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https://de.wikipedia.org/wiki/Eppstein
Eppstein
Eppstein ist eine Stadt mit  Einwohnern () im südhessischen Main-Taunus-Kreis. Der Verwaltungssitz befindet sich im Stadtteil Vockenhausen. Geografie Geografische Lage Eppstein liegt westlich von Frankfurt am Main und etwa 15 km nordöstlich der Landeshauptstadt Wiesbaden im Vordertaunus, umgeben von Bergen. Der Kernort schmiegt sich (ebenso wie der Stadtteil Vockenhausen) im Wesentlichen an die Ausläufer des Berges Rossert () im Norden, zudem an den Staufen () im Osten und den Judenkopf () im Süden. Dazwischen verläuft der Schwarzbach, der entsteht aus der Vereinigung des Daisbachs, der aus Richtung Westen heranfließt zwischen den Ortsteilen Bremthal und Niederjosbach, mit dem Dattenbach, der aus Richtung Norden erst Ehlhalten und dann Vockenhausen durchquert. Im Osten fließt der Fischbach aus Richtung des gleichnamigen Orts zu. Bremthal liegt auf eine nordwestlichen Nebenkuppe des Judenkopfs, Niederjosbach am südlichen Fuß des Hammersbergs (), der bereits Teil der Taunushauptkammlinie ist, ebenso wie die Ehlhalten umrahmenden Berge Großer Lindenkopf () im Nordwesten und Butznickel () im Norden nebst Spitzeberg () im Nordwesten und Atzelberg () im Westen, zwischen denen der Silberbach dem Dattenbach zufließt. Geologie Die Region ist geprägt durch den Eppsteiner Schiefer, schwach metamorphe Gesteine wie Phyllite, Grünschiefer und Serizit-Gneise. Sie sind durch Chlorit und Epidot grünlich gefärbt. Ausgangsprodukte dieser Gesteine waren Tonsteine und Vulkanite. Erdbeben Am 29. Juni 2010 ereignete sich um 2:42 Uhr ein Erdbeben in etwa fünf Kilometern Tiefe mit einer Stärke von 3,5. Klima Der Jahresniederschlag beträgt 721 mm, was in etwa dem deutschlandweiten Durchschnitt entspricht. Der trockenste Monat ist der April, die meisten Niederschläge fallen im Juni. Die Niederschläge variieren nur minimal und sind extrem gleichmäßig übers Jahr verteilt. An nur 1 % der Messstationen werden niedrigere jahreszeitliche Schwankungen registriert. Nachbargemeinden Eppstein grenzt im Nordwesten an den Ortsteil Oberjosbach der Gemeinde Niedernhausen (Rheingau-Taunus-Kreis), im Norden an den Ortsteil Schloßborn der Gemeinde Glashütten (Hochtaunuskreis), im Osten an die Stadtteile Eppenhain und Fischbach von Kelkheim, im Süden an die Stadtteile Lorsbach und Wildsachsen von Hofheim am Taunus, sowie im Westen an die Landeshauptstadt Wiesbaden mit den beiden Ortsbezirken Auringen und Naurod. Stadtgliederung Eppstein besteht aus fünf Stadtteilen: Eppstein, Bremthal, Ehlhalten, Niederjosbach sowie Vockenhausen. Für jeden der Stadtteile besteht ein Ortsbezirk mit Ortsbeirat und Ortsvorsteher. Die Grenzen der Ortsbezirke folgen den seitherigen Gemarkungsgrenzen. Geschichte Überblick Eine erste urkundliche Erwähnung der Burg Eppstein stammt aus dem Jahre 1122. Deren Besitzer, die Herren von Eppstein, waren es auch, die den Ort begründeten (Ersterwähnung 1299). Nur knapp 20 Jahre später wurden Alt-Eppstein bereits die Stadtrechte zugesprochen. Die eine Hälfte von Eppstein wurde schon 1492 an den hessischen Landgrafen verkauft, die andere Hälfte mit den Orten Bremthal, Ehlhalten, Niederjosbach und Vockenhausen fiel mit dem Aussterben der Linie der Eppsteiner 1535 erst an die Grafen zu Stolberg und schließlich 1581 an Kurmainz. Die hessische Hälfte gelangte durch Erbteilung 1567 an die Linie Hessen-Marburg und nach deren Aussterben im Jahr 1604 an die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Diese Spaltung in zwei unterschiedliche Herrschaftsbereiche blieb einige Jahrhunderte lang bestehen bis zum Jahr 1803, als durch den Reichsdeputationshauptschluss alle geistlichen Staaten in Deutschland aufgelöst wurden. Von nun an konnten sich die heutigen Eppsteiner Stadtteile wieder in gleicher Weise entwickeln. Sie gelangten zunächst an die Grafschaft Nassau-Usingen, die 1806 zum Herzogtum Nassau erhoben wurde, und dann 1866 an das Königreich Preußen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wurden sie Bestandteil des Landes Hessen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Im Januar 1951 wurde der Gemeinde Eppstein durch das Hessische Staatsministerium das Recht zur Führung der Bezeichnung „Stadt“ verliehen. Eingemeindungen Im Zuge der Gebietsreform in Hessen schloss sich die Stadt Eppstein am 1. Januar 1977 mit den bis dahin selbstständigen Gemeinden Bremthal, Ehlhalten und Vockenhausen zur neuen Stadt Eppstein zusammen. Niederjosbach war schon 1971 zu Bremthal eingemeindet worden und wurde dadurch am 1. Januar 1977 auch ein Ortsteil von Eppstein. Politik Stadtverordnetenversammlung Die Kommunalwahl am 12. März 2021 lieferte folgendes Ergebnis, in Vergleich gesetzt zu früheren Kommunalwahlen: Bürgermeister Nach der hessischen Kommunalverfassung wird der Bürgermeister für eine sechsjährige Amtszeit gewählt, seit 1993 in einer Direktwahl, und ist Vorsitzender des Magistrats, dem in der Stadt Eppstein neben dem Bürgermeister der hauptamtliche Erste Stadtrat sowie zehn weitere ehrenamtliche Stadträte angehören. Bürgermeister ist seit 14. November 2013 Alexander Simon (CDU). Er wurde am 22. September 2013 im ersten Wahlgang bei 77,1 Prozent Wahlbeteiligung mit 55,1 Prozent der Stimmen als Nachfolger von Peter Reus gewählt, der nicht mehr kandidiert hatte. Bei der Bürgermeisterwahl am 26. Mai 2019 wurde Simon mit 70,9 Prozent für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt. Bisherige Bürgermeister 2013–2025: Alexander Simon (CDU) 2009–2013: Peter Reus (parteilos) 2000–2009: Ralf Wolter (CDU) 1968–2000: Richard Hofmann (CDU) Wappen Flagge Die Flagge wurde am 13. April 1955 durch das Hessische Innenministerium genehmigt. Flaggenbeschreibung: „Im weißen, von 2 roten Streifen eingefaßten Feld steht das Eppsteiner Stadtwappen, das im gespaltenen Schild vorne in Blau den linksgekehrten rot-weiß-gestreiften steigenden Löwen und hinten im silbernen Feld 3 rote Sparren zeigt.“ Städtepartnerschaften Partnerstädte sind: Langeais in Frankreich (seit 1986), Kenilworth in England (seit 1994), sowie Aizkraukle in Lettland (seit 1998). Mit Schwarza in Thüringen ist Eppstein seit 1989 befreundet. Die Städtepartnerschaften werden von dem Verein Europart Eppstein e. V. betreut. Kultur und Sehenswürdigkeiten Von 1979 bis 2003 gab es in Eppstein das Raule Automobilmuseum. Vereine Die TSG Eppstein ist der größte Verein im Stadtgebiet. Dort wird besonders Handball intensiv betrieben. Daneben gibt es die Abteilungen Leichtathletik, Rasenkraftsport, Boule, Tischtennis, Triathlon sowie Turnen und Fitness. Die Eppsteiner Schachvereinigung spielte 2000–2013 in der höchsten hessischen Spielklasse, der Hessenliga, und belegte dort in der Saison 2003/04 und 2008/09 jeweils den 2. Platz. In Bremthal gibt es mehrere Vereine, beispielsweise den Gesangverein Germania, den Gesangverein Liederkranz, den Verein der Kleintierzüchter, den Förderverein der Freiwilligen Feuerwehr und den Schützenverein SV Bremthal/Niederjosbach 1973 e. V. Im Mai 2010 wurde in Eppstein ein Lions Club gegründet. Weitere Vereine, die sich für soziale Zwecke einsetzen, sind Miteinander/Füreinander und die Bürgerstiftung. Eine Ortsvereinigung des Deutschen Roten Kreuzes hat ihr Domizil in der Vockenhäuser Hauptstraße. Das DRK unterhält in der Burgstraße einen Second-Hand-Laden. Im kulturellen Bereich sind Vereine wie der Kulturkreis, die Burgschauspieler und die Musikschule Eppstein-Rossert aktiv. Regelmäßige Veranstaltungen Seit 1986 richtet die TSG Eppstein immer im Juni oder Juli den „Eppsteiner Burglauf“ aus. Dieser führt über eine Altdeutsche Meile (7,7 km) vom Sportplatz „Am Bienroth“ um die Burg herum durch die Altstadt und wieder hinauf zum Sportplatz. Die Läufer müssen dabei mehrere hundert Höhenmeter überwinden. Von 2002 bis 2014 fand im Sommer ein Mountain-Bike-Marathonrennen (Taunus-Trails bzw. EppsteinTrails) für jedermann statt. Alle drei Jahre organisiert ein Arbeitskreis des Kulturkreises Eppstein ein Holzbildhauersymposium. Das vierte Symposium findet im Mai 2009 statt. Acht bis neun ausgewählte Künstler arbeiten dann eine Woche lang an Kunstwerken, aufmerksam und interessiert beobachtet von Besuchern. Das Ganze findet an der Grünanlage zwischen Eppstein und Niederjosbach statt. Die Foto-Gruppe Eppstein, ein Treff innerhalb des Kulturkreises Eppstein, richtet alle zwei Jahre die Eppsteiner Fototage aus. Auf der Burg gibt es regelmäßige Veranstaltungen, zum Beispiel im Sommer die Burgfestspiele. Im Innenhof der Burg präsentieren dabei Schauspielgruppen Freilufttheater mit Werken bekannter Klassiker, aber auch Neuinszenierungen. Stets am dritten Advent (Samstag und Sonntag) findet in der Altstadt, zu Füßen der Burg, der traditionelle Eppsteiner Weihnachtsmarkt statt. Film Der Fernsehfilm Klassentreffen (2004) wurde unter anderem in Eppstein gedreht. Bauwerke Die Ruine der Burg Eppstein prägt den Altstadtkern Eppsteins. Vom 1894 errichteten Kaisertempel aus hat man einen lohnenden Blick über Eppstein bis hinauf nach Bremthal. Zu Füßen der Burg inmitten der historischen Altstadt liegt die Talkirche. Sie beherbergt heute die evangelische Gemeinde der Stadtteile Alt-Eppstein und Vockenhausen. Das hundertjährige Bahnhofsgebäude im Jugendstil wurde komplett renoviert und wird seither von der Stadt als Bürgerbüro genutzt. Es beherbergt außerdem ein Restaurant. Hinter dem Bahnhofsgebäude befindet sich der Neufville-Turm. Von dort hat man einen schönen Blick auf die Burganlage. Alter Friedhof Der Alte Friedhof, ursprünglich außerhalb der Stadt gelegen, ist heute eine kleine Grünanlage, die einige historische Grabsteine aufweist. Weiterhin ist das Kriegerdenkmal für die Gefallenen im Ersten Weltkrieg in die Anlage integriert. Der Friedhof wurde 1591 bis 1891 als Friedhof genutzt. Die heutige Gestaltung stammt aus dem Jahr 1985. Das älteste Kreuz datiert aus dem Jahr 1591/92. Das vordere Kreuz soll ein Sühnekreuz für eine überstandene Pest 1635 darstellen. Jedoch wird heute davon ausgegangen, dass es älter ist als der Friedhof und anlässlich eines Totschlags gestiftet wurde. Im Vordergrund der Anlage befindet sich ein eiserner Brunnen. Auf dem Friedhof erinnert ein Kreuz an das Grab von Pfarrer Jacob Ludwig Fliedner (1764–1813), Vater von Georg Heinrich Theodor Fliedner. Wirtschaft und Infrastruktur Bildung In Eppstein gibt es zwei Grundschulen und eine Gesamtschule. Außerdem sind hier die Sparkassenakademie Hessen-Thüringen und die Berufsgenossenschaftliche Bildungsstätte Eppstein ansässig. Des Weiteren bieten die Musikschule Eppstein-Rossert und der Musikverein Eppstein e. V. musikalische Schulung an diversen Instrumenten. Grundschulen In Eppstein-Vockenhausen, auf dem Schul- und Sportzentrum am Bienroth liegt die Burg-Schule. 275 Schüler, verteilt auf 14 Klassen der Jahrgangsstufen 1 bis 4, besuchen die Burg-Schule. Das Kollegium besteht aus 17 Lehrerinnen und Lehrern (Stand Schuljahr 2017/2018). Eine weitere Grundschule, die Comenius-Schule, liegt am Ortsausgang des Stadtteils Bremthal in Richtung Niederjosbach. Freiherr-vom-Stein-Schule Auf dem Sport- und Schulzentrum am Bienroth befindet sich die Freiherr-vom-Stein-Schule. 490 Schüler, verteilt auf Gymnasium, Realschule und Hauptschule, besuchen die Gesamtschule in sechs Jahrgangsstufen – von der fünften bis zur zehnten Klasse. Besonderheit der Schule sind die jährlich stattfindenden Schüleraustausche mit der Partnerstadt Kenilworth (England) und einer Schule in Tours (Frankreich). Alle zwei Jahre veranstaltet die Schule außerdem einen Austausch mit dem Bornova Anadolu Lisesi in Izmir (Türkei). Auf die Schule wurde am 3. Juni 1983 ein Anschlag verübt. Ein Frankfurter Wachmann drang in einem Amoklauf bewaffnet in die Schule ein, verletzte vierzehn Personen schwer und tötete fünf weitere. Im Anschluss daran beging der Täter Suizid. Ein Gedenkkreuz auf dem Gelände der Schule erinnert an die Tat. Verkehr Öffentlicher Personennahverkehr Der Bahnhof Eppstein liegt an der Main-Lahn-Bahn. Hier besteht Anschluss an die S-Bahnen der Linie S2 nach Dietzenbach über Frankfurt oder nach Niedernhausen. Darüber hinaus verkehren Omnibusse der RMV-Linien 263, 805, 815 und 816. Individualverkehr Am westlichen Rand der Ortsgemarkung befindet sich die Anschlussstelle Wiesbaden / Niedernhausen der A 3. Von hier führt die B 455 vorbei an Bremthal, durch den Ortskern hindurch, und von dort weiter gen Kelkheim und Königstein. In Nord-Süd-Richtung durchquert die Landstraße L 3011, von Esch und Heftrich kommend, Ehlhalten, Vockenhausen sowie den Ortskern, von wo sie weiterführt nach Lorsbach. Der Flughafen Frankfurt Main ist ca. 20 km vom Stadtzentrum Eppsteins entfernt. Medizinische Versorgung In Eppstein existiert eine therapeutische Einrichtung für Drogen- und mehrfachabhängige Frauen und Männer. Über ein eigenes Krankenhaus verfügt Eppstein nicht mehr; bis zum 20. März 1970 gab es ein Kreiskrankenhaus mit zuletzt etwa 250 Betten. Die medizinische Versorgung wird durch die Kliniken des Main-Taunus-Kreises in Bad Soden und Hofheim gesichert. Darüber hinaus gibt es niedergelassene Ärzte fast aller Fachrichtungen. Unternehmen Einer der größten Arbeitgeber der Stadt ist die Firma A. M. Ramp & Co. GmbH, RUCO Druckfarben. Gegründet bereits 1857, ist das Unternehmen heute ein weltweit operierender Hersteller von Spezialdruckfarben für die Kunststoff-, Druck- und Papierindustrie. Stanniolfabrik Eppstein ist eine der wenigen Städte, in denen Stanniol hergestellt wird. Die Stanniolfabrik Eppstein GmbH & Co KG firmiert seit 2008 nach einem Management-Buy-out als EppsteinFOILS GmbH & Co. KG. Sie befindet sich im Ortsteil Eppstein unterhalb der Burg. Bis 2013 wurde Lametta aus Stanniol hergestellt. Neben Stanniol produziert das Unternehmen auch andere NE-Metallfolien für hochspezialisierte Anwendungen in aller Welt. Unter anderem lieferte das Unternehmen Bleifolie, die in der US-Sendung Mythbusters verwendet wurde, um einen flugfähigen Ballon komplett aus Blei herzustellen. Das Unternehmen wurde 1852 als Bleifolienzieherei von Conrad Sachs gegründet und hatte seinen Sitz ursprünglich in der Hintergasse. 1870 wurde der heutige Standort bezogen. Hier befand sich seit 1482 die Bannmühle der Eppsteiner Grafen. Das Kontorgebäude wurde 1904 vom Architekten Carl Wilhelm Plöcker erbaut. Persönlichkeiten Söhne und Töchter der Stadt Johann Kitzel (1574–1627), Mathematiker und Rechtswissenschaftler Johann Adam Freiherr von Ickstatt (1702–1776), Direktor der Universität Ingolstadt, Gründer des bayerischen Realschulwesens Theodor Fliedner (1800–1864), Pfarrer und Erneuerer des apostolischen Diakonissenamtes Alfred Bickel (1918–1999), Schweizer Fußballspieler und -trainer Hermann Schmitt-Vockenhausen (1923–1979), deutscher Politiker (SPD), MdB, Bundestagsvizepräsident Christine Aschenberg-Dugnus (* 1959), Politikerin (FDP) Martin Müller (* 1969), Wirtschaftswissenschaftler Johannes Schedl (* 1980), Schauspieler Bekannte Bewohner Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847), Musiker Alfred de Neufville (1856–1900), Bankier Wilhelm Reuter (1888–1948), Pfarrer und Mundartdichter Robert Michel (1897–1983), Typograf, Grafiker und Testpilot Ella Bergmann-Michel (1895–1971), Malerin, Fotografin und Dokumentarfilmerin Alois Ickstadt (* 1930), Komponist, Dirigent, Pianist, Chorleiter, Musikpädagoge Gerhard Schedl (1957–2000), Komponist, Gitarrist und Violinist Frank Stieler (* 1958), deutscher Manager Andreas Paulus (* 1968), Völkerrechtler und Richter des Bundesverfassungsgerichts. Christian Heinz (* 1976), Mitglied des Hessischen Landtags Literatur Alexandre Dumas: Le château d’Eppstein. Erstausgabe 1844; Neuausgabe 2013: Hachette, Paris, ISBN 978-2011855930. Bertold Picard: Eppstein im Taunus. Geschichte der Burg, der Herren und der Stadt. Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1968. Bertold Picard: Burg Eppstein im Taunus, mittelalterlich Wehranlage, Residenz der Herren von Eppstein, Stätte der Romantik. 2., veränderte Auflage. Magistrat der Stadt, Eppstein 1986. Bertold Picard: 1000 Jahre Burg Eppstein. Burg- und Museumsführer. Magistrat der Stadt, Eppstein 2002. Regina Schäfer: Die Herren von Eppstein. Herrschaftsausübung, Verwaltung und Besitz eines Hochadelsgeschlechts im Spätmittelalter. Historische Kommission für Nassau, Wiesbaden 2000, ISBN 978-3-930221-08-0. Weblinks Offizielle Webpräsenz der Stadt Eppstein Verschönerungsverein Eppstein Einzelnachweise Ort im Main-Taunus-Kreis Ehemaliger Residenzort in Hessen Stadt in Hessen Stadtrechtsverleihung im 14. Jahrhundert Ersterwähnung 1299
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https://de.wikipedia.org/wiki/Verwitterung
Verwitterung
Verwitterung bezeichnet in den Geowissenschaften die natürliche Zersetzung von Gestein infolge dessen exponierter Lage an oder nahe der Erdoberfläche. Dabei spielen mehrere Prozesse zusammen, die eine physikalische Zerstörung und/oder die chemische Veränderung des Gesteins – abiotisch oder biotisch verursacht – herbeiführen. Je nach Art der Verwitterung bleiben die gesteinsbildenden Minerale erhalten (physikalische Verwitterung) oder werden aufgelöst oder umgewandelt (chemische Verwitterung). Einführung Allgemeines Die Gestalt der Erdoberfläche wird sowohl von Prozessen innerhalb und unterhalb der Erdkruste geformt (endogene Faktoren) als auch von Prozessen, die an oder nahe der Oberfläche wirken und zu einem Großteil von den jeweils herrschenden klimatischen Bedingungen abhängen (exogene Faktoren). Die wichtigsten endogenen Faktoren sind Vulkanismus und Tektonik. Die Verwitterung gehört zusammen mit Erosion sowie Sedimenttransport und -ablagerung zu den exogenen Faktoren (siehe auch Kreislauf der Gesteine). Die Verwitterung wirkt dabei nicht für sich alleine, sondern ist, insbesondere in hochgelegenem Gelände mit steilen Hängen, oft das erste Glied einer Kette exogener Prozesse. So sorgt eine hohe Reliefenergie dafür, dass Verwitterungsprodukte zügig erodiert und an einer Stelle mit geringerer Reliefenergie wieder als Sediment abgelagert werden. Ebenes Gelände kann zwar auch von Erosion betroffen sein (vgl. Rumpffläche), jedoch ist sie dort wesentlich weniger effektiv. Deshalb können dort die Produkte der Gesteinsverwitterung lockere Oberflächenschichten bilden, die als Regolith bezeichnet werden. Der Regolith geht zur Tiefe in das unveränderte Gestein über, das allgemein als anstehendes Gestein (kurz das Anstehende) bezeichnet wird. Die Bodenkunde spricht hierbei vom C-Horizont. Bei den Verwitterungsprozessen wird üblicherweise grob unterschieden in: Physikalische Prozesse – zumeist die mechanische Schwächung oder Zerstörung des Gesteinsverbandes infolge einer Volumenzunahme von einzelnen Komponenten desselben, die verschiedene Ursachen haben kann. Chemische Prozesse – Zersetzung einzelner oder aller Komponenten des Gesteinsverbandes. Biogene Prozesse – gesteinsschwächende Auswirkungen der Aktivität von Lebewesen. Eine scharfe Trennung zwischen diesen drei Verwitterungsformen, die jeweils weiter untergliedert werden können, ist nicht immer möglich. So ist die biogene Verwitterung durch Pflanzen teils physikalischer (Turgordruck), teils chemischer Natur (Ätzwirkung). Außerdem setzt die Wirksamkeit einer Verwitterungsform häufig andere vorher angreifende Verwitterungsformen voraus: Chemische Verwitterung ist effektiver in einem durch physikalische Prozesse (die allerdings auch endogen sein können) bereits stark zerrütteten Gesteinskörper. An von Gletschereis glatt polierten Gesteinsoberflächen zeigen sich hingegen auch nach Jahrtausenden oft keine nennenswerten Anzeichen chemischer Verwitterung. Synonyme und Begriffsabgrenzung Nicht nur natürlich anstehende Gesteine sind Verwitterungsprozessen unterworfen, sondern auch Bau- und Kunstwerke aus Naturstein. In letztgenanntem Fall wird auch populär von Steinfraß gesprochen. Allgemeinsprachlich wird unter „Verwittern“ die natürliche Zersetzung von Materialien, die dem direkten Einfluss der Witterung ausgesetzt sind, verstanden. Dies betrifft neben Gestein auch organische Materialien wie Holz sowie metallische Werkstoffe, Glas, Keramik und Kunststoffe. Bei organischen Materialien fällt diese Form der „Verwitterung“ unter den Oberbegriff Verrottung, bei Metallen, Glas, Keramik und Kunststoffen unter den Oberbegriff Korrosion. Bei Glas ist die sprachliche Nähe der Glaskorrosion zur Verwitterung besonders offensichtlich, da die aus sekundären Korrosionsprodukten bestehenden Krusten auf umweltgeschädigten Gläsern, beispielsweise bei gotischen Buntglasfenstern, von den Restauratoren als Wetterstein bezeichnet werden. Verrottung und Gesteinsverwitterung sind die wichtigsten Prozesse der Bodenbildung. Physikalische Verwitterung Physikalische Verwitterung (auch physische oder mechanische Verwitterung) ist ein breiter Begriff, der mehrere recht verschiedene physikalische Prozesse einschließt. Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie alle das harte, massive anstehende Gestein in Fragmente zerlegen, deren Größe von großen Blöcken bis zu feinem Sand und Schluff reichen kann. Da dies auch durch die reibende und zermalmende Wirkung der Arbeit von Flüssen, Wellen und Strömungen, Wind und Gletschereis passiert, werden auch diese Prozesse bisweilen der physikalischen Verwitterung zugeordnet. Weil es sich dabei aber um externe mechanische Einwirkungen handelt, sollte dabei eher von Erosion statt von Verwitterung gesprochen werden. Frostverwitterung Die Frostverwitterung (auch Frostsprengung) wird durch die Volumenausdehnung gefrierenden, im Poren- und Kluftraum befindlichen Wassers hervorgerufen und gehört zu den wichtigsten Prozessen der physikalischen Verwitterung. Entsprechend ist ihr Auftreten auf Gebiete mit kalten Wintern beschränkt, d. h., auf höhere geographische Breiten (Polargebiete und kaltgemäßigtes Klima) sowie die nivale Höhenstufe in Gebirgsregionen. Bei der Frostsprengung kann ein Druck von über 200 MPa auftreten. Bei −5 °C beträgt der Druck 50 MPa. Bei −22 °C ist mit 211,5 MPa das Druckmaximum erreicht. Dabei kommt es zu einer Volumenzunahme von bis zu 9 %. Bei noch höherem Druck geht das Eis in eine andere, weniger Raum beanspruchende Form über. Nahezu überall ist das anstehende Gestein von Spalten durchzogen, den sogenannten Klüften. Erstarrungsgesteine sind nur selten frei von Klüften, durch die das Wasser ins Innere des Gesteins gelangen kann (Spaltenfrost). In Sedimentgesteinen bilden die Schichtflächen eine natürliche Serie von Ebenen relativ geringer Widerständigkeit im Gestein; die Schichtflächen und die Klüfte kreuzen sich im rechten Winkel zueinander. Vergleichsweise geringe Kräfte genügen, um von Klüften und Schichtflächen begrenzte Blöcke aus dem anstehenden Gesteinsverband zu trennen, während viel mehr Kraft vonnöten ist, um im festen anstehenden Gestein neue, frische Spalten zu erzeugen. Der Prozess der Abtrennung von Blöcken aus dem Anstehenden heißt Blockzerfall. Wenn grobkörniges Erstarrungsgestein durch chemische Zersetzung geschwächt wird, kann Wasser längs der Grenzflächen zwischen den Mineralkörnern in das Gestein eindringen; hier kann das Wasser gefrieren und durch den starken Druck der dabei auftretenden Volumenvergrößerung die Mineralkörner voneinander trennen. Dieser Prozess wird körniger Zerfall genannt. Das dabei entstehende Produkt ist ein Feinkies oder grober Sand, in dem jedes Korn aus einem einzelnen Mineralpartikel besteht, das von seinen Nachbarn längs der ursprünglichen Kristall- oder Korngrenze getrennt worden ist. Frostsprengung kann auch in Baustoffen auftreten, die beispielsweise durch eindiffundierte Feuchte mit nachfolgender Kondensation durch Abkühlung unter den Taupunkt, vernässt worden sind. Die Wirkung der Frostverwitterung ist in allen Klimaten zu beobachten, die eine winterliche Jahreszeit mit vielen Frostwechseln besitzen. Wo das anstehende Gestein an Felsen und Berggipfeln entblößt ist, werden Blöcke durch Wasser, das in den Klüften gefriert, von Gestein abgetrennt. Unter besonders günstigen Bedingungen, wie sie an hohen Berggipfeln und in der arktischen Tundra vorkommen, sammeln sich große, kantige Gesteinsbrocken in einer Schuttschicht an, die das darunterliegende anstehende Gestein völlig zudeckt. Der Name Felsenmeer bezeichnet solche ausgedehnten Decken aus groben Gesteinsblöcken. Von Felswänden im Hochgebirge trennt die Frostverwitterung Gesteinsfragmente ab, die zum Fuß der Wand hinunterfallen. Wo die Produktion dieses Schutts mit einer hohen Rate geschieht, sammeln sich die Fragmente am Fuß der Felswände zu Schutthalden an. Frostverwitterung ist ein vorherrschender Prozess in der arktischen Tundra und ein Faktor in der Entwicklung einer großen Vielzahl verschiedener dort vorkommender Bodenstrukturen und Landformen. Salzverwitterung Der Wirkung der Frostverwitterung durch wachsende Eiskristalle sehr ähnlich ist der Effekt des Wachstums von Salzkristallen in Spalten und Poren von Gestein. Dieser Salzsprengung genannte Prozess ist besonders in trockenen Klimaten weit verbreitet. Grundwasser und Porenwasser enthalten gelöste Mineralsalze. In feuchtem porösem Material verdunstet salzhaltiges Porenwasser bereits in den nahe der Oberfläche gelegenen Kapillaren. Sobald durch Entzug des Wassers eine Übersättigung eintritt, bilden sich in diesem Bereich Salzkristalle. Wenn in porösem Gestein beständig salzhaltiges Kapillarwasser nachgeführt wird, kann der Wachstums- oder auch Kristallisationsdruck der Kristalle den körnigen Zerfall der äußeren Gesteinsschale bewirken. Das Auskristallisieren aus übersättigten Lösungen erzeugt eine Druckwirkung von 13 MPa, und das Wachstum der Salzkristalle von 4 MPa. Denselben Prozess kann man auch an Gebäuden beobachten. Streusalz, das im Winter auf Straßen ausgestreut wird, dringt mit dem Spritzwasser in den Sockelbereich ein und kristallisiert dort aus. In schlecht abgedichteten Kellern dringt Bodenfeuchte durch das Mauerwerk und verdunstet an der Oberfläche. Salze aus dem Boden oder dem Mauerwerk selber führen zu Schäden insbesondere an kapillaren und weniger druckfesten Baustoffen wie Sandstein, niedrig gebrannten Mauerziegeln sowie Putz- und Mauermörteln. Die Salzverwitterung ist allgemein typisch für Regionen mit aridem Klima, da die hohen Verdunstungsraten und die geringen Niederschlagsmengen die Konzentration und Ausfällung von Salzen im Porenraum des Gesteins begünstigen. In längeren Trockenperioden wird Wasser aus dem Inneren des Gesteins durch Kapillarkräfte an die Oberfläche gezogen. Unabhängig vom Klima tritt diese Form der Verwitterung vor allem an Felswänden oder am Ufersaum der Meeresküste auf, wo salziges Meerwasser im porösen Gestein aufsteigt und dort verdunstet. Im Gebirge sickert Regenwasser durch durchlässige Gesteinsschichten und nimmt dabei Salze auf. Wenn das Sickerwasser auf dichtere Schichten (Tonschiefer zum Beispiel) trifft, verteilt es sich horizontal und verdunstet an der Oberfläche von tiefer gelegenen Hängen oder Felswänden. Sandsteinfelswände sind für Gesteinszerfall durch Salzsprengung besonders anfällig, siehe Abri. Bei andauernder Verdunstung von einsickerndem Wassers kristallisieren die mitgeführten Salze in den oberflächennahen Poren des Sandsteins. Der Druck der wachsenden Salzkristalle zermürbt den Stein, so dass Wind und Regenwasser die Oberfläche abtragen können. Teilweise bilden sich Nischen oder flache Halbhöhlen wie sie in Deutschland vom Elbsandsteingebirge bekannt sind (Boofen). In den Felsnischensiedlungen (englisch: cliff dwellings) der südwestlichen USA (etwa im Mesa-Verde-Nationalpark) wurden solche Nischen von den ursprünglichen Einwohnern mit Steinmauern geschlossen und als Wohnungen genutzt. Hydrationsverwitterung Unter Hydrationsverwitterung versteht man die Sprengung des ursprünglichen Gesteinsgefüges infolge der Volumenzunahme von Mineralkörnern durch die Einlagerung von Wassermolekülen in das Kristallgitter der entsprechenden Minerale (Hydratation oder Hydration). Die Hydrationsverwitterung darf nicht verwechselt werden mit der Hydrolyse, bei der die Minerale durch chemische Reaktionen mit Wasser-Ionen umgewandelt werden (chemische Verwitterung). Rostverwitterung Rostverwitterung (auch Rostsprengung) kommt nur bei Gesteinen vor, die (nicht-oxische) Eisenerzminerale enthalten. Entsprechende Mineralkörner erfahren bei Kontakt mit meteorischem Wasser eine Volumenzunahme durch Oxidation und damit der Bildung von Eisenoxiden, -hydroxiden, -oxidhydroxiden und -oxidhydraten. Die Volumenzunahme sprengt das ursprüngliche Gesteinsgefüge, wobei die Sprengwirkung sehr ausgedehnte Bereiche eines Gesteinskörpers betreffen kann. In gebirgigen Gegenden kann es infolge von Rostsprengung zu schweren Steinschlägen und auch Lawinen kommen. Rostsprengung zerstört auch häufig steinerne Kulturgüter, da in früheren Zeiten häufig Eisendübel und Eisenanker bei der Installation in Bauwerken eingesetzt wurden. Quelldruckverwitterung Durch quellfähige Tonminerale kommt es beim Wechsel zwischen Durchfeuchtung und Trocknung zu Volumenschwankungen, die den Gesteinsverband zerstören können. Druckentlastungsverwitterung Ein eigentümlicher, weitverbreiteter Prozess, der mit der physikalischen Verwitterung verwandt ist, entsteht durch Druckentlastung: die Reaktion des Gesteins auf die Verminderung vorher vorhandener, den Gesteinskörper einengender Druckkräfte, wenn überlagernde Gesteinsmassen abgetragen werden. Gesteine, die in großer Tiefe unter der Erdoberfläche gebildet wurden (besonders Erstarrungs- und metamorphe Gesteine), befinden sich in einem komprimierten Zustand wegen der Last des sie überlagernden Gesteins. Wenn diese Gesteine an die Oberfläche gelangen, dehnen sie sich etwas aus; dabei brechen Gesteinsschalen von der darunter befindlichen Gesteinsmasse los. Dieser Vorgang wird auch Exfoliation genannt. Die Trennflächen zwischen den Schalen bilden ein System von Spalten, die als Druckentlastungsklüfte bezeichnet werden. Diese Kluftstruktur tritt vornehmlich in massiven, vorher kluftarmen Gesteinen wie Granit auf. In bereits engständig geklüfteten Gesteine würden die Expansion lediglich zu einer Erweiterung der vorhandenen Klüfte führen. Die Gesteinsschalen, die von der Druckentlastung erzeugt werden, liegen oft parallel zur Geländeoberfläche und sind dann zu den Talsohlen hin geneigt. An Granitküsten sind die Schalen seewärts geneigt. Die Druckentlastungsklüftung ist oft in Steinbrüchen zu beobachten, wo sie den Abbau der Gesteinsblöcke erleichtert. Wo sich die Druckentlastungsklüfte über dem Gipfelbereich eines einzelnen großen, massiven Gesteinskörpers entwickelt haben, entsteht eine Exfoliationskuppe (englisch: exfoliation dome). Diese Kuppen gehören zu den größten Landformen, die hauptsächlich durch Verwitterung erzeugt worden sind. In der Region des Yosemite Valley in Kalifornien, wo solche Kuppen eindrucksvoll das Landschaftsbild prägen, besitzen einzelne Gesteinsschalen Dicken von sechs bis 15 Metern. Andere Arten von großen, glatten Felskuppeln ohne solchen Schalenbau sind keine echten Exfoliationskuppen, sondern entstanden durch den körnigen Zerfall der Oberfläche einer einheitlichen Masse eines harten, grobkörnigen intrusiven Erstarrungsgesteins, dem Klüfte fehlen. Beispiele sind der Zuckerhut von Rio de Janeiro und Stone Mountain in Georgia (USA). Diese glatten Bergkuppen ragen in auffälliger Weise über ihrer Umgebung aus weniger widerständigem Gestein auf. Thermische Verwitterung Die thermische Verwitterung (Insolationsverwitterung) zählt zu den physikalischen Verwitterungsarten, wird aber meist als spezielle Kategorie geführt. Sie wird in festen Materialien durch räumliche und zeitliche Temperaturunterschiede und dadurch verursachte Volumenänderungen hervorgerufen. Diese können natürliche Ursachen haben (Sonnenstrahlung, Wind, Frost, Strahlungswetter, Temperaturerhöhung im Erdinnern und Ähnliches) oder auf technische Maßnahmen zurückgehen (Reibung, Alterung/Korrosion, Radioaktivität, Heizung und andere) Chemische Verwitterung Unter der chemischen Verwitterung wird die Gesamtheit all jener Prozesse verstanden, die zur chemischen Veränderung oder vollständigen Lösung von Gesteinen unter dem Einfluss von Niederschlägen und oberflächennahem Grundwasser bzw. Bodenwasser führen. Dabei ändern sich mit dem Mineralbestand meist auch die physikalischen Eigenschaften des Gesteins. Durch das Wasser werden Elemente oder Verbindungen aus den Mineralen gelöst (bis hin zur vollständigen Auflösung) oder im Wasser bereits gelöste Elemente oder Verbindungen in die Minerale neu eingebaut. Weil chemische Verwitterung an Wasser gebunden ist, spielt sie nur in Regionen mit humidem Klima eine bedeutende Rolle. In Regionen mit großem Wasserüberschuss werden die aus dem Gestein gelösten Stoffe oft in Fließgewässern abgeführt und gelangen so letztlich ins Meer. Lösungsverwitterung Die Lösungsverwitterung ist die Lösung von Gesteinen, die vorwiegend aus Mineralen bestehen, die in reinem Wasser löslich sind, z. B. Gips (CaSO4 · 2H2O), Halit (NaCl) oder Sylvin (KCl). Diese Gesteine sind daher in humidem Klima nur selten auf natürliche Weise aufgeschlossen, da sie meist bereits unterhalb der Geländeoberfläche aufgelöst werden. Spezielle Verwitterungserscheinungen der Lösungsverwitterung sind der Salzspiegel und der Gipshut im Dachbereich von Salzstöcken. Da Lösung traditionell zur Chemie gezählt wird, ordnet man die Lösungsverwitterung der chemischen Verwitterung zu. Da sie aber prinzipiell reversibel ist und die chemische Zusammensetzung des Gesteins nicht verändert wird, sondern lediglich die Kristallstruktur zerstört wird, kann sie auch als physikalische Verwitterungsart aufgefasst werden. Kohlensäureverwitterung Calciumcarbonat (CaCO3, Calcit, Aragonit) ist nur sehr schlecht in reinem Wasser löslich. Verbindet sich das Wasser jedoch mit Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft, , bildet sich Kohlensäure. Sie wandelt das Carbonat nach der Reaktionsgleichung in Calciumhydrogencarbonat um, das in Wasser stets vollständig gelöst vorliegt. Dieser Vorgang wird Carbonatisierung genannt, weil ein Salz der Kohlensäure noch einmal mit Kohlensäure reagiert. Aus dem gleichen Grund wird Hydrogencarbonat auch als Bi- oder Doppelcarbonat bezeichnet. CO2 kann in stärkerer Konzentration auch von Bodenlebewesen oder aus der Zersetzung organischer Substanzen stammen (siehe auch chemisch-biotische Verwitterung). Die Reaktion der Kohlensäure mit Karbonatgesteinen (Kalkstein, Dolomit, Karbonatit, Marmor) erzeugt in kleinem Maßstab viele interessante Oberflächenformen. Die Oberfläche entblößten Kalksteins ist typischerweise mit einem komplexen Muster von Pfannen, Rillen, Furchen und anderen Vertiefungen überzogen. An einigen Stellen erreichen sie das Ausmaß tiefer Furchen und hoher, wandartiger Gesteinsrippen, die von Mensch und Tier nicht mehr in normalerweise überquert werden können. So entstehen in Gebieten, deren Oberflächengeologie von Kalkstein dominiert wird, bizarre Karstlandschaften. Die Auflösung von Carbonatgestein ist jedoch nicht auf die Geländeoberfläche beschränkt, sondern erfolgt auch unter der Erde durch versickertes (kohlensaures) Oberflächenwasser. Dies führt zur Bildung ausgedehnter Höhlen und Höhlensysteme und nachfolgend von Dolinen und Poljen. Die chemische Stabilität des Calciumhydrogencarbonats ist jedoch abhängig von Druck und Temperatur. Erwärmt sich die Lösung oder erfährt eine Druckentlastung, so verschiebt sich das chemische Reaktionsgleichgewicht zuungunsten von Kohlensäure und Calciumhydrogencarbonat. Im Zuge dessen zerfällt das Hydrogencarbonat unter Abgabe von CO2, und Calciumcarbonat fällt aus. Auf diese Weise entstehen u. a. Quellkalke und Tropfsteine in Kalksteinhöhlen. Die Wirkung der Kohlensäure ist ein dominierender Faktor für die Denudation in Kalksteingebieten mit feuchtem Klima, nicht zuletzt wegen der dort intensiven biotischen CO2-bildenden Prozesse. In feuchtem Klima sind Kalksteine daher relativ verwitterungsanfällig und können große Talzonen und andere Bereiche niedrigen Geländes bilden, während benachbarte Rücken und Plateaus aus Gestein bestehen, das unter den herrschenden Bedingungen widerstandsfähiger gegen Verwitterung ist. Die Untersuchung eines in Kalkstein eingeschnittenen Tals in Pennsylvania ergab, dass die Landoberfläche allein durch die Wirkung der Kohlensäure im Durchschnitt um 30 cm in 10.000 Jahren tiefergelegt worden ist. Das Umgekehrte trifft auf Trockenklimate zu. Dort ist der Einfluss der Kohlensäureverwitterung wegen der Abwesenheit flüssigen Wassers und der damit zusammenhängenden geringeren biotischen Aktivität sehr viel geringer, und Kalkstein und Dolomit bilden hohe Rücken und Plateaus. Zum Beispiel sind die Ränder des Grand Canyon und die angrenzenden Plateaus von Dolomitschichten unterlagert. Sandsteinschichten aus Quarzkörnern, die durch Calciumcarbonat miteinander verkittet wurden (sogenannte karbonatzementierte Sandsteine) verwittern in einem Trockenklima ebenfalls relativ langsam. Eine weitere für Kohlensäureverwitterung anfällige Calciumverbindung ist das in der Natur eher seltene Calciumhydroxid (Ca(OH)2, Portlandit). Es verwittert nach der Reaktionsgleichung zu Calciumcarbonat, das nachfolgend weiter verwittert. Calciumhydroxid ist als Löschkalk allerdings ein bedeutender Bestandteil von Beton. Bei Stahlbeton begünstigt die ebenfalls als Carbonatisierung bezeichnete Reaktion von Kohlensäure mit Calciumhydroxid, bei der jedoch Calciumcarbonat erzeugt statt zersetzt wird, die Korrosion der Bewehrung, woraus schwerwiegenden Bauschäden resultieren können. Neben Calciumcarbonat und Calyciumhydroxid können beispielsweise auch die silikatischen Minerale der Olivingruppe, die Bestandteil vieler vulkanischer Gesteine sind, nach der Reaktionsgleichung fast vollständig aufgelöst werden, wobei vorstehende Gleichung einen mehrphasigen Prozess mit mehreren Einzelreaktionen zusammenfasst. In den feuchten Klimaten der niederen Breiten wird so mafisches Gestein, insbesondere Basalt, intensiv von größtenteils biogenen Bodensäuren angegriffen. Im Zusammenspiel mit chemischer Verwitterung durch Hydrolyse (siehe unten) entstehen Landformen, die als sogenannter Silikatkarst dem Karbonatkarst sehr ähnlich sind. Die Effekte der chemischen Verwitterung von Basalt zeigen sich beispielsweise in den eindrucksvollen Furchen, Felsrippen und -türmen an den Hängen tiefer Bergnischen in Teilen der Hawaii-Inseln. Schwefelsäureverwitterung Auch diese Verwitterungsform betrifft hauptsächlich Gesteine mit größeren Anteilen an Calciumcarbonat (Kalkstein, Kalksandstein, Marmor). Saurer Regen enthält infolge der Aufnahme von Schwefeldioxid (SO2) und Schwefeltrioxid (SO3) aus höheren Luftschichten geringe Mengen schwefliger Säure (H2SO3) bzw. Schwefelsäure (H2SO4). Beide Schwefeloxide entstammen überwiegend menschgemachten und vulkanischen Emissionen. Bestimmte Bakterien können den Anteil der Schwefelsäure im Regenwasser nach dessen Auftreffen auf Böden oder anderen Oberflächen erhöhen, indem sie darin enthaltene schweflige Säure oxidieren. Bei Kontakt von Karbonatgesteinen mit saurem Regen verdrängt die Schwefelsäure die schwächere Kohlensäure aus deren Calciumsalz. Aus Calciumcarbonat (Calcit) entsteht Calciumsulfat (Gips) und Kohlendioxid (CO2):  . Die Wasserlöslichkeit von Gips ist wesentlich besser als die von Calcit, und das Gestein wittert deshalb nach der Vergipsung schneller ab. Da sie CO2 erzeugt anstatt dass, wie bei der Kohlensäureverwitterung und der anschließenden biogenen Fällung von Calciumcarbonat in den Meeren, atmosphärisches CO2 gebunden wird, kann die Schwefelsäureverwitterung den Kohlenstoffkreislauf beeinflussen. Damit kommt der Reduktion menschgemachter Schwefeloxidemissionen eine gewisse Relevanz in der Debatte um wirksame Maßnahmen gegen die globalen Erwärmung zu, denn zumindest regional trägt Schwefelsäureverwitterung heute in erheblichem Maße zur natürlichen Karbonatverwitterung bei. In urbanen Gebieten sorgt die Schwefelsäureverwitterung für eine beschleunigte Alterung und Zerstörung von historischen Gebäudefassaden, Denkmälern und dergleichen. So verlieren Marmorskulpturen als erstes sichtbares Anzeichen den typischen Glanz ihrer polierten Oberfläche. Nachfolgend büßen sie ihre Konturenschärfe ein und können im Extremfall die gesamte bildhauerisch bearbeitete Oberfläche verlieren. Da Gips hygroskopisch ist, können im Regen enthaltene Rußpartikel in die vergipste Oberfläche eingebunden werden – sogenannte Schwarzkrusten entstehen. Diese sind dichter als der Marmor und vermindern die Wasserdampf­diffusions­fähigkeit des Gesteins. Es entstehen dann parallel zur Oberfläche verlaufende Schadzonen und irgendwann platzt die Schwarzkruste großflächig ab – auch dabei geht die bildhauerisch bearbeitete Oberfläche verloren. Wegen des schwefelsauren Regens sind mittlerweile die meisten Marmorskulpturen in Museen verlagert und durch Abgüsse aus Material ersetzt worden, das gegen sauren Regen unempfindlich ist. Hydrolyse Bei der Hydrolyse (hydrolytische Verwitterung) werden die Ionen im Kristallgitter bestimmter Minerale an H+- und OH−-Ionen, die in Wasser durch Autoprotolyse permanent entstehen, gebunden, wodurch das Ionengitter zerfällt. Die Hydrolyse ist ein wichtiger Prozess der Bodenbildung, denn sie bildet die Initialreaktion der Umwandlung häufiger Silikatminerale (z. B. Feldspäte und Glimmer) in Tonminerale (z. B. Illit, Kaolinit, Montmorillonit, Smectit). So zerfällt beispielsweise Kalifeldspat nach der Reaktionsgleichung in alumosilizische Säure und Kaliumhydroxid. Letztgenanntes wird durch Reaktion mit Kohlensäure in Kaliumcarbonat („Pottasche“, K2CO3) überführt und, da es gut wasserlöslich ist, mit dem Kluft-, Poren- oder Oberflächenwasser aus dem Gestein abgeführt. Die alumosilizische Säure reagiert mit Wasser nach der Reaktionsgleichung zu Kaolinit und Orthokieselsäure. Letztgenannte ist wiederum löslich und wird abgeführt. Ändert sich jedoch unterwegs das chemische Milieu, kann aus dieser Verwitterungslösung SiO2 ausfallen und bildet dann Chalcedon­krusten (Silcretes). Allgemein gilt: je feuchter das Klima, je höher die Temperatur und je geringer der pH-Wert, desto intensiver ist die Hydrolyse. In den warmen und feuchten Klimaten der tropischen und subtropischen Zone werden magmatische Gesteine und metamorphe Gesteine durch Hydrolyse und Oxidation oft bis zu Tiefen von 100 Metern verwittert. Geologen, die solche Tiefenverwitterung des Gesteins zuerst in den südlichen Appalachen untersuchten, nannten diese Verwitterungsschicht Saprolith (wörtlich „verfaultes Gestein“). Für den Bauingenieur bedeutet tiefgründig verwittertes Gestein ein Risiko beim Bau von Autobahnen, Dämmen oder anderen schwerlastigen Bauwerken. Zwar ist Saprolith weich und kann ohne viel Sprengarbeit von Baggern bewegt werden, jedoch besteht die Gefahr, dass das Material unter schwerer Belastung nachgibt, da es wegen seines hohen Gehalts quellfähiger Tonminerale unerwünschte plastische Eigenschaften besitzt. Biotische Verwitterung Unter biotischer Verwitterung (auch biologische oder biogene Verwitterung genannt) versteht man Verwitterung durch den Einfluss lebender Organismen sowie ihrer Ausscheidungs- bzw. Zersetzungsprodukte. Diese Wirkungen können physikalischer Natur sein (Beispiel: Wurzelsprengung) oder in einer chemischen Einwirkung bestehen. Biotische und abiotische Verwitterung ist dabei in manchen Fällen schwer abzugrenzen. Die biotischen Verwitterungsvorgänge werden in der Literatur mitunter auch in den Kategorien der physikalischen bzw. chemischen Verwitterung eingeordnet. Mechanisch-biotische Verwitterung Mechanisch-biotische Verwitterung ist hauptsächlich die Wurzelsprengung. In Klüfte des Gesteins und in winzige Spalten zwischen Mineralkörnern hineinwachsende Pflanzenwurzeln üben durch ihr Dickenwachstum eine Kraft aus, deren Tendenz es ist, diese Öffnungen zu erweitern. Man sieht gelegentlich Bäume, deren unterer Stamm und deren Wurzeln fest in einer Kluft des massiven Gesteins eingekeilt sind. Es bleibt im Einzelfall offen, ob der Baum es tatsächlich geschafft hat, die Gesteinsblöcke zu beiden Seiten der Kluft weiter auseinanderzutreiben, oder ob er lediglich den bereits vorhandenen Raum der Spalte ausgefüllt hat. In jedem Fall sicher ist jedoch, dass der Druck, den das Wachstum winziger Wurzeln in Haarrissen des Gesteins ausübt, unzählige kleine Gesteinsschuppen und Körner lockert. Anheben und Zerbrechen von Beton-Gehwegplatten durch das Wachstum von Wurzeln naher Bäume ist ein allgemein bekannter Beweis für den wirksamen Beitrag von Pflanzen zur mechanischen Verwitterung. Chemisch-biotische Verwitterung Chemisch-biotische Verwitterung wird durch Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere verursacht, und gehört zu jenen Phänomenen, die unter dem Begriff Biokorrosion zusammengefasst werden. Beispielsweise greifen die von Pflanzenwurzeln abgesonderten organischen Säuren Minerale an und zerlegen das Gestein dadurch in einzelne Bestandteile. Der aus mikrobiell teilweise abgebauten Resten abgestorbener Pflanzen und Tieren bestehende Humus enthält einen großen Anteil an Huminsäuren, die gesteinszerstörend wirken. Durch mikrobielle Säurebildung, Oxidationen und Reduktionen kann es zur Auflösung von Mineralen kommen. Die Wirkung der Kohlensäure wird in vielen Fällen durch die Wirkung einfacher organischer Säuren verstärkt. Sie entstehen bei der mikrobiellen Zersetzung von abgestorbener organischer Substanz oder werden von den Wurzeln lebender Pflanzen abgegeben. Sie gehen mit Metallen, vor allem Eisen (Fe), Aluminium (Al) und Magnesium (Mg), sehr stabile, zum Teil wasserlösliche, zum Teil wasserunlösliche Verbindungen ein, so genannte metallorganische Komplexe (Chelatkomplexe, Chelate). Diese Chelatbildung ist eine wichtige Verwitterungsreaktion. Das Wort „Chelat“ bedeutet „ähnlich einer Krebsschere“ und bezieht sich auf die sehr enge Bindung, die organische Moleküle mit Metall-Kationen eingehen. Im Falle der löslichen Komplexe werden diese im Bodenprofil mit der Sickerwasserbewegung verlagert und dem Verwitterungsmechanismus entzogen. Chelatisierende Stoffe, die vor allem bei mikrobiellen Abbauprozessen freigesetzt werden, sind unter anderem Citronensäure, Weinsäure und Salicylsäure. Des Weiteren können Mikroorganismen und die Atmung der Pflanzenwurzeln durch Kohlenstoffdioxid-Bildung den Kohlensäuregehalt im Boden erhöhen und dadurch Lösungsvorgänge beschleunigen. Anaerobe Bakterien bewirken teilweise Reduktionsprozesse, indem sie bestimmte Stoffe als Elektronenakzeptoren für ihren Energiestoffwechsel verwenden und dadurch wasserlöslich machen, beispielsweise durch die Reduktion von Eisen von der dreiwertigen zur zweiwertigen Form. Verbindungen des zweiwertigen Eisens sind in Wasser wesentlich leichter löslich als die des dreiwertigen, weshalb Eisen relativ leicht durch mikrobielle Reduktion mobilisiert und verlagert werden kann. Spezielle Verwitterungserscheinungen Wollsackverwitterung Als Wollsackverwitterung wird die durch verschiedene Verwitterungsprozesse erfolgende Ausbildung typischer Formen im anstehenden Gestein bezeichnet. Dabei bildet sich zunächst ein annähernd rechtwinkliges Kluftnetz im Gestein, was auf physikalische Verwitterung zurückgehen kann, sich aber bei magmatischen Gesteinen auch durch Volumenabnahme beim Erkalten ausbilden kann. Wasser dringt in den Klüften ins Gestein vor und setzt chemische Verwitterungsprozesse (z. B. die Hydrolyse von Feldspäten) in Gang. Von den Klüften her rückt die Zersetzung in das Gestein vor, was an Ecken und Kanten besonders schnell geht, da dort das Verhältnis von Angriffsfläche zu Gesteinsvolumen am größten ist. Bei Exponierung an der Oberfläche wird das von der Verwitterung angegriffene Gestein bevorzugt erodiert, was den bis dahin noch unverwitterten, freiliegenden Kernen der Blöcke eine gerundete, wollsackähnliche Form gibt. Vergrusung Durch Hydrolyse der Feldspäte und Glimmer oder durch Temperaturverwitterung zerfällt das Gesteinsgefüge granitischer Gesteine (Granit, Granodiorit) in einzelne Mineralkörner. Dieses von der Korngröße her sandig bis feinkiesige Material wird Grus genannt und der entsprechende Vorgang heißt Vergrusung oder Abgrusung. Vergrusung geht oft mit Wollsackverwitterung einher. Alveolarverwitterung Die Mechanismen hinter der Alveolarverwitterung sind nicht genau geklärt. Vermutlich entsteht sie, abhängig von den vor Ort herrschenden Bedingungen, durch verschiedene Verwitterungsarten (Salzverwitterung, Kohlensäureverwitterung) im Zusammenspiel mit Erosion durch Wind und Wasser. Betroffen sind in erster Linie Sandsteine. Die dabei entstehenden wabenartigen Gebilde werden als Tafoni bezeichnet. Siehe auch Verwitterungsrinden Weltraumverwitterung Literatur Harm J. de Blij, Peter O. Muller, Richard S. Williams Jr.: Physical Geography – The global environment. 3. Auflage. Oxford University Press, New York NY u. a. 2004, ISBN 0-19-516022-3. Henry Lutz Ehrlich, Dianne K. Newman: Geomicrobiology. 5. Auflage. CRC Press, Boca Raton FL u. a. 2009, ISBN 978-0-8493-7906-2. Hans Gebhardt, Rüdiger Glaser, Ulrich Radtke, Paul Reuber (Hrsg.): Geographie. Physische Geographie und Humangeographie. Elsevier, Spektrum Akademischer Verlag, München u. a. 2007, ISBN 978-3-8274-1543-1. Kurt Konhauser: Introduction to Geomicrobiology. Blackwell Publishing, Malden MA u. a. 2007, ISBN 978-0-632-05454-1. Frank Press, Raymond Siever: Allgemeine Geologie. Einführung in das System Erde. 3. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg u. a. 2003, ISBN 3-8274-0307-3. Alan H. Strahler; Arthur N. Strahler: Physische Geographie (= UTB. Geowissenschaften 8159). 3., korrigierte Auflage, Ulmer, Stuttgart 2005, ISBN 3-8001-2854-3. Weblinks Mineralienatlas: Verwitterung und Erosion (Wiki) Einzelnachweise Geomorphologie Bodenkunde
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https://de.wikipedia.org/wiki/Safran
Safran
