeführt wird, eine Zahlungsunfähigkeit der Konkurs- masse im vorstehenden Sinn könne gegeben sein, wenn diese ver- mutlich nicht über genügend Aktiven verfüge, um die Prozesskosten zu decken, kann dies deshalb nicht bedeuten, dass auch mutmasslich anfallende zukünftige Massaschulden bei der Beurteilung der Zah- lungsunfähigkeit der Konkursmasse zu berücksichtigen sind. Das lässt sich auch nicht auf den in diesem Entscheid gemachten Hinweis auf den Entscheid in den LGVE 1998 I Nr. 27 stützen. Das Zitat steht nach der Definition einer Zahlungsunfähigkeit der Konkursmasse und bezieht sich daher ganz offensichtlich auf die Definition der Zahlungsunfähigkeit im zitierten Entscheid, wo ausgeführt wird, ge- mäss feststehender Praxis des Obergerichts des Kantons Luzern gelte eine Partei als zahlungsunfähig im Sinne der Bestimmung über die 2007 Zivilprozessrecht 33 Kostensicherungspflicht, wenn ihre Aktiven wahrscheinlich nicht ausreichen werden, die Gegenpartei gemäss Urteilsspruch zu ent- schädigen, und kann nicht als Übernahme der Rechtsprechung des Obergerichts des Kantons Luzern aufgefasst werden, wonach eine Partei zahlungsunfähig ist, wenn nach Abzug aller möglichen vorab zu tilgenden Massaschulden, zu denen auch Prozessentschädigungen gehören, kein Überschuss übrig bleibt, zumal mit dem Ausdruck "alle möglichen, vorab zu tilgenden Massaschulden" nicht mit Si- cherheit das gemeint ist, was die Beklagten daraus entnehmen wol- len, nämlich alle möglichen "mutmasslichen" Massaschulden. Vor allem aber wird in dem in den AGVE 2001 Nr. 12 S. 53 ff. publi- zierten Entscheid nicht nur der Entscheid in den LGVE 1998 I Nr. 27, sondern auch der Entscheid in den RBOG 1991 Nr. 23 S. 110 ff. zitiert, welcher die Auffassung der Beklagten nicht stützt. Dort wird im Gegenteil und zu Recht ausgeführt, der Begriff der sonstigen Zahlungsunfähigkeit dürfe nicht extensiv ausgelegt werden, vielmehr bedürfe es konkreter Hinweise darauf, dass es der zu kautionierenden Partei in letzter Zeit effektiv nicht möglich gewesen wäre, eine Schuld vollumfänglich zu decken. 2.3. Zahlungsunfähigkeit bedeutet somit die Unfähigkeit, fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, und der Nachweis, dass die Klägerin dazu nicht in der Lage ist, kann nicht dadurch erbracht werden, dass zu beweisen versucht wird, dass deren Aktiven dereinst nach Ab- schluss des Prozesses bzw. des Konkursverfahrens nicht zur Deckung der Prozesskosten bzw. Massaverbindlichkeiten ausreichen werden. Es lässt sich zur Zeit noch gar nicht abschätzen, wie hoch die Aktiven der Klägerin bzw. die Massaverbindlichkeiten dann sein werden. Obsiegt die Klägerin etwa im vorliegenden Prozess gegen die Beklagten, werden ihre Aktiven zunehmen und Prozesskosten bei ihr nicht anfallen. Es darf mit anderen Worten nicht von einem zu- künftigen rein hypothetischen Zustand ausgegangen und von diesem auf die Gegenwart geschlossen werden (SJZ 1981 Nr. 33 S. 200 Erw. 4), sondern es müssen konkrete Anhaltspunkte vorgelegt wer- den, dass die klagende Partei zahlungsunfähig, das heisst derzeit nicht in der Lage ist, fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen (Entscheid der 4. Zivilkammer des Obergerichts vom 23. Oktober 2006 2007 Obergericht/Handelsgericht 34 [ZOR.2006.93] Erw. 2.4). Da durch die Sicherstellungspflicht der Zugang zu den Gerichten nicht unnötig erschwert werden soll, darf Zahlungsunfähigkeit nicht leichthin angenommen werden (Büh- ler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 14 zu § 105). Es ist vielmehr in jedem Fall der konkrete Nachweis der Zahlungsunfähigkeit nötig, welcher von jener Partei zu erbringen ist, welche die Sicherheit von der Ge- genpartei verlangt (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 2 zu § 109). Die Beklagten haben also den konkreten Nachweis zu erbringen, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, fällige Verbindlich- keiten der Masse zu erfüllen.
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2001 Opferhilfegesetz 95 VII. Opferhilfegesetz 30 Art. 8 Abs. 2 OHG , Information des Opfers durch die Behörden. - Die Zivilkläger, welche zugleich Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes sind, sind im Gerichtsverfahren darauf hinzuweisen, dass die Anfech- tung des Strafurteils die Geltendmachung von Zivilansprüchen vor- aussetzt. - Wenn die Zivilkläger die Verweisung der Zivilansprüche auf den Zi- vilweg verlangen, geben sie ihre Parteistellung im hängigen Strafver- fahren auf. Allein weil das Verschulden im Strafverfahren erst festge- stellt werden muss, kann nicht davon gesprochen werden, dass die Stellung von Genugtuungsansprüchen im Voraus unzumutbar ist. - Das Bundesrecht sieht keine ausdrückliche Sanktion für die Verlet- zung der Informationspflicht durch die Behörden vor. Die fehlende Rechtsmittelbelehrung zeitigt nur dann Rechtsfolgen, wenn die Partei auch bei gebührender Aufmerksamkeit die Anfechtungsmöglichkeit nicht richtig erkennen konnte. Von einem Anwalt wird bei einer un- richtigen Rechtsmittelbelehrung nur die Konsultation des Gesetzes- textes, nicht jedoch der Rechtsprechung und Literatur verlangt. Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 26. Oktober 2001 i.S. M.K. Aus den Erwägungen 1. Die Zivilkläger machen mit ihrer Berufung geltend, die Auf- fassung der Vorinstanz, ohne adhäsionsweise Stellung einer Zivilfor- derung seien sie nicht Partei und damit nicht zur Stellung des Begeh- rens um Motivierung des gefällten Urteils berechtigt, hätte in einer Rechtsbelehrung formuliert werden müssen. Gemäss Art. 8 Abs. 2 1. Satz OHG informieren die Behörden das Opfer in allen Verfahrensabschnitten über seine Rechte. Mit die- 2001 Obergericht/Handelsgericht 96 ser Bestimmung wird die Vermutung der Kenntnis des Gesetzes um- gestossen (BGE 123 II 244 = Pra 86 Nr. 148). Die Pflicht der Behör- de zur Information besteht von Amtes wegen und setzt keinen Antrag des Opfers voraus. Zur Information verpflichtet sind alle mit der Strafverfolgung befassten Behörden, d.h. die Polizei-, Untersu- chungs- und Gerichtsbehörden (Eva Weishaupt, Die verfahrensrecht- lichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, Zürich 1998, S. 69). Sie haben das Opfer auch auf seine Rechte gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. a bis c OHG sowie die Voraussetzungen zu deren Wahrung hinzuwei- sen und es somit u.a. darüber zu informieren, dass das Recht zur Anfechtung eines Gerichtsentscheides gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG grundsätzlich - nämlich soweit zumutbar - die adhäsionsweise Geltendmachung der Zivilansprüche voraussetzt (BGE 120 IV 54; 120 Ia 106; Pra 84 Nr. 131, S. 422; Weishaupt a.a.O., S. 70). Den Zivilklägern wurde im Ermittlungsverfahren vom so ge- nannten "Opferhilfe Informationsblatt" Kenntnis gegeben, welches keine Angaben über die Geltendmachung der Zivilansprüche enthält. Im Gerichtsverfahren wurden sie einzig darauf hingewiesen, das sie allfällige Ansprüche vor oder in der Verhandlung geltend machen könnten und die dafür nötigen Beweismittel vorzulegen hätten. Eine ausreichende Information über die Rechte gemäss Art. 8 Abs. 1 OHG erfolgte somit nicht. Insbesondere wurden sie nicht darauf hingewie- sen, dass die Anfechtung des Strafurteils die Geltendmachung der Zivilansprüche voraussetzt. Die sinngemäss behauptete Verletzung der behördlichen Informationspflicht liegt demnach vor. 2. Die Opfer bringen im Weiteren vor, auch ohne Erhebung von Zivilansprüchen stehe ihnen aufgrund des Opferhilfegesetzes das Recht zur Anfechtung des vorinstanzlichen Urteils zu, da sich dieses auf die Beurteilung ihrer Ansprüche auswirken könne. Gemäss Art. 8 Abs. 1 OHG kann sich das Opfer am Strafver- fahren beteiligen. Es kann insbesondere seine Zivilansprüche geltend machen (lit. a), den Entscheid eines Gerichts verlangen, wenn das Verfahren nicht eingeleitet oder wenn es eingestellt wurde (lit. b), und den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren be- teiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder 2001 Opferhilfegesetz 97 sich auf deren Beurteilung auswirken kann (lit. c). Gegen das Straf- urteil, durch das der Angeschuldigte beispielsweise freigesprochen wird, kann das Opfer Rechtsmittel im Strafpunkt also nur dann erhe- ben, wenn es, soweit zumutbar, seine Zivilansprüche aus strafbarer Handlung im Strafverfahren geltend gemacht hat. Das Strafverfahren darf nicht nur ein Vehikel zur Durchsetzung von Zivilforderungen in einem Zivilprozess sein, den das Opfer erst nach Abschluss des Strafprozesses, je nach dessen Ausgang anzustrengen gedenkt. Das Opfer soll nach der Konzeption des Opferhilfegesetzes nicht sozusa- gen mit Hilfe eines von ihm allenfalls erst im Rechtsmittelverfahren erstrittenen günstigen Strafurteils erstmals in einem gesonderten Zivilprozess Zivilansprüche einbringen, sondern es soll, soweit zu- mutbar, seine Zivilansprüche aus strafbarer Handlung im Strafver- fahren geltend machen (BGE 120 IV 53 f.; Gomm/ Stein/Zehntner, Kommentar zum Operhilfegesetz, Bern 1995, N. 14 zu Art. 8). Die Zumutbarkeit der Geltendmachung von Zivilansprüchen im Strafprozess hängt von den Umständen des konkreten Falles ab. Steht beispielsweise während des Strafprozesses, und zwar auch noch im Hauptverfahren, noch nicht fest, ob infolge des Gegenstand des Verfahrens bildenden Verhaltens des Angeschuldigten überhaupt ein Schaden entstanden ist, oder lässt sich die Höhe des Schadens noch nicht zuverlässig abschätzen, kann die Legitimation des Opfers zur Ergreifung von Rechtsmitteln im Strafpunkt nicht davon abhän- gen, ob es im Strafverfahren adhäsionsweise Zivilansprüche geltend gemacht hat (BGE 120 IV 53 ff.; 120 Ia 106 f.; Gomm/Stein/ Zehnt- ner a.a.O.). Die Zivilkläger haben an der vorinstanzlichen Hauptverhand- lung die Verweisung der Zivilansprüche auf den Zivilweg beantragt. Sie verlangten folglich sinngemäss, dass sich das Bezirksgericht im Rahmen des Strafverfahrens mit ihren Ansprüchen nicht befassen sollte. Damit gaben sie ihre Parteistellung im hängigen Strafverfah- ren auf, setzt diese doch grundsätzlich voraus, dass die Geschädigten im Strafverfahren einen Zivilanspruch geltend machen (Beat Brühl- meier, Aargauische Strafprozessordnung, 2.A., Aarau 1980, Ziff. 3 zu § 164 Abs. 4), es sei denn, die Stellung solcher Anträge wäre ihnen nicht zumutbar. Die Zivilkläger haben zwar sinngemäss behauptet, 2001 Obergericht/Handelsgericht 98 dies sei der Fall gewesen, weil ihre Genugtuungsansprüche ver- schuldensabhängig seien und das Verschulden im Strafverfahren erst festgestellt werden müsse. Dass das Verschulden des Angeklagten anlässlich der vorinstanzlichen Verhandlung noch ungeklärt war, stellt aber keine Besonderheit des vorliegenden Falles dar. Die Gel- tendmachung von Zivilansprüchen ist den Zivilklägern nicht erst dann zuzumuten, wenn sämtliche Voraussetzungen dieser Ansprüche gerichtlich festgestellt sind. Inwiefern ihnen im vorliegenden Fall die Stellung von Zivilansprüchen nicht hätte zugemutet werden können, ist deshalb nicht ersichtlich. 3. Es steht somit einerseits fest, dass sich die Zivilkläger nicht in der vom Gesetz geforderten Art und Weise am Strafverfahren beteiligt haben und sie damit an sich ihre Legitimation zur Anfech- tung des ergangenen Strafurteils verloren haben. Andererseits haben die Behörden ihre in Art. 8 Abs. 2 OHG statuierte Informations- pflicht dadurch verletzt, dass sie die Zivilkläger nur unzureichend über ihre Rechte informiert haben. Das Bundesrecht sieht keine ausdrücklichen Sanktionen für die Verletzung der Informationspflicht durch die Behörden vor (BGE 123 II 244 = Pra 86 Nr. 148, S. 797; Corboz Les droits procéduraux découlant de la LAVI, in: SJ 1996, S. 84; Gérard Piquerez, La nou- velle loi sur l'aide au victimes d'infractions: quels effets sur la RC et la procédure pénale?, in: Revue Jurassienne de Jurisprudence 1996 S. 31). Die Folgen hängen nach Meinung des Bundesgerichts von der Art des Rechts ab, über welches das Opfer nicht informiert wurde (BGE 122 IV 78). Nach Auffassung der Lehre kann dem Opfer im Falle mangelnder Information der Behörden die Befugnis zur An- fechtung des Gerichtsentscheides gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. a OHG nicht mit der Begründung abgesprochen werden, es habe die dafür erforderliche Geltendmachung der Zivilansprüche unterlassen. Sie betrachtet deshalb in solchen Fällen die Voraussetzung der vorgängi- gen Beteiligung ohne weiteres als entbehrlich (Gomm/Stein/Zehntner a.a.O., N. 21 zu Art. 8; Gilbert Kolly, Zu den Verfahrensrechten der Opfer von Straftaten [Art. 8 OHG] im freiburgischen Strafprozess, in: FZR/RFJ 1994 S. 48; Bernard Corboz a.a.O., S. 79, Weishaupt a.a.O., S. 78, 299 und 304 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat im 2001 Opferhilfegesetz 99 Falle einer fehlenden Information über die Frist zur Stellung eines Gesuchs um Entschädigung und Genugtuung nach Art. 16 Abs. 3 OHG hingegen entschieden, es sei auf die im Bereich der Sozial- versicherung entwickelte Rechtsprechung abzustellen, gemäss wel- cher die Wiederherstellung von Verwirkungsfristen zugelassen werde, wenn der Gläubiger ohne Verschulden nicht in der Lage ge- wesen sei, rechtzeitig zu handeln (BGE 123 II 245 = Pra 86 Nr. 148, S. 798). Der Fall einer fehlenden Information über die Verfahrens- rechte des Opfers weist nun aber weniger Ähnlichkeiten mit demje- nigen der Wiederherstellung einer Verwirkungsfrist als mit dem einer fehlenden oder unrichtigen Rechtsmittelbelehrung auf. Allerdings stützt sich die dazu bestehende Praxis in beiden Fällen im Wesentli- chen auf den Grundsatz von Treu und Glauben, welcher den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten schützt (BGE 112 V 119 = Pra 76 Nr. 13, S. 36; Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2.A., Aarau/Frankfurt a.M./ Salzburg 1998, N. 6 zu § 279). Die fehlende Rechtsmittelbelehrung zeitigt dementsprechend nur dann Rechtsfol- gen, wenn die Partei auch bei gebührender Aufmerksamkeit die An- fechtungsmöglichkeit nicht (richtig) erkennen konnte. Von einem Anwalt wird wie bei einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung in die- sem Zusammenhang nur die Konsultation des Gesetzestextes, nicht jedoch der Rechtsprechung und Literatur verlangt werden können (vgl. Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivil- prozessordnung, 3.A., Zürich 1997, N. 20 f. zu GVG § 158). Das Bundesgericht hat selbst ausgeführt, dass sich aus Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG nicht deutlich ergebe, dass das Opfer im Strafpunkt nur ein Rechtsmittel erheben kann, wenn es seine Zivilansprüche im Straf- verfahren geltend gemacht hat. Es hat diesen Schluss denn auch nur aus Sinn und Zweck von Art. 8 und 9 OHG gezogen, wie diese im Schlussbericht der Studienkommission und der bundesrätlichen Bot- schaft beschrieben werden (BGE 120 IV 53). Wie unter Ziffer 2 hievor festgestellt, haben die Zivilkläger trotz anwaltlicher Vertretung darauf verzichtet, die adhäsionsweise Beur- teilung ihrer Zivilansprüche zu verlangen. Da sie jedoch seitens des Bezirksgerichts nicht rechtzeitig darüber belehrt worden sind, dass 2001 Obergericht/Handelsgericht 100 ihre Parteistellung im weiteren Verfahren von der Geltendmachung solcher Ansprüche abhängt und dies auch nicht ohne weiteres dem Gesetzestext zu entnehmen ist, muss ihnen die Möglichkeit zur An- fechtung des ergangenen, freisprechenden Strafurteils eingeräumt werden. Gelegenheit zur nachträglichen Stellung von Zivilansprü- chen wird ihnen hingegen nicht zu geben sein. Eine Anfechtung des Strafurteils setzt voraus, dass das ergangene Urteil vorab begründet wird. Das Motivierungsbegehren der Zivilkläger ist demnach gutzu- heissen.
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2007 Obergericht/Handelsgericht 46 9 Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA Registereintrag: Voraussetzungen zur Gewährleistung der Unabhängig- keit bei Tätigkeit im Anstellungsverhältnis neben der Anwaltstätigkeit Entscheid der Anwaltskommission vom 26. Juni 2007 i.S. S. P. Aus den Erwägungen 4. 4.1. Ein Anwalt, der neben seiner Anwaltstätigkeit bei einem nicht im Register eingetragenen Arbeitgeber angestellt ist, muss im Hin- blick auf Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA vollständige Angaben über sein Arbeitsverhältnis beibringen, soweit sie für die Unabhängigkeits- frage von Belang sein können. Der Registereintrag darf zudem davon abhängig gemacht werden, dass der Anwalt die von ihm getroffenen Vorkehrungen aufzeigt, die ihm die Wahrung seines Berufsgeheim- nisses trotz seiner Anstellung erlauben. Er muss insgesamt für klare Verhältnisse sorgen (BGE 130 II 87 E. 6.1). So ist ein Arbeitsvertrag vorzulegen, aus dem insbesondere hervorgeht, dass 1. der Arbeitgeber über die nebenberufliche selbständige Anwaltstätigkeit seines Angestellten orientiert und da- mit einverstanden ist, 2. der Arbeitgeber keinen Einfluss auf diese Anwaltstätig- keit nehmen kann, beispielsweise aufgrund eines Wei- sungs- oder Einsichtsrechts, 3. weder der Arbeitgeber oder ihm nahe stehende Unter- nehmungen noch seine Kunden oder sonstige Ge- schäftspartner, sofern die Art der Beziehung dieser Per- sonen zum Arbeitgeber für die Unabhängigkeit der Mandatsführung nicht zum Vornherein irrelevant er- scheint, die anwaltlichen Dienstleistungen des Ange- stellten in Anspruch nehmen können, 2007 Zivilprozessrecht 47 4. die allfällige Führung von Mandaten gegen den Arbeit- geber oder dessen Kunden ausgeschlossen ist, 5. dem Arbeitgeber gegenüber keine Verpflichtungen (z.B. eine Auskunftspflicht) bestehen, die den Anwalt daran hindern könnten, den anwaltlichen Berufspflichten voll- umfänglich nachzukommen und v.a. das Anwaltsge- heimnis zu wahren, 6. in Bezug auf das Verhältnis zum übrigen Personal des Arbeitgebers zumindest implizit ausgeschlossen wird, dass vom Arbeitgeber angestelltes und entlöhntes Per- sonal Anwaltskanzleiarbeiten für den Anwalt ausübt (BGE 130 II 87 E. 6.3.1). Neben der Ausgestaltung des Arbeitsvertrags erachtet das Bun- desgericht weitere Punkte als bedeutsam. Es handelt sich dabei um organisatorische Vorkehrungen, die der Anwalt zu treffen hat; er muss namentlich den Nachweis erbringen für 7. die strikte Trennung von Vermögenswerten der Klien- ten, sowohl vom eigenen Vermögen des Anwalts als auch vom Vermögen des Arbeitgebers, 8. die Möglichkeit der gesonderten und für Organe, Ver- treter oder Angestellte des Arbeitgebers unzugänglichen Aufbewahrung der Anwaltsakten, 9. eine in der räumlichen Organisation zum Ausdruck kommende Trennung von unselbständiger und selbstän- diger Tätigkeit, d.h. die Geschäftsadresse des Anwalts muss sich in einem anderen Lokal befinden als die Räumlichkeiten seines Arbeitgebers (BGE 130 II 87 E. 6.3.2; vgl. zu diesem gesamten Kontext auch H ESS , Unabhängigkeit angestellter Register-Anwälte, in: An- waltsrevue 3/2004, S. 94 f., Umsetzung des Bundesge- setzes über die Freizügigkeit von Anwältinnen und An- wälte [BGFA] durch die Kantone, in: SJZ 98 [2002] Nr. 20, S. 489 ff.; N ATER / B AUMBERGER , Praktische Aus- wirkungen der neuen bundesgerichtlichen Praxis zur 2007 Obergericht/Handelsgericht 48 Unabhängigkeit angestellter Anwältinnen und Anwälte, in: SJZ 100 [2004] Nr. 16, S. 391 ff.). 4.2. Zu beachten ist im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit Fol- gendes: Es geht bei der Eintragungsvoraussetzung gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA um die so genannte ,,institutionelle Unabhängig- keit". Das Fehlen der institutionell verstandenen Unabhängigkeit ist zu vermuten bei Mandaten, die in irgendeinem Zusammenhang mit einer Anstellung stehen (BGE 130 II 87 E. 5.2). Nicht gemeint ist hier dagegen die Unabhängigkeit im konkreten Einzelfall, welche von Art. 12 lit. b (Unabhängigkeit) und lit. c BGFA (Verbot der Inte- ressenkollision) erfasst wird und bei der Frage der Einhaltung der Berufsregeln Bedeutung erlangt (E RNST S TAEHELIN / C HRISTIAN O ETIKER in: W ALTER F ELLMANN / G AUDENZ G. Z INDEL [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich 2005, Art. 8 N 31). Beim Eintragungsgesuch hat der Anwalt zwar darzulegen, dass unter Berücksichtigung seiner persönlichen Situation (z.B. als Teil- zeitangestellter) die Gefahr des Auftretens von Interessenkollisionen in Einzelfällen minimiert wird. Er kann dies insbesondere tun, indem er sich eben verpflichtet, keinerlei Mandate für seinen Arbeitgeber oder dessen Kunden zu übernehmen. Die übernommenen Mandate dürfen in keinem Zusammenhang mit seiner Anstellung stehen, die Anwaltstätigkeit muss klar ausserhalb des Angestelltenverhältnisses ausgeübt werden und die Mandate müssen klar ausserhalb des Tätig- keitsbereichs des Arbeitgebers liegen (vgl. BGE 130 II 87, E. 5.2). Ein Anwalt muss aber im Zusammenhang mit seinem Eintra- gungsgesuch nicht beweisen, dass für die Zukunft jegliche denkbare Konstellation ausgeschlossen ist, welche zu einem Interessenkonflikt führen könnte - diesen Beweis wird auch ein rein freiberuflich tätiger Anwalt gar nicht erbringen können. Es darf kein Nachweis verlangt werden, dass jede künftige Beeinträchtigung der Unabhängigkeit ausgeschlossen ist. Hingegen hat jeder Anwalt bei späterem Auftre- ten einer fragwürdigen oder kritischen Situation bezüglich Unabhän- gigkeit und Interessenkollision im Zweifelsfall die Mandatsübernah- me eher abzulehnen, ansonsten er Gefahr läuft, gegen die Berufsre- 2007 Zivilprozessrecht 49 geln von Art. 12 lit. b oder c BGFA zu verstossen (BGE 130 II 87, E. 5.2). [...] 4.7. Gemäss Bundesgericht spricht weder eine Teilzeit- noch gar eine Vollzeitanstellung gegen einen Eintrag im Anwaltsregister und damit eine anwaltliche teil- oder freizeitliche Tätigkeit (BGE 130 II 87, E. 6.2). Der Anwalt ist zur unabhängigen, sorgfältigen und ge- wissenhaften, allein im Interesse der Klienten liegenden Berufsaus- übung verpflichtet. Dabei spielt letztlich auch die zeitliche Verfüg- barkeit des Anwalts eine Rolle. Allerdings ist diese auch bei rein frei- erwerbenden Anwälten nicht schon per se gewährleistet, denn auch sie können sich durch Übernahme von zu vielen Fällen in eine für den einzelnen Klienten unbefriedigende, wenn nicht gar problemati- sche Situation manövrieren. Es liegt in der Verantwortung des An- waltes, sein Kundensegment entsprechend zu wählen und unprakti- kable Mandate abzulehnen. Der Gesuchsteller arbeitet nicht alleine, sondern schliesst sich der bestehenden Kanzlei B. & F. Rechtsanwälte, A., an. Die Erreich- barkeit und Stellvertretung dürfte somit auch während seiner 80% - Tätigkeit in den N.S.A. gewährleistet sein. Für seine eigene Organi- sation bezüglich Gerichts- und Anwaltstätigkeit ist er grundsätzlich selber zuständig, wobei zu vermuten ist, dass er auf die bestehende Infrastruktur der Kanzlei B. & F. Rechtsanwälte zurückgreifen kann. Deshalb ergeben sich selbst bei einem 20%-Pensum keine Einwände gegen die Ausübung des Anwaltsberufes. Auch die Fristwahrung für seine Klienten sollte möglich sein, zumal Fristen in der Regel nicht von einem Tag auf den anderen angesetzt werden respektive zeitkriti- sche Mandate nicht angenommen werden müssen. Im vorliegenden Fall stellt die teilzeitliche Anwaltstätigkeit folglich keinen Hinderungsgrund für eine Registereintragung dar.
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2000 Obergericht 60 [...] 15 § 329 Abs. 1 ZPO. Die Regelung, wonach das Obergericht bei Appellationen gegen den Ent- scheid eines Bezirksgerichts eine Parteiverhandlung durchzuführen hat, gilt nicht ausnahmslos. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Zivilkammer, vom 4. Mai 2000 in Sachen S.S. gegen U.R. Aus den Erwägungen 1. Nach dem Wortlaut des § 329 Abs. 1 ZPO hätte vor Oberge- richt im vorliegenden Fall, in dem verfahrensrechtliche Fragen zu beurteilen sind, eine Verhandlung stattzufinden. Dies kann indessen nicht dem Sinn dieses Artikels entsprechen. Beschränkt die Vorin- stanz die Antwort auf Einreden gegen die prozessuale Zulässigkeit (§ 177 Abs. 2 ZPO), kann sie nach eingeholter Stellungnahme des Klägers ohne weitere Rechtsschriften und ohne Ansetzen einer Ver- handlung das weitere Vorgehen beschliessen. Die ausnahmslose Geltung von § 329 Abs. 1 ZPO hätte die offensichtlich unbefriedi- gende Konsequenz, dass das Obergericht zur Überprüfung eines sol- chen Beschlusses, den die Vorinstanz nach den Bestimmungen der 2000 Zivilprozessrecht 61 Zivilprozessordnung ohne weitere Verfahrensschritte und ohne Par- teiverhandlung zu fällen hatte, eine Parteiverhandlung durchführen müsste. § 329 Abs. 1 ZPO ist demnach in solchen Fällen nicht an- wendbar.
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2001 Strafrecht 69 IV. Strafrecht 21 Art. 217 StGB, Vernachlässigung von Unterhaltspflichten. Wenn sich der Angeklagte als Unterhaltsschuldner bei einer gegen ihn gerichteten Pfändung die Unterhaltsbeiträge ins Existenzminimum ein- rechnen lässt, ohne diese effektiv zu leisten, so wird angenommen, dass er die erforderlichen Mittel zur Verfügung gehabt hätte. Wenn für diese Bei- träge in der Folge eine weitere Pfändung vorgenommen wird, hat der Angeklagte seine Leistungsunfähigkeit zu vertreten, weil er es unterliess, die einberechneten Beträge zu leisten. Zudem hätte er sich mit betrei- bungsrechtlichen Mitteln gegen die Pfändung wehren müssen. Auszug aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 23. Ok- tober 2001 i.S. P.B. Aus den Erwägungen Für die Monate August und September 1999 hat sich der Ange- klagte die an seine geschiedene Ehefrau zu leistenden Unterhaltsbei- träge in das Existenzminimum einrechnen lassen, ohne diese effektiv zu leisten. Es ist deshalb festzustellen, dass er in den genannten bei- den Monaten die Mittel zur Erfüllung der Unterhaltsbeiträge ohne weiteres gehabt hätte. Der objektive Tatbestand bezüglich der Mo- nate August und September 1999 ist somit erfüllt. Auch für den Monat Oktober 1999 wurde dem Angeklagten durch das Betreibungsamt X. ein Existenzminimum von Fr. 4'390.--, mithin unter Einrechnung der zu leistenden Unterhaltsbeiträge, ange- rechnet. Jedoch wurde allein aufgrund des Umstandes, dass die An- zeigerin die in den Vormonaten in das Existenzminimum eingerech- neten nicht geleisteten Unterhaltsbeiträge in Betreibung setzte, eine weitere Pfändung vorgenommen. Der Angeklagte hätte also auch im Oktober 1999 über die zur Erfüllung der Unterhaltsansprüche seiner 2001 Obergericht/Handelsgericht 70 geschiedenen Ehefrau erforderlichen Mittel verfügt, wenn er in den Vormonaten die Unterhaltsbeiträge bezahlt hätte. Überdies hätte er sich mit betreibungsrechtlichen Mitteln gegen die Pfändung, die ihm die Möglichkeit zur Leistung der vorrangig zu erfüllenden Unter- haltsansprüchen nahm, wehren müssen. Die Tilgung unterhaltsrecht- licher Verpflichtungen geht jener von übrigen Schulden vor. Der Angeklagte kann sich nicht darauf berufen, durch die zusätzliche Pfändung nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, die seiner ehema- ligen Frau geschuldeten Unterhaltsbeiträge zu bezahlen. Auch be- züglich des Oktobers 1999 ergibt sich somit, dass die objektiven und subjektiven Voraussetzungen von Art. 217 Abs. 1 StGB erfüllt sind. (...) Das Existenzminimum betrug gemäss den Angaben des Betrei- bungsamts X. während der ganzen Zeit Fr. 2'830.--, so dass im No- vember und Dezember 1999 Fr. 1'600.-- und ab Januar 2000 Fr. 1'700.-- zufolge der Lohnpfändung an das Betreibungsamt gin- gen. Grundsätzlich ergibt sich, dass der Angeklagte bei einem Ein- kommen von rund Fr. 4'500.-- und einem Existenzminimum von Fr. 2'830.-- in der Lage gewesen wäre, die Unterhaltszahlungen zu leisten, wenn nicht zufolge der Lohnpfändung Fr. 1'600.-- bzw. Fr. 1'700.-- an das Betreibungsamt abgeführt worden wären. Der Umstand, dass die Lohnpfändung erfolgte, ist auf das Verschulden des Angeklagten zurückzuführen, der es unterliess, solange ihm die Unterhaltsbeiträge ins Existenzminimum eingerechnet wurden, diese auch zu leisten, wozu er bekanntlich in der Lage gewesen wäre. Ebenso ist ihm - wie bereits für den vorhergehenden Zeitraum ange- führt - vorzuwerfen, dass er sich trotz ihm bewusster laufender Un- terhaltsverpflichtungen nicht mit betreibungsrechtlichen Mitteln gegen die Lohnpfändung wehrte. Dies kann entgegen der Auffassung des Angeklagten in der Berufung keinesfalls als "Kunstgriff" des Gerichts bezeichnet werden. Genauso, wie einem Unterhaltsver- pflichteten, der schuldhaft sein Einkommen reduziert und dadurch nicht mehr in der Lage ist, die Unterhaltsbeiträge zu leisten, ein hy- pothetischer Betrag aufgerechnet wird, ist dies demjenigen gegen- über zu tun, der keine Bemühungen zur Leistung der Beiträge unter- nimmt und es ohne Ergreifung von Rechtsvorkehren (Beschwerde 2001 Strafrecht 71 gegen die Pfändung oder Revisionsbegehren) zulässt, dass durch Pfändung andere Schulden vor jenen dem Unterhaltsberechtigten gegenüber getilgt werden. Auch bezüglich der Monate November 1999 bis Oktober 2000 ist der objektive und subjektive Tatbestand somit erfüllt.