Der Safran (von arabisch/persisch ), wissenschaftlicher Name Crocus sativus, ist eine Krokus-Art, die im Herbst violett blüht und vor allem als Gewürzpflanze genutzt wird: Aus den roten Narben ihrer Blüten (den „Griffeln“) wird das ebenfalls Safran genannte Gewürz gewonnen. Diese Pflanzenart ist eine triploide Mutante des auf den ägäischen Inseln beheimateten Crocus cartwrightianus. Sie ist wegen des dreifachen Chromosomensatzes unfruchtbar und kann nur vegetativ durch Knollenteilung vermehrt werden. Die Stammform Crocus cartwrightianus besitzt deutlich kürzere, aber ebenfalls aromatische Narben. Beschreibung Jede Blüte enthält einen sich in drei Narben verzweigenden Griffel. Nur diese süß-aromatisch duftenden Griffel werden getrocknet als Gewürz verwendet. Um ein Kilogramm von ihnen zu gewinnen, benötigt man etwa 150.000 bis 200.000 Blüten aus einer Anbaufläche von etwa 10.000 Quadratmetern (1 ha); die Ernte ist reine Handarbeit, ein Pflücker schafft 60 bis 80 Gramm am Tag. Hinzu kommt, dass Safran nur einmal pro Jahr im Herbst (und das nur für einige Wochen) blüht. Deshalb zählt Safran zu den teuersten Gewürzen. Im Einzelhandel zahlt man zwischen 4 und 30 Euro pro Gramm. Die Chromosomenzahl beträgt 3n = 24, selten 16. Botanik Die Safran-Pflanze stammt aus der Familie der Schwertliliengewächse und ist eine mehrjährige Krokusart. Die Safranknolle treibt erst im Herbst und überdauert den Rest des Jahres im Boden. Wegen der äußerlichen Ähnlichkeit der Safranknolle mit einer Zwiebel wird Safran fälschlicherweise oft in die Kategorie der Zwiebelgewächse eingeteilt, jedoch handelt es sich beim Safran um eine Knollenpflanze. Demnach werden oft auch die Safranknollen selbst genauso unzutreffend als Zwiebeln bezeichnet. Die Blüte der Safran-Pflanze ist aus sechs fliederfarbenen Perigonblättern aufgebaut, die in der Blütenröhre münden. Jede Safran-Pflanze produziert jährlich einen hellgelben Griffel, der sich innerhalb der Blütenröhre befindet. Dieser hellgelbe Griffel teilt sich am oberen Ende der Blüte in drei bis sechs 2½–4½ cm lange rote Narbenäste. Diese Narbenäste stellen nach der Ernte das fertige Safrangewürz dar. Anbau Angebaut wird Safran in Afghanistan, Iran, Kaschmir, Südfrankreich, Marokko, Griechenland (um Kozani), Türkei (in Safranbolu), Italien (Sardinien, Abruzzen, Toskana) sowie in einigen Regionen Spaniens (La Mancha) und – seit 2006 bzw. 2007 wieder – in Österreich (Pannonischer Safran (Crocus austriacus)); Wachauer Safran). In Italien ist der Safrananbau seit dem 13., in Deutschland seit dem 15. Jahrhundert belegt. Ein kleines Anbaugebiet von ca. 18.000 m² existiert im Schweizer Dorf Mund, wo pro Jahr zwischen 1½ und 2 Kilogramm Safran geerntet werden, abhängig vom Wetter und den Temperaturen. Seit 2012/13 wird auch in Deutschland wieder Safran angebaut (zum Beispiel auf dem Doktorenhof in Venningen (Pfalz), in Sachsen nahe Dresden (Saxen-Safran), am Schloss Altenburg (Thüringen), in Altreetz (Oderbruch in Brandenburg) und in Bittenfeld (Baden-Württemberg). „Pro Jahr werden ungefähr 200 Tonnen Safran produziert. Wenn man nach Produktionsmengen beurteilt, so steht Iran mit ca. 170 bis 180 Tonnen jährlich an erster Stelle. Dies macht bis zu 91 % des Marktanteils aus.“ Ernte und Verwendung Obwohl der Safran zu den nachwachsenden Rohstoffen gehört, ist er – je nach Marktentwicklung – mit bis zu 20.000 Euro/kg das teuerste Gewürz und damit Luxusgut, das bis zu 95 % aus dem Iran kommt. Werttreiber sind die Personalintensität (15 Pflücker ernten täglich 1 kg), Erntedauer (etwa 14 Tage nur im Herbst) und Erntemenge (200.000 Blüten für 1 kg Stempelfäden). Safran schmeckt bitter-herb-scharf, was bei normaler Dosierung – anders als der typische Duft – nicht zum Tragen kommt. Er enthält Carotinoide, vor allem Crocin, sodass sich mit Safran gewürzte Gerichte intensiv goldgelb färben. Weiter enthält er den Bitterstoff Safranbitter, aus dem sich beim Trocknen teilweise der für das Safranaroma verantwortliche Aldehyd Safranal bildet. Weitere Aromastoffe sind unter anderem Isophorone. Bekannte Gerichte mit Safran sind Bouillabaisse, Risotto alla milanese, Lussekatter und Paella. In der persischen Küche werden besonders Reisgerichte gerne mit Safran verfeinert. In Griechenland trinkt man besondere Teemischungen aus Kozani mit Safran. Safran muss vor Licht und Feuchtigkeit geschützt in fest schließenden Metall- oder Glasgefäßen aufbewahrt werden, da das Gewürz am Licht schnell ausbleicht und sich das ätherische Öl relativ leicht verflüchtigt. Safran wurde auch als Farbmittel eingesetzt; der wasserlösliche Farbstoff Crocetin ist in der Pflanze glycosidisch an das Disaccharid Gentiobiose gebunden; diese Verbindung wird als Crocin (siehe oben) bezeichnet. Bereits Plinius der Ältere erwähnt Safran als Farbmittel. Es wurde auch eingesetzt, um Goldschriften zu imitieren oder um Zinn oder Silber wie Gold erscheinen zu lassen. Es wurde auch in Mischungen mit anderen Pigmenten oder Farbstoffen verwendet. Um den aromatischen Duft zu bewahren, sollte Safran nicht lange gekocht werden. Es empfiehlt sich, die Narbenschenkel einige Minuten in etwas warmem Wasser einzuweichen und mit der Flüssigkeit gegen Ende der Garzeit dem Gericht zuzugeben. Eine noch intensivere Färbung erhält man, wenn die Safranfäden frisch gemörsert werden. Medizinische Bedeutung Safran (Crocus) nimmt in der Medizin des Orients schon seit Jahrtausenden einen wichtigen Stellenwert ein. Auch heute ist die Pflanze wegen ihrer medizinischen Wirkung geschätzt und insbesondere über den Safran-Extrakt wird international geforscht. Studien zeigten einen nervenstärkenden Effekt von Safran-Extrakt. Sie zeigten auch, dass Safran bei leichten bis mittelschweren Formen von Depression eine stimmungsaufhellende Wirkung habe, zum Beispiel im Rahmen des PMS, der (Post)Menopause und des Babyblues. Eine Pilotstudie kam zu dem Schluss, dass Safran-Extrakt bei milder und moderaten Depression genauso gut geeignet sein kann wie Fluoxetin. Fälschungen und Ersatzprodukte Noch heute ist das Fälschen von Safran weit verbreitet: Fälschungen können aus einer Kurkuma-Mischung bestehen. Safranfäden werden auch gefälscht, aber wer mit Aussehen und Geruch vertraut ist, kann den Unterschied erkennen. Ein einigermaßen sicherer chemischer Nachweis ist das Zugeben von Natron zu einer Lösung von etwas „Safranpulver“: Handelt es sich um reinen Safran, so bleibt die Lösung gelb, enthält sie Kurkuma-Anteile, so wird sie trüb und verfärbt sich rot. Dieser Test war schon vor Jahrhunderten bei den Gewürzhändlern üblich. Er beruht auf den verschiedenen chemischen Eigenschaften der in Safran und Kurkuma enthaltenen Farbstoffe. Falscher Safran (Saflor) ist eine Bezeichnung für die Färberdistel (Carthamus tinctorius), die früher zum Färben von Seide verwendet wurde. Dieses Gewürz färbt das Gericht schwächer als echter Safran (lateinisch Crocus sincerus) und bringt kein eigenes Aroma ein. Die Röhrenblüten der Färberdistel lassen sich schon mit bloßem Auge von den fadenförmigen Narbenlappen des Safrans unterscheiden. Beim echten Safran müssen die Narbenschenkel ungefähr zwei bis drei Zentimeter lang, trichterförmig eingerollt und oben eingekerbt sein. Die Färberdistel wurde in Antike und Mittelalter unter den Bezeichnungen crocus ortensis und crocus ortolanus auch als schädliche Säfte abführendes Mittel angesehen. Safran für homöopathische Anwendungen ist im Europäischen Arzneibuch monographiert und enthält die gängigen Tests auf Identität und Reinheit von Safran. Zur Eindämmung von Fälschungen und Ersatzprodukten sowie zur Erhöhung der Konsumentensicherheit sind Qualitätskriterien definiert. Merkmale wie Färbekraft, Aromakonzentration (Safranal) und Konzentration von Bitterkeit (Picrocrocin) werden zusammengefasst in vier Kategorien unterteilt. Neben dem internationalen ISO-Standard 3632 gibt es auch nationale Normen. Trivialnamen Für den Safran ( und im Deutschen oft synonym mit Krokus) bestehen bzw. bestanden auch die weiteren deutschsprachigen Trivialnamen Chruogo (althochdeutsch), Croc (althochdeutsch), Broze (althochdeutsch), Brugo (althochdeutsch), Gewürzsafran, Kruago (althochdeutsch), Saffaran (mittelhochdeutsch), Saffart (mittelhochdeutsch), Saffaren (mittelhochdeutsch), Safferain (mittelhochdeutsch), Safferen (mittelhochdeutsch), Safferon (mittelhochdeutsch), Safferntblume (Bern), Saffran (mittelhochdeutsch), Saffrat (mittelhochdeutsch), Saffrath (mittelhochdeutsch), orientalischer Safran (lateinisch Crocus orientalis für aus dem Süden und dem Orient bezogener Safran), Safrich (schwäbisch), Schaffner (mittelhochdeutsch), Seydfarb (mittelhochdeutsch), Sintvarwe (althochdeutsch), Soffraen (mittelhochdeutsch) und Suffran (mittelhochdeutsch). Geschichte Die Nutzung von Safran ist in Fresken der minoischen Kultur im Ägäisraum bereits vor 3600 Jahren bezeugt; die Entstehung der Art kann durch pflanzengenetische Untersuchungen in Attika lokalisiert werden. Im Mittelmeerraum gehandelt wurde Safran unter anderem durch die Phönizier, die ihn als Heil- und Gewürzmittel verwendeten. Schon in der Antike war er ein Luxusartikel. Auf das Fälschen oder Verschneiden von Safran standen hohe Strafen. Im Alten Orient gehörten mit Safran gefärbte oder zumindest safrangelbe Kleidungsstücke zum Herrschergewand. Diese besondere kulturelle Bedeutung wurde mehrfach in der griechischen Mythologie aufgenommen und weitergeführt. So soll der Ilias des Homer zufolge unter dem Ruhelager des Zeus und der Hera Safran gewachsen sein. Auch für Dionysos, Iason, den frischgeborenen Herakles, vor allem aber für Göttinnen und Herrscherinnen sind in den griechischen Mythen safrangelbe Kleidungsstücke bezeugt. Homer berichtete, dass jeder geforderte Preis für Safran bezahlt wurde. Im Mittelalter wiederum war er dreimal so teuer wie Pfeffer. In vielen Kulturen war es Brauch, den Hochzeitsschleier mit Safran gelb zu färben. Reiche Römer streuten Safranfäden auf ihre Hochzeitsbetten. Mit Safran wurden Salben, Arzneipflaster (oxycroceum: Essig-Safran-Pflaster), Balsame und Duftöle zubereitet und Speisen gewürzt, über deren intensives Aroma neben Marcus Tullius Cicero unter anderem Titus Petronius in der Cena Trimalchionis berichtet: omnes enim placentae omniaque poma etiam minima vexatione contacta coeperunt effundere crocum, et usque ad os molestus umor accidere („Alle Kuchen und alle Äpfel fingen, wenn man sie auch nur ganz sanft berührte, an, Safranwasser zu verspritzen, bis uns die unangenehme Flüssigkeit im Gesicht traf.“). Er diente, wie Plinius der Ältere vermerkt, als Arznei und Weinzusatz, Kaiser Elagabal soll bevorzugt in mit Safran vermischtem Wasser gebadet haben. Der noch im 20. Jahrhundert unter anderem bei Quetschungen und Bindehautentzündungen eingesetzte Safran galt bereits bei den Römern als Mittel bei allen Entzündungen, insbesondere solchen der Augen. Als im Rahmen der Islamischen Expansion im Frühmittelalter der Handel im Mittelmeerraum unter arabische Kontrolle geriet, wurden die bisherigen griechischen κρόκος und lateinischen Crocus sativus Bezeichnungen für den Safran durch das arabische „zaʿfarān“ ersetzt, von dem auch das Wort für die Pflanze in den meisten europäischen Sprachen herstammt. In Spanien und Südfrankreich wird seit dem 13. Jahrhundert angebaut und gelangte wie der in Italien erzeugte in den europäischen Handel. Zur Eindämmung des Imports von Fälschungen erfolgte im Sinne einer Arzneimittelprüfung eine Kontrolle durch amtliche Safranschauer, wie sie in Nürnberg seit 1357 nachweisbar sind. Freiherr Henman von Bechburg überfiel 1374 im Weiler St. Wolfgang bei Balsthal einen Transport von Basler Kaufleuten und erbeutete unter anderem einige Zentner kostbaren Safrans, was den „Safrankrieg von Balsthal“ auslöste. In Ländern des spätmittelalterlichen Europa wurde die Arzneidroge Safran vor allem aus Italien und Spanien importiert, seltener der in Iran und in der Türkei kultivierte. Mittelalterlichen und neuzeitlichen Anekdoten bzw. Berichten zur berauschenden Wirkung des Safrans, die sich seit der Antike in medizinischer und botanischer Literatur finden, verdanken sich die Wendungen in sacco croci dormivit („Er hat auf einem Sack Safran geschlafen“), crocum edisse („Safran gegessen haben“) und das in der französischen Volkssprache des Mittelalters belegte, sprichwörtliche Le fol na que faire de saffren, in seiner lateinischen Fassung croco stultus non eget („Der Dumme/Irre/Narr braucht keinen Safran <mehr>“). Dadurch wird ein sehr ausgelassenes, ‚übergeschnapptes‘ Verhalten bezeichnet, das an das unter dem Einfluss hoher Dosen Safran Stehender erinnern soll. So schreibt Peter Lauremberg (1585–1639) in seinem Apparatus plantarius: Johann Ferdinand Hertodt von Todenfeld verfasste im 17. Jahrhundert mit der Crocologia seu curiosa Croci Regis vegetabilium enucleatio ein umfangreiches Werk, das unzählige pharmazeutische Rezepte zur Behandlung diverser Krankheiten von Durchfall, Wassersucht bis zur Hypochondrie durch die Safranpflanze versammelt. Dem Kinderlied Backe, backe Kuchen zufolge ist Safran eine von sieben unerlässlichen Zutaten guten Kuchens, den er gelb färbe. Der Text geht auf ein „Mus“-Rezept des 15. Jahrhunderts mit derselben Beschreibung der Zutaten zurück. In Thüringen ist seit dem 15. Jahrhundert der Safrananbau belegt. Ab dem 16. Jahrhundert bekam die Safrangewinnung im englischen Saffron Walden eine große Bedeutung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Österreich das Anbauzentrum Mitteleuropas. Der Safran höchster Qualität wurde auch als Crócus austriacus bezeichnet. Quellen Antike: Dioskurides 1. Jh. --- Plinius 1. Jh. --- Galen 2. Jh. Arabisches Mittelalter: Avicenna 11. Jh. --- Constantinus Africanus 11. Jh. --- Circa instans 12. Jh. --- Pseudo-Serapion 13. Jh. --- Ibn al-Baitar 13. Jh. Lateinisches Mittelalter: Konrad von Megenberg 14. Jh. --- Herbarius Moguntinus 1484 --- Gart der Gesundheit 1485 --- Hortus sanitatis 1491 Neuzeit: Otto Brunfels 1537 --- Hieronymus Bock 1539 --- Leonhart Fuchs 1543 --- Mattioli / Handsch / Camerarius 1586 --- Peter Lauremberg 1632 --- Nicolas Lémery 1675/1754 --- Nicolas Lémery 1699/1721 --- Onomatologia medica completa 1755 --- William Cullen 1789/90 --- Jean-Louis Alibert 1805/05 --- Hecker 1814/15 --- Orfila / Hermbstädt 1815/1819 --- Pereira / Buchheim 1846/48 --- Rademacher 1841/1818 --- Theodor Husemann 1883 --- Bentley / Trimen 1880 --- Wolfgang Schneider 1974 Historische Abbildungen Literatur Luise Bardenhewer: Der Safranhandel im Mittelalter. Philosophische Dissertation Bonn 1914. Rita Henss: Safran. Mandelbaum, Wien 2017, ISBN 978-3-85476-541-7. Heidrun Janner: Safran – Crócus sativus: historische, soziokulturelle, phytochemische, ökonomische und anbautechnische Aspekte einer alten Kulturpflanze. Dipl. Arb., Univ. für Bodenkultur, Wien 1998. Moshe Negbi: Saffron – Crocus sativus L. Harwood Acad.Publ., Amsterdam 1999, ISBN 90-5702-394-6. Heike E. Sunder-Plassmann: Safran – Crocus sativus Linnaeus var. culta autumnalis; Phytologie, Inhaltsstoffe, Produktion, Verarbeitung, Verwendung, Qualität, Vermarktung. Dipl.Arb., Univ. Wien, Wien 2005. Maria Tscholakowa: Zur Geschichte der medizinischen Verwendung des Safran (Crocus sativus). In: Kyklos. Jahrbuch für Geschichte und Philosophie der Medizin, Band 2, 1929, S. 179–190. Elisabeth Vaupel: Gewürze – Acht kulturhistorische Kostbarkeiten. Deutsches Museum, München 2002, ISBN 3-924183-85-6. Film Zu Tisch in den Abruzzen. Dokumentarfilm, Deutschland, 2004, 26 Min., Buch und Regie: Wilma Pradetto, Produktion: ZDF, Inhaltsangabe von arte. Wo der Pfeffer wächst – Auf den Spuren der Gewürze (3/3) Safran und Vanille (The Spice Trail – Vanilla And Saffron). Dokumentarfilm, Großbritannien 2011, 45 Min., Original-Erstausstrahlung: 3. März 2011 BBC Two, deutsche Erstausstrahlung: 15. September 2012 ZDFneo Roter Duft. Dokumentarfilm über Safran: Weblinks Thomas Meyer: Datenblatt mit Bestimmungsschlüssel und Fotos bei Flora-de: Flora von Deutschland (alter Name der Website: Blumen in Schwaben) Gernot Katzers Gewürzseiten Safran – das rote Gold der Sarden. Eine Reportage aus San Gavino, Sardinien Lila Gewürzberg. Safran in Mund im Wallis, Die Welt, 13. Oktober 2007 Dresdner Biologen entschlüsseln Herkunft des Safran-Krokus Einzelnachweise Schwertliliengewächse Blütengewürz Pflanzenfarbstoff
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https://de.wikipedia.org/wiki/Erich%20K%C3%A4stner
Erich Kästner
Emil Erich Kästner (* 23. Februar 1899 in Dresden; † 29. Juli 1974 in München) war ein deutscher Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Kabarettdichter. Seine publizistische Karriere begann während der Weimarer Republik mit gesellschaftskritischen und antimilitaristischen Gedichten, Glossen und Essays in verschiedenen renommierten Periodika jener Zeit. Nach Beginn der nationalsozialistischen Diktatur war er einer der wenigen intellektuellen und zugleich prominenten Gegner des Nationalsozialismus, die in Deutschland blieben, obwohl seine Werke zur Liste der im Mai 1933 als „undeutsch“ diffamierten verbrannten Bücher zählten und im Herrschaftsbereich des NS-Regimes verboten wurden. Kästner war als einziger der Autoren bei der Verbrennung seiner Bücher anwesend. Trotz diverser Repressionen durfte er unter Pseudonym weiter veröffentlichen; er schrieb beispielsweise Drehbücher für einige komödiantische Unterhaltungsfilme wie etwa Münchhausen (1943). Er hatte auch Einkünfte aus der Veröffentlichung seiner Werke im Ausland. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog Kästner nach München und konnte wieder frei publizieren. Von 1951 bis 1962 war er Präsident des westdeutschen P.E.N.-Zentrums. Als Pazifist nahm er in den 1950er und 1960er Jahren bei mehreren Gelegenheiten gegen die Politik der Regierung Adenauer Stellung, unter anderem im Zusammenhang mit der Remilitarisierung und der Spiegel-Affäre, auch in Form von öffentlichen Auftritten gegen die Atompolitik. Populär machten ihn vor allem seine Kinderbücher wie Emil und die Detektive (1929), Pünktchen und Anton (1931), Das fliegende Klassenzimmer (1933) und Das doppelte Lottchen (1949) sowie seine mal nachdenklich, mal humoristisch, oft satirisch formulierten gesellschafts- und zeitkritischen Gedichte, Epigramme und Aphorismen. Eine seiner bekanntesten Lyrik-Sammlungen erschien erstmals 1936 im Schweizer Atrium Verlag unter dem Titel Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke. Leben Dresden 1899–1919 Erich Kästner wurde in Dresden geboren. Er wuchs als Einzelkind in kleinbürgerlichen Verhältnissen in der Königsbrücker Straße 66 in der Äußeren Neustadt von Dresden auf. In der Nähe, am Albertplatz, befindet sich heute – im Erdgeschoss der damaligen Villa seines Onkels Franz Augustin – das Erich Kästner Museum. Sein Vater Emil Richard Kästner (1867–1957) war Sattlermeister in einer Kofferfabrik. Die Mutter, Ida Kästner geb. Augustin (1871–1951), war Dienstmädchen und Heimarbeiterin und wurde mit Mitte dreißig Friseurin. Zu seiner Mutter hatte Kästner eine äußerst intensive Beziehung. Schon als Kind erlebte er ihre Liebe als geradezu ausschließlich auf ihn bezogen – ein anderer Mensch spielte in ihrem Leben eigentlich keine Rolle. In seiner Leipziger und Berliner Zeit verfasste er täglich vertrauteste Briefe oder Postkarten an sie. Auch in seinen Romanen lässt sich immer wieder das Mutter-Motiv finden. Später kamen nie bestätigte Gerüchte auf, dass der jüdische Arzt Emil Zimmermann (1864–1953) – der Hausarzt der Familie – sein leiblicher Vater gewesen sei. Kästner besuchte ab 1913 das Freiherrlich von Fletchersche Lehrerseminar in der Marienallee in Dresden-Neustadt, brach die Ausbildung zum Volksschullehrer jedoch drei Jahre später kurz vor ihrem Ende ab. Viele Details aus dieser Schulzeit finden sich in dem Buch Das fliegende Klassenzimmer wieder. Seine Kindheit beschrieb Kästner in dem 1957 erschienenen autobiographischen Buch Als ich ein kleiner Junge war, dort kommentiert er den Beginn des Ersten Weltkriegs mit den Worten: „Der Weltkrieg hatte begonnen, und meine Kindheit war zu Ende.“ Zum Militärdienst wurde er 1917 einberufen und absolvierte seine Ausbildung in einer Einjährig-Freiwilligen-Kompanie der schweren Artillerie. Die Brutalität der Ausbildung prägte Kästner zum Antimilitaristen, zumal er sich durch den harten Drill seines Ausbilders Waurich eine lebenslange Herzschwäche zuzog; Kästners Erbitterung darüber machte sich am deutlichsten in seinem Gedicht Sergeant Waurich Luft. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs belegte Kästner den Abschlusskurs am Strehlener Lehrerseminar. Ein Jahr später machte er das Abitur am König-Georg-Gymnasium mit Auszeichnung und erhielt dafür das Goldene Stipendium der Stadt Dresden. Leipzig 1919–1927 Im Herbst 1919 begann Kästner an der Universität Leipzig das Studium der Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft. Als Student wohnte er 1922 zur Untermiete im Musikviertel, Hohe Straße 51. Infolge der Deutschen Inflation 1914 bis 1923 und wegen seiner schwierigen finanziellen Situation nahm Kästner mehrere Nebentätigkeiten an; er verkaufte Parfüm und sammelte die Börsenkurse für einen Buchmacher. Seine germanistische Doktorarbeit gab er 1925 bei Georg Witkowski ab und wurde daraufhin zum Dr. phil. promoviert. Das Studium finanzierte Kästner schon bald aus eigenen Einnahmen als Journalist und Theaterkritiker für das Feuilleton der Neuen Leipziger Zeitung. Dem kritischer werdenden Kästner wurde 1927 gekündigt, nachdem seinem von Erich Ohser illustrierten erotischen Gedicht Nachtgesang des Kammervirtuosen Frivolität vorgeworfen worden war. Im selben Jahr zog Kästner nach Berlin, von wo aus er unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“ weiter als freier Kulturkorrespondent für die Neue Leipziger Zeitung schrieb. Kästner veröffentlichte später noch unter vielen anderen Pseudonymen (z. B. „Melchior Kurtz“, „Peter Flint“ oder „Robert Neuner“). In der Kinderbeilage der im Leipziger Verlag Otto Beyer erschienenen Familienzeitschrift Beyers für Alle (seit 1928 Kinderzeitung von Klaus und Kläre) wurden von 1926 bis 1932 unter den Pseudonymen „Klaus“ und „Kläre“ fast 200 Artikel – Geschichten, Gedichte, Rätsel und kleine Feuilletons – geschrieben, die nach heutigem Stand der Forschung wohl großteils von Kästner stammen. Sein erstes größeres Werk, Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest, entwarf er im Juli 1927. Die Endfassung schickte er noch im selben Jahr an mehrere Verlage, die das Stück allerdings als zu modern ablehnten. Berlin 1927–1933 Kästners Berliner Jahre von 1927 bis zum Ende der Weimarer Republik 1933 gelten als seine produktivste Zeit. In wenigen Jahren stieg er zu einer der wichtigsten intellektuellen Figuren Berlins auf. Er publizierte seine Gedichte, Glossen, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Periodika Berlins. Regelmäßig schrieb er als freier Mitarbeiter für verschiedene Tageszeitungen wie das Berliner Tageblatt und die Vossische Zeitung, ebenso für die Zeitschrift Die Weltbühne. Unterstützt wurde er ab 1928 von seiner Privatsekretärin Elfriede Mechnig, die ihm 45 Jahre lang die Treue hielt. Hans Sarkowicz und Franz Josef Görtz, die Herausgeber der Gesamtausgabe von 1998, nennen im Nachwort des der Publizistik Kästners gewidmeten Bandes über 350 nachweisbare Artikel von 1923 bis 1933; die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Dass so vieles heute verloren ist, mag damit zusammenhängen, dass Kästners Wohnung im Februar 1944 völlig ausbrannte. Kästner veröffentlichte 1928 sein erstes Buch, Herz auf Taille, eine Sammlung von Gedichten aus der Leipziger Zeit. Bis 1933 folgten drei weitere Gedichtbände. Mit seiner Gebrauchslyrik avancierte Kästner zu einer wichtigen Stimme der Neuen Sachlichkeit. Am 15. Oktober 1929 erschien mit Emil und die Detektive Kästners erstes Kinderbuch. Die Detektivgeschichte entstand auf Anregung von Edith Jacobsohn. Das Buch wurde allein in Deutschland über zwei Millionen Mal verkauft und bis heute in 59 Sprachen übersetzt. Für die Kinderliteratur der damaligen Zeit mit ihren „aseptischen“ Märchenwelten war äußerst ungewöhnlich, dass der Roman in der Gegenwart der Großstadt Berlin spielte. Mit Pünktchen und Anton (1931) und Das fliegende Klassenzimmer (1933) schrieb Kästner in den folgenden Jahren zwei weitere gegenwartsbezogene Kinderbücher. Einen wesentlichen Anteil am Erfolg der Bücher hatten die Illustrationen von Walter Trier. Gerhard Lamprechts Verfilmung von Emil und die Detektive wurde 1931 ein großer Erfolg. Kästner war jedoch mit dem Drehbuch unzufrieden, das Lamprecht und Billy Wilder geschrieben hatten. In Folge arbeitete er als Drehbuchautor für die Studios in Babelsberg. Kästners 1931 veröffentlichter Roman Fabian – Die Geschichte eines Moralisten ist in fast filmischer Technik geschrieben: Schnelle Schnitte und Montagen sind wichtige Stilmittel. Er spielt im Berlin der frühen 1930er Jahre. Am Beispiel des arbeitslosen Germanisten Jakob Fabian beschreibt Kästner das Tempo und den Trubel der Zeit wie auch den Niedergang der Weimarer Republik. Auch seine eigene Tätigkeit als Werbetexter spiegelt sich in der Figur Fabians. Von 1927 bis 1929 wohnte Kästner in der Prager Straße 17 (heute etwa Nr. 12) in Berlin-Wilmersdorf, danach bis Februar 1944 in der Roscherstraße 16 in Berlin-Charlottenburg. Berlin 1933–1945 Im Gegensatz zu fast allen seinen regimekritischen Kollegen emigrierte Kästner nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 nicht. Zwar fuhr er unmittelbar danach für kurze Zeit nach Meran und in die Schweiz, wo er auch bereits emigrierte Kollegen traf; dann jedoch kehrte er nach Berlin zurück. Kästner begründete diesen Schritt unter anderem damit, dass er vor Ort Chronist der Ereignisse sein wolle. Tatsächlich sammelte er Material aus der Zeit und machte sich in einem geheimen Tagebuch für einen künftigen Roman über das „Dritte Reich“ umfangreiche Notizen in Gabelsberger-Kurzschrift. Dieses blau eingebundene Buch versteckte er in seiner Bibliothek, nahm es aber während des Krieges bei Bombenalarm mit in den Luftschutzkeller, weshalb es – anders als seine viertausend Bücher – erhalten blieb. Mindestens genauso wichtig dürfte aber sein, dass er seine Mutter nicht allein lassen wollte. Mit dem Epigramm Notwendige Antwort auf überflüssige Fragen (aus: Kurz und bündig) lieferte er gewissermaßen selbst eine Antwort: Der nationalsozialistischen Führung war Kästner als populärer, weltläufig-großstädtischer Asphaltliterat verhasst. Er wurde zweimal von der Gestapo festgenommen und jeweils für einige Stunden verhört. Seine Werke, bis auf Emil und die Detektive, wurden bei der öffentlichen Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 als „wider den deutschen Geist“ verbrannt (Goebbels nannte Kästners Namen als dritten), was er selbst aus nächster Nähe beobachtete. Der Aufnahmeantrag Kästners in die Reichsschrifttumskammer wurde wegen seiner „kulturbolschewistischen Haltung im Schrifttum vor 1933“ abgelehnt, was sich vor allem auf seine Unterzeichnung des Dringenden Appells des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes vom Juni 1932 bezieht. Dies war gleichbedeutend mit einem Publikationsverbot im Deutschen Reich. Der mit Kästner befreundete, emigrierte, jüdische Verleger Kurt Leo Maschler übernahm die Rechte vom Berliner Verlag Williams & Co. Bücher von Kästner konnten nun – in einer Ausnahmeregel für Kästner – im Ausland, und zwar in der Schweiz, in dem von Maschler gegründeten Atrium Verlag erscheinen. Im Januar 1943 wurde ihm nach Fertigstellung des Drehbuches zu Münchhausen auch das Schreiben von Drehbüchern sowie das Veröffentlichen im Ausland durch den Präsidenten der Reichsschrifttumskammer verboten. Allerdings hat Kästner (im Gegensatz zu dem, was er selbst und seine frühen Biographen später über seine Arbeit in der Zeit des Nationalsozialismus berichteten) während der Diktatur sehr viel gearbeitet und unter Pseudonym auch erfolgreich publiziert. Das war wiederum eine Ausnahme für Kästner, hinter der Goebbels stand. Kästner stand nach Ansicht von Hermann Kurzke auf dem Höhepunkt seiner Produktivität und lieferte der Unterhaltungsindustrie des Dritten Reiches, dessen Kulturfunktionäre sein Talent in Wahrheit durchaus schätzten und für ihre Zwecke zu nutzen suchten, Theatertexte und diverse Filmdrehbücher (teilweise als Mitautor). Besonders erfolgreich war Das lebenslängliche Kind; im Ausland und in der Nachkriegszeit als Buch bzw. Film unter dem Namen Drei Männer im Schnee vermarktet. Mit einer Ausnahmegenehmigung lieferte Kästner, angeblich auf Wunsch von Goebbels, 1942 unter dem Pseudonym Berthold Bürger auch das Drehbuch zu Münchhausen, dem prestigeträchtigen Jubiläumsfilm der Ufa, der 1943 ins Kino kam. Der Anteil Kästners an dem etwa in der gleichen Zeit mit Bobby E. Lüthge und Helmut Weiss verfassten Drehbuch zu dem Heinz-Rühmann-Film Ich vertraue Dir meine Frau an lässt sich heute nicht mehr abschätzen. Im Mai 1942 ging die Fehlmeldung „Erich Kästner gestorben“ durch die ausländische Presse. Ab 1942 wohnte Kästner auf Grund der laufenden Dreharbeiten an der UFA-Produktion des Münchhausen-Films längere Zeit in dem Haus der Schauspielerin Brigitte Horney in Neubabelsberg, Rathausstraße 6 (heute Johann-Strauß-Platz 11). Hier schrieb er auch zeitweilig sein „geheimes Kriegstagebuch“. Als Kästners Wohnung in Charlottenburg, Roscherstraße 16, im Februar 1944 durch Bomben zerstört wurde, zog er zu seiner Lebensgefährtin Luiselotte Enderle in die Sybelstraße. Als beide dann infolge immer mehr zunehmender Luftangriffe auch diese Wohnung verlassen mussten, erhielten sie beim Zeitungsverleger Erich Stückrath in Neubabelsberg Quartier. Mit dem Anrücken der Front auf Berlin versuchte Kästner, sich in Sicherheit zu bringen. Da kam der UFA-Produktionsleiter Eberhard Schmidt mit dem Vorschlag, seine Lebensgefährtin und ihn auf die Liste eines fiktiven Filmstabes zu setzen. Dazu wurden dringende Außenaufnahmen in den Alpen angesetzt. So gelang es ihm am 7. März 1945, mit einem 60-köpfigen Filmteam zu angeblichen Dreharbeiten nach Mayrhofen in Tirol zu reisen und dort das Kriegsende abzuwarten. Der ganze Bluff konnte dann, als in Mayrhofen die amerikanischen Militärfahrzeuge auftauchten, beendet werden. Diese Zeit hielt Kästner in einem 1961 unter dem Titel Notabene 45 veröffentlichten Tagebuch fest. München 1945–1974 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog Kästner nach München, wo er bis 1948 das Feuilleton der Neuen Zeitung leitete, und war dabei auch als Beobachter Zeuge der Prozesseröffnung der Nürnberger Prozesse. In München gab er auch die Kinder- und Jugendzeitschrift Pinguin heraus. Gleichzeitig widmete er sich verstärkt dem literarischen Kabarett. So arbeitete er für Die Schaubude (1945–1948) sowie Die Kleine Freiheit (ab 1951) und für den Hörfunk. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Nummern, Lieder, Hörspiele, Reden und Aufsätze, die sich mit dem Nationalsozialismus, dem Krieg und der Realität im zerstörten Deutschland auseinandersetzten, u. a. das Marschlied 1945, das Deutsche Ringelspiel und das Kinderbuch Die Konferenz der Tiere. Kästners Optimismus der unmittelbaren Nachkriegszeit wich umso mehr der Resignation, als die Westdeutschen mit Währungsreform und Wirtschaftswunder versuchten, zur Tagesordnung überzugehen. Hinzu kamen die bald erstarkenden Stimmen für eine Remilitarisierung. Seinem Anti-Militarismus blieb Kästner treu – er trat bei Ostermärschen als Redner auf und wandte sich später auch entschieden gegen den Vietnamkrieg. Sein Engagement richtete sich zudem gegen staatliche Maßnahmen, die er als Einschränkung der Pressefreiheit sah. So protestierte er 1952 etwa gegen das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ und zählte 1962 zu den ersten Intellektuellen, die sich gegen die Durchsuchungen und Verhaftungen während der Spiegel-Affäre wandten. Im Jahr 1954 hielt Kästner eine Rede zur Erinnerung an das Attentat vom 20. Juli 1944 in den Münchner Kammerspielen, die noch im gleichen Jahr unter dem Titel „Von der deutschen Vergesslichkeit“ in der Zeitschrift Merkur abgedruckt wurde. Darin bezeichnete er die Attentäter als ein Vorbild für die Jugend des Jahres 1954. Er veröffentlichte jedoch immer weniger, wozu auch sein zunehmender Alkoholismus beitrug. Kästner fand keinen Anschluss an die Nachkriegsliteratur und wurde in den 1950er und 1960er Jahren überwiegend als Kinderbuchautor wahrgenommen und gewürdigt. Die Wiederentdeckung seines literarischen Werks aus der Zeit der Weimarer Republik begann erst ab den 1970er Jahren. Dennoch war Kästner sehr erfolgreich. Seine Kinderbücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt, er selbst wurde vielfach geehrt. 1951 wurde er Präsident des westdeutschen P.E.N.-Zentrums und hatte dieses Amt bis 1962 inne; 1965 wurde er zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Außerdem war er einer der Begründer der Internationalen Jugendbibliothek in München. Kästner blieb lebenslang unverheiratet; er hatte allerdings zum Teil langjährige Liebesbeziehungen und Affären. Im Jahr 1957 wurde sein Sohn Thomas geboren. Von 1964 bis 1969 lebte Kästner mit seiner Freundin Friedel Siebert (1926–1986) und dem gemeinsamen Sohn in einer Villa in der Parkstraße 3a in Berlin-Hermsdorf am Waldsee. Kästner pendelte zwischen der Freundin in Berlin und der Lebensgefährtin Luiselotte Enderle (1908–1991) in München. Daneben verbrachte er viel Zeit in Sanatorien. 1969 feierte er seinen 70. Geburtstag am Waldsee in Berlin-Hermsdorf. Im selben Jahr trennte sich Friedel Siebert von ihm und übersiedelte mit Thomas in die Schweiz. Im Jahr 1977 wurde die Sammlung Briefe aus dem Tessin, die Kästner in den 1960er Jahren an Mutter und Sohn geschrieben hatte, veröffentlicht. Für Thomas verfasste er auch seine beiden letzten Kinderbücher Der kleine Mann und Der kleine Mann und die kleine Miss. Kästner war häufig auch Rezitator seiner Werke. Bereits in den 1920er Jahren besprach er Schellackplatten mit seinen zeitkritischen Gedichten. In den Verfilmungen seiner Kinderbücher war er mehrfach der Erzähler, so zum Beispiel in der Verfilmung seines Buches Das doppelte Lottchen 1950 und in der ersten Hörspielbearbeitung von Pünktchen und Anton 1963. Des Weiteren sprach er für das Literarische Archiv der Deutschen Grammophon eine Auswahl seiner Gedichte, auch Epigramme, und nahm seine Till-Eulenspiegel-Bearbeitung für die Sprechplatte auf. Kästner machte auch literarische Solo-Abende – unter anderem im Münchner Cuvilliés-Theater – und las für den Hörfunk Teile seines Werks, wie etwa Als ich ein kleiner Junge war. Ab 1965 zog Kästner sich fast ganz aus dem Literaturbetrieb zurück. Kurz vor seinem Tod gab er die Genehmigung, das Erich Kästner Kinderdorf nach ihm zu benennen. Kästner starb am 29. Juli 1974 im Klinikum Neuperlach an Speiseröhrenkrebs und wurde nach seiner Einäscherung auf dem Bogenhausener Friedhof in München beigesetzt. Werk und Rezeption Kästners Weltbild zeigt eine Zweiteilung, die sein Werk durchzieht. Der spöttisch und negativ geschilderten Welt der Erwachsenen steht die entgegengesetzte Sphäre der Kinder gegenüber; eine Einteilung, die sich nach Auffassung Andreas Drouves mit den Polaritäten des Bösen und des Guten veranschaulichen lässt. Während seine satirischen Verse eine pessimistische und zyklische Weltauffassung erkennen lassen, offenbaren die Kinderbücher die Hoffnung auf eine progressive Entwicklung der Menschheit. Laut Drouve gerät Kästner in die literarisch widersprüchliche Situation, den Kindern eine Welt zu präsentieren, an die er selbst nicht glauben kann, den Erwachsenen hingegen eine solche, in der eine innere Entwicklung unmöglich zu sein scheint. Dieser Dualismus sei das Ergebnis seiner Versuche, sich die Realität jeweils so zu konstruieren, wie er sie gerade benötige, um schriftstellerisch erfolgreich zu sein, was ihn von „wirklichen Aufklärern“ wie Lessing oder Kurt Tucholsky unterscheide. So schrieb auch der Kinderbuchautor Fred Rodrian, Kästner habe die Welt in eine „schlechte, hoffnungslos-reale Welt der Erwachsenen“ auf der einen und eine „integre, einzige gute Welt der Kinder“ auf der anderen Seite eingeteilt. Seine satirischen Pfeile richte er gegen die böse Welt des Fabian; in den Kinderbüchern hingegen existiere das Böse nur, um das Gute zu zeigen. Emil sei „die Kindheit Fabians. Als Fabian wird Emil vermutlich ertrinken.“ Die Zweiteilung der Welt sei Kästners großer Irrtum gewesen. Orientiert man sich an Kästners Ausführungen, wollte er als Satiriker die Menschen durch Einsicht moralisch bessern. Der durchgehend pessimistische und nihilistische Hintergrund seiner satirischen Schriften ist mit der Haltung verbunden, dass es trotz technisch-wissenschaftlicher Entwicklung keinen Fortschritt gegeben hat und geben wird. Diese Perspektive lässt sich etwa in dem Gedicht Die Entwicklung der Menschheit erkennen, in dem die „aus dem Urwald gelockt(en)“, mit den Errungenschaften der Zivilisation und Wissenschaft gesegneten Menschen „bei Lichte betrachtet … noch immer die alten Affen“ sind. Die spöttischen Verse seien auf den moralischen Reifeprozess des Menschen bezogen, der noch nicht seiner äußeren Entwicklung entspreche. Mit seinen Urinstinkten sei er auch in den zentralgeheizten Hochhäusern auf der alten Stufe verblieben und unterscheide sich nur durch technische Innovationen von seinen Vorfahren; eine Auffassung, die sich auch in dem Gedicht Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag finden lässt. Neben Gesellschaft und Kultur gehören Krieg und Militarismus zu den Zielen der satirischen Spitzen. Dabei zeigen Kästners antimilitaristische Verse seine Stellung als „Mahner und Warner“ am deutlichsten, etwa in seinem bekannten Gedicht Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?, in dem er die Ursachen des Krieges auf menschliche Dummheit zurückführt und das er an den Anfang seines Auswahlbandes Bei Durchsicht meiner Bücher aufnahm, der 1946 im Atrium Verlag erschien. Die manifeste politische Haltung seiner Lyrik ist von einem idealistischen Moralismus geprägt. Kästners Gesellschaftskritik ist intuitiv und moralisch und dringt nicht in die Analyse der Verhältnisse vor, so dass sich seine Texte meist darauf beschränken, an den guten Willen zu appellieren. Die erkannte Ohnmacht gegenüber der kritisierten Welt mündet häufig in resignative Worte, wie etwa in dem Sammelband Gesang zwischen den Stühlen deutlich zu erkennen ist. Die Forderung nach positiven Aussagen griff Kästner in seinem Gedicht Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner? auf, in dem er sich von seinen Lesern ausdrücklich ansprechen ließ. Kästners Haltung wurde von einigen Zeitgenossen heftig kritisiert. So charakterisierte Walter Benjamin in seinem einflussreichen Artikel Linke Melancholie die Einstellung als politischen Radikalismus, der positionslos sei, zu Fatalismus führen und von den Kritisierten sogar begrüßt werden könne. Benjamin sah in der Schwermut des Verfassers eine routinierte Methode und unterzog die Gedichte, die durch Tageszeitungen „wie ein Fisch im Wasser flitzen“ würden, einer ideologiekritischen Betrachtung. Kästner produziere lyrische Massenware und befinde sich auf einer angenehmen Position, die fern jeglicher Verantwortung liege und die gesellschaftliche Problematik leugne. Mit routinierten Anmerkungen gebe er seinen „lackierten Kinderbällchen das Ansehen von Rugbybällen“. Während Benjamin und Bertolt Brecht Gebrauchslyrik wie Gebrauchsliteratur im Zusammenhang mit politischen Funktionen und Veränderungen sahen, zielte Kästners Definition eher auf Verse, die leicht konsumiert werden können. So schrieb er in dem Artikel Ringelnatz und Gedichte überhaupt, der Anfang 1930 für die Neue Leipziger Zeitung entstand, es sei „keine Schande, Verse zu schreiben, die den Zeitgenossen begreiflich erscheinen.“ Hinterlasse der ‚reine‘ Dichter „Konservenlyrik“ für die Ewigkeit, die man aufheben und für „spätere Doktorarbeiten“ nutzen könne, schreibe der Gebrauchslyriker „für heute, zum Sofortessen“. Vermutlich seien seine Produkte nicht lange haltbar und würden rasch verderben. Dieser Ansatz unterscheidet sich von Brechts Anweisungen zu seiner Hauspostille, die „für den Gebrauch der Leser bestimmt“ sei und nicht „sinnlos hineingefressen“ werden solle. Nach Ansicht Marcel Reich-Ranickis liebte Kästner „das Spiel mit vertauschten Rollen.“ Er sah die Leser seiner Essays als Kinder und die Leser seiner Kinderbücher als Erwachsene an. Diejenigen, die in seinen Büchern über einen gesunden Menschenverstand verfügen, sind die Kinder und Halbwüchsigen. Sie verfolgen und fassen den Dieb, und die Ordnung wird hierdurch wiederhergestellt (Emil und die Detektive). Nicht die Eltern erziehen ihre Kinder – Erzieher sind die Kinder, die ihre Eltern zur Räson bringen (Das doppelte Lottchen). Kinder empfanden die meisten seiner Kinderbücher als wahr, weil sie oft das Milieu zeigten, das ihnen vertraut war. Seien es die Höfe Berlins oder einfach „dem Volk aufs Maul geschaut.“ Er habe die Alltagssprache in seinen Büchern fixiert und damit den Kinderroman Emil und die Detektive in die Neue Sachlichkeit eingebunden. Auszeichnungen 1951: Deutscher Filmpreis für das beste Drehbuch Das doppelte Lottchen 1956: Literaturpreis der Landeshauptstadt München 1957: Georg-Büchner-Preis 1959: Großes Bundesverdienstkreuz 1960: Hans Christian Andersen Preis (Hans-Christian-Andersen-Medaille) 1968: Lessing-Ring (zusammen mit dem Literaturpreis der deutschen Freimaurer) 1969: Filmband in Gold für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film 1970: Kultureller Ehrenpreis der Landeshauptstadt München 1974: Goldene Ehrenmünze der Landeshauptstadt München Weitere Ehrungen Nach Kästner sind in Deutschland 96 Straßen und über 100 Erich Kästner-Schulen benannt. Diese nutzen die Freiheit bei Eigennamen der Rechtschreibregeln zur Durchkopplung und verwenden die Schreibweise „Erich Kästner-Schule“ oder „Erich Kästner Schule“. Damit folgen sie einem ausdrücklichen Wunsch Kästners. Der Asteroid (12318) Kästner erhielt den Namen von Erich Kästner. Zum 100. Geburtstag Kästners gab die Deutsche Post im Briefmarken-Jahrgang 1999 ein Sonderpostwertzeichen mit einem Motiv aus Emil und die Detektive und dem Nennwert 3 Deutsche Mark heraus (Michel-Nr. 2035). Seit 2004 trägt einer der Sterne der Satire – Walk of Fame des Kabaretts Kästners Namen. Einer der ersten neuen Intercity-Express-Züge (ICE 4) wurde im Oktober 2017 nach Erich Kästner benannt. Kästners Namen tragen auch der Erich Kästner Preis für Literatur der Erich Kästner Gesellschaft, der Erich Kästner-Preis des Presseclubs Dresden sowie die Erich Kästner Bibliothek in Oberschwarzach. Erinnerungsstätten In Dresden-Neustadt (Antonstraße 1 am Albertplatz) befindet sich in der Villa Augustin das Erich Kästner Museum, für das sich ein Förderverein engagiert. Dort wurde auch eine Bronze-Plastik auf eine Mauer gesetzt, die Kästner als sitzenden Jungen darstellt: „Am liebsten hockte ich auf der Gartenmauer und schaute dem Leben und Treiben auf dem Albertplatz zu. Die Straßenbahnen (…) hielten dicht vor meinem Auge, als täten sie's mir zuliebe.“ Die Kästner-Plastik wurde von dem ungarischen Bildhauer und Maler Mátyás Varga erschaffen, einem Sohn von Imre Varga. An seinem Geburtshaus in der nahegelegenen Königsbrücker Straße 66 ist eine Erinnerungstafel angebracht. Berlin ehrt Kästner mit gegenwärtig zwei Gedenktafeln an dessen früheren Wohnungen: am Haus Parkstraße 3a in Berlin-Hermsdorf und in der heutigen Prager Straße 6–10 in Berlin-Wilmersdorf. Am langjährigen Wohnort Kästners in Berlin-Charlottenburg, Roscherstraße 16, (1929–1944) wurde keine Erinnerungstafel angebracht. Ein anderes Denkmal, einige von Kästners Büchern symbolisierend, dazu ein Hut und ein Aschenbecher, steht in Dresden am Albertplatz. Nachlass Das Erich Kästner Kinderdorf in Oberschwarzach im Landkreis Schweinfurt bewahrt nach dem Wunsch Erich Kästners und Luiselotte Enderles seit Anfang der 1990er Jahre den Nachlass Kästners, darunter 8200 Bücher aus seiner Privatbibliothek und zahlreiche Gegenstände aus seinem Alltag. Kästners schriftlicher Nachlass liegt im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Teile davon sind im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen, dazu gehören die Typoskripte seiner Romane Emil und die Detektive und Fabian. Förderverein 2015 gründete sich der Förderverein Erich Kästner Forschung e. V. mit Sitz in München, der unter dem Reihentitel Erich Kästner-Studien Publikationen über Kästner herausgibt. Der Verein fördert wissenschaftliche und kulturelle Aktivitäten zu Kästners Leben, Werk und Wirkung, darunter Tagungen, Vorträge, Workshops und kulturelle Veranstaltungen. Darstellung Kästners in der bildenden Kunst (Auswahl) Emil Stumpp: Erich Kästner (Kreide-Lithographie, 1930) Werke (Auswahl) Originale Einzelausgaben Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest. Theaterstück, 1927. (UA: 3. November 2013 am Staatsschauspiel Dresden) Herz auf Taille. 1928. Emil und die Detektive. 1929 Lärm im Spiegel. C. Weller Co. Verlag, Leipzig u. Wien 1929; Cecilie Dressler Verlag, Berlin 1963. Leben in dieser Zeit. 1929 Ein Mann gibt Auskunft. 1930. Das letzte Kapitel. 1930. Die Ballade vom Nachahmungstrieb 1931. Arthur mit dem langen Arm. 1931. Pünktchen und Anton. 1931. Fabian. Die Geschichte eines Moralisten. 1931. Der Gang vor die Hunde. (Neuausgabe von Fabian, Atrium Verlag, Zürich 2013.) Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee. 1931. Das verhexte Telefon. 1931. Gesang zwischen den Stühlen. 1932. Das fliegende Klassenzimmer. 1933. Drei Männer im Schnee. 1934. Emil und die drei Zwillinge. 1934. (Fortsetzung von „Emil und die Detektive“), Illustrationen von Hans Kossatz Die verschwundene Miniatur. 1935. Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke. 1936. Der Zauberlehrling. (Romanfragment), 1936. (Neuauflage: Atrium Verlag, Zürich 2016, ISBN 978-3-85535-399-6.) Georg und die Zwischenfälle. (Der kleine Grenzverkehr), 1938. Kurz und bündig. Epigramme. 1948. Die Konferenz der Tiere. 1949. Das doppelte Lottchen. 1949. Die 13 Monate. 1955. Die Schule der Diktatoren. 1957. Als ich ein kleiner Junge war. 1957. Über das Nichtlesen von Büchern, mit Zeichnungen von Paul Flora, 1958. Die Ballade vom Nachahmungstrieb. 1959. Notabene 45. 1961. (literar. Tagebuch, Feb. – Aug. 1945; Neuauflage: Atrium Verlag, Zürich 2012, ISBN 978-3-85535-386-6.) Das Schwein beim Friseur. 1962. Der kleine Mann. 1963. Der kleine Mann und die kleine Miss. 1967. … was nicht in euren Lesebüchern steht. 1968. Über das Verbrennen von Büchern. Atrium Verlag, Zürich 2012, ISBN 978-3-85535-389-7. Das Blaue Buch: Geheimes Kriegstagebuch 1941–1945. Atrium Verlag, Zürich 2018, ISBN 978-3-85535-019-3. Sammelausgaben Die Schule der Diktatoren und noch mehr Theater. Hg. und mit einem Vorwort von Jochen Ziller. Zürich, Atrium 1959, (Dialog (Buchreihe), Berlin 1979) Kästner für Erwachsene, hg. von Rudolf Walter Leonhardt, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1966 Christian Strich (Hrsg.): Das Erich Kästner Lesebuch, Diogenes Verlag, Zürich 1978 ISBN 3-257-20515-5. Volker Ladenthin (Hrsg.): Erich Kästner Gedichte, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1987, ISBN 3-15-008373-7. Sylvia List (Hrsg.): Das große Erich-Kästner-Buch. Mit einem Geleitwort von Hermann Kesten. Atrium Verlag, Zürich 2002, ISBN 3-85535-945-8. Bei Durchsicht meiner Bücher. Eine Auswahl aus vier Versbänden. Atrium, Zürich 1946/1985, ISBN 3-85535-912-1. Wieso. Warum. Ausgewählte Gedichte. 1928–1955. Aufbau, Berlin 1965. Die Kästner-Kassette. Gesammelte Schriften für Erwachsene. 8 Bände. Knaur (= Knaur-Taschenbücher. Band 200.) Neuaufgelegt als: Gedichte. Mit einem Nachwort und hrsg. von Volker Ladenthin. Reclam, Stuttgart 1987, ISBN 3-15-008373-7. Gemischte Gefühle. Literarische Publizistik aus der „Neuen Leipziger Zeitung“ 1923–1933. Herausgeber: Alfred Klein. 2 Bände, Atrium Verlag, Zürich 1989, ISBN 3-85535-998-9. Werkeausgabe in neun Bänden, Hanser, München/Wien 1998, ISBN 3-446-19564-5/ISBN 3-446-19563-7. Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! Ausgewählte Briefe von 1909–1972, hrsg. von Sven Hanuschek. Atrium, Zürich 2003, ISBN 3-85535-944-X. Die Gedichte. Alle Gedichte vom ersten Band „Herz auf Taille“ bis zum letzten „Die dreizehn Monate“. Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2010, ISBN 978-3-942048-20-0. Der Herr aus Glas. Erzählungen. Hrsg. von Sven Hanuschek. Atrium Verlag, Zürich 2015, ISBN 978-3-85535-411-5. Resignation ist kein Gesichtspunkt : politische Reden und Feuilletons, herausgegeben von Sven Hanuschek, Zürich : Atrium Verlag, 2023, ISBN 978-3-85535-133-6 Hörbücher Gert Fröbe liest aus Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke. 1 CD, 34 Min., 1988. Kein & Aber Records, Zürich 2003, ISBN 3-0369-1137-5. Das Beste von Erich Kästner. I. 3 CDs, 155 Min., Teil 1, mit den Hörspielen Emil und die Detektive, Das fliegende Klassenzimmer, Pünktchen und Anton. Sprecher: Heinz Schimmelpfennig, Erich Kästner, Heinz Reincke. Oetinger Media, Hamburg 2014, ISBN 978-3-8373-0714-6. Das Beste von Erich Kästner. II. 3 CDs, 165 Min., Teil 2, Hörspiele: Das doppelte Lottchen, Die Konferenz der Tiere, Als ich ein kleiner Junge war. Sprecher: Hans Söhnker, Martin Held, Heinz Drache. Oetinger Media, Hamburg 2017, ISBN 978-3-8373-0993-5. Erich Kästner liest seine Eulenspiegel-Bearbeitung (1955) Verfilmungen (Auswahl) Mehr als 40 Filme sind in vielen Ländern nach Kästners Werken oder mit von ihm entworfenen Drehbüchern entstanden, die bekanntesten sind: 1931: Dann schon lieber Lebertran. Regie: Max Ophüls (mit Alfred Braun, Käthe Haack, Hannelore Schroth, Gert Klein u. a.) 1931: Emil und die Detektive. Regie: Gerhard Lamprecht; Drehbuch: Billy Wilder (als: Billie Wilder) (mit Rolf Wenkhaus und Käthe Haack) 1935: Emil and the Detectives. Regie: Milton Rosmer 1936: Tři muži ve sněhu. Tschechische Version von Drei Männer im Schnee 1936: Stackars miljonärer. Schwedische Version von Drei Männer im Schnee 1938: Drei Männer im Paradies (Paradise for Three). Regie: Edward Buzzell (mit Robert Young, Mary Astor und Sig Ruman). Verfilmung von Drei Männer im Schnee 1940: Frau nach Maß. Regie: Helmut Käutner (mit Hans Söhnker) 1943: Münchhausen. Regie: Josef von Báky, Drehbuch: Erich Kästner als Berthold Bürger (mit Hans Albers und Brigitte Horney) 1943: Der kleine Grenzverkehr. Regie: Hans Deppe (mit Willy Fritsch) 1950: Das doppelte Lottchen. Regie: Josef von Báky (mit Antje Weisgerber) 1953: Twice upon a Time. Regie: Emeric Pressburger (britische Version vom Doppelten Lottchen) 1953: Pünktchen und Anton. Regie: Thomas Engel (mit Hertha Feiler, Paul Klinger und Jane Tilden) 1954: Emil und die Detektive. Regie: Robert A. Stemmle (mit Peter Finkbeiner und Heli Finkenzeller) 1954: Die verschwundene Miniatur. Regie: Carl-Heinz Schroth 1954: Das fliegende Klassenzimmer. Regie: Kurt Hoffmann (mit Paul Dahlke, Paul Klinger und Erich Ponto) 1955: Drei Männer im Schnee. Regie: Kurt Hoffmann (mit Paul Dahlke, Günther Lüders, Claus Biederstaedt und Nicole Heesters) 1956: Salzburger Geschichten. Regie: Kurt Hoffmann, Drehbuch: Erich Kästner (mit Marianne Koch, Paul Hubschmid; Verfilmung des Romans Der kleine Grenzverkehr) 1961: Die Vermählung ihrer Eltern geben bekannt (The Parent Trap). Regie: David Swift (mit Hayley Mills, Brian Keith und Maureen O’Hara – US-amerikanische Version vom Doppelten Lottchen) 1963: Liebe will gelernt sein. Regie: Kurt Hoffmann (mit Martin Held, Barbara Rütting und Götz George) 1964: Emil and the Detectives. Regie: Peter Tewksbury (mit Walter Slezak und Heinz Schubert) 1969: Die Konferenz der Tiere. Zeichentrickfilm von Curt Linda 1973: Das fliegende Klassenzimmer. Regie: Werner Jacobs (mit Joachim Fuchsberger und Heinz Reincke) 1974: Drei Männer im Schnee – Regie: Alfred Vohrer (mit Klaus Schwarzkopf, Roberto Blanco, Thomas Fritsch und Susanne Uhlen) 1980: Fabian. Regie: Wolf Gremm (mit Hans Peter Hallwachs) 1994: Charlie & Louise – Das doppelte Lottchen. Regie: Joseph Vilsmaier (mit Corinna Harfouch und Heiner Lauterbach sowie Fritzi und Floriane Eichhorn) 1998: Ein Zwilling kommt selten allein. (The Parent Trap). Regie: Nancy Meyers (mit Dennis Quaid, Lindsay Lohan – eine weitere US-Fassung des Doppelten Lottchens) 1999: Pünktchen und Anton. Regie: Caroline Link (mit Juliane Köhler, August Zirner und Meret Becker) 2001: Emil und die Detektive. Regie: Franziska Buch (mit Jürgen Vogel, Maria Schrader und Kai Wiesinger) 2003: Das fliegende Klassenzimmer. Regie: Tomy Wigand (mit Ulrich Noethen, Sebastian Koch und Piet Klocke) 2007: Das doppelte Lottchen. (Animationsfilm) 2010: Konferenz der Tiere. (Animationsfilm) 2017: Das doppelte Lottchen. Regie: Lancelot von Naso (mit Mia & Delphine Lohmann, Alwara Höfels und Florian Stetter) 2021: Fabian oder Der Gang vor die Hunde. Regie: Dominik Graf (mit Tom Schilling, Saskia Rosendahl und Albrecht Schuch) 2023: Das fliegende Klassenzimmer. Regie: Carolina Hellsgård (mit Tom Schilling, Trystan Pütter und Hannah Herzsprung) Bühnenbearbeitungen (Auswahl) 1940: Der Millionär im Dachstübli. Musikalisches Lustspiel von Albert Jenny nach Erich Kästners Drei Männer im Schnee. Für die Schulbühne bearbeitet: 11 Nummern (Lieder, Duette, Chöre, Orchesterstücke) (1940), Uraufführung: Kollegium St. Fidelis in Stans, Februar 1940. 1947: Pünktchen und Anton. Regie: Hugo Schrader (Gastspiel Bühne der Jugend in der Neuen Scala Berlin) 2001: Emil und die Detektive. Musical. Musik: Marc Schubring, Text: Wolfgang Adenberg. UA: 11. November 2001, Stella Musical Theater, Berlin 2005: Als ich ein kleiner Junge war. Regie und Schauspiel: Walter Sittler (Solo). UA: 2005 2013: Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest. Theaterstück von 1927, Regie: Susanne Lietzow, UA: 3. November 2013 am Staatsschauspiel Dresden. 2011: Pünktchen und Anton. Musical. Musik: Marc Schubring, Text: Wolfgang Adenberg 2015: Fabian – Der Gang vor die Hunde. Adaption von Peter Kleinert. Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. UA: 24. Januar 2015, Berliner Schaubühne. 2017: Kästner PUR. Der Zukunft werden sacht die Füße kalt. Von Timo Matzolleck u. a. nach Erich Kästners Der tägliche Kram und gesammelter Lyrik. UA: 3. Februar 2017, Kammertheater Der Kleine Bühnenboden, Münster. 2017: Fabian oder Der Gang vor die Hunde. Schauspielhaus Düsseldorf, Regie: Bernadette Sonnenbichler, UA: 14. Oktober 2017. 2019: Fabian. Deutsches Theater Berlin, Regie: Alexander Riemenschneider, UA: 23. Februar 2019, Box. Über Kästner Erich Kästner – Schriftsteller für Kinder und Erwachsene, Regie: Eva Hassencamp, Sprecher: Herbert Mulzer (Dokumentation) 2017: Parole Kästner! Regie: Jan-Christoph Gockel, unter Verwendung von Originaltexten, Tondokumenten u. a., UA: 26. November 2017 am Staatsschauspiel Dresden, Kleines Haus 1. 2019: Erich Kästner – Fort von hier! Eine Eisenbahnfahrt nach Warnemünde mit Liedern, Gedichten und Texten von Erich Kästner. Regie: Sonja Hilberger, unter Verwendung von Originaltexten, UA: 14. Dezember 2019 am Volkstheater Rostock, Kleine Komödie Warnemünde. Literatur Bibliographie Johan Zonneveld: Bibliographie Erich Kästner: mit einer ausführlichen Zeittafel und zahlreichen Fotos von Stationen seines Lebens und den literarischen Schauplätzen. 3 Bände, Aisthesis, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-89528-835-7, (Buchanfang, Band I, 88 S., PDF). Weitere Literatur Gwendolyn von Ambesser: Schaubudenzauber – Geschichte und Geschichten eines legendären Kabaretts. Edition AV, Lich/Hessen 2006, ISBN 3-936049-68-8. Michael Bienert: Kästners Berlin. Literarische Schauplätze. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2014, ISBN 978-3-945256-00-8. Helga Bemmann: Humor auf Taille. Erich Kästner – Leben und Werk. Verlag der Nation, Berlin 1983. Neuausgabe u.d.T. Erich Kästner. Leben und Werk. Ullstein, Berlin 1994. (Dissertation der Philipps-Universität Marburg, 1993). Birgit Ebbert: Erziehung zu Menschlichkeit und Demokratie. Erich Kästner und seine Jugendzeitschrift ‚Pinguin‘ im Erziehungsgefüge der Nachkriegszeit. Peter Lang, Frankfurt 1994, ISBN 3-631-47153-X, (Dissertation der Universität Bonn, 1993). Luiselotte Enderle: Kästner – Eine Bildbiographie. Kindler, München 1960. Neuauflage, um eine Bibliografie ergänzt von Helmut Riege als: Erich Kästner in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek 1966, ISBN 3-499-50120-1. Franz Josef Görtz, Hans Sarkowicz: Erich Kästner – Eine Biographie. Piper, München, Zürich 1998, ISBN 978-3-492-03890-4. Besprechung:. Sven Hanuschek: Erich Kästner. Hanser Verlag, München 1999, ISBN 978-3-446-19565-3 (diverse Taschenbuchausgaben). Sven Hanuschek, Silke Becker und Ulrich von Bülow (Hrsg.) Erich Kästner, das blaue Buch, geheimes Kriegstagesbuch 1941-1945, Zürich 2018. Günter Helmes: Erich Kästner als Medienautor: Die Drehbücher zu den Filmen „Münchhausen“ und „Dann schon lieber Lebertran“. In: Jahrbuch zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik, Bd. 11, 2007, S. 167–181, . Günter Helmes: Münchhausen. Unterhaltung im NS-Format. In: Das Jahrhundert der Bilder, Bd. 1: 1900 bis 1949, hrsg. von Gerhard Paul. Göttingen 2009, S. 632–639. Thomas O. H. Kaiser: „Parole Emil!“: Über Erich Kästner. Leben – Werk – Wirkung. Verlag BoD – Books on Demand, 2019, ISBN 3-7347-8317-8. Klaus Kordon: Die Zeit ist kaputt – Erich Kästner. Beltz und Gelberg, Weinheim 1998, ISBN 3-407-78782-0. Volker Ladenthin: Erich Kästners Bemerkungen über den Realismus in der Prosa. Ein Beitrag zum poetologischen Denken Erich Kästners und zur Theorie der Neuen Sachlichkeit. In: Wirkendes Wort 38 (1988), S. 62–77. Sylvia List (Hrsg.): Das große Erich-Kästner-Buch. Mit einem Geleitwort von Hermann Kesten. Von und über Erich Kästner in Texten und Bildern. Piper, München 1975, ISBN 3-492-02139-5. Neuausgabe Piper 1987, dtv 1998. Neuausgabe Atrium, Zürich 2002, ISBN 3-85535-945-8. Dieter Mank: Erich Kästner im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1945: Zeit ohne Werk? (= Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 418). Peter Lang, Bern / Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-8204-7072-7, (Dissertation der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, 1980). Dagmar Nick (Hrsg.): Edmund Nick. Das literarische Kabarett »Die Schaubude« 1945–1948. Seine Geschichte in Briefen und Songs. edition monacensia im Allitera Verlag, München 2004, ISBN 3-86520-026-5, . Isa Schikorsky: Erich Kästner. dtv, München 1998, ISBN 3-423-31011-1. Werner Schneyder: Erich Kästner. Ein brauchbarer Autor. Kindler, München 1982, ISBN 3-463-00844-0. Ausstellungen (Auswahl) Erich Kästner: Leben und Werk. Goethe-Institut in der Internationalen Jugendbibliothek, München, 1964. Die Ausstellung ging im Anschluss unter anderem nach Stockholm und Kopenhagen. „Die Zeit fährt Auto.“ Erich Kästner zum 100. Geburtstag. Deutsches Historisches Museum, Berlin, 24. Februar 1999 – 1. Juni 1999 und Münchner Stadtmuseum, 2. Juli 1999 – 26. September 1999. „Ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter“. Heimatmuseum Reinickendorf, Alt-Hermsdorf, Berlin, 29. April 2014 – 7. September 2014. „Gestatten, Kästner!“ Literaturhaus München, 24. September 2015 – 14. Februar 2016 und Motorenhalle Dresden. Projektzentrum für zeitgenössische Kunst, 10. März 2016 – 10. Juli 2016. Der doppelte Erich. Erich Ohser illustriert Erich Kästner. Sommerpalais Greiz, Satiricum, 12. Oktober 2019 – 2. Februar 2020. Filme über Kästner Erich Kästner – Das andere Ich. Dokumentarfilm mit szenischer Dokumentation, Deutschland, 2016, 53:55 Min., Buch und Regie: Annette Baumeister, Produktion: Gebrüder Beetz Filmproduktion, NDR, arte, WDR, Erstsendung: 31. Dezember 2016 bei arte, Inhaltsangabe von ARD, u. a. mit Cornelia Funke, Caroline Link, Campino. Kästner und der kleine Dienstag. Spielfilm, Deutschland, Österreich, 2016, 102 Min., Buch: Dorothee Schön, Regie: Wolfgang Murnberger, Produktion: Ester.Reglin.Film, Dor Film Köln, Degeto, Erstsendung: 21. Dezember 2017 in Das Erste, Inhaltsangabe mit Interview-Videos von Das Erste. Weblinks Datenbanken Erich Kästner in der Datenbank zur Bayerischen Literatur , UB der FU Berlin Portale Informationen über Erich Kästner. In: kaestner-im-netz.de Erich Kästner … für Kinder Biographien Anna Zamolska: Biographie von Erich Kästner. In: KinderundJugendmedien.de, 5. Oktober 2015 Artikel Raoul Löbbert: Erich Kästner zum 30. Todestag. In: Zeit online, 29. Juli 2004 Michael Bienert: Kästner und der Detektiv. In: Tagesspiegel, 26. November 2014, Kästners unbekannte Berliner Adressen Verschiedenes Erich Kästners Gedichte in Hebräisch Erich Kästner im Rostocker Matrikelportal Anmerkungen Autor Literatur (20. Jahrhundert) Literatur (Deutsch) Literatur (Deutschland) Kinder- und Jugendliteratur Lyrik Satire Komödie Publizist Theaterkritiker Tagebuch Innere Emigration Journalist bei den Nürnberger Prozessen Träger des Deutschen Filmpreises Träger des Georg-Büchner-Preises Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste Person als Namensgeber für einen Asteroiden Künstler (Dresden) Deutscher Geboren 1899 Gestorben 1974 Mann
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ETH Zürich
Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, kurz ETH Zürich (, EPFZ, , PF di Zurigo, , SPFT), ist eine technisch-naturwissenschaftliche universitäre Hochschule in Zürich. Sie wurde 1855 als Eidgenössisches Polytechnikum (im Volksmund deshalb das Poly genannt) nach Vorbild der Pariser École polytechnique gegründet. Ihre Gebäude befinden sich an zwei Standorten: einer im Zentrum der Stadt Zürich am Fuss des Zürichbergs, der andere ausserhalb auf dem Hönggerberg. Sie zählt zu den renommiertesten Universitäten weltweit und belegt regelmässig Spitzenplätze in Universitätsrankings. Es gibt 16 Departemente. Zahlreiche weiterführende Studien für ein Doktorat im technischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich sind möglich. Derzeit sind rund 23'000 Studierende und Doktorierende eingeschrieben. Die ETH Zürich beschäftigt über 11'000 Personen. Von den 565 Professuren, einschliesslich 114 Assistenzprofessuren, sind 103 (18,2 %) von Frauen besetzt. Mit der ETH assoziiert sind 22 Nobelpreisträger. ETH-Präsident ist seit 2019 Joël Mesot, Rektor ist Günther Dissertori. Die ETH Zürich ist eingebunden in den ETH-Bereich, der die Technische Hochschule in Zürich und diejenige in Lausanne sowie vier weitere Forschungsanstalten umfasst: Paul Scherrer Institut (PSI), Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag). Seit 2010 hat die ETH Zürich einen Standort in Singapur. Das Centre for Global Environmental Sustainability SEC ist auf gemeinsame Initiative der ETH Zürich mit Singapurs National Research Foundation NRF gegründet worden. Dieses interdisziplinäre Forschungsinstitut befasst sich in seinen beiden Programmen Future Cities Laboratory FCL und Future Resilient Systems FRS mit der nachhaltigen Entwicklung von Städten und ihren Infrastrukturen. Geschichte Anfangsphase Nach einer langen Debatte in dem noch jungen Bundesstaat Schweiz, ob neben den kantonalen Universitäten auch eine nationale, eidgenössische Hochschule zu gründen sei, wurde am 7. Februar 1854 das Gesetz über die eidgenössische polytechnische Schule in Verbindung mit einer Schule für das höhere Studium der exakten, politischen und humanistischen Wissenschaften im Aufbau und Zielsetzung auf der Grundlage der École polytechnique von Paris erlassen. Damit nahm die ETH als Eidgenössische polytechnische Schule am 16. Oktober 1855 in Zürich ihren Betrieb auf. Jedoch wurde das Angebot auf rein technische Fächer beschränkt, da die katholischen, ländlichen Kantone, die eigene Hochschulen unterhielten, ein intellektuelles Monopol der protestantischen, städtischen Kantone verhindern wollten. Die neue Bildungsstätte sollte ein eigenes Gebäude erhalten, und so schrieben die Stadt und der Kanton Zürich einen Architekturwettbewerb aus, an dem sich unter anderem die beiden Professoren Ferdinand Stadler und Gottfried Semper aus Zürich sowie der Badener Architekt Joseph Caspar Jeuch beteiligten. Der deutsche Architekt Semper, der u. a. auch die nach ihm benannte Dresdner Oper entwarf, gewann schliesslich den Wettbewerb und durfte das Gebäude zwischen 1858 und 1864 nach seinen Plänen errichten. Im Südflügel des Gebäudes war anfänglich die bereits bestehende Zürcher Universität einquartiert. Das Polytechnikum wuchs rasch, und jedes Jahrzehnt kam ein neues Gebäude dazu: 1886 das Chemiegebäude an der Universitätstrasse, von 1887 bis 1890 wurde an der Gloriastrasse 35 inmitten von Rebbergen das Physikgebäude gebaut (abgebrochen im Jahre 1974). Weitere Gebäude waren 1874 für die Forstwirtschaft erstellt worden, nördlich des Hauptgebäudes folgte 1900 das Maschinen-Labor und 1915 die Naturwissenschaft. Als Folge der sogenannten Aussonderungsverträge 1905 und 1908 wurden die Gebäude der Zürcher Universität und der ETH 1914 voneinander getrennt. Nach dem Auszug der Universität baute der führende Architekt des Historismus in Zürich, Gustav Gull, zwischen 1915 und 1925 das Hauptgebäude von Semper um und veränderte die innere und äussere Gestalt des Gebäudes durchgreifend. Lediglich die gegen die Stadt weisende Südfassade blieb unverändert. Gegen die Rämistrasse wurde die Gestalt des Gebäudes durch eine neue Schaufassade und die charakteristische Kuppel ergänzt. 1908 erwarb das Polytechnikum das Recht, Doktortitel zu verleihen. 1911 wurde es nach einer längeren Reformdebatte in Eidgenössische Technische Hochschule umbenannt; informell blieb der Name «Poly» bis in die 1970er in Gebrauch. Gleichzeitig wurden die Studienpläne etwas gelockert und den Studierenden mehr Freiheiten gewährt. Standort Hönggerberg und «Science City» Entwicklung Bereits in den 1950er Jahren wurde klar, dass das ETH-Zentrum zu wenig Raum zur Verfügung hat. Es mussten zahlreiche Gebäude in der Nachbarschaft dazugekauft und Wohnungen für Institute gemietet werden, jedoch konnte diese Strategie die Bedürfnisse der Hochschule nicht befriedigen. Die ETH beschloss deshalb 1957, einen zweiten Standort in Zürich zu suchen. Zur Diskussion standen Areale auf der Allmend Fluntern, am Irchel, auf dem Adlisberg und auf dem Hönggerberg. Nur letzteres stellte sich als geeignet heraus, und die Planung für den Hönggerberg begann 1959. Für das Projekt wurde der renommierte Architekt Albert Heinrich Steiner gewonnen. Ab den 1960er Jahren wurden dort zusätzliche Gebäude erstellt, und seit Beginn des 21. Jahrhunderts läuft das Ausbauprojekt Science City, in dessen Rahmen man unter anderem auch Studierendenwohnungen auf dem Campus am Hönggerberg erstellen will. Die Umsetzung erfolgte rasch, und Ende der 70er wurde die erste Etappe mit den Bauten für Physik (HPH und HPP), Molekularbiologie (HPM, HPK…) und der Infrastruktur abgeschlossen. Nicht mehr unter der Leitung von Steiner und teilweise gegen seinen Willen erfolgte in einer zweiten Ausbauetappe (1972–1976) der Bau des Gebäudes für Architektur und Bauwissenschaften (HIL) unter den Architekten Max Ziegler und Erik Lanter. Die dritte Ausbauetappe wurde 1988 mit der Ausschreibung des Ideenwettbewerbs für den Richtplan eingeleitet; den Wettbewerb gewann der Architekt Ben Huser in der Weiterbearbeitung 1989. Nachdem die Architekten Mario Campi und Franco Pesina 1990 die Ausschreibung für die dritte Etappe (1996–2004) gewonnen hatten, wurde das Projekt von Steiner bis vor dem Bundesgericht bekämpft, seine Klage wurde 1994 abgewiesen. Damit war der Weg frei für das Gebäude der Abteilungen Chemie und Werkstoffe sowie Pharmazie und Mikrobiologie (HCI). Der Standort Hönggerberg beheimatet folgende Departemente: Architektur (), Bau, Umwelt und Geomatik (), Chemie und Angewandte Biowissenschaften (), Physik (), Biologie () sowie Materialwissenschaften (). Ausbau im 21. Jahrhundert Derzeit wird der Standort Hönggerberg im Rahmen des Projektes Science City weiter ausgebaut. Die Idee ist es, einen Hochschul-Campus zu bilden, bei dem Forschen und Wohnen auf demselben Areal stattfinden, der aber auch offen ist für die Öffentlichkeit. 2008 wurden das Information Science Lab sowie das Sport Center fertiggestellt, das im Mai 2009 eröffnet wurde. Von 2013 bis 2016 wurden Studierendenwohnungen gebaut. Diese umfassen insgesamt 63 Wohngemeinschaften mit 485 Zimmern sowie 12 Studios. Im selben Zuge wurde von der Luzerner Pensionskasse in Zusammenarbeit mit Losinger Marazzi AG das Projekt livingscience realisiert. Dies stellt 404 Studierendenzimmer in Einer-, Zweier- oder Sechser-Wohngemeinschaften zur Verfügung. Geplant wurden zudem ein Zeichensaal, von Studierenden nutzbare Gemeinschaftsräume, eine Kinderkrippe sowie dem studentischen Wohnen dienende Ergänzungsräume. Geplant sind zudem noch der Bau einer Life Science Platform sowie die Erstellung eines Akademischen Gästehauses als Aufstockung des bisher 14-stöckigen Physikturms. Das Information Science Lab wurde mit 23 Millionen Franken von dem Unternehmer Branco Weiss unterstützt, und die Zürcher Kantonalbank steuerte 12 Millionen Franken zum Sport Center bei. Im Dezember 2006 stimmte der Zürcher Gemeinderat dem Masterplan für die weiteren baulichen Entwicklungsschritte von Science City fast einstimmig zu. Die Sonderbauvorschriften traten im Herbst 2007 in Kraft. Gemäss dem im Mai 2018 veröffentlichten Masterplan Campus Hönggerberg 2040 sollen unter anderem zwei neue Hochhäuser gebaut werden. Energiepolitisch hat sich Science City das Ziel gesteckt, ihren CO2-Ausstoss gemäss den Richtlinien des Kyoto-Protokolls zu reduzieren, um in Science City die Idee der 2000-Watt-Gesellschaft zu realisieren. Verkehrsanbindung Bei der Planung des Standorts in den 1960er Jahren wurde einer Anbindung an den öffentlichen Verkehr keine grosse Beachtung geschenkt, dafür wurden die Gebäude mit grossen Tiefgaragen für den motorisierten Individualverkehr versehen. Die ETH Hönggerberg lässt sich mit den VBZ-Buslinien 37, 69 und 80 erreichen, zudem verkehren ETH-eigene Shuttle-Busse auf zwei Linien, die den Campus Hönggerberg mit dem Hauptgebäude und dem Zürcher Hauptbahnhof verbinden. Die Fahrzeit mit den den ETH-Angehörigen vorbehaltenen Shuttle-Bussen beträgt auf beiden Linien ca. 15 Minuten, mit den regulären Verbindungen vom Hauptbahnhof zum Campus zirka 25 Minuten. Die Busverbindungen bilden seit längerem einen Kapazitätsengpass während der Stosszeiten, was schon mehrfach zu Beanstandungen führte. Sie sollen verbessert werden, indem die Autobuslinien 69 ETH Hönggerberg–Bucheggplatz–Milchbuck und 80 Bahnhof Oerlikon–Triemlispital auf Batterietrolleybusse umgestellt werden. Die Fahrzeuge werden auf einer Teilstrecke unter der Fahrleitung verkehren und auf dem Rest im Batteriebetrieb. Das Konzept ermöglicht den Einsatz von Doppelgelenktrolleybussen und soll für die Linie 69 ab Anfang 2024 und die Linie 80 ab Mitte 2025 umgesetzt sein. Im kantonalen Richtplan ist eine Tramstrecke Bucheggplatz–ETH Hönggerberg enthalten, eine Umsetzung ist aber wegen mangelnder ganztägiger Nachfrage nicht dringend. Im Herbst 2014 wurde die Erschliessung der ETH Hönggerberg über einen S-Bahn-Tunnelbahnhof vorgeschlagen. Die Streckenführung würde beim Südportal des Käferbergtunnels von der Strecke Zürich–Oerlikon abzweigen und weiter nach Regensdorf führen. Die 4,25 km lange Strecke würde bei Aspholz in der Nähe des Katzensees in die bestehende Furttallinie einmünden. Ihr Kernstück wäre ein 3,5 km langer Tunnel. Damit liesse sich die Fahrzeit vom Hauptbahnhof Zürich zur ETH Hönggerberg von 25 auf 6 Minuten reduzieren. Der Regierungsrat lehnte 2015 die Weiterbearbeitung des Projektes ab, wegen zu hoher Kosten und nicht vorhandener Nachfrage für die Verbindung nach Regensdorf. Ein überarbeitetes Projekt schlägt eine Ringlinie vor, die unter der Nutzung des SZU-Tiefbahnhofs im Zürcher Hauptbahnhof neben der ETH Hönggerberg auch die UNI Irchel, den Zoo und den alten Standort der ETH im Zentrum einbinden soll. Die Verbindung nach Regensdorf ist im Projekt weiterhin enthalten. Organisation Es entstehen jährlich über 800 Dissertationen, und es werden über 2000 (Master-)Diplome verliehen. Begonnen hat die ETH mit 68 Studierenden im Jahr 1855, seither hat sich ihre Zahl stetig vermehrt. Seit 1968 hat die Zahl der weiblichen Studierenden stark zugenommen und betrug im Herbstsemester 2017 31,8 %. 2017 gab es 23 Bachelor-Studiengänge mit 9200 Studierenden, 43 Master-Studiengänge mit 6100 Studierenden, und es waren 4100 Doktorierende eingeschrieben. Im Juli 2015 gab die Rektorin Springman bekannt, dass die Aufnahmefähigkeit der ETH bei 20'000 Studierenden liege, sodass man den Zuwachs der aktuell bei 18'600 liegenden Studierendenanzahl begrenzen müsse. Springman zufolge gebe es genügend gute Schweizer Studierende, sodass die Hochschule nicht auf ausländische angewiesen sei. Schulleitung Die Schulleitung organisiert Leitung, Aufbau und Organisatorisches der ETH Zürich. Präsident: Joël Mesot Rektor: Günther Dissertori Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen: Christian Wolfrum Vizepräsident für Finanzen und Controlling: Stefan Spiegel Vizepräsidentin für Wissenstransfer und Wirtschaftsbeziehungen: Vanessa Wood Vizepräsident Infrastruktur: Ulrich Weidmann Vizepräsidentin für Personalentwicklung und Leadership: Julia Dannath-Schuh Departemente Es gibt 16 Departemente; das jüngste, Gesundheitswissenschaften und Technologie (D-HEST), wurde 2012 durch die Zusammenführung der Bewegungswissenschaften, Biomechanik, Lebensmittelwissenschaften und Neurowissenschaften etabliert. Seit Herbst 2017 bietet das Departement auch einen Bachelor-Studiengang in Humanmedizin an. Für die Jahre 2019 bis 2025 haben sich alle Departemente und Zentralen Organe dazu verpflichtet, die durch Flugreisen von Mitarbeitenden verursachte CO2-Emission im Mittel um 11 Prozent zu reduzieren. Dazu kommt noch das Departement Management, Technologie und Ökonomie (D-MTEC), verantwortlich für einen Master-Studiengang, einige Weiterbildungs-Studiengänge (Master of Advanced Studies) und Doktorate. Abteilungen Verschiedene Abteilungen unterstützen die Schulleitung und die Departemente. Als Teil der ETH-Bibliothek enthält das Hochschularchiv der ETH Zürich Dokumente zur Geschichte der ETH Zürich. Dieses dient der wissenschafts- und technikgeschichtlichen Forschung. Es enthält Nachlässe und Autographen vieler namhafter Wissenschaftler und Nobelpreisträger. Hochschulgruppen und Kommissionen Die folgenden vier Hochschulgruppen bilden ein paritätisch zusammengesetztes Organ von gewählten Vertreterinnen und Vertretern in der Hochschulversammlung. Daneben haben Delegierte aus diesen Hochschulgruppen auch Einsitz in diversen anderen Hochschulgremien. Konferenz des Lehrkörpers (KdL): Die KdL berät die Schulleitung in allen Fragen, welche die Mitglieder des Lehrkörpers gesamthaft betreffen, und wahrt deren Interessen Akademische Vereinigung des Mittelbaus an der ETH Zürich (AVETH): Vertritt Doktoranden, Postdocs und das wissenschaftliche Personal (ausser Professorinnen und Professoren). Verband der Studierenden an der ETH (VSETH): Der VSETH wurde 1865 als Reaktion auf die als repressiv empfundene Situation am damaligen eidgenössischen Polytechnikum gegründet. Heute ist der VSETH neben seiner Funktion als Standesvertretung der Studierenden in zahlreichen Kommissionen auch der Organisator diverser Events, z. B. dem Erstsemestrigenfest. Personalkommission (PeKo): Vertritt das administrative und technische Personal. Die Peko wurde als «Personalausschuss» 1971 gegründet und 2002 in Personalkommission umbenannt. Zu den wichtigsten Errungenschaften ihrer Geschichte gehört, dass Arbeitsverträge auf Infrastrukturstellen seit 2011 grundsätzlich unbefristet sind. Studienbedingungen Die Zulassung erfolgt mit einer schweizerischen Maturität ohne weitere Bedingungen. Ausländische Studierende müssen abhängig von ihrem Schulabschluss eine Aufnahmeprüfung ablegen oder werden direkt aufgenommen. Die Semestergebühren betragen 730 Franken sowie zusätzliche 69 Franken Semesterbeiträge pro Semester. Nicht eingeschlossen sind dabei diverse zusätzliche Auslagen wie für Bücher, Praktika, Exkursionen etc. Für finanziell benachteiligte Studierende stehen Stipendien zur Verfügung. Studienangebot An der ETH werden hauptsächlich naturwissenschaftliche und technische Fächer gelehrt. Die ETH kennt keine Nebenfächer, in allen Studiengängen sind jedoch Lehrveranstaltungen im Bereich der Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften (GESS) obligatorisch zu absolvieren. Der Akademische Sportverband Zürich (ASVZ) bietet ein breites Hochschulsportangebot mit über 120 Sportarten an, von Aerobic über Kletterkurse bis zu Yoga. Die wichtigsten Sportanlässe sind dabei die SOLA-Stafette, die über eine Distanz von 120 Kilometern im Grossraum Zürich durchgeführt wird, sowie die jährliche UNI-POLY Ruderregatta zwischen der ETH und der Universität Zürich, die 2019 zum 67. Mal ausgetragen wurde. Die ETH führt bei den Herren mit 39 zu 26. Zweimal musste das Rennen abgebrochen werden. An der ETH Zürich ist ebenfalls der akademische Teil der Militärakademie der Schweizer Armee beheimatet. Im Rahmen ihrer Ausbildung besuchen angehende Berufsoffiziere den eigens dafür konzipierten Studiengang Staatswissenschaften. Besondere Einrichtungen Zur ETH gehören unter anderem die ETH-Bibliothek Zürich, die mit ihren beinahe 7 Millionen Objekten zugleich die grösste Bibliothek der Schweiz ist. Das Collegium Helveticum ist eine gemeinsame Einrichtung von Universität und ETH Zürich sowie der Zürcher Hochschule der Künste. Es beherbergt unter anderem das Ludwik-Fleck-Zentrum, welches den wissenschaftlichen Nachlass des polnischen Wissenschaftlers beherbergt. Ausserdem existiert eine Graphische Sammlung der ETH, welche mehrmals jährlich Ausstellungen zu verschiedenen Themen durchführt. Auch an der ETH angesiedelt ist das CSCS (Swiss National Supercomputing Centre), welches ein breites Spektrum an Anwendungsgebieten unterstützt und auch Aufträge vom CERN erhält. Die ETH Zürich Foundation soll als Brückenbauer zwischen der ETH Zürich und Unternehmen, Stiftungen, Organisationen sowie Privatpersonen dienen und die ETH Zürich in ihren strategischen Anstrengungen voranbringen und damit ihre weltweite Spitzenposition sichern. Als eine führende Technologiestiftung der Schweiz unterstützt die ETH Zürich Foundation gezielt die ETH Zürich bei der Erreichung ihrer Ziele in Lehre und Forschung. Für die Partner wird der Zugang zu Kollaborationen und Programmen mit der Hochschule ermöglicht. ETH juniors ist eine studentische Unternehmung an der ETH Zürich, die 1997 gegründet wurde. Einerseits betreibt ETH juniors Projektberatung mit Studierenden, andererseits vermittelt die Organisation Kontakte zwischen Firmen und Studierenden (im Rahmen des Campus Interview). Das Unternehmen sieht sich selbst als Brücke zwischen Hochschule und Berufsalltag. ETH juniors ist rechtlich wie finanziell unabhängig von der ETH Zürich und wird ausschliesslich von Studierenden betrieben. Studierendenorganisationen Die Studierenden sind im Verband der Studierenden an der ETH (VSETH) organisiert. Dieser Verein nach schweizerischem Recht vertritt durch einen Rahmenvertrag die Studierenden innerhalb und ausserhalb der Hochschule und vereinigt in sich auch studienfachspezifische Fachvereine, die ein breites Angebot an Veranstaltungen und Dienstleistungen für Studierende anbieten. Die Doktorierenden sind in der Vereinigung der Assistenten, Wissenschaftlichen Mitarbeiter und Doktoranden der ETH Zürich (AVETH) organisiert. Hochschulnetzwerke Die ETH arbeitet in verschiedenen Verbünden mit anderen Hochschulen zusammen. Sie ist Gründungsmitglied der IDEA League, einer strategischen Allianz aus fünf führenden technischen Universitäten in Europa. Sie ist auch Mitglied im Netzwerk Top Industrial Managers for Europe, einem Zusammenschluss von 51 technisch orientierten Universitäten, das Austauschprogramme fördert und den Studierenden Doppeldiplome ermöglicht. 2006 gründete sie zudem mit neun weltweit führenden Forschungsuniversitäten die International Alliance of Research Universities. Seit November 2022 ist die ETH Zürich ein Mitglied der ENHANCE-Alliance, die im Rahmen Initiative "Europäische Hochschulen" gegründet wurde. Förderung durch die EU Die ETH hat 84 ERC-Grants für Grundlagenforschung auf höchstem Niveau eingeworben, 586 Millionen Franken aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm der EU flossen an den Forschungsstandort Zürich. Nachdem die Schweizer Regierung in Umsetzung der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» das bereits ausgehandelte Personenfreizügigkeitsabkommen mit Kroatien nicht unterzeichnet hatte, setzte die EU die Verhandlungen über das 8. Forschungsrahmenprogramm aus. Der ehemalige ETH-Präsident Ralph Eichler sagte, wenn die Schweiz nicht mehr an den EU-Forschungsrahmenprogrammen teilnehmen könne, sei das, «wie wenn der FC Basel nicht mehr in der Champions League spielen könnte». Rankings Im Times Higher Education World University Rankings belegte die ETH im Jahre 2015 den 9. Platz weltweit und den 4. Platz unter den europäischen Universitäten (den ersten Platz in Kontinentaleuropa). Im Bereich Engineering & Technology belegte sie im Times Ranking den 8. Platz und im Bereich Physical Science den 11. Platz. Im Shanghai-Ranking 2015 belegte die ETH weltweit den 20. Platz (den vierten innerhalb Europas und den ersten auf dem europäischen Festland). Die ETH belegte weltweit den 8. Platz in der Kategorie Natural Sciences and Mathematics. Im QS World University Ranking 2020 belegte die ETH insgesamt den 6. Platz. Im QS Graduate Employability Ranking 2019, das die Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen bewertet, belegte die ETH den 15. Platz weltweit. Präsidenten 1905 bis 1909 Jérôme Franel 1949 bis 1965 Hans Pallmann 1968 bis 1973 Hans H. Hauri 1973 bis 1987 Heinrich Ursprung 1987 bis 1990 Hans Bühlmann 1990 bis 1997 Jakob Nüesch 1997 bis 2005 Olaf Kübler 2005 bis 2006 Ernst Hafen 2006 in Vertretung Konrad Osterwalder 2007 bis 2015 Ralph Eichler 2015 bis 2018 Lino Guzzella seit 2019 Joël Mesot Persönlichkeiten Zahlreiche berühmte Ingenieure und Wissenschaftler haben an der ETH Zürich gelehrt oder studiert. So stehen nach offiziellen Angaben der ETH 22 Nobelpreisträger mit der Hochschule in Verbindung: Werner Arber (* 1929), Nobelpreis für Medizin 1978, studierte 1949–1953 an der ETH Georg Bednorz (* 1950), Nobelpreis für Physik 1987, promovierte an der ETH Felix Bloch (1905–1983), Nobelpreis für Physik 1952, studierte 1924–1927 an der ETH Peter Debye (1884–1966), Nobelpreis für Chemie 1936, war 1920–1927 Ordinarius für Physik Albert Einstein (1879–1955), Nobelpreis für Physik 1921, studierte 1896–1900 an der ETH, war 1912–1914 Ordinarius für theoretische Physik Richard R. Ernst (1933–2021), Nobelpreis für Chemie 1991, war 1976–1998 Ordinarius für physikalische Chemie Charles Édouard Guillaume (1861–1938), Nobelpreis für Physik 1920, studierte und promovierte an der ETH Fritz Haber (1868–1934), Nobelpreis für Chemie 1918, war Assistent bei ETH-Professor Georg Lunge Richard Kuhn (1900–1967), Nobelpreis für Chemie 1938, war 1926–1929 Ordinarius für allgemeine und analytische Chemie Karl Alexander Müller (1927–2023), Nobelpreis für Physik 1987, studierte und promovierte 1946–1958 an der ETH Wolfgang Pauli (1900–1958), Nobelpreis für Physik 1945, war 1928–1958 Ordinarius für theoretische Physik Vladimir Prelog (1906–1998), Nobelpreis für Chemie 1975, war 1950–1976 Ordinarius für organische Chemie Tadeus Reichstein (1897–1996), Nobelpreis für Medizin 1950, war 1937–1938 Extraordinarius für spezielle organische und physiologische Chemie Heinrich Rohrer (1933–2013), Nobelpreis für Physik 1986, studierte 1951–1955 an der ETH Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923), Nobelpreis für Physik 1901, studierte 1865–1868 an der ETH Lavoslav Ružička (1887–1976), Nobelpreis für Chemie 1939, war 1929–1957 Ordinarius für allgemeine Chemie Hermann Staudinger (1881–1965), Nobelpreis für Chemie 1953, war 1912–1926 Ordinarius für allgemeine Chemie Otto Stern (1888–1969), Nobelpreis für Physik 1943, war 1913–1915 Privatdozent für physikalische Chemie Hermann Wäffler (1910–2003), Kernphysiker, ETH-Absolvent und ebda. Professor für Experimentalphysik Alfred Werner (1866–1919), Nobelpreis für Chemie 1913, war 1892–1893 Privatdozent für Chemie Richard Willstätter (1872–1942), Nobelpreis für Chemie 1915, war 1905–1912 Ordinarius für allgemeine Chemie Kurt Wüthrich (* 1938), Nobelpreis für Chemie 2002, war 1981–2003 Ordinarius für Biophysik Didier Queloz (* 1966), Nobelpreis für Physik 2019, seit 2021 Ordinarius für Physik Weitere Wissenschaftler mit Auszeichnungen: Niklaus Wirth, Entwickler mehrerer Programmiersprachen: Turing Award, die höchste Auszeichnung der Informatik (1984) Jacques Herzog und Pierre de Meuron: Pritzker-Preis, renommiertester Architektur-Preis (2001) Wendelin Werner und Alessio Figalli: Fields-Medaille, gilt als höchste Auszeichnung der Mathematik Weitere berühmte Persönlichkeiten in Verbindung mit der ETH Zürich werden in der Liste bekannter Persönlichkeiten der ETH Zürich aufgeführt. Siehe auch École polytechnique fédérale de Lausanne Militärakademie an der ETH Zürich (MILAK) Polyball Polybahn Cybathlon Liste der Studentenverbindungen in Zürich Liste der Hochschulen in der Schweiz Literatur Monika Burri, Andrea Westermann, David Gugerli: ETHistory 1855–2005. Sightseeing durch 150 Jahre ETH-Zürich. hier + jetzt, Baden 2005, ISBN 3-03919-016-4. Helmut Dietrich, Much Untertrifaller, Christof Stäheli: ETH Sport Center Science City. An der Schwelle zur Landschaft, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur gta, Zürich 2009, ISBN 978-3-85676-268-1 (deutsch und englisch). Meinrad K. Eberle, Nicole Schwyzer, Eva M. Keller: Heute für Morgen das Gestern feiern. Das Buch zum Jubiläum 150 Jahre ETH Zürich, NZZ-Libro, Zürich 2006, ISBN 3-03823-310-2. David Gugerli, Patrick Kupper, Daniel Speich Chassé: Die Zukunftsmaschine. Konjunkturen der ETH Zürich 1855–2005 [Welcome Tomorrow – 150 Jahre ETH Zürich]. Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0732-9. Gottfried Guggenbühl, Paul Kläui: Geschichte der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. NZZ, Zürich 1955, . Thomas Moore: School for Genius: The Story of ETH – The Swiss Federal Institute of Technology, from 1855 to the Present. Front Street Press 2005, ISBN 0-9725572-2-9 (englisch). Wilhelm Oechsli: Geschichte der Gründung des Eidgenössischen Polytechnikums mit einer Übersicht seiner Entwicklung 1855–1905, zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens der Anstalt verfasst im Auftrage des Schweizerischen Schulrates. Huber, Frauenfeld 1905, . Werner Oechslin (Hrsg.): Hochschulstadt Zürich. Bauten der ETH 1855–2005. gta, Zürich 2005, ISBN 3-85676-154-3. Johann Rudolf Wolf: Das Schweizerische Polytechnikum 1880 Orell Füssli, Zürich 1880, . Weblinks Website der ETH Zürich ETHistory 1855–2005 – Zeitreisen durch 150 Jahre Hochschulgeschichte. Eine Web-Ausstellung des Instituts für Geschichte der ETH Zürich. Mehr als 260 archivierte ETH Websites seit 1999 Verband der Studierenden an der ETH Zürich (VSETH) ETH Zürich Hönggerberg (HIL) auf der Plattform ETHorama ETH Zürich Hauptgebäude (HG) auf der Plattform ETHorama Einzelnachweise Zurich, Eth Zurich, Eth Kulturgut von nationaler Bedeutung im Kanton Zürich OGC-Mitglied Gegründet 1855 Organisation (Zürich)
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https://de.wikipedia.org/wiki/Editor
Editor
Editor [], [] (von ‚Herausgeber‘, zu ‚herausgeben‘, ‚edieren‘) sowie [] (von , zu [Texte, aber auch Filme usw.] ‚herausgeben‘, ‚redigieren‘, ‚bearbeiten‘) steht für folgende Berufe: Herausgeber, im Verlagswesen (die von ihm geleistete Tätigkeit wird als edieren – nicht „editieren“ – bezeichnet) Filmeditor, Berufsbezeichnung aus der Medienbranche für die Person, die den Filmschnitt gestaltet Soundeditor, Berufsbezeichnung aus der Medienbranche für einen der Berufe, die an der Tongestaltung in der Postproduktion beteiligt sind VFX-Editor, Berufsbezeichnung aus der Medienbranche für die Person, die das Bindungsglied zwischen Schnitt- und VFX-Abteilung ist, siehe Visueller Effekt Editor steht für folgende EDV-Anwendungen: Editor (Software), Computerprogramme zur Erstellung und Bearbeitung von Daten Editor (Windows), Texteditor von Microsoft Audioeditor, ein Programm zur Bearbeitung von Musik Bildeditor, ein Programm zur Bearbeitung von Fotos und Grafiken Texteditor, ein Programm zur Bearbeitung von Texten Videoeditor, ein Programm zur Bearbeitung von Videos Editor ist Titelbestandteil von: The Editor, ein kanadischer Film aus dem Jahr 2014 Siehe auch: Edition Editionswissenschaft
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https://de.wikipedia.org/wiki/Eiwei%C3%9F
Eiweiß
Eiweiß steht für: Protein, Klasse von organischen, chemischen Stoffen Eiklar, Bestandteil von Eiern Siehe auch:
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https://de.wikipedia.org/wiki/El%20Torito
El Torito
El Torito ist eine Spezifikation, die angibt, wie CD-ROMs formatiert sein sollen, damit Computer, die dafür durch ein entsprechendes BIOS eingerichtet sind, direkt von CD-ROM starten können, ohne dass die vorherige Installation eines Betriebssystems auf dem Festplattenlaufwerk erforderlich ist. Die Spezifikation wurde Januar 1995 von Phoenix Technologies und IBM herausgegeben und ist heute weitgehend akzeptiert. Sie ermöglicht das Booten auf drei verschiedene Arten: Booten einer Bit-für-Bit-Kopie einer Festplatte Booten einer Bit-für-Bit-Kopie einer Diskette Booten eines Programmcodes Beim Start der Festplattenkopie bezeichnet ein PC-kompatibles DOS- oder Windows-kompatibles Betriebssystem das Laufwerk mit der CD-ROM als C:, alle weiteren Festplatten beginnen bei D:. Die robustere Variante ist der Start von einem Disketten-Abbild (auf der CD). In diesem Fall wird die CD-ROM mit A: von einem MS-DOS- oder Windows-kompatiblen Betriebssystem bezeichnet. Das ursprüngliche Disketten-Laufwerk A: kann dann mit B: angesprochen werden. Der Programmcode dagegen wird beim Starten direkt in den Speicher geladen und dort ausgeführt. Diese Option wird gern von Bootloadern verwendet. Weblinks Anleitung, Howto bei The Linux Documentation Project Juraj Sipos: Eine Mehrfach-Boot-CD erstellen Linux-Gazette 85/2002 – Link aktualisiert (27. August 2006) El Torito -Bootable CD-ROM Format Specification (PDF-Datei; 73 kB) Compact Disc
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https://de.wikipedia.org/wiki/Endoskop
Endoskop
Ein Endoskop (gebildet aus und ) ist ein Gerät, mit dem das Innere von Organismen, oder technischen Hohlräumen untersucht und manipuliert werden kann. Die als Endoskopie bezeichnete Anwendung des Endoskops wurde ursprünglich für die humanmedizinische Diagnostik entwickelt. Heute wird sie auch für minimal-invasive operative Eingriffe an Mensch und Tier sowie in der Technik zur Sichtprüfung schwer zugänglicher Hohlräume eingesetzt. Grundarten und Arbeitsdurchmesser Zu den Endoskopen zählen die starren und flexiblen Endoskope und deren Unterarten. Für Endoskope werden herstellerbezogen oft unterschiedliche Namen verwendet, so z. B. für starre Endoskope: Boreskope oder auch Boroskope, Technoskope, Autoskope, Intraskope; für flexible Glasfaser-Endoskope u. a. Fiberskope oder Flexoskope. Gebräuchliche Arbeitsdurchmesser von starren Boreskopen sind 1,6 bis 19 mm. Halbstarre Boreskope (auch elastische oder semiflexible genannt) sind ab 1,0 mm, flexible Endoskope von 0,3 bis 15 mm und Videoendoskope von 3,8 bis 12 mm erhältlich. Starre Endoskope Ein starres Endoskop (engl./techn. Rigid Borescope) leitet die Bildinformationen des zu untersuchenden Objektes bzw. Raumes durch ein Linsensystem im Inneren des Endoskopschaftes an das Okular weiter. Beispiele sind das technische Boreskop und im Medizinbereich das Arthroskop und Zystoskop. Stark verbreitet ist das von Harold H. Hopkins entwickelte Stablinsensystem. Hier wird das Licht durch Stablinsen aus Quarzglas geleitet und an Luftlinsen zwischen den Stäben gebrochen. Diese sehr lichtstarke Bauweise ermöglicht kleinere Linsendurchmesser. Die meisten aktuellen Endoskope bieten durch einen Fokussierungsring in der Nähe des Okulars die Möglichkeit das Bild auch für Brillenträger auf die optimale Schärfe einzustellen. Das für die Untersuchung / Inspektion notwendige Licht der Lichtquelle wird über den angeschlossenen Lichtleiter, ebenfalls im Inneren des Schaftes durch Glasfaserbündel an die Spitze des Endoskopes transportiert. Der Preis eines starren Endoskopes hängt von der Güte der verwendeten Linsen, den Blick / Sichtwinkeln des Objektivs und der Arbeitslänge bzw. dem Arbeitsdurchmesser ab. Im Mittel handelt es sich hier um einen Betrag im eher niedrigeren vierstelligen Eurobereich. Starre Endoskope mit objektivseitig reflektierendem Schwenkprisma können in Hohlräumen zur Seite blicken. Durch Drehen des Endoskops in seiner Hauptachse und Schwenken des die Blickrichtung davon ablenkenden Prismas lässt sich ein größerer Raumwinkel im Hohlraum abtastend betrachten. Ähnliches leistet schon ein kleiner polierter Metallspiegel, der durch biegsamen Draht und Aufsteckhülse mit dem Endoskopobjektivkopf verbunden ist. Flexible Endoskope Bei einem flexiblen Endoskop (bzw. Flexoskop oder engl. , die Namensgebung ist z. T. Herstellerabhängig) werden Bild und Licht über Glasfaserbündel übertragen. Beispiele sind das technische Flexoskop und im medizinischen Bereich das Gastroskop, Koloskop, Bronchoskop und Arthroskop. Auch der Herzkatheter gehört zur Klasse der Endoskope. Ab einem praktikablen Durchmesser sind Fiberskope/Videoskope auch mit auswechselbaren statt festmontierten Objektiven (Vor/Seit oder Rückwärts) sowie Arbeitskanälen zum Einführen von mikromechanischen Geräten (kleine Zangen oder Greifer) in den Untersuchungs- bzw. Inspektionsraum erhältlich. Flexible Glasfaser-Endoskope (Fiberskope) und Video-Endoskope (Videoskope) besitzen meist eine über eingebaute Bowdenzüge fernsteuerbare Gerätespitze. Diese kann je nach Modell und Durchmesser nach 2 (auf-ab) oder nach 4 Seiten (auf-ab und rechts-links) teilweise bis zu 180° abgewinkelt werden. Die Länge dieser Spitze kann je nach Durchmesser zwischen 30 und 70 mm liegen. Im Handgriff des Gerätes ist eine Mechanik eingebaut, die über Kippbügel oder Handräder auf die Bowdenzüge einwirkt und diese Bewegung der Spitze ermöglicht. Siehe auch: Medizinische Endoskopie und Mikromechanik Videoendoskope Die jüngste Unterart der flexiblen Endoskope bilden die Videoendoskope, oft auch Videoskope genannt (engl. Videoscope bzw. Videoprobe), wobei die Namensgebung herstellerabhängig ist. Videoendoskope eröffnen ein neues Kapitel in der modernen Endoskopie, da sie zur Bilderzeugung und -übertragung Digitaltechnik nutzen. Ein am Objektiv des Videoendoskopes angebrachter Chip (siehe auch: Digitalkamera) erzeugt ein Bild des Untersuchungsobjektes. Beim CMOS-Chip findet die Digitalisierung des Bildsignals auf dem Videochip statt, so dass das an den Videoprozessor übertragene Bild weniger durch elektromagnetische Störungen beeinflusst werden kann, als bei Endoskopen mit CCD-Chip, wo das analoge Signal des Chips erst außerhalb des Endoskopes im sogenannten Videoprozessor zur weiteren Verarbeitung digitalisiert wird. Ein Videoprozessor bereitet die Bildinformation auf und verbindet sie mit Untersuchungsdaten und Patienteninformationen, bevor die Bilder oder Videosequenzen auf dem Betrachtungsbildschirm angezeigt oder auf einem Speichermedium gesichert werden. Auch eine Übertragung ins Kliniknetzwerk kann von hier aus erfolgen. Genau wie Fiberendoskope besitzen auch Videoendoskope eine fernsteuerbar abwinkelbare Gerätespitze, die je nach Verwendungszweck in 2 oder 4 Richtungen bewegt werden kann. Die Steuerung erfolgt mechanisch oder elektronisch. Die mechanische Steuerung erfolgt über ein kleines Getriebe über Kipphebel oder Drehräder. Einige Videoskope haben anstelle der Mechanik kleine Elektromotoren eingebaut, die über einen Joystick die Bowdenzüge steuern. Videoendoskope haben grundsätzlich eine um ein Vielfaches höhere Auflösung als Fiberendoskope. Die Bildqualität wird maßgeblich von der Qualität des Linsensystems und des Videochips sowie der Beleuchtung des Untersuchungsgebietes und der Nachbearbeitung des Bildsignals im Videoprozessor beeinflusst. Das letzte entscheidende Glied in der Kette der Bildwiedergabe ist der Betrachtungsbildschirm. Über viele Jahre bot der CCD-Chip die beste Videoqualität. Aufgrund der kompakten Bauform werden in Videoendoskopen auch heute noch meist Chips dieses Typs verwendet. Neueste CMOS-Chips ermöglichen höhere Bildwiederholraten als CCD bei gleichzeitig höherer Auflösung, so dass erste Videoendoskope heute eine Darstellung in 1080p erreichen. Geräte, die LEDs in der Gerätespitze zur Ausleuchtung nutzen, erreichen aufgrund der geringeren Lichtintensität aktuell noch nicht die gleiche Bildqualität wie jene, die mittels Lichtleiter ausleuchten. Batteriebetriebene LED-Lichtquellen, die direkt am Endoskop befestigt werden, stellen aufgrund der noch schwächeren Ausleuchtung nur eine Sonderlösung für Ausnahmesituationen dar. Die aktuelle Entwicklung der Lichttechnologie stellt die Multi-LED-Lichtquelle dar. Hier wird in einer externen Lichtquelle das Licht von mehreren LEDs gebündelt und wie bei der Xenon-Lichtquelle über einen oder mehrere Lichtleiter auf das Untersuchungsgebiet abgestrahlt. Diese Technik ermöglicht eine Ausleuchtung, die mindestens den gleichen Ansprüchen genügt, wie Xenon-Licht, bei gleichzeitig um ein vielfaches längerer Haltbarkeit der Leuchtmittel und deutlich geringerem Energieverbrauch. Hersteller digitaler Videoendoskope sind etwa Olympus, Pentax Medical, Fujifilm und Karl Storz. Basiskomponenten Zu einem einfachen Endoskopset gehören: Lichtquelle Lichtleiter Endoskop (mit Bildleiter) Einzelne Komponenten verschiedener Hersteller lassen sich in der Regel nicht ohne weiteres kombinieren. Ein Lichtleiter oder Endoskop des einen Herstellers kann beispielsweise nicht ohne weiteres an einer Lichtquelle eines anderen Herstellers betrieben werden. Namhafte Hersteller bieten hierfür auf Nachfrage passende Adapter an. Zur Erleichterung der praktischen Arbeit mit Endoskopen werden von der Industrie verschiedene Haltearmsysteme angeboten. Lichtquellen Insbesondere die Nutzung digitaler Bildübertragungstechniken (Videoendoskopie) mittels CCD-Chips machte den Einsatz teurer Xenon-Lampen notwendig. Deren Lichtstärke ist zwar exzellent, ihre Standzeit wird jedoch stark von den jeweiligen Ein/Ausschaltzyklen bestimmt. Es gilt: Je mehr Zyklen desto geringer die Standzeit. Leuchtmittel wie Xenon-Lampen entwickeln während des Betriebes enorm viel Wärme, welche zum größten Teil durch den Infrarotanteil des Leuchtmittelspektrums verursacht wird. Daher muss verhindert werden, dass der IR-Anteil zum Lichtaustritt des Endoskopes gelangt. Moderne Lichtquellen sind daher in der Lichtstärke regelbar, durch einen Ventilator gekühlt, und die infrarote Strahlung wird durch dichroitische Hohlspiegel sowie (zusätzlich) durch Wärmeschutzfilter vor dem Lichtleiter weitgehend aus dem Lichtspektrum entfernt. Diese Systeme werden als Kaltlichtquellen und die Leuchtmittel als Kaltlichtspiegellampen bezeichnet. Eine weitere und aufgrund des niedrigen Strom-/Kühlungsbedarfs von Vorteil geprägte Entwicklung sind Geräte mit Leuchtdioden (Light Emitting Diode, LED) als Lichtquelle. Die Lichtleistung von LEDs kann sich jedoch zurzeit noch nicht mit der von Xenonlampen messen. Dennoch öffnet diese Technik neue Einsatzgebiete und bietet speziell für Lichtquellen im Akkubetrieb eine interessante Alternative. Lichtleiter Für endoskopische Lichtleiter werden hauptsächlich Glasfasern verwendet. Es gibt aber auch Lichtleiter, die das Licht mittels eines Gels als Transportmedium leiten können. Gellichtleiter, auch Flüssigkeits-Lichtleiter genannt, bieten eine stärkere Lichtausbeute, was besonders für große Räume und die digitale Endoskopie im Allgemeinen von Vorteil ist. Die Flüssigkeitslichtleiter sind in der Regel besser für die Übertragung von UV-Licht geeignet als Glasfasern. Gel/Flüssig-Lichtleiter sind in der Verwendung etwas unhandlicher und nicht so biegsam sowie etwas teurer als Glasfaser-Lichtleiter. Ohne angeschlossenen Lichtleiter sieht man zwar ein Bild durch das Endoskop, dieses ist jedoch zu dunkel, um in geschlossenen Räumen verwertbare Ergebnisse zu erzielen. Bildleiter Bildleiter sind aus vielen Tausend einzelnen Glasfasern mit einem Durchmesser von 7 bis 10 µm aufgebaut. Dies entspricht einer Auflösung je nach Durchmesser von 3.000 bis 42.000 oder 75 × 45 bis 240 × 180 Bildpunkten (Pixeln). Pro Faser kann jeweils eine Helligkeits- und Farbinformation übertragen werden. Der Moiré-Effekt, der durch die Überlagerung des Faserrasters mit dem CCD-Raster entsteht, kann die Qualität des Bildes vermindern, weshalb vermehrt Videoskope bzw. Video-Endoskope mit eingebautem CCD Chip am distalen Ende verwendet werden. Messtechnik Auf dem Gebiet der Messtechnik bieten verschiedene Hersteller Messverfahren an. Jede Messtechnik birgt für sich, für den jeweiligen Verwendungszweck, Vor- und Nachteile. Insbesondere in der technischen Endoskopie werden in vielen Anwendungsgebieten Messsysteme eingesetzt, die heute zum Teil erstaunlich genaue Ergebnisse liefern können. Anwendungsgebiete hierfür sind Flugzeugturbinen oder Kraftwerksbereiche. Es gibt derzeit vier verwendete berührungslose Messverfahren die in Videoendoskopen, teilweise auch in starren Endoskopen eingesetzt werden: Schatten/Videobildmessung („Shadow“) „2-Punkt-Laser-Messung“ – Namensgebung z. T. herstellerabhängig Diese Messarten liefern nur bei einer senkrechten Ausrichtung des Messendoskopes auf die zu messenden Oberfläche eine exakte Messung. Viel genauer sind die Messverfahren: Vergleichsmessung („Stereo“) Lasermessung („Multipoint“) Aktuelle Forschung befasst sich mit der Möglichkeit 3D-Daten endoskopisch zu erfassen. Hierzu wird meist der Ansatz der Streifenprojektion als Variante der flächigen Triangulation eingesetzt. Abhängig von den eingesetzten Optiken können technische Innengeometrien mit Auflösungen im unteren µm-Bereich erfasst und ausgewertet werden. Wie bei jedem Messgerät hängt die Messgenauigkeit eines Endoskopmesssystems entscheidend von der Schulung und Erfahrung des Anwenders ab. Ein komplett ausgestattetes, messfähiges Videoendoskop kann einen hohen fünfstelligen Eurobetrag kosten. Optik Gesetzmäßigkeiten Im Zusammenhang mit dem Arbeitsdurchmesser eines Endoskopes gilt: Je größer der Durchmesser, desto heller und weiter das Bild. Gemäß den Gesetzen der Optik ergibt sich weiter folgender Zusammenhang zwischen Sichtwinkel und Vergrößerungsfaktor: Großer Sichtwinkel = geringe Vergrößerung (Weitwinkel in der Fotografie) Kleiner Sichtwinkel = starke Vergrößerung (Teleobjektiv in der Fotografie) Im Zusammenhang zwischen der Vergrößerung und dem Abstand von Objektiv und dem zu untersuchenden Gegenstand gilt: Der Vergrößerungsfaktor beschreibt die Objektgröße im Bild relativ zur realen Objektgröße und weiter: Der Vergrößerungsfaktor verhält sich invers proportional dem Abstand: Objektiv/Gegenstand (abhängig von weiteren Faktoren) Objektive Kennzeichnung Endoskope werden mit einem Schlüssel ihrer Merkmale gekennzeichnet, dieser findet sich in der Regel am Schaft oder dem Griffstück als Gravur wieder. Es gilt: Ein Endoskop mit folgenden Angaben: 6-70-67 hätte demzufolge die Daten: Arbeitsdurchmesser = 6,00 mm, Blickwinkel = 70°, Sichtwinkel = 67°. Ein eher vergrößerndes Endoskop mit einem vorausblickenden Objektiv. Zeittafel 1806 – Philipp Bozzini (Stadtarzt in Frankfurt) konstruiert und beschreibt erstmals ein starres medizinisches Endoskop und schickt diesen mit Kerzenlicht betriebenen „Lichtleiter“ an die Medizinische Universität Wien zur Begutachtung; dort wird es an Leichen ausprobiert und positiv beurteilt. Das originale Bozzini-Endoskop galt nach dem Zweiten Weltkrieg als verschollen, wurde jedoch in den USA wiedergefunden und 2001 über die „Internationale Nitze-Leiter-Forschungsgesellschaft für Endoskopie“ an das Wiener „Institut für Geschichte der Medizin“ zurückgegeben. Über seine damalige Anwendung gibt es keinen Beleg. 