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2009 Anwaltsrecht 39 III. Anwaltsrecht 7 Art. 8 und 12 lit. b BGFA Überprüfung Registereintrag bei Anstellung in einer Anwalts-AG: Krite- rien für Einhaltung der Erfordernisse - der Unabhängigkeit, - des Nichtbestehens von Verlustscheinen, - der Ausübung des Berufs in eigenem Namen und auf eigene Verant- wortung, - des Abschlusses einer Berufshaftpflichtversicherung sowie - der Einhaltung des Berufsgeheimnisses. Entscheid der Anwaltskommission vom 21. August 2009 i.S. T. S. und U. S. (AVV.2008.26). Aus den Erwägungen 1. (...) 1.1.2. (...) Die eingetragenen Anwälte bleiben an die Berufsregeln gebun- den und haben diese in ihrem Arbeitsalltag sicherzustellen. Es han- delt sich somit um eine statische Prüfung der eingereichten Unterla- gen, insbesondere unter dem Aspekt der institutionellen Unabhängig- keit. Änderungen müssen der Anwaltskommission gemeldet werden und führen in der Folge zu einer neuen Beurteilung der Sachlage. (...) 2. In einem ersten Schritt (Ziff. 3) ist zu prüfen, ob die Gesuchstel- ler auch nach der geplanten Umstrukturierung noch die Vorausset- zungen für einen Registereintrag erfüllen, wenn sie sich für ihre An- 2009 Obergericht 40 waltstätigkeit im Monopolbereich von der zu gründenden "X. Rechtsanwälte AG" anstellen lassen. In einem zweiten Schritt (Ziff. 4) gilt es zu abzuklären, ob sich aus der angestrebten Organisa- tionsform der "X. Rechtsanwälte AG" Berufsregelverletzungen erge- ben würden. 3. Löschungsgrund Gemäss Art. 9 BGFA werden Anwälte, die eine der Vorausset- zungen für den Registereintrag nicht mehr erfüllen, im Register ge- löscht. [...] Unter den persönlichen Voraussetzungen können von ei- ner allfälligen Umwandlung einer Anwaltskanzlei in eine Aktienge- sellschaft nur das Fehlen von Verlustscheinen (Art. 8 Abs. 1 lit. c BGFA) und die Pflicht, den Anwaltsberuf unabhängig ausüben zu müssen (Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA), zu Problemen führen. Somit ist zu prüfen, ob die Gesuchsteller diese Voraussetzungen auch als An- gestellte der neu zu gründenden "X. Rechtsanwälte AG" erfüllen würden. 3.1. Unabhängigkeit (...) Nach dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA können An- wälte nur Angestellte von Personen sein, die ihrerseits in einem kantonalen Register eingetragen sind, sodass es auf den ersten Blick als ausgeschlossen erscheint, dass Anwälte sich als Angestellte einer Anwalts-AG in ein Register eintragen lassen können, da die Anwalts- AG ihrerseits nicht eingetragen werden kann. Nach Lehre und Praxis ist der Registereintrag von Anwälten, welche von einer Anwalts-AG angestellt sind, jedoch unter gewissen Voraussetzungen zulässig (...). Die Anwaltskommission schliesst sich dieser Ansicht an. (...) Die Gefahr der Abhängigkeit kann ausgeschlossen werden, wenn alle Entscheidungsebenen einer Anwalts-AG von im Anwalts- register eingetragenen Anwälten beherrscht werden und diese Be- herrschung auf Dauer sichergestellt ist. Damit wird eine AG als Arbeitgeber vergleichbar mit einem Anwalt als Arbeitgeber. Zur Ge- währleistung der Unabhängigkeit der von ihr angestellten Anwälte muss die Organisation einer Anwalts-AG demnach folgende Voraus- setzungen erfüllen: 2009 Anwaltsrecht 41 Der Gesellschaftszweck muss sich zur Hauptsache auf das Be- treiben einer Anwaltskanzlei beschränken. Generalversammlung, Verwaltungsrat wie auch Geschäftslei- tung müssen von im Anwaltsregister eingetragenen Personen be- herrscht werden. 3.1.1. Gesellschaftszweck Der Hauptzweck einer Anwalts-AG hat sich auf das Betreiben einer Anwaltskanzlei zu beschränken. Nebenzwecke sind nur zuläs- sig, sofern sie diesem Hauptzweck dienen, da der Ausbau einer An- walts-AG auf weitere Geschäftszweige (wie z.B. Treuhandangebote, Vermögensverwaltungen oder Immobilienhandel) zu Interessenkolli- sion und damit zu Abhängigkeiten führen würde. (...) 3.1.2. Organisation und Beherrschung Der Registereintrag eines Anwalts kann nur dann bestehen blei- ben, wenn sowohl die Generalversammlung, der Verwaltungsrat wie auch die Geschäftsleitung der ihn anstellenden Anwalts-AG von im Anwaltsregister eingetragenen Personen beherrscht werden. 3.1.2.1. Generalversammlung 3.1.2.1.1. Die erforderliche Beherrschung in der Generalversammlung ist ohne Weiteres sichergestellt, sofern nur Anwälte Aktionäre der AG sind (Verfügung der Anwaltskommission Obwalden vom 19. Mai 2006). Um dies zu erreichen, können vinkulierte Namenaktien (Art. 685a ff. OR) in den Statuten vorgesehen werden. Solche Aktien können nur mit Zustimmung der Gesellschaft übertragen werden. Bei nicht börsenkotierten Aktien muss für die Verweigerung der Übertra- gung / Eintragung allerdings in den Statuten ein wichtiger Grund definiert sein (Art. 685b Abs. 1 OR), wobei die Kriterien, an denen sich die so vordefinierten Ablehnungsgründe orientieren können, be- schränkt sind. Möglich sind nur Beschränkungen (Art. 685b Abs. 2 OR) bezüglich der Zusammensetzung des Aktionärskreises im Hin- blick auf den Gesellschaftszweck oder zur Sicherung der wirtschaftlichen Selbständigkeit des Unter- nehmens. 2009 Obergericht 42 Ausserdem kann der Verwaltungsrat die Eintragung ohne An- gabe von Gründen auch dann verweigern, wenn er dem Veräusserer anbietet, die Aktien für eigene Rechnung oder für Rechnung anderer Aktionäre zum wirklichen Wert im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs um Zustimmung zur Übertragung zu übernehmen ("escape clause"; Art. 685b Abs. 1 OR; vgl. P ETER B ÖCKLI , Schweizer Ak- tienrecht, 3. A., Zürich 2004, § 6 N 195 ff.). 3.1.2.1.2. Die zu gründende "X. Rechtsanwälte AG" enthält Vinkulie- rungsvorschriften in den Statuten. Gemäss Art. 4 Abs. 4 muss der Verwaltungsrat die Zustimmung zum Eintrag ins Aktienbuch verwei- gern, wenn der Erwerber einer Aktie nicht ein in der Schweiz regi- strierter Anwalt ist. Als wichtigen Grund für die Verweigerung der Übertragung nennen die Statuten also das Fehlen des Registereintra- ges. Es handelt sich hier um ein Kriterium, welches sich an der Zu- sammensetzung des Aktionärskreises im Hinblick auf den Gesell- schaftszweck orientiert. Als weitere Gründe für die Verweigerung des Eintrages werden in Art. 4 Abs. 3 lit. a - d (recte wohl lit. a - c, bei der Umformulierung wurde offenbar die Nummerierung nicht durchgängig angepasst) genannt: Erwerber übt keine aktive Tätigkeit in der Gesellschaft aus (Zu- sammenhang mit dem Gesellschaftszweck) Fernhalten von Erwerbern, die Konkurrenzunternehmen betrei- ben bzw. daran beteiligt oder dort angestellt sind (Selbständigkeit) Erwerb / Halten von Aktien im eigenen Namen, aber im Interes- se Dritter (Gesellschaftszweck und Selbständigkeit). (...) Da die (dauerhafte) Beherrschung der Anwalts-AG durch einge- tragene Anwälte Voraussetzung ist für den Fortbestand des Register- eintrages eben dieser Anwälte, darf zweifellos davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem in Art. 4 Abs. 4 der Statuten erwähnten Verweigerungsgrund um einen im Hinblick auf den Gesellschafts- zweck sachlich gerechtfertigten wichtigen Grund im Sinne des Gesetzes handelt. Die in Abs. 3 erwähnten Gründe kommen nur bzw. erst dann zum Zuge, wenn der Erwerber die Bedingung von Abs. 4 erfüllt. 2009 Anwaltsrecht 43 Zudem enthält auch Art. 2 des angepassten Aktionärbindungs- vertrages [ABV] vom 29. Mai 2009 in Abs. 1 die Regelung, dass nur in der Schweiz registrierte Anwältinnen und Anwälte Gesellschafter sein können. Weiter wird in Art. 3 Abs. 1 ABV statuiert, dass die Ge- sellschafter die Aktien zu gesamter Hand halten, wobei jedem Gesellschafter ein gleich grosser rechnerischer Anteil an Aktien zu- steht. Diese rechnerischen Anteile sind gemäss Vertrag weder durch Zession noch durch eheliches Güterrecht, Erbrecht oder auf andere Weise übertragbar. Darüber hinaus ist für die Übertragung des Eigen- tums an den Aktien ein Gesellschafterbeschluss mit einer Dreivier- telsmehrheit aller Stimmen nötig (Art. 3 Abs. 4 ABV). Bezüglich Generalversammlung ist in Art. 11 der Statuten festgeschrieben, dass jede Aktie eine Stimme hat, und dass sich ein Aktionär in der Generalversammlung nur durch einen anderen Aktio- när (der wiederum eingetragener Anwalt / eingetragene Anwältin sein muss) vertreten lassen kann. Ergänzend enthält Art. 4 ABV die Regelung, dass jeder Aktionär in der Generalversammlung diejenige Anzahl Aktien vertritt, die seinem rechnerischen Anteil entspricht. Da gemäss Art. 3 Abs. 1 ABV jeder Gesellschafter einen gleich gros- sen (rechnerischen) Anteil der Aktien hält, steht somit jedem Gesell- schafter grundsätzlich das gleiche Stimmrecht zu. Nicht in dieser Weise zuordenbare Aktien werden gemäss Art. 4 Abs. 1 ABV in der Generalversammlung nicht vertreten. 3.1.2.1.3. Aufgrund der aufgeführten Bestimmungen der Statuten sowie des Aktionärbindungsvertrages erscheint die Dauerhaftigkeit der Be- herrschung der "X. Rechtsanwälte AG" durch im Register eingetra- gene Anwältinnen und Anwälte vorliegend gewährleistet. 3.1.2.2. Verwaltungsrat Auch im Verwaltungsrat stellt die Beherrschung durch regi- strierte Anwälte dann kein Problem dar, wenn sämtliche Verwal- tungsräte eingetragene Anwälte sind. Diese Bedingung ist vorliegend erfüllt, da Art. 13 der Statuten festgelegt, dass der Verwaltungsrat ausschliesslich aus Aktionären bestehen muss. 2009 Obergericht 44 3.1.2.3. Geschäftsführung Der Verwaltungsrat führt die Geschäfte der Gesellschaft, soweit er die Geschäftsführung nicht übertragen hat (Art. 716 OR), und kann hierfür die nötigen Weisungen und Anordnungen erteilen (Art. 716a OR). Gemäss Art. 15 Abs. 2 lit. a der Statuten und Ziff. 3.2 Abs. 1 lit. a des Organisationsreglements steht dem Verwaltungsrat die Oberlei- tung der Gesellschaft und die Erteilung der nötigen Weisungen zu. Er hat zudem die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung be- trauten Personen, namentlich im Hinblick auf die Befolgung der Ge- setze, der Berufs- und Standesregeln, der Statuten, Reglemente und Weisungen (Ziff. 3.2 Abs. 1 lit. e). Im Übrigen kann der Verwal- tungsrat die betriebliche Geschäftsführung durch Erlass eines Or- ganisationsreglementes ganz oder zum Teil an einzelne oder mehrere seiner Mitglieder übertragen (Art. 15 Abs. 2 lit. d und 15 Abs. 3 der Statuten; siehe ausserdem Ziff. 3.2 Abs. 1 lit. d des Organisations- reglements). Damit ist sichergestellt, dass nur eingetragene Anwälte Aufgaben der Geschäftsführung übernehmen können, sodass die nö- tige Weisungsunabhängigkeit gewährleistet ist (vgl. Beschluss der Aufsichtskommission des Kantons Zürich vom 5. Oktober 2006, Ziffer V. / 5. und V. / 7.5.). Die "X. Rechtsanwälte AG" sieht in ihren Statuten (Art. 15 Abs. 3) vor, dass der Verwaltungsrat kein Weisungsrecht gegenüber den als Aktionären angestellten Anwälten und Beratern und den von diesen betreuten Mitarbeitern in Bezug auf deren konkrete Mandats- führung hat. Dasselbe wird im Entwurf des Arbeitsvertrages zwi- schen der zu gründenden "X. Rechtsanwälte AG" und einem zukünf- tig angestellten Aktionär und Anwalt festgelegt (Ziff. 2 Abs. 2). Der Verwaltungsrat erlässt schliesslich Reglemente und Weisun- gen über die Grundsätze der Mandatsannahme und Praxisausübung (Ziff. 3.4 Abs. 1 des Organisationsreglements), wobei er diese der Generalversammlung zur Konsultation vorzuweisen hat (Ziff. 3.3 Abs. 2 lit. r des Organisationsreglements). Die Grundsätze der Mandatsübernahme sind im Anhang 1 lit. A zum Organisationsreglement festgehalten. Danach entscheidet grund- sätzlich jeder Gesellschafter in eigener Verantwortung darüber, ob 2009 Anwaltsrecht 45 ein Mandat angenommen werden soll (lit. A. Ziff. 1). Er soll sich da- bei von folgenden Grundsätzen leiten lassen: a) Vermeidung von Re- putationsrisiken, b) Vermeidung von Interessenkonflikten und c) Wirtschaftlichkeit, d.h. Möglichkeit des Klienten, das Honorar für die notwendig werdende Arbeit bezahlen zu können. Vom Grundsatz c) kann abgewichen werden, wenn Mitarbeiter an einem konkreten Fall ausgebildet werden sollen oder wenn die begründete Meinung besteht, dass sich das Mandat mittelfristig zu einer Klientenbezie- hung entwickeln kann. Diese Grundsätze sind unter dem Aspekt der Unabhängigkeit nicht zu beanstanden. Weiter wird verlangt, dass für "die Annahme von Mandaten, bei denen sich im Zeitpunkt der Mandatsübernahme nicht völlig aus- schliessen lässt, dass sich in Zukunft einmal Interessenkonflikte ergeben könnten oder bei denen die Annahme von weiteren Klienten aus der gleichen Branche problematisch werden könnte", sowie für "die Annahme von pro bono Mandaten oder Mandaten, die das relati- vierte Wirtschaftskriterium nach Ziff. 1 c) nicht erfüllen", die Zu- stimmung des Verwaltungsrats notwendig ist. Diese Einschränkun- gen in der Übernahme von Mandaten verletzen den Grundsatz der Unabhängigkeit von eingetragenen Anwälten nicht. Die Grundsätze der Praxisausübung sind im Anhang 1 lit. B zum Organisationsreglement geregelt. Sie verpflichten den Mandats- führer, die Niederlegung des Mandats zu prüfen, wenn er zum Schluss komme, "dass ein Mandat nicht hätte angenommen werden sollen (oder im fraglichen Zeitpunkt nicht mehr angenommen wür- de)". Diese Gründe der Niederlegung widersprechen der Unabhän- gigkeit eines eingetragenen Anwalts nicht und stehen unter dem Vorbehalt der aus den allgemeinen Berufsregeln fliessenden Pflicht, Mandate nicht zur Unzeit niederzulegen (Art. 12 lit. a BGFA; W AL - TER F ELLMANN , BGFA-Kommentar, a.a.O., Art. 12 Rz 32). Schliesslich wird der unzulässige Einfluss des Verwaltungsrates in mandatsbezogenen Geschäften dadurch verhindert, dass "im Rah- men der Beratung und Vertretung von Klienten (...) alle Partner und alle juristischen Mitarbeiter Einzelunterschrift gemäss Vollmacht in Anhang 2" des Organisationsreglements haben (Ziff. 5.1 des Organi- 2009 Obergericht 46 sationsreglements). Danach ist die Vollmacht der mandatsverantwort- lichen Angestellten der zu gründenden "X. Rechtsanwälte AG" nicht beschränkt, womit diesen die notwendige Unabhängigkeit vom Ver- waltungsrat zukommt. Die Vollmacht für die nicht mandatsverant- wortlichen Angestellten steht unter dem Vorbehalt der Weisungen des Mandatsverantwortlichen, was auch diese vor dem Einfluss des Verwaltungsrates schützt. 3.1.3. (...) 3.2. Verlustschein Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. c kann ein Anwalt nur dann ins An- waltsregister eingetragen werden beziehungsweise darin verbleiben (Art. 9 BGFA), wenn gegen ihn keine Verlustscheine bestehen. Diese Voraussetzung steht einem Registereintrag zum Zeitpunkt der Gründung einer Anwalts-AG nicht entgegen. Falls die persönli- che Haftung eines Anwalts jedoch durch die Anstellung durch eine Anwalts-AG eingeschränkt wird (siehe unten Ziffern 0 und 0), kann diese Voraussetzung nach einem allfälligen Konkurs der Anwalts-AG bedeutsam werden. Der Konkurs würde diesem Anwalt nämlich kei- nen Verlustschein einbringen und ihn im Gegensatz zu einem persön- lich haftenden Anwalt nicht an der Weiterführung seiner Tätigkeit im Monopolbereich hindern. Der einzelne Anwalt bleibt der Aufsichts- behörde jedoch stets selbst verantwortlich (W ALTER F ELLMANN , BGFA-Kommentar, a.a.O., Art. 12 Rz. 62). Die Anwaltskommission macht deshalb die Gesuchsteller darauf aufmerksam, dass sie sich im Falle eines Konkurses der zu gründenden AG einen disziplinarischen Durchgriff auf die von der Anwalts-AG angestellten Anwälte vorbe- hält. Zusammenfassend steht fest, dass die Gesuchsteller unter Ein- haltung der genannten Auflagen auch als Angestellte der zu grün- denden "X. Rechtsanwälte AG" im Anwaltsregister des Kantons Aar- gau eingetragen bleiben können. 4. Berufsregelverletzung Weiter ist zu prüfen, ob sich aus der Organisationsform der zu gründenden "X. Rechtsanwälte AG" keine Berufsregelverletzungen ergeben. 2009 Anwaltsrecht 47 Art. 12 lit. b BGFA erhebt die unabhängige Ausübung auch zur Berufsregel. Im Gegensatz zur im Zeitpunkt des Eintrags zu prüfen- den institutionellen Unabhängigkeit, geht es hier um die Unabhän- gigkeit im Einzelfall (W ALTER F ELLMANN , BGFA-Kommentar, a.a.O., Art. 8 Rz. 31). Wie oben dargelegt, verletzt der Umstand allein, dass sich ein Anwalt von einer Anwalts-AG anstellen lässt, die Unabhängigkeit nicht. Die Unabhängigkeit im Einzelfall hat jeder Anwalt in seinem Berufsalltag selbst sicherzustellen. Dieser Punkt kann nicht zum jetzigen Zeitpunkt kontrolliert werden. 4.1. Ausübung in eigenem Namen und auf eigene Verantwor- tung Gemäss Art. 12 lit. b BGFA ist ein Anwalt verpflichtet, seinen Beruf in eigenem Namen und auf eigene Verantwortung auszuüben. Da Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA dies auch dann für möglich erachtet, wenn ein Anwalt angestellt ist, schliesst eine Anstellung das Handeln in eigenem Namen und auf eigene Verantwortung nicht aus. Es ist zu prüfen, ob bei der Anstellung durch eine Anwalts-AG Besonderhei- ten vorliegen, die eine Ausübung in eigenem Namen und auf eigene Verantwortung verunmöglichen. Die Frage, welche Rechtsverhältnisse durch die Betreuung ei- nes Klienten durch einen von einer Anwalts-AG angestellten Anwalt entstehen, wird in Praxis und Lehre nicht einheitlich beantwortet. (...) Diese Frage kann hier offen gelassen werden, da sie weder auf die weiter oben geprüfte Unabhängigkeit von eingetragenen Anwäl- ten, die von einer Anwalts-AG angestellt sind, noch auf die Aus- übung des Anwaltsberufs in eigenem Namen einen Einfluss hat. Denn auch für den Fall, dass nur ein Vertrag zwischen dem Klienten und der Anwalts-AG zustande kommen sollte, ist die Berufsaus- übung in eigenem Namen möglich, ja gar unumgänglich, da die Ver- tretung im Monopolbereich nur natürlichen Personen gestattet ist. Wie bereits dargelegt, bleibt auch ein von einer Anwalts-AG an- gestellter Anwalt unter der disziplinarischen Aufsicht der Aufsichts- behörden. Die disziplinarische Verantwortung ist deshalb ohne weite- res sichergestellt. Soweit unter der Berufsausübung in eigener Ver- antwortung auch die finanzielle Verantwortung zu verstehen ist, kann 2009 Obergericht 48 auf die nachfolgenden Ausführungen zur Berufshaftpflicht verwiesen werden. Dass mit der Ausgestaltung einer Anwaltssozietät als AG möglicherweise die persönliche Haftung eines Anwalts entfällt, steht jedenfalls nicht im Widerspruch zur Berufsregel des Art. 12 lit. b BGFA, da aufgrund der Pflicht des Anwalts zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung nicht davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber die persönliche Haftung der Anwälte für erforderlich erachtete (W ALTER F ELLMANN , BGFA-Kommentar, a.a.O., Art. 12 Rz 63). 4.2. Berufshaftpflichtversicherung Gemäss Art. 12 lit. f BGFA haben Anwälte eine Berufshaft- pflichtversicherung nach Massgabe der Art und des Umfangs der Risiken, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind, abzuschliessen. Die Versicherungssumme muss mindestens eine Million Franken pro Jahr betragen. Anstelle der Haftpflichtversicherung können andere, gleichwertige Sicherheiten erbracht werden. Unabhängig von der Frage, welche Vertragsverhältnisse entste- hen, wenn ein von einer Anwalts-AG angestellter Anwalt anwaltlich tätig wird (vgl. D E V RIES R EILINGH J EANINE , H OHENAUER F ABIEN , a.a.O, Ziff. C 2. b, S. 693; H ANDSCHIN L UKAS , a.a.O, Ziff. II.2, S. 260), ist sicherzustellen, dass für Fehler eines angestellten Anwalts eine Berufshaftpflichtversicherung besteht, die den oben genannten Voraussetzungen entspricht. Die Aktionäre der zu gründenden "X. Rechtsanwälte AG" ver- pflichten sich in einem Aktionärbindungsvertrag dazu, eine Haft- pflichtversicherung abzuschliessen, welche einerseits Schäden deckt, für welche ein angestellter Anwalt persönlich belangt wird, anderer- seits aber auch Schäden umfasst, für welche die "X. Rechtsanwälte AG" direkt haftbar gemacht wird (Art. 9 ABV). Damit ist der erforderliche Schutz für die Klientschaft sichergestellt. 4.3. Berufsgeheimnis 4.3.1. Gemäss Art. 13 Abs. 1 BGFA unterstehen Anwälte zeitlich unbegrenzt und gegenüber jedermann dem Berufsgeheimnis über al- les, was ihnen infolge ihres Berufes von ihrer Klientschaft anvertraut worden ist. 2009 Anwaltsrecht 49 Die Wahrung des Berufsgeheimnisses stellt in der aktuellen Diskussion über die Zulässigkeit einer Anwalts-AG einen umstritte- nen Punkt dar. Insbesondere die Preisgabe von Klienteninformatio- nen an die Revisionsstelle wird als problematisch erachtet. Sowohl der Entscheid der Anwaltskommission des Kantons Obwalden vom 29. Mai 2006 (E. IV. 5) wie auch jener der Aufsichtskommission des Kantons Zürich (E. VI. 8) stellen sich auf den Standpunkt, dass das Anwaltsgeheimnis nicht verletzt werde, weil auch die Revisoren zur Einhaltung des Berufsgeheimnisses verpflichtet seien. Wie die An- waltskommission des Kantons St. Gallen in ihrer Stellungnahme vom 13. Mai 2008 (E. 5 c) richtig festhält, kann diesem Schluss nicht ge- folgt werden, da das Berufsgeheimnis des Anwalts nicht denselben Regeln unterliegt, wie jenes des Revisors. 4.3.2. (...) Art. 18 der Statuten sieht zwar (...) vor, dass die General- versammlung auf die Wahl einer Revisionsstelle verzichten kann, wenn die Gesellschaft nicht zu einer ordentlichen Revision verpflich- tet ist und die Voraussetzungen für einen Verzicht auf eine (einge- schränkte) Revision ebenfalls erfüllt sind. Ebenso ist (...) vorge- sehen, dass die Gesellschaft aufgelöst wird, wenn die Vorausset- zungen für den Verzicht auf eine Revision nicht mehr erfüllt sind (Art. 22 Abs. 2 der Statuten). Art. 10 des Aktionärbindungsvertrages enthält (...) in Ziff. 1 die Verpflichtung der Aktionäre, Mandate nur von Klienten anzunehmen, welche den im Anhang 2 enthaltenen Mandatsvertrag unterzeichnet haben. Und dieser Mandatsvertrag wiederum enthält in Art. 8 die Entbindungserklärung des Auftraggebers bezüglich Berufsgeheimnis unter anderem gegenüber der Revisionsstelle. Es versteht sich von selbst, dass dieser Mandatsvertrag nach Gründung der "X. Rechtsan- wälte AG" nicht nur im Rahmen von neuen Mandaten abzuschliessen ist, sondern auch bei bereits bestehenden Mandaten. Art. 10 ABV hält aber in Ziff. 2 auch weiterhin fest, dass sich die Aktionäre verpflichten, keine Handlungen vorzunehmen, welche zur Pflicht für eine ordentliche Revision führen würden. Ebenso ver- pflichten sie sich gemäss Ziff. 3, darauf zu verzichten, eine einge- schränkte Revision zu verlangen. 2009 Obergericht 50 4.3.3. Zusammenfassend erscheint aufgrund der oben erwähnten Be- stimmungen gewährleistet, dass die "X. Rechtsanwälte AG" voraus- sichtlich gar nie einer Revision unterliegen wird. Falls dem aber doch so sein sollte, wäre mit dem Mandatsvertrag sichergestellt, dass die Klienten der Entbindung vom Berufsgeheimnis gegenüber der Revisionsstelle zugestimmt hätten. Unter diesen Voraussetzungen ist auch eine Verletzung des Berufsgeheimnisses nicht im Voraus abseh- bar. 5. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für die Ge- suchsteller durch die Anstellung in der zu gründenden "X. Rechtsan- wälte AG" kein Löschungsgrund im Sinn von Art. 9 BGFA erfüllt sein wird. Bei der Beurteilung wurde auf die mit Stellungnahme vom 29. Mai 2009 eingereichten Unterlagen (Entwürfe der Statuten, des Aktionärbindungsvertrages, des Organisationsreglements, des Ar- beitsvertrages sowie Offerte für die Berufshaftpflichtversicherung) abgestellt. Demnach erscheint die Voraussetzung der Unabhängigkeit ge- mäss Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA weiterhin gewährleistet. Der Gesell- schaftszweck wurde unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit gesetzeskonform formuliert, ebenso wie die Bestimmungen bezüg- lich Organisation und Beherrschung der Gesellschaft. Insbesondere erscheint die Dauerhaftigkeit der Beherrschung durch registrierte An- wältinnen / Anwälte gesichert, da gemäss Statuten und Aktionärbin- dungsvertrag Aktien nur an eingetragene Anwältinnen / Anwälte übertragen werden dürfen. Da zudem sowohl Verwaltungsratsmit- gliedschaft wie auch Geschäftsführung den Aktionären vorbehalten sind, ergeben sich auch in diesen Punkten keine absehbaren Proble- me. Bezüglich des Fehlens von Verlustscheinen (Art. 8 Abs. 1 lit. c BGFA) behält sich die Anwaltskommission im Falle des Konkurses der Gesellschaft einen disziplinarischen Durchgriff auf die einzelnen Anwälte vor. Weiter sind für den Fall der Anstellung durch die zu gründende "X. Rechtsanwälte AG" auch keine Verletzungen von Berufsregeln 2009 Anwaltsrecht 51 schon von vornherein absehbar. So erscheint insbesondere die Aus- übung des Mandates im eigenen Namen und auf eigene Verantwor- tung (Art. 12 lit. b BGFA) auch im Rahmen eines Anstellungsver- hältnisses unter den in Statuten und Organisationsreglement gesetz- ten Rahmenbedingungen problemlos möglich, und die Verantwort- lichkeit gegenüber der disziplinarischen Aufsichtsbehörde bleibt be- stehen. Das Erfordernis des Abschlusses einer Berufshaftpflichtversi- cherung (Art. 12 lit. f BGFA) erfüllen die Gesuchsteller bei Ab- schluss des Vertrages gemäss eingereichter Offerte ebenfalls. Ebenso sind bezüglich Berufsgeheimnis (Art. 13 Abs. 1 BGFA) keine Probleme ersichtlich, da vorgesehen ist, mit den Mandanten einen schriftlichen Mandatsvertrag mit Entbindungserklärung hinsichtlich des Berufsgeheimnisses gegenüber einer allfälligen Revisionsstelle abzuschliessen. Somit kann festgestellt werden, dass einer Aufrechterhaltung des Registereintrages der Gesuchsteller nach deren Anstellung in der zu gründenden "X. Rechtsanwälte AG" nichts entgegensteht, soweit die eingereichten Unterlagen hierbei zur Anwendung kommen. 8 Art. 12 lit. a BGFA Verbot des Direktkontakts mit anwaltlich vertretener Gegenpartei; gilt nicht absolut, sondern ist unter Würdigung aller Umstände zu handha- ben. Zulässigkeit des Direktkontakts, wenn Gegenpartei Kontakt selber sucht sowie bei anderen triftigen Gründen, z.B. bei zeitlicher Dringlich- keit. Entscheid der Anwaltskommission vom 17. September 2009 i.S. W. (AVV.2009.18). 9 Art. 13 BGFA Tötung der Ehefrau (Klientin im Eheschutzverfahren), Entbindung der Anwältin vom Berufsgeheimnis im polizeilichen Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann (Täter). An der Abklärung der Motive des Täters besteht ein höherwertiges Interesse als an der Aufrechterhaltung des Berufsgeheimnisses.
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2000 Obergericht 64 B. Anwaltsrecht 17 Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsvertreters. Die Einforderung eines über die staatliche Entschädigung hinausgehen- den Honorars des unentgeltlichen Rechtsvertreters von der unentgeltlich vertretenen Partei stellt eine Standeswidrigkeit und Verletzung von § 14 Abs. 2 AnwG dar. Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 27. Juni 2000. Aus den Erwägungen 2. a) Der unentgeltliche Rechtsvertreter übernimmt eine staatli- che Aufgabe und tritt zum Staat in ein Rechtsverhältnis, aufgrund dessen er einen öffentlichrechtlichen Anspruch auf Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Vorschriften hat. Es ist ihm daher untersagt, sich von der vertretenen Partei entschädigen zu las- sen, und er ist insbesondere auch nicht befugt, sich eine zusätzliche Entschädigung zu derjenigen auszahlen zu lassen, welche er vom Staat erhält (BGE 122 I 325 f., 122 I 1, 117 Ia 22, 108 Ia 11; Walter Fellmann, in Berner Kommentar, Der einfache Auftrag (Art. 394 - 406 OR), Bern 1992, Art. 394 N 146, Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 1998, N 1 zu § 130 ZPO). Die Rechnungsstellung an die unentgeltlich vertretene Partei stellt eine Standeswidrigkeit dar (BGE 122 I 326, 108 Ia 13). Das Gebot des korrekten Abrechnens ergibt sich auch aus dem Leit- satz für die Ausübung des Anwaltsberufs in § 14 Abs. 2 AnwG, wo- nach der Anwalt die Interessen seines Auftraggebers nach Recht und Billigkeit zu wahren hat. b) Der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass es zwar grund- sätzlich möglich ist, dass ein Anwalt für seinen Klienten entschädi- gungspflichtige Leistungen erbringt, welche von der unentgeltlichen 2000 Zivilprozessrecht 65 Rechtspflege nicht abgedeckt sind, beispielsweise, indem er seinen Klienten nicht nur in einem Scheidungsverfahren, sondern zusätzlich auch noch in einer Erbschaftsangelegenheit vertritt. Der beschuldigte Anwalt hat nun aber weder behauptet noch nachgewiesen, dass sich seine Forderung auf Leistungen bezog, welche von der unentgeltli- chen Rechtspflege nicht erfasst wurden, weshalb sich weitere Erwä- gungen dazu erübrigen. (...) 3. c) Soweit der beschuldigte Anwalt anführt, er sei vom Staat nur unzureichend entschädigt worden, ist er darauf hinzuweisen, dass eine Bezahlung durch die unentgeltlich vertretene Partei selbst dann ausgeschlossen ist, wenn die öffentlichrechtliche Entschädigung nicht einem vollen Honorar entspricht. Die Frage, ob es richtig sei, den unentgeltlichen Anwalt schlechter zu entschädigen als den frei gewählten, berührt nur das Verhältnis zwischen dem unentgeltlichen Anwalt und dem Staat und rechtfertigt es nicht, von der vertretenen Partei eine zusätzliche Entschädigung zu verlangen (BGE 108 Ia 13).
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AG_HG_001
AG_HG
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Northwestern_Switzerland
AG_HG_001_AGVE-2000-17_2000-06-27
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Handelsgericht 2. Kammer HSU.2019.7 / as / as Art. 17 Entscheid vom 8. Februar 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber Schneuwly Gesuchstellerin 1 A._ AG, vertreten durch Dr. iur. Georg Gremmelspacher, Advokat, St. 11, Postfach 3003, 4002 Basel Gesuchstellerin 2 B._, vertreten durch Dr. iur. Georg Gremmelspacher, Advokat, St. 11, Postfach 3003, 4002 Basel C._ AG, vertreten durch lic. iur. Kaspar Hemmeler, Rechtsanwalt, Bahnhofstrasse 6, Postfach, 5001 Aarau Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Gesuch um Erlass einer Verfügung (Unterlassung) - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. 1.1. Die Gesuchstellerin 1 ist gemäss Handelsregister eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Z. Sie bezweckt hauptsächlich die Erbringung von ärztlichen Leistungen im ambulanten Bereich und den Betrieb von ...... Arztpraxen. 1.2. Bei der Gesuchstellerin 2 handelt es sich um die Firma eines mit Sitz in Z. und dem Zweck "...... Arztpraxis". Gemäss ist D. mit Wohnsitz in Z. deren Inhaberin. 2. Die Gesuchsgegnerin ist gemäss Handelsregister eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Y. Sie bezweckt hauptsächlich die Herausgabe der dem Gedankengut verpflichteten Regionalzeitungen, die für alle relevanten, rechtsstaatlich und demokratisch fundierten Standpunkte offen sind und der Eigenart der jeweiligen Region Rechnung tragen. Die Gesuchsgegnerin ist Herausgeberin der P. Zeitung ( [GB] 2). 3. Mit Gesuch vom 16. Januar 2019 (Postaufgabe: 16. Januar 2019) stellten die Gesuchstellerinnen 1-2 die folgenden Rechtsbegehren: " 1. Es sei der Gesuchsbeklagten unter Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB (Busse bis CHF 10'000.00, zu vollstrecken gegen ihre Organe) im Widerhandlungsfalle vorsorglich zu verbieten, über die Gesuchsklägerinnen 1 und 2 im Zusammenhang mit den Einsätzen vom 20. August 2018 sowie nach dem 31. August 2018 zu berichten. 2. Unter o/e-Kostenfolge (inkl. MWST) zulasten der Gesuchsbeklagten." und folgende Verfahrensanträge: " 3. Es sei das beantragte Verbot gemäss Rechtsbegehren 1 hiervor , das heisst ohne Anhörung der Gesuchsbeklagten, anzuordnen. 4. Eventualiter, für den Fall, dass das angerufene Gericht dem Gesuch den superprovisorischen Charakter nicht zuerkennen kann, sei diese Eingabe als Gesuch um vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 261 ZPO entgegenzunehmen, vordringlich zu behandeln und der Gesuchsbeklagten einstweilen vorsorglich zu verbieten, über die Ge- - 3 - suchsklägerinnen 1 und 2 im Zusammenhang mit den Einsätzen vom 20. August 2018 sowie nach dem 31. August 2018 zu berichten.“ Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Gesuchsgegnerin plane in Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Gesuchstellerinnen 1-2 unwahre Tatsachen zu verbreiten. 4. Am 17. Januar 2019 erliess der Vizepräsident folgende Verfügung: " 1. Auf das Gesuch der Gesuchstellerin 2 wird nicht eingetreten. 1. Der Einzelrichter des Handelsgerichts ist für das Gesuch der 1 zuständig. 2. Die Streitsache ist im summarischen Verfahren zu behandeln. 3. 3.1. In teilweiser Gutheissung des Gesuchs der Gesuchstellerin 1 um superprovisorischer Massnahmen vom 16. Januar 2019 wird der Gesuchsgegnerin unter Androhung der Bestrafung der Organe im Widerhandlungsfall nach Art. 292 StGB mit sofortiger Wirkung verboten, über die Einsätze der Gesuchstellerin 1 vom 20. August 2018 in X. betreffend eine Patientin, die eine Hirnblutung mit Mittellinienverlegung erlitt, und nach dem 31. August 2018 in W. betreffend einen Patienten, der starb, dergestalt zu berichten, als über die Wiedergabe des Ablaufs der tatsächlichen Geschehnisse hinaus ein Zusammenhang zwischen dem Einsatzverhalten der 1 und dem Tod des Patienten in W. oder der Hirnblutung mit der Patientin in X. hergestellt wird. 3.2. Art. 292 StGB lautet: "Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft." 4. Es wird keine vorgängige Sicherheitsleistung angeordnet. 5. Der Gesuchsgegnerin wird Frist bis 30. Januar 2019 für die einer schriftlichen Antwort angesetzt. - 4 - 6. 6.1. Die Gesuchstellerin 1 hat bis zum 25. Januar 2019 einen von Fr. 3'500.00 mit beiliegendem Einzahlungsschein zu . 6.2. Die Gesuchstellerin 1 hat sich bis zum 25. Januar 2019 über den Streitwert ihres Gesuchs zu äussern. 7. 7.1. Der Stillstand der Fristen gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO gilt nicht (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO). 7.2. Fristerstreckungen werden grundsätzlich nicht gewährt. ist eine Fristerstreckung beim Vorliegen zureichender Gründe möglich (Art. 144 Abs. 2 ZPO). Als solche gelten die Zustimmung der Gegenpartei oder von der Partei nicht vorhersehbare oder nicht Hinderungsgründe." 5. 5.1. Den Kostenvorschuss im Umfang von Fr. 3'500.00 leistete die 1 fristgerecht. 5.2. Mit Eingabe vom 25. Januar 2019 bestätigte die Gesuchstellerin 1 dem Vizepräsidenten die Richtigkeit des vorläufig angenommen Streitwerts im Umfang von Fr. 50'000.00. 6. Mit Gesuchsantwort vom 25. Januar 2019 stellte die Gesuchsgegnerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Das Gesuch der Gesuchstellerinnen sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der . Verfahrensantrag 3. Die mit Verfügung vom 17. Januar 2019 angeordnete Massnahme sei mit sofortiger Wirkung aufzuheben." - 5 - Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die tatsächlichen Geschehnisse in Bezug auf die beiden Vorfälle in X. und W. seien und gälten als wahr. Ferner sei das Rechtsbegehren der 1-2 zu unbestimmt. Die Voraussetzungen für eine Massnahme gegen ein periodisch erscheinendes Medium seien nicht erfüllt. 7. Mit Eingabe vom 1. Februar 2019 gab die Gesuchsgegnerin bekannt, sich zum Streitwert des Gesuchs der Gesuchstellerin 1 nicht mehr äussern zu wollen und bat das Gericht, die Angelegenheit vordringlich zu behandeln. Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit Die Zuständigkeit des Einzelrichters des Handelsgerichts des Kantons Aargau ist gegeben (vgl. Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 1). 2. Rechtsbegehren In der Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 4 führte der Vizepräsident aus, das Rechtsbegehren der Gesuchstellerin 1 sei unklar und damit . Richtig ausgelegt sei es jedoch so zu verstehen, dass: • mit dem Einsatz vom 20. August 2018 nur jener Einsatz von Datum gemeint ist, bei welchem eine Patientin in X. abgeholt und ins Spital V. gefahren wurde. Diese Patientin soll wegen einer Hirnblutung mit Mittellinienverlagerung nach U. verlegt worden sein (Gesuch Rz. 11). Andere Einsätze der 1 vom 20. August 2018 sind vom Rechtsbegehren Ziff. 1 nicht umfasst. • mit dem Einsatz nach dem 31. August 2018 nicht jegliche Einsätze der Gesuchstellerin 1 nach diesem Datum gemeint sind. Darunter fällt nur jener bestimmte Einsatz, wonach die Gesuchstellerin 1 nach W. gerufen wurde und der Patient nach Eintreffen des der Gesuchstellerin 1 sowie der Feuerwehr tot worden ist (Gesuch Rz. 12). Andere Einsätze der 1 nach dem 31. August 2018 sind vom Ziff. 1 nicht umfasst. In diesem Umfang ist das Rechtsbegehren – entgegen der Auffassung der Gesuchsgegnerin (Antwort Rz. 6 ff.) – nicht unbestimmt. hat der Vizepräsident nicht festgestellt, weshalb auch keine des Dispositionsgrundsatzes vorliegt (vgl. zum Rechtlichen auch die Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 4). Ob ein Rechtsbegehren unbe- - 6 - stimmt ist, ergibt sich erst nach dessen Auslegung. Aus der Auslegung des Rechtsbegehrens der Gesuchstellerin 1 ergibt sich eindeutig, welche zwei Einsätze gemeint sind, über welche die Gesuchsgegnerin nicht dürfen soll. Entsprechend hat sich die Gesuchsgegnerin auch nur ganz spezifisch zu diesen zwei Einsätzen geäussert. D.h. auch für die Gesuchsgegnerin war das Gesuch genügend klar. Soweit die Gesuchsgegnerin vorbringt, das Verbot sei zu generell und es läge am Vollstreckungsrichter im konkreten Fall zu prüfen, ob eine vorliege oder nicht, überzeugt dies nicht: Das ist wohl sehr umfassend formuliert, aber durchaus bestimmt. Es wird beantragt, es sei jegliche Berichterstattung zu . Weshalb der Vollstreckungsrichter darauf angewiesen wäre, im zu prüfen, ob eine Persönlichkeitsverletzung vorliege, ist nicht . Ein unbestimmtes Rechtsbegehren liegt demnach nicht vor. 3. Voraussetzungen vorsorglicher Massnahmen gegen Medien 3.1. Allgemeine Voraussetzungen Gemäss Art. 261 Abs. 1 ZPO trifft das Gericht die notwendigen Massnahmen, wenn die gesuchstellende Partei glaubhaft macht, dass ein ihr zustehender Anspruch verletzt ist oder eine Verletzung zu ist (lit. a) und ihr aus der Verletzung ein nicht leicht wieder Nachteil droht (lit. b). Voraussetzungen zum Erlass superprovisorischer Massnahmen sind a) die Verletzung oder Gefährdung eines materiellen Anspruchs (sog. Hauptsachenprognose bzw. Verfügungsanspruch), b) der Umstand, dass die drohende Verletzung des zu schützenden Rechts einen nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteil zur Folge hat (sog. Nachteilsprognose bzw. Verfügungsgrund) sowie c) eine zeitliche Dringlichkeit vorliegt.1 Schliesslich hat die anzuordnende vorsorgliche Massnahme zu sein.2 Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine Massnahme nur anordnen, wenn a) die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil kann, b) offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, und c) die Massnahme nicht unverhältnismässig erscheint (Art. 266 ZPO). Mit die- 1 Vgl. hierzu HUBER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl. 2016, Art. 261 N. 17 ff. und Art. 265 N. 7 ff.; BSK , 3. Aufl. 2017, Art. 261 N. 10 ff. und Art. 265 N. 6 ff.; ZÜRCHER in: /Gasser/Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2016, Art. 261 N. 5 ff. 2 HUBER (Fn. 1), Art. 261 N. 23; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 1), Art. 261 N. 10 ff.; ZÜRCHER (Fn. 1), Art. 261 N. 33 ff. - 7 - sen zusätzlichen Voraussetzungen erhöhte der Gesetzgeber die an vorsorgliche Massnahmen gegenüber periodisch Medien im Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und .3 Ein Verbot ist nur gerechtfertigt, wenn die klar zu Gunsten der gesuchstellenden Partei ausfällt.4 Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Verbot der Vorzensur zum Kerninhalt der gehört. Den Medien muss es möglich sein, auch über Themen und darin verstrickte Personen zu berichten. Diese obliegt den Medienunternehmen. Die Medienfreiheit gehört zu den zentralen Ausprägungen der Meinungsäusserungsfreiheit. Eingreifen rechtfertigt sich nur in besonderen Einzelfällen. ist eine unwahre Berichterstattung nie gerechtfertigt.5 3.2. Glaubhaftmachung Das Vorliegen der den Erlass vorsorglicher Massnahmen begründenden Tatsachen muss die gesuchstellende Partei glaubhaft machen.6 Glaubhaft gemacht ist eine Behauptung, wenn der Richter von ihrer Wahrheit nicht völlig überzeugt ist, sie aber überwiegend für wahr hält, obwohl nicht alle Zweifel beseitigt sind. Für das Vorhandensein der behaupteten Tatsachen müssen folglich gewisse Elemente sprechen, auch wenn das Gericht noch mit der Möglichkeit rechnet, dass diese sich nicht verwirklicht haben könnten.7 Entgegen der nicht amtlich publizierten Rechtsprechung des genügt auch betreffend die den Voraussetzungen von Art. 266 ZPO zugrunde liegenden Tatsachen blosses Glaubhaftmachen.8 4. Hauptsachenprognose 4.1. Parteibehauptungen 4.1.1. Gesuchstellerin 1 Die Gesuchstellerin 1 behauptet, die Gesuchsgegnerin habe wiederholt negativ über sie berichtet (Gesuch Rz. 13; GB 6-8). Die E-Mail Anfrage der Gesuchsgegnerin vom 14. Januar 2019 suggeriere, dass die 1 für den Tod eines Patienten respektive für den beinahe Tod einer Patientin verantwortlich sei (Gesuch Rz. 15; GB 5). Aus den Fragen in besagter E-Mail entstehe der Eindruck, dass die 2 [recte: wohl D.] ohne medizinische Ausbildung und interner Weisungen auf die Durchführung eines Einsatzes bestanden habe, obwohl die ehemalige Ärztin der Gesuchstellerin 1, Dr. E., davon 3 HUBER (Fn. 1), Art. 266 N. 1. 4 HGer ZH, HE180060 vom 24. April 2018 E. 4.1. 5 HGer ZH, HE180060 vom 24. April 2018 E. 4.1. 6 HUBER (Fn. 1), Art. 261 N. 25. 7 BGE 130 III 321 E. 3.3; BÜHLER, Beweismass und Beweiswürdigung bei Gerichtsgutachten, in: Fellmann/Weber, Tagungsband HAVE, Der Haftpflichtprozess, Tücken der gerichtlichen , 2006, S. 43; HUBER (Fn. 1), Art. 261 N. 25. 8 HGer ZH, HE180060 vom 24. April 2018 E. 4.2; ZR 116/2017 Nr. 69 S. 226 E. 4.2 m.w.N. - 8 - abgeraten habe. Zugleich werde ein direkter Zusammenhang zwischen der Weigerung besagter Ärztin und deren Kündigung durch die 1 hergestellt. Schliesslich entstehe der Eindruck, die 1 habe sich standeswidrig und strafrechtlich relevant verhalten ( Rz. 16 f. und 35; GB 5). Es bestehe das Risiko, dass die unwahre Tatsachen verbreite (Gesuch Rz. 24). Damit könnten ihr Recht auf Ehre und dementsprechend ihre Persönlichkeitsrechte aus Art. 28 ZGB verletzt werden (Gesuch Rz. 26). 4.1.2. Gesuchsgegnerin In Bezug auf den Vorfall in X. argumentiert die Gesuchsgegnerin, die 1 behaupte selbst nicht, dass der folgende Sachverhalt sei: • dass die Gesuchstellerin 1 am 20. August 2018 einen Einsatz in X. durchgeführt habe (Antwort Rz. 12), • dass die Patientin eine Hirnblutung mit Mittellinienverlagerung habe (Antwort Rz. 12), • dass dieser Vorfall von der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons U. abgeklärt werde (Antwort Rz. 12), • dass sich diese Abklärungen gegen die Gesuchstellerin 1 richte (Antwort Rz. 12), • dass Dr. E. am Abend des 20. August 2018 von der einen Anruf erhalten habe, mit welchem sie angewiesen wurde, sich zu einer Patientin (Jahrgang 19xx) in X., U., zu begeben, die sich heftig den Kopf angeschlagen habe (Antwort Rz. 14), • dass Dr. E. der Mitarbeiterin der Gesuchstellerin 1, die für diese Triage verantwortlich gezeichnet habe, sowie der Mitarbeiterin D. mitgeteilt habe, bei dieser Anamnese sei von einer gravierenden Krankheit bzw. Verletzung auszugehen, welche keine zeitliche Verzögerung hinsichtlich der Behandlung der Patientin ertrage. Anfahrtszeit von T., S., nach X., U., betrüge aber mindestens eine Stunde, zumal der Einsatz in T., S., noch nicht beendet wäre. Entsprechend müsste der örtliche Rettungsdienst kontaktiert (Antwort Rz. 14), • dass der örtliche Rettungsdienst entgegen der Empfehlung von Dr. E. nicht aufgeboten worden sei. Stattdessen sei ein Team aus Z., S., zur Patientin nach X., U., geschickt worden, das dafür eine Fahrtdauer von mindestens einer Stunde benötigt habe (Antwort Rz. 14), • dass dieses Team vor verschlossenen Türen gestanden habe und die Polizei sowie den Schlüsseldienst habe aufbieten müssen. Die - 9 - Patientin sei tief bewusstlos und mit lichtstarren weiten Pupillen aufgefunden worden (Antwort Rz. 12), • dass zwischen dem Eingang des Telefonats und dem Eintreffen des Arztes eine sehr lange Zeitdauer, ca. 2.5 bis 3 Stunden, sei (Antwort Rz. 12), • dass es nicht selten vorkomme, dass Mitarbeiter der 1, die sich im Einsatz befänden, die Anweisung erhielten, zu Patienten zu fahren, obwohl klar sei, dass eine Einweisung ins Spital erforderlich werde (Antwort Rz. 12), • dass der Notfall um ca. 18:20 Uhr gemeldet worden sei (Gesuch Rz. 16) und die Patientin da noch bei klarem Bewusstsein und in der Lage gewesen sei zu telefonieren (Antwort Rz. 18), • dass D. erst um 18:45 Uhr mit Dr. E. telefoniert habe und dass noch einmal etliche Minuten vergangen sein müssen, bis das Team aus Z., S., aufgeboten worden sei (Antwort Rz. 16), • dass dieses Team anschliessend mindestens eine Stunde habe, um nach X., U., zu gelangen (Antwort Rz. 16), • dass Dr. E. offenbar der Ansicht sei, die zeitliche Verzögerung sich negativ auf das Behandlungsergebnis ausgewirkt (Antwort Rz. 18), • dass die Gesuchstellerin 1 nicht zu den Blaulichtorganisationen gehöre und sich deshalb an die Geschwindigkeitsbeschränkungen halten müsse (Antwort Rz. 16), • dass zudem eine interne Weisung der Gesuchstellerin 1 (......) zentral sei, welche von D. erstellt worden sei (Antwort Rz. 17), • dass D. Co-Geschäftsführerin der Gesuchstellerin 1 und keine Ärztin sei (Antwort Rz. 17), • dass es demnach der medizinischen Notfallassistentin nicht sei, während der Telefontriage medizinische Fälle und jeglicher Art ohne Rücksprache weiterzuleiten respektive an andere Institutionen zu verweisen, eine Rücksprache zwingend sei, dass die Triagisten dem Patienten am Telefon mitzuteilen , es würde zuerst Rücksprache mit einem Arzt genommen, dann aber als erste Priorität für die Rücksprache nicht ein Arzt, sondern D. angegeben sei (Antwort Rz. 17), Zudem ist die Gesuchsgegnerin der Ansicht, dass zwischen dem Handeln der Gesuchstellerin 1 und dem eingetretenen Erfolg durchaus eine bestehe (Antwort Rz. 18). Ob dies aber tatsächlich der Fall sei, müssten unter anderem die Untersuchungen des Kantonsarztamtes U. zeigen (Antwort Rz. 19). Eine diesbezügliche Berichterstattung müsse - 10 - möglich sein, sofern in der Publikation klargestellt werde, dass die derzeit noch Gegenstand von laufenden Untersuchungen sei und die Unschuldsvermutung gelte (Antwort Rz. 19). In Bezug auf den Einsatz in W. argumentiert die Gesuchsgegnerin . Die Gesuchstellerin bestreite nicht, dass der Sachverhalt gemäss der E-Mail vom 14. Januar 2019 von F. (KB 5) wahr sei. Entsprechend gelte als wahr: • dass der Einsatz stattgefunden habe (Antwort Rz. 20), • dass das spätere Opfer bis am 31. August 2018 zur Behandlung im Kantonsspital W. gewesen sei und nach seiner Rückkehr nach Hause aufgrund heftiger körperlicher Probleme die Gesuchstellerin 1 angerufen habe (Antwort Rz. 21), • dass die Triagistin aufgrund der Weisung ...... entschieden habe, den Einsatz selbst auszuführen, anstatt eine Ambulanz zu rufen (Antwort Rz. 21), • dass das Team der Aussenstelle R., das aufgeboten worden sei, nicht sofort verfügbar gewesen sei. Es habe noch andernorts im Einsatz gestanden, wodurch sich eine deutliche zeitliche ergeben habe, obwohl die Distanz R.-W. kurz gewesen wäre (Antwort Rz. 21), • dass das Einsatzteam deutlich mehr als eine Stunde benötigt , bis es beim Patienten gewesen sei (Antwort Rz. 24), • dass der Patient die Tür beim Eintreffen des Teams nicht selbst geöffnet habe, sondern von der Feuerwehr habe aufgebrochen werden müssen (Antwort Rz. 21), • dass der Mann tot aufgefunden worden sei (Antwort Rz. 21), und • dass die Staatsanwaltschaft den aussergewöhnlichen Todesfall untersuche (Antwort Rz. 21). G., Mediensprecherin der Staatsanwaltschaft des Kantons Q., bestätige dass der Todesfall am 1. September 2018 in W. stattgefunden habe ( Rz. 22). Die Gesuchsgegnerin wisse nicht, wie dringlich der Anruf des Patienten in W. auf die Triagistin der Gesuchstellerin 1 gewirkt habe. Es sei daher möglich, dass der Patient selbst nicht von einem Notfall sei und die Gesuchstellerin 1 sich deshalb Zeit gelassen habe. Dies würde die Gesuchsgegnerin in einer Berichterstattung nicht anders darstellen (Antwort Rz. 23). Eine Ambulanz des Kantonsspitals W. hätte bloss rund 10 Minuten gebraucht, um zum Patienten in W. zu gelangen. Von der Aussenstelle der Gesuchstellerin 1 an der O.strasse ...... in R. dauere dieser Weg mehr als doppelt so lange (Antwort Rz. 24). Inwiefern - 11 - das Verhalten der Gesuchstellerin 1 für den Tod des Patienten eine Rolle gespielt habe, werde die Untersuchung der Staatsanwaltschaft des Q. zeigen müssen. Gewichtige Argumente sprächen dafür. Eine diesbezügliche Berichterstattung müsse möglich sein, sofern die klarstelle, dass die Kausalität derzeit noch Gegenstand von laufenden Untersuchungen sei und die Unschuldsvermutung gelte (Antwort Rz. 25). Schliesslich hätten sich H., Gründer der Gesuchstellerin 1, und die 1 durch ihre Medienarbeit selbst in den Fokus der gerückt. Die Gesuchstellerin 1 sei daher eine Person des öffentlichen Interesses (Antwort Rz. 27-32). 4.2. Rechtliches Nach Art. 28 Abs. 1 ZGB kann, wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, zum Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen. Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch das Gesetz gerechtfertigt ist (Art. 28 Abs. 2 ZGB). Die verletzte Person kann dem Gericht unter anderem , dass eine drohende Verletzung verboten wird (Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Vgl. ferner die Ausführungen in der Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 6.2. Weder die Verwendung der Möglichkeits- noch der Frageform ändern per se etwas an der Qualifikation einer Äusserung als .9 Auch eine Vermutung kann persönlichkeitsverletzend wirken, da sie nach dem Verständnis eines Durchschnittskonsumenten nicht selten den Vorwurf, die entsprechende Person habe sich etwas zu Schulden kommen lassen, beinhaltet.10 Die Äusserung einer Vermutung kann im Einzelfall jedoch zulässig sein, wenn genügend deutlich auf den hingewiesen wird. Dennoch bleibt der konkrete Eindruck beim Durchschnittsleser massgebend.11 4.3. Würdigung An der Würdigung gemäss der Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 6.3 ist grundsätzlich festzuhalten: Die Gesuchsgegnerin behauptet minutiös, welche Ereignisse sich anlässlich der beiden Einsätze in X. und in W. haben. Es bleibt daher beim bereits gewürdigten Sachverhalt: Der tatsächliche Ablauf der Ereignisse (vgl. bullet points oben in E. 4.1 sowie 9 Vgl. RIEMER, Persönlichkeitsschutz und "qualifizierte" Medienäusserungen in der bundesgerichtli- chen Praxis: Unsicherheitsfaktoren (Verdächtigungen, Andeutungen usw.), Zitate und andere Drittäusserungen, Satire, recht 2001, S. 35. 10 Vgl. als Beispiel BGE 100 II 177 E. 5. 11 BGE 126 III 305 E. 4b/aa. - 12 - in der Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 10) gilt als wahr und darüber darf die Gesuchsgegnerin berichten. Neu ist jedoch, dass die Gesuchsgegnerin vorbringt, es bestünden Argumente für das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen Einsatzverhalten und Erfolgseintritt (Tod eines Patienten, Hirnblutung mit Mittellinienverlegung einer Patientin). Es stellt sich die Frage, ob ein Zeitungsartikel, indem das der Gesuchstellerin 1 für den Eintritt des Todes eines Patienten in W. und der Hirnblutung mit Mittellinienverlegung einer Patientin in X. als dargestellt wird, wahr oder unwahr ist. Sofern es der Gesuchstellerin 1 gelingt, die Unwahrheit glaubhaft zu machen, liegt eine Berichterstattung vor. Ob das Einsatzverhalten der Gesuchstellerin 1 kausal war, ist eine Frage. In erster Linie haben beide Patienten vor der Kontaktierung der Gesuchstellerin 1 eine irgendwie geartete ihrer Gesundheit erfahren (heftiges Anschlagen des Kopfes bzw. heftige körperliche Probleme). Fraglich ist nun, ob diese oder das der Gesuchstellerin 1 für den Tod bzw. die Hirnblutung mit Mittellinienverlegung kausal sind. Womöglich hängt das eine mit dem zusammen. Die Kausalität mehrerer möglicher Ursachen ist zu beantworten. Nach der vorläufigen Aktenlage erscheint es glaubhaft, dass der Tod bzw. die Hirnblutung mit in erster Linie auf die ursprünglichen Beeinträchtigungen der zurückzuführen sind. Es bestehen jedoch durchaus Zweifel und es ist nicht auszuschliessen, dass erst das Einsatzverhalten der Gesuchstellerin 1 die entscheidende Ursache setzte. Eine entsprechende Berichterstattung wäre daher nach der derzeitigen Aktenlage unwahr und damit persönlichkeitsverletzend. Zumindest wäre die Berichterstattung ungenau und würde die Gesuchstellerin 1 in ein Licht rücken. Nicht anders verhält es sich, wenn die besagte Tatsachenbehauptung (sinngemäss: das Einsatzverhalten der Gesuchstellerin 1 habe zum Tod bzw. der Hirnblutung mit geführt) in Frage- oder Möglichkeitsform ummünzt. Nicht als persönlichkeitsverletzend sind jedoch zurückhaltende und vage Andeutungen im Umfeld der Kausalität zu qualifizieren. Aussagen wie: "Wieso der Patient in W. gestorben ist, ist noch offen." versteht der Durchschnittsleser durchaus richtig, nämlich in dem Sinne, als dass zum heutigen Zeitpunkt noch nicht geklärt wurde, was des Patienten in W. ist. Mit solchen zurückhaltenden Äusserungen geht beim Durchschnittsleser nicht die stillschweigende Vermutung ein- - 13 - her, die Gesuchstellerin 1 habe sich falsch oder gar widerrechtlich . Wie in der Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 6.3 ausgeführt, besteht grundsätzlich ein grosses öffentliches Interesse an der Berichterstattung, indem die Bevölkerung über die Qualität der medizinischen Dienstleistung der Gesuchstellerin 1 informiert wird. Die Voraussetzung, dass offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund muss, ist demnach nicht erfüllt. Ebenfalls besteht an der Berichterstattung über die beiden staatlichen Verfahren ( U. und Staatsanwaltschaft des Kantons Q.) ein öffentliches , da die Bevölkerung wissen soll, wie das Gemeinwesen mit qualitativ ungenügenden Anbieter medizinischer Dienstleistungen verfährt. Mit vorliegendem Entscheid werden daher beispielhaft folgende Aussagen: "Das Kantonsarztamt des Kantons U. führt im Fall X. eine gegen die Gesuchsgegnerin 1. Es gilt die ." oder "Der Todesfall des Patienten in W. wird von der des Kantons Q. als aussergewöhnlich angesehen und daher . Der Obduktionsbericht liegt noch nicht vor. Es gilt die ." nicht untersagt. An unwahren und rufschädigenden Aussagen betreffend die medizinische Qualität besteht hingegen offensichtlich kein öffentliches Interesse. In Umfang ist Art. 266 lit. b ZPO erfüllt. Es bleibt somit bei der gemäss der Verfügung vom 17. Januar 2019, wonach die der Gesuchsgegnerin 1 verletzt zu werden droht, wenn die in ihrer Berichterstattung erwähnt oder darüber anstellt, dass die Gesuchstellerin 1 für den eingetretenen Erfolg der beiden Einsätze in X. und W. (Tod eines Patienten, Hirnblutung mit Mittellinienverlegung einer Patientin) kausal verantwortlich sei. Für eine solche Berichterstattung besteht keinerlei Rechtfertigungsgrund. In Umfang ist die Hauptsachenprognose zu bejahen. Für die wettbewerbsrechtliche Würdigung vgl. die Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 6.3. 5. Nachteilsprognose 5.1. Parteibehauptungen Der drohende besonders schwere Nachteil liege gemäss Behauptungen der Gesuchstellerin 1 in der Verletzung der Persönlichkeitsrechte sowie in dem durch die Herabsetzung in ihrem beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ansehen wurzelnden Imageverlust. Besonders schwer wiege dieser Nachteil, weil die Möglichkeiten der Gesuchstellerin 1, ihr Ansehen zu verbessern, limitiert sei (Gesuch Rz. 28 und 32). Die 1 sei als private Erbringerin von medizinischen in der Art und Weise, wie sie Werbung machen wolle, aufgrund - 14 - der Standesordnung FMH und des MedBG eingeschränkt (Gesuch Rz. 29). Ferner drohe ein besonders schwerer Nachteil durch (Gesuch Rz. 31). Die Gesuchsgegnerin ist der Ansicht, die Vorbringen der Gesuchstellerin 1 seien nicht substantiiert. Soweit die Gesuchstellerin 1 davon ausgehe, die drohende Rechtsverletzung könnte in der Ehrverletzung liegen und es drohe eine Verletzung der verfassungsrechtlich geschützten , handle es sich um pauschale Mutmassungen (Antwort Rz. 42). 5.2. Rechtliches Vgl. hierzu die Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 7.2. 5.3. Würdigung Die Gesuchsgegnerin äussert sich nicht zur vom Vizepräsidenten in der Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 7.3 festgestellten Nachteilsprognose. Demnach gilt der Image- und Umsatzverlust durch Kundeneinbussen als nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil. Auch zur Verbreitung der geplanten Berichterstattung äussert sich die nicht. Die Gesuchsgegnerin bringt keine Tatsachen vor. Es bleibt somit bei der Würdigung der Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 7.3. Es droht der Gesuchstellerin 1 ein besonders schwerer Nachteil. 