1850/51 – Hermann von Helmholtz entwickelt den Augenspiegel und nutzt ihn praktisch 1855 – Weiterentwicklung des „Bozzini“ Endoskopes durch den französischen Chirurgen Antonin Jean Désormeaux. (Er ersetzte die von Bozzini als Lichtquelle verwendete Kerze durch eine Gasbogenlampe.) 1865/1867 Entwicklung des Stomatoscops zur Durchleuchtung der Zähne und des Urethroscops zur Durchleuchtung der Blase durch galvanisches Glühlicht durch Julius Bruck. 1879 – Der Dresdner Arzt Maximilian Nitze stellt sein mit Hilfe des Wiener Handwerkers Josef Leiter hergestelltes „Zystoskop“ vor 1881 – Johann von Mikulicz begründet die Ösophagoskopie und Gastroskopie 1902 – D. von Ott führt erstmals eine Douglasskopie zur Inspektion des Douglas-Raums mit einem Zystoskop durch. 1912 – urologisches Zystoskop von Otto Ringleb 1931 – biegsamer Magenspiegel von Rudolf Schindler (Mediziner) 1958 – Entwicklung des ersten flexiblen Endoskopes (Flexoskop) durch Basil Hirschowitz 1967 – Als Gynäkologe begründet Kurt Semm die moderne Endoskopie 1971 – endoskopische Abtragung von Dickdarmpolypen mit einem flexiblen Instrument am 13. März 1971 an der Universität Erlangen. 1976 – Entwicklung des ersten Desinfektionsgerätes für flexible Endoskope durch Siegfried Ernst Miederer und Arbeitsgruppe an der Universität Bonn. 2000 – Einführung der Kapselendoskopie in die Praxis Pionierunternehmen der Endoskopie sind Olympus, Karl Storz und die Richard Wolf GmbH. Anwendungsgebiete Allgemein Das Einsatzspektrum der Endoskopie ist breit gefächert. Endoskope werden neben dem Einsatz in der Medizin auch im technischen Bereich (Technische Endoskopie) eingesetzt. Technische Endoskopie Endoskope werden im technischen Bereich heutzutage vielfältig eingesetzt und sind ein wichtiger Baustein der „Zerstörungsfreien Prüfung“ (NDT – Non destructive Testing). Neben den Endoskopen finden auch andere Methoden wie z. B. das Röntgen-, Wirbelstrom-, Ultraschall-Verfahren oder die Mikroskopie bei der zerstörungsfreien Prüfung Anwendung. Alle genannten Methoden und Verfahren werden dazu genutzt, um die Qualität oder den Verschleiß von Bauteilen zu prüfen. Bei der obengenannten Überprüfung von Komponenten handelt es sich in der Regel um eine reine Sichtprüfung. Endoskope sind aufgrund ihrer Baueigenschaften vielseitig einsetzbar. Aus diesem Grund können diese für vielfältige Untersuchungen genutzt werden. War in den 1980er Jahren die Dokumentation der gewonnenen Bilder nur unter erschwerten Bedingungen möglich (z. B. über eine Spiegelreflex-Kamera mit speziellen Filtersätzen und langen Belichtungszeiten), ist die Dokumentation der gewonnenen Bilder heute kein Problem mehr. Aufgrund dieser Veränderung ergibt sich eine schier unendliche Anzahl von Prüfmöglichkeiten. Nachfolgend einige Anwendungsbeispiele: Archäologie – so wurde z. B. Ötzi endoskopisch untersucht Architektur – Endoskopiefotografie in der Architektur wird seit 1954 eingesetzt. Polizei und Zoll – zur Lageprüfung von unsicheren Räumen und zur Untersuchung von möglichen Verstecken für Schmuggelware oder Rauschgift. Geheimdienste bzw. zur Spionage Militär und Waffenindustrie Untersuchung von Musikinstrumenten Rettung von Verschütteten bei Katastrophen Untersuchung von Tierbauten (z. B. Maulwurfgänge oder Vogelnester) Bautenschutz – Überprüfung der Isolierung bei Altbauten/Sichtung auf Schädlingsbefall bei Holzbauten/Ursachenforschung bei Wasserschäden Denkmalpflege – Große Denkmäler sind oftmals hohl und können mittels Endoskopie auf etwaige korrosive Vorgänge geprüft werden Automobilindustrie – Hier wird das Endoskop hauptsächlich zur Prüfung von Hohlraumversiegelungen und Motoren (Verschleiß) eingesetzt. Schiffsindustrie (Motoren) Industrieanlagen (Kraftwerke, Rohrschweißnähte, Windkraftgetrieben) Qualitätssicherung von diversen Bauteilen bis hin zu Platinen im Sanitärbereich zur Untersuchung defekter Leitungen Luftfahrt Geschichte der technischen Endoskopie In der Luftfahrt wird die Endoskopie seit den 1950er Jahren für die Wartung zum Beispiel von Flugtriebwerken eingesetzt. Unter Zuhilfenahme des Arbeitskanals und von Mikrowerkzeugen können auch kleinere Reparaturen an Triebwerkschaufeln durchgeführt werden. So etablierte sich in diesem Bereich der Begriff Boroskopie (v. engl. Borescope; bore „Bohrloch/Bohrung“). Das Flexoskop findet im Englischen seine Entsprechung als Flexiscope oder Flexoscope. Endoskopie (engl. Endoscopy) stellt den Oberbegriff für diese Technologie dar. Moderne Entwicklungen Im Zuge steigender Material- und Qualitätsanforderungen werden industrielle Bauteile immer häufiger einer optischen Serienprüfung unterzogen. Bei unzugänglichen Oberflächen werden technische Endoskope als Hilfsmittel eingesetzt. Zur Innenprüfung zylindrischer Objekte, z. B. von einem Hydraulikzylinder, sind dies Endoskope mit einer seitlichen Blickrichtung, d. h. die optische Achse wird mittels Spiegel oder Prisma umgelenkt (vergleichbar mit einem Periskop). Zur vollständigen Erfassung der Oberfläche müssen Objekt und Endoskop zueinander linear verschoben und rotiert werden. Um die aufwändige Rotationsbewegung zu vermeiden, wurde versucht, die Umlenkspiegel durch kegelförmige Spiegel zu ersetzen, die mit der Spitze auf das Endoskop aufgesetzt wurden. Diese Konstruktionen waren mechanisch, optisch und in der Anwendungspraxis unbefriedigend und haben sich nicht etabliert. In der Endoskopie werden generell Umlenkprismen gegenüber Spiegeln bevorzugt. Spiegel sind sehr empfindlich bei Staub oder Schmutz und beeinträchtigen das Bild erheblich. Wenn man ein solches Prisma virtuell um die optische Achse des Endoskops rotiert, entsteht ein einfaches Rundblickprisma. Erstmals wurde 1985 ein Geradeausblick-Endoskop vorn an der Spitze mit einem speziellen Prisma versehen. Das war eine Glaskugel, in die von vorn ein Kegel eingeschliffen wurde, der optisch verspiegelt wurde. Über diesen „Kegelspiegel“ konnte nun die Oberfläche eines Segmentes ringsum auf einen Blick betrachtet werden. Die Anforderung war damals die 100 %-Innenkontrolle an Auto-Hauptbremszylindern. Diese Teile, mit ihren gehonten Innenflächen mussten einwandfrei und ohne Lunker und Kratzer sein. Da es sich um ein wichtiges Sicherheitsteil am Auto handelt, war eine 100 % Kontrolle unumgänglich. Im Laufe der Jahre wurde diese Technik noch verfeinert und auch anderen Anwendungen und Anforderungen angepasst. Schleift man z. B. anstelle des Kegels einen Radius in die Glaskugel ein, dann erreicht man sogar einen Rückblick und das ringsum. Diese Rundblickprismen, die ein erheblich besseres Bild als Spiegel liefern, wurden ständig weiterentwickelt und erfüllen heute höchste Ansprüche, sind sogar für automatische Bildverarbeitung geeignet. Sonderoptiken Rundblick-Endoskope Das Rundblickendoskop ist ein spezielles technisches Endoskop (engl. Borescope für Industrie-Endoskop, im Gegensatz zum medizinischen Endoskop) für die Inspektion von zylindrischen Hohlräumen. Ein Endoskop erzeugt im Normalfall ein rundes, scheibenförmiges Bild, ein Rundblickendoskop liefert dagegen ein ringförmiges Bild, d. h. in der Mitte der Austrittspupille befindet sich keine Bildinformation. Dies unterscheidet das Rundblickendoskop grundlegend auch vom Fischaugenobjektiv, bei dem sich die wesentliche Bildinformation in der Mitte der Austrittspupille befindet. Ein Fischaugenobjektiv schaut jedoch hauptsächlich nach vorn, das Rundblick-Prisma jedoch mehr zur Seite, dies jedoch ringsum (siehe Illustration). Bilderzeugung und -wirkung Das Rundblickprisma besteht aus mehreren ineinander gefügten sphärischen Glasflächen. Es sammelt die gesamte 360°-Bildinformation von einem Längenabschnitt des Zylinders. Die Länge des Abschnittes hängt vom Bildwinkel (Sehfeld, FOV) des Rundblickprismas und dem Abstand der Oberfläche vom Endoskop ab. Bei direkter visueller Betrachtung oder Verwendung einer industrieüblichen Matrixkamera erscheint das Bild radial verzerrt. Die Verzerrung kann entweder über eine nachgeschaltete Bildverarbeitung beseitigt werden oder durch Verwendung einer ringförmigen Zeilenkamera, deren Streifenbilder aneinandergefügt eine verzerrungsfreie Abwicklung der Zylinderinnenwand liefern. Medizinische Endoskopie Medizinische Endoskope haben die Untersuchung des Magen-Darmtraktes, der Lunge und auch der Gebärmutter revolutioniert. Sogar die ableitenden Tränenwege können endoskopisch untersucht werden. Die ältesten und einfachsten noch im Gebrauch befindlichen Endoskope bestehen aus einem starren Rohr, durch welches das notwendige Licht hineingespiegelt wird und wodurch man mit dem bloßen Auge sieht. Daher spricht man volkstümlich von „Spiegelung“. Die längeren Geräte waren zusätzlich mit Linsen in einem Schlauch am vorderen Ende ausgestattet und ermöglichten erstmals passiv geringe Bewegungen. Eine erste Weiterentwicklung bestand darin, ortsfern erzeugtes Licht mit Glasfaserbündeln an die Rohrspitze zu bringen. Der nächste Entwicklungsschritt war, auch die Bildinformation über flexible, geordnete Glasfaserbündel, die Bildleiter, zum Auge des Untersuchers zu übertragen. Erst hiermit wurde das Endoskop wirklich flexibel. Die aktive Steuerung des Gerätes erfolgt seither über vier eingearbeitete Bowdenzüge. Eine medizinische Endoskopieeinheit umfasst über die unter Basis beschriebenen Komponenten hinaus: zwingend einen Luftinsufflator oder eine Gaspumpe zum dosierten Aufblasen von Hohlorganen oder Körperhöhlen (Bauchhöhle), bei denen sonst die Wände auf die Optik fallen oder Details in Falten verdeckt würden.Im einfachsten Fall ist dies ein Gummiballon mit Ventil (bei der Rektoskopie, siehe unten), der von Hand betätigt wird. Bei flexiblen Endoskopien (Gastroskopie beispielsweise) wird eine drucklimitierte Pumpe verwendet und das Einblasen der Luft vom Endoskopiker mittels Fingerventilen bewirkt. Bei der Bauchhöhlenspiegelung hingegen benutzt man mengen- und drucklimitiert geregelte Automaten und zur Vermeidung einer Luftembolie wird CO2-Gas anstelle von Luft eingeblasen. einen Irrigator: im einfachsten Falle eine mit Kochsalzlösung gefüllte Spritze oder Infusionsflasche eine Absaugpumpe für Schleim und andere unerwünschte flüssige Inhalte der Hohlorgane bedarfsweise einen Koagulator zur Blutstillung flexible Werkzeuge. Sie werden über Arbeitskanäle eingebracht. Greif- oder Schneidwerkzeugen zwecks Gewinnung von Gewebeproben Kanülen zur Injektion Drahtelektroden zur Koagulation mit elektrischem Strom. Heutzutage wird, vor allem unter stationären Bedingungen, das Bild nicht mehr direkt mit dem Auge (weder am starren Rohrendoskop, noch am Okular des flexiblen Endoskops) betrachtet, sondern an einem oder mehreren modernen Monitoren, die die Farbinformation möglichst wenig verfälschen, und die die Arbeit und das Lehren (Kibitzen) ohne Qualitätsverlust bei Tageslicht ermöglichen. Dadurch eröffnet sich zusätzlich auch die Möglichkeit der Aufzeichnung auf Videoträger oder eine Übertragung in Hörsäle. Eine interessante neuere Entwicklung ist die „Endoskoppille“ oder Kapselendoskopie: Eine Minikamera, die peroral in Form einer Pille eingenommen und durch die natürliche Peristaltik durch den Verdauungstrakt transportiert wird, nimmt in fortlaufender Serie Aufnahmen des Darms auf. Die Kapsel ist für den Einweggebrauch (once disposable) konzipiert. Diese Technik wie auch die Auswertung sind aufwendig, aber im Falle verborgener Blutungen oder kleiner Tumoren im Dünndarm als „ultima ratio“ äußerst hilfreich. Ein zeitgleicher therapeutischer Eingriff wie bei den anderen endoskopischen Methoden ist derzeit nicht möglich. Von großer Wichtigkeit ist die Desinfektion der flexiblen Geräte, die hitzeempfindlich und daher einfachen Methoden nicht zugänglich sind. Heute wird durch moderne Desinfektionsgeräte die Keimarmheit der Endoskope garantiert. Das erste Desinfektionsgerät wurde 1976 von einer Arbeitsgruppe um S.E. Miederer entwickelt. Die Desinfektion von Endoskopen kann zu einer Belastung der Beschäftigten mit Gefahrstoffen führen, vor allem der Umgang mit Aldehyden (Formaldehyd, Glutaraldehyd etc.). Dazu geben die BG/BIA-Empfehlungen Kriterien an für die dauerhaft sichere Einhaltung von Grenzwerten und damit für den Verzicht auf Kontrollmessungen nach der TRGS 402 in Einrichtungen zur humanmedizinischen Versorgung und Lehrstätten, in denen Endoskope desinfiziert werden. Mithilfe dieser Empfehlungen kann der Arbeitgeber seiner Überwachungspflicht nach der Gefahrstoffverordnung nachkommen. Vorbereitung in der medizinischen Endoskopie Bei den meisten endoskopischen Untersuchungen erfolgt für den Betroffenen zur Erleichterung eine Prämedikation, das heißt, es wird ein Beruhigungsmittel, zum Beispiel Midazolam, oder das Narkosemittel Propofol gegeben. Medizinische endoskopische Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Spiegelung am Magen-Darm-Trakt Speiseröhre (Ösophagoskopie) Magen (Gastroskopie) Anlage einer Magenfistel mittels Endoskop (Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG)) Speicheldrüsen (Sialendoskopie) Zwölffingerdarm (Duodenoskopie bzw. Gastroduodenoskopie) allein oder mit Röntgendarstellung von Gallengängen und Pankreasgang (ERCP) Gallenwege (Cholangioskopie) Dünndarmspiegelung (Enteroskopie und die Kapselendoskopie) Dickdarmspiegelung (Proktoskopie, Rektoskopie, Sigmoidoskopie, Koloskopie) Spiegelung des Atmungssystems Nasen- und Nasennebenhöhlenspiegelung (Sinuskopie) Endoskopie unter Narkose zur Ermittlung der Ursache des Schnarchens (Somnoendoskopie) Kehlkopfspiegelung (Laryngoskopie) Bronchoskopie Spiegelung des Mittelfells (Mediastinums) Mittelfellspiegelung (Mediastinoskopie) Spiegelung der Gelenke Gelenkspiegelung (Arthroskopie) Spiegelung der Wirbelsäule Wirbelsäulenspiegelung zur Entfernung von Bandscheibenvorfällen oder Spinalkanalstenosen (Foraminoskopie) Spiegelung des Harnsystems Harnblasenspiegelung (Cystoskopie) Harnleiterspiegelung (Ureteroskopie) Spiegelung des Auges und der Anhangsgebilde Spiegelung der ableitenden Tränenwege über den natürlichen Zugang der Tränenpünktchen bis zur Mündung in der Nase Spiegelung des Ziliarkörpers im Auge und gleichzeitige Verödung mit einem Laser (Zyklophotokoagulation) bei Glaukom Spiegelung des Glaskörpers und der Netzhaut und Schaffung eines Arbeitskanals im Rahmen einer Vitrektomie Augenhintergrundspiegelung (Ophthalmoskopie), obgleich hier kein Endoskop im heutigen Sinne zur Anwendung kommt. Spiegelung anderer Organe Spiegelung der Vagina (Scheide) und des in der Vagina gelegenen Muttermundes (Portio vaginalis) (Kolposkopie) Gebärmutterspiegelung (Hysteroskopie) Spiegelung der Milchgänge der weiblichen Brust (Duktoskopie) Spiegelung von Körperhöhlen Spiegelung des Brustkorbs (Thorakoskopie). Diese und die folgende Methode benutzen aber ebenso wie die Arthroskopie keinen natürlichen Zugang. Bauchspiegelung (Laparoskopie), ggf. mit Peritoneallavage Im weiteren Sinne zählen zur Endoskopie auch: Ohrenspiegelung (Otoskopie, Ohrendoskopie) mit dem Ohrtrichter oder Otoskop Nasenspiegelung (Rhinoskopie) mit dem Spekulum oder einem flexiblen oder starren Nasenendoskop Spiegelung des Rachenraums (Pharyngoskopie zur Untersuchung der Rachenorgane) mit dem Spiegel, Laryngoskop oder dem flexiblen Rhinoskop Des Weiteren kommen endoskopische Verfahren bei Punktionen, etwa von Pleura, Herzbeutel, Abdomen, Abszessen und Gelenken, zum Einsatz. Medizinische Einweg-Endoskope Einweg-Endoskope kommen bei medizinischen Untersuchungen häufig aus Gründen einer verbesserten Hygiene durch den Ausschluss von Kreuzkontaminationen zum Einsatz. Zudem entfallen die Kosten für das Aufbereitungsverfahren für den Weitergebrauch. Einige Hersteller argumentieren sogar, Einweg-Endoskope seien ressourcenschonender und klimafreundlicher als Mehrweg-Endoskope. Einweg-Endoskope fallen als technische Geräte nicht in den Anwendungsbereich des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes, da In-vitro-Diagnostika vor Ablauf ihrer Lebensdauer infektiös werden könnten (§ 2 Absatz 2 Nummer 10 ElektroG). Besteht kein Grund zur Annahme einer möglichen Kontamination mit hochansteckenden Viren, können benutzte Einweg-Endoskope über den Restabfall (Abfallschlüsselnummer 180104) entsorgt werden. Bestand Kontakt zu ansteckendem Material, müssen die Instrumente als gefährlicher Abfall (Abfallschlüsselnummer 180103*) entsorgt werden. Kapselendoskope sind ebenfalls zur einmaligen Anwendung vorgesehen und werden mit dem Stuhl ausgeschieden. Sie sollten nicht in der Toilette heruntergespült werden. Es gelten die gleichen Entsorgungswege wie bei den Einweg-Endoskopen. Neuere Entwicklungen Aktuell wird in Zusammenarbeit von Forschungsgesellschaften und Herstellern an Endoskopen mit sehr kleinen Arbeitsdurchmessern gearbeitet. Durchmesser vergleichbar der Dicke eines menschlichen Haares sollen helfen, das Einsatzgebiet der Endoskopie in neue Bereiche auszudehnen, z. B.: Untersuchungen bestimmter Hirnregionen betäubungslose Untersuchungen, für die aufgrund der großen Durchmesser der Geräte heute noch eine Betäubung notwendig ist. Eventuell werden bald auch CMOS-Bildsensoren in Videoendoskopen eingesetzt. Diese Art von Bildsensoren verspricht eine kostengünstigere Fertigung und weitere Vorteile in der Bildbearbeitung. LEDs werden in ihrer Leistungsfähigkeit und Lichtausbeute immer besser, so dass es bereits Hersteller gibt, die sie in starren Videoendoskopen verbauen. LEDs erreichen heute eine Lichtausbeute von über 200 lm/W und der Stromverbrauch – wichtig bei akkubetriebenen Lichtquellen – ist geringer als bei herkömmlichen Lichtquellen. Da die Handhabung von Instrumenten hohe Anforderungen an den Endoskopierenden hinsichtlich der Koordination der Instrumentes im Raum stellt, wird von Seiten der Industrie seit einigen Jahren die 3D-Technik zur Verfügung gestellt. Hierzu sind geeignete Instrumente (Monitoren und Brillen) zur einwandfreien Bilddarstellung notwendig. Normen EN 60601-2-18 Norm für Hersteller von Endoskopen Weblinks Internistischer Endoskopie-Atlas mit ca. 1000 Bildern, Videos und Fallbeispielen Endoskopische Geometrieprüfung in der Blechmassivumformung Literatur Armin Gärtner: Medizintechnik und Informationstechnologie – Bildmanagement. Band II. TÜV-Verlag, 2005, ISBN 3-8249-0941-3. K. E. Grund, R. Salm: Systeme für die Endoskopie. In: Rüdiger Kramme (Hrsg.): Medizintechnik: Verfahren – Systeme – Informationsverarbeitung. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-540-34102-4, S. 347–366. Siegfried Ernst Miederer: Endoskopie. In: E. Thofern, K. Botzenhart: Hygiene und Infektionen im Krankenhaus. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart / New York 1983, ISBN 3-437-10815-8, S. 465–472. Jörg Reling, Hans-Herbert Flögel, Matthias Werschy: Technische Endoskopie: Grundlagen und Praxis endoskopischer Untersuchungen. Expert-Verlag, 2001, ISBN 3-8169-1775-5. (Kompakt und Studium / Band 597) Peter Paul Figdor: Philipp Bozzini. Der Beginn der modernen Endoskopie. Die Wiener und Frankfurter „Bozzini-Akte“ und Publikationen der Jahre 1805 bis 1807. I–II, Endo-Press, Tuttlingen 2002, ISBN 3-89756-306-1. Otto Winkelmann: Endoskopie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 354 f. Einzelnachweise Endoskopie Chirurgisches Instrument Diagnostikgerät
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https://de.wikipedia.org/wiki/Elefantenv%C3%B6gel
Elefantenvögel
Die Elefantenvögel (Aepyornithidae), auch Madagaskar-Strauße oder madagassisch Vorompatras genannt, sind eine ausgestorbene Familie großer flugunfähiger Vögel. Sie bilden gleichzeitig die monotypische Ordnung der Aepyornithiformes. Die Familie umfasst mit Aepyornis und Mullerornis insgesamt zwei Gattungen. Bekannt ist sie durch fossile und subfossile Knochen- und Eifunde von der Insel Madagaskar vor der Ostküste Afrikas. Wichtige Fundgebiete erstrecken sich entlang der südlichen und südwestlichen Küste beziehungsweise liegen im zentralen Bergland und an der Nordspitze. In ihrem äußeren Erscheinungsbild ähnelten die Elefantenvögel den heutigen Straußen. Sie besaßen lange Hinterbeine, einen ebenfalls langen Hals und einen kleinen Kopf. Einige Vertreter waren aber deutlich größer als die Strauße und repräsentieren die größten bekannten Vögel. Die Lebensweise ist nur wenig erforscht. Vermutlich bewohnten die Elefantenvögel dichte Wälder und ernährten sich von eher weicher Pflanzenkost. Im Unterschied zu den Straußen waren sie wohl nicht an hohe Laufgeschwindigkeiten angepasst, was auch die Proportionen ihrer Hinterbeine aufzeigen. Außerdem ergaben Analysen der Hirnstruktur eine überwiegend nachtaktive Tätigkeit sowie eine geringe Sehstärke und ein Überwiegen des Geruchssinnes. Der Ursprung der Elefantenvögel reicht genetischen Untersuchungen zufolge bis in das Paläogen zurück, allerdings sind keine Fossilien aus dieser Zeit belegt. Die ältesten bekannten Funde datieren in das ausgehende Pleistozän, die jüngsten in das 12. bis 13. Jahrhundert. Das Verschwinden der großen Vögel ist höchstwahrscheinlich mit der Besiedlung Madagaskars durch den Menschen verbunden. Wann genau sie ausstarben, ist ungeklärt. Teilweise werden Legenden um den Vogel Roch, wie sie unter anderem Marco Polo in seinen Reiseberichten vermittelte, mit den Elefantenvögeln verbunden. Fossilreste wurden erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Sie führten zur Erstbeschreibung der Gattung Aepyornis im Jahr 1851 und der Aepyornithidae zwei Jahre später. Merkmale Größe und Habitus Die Elefantenvögel umfassen große bis sehr große Vögel. Die Ermittlung der Körpergröße erfolgt in der Regel auf der Basis des Vergleichs der Langknochen, vor allem der Hinterbeine. Demnach erreichte die Gattung Aepyornis schätzungsweise 243 bis 732 kg Körpergewicht. Einzelne Berechnungen an nicht vollständigen Knochen gehen zum Teil bis zu 860 kg. Die Scheitelhöhe dürfte bei großen Exemplaren zwischen 2,7 und 3 m betragen haben. Teilweise wurde für die extrem großen Formen die Gattung Vorombe abgetrennt, die allerdings identisch mit Aepyornis ist. Möglicherweise bestand ein ausgeprägter Geschlechtsdimorphismus. Für Mullerornis, der leichter und schlanker gebaut war, werden 60 bis 118 kg als Körpergewicht vermutet. Damit handelt es sich zumindest mit Aepyornis um den größten bekannten Vogel der Erdgeschichte, Annähernd vergleichbare Maße erreichten Dromornis oder Brontornis aus dem Miozän oder Pachystruthio aus dem Pleistozän. Die im 14. Jahrhundert ausgerotteten Moas der Gattung Dinornis mit einem geschätzten Gewicht von um die 250 kg waren die einzigen Vögel, die während historischer Zeit ähnliche Ausmaße erreichten. Das äußere Erscheinungsbild der Elefantenvögel erinnerte stark an heutige Strauße. Die Beine waren lang, sie endeten allerdings abweichend von den Straußen in jeweils drei kurze Zehen. Die Flügel hatten sich in ihrer Größe deutlich reduziert. Auf dem langen und robusten Hals saß ein verhältnismäßig kleiner Kopf. Skelett Der Schädel ďer Elefantenvögel war vergleichsweise klein im Bezug auf den restlichen Körper. Er wies einen konischen, gerade, nach vorn gerichteten Schnabel auf. Das Schädeldach war gerundet, am Hinterhauptsbein fehlte ein markanter Wulst. Der Unterkiefer war kräftig und breit gestaltet. Die beiden Unterkieferäste verliefen gerade. Die Wirbelsäule setzte sich aus 16 bis 17 Hals-, 7 bis 8 Brust- und 20 weiteren Wirbeln zusammen, die im Beckens zum Synsacrum verschmolzen waren. Hinzu kamen einzelne Schwanzwirbel. Hals- und Brustwirbel besaßen massive Wirbelkörper. Das Brustbein war wie bei allen Laufvögeln durch den fehlenden Brustbeinkamm brettartig flach und eher rechteckig gestaltet, was den ursprünglichen Namen „Ratitae“ (von lateinisch ratis für „Floß“) für die Gruppe begründete. Im Schultergürtel bildete das Rabenbein eine fächerartige Struktur, die sich mit dem stabförmigen Schulterblatt verband. Der Oberarmknochen war ebenfalls stabförmig und deutlich verkleinert. Das Gleiche gilt für den restlichen Unterarm, was den verkümmerten Flügel wiedergibt. Das Becken hingegen stellte eine massive Knochenstruktur dar, bei der sowohl das Darm- als auch das Scham- und Sitzbein fest miteinander verwachsen waren. Letztere waren eher schlank und strebten rückwärts auseinander, so dass das Becken nach hinten sehr breit wurde. Der Oberschenkelknochen war massiv und breit. Seine Länge reichte von 24,5 bis 26,8 cm bei Mullerornis bis hin zu 43,7 bis 49,0 cm bei Aepyornis. Im Bereich des Mittelschaftes war er sehr breit. Die Gelenkenden kragten aus, wobei der Trochanter am oberen Ende kräftig erschien und die Gelenkrollen am unteren Ende ungleichmäßig entwickelt waren. Der Tibiotarsus wurde rund 43,5 cm bei den kleineren und 61,4 cm und mehr bei den größeren Formen lang. Auffallend war eine lange Längsrippel entlang des Schaftes, die die kräftige Oberschenkelmuskulatur aufnahm. Im Vergleich zum langen Unterschenkel war der Tarsometatarsus kurz. Seine Länge variierte von 27,1 bis 32,4 cm sowie von 41,9 bis 46,8 cm bei Mullerornis respektive Aepyornis. Er wies einen flachen Querschnitt auf. Am unteren Ende teilte er sich in drei Gelenkrollen auf, von denen die mittlere am größten war. Hier setzten die Zehenglieder an. Die jeweiligen Phalangen waren kurz, die Endglieder liefen gerade aus. Eier Neben dem Skelettmaterial sind auch Eierschalen und komplette Eier der Elefantenvögel bekannt. Die Größe variierte teils beträchtlich. Bei über 60 analysierten Eiern ergaben sich Längenwerte von 26,4 bis 34,0 cm und Breiten von 19,4 bis 24,5 cm. Das Volumen schwankte von 5,2 bis 10,7 l, das Gewicht von 6,0 bis 12,3 kg. Allein die Schale wog zwischen 1,2 und 3,3 kg und war durchschnittlich 3,6 mm dick. Ausgehend von diesen Messungen lagen die Durchschnittswerte bei 30,6 cm Länge und 22,5 cm Breite, das Volumen betrug 8,1 l und das Gewicht 9,3 kg. Bezogen auf letztere Angaben fasst ein Elefantenvogelei sechs Straußeneier oder 155 Hühnereier. Die Oberfläche der Eier ist von Poren durchsetzt. Diese sind in linearen Grübchen angeordnet, die parallel zur Längsachse der Eier verlaufen. In Richtung der Eierpole sind die Strukturen teils auch „Whirlpool“-oder strudelartig angeordnet. Zwischen den einzelnen Gattungen der Elefantenvögel bestehen bestimmte Unterschiede. Die deutlichen linearen Strukturen kommen vorwiegend bei Aepyornis vor, während bei Mullerornis sehr feine dolchstichartig eingetiefte Poren dominierten. Darüber hinaus können die Eier möglicherweise auch über die Größe und Schalendicke unterschieden werden. Hierbei ergaben Studien aus dem Jahr 2023, dass Eierschalen mit einer Dicke von durchschnittlich 1,1 mm einem Ei von durchschnittlich 240 g entsprechen und zu einem emugroßen Tier, höchstwahrscheinlich Mullerornis gehören. Dem gegenüber sind Eier mit durchschnittlich 1,95 und 3,3 mm dicken Schalen auf 1,0 beziehungsweise 10,5 kg schwere Eier zurückzuführen, die mit der größten Gattung, Aepyornis, identisch wären. Verbreitung Die Elefantenvögel waren auf der Insel Madagaskar verbreitet und kamen dort endemisch vor. Fundstellen mit Resten der Vögel lassen sich grob in drei geographische Regionen unterteilen. Das wichtigste Gebiet befindet sich in der südlichen und südwestlichen Küstenregion der Insel. Es erstreckt sich in etwa zwischen Tolagnaro im Osten und Toliara im Westen, jedoch sind einzelne Lokalitäten auch weiter nördlich entlang der Westküste bekannt. Südwestlich von Toliara befindet sich die Andrahomana-Höhle mit einem reichhaltigen Faunenmaterial, das die letzten 8700 Jahre abdeckt. Für die Südküste sind etwa Faux Cap oder Cap Sainte Marie zu erwähnen, die beide unzählige Eierreste hervorbrachten und mitunter als Brutgebiete angesehen werden. Rund um Toliara bestehen zahlreiche Fundstellen, hervorgehoben werden können Nisua und Itampolo oder die Ankilitelo-Höhle. Letztere ist eine der bedeutendsten Fundstellen der Insel und wird seit 1994 wissenschaftlich erschlossen. Sie enthält eine reichhaltige Fauna, bestehend aus über 5000 Knochenresten. Nach Norden hin an der Westküste setzt sich das Fundgebiet unter anderem mit Belo-Sur-Mar fort. Das zweite größere Fundareal befindet sich westlich und südwestlich der madagassischen Hauptstadt Antananarivo im zentralen Bergland. Von Bedeutung sind hier die Fundstellen Antsirabe und Ampasambazimba. Ganz im Norden umreißen Anjohibe und Irodo das dritte Fundgebiet. Das überwiegend aufgefundene Material der Elefantenvögel besteht aus Skelettresten und Eiern. Knochenmaterial ist häufig an Torfgebiete gebunden, die ehemalige Seen repräsentieren. Einzelne Funde stammen auch aus Höhlen. Eier treten vor allem in küstennahen Dünengebieten und in Schwemmsanden auf. Beide Fundkategorien kommen nur selten miteinander vergesellschaftet vor. Ungewöhnlich sind zwei Eierfunde bei Cervantes und Augusta an der Westküste Australiens, die die typischen Kennzeichen der Elefantenvögel tragen. Sie wurden aus holozänen Dünenablagerungen zu Tage gefördert. Bisher ungeklärt ist die Herkunft der Eier, da Elefantenvögel nie in Australien auftraten. Vermutet wird, dass die Eier in das Meer gelangten und mit der Strömung bis nach Australien transportiert wurden. Lebensweise Fortbewegung Die Elefantenvögel übertrafen mit Ausnahmen die heutigen flugunfähigen großen Vögel bei weitem in ihren Körperausmaßen. Zudem besaßen sie einen äußerst robusten Körperbau. Heutige Laufvögel sind an eine schnelle (cursoriale) Fortbewegung angepasst, worauf auch ihre langen und schlanken Hinterbeine verweisen. Generell zeichnen sich schnell laufende Tiere durch ihre gegenüber den oberen Beinabschnitten gestreckten unteren Beinelemente und ebensolche Füße aus. Bei den Straußen macht der Tibiotarsus rund 40 bis 41 % und der Tarsometatarsus 34 bis 36 % der gesamten Beinlänge aus. Im Vergleich dazu liegen die Werte bei den Elefantenvögeln anders. Beim massigen Aepyornis erreicht ersterer etwa 45 %, letzterer rund 28 %. Der Fuß war somit bei Aepyornis verhältnismäßig deutlich kürzer als bei den Straußen, was ihm wohl nur langsamere (graviportale) Gangarten erlaubte. Allerdings war der markant kleinere und leichtere Mullerornis durchaus etwas flinker unterwegs als sein großer Verwandter. Hier liegen die Verhältnisse des Tibiotarsus und des Tarsometatarsus zur Gesamtbeinlänge bei 45 % beziehungsweise 31 %. Die möglicherweise variierende Befähigung zur schnellen Fortbewegung wird auch allein am Bau des Tarsometatarsus ersichtlich, der bei Aepyornis bezogen auf die Gesamtlänge am Mittelschaft fast doppelt so breit war wie bei Mullerornis und damit deutlich kräftiger ausfiel. Ernährung Es gibt keine direkten Belege zur Ernährung der Elefantenvögel. Die meisten heute lebenden Laufvögel sind Omnivoren. Es gibt jedoch dick beschalte Regenwaldfrüchte auf Madagaskar, die nach Meinung einiger Forscher auf die Verdauung durch die großen Laufvögel ausgelegt waren. So weist etwa die Frucht der heute stark bedrohten Kokospalme Voanioala gerardii eine derartige dicke Schale auf, und einige madagassische Palmfrüchte zeigen eine dunkelblau-violette Farbe (zum Beispiel Ravenea louvelii und Satranala decussilvae), ähnlich jenen Früchten, die von Kasuaren bevorzugt werden. Neben solchen Überlegungen verweisen Isotopenanalysen an Schalen von Aepyornis-Eiern auf eine weitgehend pflanzliche Ernährung. Dem Verhältnis der Kohlenstoffisotope zufolge verzehrten die Vögel zu 91 % C3-Pflanzen und zu 9 % CAM-Pflanzen. Erstere werden durch Bäume, Sträucher und einzelne Gräser repräsentiert, letztere durch Sukkulenten. Auffallend ist bei einem untersuchten Exemplar von Mullerornis, dass sich das Verhältnis hier auf 70 % C3- und 30 % CAM-Pflanzen verschiebt, was für eine ökologische Separierung und Spezialisierung beider Vertreter der Elefantenvögel spricht. Teilweise wird diskutiert, ob die auf Madagaskar endemisch vorkommende Pflanzengattung Uncarina durch die Elefantenvögel weiterverbreitet wurde. Die Früchte einiger Arten der kleineren Bäume besitzen charakteristische Greifhaken an ihren Fortsätzen, die ähnlich den Trampelkletten wirken und geeignet wären, an den Füßen der großen Vögel anzuheften. Dafür spricht unter anderem, dass die Früchte nach dem Reifen zu Boden fallen und erst dann ihre Greifhaken ausbilden. Als weitere Kandidaten einer Verbreitung kommen die großen ausgestorbenen Lemuren in Frage, doch sind bei einigen Früchten die dornenartigen Fortsätze zu locker verteilt, um effektiv im Fell anzuhaften. Heute werden die Früchte durch die vom Menschen eingeschleppten Huftiere verbreitet. Fortpflanzung Die Fortpflanzung ist nur wenig untersucht. Teilweise wird eine Brutzeit im Winter angenommen, was aber nur über Analogien zu anderen großen Laufvögeln erfolgt. Bei einigen regional massenhaft auftretenden Eiern kam die Vermutung auf, es handele sich um spezielle Brutgebiete. Allerdings ist auch eine Akkumulation über einen längeren Zeitraum nicht auszuschließen. Bezüglich des Nahrungsverhaltens gemäß der Isotopenuntersuchungen ergeben sich mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Das Überwiegen von C3-Pflanzen macht einerseits ein gleichzeitiges Nisten und Fressen in diesen Bereichen denkbar, andererseits könnten die Elefantenvögel auch in Regionen mit CAM-Pflanzen gebrütet und von dort aus ihre bevorzugten Nahrungsgebiete aufgesucht haben. Über die Brutdauer der Elefantenvögel ist nichts bekannt. Bei den Straußen beträgt sie etwa sechs Wochen. Unter Berücksichtigung der Größe der Eier könnte sie bei Aepyornis bei etwa 85 Tagen gelegen haben. In einigen wenigen Fällen sind Eier mit erhaltenen Embryonen überliefert. Bei einem untersuchten Exemplar hatte das darin befindliche Küken bereits 80 bis 90 % seiner Entwicklung durchlaufen und stand so zum Todeszeitpunkt nur wenige Tage vor dem Schlüpfen. Bezugspunkte zur Bestimmung waren vergleichbare Entwicklungsstadien bei den Straußen. Die Embryonalentwicklung ist insgesamt vergleichbar zu der anderer großer Laufvögel. Das Individuum zeigte dadurch bereits die kräftigen Hinterbeine und die verkümmerten Flügel. Allgemein werden Aussagen aber durch die geringe Entwicklung der Knochen limitiert. Vermutlich verfolgten die Elefantenvögel eine K-Strategie bei der Reproduktion, wie es den meisten Vögeln zu eigen ist. Histologische Studien an den Langknochen lassen annehmen, dass das Heranwachsen des Nachwuchses über mehrere Jahre währte, was wiederum einen Unterschied zu zahlreichen anderen Vögeln bildet, allerdings auch bei den Moas belegt ist. Das Wachstum wurde dabei in zyklischen Abständen unterbrochen. Dies hängt eventuell mit den Umweltbedingungen der Insel zusammen. Eine ausgedehnte Individualentwicklung im Jugendstadium ist wiederum mit dem Fehlen größerer Fressfeinde erklärbar. Sinnesleistungen Analysen von Gehirnausgüssen der Gattung Aepyornis lassen einen vergleichsweise großen Riechkolben erkennen. Er weist eine Länge von rund 1 cm auf, was in etwa 0,24 bis 0,25 % der Länge des Gehirns ausmacht. Das Verhältnis stimmt mehr oder weniger mit dem der Kasuare überein und wird noch von den Kiwis übertroffen, deren Riechkolben nicht nur relativ, sondern auch absolut länger ist. Strauße haben hingegen einen deutlich kürzeren Riechkolben, der insgesamt nur rund 0,18 % der Gehirnlänge erreicht. Dem gegenüber ist der Lobus opticus bei Aepyornis eher klein, seine Größe im Verhältnis zur Gehirnoberfläche liegt bei nur 0,01 %, vergleichbar wiederum zu den Kiwis, aber um zwei Drittel geringer als bei den Straußen und drei Viertel geringer als bei den Kasuaren. Als Ergebnis kann daraus geschlussfolgert werden, dass die Elefantenvögel möglicherweise eine geringe Sehkraft hatten und sich stärker über den Geruchssinn orientierten. Dies ist auch von den Kiwis bekannt, deren Entwicklung von Riechkolben und Optischem Lappen zu denen der Elefantenvögel vergleichbar ist. Kiwis sind nachtaktiv und können sowohl gut riechen als auch hören. Ihre geringe Sehkraft wird zusätzlich durch ihre in der Größe deutlich reduzierten Augen angezeigt. Strauße haben dem gegenüber große Augen mit hoher Sehkraft und sind weitgehend tagaktiv, während sich die Aktivitätszeit der Kasuare häufig auf die Dämmerungsphasen beschränkt. Aufgrund der Befunde wird angenommen, dass die Elefantenvögel ebenfalls eher nachtaktiv waren, was eventuell zu einem Leben in dichten Wäldern korrespondiert. Allerdings zeigen sich innerhalb der einzelnen Arten der Elefantenvögel auch bestimmte graduelle Abweichungen bezüglich der Größe des Lobus opticus, der bei Mullerornis durchschnittlich etwas ausgedehnter war. Hier könnte sich eine Tendenz zu einer Anpassung an stärker offene Landschaften und/oder zu einer häufigeren Aktivität zur Dämmerungszeit widerspiegeln. Systematik Allgemein Die Elefantenvögel sind eine Familie großer flugunfähiger Vögel, die auf Madagaskar endemisch waren. Sie bilden außerdem die Ordnung der Aepyornithiformes, deren einziges Mitglied sie sind und welche somit als monotypisch aufzufassen ist. Als höhere taxonomische Einheit gehören die Aepyornithiformes den Urkiefervögeln (Palaeognathae) an. Es besteht dadurch eine engere Verwandtschaft mit anderen großen Laufvögeln wie den Straußen (Struthio) aus der Gruppe der Struthioniformes, den Emus (Dromaius) und Kasuaren (Casuarius) aus der Gruppe der Casuariiformes und den Nandus (Rhea) aus der Gruppe der Rheiformes. Außerdem werden diesen die Moas (Dinornithiformes) als in jüngerer Zeit ausgestorbene Gruppe hinzugerechnet. Darüber hinaus bestehen aus anatomischer Sicht engere Beziehungen zu einzelnen Formengruppen des Paläogens wie etwa den Lithornithiformes. Untersuchungen der mitochondrialen DNA legen nahe, dass die Elefantenvögel nahe mit den Kiwis (Apteryx) aus der Gruppe der Apterygiformes verwandt sind. Zum näheren Verwandtschaftskreis zählen zudem die Emus und Kasuare. Die Trennung der Kiwis und Elefantenvögel liegt mit vor rund 50 bis 60 Millionen Jahren im Paläogen. Übersicht über die Gattungen und Arten Die Familie der Elefantenvögel wird in zwei Gattungen unterteilt: Ordnung: Aepyornithiformes Newton, 1884 Familie: Aepyornithidae Bonaparte, 1853 Gattung: Aepyornis I. Geoffroy Saint-Hilaire, 1851 Aepyornis hildebrandti Burckhardt, 1893 (Synonyme: Aepyornis gracilis, Aepyornis lentus) Aepyornis maximus I. Geoffroy Saint-Hilaire, 1851 (Synonyme: Aepyornis cursor, Aepyornis ingens, Aepyornis medius, Aepyornis titan, Vorombe titan) Gattung: Mullerornis Milne-Edwards & Grandidier, 1894 Mullerornis modestus (Milne-Edwards & Grandidier, 1869) (Synonyme: Aepyornis modestus, Mullerornis agilis, Mullerornis betsilei, Mullerornis rudis) Die Einteilung in zwei Gattungen und drei Arten lässt sich laut einer Studie aus dem Jahr 2023 auch anhand der Morphologie und Morphometrie der Eier bestätigen, durch die drei Typen unterscheidbar sind. Unterstützt wird dies durch molekulargenetische Daten. Eine von James P. Hansford und Samuel T. Turvey im Jahr 2018 aufgestellte dritte Gattung namens Vorombe, die den größten Vertreter einschloss, ist den genetischen Untersuchungen zufolge identisch mit Aepyornis. Charles Lamberton teilte im Jahr 1934 in einer Revision der Elefantenvögel die Ordnung der Aepyornithiformes in zwei Familien auf, welche die Aepyornithidae und die Mullerornithidae umfassten. Die Gliederung wurde nachfolgend zwar kaum übernommen, sollte nach Meinung einzelner Autoren aber erneut überprüft werden. Die genetischen Daten befürworten eine Aufteilung in zwei Familien, da die Trennung von Mullerornis und Aepyornis bereits im frühen Oligozän vor rund 30 Millionen Jahren erfolgte. Teilweise wurde den Elefantenvögeln auch die Unterfamilie der Eremopezinae mit der Fossilform Eremopezus aus dem Fayyum in Ägypten zugeteilt, was heute nicht mehr anerkannt ist. Stammesgeschichte Ursprünge Ursprung und Entwicklung der Elefantenvögel sind nicht eindeutig. Die genetischen Daten zeigen, dass sie zumindest eine recht alte Gruppe sind. Laut diesen Untersuchungen trennten sich die Linien der Kiwis und Elefantenvögel – abhängig von der verwendeten Methodik – im Paläogen vor rund 62 bis 50 Millionen Jahren voneinander, letztere spalteten sich im Verlauf des Oberen Eozäns bis Mittleren Miozän vor 35 bis 17 Millionen Jahren auf. Madagaskar war schon seit mindestens 80 Millionen Jahren eine eigenständige Insel. Ungeklärt ist, ob die Vorfahren der Elefantenvögel nach Madagaskar einwanderten oder bereits vor dem Aufbrechen von Gondwana dort lebten. Damit verbunden ist die Frage nach dem Zeitpunkt des Verlustes der Flugfähigkeit. Phylogenomische Studien stützen die Paraphylie der Laufvögel in klassischer Auffassung und machen einen unabhängigen Verlust der Flugfähigkeit bei diesen wahrscheinlich. Die weitere känozoische Entwicklung der Gruppe ist unbekannt. Auf Madagaskar fehlen die entsprechenden Sedimente für eine Fossilerhaltung. Darüber hinaus sind kontinentalafrikanische Nachweise der Elefantenvögel oder naher verwandter Formen nicht dokumentiert. Allerdings wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts die Gattung Eremopezus aus dem Übergang vom Eozän zum Oligozän des Fayyum in Ägypten mit den Elefantenvögeln in Verbindung gebracht, ebenso wie die Synonymform Stromeria. Beide sind über einzelne Beinknochen belegt, die auf einen Vogel von der Größe eines Nandus verweisen. Nach neueren Untersuchungen handelt es sich jedoch um eine eigenständige Entwicklungslinie innerhalb der Vögel Afrikas. Pleistozäne Funde Die ältesten eindeutigen Fossilreste der Elefantenvögel auf Madagaskar sind Eierschalen von der Dünenfundstelle Faux Cap im äußersten Süden der Insel, die wohl älter als 50.000 Jahre sind. Begleitende Schnecken wurden mit Hilfe der Radiocarbonmethode auf rund 42.055 bis 32.605 Jahre vor heute datiert, was dem entwickelten Jungpleistozän entspricht. Weitere direkt an Resten von Elefantenvögeln gewonnene und kalibrierte 14C-Daten liegen ebenfalls für Eierschalen aus der Ankilitelo-Höhle mit etwa 13.140 Jahren vor heute und für Beinknochen vom Christmas River mit 10.620 Jahren vor heute vor. Letztere werden Aepyornis zugewiesen, für die ersteren beiden Fundstellen ist die genaue Artbestimmung unsicher. Die angegebenen Alterswerte markieren den Übergang vom Pleistozän zum Holozän. Holozäne Funde und Aussterben Die Elefantenvögel waren im Holozän wohl recht häufig auf Madagaskar. Sie kamen mit allen drei heute bekannten Gattungen über die ganze Insel verbreitet vor. An Fossilien gewonnene absolute Alterswerte streuen sowohl für Aepyornis als auch für Mullerornis weitgehend über den gesamten Zeitraum. Biogeographisch waren Mullerornis und der größte Vertreter von Aepyornis (A. maximus) weitgehend im südlichen Teil der Insel verbreitet, während die kleinere Form von letzterer Gattung (A. hildebrandti) den nördlichen und zentralen Bereich bewohnte. Man stimmt weitestgehend darin überein, dass das Aussterben der Elefantenvögel auf menschliche Einflüsse zurückzuführen ist. Nach traditioneller Ansicht besiedelte der Mensch ab etwa 350 v. u. Z. die Insel dauerhaft, einzelne Hinweise lassen aber auch frühere Aufenthalte annehmen. Womöglich nutzten sie die riesigen Vögel als wichtige Fleischlieferanten, wie einzelne zerlegte Kadaver aufzeigen. Insbesondere die Eier dürften gefährdet gewesen sein, die einigen Indizien zufolge als Mahlzeiten zubereitet wurden. Wahrscheinlich spielte auch die von den Einwohnern betriebene Brandrodung eine zusätzliche Rolle, da sie große Flächen des Lebensraums der Elefantenvögel zerstörte. Des Weiteren ist möglich, dass Krankheiten, übertragen durch eingeführtes Geflügel, einen Einfluss hatten. Aus archäologisch-paläontologischer Sicht ist das Datum des Aussterbens der Elefantenvögel ebenfalls nicht sicher belegt. Die jüngsten Altersangaben fallen mit den subfossilen Funden aus der Andrahomana-Höhle und von Manambovo in das 12. bis 13. Jahrhundert. Bei beiden Fundstellen dienten wiederum Eierschalen als Grundlage für die Bestimmung. Zumindest für Andrahomana sind zudem Fossilreste von Aepyornis und Mullerornis belegt. Forschungsgeschichte Der Vogel Roch und der Vorompatra – Mögliche frühe Erwähnungen Madagaskar als ursprüngliche Heimat einer ausgestorbenen Megafauna einschließlich riesiger Vögel blieb für die westliche Wissenschaft lange Zeit unbekannt. Es gibt allerdings frühe Hinweise auf deren Existenz. Der venezianische Kaufmann Marco Polo erwähnt in seinem Bericht über seine Asienreise in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die ihn bis an den Hof von Kublai Khan führte, den Vogel Roch auf Madagaskar. Der Roch besuchte die Insel zu gewisser Zeit und sei so riesig, dass er einen Elefanten mit den Füßen greifen und wegfliegen konnte. Die Erzählung über den imposanten Vogel wurde später, im Jahr 1623, auch von Hieronymus Megiser in seiner Darstellung der Insel Madagaskar aufgegriffen. Die Legende um den Vogel Roch findet sich allerdings schon in den Märchen aus Tausendundeiner Nacht, in denen Sindbad der Seefahrer während seiner fünften Reise auf diesen trifft. Zudem erwähnen sie mehrere arabische Gelehrte und Reisende des 12. bis 14. Jahrhunderts, etwa Ibn Battūta. Beeinflusst wurden die Geschichten um den Roch möglicherweise von persischen oder chinesischen Mythen. Häufig wird der Vogel Roch mit den Elefantenvögeln in Verbindung gebracht, die zu Marco Polos Zeiten durchaus noch auf Madagaskar gelebt haben könnten. Ob dies aber tatsächlich zutrifft, ist in der Wissenschaft umstritten. Die überlieferten Eigenschaften als flugfähiger Vogel, die schon Marco Polo an einen Adler erinnern ließen, können theoretisch auch auf Sichtungen des heute ausgerotteten madagassischen Verwandten des Kronenadlers basieren, der im Jahr 1994 unter der wissenschaftlichen Bezeichnung Stephanoaetus mahery beschrieben wurde. Ein erster tatsächlicher Hinweis auf die Elefantenvögel findet sich dann im Jahr 1661 in dem Reisebericht von Étienne de Flacourt. Der französische Naturforscher und Gouverneur von Madagaskar erwähnt hierin riesige Vögel, die er mit Vouron patra benennt. Der Name, in einer anderen Umschreibung auch Vorompatra, ist ein madagassisches Wort und bedeutet „Vogel der Ampatres“, wobei sich die Ampatres auf die heutige Androy-Region im Süden Madagaskars bezieht. Der nur wenige Zeilen lange Absatz beschreibt die Eier der Tiere, die an jene von Straußen erinnern. Zudem würden die Vögel nur selten angetroffen, da sie sehr trockene Landschaften bewohnten. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen, heute noch existenten Tieren auf Madagaskar wie den Tenreks bildet Flacourt den Vorompatra aber nicht ab. Es ist daher unwahrscheinlich, dass er die Elefantenvögel selbst gesichtet hatte, einige Autoren gehen aber davon aus, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch auf der Insel lebten. Wissenschaftliche Beschreibungen Die ersten konkreten Informationen über riesige Vögel auf Madagaskar wurden Anfang der 1830er Jahre in Form der Eier bekannt, die von Einheimischen als Geschirr genutzt wurden. Nur wenig später kamen auch Fossilien zu Tage. Die Funde gelangten nach Paris, wo im Jahr 1851 Isidore Geoffroy Saint-Hilaire der Académie de Sciences einige vollständige Eier und Beinknochen präsentieren konnte. Er erstellte an diesen Funden die wissenschaftliche Erstbeschreibung der Gattung Aepyornis. In ihr verglich Geoffroy Saint-Hilaire seine neue Form mit anderen großen Laufvögeln und vermutete aufgrund der Dimension der Knochen, vor allem anhand des Schaftumfangs des nur mit dem unteren Gelenkende erhaltenen Tarsometatarsus, dass Aepyornis rund 3,8 m groß gewesen sein muss. Auch bestimmte er das Volumen der Eier relativ korrekt, die nach seinen Berechnungen sechs Straußeneier oder 148 Hühnereier fassten. Den Gattungsnamen leitete er von den griechischen Wörtern αίπός (aipos) für „hoch“ und όρνις (ornis) für „Vogel“ ab, was sich auf die enorme Größe bezieht. Als Art wies er A. maximus aus, wobei das Artepitheton wiederum die enormen Ausmaße der Vögel hervorhebt. Noch in der gleichen Schrift nutzte Geoffroy Saint-Hilaire die Bezeichnung Epyornis, die später teils übernommen wurde. Hierbei handelt es sich allerdings um eine unzulässige Falschschreibung, da Geoffroy Saint-Hilaire die Ableitung des Gattungsnamens von αίπός selbst angab. Geoffroy Saint-Hilaire wies keinen Holotypen für seine neue Form aus. Erst im Jahr 2018 wurde mit dem Tarsometatarsus aus der Originalfundserie ein Lectotyp bestimmt, der aber keine Exemplarnummer besitzt. Erstmals abgebildet wurde das Stück durch Giovanni Giuseppe Bianconi im Jahr 1865 in einer umfassenden wissenschaftlichen Abhandlung über den Tarsometatarsus der Vögel. Er nahm auch an, unter Einfluss der Berichte Marco Polos, dass es sich um einen großen adlerartigen Greifvogel handele. Die in den 1860er Jahren gestarteten und von Alfred Grandidier durchgeführten Ausgrabungen in Ambolisatra im Südwesten von Madagaskar erbrachten zahlreiche Beinknochen der Elefantenvögel. Diese erlaubten es ihm gemeinsam mit Alphonse Milne-Edwards nachzuweisen, dass es sich bei Aepyornis um einen großen Laufvogel handelte. Auf beide Autoren geht auch die Gattung Mullerornis zurück, die von ihnen im Jahr 1894 kreiert wurde. Erstmals belegt wurde sie während der Ausgrabungen in Antsirabe im zentralen Bergland von Madagaskar. Gewidmet ist sie dem französischen Naturforscher Georges Muller, der die Feldforschungen dort besucht hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt, aber auch nachfolgend, wurden zahlreiche Arten eingeführt, so dass deren Anzahl auf über ein Dutzend angestieg. Mehrere Wissenschaftler versuchten sich an Revisionen, unter anderem Louis Monnier 1913 und Charles Lamberton 1934. Die bisher letzte Revision der Elefantenvögel im Jahr 2018 durch James P. Hansford und Samuel T. Turvey beschränkte die Gruppe auf insgesamt weniger als ein halbes Dutzend Arten. Gleichzeitig wurde von ihnen mit Vorombe eine neue Gattung eingeführt, die nach Auffassung der Autoren den größten Vertreter der Elefantenvögel darstellte. Der Gattungsname wurde der madagassischen Sprache entlehnt, wobei Vorona für „Vogel“ steht und goavambe in etwa „riesig“ bedeutet. Genetischen Analysen zufolge ist aber Vorombe identisch mit Aepyornis. Höhere Taxonomie Nur zwei Jahre nach Geoffroy Saint-Hilaires Erstbeschreibung von Aepyornis verwies Charles Lucien Jules Laurent Bonaparte die Gattung zu einer neuen übergeordneten taxonomischen Einheit, die er Epyornithinae nannte und als Unterfamilie innerhalb der sogenannten Dididae ansah. Dies ist eine heute nicht mehr anerkannten Familie bestehend aus den Dodos und den verschiedenen Arten der Solitäre. Die Familie gliederte er den Tauben bei. Bonaparte gilt heute als Autor der Familie der Aepyornithidae. Für die höhere Einstufung der Elefantenvögel als eigenständige Ordnung wird in der Regel Alfred Newton verantwortlich gezeichnet und das Jahr 1884 genannt. Newton hatte in dem angegebenen Jahr im Rahmen eines Beitrags zur Ornithologie in der Encyclopedia Britannica die Laufvögel stärker gegliedert und dabei die Aepyornithes aufgeführt, die der heute gebräuchlichen Bezeichnung Aepyornithiformes entsprechen. Die Unterteilung der Laufvögel einschließlich der Aepyornithes wurde von Newton aber bereits 1877 vorgestellt, als er in einem Fachaufsatz auf einen rund eine Dekade zuvor von Thomas H. Huxley veröffentlichten Beitrag reagierte. In diesem war von Huxley eine Aufteilung der Vögel unternommen worden, wobei er für die Laufvögel mehrere große Formengruppen auswies (ohne dabei aber die Elefantenvögel einzubeziehen). Wissenschaftliche Bezeichnungen für diese Formengruppen verwendete Huxley dabei nicht, was Newton dann im Jahr 1877 nachholte und zusätzlich die von ihm so benannten Aepyornithes einband. Wissenschaftliche und kulturelle Auswirkungen Die Entdeckung von Knochen und Eiern der Elefantenvögel wirkte sich sowohl in wissenschaftlicher wie auch kultureller Hinsicht aus. Von Bedeutung ist hierbei auch das nahezu zeitgleiche Bekanntwerden der Moas auf Neuseeland, die erstmals in den 1830er Jahren in den Fokus rückten. Einige Forscher der damaligen Zeit sahen trotz der großen Entfernung der Inseln zueinander eine stärkere Verbindung zwischen diesen verschiedenen Vogelgruppen. Hierzu gehörte etwa Alphonse Milne-Edwards. Andere wie Charles William Andrews teilten diese Meinung nicht. Dennoch entwickelte sich aufgrund der größeren Gemeinsamkeiten bezüglich einer jeweils auf isolierten Inseln entstandenen Gruppe großer flugunfähiger Vögel eine fruchtbare gemeinsame Wissenschaft. Als besonders attraktiv erwiesen sich die Eier der Elefantenvögel, Sie wurden nicht nur von den verschiedensten Wissenschaftlern untersucht, sondern waren auch beliebte Sammler- und Ausstellungsstücke. Nachdem die ersten Stücke im Verlauf des 19. Jahrhunderts entdeckt worden waren und Europa erreichten, befanden sich Anfang des 20. Jahrhunderts bereits rund 30 Eier weltweit in Sammlungen. War die erste Erwähnung der Eier in Geoffroy Saint-Hilaires Erstbeschreibung von Aepyornis aus dem Jahr 1851 noch ohne Abbildung, stellte ein nur wenige Monate später veröffentlichter Aufsatz diese anderen Vogeleiern bildlich gegenüber und hob so ihre enorme Größe hervor. Ihre Publikumswirksamkeit zeigte auch unter anderem eine Sonderausstellung im Muséum national d’histoire naturelle in Paris über die Naturgeschichte Madagaskars im Jahr 1895. Organisiert vom damaligen Direktor Alphonse Milne-Edwards präsentierte sie die Reste von Elefantenvögeln einschließlich der Eier zentral in der großen Halle. Sie wurde von wenigstens 120.000 Menschen besucht. In einem begleitenden Bericht dazu, verfasst von Milne-Edwards, erschien im gleichen Jahr die erste verbürgte Photographie eines Eis der Elefantenvögel. Allerdings wurde die besondere Anziehungskraft nicht nur zur Befriedigung des öffentlichen Interesses eingesetzt, sie diente auch der Durchsetzung kolonialer Bestrebungen der damaligen Zeit, da zum gleichen Zeitpunkt Frankreich die militärische Herrschaft über Madagaskar erlangte. Die wissenschaftliche Erforschung der Elefantenvögel und die Präsentation der Ergebnisse in den verschiedensten Publikationen wirkte sich auch auf das kulturelle Leben aus. Im gleichen Jahr der Ausstellung am Pariser Muséum national d’histoire naturelle veröffentlichte Herbert George Wells eine Kurzgeschichtensammlung, die unter anderem die Novelle „Die Äpyornis-Insel“ (Aepyornis Island) enthielt. Sie erzählt die Geschichte eines Seemanns, der die Eier eines riesigen urzeitlichen Vogels findet und von denen aus einem ein Küken schlüpft, das eine Zeitlang sein Begleiter wird. Literatur Delphine Angst und Eric Buffetaut: Palaeobiology of Giant Flightless Birds. Oxford, 2017, S. 1–282 (S. 65–94) A. Feduccia: The origin and evolution of birds. Yale University Press, New Haven/London 1996, S. 283 ff. ISBN 0-300-06460-8 James P. Hansford und Samuel T. Turvey: Unexpected diversity within the extinct elephant birds (Aves: Aepyornithidae) and a new identity for the world's largest bird. Royal Society Open Science 5 (9), 2018, S. 181295, doi:10.1098/rsos.181295 Einzelnachweise Weblinks Diginorph.org: Aepyornis maximus †, Elephant Bird Global Biodiversity Information Facility: Aepyornithidae Spektrum der Wissenschaften: Der größte Vogel aller Zeiten & Ein blindes Riesenhuhn? Urkiefervögel Ausgestorbener Vogel Endemischer Vogel Madagaskars
1405
https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrochemische%20Zelle
Elektrochemische Zelle
Elektrochemische Zelle ist ein Oberbegriff für verschiedene Anordnungen, die entweder in der Elektrochemie verwendet werden oder die auf elektrochemischen Vorgängen beruhen. Es gibt verschiedene Haupttypen elektrochemischer Zellen, die sich darin unterscheiden, ob sie im Betrieb Energie abgeben oder aufnehmen: Zellen, die eine elektrische Spannung erzeugen und einen elektrischen Strom liefern können, sind galvanische Zellen. Zellen, die durch einen Strom von außen betrieben werden, sind Elektrolysezellen. Akkumulatoren sind Zellen, die abwechselnd Strom liefern und dann wieder durch einen von außen angelegten Strom geladen werden. Galvanische Zellen sind elektrochemische Stromquellen, die durch chemische Reaktionen an den chemisch verschiedenen Elektroden nutzbare elektrische Energie liefern. Elektrolysezellen dienen der Gewinnung von verschiedenen Stoffen durch Anlegen einer Spannung, siehe Elektrolyse. eine Akkumulatorzelle dient wie die galvanische Zelle als Stromquelle; durch Energiezufuhr wird sie wieder geladen. Der Ladungsvorgang entspricht einer Elektrolyse. Forschungs- oder Analysenzellen der Elektroanalytik und der Elektrochemie können drei oder mehr Elektroden (Arbeitselektrode, Referenzelektrode, Gegenelektrode, u. U. noch Indikatorelektrode(n)) haben. Wenn wechselnde Betriebsmodi möglich sind, kann man solche Zellen nicht eindeutig als Elektrolysezelle oder als galvanische Zelle klassifizieren. Eine elektrochemische Zelle enthält mindestens zwei Elektroden, die immer als Elektronenleiter fungieren, und mindestens einen Elektrolyten, d. h. einen Ionenleiter. Der Elektrolyt kann flüssig oder fest sein, oder es sind sowohl flüssiger als auch fester Elektrolyt vorhanden. Eine elektrochemische Zelle kann somit definiert werden als eine Anordnung aus zwei Elektroden, die über einen Elektrolyten leitend verbunden sind. Beispiele für galvanische Zellen Eine Primärzelle, umgangssprachlich zumeist „Batterie“ genannt, ist eine elektrochemische Zelle, genauso jede Brennstoffzelle. Knopfzellen sind besonders kleine Zellen. Solche im Handel erhältliche elektrochemischen Zellen haben ein geschlossenes Gehäuse, um den Austritt der Elektrolytflüssigkeiten zu verhindern. Sie kommen daher dem Idealbild einer „Zelle“ im Sinne einer umschlossenen Einheit näher als manche in der Forschung verwendete elektrochemischen Zellen, die auch offen sein können. Beispiele für Elektrolysezellen Es gibt Elektrolysen, die zur Herstellung von Grundchemikalien dienen, wie z. B. die Elektrolyse von geschmolzenem Natriumchlorid, die zur Darstellung der Elemente Natrium und Chlor dient. Für diesen großtechnischen Prozess wurde die Downs-Zelle entwickelt. Dann gibt es die Elektrolysen der Galvanotechnik, die Gegenstände mit Metallüberzügen beschichten. Dafür verwendet man Metallsalzlösungen wie das in der Abbildung schematisch gezeigte Kupfersalzbad mit Kupfersulfat CuSO4. Zum Testen und zum Optimieren der Abscheidungsbedingungen in der Galvanik dient die Hull-Zelle. Die Elektroden der Hull-Zelle sind nicht parallel zueinander. Dadurch ergibt sich an der Seite, an der die Elektroden näher beieinander stehen, höhere Stromdichten. So kann an einer Elektrode der Einfluss unterschiedlicher Stromdichten beobachtet werden, so dass die besten Elektrolysebedingungen bestimmt werden können. Auch die Haring-Blum-Zelle ist eine Testzelle der Galvanik, wobei mit Hilfe zweier gleicher Elektroden in unterschiedlichen Abständen die Makrostreufähigkeit untersucht wird. Beispiele von Zellen für die Grundlagenforschung In der elektrochemischen Grundlagenforschung verwendet man zumeist eine Dreielektrodenmessanordnung, da sich damit das Potential eine Elektrode, der Arbeitselektrode, unabhängig vom Zustand der Gegenelektrode einstellen lässt. Zum Betrieb einer Dreielektrodenzelle benötigt man einen geeigneten Potentiostaten oder Galvanostaten und eine Bezugselektrode: Diese Geräte messen die Spannung zwischen Arbeits- und Bezugselektrode, wobei Ströme zwischen Arbeits- und Gegenelektrode fließen. Ein spezieller Zelltyp der Forschung verwendet eine rotierende Elektrode, typischerweise eine Scheibenelektrode am Ende eines Stabes (rotating disk electrode RDE). Dieser wird mit Hilfe eines Elektromotors um die Stabachse rotiert, wobei die Rotationsgeschwindigkeit variabel und bekannt ist. Dabei stellt sich im flüssigen Elektrolyten ein bekanntes Strömungsprofil ein, und man kann den Einfluss des Transports im Elektrolyten auf die Elektrodenreaktion studieren. Eine Variante davon ist die Ring-Scheibenelektrode (rotating ring disk electrode RRDE), bei der eine weitere, ringförmige Elektrode um die Scheibenelektrode, ebenfalls konzentrisch zur Rotationsachse, befestigt ist. Beispiel für elektrochemische Sensoren Eine Clark-Zelle ist ein elektrochemischer Sensor zur Bestimmung der Sauerstoffkonzentration in einer Lösung oder auch in Gasen. Im gezeigten Schema einer solchen Clark-Elektrode ist (A) die Kathode, an der der Sauerstoff reduziert wird. Sie besteht oft aus Platin. (B) ist eine Ag/AgCl-Anode (C) der KCl-Elektrolyt und (D) eine Teflon-Membran, die für den zu messenden Sauerstoff durchlässig ist, die aber ansonsten störende Umgebungseinflüsse von der Messzelle fernhält. (E) ist ein Gummiring und (F) eine zum Betrieb der Zelle benutzte Spannungsquelle. Der mit Hilfe des empfindlichen Stommessgerätes (G) gemessene Strom ist der Sauerstoffkonzentration proportional. Auch die Nernstsonde ist eine elektrochemische Zelle als Sauerstoffsensor. Sie kann als Lambdasonde zur Motorsteuerung von Verbrennungsmotoren genutzt werden, wobei sie den Restsauerstoffgehalt im Abgas bestimmt. Grundlegende Eigenschaften Wichtige Eigenschaften einer elektrochemischen Zelle sind ihre momentane Spannung (Betriebsspannung) und bei technischen Zellen ihre Nennspannung, sowie die Ruhespannung, die die Zelle einnimmt, wenn kein Strom fließt. Aufgrund des Innenwiderstandes der Zelle und des dadurch verursachten Spannungsabfalls liegt die Betriebsspannung einer galvanischen Zelle (einer Batterie) unterhalb der Ruhespannung. Bei einer Elektrolysezelle hingegen, wo der Stromfluss von außen erzwungen wird, liegt die Betriebsspannung immer oberhalb der Ruhespannung. Die reversible Zellspannung ist die Ruhespannung im Gleichgewichtszustand. Elektrochemie
1406
https://de.wikipedia.org/wiki/Erfundenes%20Mittelalter
Erfundenes Mittelalter
Das Erfundene Mittelalter (auch Phantomzeit-Theorie oder Phantomzeit-These) ist eine pseudohistorische Verschwörungstheorie, gemäß der fast 300 Jahre des Mittelalters erfunden wurden. So soll auf das Jahr 614 in Wahrheit direkt das Jahr 911 gefolgt sein. Der deutsche Publizist, Germanist und Verleger Heribert Illig stellte 1991 die These auf, man könne durch die Entfernung erfundener Jahre die seines Erachtens falsche Chronologie des Mittelalters korrigieren. Der Ingenieur und Technikhistoriker Hans-Ulrich Niemitz, der sich dieser Vorstellung anschloss, nannte den Zeitraum dann Phantomzeit, weil das Fränkische Reich nach Chlothar II. ein Produkt der Fantasie und der Täuschung gewesen sei. Insbesondere hätten laut dieser These Personen wie Karl der Große und die anderen Karolinger vor Karl III. dem Einfältigen in Wahrheit entweder überhaupt nicht existiert oder sie seien vor 614 beziehungsweise nach 911 einzuordnen. In der breiteren Öffentlichkeit hat diese These ein gewisses Interesse gefunden; bis heute veröffentlichen ihre Verfechter insbesondere im Internet immer neue Ergänzungen und Zusatzargumente. Von Geschichtswissenschaftlern und Mediävisten wird sie hingegen fast einhellig als Pseudowissenschaft zurückgewiesen, da die Hypothese auf nachgewiesenen Irrtümern und methodischen Fehlern beruhe. Teils wird sie als Verschwörungstheorie bezeichnet. Grundlagen der These und Gegenbelege Die These des erfundenen Mittelalters gehört zum Themenkomplex der Chronologiekritik und betrifft Kalenderkunde, Astronomie, Numismatik, Diplomatik, Textüberlieferung, Archäologie, Architekturgeschichte und historische Geographie. Illig geht davon aus, dass innerhalb der Chronologie der Historischen Wissenschaften eine Zirkelreferenz vorliege: Moderne absolute Datierungen wie die Radiokarbonmethode oder die Dendrochronologie seien an der als korrekt angenommenen Chronologie ausgerichtet und dürften daher nicht als Beleg für deren Richtigkeit angesehen werden. Eine neue Chronologie würde vielmehr zu einer Neufestlegung absoluter Datierungen und dadurch zu einer Neujustierung dieser Datierungsmethoden führen. Kalenderkunde Heribert Illig nimmt an, dass die bei der Kalenderreform durch Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 vorgenommene Berichtigung des julianischen Kalenders (mittlere Jahreslänge = 365,25 Tage) von zehn Tagen um drei Tage zu kurz ausgefallen sei. Die tatsächliche Jahreslänge beträgt ca. 365,2422 Tage. Die Gesamtabweichung seit Einführung des julianischen Kalenders im Jahr 46 v. Chr. hätte sich bis 1582 auf insgesamt 12,70 Tage (0,0078 Tage × 1628) summiert. Aufgrund der Tatsache, dass 1582 diese drei Tage nicht korrigiert werden mussten, leitete Illig die fehlenden drei Jahrhunderte ab, die er in der Ausgabe Zeitensprünge, Heft 3/1993, auf genau 297 Jahre berechnete und den in Frage kommenden Zeitraum auf September 614 bis August 911 eingrenzte. Kritiker entgegnen, Illig habe übersehen, dass das Datum der Tag-und-Nacht-Gleiche zur Einführung des julianischen Kalenders nicht überliefert ist und der 21. März als Frühlingsbeginn erst beim ersten Konzil in Nicäa im Jahr 325 für die weiteren Berechnungen des Osterdatums festgelegt wurde. Dieses Jahr, und nicht die Einführung des julianischen Kalenders, müsse daher der Ausgangspunkt der Chronologie sein. Bis zur Kalenderreform im Jahre 1582 hatte sich in den folgenden 1257 Jahren der astronomische Frühlingsbeginn vom 21. März um 9,73 Tage auf den 11. März verschoben, weshalb Papst Gregor XIII. die Kalenderreform im Jahr 1582 in der maßgeblichen päpstlichen Bulle verfügte und den 11. März mit der zehntägigen Korrektur nach vorne auf den 21. März verlegte. Somit widerspricht die Kalenderkorrektur um 10 Tage keineswegs der bestehenden Jahreszählung. Diplomatik Illig behauptet, dass Originalurkunden aus dem besagten Zeitraum sehr spärlich seien und von Personen meist nur sehr unspezifisch sprächen. Überdies seien vom 10. Jahrhundert bis in die Zeit von Friedrich II. (Anfang 13. Jahrhundert) anlässlich der Umstellung von Majuskelschrift auf Minuskelschrift zahlreiche Urkunden neu geschrieben und die alten Urkunden vernichtet worden. Eine Verfälschung um rund 300 Jahre sei dabei möglich gewesen. Nach dem Kenntnisstand der historischen Wissenschaften existieren jedoch aus dem fraglichen Zeitraum etwa 7000 Originaldokumente. Für die monastische Literatur sei das 9. Jahrhundert an Autoren und Manuskripten sogar das reichste des gesamten frühen Mittelalters. Das Abschreiben war für die mittelalterlichen Zeitgenossen die einzige Möglichkeit, Texte zu kopieren. Eine pauschale Abwertung der Texte des Frühmittelalters als Fälschungen, wie sie bei Illig zu finden ist, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Archäologie Die dritte Grundlage der Hypothese ist die Archäologiekritik. Sie basiert auf der Behauptung, dass es nur wenige archäologische Denkmäler aus dem Frühmittelalter gebe und dass diese falsch in die Zeit zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert n. Chr. datiert worden seien. Hierzu wurden von Illig insbesondere Beispiele aus Bayern angeführt. Fachwissenschaftlichen Publikationen kann dagegen entnommen werden, dass es für die fragliche Epoche eine große Zahl von archäologischen Funden gibt. In diversen Museen sind einige davon für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Schichten zur Karolingerzeit lassen sich (etwa in Paderborn) eindeutig nachweisen. Auch die Ergebnisse der Dendrochronologie sprechen gegen Illigs Thesen. Astronomie Obwohl sie nicht zu den Ursprungs- und Kernelementen der These Illigs gehören, sind auch astronomische Kritikpunkte mittlerweile widerlegt, unter anderem durch astronomische Untersuchungen selbst. Als Gegenargument führt Illig an, dass seine Thesen durch astronomische Rückrechnungen „nicht streng widerlegbar seien“, weil diese seiner Meinung nach für den betreffenden Zeitraum auf zu „unsicheren Quellen“ beruhten. Er erklärt, dass es zwar Belege in Form astronomischer Beobachtungen gegen seine These gebe, beruft sich aber auf ein Zitat des Astronomen Dieter B. Herrmann, das sich nur auf Sonnenfinsternisse bezieht. Das Zitat ist allerdings aus dem Zusammenhang gerissen, Herrmann selbst verwahrt sich gegen die Benutzung seiner Worte durch Illig. Astronomische Ereignisse der Vergangenheit sind zwar im Einzelfall nur schwer eindeutig einem Datum zuzuordnen, die Betrachtung vieler historischer Beobachtungen ergibt aber ein konsistentes Bild. Wie Dieter B. Herrmann anführt, sind die Berichte von Hydatius von Aquae Flaviae über die zwei totale Sonnenfinsternisse vom 19. Juli 418 und 23. Dezember 447, die in Aquae Flaviae (heute Portugal) innerhalb eines Abstands von 29,5 Jahren auftraten, durch astronomische Berechnungen sehr genau. Das Gleiche gilt für eine Sonnenfinsternis im Jahr 59 n. Chr. und mehrere Beschreibungen des Halleyschen Kometen. Sie sind eindeutig einem Zeitpunkt zuzuordnen und widerlegen somit Illigs These. Mögliche Urheber und Motive Da es sich nach Illig bei der Phantomzeit um eine bewusste Täuschung handelt, stellt sich die Frage nach den Urhebern. Nur ein kleiner Kreis bedeutender und gut zusammenarbeitender Machthaber habe eine Fälschungsaktion dieses Umfangs inszenieren können. Illig zog daher den Schluss, dass es sich dabei nur um den römisch-deutschen sowie den byzantinischen Kaiser und den Papst handeln konnte. Im Jahr 2005 stellte er die These auf, dass die Fälscher Otto III., Konstantin VII. und Silvester II. gewesen seien. Nur in der kurzen Zeit zwischen 990 bis 1009 seien sich diese Herrscher einig genug gewesen, um eine solche Täuschung zu entwerfen. Ihr Motiv sei das Bedürfnis gewesen, selbst im Jahr 1000 zu leben. Otto III. habe sich überdies in der Gestalt Karls des Großen einen ruhmreichen Vorgänger auf dem Thron ausgedacht. Weitere chronologiekritische Thesen Vorwürfe großangelegter Urkundenfälschungen in Europa wurden immer wieder erhoben. Wilhelm Kammeier beschrieb in den 1920er und 1930er Jahren angeblich groß angelegte Urkundenfälschungen, die er zeitlich im 15. Jahrhundert ansiedelte. Ihm ginge es aber weniger um Chronologiekritik, sondern um Ideologiekritik. Einzelne Aussagen und gar Quellenangaben von Illig lassen aber erkennen, dass er sie offenbar von Kammeier übernommen hat, ohne dass dies den Lesern von Anfang an deutlich gemacht wurde. Verschwörungstheorie In der Öffentlichkeit wurde die These vom erfundenen Mittelalter wiederholt als Verschwörungstheorie bezeichnet. Der deutsche Philosoph Karl Hepfer führt sie als Beispiel dafür, dass typischerweise Verschwörungstheoretiker großen Wert auf die Zweckrationalität der angenommenen Verschwörer legen, die Rationalität der unterstellten Zwecke der Verschwörung – hier der Erfindung von 300 Jahren Mittelalter – aber nicht hinterfragen. Literatur Heribert Illig: Das erfundene Mittelalter. Die größte Zeitfälschung der Geschichte. Ullstein, Berlin 2005, ISBN 3-548-36429-2. Franz Krojer: Die Präzision der Präzession. Illigs mittelalterliche Phantomzeit aus astronomischer Sicht. Differenz-Verlag, München 2003, ISBN 3-00-009853-4. Ralf Molkenthin: Die Phantomzeit und das Mittelalter – oder: Wie Heribert Illig eine Erfindung erfand. Eine mediävistische Erläuterung. In: Ralf Molkenthin, Bodo Gundelach (Hrsg.): De Ludo Kegelorum. (Über das Kegelspiel. Beiträge zur Ernennung Dieter Schelers zum Honorar-Professor). Skriptorium-Verlag, Morschen 2008, ISBN 978-3-938199-16-9, S. 19–35. Diethard Sawicki: Lügenkaiser Karl der Große? Ein kritischer Blick auf Heribert Illigs These vom erfundenen Mittelalter. In: Tillmann Bendikowski, Arnd Hoffmann, Diethard Sawicki: Geschichtslügen. Vom Lügen und Fälschen im Umgang mit der Vergangenheit. Westfälisches Dampfboot, Münster 2001, ISBN 3-89691-499-5, S. 75–104. Rudolf Schieffer: Ein Mittelalter ohne Karl den Großen, oder: Die Antworten sind jetzt einfach. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48, 1997, S. 611–617 (PDF). Gerard Serrade: Leere Zeiten oder das abstrakte Geschichtsbild. Logos, Berlin 1998, ISBN 3-89722-016-4. Amalie Fößel: „Karl der Fiktive, genannt Karl der Große“. Zur Diskussion um die Eliminierung der Jahre 614 bis 911 aus der Geschichte. In: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Zeitschrift des Mediävistenverbandes, Jg. 4, 1999, S. 65–74. Weblinks Stephan Matthiesen: Wurde das Mittelalter erfunden? Kommentar zu Heribert Illig. Ursprünglich erschienen in Skeptiker (2/2001). Einzelnachweise Verschwörungstheorie Chronologiekritik Geschichtsfälschung
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https://de.wikipedia.org/wiki/Eiderenten
Eiderenten
Die Eiderenten sind die Arten der Vogelgattung Somateria in der Familie der Entenvögel (Anatidae). Die deutschsprachige Bezeichnung dieser Gattung bürgerte sich durch den Handel mit Daunen der Eiderente, der vermutlich bekanntesten Vertreterin dieser Gattung, ein. Eiderdaunen gelten als ein Material mit sehr guter Wärmedämmung und wurden insbesondere für das Füllen von Bettdecken verwendet. Bis heute werden auf Island Eiderdaunen kommerziell geerntet und verarbeitet. Über lange Zeit waren Eiderdaunen eines der wichtigsten Exportgüter dieser Insel. Sowohl die Bezeichnung für den Vogel als auch seine Federn (Eiderdaunen) sind dem isländischen æðr entlehnt. Beschreibung Es handelt sich um große, auf dem Land plumpe und schwerfällige Enten. Der keilförmige Schnabel trägt bei zwei der drei Arten einen Frontalfortsatz. Der Geschlechtsdimorphismus ist besonders in der Färbung erheblich. Die Erpel haben im Prachtkleid eine grüne Färbung am Kopf, einen schwarzen Bauch und eine überwiegend weiße Oberseite. Im Ruhekleid dagegen sind sie schwarzbraun wie die Weibchen. Unter den Entenvögeln sind die Eiderenten die Gattung, die sich am meisten einem Leben auf dem Meer angepasst hat. Nichtbrütende Vögel leben ausschließlich auf dem Meer. Verbreitung und Lebensweise Eiderenten kommen in den nördlichen Küstenbereichen der Holarktis vor. Im Winter ziehen sie nach Süden in eisfreie Gewässer. Sie leben im Allgemeinen in Küstennähe und tauchen nach Muscheln, Krabben, Krebsen und anderen Kleintieren. Sie sind gute Schwimmer und Taucher, denen selbst starker Seegang wenig ausmacht. Arten Die Gattung besteht aus drei Arten: Eiderenten (Somateria) Plüschkopfente (Somateria fischeri) Prachteiderente (Somateria spectabilis) Eiderente (Somateria mollissima) Belege Literatur Tom Bartlett: Ducks And Geese – A Guide To Management, The Crowood Press, 2002, ISBN 1-85223-650-7 Hartmut Kolbe: Die Entenvögel der Welt, Ulmer Verlag 1999, ISBN 3-8001-7442-1 Lexikon-Institut Bertelsmann (Hrsg.): Das moderne Tierlexikon, Band 2, 1981 Richard Sale: A Complete Guide to Arctic Wildlife, Verlag Christopher Helm, London 2006, ISBN 0-7136-7039-8 Einzelbelege Weblinks Meerenten und Säger
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Eiderente
Die Eiderente (Somateria mollissima) ist eine Vogelart, die zur Familie der Entenvögel (Anatidae) gehört. Es ist eine große, massig wirkende Meerente, die an der arktischen Küste des Atlantiks und des Pazifiks lebt. In Europa kommt sie vor allem in Skandinavien vor. Die Brutpopulation der Nordseeküste ist wesentlich kleiner. Im Sommer finden sich im Wattenmeer jedoch große Scharen nichtbrütender Eiderenten ein, denen sich im Spätsommer auch noch große Scharen an Mauservögeln hinzugesellen. Die deutschsprachige Bezeichnung dieser Ente bürgerte sich durch den Daunenhandel ein. Sowohl die Bezeichnung für den Vogel als auch seine Federn (Eiderdaunen) sind dem isländischen æðr entlehnt. Im deutschen Sprachgebrauch wird sie gelegentlich auch als Eidergans oder St.-Cuthbertsente (s. Wappenvogel von Northumberland) bezeichnet. Die lateinische Artbezeichnung Somateria mollissima weist auf die weichen und wärmenden Daunen dieser Entenart hin. Somateria besteht aus zwei griechischen Wörtern. σόμα soma bedeutet „Körper“ und ἔριον érion bedeutet „Wolle“, während das lateinische Adjektiv mollissima „sehr weich“ bedeutet. Übersetzt bedeutet der wissenschaftliche Name „sehr weicher Wollkörper“. Beschreibung Die Eiderente ist mit einer Körperlänge von durchschnittlich 58 Zentimetern etwas größer als eine Stockente und erreicht durchschnittlich ein Körpergewicht von 2,2 Kilogramm. Die Länge kann von 60 bis 70 cm variieren, die Flügelspannweite von 95 bis 105 cm. Männchen werden bei dieser Entenart in der Regel älter, größer und schwerer als Weibchen. An Land wirkt die Ente plump und schwerfällig, sie ist jedoch ein guter Schwimmer und Taucher, der selbst mit starkem Seegang gut zurechtkommt. Aufgrund der hohen Schnabelwurzel, die direkt in die Stirn übergeht, wirkt der Kopf der Eiderente keilförmig. Sie ist dadurch von anderen Entenarten gut zu unterscheiden, da dieses Profil nur bei dieser Entenart vorkommt. Während des Fluges ist die Eiderente an ihrer kräftigen Gestalt, dem dicken und kurzen Hals sowie der auffallenden Kopfform deutlich zu erkennen. Die Eiderente zeigt in der Gefiederfärbung einen deutlichen Geschlechtsdimorphismus. Das Brutkleid des männlichen Vogels, der wie bei allen Enten als Erpel bezeichnet wird, ist am Rücken und an der Brust überwiegend weiß. An der Brust ist das Gefieder leicht rosafarben überhaucht. Der Bauch, die Flanken, die Bürzelmitte, der Schwanz, die Ober- und Unterschwanzdecke sowie die Kopfoberseite sind schwarz gefiedert. Am Nacken ist das Gefieder dagegen hell moosgrün. Die Nackenfedern sind leicht verlängert, so dass sie eine kleine Holle bilden. Der Schnabel des Erpels ist beim Prachtkleid gelbgrün, ansonsten blaugrau bis grüngrau. Die äußeren Armschwingen sind schwarz, die inneren sind weiß und sichelförmig gebogen. Als Ruhekleid trägt das Männchen dagegen ein dunkelbraunes Gefieder, das stellenweise mit weißen Gefiederpartien durchsetzt ist. Die Bänderung des Gefieders ist allerdings etwas weniger auffällig als bei den Weibchen. Das Weibchen trägt während des gesamten Jahres ein unauffällig dunkel- bis gelblichbraunes Gefieder, durch das sich am Körper dichte schwarze Gefiederbänder ziehen. Hals und Kopf sind dagegen stärker einfarbig braun. Das Gefieder hat dort nur eine feine, braunschwarze Strichelung. Sie ähnelt damit im Gefieder den Weibchen vieler anderer Entenarten, durch die auffällige Kopfform ist sie jedoch leicht als Eiderente identifizierbar. Der Schnabel der Eiderente ist beim Erpel grünlich gefärbt, der der weiblichen Eiderente ist dunkelgrün. Die Schnabelspitze ist heller und weist eine breite und verhornte Spitze auf. Die Augenfarbe ist bei beiden Geschlechtern braun. Jungvögel beider Geschlechter gleichen in ihrer Gefiederfärbung den Weibchen. Sie sind jedoch etwas dunkler in ihrer Gefiederfarbe und weniger stark gebändert. Junge Erpel tragen das voll ausgebildete Prachtkleid des Männchens erst im dritten oder vierten Lebensjahr. Bereits im Prachtkleid des zweiten Lebensjahres zeigen sie jedoch deutlich die Schwarz-Weiß-Kontrastierung, wie sie für adulte Erpel typisch ist. Zu diesem Zeitpunkt finden sich im Kopf- und Halsbereich noch Federn mit gelbbraunem Rand. Teile des Rückengefieders sind noch schwarzbraun. Verbreitung und Bestand Die Eiderente kommt entlang der nördlichen Küsten von Europa, Nordamerika und Ostsibirien vor. Sie brütet von der Arktis bis in die gemäßigten Klimazonen, in Europa nach Süden etwa bis zum Wattenmeer und ins nordwestliche Frankreich. An der nordamerikanischen Atlantikküste reicht das Brutgebiet bis nach Maine, am Pazifik bis nach Südalaska. Der Schwerpunkt des Brutgebietes der Eiderenten liegt auf Island, wo etwa 450.000 Paare brüten, sowie an der Ostsee, wo sich bis zu 600.000 Paare zur Brut versammeln. Als Brutplätze nutzt die Eiderente kleine vegetationslose Felseninseln und Schären, bewachsene oder bewaldete Inseln, geschützte und ruhige Meeresbuchten mit flachen Ufern. Der nordamerikanische Bestand wird auf 750.000 bis 1 Million Paare geschätzt. Die IUCN schätzt den Gesamtbestand der Eiderente auf 2,5 bis 3,6 Millionen Tiere und stuft die Art als „nicht gefährdet“ (least concern) ein. Vögel aus den nördlichsten Brutgebieten, etwa aus Spitzbergen, ziehen zum Überwintern in die gemäßigten Breiten, wo sie in geeigneten Küstengewässern große Trupps bilden können. Sie überwintern damit in den südlicheren Regionen des Verbreitungsgebiets dieses Vogels. Die südlichen Populationen sind dagegen weitgehend Standvögel. Im Winter taucht die Eiderente regelmäßig in geringer Zahl auch in großer Entfernung zum Meer an den größeren Alpenseen auf. Seit den 70er Jahren übersommern hier immer wieder einige Vögel. Am Zeller See im Land Salzburg gelang 1972 sogar ein Brutnachweis. Auch in der Schweiz ist die Eiderente in Ausnahmefällen ein Brutvogel. 1988 brütete die Eiderente erstmals am Zürichsee, in den Folgejahren kam es auch zu weiteren Bruten am Neuenburger-, Vierwaldstätter- und Walensee. Lebensweise und Ernährung Die gesellig lebende Eiderente gehört zu den tagaktiven Enten mit ausgeprägter Tauchfähigkeit. Sie lebt überwiegend von Muscheln bis zu einer Größe von 40 Millimetern und frisst außerdem Schnecken, Krebstierchen sowie – im Gegensatz zu anderen Entenarten – Fische. An der Nordseeküste nutzt sie vor allem die Miesmuschelbänke. Im Binnenland frisst die Eiderente außerdem die eingebürgerten Dreikantmuscheln. Pflanzliche Nahrung spielt bei dieser Ente keine große Rolle. Allerdings frisst das Weibchen während der Brutzeit auch Vegetabilien und nimmt dabei besonders die Pflanzen auf, die in der Nähe des Nestes wachsen. Muscheln erbeutet die Eiderente, indem sie entweder den Wattboden absucht oder sie im Wasser ertaucht. Mit Hilfe ihres kräftigen Schnabels ist sie in der Lage, Muscheln von ihrer Unterlage abzureißen oder nach ihnen im Wattboden zu graben. Angespülter Seetang wird von ihr gleichfalls nach Wasserinsekten, Muscheln und Schnecken abgesucht. Die Eiderente taucht gewöhnlich nach Muscheln bis zu einer Gewässertiefe von sechs Metern und bleibt etwas mehr als eine Minute unter Wasser. Unter Wasser nutzt sie dabei ihre Flügel zur Fortbewegung. Einzelne Beobachtungen sprechen davon, dass die Eiderente auch wesentlich tiefere Meeresböden erreichen kann. Tauchgänge in Tiefen bis zu 50 Meter wurden bereits beobachtet. Die Muscheln werden mit den Schalen gefressen. Im starken Kaumagen der Eiderente werden sie geknackt; die Schalentrümmer scheidet die Ente anschließend als Speiballen aus. Das mit der Nahrung aufgenommene Salz wird über Salzdrüsen in der Stirn wieder abgegeben. Die Eiderente nutzt die Gezeitenwechsel gezielt aus, um auch solche Meeresregionen nach Nahrung abzusuchen, die für sie bei Flut nicht erreichbar wären. Fortpflanzung Balzverhalten Die Weibchen der Eiderente erreichen ihre Geschlechtsreife bereits in ihrem zweiten Lebensjahr. Nur ein Teil der zweijährigen Weibchen kommt allerdings auch schon zur Brut. Die Erpel dagegen beteiligen sich an der Balz erst in ihrem dritten Lebensjahr. Erst dann ist bei ihnen das Gefieder der erwachsenen Erpel weitgehend ausgebildet. Die Erpel beginnen mit ihrer Balz im Dezember. Erst im Spätwinter beteiligen sich auch die Weibchen daran. Es handelt sich um eine Gesellschaftsbalz, bei der sich bis zu 10 Männchen in der Nähe eines Weibchens versammeln. Junge, noch nicht geschlechtsreife Erpel halten sich häufig in der Nähe solcher balzenden Erpel auf und zeigen auch bereits erstes Balzverhalten. Während der Balz ruft das Männchen ein weiches, dumpfes zwei- bis dreisilbiges ahoo oder hu-huúuu, das über das Watt oder die Wasserflächen sehr weit zu hören ist. Junge Männchen beherrschen diesen Ruf noch nicht. Ihr Ruf klingt heiserer und ist lautmalerisch mit gro-gro-ó umschrieben. Das Weibchen antwortet auf die Balzrufe des Männchens mit gockelndem goggoggoggog und knarrendem krrr. Der Erpel zeigt während der Balzrufe eine charakteristische Körperbewegung, die gelegentlich auch als „eine Verbeugung nach hinten“ beschrieben wird. Dabei legt der Erpel seinen Kopf weit in den Nacken und wölbt die Brust vor. Gewöhnlich umwerben mehrere Männchen ein Weibchen. Zu den typischen Balzhaltungen der Erpel gehören ein Imponierschwimmen, bei dem der Kopf langsam von rechts nach links gedreht wird, sowie das Strecken des Körpers aus dem Wasser, bei dem die Flügel nach hinten weggespreizt werden. Seine Paarungsbereitschaft signalisiert das Weibchen, indem es sich flach auf das Wasser legt. Zur Paarung schwimmt der Erpel auf die Ente, drückt sie dabei fast völlig unter Wasser und beißt ihr mit dem Schnabel in den Nacken. Die Paarung selbst dauert nur wenige Sekunden. Bei der Ankunft im Brutgebiet ist die Mehrzahl der Weibchen verpaart. Eine Paarbindung besteht in der Regel nur für ein Jahr. Die ortstreuen Weibchen verpaaren sich aber gelegentlich mit dem gleichen Erpel im nächsten Jahr erneut, wenn dieser in dasselbe Revier zurückkehrt. Brut Eiderenten brüten einzeln oder in kleinen Gruppen. Häufig befinden sich in den Brutgebieten aber auch größere Kolonien. Kolonien von bis zu 1.000 Paaren kommen beispielsweise auf Island vor. An geeigneten Plätzen können sich zwei bis drei Nester je Quadratmeter befinden. Eiderenten meiden Steilufer, schroffe Felsen und windexponierte Stellen. Steigt das Ufer sanft an, befinden sich die Kolonien mitunter mehrere hundert Meter von der Küstenlinie entfernt, so dass die Nester auch bei Hochwasser nicht vom Wasser erreicht werden. Der Neststandort ist abhängig von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten. Auf vegetationslosen Brutplätzen errichtet das Weibchen das Nest zwischen dem Geröll. Das Nest ist dann nicht mehr als eine flache Mulde, die aber windgeschützt liegt. Ist eine krautige Vegetation oder Gebüsch vorhanden, liegen die Nester in ihrem Schutz. Gelegentlich nutzt das Weibchen auch alte Möwennester als Nistplatz. Auf bewaldeten Inseln errichten die Eiderenten ihre Nester auch im Schutz von Bäumen. Eiderenten nutzen regelmäßig ihre alten Brutplätze wieder, was die Vegetation in ihrem Brutgebiet beeinflusst. Bedingt durch den abgesetzten Entenkot sind die Stellen um die Nester krautig oder mit Zwergsträuchern bewachsen. Die Brutzeit liegt je nach Region und Wetterbedingungen im Zeitraum von Anfang April bis Mitte Mai. Das Weibchen legt in der Regel vier bis sechs grünlich-graue Eier in die mit Bauchdaunen ausgepolsterte Nistmulde. Das Legeintervall beträgt 24 Stunden. Sind mehr als neun Eier im Nest, handelt es sich in der Regel um Mehrfachgelege, die bei Eiderenten wie bei anderen in Kolonien brütenden Enten und Halbgänsen häufig vorkommen. Verlässt das Weibchen während der Brut die Eier, bedeckt es diese mit Daunen, um den Wärmeverlust zu vermindern. Durch Störungen aufgeschreckte Weibchen spritzen beim Auffliegen Kot über die Eier. Die Eier werden 25 bis 26 Tage ausschließlich durch das Weibchen bebrütet, das während dieser Zeit fastet. Das Männchen hält sich unterdessen in der Nähe des Nestes auf. Es schränkt in dieser Zeit sogar die Nahrungsaufnahme ein, so dass die Erpel an Körpergewicht verlieren. Ist die Brut jedoch hinreichend weit fortgeschritten, wandern die Männchen zu den Mauserplätzen ab. Die Jungvögel werden nach dem Schlüpfen von dem Weibchen geführt. Auf dem Meer schwimmend betreut das Weibchen die Jungvögel bis in den Spätsommer hinein. Diese Führungszeit beträgt etwa 65 bis 75 Tage. Während dieser Führungszeit kommt es häufig zur Vergesellschaftung mit mehreren Familien, die sich wieder auflösen, sobald die Jungvögel flugfähig sind. Zugverhalten Eiderenten sind verhältnismäßig standorttreue Tiere, die zum Teil in ihren Brutrevieren auch überwintern. Der überwiegende Teil der Population nutzt allerdings separate Mauser- und Überwinterungsquartiere, wobei überwiegend nur kurze Strecken gezogen werden. Zur Mauser ziehen die Vögel nach der Brut in ihre Mauserquartiere, viele Vögel sind dann beispielsweise im Wattenmeer anzutreffen. Dabei bevorzugen die dann nur eingeschränkt flugfähigen Eiderenten Gebiete, in denen sie weitgehend ungestört sind. Ein Habitat ist die unbewohnte Insel Trischen vor der Küste von Dithmarschen, wo ca. 9.500 Eiderenten, die von der Ostsee her stammen, eine Vollmauser durchführen. Das bedeutet, dass sie neben dem Körpergefieder auch ihr Großgefieder erneuern. Die Großgefiedermauser setzt nach der Mauser des Körpergefieders ein und umfasst Schwung- und Steuerfedern, was dazu führt, dass die Eiderente zunächst eine Zeitlang flugunfähig ist. In dieser Zeit ist sie möglichen Feinden eine leichte Beute, so dass sie sichere Plätze mit guter Nahrungsgrundlage benötigt, um diese kritische Phase zu überstehen. Dies ist z. B. auf Trischen gegeben. Ihre Fluchtdistanz gegenüber Menschen erhöht sich in dieser Zeit von normalerweise 100 bis 300 Meter auf 500 bis 1.000 Meter. Der Mauserzug ist daher dadurch bedingt, dass sie große Ruhezonen benötigen. Küstenbereiche, in denen sie sich sonst aufhalten, die ihnen aber nicht ausreichend Rückzugsmöglichkeiten bieten, werden während dieser Zeit von den Eiderenten gemieden. Mittlerweile nutzen die Eiderenten auch einige größere Alpenseen als Quartier für ihre Mauser. So sind Eiderenten während dieser Zeit beispielsweise auch am Bodensee zu beobachten, wo sich bis zu hundert Vögel versammeln. Gelegentlich dienen die Mauserquartiere auch als Überwinterungsort – so beispielsweise im Wattenmeer. Gelegentlich suchen sie aber ab Oktober bis November separate Überwinterungsquartiere auf, von denen sie ab Februar bis März in Richtung ihrer Brutgebiete zurückkehren. Die auf Island und Spitzbergen brütenden Vögel erreichen ihre Brutplätze in den Monaten April bis Mai. Fressfeinde und andere natürliche Todesursachen In den nördlichsten Regionen ihres Verbreitungsgebietes zählen die Schneeeule und der Polarfuchs zu den Fressfeinden der Eiderente. In den südlicheren Verbreitungsgebieten gehören der Uhu, der Seeadler und der Rotfuchs zu den Arten, die in der Lage sind, die schwere Ente zu erlegen. Küken und Eier sind außerdem durch Möwen sowie verschiedene Rabenvögel (beispielsweise Raben- und Nebelkrähe sowie Kolkrabe) bedroht. Gefährdet sind die Jungvögel jedoch auch durch den Befall mit Parasiten, von denen einige sich auf die Eiderente als Zwischenwirt spezialisiert haben. Viele der Jungvögel leiden beispielsweise an Saugwürmern, die zu einer Schwächung der Jungvögel und gelegentlich zu ihrem Tod führen. Zu einem Massensterben von Eiderenten kann es außerdem kommen, wenn in strengen Wintern die Meeresküsten vereisen und die Eiderenten nicht mehr in der Lage sind, die Muscheln auf dem Meeresboden zu erreichen. Unterarten In dem großen Verbreitungsgebiet der Eiderente werden sechs Unterarten unterschieden, wobei Übergangs- und Mischpopulationen die genaue Abgrenzung der Unterarten schwierig machen: Somateria mollissima mollissima ist die Nominatform und hat ihr Brutgebiet in Nordwesteuropa. S. m. faeroeensis ist die kleinste Unterart der Eiderente und nur auf den Färöer-Inseln zu finden. Das Weibchen dieser Unterart ist etwas dunkler gefärbt. S. m. borealis ist die Unterart, bei der das Männchen einen orangegelben Schnabel hat und das Gefieder des Weibchens mehr rötlich-braun gefärbt ist. Diese Unterart ist vor allem im arktischen Nordatlantik zu finden. S. m. dresseri unterscheidet sich von den anderen Unterarten durch eine vorne breite und abgerundete Schnabelspitze. Diese Unterart lebt in der Region von Labrador bis Maine. S. m. sedentaria lebt in der Hudson Bay; das Weibchen fällt durch ein eher graubraunes Gefieder auf. S. m. v-nigrum ist in der nordpazifischen Region von den Neusibirischen Inseln bis in das arktische Kanada zu finden. Es handelt sich um die größte Unterart, bei der ausgewachsene Erpel an Kinn und Kehle ein breites, schwarzes V-Abzeichen haben. Mensch und Eiderente Jagd und sonstige Beeinflussung durch den Menschen Die Jagd auf die Eiderente ist in den skandinavischen Ländern bis auf Island sowie in Russland erlaubt. Sie wird dort zum Teil sehr stark bejagt. In Norwegen sind die großen Brutgebiete der Eiderente allerdings inzwischen geschützt. Auf Island wurde sie 1786 teilweise und seit 1847 völlig geschützt. Neben der Jagd kommt es auch zu Verlusten von Gelegen und Küken, wenn Eiderenten durch Menschen gestört werden. Dies trifft vor allem auf die Küstenabschnitte zu, die stark touristisch genutzt werden. Eiderenten leiden außerdem an der Verschmutzung der Meere durch Pestizide. Die Niederlande wurden beispielsweise ab dem Jahre 1925 von Eiderenten besiedelt. Der Bestand wuchs relativ schnell auf 6.000 Individuen, brach jedoch dann auf Grund von Pestizidbelastungen stark ein. Bei Ölunfällen gehört sie zu den Arten, die aufgrund der Verschmutzung des Gefieders und dem Entzug der Nahrungsgrundlage in großer Anzahl sterben. Im Jahre 1970 kamen im Kattegat beispielsweise nach einem Ölunfall 30.000 Eiderenten ums Leben. Wappenvogel von Northumberland Eine der bekanntesten Kolonien von Eiderenten befindet sich auf den Farne-Inseln vor Northumberland, Großbritannien. Die dort brütenden Vögel waren Gegenstand eines der ältesten Vogelschutzgesetze der Welt, das der Heilige Cuthbert im Jahre 676 n. Chr. erließ, daher rührt auch der Name St.-Cuthberts Ente. Heute brüten noch etwa 1.000 Entenpaare auf diesen Inseln. Da der Heilige Cuthbert der Schutzpatron von Northumberland ist, wurde die Eiderente zum Wappentier dieses Landkreises. Eiderenten werden dort gelegentlich auch Cuddy’s ducks genannt, da Cuddy der Kosename für Cuthbert ist. Wirtschaftliche Nutzung Die Eiderente ist der Lieferant der Eiderenten-Daune, die eine hohe Wärmespeicherkapazität besitzt. Eiderdaunen galten über lange Zeit als das beste Material, das für die Füllung von Bettdecken verwendet werden konnte. Eine gezielte kommerzielle Ausbeute dieser Eiderdaunen begann bereits vor dem 10. Jahrhundert. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts stellten Eiderdaunen eines der wichtigsten Exportartikel Islands dar. Auch heute kommt dort der Eiderente aufgrund dieser Daunen eine größere wirtschaftliche Bedeutung zu. Mit den weichen und warmen Daunen werden Kissen und Bettdecken gefüllt. Die Ernte dieser Daunen ist dabei durchaus mit dem Artenschutz verträglich, da normalerweise die Federn verwendet werden, mit denen Eiderenten ihre Nester auspolstern und diese Federn geerntet werden können, nachdem die jungen Enten das Nest verlassen haben. Ein Daunennest wiegt im Schnitt nur rund 20 Gramm. Die Reinigung der Daunen von Pflanzenteilen ist eine zeitintensive Arbeit, die Stunden in Anspruch nimmt. Nur etwa 1,5 Gramm verwendbarer Daunen pro Nest bleiben nach diesem Reinigungsprozess über, so dass etwa die Ernte von 700 Nestern gebraucht wird, um ein Kilogramm handelbarer Eiderdaunen zu erhalten. In einer Dokumentation des Senders Arte aus dem Jahr 2019 wird jedoch gezeigt, dass die Ernte der Daunennester auf Island bereits während der Brutzeit erfolgt, durch Austausch mit Stroh. Haltung von Eiderenten Eiderenten werden aufgrund des attraktiven Brutkleides der Männchen zunehmend in Gehegen gehalten. Es sind friedfertige Vögel, die sich gut mit anderen Wasservögeln vertragen. Für ihr Wohlbefinden brauchen diese Enten jedoch hinreichend tiefe Teiche mit sauberem Wasser. Weiteres Der Asteroid des äußeren Hauptgürtels (8756) Mollissima ist nach der Eiderente benannt (wissenschaftlicher Name Somateria mollissima). Zum Zeitpunkt der Benennung des Asteroiden am 2. Februar 1999 befand sich die Eiderente auf der niederländischen Roten Liste gefährdeter Arten. Literatur Franz Robiller: Lexikon der Vogelhaltung. Landbuch, Hannover 1986, ISBN 3-7842-0322-1. Eckart Pott: Vögel am Meer. Landbuch, Hannover 1987. ISBN 3-7842-0364-7 Steve Madge: Wassergeflügel. Ein Bestimmungsbuch der Schwäne, Gänse und Enten der Welt. Paul Parey, Hamburg und Berlin 1989, ISBN 3-490-19018-1. Tom Bartlett: Ducks and Geese – A Guide to Management. Crowood, Marlborough 1986, 2002. ISBN 1-85223-650-7 John Gooders und Trevor Boyer: Ducks of Britain and the Northern Hemisphere, Dragon’s World Ltd, Surrey 1986, ISBN 1-85028-022-3 Hartmut Kolbe: Die Entenvögel der Welt. Ulmer, Stuttgart 1999. ISBN 3-8001-7442-1 Erich Rutschke: Die Wildenten Europas – Biologie, Ökologie, Verhalten, Aula Verlag, Wiesbaden 1988, ISBN 3-89104-449-6 Richard Sale: A Complete Guide to Arctic Wildlife, Verlag Christopher Helm, London 2006, ISBN 0-7136-7039-8 Weblinks Federn der Eiderente Einzelnachweise Meerenten und Säger Vogel als Namensgeber für einen Asteroiden
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https://de.wikipedia.org/wiki/Euklidischer%20Algorithmus
Euklidischer Algorithmus
Der euklidische Algorithmus ist ein Algorithmus aus dem mathematischen Teilgebiet der Zahlentheorie. Mit ihm lässt sich der größte gemeinsame Teiler zweier natürlicher Zahlen berechnen. Das Verfahren ist nach dem griechischen Mathematiker Euklid benannt, der es in seinem Werk „Die Elemente“ beschrieben hat. Der größte gemeinsame Teiler zweier Zahlen kann auch aus ihren Primfaktorzerlegungen ermittelt werden. Ist aber von keiner der beiden Zahlen die Primfaktorzerlegung bekannt, so ist der euklidische Algorithmus das schnellste Verfahren zur Berechnung des größten gemeinsamen Teilers. Der euklidische Algorithmus lässt sich nicht nur auf natürliche Zahlen anwenden. Vielmehr kann damit der größte gemeinsame Teiler von zwei Elementen eines jeden euklidischen Rings berechnet werden. Dazu zählen beispielsweise Polynome über einem Körper. Der klassische Algorithmus Euklid berechnete den größten gemeinsamen Teiler, indem er nach einem gemeinsamen „Maß“ für die Längen zweier Linien suchte. Dazu zog er wiederholt die kleinere der beiden Längen von der größeren ab. Dabei nutzt er aus, dass sich der größte gemeinsame Teiler zweier Zahlen (oder Längen) nicht ändert, wenn man die kleinere von der größeren abzieht. Ist die Differenz von und sehr groß, sind unter Umständen viele Subtraktionsschritte notwendig. Hippasos von Metapont benutzte schon vor Euklid diese so genannte Wechselwegnahme geometrisch für den Beweis der Inkommensurabilität bei gewissen regelmäßigen n-Ecken: Im Quadrat oder im regelmäßigen Fünfeck etwa gibt es keinen gemeinsamen Teiler (Maß) einer Seite mit der Diagonalen. Heutzutage wird in der Regel der weiter unten beschriebene Divisions-Algorithmus verwendet, bei dem die Schritte 2 und 3 dadurch ersetzt werden, dass man, an Stelle der Differenz von und , für den Rest bei der Division von durch nimmt. Ein weiterer Vorteil dieser Variante ist, dass man sie auf beliebige euklidische Ringe (zum Beispiel Polynomringe über einem Körper) übertragen kann, in denen der klassische Algorithmus nicht funktioniert. Beschreibung durch Pseudocode Der klassische Algorithmus hier in Pseudocode für nichtnegative ganze Zahlen a und b dargestellt: EUCLID_OLD(a,b) 1 wenn a = 0 dann 2 Ergebnis = b 3 sonst 4 solange b ≠ 0 5 wenn a > b dann 6 a a – b 7 sonst 8 b b – a 9 // 10 // 11 Ergebnis = a 12 // Dieser Algorithmus kann auch in einer rekursiven Version angegeben werden: EUCLID_OLD_RECURSIVE(a,b) 1 wenn b = 0 dann 2 Ergebnis = a 3 sonst 4 wenn a = 0 dann 5 Ergebnis = b 6 sonst 7 wenn a > b dann 8 Ergebnis = EUCLID_OLD_RECURSIVE(a – b, b) 9 sonst 10 Ergebnis = EUCLID_OLD_RECURSIVE(a, b – a) 11 // 12 // 13 // Moderner euklidischer Algorithmus Heutzutage ersetzt man die im klassischen Algorithmus auftretenden wiederholten Subtraktionen eines Wertes jeweils durch eine einzige Division mit Rest. Der moderne euklidische Algorithmus führt nun in jedem Schritt solch eine Division mit Rest aus. Er beginnt mit den beiden Zahlen und , deren größter gemeinsamer Teiler bestimmt werden soll. In jedem weiteren Schritt wird mit dem Divisor und dem Rest des vorhergehenden Schritts eine erneute Division mit Rest durchgeführt, und zwar so lange, bis eine Division aufgeht, das heißt, der Rest Null ist. Der Divisor der letzten Division ist dann der größte gemeinsame Teiler. Da sich die Zahlen in jedem zweiten Schritt mindestens halbieren, ist das Verfahren auch bei großen Zahlen extrem schnell. Beispiel Der größte gemeinsame Teiler von und wird mit dem euklidischen Algorithmus wie folgt berechnet: Der größte gemeinsame Teiler von und ist somit . Beschreibung durch Pseudocode Im Folgenden wird der moderne Euklidische Algorithmus sowohl in einer rekursiven als auch einer iterativen Variante beschrieben. Dabei sind und jeweils die beiden Zahlen, deren größter gemeinsamer Teiler berechnet werden soll. Rekursive Variante EUCLID(a,b) 1 wenn b = 0 dann 2 Ergebnis = a 3 sonst 4 Ergebnis = EUCLID(b, Divisionsrest(a durch b)) // siehe Modulo-Funktion 5 // Iterative Variante EUCLID(a,b) 1 solange b ≠ 0 2 h Divisionsrest(a durch b) // Siehe Modulo-Funktion 3 a b 4 b h 5 // 6 Ergebnis = a Programmierung Das folgende Programm in der Programmiersprache C++ zeigt die Implementierung der rekursiven Variante und der iterativen Variante. Die zwei Varianten werden jeweils in einer Funktion mit den Parametern a und b implementiert. Bei der Ausführung des Programms wird die Hauptfunktion main verwendet, die die Eingabe der beiden Zahlen über die Konsole ermöglicht und dann das Ergebnis der beiden Varianten dort ausgibt.#include <iostream> using namespace std; int gcdRecursive(int a, int b) { if (b == 0) { return a; } else { return gcdRecursive(b, a % b); // Rekursiver Aufruf der Methode } } int gcdIterative(int a, int b) { if (a == 0) { return b; } while (b != 0) { int h = a % b; a = b; b = h; } return a; } // Hauptfunktion die das Programm ausführt int main() { int a, b; // Deklaration der lokalen Variablen cout << "Erste Zahl: "; // Ausgabe auf der Konsole cin >> a; // Eingabe über die Konsole cout << "Zweite Zahl: "; // Ausgabe auf der Konsole cin >> b; // Eingabe über die Konsole cout << "Größter gemeinsamer Teiler (rekursiv): " << gcdRecursive(a, b) << endl; // Aufruf der rekursiven Funktion cout << "Größter gemeinsamer Teiler (iterativ): " << gcdIterative(a, b) << endl; // Aufruf der íterativen Funktion } Korrektheit des Algorithmus In jedem Schritt des Algorithmus wird eine Division mit Rest ausgeführt: . Die Division mit Rest hat die Eigenschaft . Im letzten Schritt des Algorithmus, , ist und deshalb gilt . Da im ersten Schritt und ist, ist . Historische Entwicklung Der euklidische Algorithmus ist der älteste bekannte nicht-triviale Algorithmus. Das Verfahren wurde von Euklid um 300 v. Chr. in seinem Werk Die Elemente beschrieben. In Buch VII (Propositionen 1 und 2) formulierte er den Algorithmus für positive ganze Zahlen und in Buch X (Proposition 2 und 3) für positive reelle Zahlen. Die letztere Version ist ein geometrischer Algorithmus und Euklid nannte ihn „Wechselwegnahme“ (griech. ἀνθυφαίρεσις anthyphairesis). Er suchte ein größtes gemeinsames „Maß“ zweier Strecken: eine dritte Strecke, sodass die Länge der beiden ursprünglichen Strecken Vielfache der Länge der dritten Strecke sind. Das Verfahren wurde wahrscheinlich nicht von Euklid erfunden, da er in den Elementen die Erkenntnisse früherer Mathematiker zusammenfasste. Der Mathematiker und Historiker Bartel Leendert van der Waerden vermutet, dass Buch VII ein schon von den Pythagoreern verwendetes Lehrbuch der Zahlentheorie ist. Hippasos von Metapont führte etwa 500 v. Chr. vermutlich seinen Beweis der Inkommensurabilität von gewissen Strecken und Diagonalen auf Grundlage des euklidischen Algorithmus durch, und auch Eudoxos von Knidos (um 375 v. Chr.) kannte wohl das Verfahren. Aristoteles (um 330 v. Chr.) wies auf dieses Verfahren in seinem Werk Topik (158b, 29–35) hin. Jahrhunderte später wurde der euklidische Algorithmus voneinander unabhängig in Indien und China entdeckt, um damit hauptsächlich diophantische Gleichungen aus der Astronomie zu lösen und genaue Kalender zu erstellen. Im fünften Jahrhundert beschrieb der indische Mathematiker und Astronom Aryabhata den Algorithmus als „Pulverisator“, wahrscheinlich aufgrund seiner Effektivität beim Lösen diophantischer Gleichungen. Zwar hat schon der chinesische Mathematiker und Astronom Sun Zi einen Spezialfall des chinesischen Restsatzes beschrieben, die allgemeine Lösung wurde jedoch von Qin Jiushao 1247 in seinem Buch Shushu Jiuzhang () veröffentlicht. Im neuzeitlichen Europa wurde der euklidische Algorithmus erstmals wieder in der zweiten Auflage von Bachets Problèmes plaisants et délectables, qui se font par les nombres beschrieben. Der Algorithmus wurde in Europa zum Lösen diophantischer Gleichungen und zur Berechnung der Kettenbruchentwicklung verwendet. Nicholas Saunderson veröffentlichte den erweiterten euklidischen Algorithmus und schrieb ihn Roger Cotes zu als Methode zur effizienten Berechnung von Kettenbrüchen. Im 19. Jahrhundert gab der euklidische Algorithmus den Anstoß zur Entwicklung neuer Zahlensysteme wie den gaußschen Zahlen und den Eisenstein-Zahlen. 1815 verwendete Carl Friedrich Gauß den euklidischen Algorithmus, um die eindeutige Faktorisierung der gaußschen Zahlen zu zeigen. Seine Arbeit wurde jedoch erst im Jahr 1832 veröffentlicht. Gauß erwähnte den Algorithmus zudem in seinem 1801 veröffentlichten Werk Disquisitiones Arithmeticae, allerdings nur als Methode zur Berechnung von Kettenbrüchen. Peter Gustav Lejeune Dirichlet scheint der Erste zu sein, der den euklidischen Algorithmus als Grundlage eines großen Teils der Zahlentheorie beschrieben hat. Er bemerkte, dass viele Ergebnisse der Zahlentheorie, wie beispielsweise die eindeutige Faktorisierung, auch für andere Zahlensysteme gelten, in denen der euklidische Algorithmus angewendet werden kann. Dirichlets Vorlesungen über Zahlentheorie wurden von Richard Dedekind herausgegeben und erweitert, der den euklidischen Algorithmus für das Studium algebraischer Zahlen nutzte, einer neuen allgemeineren Zahlenart. Dedekind war beispielsweise der Erste, der Pierre de Fermats Zwei-Quadrate-Satz mit der eindeutigen Faktorisierung der gaußschen Zahlen bewies. Dedekind führte das Konzept des euklidischen Rings ein, ein Zahlensystem, in dem eine verallgemeinerte Variante des euklidischen Algorithmus angewendet werden kann. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts trat der euklidische Algorithmus allmählich hinter Dedekinds allgemeinere Theorie der Ideale zurück. Jacques Charles François Sturm entwickelte 1829 die sturmschen Ketten zur Berechnung der Anzahl der Nullstellen eines Polynoms in einem vorgegebenen Intervall. Dabei wird eine Variante des euklidischen Algorithmus verwendet, um die einzelnen Glieder einer Kette zu bestimmen. In der Vergangenheit gab es zahllose Versuche, den euklidischen Algorithmus auf mehr als zwei natürliche Zahlen zu verallgemeinern, beispielsweise um außer ihrem größten gemeinsamen Teiler auch optimale (etwa kleinstmögliche) Multiplikatoren zu finden, die in der Linearkombination mit den Zahlen diesen Teiler liefern. Der moderne Stand der Forschung hierzu wurde von Havas, Majewski und Matthews dargestellt. Der euklidische Algorithmus war der erste Algorithmus zur Berechnung von Ganzzahlbeziehungen kommensurabler reeller Zahlen. In den vergangenen Jahren wurden weitere Algorithmen für diese Aufgabenstellung entwickelt, beispielsweise der Ferguson–Forcade-Algorithmus aus dem Jahr 1979 und verwandte Algorithmen, der LLL-Algorithmus, der HJLS-Algorithmus (nach den Autoren Håstad, Just, Lagarias und Schnorr) und der PSLQ-Algorithmus (nach partial sum of squares plus LQ matrix decomposition). Im Jahr 2001 wurde gezeigt, dass die von einigen Autoren berichtete Instabilität des HJLS-Algorithmus lediglich auf einer unzweckmäßigen Implementierung beruhte und dass dieser Algorithmus äquivalent zum PSLQ-Algorithmus ist. Enger an den eigentlichen euklidischen Algorithmus angelehnt sind seine mehrdimensionalen Verallgemeinerungen von George Szekeres (1970), Helaman Ferguson und Rodney Forcade (1981), Just (1992), von Rössner und Schnorr (1996) sowie der sehr allgemeine Ansatz von Lagarias (1994). 1969 entwickelten Cole und Davie das Zwei-Spieler-Spiel „Euklid“, das auf dem euklidischen Algorithmus basiert. Bei diesem Spiel gibt es eine optimale Strategie. Die beiden Spieler beginnen mit zwei Stapeln von und Steinen. In jeder Runde nimmt ein Spieler -mal so viele Steine vom größeren Stapel, wie der kleinere Stapel groß ist. Auf diese Weise kann der nächste Spieler den größeren Stapel mit Steinen auf Steine verkleinern, wobei die Größe des kleineren Stapels ist. Es gewinnt der Spieler, der einen Stapel komplett abträgt. Laufzeitanalyse Mit dem euklidischen Algorithmus kann man den ggT mit verhältnismäßig geringem Aufwand (im Vergleich zur Berechnung der Primfaktorzerlegung der Zahlen a und b) berechnen. Bei der Laufzeitanalyse stellt sich heraus, dass der schlimmste Eingabefall zwei aufeinander folgende Fibonacci-Zahlen sind. Bei aufeinander folgenden Fibonacci-Zahlen ergibt sich als Rest immer die nächstkleinere Fibonacci-Zahl. Die Anzahl der benötigten Divisionen beträgt im schlimmsten Fall Θ(log(ab)), wobei log(ab) proportional zur Anzahl der Ziffern in der Eingabe ist (siehe Landau-Symbole). Da die für die Division zweier Zahlen benötigte Zeit ihrerseits von der Anzahl der Ziffern der Zahlen abhängt, ergibt sich eine tatsächliche Laufzeit von O(log(ab)^3) bei naiver Ausführung der Division. Durch die vollständige Überführung der eigentlichen Berechnung in den Frequenzbereich mittels einer speziellen schnellen Fourier-Transformation, wie sie im Schönhage-Strassen-Algorithmus Verwendung findet, schneller Reziprokwertberechnung mit dem Newton-Verfahren (im Frequenzbereich) für die Division und anschließender Rücktransformation mittels inverser schneller Fourier-Transformation kommt man so zu einer theoretischen Untergrenze von Ω(n⋅log(n)), wobei n die maximale Anzahl an Ziffern von a und b ist. Die von Schönhage entwickelte Variante des euklidischen Algorithmus konnte durch Parallelisierung auf einem Multi-Prozessor-System weiter beschleunigt werden. Für die Anzahl der Schritte gibt es asymptotische Abschätzungen, wobei die Porter-Konstante eine Rolle spielt. Euklidischer Algorithmus und Kettenbruchzerlegung Die Quotienten, die im euklidischen Algorithmus auftreten, sind genau die Teilnenner, die in der Kettenbruchzerlegung von vorkommen. Hier für das obige Beispiel mit hervorgehobenen Ziffern:t Hieraus lässt sich der Kettenbruch entwickeln: . Dieses Verfahren lässt sich auch für jede beliebige reelle Zahl anwenden. Ist nicht rational, so endet der Algorithmus einfach nie. Die so gewonnene Folge an Quotienten stellt dann die unendliche Kettenbruchzerlegung von dar. Andere Zahlensysteme Wie oben beschrieben wird der euklidische Algorithmus zur Berechnung des größten gemeinsamen Teilers zweier natürlicher Zahlen verwendet. Der Algorithmus lässt sich jedoch auch auf reelle Zahlen und exotischere Zahlensysteme wie Polynome, quadratische Zahlen und die nicht-kommutativen Hurwitzquaternionen verallgemeinern. Im letzten Fall wird der euklidische Algorithmus dazu verwendet, die wichtige Eigenschaft einer eindeutigen Faktorisierung zu zeigen. Das heißt, dass eine solche Zahl eindeutig in irreduzible Elemente, der Verallgemeinerung von Primzahlen, zerlegt werden kann. Die eindeutige Faktorisierung ist grundlegend für viele Beweise der Zahlentheorie. Rationale und reelle Zahlen Wie schon von Euklid im Buch 10 seines Werks „Die Elemente“ beschrieben, kann der euklidische Algorithmus auch auf reelle Zahlen angewandt werden. Das Ziel des Algorithmus ist es dann, eine reelle Zahl zu finden, sodass die beiden Zahlen und ganzzahlige Vielfache dieser Zahl sind. Diese Aufgabenstellung ist gleichbedeutend mit der Suche nach einer Ganzzahlbeziehung zwischen den beiden reellen Zahlen und , also der Berechnung zweier ganzer Zahlen und , für die gilt. Euklid verwendete diesen Algorithmus bei der Betrachtung der Inkommensurabilität von Strecken. Der euklidische Algorithmus für reelle Zahlen unterscheidet sich in zwei Punkten von seinem Gegenstück für ganze Zahlen. Zum einen ist der Rest eine reelle Zahl, obwohl die Quotienten weiterhin ganze Zahlen sind. Zum anderen endet der Algorithmus nicht immer nach einer endlichen Anzahl von Schritten. Wenn er dies jedoch tut, dann ist der Bruch eine rationale Zahl; es gibt also zwei ganze Zahlen und mit und kann als Kettenbruch geschrieben werden. Wenn der Algorithmus nicht endet, dann ist der Bruch eine irrationale Zahl und mit dem unendlichen Kettenbruch identisch. Beispiele für unendliche Kettenbrüche sind die Goldene Zahl und die Wurzel aus 2 . Im Allgemeinen ist es unwahrscheinlich, dass der Algorithmus anhält, da fast alle Verhältnisse zweier reeller Zahlen irrationale Zahlen sind. Polynome Polynome in einer Variablen über einem Körper bilden einen euklidischen Ring. Die Polynomdivision ist für diese Polynome also eine Division mit Rest und der euklidische Algorithmus kann genauso wie bei den ganzen Zahlen durchgeführt werden. Die Berechnung des größten gemeinsamen Teilers der Polynome und in gestaltet sich beispielsweise folgendermaßen: Damit ist (oder das dazu assoziierte Polynom ) ein größter gemeinsamer Teiler von und . Polynome mit Koeffizienten aus einem faktoriellen Ring Wir halten einen faktoriellen Ring (d. h. einen Ring mit bis auf Einheiten eindeutiger Primfaktorzerlegung) fest und betrachten Polynome aus dem Polynomring , also Polynome in einer Variablen mit Koeffizienten aus . Im Spezialfall , wobei ein Körper sei, erhalten wir so den Ring der Polynome in zwei Variablen über . In ist Division mit Rest nicht mehr allgemein durchführbar. Seien z. B. und in . Polynomdivision in liefert den Quotienten , der nicht in liegt. Wir können allerdings eine Pseudodivision wie folgt definieren: Seien und Polynome aus mit Grad bzw. , sei der Leitkoeffizient des Polynoms , und . Dann gibt es Polynome , so dass wobei wieder von geringerem Grad ist als . Durch wiederholte Durchführung der Pseudodivision lässt sich der ggT von und bestimmen, allerdings ist das Verfahren in der Praxis ineffizient, da die Faktoren die Koeffizienten der Zwischenergebnisse exponentiell anwachsen lassen. Um das zu vermeiden kann nach jedem Schritt der Inhalt des Rests entfernt werden, was allerdings wiederum ggT-Berechnungen in erfordert. Effizienter lässt sich der ggT mit dem Subresultantenverfahren berechnen. Varianten Von Josef Stein stammt der nach ihm benannte steinsche Algorithmus, der ohne die aufwändigen Divisionen auskommt. Er verwendet nur noch Divisionen durch Zwei, die von einem Rechner sehr schnell durchzuführen sind. Aus diesem Grund wird dieser Algorithmus auch binärer euklidischer Algorithmus genannt. Der Performancevorteil auf realen Rechnern zeigt sich aber nur, wenn der Integertyp die Registerbreite des Prozessors nicht überschreitet. Merkt man sich beim euklidischen Algorithmus die Quotienten der Zwischenschritte, dann lässt sich damit eine Darstellung mit ganzen Zahlen und finden. Dies nennt man den erweiterten euklidischen Algorithmus. Damit lassen sich die Inversen in Restklassenringen berechnen. Eine andere Erweiterung ist der Algorithmus, der hinter dem Quadratischen Reziprozitätsgesetz steckt. Mit diesem lässt sich das Jacobi-Symbol effizient berechnen. Siehe auch Erweiterter euklidischer Algorithmus Steinscher Algorithmus Weblinks Christian Spannagel: Der Euklidische Algorithmus. Vorlesungsreihe, 2012. Peter Zierenberg: Euklidischer Algorithmus – C++ Hochschule Flensburg: Erweiterter euklidischer Algorithmus www.tutorialspoint.com: Program to Find GCD of Two Numbers Using Recursive Euclid Algorithm GeeksforGeeks: Euclidean algorithms (Basic and Extended) Einzelnachweise Zahlentheoretischer Algorithmus Euklid
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https://de.wikipedia.org/wiki/Enterobakterien
Enterobakterien
Die Enterobakterien bzw. die Vertreter der 2016 etablierten Ordnung Enterobacterales sind eine große Gruppe innerhalb der Domäne Bacteria. Nach dem phylogenetischen System gehören sie zur Klasse der Gammaproteobacteria in der Abteilung (Divisio, bei den Prokaryoten auch als Phylum bezeichnet) Proteobacteria und bilden dort eine eigene Ordnung. Vor 2016 wurde für diese Bakteriengruppe der Name „Enterobacteriales“ verwendet, der jedoch nach den Regeln des Bakteriologischen Codes (ICBN) nicht gültig war. Weiterhin gab es nur eine Familie – die Enterobacteriaceae – innerhalb der Ordnung. Mit der Etablierung der Ordnung Enterobacterales verbunden ist eine Aufteilung der bisher bekannten Taxa auf mehrere neue Familien. Die neue Systematik führt beispielsweise dazu, dass die Gattungen Escherichia, Morganella und Yersinia drei unterschiedlichen Familien angehören (vgl. Abschnitt Systematik). Der Name Enterobakterien leitet sich von enteron ( ‚Darm‘) ab, weil viele von ihnen typische Darmbewohner sind. Aber auch viele freilebende und ubiquitär vorkommende, nicht darmbewohnende Bakterienarten gehören in diese Ordnung. Merkmale Erscheinungsbild Die Zellen sind stäbchenförmig und gewöhnlich 1 bis 5 µm lang und besitzen einen Durchmesser von etwa 0,5–1,0 µm. Es werden keine Endosporen gebildet. Die meisten können sich mit Flagellen aktiv bewegen, sie sind motil, es kommen jedoch auch Gattungen vor, die sich nicht aktiv bewegen können. Da die Zellwand aus wenigen Mureinschichten und einer zweiten, äußeren Membran aus Phospholipiden und Lipopolysacchariden besteht, sind die Enterobakterien gramnegativ. Stoffwechsel Ihr Stoffwechsel ist fakultativ anaerob, daher können sie sowohl über Oxidation unter Anwesenheit von Sauerstoff Stoffe abbauen, als auch unter anaeroben Bedingungen (kein Sauerstoff) Gärung betreiben. Zwei wichtige anaerobe Stoffwechselwege, die zur Unterscheidung der einzelnen Gattungen genutzt werden, sind die 2,3-Butandiol-Gärung und die gemischte Säuregärung (mixed acid fermentation). Bei der gemischten Säuregärung treten als End- und Nebenprodukte vorwiegend Säuren, wie Essigsäure, Milchsäure und Bernsteinsäure (Succinat), aber kein Butandiol auf. Bei der 2,3-Butandiol-Gärung entstehen aus der Gärung von Glucose als End- und Nebenprodukte geringere Mengen von Säuren, aber vor allem in großen Mengen der Alkohol 2,3-Butandiol. Ein weiteres Merkmal der 2,3-Butandiol-Gärung ist das Zwischenprodukt Acetoin und die wesentlich höhere Gasproduktion (CO2). Man findet Butandiolgärung z. B. bei Enterobacter, Klebsiella, Erwinia und Serratia. Gemischte Säuregärung nutzen u. a. Gattungen wie Escherichia, Salmonella und Proteus. Zur Bestimmung der einzelnen Gattungen wird eine Vielzahl von Diagnosetests genutzt. Zum Beispiel wird mit Hilfe des Voges-Proskauer-Tests das Zwischenprodukt Acetoin der 2,3-Butandiol-Gärung nachgewiesen. Auch der Nachweis des Enzyms β-Galactosidase wird häufig zur Unterscheidung verwendet. Bakterien, die über dieses Enzym verfügen, können das Disaccharid Lactose (Milchzucker) hydrolytisch in die Monosaccharide Glucose und Galactose spalten, um sie im Stoffwechsel zu nutzen. Phylogenetik Durch Verwendung phylogenetischer Methoden kann die Stammesgeschichte und die verwandtschaftlichen Beziehungen der Bakterien untereinander geklärt werden. In der 2016 veröffentlichten Beschreibung der Ordnung Enterobacterales werden fünf ‚konservierte charakteristische Indels‘ (engl. conserved signature inserts and deletions, CSI; Näheres dazu im Abschnitt Systematik und Taxonomie) festgelegt, die typisch für die Vertreter der Ordnung sind, aber nicht bei anderen Bakterien vorkommen. Die fünf CSI kommen in den Gensequenzen vor, die für die Proteine L-Arabinose-Isomerase, Elongationsfaktor-P ähnliches Protein YeiP, Peptid-ABC-Transporter Permease, Pyrophosphatase und ein hypothetisches Protein codieren. Vorkommen Viele Enterobakterien sind Teil der gesunden Darmflora von Menschen und Tieren; sie kommen jedoch auch überall in der Umwelt vor (Boden, Wasser). Einige sind Krankheitserreger bei Mensch und Tier. Sie kommen vielfach als nosokomiale Erreger vor („Krankenhauskeime“) und befallen Menschen mit schwachem Immunsystem. Der wahrscheinlich wichtigste Vertreter der Enterobakterien ist Escherichia coli, einer der wichtigsten Modellorganismen der Genetik und Biochemie sowie der Mikrobiologie. Auffällig ist des Weiteren die Gattung Proteus, bei der man das sogenannte „Schwärm-Phänomen“ beobachtet. Wenn sich wachsende Kolonien dieser Bakterien auf einer Agar-Platte ausbreiten, sieht man einen Bakterienrasen mit konzentrischen Ringen. Systematik und Taxonomie Verwendete Methoden der phylogenetische Systematik Bei den Vertretern der „Enterobacteriales“ führten die Ergebnisse phylogenetischer Methoden der letzten Jahre, die insbesondere auf Untersuchung der 16S rRNA beruhten, ein für Prokaryoten typischer Vertreter der ribosomalen RNA, zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Daher war es das Ziel mehrerer Wissenschaftler (Adeolu et al.) der McMaster University in Ontario, Kanada eine phylogenetische Systematik zu erstellen, die auf Vergleich von genetischen Merkmalen möglichst vieler Vertreter der Gruppe basiert. Zum Zeitpunkt der Untersuchung (2016) waren bereits 14.000 Genome von 54 den Enterobakterien zugehörigen Gattungen in der Genomdatenbank des Nationalen Zentrums für Biotechnologieinformation (NCBI) verfügbar. Für die Analyse wurden 179 repräsentative Genomsequenzen herangezogen und verschiedene molekularer Marker ausgesucht und verglichen, um jeweils einen phylogenetischen Baum zu erstellen, der die evolutionären Beziehungen zwischen den Vertretern der Enterobakterien darstellt. Zum einen wurden dafür 1548 Hauptproteine herangezogen, die typisch für die Gruppe sind und DNA-Sequenzen verglichen, die für die Proteine codieren. Analog dazu wurden 53 ribosomale Proteine (rProteine) verwendet und weiterhin wurde die DNA-Sequenzanalyse von mehreren Loci (MLSA), die für vier Proteine codieren, durchgeführt. Bei den Proteinen handelt es sich um GyrB (Gyrase B), RpoB, AtpD and InfB. Die so konstruierten drei phylogenetischen Bäume ergeben ein einheitliches Bild mit jeweils sieben Kladen, die als Enterobacter-Escherichia-Klade, Erwinia-Pantoea-Klade, Pectobacterium-Dickeya-Klade, Yersinia-Serratia-Klade, Hafnia-Edwardsiella-Klade, Proteus-Xenorhabdus-Klade und Budvicia-Klade bezeichnet werden. Darauf basierend wird die Ordnung Enterobacterales mit sieben Familien definiert (eine weitere Familie, die Thorselliaceae, wurde durch eine andere Gruppe von Wissenschaftlern erstbeschrieben). Das Ergebnis dieser phylogenetischen Analyse wird durch die Resultate der Analyse der Genomverwandtschaft unterstützt. Diese Methode erfolgt ebenfalls in silico (computerbasiert) als Ersatz für die DNA-DNA-Hybridisierung und ist hilfreich für die Einordnung taxonomisch höherer Rangstufen. Die Genomanalyse ermöglicht auch das Entdecken bzw. Festlegen von ‚konservierten (bewahrten) molekularen Eigenschaften‘, die sich innerhalb einer Gruppe von nah miteinander verwandten Organismen nicht oder kaum voneinander unterscheiden, während sie sich bei Organismen einer anderen Gruppe durch Evolution deutlich verändert haben. Für die phylogenetische Systematik der Prokaryoten werden dazu ‚konservierte charakteristische Indels‘ (engl. conserved signature inserts and deletions, CSI) verwendet. Gruppenspezifische CSI sind charakteristisch für ein bestimmtes Taxon (beispielsweise eine Ordnung), da sie in allen Vertretern dieser Gruppe und nicht in anderen Gruppen auftreten. Das ursprüngliche Indel eines gruppenspezifischen CSI trat vermutlich bereits vor der Aufspaltung im letzten gemeinsamen Vorfahren auf und wurde von den daraus entstandenen Vertretern der Gruppe übernommen („vererbt“). Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Untersuchung von Adeolu et al. ist die Entdeckung von 71 CSI, darunter fünf, die einzigartig für alle Vertreter der Ordnung Enterobacterales sind und daher für ihre Beschreibung verwendet werden. Die übrigen 66 CSI sind spezifisch für die sieben Gruppen und können bei zukünftigen Genomanalysen von neu entdeckten Spezies der Enterobakterien für deren systematische Klassifikation verwendet werden. Das Ergebnis der umfangreichen genomweiten Analysen aus dem Jahr 2016 ist die im Folgenden dargestellte Systematik. Nomenklatur und Taxonomie der Ordnung Die Gattung Enterobacter ist nicht die Typusgattung der Familie Enterobacteriacea, dies ist die Gattung Escherichia. Damit wird von der festgelegten Nomenklatur gemäß dem Bakteriologischen Code (International Code of Nomenclature of Bacteria) abgewichen, was 1958 durch Festlegung in der Judicial Opinion 15 der Judicial Commission (in etwa „richterliche oder unparteiische Kommission“) der Internationalen Kommission für die Systematik der Prokaryoten (International Committee on Systematics of Prokaryotes, ICSP) bestätigt wurde. Nach den Regeln des Bakteriologischen Codes müsste eine Ordnung mit der Typusgattung Escherichia folglich „Escherichiales“ genannt werden, eine Ordnung mit der Typusgattung Enterobacter müsste „Enterobacterales“, jedoch nicht „Enterobacteriales“ genannt werden. Um die Akzeptanz der neuen Systematik sicherzustellen und die mögliche Verwirrung bei Benennung der Ordnung als „Escherichiales“ zu vermeiden, wurde der Name Enterobacterales ord. nov. mit der Typusgattung Enterobacter gewählt. Aktuelle Systematik Zu der 2016 etablierten Ordnung der Enterobacterales gehören acht Familien mit insgesamt etwa 60 Gattungen. Die neu festgelegte und damit den Regeln des Bakteriologischen Codes (ICBN) entsprechende Typusgattung der Ordnung ist die Gattung Enterobacter. Die Beschreibung der Ordnung Enterobacterales et al. 2016 ord. nov. entspricht der Beschreibung der Familie der Enterobacteriaceae im Bergey’s Manual of Systematic Bacteriology von 2005, mit der Erweiterung, dass die Vertreter der Ordnung von allen anderen Bakterien durch fünf CSI unterschieden werden können. Die Gattung Phytobacter et al. 2017 emend. et al. 2018 wurde bisher keiner Familie zugeordnet. Im Folgenden eine Auflistung der zugehörigen Familien mit Nennung den meisten der dazugehörigen Arten (Stand 2019). Budviciaceae et al. 2016, fam. nov. Budvicia et al. 1985 emend. et al. 2013, Typusgattung der Familie Leminorella et al. 1985 Pragia et al. 1988 Enterobacteriaceae 1937 emend. et al. 2016 Biostraticola et al. 2008 Buttiauxella et al. 1982 Cedecea et al. 1981 Citrobacter and 1932 Cronobacter et al. 2008 Enterobacter and 1960 emend. et al. 2013 Escherichia and 1919, Typusgattung der Familie, z. B.: Escherichia coli Gibbsiella et al. 2011 emend. et al. 2013 Klebsiella 1885 (Approved Lists 1980) emend. et al. 2001, z. B. :Klebsiella pneumoniae Kluyvera et al. 1981 Leclercia et al. 1987 Mangrovibacter et al. 2010 Plesiomonas corrig. and 1962, z. B.: Plesiomonas shigelloides Pseudescherichia and 2017 Raoultella et al. 2001 Saccharobacter et al. 1990 Salmonella 1900 Shigella and 1919 Shimwellia and 2010 Thorsellia et al. 2006 Trabulsiella et al. 1992 Yokenella et al. 1985 Erwiniaceae et al. 2016, fam. nov. Buchnera et al. 1991 Erwinia et al. 1920 (Approved Lists 1980) emend. et al. 1998, Typusgattung der Familie Pantoea et al. 1989 emend. et al. 2010 Phaseolibacter et al. 2013 Tatumella et al. 1982 emend. et al. 2010 Wigglesworthia 1995 Hafniaceae et al. 2016, fam. nov. Edwardsiella and 1965 Hafnia 1954, Typusgattung der Familie Obesumbacterium 1963 Morganellaceae et al. 2016, fam. nov. Arsenophonus et al. 1991 Cosenzaea et al. 2011 Moellerella et al. 1984 Morganella , Typusgattung der Familie Photorhabdus et al. 1993 Proteus 1885, z. B.: Proteus vulgaris, Proteus mirabilis Providencia 1962 Xenorhabdus and 1979 (Approved Lists 1980) emend. and 1983 Pectobacteriaceae et al. 2016, fam. nov. Brenneria et al. 1999 emend. et al. 2012 emend. et al. 2015 Dickeya et al. 2005 Lonsdalea et al. 2012 Pectobacterium 1945 (Approved Lists 1980) emend. et al. 1998, Typusgattung der Familie Sodalis and 1999 Thorselliaceae et al. 2015, fam. nov. Coetzeea et al. 2016 Yersiniaceae et al. 2016, fam. nov. Ewingella et al. 1984 Rahnella et al. 1981 emend. et al. 2017 Samsonia et al. 2001 Serratia 1823, z. B.: Serratia marcescens Yersinia 1944, Typusgattung der Familie, z. B.: Yersinia pestis, Auslöser der Lungen- und Beulenpest Einige Synonyme und Umstellungen Alle Arten von Levinea et al. 1971 wurden zu der Gattung Citrobacter 1932 gestellt Verschiedene Erwinia-Arten wurden in die Gattungen Pantoea, Enterobacter, Pectobacterium und Brenneria aufgeteilt Liquidobacterium ist ein Synonym für Proteus Meldepflicht In Deutschland ist der direkte Nachweis von Enterobacterales namentlich meldepflichtig nach des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), aber nur bei Nachweis einer Carbapenemase-Determinante oder mit verminderter Empfindlichkeit gegenüber Carbapenemen außer bei natürlicher Resistenz. Die Meldepflicht besteht nur bei Infektion oder Kolonisation. (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 52 b) IfSG) Zudem ist das Auftreten von zwei oder mehr nosokomialen Infektionen nichtnamentlich zu melden, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird. ( Absatz 3 IfSG). Quellen Literatur Michael T. Madigan, John M. Martinko, Jack Parker: Brock – Mikrobiologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, Berlin 2001, ISBN 3-8274-0566-1 Einzelnachweise Weblinks Meldepflichtiger Erreger
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ewigkeit
Ewigkeit
Unter Ewigkeit oder etwas Ewigem versteht man etwas, das weder einen zeitlichen Anfang noch ein zeitliches Ende besitzt bzw. unabhängig von dem Phänomen Zeit existiert. Antonym zu Ewigkeit ist Vergänglichkeit. Begriffsgeschichte Die ursprüngliche Bedeutung von Ewigkeit war wohl „langer Zeitraum“, vom ahd. ēwe „Lebenszeit“ stammend (ursprünglich wohl von ie. *əiw- „Lebenszeit, Ewigkeit“). Noch im 16. Jahrhundert wurde gebetet von ewen zu ewen. Umgangssprachlich verstand man daher unter Ewigkeit einen langen Zeitraum (vgl. auch heute noch in dieser Bedeutung etwa „Das dauert ja ewig“ – als Übertreibung). Daraus ist ersichtlich, dass „endlos“ ursprünglich nur eine von mehreren möglichen Bedeutungen des heutigen Worts ewig war. Durch theologische Einflüsse – insbesondere durch die Zeitauffassung des Augustinus – hat der Begriff „Ewigkeit“ später vor allem die Bedeutung der „Zeitlosigkeit“ angenommen. Verwendung in der Physik und Philosophie Das Konzept der Ewigkeit ist wissenschaftlich nicht definiert, da die bekannten physikalischen Theorien, die sich mit Fragen der Kosmologie befassen, den Begriff des Unendlichen nicht sinnvoll formulieren. (Siehe auch: Steady-State-Theorie) Philosophisch sieht man Konzepte der Logik oder Mathematik als zeitlos, und in diesem Sinne als ewig an. Der Begriffsinhalt von „unendlicher Zeit“, wurde von Platon entwickelt und von Plutarch und der jüngeren Stoa übernommen. Sie ist die Bezeichnung für das Grenzenlose, in dem alle Phänomene angesiedelt sind, deren Anfang oder Ende nicht gedacht werden kann. Die Ewigkeit gilt Platon als die wahrhafte Form des Seins, d. h. als Seinsweise der Ideen, die frei von allem Werden sind. Für die antiken Denker war die Welt unendlich, d. h. auch anfangslos. Ewige Dinge (ewig im Sinne von ‚zeitunabhängig‘) scheinen vom Anfang bis zum Ende der uns bewussten Zeit unverändert anzudauern, sofern wir sie überhaupt wahrnehmen. Dennoch ist ewig nicht mit statisch gleichzusetzen. Verwendung in einigen Religionen Insbesondere monotheistische Religionen (Jüdischer Glaube, Christentum, Islam) sprechen vom ewigen Gott oder vom ewigen Gottesreich sowie von ewigem Leben. Die Ewigkeit als Attribut Gottes drückt seine Existenz unabhängig und über zeitlichen Begriffen wie Anfang und Ende aus. Mit einem Konzept seiner Unveränderlichkeit ist sie nicht zwangsläufig verbunden. Das dem Menschen verheißene ewige Leben führt zu einer Teilhabe an dieser Ewigkeit Gottes. Manche denken dies allerdings ausgehend von einem Anfang, nach dem zeitlichen Tod. Die Bibel hingegen (z. B. ) versteht Ewigkeit als Qualitätsbegriff. Ewigkeit beginnt demnach nicht erst nach dem Tod, sondern beginnt mit der Erkenntnis Gottes und Jesu Christi und ereignet sich in der Beziehung des Glaubenden mit Gott. Für den so Glaubenden ist der leibliche Tod ein Übergang in das vollendete ewige Leben, das seinen Anfang aber schon im „Neugeborenwerden“ (vgl. ) genommen hat. Im Urtext der Bibel wurde der Zeitbegriff Äon (griechisch aion, aionion) z. B. von Luther neben „Welt“ zusätzlich auch mit Ewigkeit/ewig übersetzt, was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, aber der Jenseitsvorstellung der neutestamentlichen Zeit geschuldet ist. Äon ist im griechischen Denken die Fülle der Welt, ihr Gesamtbestehen. Die nächste Welt (also das erwartete Jenseits) ist damit wieder ein Äon in seiner Fülle. Da dieser Äon nie mehr enden wird, ist die Übersetzung "Ewigkeit" legitim. Für viele mittelalterliche Philosophen und Theologen, insbesondere für viele „Mystiker“, und auch für einige Ausprägungen des Buddhismus bedeutet „Ewigkeit“ ein Leben in einer – ewigen, „stehenden“, von zeitlichen Differenzen befreiten – Gegenwart. So schreibt Meister Eckhart: Der frühneuzeitliche Autor Andreas Gryphius formuliert: Man kann ähnliche Auffassungen auch Ludwig Wittgenstein zuschreiben. Dieser schreibt in seinem Tractatus 6.4311: Verwendung in der Rechtssprache In der deutschen Rechtssprache wird der Begriff Ewigkeit durch die Bezeichnungen „Ewigkeitsklausel“ oder „Ewigkeitsgarantie“ für den Abs. 3 Grundgesetz verwendet. Danach sind das föderalistische Organisationsprinzip der Bundesrepublik Deutschland und zwei Artikel des Grundgesetzes wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 GG) sowie die am 23. Mai 1949 in Kraft getretenen allgemeinen Verfassungsgrundsätze (Art. 20 GG) für ewig vor Änderung und Abschaffung geschützt. Literatur Helmut Echternach: Ewigkeit. In: Joachim Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie [HWPh]. Band 2, Schwabe Verlag, Basel 1972, Sp. 838–844. Ilaria Ramelli, David Konstan Terms for Eternity: aiônios and aïdios in Classical and Christian Texts Verlag Gorgias Press, Piscataway (NJ) 2007, ISBN 978-1-59333-694-3 Karen Gloy: Ewigkeit, in: Michael Gamper, Helmut Hühn, Steffen Richter (Hrsg.): Formen der Zeit: Ein Wörterbuch der ästhetischen Eigenzeiten Wehrhahn Verlag, Hannover 2020, ISBN 978-3-86525-766-6, S. 149–158. Weblinks E. D. Buckner: Eternity (Sammlung einschlägiger klassischer philosophischer Texte, engl.) AQUINAS ON THE ETERNITY OF THE WORLD Einzelnachweise Metaphysik Eschatologie Zeitraum (Religion) Abstraktum
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https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4isches%20Patent%C3%BCbereinkommen
Europäisches Patentübereinkommen
Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ; ) ist ein völkerrechtlicher Vertrag, durch den die Europäische Patentorganisation (EPO) geschaffen wurde und die Erteilung Europäischer Patente geregelt wird. Durch das EPÜ bilden seine Vertragsstaaten auch einen Sonderverband gemäß der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ), müssen also dessen Bestimmungen einhalten (z. B. zur Priorität). Geschichte Das Europäische Patentübereinkommen wurde am 5. Oktober 1973 auf einer Konferenz in München von 16 europäischen Staaten unterzeichnet und trat für Belgien, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz, und das Vereinigte Königreich am 7. Oktober 1977 in Kraft. Weitere Staaten ratifizierten das Abkommen in der Folgezeit. 1991 fand eine weitere Konferenz der Mitgliedstaaten statt, auf der die Laufzeit eines Europäischen Patents auf zwanzig Jahre festgelegt wurde. Diese Änderung trat für die Mehrheit der Mitgliedstaaten am 4. Juli 1997 in Kraft. Eine grundlegende Überarbeitung des Übereinkommens erfolgte im Jahre 2000. Ziel der Überarbeitung war, das Übereinkommen flexibler zu machen, an neuere Internationale Verträge anzupassen und Bedürfnisse der Anmelder besser zu berücksichtigen. Das geänderte Übereinkommen, nach dem Jahr seiner Unterzeichnung kurz als EPÜ 2000 bezeichnet, trat für die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten am 13. Dezember 2007 in Kraft. Ein großer Teil der zwischenzeitlich beigetretenen Mitgliedstaaten hat nur die letzte revidierte Fassung des Jahres 2000 angenommen. Mit dem Beitritt Serbiens am 1. Oktober 2010 gehören nun 38 Vertragsstaaten dem Europäischen Patentübereinkommen an. Allgemeines Das Übereinkommen wurde geschlossen, um die Patenterteilung innerhalb Europas zu zentralisieren und das Patentrecht seiner Vertragsstaaten zu harmonisieren. Statt in jedem Staat, in dem ein Patentschutz gewünscht wird, nationale Patentanmeldungen einzureichen, braucht nach dem EPÜ nur noch eine Anmeldung eingereicht zu werden, die vom Europäischen Patentamt (EPA), einem Organ der Europäischen Patentorganisation (EPO) zentral bearbeitet wird. In der Anmeldung müssen die Vertragsstaaten angegeben werden, für die ein Europäisches Patent beantragt wird. Ein Europäisches Patent kann auch beantragt werden durch eine Internationale Anmeldung nach dem Patentzusammenarbeitsvertrag () und Einleiten der regionalen EP-Phase nach Abschluss der Internationalen Phase. Die zentrale Bearbeitungsphase vor dem Europäischen Patentamt enthält außer dem eigentlichen Erteilungsverfahren evtl. noch ein Einspruchsverfahren, falls innerhalb von neun Monaten nach der Bekanntmachung der Erteilung eines Patents Einspruch dagegen erhoben wird. Danach ist das Europäische Patentamt nicht mehr zuständig; das Europäische Patent „zerfällt“ in ein Bündel nationaler Patente in den in der Anmeldung benannten Vertragsstaaten, die den durch nationale Patentämter erteilten Patenten gleichwertig sind. Nichtigkeitsklagen gegen Europäische Patente können daher nur vor den nationalen Gerichten eingereicht werden. Bestandteile Das Europäische Patentübereinkommen besteht aus mehreren Teilen: Das Europäische Patentübereinkommen im engeren Sinne (Präambel und Artikel 1 bis 178). Es legt die wesentlichen Grundlagen fest, z. B. Aufbau und Zuständigkeiten der Europäischen Patentorganisation, materielles Patentrecht, Patentierbarkeit, die zur Einreichung und Erlangung des Europäischen Patents berechtigten Personen, zu den Wirkungen der Patentanmeldung, zu den Formerfordernissen einer Anmeldung, zum Erteilungsverfahren, zum Einspruchs- und Beschwerdeverfahren und zu den Auswirkungen auf das nationale und internationale Recht. Die Ausführungsordnung (ursprünglich Regeln 1 bis 106) regelt Detailfragen zu den Sprachen und zur Organisation des Europäischen Patentamts und zu Einzelheiten des Verwaltungsverfahrens. Die Ausführungsordnung kann von dem Verwaltungsrat, einem Organ der Europäischen Patentorganisation, geändert werden; hiervon wurde über 35 Mal Gebrauch gemacht. Eine Neufassung der Ausführungsordnung wurde am 7. Dezember 2006 beschlossen. Es folgen vier Protokolle: Protokoll über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen über den Anspruch aus Erteilung eines europäischen Patents (Anerkennungsprotokoll), Protokoll über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation (Immunitätenprotokoll), Protokoll über die Zentralisierung des Europäischen Patentsystems und seine Einführung (Zentralisierungsprotokoll), Protokoll über die Auslegung des Artikels 69 des Übereinkommens betreffend den Schutzbereich Europäischer Patente. Eine gesondert ergangene Gebührenordnung (20. Oktober 1977; neu gefasst am 7. Dezember 2006 mit mehreren nachfolgenden Änderungen) legt die an das Europäische Patentamt zu entrichtenden Gebühren fest und enthält Bestimmungen zur Durchführung der Zahlungen. Vertrags- und Erstreckungs- und Validierungsstaaten Das Europäische Patentübereinkommen wurde von 38 Vertragsstaaten unterzeichnet. Darunter befinden sich alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie 11 weitere Staaten (Stand: Feb. 2020). Als bisher letztes Mitglied trat am 1. Oktober 2010 Serbien der Organisation bei. Vertreter der in der Tabelle mit (*) gekennzeichneten Staaten haben an der diplomatischen Konferenz zur Gründung der Organisation teilgenommen. Diese Staaten waren daher berechtigt, der Organisation durch Ratifikation beizutreten. Island hat das Abkommen allerdings erst 2004 ratifiziert, in Norwegen ist es am 1. Januar 2008 in Kraft getreten. Alle Vertragsstaaten des EPÜ sind auch Vertragsstaaten des Europarates. Dieses gibt Anlass zur Debatte, ob die Europäische Patentorganisation dem Europarat beitreten kann. Derzeit wird geprüft, wie die EPO dem Europarat beitreten kann. Außerdem hat die Europäische Patentorganisation in den Jahren 1993 bis 2009 mit einigen Staaten, die (damals) nicht dem EPÜ angehör(t)en, Abkommen über die Erstreckung des Schutzes europäischer Patente geschlossen. Es ist daher möglich, beim Europäischen Patentamt die Erstreckung einer europäischen Patentanmeldung auf die Erstreckungsstaaten zu beantragen. Mit dem Antrag sind Erstreckungsgebühren zu entrichten. Die Patentanmeldung hat dann in den Erstreckungsstaaten dieselbe Wirkung wie eine nationale Patentanmeldung und kann nach ihrer Erteilung auch dort als Patent eingetragen werden. Derzeit kann die Erstreckung für Bosnien und Herzegowina (BA) und Montenegro (ME) beantragt werden. Einige frühere Erstreckungsstaaten sind mittlerweile zu Vertragsstaaten geworden. Für eine in der Zeit eingereichte Patentanmeldung, als diese noch Erstreckungsstaaten waren, kann auch für diese Staaten noch eine Erstreckung beantragt werden. Seit 2010 wurde dieses Instrument durch die Validierungsabkommen abgelöst, die nicht auf Europa beschränkt sind. Vier davon sind in Kraft, das Abkommen mit Tunesien ist seit 1. Dezember 2017 in Kraft. Siehe auch Europäisches Patent Europäisches Patentamt: die internationale Behörde zur Erteilung europäischer Patente Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung Londoner Übereinkommen zur Regelung der Übersetzung von europäischen Patenten Literatur Georg Benkard, Europäisches Patentübereinkommen. Kommentar, 2. Aufl., München 2012, Verlag C. H. Beck, ISBN 978-3-406-60579-6 Friedrich-Karl Beier, Kurt Haertel, Gerhard Schricker, Joseph Straus (Hrsg.): Europäisches Patentübereinkommen, Münchner Gemeinschaftskommentar, in Lieferungen, Carl Heymanns Verlag 1984 ff. (2005 bis 28. Lieferung), ISBN 3-452-19412-4 Matthias Brandi-Dorn, Stephan Gruber, Ian Muir: Europäisches und Internationales Patentrecht. 5. Auflage, C. H. Beck, 2002, ISBN 3-406-49180-4 Lise Dybdahl: Europäisches Patentrecht. 2. Auflage, Carl Heymanns Verlag, 2004, ISBN 3-452-25682-0 Gautschi: EPÜ-Direkt, September 2009, www.epc-2000.de, ISBN 978-3-00-029510-2 Hansjörg Kley, Harald Gundlach und Carola Jacobi: Kommentar zum EPÜ 2000. 2. Auflage mit grafischen Übersichten (Mindmaps), mfh-verlag, 2008, Erscheinungstermine: jährlich Januar, August, optional Aktualisierungslieferungen, Online-Variante Margarete Singer / Dieter Stauder (Hg.): The European Patent Convention. A Commentary. 2 Vol., 3. Aufl., Thomson / Sweet & Maxwell / Carl Heymanns, Köln, Berlin, Berlin, Bonn, München 2003. Margarete Singer / Dieter Stauder: Europäisches Patentübereinkommen, 5. Auflage, Carl Heymanns Verlag, 2010, ISBN 978-3-452-27135-8 Tobias Bremi, The European Patent Convention and Proceedings before the EPO, 1st Edition September 2008, ISBN 978-3-452-26880-8 Bozic / Düwel / Gabriel / Teufel: EPÜ- und PCT-Tabellen, 1. Auflage, Carl Heymanns Verlag, 2011, ISBN 978-3-452-27682-7 Weblinks Das Europäische Patentübereinkommen Vertragsstaaten des EPÜ Zum Stand der Patentrechtsvereinheitlichung Einzelnachweise Ubereinkommen, Erteilung europaischer Patente Ubereinkommen, Erteilung europaischer Patente Völkerrechtlicher Vertrag Vertrag (20. Jahrhundert)
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https://de.wikipedia.org/wiki/Eibengew%C3%A4chse
Eibengewächse
Die Eibengewächse (Taxaceae) bilden eine Pflanzenfamilie in der Ordnung der Koniferen (Coniferales). Einige Arten werden weltweit als Zierpflanzen in Parks und Gärten verwendet. Bekannteste Art Der in Mitteleuropa bekannteste Vertreter der Familie ist die Europäische Eibe (Taxus baccata), die auch in Parks oder Gärten angepflanzt wird. Die vegetativen Teile der Pflanze und ihre Samen sind sehr giftig. Der Arillus hingegen ist jedoch ungiftig und kann gegessen werden. Nach dem Verzehr von mehreren „Beeren“ samt Samen sollte ein Arzt aufgesucht werden. Das Gift bezeichnet man als Taxin, es enthält unter anderem das Diterpen Taxol. Beschreibung Vegetative Merkmale Es sind immergrüne Bäume und Sträucher. Meist sind sie nicht harzhaltig und duften nicht aromatisch. Die Borke ist schuppig oder faserig. Die Blätter sind, bis auf Amentotaxus, wechselständig oder spiralig, wirken aber oft wie zweizeilig, an den Zweigen angeordnet und verbleiben dort mehrere Jahre. Die nadelförmigen Blätter sind abgeflacht. Die Sämlinge besitzen zwei Keimblätter (Kotyledonen). Generative Merkmale Die Arten der Taxaceae sind getrenntgeschlechtig: einhäusig (monözisch), aber meist zweihäusig (diözisch). Die männlichen zapfenförmigen Blüten stehen achselständig einzeln oder zu mehreren zusammen an einjährigen Zweigen; sie sind kugelig bis eiförmig. Die Sporophylle besitzen zwei bis zwölf Mikrosporangien (Pollensäcke). Die kugeligen Pollen sind nicht geflügelt. Die Verbreitung des Pollens erfolgt durch den Wind. Die achselständig an einjährigen Zweigen stehenden, weibliche Zapfen sind zu einer einzigen Zapfenschuppe reduziert, die ein oder zwei Samenanlagen besitzt. Je Zapfen wird nur ein Same gebildet. Der Same besitzt eine harte Samenschale und ist zur Reifezeit von einem Samenmantel (Arillus) (einer fleischigen Hülle, die einer Beere etwas ähnlich sieht) teilweise oder ganz (Torreya) umgeben. Der Arillus kann intensiv gefärbt sein und saftig, fleischig oder ledrig sein. Von der Farbe und dem Geschmack des Arillus werden vor allem Vögel (Ornithochorie) angelockt. Der Arillus wird meist mit dem darin verborgenen Samen gefressen und der Same wird dann unverdaut wieder ausgeschieden. Systematik und Verbreitung Die Gattungen der Familie der Eibengewächse kommen hauptsächlich auf der Nordhalbkugel vor. Das Verbreitungsgebiet reicht südlich bis zu den Philippinen und Mexiko und mit der Art Austrotaxus spicata in Neukaledonien auch auf die Südhalbkugel. In China kommen vier Gattungen mit elf Arten vor. Die Familie Taxaceae umfasst fünf Gattungen mit insgesamt 17 bis 20 Arten. Man unterscheidet zwei Tribus; unter anderem auf Grund der Morphologie des Arillus: Tribus Torreyeae: Mit völlig oder fast vollständig von Arillus umhüllten Samen: Amentotaxus : Mit sieben Arten in China, Indien, Vietnam, Laos, Kambodscha und Taiwan. Nusseiben (Torreya ): Mit sechs Arten China, Japan, Korea, Kalifornien, Georgia und Florida. Tribus Taxeae: Mit nur teilweise von Arillus umfassten Samen: Austrotaxus : Ist eine monotypische Gattung, es gibt nur eine Art: Austrotaxus spicata : Sie ist in Neukaledonien beheimatet. Pseudotaxus : Ist eine monotypische Gattung, es gibt nur die eine Art: Pseudotaxus chienii : Sie ist im Südosten der Chinas beheimatet. Eiben (Taxus ): Die zwölf Arten sind hauptsächlich in der gemäßigten Zone Eurasiens südlich bis Malesien verbreitet, kommen aber auch in Nordamerika bis Guatemala vor. Die Abtrennung von Austrotaxus (Austrotaxaceae ), Amentotaxus (Amentotaxaceae ) und Torreya (Torreyaceae ) als jeweils eigene Familien hat sich nicht durchgesetzt. Der Umfang der beiden Familien Eibengewächse und Kopfeibengewächse (Cephalotaxaceae) wird diskutiert. Es gibt auch Autoren, bei denen beide Familien jeweils drei Gattungen enthalten. Auch eine Zusammenlegung beider Familien mit dann sechs Gattungen in den Taxaceae s. l. stand zur Diskussion. Eine phylogenetische Untersuchung bestätigt jedoch die hier beschriebene innere Systematik der Eibengewächse und den Status der Kopfeiben, verdeutlicht durch folgendes Kladogramm: Bilder Literatur Christopher J. Earle: Informationen zur Familie bei The Gymnosperm Database, 2009. (engl.) Matthew H. Hils: Taxaceae bei der Flora of North America, Volume 2: Online. Liguo Fu, Nan Li & Robert R. Mill: Taxaceae bei der Flora of China, Volume 4, S. 89: Online. Andreas Bresinsky, Ch. Körner, J. W. Kadereit, G. Neuhaus, U. Sonnewald: Strasburger – Lehrbuch der Botanik, 36. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008. ISBN 978-3-8274-1455-7, S. 840–841. Schütt (Hrsg.) et al.: Enzyklopädie der Holzgewächse. Handbuch und Atlas der Dendrologie, Landsberg am Lech 1994 (Grundwerk; ISBN 3-609-72030-1) / Ergänzungsfolgen 1995 ff Einzelnachweise Weblinks [ Eintrag bei Plants for a Future.] (engl.) Baum