6. Zeitliche Dringlichkeit 6.1. Parteibehauptungen Die Gesuchstellerin 1 behauptet, die Gesuchsgegnerin habe ihr mit E-Mail vom 14. Januar 2019 Frist bis zum Dienstag, 15. Januar 2019, gesetzt, um die darin aufgeworfenen Fragen zu beantworten (Gesuch Rz. 22; GB 5). Die Berichterstattung stehe somit unmittelbar bevor (Gesuch Rz. 23). Die Gesuchsgegnerin behauptet, die Berufsregeln für Journalisten einem Medienschaffenden vor, einen Betroffenen vor einer geplanten Publikation anzuhören und diesem die wesentlichen Punkte einer vorzulegen. Wenn ein konkreter Fragenkatalog versandt werde, dann sei dies die Erfüllung berufsständischer Gepflogenheiten in der Form. Daraus Material für ein Gesuch um Anordnung Massnahmen zu machen, sei eine Verkennung dieser Pflichten (Antwort Rz. 40). - 15 - 6.2. Rechtslage Obwohl im Gesetz nicht vorgesehen, setzt die Anordnung einer Massnahme Dringlichkeit voraus.12 Sie ist darin begründet, dass der vorsorgliche Rechtsschutz bezweckt, den Eintritt von Nachteilen zu , welche im Zeitraum zwischen der Klageanhebung und der Rechtskraft des Hauptsacheentscheids zu entstehen drohen. Kann der Eintritt der drohenden Nachteile auch durch ein ordentliches Urteil werden, liegt keine Dringlichkeit und damit kein Grund für eine Massnahme vor.13 Die Dringlichkeit bemisst sich somit am von der gesuchstellenden Partei geltend gemachten primären .14 Wartet die gesuchstellende Partei mit dem vorsorglichen Massnahmebegehren zu lange zu, kann sie ihren Anspruch darauf .15 Grundsätzlich geht der Anspruch auf Anordnung einer Massnahme aber nicht durch Zeitablauf unter.16 Eine Verwirkung des Anspruchs auf Erlass vorsorglicher Massnahmen infolge Zeitablaufs bemisst sich folglich nicht an einer abstrakten Zeitspanne, sondern an der voraussichtlichen Dauer des Hauptprozesses.17 Die Verwirkung infolge Zeitablaufs setzt ein ungebührlich langes und damit rechtsmissbräuchliches Zuwarten voraus.18 Es bedürfte schon jahrelanger Untätigkeit, bis einer gesuchstellenden Partei Rechtsmissbrauch infolge Zeitablaufs vorgeworfen werden kann, so dass auf sein nicht einzutreten wäre.19 An die Glaubhaftmachung der zeitlichen Dringlichkeit sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. ist die Dringlichkeit immer dann gegeben, wenn ein ordentlicher deutlich länger dauern würde als das Massnahmeverfahren.20 6.3. Würdigung Anders als bei der Anordnung superprovisorischer Massnahmen muss die Anordnung vorsorglicher Massnahmen nur insofern dringlich sein, als das Eintreten der drohenden Nachteile vor dem Entscheid in der Hauptsache als glaubhaft erscheint. Soweit die Gesuchsgegnerin argumentiert, es liege keine Dringlichkeit vor, überzeugt dies nicht: Es mag sein, dass die Gepflogenheiten der Journalisten es gebieten, die von einem Zeitungsartikel betroffenen Per- 12 HUBER (Fn. 1), Art. 261 N. 22; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 1), Art. 261 N. 39; ZÜRCHER (Fn. 1), Art. 261 N. 12; SHK ZPO-TREIS, 2010, Art. 261 N. 10 je m.w.N. 13 Vgl. hierzu RÜETSCHI, Die Verwirkung des Anspruchs auf vorsorglichen Rechtsschutz durch Zeitab- lauf, sic! 2002, S. 417 m.w.N. 14 HUBER (Fn. 1), Art. 261 N. 22. 15 SHK ZPO-TREIS (Fn. 12), Art. 261 N. 12. 16 BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 1), Art. 261 N. 41 m.w.N. 17 RÜETSCHI (Fn. 13), S. 422. 18 ZÜRCHER (Fn. 1), Art. 261 N. 13; BSK ZPO-SPRECHER (Fn. 1), Art. 261 N. 42 ff. 19 DAVID/FRICK/KUNZ/STUDER/ZIMMERLI, Der Rechtsschutz im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, in: SIWR I/2, 3. Aufl. 2011, N. 622 m.w.N. 20 DAVID/FRICK/KUNZ/STUDER/ZIMMERLI (Fn. 19), N. 622. - 16 - sonen vorher anzuhören und dass das Versenden eines Fragekatalogs diese Vorgabe mustergültig erfüllt. Nur, darauf kommt es nicht an. Wie die Gesuchsgegnerin selbst offenlegt, erfolgt eine solche Anhörung nur vor der geplanten Publikation eines Zeitungsartikels. Die referenzierte Ziff. 3.8 der Richtlinien des Schweizer Presserats zum Journalistenkodex21 lautet wie folgt: " Aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten ("audiatur et altera pars") leitet sich die Pflicht der und Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation Vorwürfe anzuhören. Die zur Publikation vorgesehenen schweren Vorwürfe sind dabei präzis zu benennen. [...]" Ist die Veröffentlichung aber geplant, ist es der gesuchstellenden Partei nicht zumutbar, ein vermutungsweise über ein Jahr lang dauerndes Hauptsacheverfahren abzuwarten, während der Zeitungsartikel zuvor würde und die drohenden Nachteile eingetreten wären. Die vorsorglicher Massnahmen will genau das verhindern und ist daher für solche Fälle geschaffen worden. Die Gesuchsgegnerin führt selbst nicht aus, sie würde mit der Publikation des Zeitungsartikels bis zum eines Entscheids im Hauptsacheverfahren zuwarten. Hätte die mit der Publikation noch längere Zeit zuwarten wollen, es unverständlich, der Gesuchstellerin 1 eine derart kurze Zeit für eine Stellungnahme einzuräumen. Entsprechend liegt zeitliche Dringlichkeit vor. 7. Verhältnismässigkeit Die Gesuchstellerin 1 beantragt, der Gesuchsgegnerin sei komplett zu verbieten, über die Gesuchstellerin 1 im Zusammenhang mit den vom 20. August 2018 sowie nach dem 31. August 2018 zu berichten. Die Gesuchsgegnerin ist der Ansicht, ein solch umfassendes Verbot sei unverhältnismässig (Antwort Rz. 58). Wie bereits in der Verfügung vom 17. Januar 2019 E. 9 festgestellt, wäre ein derart weites Verbot unverhältnismässig. Soweit sich die Massnahme auf jegliche Berichterstattung betreffend die beiden Vorfälle in X. und W. bezieht, ist sie nicht erforderlich. Die Hauptsachenprognose wird nur bejaht, als behauptet wird, zwischen diesen Einsätzen und dem der Gesuchsgegnerin 1 bestünde ein kausaler Zusammenhang. Der Gesuchstellerin 1 kann daher nicht verboten werden, über den Geschehensablauf zu berichten. Ihr ist lediglich vorläufig zu untersagen, sämtliche Aussagen zu publizieren, wonach der Tod des in W. oder die Hirnblutung mit Mittellinienverlagerung der Patientin in X. auf das Verhalten der Gesuchstellerin 1 zurückzuführen seien oder 21 https://presserat.ch/journalistenkodex/richtlinien/; zuletzt abgerufen am 8. Februar 2019. https://presserat.ch/journalistenkodex/richtlinien/ - 17 - die Gesuchstellerin 1 für diesen Tod oder die Hirnblutung mit verantwortlich sei. Diese Einschränkung des Verbots stellt nichts anderes, sondern bloss weniger als beantragt dar und gilt deshalb als von der (vgl. Art. 58 Abs. 1 ZPO) abgedeckt. 8. Fazit und Klarstellung Zusammenfassend ergibt sich, dass die Voraussetzungen für den Erlass des vorsorglichen Berichterstattungsverbots erfüllt sind, soweit berichtet werden soll, das Einsatzverhalten der Gesuchstellerin 1 habe zum Tod des Patienten in W. oder der Hirnblutung mit Mittellinienverlegung einer Patientin in X. geführt oder sei hierfür kausal gewesen. Das Verbot wird gegenüber jenem in der Verfügung vom 17. Januar 2019 aber noch enger gefasst. Ohne dass sich der Vizepräsident zur Zulässigkeit der Berichterstattung über die folgenden Punkte äussert, dient deren Auflistung dem besseren Verständnis des Dispositivs des vorliegenden Entscheids. Folgende Punkte fallen nicht unter das hier verfügte Berichterstattungsverbot ( zu E. 10 der Verfügung vom 17. Januar 2019): • die tatsächlichen Geschehnisse der beiden Einsätze in X. und W., • jede Berichterstattung über die Gesuchstellerin 1, die sich nicht auf die beiden Einsätze in X. und W. bezieht (Bsp. 1: Es komme nicht selten vor, dass Mitarbeiter der Gesuchstellerin 1, die sich im Einsatz befänden, die Anweisung erhielten, zu Patienten zu , obwohl klar sei, dass eine Einweisung ins Spital erforderlich werde. Bsp. 2: Die Gesuchstellerin 1 gehöre nicht zu den und müsse sich deshalb an die halten. Bsp. 3: D. sei Co-Geschäftsführerin der Gesuchstellerin 1. Sie sei keine Ärztin. Sie habe die Weisung "......" erstellt [inkl. Wiedergabe des Inhalts der Weisung].), • dass sich die Abklärungen des Kantonsarztamtes des Kantons U. gegen die Gesuchstellerin 1 richten würden, • dass Dr. E. am Abend des 20. August 2018 von der einen Anruf erhalten habe, mit welchem sie angewiesen worden sei, sich zu einer Patientin (Jahrgang 19xx) in X., U., zu begeben, die sich heftig den Kopf angeschlagen habe, • dass Dr. E. der Mitarbeiterin der Gesuchstellerin 1, die für diese Triage verantwortlich gezeichnet habe, sowie der Mitarbeiterin D. mitgeteilt habe, bei dieser Anamnese sei von einer gravierenden Krankheit bzw. Verletzung auszugehen, welche keine zeitliche Verzögerung hinsichtlich der Behandlung der Patientin ertrage. Ih- - 18 - re Anfahrtszeit von T., S., nach X., U., betrüge aber mindestens eine Stunde, zumal der Einsatz in T., S., noch nicht beendet wäre. Entsprechend müsste der örtliche Rettungsdienst kontaktiert , • dass der örtliche Rettungsdienst entgegen der Empfehlung von Dr. E. nicht aufgeboten worden sei. Stattdessen sei ein Team aus Z., S. zur Patientin nach X., U., geschickt worden, das dafür eine Fahrtdauer von mindestens einer Stunde benötigt habe, • dass dieses Team vor verschlossenen Türen gestanden habe und die Polizei sowie den Schlüsseldienst habe aufbieten müssen. Die Patientin sei tief bewusstlos und mit lichtstarren weiten Pupillen aufgefunden worden, • dass zwischen dem Eingang des Telefonats und dem Eintreffen des Arztes eine sehr lange Zeitdauer, ca. 2.5 bis 3 Stunden, sei, • dass der Notfall um ca. 18:20 Uhr gemeldet worden sei und die Patientin da noch bei klarem Bewusstsein und in der Lage sei zu telefonieren, • dass D. erst um 18:45 Uhr mit Dr. E. telefoniert habe und dass noch einmal etliche Minuten vergangen sein müssten, bis das Team aus Z., S., aufgeboten worden sei, • dass dieses Team anschliessend mindestens eine Stunde habe, um nach X., U., zu gelangen, • der Zeitpunkt, indem die Patientin in X., U., eine Hirnblutung mit Mittellinienverlagerung erlitten hat sowie dessen Ursachen. ist jedoch eine Berichterstattung darüber, dass die mit Mittellinienverlagerung auf das Einsatzverhalten der 1 zurückzuführen ist (Abänderung von E. 10 der vom 17. Januar 2019), • dass der Patient in W. bis am 31. August 2018 zur Behandlung im Kantonsspital W. gewesen sei und nach seiner Rückkehr nach Hause aufgrund heftiger Probleme die Gesuchstellerin 1 habe, • dass die Triagistin aufgrund der internen Weisung "......" habe, den Einsatz selbst ausführen zu lassen anstatt Ambulanz zu rufen, • dass das Team der Aussenstelle R., welches aufgeboten worden sei, nicht sofort verfügbar gewesen sei. Es habe noch anderswo im Einsatz gestanden. Dadurch habe sich auch in diesem Fall eine erhebliche zeitliche Verzögerung ergeben, obwohl die Distanz R.- W. kurz gewesen wäre, - 19 - • dass der der Patient nach der Öffnung der Türe durch die tot aufgefunden worden sei, und • der Zeitpunkt, indem der Patient in W. gestorben ist sowie die . Untersagt ist jedoch eine Berichterstattung darüber, dass der Tod auf das Einsatzverhalten der Gesuchstellerin 1 ist (Abänderung von E. 10 der Verfügung vom 17. Januar 2019). 9. Verfahrensantrag der Gesuchsgegnerin Mit dem vorliegenden Entscheid ist der Verfahrensantrag der (Rechtsbegehren-Ziff. 3), die mit Verfügung vom 17. Januar 2019 angeordnete superprovisorische Massnahme sei mit sofortiger aufzuheben, gegenstandslos geworden. 10. Prozesskosten Die Prozesskosten, bestehend aus Gerichtskosten und , werden der unterliegenden Partei auferlegt. Bei Nichteintreten gilt die gesuchstellende Partei als unterliegend (Art. 95 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 ZPO). Hat keine Partei vollständig obsiegt, so werden die nach dem Ausgang des Verfahrens verteilt (Art. 106 Abs. 2 ZPO). 10.1. Gesuch der Gesuchstellerin 1 Die Gesuchstellerin 1 unterliegt zufolge ihres sehr umfassend gestellten Rechtsbegehrens deutlich. In einem zentralen Punkt – keine über die Kausalität ihres Verhaltens für den Eintritt des Todes bzw. der Hirnblutung mit Mittellinienverlegung – bekommt sie vorläufig Recht. Bei diesem Ausgang unterliegt die Gesuchstellerin 1 zu 3⁄4. Unter Berücksichtigung des verursachten Aufwands sowie des Umfangs der Streitigkeit werden die Gerichtskosten auf Fr. 3'500.00 festgesetzt (§ 8 VKD, SAR 221.150) und zu 3⁄4, ausmachend Fr. 2'625.00, der 1 und zu 1⁄4, ausmachend Fr. 875.00, der Gesuchsgegnerin auferlegt. Gestützt auf Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden die vorab mit dem von der Gesuchstellerin 1 geleisteten in Höhe von Fr. 3'500.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat der Gesuchstellerin 1 ihren Anteil an den Gerichtskosten, d.h. Fr. 875.00, direkt zu ersetzen (Art. 111 Abs. 2 ZPO). Die Gesuchstellerin 1 hat der Gesuchsgegnerin ausgangsgemäss zudem eine halbe Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 50'000.00 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer von Fr. 8'570.00 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 5 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarabzugs von 50 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 4'285.00. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und - 20 - die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach einem weiteren Abzug von 20 % wegen der nicht durchgeführten Verhandlung (§ 6 Abs. 2 AnwT), verbleibt ein Betrag in Höhe von Fr. 3'428.00. Nach Hinzurechnung einer Auslagenpauschale (§ 13 Abs. 1 AnwT) von praxisgemäss 3 % resultiert ein Betrag in Höhe von gerundet Fr. 3'530.00, dessen Hälfte, Fr. 1'765.00, die 1 der Gesuchsgegnerin als Parteientschädigung zu bezahlen hat. 10.2. Gesuch der Gesuchstellerin 2 Auf das Gesuch der Gesuchstellerin 2 wurde bereits mit der Verfügung vom 17. Januar 2019 nicht eingetreten. Es fielen hierfür keine Aufwände an, weshalb vom Erheben der Gerichtskosten wird. Der Gesuchsgegnerin sind keine Aufwände entstanden. Der Vizepräsident erkennt: 1. 1.1. In teilweiser Gutheissung des Gesuchs der Gesuchstellerin 1 vom 16. Januar 2019 wird die mit Verfügung vom 17. Januar 2019, Dispositiv Ziff. 4, superprovisorisch angeordnete vorsorgliche Massnahme teilweise bestätigt und der Gesuchsgegnerin unter Androhung der Bestrafung der verantwortlichen Organe im Widerhandlungsfall nach Art. 292 StGB mit sofortiger Wirkung verboten, über die Einsätze der Gesuchstellerin 1 vom 20. August 2018 in X. betreffend eine Patientin, die eine Hirnblutung mit Mittellinienverlegung erlitt, und nach dem 31. August 2018 in W. einen Patienten, der starb, dergestalt zu berichten, als behauptet wird, das Einsatzverhalten der Gesuchstellerin 1 habe zum Tod des in W. oder zur Hirnblutung mit Mittellinienverlegung der Patientin in X. geführt bzw. sei hierfür kausal gewesen. Im darüber hinausgehenden Umfang wird die mit Verfügung vom 17. Januar 2019, Dispositiv Ziff. 4, superprovisorisch angeordnete Massnahme aufgehoben. - 21 - 1.2. Art. 292 StGB lautet: " Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft." 1.3. Soweit mit dem Gesuch der Gesuchstellerin 1 vom 16. Januar 2019 mehr oder anderes verlangt wird, wird es abgewiesen. 2. 2.1. Der Gesuchstellerin 1 wird Frist bis zum 13. Mai 2019 angesetzt, um beim zuständigen Gericht im ordentlichen Verfahren Klage anzuheben. 2.2. Im Säumnisfall fällt die vorliegend in Dispositiv Ziff. 1 angeordnete Massnahme dahin. 3. 3.1. 3.1.1. Die Gerichtskosten für das Gesuch der Gesuchstellerin 1 in Höhe von Fr. 3'500.00 werden zu 3⁄4, ausmachend Fr. 2'625.00, der 1 und zu 1⁄4, ausmachend Fr. 875.00, der Gesuchsgegnerin auferlegt. Sie wird mit dem von der Gesuchstellerin 1 bezahlten Kostenvorschuss von Fr. 3'500.00 verrechnet. Die Gesuchsgegnerin hat die von ihr zu Gerichtskosten im Umfang von Fr. 875.00 der Gesuchstellerin 1 direkt zu ersetzen. 3.1.2. Die Gesuchstellerin 1 wird verpflichtet, der Gesuchsgegnerin eine in richterlich festgesetzter Höhe von Fr. 1'765.00 zu . 3.1.3. Eine abweichende Verlegung der Prozesskosten betreffend das Gesuch der Gesuchstellerin 1 im ordentlichen Verfahren, falls dieses vor dem Handelsgericht stattfindet, oder mittels separater Verfügung bleibt . 3.2. Für das Gesuch der Gesuchstellerin 2 werden weder Gerichtskosten noch eine Parteientschädigung zugesprochen. - 22 - Zustellung an: − die Gesuchstellerinnen (Vertreter; zweifach) − die Gesuchsgegnerin (Vertreter; zweifach) Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen der vollständigen Ausfertigung des Entscheids an gerechnet, die Beschwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elektronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Rechte (Art. 98 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der angefochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 8. Februar 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
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AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Pers-n_2019-02-08
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Entscheid_08-02-19.pdf
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2011 Strafrecht 47 IV. Strafrecht 11 Art. 57 Abs. 3, 62c Abs. 2 StGB Gegenstand der Anrechnung von Massnahmeaufenthalten auf den zu verbüssenden Rest einer Freiheitsstrafe ist nach dem Wortlaut des Geset- zes der mit der Massnahme verbundene Freiheitsentzug. Entgegen dem früheren Gesetz ist nach der Revision des Allgemeinen Teils des Strafge- setzbuches die Frage der Eingriffsintensität nicht mehr zu prüfen. Ent- scheidend ist einzig die zeitliche Dauer der Massnahme, nicht aber eine verobjektivierte konkrete Belastung des Betroffenen durch die Mass- nahme im Verhältnis zu einem Freiheitsentzug. Für die Anrechnung von Massnahmen vor dem Strafurteil ist zumindest ein direkter Zusammenhang mit dem Strafverfahren und bei der Art der Massnahme eine Antizipierung der nachträglich vom Gericht zu treffen- den Massnahme zu verlangen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 1. September 2011 i.S. Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach gegen D.S. (SST.2011.119). Aus den Erwägungen 3.2. Streitig ist hingegen der Umfang der anzurechnenden Verweil- dauer in Massnahmeinstitutionen: Gemäss Art. 57 StGB ordnet das Gericht, wenn die Vorausset- zungen sowohl für eine Strafe wie auch für eine Massnahme erfüllt sind, beide Sanktionen an (Art. 57 Abs. 1 StGB). Der Vollzug einer Massnahme geht einer zugleich ausgesprochenen vollziehbaren Frei- heitsstrafe voraus (Art. 57 Abs. 2 StGB). Der mit der Massnahme verbundene Freiheitsentzug ist auf die Strafe anzurechnen (Art. 57 Abs. 3 StGB). Ist die Massnahme i.S.v. Art. 62c Abs. 2 StGB aufzu- heben und muss noch ein Rest der Freiheitsstrafe vollzogen werden, 2011 Obergericht 48 weil der mit der Massnahme verbundene Freiheitsentzug kürzer ist als die aufgeschobene Freiheitsstrafe (Art. 62c Abs. 2 StGB), so stellt sich in der Praxis die Frage der Anrechnung von Massnahmeaufent- halten auf die zu verbüssende Reststrafe. Diese Frage stellt sich so- wohl bezüglich Umfang der Massnahme als auch deren Art. Gegen- stand der Anrechnung ist nach dem Wortlaut des Gesetzes der mit der Massnahme verbundene Freiheitsentzug. Entgegen dem früheren Gesetz ist nach der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetz- buches die Frage der Eingriffsintensität nicht mehr zu prüfen. Ent- scheidend ist einzig die zeitliche Dauer der Massnahme, nicht aber eine verobjektivierte konkrete Belastung des Betroffenen durch die Massnahme im Verhältnis zu einem Freiheitsentzug (M ARIANNE H EER , in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl. 2007, N. 9 zu Art. 57 StGB). Umstritten und in der Praxis nicht völlig geklärt ist, wie weit therapeutische Massnahmen vor dem Strafurteil, z.B. fürsorgerische Freiheitsentziehungen oder freiwillig eingegangene stationäre thera- peutische Massnahmen, anzurechnen sind. Dabei ist zumindest ein direkter Zusammenhang mit dem Strafverfahren und bei der Art der Massnahme eine Antizipierung der nachträglich vom Gericht zu treffenden Massnahme zu verlangen. Es kann insbesondere bei Ver- urteilten, welche unabhängig von strafrechtlichen Sanktionen einen Grossteil ihres Lebens in therapeutischen Institutionen und Mass- nahmen verbracht haben, nicht angehen, jegliche private oder fürsor- gerisch eingeleitete stationäre Massnahme an spätere Freiheitsstrafen anzurechnen.
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AG_HG_001
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AG_HG_001_AGVE-2011-11_2011-09-01
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-11.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-11.pdf
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2002 Zivilrecht 29 B. Familienrecht 2 Art. 134 ZGB; Abänderung Scheidungsurteil Büsst bei geschiedenen Eltern der Inhaber der elterlichen Sorge diese in- folge Entmündigung ein, fällt sie nicht von Gesetzes wegen an den an- dern, sondern nur, wenn sie diesem übertragen wird. Die Übertragung hat mittels Abänderung des Scheidungsurteils durch den Abänderungs- richter zu erfolgen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 5. Zivilkammer, vom 21. Oktober 2002, i.S. S.K. ca. E.K. Aus den Erwägungen: 3. a) (...) b) aa) Für die Abänderung eines altrechtlichen Scheidungsur- teils kommen die revidierten Bestimmungen des neuen Scheidungs- rechts über das Verfahren und die Kinder zur Anwendung (Art. 7a Abs. 3 SchlTZGB). Die Zuständigkeit zur Abänderung der im Schei- dungsurteil der Parteien getroffenen Kinderzuteilung richtet sich somit gemäss dem Verweis in Art. 315b Abs. 1 Ziff. 2 ZGB nach Art. 134 ZGB. Nach dessen Absatz 1 ist auf Begehren eines Elternteils, des Kindes oder der Vormundschaftsbehörde die Zuteilung der elterlichen Sorge neu zu regeln, wenn dies wegen wesentlicher Ver- änderung der Verhältnisse zum Wohl des Kindes geboten ist. Gemäss Absatz 3 ist zur Abänderung der elterlichen Sorge bei Einigkeit der Eltern oder beim Tod eines Elternteils die Vormundschaftsbehörde (Satz 1), und in den übrigen Fällen das für die Abänderung des Scheidungsurteils zuständige Gericht (Satz 2) zuständig. Mit dieser Regelung hat das neue Scheidungsrecht der Kritik an Art. 315a Abs. 3 altZGB Rechnung getragen. Nach dieser Bestim- mung konnten die vormundschaftlichen Behörden die vom Richter getroffenen Kindesschutzmassnahmen in Bezug auf einen Elternteil 2002 Obergericht/Handelsgericht 30 nur ändern, sofern dadurch die Stellung des anderen nicht unmittel- bar berührt wurde. In Lehre und Rechtsprechung war kontrovers, ob aufgrund dieser Bestimmung die Vormundschaftsbehörde befugt war, ein Kind geschiedener Eltern nach dem Tod des Inhabers der elterli- chen Gewalt unter die elterliche Gewalt des überlebenden Ehegatten zu stellen oder ob dies dem Richter im Abänderungsverfahren nach Art. 157 altZGB vorbehalten war. Die Lehre vertrat praktisch einhel- lig die Auffassung, der mit dem neuen Kindesrecht eingeführte Art. 315a Abs. 3 altZGB habe die sachliche Zuständigkeit in diesen Fäl- len vom Abänderungsrichter auf die vormundschaftlichen Behörden übertragen (Hegnauer, ZVW 1978 S. 47 f. und ZVW 1981 S. 15 ff; ZR 84 Nr. 127 Erw. 2 mit weiteren Hinweisen). Sie stützte sich dabei u.a. auf die Botschaft zum neuen Kindesrecht, die im Falle des Todes oder der Entmündigung des Inhabers der elterlichen Gewalt die Vor- mundschaftsbehörde zur Kindesumteilung an den überlebenden El- ternteil kompetent bezeichnete (BBl 1974 II 87). Das Bundesgericht nahm dagegen eine konkurrierende Zuständigkeit von Richter und Vormundschaftsbehörde an. Es liess sich dabei von der Überlegung leiten, dass beim Tod des Inhabers der elterlichen Gewalt keine sich widerstreitenden Interessen der beiden einstigen Ehegatten mehr bestehen, weshalb die Übertragung der elterlichen Gewalt durch die Vormundschaftsbehörde nicht als unzulässiger Eingriff in ein rechts- kräftiges Scheidungsurteil zu werten sei; dem überlebenden Ehegat- ten stehe es daher frei, sowohl bei der Vormundschaftsbehörde wie beim Abänderungsrichter das Begehren auf Zusprechung der elterli- chen Gewalt zu stellen (BGE 108 II 375 ff., 107 II 100 ff. = Pra 70 Nr. 132). Mit dem neuen Art. 134 Abs. 3 ZGB erhielt nun die Kompetenz der Vormundschaftsbehörde zur nicht streitigen Umteilung der im Scheidungsurteil angeordneten elterlichen Sorge eine klare gesetzli- che Grundlage. Das Gericht ist nur noch in strittigen Fällen zur Ab- änderung der elterlichen Sorge zuständig (Botschaft zum neuen Scheidungsrecht, BBl 1996 I S. 132; Tuor/Schnyder/Schmid/Rumo- Jungo, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 12. Auflage, Zürich 2002, S. 243 f.). In diesen Fällen ist eine gerichtliche Überprüfung des Sachverhaltes zur Neuregelung der elterlichen Sorge unumgäng- 2002 Zivilrecht 31 lich (Wirz, Praxiskommentar Scheidungsrecht, Basel 2000, N 34 zu Art. 134 ZGB). Streitig ist die Neuregelung der Kinderzuteilung dann, wenn sich entweder die Eltern nicht darüber verständigen kön- nen oder wenn das Kind oder die Vormundschaftsbehörde, denen gemäss Art. 134 Abs. 1 ZGB je ein eigenständiges Antragsrecht zu- kommt, eine vom gemeinsamen Antrag der Eltern abweichende Neu- regelung beantragen (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 34 f. zu Art. 134 ZGB). bb) Die elterliche Sorge kann nur mündigen Eltern zustehen. Unmündige und Entmündigte haben deshalb keine elterliche Sorge (Art. 296 Abs. 2 ZGB). Erfolgt eine Entmündigung des Inhabers der elterlichen Sorge, so entfällt letztere von Gesetzes wegen; es bedarf keiner gesonderten Entziehung durch behördliche Verfügung (Heg- nauer, Grundriss des Kindesrechts, 5. Auflage, Bern 1999, Rz. 25.08). Büsst bei geschiedenen Eltern der Inhaber der elterlichen Sorge diese infolge Entmündigung ein, so fällt sie nicht von Gesetzes we- gen an den anderen, sondern nur, wenn sie diesem nach den Bestim- mungen des Art. 134 Abs. 1 und 3 ZGB übertragen wird. Da Art. 134 Abs. 3 ZGB die Vormundschaftsbehörde lediglich bei Einigkeit der Eltern oder beim Tod eines Elternteils, nicht aber bei der Entmündi- gung eines Elternteils für zuständig erklärt (Satz 2), hat die Übertra- gung mittels Änderung des Scheidungsurteils durch den Ab- änderungsrichter zu erfolgen (Hegnauer, a.a.O, Bern 1999, Rz. 25.21). Auch wenn nur schwerlich einzusehen ist, weshalb die Zuständigkeit bei der Entmündigung im Gegensatz zum Tod eines Elternteils dem Gericht vorbehalten bleibt, nachdem in beiden Fällen ein "Streit" um die Übertragung der elterlichen Sorge wohl noch zwischen Ansprecher, Kind und Vormundschaftsbehörde, hingegen nicht mehr zwischen den Eltern möglich ist, darf eine - durch rich- terliche Rechtsfindung i.S.v. Art. 1 Abs. 2 ZGB zu ergänzende - Ge- setzeslücke angesichts der noch jungen Bestimmung nicht leichthin bejaht werden (zur richterlichen Lückenfüllung: vgl. BGE 121 III 219 ff. Erw. 1d), weshalb sich das Gericht an den Wortlaut von Art. 134 Abs. 3 ZGB gebunden sieht. 2002 Obergericht/Handelsgericht 32 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist somit der Abände- rungsrichter und nicht die Vormundschaftsbehörde zur Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kläger im Falle einer Entmündigung der Beklagten sachlich zuständig.
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2001 Obergericht/Handelsgericht 62 [...] 16 Untersuchungsmaxime im Verfahren über die unentgeltliche Rechts- pflege. Die Geltung der Untersuchungsmaxime im Verfahren über die unentgelt- liche Rechtspflege bedeutet nicht, dass der Richter uneingeschränkt ver- pflichtet ist, die nötigen Berichte einzuholen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Zivilkammer, vom 23. August 2001 i.S. A.V. gegen J.B. Aus den Erwägungen 1.a) Im Verfahren über die unentgeltliche Rechtspflege gilt die Offizialmaxime (AGVE 1982, S. 67). Diese Prozessmaxime steht im Gegensatz zur Verhandlungs- und Eventualmaxime (Alfred Bühler, Das Novenrecht im neuen Aargauischen Zivilprozessrecht, 1986, S. 47). Sie besagt, dass die Sammlung des Prozessstoffs neben den Parteien auch dem Gericht obliegt. Das Gericht darf und soll die er- forderlichen Beweise von Amtes wegen erheben, insbesondere kann es auch von Amtes wegen Beweise auferlegen. Die Offizialmaxime (genauer: die Untersuchungsmaxime) ist indessen nicht dahin zu ver- stehen, dass sich die Parteien an der Sammlung des Prozessstoffs nicht beteiligen müssen. Auch unter dem Regime des Untersu- 2001 Zivilprozessrecht 63 chungsgrundsatzes haben vorrangig die Parteien das in Betracht fal- lende Tatsachenmaterial dem Gericht zu unterbreiten und die Be- weismittel zu nennen. So gesehen darf ihre Tragweite nicht über- schätzt werden (Max Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. A., Zürich 1979, S. 169). b) Dem Richter wird durch § 129 Abs. 1 ZPO die Befugnis ein- geräumt, unter anderem weitere Berichte einzuholen. Eine Verpflich- tung dazu besteht nach dem Gesetzeswortlaut und den obgenannten Grundsätzen indessen nicht uneingeschränkt. Der mit dem aargauischen Prozessrecht vertraute Anwalt des Gesuchstellers weiss aufgrund seiner Praxis, welche Anforderungen an die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege gestellt werden. Es liegt nicht der Fall vor, dass eine unbeholfene, rechtsunkundige Partei ein Gesuch ohne Beilegung irgendwelcher Unterlagen einreichte. c) Der Beklagte hat mit der Einreichung der Appellation vom 5. Februar 2001 das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Appellationsverfahren nur rudimentär und un- genügend begründet und darauf verwiesen, dass das vollständig be- gründete Gesuch nach Erhalt der vollständigen Unterlagen separat nachgereicht würde. Dies hat er bis zum heutigen Tag unterlassen. Aus der Tatsache, dass der rechtskundige Anwalt für den Gesuchstel- ler ein derart rudimentäres Gesuch einreichte, ohne die in Aussicht gestellten Unterlagen nachzuliefern, ist zu schliessen, dass keine wei- teren Unterlagen existieren, welche die Bedürftigkeit des Gesuchstel- lers ausweisen. Es erübrigt sich folglich, dem Gesuchsteller Frist für die Einreichung zusätzlicher Unterlagen anzusetzen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist hierin nicht zu erblicken. Der Verweis in der Appellation auf ein steuerbares Einkommen aus dem Jahre 1997/98 ist für die Feststellung der Bedürftigkeit im Jahre 2001 untauglich. Das Gesuch ist deshalb mangels Substanziie- rung abzuweisen.