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https://de.wikipedia.org/wiki/Taxus
Taxus
Taxus steht: für die Pflanzengattung Eiben lateinisch für Europäischer Dachs
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https://de.wikipedia.org/wiki/Emulator
Emulator
Als Emulator (von , „nachahmen“) wird in der Computertechnik ein System bezeichnet, das ein anderes in bestimmten Teilaspekten nachbildet. Das nachgebildete System erhält die gleichen Daten, führt vergleichbare Programme aus und erzielt die möglichst gleichen Ergebnisse in Bezug auf bestimmte Fragestellungen wie das zu emulierende System. Software-Emulatoren sind Programme, die einen Computer oder ein Betriebssystem nachbilden und es so ermöglichen, Software für diesen Computer auf einem anderen Computer mit einer anderen Architektur zu verwenden oder zu erstellen. So können z. B. Spiele für ältere Spielekonsolen auf einem PC oder einer neueren Spielekonsole ablaufen. Auch kann ein Softwareentwickler bei der Entwicklung eines Programmes für ein Gerät (z. B. ein Mobiltelefon) dieses im Emulator testen und korrigieren, ohne es jedes Mal auf das Gerät kopieren zu müssen. Ein Hardware-Emulator ist ein elektronisches Gerät, das ein System wie einen Drucker oder einen Prozessor (CPU) funktionell, elektrisch oder mechanisch (Gehäuse und Pins) nachbilden kann. Die Verbindung zur Prozessorbaugruppe wird mittels Sockel und passendem Stecker erstellt. Er wird auch als In-Circuit-Emulator (ICE) bezeichnet. Ein Terminalemulator ist eine Software, welche die Funktion eines Terminal (Dateneingabe/Bildschirmausgabe) nachbildet, so dass man z. B. von einem PC auf eine entsprechende Anwendung zugreifen kann. Emulatoren gehören zu den Interpretern. Geschichte der Emulation Im Jahre 1962 wurde erstmals ein (Prozessor-)Emulator eingesetzt. IBM arrangierte zahlreiche Tests in La Grande (Frankreich), um die Kompatibilität ihrer neuen Produkte zu den Vorgängern zu prüfen. Dazu nutzte man eine Kombination aus Hard- und Software, die vom IBM-Ingenieur Larry Moss als „Emulator“ bezeichnet wurde. 1965 schließlich wurde die System/360-Linie offiziell veröffentlicht. Sie umfasste auch den ersten Emulator – der „7070 Emulator“ erlaubt die Verwendung von Programmen für das ältere Modell IBM 7070. 1985 erschien der Atari ST mit einer für den Heimcomputermarkt neuen 68000-CPU und dem Betriebssystem Atari-TOS. Anfänglich gab es für diese Hardware noch wenig Anwendungs-Software. Der Übergang von der damals weit verbreiteten 8-Bit-Software unter CP/M zur neuen 16-Bit-Welt wurde von Atari durch den kostenlos mitgelieferten CP/M-Z80-Emulator erleichtert. Dieser reine Softwareemulator erzeugte auf der 68000-Hardware eine virtuelle, vollständige Z80-CPU sowie ein mit CP/M 2.2 kompatibles Betriebssystem. Dadurch war ein problemloser Betrieb populärer wie vorhandener Software möglich. MegaDrive war 1994 der erste veröffentlichte Videospielemulator, welcher die gleichnamige Konsole nachbildete. Dieser unterstützte nur rudimentär das Spiel Sonic the Hedgehog; Die Entwicklung kam zum Erliegen, nachdem der Programmierer den Quelltext verloren hatte. Im selben Jahr wurde von Chris George die initiale, aber funktionsunfähige Version von „VSMC“ veröffentlicht, womit erstmals das Super Nintendo Entertainment System emuliert wurde. Druckeremulation Die heute wohl in der EDV häufigsten Emulationen sind Drucker- oder Plotter-emulationen. Fast alle hochwertigen Laserdrucker emulieren zurzeit einen Hewlett-Packard-LaserJet Drucker (HP-PCL), aber auch Rasterdrucker werden emuliert. Häufig sind auch nach wie vor die Emulationen Epson ESC/P, IBM-Proprinter und andere. Terminalemulation Eine klassische Terminalemulation erlaubt die Interaktion mit textorientierten Programmen, die auf einem entfernten Rechner laufen, über eine externe Schnittstelle, meist eine serielle Leitung oder eine Modemverbindung. Heute hingegen sind Netzwerkverbindungen via TCP/IP die Regel. Terminalemulationen wurden programmiert, um das Verhalten eines „dummen“ Terminals, also eines einfachen Datensicht- und Eingabegerätes, nachzuahmen. Neben den textorientierten Terminalemulationen werden heute vermehrt Lösungen zur Remotebearbeitung mit graphischer Oberfläche (Citrix, MS-Remotedesktop, X-Terminal) eingesetzt. Durch diese graphischen Emulationen können beispielsweise Unix-Benutzer direkt von ihrem Arbeitsplatz aus Programme benutzen, die nur für Windows verfügbar sind (und umgekehrt). Auch die Administration erleichtert sich, da die wesentlichen Wartungs- und Installationsarbeiten nur an einem System, dem Terminal-Server, erfolgen. Virtuelle Maschine Eine virtuelle Maschine (kurz: VM) wird oft fälschlicherweise ebenfalls als Emulator bezeichnet. Diese Spezialsoftware erzeugt auf einem Gastgeberrechner eine Laufzeitumgebung, die eigentliche virtuelle Maschine, die die Hardwareschnittstellen des Rechners (oder eines ähnlichen Rechners) abbildet. Ein Gastbetriebssystem läuft – wie üblich – auf der CPU des Gastgeberrechners, jedoch werden alle Zugriffe auf die Ein- und Ausgabehardware auf Softwareschnittstellen des Gastgeberbetriebssystems umgeleitet. Dadurch ist es möglich, unter dem vorhandenen Betriebssystem ein weiteres in einem Fenster auszuführen. Bei professionellen Anwendungen laufen unter einem Hypervisor, einer speziellen Form der VM, gar parallel mehrere Gastbetriebssysteme auf nur einer vorhandenen Hardware; faktisch wird dabei also ein einzelner Rechner in mehrere unterteilt. Beispiele Mac-on-Linux, das unter Linux-Systemen auf PowerPC-Rechnern Mac OS „Classic“ und Mac OS X/PowerPC virtualisieren konnte; Parallels Desktop for Mac, das das Ausführen von z. B. Windows und Linux unter macOS erlaubt. Einzelne Windows-Anwendungen (genauer: deren Fenster) können sich dabei losgelöst vom virtuellen Windows-Bildschirm „nahtlos“ wie Anwendungen für OS X verhalten; Parallels Workstation, proprietäre Virtualisierung; VMware Workstation, proprietäre Virtualisierung; VirtualBox, kostenlose Virtualisierung, sehr beliebt in privaten und semi-professionellen Bereichen; Virtual PC (Entwicklung eingestellt), Virtualisierung auf einem Windows- oder OS/2-System; (auf PowerPC-Macintosh-Rechnern hingegen eine x86-Emulation); Hyper-V, Nachfolger von Windows Virtual PC; Kompatibilitätsschicht Streng genommen ebenfalls vom Emulator zu unterscheiden ist die „Kompatibilitätsschicht“, die nicht versucht, ein ganzes System zu emulieren, sondern sich auf die Emulation von Softwareschnittstellen beschränkt. Ein bekanntes Beispiel ist Wine, das unter Unix-artigen Betriebssystemen eine Vielzahl der Softwareschnittstellen von Windows bereitstellt, so dass etliche Windows-Programme unter dem eigentlich fremden Betriebssystem lauffähig werden. Ein weiteres Beispiel sind transparente (vom Benutzer nicht wahrgenommene) in das Betriebssystem integrierte Emulatoren. Beispiele dafür sind das bei Windows NT 4.0 auf der Alpha-Architektur integrierte FX!32, das für eine transparente Emulation von x86-Software verwendet wurde, oder klassisches Mac OS, das eine transparente Emulation von m68k-Maschinencode bot, oder macOS (ursprünglich „Mac OS X“), das nach einem Architekturwechsel (von PowerPC zu x86 2005 bzw. von x86 zu Arm 2021) mit Rosetta in bestimmten Versionen ebenfalls eine transparente Emulation als Kompatibilitätsschicht integriert hat. Siehe auch: Laufzeitumgebung und Programmierschnittstelle Anwendungsbereiche Emulatoren werden für verschiedene Zwecke eingesetzt: Investitionsschutz: Software, die für ältere Systeme entwickelt worden ist, kann auf modernen Systemen weiter laufen. Beispiel: auf einem Linux-/Apple-/Amiga-Rechner wird mittels Bochs, QEMU, VMware bzw. Virtual PC ein PC emuliert, auf dem Windows installiert werden kann. Die meiste bisher gekaufte Windows-Software kann weiter eingesetzt werden. Das Open-Source-Projekt Wine dagegen emuliert nur die Schnittstellen des Windows-Betriebssystems zur Anwendung. Beispiel Server von Digital Equipment Corporation: Wegen der hohen Anschaffungskosten sind PDP-11-, VAX-AlphaServer von DEC inklusive des Betriebssystems OpenVMS oft schon seit über zwanzig Jahren im Einsatz. Bei Emulatoren wie Charon kann das Betriebssystem und die dazugehörigen Applikationen unverändert beibehalten werden, während die Emulatoren selbst auf Standardservern installiert werden. Softwareentwicklung: Es ist möglich, Software für andere Systeme zu entwickeln und zu testen. Beispiel: Programme, die für Palm OS auf einem PC entwickelt werden, können mit einem Palm-Emulator getestet werden. Es ist möglich, ein Betriebssystem zu testen. Beispiel: Der Emulator „Bochs“ bietet eine Debug-Schnittstelle an. Hiermit kann man prüfen (oder für Lehrzwecke beobachten), wie/ob etwas funktioniert. Es ist möglich die Funktionsweise komprimierter oder partiell verschlüsselter Software zu ermitteln. Beispiel: Zwecks Identifizierung unbekannter oder gepackter Malware kann diese in einer Testumgebung auf ihre Funktionsweise untersucht werden. Es kann festgestellt werden, ob es sich um bereits bekannte Malware in verschlüsselter oder gepackter Form handelt. Dies ist in einigen Antivirenprogrammen wie Comodo Internet Security umgesetzt. Ausbildung: Ein Emulator erlaubt es, sich in Systeme einzuarbeiten, deren Anschaffung sonst sehr aufwändig wäre. Beispiel: Mit dem Hercules-Emulator wird auf einem PC ein S/370 emuliert, auf dem ein komplettes MVS installiert wird. Zur Langzeitarchivierung digitaler Objekte stellt die Emulation eine Alternative zur Migration bzw. Konvertierung dar (siehe auch Elektronische Archivierung). Freizeit/Hobby: Konsolenspiele können dank geeigneter Emulatoren wie z. B. MESS oder Dolphin unter diversen Betriebssystemen auf aktueller Hardware laufen, darunter neben alten Konsolenspielen aus den frühen achtziger Jahren auch Spiele für neuere Konsolen. Soundemulatoren wie ASAP oder UADE erlauben zudem die Ausgabe der Musik von Computerspielen. Ergonomie: Software, die normalerweise nur auf Systemen mit unergonomischen Ein-/Ausgabegeräten läuft (LC-Displays), kann auf Systemen mit komfortablen Bildschirmen laufen. Beispiel: Die Bildwiedergabe bei Game-Boy-Emulatoren auf einem PC ist besser als bei einem realen Game Boy. Die MOSC-Szene setzt Emulatoren ein, um an Pay-TV-Angebote kostenlos und illegal zu gelangen. Diese machen meist einen Dump des Original-ROMs der Smartcard und implementieren dieses in einen Emulator für diverse Systeme wie zum Beispiel PCMCIA PC-Card, DVB-Receiver, DVB-S TV am PC. Der ehemalige Fernsehsender Premiere hatte seinerzeit mit Emulatoren zu kämpfen, da diese genau so funktionieren wie eine Original-Abo-SmartCard des Pay-TV-Senders. Des Weiteren sind nicht nur die verschlüsselten Schlüssel der SmartCard in diesen sog. EMUs enthalten, sondern auch diverse Verschlüsselungsalgorithmen wie z. B. Betacrypt I+II, alle Ableger des Systems Nagravision, Seca Mediaguard, Viaccess etc. Siehe auch: Simulation, Bochs, DOSBox, MESS, PearPC, QEMU Hardware-Emulatoren Hardware-Emulatoren ermöglichen das Entwickeln von maschinennaher Software, da keine Emulations-Software der in Entwicklung befindlichen Software das Zielsystem „vorgaukelt“, sondern in der Regel eine besondere Hardware ermöglicht, dass die Software in einer „echten“ Umgebung läuft. Die Emulations-Hardware bietet zumeist Möglichkeiten, die Software anzuhalten, Haltebedingungen zu setzen etc. ohne das Laufzeitverhalten der Software zu verändern. Die meisten Möglichkeiten bietet in der Regel ein In-Circuit-Emulator, bei dem ein besonders ausgerüsteter Mikroprozessor in der echten Zielhardware zur Softwareentwicklung genutzt wird. HP Terminal Memorex Telex Terminal JANUS (Atari-Hardwareemulator für den PC von 1995) Siemens DS078, VDU2000, DISIT, DS075 Terminals Virtuelles Laufwerk Floppy Drive Emulator Bekannte Software-Emulatoren Emulation von x86-Plattformen Bochs DOSBox DOSEMU QEMU TeemTalk von Hewlett-Packard (früher Pericom) Virtual PC von Connectix bzw. Microsoft (emuliert eine x86-Plattform auf Macintosh-Systemen) Win4Lin von Netraverse Emulation von PowerPC-Plattformen PearPC emuliert PowerPC-G3- und G4-Plattformen, hauptsächlich für den Einsatz einiger älterer Versionen von Mac OS X/PPC SheepShaver emuliert G3- oder G4-PowerPC-Macs für den Einsatz von klassischem Mac OS bis 9.0.4 GXemul emuliert PowerPC, ARM, MIPS, M88K, und SuperH für den Einsatz unixoider Gastbetriebsysteme Emulation von 68k-Plattformen Basilisk II emuliert einen Macintosh-Computer mit Motorola-68000-Prozessor, hauptsächlich für den Einsatz älterer 68k-Versionen von Mac OS und System. UAE emuliert Commodore-Amiga-Systeme (Motorola 68k-Prozessoren und Custom-Chips) Emulation anderer Plattformen Hercules, ein Emulator für verschiedene IBM Mainframes, wie das System/360,370/390. MAME emuliert verschiedene Arcade-Automaten MESS emuliert verschiedene Spielkonsolen und Heimcomputer-Modelle SIMH emuliert verschiedene Minirechner und Großrechner CPMZ80 bildet auf den Atari-ST-Computern eine Z80-CPU sowie ein CP/M 2.2 Betriebssystem nach epsxe bildet die Hardware-Umgebung der PlayStation 1 auf x86-Systemen ab Zwitter-Systeme, die emulieren und virtualisieren VMware Server, Microsoft Virtual Server und Virtual PC (die Version für Windows- und OS/2-Systeme) sind alles gemischte Systeme, bei denen im Wesentlichen nur der Prozessor virtualisiert wird. Der Rest der PC-Plattform, wie z. B. Netzwerkkarte, BIOS usw. hingegen wird emuliert. Unabhängig von der real installierten Hardware (z. B. NE2000) kann z. B. beim VMWare Server entweder eine 100BaseTX-PCI-Netzwerkkarte von AMD, alternativ eine 1000BaseTX-(Gigabit)-PCI-Netzwerkkarte von Intel oder eine virtuelle Karte mit VMWare-eigenen Treibern emuliert werden. Als BIOS wird immer eine Phoenix-Variante emuliert. Die von Virtual PC emulierte LAN-Karte basiert, ebenfalls unabhängig vom Chipsatz der Karte des Virtual-PC-Hosts, immer auf einem DEC/Intel-21*4*-(TULIP)-Chip. Genauso basiert die Soundkarte immer auf einem Sound Blaster 16. Oft dafür gehalten, jedoch keine Emulatoren Folgende Software – überwiegend Virtualisierungslösungen – wird fälschlicherweise oft für Emulations-Software gehalten: VMware ESX Server zählt nicht zu den Emulatoren, da es sich hierbei um Virtualisierung, nicht Emulation, von Systemen handelt und weder Soft- noch Hardware emuliert wird. Vielmehr wird die Hardware virtualisiert Wine (WINE Is Not an Emulator) – kein Emulator, da lediglich API-Funktionen emuliert werden (der Code als solches jedoch direkt ausgeführt wird) CrossOver – siehe WINE Cedega – siehe WINE LINE – wie WINE kein Emulator Xen – ist wie auch der VMware ESX Server ein Hypervisor und somit ein Virtualisierer E/OS Mac-on-Linux virtualisiert PowerPC-Versionen von klassischem Mac OS und Mac OS X auf einem Computer mit ebenfalls einem PowerPC-Prozessor unter Linux ShapeShifter virtualisiert klassisches Mac OS bis 8.1 auf einem Amiga mit 68k-Prozessor (ab Amiga 1200) Plex86 SCO UNIX – ein Betriebssystem ScummVM – welches lediglich eine Art Interpreter für verschiedene, von Adventure-Spielen verwendete Skriptsprachen ist. Hyper-V – siehe Xen Systeme und Vorteile der Emulation Emulatoren existieren für fast jedes System. Beliebt sind Emulatoren für Heimcomputer, wie zum Beispiel der VICE für den Commodore 64 oder der UAE für den Amiga. Es existieren jedoch auch weitere unzählige Emulatoren für Computer, Handhelds, Arcade-Automaten und Spielkonsolen, siehe auch MESS. In letzter Zeit spielen Emulatoren auch in der Freeware-Szene eine bedeutende Rolle. So bietet etwa der Game Boy Advance durch seine relativ einfache Programmierbarkeit die Möglichkeit, Spiele und Anwendungen zu entwickeln, die dann auch auf einem Emulator genutzt werden können. Für den Nutzer, der Emulatoren z. B. zum Ausführen von alten, kommerziellen Computerspielen einsetzt, ist problematisch, dass diese auch dann noch unter dem Schutze des Urheberrechts stehen, wenn es sie seit mehreren Jahren nicht mehr zu kaufen gibt. Gegenüber der echten, ursprünglichen Hardware besitzen Spielkonsolen-Emulatoren einige Vorteile. Dazu zählen die exzellente Bildqualität, der digital verarbeitete und somit verlustlos aufnehmbare Ton. Weitere, die Benutzerfreundlichkeit der eigentlichen Systeme erweiternde Aspekte sind z. B. das Verbessern der Videoausgabe (z. B. Weichzeichnen und Filtern von Grafiken bei Konsolen wie Super Nintendo oder PlayStation, obwohl diese Systeme niemals diese Techniken unterstützten, geschweige denn berechnen könnten) oder das Verwenden von Savestates zum schnellen Speichern und Laden von Spielständen – jederzeit während der Laufzeit des Spieles. Nachteile der Software-Emulation Der größte Nachteil der Software-Emulation ist, dass sie eine hohe Rechenlast auf dem emulierenden System erzeugen. So können, selbst auf modernen Rechnern, zum Beispiel alte Spieleklassiker teilweise nicht flüssig laufen. Die Software-Entwicklung für solche Emulationen ist sehr aufwendig. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass Spiele ohne Frame-Limiter zu schnell ablaufen können, wenn die Systemleistung ausreicht, das Spiel mit deutlich mehr Bildern pro Sekunde darzustellen als ursprünglich vorgesehen. Die meisten Emulatoren bieten jedoch die Möglichkeit, die emulierte Rechenleistung zu begrenzen. Software ROMs Software älterer Computersysteme, besonders der Spielekonsolen oder Spielautomaten, ist häufig nur in Form von ROM-Bausteinen verfügbar. Da sich ROMs relativ einfach auslesen lassen, arbeiten Emulatoren in der Regel problemlos mit sogenannten ROM-Dateien (oder auch ROM Images), die in verschiedenen Dateiformaten vorliegen. Ein Hindernis bei der freien Verwertung und Verteilung ist allerdings, dass ROM-Inhalte in der Regel urheberrechtlich geschützt sind und manche sogar noch kommerziell genutzt werden. Manche Emulatoren können auch komprimierte Dateien (z. B. im Zip-Format) lesen, die mehrere Dateien enthalten können. ROM-Dateien haben an sich keine festgelegte Dateinamenserweiterung. Für populäre Systeme werden häufig Bezeichnungen verwendet, die auf das zugehörige System hinweisen, beispielsweise: .bin – allgemeine Bezeichnung für eine ausgelesene Binärdatei .a26, .a78 – Atari 2600, Atari 7800 .crt – Commodore 64 Cartridge Image .gb, .gbc, .gba – Game Boy, Game Boy Color und Game Boy Advance .n64, .z64 – Nintendo 64 (beide Formate unterscheiden sich durch die verwendete Byte-Reihenfolge) .nds – Nintendo DS .nes – Nintendo Entertainment System .sfc, .smc – Super Nintendo Entertainment System .smd – Sega Mega Drive .sms – Sega Master System Images von Datenträgern Ähnlich verhält es sich mit Kopien von Software, die auf Bändern, Disketten oder optischen Datenträgern ausgeliefert wurden. Auch hier sind Tape Images bzw. Disk Images für die Benutzung mit einem Emulator verbreitet. .adf, .adz, .dms, .dmz – Amiga Disk Files (.adf auch für Acorn Disc File) .d64 – C64 Disk Image einer Floppy 1541 – 5,25″ einseitig – ~170 kB, weitere Disk-Formate existieren .p00, .s00, .u00, .r00 – C64 Dateityp (PRG für Programme, SEQ für sequentielle Dateien, USR (User-Dateien) und REL für Dateien mit relativem (=wahlfreiem) Zugriff) .msa – Atari ST Disk Image .sid – C64 Musikstück im SID-Format .t64 – C64 Containerformat eines erweiterbaren Tape Images .tap – C64 konvertiertes Original Tape File einer Datasette (8–16x größer als PRG) .iso – CD/DVD-Image, wird von verschiedenen Emulatoren verwendet .img, .dsk – Speicherabbilder verschiedener Speichermedien .vfd – Diskettenabbild von 3,5″-Disketten Manche Emulatoren (zum Beispiel M.E.S.S.) können auch echte Töne von Cassetten als wav-Datei einlesen. Siehe auch Binäremulation Kompatibilität (Technik) Homebrew Literatur Hansjürg Wüthrich: Emulatoren – Wie Computersysteme und Spielkonsolen unsterblich werden. Skriptorium-Verlag, 2007, ISBN 3-938199-08-3. Weblinks Nintendo über ROMs und Emulatoren (englisch) The Emulator Zone – Übersicht über Emulatoren für viele Konsolen (englisch) AEP Emulation Page – News, Forum und Datenbank für Emulatoren (deutsch) Emu-Download-Center – Große Sammlung von Emulatoren Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/Endokrinologie
Endokrinologie
Die Endokrinologie (von , ‚innen‘, , ‚abscheiden, absondern‘, und -logie) ist die „Lehre von der Morphologie und Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion (endokrinen Drüsen) und der Hormone“. Die Lehre von der inneren Sekretion wurde bereits von Georg Ernst Stahl gefördert. Als Vorläufer der experimentellen Begründung der Lehre von der inneren Sekretion gelten die 1849 publizierten Versuche von Arnold Adolf Berthold an kastrierten Hähnen mit Wiedereinpflanzung der Keimdrüse. Der Begriff „innere Sekretion“ wurde 1855 von Claude Bernard geprägt. Der Begriff „Endokrinologie“ wurde 1909 von Nicola Pende (1880–1970) erstmals benutzt. Endokrin heißen Hormondrüsen, die ihr Produkt nach innen, direkt ins Blut abgeben und im Gegensatz zu exokrinen Drüsen (z. B. Speichel-, Talgdrüsen) keinen Ausführungsgang haben. Bedeutende Fortschritte auf dem Gebiet der inneren Sekretion machten um 1880 bis 1890 unter anderem Theodor Kocher, Moritz Schiff und Anton von Eiselsberg, insbesondere durch die Untersuchung der Ausfallserscheinungen nach Entfernung der Schilddrüse oder anderer Blutdrüsen. Um 1894 begannen die Versuche von Eugen Steinach zur Funktion und inneren Sekretion der Keimdrüsen. Die medizinische Endokrinologie ist ein Teilgebiet der Inneren Medizin. Endokrinopathien Die Endokrinologie beschäftigt sich unter anderem mit folgenden Krankheiten, sogenannten Endokrinopathien: Panhypopituitarismus Schilddrüsenerkrankungen Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) Diabetes insipidus (Wasserruhr) Conn-Syndrom (Überproduktion an Aldosteron) Cushing-Syndrom (Überproduktion an Cortisol) Morbus Addison (Mangel an Nebennierenrindenhormonen) Adrenogenitales Syndrom (Vermännlichung der primären Geschlechtsmerkmale bei Frauen) Hyperandrogenämie (Überschuss männlicher Hormone) Akromegalie (übermäßig große (End-)Gliedmaßen und Riesenwuchs) Kleinwuchs (auf Grund von Wachstumshormonmangel) Unterzuckerung z. B. bei Insulinom Nebenschilddrüsenerkrankungen Phäochromozytom Karzinoid (bösartiger Tumor) Überschuss oder Mangel an Sexualhormonen (zum Beispiel Testosteronmangel, Verweiblichung, Hirsutismus, Virilismus, Inter- und Transgeschlechtlichkeit) Siehe auch Endokrine Chirurgie Liste der endokrinen, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten nach ICD-10 Psychoneuroendokrinologie Stoffwechsel Geschlechtsangleichende Maßnahme Fraternaler Geburtsreihenfolge-Effekt Literatur Dankwart Reinwein, Georg Benker, Friedrich Jockenhövel: Checkliste Endokrinologie und Stoffwechsel. 4. Aufl., Thieme, Stuttgart/New York 2000, ISBN 3-13-627004-5 Rudolf Schweitzer: Endokrinologie mit Stoffwechsel, Urban & Fischer Verlag, 3. Aufl., München 2018, ISBN 978-3-437-58052-9 Malte H. Stoffregen: Endokrinologie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 353 f. Weblinks Endotext.org – Freies Online-Lehrbuch der Endokrinologie http://www.endokrinologen.de/stoffwechselkrankheiten.php – Glossar mit Begriffen aus dem Bereich der Endokrinologie Übersicht und Erläuterung der wichtigsten Hormone bei Männern und Frauen Einzelnachweise Medizinisches Fachgebiet
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https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ische%20Eibe
Europäische Eibe
Die Europäische Eibe (Taxus baccata), auch Gemeine Eibe oder nur Eibe genannt, früher auch Bogenbaum, Eue, Eve, Ibe, If, Ifen, ist die einzige europäische Art in der Pflanzengattung der Eiben (Taxus). Sie ist die älteste (Tertiärrelikt) und schattenverträglichste Baumart Europas. Sie kann ein sehr hohes Alter erreichen. Bis auf den bei Reife durch Karotinoide lebhaft rot gefärbten Samenmantel, den Arillus, der becherartig den Samen umgibt, und den Eibenpollen, sind alle Pflanzenteile der Europäischen Eibe stark giftig. Sie war im Jahre 1994 Baum des Jahres sowie Giftpflanze des Jahres 2011. In Österreich war sie im Jahr 2013 Baum des Jahres. Oft wird der historische Rückgang der Eibe in Zusammenhang mit der Ausbreitung der Buche (Fagus) vor ca. 2000 Jahren in Verbindung gebracht. Allerdings kann die starke Ausbreitung der Buche nicht allein für das Verschwinden der Eibe verantwortlich sein, da man die Eibe oft auch in Buchenwäldern antrifft, wo sie im Unterstand der Buche wächst. Möglicherweise hat die Buche ihren Teil zum Verschwinden der Eibe beigetragen, ihre Gefährdung jedoch war in einer jahrhundertelangen Übernutzung durch den Menschen begründet. Das Holz der Eibe wurde seit jeher vom Menschen geschätzt, da es eine außergewöhnliche Härte und Zähigkeit aufweist. Dementsprechend reicht seine Nutzung weit zurück. Den ältesten Nachweis für die Verwendung von Eibenholz als Werkzeug bildet die Lanzenspitze von Clacton-on-Sea aus der Holsteinwarmzeit vor etwa 300.000 Jahren. Aus der Eem-Warmzeit vor etwa 130.000 Jahren stammt die Lanze von Lehringen. Auch der berühmte „Ötzi“, die Gletschermumie, die 1991 in den Ötztaler Alpen gefunden wurde und vor 5200 Jahren lebte, trug einen Bogenstab von ca. 1,80 Meter Länge aus Eibenholz bei sich. Der Stiel seines Kupferbeiles war ebenfalls aus Eibenholz. Während die Nutzung der Eiben in der Forstwirtschaft heute keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat, werden die schnittverträglichen Eiben seit der Renaissance häufig in der Gartengestaltung eingesetzt. Sie wurden und werden vor allem als immergrüne, geschnittene Hecken gepflanzt. Beschreibung Erscheinungsbild Die immergrüne Europäische Eibe ist in ihrer Gestalt eine sehr variable Art, die je nach Standortbedingungen als Baum oder Strauch wächst. An extremen Standorten wie etwa im Hochgebirge oder in Felswänden wächst sie sogar als Kriechstrauch. Mit zunehmendem Alter verändert sich das Aussehen der Eibe. Junge Eiben besitzen meist schlanke Stämme mit einer regelmäßigen Beastung. Die Krone ist bei jungen Bäumen breit kegelförmig und entwickelt sich mit zunehmendem Alter des Baumes zu einer runden, eiförmigen oder kugeligen Form. Oft sind freistehende Eiben bis an den Boden beastet. Auch sind ältere Exemplare nicht selten mehrgipfelig und mehrstämmig. Ein Informationsschild im Frankfurter Stadtwald beschreibt: „Auffallend durch ihr spannrückiges Erscheinungsbild, es beruht auf dem Zusammenwachsen verschiedener Triebe. Aus der Ferne sieht sie wüst und unregelmäßig aus.“ Charakteristisch und auffällig ist die dünne grau- bis rotbraune Schuppenborke der Eibenstämme. Anfangs tragen die Stämme junger Eiben eine rötlichbraune glatte Rinde, die später zu einer graubraunen, sich in Schuppen ablösenden Borke wird. In Mitteleuropa erreichen nur sehr wenige Bäume Wuchshöhen über 15 Meter. Im Norden der Türkei wachsen allerdings monumentale Eiben, die Wuchshöhen von 20 Meter erreichen, und in den Mischwäldern des Kaukasus gibt es vereinzelt Eiben, die eine Wuchshöhe bis 32 Meter haben. Junge Eiben weisen in der Regel einen Stamm mit einer deutlichen Hauptachse auf, während geschlechtsreife Eiben häufig mehrstämmig sind. In der Jugend wächst die Eibe extrem langsam. Bei ungünstigen Bedingungen verharrt sie in einer Höhe von 10 bis 50 Zentimetern und bildet eine Kleinkrone. Bei günstigsten Bedingungen dauert es mindestens 10–20 Jahre, bis sie aus dem Äser des Rehwildes herausgewachsen ist. Danach wächst sie bei guten Bedingungen bis zu 20 Zentimeter jährlich. Ab einem Alter von ca. 90 Jahren kulminiert das Höhenwachstum der Eibe. Dagegen hören Dicken- und Kronenwachstum nie auf. So sind Stammdurchmesser von über einem Meter möglich. Auf Grund ihres hohen vegetativen Reproduktionsvermögens sind Wurzelschösslinge, Triebstämmlinge und die Bewurzelung von Ästen, die den Boden berühren, für die Europäische Eibe charakteristisch. Durch die Verwachsung einzelner Stämme können bis zu 1 Meter dicke Komplexstämme entstehen. Ab einem Alter von etwa 250 Jahren setzt bei Eiben häufig eine Kernfäule im Stammesinneren ein, die im Laufe von Jahrhunderten zu einer fast vollständigen Aushöhlung des Baumes führen kann. Die Kernfäule macht eine genaue Altersbestimmung von alten Eiben fast unmöglich, da im Stammesinneren keine Jahresringe mehr vorhanden sind, an denen das Alter eines Baumes abgelesen werden könnte. Das Alter wird daher meistens geschätzt. Charakteristisch für die Altersphase von Europäischen Eiben ist, dass der Baum trotz des ausgehöhlten Stammes zunächst eine vollentwickelte Baumkrone aufweist, bis der ausgehöhlte Stamm das Kronengewicht nicht mehr tragen kann und Teile des Baumes wegbrechen. Es verbleiben dann kreis- oder halbkreisförmig stehende Stammfragmente, die unter günstigen Umständen durch neue Triebe aus dem Baumstumpf oder dem Wurzelsystem ergänzt werden. Alte Eiben haben zwei Strategien zur Verfügung, durch die sie einen von innen heraus wegfaulenden Stamm ersetzen können: Im hohlen Stammesinneren bilden sie gelegentlich Innenwurzeln aus, die sich zu einem neuen Stamm entwickeln können. Alternativ können stammbürtige Triebe außen am Primärstamm senkrecht emporwachsen, so dass sehr alte Eiben gelegentlich nur noch aus einem solchen Kranz stark verdickter und miteinander verwachsener Triebstämme bestehen. Die Nadeln Die weichen und biegsamen Eibennadeln haben eine linealische Form, die mitunter leicht sichelförmig gebogen ist. Sie stehen an den Leittrieben spiralförmig, während sie an den Seitenzweigen zweizeilig angeordnet sind. Eibennadeln sind zwischen 1,5 und 3,5 Zentimeter lang und zwischen 2 und 2,5 Millimeter breit und erreichen ein Alter von drei bis acht Jahren, bis der Baum sie abwirft. Eibennadeln werden auch als dorsiventral bezeichnet, was bedeutet, dass sie eine deutlich unterscheidbare Ober- und Unterseite haben. Auf ihrer Oberseite sind sie glänzend dunkelgrün und haben einen erhobenen Mittelnerv, der zur Spitze hin ausläuft. An der Unterseite sind sie dagegen hell- oder olivgrün gefärbt. Während Eibennadeln auf der Oberseite keine Spaltöffnung aufweisen, befinden sich an der Unterseite zwei undeutliche, blassgrüne Stomabänder. Eibennadeln besitzen mehrere auffällige Charakteristika. Sie haben keine durch Sklerenchym mechanisch verstärkte Unterhaut (Hypodermis) und es fehlen Harzkanäle. Das Wurzelsystem Europäische Eiben haben ein sehr weitläufiges, tiefreichendes und dichtes Wurzelsystem. Die Entwicklung dieses Wurzelsystems hat dabei beim Heranwachsen des Baumes Priorität vor dem Dicken- und Höhenwachstum. Europäische Eiben vermögen dabei auch in stark verdichtete Böden vorzudringen. Das im Vergleich mit anderen Baumarten stark entwickelte Wurzelsystem ermöglicht auch die hohe Regenerationsfähigkeit des Baumes, bei der selbst nach einem kompletten Stammverlust noch Wurzelschösslinge nachwachsen. Mit ihrem vielfältigen und flexiblen Wurzelsystem ist die Eibe unempfindlich gegen Wechselfeuchte, zeitweilige Vernässung und Luftarmut im Boden. Dies zeigt ihre hohe individuelle Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Standorte und Lebensbedingungen. In Felsregionen ist die Europäische Eibe in der Lage, mit ihren Wurzeln in wasserführende Senken und Klüfte einzudringen, während sie sich an nackte Felsen klammert. Die Eibe ist in Symbiose mit Arbuskulären Mykorrhiza-Pilzen (Glomeromycota), daher gehören Eiben zu den wenigen Waldbäumen, deren Wurzeln keine Symbiose mit Ektomykorrhiza-Pilzen eingehen, also solche, die typische Fruchtkörper ausbilden. Zapfen, Samen und Vermehrung Unter optimalen Standortbedingungen tragen Eiben das erste Mal weibliche Zapfen, wenn sie ein Lebensalter von 15 bis 30 Jahren erreicht haben. Unter weniger guten Standortbedingungen kann sich die Geschlechtsreife deutlich hinauszögern. In dichten Baumbeständen stehende Eiben, die kein ausreichendes Licht erhalten, erreichen ihre Geschlechtsreife mitunter erst mit 70 bis 120 Jahren. Die Anlage der Zapfen erfolgt bereits im Spätsommer. Die Blütezeit liegt im Spätwinter oder im frühen Frühjahr des nächsten Jahres, im Normalfall zwischen Februar und März, in kälteren Regionen erst zwischen April und Mai. Die Europäische Eibe ist normalerweise zweihäusig (diözisch): männliche und weibliche Zapfen befinden sich auf unterschiedlichen Bäumen. Ausnahmefälle sind einhäusige (monözische) Exemplare, bei denen sich Zapfen beider Geschlechter an einem Baum befinden. Meist weist nur ein einzelner Ast Blüten mit einem anderen Geschlecht auf. Die zahlreichen männlichen Zapfen stehen an 1 bis 2 mm langen, blattachselständigen Trieben. Sie haben eine kugelige Form mit einem Durchmesser von etwa 4 mm und enthalten 6 bis 14 schildförmige Staubblätter, die jeweils 6 bis 8 gelbliche Pollensäcke tragen. Wenn sich die Pollensäcke durch Wärme öffnen, werden die Pollenkörner bereits durch geringe Windbewegungen fortgetragen. Obwohl die Pollenkörner der Europäischen Eibe keine Luftsäcke aufweisen, ist wegen ihres geringen Gewichtes ihre Sinkgeschwindigkeit mit 1,6 cm pro Sekunde so gering, dass sie durch Luftbewegungen sehr weit fortgetragen werden können. Die frühe Blütenzeit, die in einen Zeitraum fällt, in dem Laubbäume in der Regel noch keine Blätter tragen, stellt sicher, dass dieser Pollenflug weitgehend ungehindert stattfinden kann, selbst wenn die jeweilige Eibe von Laubbäumen überdacht ist. Die weiblichen Zapfen sind nur 1 bis 1,5 mm groß, stehen jeweils als Kurztriebe in den Blattachseln jüngerer Zweige und sind auf Grund ihrer grünlichen Farbe unscheinbar. Sie bestehen aus sich überlappenden Schuppen, von denen nur die oberste fruchtbar ist und nur eine Samenanlage trägt. Zur Blütezeit bildet sich an der Spitze des umhüllenden Deckblattes ein Bestäubungstropfen aus. Dieser nimmt die anfliegenden Pollenkörner auf und bringt, wenn er verdunstet ist, die Pollenkörner an den Nucellus, sodass die Zapfen bestäubt werden. An der Basis der Samenanlage findet sich ein ringförmiger Wulst, der sich bei befruchteten Blüten zu einem fleischigen, schleimigen Samenmantel, dem Arillus, auswächst. Dieser umgibt den Samen becherförmig, seine Farbe wandelt sich mit zunehmender Reife von Grün zu einem auffallenden Rot. Aufgrund des Arillus wird der Eibensamen oft fälschlicherweise als Frucht oder sogar Beere bezeichnet. Dies ist botanisch nicht korrekt, da es bei den Nacktsamigen Pflanzen keinen Fruchtknoten gibt, der zur Fruchtentwicklung erforderlich wäre. Der rote Samenmantel ist essbar und ungiftig, nur die Samen sind giftig. Die Blütenknospen werden im Laufe der zweiten Sommerhälfte ausgebildet. Der bläulich-braune und eiförmige Samen ist 6 bis 7 mm lang und 3 bis 5 mm breit. Das Gewicht des Samens liegt zwischen 43 und 77 mg. Die Ausbildung des Samenmantels haben Europäische Eiben mit den anderen Arten aus der Familie der Eibengewächse gemeinsam. Die Samen reifen von August bis Oktober und keimen erst im zweiten Frühjahr. Die Samenverbreitung erfolgt durch Vögel, die vom süßen Arillus angelockt werden. Der Arillus wird verdaut und der Samen passiert unbeschadet den Verdauungstrakt. Auf diese Weise sorgen Vögel für die Ausbreitung der Eibensamen. Für die generative Vermehrung durch Aussaat werden die Samen gesammelt, sobald sich der Arillus rot und der Samen braun verfärben. Der Samenmantel wird mit einem Wasserstrahl entfernt und die Samen dann bis zum nächsten Herbst gelagert. Der Keimerfolg ist größer 50 %, wenn die Samen vor der Aussaat stratifiziert werden, das heißt einer mehrmonatigen Wärme- und Kältebehandlung, die den Wechsel der Jahreszeiten nachahmt, unterzogen werden. Die Chromosomenzahl der Art ist 2n = 24. Systematik Die Taxaceae (Eibenartige) werden den Gymnospermen (Nacktsamern) und innerhalb dieser den Koniferen (Nadelbäumen) zugeordnet. Interessant ist das Fehlen der für diese Gruppe typischen Zapfen bei den Eiben; der fleischige Arillus (fälschlich umgangssprachlich „Beere“) entsteht aus dem Stiel der Samenanlage. Zur Familie der Eibengewächse gehören insgesamt fünf Gattungen (Amentotaxus, Austrotaxus, Pseudotaxus, Torreya, Taxus), die alle Samen mit einem Arillus bilden. Die Gattung Taxus gilt als taxonomisch schwierige Gruppe, die verschiedenen Arten besitzen meist aneinandergrenzende, aber nicht überlappende Areale (parapatrische Verbreitung), sind aber morphologisch nur schwierig auseinanderzuhalten. Dies gilt insbesondere für die Vorkommen im Himalaya und China. Hier wurden von verschiedenen Taxonomen schon zwischen 2 und 24 Arten unterschieden. Durch neuere Untersuchungen wurde klar, dass die von früheren Botanikern angegebenen Vorkommen von Taxus baccata im West-Himalaya nicht dieser Art zugehören, sondern eine eigene Art bilden, Taxus contorta (syn. Taxus fuana Nan Li & R.R.Mill) Diese bildet, nach molekularen Daten (Vergleich homologer DNA-Sequenzen) die Schwesterart von Taxus baccata. Den genetischen Daten zufolge ist die Europäische Eibe, trotz des großen Verbreitungsgebiets, eine monophyletische Einheit und die einzige in Europa heimische Art. Verbreitung Das Vorkommen von Taxus baccata L. beschränkt sich nicht auf Europa, ihr Verbreitungsgebiet reicht von den Azoren, dem Atlasgebirge in Nordwestafrika über Europa, Kleinasien bis in den Kaukasus und den Nordiran. Im Norden verläuft die Verbreitungsgrenze von den Britischen Inseln über Norwegen bis nach Schweden und Finnland. Die östliche Verbreitung reicht von Lettland, entlang der russisch-polnischen Grenze, bis zu den östlichen Karpaten und endet im Norden der Türkei. Im Süden verläuft die Verbreitungsgrenze südlich von Spanien, über Teile Marokkos und Algeriens, bis zur Südtürkei und von dort bis ins Landesinnere des Nordirans. In Europa ist das Verbreitungsgebiet nicht zusammenhängend, sondern zerfällt in mehrere Teilareale und ist stark zerrissen. Oft kommt die Eibe nur noch in kleinen Beständen oder als Einzelbaum vor. Die Ursache dieser Disjunktion (Zerrissenheit) ist mit großer Wahrscheinlichkeit die anthropogene Übernutzung der Eibenbestände in früherer Zeit. Natürliche Eibenvorkommen existieren vor allem in Nordportugal, Spanien, der Bretagne und der Normandie im Norden Frankreichs, auf den Britischen Inseln, im südlichen Skandinavien, im Baltikum, den Karpaten, auf der nördlichen Balkanhalbinsel, in Nord- und Mittelitalien, Korsika und Sardinien. Sie fehlt dagegen unter anderem in Dänemark, im nördlichen Belgien und Holland sowie entlang der unteren und mittleren Elbe und Saale. Sie fehlt auch im Landesinneren von Polen, während sie in der Küstenregion der Ostsee vorkommt. Das Verbreitungsgebiet der Europäischen Eibe wird wesentlich durch ihre geringe Frosthärte bestimmt. Ihre Nordgrenze verläuft bei 62 Grad 30 Minuten N in Norwegen und 61 Grad N in Schweden etwa auf der Januar-Isotherme von −5 Grad Celsius. Sie gedeiht vor allem dort, wo sich das Klima durch milde Winter, kühle Sommer, viel Regen und eine hohe Luftfeuchtigkeit auszeichnet. In den Bayerischen Alpen kommt sie bis in eine Höhe von vor, im Wallis bis in eine Höhe von . (Siehe auch: Abhandlung über das Eibenvorkommen in Thüringen) Gefährdung und Schutz Die Europäische Eibe wird in der Roten Liste der IUCN als „nicht gefährdet“ (least concern) mit einem „ansteigenden“ Trend (increasing) gelistet. Seit dem Inkrafttreten der Bundesartenschutzverordnung (1. Januar 1987) stehen wild lebende Populationen der Eibe unter besonderem Schutz. Im Auftrag der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) wurden im Rahmen des Projekts Erfassung und Dokumentation genetischer Ressourcen seltener Baumarten in Deutschland in den Jahren 2010 bis 2012 die Vorkommen der Europäischen Eibe in den deutschen Wäldern erfasst. Es wurden insgesamt 342 Eibenvorkommen mit zusammen 60.045 Bäumen aufgenommen. Die eibenreichsten Bundesländer waren Thüringen mit 33.200 Eiben und Bayern mit 14.700 Eiben. Die Verbreitungsschwerpunkte liegen im Mitteldeutschen Trias-Berg- und Hügelland, in der Schwäbischen Alb, in der Frankenalb und im Oberpfälzer Jura sowie in der Schwäbisch-Bayerischen Jungmoräne. In der Schweiz wird die Europäische Eibe in der Roten Liste des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) als „nicht gefährdet“ eingestuft. Sie ist aber regional (kantonal) geschützt. Standortanforderungen Die Eibe ist standortvage, d. h. sie gedeiht auf feuchten, wechselfeuchten und sehr trockenen, sowie auf sauren und basischen Standorten. Das Ökogramm der Eibe zeigt die sehr große physiologische Amplitude dieser Baumart, die im trockenen Bereich sogar über waldfähige Standorte hinausgeht und selbst wechselnde Bedingungen erträgt. Die Eibe kommt oft auf frischem, humosem oder sandigem Lehm vor, sie gedeiht jedoch ebenso auf wechselfeuchten und sogar sandigen Standorten. Wie bei allen anderen Baumarten ist jedoch das Wachstum der Eibe auf gut durchwurzelbaren und nährstoffreichen Böden begünstigt. Sie kommt auf kalkhaltigen Standorten, Silikatgesteinsböden sowie auf organischen Substraten gleichermaßen vor. Die Europäische Eibe bevorzugt frische, nährstoffreiche, oft basische Böden in ozeanischer, feuchter Klimalage. Ihr Niederschlagsoptimum liegt bei über 1000 mm/Jahr. Ihren Wasserbedarf vermag sie aber auch aus nassen oder moorigen Sonderstandorten in generell niederschlagsärmeren Gebieten zu decken. Selbst in Flussauen ist sie zu finden, was auf eine Toleranz gegen Sauerstoffmangel im Boden hindeutet. Die ökologischen Zeigerwerte nach Landolt & al. 2010 sind in der Schweiz: Feuchtezahl F = 2+w+ (frisch aber stark wechselnd), Lichtzahl L = 2 (schattig), Reaktionszahl R = 4 (neutral bis basisch), Temperaturzahl T = 3+ (unter-montan und ober-kollin), Nährstoffzahl N = 2 (nährstoffarm), Kontinentalitätszahl K = 2 (subozeanisch). Die Europäische Eibe ist die schattenverträglichste Baumart Europas. Bei einer Temperatur von 20 Grad kann sie bei einer Beleuchtungsstärke von 300 Lux noch überleben. Junge Eiben sind obligate Schattenpflanzen, das heißt, sie gedeihen nur im Schatten, vor allem im schattigen Unterstand unter anderen Bäumen. Herangewachsene Eiben vertragen dagegen auch volle Sonne. Während Europäische Eiben in Wäldern mit einem völlig geschlossenen, immergrünen Kronendach, wie es für einen reinen Fichtenbestand typisch ist, nicht gedeihen, reichen ihnen noch fünf Prozent der Lichtmenge des Freilandes, um erfolgreich Blüten und Samen zu bilden. Am besten gedeihen sie in lichten Mischwaldbeständen, vor allem in Eichen-, Buchen-, Tannen- und Edellaubholzmischwäldern, aber nur wenn der Wildbestand so niedrig ist, dass nachwachsende Jungpflanzen nicht sofort verbissen werden. Dabei stellen sie beispielsweise in den Karpaten 12,4 Prozent der Stammzahl, 13,5 Prozent der Grundfläche und 4 Prozent des Holzvorrates. Die Europäische Eibe zählt dabei zu den sogenannten Klimaxwald-Baumarten, das heißt, sie kann sich in einer Pflanzengemeinschaft, die sich am Ende einer Sukzessionsfolge entwickelt hat, erfolgreich natürlich verjüngen. Reine Eibenbestände sind dagegen selten. Sie entstehen meist, weil das hohe Lebensalter, das Eiben erreichen können, sie die anderen Baumarten überdauern lässt, in deren Schatten sie zuvor wuchsen. Europäische Eiben finden sich heute wegen früherer Übernutzung, gezielter Ausrottung und Wildverbiss oft nur noch in unzugänglichen Schluchtwäldern und an Steilhängen. Sie wurden häufig als „Unholz“ und Pferde- und Hühnergift bekämpft. Weitere Gründe für die Seltenheit der Eibe sind die Umstellung der Forstwirtschaft von plenterartigen Eingriffen zur schlagweisen Wirtschaft, die die langsamwachsende, gegen plötzliche Freistellung empfindliche Eibe benachteiligt. Ein hoher Wildbestand behindert wegen Verbisses gleichfalls eine natürliche Bestandsverjüngung. Ihre letzten Rückzugsorte sind vielfach schattige und steile, auch vom Wild gemiedene Berghänge, die aber wasserzügig sein müssen. Überlebensstrategien Regenerationsfähigkeit Das Regenerationsvermögen der Eibe ist im Vergleich zu allen anderen heimischen Nadelbäumen am stärksten ausgeprägt. Die hohe Regenerationsfähigkeit der Eibe zeigt sich einerseits darin, dass sie als einzige Nadelbaumart die Fähigkeit besitzt, aus dem Stock auszuschlagen. Andererseits schafft sie es durch ihre sehr gute Wundheilung (Wundüberwallung), auch große Schäden zu überstehen. Bis ins hohe Alter ist die Eibe in der Lage, durch die Bildung von Reiterationen auf mechanische, aber auch Frost- oder Sonnenbrandschäden zu reagieren. Diese Wiederholungstriebe dienen der Erneuerung der Krone und verschaffen Bäumen die Möglichkeit, alternde Äste zu ersetzen. Eine weitere Überlebensstrategie ist die vegetative Vermehrung. Diese ungeschlechtliche Vermehrung beruht auf der mitotischen Zellteilung. Die Tochtergeneration unterscheidet sich in ihrem genetischen Material daher nicht von der Muttergeneration; sie ist ein Klon. Das hohe vegetative Reproduktionsvermögen zeigt sich durch folgende Fähigkeiten: Durch die Bildung von Astsenkern können sowohl zusätzliche Nährstoffe aufgenommen werden, als auch eine vollständige Verjüngung eines einzelnen Eibenbaumes stattfinden. Bei umgestürzten Bäumen treiben sofort senkrechte Äste aus. Astteile, die mit dem Boden in Berührung kommen, beginnen Wurzeln auszuschlagen. Dürreresistenz Obwohl die Nadeln der Eibe weder über sklerenchymatische Verstärkungen noch schützende Wachstropfen in den Spaltöffnungen verfügen, gilt sie als ausgesprochen dürreresistent. So kann die Eibe ähnlich hohe relative Wasserverluste ertragen wie die Gemeine Kiefer (Pinus sylvestris). Beide besitzen ähnlich hohe absolute Wasserreserven (auf gleiches Gewicht bezogen) wie krautige, saftreiche Pflanzen, obwohl ihre Wasserkapazität (Wassergehalt bei Sättigung) vergleichsweise gering ist. Dadurch hat die Eibe in Relation zum Trockengewicht die Möglichkeit, weit höhere Wasserverluste, sogar bis zu 45 % ihres Gewichtes, zu überstehen. Eine weitere Fähigkeit, die die Eibe vor dem Austrocknen schützt, ist das schnelle Schließen der Stomata. So stellen vergleichende Untersuchungen von Tannen- und Eibennadeln fest, dass die Eibe auf ein Wassersättigungsdefizit viermal schneller mit einem Stomataverschluss reagiert als die Tanne (Abies). Frosthärte Die Winterüberdauerungsstrategie der Eibe beruht auf zwei Komponenten. Zum einen wird die Transpiration im Vergleich zum Sommer auf ein Fünftel bis zu einem Zwanzigstel eingeschränkt. Die Einschränkung ist umso höher, je kälter die Umgebungstemperatur ist. Zum anderen hebt die Eibe die Zellsaftkonzentration an. Dadurch kommt es zu einer Absenkung des Gefrierpunktes. Gemeinsam mit dem Gefrierpunkt verringert sich auch das Temperaturminimum für die Nettoassimilation von ca. −3 °C auf ca. −8 °C. Solange die Eibe ausreichend Vorbereitungszeit auf die Kälteeinwirkung hat, um ihre Zellsaftkonzentration entsprechend zu steigern, kommt es nur bei sehr tiefen Temperaturen von unter −20 °C zu Gefrierschäden. Wesentlich häufiger kommt es zu Schäden durch Frosttrocknis, die unter anderem auf den relativ schlechten Transpirationsschutz der Eibennadeln zurückzuführen sind. Diese Vertrocknungsschäden kommen aber meistens nur bei exponierten, freistehenden Bäumen vor. Des Weiteren ist die Eibe unempfindlich gegen Spätfröste. Sie erreicht das dadurch, dass die im Laufe des Winters erhöhte Zellsaftkonzentration nur langsam abgebaut wird. Dadurch bleibt diese winterliche Abhärtung lange in die Vegetationszeit hinein bestehen. Die Normalwerte des Vorjahres werden erst im Juni wieder erreicht. Schattentoleranz Die Eibe gilt als ausgesprochen schattentoleranter Baum. Sie ist in der Lage, auch völlig überschirmt im Nebenbestand zu überleben. Sie verträgt im Vergleich zu den klassischen Schattenbaumarten wie Tanne und Buche deutlich mehr Beschattung. Wie beim Auftreten eines Wasserdefizites, schließen sich die Stomata auch bei Verdunkelung schnell. Sie öffnen sich erst nach der Überschreitung des Lichtkompensationspunktes. Allerdings kann die Eibe schon bei geringer Lichtintensität eine positive Nettoassimilation erreichen. Der Lichtkompensationspunkt, also der Punkt bei dem gerade noch eine positive Nettoassimilation möglich ist, beträgt bei der Eibe bei einer Temperatur von 20 °C etwa 300 Lux. Im Vergleich dazu kommen andere schattenertragenden Baumarten wie die Buche auf 300–500 Lux und die Tanne (Abies) auf 300–600 Lux. Eine typische Lichtbaumart wie die Weißkiefer (Pinus sylvestris) benötigt hingegen Werte von 1000 bis 5000 Lux zum Überschreiten des Lichtkompensationspunktes. Giftigkeit Holz, Rinde, Nadeln und Samen enthalten toxische Verbindungen, die in ihrer Gesamtheit als Taxane oder Taxan-Derivate (Diterpene) bezeichnet werden. Im Einzelnen lassen sich unter anderem Taxin A, B, C sowie Baccatine und Taxole nachweisen. Der Gehalt an toxischen Verbindungen ist in den unterschiedlichen Baumteilen verschieden hoch und schwankt in Abhängigkeit von der Jahreszeit und individuellem Baum. Der Samenmantel des Baumes ist hingegen nicht giftig und schmeckt süß. Der Taxolgehalt des Holzes ist allerdings sehr gering und liegt bei 0,0006 %. Die toxischen Verbindungen werden beim Menschen und anderen Säugetieren rasch im Verdauungstrakt aufgenommen. Vergiftungserscheinungen können beim Menschen bereits 30 Minuten nach der Einnahme auftreten. Die toxischen Verbindungen wirken dabei schädigend auf die Verdauungsorgane, das Nervensystem und die Leber sowie die Herzmuskulatur. Ein Gegenmittel gibt es nicht. Zu den Symptomen einer Vergiftung zählt eine Beschleunigung des Pulses, Erweiterung der Pupillen, Erbrechen, Schwindel und Kreislaufschwäche, Bewusstlosigkeit. Bereits eine Aufnahme von 50 bis 100 Gramm Eibennadeln kann für den Menschen tödlich sein. In zerkleinerter oder zerhackter Form wirken die Nadeln fünf Mal stärker. Der Tod tritt durch Atemlähmung und Herzversagen ein. Menschen, die eine solche Vergiftung überleben, tragen in der Regel einen bleibenden Leberschaden