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Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HOR.2018.28 / as / as Art. 193 Urteil vom 27. November 2019 Besetzung Oberrichter Vetter Ersatzrichter Meichssner Handelsrichter Bäumlin Handelsrichter Meyer Handelsrichter Nauer Gerichtsschreiber Schneuwly Gerichtsschreiberin-Stv. Albert Kläger 1 C.I., _ Kläger 2 M.I., _ 1 und 2 vertreten durch Dr. iur. Marcel Buttliger, Rechtsanwalt, Kasino- strasse 30, Postfach 2202, 5001 Aarau Beklagte B.I. in Liquidation, c/o _ Gegenstand Ordentliches Verfahren betreffend Anfechtung Generalversammlungsbe- schlüsse - 2 - Das Handelsgericht entnimmt den Akten: 1. 1.1. Der Kläger 1 ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in Niederlenz (AG). Der Kläger 2 ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in Wohlen (AG). 1.2. Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Wohlen (AG). Sie hat _ ihrem Hauptzweck. Gesellschafter mit je 50 Stammanteilen à je Fr. 100.00 sind die Kläger 1 und 2, T.I. und M.M. (Kla- gebeilage [KB] 1). Der Kläger 2 war bis zum 21. Januar 2016 Vorsitzender der Geschäftsfüh- rung und der Kläger 1 bis zum 18. Februar 2016 Geschäftsführer der Be- klagten, beide je mit Einzelunterschrift (KB 1). Mit Entscheid vom 10. Mai 2016 im Verfahren HSU.2016.25 hat der Vizepräsident bis zur nächsten ordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten, längstens bis zum 30. Juni 2017, T.I. zum Vorsitzenden der Geschäftsführung und M.M. zum Geschäftsführer der Beklagten je mit Einzelzeichnungsberechtigung er- nannt und eingesetzt. Anlässlich der Gesellschafterversammlung vom 30. Juni 2017 wurden T.I. und M.M. als Geschäftsführer der Beklagten wieder- gewählt (vgl. Verfahren HSU.2017.53). Mit Urteil vom 4. Juni 2019 und Berichtigung ebenfalls vom 4. Juni 2019 im Verfahren HOR.2017.57 wurde die Beklagte rechtskräftig aufgelöst und die U. AG als Liquidatorin eingesetzt. 2. Es ist gerichtsnotorisch (vgl. Art. 151 ZPO), dass sich die Kläger 1 und 2 mit T.I. und M.M. seit geraumer Zeit im Streit bezüglich der Vorherrschaft und die Vermögenswerte der Beklagten befinden. Vor dem Handelsgericht des Kantons Aargau wurden diesbezüglich bereits verschiedene Verfahren durchgeführt bzw. sind noch hängig (vgl. HOR.2014.54, HOR.2015.40, HOR.2017.53, HOR.2017.57, HOR.2018.28, HSU.2014.63, HSU.2015.107, HSU.2016.17, HSU.2016.25, HSU.2016.30, HSU.2016.73 sowie HSU.2018.55). 3. 3.1. Mit Schreiben vom 8. Juni 2018 hat T.I. in seiner Funktion als Vorsitzender der Geschäftsführung der Beklagten den Gesellschaftern per A-Post Plus eine Einladung zur ordentlichen Gesellschafterversammlung am 30. Juni 2018 zugestellt (KB 3). Diese sandte er den Klägern 1 und 2 bereits am 8. Juni 2018 auf elektronischem Wege zu (Antwortbeilage [AB] 3). Unter den - 3 - Traktanden 2-4 wurde beantragt, es sei die Genehmigung der Jahresrech- nung 2017, die Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns und die Entlastung der Mitglieder der Geschäftsführung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Mit dem Traktandum 5 wurde beantragt, es seien die Mitglieder der Geschäftsführung, T.I. und M.M., für eine weitere Amts- periode von einem Jahr zu wählen (KB 3). 3.2. Am 30. Juni 2018 fand in der Klubschule Migros, Aare, Center Wohlen an der Bahnhofstrasse 9, 5610 Wohlen, die Gesellschafterversammlung der Beklagten statt (KB 2). 4. Mit Klage vom 30. August 2018 (Postaufgabe: 30. August 2018) stellten die Kläger 1 und 2 folgende Rechtsbegehren: " 1. Die an der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 30. Juni 2018 gefassten Beschlüsse seien vollumfänglich aufzuheben und als ungültig zu erklären. 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten." Zur Begründung führten die Kläger 1 und 2 im Wesentlichen aus, die Ge- sellschafterversammlung sei weder korrekt einberufen noch durchgeführt worden. Insbesondere seien die Kläger 1 und 2 zu Unrecht von der Ver- sammlung ausgeschlossen worden, weshalb die getroffenen Beschlüsse allesamt nichtig seien. 5. Mit Klageantwort vom 29. Oktober 2018 stellte die Beklagte folgende Rechtsbegehren: " 1. Die Klage sei vollumfänglich abzuweisen. 2. Unter ordentlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Kläger 1 und 2." Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Einladung zur Ge- sellschafterversammlung sei frist- und formgerecht erfolgt. Zudem sei die Versammlung rechtmässig durchgeführt worden. Was den Ausschluss der Kläger 1 und 2 angehe, so sei dieser rechtmässig gewesen: Vor dem Be- schluss über das Traktandum 5 habe der Vorsitzende einen Ordnungsan- trag zur Nichtzulassung des Beschlussantrags der Kläger 1 und 2 zu deren - 4 - Wahl als Geschäftsführer gestellt. Der Antrag der Kläger 1 und 2 sei rechts- missbräuchlich gewesen, hätten sich diese doch in einem Interessenskon- flikt befunden. Nach Annahme des Ordnungsantrages habe sich eine tu- multartige Situation im Saal ergeben. Diese sei von den Klägern 1 und 2 ausgegangen. Eine ordnungsgemässe Weiterführung der Gesellschafter- versammlung sei nicht mehr möglich gewesen, weshalb der Vorsitzende die Kläger 1 und 2 des Saals verwiesen habe. 6. Mit Replik vom 10. Dezember 2018 bzw. Duplik vom 6. Februar 2019 hiel- ten die Parteien an ihren Rechtsbegehren und Ausführungen fest. 7. Mit Verfügung vom 7. März 2019 wurde das Verfahren bis zur Erledigung des Verfahrens HOR.2017.57 (Auflösung der Beklagten) sistiert. 8. 8.1. Nachdem das Handelsgericht im Verfahren HOR.2017.57 am 4. Juni 2019 das Urteil erlassen hatte, hob der Vizepräsident gleichentags die Sistierung des vorliegenden Verfahrens auf. Gleichzeitig wurde den Klägerin 1 und 2 Frist angesetzt, um sich darüber zu erklären, ob sie die vorliegende Klage zurückziehen würden. 8.2. Innert erstreckter Frist erklärten die Kläger 1 und 2 mit Eingabe vom 15. Au- gust 2019, sie würden die Klage nicht zurückziehen. 9. 9.1. Mit Verfügung vom 16. August 2019 wurde die Streitsache an das Handels- gericht überwiesen. 9.2. Mit Eingabe vom 21. August 2019 zeigten die Rechtsanwälte lic. iur. W.S. und MLaw M.A. an, dass sie die Beklagte nicht mehr vertreten. 9.3. Mit Verfügung vom 26. August 2019 lud der Vizepräsident für die Haupt- verhandlung vom 27. November 2019 vor und erliess die Beweisverfügung. 10. 10.1. Am 27. November 2019 fand die Hauptverhandlung statt. Die Parteien hiel- ten ihre Schlussvorträge und konnten sich dabei je zweimal äussern. - 5 - 10.2. Daraufhin zog sich das Handelsgericht zur Beratung zurück und fällte das Urteil. Das Handelsgericht zieht in Erwägung: 1. Prozessvoraussetzungen Die Prozessvoraussetzungen sind von Amtes wegen zu prüfen (Art. 60 ZPO). 1.1. Zuständigkeit 1.1.1. Örtlich Die Beklagte lässt sich auf das vorliegende Verfahren ausdrücklich i.S.v. Art. 18 ZPO ein, weshalb das Handelsgericht örtlich zuständig ist (Kla- geantwort, Rz. 5). 1.1.2. Sachlich Vorliegend handelt es sich um eine Streitigkeit aus dem Recht der Han- delsgesellschaften und Genossenschaften (Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO). Zu de- ren Beurteilung ist im Kanton Aargau grundsätzlich das Handelsgericht zu- ständig (§ 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO AG), dies jedoch nur, wenn der Streitwert mehr als Fr. 30'000.00 beträgt und damit das ordentliche Verfahren zur An- wendung gelangt. 1 Gemäss Art. 91 Abs. 1 ZPO wird der Streitwert durch das Rechtsbegehren bestimmt. Lautet das Begehren nicht auf eine bestimmte Geldsumme, so setzt das Gericht den Streitwert fest, sofern sich die Parteien darüber nicht einigen oder ihre Angaben offensichtlich unrichtig sind (Art. 91 Abs. 2 ZPO). Im Allgemeinen ist bei der Anfechtung von General- und Gesell- schafterversammlungsbeschlüssen der Streitwert im Bereich von Fr. 20'000.00 bis Fr. 100'000.00 aufwärts anzusiedeln.2 Die Kläger 1 und 2 gaben in ihren Rechtsschriften keinen Streitwert an. Die Beklagte äusserte sich ebenfalls nicht zum Streitwert. Anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 7. März 2019 im Rahmen des Verfahrens HOR.2017.57 erhielten die Parteien die Möglichkeit, sich zum Streitwert des vorliegenden Verfahrens zu äussern. Die Kläger 1 und 2 schätzten den Streitwert auf Fr. 50'000.00, sicherlich jedoch über Fr. 30'000.00. Die Beklagten bestritt dies; es sei nicht ersichtlich, weshalb die Klage einen derart hohen Streitwert haben solle (vgl. Protokoll der Instruktionsverhandlung vom 7. März 2019 im Verfahren HOR.2017.57, S. 3). Ermessensweise wird der Streitwert auf Fr. 40'000.00 festgelegt, so dass das ordentliche Verfahren zur Anwendung gelangt. Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts ist damit gegeben. 1 BGE 143 III 137 E. 2.2. 2 FREY, Grundsätze der Streitwertberechnung, 2017, N. 256. - 6 - 2. Auslegung des Rechtsbegehrens Wie alle Prozesshandlungen ist das Rechtsbegehren nach Treu und Glau- ben auszulegen, wobei dies insbesondere im Lichte der dazu gegebenen Begründungen zu erfolgen hat. Ist ein Begehren jedoch klar und bedarf es deshalb keiner Auslegung, so erübrigt sich ein Rückgriff auf die Begrün- dung. Umgekehrt darf eine allenfalls unrichtige Bezeichnung oder Aus- drucksweise nicht einfach als massgebend betrachtet werden.3 Die Kläger 1 und 2 fordern mit Ziff. 1 ihrer Rechtsbegehren einerseits die "Beschlüsse seien vollumfänglich aufzuheben [...]" und anderseits "die Be- schlüsse seien [...] als ungültig zu erklären". Damit erheben sie gleichzeitig sowohl eine Gestaltungs- (Aufheben der Beschlüsse) als auch eine Fest- stellungsklage (Erklärung der Ungültigkeit, womit die Feststellung der Nich- tigkeit gemeint ist). Gleiches ergibt sich auch aus der Klageschrift und der Replik. So betiteln die Kläger 1 und 2 ihre Klage mit "Anfechtung der Be- schlüsse [...]" und äussern sich zu der im Rahmen der Anfechtungsklage geltenden zweimonatigen Klagefrist (Klage, S. 6 und 12). Zudem beziehen sie sich auch explizit auf die Anfechtungsklage bzw. die für diese einschlä- gigen Normen (Art. 808c i.V.m. Art. 706 und Art. 706a OR) (Klage S. 4, 6 und 12). Gleichzeitig wird jedoch auch vorgebracht, die getroffenen Be- schlüsse seien nichtig, wobei in diesem Zusammenhang auf die für die Nichtigkeit einschlägige Norm, Art. 808c i.V.m. Art. 706b OR, Bezug ge- nommen wird (Klage, S. 9, 12 und 13; Replik, S. 16 und 20). Damit haben die Kläger 1 und 2 mit Rechtsbegehren Ziff. 1 sowohl eine Anfechtungs- als auch eine Nichtigkeitsklage erhoben. 3. Aktiv- und Passivlegitimation Für die Anfechtung der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung sind die Vorschriften des Aktienrechts entsprechend anwendbar (Art. 808c OR). Beschlüsse der Gesellschafterversammlung, die gegen Gesetz oder die Statuten verstossen, können von jedem Gesellschafter beim Richter mit Klage gegen die Gesellschaft angefochten werden (Art. 808c i.V.m. Art. 706 Abs. 1 OR). Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage richtet sich stets gegen die Gesellschaft selbst.4 Vorliegend sind die Kläger 1 und 2 als Ge- sellschafter der Beklagten aktivlegitimiert und die Beklagte, deren Be- schlüsse angefochten werden bzw. nichtig sein sollen, passivlegitimiert. 3 BGer 4A_440/2014 vom 27. November 2014 E. 3.3. 4 HANDSCHIN/TRUNIGER, Die GmbH, 3. Aufl. 2019, § 28 N. 12; SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER /PETRIN, 2008, Art. 808c N. 13. - 7 - 4. Anfechtungsklage Die Kläger 1 und 2 machen mit ihrer Klage geltend, die Gesellschafterbe- schlüsse vom 30. Juni 2018 würden gegen Gesetz und Statuten verstossen bzw. seien nichtig, da (i) die Gesellschafterversammlung weder fristgerecht noch formgerecht einberufen, (ii) ihr Antrag zur Wahl als Geschäftsführer nicht berücksichtigt und ihr Teilnahmerecht beschränkt, (iii) der Protokoll- führer nicht korrekt gewählt und (iv) die Teilnahme von Rechtsanwalt M.M. rechtsmissbräuchlich verhindert worden seien. 4.1. Anfechtungsfrist Das Anfechtungsrecht verwirkt, wenn die Klage nicht spätestens zwei Mo- nate nach der Gesellschafterversammlung angehoben wird (Art. 808c i.V.m. Art. 706a Abs. 1 OR). Die Frist beginnt am Tag nach der Gesellschaf- terversammlung zu laufen und ist eingehalten, wenn die Klage spätestens am Tag des zweiten Monats, der die gleiche Zahl trägt, wie der Versamm- lungstag, angehoben wurde.5 Die umstrittene Gesellschafterversammlung fand am 30. Juni 2018 statt (KB 2), so dass mit der Klage vom 30. August 2018 die zweimonatige Anfechtungsfrist gewahrt wurde. 4.2. Einberufung der Gesellschafterversammlung 4.2.1. Rechtliches Die Einberufung der Gesellschafterversammlung erfolgt nach der in den Statuten festgelegten Form (Art. 805 Abs. 5 Ziff. 1 i.V.m. Art. 700 Abs. 1 OR). Falls die Statuten keine diesbezüglich Bestimmung enthalten, gilt die für die Bekanntmachung i.S.v. Art. 776 Ziff. 4 OR geltende Form.6 Die Ein- berufung der Gesellschafterversammlung hat spätestens 20 Tage vor dem Versammlungstag zu erfolgen. Die Statuten können diese Frist verlängern oder bis auf zehn Tage verkürzen. Die Möglichkeit einer Universalver- sammlung bleibt vorbehalten (Art. 805 Abs. 3 OR). Die Frist gilt im Falle der schriftlichen Einberufung dann als eingehalten, wenn die Einladung so ver- sandt wurde, dass sie spätestens 20 Tage vor dem Tag der Versammlung beim Empfänger eintreffen konnte.7 Der Tag der Gesellschafterversamm- lung wird nicht mitgezählt.8 Massgebend ist dabei der übliche Postlauf.9 Die Regeln über Frist, Form und Inhalt der Einberufung der Gesellschafter- versammlung bezwecken den Schutz der Gesellschafter, indem sie die 5 BSK OR II-DUBS/TRUFFER, 5. Aufl. 2016, Art. 706a N. 2. 6 NUSSBAUM, in: Nussbaum/Sanwald/Scheidegger (Hrsg.), Kurzkommentar zum neuen GmbH-Recht, 2007, Art. 805 N. 14. 7 BSK OR II-TRUFFER/DUBS, 5. Aufl. 2016, Art. 805 N. 23; HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 15; SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 205 N. 13; NUSSBAUM (Fn. 6), Art. 805 N.12; OFK OR-OR-GASSER/EGGENBERGER/STÄUBER, 3. Aufl. 2016, Art. 805 N. 9. 8 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 805 N. 23; SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 205 N. 13 je m.w.N. 9 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 805 N. 23; HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 15; SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 205 N. 13; OFK OR-GASSER/EGGENBERGER/ STÄUBER (Fn. 7), Art. 805 N. 9. - 8 - Möglichkeit der Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte gewähren. Es werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass insbesondere das Stimm- recht, das Teilnahmerecht, das Auskunfts- und Einsichtsrecht sowie das Antragsrecht in sinnvoller Weise wahrgenommen werden können. Die Ge- sellschafter sollen mit den Informationen versorgt werden, die sie benöti- gen, um gestützt darauf entscheiden zu können, ob und auf welche Art sie ihre Mitwirkungsrechte ausüben wollen, d.h. insbesondere die Annahme oder Ablehnung des Jahresberichts, der Jahresrechnung, die Gewinnver- wendung und die Entlastung der Geschäftsführer.10 Liegt der geltend gemachte Anfechtungsgrund in einem Verfahrensfehler, so muss die Gesetzes- oder Statutenverletzung kausal für das Ergebnis der Beschlussfassung gewesen sein.11 Beschlüsse, die anlässlich einer Gesellschafterversammlung getroffen wurden, bei der die Einberufungsfrist nicht eingehalten wurde, sind demnach nur dann anfechtbar, wenn die Ge- sellschaft nicht nachweisen kann, dass sich der Mangel nicht auf das Er- gebnis ausgewirkt hat.12 Unbeachtlich ist ein Einberufungsmangel jedoch dann, wenn die Voraussetzungen für eine Universalversammlung erfüllt sind.13 4.2.2. Frist- und formgerechte Einberufung 4.2.2.1. Parteibehauptungen Nicht strittig ist, dass der Vorsitzende der Beklagten die Einladung zur Ge- sellschafterversammlung am 8. Juni 2018 per E-Mail bzw. am 9. Juni 2018 per A-Post Plus versandte (Klage, S. 9; Klageantwort, Rz. 13). Die Kläger 1 und 2 behaupten, sie hätten die Einladung zur Gesellschafterversamm- lung vom 30. Juni 2018 erst am 11. Juni 2018 erhalten; die zwanzigtägige Einberufungsfrist sei demnach nicht eingehalten worden. Eine Zustellung der Einladung per E-Mail sei statutenwidrig und somit ungültig (Klage S. 8 f.; Replik, S. 8; KB 3). Die Beklagte behauptet ihrerseits, die Zustellung sei rechtzeitig erfolgt. Oh- nehin wären an der Gesellschafterversammlung vom 30. Juni 2018 sämtli- che Stammanteile vertreten gewesen, es seien keine Widersprüche gegen die Durchführung der Versammlung oder die Beschlussfassung zu einem Verhandlungsgegenstand erhoben worden, weshalb formelle Einberu- fungsmängel unbeachtlich wären (Klageantwort, Rz. 13; Duplik, Rz. 11). Was die Statuten angehe, so würden diese lediglich vorsehen, dass die Einladung schriftlich erfolgen müsse; die Schriftlichkeit werde jedoch nicht 10 BSK OR II-WEBER, 5. Aufl. 2016, Art. 801a N. 2; BSK OR II-DUBS/TRUFFER (Fn. 5), Art. 700 N. 1; OFK OR-GASSER/EGGENBERGER/STÄUBER (Fn. 7), Art. 801a N. 1. 11 HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 99; VON DER CRONE, Aktienrecht, 2014, § 8 N. 191 m.w.N.; vgl. zum Aktienrecht: BGer 4C.88/2000 vom 27. Juni 2000 E. 3b. 12 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 805 N. 25. 13 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 805 N. 25 und 35. - 9 - weiter definiert, womit auch der Einladungsversand per E-Mail möglich sei (Duplik, Rz. 12). 4.2.2.2. Würdigung Nach Art. 28 der Statuten der Beklagten können Mitteilungen der Gesell- schaft an die im Anteilsbuch eingetragenen Gesellschafter schriftlich, mit Telefax oder per E-Mail zugestellt werden. Vorbehalten bleibt ausdrücklich Art. 13 Abs. 3 der Statuten der Beklagten. Dieser beschränkt sich auf die schriftliche Einladung zur Gesellschafterversammlung (KB 4). Damit fällt die Einladung mit Telefax oder per E-Mail für die Einladung zur Gesell- schafterversammlung ausser Betracht. Die Einladung zur Gesellschafter- versammlung vom 30. Juni 2018, die der Vorsitzende den Gesellschaftern am 8. Juni 2018 per E-Mail zusandte (AB 3), erfolgte damit nicht statuten- konform. Die am 9. Juni 2018 per A-Post Plus versandte schriftliche Einladung (KB 3) konnte frühestens am Montag, 11. Juni 2018, bei den Gesellschaf- tern eintreffen. Dies war weniger als 20 Tage vor der Gesellschafterver- sammlung vom 30. Juni 2018, so dass die schriftliche Einladung vom 9. Juni 2018 nicht fristgerecht und damit zu spät versandt wurde. Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 30. Juni 2018 sind aufzuheben, sofern die Beklagte nicht nachweisen kann, dass sich die nicht fristgerechte Einberufung nicht auf das Beschlussergebnis ausgewirkt hat. Die Kläger 1 und 2 stimmten bei den Traktanden 2-4 gegen den Antrag des Vorsitzenden. Dass die Kläger 1 und 2 an der Gesellschafterversammlung bei fristgerechter Zustellung der Einladung und damit bei einem Tag mehr Vorbereitungszeit ebenso entschieden hätten, wird von der Beklagten nicht behauptet. Dies ist im vorliegenden Verfahren jedoch auch nicht erforder- lich: Vor dem Hintergrund der gerichtsnotorischen Zerstrittenheit von C.I. und M.I. mit den geschäftsführenden Gesellschaftern T.I. und M.M. ist of- fensichtlich, dass die Kläger 1 und 2 auch bei einem Tag mehr Vorberei- tungszeit gegen die Anträge des Vorsitzenden gestimmt hätten. Als ge- richtsnotorische Tatsache muss diese im Verfahren nicht behauptet wer- den, um berücksichtigt werden zu können.14 Eine Zustimmung der Kläger 1 und 2 zu den Anträgen des Vorsitzenden bei fristgerechter Einberufung wird von den Klägern 1 und 2 auch nicht behauptet. Kommt hinzu, dass die Kläger 1 und 2 an der Gesellschafterversammlung bei den Traktanden 2-4 effektiv eine Stimme abgaben und gegen die Anträge des Vorsitzenden stimmten bzw. beim Traktandum 5 einen eigenen Antrag stellten. Die Klä- 14 BGer 4A_412/2011 E. 2.2; HASENBÖHLER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2015, Art. 151 N. 8; VETTER/PEYER, in: Gschwend/Hettich/Müller-Chen/Schindler/Wildhaber (Hrsg.), Recht im digitalen Zeitalter, Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen, Bekannte Tatsachen – unter besonderer des Internets, S. 768 je m.w.N. - 10 - ger 1 und 2 konnten ihren Willen trotz der verspäteten Einladung zweifels- ohne bilden, womit das Kausalitätserfordernis vorliegend nicht erfüllt ist. Eine Anfechtbarkeit der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 30. Juni 2018 wegen Verletzung der Einladungsfrist ist damit zu verneinen. 4.2.3. Nichtauflage des Geschäftsberichts 4.2.3.1. Parteibehauptungen Die Kläger 1 und 2 behaupten, der Einladung zur ordentlichen Gesellschaf- terversammlung habe weder ein Geschäftsbericht noch ein Revisionsbe- richt beigelegen, weshalb die Einladung nichtig sei (Klage, S. 9). Die Beklagte behauptet hingegen, der Geschäftsbericht 2017 habe wegen der fehlenden Unterlagen und der fehlenden Jahresrechnung für das Jahr 2015 nicht mitgeschickt bzw. aufgelegt werden können. Die Kläger 1 und 2 wären für die Erstellung der Jahresrechnung für das Jahr 2015 verantwort- lich gewesen. Da sie dieser Verantwortung jedoch nicht nachgekommen seien, habe auch für die Jahre 2016 und 2017 keine Jahresrechnung und somit kein Geschäftsbericht erstellt werden können (Klageantwort, Rz. 14). 4.2.3.2. Würdigung Im Rahmen der Einberufung der ordentlichen Gesellschafterversammlung sind den Gesellschaftern spätestens zusammen mit der Einladung zu die- ser der Geschäfts- und der Revisionsbericht zuzustellen (Art. 801a Abs. 1 OR). Mit Einladung zur Gesellschafterversammlung vom 9. Juni 2018 wurde unter den Traktanden 2 und 3 die Verschiebung der Genehmigung der Jahresrechnung 2017 bzw. Verwendung des Bilanzgewinns 2017 bis zu dem Zeitpunkt beantragt, zu dem die für die Jahresrechnung 2017 er- forderlichen Dokumente vorliegen und die Jahresrechnung erstellt werden kann (KB 3). Mit den Traktanden 2 und 3 wurde demnach nicht die Ab- nahme der Jahresrechnung bzw. die Verwendung des Bilanzgewinns be- antragt, sondern gerade die Verschiebung dieser Abnahme bzw. des Ver- wendungsbeschlusses. Zweck der Vorschrift zur Auflage des Geschäftsbe- richts ist die Wahrung der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte in Bezug auf den betreffenden Beschluss, namentlich die Genehmigung oder Ablehnung der Jahresrechnung. Soweit jedoch nicht über die Genehmigung oder Ab- lehnung der Jahresrechnung Beschluss gefasst wird, ist der Geschäftsbe- richt auch nicht als Informationsbasis für die Willensbildung erforderlich. Für die Ausübung des Stimmrechts im Rahmen der Entscheidung, ob die Genehmigung der Jahresrechnung verschoben werden soll oder nicht, wird kein Geschäftsbericht benötigt. Die Nichtauflage des ohnehin nicht verfüg- baren Geschäftsberichts für das Jahr 2017 durch die Beklagte im Vorfeld der Gesellschafterversammlung stellt demnach keinen formellen Mangel dar. Es liegt somit weder eine Verletzung von Gesetz noch von Statuten vor, die einen anfechtungsbegründenden Tatbestand darstellen würde. - 11 - 4.3. Wahl der Geschäftsführung 4.3.1. Parteibehauptung Die Kläger 1 und 2 behaupten, die Gesellschafterversammlung sei nicht korrekt durchgeführt bzw. abgebrochen worden (Klage, S. 9 und 13). Der vorsitzende Geschäftsführer habe mehrfach mitgeteilt, dass er für sich sel- ber stimme und die Geschäftsführung gleich bleibe. In der Folge sei die Versammlung beendet und seien die Kläger 1 und 2 aufgefordert worden, den Saal zu verlassen (Klage, S. 10). Die Beklagte bestreitet dies. Die Klä- ger 1 und 2 hätten sich im Rahmen des Traktandums 5 – Wiederwahl der Geschäftsführung – selber zur Wahl gestellt. Die Kläger 1 und 2 wären im Zeitpunkt der Gesellschafterversammlung nicht in der Lage gewesen, die Geschäftsführung der Beklagten auszuführen. Mit der Wahl als geschäfts- führende Gesellschafter hätten sie bewirken wollen, dass die zu diesem Zeitpunkt beim Handelsgericht Aargau hängige Grundbuchberichtigungs- klage (vgl. HOR.2017.5) zurückgezogen und der Gesellschaft damit das einzige Aktivum entzogen worden wäre. Als Geschäftsführer der Gegen- partei, der I. GmbH, im vorgenannten Verfahren, hätten sich die Kläger 1 und 2 in einem Interessenkonflikt befunden. Weiter habe die Gefahr be- standen, dass die Kläger 1 und 2 die Beklagte als geschäftsführende Ge- sellschafter systematisch benachteiligt und ausgehöhlt hätten. Der Antrag sei damit ausserhalb des rechtlich massgeblichen Rahmens gelegen und eindeutig sachwidrig oder rechtsmissbräuchlich gewesen, weshalb der Vorsitzende den Ordnungsantrag gestellt habe, über den Antrag der Kläger 1 und 2 nicht abzustimmen. Dieser sei daraufhin mit Stichentscheid des Vorsitzenden angenommen worden. Daraufhin hätten die Kläger 1 und 2 den Saal verlassen (Klageantwort, Rz. 17 ff.; Duplik, Rz. 21 f.; KB 2). Die Kläger 1 und 2 bringen vor, ihr Antrag wäre nicht ausserhalb des recht- lichen Rahmens gelegen bzw. sachwidrig oder rechtsmissbräuchlich gewe- sen. Sie würden sich auch nicht in einem Interessenskonflikt befinden. Sie hätten nie die Absicht bekannt gegeben, die Grundbuchberichtigungsklage zurückzuziehen. Bei den beklagtischen Behauptungen handle es sich um reine Spekulationen. Damit hätte ihr Antrag nicht als unzulässig erklärt wer- den dürfen. Es läge damit ein Schein- respektive Nichtbeschluss vor. Kor- rekterweise hätte man die Geschäftsführung durch Losentscheid bestim- men müssen (Replik, S. 11 und 18 f.). 4.3.2. Rechtliches Anträge der Gesellschafter, die sich im Rahmen der traktandierten Ver- handlungsgegenstände befinden, können von jedem Gesellschafter an- lässlich der Gesellschafterversammlung geltend gemacht werden. Sie be- dürfen keiner vorgängigen Ankündigung (Art. 805 Abs. 5 Ziff. 4 i.V.m. Art. 700 Abs. 4 OR). Dieses Recht steht jedem Gesellschafter zu.15 Anträge 15 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 805 N. 32; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizeri- sches Aktienrecht, 1996, § 23 N. 30; HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 54. - 12 - zu angekündigten Traktanden können auch noch an der Gesellschafterver- sammlung selber gestellt werden; sie brauchen nicht vorgängig eingereicht zu werden.16 Der Gesellschafter hat grundsätzlich Anspruch darauf, dass über seinen Antrag abgestimmt wird.17 Als unzulässig kann der Vorsitzende jedoch diejenigen Anträge erklären, die (i) ausserhalb des rechtlich mass- geblichen Rahmens liegen, (ii) eindeutig sachwidrig oder rechtsmiss- bräuchlich,18 (iii) unsittlich oder unmöglich sind oder aus andern Gründen einen widerrechtlichen Inhalt aufweisen19 oder (iv) bei deren Annahme der entsprechende Beschluss zweifelsohne nichtig wäre. Anfechtungsgründe sind hingegen keine Gründe zur Nichtzulassung des Antrages. Sie sind durch Fristablauf heilbar. In Zweifelsfällen ist die Entscheidung den Gerich- ten zu überlassen.20 Lehnt der Vorsitzende einen Antrag ab, hat der An- tragsteller jedoch immerhin noch das Recht, zu verlangen, dass der Vorsit- zende die Gesellschafterversammlung über diesen Ordnungsentscheid ab- stimmen lässt. Der Beschluss über den Ordnungsentscheid ist ebenfalls anfechtbar.21 Lässt der Vorsitzende über einen eigentlich zulässigen Be- schlussantrag nicht abstimmen, wird dem Gesellschafter eine Beschluss- alternative genommen, die ihm berechtigterweise zugestanden hätte. Das Übergehen eines Antrages führt zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse, die un- ter demselben Traktandum gefasst wurden,22 sofern der Verfahrensfehler kausal für das Ergebnis der Beschlussfassung war (vgl. oben E. 4.2.1).23 4.3.3. Würdigung Unbestritten ist, dass die Kläger 1 und 2 im Rahmen der Behandlung des Traktandums 5 – Wiederwahl der Geschäftsführung – den Antrag auf Wahl in die Geschäftsführung stellten (Klageantwort, Rz. 16 f.; Replik, S. 19). Unbestritten ist weiter, dass der Vorsitzende in diesem Zusammenhang der Ansicht war, über den Antrag der Kläger 1 und 2 sei nicht abzustimmen und er diesen Ordnungsantrag der Versammlung zum Entscheid vorlegte. Der Antrag wurde daraufhin mit Stichentscheid des Vorsitzenden angenom- men, womit kein Beschluss über den Antrag der Kläger 1 und 2 gefasst wurde (Klageantwort, Rz. 17; Replik, S. 11 f.). 16 BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 12 N. 71; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL (Fn. 15), § 23 N. 30. 17 BÖCKLI (Fn.16), § 12 N. 178; BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 805 N. 32; HANDSCHIN/TRUNI- GER (Fn. 4), § 9 N. 55; SCHOTT, Aktienrechtliche Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von wegen Verfahrensmängeln, 2009, § 10 N. 46. 18 BÖCKLI (Fn.16), § 12 N. 178; HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 55; MÜLLER/LIPP/PLÜSS, Der , Ein Handbuch für Theorie und Praxis, 4. Aufl. 2014, S. 494. 19 BÖCKLI (Fn.16), § 12, N. 178; BSK OR II-DUBS/TRUFFER (Fn. 5), Art. 700 N. 19. 20 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 805 N. 32 21 BÖCKLI (Fn.16), § 12 N. 178; MÜLLER/LIPP/PLÜSS (Fn. 18), S. 494. 22 SCHOTT (Fn. 17), § 10 N. 57 ff. 23 HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 99; VON DER CRONE (Fn. 11), § 8 N. 191 m.w.N.; vgl. zum Ak- tienrecht: BGer 4C.88/2000 vom 27. Juni 2000 E. 3b. - 13 - 4.3.3.1. Rechtlich massgeblicher Rahmen Die Kläger 1 und 2 stellten unter dem Traktandum "Wiederwahl der Ge- schäftsführung" den Antrag "auf Wahl in die Geschäftsleitung". Bei der Be- urteilung, ob ein neuer Antrag von einem aufgeführten Verhandlungsge- genstand gedeckt ist, ist massgeblich, wie der Gesellschafter als Empfän- ger der Traktandenliste unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nach Treu und Glauben ein Traktandum verstehen darf.24 Sind "Wieder- wahlen" traktandiert, muss es den Gesellschaftern freistehen, anstelle der bisherigen geschäftsführenden Gesellschafter neue aufzustellen.25 Ver- handlungsgegenstand ist ungeachtet der begrifflichen Begrenzung die Wahl im Sinne einer Auswahl. Auch das "Wiederwählen" impliziert damit notwendigerweise die Auswahl unter mehreren möglichen Kandidieren- den.26 Der Antrag der Kläger 1 und 2 auf Wahl in die Geschäftsleitung ist demnach vom rechtlich massgeblichen Rahmen des Traktandums "Wie- derwahl der Geschäftsführung" erfasst. 4.3.3.2. Eindeutige Sachwidrigkeit oder Rechtsmissbräuchlichkeit Der Antrag der Kläger 1 und 2 auf Wahl in die Geschäftsleitung im Rahmen des Traktandums auf Wiederwahl der Geschäftsführung ist weder völlig ab- sonderlich noch ungewöhnlich. Eine eindeutige Sachwidrigkeit liegt nicht vor. Was die Rechtsmissbräuchlichkeit angeht, so macht die Beklagte sinn- gemäss geltend, die Kläger 1 und 2 würden sich bei der Wahl als geschäfts- führende Gesellschafter in einem Interessenskonflikt befinden. Mit dem Rückzug der Grundbuchberichtigungsklage würden sie den Interessen der Gesellschaft zuwiderhandeln und diese systematisch aushöhlen (Klageant- wort, Rz. 17 ff.; Duplik, Rz. 21 f.). Ob die von der Beklagten geltend ge- machten Absichten der Kläger 1 und 2 zutreffen, kann offenbleiben. Selbst wenn dem so wäre, würde dies keine rechtsmissbräuchliche Ausübung des Antragsrechts durch die Kläger 1 und 2 begründen. Allfällige Interessens- konflikte im Rahmen der Ausübung der Geschäftsführung haben nichts mit der Ausübung des Antragsrechts zu tun. Die Interessenkonflikte bezüglich einzelner Geschäfte sind im Einzelfall anzugehen. Eine allfällige Verletzung der gesetzlichen Treuepflicht der Geschäftsführer der Gesellschaft gegen- über wäre vor dem Hintergrund der gesetzlich verankerten Treuepflicht der Geschäftsführer zu würdigen (vgl. Art. 812 OR).27 Allenfalls hätte für das Verfahren um Grundbuchberichtigung gegen die Immoricrea AG ein Sach- walter eingesetzt werden müssen.28 Eine offensichtliche Missbräuchlichkeit der Ausübung des Antragsrechts hätte demgegenüber beispielsweise dann vorgelegen, wenn die Kläger 1 und 2 durch dauerndes Stellen von Anträ- gen die Beschlussfassung einer Mehrheit zu verzögern oder zu verhindern 24 BSK OR II-DUBS/TRUFFER (Fn. 5), Art. 700 N. 19. 25 vON DER CRONE (Fn. 11), § 5 N. 89. 26 vON DER CRONE (Fn. 11), § 5 N. 89. 27 SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 812 N. 5. 28 Vgl. BGer 4A_717/2014 vom 29. Juni 2015 E. 2. - 14 - versucht hätten (sog. Filibustertaktik), oder wenn diese einen Antrag ge- stellt hätten, dessen Annahme oder Ablehnung zu einem Widerspruch ei- nes zuvor in derselben Versammlung gefassten Beschlusses geführt hätte.29 Derartiges liegt jedoch nicht vor. Eine eindeutige Sachwidrigkeit o- der Rechtsmissbräuchlichkeit ist zu verneinen. 4.3.3.3. Unsittlicher, unmöglicher oder aus einem anderen Grund wi- derrechtlicher Inhalt des Antrages Der Antrag der Kläger 1 und 2 auf Wahl in die Geschäftsleitung verstösst weder gegen die herrschende Moral, d.h. gegen das allgemeine An- standsgefühl oder gegen die der Gesamtrechtsordnung immanenten ethischen Prinzipien und Wertmassstäbe,30 noch ist die Wahl der Kläger 1 und 2 in die Geschäftsleitung unmöglich. Dass der Antrag der Kläger 1 und 2 aus anderen Gründen widerrechtlich gewesen wäre, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Selbst wenn die von der Beklagten behaupteten Interes- senskonflikte vorliegen würden, würde dies keine Widerrechtlichkeit des Antrags begründen. Potenzielle Interessenskonflikte eines Gesellschafters begründen auch keine Unvereinbarkeit mit der Geschäftsführungsfunktion. Dass sich ein Geschäftsführer nach seiner Wahl irgendwann einmal in ei- nem Interessenskonflikt befinden könnte, kann nie ganz ausgeschlossen werden.31 4.3.3.4. Allfällige Nichtigkeit Mit Annahmebeschluss des Antrags der Kläger 1 und 2 auf Wahl in die Geschäftsleitung wäre auch kein Nichtigkeitsgrund vorgelegen: Der Be- schluss hätte weder (i) das Recht auf Teilnahme an der Gesellschafterver- sammlung, das Mindeststimmrecht oder andere vom Gesetz zwingend ge- währte Rechte der Gesellschafter entzogen noch (ii) Kontrollrechte von Ge- sellschaftern über das gesetzlich zulässige Mass hinaus beschränkt oder (iii) die Grundstruktur der GmbH missachtet oder die Bestimmungen zum Kapitalschutz verletzt (Art. 808c i.V.m. Art. 706b OR) (vgl. unten E. 5).32 4.3.3.5. Kausalität Der Antrag der Kläger 1 und 2 auf Wahl in die Geschäftsleitung wäre folg- lich vom Vorsitzenden der Gesellschafterversammlung zur Abstimmung 29 BSK OR II-DUBS/TRUFFER (Fn. 5), Art. 700 N. 19; KUNZ, in: Werben um Aktionärsstimmen bei Schweizer Publikationsgesellschaften ("Proxy Fights"), Gesellschaftsrechtliche, börsenrechtliche und wettbewerbsrechtliche Aspekte, ZStP 264, 2015, Rz. 204, Fn. 477. 30 Vgl. statt vieler: BGE 136 III 474 E. 3. 31 Vgl. im Zusammenhang mit der Wahl des Verwaltungsrats VON DER CRONE (Fn. 11), § 4 N. 18. 32 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 808c N. 9; HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 103 und § 28 N. 15; NUSSBAUM (Fn. 6), Art. 808c N. 28 f.; SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 808c N. 34. - 15 - zuzulassen gewesen. Ein Verfahrensfehler führt zur Anfechtbarkeit des un- ter demselben Traktandum gefassten Beschlusses, sofern dieser kausal für das Ergebnis der Beschlussfassung war (vgl. oben E. 4.2.1).33 Vorliegend waren die Kläger 1 und 2 im Zeitpunkt der Beschlussfassung über das Traktandum 5 nicht mehr im Saal anwesend. Sie wurden unmit- telbar vor der Wahl des Saals verwiesen, womit der Antrag des Vorsitzen- den auf Wiederwahl der geschäftsführenden Gesellschafter einstimmig an- genommen wurde. Vor dem Hintergrund der Zerstrittenheit von C.I. und M.I. mit den geschäftsführenden Gesellschafter T.I. und M.M., ist es offen- sichtlich, dass die beiden Blöcke bei der Wahl der Geschäftsführung jeweils für sich selber gestimmt hätten. Damit hätte sich eine Pattsituation ergeben: 50% der Stimmen (Kläger 1 und 2) für C.I. und M.I., 50% der Stimmen für die Wiederwahl von T.I. und M.M. als geschäftsführende Gesellschafter. Die Nichtzulassung des Antrags der Kläger 1 und 2 auf Wahl in die Ge- schäftsführung war demnach zweifelsohne kausal für das Ergebnis der Be- schlussfassung, denn gemäss Art. 17 Abs. 1 der Statuten der Beklagten (KB 4) wäre es bei Stimmgleichheit für die Wahl der geschäftsführenden Gesellschafter zum Losentscheid gekommen, womit das Ergebnis völlig of- fen gewesen wäre. 4.3.3.6. Fazit Der Vorsitzende hätte den Antrag der Kläger 1 und 2 auf Wahl in die Ge- schäftsführung zulassen müssen. Dieser Verfahrensfehler war kausal für das Ergebnis der Beschlussfassung. Damit ist der unter dem Traktandum 5 gefasste Beschluss aufzuheben. 4.4. Wahl des Protokollführers Die Kläger 1 und 2 machen mit ihrer Klage geltend, der Vorsitzende habe die Versammlung begonnen, ohne dass klar gewesen sei, wer für die Pro- tokollführung zuständig gewesen sei (Klage, S. 10). Zudem hätte der Vor- sitzende keinen Gesellschafter als Protokollführer wählen dürfen, da ein solcher nicht unparteilich sei (Replik, S. 13). Nach Art. 16 Abs. 2 der Statu- ten der Beklagen (KB 4) bezeichnet der Vorsitzende den Protokollführer. Weitere Anforderungen an die Person des Protokollführers stellen die Sta- tuten nicht. Für die Protokollführung verweist Art. 805 Abs. 5 Ziff. 7 OR auf die aktienrechtliche Bestimmung von Art. 702 Abs. 2 OR.34 Die Norm legt den Minimalgehalt des Protokolls zwingend fest. Neben dem im Gesetz nicht erwähnten, selbstverständlichen Angaben über Art, Ort und Datum der Versammlung sind zu protokollieren: (i) die Anzahl, Art, der Nennwert und die Kategorie der Stimmanteile, die von den Gesellschaftern vertreten werden, (ii) die Beschlüsse sowie die Abstimmungs- und Wahlergebnisse, 33 HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 99; vgl. zum Aktienrecht: BGer 4C.88/2000 vom 27. Juni 2000 E. 3b; VON DER CRONE (Fn. 11), § 8 N. 191 m.w.N. 34 HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 57. - 16 - (iii) die Begehren um Auskunft und die darauf erteilten Antworten und (iv) die von den Gesellschaftern zu Protokoll gegebenen Erklärungen.35 Wei- tere Anforderungen an das Protokoll bzw. die Person des Protokollführers macht das Gesetz nicht. Mit der Wahl von M.M. als Protokollführer wurden damit weder die Statuten noch das Gesetz verletzt, womit kein anfech- tungsbegründender Umstand vorliegt. 4.5. Ausschluss von Rechtsanwalt lic. iur. M.M. Die Kläger 1 und 2 behaupten, der Vorsitzende hätte ihren Antrag über die Anwesenheit von Rechtsanwalt lic. iur. M.M. der Gesellschafterversamm- lung zum Entscheid vorlegen müssen. Dieser Pflicht sei der Vorsitzende jedoch nicht nachgekommen (Replik, S. 12). Die Beklagte bestreitet nicht, dass der Vorsitzende den Antrag der Gesellschafterversammlung nicht un- terbreitete. Sie merkt jedoch an, dass dies auch nicht notwendig gewesen sei (Duplik, Rz. 26). An der Gesellschafterversammlung können grundsätzlich Personen anwe- send sein, die kein Teilnahmerecht besitzen; so etwa Hilfspersonen, die vom Vorsitzenden für die Durchführung und Erfüllung der Leitungsaufga- ben beigezogen werden (bspw. Protokollführer).36 Gemäss Art. 22 Abs. 3 Ziff. 1 der Statuten der Beklagten (KB 4) hat der Vorsitz der Geschäftsfüh- rung die Leitung der Gesellschafterversammlung inne. Der Entscheid, wer an der Gesellschafterversammlung anwesend sein darf, steht damit dem Vorsitzenden zu.37 Der Ausschluss von Rechtsanwalt lic. iur. M.M. konnte vom Vorsitzenden der Beklagten, T.I., getroffen werden und bedurfte keiner Genehmigung durch die Gesellschafterversammlung. Damit liegt in diesem Punkt keine anfechtungsbegründende Verletzung von Gesetz oder Statu- ten vor. 4.6. Ergebnis Den Klägern 1 und 2 gelingt es vorliegend sowohl im Rahmen der Einbe- rufung der Gesellschafterversammlung als auch der Wahl der Geschäfts- führung eine Verletzung der gesetzlichen Vorschriften aufzuzeigen. Da das Kausalitätserfordernis jedoch lediglich im Rahmen der mangelhaften Wahl der Geschäftsführung erfüllt ist, ist lediglich die Anfechtung des Beschlus- ses über das Traktandum 5 gutzuheissen. Der unter dem Traktandum 5 gefasste Beschluss wird aufgehoben. Im Übrigen (Mängel im Rahmen der Protokollführung und Ausschluss von Rechtsanwalt lic. iur. M.M.) ist die Anfechtungsklage abzuweisen. 35 FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL (Fn. 15), § 23 N. 112 ff.; SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/ PETRIN (Fn. 4), Art. 808c N. 37. 36 SCHOTT (Fn. 17), § 11 N. 21. 37 BÖCKLI (Fn.16), S. 61; BSK OR II-DUBS/TRUFFER (Fn. 5), Art. 702 N. 3; SCHOTT (Fn. 17), § 11 N. 22; VON DER CRONE (Fn. 11), § 5 N. 115. - 17 - 5. Nichtigkeitsklage Mit Klage vom 30. August 2018 erhoben die Kläger 1 und 2 auch eine Nich- tigkeitsklage betreffend die an der Gesellschafterversammlung vom 30. Juni 2018 gefassten Beschlüsse (vgl. oben E. 2). 5.1. Theorie Beschlüsse der Gesellschafterversammlung, die (i) das Recht auf Teil- nahme an der Gesellschafterversammlung, das Mindeststimmrecht oder andere vom Gesetz zwingend gewährte Rechte des Gesellschafters ent- ziehen oder beschränken, (ii) Kontrollrechte von Gesellschafter über das gesetzlich zulässige Mass hinaus beschränken oder (iii) die Grundstruktur der Gesellschaft mit beschränkter Haftung missachten oder die Bestim- mungen zum Kapitalschutz verletzen, sind nichtig (Art. 808c i.V.m. Art. 706b OR).38 Die Gründe für die Nichtigkeit von Beschlüssen der Ge- sellschafterversammlung sind in der aktienrechtlichen Bestimmung zur Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen Art. 706b OR, auf die Art. 808c OR verweist, nicht abschliessend aufgezählt.39 Neben den aus- drücklich aufgeführten schweren Mängeln primär inhaltlicher Natur können auch schwerwiegende formelle Mängel in der Beschlussfassung zur Nich- tigkeit führen.40 Bei der Annahme von Nichtigkeit ist Zurückhaltung gebo- ten.41 Nichtige Gesellschafterversammlungsbeschlüsse sind von Anfang an unwirksam. Die Geltendmachung der Nichtigkeit ist nicht an eine Ver- wirkungsfrist gebunden.42 Das Gericht beachtet die Nichtigkeit von Amtes wegen.43 Es bedarf demnach keiner Geltendmachung, wo zur Nichtigkeit führende Tatsachen dem Gericht bekannt sind. Die Behauptungs- und Be- weislast liegt indessen, soweit dies nicht der Fall ist, bei der Partei die sich auf die Nichtigkeit berufen will.44 5.2. Würdigung Eine nicht fristgerechte Einberufung der Versammlung, die die vorgeschrie- bene gesetzliche Zwanzigtagesfrist lediglich einen Tag unterschreitet, führt 38 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 5), Art. 808c N. 9; HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 103 und § 28 N. 15; NUSSBAUM (Fn. 6), Art. 808c N. 28 f.; SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 808c N. 34. 39 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 808c N. 9; BSK OR II-DUBS/TRUFFER (Fn. 5), Art. 706b N. 3; SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 808c N. 34. 40 HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 103; BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 808c N. 11; SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 808c N. 39; vgl. zum Aktienrecht: BGE 137 III 460 E. 3.3.2 m.w.N. 41 SHK GmbH-Recht-SIFFERT/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 808c N. 34; vgl. zum Aktienrecht: BGE 137 III 460 E. 3.3.2 m.w.N. 42 HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 104; NUSSBAUM (Fn. 6), Art. 808c N. 32 f.; SHK GmbH-/FISCHER/PETRIN (Fn. 4), Art. 808c N. 41. 43 BSK OR II-TRUFFER/DUBS (Fn. 7), Art. 808c N. 14; HANDSCHIN/TRUNIGER (Fn. 4), § 9 N. 104; (Fn. 6), Art. 808c N. 33; vgl. zum Aktienrecht: BGE 100 II 384 E. 1. 44 DRUEY, Mängel des GV-Beschlusses, in: Druey/Forstmoser (Hrsg.), Rechtsfragen um die , 1997, S. 143. - 18 - noch nicht zur Nichtigkeit der an der betreffenden Versammlung getroffe- nen Beschlüsse. Es handelt sich dabei nicht um eine schwerwiegende Ver- letzung der Einberufungsvorschriften. Eine solche wäre allenfalls anzuneh- men, wenn erst fünfzehn oder zehn Tage vor dem Versammlungstag ein- geladen worden wäre.45 Das Nichtbeilegen des Geschäftsberichts im Rah- men der Einberufung einer Versammlung, an der nicht über das Geschäfts- ergebnis Beschluss gefasst wird, stellt grundsätzlich keine Verletzung der Einladungsvorschriften (vgl. oben E. 4.2.3.2) dar, sodass bezüglich den Traktanden 2 und 3 kein Nichtigkeitsgrund besteht. Ein solcher liegt auch im Rahmen der Wahl der geschäftsführenden Gesellschafter nicht vor, führt der Verfahrensfehler doch lediglich zur Anfechtbarkeit, nicht jedoch zur Nichtigkeit des betreffenden Beschlusses (vgl. oben E. 4.3.2). Weitere eine Nichtigkeit der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 30. Juni 2018 begründende Umstände werden weder behauptet noch sind solche aus den Akten ersichtlich. 5.3. Ergebnis Die Nichtigkeitsklage ist abzuweisen. 6. Ergebnis Die mit Klage vom 30. August 2017 erhobene Anfechtungsklage ist teil- weise gutzuheissen. Der unter dem Traktandum 5 gefasste Beschluss zur Wiederwahl von T.I. und M.M. als geschäftsführende Gesellschafter ist auf- zuheben. Im Übrigen ist die Anfechtungsklage abzuweisen. Die Nichtig- keitsklage ist vollumfänglich abzuweisen. 7. Prozesskosten 7.1. Abschliessend sind die Prozesskosten im Verhältnis des Obsiegens bzw. Unterliegens zu verlegen (Art. 106 Abs. 2 ZPO). Die Kläger 1 und 2 unter- liegen mit ihrer Nichtigkeitsklage vollumfänglich und mit ihrer Anfechtungs- klage teilweise, sodass es sich rechtfertigt, ihnen die Prozesskosten in so- lidarischer Haftung zu 75 % (Art. 106 Abs. 3 ZPO) und der Beklagten zu 25 % aufzuerlegen. Die Prozesskosten bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteientschädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). 7.2. Bei einem Streitwert von Fr. 40'000.00 beträgt der Grundansatz für die Ge- richtsgebühr Fr. 3'690.00 (§ 7 Abs. 1 Zeile 4 VKD). Diese wird den Klä- gern 1 und 2 im Umfang von Fr. 2'767.50 und der Beklagten im Umfang von Fr. 922.50 auferlegt sowie mit dem von den Klägern 1 und 2 geleisteten Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 2'500.00 verrechnet. Der Fehlbetrag von Fr. 1'190.00 wird im Umfang von Fr. 267.50 von den Klägern 1 und 2 45 BÖCKLI (Fn.16), § 12 N. 89 und 111. - 19 - und im Umfang von Fr. 922.50 von der Beklagten nachgefordert (Art. 111 Abs. 1 ZPO). 7.3. Die Parteientschädigung der Beklagten besteht aus den Kosten der berufs- mässigen Vertretung (Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO). Bei ihrer Festsetzung ist von den kantonalen Tarifen auszugehen (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 96 ZPO). Gemäss § 3 ff. AnwT bemisst sich die Parteientschädigung grund- sätzlich nach dem Streitwert. Bei einem Streitwert von Fr. 40'000.00 beläuft sich die Grundentschädigung gestützt auf § 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 4 AnwT auf Fr. 7'390.00, womit eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behörd- lichen Verhandlung abgegolten sind (§ 6 Abs. 1 AnwT). Der Zuschlag für die zweite Rechtsschrift von praxisgemäss 20 % hebt den Abzug von pra- xisgemäss 20 % zufolge des Umstands, dass die Beklagte anlässlich der Hauptverhandlung vom 27. November 2019 nicht mehr anwaltlich vertreten war, auf. Hinzu kommt der pauschale Auslagenersatz von praxisgemäss rund 3 % (§ 13 AnwT), womit die Parteientschädigung gerundet auf insge- samt Fr. 7'611.70 zu stehen kommt. Ein Mehrwertsteuerzuschlag ist man- gels Antrags nicht zuzusprechen (Art. 58 ZPO).46 Hiervon haben die Kläger 1 und 2 der Beklagten 50 % (75 % - 25 %), d.h. Fr. 3'805.85 zu bezahlen. Das Handelsgericht erkennt: 1. In teilweiser Gutheissung der Klage vom 30. August 2018 wird der an der Gesellschafterversammlung vom 30. Juni 2018 unter dem Traktandum 5 (Wiederwahl der Geschäftsführung) getroffene Beschluss aufgehoben. 2. 2.1. Die Gerichtskosten in gerichtlich festgesetzter Höhe von Fr. 3'690.00 wer- den zu Fr. 2'767.50 den Kläger 1 und 2 solidarisch und zu Fr. 922.50 der Beklagten auferlegt. Die Gerichtskosten werden mit dem von den Klägern 1 und 2 geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 2'500.00 verrechnet. Den Fehlbetrag von Fr. 1'190.00 haben die Kläger 1 und 2 der Gerichtskasse im Umfang von Fr. 267.50 und die Beklagte im Umfang von Fr. 922.50 zu bezahlen. 46 Vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Partei- entschädigung vom 11. Januar 2016, abrufbar unter: <https://www.ag.ch/media//jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf>, zuletzt besucht am 27. 2019. - 20 - 2.2. Die Kläger 1 und 2 haben der Beklagten deren Parteikosten in richterlich festgesetzter Höhe von Fr. 3'805.85 zu ersetzen. Zustellung an: die Kläger 1 und 2 (Vertreter; zweifach mit Protokoll der Hauptverhand- lung vom 27. November 2019 und Einzahlungsschein) die Beklagte (mit Protokoll der Hauptverhandlung vom 27. November 2019 und Einzahlungsschein) Mitteilung an: die Obergerichtskasse 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 27. November 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: Vetter Schneuwly
12,695
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AG_HG_002
AG_HG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_HG_002_-Handelsrecht-Gesell_2019-11-27
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/handelsrecht/Urteil_des_Handelsgerichts_vom_27._November_2019_II.pdf
null
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22544cc8-a54d-41a9-bc37-dd14717a1158
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2,019
de
Urteil/Entscheid Handelsgericht 2. Kammer HSU.2019.104 / as / mv Art. 154 Entscheid vom 5. September 2019 Besetzung Oberrichter Vetter, Vizepräsident Gerichtsschreiber-Stv. Albert Gesuchstellerin K. AG, in Liquidation, _ vertreten durch Konkursamt Aargau Amtsstelle Brugg, Hauptstrasse 8, Postfach, 5201 Brugg Gesuchsgegner A.S., _ vertreten durch Dr. iur. Lukas Breunig, Rechtsanwalt, Stadtturm- strasse 19, 5400 Baden Gegenstand Summarisches Verfahren betreffend Gesuch im Verfahren um Rechts- schutz in klaren Fällen (Teilforderung aus gesellschaftsrechtlicher Verant- wortlichkeit) - 2 - Der Vizepräsident entnimmt den Akten: 1. Die Gesuchstellerin ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in H. (AG). Sie be- zweckte _ (Gesuchsbeilage [GB] 1). 2. Der Gesuchsgegner ist eine natürliche Person mit Wohnsitz in O. (AG). Er amtet als Verwaltungsratspräsident der Gesuchstellerin (GB 1). 3. Mit Strafurteil vom 29. März 2019 erklärte das Bezirksgerichts Laufenburg den Gesuchsgegner der mehrfachen qualifizierten ungetreuen Geschäfts- führung, teilweise begangen in Mittäterschaft sowie der mehrfachen Falschbeurkundung in Mittäterschaft für schuldig (GB 3 S. 239 Ziff. 1.2). Gegen dieses Urteil hat der Gesuchsgegner kein Rechtsmittel eingereicht. 4. Mit Schreiben vom 14. Juni 2019 konfrontierte die vom Konkursamt Aargau als Hilfsperson eingesetzte T. AG den Gesuchsgegner mit Verantwortlich- keitsansprüchen in Höhe von insgesamt Fr. 764'886.35 (GB 4). Nach einer ersten telefonischen Kontaktaufnahme, in welcher der Gesuchsgegner le- diglich erklärte, kein Geld für auch nur eine vergleichsweisen Betrag zur Tilgung der Verantwortlichkeitsansprüche zur Verfügung zu haben, mel- dete sich der Gesuchsgegner nicht mehr bei der T. AG. 5. Mit Gesuch im Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen (Art. 257 ZPO) vom 30. Juli 2019 (Postaufgabe: 30. Juli 2019) stellte die Gesuchstellerin folgende Rechtsbegehren: " 1. Es sei der Gesuchsgegner zur Bezahlung von CHF 23'397.00 zuzüg- lich Zins zu 5 % seit 1. Januar 2013 an die Gesuchstellerin zu . 2. Es sei der Gesuchsgegner zur Bezahlung von CHF 31'350.00 zuzüg- lich Zins zu 5 % seit 1. Januar 2014 an die Gesuchstellerin zu . Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Gesuchsgeg- ners." Zur Begründung führte die Gesuchstellerin im Wesentlichen aus, im Ge- gensatz zu seinem teilweisen Mittäter M.H. habe der Gesuchsgegner ge- gen das Strafurteil des Bezirksgerichts Laufenburg vom 29. März 2019 kein - 3 - Rechtsmittel ergriffen und dieses somit anerkannt. Die Delikte "Kreditkar- tenbezüge" mit einer Schadenssumme von Fr. 23'397.00 sowie "Treibstoff- bezüge" mit einer Schadenssumme von Fr. 31'350.00 habe der Gesuchs- gegner alleine begangen. Diese Strafsachen seien endgültig abgeurteilt und die Sachlage somit klar. Zudem sei der Gesuchsgegner diesbezüglich vollumfänglich geständig (Gesuch Rz. 5 lit. d) und e) sowie Rz. 7). Sollte der Gesuchsgegner den vorgebrachten Sachverhalt wider Erwarten be- streiten, sei dieser mittels der eingereichten Gesuchsbeilagen sofort be- weisbar. Auch die Rechtslage sei klar (Gesuch Rz. 10). 6. Mit Gesuchsantwort vom 21. August 2019 stellte der Gesuchsgegner fol- gende Rechtsbegehren: " 1. Auf das Gesuch vom 30. Juli 2019 sei nicht einzutreten. 2. Dem Gesuchsgegner sei die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen und der Unterzeichnete sei als dessen Vertreter einzusetzen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zuzüglich Ersatz der Mehr- wertsteuer)." Der Gesuchsgegner begründete seine Rechtsbegehren vorab mit der sach- lichen Unzuständigkeit des Handelsgerichts. Der Gesuchsgegner sei eine natürliche Person und natürliche Personen könnten gemäss ZPO als Be- klagte nicht vor das Handelsgericht gezogen werden (Gesuchsantwort Rz. 5 ff.). Zudem seien die Voraussetzungen für den Rechtsschutz in klaren Fällen nicht gegeben, da insbesondere die geltend gemachten zivilrechtli- chen Forderungen unklar seien. Die im Strafverfahren errechneten Delikts- summen würden nicht zwingend einen zivilrechtlichen Schaden darstellen. Der Zivilrichter sei auch nicht an das Urteil des Strafrichters gebunden (Ge- suchsantwort Rz. 11 ff.). 7. In ihrer Stellungnahme vom 29. August 2019 hielt die Gesuchstellerin an ihren Rechtsbegehren und Begründungen fest. - 4 - Der Vizepräsident zieht in Erwägung: 1. Zuständigkeit 1.1. Örtliche Zuständigkeit Gemäss Art. 40 ZPO ist für Klagen aus gesellschaftsrechtlicher Verantwort- lichkeit das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder am Sitz der Gesellschaft zuständig. Da vorliegend sowohl der Gesuchsgegner seien Wohnsitz (O.) als auch die Gesuchstellerin ihren Sitz (H.) im Kanton Aargau haben (vgl. GB 1), ist die örtliche Zuständigkeit der aargauischen Gerichte gegeben. 1.2. Sachliche und funktionelle Zuständigkeit Gemäss Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO können die Kantone das Handelsgericht auch für Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Ge- nossenschaften als zuständig erklären. Davon erfasst sind sämtliche Kla- gen, die ihr Fundament in den Art. 552-926 OR haben, insbesondere auch Verantwortlichkeitsklagen.1 Ob es sich beim Beklagten einer Verantwort- lichkeitsklage um eine juristische oder natürliche Person handelt, ist dabei irrelevant.2 Der Kanton Aargau hat in § 12 Abs. 1 lit. a EG ZPO von der Kompetenz gemäss Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO Gebrauch gemacht und das Handelsgericht für Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften als zuständig erklärt.3 Die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts für die vorliegende Verantwortlichkeitsklage ist damit entgegen den Ausführungen des Gesuchsgegners gegeben. Für den Rechtsschutz in klaren Fällen ist das summarische Verfahren an- wendbar. Gestützt auf Art. 248 lit. b i.V.m. Art. 257 ZPO i.V.m. § 13 Abs. 1 lit. a EG ZPO ist der Vizepräsident des Handelsgerichts funktionell zustän- dig. 2. Rechtsschutz in klaren Fällen 2.1. Die Gesuchstellerin vertritt die Auffassung, das Gericht gewähre Rechts- schutz im summarischen Verfahren, wenn der Sachverhalt unbestritten o- der sofort beweisbar und die Rechtslage klar sei (Art. 257 Abs. 1 ZPO). Falls der Gesuchsgegner den vorgebrachten Sachverhalt wider Erwarten bestreiten sollte, sei dieser mittels der eingereichten Gesuchsbeilagen den- noch sofort beweisbar. Ausserdem sei die Rechtslage klar (Gesuch Rz. 10). 1 BSK ZPO-VOCK/NATER, 3. Aufl. 2017, Art. 6 N. 16; VETTER, in; Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuen- berger (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, Art. 6 N. 36; BRUNNER, in: Brunner/Gasser/Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO), 2. Aufl. 2016, Art. 6 N. 46; BK ZPO I-BERGER, 2012, Art. 6 N. 46 je m.w.N. 2 Vgl. bspw. HGer ZH HG160037 vom 10. Mai 2016. 3 VETTER/BRUNNER, Sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte, ZZZ 2013, S. 259. - 5 - 2.2. Das Gericht gewährt Rechtsschutz im summarischen Verfahren, wenn der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar und die Rechtslage klar ist (Art. 257 Abs. 1 ZPO). Die Voraussetzung des unbestrittenen oder sofort beweisbaren Sachverhalts wird auch als Liquidität des Sachverhalts be- zeichnet.4 Ausgeschlossen ist dieser Rechtsschutz, wenn die Angelegen- heit dem Offizialgrundsatz unterliegt (Art. 257 Abs. 2 ZPO). Gemäss bun- desgerichtlicher Rechtsprechung ist weiter vorausgesetzt, dass alle gestell- ten Rechtsbegehren vollständig gutgeheissen werden.5 Kann dieser Rechtsschutz nicht gewährt werden, so tritt das Gericht auf das Gesuch nicht ein (Art. 257 Abs. 3 ZPO). 2.3. Ein unbestrittener Sachverhalt liegt vor, wenn eine Partei die Tatsachenbe- hauptung ihres Gegners nicht bestreitet bzw. sich gar nicht äusserst bzw. säumig ist. Eine blosse allgemeine, pauschale Bestreitung ist dabei irrele- vant.6 Diesfalls gilt dieser als unbestritten und die betreffende (schlüssig behauptete) Tatsache7 kann dem Entscheid ohne Weiteres zugrunde ge- legt werden, da über nicht bestrittene Tatsachen kein Beweis geführt zu werden braucht (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO).8 2.4. Ein Sachverhalt ist dann sofort beweisbar, wenn er ohne zeitliche Verzö- gerung und ohne besonderen Aufwand nachgewiesen werden kann. Der Beweis ist in der Regel durch Urkunden zu erbringen, wobei andere sofort greifbare Beweismittel nicht ausgeschlossen sind.9 Der Rechtsschutz in klaren Fällen unterliegt keiner Beweisstrengebeschränkung. Blosses Glaubhaftmachen genügt für die Geltendmachung des Anspruchs nicht, sondern die Gesuchstellerin hat den vollen Beweis der anspruchsbegrün- denden Tatsachen zu erbringen.10 Demgegenüber genügt für die Vernei- nung eines klaren Falls, dass der Gesuchsgegner substantiiert und schlüs- sig Einwendungen vorträgt, die in tatsächlicher Hinsicht nicht sofort wider- legt werden können und die geeignet sind, die bereits gebildete richterliche 4 SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 257 N. 5. 5 BGE 141 III 23 E. 3.3; BGer 5A_768/2012 vom 17. Mai 2013 E. 4.3; BSK ZPO-HOFMANN, 3. Aufl. 2017, Art. 257 8a. 6 BSK ZPO-HOFMANN (Fn. 5), Art. 257 N. 10. 7 Siehe dazu SUTTER-SOMM/SCHRANK, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger (Fn. 1), Art. 257 N. 21 m.w.N. 8 BK ZPO I-HURNI, 2012, Art. 55 N. 37 mit Verweis auf Art. 150 Abs. 1 ZPO. 9 BGE 138 III 620 E. 5.1.1; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 4), Art. 257 N. 5. 10 BGE 138 III 620 E. 5.1.1; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 4), Art. 257 N. 6; LEUPOLD, Der Rechts- schutz in klaren Fällen nach der neuen Schweizerischen Zivilprozessordnung, in: Leupold//Stauber/Vetter (Hrsg.), Der Weg zum Recht, Festschrift für Alfred Bühler, 2008, S. 70 ff. - 6 - Überzeugung zu erschüttern.11 Nicht erforderlich ist, dass sie ihre Einwen- dungen glaubhaft macht.12 2.5. Die Rechtslage ist klar, wenn die Anwendung und Auslegung einer Norm, namentlich auf Grund ihres Wortlauts, der Rechtsprechung und der be- währten Lehre, zu keinem Zweifel Anlass gibt.13 Die Rechtsfolge muss sich bei der Anwendung des Gesetzes unter Berücksichtigung der Lehre und Rechtsprechung ohne Weiteres ergeben und die Rechtsanwendung zu ei- nem eindeutigen Ergebnis führen.14 Dagegen ist die Rechtslage in der Re- gel nicht klar, wenn die Anwendung einer Norm einen Ermessens- oder Billigkeitsentscheid des Gerichts mit wertender Berücksichtigung der ge- samten Umstände erfordert, wie dies beispielsweise bei der Beurteilung von Treu und Glauben zutrifft.15 3. Zivilgericht ist nicht an das Urteil des Strafgerichts gebunden Gemäss Art. 53 Abs. 2 OR ist das strafrechtliche Erkenntnis (insbesondere) bezüglich der Beurteilung der Schuld und der Bestimmung des Schadens für den Zivilrichter nicht verbindlich. Das kantonale Zivilgericht entscheidet - unter der eidgenössischen Zivilprozessordnung in allen Kantonen - in al- len Punkten unabhängig und ist an die Erkenntnisse des Strafgerichts nicht gebunden.16 Diese Freiheit des Zivilrichters gilt insbesondere auch für die Schadensberechnung, um die zivilrechtlichen Beweisanforderungen von Art. 42 OR nicht teilweise auszuhöhlen. Dabei ist unbeachtlich, dass der Schadensbeweis für den Geschädigten im Zivilprozess verglichen mit dem Strafprozess oftmals erschwert ist.17 Auch bezüglich Fragen des Tatbestands (Sachverhalt), der Widerrechtlich- keit und des (adäquaten) Kausalzusammenhangs ist das Zivilgericht frei von der Einschätzung des Strafgerichts.18 Schon vor diesem Hintergrund kommt dem Strafurteil des Bezirksgerichts Laufenburg vom 29. März 2019 (GB 3) vorliegend keine wesentliche Bedeutung zu.19 4. Aktienrechtliche Verantwortlichkeitsansprüche sind illiquid Gemäss Art. 754 Abs. 1 OR haften die Verwaltungsratsmitglieder und alle mit der Geschäftsführung befassten Personen sowohl der Gesellschaft als 11 BGE 141 III 23 E. 3.2; BGer 4A_185/2019 vom 25. Juni 2019 E. 3. 12 BGE 138 III 620 E. 5.1.1; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 4), Art. 257 N. 7. 13 BGer 4A_447/2011 vom 20. September 2011 E. 2.3; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 4), Art. 257 N. 9. 14 BGE 138 III 123 E. 2.1.2; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER (Fn. 4), Art. 257 N. 9. 15 BGE 138 III 123 E. 2.1.2. 16 HGer ZH 150283 vom 16. Mai 2018 E. 3.4.1; BSK OR I-KESSLER, 6. Aufl. 2015, Art. 53 N. 3 f.; 17 BK OR-BREHM, 4. Aufl. 2013, Art. 53 N. 21. 18 CHK OR-MÜLLER, 3. Aufl. 2016, Art. 53 N. 14 ff. m.w.N. 19 Vgl. HGer ZH 150283 vom 16. Mai 2018 E. 3.4.1. https://www.swisslex.ch/doc/aol/efff1911-8308-4ac9-9677-1683a874dd8c/f00fc08f-a93b-4ea5-a101-ce5968be2a4d/source/document-link - 7 - auch den einzelnen Aktionären und Gesellschaftsgläubigern für den Scha- den, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursacht haben. Tatbestandselemente der Verantwortlichkeitsklage sind a) der Schaden, b) die Pflichtverletzung, c) die Kausalität und d) das Ver- schulden.20 Die Gesuchstellerin stützt ihre beiden aktienrechtlichen Verantwortlich- keitsansprüche gegen den Gesuchsgegner praktisch ausschliesslich auf das Strafurteil des Bezirksgerichts Laufenburg vom 29. März 2019 (GB 3). Dabei begnügt sie sich weitgehend mit (präzisen) Verweisen auf die Aus- führungen im Strafurteil, was grundsätzlich zulässig ist.21 Die Bestreitungen des Gesuchsgegners sind weitgehend oberflächlich. Von einer (knapp) rechtsgenüglichen Bestreitung ist jedoch bei der Schadensberechnung der privaten Treibstoffbezüge auszugehen. Der Gesuchsgegner bringt diesbe- züglich vor, dass er zumindest einen Teil der entsprechenden Bezüge der Gesuchstellerin zurückgeführt habe, indem er geschäftliche Treibstoffbe- züge der Gesuchstellerin nicht belastet habe (Gesuchsantwort Rz. 13). Die Gesuchstellerin übersieht jedoch, dass das Zivilgericht in einem nach- folgenden Verantwortlichkeitsprozess nicht an das Strafurteil des Bezirks- gericht Laufenburg vom 29. Mai 2019 (GB 3) gebunden ist. Dies gilt insbe- sondere für die Schadensberechnung (vgl. oben E. 3). Beim behaupteten Schaden aus Treibstoffbezügen geht das Strafurteil in E. 8.4 schätzungs- weise von einer jährlichen Pauschale von Fr. 3'300.00 aus, was wohl für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 30. Juni 2013 den von der Gesuch- stellerin behaupteten Schaden in Höhe von Fr. 31'350.00 ergibt (diesbe- züglich stellt sich auch die Frage, ob die Behauptungen der Gesuchstellerin überhaupt substantiiert sind). Wie das Bezirksgericht Laufenburg auf diese Schätzung kommt und weshalb diese von der polizeilichen Schadensschät- zung von Fr. 31'150.00 abweicht, ist aus dem Strafurteil nicht ersichtlich. Auch hat das Bezirksgericht Laufenburg die Behauptung des Gesuchsgeg- ners, dass bei der Schadensberechnung die der Gesuchstellerin nicht be- lasteten Treibstoffbezüge zu berücksichtigen wären, obwohl diese vom Verteidiger des Gesuchsgegners bereits im Strafverfahren aufgebracht wurde, in seiner Beweiswürdigung nicht einbezogen (vgl. Strafurteil des Be- zirksgerichts Laufenburg vom 29. Mai 2019 E. 8.2 und 8.4 [GB 3]). Entge- gen den Ausführungen der Gesuchstellerin in Rz. 6 ihrer Stellungnahme vom 29. August 2019 hat das Bezirksgericht Laufenburg weder sämtliche Mittel ausgeschöpft, noch die Schätzung ausführlich begründet oder ratio- nal nachvollziehbar gemacht. Die vom Bezirksgericht Laufenburg vorge- nommene Schadensschätzung hält vor Art. 42 Abs. 2 OR nicht stand: Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung muss der Kläger als Geschädigter 20 Siehe dazu statt vieler MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER/SETHE, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 12. Aufl. 2018, § 16 N. 785 ff. m.w.N. 21 Vgl. zu den Anforderungen an den Verweis BRUGGER, Der Verweis auf Beilagen in Rechtsschriften, SJZ 2019, S. 536 ff. m.w.N. - 8 - auch im Rahmen von Art. 42 Abs. 2 OR «soweit möglich und zumutbar alle Umstände behaupten, die Indizien für den Bestand eines Schadens dar- stellen und die Schätzung des Umfangs des Schadens erlauben. Er kann nicht ohne nähere Angaben Schadenersatzforderungen in beliebiger Höhe stellen».22 Der Schaden für die Treibstoffbezüge ist damit nicht liquid. Ob die weiteren Tatbestandselemente des von der Gesuchstellerin gegen- über dem Gesuchsgegner behaupteten Verantwortlichkeitsanspruchs aus den privaten Treibstoffbezügen erfüllt sind, kann mangels Liquidität des Schadens offen bleiben. Ebenfalls offen bleiben kann die Prüfung des be- haupteten Verantwortlichkeitsanspruchs für die privaten Kreditkartenbe- züge über Fr. 23'397.00, da gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung für die Gewährung des Rechtsschutzes in klaren Fällen sämtliche gestell- ten Rechtsbegehren vollständig gutgeheissen werden müssen (vgl. oben E. 2.2). Die von der Gesuchstellerin geltend gemachten aktienrechtlichen Verant- wortlichkeitsansprüche sind mangels Liquidität im Sinne von Art. 257 Abs. 1 ZPO in einem ordentlichen Verfahren geltend zu machen. Auf das Gesuch vom 30. Juli 2019 ist daher nicht einzutreten. 5. Kosten Abschliessend sind die Kosten zu verlegen. Die Prozesskosten bestehen aus den Gerichtskosten und der Parteientschädigung (Art. 95 Abs. 1 ZPO). 5.1. Verlegung / unentgeltliche Rechtspflege Die Prozesskosten werden nach dem Ausgang des Verfahrens verteilt, d.h. entsprechend dem Ausmass des Obsiegens bzw. Unterliegens (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Vorliegend ist auf das Gesuch nicht einzutreten, weshalb die Gesuchstellerin als unterliegend gilt und ihr die Prozesskosten aufzuerle- gen sind. Gründe, die eine andere Verlegung nach Ermessen (vgl. Art. 107 ZPO) rechtfertigen würden, wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. Aufgrund des Obsiegens des Gesuchsgegners ist sein Antrag auf unent- geltliche Rechtspflege infolge Gegenstandslosigkeit abzuschreiben. 5.2. Gerichtskosten Die Gerichtskosten bestehen aus der Entscheidgebühr (Art. 95 Abs. 2 lit. b ZPO), welche sich nach § 8 VKD bemisst. Sie wird in Berücksichtigung des verursachten gerichtlichen Aufwands und angesichts von Schwierigkeit und Umfang der Streitigkeit auf insgesamt Fr. 2'000.00 festgesetzt und mit dem von der Gesuchstellerin geleisteten Kostenvorschuss in Höhe von 22 BGer 4A_651/2015 vom 19. April 2016 E. 3 m.w.N. - 9 - Fr. 3'000.00 verrechnet (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ein allfälliger Über- schuss steht der Gesuchstellerin zu. 5.3. Parteientschädigung Die Gesuchstellerin hat dem Gesuchsgegner zudem eine Parteientschädi- gung zu bezahlen (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Parteientschädigung wird nach dem Streitwert – vorliegend Fr. 54'747.00 – bemessen (vgl. § 3 AnwT; SAR 291.150). Ausgehend von einer Grundentschädigung von Fr. 8'997.23 (§ 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 9 AnwT) resultiert nach Vornahme eines Summarab- zugs von 75 % (§ 3 Abs. 2 AnwT) ein Betrag von Fr. 2'249.31. Damit sind insbesondere eine Rechtsschrift und die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (vgl. § 6 Abs. 1 AnwT). Nach einem weiteren Ab- zug von 20 % wegen der nicht durchgeführten Verhandlung (§ 6 Abs. 1 AnwT), resultiert ein Betrag von Fr. 1'799.45. Zusätzlich der Kleinkosten- pauschale von praxisgemäss 3 % (vgl. § 13 Abs. 1 AnwT) resultiert damit eine Parteientschädigung von gerundet Fr. 1'850.00. Dem Antrag des Gesuchsgegners auf Zusprechung des Mehrwertsteuer- zuschlags ist zu entsprechen, da diese selber nicht mehrwertsteuerpflichtig und folglich nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist.23 Der Vizepräsident erkennt: 1. Auf das Gesuch vom 30. Juli 2019 wird nicht eingetreten. 2. Das Gesuch des Gesuchsgegners um unentgeltliche Rechtspflege wird ab- geschrieben. 3. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 2'000.00 sind von der Gesuchstellerin zu tragen und werden mit dem von ihr geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 3'000.00 verrechnet. 4. Die Gesuchstellerin hat dem Gesuchsgegner eine Parteientschädigung in Höhe von Fr. 1'850.00 zuzüglich 7.7 % MWST zu bezahlen. 23 https://www.uid.admin.ch/XXX (zuletzt besucht am 5. September 2019); vgl. Merkblatt zur Frage der Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Bemessung der Parteientschädigung der des Kantons Aargau vom 11. Januar 2016: https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb//obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf (zuletzt besucht am 5. September 2019). https://www.uid.admin.ch/Detail.aspx?uid_id=CHE-102.753.938 https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/obergerichte/handelsgericht/Merkblatt_MwSt.pdf - 10 - Zustellung an: die Gesuchstellerin (Vertreter; zweifach mit Abrechnung) den Gesuchsgegner (Vertreter; zweifach mit Doppel der Stellung- nahme vom 29. August 2019 [inkl. Beilage]) 1. Rechtsmittelbelehrung für die Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 ff., Art. 90 ff. BGG) Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen, von der schriftlichen Eröff- nung der vollständigen Ausfertigung des Entscheides an gerechnet, die Be- schwerde an das Schweizerische Bundesgericht erhoben werden. Die Beschwerde ist schriftlich oder in elektronischer Form beim Schweize- rischen Bundesgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit An- gabe der Beweismittel und die Unterschriften bzw. eine anerkannte elekt- ronische Signatur zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht (Art. 95 ff. BGG) verletzt. Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in den Händen hat; ebenso ist der ange- fochtene Entscheid beizulegen (Art. 42 BGG). Aarau, 5. September 2019 Handelsgericht des Kantons Aargau 2. Kammer Der Vizepräsident: Die Gerichtsschreiber-Stv.: Vetter Albert
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2006 Zivilrecht 23 I. Zivilrecht A. Familienrecht 1 Art. 163, 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB. Mit Zustellung des erstinstanzlichen Eheschutzurteils hat es der von einer Lohnpfändung betroffene Unterhaltsschuldner in der Hand, beim Betrei- bungsamt die Anpassung der Lohnpfändung zu beantragen, welche indessen nur für die Zukunft wirkt. Ab diesem Zeitpunkt kann der Unterhaltsschuldner die Lohnpfändung dem Unterhaltsgläubiger nicht mehr einkommensmindernd entgegenhalten. Aus dem Entscheid des Obergerichts, Zivilgericht, 5. Kammer, vom 30. Juni 2005 in Sachen L.A. gegen L.A. Aus den Erwägungen Gemäss Pfändungsurkunde des Betreibungsamtes Gontenschwil vom 11. August 2004 ist das Nettoerwerbseinkommen des Beklag- ten, soweit es den vom Betreibungsamt ermittelten Existenzbedarf der Familie des Beklagten von Fr. 3'442.20 übersteigt, für eine For- derung der City-Bank, Zürich, von Fr. 31'000.-- nebst Betreibungs- kosten, abzüglich von Teilzahlungen im Betrage von Fr. 6'953.20, gepfändet. Diese Lohnpfändung dauert bis zum 11. August 2005. Im Umfange der Pfändung wurde dem Beklagten die Verfügungsbefug- nis über dessen Erwerbseinkommen entzogen (Art. 96, 99 SchKG). Zwar ist eine Revision der Pfändung nach Art. 93 Abs. 3 SchKG - wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat - möglich, wenn sich die für die Bestimmung des pfändbaren Betrages massgebenden Verhält- nisse geändert haben, eine solche Revision kann aber nicht rückwir- kend vorgenommen werden, sondern wirkt nur für die Zukunft. Die auf einer rechtskräftigen Verfügung des Betreibungsamtes beruhen- den früheren Lohnpfändungen können somit nicht mehr rückgängig gemacht werden, weshalb sie bei der Beurteilung der Leistungsfä- 2006 Obergericht 24 higkeit des Beklagten zu berücksichtigen sind, d.h. der gepfändete Lohnanteil nicht als (hypothetisches) Einkommen angerechnet wer- den kann, selbst wenn der Beklagte bereits im Zeitpunkt des Auszu- ges der Klägerin aus der ehelichen Wohnung eine Revision der Lohnpfändung hätte erwirken können. Ob damals einem Revisions- begehren Erfolg beschieden gewesen wäre, ist allerdings fraglich, da die Unterhaltsbeiträge an die Klägerin noch nicht gerichtlich festge- setzt waren und das Betreibungsamt wohl kaum von der Erfüllung der Unterhaltspflicht durch den Beklagten hätte ausgehen können (vgl. BGE 121 III 20 Erw. 3a, 112 III 19 Erw. 4), nachdem dieser eine Unterhaltspflicht noch im vorinstanzlichen Verfahren bestritten hatte. Mit dem vorinstanzlichen Urteil, das dem Beklagten bzw. des- sen Rechtsvertreter am 30. März 2005 zugestellt wurde und mangels aufschiebender Wirkung vorläufig in Rechtskraft erwachsen ist (§ 298 Abs. 4 ZPO), hatte es der Beklagte in der Hand, sich auf dem Wege der Anpassung der Lohnpfändung die Mittel für seine gegen- über Drittschuldnern vorrangige Unterhaltspflicht zu sichern. Eine solche Revision konnte frühestens Wirkung für den April-Lohn ent- falten, weshalb der Klägerin die Lohnpfändung ab Mai 2005 nicht mehr einkommensmindernd entgegengehalten werden kann.
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2002 Obergericht/Handelsgericht 80 [...] 27 Interessenkollision, Doppelvertretungsverbot und Treuepflicht Ein Anwalt verletzt das Verbot der Interessenkollision und damit seine Treuepflicht, wenn er in einer Streitigkeit betreffend einen vorher durch 2002 Zivilprozessrecht 81 seinen Bürokollegen notariell beurkundeten Grundstückkaufvertrag eine Partei des Kaufvertrages betreut Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 19. September 2002 i.S. Y. Sachverhalt 1. Am 12. August 1994 beurkundete Notar X einen Kaufvertrag betreffend eine Eigentumswohnung in M.. In der Folge ergaben sich Probleme bezüglich des Grundbucheintrages. 2. Am 11. August 1995 mandatierten die Käufer der erwähnten Eigentumswohnung Fürsprecher Y, den Bürokollegen von Notar X. Es ging um eine Forderung der Verkäuferin auf Zahlung von weite- ren Fr. 18'000.--. 3. Am 31. Januar 1996 wies das Grundbuchamt den Antrag auf Grundbucheintrag des Kaufvertrages ab, weil die Bewilligung ge- mäss Art. 5 Abs. 2 BewG fehlte, ein Bauhandwerkerpfandrecht ein- getragen war, Betrag von Kaufpreis und Schuldübernahme im Kauf- vertrag nicht übereinstimmten, der Garagenplatz gemäss Kaufvertrag nicht mit dem Grundbuchbeschrieb übereinstimmte und der beige- legte Ausländerausweis abgelaufen war. 4. Am 5. Juni 1996 erhob die Verkäuferin Klage gegen die Käufer beim Bezirksgericht L.. Die Verkäuferin verlangte die Be- zahlung von zusätzlichen Fr. 18'000.-- und begründete bzw. belegte ihre Forderung mit einer Kaufpreiszusicherung über total Fr. 398'000.--. Ausserdem machte sie zusätzliche Baukosten sowie Zins im Betrag von rund Fr. 9'000.-- geltend. In diesem Verfahren vertrat Fürsprecher Y die Käufer. Am 27. Februar 1998 wurde ein gerichtlicher Vergleich ge- schlossen. Die Zuteilung der im Kaufvertrag zugesagten Garage war jedoch in der Folge rechtlich nicht möglich. Am 21. Dezember 2000 wurde dagegen der Verkäuferin gegen die Käufer definitive Rechtsöffnung für eine Restanz aus dem gerichtlichen Vergleich er- teilt. 2002 Obergericht/Handelsgericht 82 5. Fürsprecher Y mahnte die Käufer am 12. Januar 2001 betref- fend das noch ausstehende Honorar. Der neue Rechtsvertreter der Käufer teilte Fürsprecher Y mit, die Käufer seien nicht bereit, die Rechnung zu bezahlen, sondern würden ihrerseits eine Schadener- satzforderung aus Schlechterfüllung des Auftrages geltend machen. 6. Mit Schreiben vom 27. Februar 2002 erstattete der Rechts- vertreter der Käufer gegen Fürsprecher Y Anzeige wegen Verstössen gegen das Anwaltsgesetz, insbesondere Verstoss gegen das Verbot der Doppelvertretung und unsorgfältige Mandatsführung. Aus den Erwägungen 5. Die Käufer werfen Fürsprecher Y vor, er habe sie in einer Streitsache vertreten, in welcher es letztlich (auch) um die mangel- hafte Arbeit seines Bürokollegen, Notar X, gegangen sei, weshalb eine Interessenkollision auf der Hand gelegen habe. Ausserdem habe er durch die Mandatsübernahme gegen das Doppelvertretungsverbot gemäss § 15 AnwG sowie gegen § 11 Abs. 1 StaRe verstossen, weil Notar Y seinerzeit sowohl für die Käufer wie auch für die Verkäufe- rin tätig gewesen sei. a) Aufgrund der vorliegenden Konstellation stellt sich nicht die Frage nach einem eigentlichen Verstoss gegen § 15 AnwG. Fürspre- cher Y hat vorliegend nicht zuerst die eine und danach die andere Partei in derselben Sache vertreten (Parteiwechsel). Auch eine Dop- pelvertretung in dem Sinne, dass er gleichzeitig zwei Parteien im gleichen Verfahren vertreten hätte, liegt nicht vor. Es drängen sich jedoch angesichts der konkreten Verhältnisse mehrere Fragen bezüg- lich des Bestehens von Interessenkonflikten und des Verstosses ge- gen Treuepflichten auf. b) Tatsache ist, dass der Bürokollege von Fürsprecher Y, Notar X, am 12. August 1994 einen Kaufvertrag zwischen den Käufern und der Verkäuferin beurkundet hat. Tatsache ist sodann weiter, dass das Grundbuchamt L. mit Abweisungsverfügung vom 31. Januar 1996 den Eintrag des Kaufvertrages ins Grundbuch (einstweilen) verwei- 2002 Zivilprozessrecht 83 gerte, weil einerseits der Kaufvertrag, andererseits die Grundbuchan- meldung mehrere Mängel aufwiesen. So fehlten die gemäss Art. 5 Abs. 2 BewG notwendige Bewilligung sowie eine Kopie des gültigen Ausländerausweises. Ausserdem wurde im Kaufvertrag der Kauf- preis zwar mit Fr. 380'000.-- beziffert, andererseits aber auch festge- halten, der Kaufpreis sei durch Übernahme der Grundpfandschuld im Betrag von Fr. 430'000.-- zu bezahlen, wobei die Schuldsumme noch zu reduzieren wäre. Gänzlich unerwähnt blieb im Kaufvertrag die Tatsache, dass offenbar anlässlich des Abschlusses des Kaufvertrages bereits eine Bar-Anzahlung im Betrag von Fr. 18'000.-- erfolgt war. Hinzu kam, dass mittlerweile noch ein Bauhandwerkerpfandrecht eingetragen worden war, und dass der im Kaufvertrag bezeichnete Autoeinstellplatz Nr. 6, ebenso wie der Gemüsegarten Nr. 5 + 6, ge- mäss Grundbuchbeschrieb gar nicht zur von den Käufern gekauften Wohnung gehörten, ihnen deshalb auch nicht übereignet werden konnten. Es ist nun nicht Aufgabe der Anwaltskommission, die Arbeit von Notar X zu qualifizieren. Dies ist Sache der Aufsichtsinstanz über die Notare. Aufgrund der erwähnten Abweisungsverfügung des Grundbuchamtes war jedoch voraussehbar, dass in dieser Beziehung früher oder später Fragen der Käufer auftauchen würden. Aufgrund des Umstands, dass der Kaufvertrag nicht ins Grundbuch eingetragen war (und noch während mehrerer Jahre nicht eingetragen werden konnte), konnte die Verkäuferin weiterhin über die Wohnung verfü- gen. Die Käufer hätten bei einer gegen die Verkäuferin gerichteten Zwangsbetreibung das Einsehen gehabt. Klar war sodann bereits aufgrund der Abweisungsverfügung, dass der im Kaufvertrag zugesi- cherte Autoeinstellplatz den Käufern voraussichtlich nicht würde übereignet werden können. c) (...) d) Nachdem Notar X seinerzeit für beide Vertragsparteien den Kaufvertrag ausgearbeitet hatte, hätte er selber (...) keinesfalls in einem nachfolgenden, sich aus dem Kaufvertrag ergebenden Streit eine der beiden Parteien als Anwalt vertreten dürfen, zumindest nicht mehr ab jenem Zeitpunkt, als die Durchsetzbarkeit des Kaufvertrages zum Thema wurde. Er wäre ja sonst in die Situation gekommen, die 2002 Obergericht/Handelsgericht 84 Professionalität seines eigenen Handelns bezüglich der Erstellung des Kaufvertrages beurteilen zu müssen. Der sich daraus ergebende Interessenkonflikt aufgrund der persönlichen Interessen von Notar X am Ausgang des Verfahrens liegt auf der Hand. Ebenso ist zu beach- ten, dass er diesfalls gegen eine der beiden Vertragsparteien des Kaufvertrages, die er damals beraten hatte, hätte vorgehen müssen, was sich mit der Treuepflicht des Notars und Anwalts nicht vereinba- ren liesse. Was nun Fürsprecher Y angeht, so liegt weder eine eigentliche Doppelvertretung (Vertretung beider Parteien im gleichen Verfahren) noch ein Parteiwechsel gemäss § 15 AnwG vor. Als Bürokollege von Notar X galten jedoch für ihn dieselben "Ausstandsgründe" wie für diesen, denn eine Bürogemeinschaft ist ja, wie bereits erwähnt, wie ein Anwalt zu behandeln, und zwar auch, soweit es um Notariatsge- schäfte geht. Indem Fürsprecher Y eine Partei vertrat, welche vor- gängig von seinem Bürokollegen als Notar betreut worden war, und zwar gegenüber der anderen Partei des damaligen Kaufvertrages und in einem Streit um diesen Kaufvertrag, begab er sich in eine Situa- tion, in welcher die Möglichkeit einer Interessenkollision, welche ja gemäss den Ausführungen unter Ziff. 3 ausreichend ist, um zu einem eigentlichen "Vertretungsverbot" zu führen, auf der Hand lag. Es ging bei diesem Mandat nicht nur bzw. zumindest ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr nur um die Frage eines zusätzlich zu bezahlen- den Geldbetrages. Fürsprecher Y wusste spätestens ab Januar 1996, vermutlich aber schon kurz nach der Mandatserteilung, über die Um- stände des Kaufvertrages und der damit zusammenhängenden Pro- bleme Bescheid. Es war ohne weiteres erkennbar, dass sich irgend- wann die Frage stellen könnte, wer für die Folgen der teilweisen "Undurchführbarkeit" des Kaufvertrages aufzukommen haben wür- de. An sich war aufgrund der Umstände (anders lautender Grund- buchbeschrieb im Vergleich zum Kaufvertrag) von Anfang an klar, dass die Käufer die Übertragung des Eigentums betreffend den Auto- einstellplatz gemäss Kaufvertrag nicht würden durchsetzen können. Korrekterweise hätte ein Anwalt seinen Mandanten dies sofort klar- machen müssen. Dies hätte aber bedeutet, dass Fürsprecher Y die Käufer auf den in diesem Punkt offensichtlich mangelhaften Kauf- 2002 Zivilprozessrecht 85 vertrag und damit auf den durch Notar X begangenen Fehler hätte hinweisen müssen. Konkret hiesse das, gegen seinen Bürokollegen vorzugehen. Aufgrund dieser Situation bestand aber für Fürsprecher Y ein persönlicher Interessenkonflikt, musste er doch die Interessen seiner Klienten wahren, hätte aber gleichzeitig zur Erfüllung dieser Pflicht gegen seinen Bürokollegen vorgehen müssen. Lösbar wäre dieser Konflikt einzig durch die Nichtannahme bzw. Niederlegung des Mandates gewesen. e) Fürsprecher Y verstiess somit, wenn nicht schon durch die Übernahme des Mandates, so spätestens durch die Weiterführung im Zeitpunkt, als er Kenntnis von allen Umständen hatte, gegen seine sich aus § 14 AnwG ergebende Treuepflicht. Allerspätestens in die- sem Zeitpunkt hätte er das Mandat niederlegen müssen.
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AG_HG_001
AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2002-27_2002-09-19
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2002 Obergericht/Handelsgericht 70 [...] 19 § 167 Abs. 4 ZPO § 167 Abs. 4 ZPO ist nur bei Ehescheidungs- oder Ehetrennungsklagen, nicht aber bei Ergänzungs- oder Abänderungsklagen anwendbar. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Zivilkammer, vom 29. August 2002 in Sachen V.G. gegen M.G. Aus den Erwägungen 1. Unter dem Titel "Die Sachdarstellung durch die Parteien vor dem erstinstanzlichen Richter (Behauptungsverfahren)" sowie dem Untertitel "Allgemeine Vorschriften" regelt § 167 ZPO den Inhalt der Klage im Allgemeinen. Dabei wird detailliert dargelegt, was die Klage im Einzelnen zu enthalten hat (Abs. 1), was ihr beizulegen ist (Abs. 2) und was vorgekehrt werden muss, wenn Urkunden angeru- fen werden, die sich im Besitze eines Dritten befinden (Abs. 3). § 167 Abs. 4 ZPO bestimmt, dass sich die Klage bei Verfahren auf 2002 Zivilprozessrecht 71 Ehescheidung und Ehetrennung vorerst auf die Bezeichnung der Parteien sowie das Datum und die Unterschrift des Klägers oder seines Vertreters beschränken kann; werden die übrigen formellen Anforderungen an die Klage (Abs. 1 - 3) oder an das gemeinsame Scheidungsbegehren (§ 196a ZPO) innert drei Monaten erfüllt, wird die Rechtshängigkeit nicht unterbrochen. § 167 Abs. 4 ZPO sieht eine Spezialregelung nur für "Verfahren auf Ehescheidung und Ehetrennung" vor. Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um ein solches Verfahren auf Ehescheidung oder Ehe- trennung. Die Parteien wurden mit Urteil des Amtsgerichts X. in Kroatien geschieden. Mit der Klage vom 8. Januar 2002 wird denn auch nicht die Scheidung, sondern der Entscheid über die Nebenfol- gen der in Kroatien durchgeführten Ehescheidung beantragt. Somit handelt es sich um eine Ergänzungsklage bzw. um ein Nachverfahren zur Ergänzung eines (allenfalls) unvollständigen Scheidungsurteils (vgl. dazu Walter Bühler / Karl Spühler, Berner Kommentar, Bd. II/1/1/2, 3. A., Bern 1980, N 87 ff. zu den Vorbemerkungen zu Art. 149-157 aZGB; Karl Spühler / Sylvia Frei-Maurer, Berner Kom- mentar, Ergänzungsband zu Bd. II/1/1/2, Bern 1991, N 87 ff. zu den Vorbemerkungen zu Art. 149-157 aZGB; Thomas Sutter / Dieter Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 4 zu den Vorbemerkungen zu Art. 135-149 ZGB). Hätte der kan- tonale Gesetzgeber solche Ergänzungsklagen (oder auch Abände- rungsklagen) der Ausnahmebestimmung von § 167 Abs. 4 ZPO un- terstellen wollen, hätte er dies ausdrücklich so formulieren müssen. 2. Die Klage vom 8. Januar 2002 entspricht somit nicht den formellen gesetzlichen Anforderungen von § 167 ZPO. Entgegen der Vorinstanz, die sogleich einen Nichteintretensentscheid gefällt hat, hätte aber der Instruktionsrichter die Klägerin gemäss § 173 Abs. 2 ZPO auf diesen Mangel aufmerksam machen und ihr für die Verbes- serung oder den Rückzug der Klage eine kurze Frist ansetzen müs- sen. In teilweiser Gutheissung der Appellation ist daher das Urteil des Bezirksgerichts A. vom 16. Januar 2002 aufzuheben und die Sache an den vorinstanzlichen Instruktionsrichter zum Vorgehen gemäss § 173 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
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AG_HG_001_AGVE-2002-19_2002-08-02
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2011 Anwaltsrecht 39 [...] 8 Art. 12 lit. i BGFA Verzögerte Rechnungsstellung: Gesundheitliche Probleme und Umzug in andere Büroräumlichkeiten vermögen allenfalls eine geringfügige Ver- zögerung der vom Klienten verlangten Rechnungslegung, nicht aber ei- nen elf bzw. achtzehnmonatigen Verzug zu rechtfertigen. Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 26. Mai 2011 i.S. L. (AVV.2010.18). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Der Anzeiger erhebt zunächst den Vorwurf, er habe vom bean- zeigten Anwalt bis heute keine detaillierte Abrechnung erhalten. Er macht damit sinngemäss eine Verletzung von Art. 12 lit. i BGFA geltend. 2.2. Nach Art. 12 lit. i BGFA ist der Anwalt verpflichtet, den Klien- ten auf Verlangen hin jederzeit über die Höhe des in diesem Zeit- punkt geschuldeten Honorars zu informieren. Stellt der Klient ein entsprechendes Begehren, hat die Auskunft innert nützlicher Frist zu erfolgen. Unabhängig von solchen Auskunftsbegehren haben die Anwälte ihre Klienten unaufgefordert periodisch über die Höhe des geschuldeten Honorars zu unterrichten. Dies kann auch durch pe- riodische Zwischenrechnungen erfolgen. In welcher Kadenz solche 2011 Obergericht 40 Informationen zu erfolgen haben, lässt sich nicht allgemein sagen. Massgebend sind die Verhältnisse des Einzelfalls (Walter Fellmann in: Walter Fellmann / Gaudenz G. Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich 2005, N 171 zu Art. 12 [zit. Name, BGFA- Kommentar]). Da Art. 12 lit. i BGFA nur von der Höhe des geschuldeten Ho- norars spricht, darf daraus keine Pflicht abgeleitet werden, in jedem Fall von sich aus detailliert Rechnung zu stellen. Art. 12 lit. i BGFA ändert aber nichts daran, dass der Klient jederzeit eine detaillierte Rechnung, auch eine detaillierte Zwischenabrechnung, verlangen kann. Ob die Abrechnung nach Meinung des Anwalts tunlich, not- wendig oder angebracht ist, bleibt ohne Bedeutung (Fellmann, BGFA-Kommentar, a.a.O., N 172 zu Art. 12, mit Hinweisen). Der Anwalt hat auf erstes Verlangen seines Klienten sobald als möglich und zweckmässig abzurechnen und Rechnung zu stellen. Eine Abrechnung, die erst eineinhalb oder gar zwei Monate nach der Aufforderung erfolgt, ist verspätet. Verzögerungen können nur aus- nahmsweise als gerechtfertigt erachtet werden (Fellmann, BGFA- Kommentar, a.a.O., N 173 zu Art. 12; Giovanni Andrea Testa, Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, Zürich 2001, S. 204 [zit. Testa]); AGVE 2007 11 S. 53). Bei anzuerkennenden Gründen für eine Verzögerung der Rechnungslegung wie beispielsweise übermässige Arbeitsbelastung, Auslandsabwesenheit, EDV-Probleme, Zügeltermin oder wenn ein- zelne Spesen noch nicht feststehen, aber mit ihrer genauen Bestim- mung in naher Zukunft gerechnet werden kann, hat der Anwalt den Klienten zu benachrichtigen (Testa, a.a.O., S. 205). 2.3. 2.3.1. (...) 2.3.2. 2.3.2.1. Nach den übereinstimmenden Ausführungen des Anzeigers und des beanzeigten Anwalts hat sich der Anzeiger Ende November 2008/ Mitte Dezember 2008 betreffend den Betrag von Fr. (...) bzw. die Ausstellung einer detaillierten Abrechnung beim beanzeigten An- 2011 Anwaltsrecht 41 walt gemeldet. Mit Schreiben vom 11. Dezember 2008 hat der bean- zeigte Anwalt bis Ende Dezember 2008 eine entsprechende Abrech- nung in Aussicht gestellt. Nach einem Betreibungsverfahren gegen den beanzeigten Anwalt (...) erfolgte mit Schreiben vom 30. Juli 2009 eine erneute Aufforderung des Vertreters des Anzeigers, eine Abrechnung zu erstellen. Die schriftliche Abrechnung wurde dem Anzeiger schliesslich erst anfangs Juni 2010 und somit erst rund 18 Monate nach der ersten Aufforderung bzw. rund 11 Monate nach der zweiten Aufforderung zugestellt. Die Zustellung der Abrechnung er- folgte demnach gestützt auf die oben dargelegte Lehre und Recht- sprechung (vgl. Ziff. 2.2 der Erwägungen) viel zu spät. Der bean- zeigte Anwalt räumt denn auch in seiner Stellungnahme vom 6. Au- gust 2010 (...) ein, er habe die Abrechnung "mit etwas Verspätung" erstellt. 2.3.2.2. Der beanzeigte Anwalt weist in seiner Stellungnahme vom 10. Mai 2011 darauf hin, dass er den Klienten im Jahre 2005, spätes- tens aber seit dem 10. Dezember 2008, in Bezug auf das Honorar mündlich detailliert aufgeklärt und klare Verhältnisse (der Klient ha- be kein Guthaben mehr zugute und der beanzeigte Anwalt verzichte auf eine Einforderung seines errechneten Resthonorars) geschaffen habe. Entgegen der Ansicht des beanzeigten Anwalts entbindet je- doch eine mündliche Aufklärung des Klienten bezüglich der Höhe des Honorars den Anwalt nicht von der Zustellung einer schriftlich detaillierten Abrechnung innert nützlicher Frist, sobald eine solche vom Klienten verlangt wird. Dasselbe gilt auch dann, wenn der An- walt auf sein Honorar verzichten will, denn ob die Abrechnung nach Meinung des Anwalts tunlich, notwendig oder angebracht ist, bleibt ohne Bedeutung (vgl. Ziffer 2.2. der Erwägungen). Der beanzeigte Anwalt war sich denn auch bewusst, dass er - trotz seiner Ansicht, der Klient sei betreffend das Honorar bereits genügend informiert worden - dem Anzeiger eine schriftliche Abrechnung zustellen muss- te. So hat er ihm doch mit diversen Schreiben eine detaillierte schrift- liche Abrechnung in Aussicht gestellt. 2011 Obergericht 42 2.4. 2.4.1. (...) 2.4.2. Selbst wenn die obgenannten Behauptungen des beanzeigten Anwalts zutreffen sollten, vermöchten die genannten Umstände wie gesundheitliche Probleme und Umzug in andere Büroräumlichkeiten allenfalls eine geringfügige Verzögerung der Rechnungslegung, nicht aber einen elf- bzw. achtzehnmonatigen Verzug (im Vergleich zu den aus disziplinarrechtlicher Sicht noch tolerierbaren eineinhalb bis zwei Monaten) zu entschuldigen. Dass der Anzeiger ihn allenfalls verärgert hat, vermag im Übrigen überhaupt keine verzögerte Zu- stellung der Abrechnung zu rechtfertigen. Der Umstand, dass zwi- schen dem ehemaligen Klienten und dem beanzeigten Anwalt strittig war, ob sie sich im Jahre 2005 darüber geeinigt hätten, dass die Fr. (...) als Akontozahlung für andere Tätigkeiten des beanzeigten An- walts gelten sollen bzw. der beanzeigte Anwalt sinngemäss die Ein- rede der Verrechnung geltend macht, berührt einzig die Honorarstrei- tigkeit, entbindet den beanzeigten Anwalt jedoch nicht von seiner Verpflichtung zur Rechnungsstellung innerhalb nützlicher Frist. Ein Zuwarten wie im oben festgestellten Ausmass ist somit aus diszi- plinarrechtlicher Sicht nicht akzeptierbar. 2.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der beanzeigte Anwalt seiner Verpflichtung zur detaillierten Rechnungsstellung verspätet nachgekommen ist. Er hat mit diesem Verhalten die Berufsregel ge- mäss Art. 12 lit. i BGFA verletzt.
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2002 Zivilrecht 25 I. Zivilrecht A. Personenrecht 1 Art. 28 ff. ZGB, § 335 ZPO; vorsorgliche Massnahmen im Persönlich- keitsschutz Die Frist von Art. 28e Abs. 2 ZGB zur Anhebung einer ordentlichen Klage gegen widerrechtliche Verletzungen der Persönlichkeit beginnt am Tag nach der Zustellung der nach Anhörung der Gegenpartei erlassenen vorsorglichen Massnahme zu laufen. Die bundesrechtliche Klagefrist wird durch die Anfechtung des Massnahmeentscheides mit einem kanto- nalen Rechtsmittel nicht gehemmt (Erw. 3b). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 21. Januar 2002 i.S. N.S. ca. I.H. u.a. Aus den Erwägungen 1. a) Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann nach Art. 28 Abs. 1 ZGB zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen. Er kann dem Gericht beantragen, eine drohende Verletzung zu verbieten oder eine beste- hende Verletzung zu beseitigen oder die Widerrechtlichkeit einer Verletzung festzustellen, wenn sich diese weiterhin störend auswirkt (Art. 28a Abs. 1 ZGB). b) Wer glaubhaft macht, dass er in seiner Persönlichkeit wider- rechtlich verletzt ist oder eine solche Verletzung befürchten muss und dass ihm aus der Verletzung ein nicht leicht wiedergutzumachen- der Nachteil droht, kann gemäss Art. 28c Abs. 1 ZGB die Anordnung einer vorsorglichen Massnahme verlangen. Der Richter kann insbe- sondere die Verletzung vorsorglich verbieten oder beseitigen (Art. 28c Abs. 2 Ziff. 1 ZGB). Nach Art. 28d ZGB gibt das Gericht dem Gesuchsgegner Gelegenheit sich zu äussern (Abs. 1); ist es je- doch wegen dringender Gefahr nicht mehr möglich, den Gesuchs- 2002 Obergericht/Handelsgericht 26 gegner vorgängig anzuhören, so kann das Gericht schon auf Einrei- chung des Gesuchs hin Massnahmen vorläufig anordnen, es sei denn, der Gesuchsteller habe sein Gesuch offensichtlich hinausgezögert (Abs. 2). Vorsorgliche Massnahmen, die angeordnet werden, bevor die Klage rechtshängig ist, fallen gemäss Art. 28e Abs. 2 ZGB dahin, wenn der Gesuchsteller nicht innerhalb der vom Gericht festge- setzten Frist, spätestens aber innert 30 Tagen, Klage erhebt. Mit den vorstehenden Bestimmungen über Anspruch und Durchsetzung vorsorglicher Massnahmen greift der Bundesgesetzge- ber zur Gewährleistung eines einheitlichen Rechtsschutzes im Be- reich des Persönlichkeitsschutzes in die kantonale Verfahrenshoheit (Art. 122 Abs. 2 BV) ein. Die bundesrechtlichen Verfahrensbestim- mungen gehen dem kantonalen Recht vor. Für die im Bundesrecht nicht geregelten Fragen, insbesondere die sachliche Zuständigkeit, den Verfahrensablauf und den Rechtsmittelweg, bleibt indes die Kompetenz der Kantone zur Anwendung ihres eigenen Rechts beste- hen (BBl 1982 II S. 644 f., 665 f., 670; Andreas Meili, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel 1996, N 1 zu Art. 28c ZGB; Andreas Bucher, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 3. A., Basel 1999, Rz. 619, 644 und 652; Hubert Bugnon, Les mesures provisionelles de protection de la personnalité, in: Festschrift Tercier, Freiburg i.Ue. 1993, S. 37). 2. Mit vorläufiger Anordnung des Gerichtspräsidiums R. vom 20. Juli 2001 wurde den Gesuchsgegnern unter Strafandrohung verboten, in Zukunft zu behaupten, es bestehe der Verdacht, dass sich die Gesuchstellerin eines sexuellen Uebergriffes schuldig gemacht hat. Nach Ausbleiben einer Antwort der Gesuchsgegner wurde diese Anordnung mit der angefochtenen Verfügung vom 4. Oktober 2001 bestätigt und der Gesuchstellerin gleichzeitig eine Frist von 20 Tagen zur Klageerhebung angesetzt. 3. Die Gesuchsgegner verlangen mit ihrer Beschwerde die rich- terliche Feststellung, dass die vorläufige Anordnung vom 20. Juli 2001 dahingefallen sei. a) Vorsorgliche Massnahmen i.S.v. Art. 28c ff. ZGB werden ge- mäss § 300 der Aargauischen Zivilprozessordnung vom 18. Dezem- ber 1984 (ZPO) im summarischen Verfahren erlassen (Bühler/Edel- 2002 Zivilrecht 27 mann/Killer, Kommentar zur Aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau 1998, N 2 zu § 300 ZPO). Die vorläufige Anordnung i.S.v. Art. 28d Abs. 2 ZGB ist Bestandteil dieses Summarverfahrens. Sie kann vom Richter jederzeit aufgehoben oder abgeändert werden; ihre Anordnung oder Ablehnung ist jedoch nicht weiterziehbar (AGVE 1990 S. 71 f.; Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 5-7 zu § 294 ZPO). Der Instruktionsrichter des Obergerichts kann aber nach § 294 Abs. 3 ZPO auf Gesuch hin eine (abweichende) vorläufige Massnahme tref- fen, wenn der Endentscheid im Summarverfahren mit Beschwerde angefochten wird. b) Die Gesuchsgegner stellen im Beschwerdeverfahren gegen die vorsorgliche Massnahme vom 4. Oktober 2001 kein Gesuch um Erlass einer abweichenden vorläufigen Massnahme (§ 294 Abs. 3 ZPO) im Sinne einer Aufhebung der vom erstinstanzlichen Richter am 20. Juli 2001 verfügten vorläufigen Anordnung nach Art. 28d Abs. 2 ZGB. Sie beantragen einzig die richterliche Feststellung, dass die Verfügung vom 20. Juli 2001 dahingefallen sei. Zur Begründung führen sie aus, dass die Gesuchstellerin innert der 30tägigen Frist von Art. 28e Abs. 2 ZGB keine Klage erhoben habe; die Verfügung vom 20. Juli 2001 sei ihr spätestens am 24. Juli 2001 zugegangen und folglich - mangels Klageerhebung bis zum 23. August 2001 - dahingefallen. Diese Auffassung ist abwegig. Es ergibt sich sowohl aus der Gesetzessystematik wie auch aus der Natur der Sache, dass nicht die vorläufige Anordnung i.S.v. Art. 28d Abs. 2 ZGB, sondern erst die nach Anhörung der Gegenpartei erlassene vorsorgliche Massnahme, die das summarische Gesuchsverfahren i.S.v. Art. 28c ff. ZGB ab- schliesst, die Frist von Art. 28e Abs. 2 ZGB zur Anhebung der Klage im ordentlichen Verfahren auslöst (vgl. auch Bugnon, a.a.O., S. 50). Die Frist beginnt am Tag nach der Zustellung der richterlichen Verfü- gung zu laufen (Bucher, a.a.O., Rz. 658). Da sie eine bundesrechtli- che Verwirkungsfrist darstellt (Pedrazzini/Oberholzer, Grundriss des Personenrechts, 4. A., Bern 1993, S. 175), wird sie durch die Anfech- tung des Massnahmeentscheides nicht gehemmt, auch wenn der Be- schwerde gemäss Aargauischem Zivilprozessrecht (§§ 342 i.V.m. 320 ZPO) grundsätzlich Suspensivwirkung zukommt (Bugnon, 2002 Obergericht/Handelsgericht 28 a.a.O., S. 50). § 294 Abs. 2 ZPO, wonach vorläufige Massnahmen bis zum formell rechtskräftigen Entscheid im summarischen Verfah- ren in Kraft bleiben, wird somit durch das Bundesrecht insofern derogiert, als eine - infolge Anfechtung der sie bestätigenden vorsorglichen Massnahme noch gültige - vorläufige Anordnung i.S.v. Art. 28d Abs. 2 ZGB, ebenso wie die angefochtene vorsorgliche Massnahme selbst, per se dahinfällt, wenn das Verfahren nicht innert der Klagefrist von Art. 28e Abs. 2 ZGB prosequiert wird. Vorliegend hat die Gesuchstellerin gemäss Auskunft der Gerichtskanzlei R. die Klage im ordentlichen Verfahren am 29. Oktober 2001 und damit in- nert der im (ihr am 9. Oktober 2001 zugestellten) Massnahmeent- scheid vom 4. Oktober 2001 angesetzten Frist von 20 Tagen anhän- gig gemacht. Die vorläufige Anordnung vom 20. Juli 2001 hat somit nach wie vor Bestand.
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2001 Obergericht/Handelsgericht 86 [...] 28 § 222 Abs. 1 und 219 Abs. 2 StPO. - Ist eine Freiheitsstrafe von über 18 Monaten oder eine freiheitsentziehende Massnahme in Teilrechtskraft erwachsen und nur der Zivilpunkt mit Berufung angefochten worden, ist eine Parteiverhandlung vor Obergericht nicht obligatorisch (Erw. 2). - Haben von mehreren Zivilklägern nur einzelne Berufung erhoben, kann nur diesbezüglich Anschlussberufung eingereicht werden (Erw. 3). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Strafkammer, vom 25. Oktober 2001 i.S. Staatsanwaltschaft und verschiedene Zivilkläger gegen T.-M. H. Aus den Erwägungen 2. Gemäss der am 1. März 1998 in Kraft getretenen Fassung von § 222 Abs. 1 StPO wird eine Parteiverhandlung nur in Fällen durchgeführt, in denen im angefochtenen Urteil eine Freiheitsstrafe von über 18 Monaten oder eine freiheitsentziehende Massnahme ausgesprochen oder mit der Berufung oder Anschlussberufung bean- tragt wurde. Da die aargauische Strafprozessordnung die Teilrechts- kraft kennt (§ 221 StPO), hätte eine wörtliche Auslegung dieser Be- stimmung zur Folge, dass auch dann eine Parteiverhandlung durch- zuführen wäre, wenn das vorinstanzliche Urteil im Straf- bzw. Mass- nahmepunkt in Rechtskraft erwachsen ist. Dies kann nun aber nicht dem Sinn dieser Bestimmung entsprechen. So ist nicht einzusehen, weshalb etwa im Falle eines Streites über den Zivilpunkt die Frage 2001 Strafprozessrecht 87 der Durchführung einer Parteiverhandlung von der im selben Ver- fahren ausgesprochenen Strafe abhängig sein soll, die im Übrigen möglicherweise gar nur mit einem von mehreren verübten Delikten zusammen hängt. In Fällen, in welchen die verhängte Freiheitsstrafe bzw. die freiheitsentziehende Massnahme in Rechtskraft erwachsen ist, ist demnach grundsätzlich keine Parteiverhandlung durchzufüh- ren. Folglich entscheidet des Obergericht im vorliegenden Fall ohne Berufungsverhandlung. 3. Mit seiner Anschlussberufung verlangte der Angeklagte die Herabsetzung der Genugtuungsforderung der Zivilklägerin S.B., ob- wohl diese keine Berufung erhoben hatte. Die aargauische Strafprozessordnung sieht in § 219 Abs. 2 le- diglich vor, dass mit der Berufungsantwort eine begründete An- schlussberufung eingereicht werden kann, spricht sich aber über deren Umfang nicht aus. Während ein Teil der Kantone der An- schlussberufung unbegrenzte Wirkung in dem Sinne zumessen, dass sie nicht an den Umfang der Hauptberufung gebunden ist, sehen an- dere eine teilweise Beschränkung der Anschlussberufung vor (R O - BERT H AUSER /E RHARD S CHWERI , Schweizerisches Strafprozess- recht, 4.A., Basel/ Frankfurt a.M. 1999, § 99 N. 15). Einzig mit dieser Frage befasst sich B RÜHLMEIER in seinem Werk an den vom Angeklagten angegebenen Stellen (B EAT B RÜHLMEIER , Aargauische Strafprozessordnung, 2.A., Aarau 1980, Ziff. 5 und 8 zu § 219 Abs. 2). Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, wie es sich im Falle der Anfechtung des Zivilpunktes durch nur einen von mehreren Zivilklägern verhält. Im vorliegenden Verfahren wurde der Angeklagte mehrerer Straftaten gegen verschiedene Kinder schuldig gesprochen. Verfah- rensrechtlich betrachtet bildet nun der geltend gemachte Zivilan- spruch jedes dieser Kinder ein eigenes Adhäsionsverfahren, woran die Tatsache des gemeinsam durchgeführten Verfahrens nichts zu ändern vermag. Mit Berufung wurde weder der Schuldpunkt bezüg- lich der Verfehlungen des Angeklagten gegen S.B. noch ihr Zivilan- spruch angefochten, so dass diese zusammen hängenden Punkte in Rechtskraft erwachsen sind und mit Anschlussberufung gegen die Berufung anderer Zivilkläger nicht mehr angefochten werden kön- 2001 Obergericht/Handelsgericht 88 nen. Soweit die Anschlussberufung den Zivilanspruch von S.B. be- trifft, ist folglich auf sie nicht einzutreten.
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2003 Strafprozessrecht 77 [...] 24 § 41 lit. c StPO; Vorbefassung des Richters im Fall der Beurteilung eines Mittäters in einem früheren Zeitpunkt? Hat ein Richter einen Mittäter in einem früheren Zeitpunkt beurteilt, so ist er im nachfolgenden Verfahren gegen den anderen Mittäter nicht vor- befasst im Sinn von § 41 lit. c StPO. Aus dem Entscheid der Inspektionskommission vom 28. November 2003 i.S. K. B. c. Bezirksgericht X. Aus den Erwägungen 4. a) Vorerst ist die Frage zu beantworten, ob die Beurteilung eines allfälligen Mittäters in einem früheren Zeitpunkt in Bezug auf 2003 Obergericht/Handelsgericht 78 den nunmehr zu beurteilenden Angeklagten eine Vorbefassung und damit einen zwingend zu beachtenden Ausschliessungsgrund im Sinn von § 41 lit. c StPO darstellt. Vorbefassung im Sinne des Gesetzes bedeutet, dass der Richter eine ähnliche oder qualitativ gleiche Frage in einer anderen amtlichen Stellung in einem früheren Zeitpunkt bereits geprüft hat. Zudem stellt die Beteiligung als Zeuge, Sachverständiger oder Anwalt am Verfahren ebenfalls eine unzuläs- sige Vorbefassung dar. Entscheidend ist aber, dass es in diesen Fällen immer um ein und dieselbe Person geht. Davon unterscheidet sich der vorliegend zur Diskussion stehende Fall grundlegend, denn hier hatten die Richter im Jahr 2001 noch nicht mit dem Gesuchsteller, sondern mit H. zu tun. Dies ist aber keine Vorbefassung, denn im damaligen Verfahren mussten die Bezirksrichter den H. betreffenden Sachverhalt bzw. ihr Verhalten beurteilen. Ein zwingend zu beach- tender Ausschliessungsgrund liegt nicht vor. b) (...) c) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass kein Ausschlies- sungsgrund aufgrund einer unzulässigen Vorbefassung der abgelehn- ten Richter gegeben ist. Aber auch Gründe, welche objektiv Zweifel an der Unbefangenheit der Richter aufkommen lassen, sind nicht ersichtlich. Erachtet das Bundesgericht die Beteiligung des Sach- richters an der Beurteilung eines Revisionsbegehrens bzw. die er- neute Beteiligung eines unterinstanzlichen Richters am Verfahren nach Aufhebung des ersten Entscheides im Rechtsmittelverfahren als unproblematisch, so muss dies grundsätzlich auch für Fälle gelten, in welchen mehrere Angeklagte bezüglich gemeinsam begangener Ta- ten zu verschiedenen Zeitpunkten zur Beurteilung kommen. Dies zumindest, solange sich nicht aufgrund der konkreten Umstände ein Anschein von Befangenheit ergibt. Das ist aber vorliegend, wie oben dargelegt, nicht der Fall, weshalb das Ablehnungsbegehren abzuwei- sen ist.
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2000 Zivilprozessrecht 65 [..] 18 Verbot aufdringlicher Werbung (§ 16 Abs. 1 AnwG). Fall eines Zeitungsinserates, worin für ein Seminar geworben und eine Anwältin als eine der Referentinnen vorgestellt wird. Aus dem Entscheid der Anwaltskommission vom 13. Dezember 2000 Aus den Erwägungen 2. (...) d) Die Werbung des Anwaltes unterliegt in vierfacher Hinsicht Beschränkungen: Rechtfertigung, Inhalt, Form und Art der Verbrei- tung. aa) Die Nennung des Namens in Verbindung mit der Berufsbe- zeichnung ist grundsätzlich als Werbung anzusehen. Diese darf nicht dem Zweck dienen, den Anwalt gegenüber seinen Kollegen hervor- 2000 Obergericht 66 zuheben und ihm eine besondere Nachfrage zu verschaffen, sondern braucht eine besondere Rechtfertigung, einen besonderen Anlass (vgl. dazu Michael Pfeifer, Der Rechtsanwalt in der heutigen Gesell- schaft, ZSR 115 (1996) II, S. 345; Felix Wolffers, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Schulthess Polygraphischer Verlag, Zürich 1986, S. 145; Verein Züricherischer Rechtsanwälte (Hrsg.), Handbuch über die Berufspflichten des Rechtsanwaltes im Kanton Zürich, Zürich 1988, S. 195; Christof Bernhart, Die Werbebeschränkungen für wissenschaftliche Berufsarten als Problem der Grundrechte, Berner Diss., Barnberg 1994, S. 81). Zumeist wird dieser in Praxiseröff- nungen, Adressänderungen, längeren Abwesenheiten etc. erblickt. Vorliegend kann die Rechtfertigung der Namens- und Berufsnennung in der Teilnahme als Referentin an einem Seminar (....) erblickt werden. bb) Die Werbung muss inhaltlich wahr sein und keine Über- treibungen oder Irreführungen enthalten (Christof Bernhart, Werbung der Rechtsanwälte - Ansätze für verfassungsrechtliche Neubewer- tung, in: plädoyer 1993, S. 34; Handbuch, S. 196). Sie darf keine un- richtigen Erwartungen wecken (BGE 123 I 17). Unwahre oder irre- führende Aussagen über die (Anwalts-)Tätigkeit der beschuldigten Anwältin sind dem beanstandeten Inserat nicht zu entnehmen.(...) Die Werbemassnahme darf keine übertrieben auffällige oder re- klamehafte Form haben (Handbuch, S. 199). Marktschreierische und auf eigentlichen Kundenfang ausgerichtete Werbung ist nicht erlaubt. Sie soll zurückhaltend sein und auf sensationelles und reklamehaftes Sichherausstellen gegenüber Berufskollegen verzichten (BGE 123 I 17). cc) Vorliegend erfolgt der Auftritt der beschuldigten Anwältin in einem Zeitungsinserat, das allerdings nicht für ihre Anwaltstätigkeit sondern für ein Seminar, an dem sie als Referentin teilnimmt, wirbt (vgl. lit. aa vorstehend). Das Hauptgewicht des Inserateauftrittes liegt somit klar in der Werbung für das Seminar als solches, ein allfälliger Werbeeffekt erfolgt nur indirekt. Dass die Gestaltung des Inserates 2000 Zivilprozessrecht 67 als wenig zurückhaltend angesehen werden kann, stellt für sich allein noch keinen Verstoss gegen das Verbot aufdringlicher Werbung dar. Vielmehr massgebend ist, dass die - knapp gehaltene - Vorstellung der beschuldigten Anwältin in der Gesamterscheinung des Inserates einen relativ kleinen Platz einnimmt und neben der Vorstellung der anderen Referenten sowie dem übrigen Textteil nicht besonders her- vorsticht sowie keine anpreisende, sich hervorhebende Werbewir- kung für die Anwaltstätigkeit der beschuldigten Anwältin und auch keine herabsetzende Wirkung in Bezug auf andere Anwälte zeitigt. Auch die Abbildung der Anwältin mit Foto ist nicht zu bean- standen. Während früher der Hinweis des Anwaltes auf seinen Beruf mit Foto grundsätzlich verpönt war, ist ein Verbot der Werbung mit Foto heute nicht mehr zeitgerecht und kann daher entsprechend der eingetretenen Lockerung der Vorschriften über die anwaltliche Wer- bung nicht mehr aufrechterhalten werden, solange das Bild selbst, allein oder im Zusammenhang mit dem übrigen Text, keine auf- dringliche, marktschreierische Anpreisung darstellt (Maya Stutzer, Der Anwalt zwischen Werbung und Würde, in: Anwaltswerbung und -marketing, DACH Schriftenreihe 10, Verlag Dr. Otto Schmidt Köln/Schulthess Polygraphischer Verlag Zürich 1999, S. 89). Eine solche aufdringliche Anpreisung ist im vorliegenden Fall zu vernei- nen. Weder hinsichtlich der Grösse noch der Art der Abbildung hebt sich die Fotografie der beschuldigten Anwältin aus dem Inserat be- sonders hervor. Gesamthaft kann festgehalten werden, dass die Wer- bewirkung des Inserates für die Anwaltstätigkeit der beschuldigten Anwältin gegenüber dem Informationsgehalt für das Seminar in den Hintergrund tritt. Nicht zu beanstanden ist vorliegend auch die Angabe der Pra- xisausrichtung. Mit zunehmender Dichte der Rechtsnormen ist eine klare Tendenz zur Spezialisierung anwaltlicher Tätigkeit auszuma- chen. Deshalb wird der Hinweis auf bevorzugte Tätigkeitsgebiete heute als zulässig erachtet (vgl. Pfeifer, S. 339 ff.). Nicht erlaubt ist hingegen, den Eindruck eines staatlich geprüften Spezialisten zu 2000 Obergericht 68 erwecken (Handbuch, S. 198), was auf den vorliegenden Fall ein- deutig nicht zutrifft. Im Zusammenhang mit der Vorstellung als Refe- rentin entspricht die Angabe der Praxisausrichtung sodann dem Be- dürfnis der Seminarteilnehmerinnen, sich ein Bild über den berufli- chen Hintergrund der Referentin machen zu können. dd) Die in einem Zeitungsinserat enthaltene Information erfährt wohl eine breite Streuung, ist aber naturgemäss weniger aufdringlich, als an bestimmte Personen direkt abgegebene respektive verschickte Werbung. Es rechtfertigt sich vorliegend nicht, allein aus der Ver- breitungsart einen Verstoss gegen das Verbot aufdringlicher Werbung abzuleiten, nachdem die Darstellung der beschuldigten Anwältin innerhalb des Inserates in Bezug auf Rechtfertigung, Inhalt und Form nicht zu beanstanden ist. e) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die beschuldigte An- wältin sich keines Verstosses gegen das Verbot aufdringlicher Wer- bung i.S.v. § 16 Abs. 1 AnwG schuldig gemacht hat.
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2001 Zivilprozessrecht 61 15 § 321 Abs. 4 ZPO. Das kantonale Prozessrecht bestimmt in Ehescheidungs- und Ehetren- nungssachen den genauen Zeitpunkt, bis zu dem im Appellationsverfah- ren die nach Art. 138 Abs. 1 ZGB zulässigen neuen Tatsachen und Be- weismittel bzw. darauf gestützte neue Rechtsbegehren vorgebracht wer- den können. Im Kanton Aargau sind solche Noven und neuen Rechtsbe- gehren in der Begründung von Appellation und Anschlussappellation so- wie in der Antwort auf diese vorzubringen. Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 16. März 2001 in Sachen L. H.-S. gegen D.M. H. . Aus den Erwägungen 3. An der Appellationsverhandlung stellte die Klägerin neu das Begehren, der Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin aus Güter- recht Fr. 289'998.40 zu bezahlen. Nach Art. 138 Abs. 1 ZGB müssen in der oberen kantonalen In- stanz neue Rechtsbegehren zugelassen werden, sofern sie durch neue Tatsachen und Beweismittel veranlasst worden sind. Bei dieser Be- stimmung handelt es sich um einen bundesrechtlich vorgeschriebe- nen Minimalstandard. Die Modalitäten des Rechtsmittelverfahrens richten sich grundsätzlich nach kantonalem Recht. Dies gilt auch für die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Rechtsmittelver- fahrens neue Tatsachen, neue Beweismittel und neue Rechtsbegehren geltend gemacht werden können. So kann das kantonale Recht vor- schreiben, dass Noven nur in der ersten Rechtsschrift bzw. im ersten Parteivortrag in das Verfahren eingebracht werden können und nach- her ausgeschlossen sind (Thomas Sutter/Dieter Freiburghaus, Kom- mentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 21 zu Art. 138 2001 Obergericht/Handelsgericht 62 ZGB). In Einklang mit Art. 138 Abs. 1 ZGB bestimmt das aargaui- sche Recht in § 321 Abs. 4 ZPO, dass neue Tatsachen und Beweis- mittel uneingeschränkt und neue Rechtsbegehren unter der Voraus- setzung von Art. 138 ZGB, d.h. sofern sie durch neue Tatsachen oder Beweismittel veranlasst worden sind, nur in der schriftlichen Be- gründung von Appellation und Anschlussappellation sowie der Ant- wort auf diese vorgebracht werden können. Das neue Begehren der Klägerin zum Güterrecht, das erst nach Abschluss des Schriften- wechsels vorgebracht wurde, ist somit verspätet, und es kann nicht darauf eingetreten werden. Dazu kommt, dass von der Klägerin keine neuen Tatsachen vorgebracht werden, auf die sich das neue Begehren stützt.
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2006 Strafprozessrecht 61 [...] 15 § 56 Abs. 1 Ziff. 3, § 141 Abs. 1 , § 165 Abs. 1 StPO · Legitimation zur selbstständigen Geltendmachung von Zivilansprüchen der rückgriffsberechtigten Versicherung im Adhäsionsverfahren. Im Kanton Aargau besteht die konstante Praxis, die Aargauische Gebäude- 2006 Obergericht 62 versicherungsanstalt und auch andere Versicherer als Zivilkläger zuzu- lassen, wenn eine Forderung gemäss Art. 72 Abs. 1 Versicherungsver- tragsgesetz kraft Subrogation auf sie übergegangen ist respektive wenn sie gemäss § 51 Gebäudeversicherungsgesetz rückgriffsberechtigt sind (E. 3). · Das Rückgriffsrecht der kantonalen Brandversicherungsanstalten fällt gemäss ständiger Rechtsprechung unter das Bundesprivatrecht. Ein ent- sprechender Anspruch darf somit im Adhäsionsverfahren als privat- rechtlicher beurteilt werden (E. 4). Aus dem Entscheid des Obergerichts, 2. Strafkammer, vom 24. August 2006 i.S. Staatsanwaltschaft und Aargauische Gebäudeversicherungsanstalt gegen H.M.G. Das Bundesgericht hat die gegen den Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwer- de abgewiesen (1P.759/2006). Aus den Erwägungen 3. 3.1. 3.1.1. Gemäss § 56 Abs. 1 Ziff. 3 StPO ist der Verletzte oder Geschä- digte, wenn er privatrechtliche Ansprüche aus einer strafbaren Hand- lung geltend macht (Zivilkläger), Partei im Strafverfahren. Als Ge- schädigter im Sinne von § 56 Abs. 1 Ziff. 3 sowie § 141 Abs. 1 StPO gilt, wer unmittelbar aus dem gleichen Tatgeschehen, das Gegen- stand des Verfahrens bildet, einen Schaden ableitet (AGVE 1976 Nr. 37 S. 116 f. [...]). Der Geschädigte hat - im Hinblick auf eine von ihm im gericht- lichen Adhäsionsprozess einzureichende Zivilklage - schon im dem Adhäsionsprozess vorgelagerten Untersuchungsverfahren gewisse Beteiligungs- und Einwirkungsrechte. Zivilkläger im prozessrechtli- 2006 Strafprozessrecht 63 chen Sinn ist aber nur die zum Adhäsionsbeklagten in einem Prozess- rechtsverhältnis stehende Partei des Adhäsionsprozesses. Wenn die Strafprozessordnung schon im Vorverfahren, wo ein Adhäsionspro- zess noch gar nicht stattfindet und dementsprechend auch nicht von einem Zivilkläger gesprochen werden kann, gewisse Rechte an die Zivilklägereigenschaft anknüpft, so deshalb, weil nur derjenige, der tatsächlich einen privatrechtlichen Anspruch geltend machen will, am Vorverfahren soll teilnehmen dürfen. Einwirkungsrechte im Vor- verfahren soll ausüben dürfen, wer mutmasslich vor dem Strafrichter privatrechtliche Ansprüche stellen wird (Peter Conrad, Die Adhäsion im aargauischen Strafprozess, Diss. Baden 1972, S. 101). 3.1.2. Die aktuelle Lehre und Rechtsprechung gehen davon aus, dass eine mittelbare Beeinträchtigung, die erst durch das Hinzutreten weiterer Elemente, z.B. durch eine Schadenersatzpflicht gemäss Ver- trag oder Gesetz, eintritt, keine Geschädigten-Eigenschaft begründet. So ist die Versicherung, bei welcher der Verletzte versichert ist, nicht in der Lage, strafprozessuale Rechte als Geschädigte auszuüben. Hingegen kann sie kraft Subrogation (Art. 72 Abs. 1 Versicherungs- vertragsgesetz [VVG]) die an sie übergegangenen vermögensrechtli- chen Ansprüche adhäsionsweise im Strafverfahren geltend machen (Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Auflage, Basel/Genf/München 2005, § 38 N 3; Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, Zürich 2004, N 505 S. 167; Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Auflage, Bern 2005, S. 252 N 583). Eine analoge Regelung besteht im Gebäudever- sicherungsgesetz: Gestützt auf § 51 GebVG erhält die Gebäudeversi- cherungsanstalt für die bezahlten Entschädigungssummen ein Rück- griffsrecht auf die Fehlbaren. 3.2. Nach dem oben Ausgeführten sind demnach bezüglich der Zivilklägerstellung zwei Phasen zu unterscheiden, nämlich zum ei- nen das Untersuchungsverfahren und zum anderen das Gerichtsver- fahren. Für die Stellung als Geschädigter im Rahmen des Untersu- chungsverfahrens ist unerheblich, ob im Ermittlungs- oder Untersu- chungsverfahren ein Schaden beweisbar oder nachgewiesen ist. Wer 2006 Obergericht 64 mutmasslich zivilrechtliche Ansprüche vor dem Strafrichter stellen wird, soll in der Strafuntersuchung Einwirkungsrechte ausüben dür- fen. Indessen soll nur dem unmittelbar Verletzten die Möglichkeit ge- boten werden, dazu beizutragen, dass der Täter für die ihm zugefügte Unbill der gesetzlichen Strafe zugeführt und das Unrecht so gesühnt wird, weshalb nur diesem im Untersuchungsverfahren strafprozes- suale Parteirechte zugestanden werden. In diesem Sinne ist zwischen dem "unmittelbar" Geschädigten und dem lediglich zur Erhebung einer Adhäsionsklage befugten "mit- telbar" Geschädigten zu unterscheiden. Die Befugnis des mittelbar Geschädigten setzt die Existenz einer tatbestandlich verletzten und daher unmittelbar geschädigten Person voraus, an deren Stelle der in ihre Rechte eingetretene bzw. kraft eines besonderen Rechtsverhält- nisses von einer strafbaren Handlung mitbetroffene "mittelbare" Ge- schädigte die Adhäsionsklage erheben kann (ZR 1975 [74] Nr. 47, S. 91). Die aargauische StPO unterscheidet denn auch zwischen "Verletztem" und "Geschädigtem" (vgl. § 56 Abs. 1 Ziff. 3 StPO). Verletzter einer Straftat ist der Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes (was nicht immer einen privatrechtlichen Anspruch auslösen muss [etwa wenn ein Delikt im Versuchsstadium stecken bleibt]). Geschädigter ist, wer einen Vermögensschaden erlitten hat. Conrad (a.a.O., S. 103 f.) folgert aus der separaten Erwähnung des Geschädigten in der Strafprozessordnung, dass nicht nur derjenige, in dessen Rechtsgut die strafbare Handlung unmittelbar eingegriffen hat, zur Adhäsionsklage legitimiert ist, sondern jeder, der mit der strafbaren Tat einen konnexen Anspruch hat bzw. zu haben be- hauptet, also zum Beispiel auch der Schadenversicherer, der den Verletzten befriedigt habe (wobei er auf Art. 72 VVG verweist), oder der Zessionar. Conrad (a.a.O., S. 105) verweist dabei auch auf einen veröffentlichten Entscheid des Obergerichts (AGVE 1963, Nr. 51, S. 183 f.). Darin wird ebenfalls auf die gesetzliche Unterscheidung von Verletztem und Geschädigtem gemäss § 56 StPO verwiesen. Die adhäsionsweise Verfolgung von Zivilansprüchen könne nicht nur dem Träger des durch den angewendeten Straftatbestand geschützten Rechtsguts allein offen stehen. Als Geschädigter sei jedermann zur Zivilklage zuzulassen, der gegen den Angeklagten privatrechtliche 2006 Strafprozessrecht 65 Ansprüche aus einer dem Schuldspruch zugrunde liegenden Hand- lung zu haben behaupte. Im vom Verurteilten zitierten nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Bundesgerichtsentscheid (1P.620/2001) ist zwar er- wähnt, dass mittelbare Beeinträchtigungen nicht ausreichend seien, um sich als Zivilkläger zu konstituieren, und subrogierte Ansprüche (vom Adhäsionsverfahren) ebenso ausgeschlossen seien. Indessen wird weiter auch ausgeführt, ausgenommen seien Fälle, in welchen dies die kantonale Gesetzgebung ausdrücklich zulasse (E. 2.1). Zwar besteht im aargauischen Recht keine entsprechende Bestimmung, indessen ist die Zulassung von Versicherungen als Zivilkläger in Ad- häsionsprozessen zufolge Rückgriffs im Kanton Aargau als richterli- ches Recht für die Gerichte ebenfalls bindend (vgl. zur Anerkennung des Richterrechts als Rechtsquelle: Häfelin/Müller, Grundriss des all- gemeinen Verwaltungsrechts, 4. Auflage, Zürich 2002, N 208 ff.). (...) 3.3. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass Lehre und Recht- sprechung auch mittelbar Geschädigte als Zivilkläger zulassen und im Aargau eine entsprechende Praxis besteht, welche bereits im er- wähnten AGVE aus dem Jahr 1963 veröffentlicht worden ist. Conrad erwähnt weitere Entscheide (a.a.O., S. 103, Anm. 8), und schliesslich sei auf das vom AVA im vorinstanzlichen Verfahren eingereichte Ur- teil des Obergerichts vom 15. Februar 2001 verwiesen (vgl. act. 343 ff.). Die AGVA ist dementsprechend im vorliegenden Verfahren als Zivilklägerin zuzulassen. Entgegen dem vorinstanzlichen Rubrum ist aber festzuhalten, dass die Zivilklägereigenschaft der AGVA zu- kommt, welche gemäss § 1 Abs. 1 GebVG eine juristische Person des kantonalen öffentlichen Rechts ist. 4. Gemäss § 165 Abs. 1 StPO ist im Adhäsionsurteil (nur) über "privatrechtliche" Ansprüche zu entscheiden. Der Adhäsionsprozess ist ein dem Strafverfahren angeschlossener Zivilprozess (Conrad a.a.O., S. 37). Zu prüfen ist somit, ob der Anspruch der AGVA auf dem öffentlichen oder dem Privatrecht gründet. 2006 Obergericht 66 4.1. Gemäss § 1 Abs. 1 GebVG handelt es sich bei der AGVA um eine juristische Person des kantonalen öffentlichen Rechtes. Das Rechtsverhältnis zwischen öffentlichrechtlicher Anstalt und deren Benützern (Innenverhältnis) kann grundsätzlich dem privaten oder dem öffentlichen Recht unterstehen (Häfelin/Müller a.a.O., N 1327; Reto Arpagaus, Die selbständigen öffentlichen Anstalten des Kantons Aargau, Aarau 1968, S. 78 ff.). Das Benützungsverhältnis der AGVA im Besonderen untersteht dem öffentlichen Recht (Arpagaus a.a.O., S. 96 ff.). Öffentlichrechtliche Anstalten können sich (im Aussenver- hältnis) des Privatrechts bedienen, indem sie z.B. gemäss den Be- stimmungen des Obligationenrechts Kaufverträge abschliessen und Aufträge oder Werkverträge vergeben (Häfelin/Haller, Schweizeri- sches Bundesstaatsrecht, 6. Auflage, Zürich 2005, N 276). Das Rückgriffsrecht der kantonalen Brandversicherungsanstal- ten fällt gemäss ständiger Rechtsprechung unter das Bun- des(privat)recht (Art. 51 Abs. 2 OR). Dies wird damit begründet, dass der Versicherte eine Prämie bezahlt und somit ein Verhältnis wie dasjenige im Privatversicherungsrecht besteht. Es liegt bei diesem Verhältnis keine Sozialversicherung vor, denn die Prämie wird risikogerecht berechnet und vom Versicherten allein getragen. Bei Fehlen eines speziellen Bundesgesetzes kommt Art. 51 Abs. 2 OR zur Anwendung. Somit ist die Stellung der kantonalen Anstalt derjenigen eines Privatversicherers, also aus Vertrag Haftenden, gleichzustellen. Die kantonalen Anstalten sind zwar dem VVG (Versicherungsvertragsgesetz) nicht unterstellt, so dass positivrecht- lich Art. 72 VVG hier nicht anwendbar ist. Im Ergebnis ändert dies aber nichts, da die Rechtsprechung die Tragweite dieser Bestimmung mit derjenigen von Art. 51 Abs. 2 OR harmonisiert hat (Roland Brehm in: Berner Kommentar, Obligationenrecht, Die Entstehung durch unerlaubte Handlungen, Art. 41-61 OR, 3. Auflage, Bern 2006, N 71 zu Art. 51, des Weiteren auch N 15). Art. 51 OR ist anwendbar ohne Rücksicht darauf, wie das kantonale Recht die Subrogation der Anstalt in die Schadenersatzansprüche des Geschädigten gegenüber dem Schädiger regelt; durch eine kantonale Subrogationsbestimmung kann das Rückgriffsrecht aus Art. 51 OR nicht zugunsten kantonaler 2006 Strafprozessrecht 67 Versicherungsanstalten und zuungunsten des Schädigers abgeändert werden (BGE 50 II 186; BGE 77 II 243; BGE 96 II 172). 4.2. Vorliegend steht nicht ein Anspruch zwischen der AGVA und ei- nem ihrer Versicherten im Streit, sondern es geht um einen Anspruch aus dem Aussenverhältnis, indem die AGVA, welche die Versiche- rungsforderungen eines Versicherten befriedigt hat, sich am - bezüg- lich des Schadens zur AGVA in keiner rechtlichen Beziehung stehen- den - Schädiger schadlos halten will. Wie in der Berufungsantwort (S. 4) richtig ausgeführt wird, ist die AGVA nicht berechtigt, gegen- über Dritten, mit denen keine öffentlich-rechtlichen Beziehungen be- stehen, hoheitlich aufzutreten. Gemäss § 51 GebVG besteht für die AGVA ein Rückgriffsrecht auf die Fehlbaren für die bezahlten Entschädigungssummen, deren Zins sowie für die Kosten der Abschätzung. Wie oben dargelegt wurde, ist aber unabhängig von einer kantonalen Vorschrift Art. 51 OR und damit Bundeszivilrecht anwendbar. Es kann daher dahinge- stellt bleiben, ob die erwähnte kantonale Bestimmung die Ersatz- forderung des Geschädigten gegen den Schädiger von Gesetzes wegen auf die zahlende Brandversicherungsanstalt übergehen lassen will oder nur ein Rückgriffsrecht vorsieht, wie es Art. 51 OR schon von Bundesrechts wegen gewährt (vgl. auch BGE 96 II 172 E. 1). Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass es dabei entgegen den Ausführungen in der Berufung (S. 7) nicht um eine analoge Anwendung von Privatrecht geht, sondern dass dieses direkt zur An- wendung kommt. Die Stellung der AGVA ist im konkreten Fall derjenigen eines Privatversicherers gleichzustellen.
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AG_HG
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AG_HG_001_AGVE-2006-15_2006-08-02
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