davon. Pferde, Esel, Rinder sowie Schafe und Ziegen reagieren in unterschiedlichem Maße empfindlich auf die in Eiben enthaltenen toxischen Verbindungen. Pferde gelten als besonders gefährdet – bei ihnen soll schon der Verzehr von 100 bis 200 Gramm Eibennadeln zum Tode führen. Bei Rindern treten Vergiftungserscheinungen bei etwa 500 Gramm auf. Gefährdet sind Weidetiere vor allem dann, wenn sie plötzlich größere Mengen aufnehmen. Dagegen scheinen zumindest Rinder, Schafe und Ziegen eine Toleranz gegen die Toxine der Europäischen Eibe zu entwickeln, wenn sie daran gewöhnt sind, regelmäßig kleinere Mengen davon zu fressen. In einem wissenschaftlich dokumentierten Fall haben Ziegen relativ dicke Eiben (BHD >30 cm) durch das flächige Schälen der (ebenfalls giftigen) Rinde derart geschädigt, dass diese im Laufe der Zeit abgestorben sind. Die Ziegen selbst zeigten keine Vergiftungserscheinungen. Der Tod vieler Weidetiere durch Eibenfraß ist empirisch bestätigt; darum muss mit scheinbar abweichenden Einzelbefunden äußerst vorsichtig umgegangen werden. Die Vergiftungen treten bei den kleinen Wiederkäuern vor allem im Herbst und Winter auf, wenn auf der Weide Futtermangel besteht. Bei Kaninchen sollen bereits weniger als 2 Gramm der Nadeln zum Tode führen. Eine wirksame Therapie bei Eibenvergiftung existiert nicht. Unempfindlich gegenüber den Giften der Eiben und deshalb Verursacher von Schäden durch Wildverbiss sind Rehe und Rothirsche. Die Eibe als Heilpflanze In der Volksheilkunde wurden die frischen Zweigspitzen als Mittel bei Wurmbefall, als Herzmittel, zur Förderung der Menstruation, und als Abtreibungsmittel verwendet. Wegen der Giftigkeit werden diese Verwendungen von der modernen Medizin als zu riskant eingeschätzt. Wirkstoffe sind Diterpen-Alkaloide vom Taxan-Typ, Baccatin III (das Gemisch wurde als „Taxin“ bezeichnet), cyanogene Glycoside, wie Taxiphyllin, Biflavonoide, wie Sciadopitysin und Ginkgetin. In der Homöopathie wird Taxus baccata (HAB) gegen Verdauungsschwäche und Hautpusteln verwendet. In den 1990er-Jahren gelang es, aus der Europäischen Eibe die zellteilungshemmende Substanz Paclitaxel, die man bisher nur aus der Rinde der Pazifischen Eibe, Taxus brevifolia, isolieren konnte, teilsynthetisch aus den Taxan-Verbindungen der Nadeln, speziell dem Baccatin III, herzustellen. Dazu kam später eine weitere Substanz, das Docetaxel. Diese Stoffe sind zur Chemotherapie von metastasierendem Brust- und Eierstockkrebs sowie von bestimmten Bronchialkarzinomen zugelassen. Lebensgemeinschaft Eibe Begleitbaumarten und Krautschicht Typische Begleitbaumarten der Europäischen Eibe sind in Mitteleuropa Stiel- und Traubeneiche, Hainbuche, Esche, Ulme, Linde, Weißtanne und Bergahorn. Dabei findet sie ihr Optimum in Laubwäldern mit tiefgründigen, frischen, nährstoffreichen Böden, etwa in niederschlagsreichen Tannen-Buchen- oder in Stieleichen-Auenwäldern. Im trockenen Klima der Mittelmeerländer wächst sie in der Gesellschaft mediterraner Eichenarten wie der Steineiche, oder der Platanen. Im offenen Kulturland wachsen Europäische Eiben oft zwischen dornigen Heckengebüschen wie Schlehe oder Heckenrose heran, welche die jungen Pflanzen vor dem Verbiss durch Wild- und Weidetiere schützen. Besteht die Krautschicht in Eiben-Mischwäldern neben Farnen und Moosen häufig aus Bingelkraut, Walderdbeere, Gundermann, Efeu, Brombeeren und Veilchen, sind in Eiben-Buchenwäldern eher Einblütiges Perlgras, Waldmeister, oder Kalk-Blaugras anzutreffen. Wo die Europäische Eibe vor allem mit Eichen vergesellschaftet ist, finden sich in der Krautschicht oft auch Schlüsselblume und Pfirsichblättrige Glockenblume. Vögel Bei Vogelarten, die die Europäische Eibe als Nahrungspflanze nutzen, wird zwischen Samenverbreitern, die nur an dem süßen Arillus interessiert sind und den Samen wieder ausscheiden, sowie Samenfressern unterschieden. Zu den Samenverbreitern zählen vor allem Star, Singdrossel, Amsel und Misteldrossel sowie Wacholder-, Rot- und Ringdrossel. Misteldrosseln zeigen dabei ein territoriales Verhalten und verteidigen ab Spätsommer „ihre“ Eibe gegen andere Vögel, so dass von Misteldrosseln besetzte Eiben noch bis Januar und Februar rote Samenbecher aufweisen. Dieses Verhalten trifft auch auf Singdrosseln zu. Diese zeigen jedoch eine weniger große Verteidigungsbereitschaft als Misteldrosseln. Arillen werden außerdem vom Sperling, Gartenrotschwanz und der Mönchsgrasmücke sowie Eichel- und Tannenhäher, Seidenschwanz und Jagdfasan verzehrt. Alle diese Vogelarten sind maßgeblich an der Verbreitung der Europäischen Eibe beteiligt und sorgen dafür, dass Eibenschösslinge auch weit entfernt von etablierten Eibenbeständen und an unzugänglichen Stellen wie etwa steilen Felshängen wachsen. Zu den Samenfressern zählen vor allem der Grünfink sowie in geringerem Maße Dompfaff, Kohlmeise, Kernbeißer, Kleiber, Grünspecht, Buntspecht und gelegentlich auch die Sumpfmeise. Kleiber reiben den Samenmantel an Baumrinden ab, bevor sie wie die Spechte das Samenkorn in Ritzen verkeilen, um es aufzuhämmern. Der Grünfink löst dagegen den Arillus mit dem Schnabel, entfernt die glykosidhaltige Samenhülle und frisst dann das Sameninnere. Säugetiere Bilche wie Sieben- und Baumschläfer klettern in Eiben, um an die roten Arillen zu gelangen. In der Regel fressen Säugetiere jedoch die Samenbecher, die auf den Erdboden gefallen sind. Kleinnager wie Rötel-, Wald- und Gelbhalsmaus gehören zu den Arten, die sich unter anderem daran gütlich tun. Ihre Anwesenheit zieht Raubsäuger wie Rotfuchs und Wiesel und Iltisse an. Rotfüchse fressen allerdings ebenso wie Dachse, Braunbären und Wildschweine gerne die Arillen und auch für Baummarder ist dies schon beschrieben worden. Kaninchen und Feldhasen verbeißen junge Eibenkeimlinge und behindern so ein Höhen- und Breitenwachstum junger Bäume. Weit größerer Äsungsdruck geht jedoch von Rotwild aus, das unempfindlich für die in der Eibe enthaltenen toxischen Verbindungen ist. Insbesondere ein hoher Bestand an Rehen verhindert die natürliche Verjüngung des Eibenbestandes: Junge Schösslinge reißen sie beim Weiden mit den Wurzeln aus. Die Zweige von Eibenbäumen werden bis zu einer Höhe von etwa 1,4 Metern abgefressen. Auch Ziegen und Schafe weiden an Eibenbäumen. Als ein nennenswerter Eibenschädling hat sich auch das aus Nordamerika nach Europa eingeführte Graue Eichhörnchen erwiesen. Es schält die Rinde auch älterer Eiben ab, sodass die Bäume durch Wundinfektionen gefährdet sind. Wirbellose Auf Europäischen Eiben finden sich, im Vergleich zu anderen europäischen Baumarten, nur verhältnismäßig wenig Wirbellose. Zu den wichtigsten zählt die Eibengallmücke (Taxomyia taxi), deren Larven sich in den Knospen der Triebspitzen einnisten und die dort mitunter zu einer Überproduktion von Eibennadeln führt, sodass sich eine an Artischocken erinnernde Galle bildet. Zwei parasitäre Wespen, nämlich Mesopolobus diffinis und Torymus nigritarsus, wiederum legen ihre Eier in die Gallen beziehungsweise in die vollentwickelten Larven und Puppen der Eibengallmücke. Die Schmetterlingsraupen Ditula angustiorana (Wickler) und Blastobasis vittata (Blastobasidae) fressen unter anderem Eibenlaub. Im Splintholz der Eiben sind mitunter die Larven des Hausbocks (Hylotrupes bajulus) sowie des Gescheckten Nagekäfers (Xestobium rufovillosum) zu finden. Der zu den Rüsselkäfern zählende Gefurchte Dickmaulrüssler (Otiorhynchus sulcatus) schädigt einjährige Eibentriebe sowie Wurzeln junger Sämlinge und ihre Wipfeltriebe. Ebenfalls anzutreffen ist mitunter die gelblich bis braun gefärbte Eiben-Napfschildlaus (Eulecanium cornicrudum), die an jungen Trieben saugt. Das Holz der Eibe Eigenschaften und heutige Verwendung Die Europäische Eibe ist ein Kernholzbaum. Kernholz bezeichnet die im Stammquerschnitt physiologisch nicht mehr aktive, dunkle, innere Zone, die sich deutlich vom äußeren, hellen Splintholz unterscheidet. Der schmale Splint ist gelblich-weiß und etwa zehn bis zwanzig Jahresringe stark. Das Kernholz weist eine rötlichbraune Farbe auf. Das wegen des langsamen Wachstums feinringige Holz ist sehr dauerhaft, dicht, hart und elastisch. Die Dauerhaftigkeit des Kernholzes resultiert aus der Einlagerung von Gerbstoffen, welche das Holz imprägnieren. Eibenholz ist, trotz der Dauerhaftigkeit, von dem Gemeinen Nagekäfer angreifbar. Ein Kubikmeter Eibenholz wiegt zwischen 640 und 800 Kilogramm. Im Vergleich dazu wiegt ein Kubikmeter Holz des Mammutbaums 420, der Kiefer 510 und der Buche und Eiche jeweils 720 Kilogramm. Eibenholz trocknet sehr gut, schwindet dabei nur mäßig und lässt sich leicht verarbeiten. Die Europäische Eibe hat heute allerdings keine wesentliche forstwirtschaftliche Bedeutung mehr. Das im Holzhandel nur selten angebotene Holz wird für Furnierarbeiten sowie für Holzschnitzereien und Kunstdrechslerei sowie zum Bau von Musikinstrumenten verwendet. Verwendung in der Jungstein- und Bronzezeit Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat Eibenholz eine wesentlich größere Bedeutung gehabt als heute. Das harte und elastische Holz ist besonders für den Bau von Bögen und Speeren geeignet. Zwei der ältesten bekannten hölzernen archäologischen Artefakte sind aus Eibenholz gefertigte Speere. Der ältere Speer wurde in der Nähe von Clacton-on-Sea, Essex gefunden und wird auf ein Alter von 150.000 Jahren datiert. Der zweite Fund stammt aus dem niedersächsischen Lehringen, wo im Brustkorb eines in einer Mergelgrube konservierten Waldelefantenskeletts eine 2,38 m lange Eibenholzlanze gefunden wurde, die den mittelpaläolithischen Neandertalern zugeschrieben und auf ein Alter von 90.000 Jahren geschätzt wird. Zwischen 8000 und 5000 Jahre alt sind acht Eibenbögen, die in verschiedenen Ausgrabungsorten in Norddeutschland gefunden wurden. Ein ebenfalls sehr gut erhaltener und 183 Zentimeter langer Eibenbogen wurde 1991 bei der Ötztaler Gletschermumie gefunden. Auch dieser Bogen ist 5000 Jahre alt. Jungsteinzeitliche Funde weisen die Verwendung von Eibenholz für die Herstellung von Gebrauchsgegenständen wie Löffeln, Tellern, Schalen, Nadeln und Ahlen nach. Drei bronzezeitliche Schiffe, die in der Mündung des Flusses Humber in Yorkshire gefunden wurden, bestehen aus Eichenplanken, die mit Eibenholzfasern miteinander verbunden waren. Auch die Reste bronzezeitlicher Pfahlbauten z. B. am Mondsee zeugen von dieser frühen Wertschätzung des Eibenholzes, das äußerst feuchtigkeitsbeständig ist. Der Langbogen und seine Auswirkung auf die Eibenholzbestände Zunächst nur aus dem Kernholz der Eibe gebaut, wurden etwa ab dem 8. Jahrhundert die unterschiedlichen Eigenschaften von Splint- und Kernholz zum Bogenbau genutzt. Als Englischer Langbogen wird ein Stabbogentyp des Spätmittelalters bezeichnet, der vor allem durch den massenhaften Einsatz in spätmittelalterlichen Schlachten bekannt wurde. Der aus einem Stück gefertigte Stab ist etwa so lang wie der Schütze, also um 180 Zentimeter, und besteht ungefähr aus 1/3 Splintholz und 2/3 Kernholz auf der Außen- bzw. Innenseite. Die englischen Bogenschützen waren keine zum Kriegsdienst eingezogenen Leibeigenen, sondern bestens ausgebildete Soldaten, die für eine bestimmte Zeit vertraglich verpflichtet und gut bezahlt wurden. Sie konnten den Feind über eine Entfernung von über 400 Metern bekämpfen. Mit ihnen konnten englische Heere zahlenmäßig überlegene Streitmachten schlagen. Ein früher Einsatz zahlreicher Bogenschützen ist für die Schlacht von Hastings am 14. Oktober 1066 belegt, in der die Normannen unter Wilhelm I. den englischen König Harald besiegten. Auf dem Bilderteppich von Bayeux sind Bogenschützen auf beiden Seiten zu erkennen. Im 13. Jahrhundert gingen die Eibenbestände der Insel stark zurück. Der erste Hinweis auf einen Import stammt von einer Zollrolle aus Dordrecht, die auf den 10. Oktober 1287 datiert ist. Für den 8. Januar 1295 ist für Newcastle die Ankunft von sechs Schiffen aus Stralsund belegt, die unter anderem 360 „Baculi ad arcus“ oder Bogenstäbe geladen hatten. Der Hundertjährige Krieg, ab 1337, trug entscheidend zur Bildung des Nationalbewusstseins bei Franzosen und Engländern bei; die Bevölkerung wurde stärker beteiligt. So verordnete Eduard III. 1339: „Hiermit befehlen Wir, dass jeder Mann von Leibes Gesundheit in der Stadt London zur Mußezeit und an den Feiertagen Bogen und Pfeile benützen und die Kunst des Schießens erlerne und übe.“ (SCHEEDER 1994, S. 43) Gleichzeitig wurden Spiele wie Steinstoßen, Holz- oder Eisenwerfen, Handball, Fußball und Hahnenkämpfe unter Androhung von Gefängnis verboten. Jeder Mann zwischen dem siebten und dem sechzigsten Lebensjahr war verpflichtet, einen Bogen und zwei Pfeile zu besitzen. Wegen der Holzknappheit und der starken Nachfrage mussten Höchstpreise festgelegt werden, damit sich jeder einen Bogen leisten konnte. „Da die Verteidigung des Reiches bisher in den Händen der Bogenschützen lag und nun Gefahr droht, befehlen Wir, daß jedermann 2 Schilling Buße je Bogen an den König entrichten muß, der einen solchen für mehr als drei Schilling sechs Pence verkauft“ (SCHEEDER 1994, S. 7). In der Schlacht bei Crécy 1346 und der Schlacht von Azincourt 1415 bei Arras, fügte das englische Heer, durch den Einsatz geübter Bogenschützen mit Langbögen, dem französischen Heer schwere Niederlagen zu. Jedes Handelsschiff, das ab 1492 in England Handel treiben wollte, musste eine bestimmte Anzahl Eibenrohlinge mit sich führen. Das führte dazu, dass alle europäischen Eibenbestände so stark zurückgingen, dass diese sich bis heute nicht richtig erholt haben. Allein zwischen 1521 und 1567 wurden aus Österreich und Bayern zwischen 600.000 und eine Million zwei Meter lange und 6 cm breite Eibenstäbe für die Weiterverarbeitung zu Bögen ausgeführt. 1568 musste Herzog Albrecht dem kaiserlichen Rat in Nürnberg mitteilen, dass Bayern über keine schlagreifen Eiben mehr verfüge. In England erfolgte aufgrund der Eibenholzverknappung die Anordnung, dass jeder Bogenmacher pro Eibenholzbogen vier aus dem weniger geeigneten Holz des Bergahorns herzustellen habe, und Jugendlichen unter 17 Jahren wurde das Führen eines Eibenholzbogens verboten. Anordnungen aus dieser Zeit lassen darauf schließen, dass England, nachdem die mittel- und südeuropäischen Eibenvorkommen erschöpft waren, Eibenholz aus den Karpaten und dem nordöstlichen Baltikum bezog. 1595 ordnete die englische Königin Elisabeth I. die Umstellung des englischen Heeres von Langbögen auf Musketen an. Fritz Hageneder vertritt in seiner Monographie über die Eibe die Ansicht, dass diese Umstellung, die zu einem Zeitpunkt erfolgte, als der Langbogen der Muskete in Reichweite, Treffsicherheit und Schussgeschwindigkeit noch weit überlegen war, allein erfolgte, weil der Rohstoff Eibe für die Herstellung von Langbögen nicht mehr zur Verfügung stand. Andere historische Verwendungen des Eibenholzes Neben Langbögen wurden seit der Antike auch Armbrüste aus Eibenholz gefertigt. Der dekorative rotbraune Holzkern machte das Holz für den Möbelbau, sowie zur Fertigung von Fußböden und Vertäfelungen interessant. Neben verschiedenen Gebrauchsgegenständen wie Webschiffchen, Kästchen, Eimern, Kämmen und Axtholmen wurde das feuchtigkeitsbeständige Holz unter anderem auch für Zaunpfosten sowie die sogenannten Sohlbalken/Schwellbalken verwendet, die direkt auf dem Steinfundament von Häusern auflagen und besonders leicht Feuchtigkeitsschäden ausgesetzt waren. Ebenso wurde das Holz für Zapfhähne und Wasserleitungen gebraucht. Das elastische Holz wurde bis ins 20. Jahrhundert bei der Herstellung von Peitschen verwendet. Anders als beim Langbogenbau war Eibenholz bei diesen Verwendungen jedoch relativ einfach zu ersetzen. Verwendung als Gift-, Heil- und Nahrungspflanze Die Giftigkeit der Eibe ist bereits Thema der griechischen Mythologie: Die Jagdgöttin Artemis tötet mit Eibengiftpfeilen die Töchter der Niobe, die sich ihr gegenüber ihres Kinderreichtums gerühmt hatte. Auch die Kelten verwendeten Eibennadelabsud, um ihre Pfeilspitzen zu vergiften und Julius Caesar berichtet in seinem Gallischen Krieg von einem Eburonen-Stammesfürsten, der lieber mit Eibengift Selbstmord beging, als sich den Römern zu ergeben. Zur Giftigkeit der Europäischen Eibe äußern sich Paracelsus, Vergil und Plinius der Ältere. Dioskurides berichtete von spanischen Eiben mit einem so hohen Giftgehalt, dass sie schon denen gefährlich werden konnten, die nur in ihrem Schatten saßen oder schliefen. In der Medizin spielten Eibenzubereitungen ab dem frühen Mittelalter eine Rolle. Mit ihnen wurden unter anderem Krankheiten wie Epilepsie, Diphtherie und Rheumatismus sowie Hautausschläge und Krätze behandelt. Eibennadelsud wurde auch als Abortivum eingesetzt. Neben der Verwendung als Gift- und Heilpflanze wurden Eibenbestandteile sogar als Nahrungspflanze verwendet: Der rote und süßliche Samenmantel, der ungiftig ist, lässt sich zu Marmelade einkochen, sofern die giftigen Samen entfernt werden. Eibenlaub wurde in geringem Maße traditionell den Futterpflanzen des Viehs beigemischt, um so Krankheiten vorzubeugen. In einigen Regionen wie etwa Albanien wird dies bis heute praktiziert. Verwendung als Zierpflanze Als einzige europäische Nadelholzart besitzt die Eibe ein gutes Ausschlagsvermögen. Die Schnittverträglichkeit und der dichte Wuchs führen dazu, dass Eiben sehr gerne als dichte Sichtschutzhecken verwendet wurden und werden. Eiben eignen sich auch sehr gut für geometrische oder figürliche Formschnitte. Beginnend mit der Renaissance wurden die immergrünen Eibenbäume daher in der Gartengestaltung eingesetzt. Scharf geschnittene Formhecken aus Eiben waren besonders in Barockgärten sehr beliebt. Zu den bekanntesten barocken Gartenanlagen, in denen Eibenhecken eine große Rolle spielen, zählen die Gärten von Versailles. Auch der Residenzgarten von Würzburg weist zahlreiche Eibenskulpturen auf. In England wurden gerne begehbare Labyrinthe aus Eibenhecken gestaltet. Den 114 Meter langen und 52 Meter breiten Irrgarten von Longleat House säumen mehr als 16.000 Eiben. Mit der Hinwendung zum Englischen Landschaftsgarten begann ein zunehmendes Interesse für ausgefallene Züchtungen was bis heute zu mehr als siebzig verschiedenen bekannten Zuchtformen der Europäischen Eibe führte. Zu diesen zählen unter anderem: 'Adpressa': Diese 1838 entstandene Form ist häufig in Gärten anzutreffen. Sie wächst als (nur weiblicher) Busch mit kleinen, teils überhängenden Zweigen. Die Nadeln sind länglich-elliptisch und spitz zulaufend; sie sind nur 1 cm lang. Es gibt auch eine gelbbunte Form. 'Dovastoniana' (Adlerschwingeneibe): Diese 1777 erstbeschriebene Form wird etwa 5 bis 8 m hoch und 6 m breit und wächst einstämmig. Die Äste stehen waagrecht ab; die Spitzen und kleinere Seitenzweige sind überhängend. Die Nadeln sind Dunkelgrün. 'Fastigiata': Diese ursprünglich in den 1760er Jahren in Irland gefundene Sorte ist als sogenannte Säuleneibe in Parks, Gärten und auf Friedhöfen weit verbreitet. Sie wächst sehr straff säulenförmig aufrecht. Die Nadeln sind sehr dunkelgrün und stehen spiralig um die Zweige. Der Gipfel wächst meist vieltriebig; dadurch wird die Krone im Alter oben breiter. Auf den britischen Inseln wird die Säuleneibe bis 15 m hoch, in Deutschland erreicht sie dagegen kaum 5 m. 'Fastigiata Aurea': Sie wächst ähnlich wie die Sorte 'Fastigiata', hat jedoch anders als diese gelbe Nadeln. 'Fastigiata Aureomarginata': Sie wird bis 5 m hoch und 2,5 m breit. Die Nadeln sind goldgelb. 'Fastigiata Robusta': Sie wächst ähnlich wie die Sorte 'Fastigiata', wird bis 8 m hoch und 2 m breit. Die Nadeln sind mittelgrün. 'Fructo-luteo': Diese 1817 in Irland gefundene Sorte wächst als breiter Busch und hat sehr dunkelgrüne Nadeln. Die reifen Samenmäntel sind nicht von roter Farbe wie bei der Art, sondern sind gelb gefärbt. 'Overeynderi': Sie wächst als eiförmiger Strauch, wird bis 5 m hoch und 3 m breit. Die Nadeln sind dunkelgrün. 'Repandens' (Kisseneibe, Tafeleibe): Sie wächst als kleiner Strauch, mit flach ausgebreiteten, sich überlappenden Ästen. Nach 10 bis 15 Jahren wird sie 0,5 bis 0,6 m hoch, die Endhöhe beträgt 0,8 bis 1 m. Die Nadeln sind oberseits schwarzgrün glänzend, unterseits blassgrün. Kreuzungen Taxus × media (Bechereibe) = Taxus baccata × Taxus cuspidata Toponomastik Der Eibenbaum, auch Ibenbaum (kurz Ibaum, auch Ybaum) ist namensgebend für verschiedene geografische Orte. Auf historische Eibenbestände weisen Toponyme wie Eiben, Eibenberg, Ibenberg, Iberg, Yberg, Iberig und Ibach hin. Sehenswerte Eiben und Eibenbestände Deutschland In der Nähe von Klöstern besteht heute die größte Aussicht, noch alte Eibenbestände zu finden. Der größte deutsche Eibenwald ist der Paterzeller Eibenwald in der Nähe des Klosters Wessobrunn. In dem 88 ha großen Naturschutzgebiet im Landkreis Weilheim-Schongau wachsen über 1500 ältere Eiben in einem artenreichen Bergmischwald. In Bovenden-Eddigehausen befindet sich der Eibenwald am Hainberg mit einem großen Bestand von ungefähr 800 Eiben im Alter von bis zu 200 Jahren. Bei Gößweinstein in der Fränkischen Schweiz existiert am Hang des Wiesent­tales ein schöner Bestand von etwa 4400 Eiben (Naturwaldreservat Eibenwald bei Gößweinstein). Es wurde als Naturwaldreservat ausgewiesen und steht unter Naturschutz. Die Eibe am Neuländer Deich ist der älteste Baum Hamburgs und eingetragenes Naturdenkmal. Die Alte Eibe von Balderschwang im Landkreis Oberallgäu, die auf einer Alpwiese in einer Höhenlage von 1150 m NN steht, wird auf ein Alter zwischen 800 und 2000 Jahre geschätzt. Ihr Stamm besteht aus zwei getrennten Teilen mit einem Umfang von zwei beziehungsweise 2,4 Metern. Die Senckenberg-Eibe im Palmengarten, Frankfurt am Main zählt zu den ältesten Eiben Deutschlands. Die Alte Eibe auf Haus Rath in Krefeld hat ein Alter von 800 Jahren. Die Ureibe bei Steibis im Landkreis Oberallgäu hat einen Stammumfang von 5 Meter und wird auf ein Alter von 600 bis 800 Jahre geschätzt Nahe Fraudenhorst im äußersten Nordosten Deutschlands steht die vermutlich älteste Eibengruppe mit einem Alter zwischen 500 und 800 Jahren. Im sogenannten Ibengarten bei Dermbach in der thüringischen Rhön findet sich ein alter Eibenbestand von etwa 600 Bäumen. Naturschutzgebiet Harraser Leite bei Eisfeld mit Eiben-Buchenwäldern. Im Süden Thüringens nahe der Gemeinde Veilsdorf findet sich an einem Nordhang ein Eibenvorkommen von 15 Hektar. Im Wörlitzer Park gibt es ein Eibenwäldchen mit sehr schönen alten Exemplaren, die vermutlich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts gepflanzt wurden. Burg Kronberg in Kronberg im Taunus hat einen Eibenhain und bezeichnet diesen selbst als einen von den drei letzten Eibenhainen in Deutschland. Die 800 bis 1000 Jahre alte Flintbeker Eibe an der Flintbeker Kirche in Flintbek / Schleswig-Holstein 1000-jährige Eibe in Lebach bei Schloss La Motte (Saarland) die 1500-jährige Eibe an der Gabler Straße in Lückendorf Eine 1000-jährige Eibe steht in Xanten vor der Polizeiwache, Karthaus 14. Das einzige größere Eibenvorkommen Baden-Württembergs befindet sich mit fast 150 Exemplaren im Höllental. Es könnte dort als Namensgeber des Dorfes Ibental und weiterer Orte in der Umgebung gedient haben. Im Tal des Brodenbachs, einem rechten Nebenfluß der Mosel aus dem Vorderen Hunsrück, besteht ein größeres Vorkommen. Am Erbhof Thedinghausen im Landkreis Verden steht eine gut 400 Jahre alte Eibe, die 2023 zum Nationalerbe-Baum ausgerufen wurde. Schweiz In Heimiswil (Emmental) steht die wahrscheinlich größte Eibe der Schweiz (Stammumfang: 8,6 m). Lange galt sie auch als eine der ältesten (über 1000 Jahre), nach neueren Schätzungen ist sie aber nur ca. 450 Jahre alt. Der Baum steht in der Nähe des Weilers Kaltacker beim Hof Gärstler und wird auch im Wappen der Gemeinde dargestellt. Eibe in Crémines, geschätztes Alter 1500 Jahre Eibe auf der Hasenmatt, etwa 1000 Jahre alt Eines der größten natürlichen Eibenvorkommen Europas mit rund 80.000 Eiben findet sich auf der Bergkette des Albis und dort besonders im Gebiet des Uetlibergs. Der Grund für diesen Bestand geht auf die Liberalisierung der Jagdgesetze in der Schweiz nach der Französischen Revolution zurück. Von 1798 bis 1850 wurden die Nutzwildpopulationen – im Speziellen Paarhufer – bis an die Grenze der Ausrottung bejagt. Eibenschösslinge werden vom Rehwild bevorzugt und haben bei einem größeren Rehwildbestand keine Chance aufzuwachsen. Die beinahe Ausrottung des Rehwilds um 1860 ermöglichte den Aufwuchs der Eiben, die heute fast alle über 150 Jahre alt sind. 1997 fand die internationale Eiben-Tagung in Zürich statt. Restliches Europa Die „Fortingall Yew“ gilt als Europas ältester Baum; sie steht im Dorf Fortingall in Perth and Kinross in Schottland; ihr Alter wird auf 3000 bis 5000 Jahre geschätzt. Zwei alte Eiben umrahmen das Nordportal der Kirche St. Edward in Stow-on-the-Wold in den Cotswolds in England. Eine Reihe sehr alter Eiben ist in den normannischen Départements Orne, Calvados und Eure (Frankreich) zu finden. Dort schmücken sie die Kirchhöfe vieler Dörfer. So findet sich beispielsweise in La Haye-de-Routot eine Eibe, in deren hohlem Stamm eine durch eine Tür geschlossene Kapelle eingebaut ist. Auf dem Friedhof von Le Ménil-Ciboult (Orne) findet sich eine Eibe mit einem Stammumfang von 12,5 Meter. Harmanec, Slowakei Bakonywald, Ungarn Ein Eibenwald auf ungefähr 25 ha, und damit einer der größten der Britischen Inseln, existiert auf einem Karbon-zeitigen Kalksteinplataeu im südwestlichen Irland, in dem Killarney National Park, der sogenannte 'Reenadinna Wood', mit Bäumen, die um die 200 Jahre alt werden. Der 18 ha große „Ziesbusch“ (slawisch zis = Eibe) mit 3500 Bäumen in der Tucheler Heide, Polen Eibe von Hennersdorf: ältester Baum Polens, galt bis 1945 als ältester Baum Deutschlands Raciborski-Eiben: 1000 Jahre alte Eibengruppe in Polen Quellen Literatur Fred Hageneder: Die Eibe in neuem Licht. Eine Monographie der Gattung Taxus. Neue Erde, Saarbrücken 2007, ISBN 978-3-89060-077-2. Jürg Hassler-Schwarz: Die Eibe (TAXUS BACCATA L.) Eine Beschreibung unter besonderer Berücksichtigung der Verbreitung und der kulturellen Bedeutung im Kanton Graubünden (Schweiz). Eigenverlag. 1999. Jürg Hassler-Schwarz: Die Eibe (Taxus baccata L.) . Eine Beschreibung der physischen und mythischen Eigenschaften sowie der kulturellen Bedeutung in Graubünden. Calven Verlag, Chur, ISBN 978-3-905261-39-4. 2. erweiterte Auflage. 2015 Thomas Scheeder: Die Eibe (Taxus baccata L.). Hoffnung für ein fast verschwundenes Waldvolk. IHW-Verlag, Eching 1994, ISBN 3-930167-06-9. Christoph Leuthold: Die ökologische und pflanzensoziologische Stellung der Eibe (Taxus baccata) in der Schweiz. (= Veröffentlichungen des Geobotanischen Institutes der ETH, Stiftung Rübel, Zürich. Nr. 67). Geobotanisches Institut der ETH, Stiftung Rübel, Zürich 1980. doi:10.5169/seals-308589. - Aktualisierte Kurzfassung in: Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, Band 149 (1998), S. 349–371. doi:10.5169/seals-766103 Markus Kölbel, Olaf Schmidt (Red.) u. a.: Beiträge zur Eibe. (= Berichte aus der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, Nr. 10). Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, Freising 1996. Hugo Conwentz: Die Eibe in Westpreußen, ein aussterbender Waldbaum. Bertling, Danzig 1892. Angelika Haschler-Böckle: Magie des Eibenwaldes. Neue Erde, Saarbrücken 2005, ISBN 3-89060-084-0. Michael Schön: Forstwirtschaft und Gefäßpflanzen der Roten Liste. Arten – Standorte – Flächennutzung. 2. Auflage. Herbert Utz Verlag, München 1998, ISBN 3-89675-375-4. Der Eibenfreund. Informationsschrift für die Mitglieder der Eibenfreunde f. V. und sonst an der Eibe Interessierte. Herausgeber: Cambiarare e. V. für die Eibenfreunde f. V., Sierke, Göttingen (Erscheinungsweise jährlich, seit 1995). D. Featherstone: Bowmen of England. London 1967. H. Seehase, R. Krekeler: Der gefiederte Tod. Hörnig 2001. U. Pietzarka: Zur ökologischen Strategie der Eibe. Stuttgart 2005. Christina R. Wilson, John-Michael Sauer, Stephen B. Hooser: Taxines: a review of the mechanism and toxicity of yew (Taxus spp.) alkaloids. In: Toxicon. Volume 39, Issues 2–3, 2001, S. 175–185 (Beschreibt die Toxizität für Hühner). Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands und angrenzender Länder. Die häufigsten mitteleuropäischen Arten im Portrait. 7., korrigierte und erweiterte Auflage. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2011, ISBN 978-3-494-01424-1. Lutz Roth, Max Daunderer, Kurt Kormann: Giftpflanzen Pflanzengifte. 6. überarbeitete Auflage, 2012, Nikol-Verlag, ISBN 978-3-86820-009-6. Ingrid und Peter Schönfelder: Das Neue Handbuch der Heilpflanzen, Botanik Arzneidrogen, Wirkstoffe Anwendungen. Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-440-12932-6. Weblinks Thomas Meyer: Eibe Datenblatt mit Bestimmungsschlüssel und Fotos bei Flora-de: Flora von Deutschland (alter Name der Webseite: Blumen in Schwaben). Eibe als Heilpflanze. Die Eibe in der Schweiz von der ETH Zürich, Gruppe Waldmanagement – Waldbau. Wolfgang Arenhövel: . In: Stiftung Wald in Not (Hrsg.): Seltene Bäume in unseren Wäldern – Erkennen, Erhalten, Nutzen, Seite 24–26 (PDF; 348 kB, via Wayback Machine). Eibe, Botanischer Garten, Universität Wien Pflanzenlexikon Säulen-Eibe in Bamberg. Zur Kulturgeschichte der Eibe von heimat-pfalz.de. Homepage der Eibenfreunde. Einzelnachweise Eibengewächse Baum des Jahres (Deutschland) Holzart Ziergehölz Baum des Jahres (Österreich) Baum
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https://de.wikipedia.org/wiki/Enziangew%C3%A4chse
Enziangewächse
Die Enziangewächse (Gentianaceae) sind eine Pflanzenfamilie in der Ordnung der Enzianartigen (Gentianales). Die etwa 80 bis 87 Gattungen mit 900 bis 1655 Arten sind weltweit vertreten. Beschreibung Erscheinungsbild und Blätter Es sind meist ein-, zweijährige oder ausdauernde krautige Pflanzen, seltener verholzende Pflanzen: Sträucher, Bäume oder Lianen. Alle Pflanzenteile sind unbehaart. Die meist gegenständigen, ungestielten Laubblätter sind einfach und glattrandig. Bei einigen Taxa sind die sich gegenüberstehenden Blätter teilweise durch eine verdickte Leiste verbunden. Bei manchen krautigen Arten sind die Laubblätter grundständig konzentriert. Nebenblätter fehlen. Blütenstände und Blüten Die Blüten stehen einzeln, in end- oder in achselständigen Blütenständen, meist handelt es sich um ein einfaches oder zusammengesetztes Dichasium, mit oder ohne Hochblätter. Die zwittrigen Blüten sind fast immer radiärsymmetrisch und meist vier- oder fünfzählig. Die vier oder fünf (selten bis zu zwölf) Kelchblätter sind mindestens an der Basis verwachsen. Die vier oder fünf (selten bis zu zwölf) meist großen und auffällig gefärbten Kronblätter sind mindestens an der Basis verwachsen (Sympetalie). Es ist nur ein Kreis mit vier oder fünf (selten bis zu zwölf) Staubblättern vorhanden; sie sind mit der Kronröhre verwachsen. Kelch-, Kron- und Staubblätter sind je Blüte immer in gleich großer Anzahl vorhanden. Zwei Fruchtblätter sind zu einem oberständigen Fruchtknoten verwachsen. Einige Arten sind heterostyl. Die Bestäubung erfolgt meist durch Insekten (Entomophilie). Früchte und Samen Es werden meist zweiklappige Kapselfrüchte gebildet mit meist vielen Samen; sehr selten sind Beeren mit wenigen Samen. Die kleinen Samen enthalten Öl und können geflügelt oder ungeflügelt sein. Inhaltsstoffe Besonders bei den krautigen Taxa sind häufig Bitterstoffe vorhanden, es handelt sich um Secoiridoide. Systematik Diese Familie wurde 1789 unter dem Namen „Gentianae“ durch Antoine Laurent de Jussieu in Genera Plantarum, 141 aufgestellt. Typusgattung ist Gentiana Die Taxa der früheren Familien: Chironiaceae , Coutoubeaceae , Potaliaceae , Saccifoliaceae sind heute in der Familie der Gentianaceae enthalten. Die Familie Gentianaceae wird in sechs Tribus gegliedert mit etwa 80 bis 87 (bis 95) Gattungen und 900 bis 1655 Arten: Tribus Saccifolieae : Sie enthält vier bis fünf Gattungen mit etwa 19 Arten im tropischen Südamerika: Curtia : Die etwa acht Arten sind von Mexiko über Zentralamerika bis Argentinien verbreitet und fehlen in der Andenregion. Hockinia : Sie enthält nur eine Art: Hockinia montana : Sie kommt im östlichen Brasilien vor. Saccifolium : Sie enthält nur eine Art: Saccifolium bandeirae : Sie kommt im Hochland von Guayana an der Grenze von Brasilien und Venezuela vor. Tapeinostemon : Die etwa sieben Arten sind im nordöstlichen Südamerika verbreitet. Voyriella : Sie enthält nur eine Art: Voyriella parviflora (Syn.: Voyria parviflora , Voyriella oxycarpha ): Sie ist im nordöstlichen tropischen Südamerika und Panama verbreitet. Tribus Exaceae : Sie enthält sechs Gattung mit etwa 165 Arten in der Paläotropis: Cotylanthera (manchmal in Exacum ): Bei den etwa vier Arten enthalten die Blätter wenig oder kein Chlorophyll. Die nur vier Arten sind im nordöstlichen Indien, Bhutan, Nepal, Myanmar, China, Thailand, Indonesien und auf den Philippinen verbreitet. Bitterblatt (Exacum ): Die etwa 65 Arten sind in der Paläotropis verbreitet. Gentianothamnus : Sie enthält nur eine Art: Gentianothamnus madagascariensis : Sie kommt nur auf Madagaskar vor. Ornichia : Die etwa drei Arten kommen nur auf Madagaskar vor. Sebaea : Die etwa 60 bis 100 Arten sind von Afrika bis Indien, Australien und Neuseeland verbreitet. Tachiadenus : Die etwa elf Arten kommen nur auf Madagaskar vor. Tribus Chironieae : Sie wird in zwei Subtribus gegliedert und enthält etwa 26 Gattungen mit etwa 159 Arten: Subtribus Chironiinae: Bisgoeppertia : Die nur drei Arten kommen nur auf den Großen Antillen vor. Zwei Arten gedeihen auf Böden über Serpentin, die eine nur im westlichen und die andere nur im östlichen Kuba. Die dritte Art kommt nur in der Dominikanischen Republik auf Hispaniola vor. Bitterenziane oder Bitterlinge (Blackstonia ): Die etwa vier Arten kommen in Europa und im Mittelmeerraum vor. Spät-Bitterling (Blackstonia acuminata ) Blackstonia grandiflora Blackstonia imperfoliata Durchwachsenblättriger Bitterling (Blackstonia perfoliata ) Tausendgüldenkraut (Centaurium ): Die etwa 20 Arten kommen in Eurasien und Nordafrika vor. Chironia : Die etwa 15 Arten sind in Afrika und Madagaskar verbreitet. Cicendia : Von den nur zwei Arten kommt eine im westlichen Europa sowie im Mittelmeerraum und eine in Kalifornien sowie im westlichen Südamerika vor. Prärie-Enziane (Eustoma ): Die etwa drei Arten sind vom südlichen Nordamerika bis ins nördliche Südamerika verbreitet. Exaculum : Sie enthält nur eine Art: Exaculum pusillum : Sie kommt in Südwesteuropa und westlichen Nordafrika, also im westlichen Mittelmeerraum vor. Geniostemon : Die etwa fünf Arten kommen in Mexiko vor. Gyrandra : Die etwa fünf Arten sind in Zentralamerika verbreitet. Ixanthus : Sie enthält nur eine Art: Kanarenenzian (Ixanthus viscosus ): Er kommt auf den Kanaren vor. Orphium : Die nur zwei Arten sind im südlichen Afrika verbreitet. Sabatia (Syn.: Lapithea ): Die etwa 20 Arten sind von Nord- bis Mittelamerika und auf karibischen Inseln verbreitet. Schenkia : Die etwa fünf Arten kommen in Eurasien, im Mittelmeergebiet, in Australien und auf pazifischen Inseln vor. Zeltnera : Die etwa 25 Arten sind Nord-, Zentral- und Südamerika (Kolumbien, Ecuador sowie Peru) verbreitet. Zygostigma : Sie enthält nur eine Art: Zygostigma australe : Sie kommt in Brasilien, Uruguay und Argentinien vor. Subtribus Canscorinae : Sie enthält sechs Gattungen: Canscora : Die etwa neun Arten sind in den Tropen verbreitet. Cracosna :Die etwa drei Arten sind in Südostasien verbreitet. Hoppea : Die etwa zwei Arten kommen ursprünglich in Indien, Sri Lanka und Myanmar vor und sind in Afrika, Australien und den Philippinen Neophyten. Microrphium : Die etwa zwei Arten kommen in Malesien und den Philippinen vor. Phyllocyclus : Die etwa fünf Arten kommen von Myanmar bis ins südliche Dhina vor. Schinziella : Sie enthält nur eine Art: Schinziella tetragona : Sie ist im tropischen Afrika verbreitet. Subtribus Coutoubeinae: Sie enthält fünf Gattungen: Coutoubea : Die etwa fünf Arten sind von Zentralamerika bis ins nördliche tropische Südamerika verbreitet. Deianira : Die etwa fünf bis sieben Arten sind in Brasilien und Bolivien verbreitet. Schultesia : Die etwa 21 Arten sind in den Tropen, außer in Asien, verbreitet. Symphyllophyton : Sie enthält nur eine Art: Symphyllophyton caprifolioides : Sie kommt im südlichen Brasilien vor. Xestaea : Sie enthält nur eine Art: Xestaea lisianthoides : Sie kommt in Venezuela vor. Tribus Helieae : Sie enthält etwa 22 Gattungen mit etwa 190 Arten in der Neotropis: Adenolisianthus : Sie enthält nur eine Art: Adenolisianthus arboreus (Syn.: Lisianthus arboreus , Helia arborea , Irlbachia alata subsp. arborea , Chelonanthus fruticosus ): Sie ist Kolumbien, Brasilien und Venezuela verbreitet. Aripuana : Sie enthält nur eine Art: Aripuana cullmaniorum : Sie ist im brasilianischen südöstlichen Amazonasgebiet verbreitet. Calolisianthus : Die etwa sechs Arten sind Brasilien und Bolivien verbreitet. Celiantha : Die nur drei Arten sind im nördlichen Südamerika verbreitet. Chelonanthus : Die etwa zehn Arten sind von Mexiko über Zentral- bis Südamerika verbreitet. Chorisepalum : Die etwa fünf Arten sind Venezuela bis Surinam verbreitet. Helia : Die nur zwei Arten sind von Brasilien bis Paraguay verbreitet. Irlbachia : Die etwa neun Arten sind in Kolumbien, Venezuela, Brasilien und den Guyanas verbreitet. Lagenanthus : Sie enthält nur eine Art: Lagenanthus princeps (Syn.: Lehmanniella princeps , Lisianthus princeps ): Sie ist im nördlichen Südamerika an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze beheimatet. Lehmanniella : Die nur zwei Arten kommen in Peru und Kolumbien vor. Macrocarpaea : Die etwa 90 bis 100 Arten sind von Zentral- bis Südamerika und auf den Großen Antillen verbreitet. Neblinantha : Die nur zwei Arten sind im nördlichen Südamerika an der brasilianisch-venezolanischen Grenze beheimatet. Prepusa : Die etwa fünf Arten sind im südöstlichen Brasilien verbreitet. Purdieanthus : Sie enthält nur eine Art: Purdieanthus pulcher (Syn.: Lehmanniella pulchra , Lisianthius pulcher ): Sie ist im nördlichen Südamerika an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze beheimatet. Rogersonanthus : Die nur drei Arten sind im nördlichen Südamerika und auf der Insel Trinidad verbreitet. Senaea : Die nur zwei Arten sind im südöstlichen Brasilien verbreitet. Sipapoantha : Sie enthält nur eine Art: Sipapoantha ostrina : Sie kommt nur in Venezuela vor. Symbolanthus : Die etwa 30 Arten sind in Costa Rica, Panama und im nördlichen Südamerika verbreitet. Tachia : Die etwa 13 Arten sind in Bolivien, Kolumbien, Brasilien und den Guyanas verbreitet. Tetrapollinia : Sie enthält nur eine Art: Tetrapollinia caerulescens : Sie ist im tropischen Südamerika verbreitet. Wurdackanthus (oft in Symbolanthus enthalten): Sie enthält höchstens zwei Arten im nördlichen Südamerika. Yanomamua : Sie enthält nur eine Art: Yanomamua araca : Sie kommt nur in der Serra do Araca in Brasilien vor. Zonanthus Griseb.: Sie enthält nur eine Art: Zonanthus cubensis : Die Heimat ist Kuba. Tribus Potalieae : Die wird in drei Subtribus gegliedert und enthält etwa 13 Gattungen mit etwa 154 tropischen Arten: Subtribus Potaliinae: Sie enthält drei Gattungen: Anthocleista : Die etwa 15 Arten sind im tropischen Afrika, auf Madagaskar und auf den Komoren verbreitet. Fagraea : Die etwa 35 Arten sind von Südostasien über Australien bis auf pazifischen Inseln verbreitet. Potalia : Die etwa neun Arten kommen von Costa Rica bis Bolivien vor. Subtribus Faroinae: Sie enthält neun Gattungen: Congolanthus : Sie enthält nur eine Art: Congolanthus longidens : Sie ist im tropischen Afrika in der Zentralafrikanischen Republik, Republik Kongo, in Gabun, Nigeria, Uganda, Tansania sowie in der Demokratischen Republik Kongo verbreitet. Djaloniella : Sie enthält nur eine Art: Djaloniella ypsilostyla : Sie kommt im tropischen Westafrika vor. Enicostema : Von den etwa drei Arten kommt eine im nördlichen Südamerika, Zentralamerika und auf karibischen Inseln vor und zwei Arten kommen in Madagaskar, tropischen Afrika sowie Asien vor. Faroa : Die etwa 19 Arten sind im tropischen Afrika verbreitet. Karina : Sie enthält nur eine Art: Karina tayloriana : Sie kommt nur im Kongo vor. Neurotheca : Von den etwa drei Arten ist eine im nördlichen Südamerika, tropischen Afrika sowie westlichen Madagaskar beheimatet und zwei im tropischen Afrika verbreitet. Oreonesion : Sie enthält nur eine Art: Oreonesion testui : Sie kommt im tropischen Westafrika vor. Pycnosphaera : Sie enthält nur eine Art: Pycnosphaera buchananii : Sie kommt im tropischen Afrika vor. Urogentias : Sie enthält nur eine Art: Urogentias ulugurensis : Sie kommt nur in Tansania nur in den Gebirgsketten Uluguru und Nguru Mountains vor. Subtribus Lisianthiinae: Sie enthält nur eine Gattung: Lisianthius (Syn.: Lisianthus orth. var., Lecanthus , Leianthus ): Die etwa 30 Arten sind in Zentralamerika und auf den Großen Antillen verbreitet. Tribus Gentianeae : Sie wird in zwei Subtribus und enthält etwa 17 Gattungen mit etwa 950 Arten: Subtribus Gentianinae: Sie enthält drei Gattungen: Crawfurdia : Die etwa 16 Arten sind Indien, Bhutan, Sikkim, Myanmar und China (14 Arten) verbreitet. Enziane (Gentiana ): Die etwa 360 Arten sind hauptsächlich in Asien verbreitet. Jeweils einige Arten kommen in Europa, Nord- sowie Südamerika, im nordöstlichen Afrika und östlichen Australien vor. Tripterospermum : Mit etwa 24 Arten; sie kommen in Ostasien vor. Subtribus Swertiinae: Sie enthält etwa 13 Gattungen: Bartonia : Mit etwa vier Arten. Sie kommen in Nordamerika vor. Zwergenziane oder Haarschlünde (Comastoma ): Mit etwa sieben bis 25 Arten, die in Europa, Asien und Nordamerika vorkommen. Darunter: Zwerg-Haarschlund (Comastoma nanum ) Zarter Haarschlund (Comastoma tenellum ) Frasera : Die etwa 15 Arten sind in Nordamerika verbreitet. Kranzenziane (Gentianella ): Die etwa 250 Arten sind in Eurasien, Nord- und Südamerika, Afrika und Neuseeland verbreitet. Fransenenziane (Gentianopsis ): Die etwa 16 bis 24 Arten sind in den gemäßigten Gebieten der Nordhalbkugel verbreitet. Halenia : Von den etwa 80 Arten sind etwa 76 von Zentral- bis Südamerika verbreitet; die anderen etwa vier kommen in Asien und Nordamerika vor. Jaeschkea : Die zwei bis vier Arten kommen im Himalaja im nördlichen Indien, Kaschmir, Pakistan, Sikkim sowie in China (zwei Arten) vor. Latouchea : Sie enthält nur eine Art: Latouchea fokienensis : Sie gedeiht am Straßenrand und in Wäldern in Höhenlagen von 1000 bis 2100 Meter im südöstlichen sowie südwestlichen China in Fujian, Guangdong, Guangxi, Guizhou, Hunan, südöstlichen Sichuan sowie nordöstlichen Yunnan. Tauernblümchen oder Saumnarben (Lomatogonium ): Mit etwa 21 Arten; sie kommen in den gemäßigten Zonen Eurasiens vor. Megacodon : Die nur zwei Arten kommen im Himalaja in Indien, Nepal, Sikkim, Bhutan und in den chinesischen Provinzen Hubei sowie Sichuan vor. Obolaria : Sie enthält nur eine Art: Obolaria virginica : Sie ist in den südöstlichen USA verbreitet. Pterygocalyx : Sie enthält nur eine Art: Pterygocalyx volubilis ; sie kommt in Ostasien vor Sumpfenziane oder Tarant (Swertia ): Die Laubblätter sind quirlig angeordnet. Die etwa 150 sind fast weltweit verbreitet, hauptsächlich in Asien und Afrika, mit jeweils wenigen Arten in Nordamerika und Europa, in China gibt es 75 Arten. Hierher auch: Sumpfenzian (Swertia perennis ) Veratrilla : Die nur zwei Arten kommen vom östlichen Himalaja von Indien, Bhutan und Sikkim bis China vor. In keine Tribus eingeordnet ist: Voyria : Sie sind chlorophylllos mit staubfeinen Samen. Von den etwa 19 Arten sind 18 in der Neotropis verbreitet, nur eine Art (Voyria primuloides ) kommt in Westafrika vor; unter diesen Arten ist beispielsweise: Voyria tenella Einige Gattungen werden bei verschiedenen Autoren auch in die Familie der Loganiaceae eingeordnet. Quellen Die Familie der Gentianaceae bei der APWebsite. (Abschnitte Systematik und Beschreibung) Die Familie der Gentianaceae bei DELTA. (Abschnitt Beschreibung) The Gentian Research Network. (Abschnitte Systematik und Beschreibung) Ting-nung Ho & James S. Pringle: Gentianaceae, S. 1 – textgleich online wie gedrucktes Werk, In: Wu Zheng-yi & Peter H. Raven (Hrsg.): Flora of China, Volume 16 – Gentianaceae through Boraginaceae, Science Press und Missouri Botanical Garden Press, Beijing und St. Louis 1995, ISBN 0-915279-33-9 (Abschnitte Beschreibung und Systematik) Einzelnachweise Weblinks Beschreibung der Familie bei der Western Australian Flora. (engl.) Die in Österreich heimischen Gattungen mit Links zu Steckbriefen der Arten. Eintrag bei Aluka. (engl.)
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https://de.wikipedia.org/wiki/EVU
EVU
EVU steht als Abkürzung für: Eidgenössischer Verband der Übermittlungstruppen Eisenbahnverkehrsunternehmen, ein Rechtsbegriff aus dem europäischen Eisenbahnrecht, der durch nationale Gesetze konkretisiert wird Elektrizitätsversorgungsunternehmen Energieversorgungsunternehmen Erstverarbeitungsunternehmen Erstversicherungsunternehmen Erweiterte Vorsorgeuntersuchung Etelä-Vantaan Urheilijat Europäische Vegetarier-Union, der europäische Dachverband der Vegetarier Europäische Vereinigung für Unfallforschung und Unfallanalyse Expansion Voice Unit Siehe auch: EVU
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https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrizit%C3%A4tsversorgungsunternehmen
Elektrizitätsversorgungsunternehmen
Ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU, EltVU, auch Stromversorgungsunternehmen; kurz Elektrizitätsversorger, Stromversorger oder Stromanbieter) ist ein Unternehmen, das seine Kunden mit elektrischer Energie (historisch und umgangssprachlich „Elektrizität“ oder „Strom“ genannt) versorgt, d. h. beliefert. Im engeren Sinne werden nur solche Unternehmen als Elektrizitätsversorger bezeichnet, die einen Endverbraucher direkt beliefern. Im weiteren Sinne sind alle Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft, also der gesamten Versorgungskette von der Erzeugung über den Handel, die Übertragung (Ferntransport) und die Verteilung bis zum Verbraucher unter diesem Begriff mit eingeschlossen. Als Stromanbieter wird jede natürliche oder juristische Person bezeichnet, die elektrischen Strom an Letztverbraucher liefert. Situation nach Ländern Deutschland In Deutschland kann man die Elektrizitätsversorgungsunternehmen unterteilen in überregionale Versorger, die auch Hochspannungsnetze betreiben; regionale Versorgungsunternehmen, die häufig Tochterunternehmen der großen Energieversorgungsunternehmen oder Stadtwerke sind und reine Stromversorger, die kein eigenes Netz betreiben. Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind in Deutschland durch Kooperation – auch auf europäischer Ebene – in der Lage, eine hohe Versorgungssicherheit zu gewährleisten. So gibt es Netze, bei denen Leitungen verschiedener Spannungsebenen (110 kV, 220 kV und 380 kV) auch von verschiedenen EVU betrieben werden. Daneben werden manche Hochspannungsleitungen gemeinsam von den EVU und der Deutschen Bahn betrieben. Nachfolgend einige bekannte deutsche Verbände: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) Verband kommunaler Unternehmen (VKU) local energy Die Strompreise in Deutschland können mitunter stark variieren, wobei die Preise vor allem im Süd-Westen und Osten Deutschlands höher liegen. Der Preisunterschied ist jedoch aufgrund verschiedener Berechnungen oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich (Öko/Klimatarife, Pakettarife, Sonderabschläge, Haupt- und Nebenzeit). Bedingt ist dieser Umstand einerseits durch die Preisfreiheit der Grundversorger, andererseits auch durch die Qualität der Anbindungen an überregionale Stromnetze. Gesetzliche Definitionen Gemäß Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) wird unterschieden zwischen Betreibern von Elektrizitätsversorgungsnetzen und Betreibern von Elektrizitätsverteilernetzen. Der Begriff Energieversorgungsnetz bezieht sich demnach auf Elektrizität und Gas. Nach  Nr. 18 EnWG sind Energieversorgungsunternehmen „natürliche oder juristische Personen, die Energie an andere liefern, ein Energieversorgungsnetz betreiben oder an einem Energieversorgungsnetz als Eigentümer Verfügungsbefugnis besitzen“. Sie übernehmen also Aufgaben der Erzeugung, der Verteilung und des Vertriebs. Hierunter fallen neben den Elektrizitätsversorgungsunternehmen zum Beispiel auch Erdgas- und Fernwärmeversorgungsunternehmen. Die §§ 6–10 EnWG schreiben in Umsetzung des europäischen Gemeinschaftsrechtes eine Entflechtung der sogenannten vertikal integrierten EVU vor. Vertikal integrierte Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind nach der Legaldefinition des  Nr. 38 EnWG solche Unternehmen oder eine Gruppe von Unternehmen, die im Elektrizitätsbereich mindestens eine der Funktionen Übertragung oder Verteilung und mindestens eine der Funktionen Erzeugung oder Vertrieb wahrnehmen. Das bedeutet zum Beispiel, dass der Netzbetrieb bei marktbeherrschenden Unternehmen rechtlich, operationell, informationell und buchhalterisch unabhängig von anderen Tätigkeiten im Bereich der Energieversorgung organisiert werden muss. Unternehmen Die fünf Unternehmen mit dem höchsten Anteil an der konventionellen Stromerzeugung in Deutschland sind Stand 2019 RWE, EnBW, LEAG, Vattenfall und Uniper. Sie erzeugen zum Stand 2019 gemeinsam ca. 70 % des konventionell erzeugten Stroms. Diese Unternehmen hatten im Jahr 2019 einen Anteil von 4,9 % an der Erneuerbaren Stromerzeugung. Im Jahr 2019 gab es in Deutschland 1.429 Stromlieferanten. Die größten Lieferanten sind RWE, EnBW, Vattenfall und E.ON. Die Endkundenversorgung mit Strom wird nach Kunden mit Registrierender Leistungsmessung (sogenannte RLM-Kunden) und Standardlastprofilkunden (sogenannte SLP-Kunden) unterschieden. Ersteres sind große Industriebetriebe, deren Stromabnahme viertelstündlich gemessen wird, letzteres Haushaltskunden und andere Kleinabnehmer, die nur nach Jahresmengen abgerechnet werden. Im Jahr 2019 wurden rund 257,2 TWh Strom an RLM-Kunden und rund 156,9 TWh Strom an SLP-Kunden abgesetzt, davon 13,5 TWh Heizstrom. Dabei setzten die vier absatzstärksten Unternehmen auf dem bundesweiten Markt für die Belieferung von RLM-Kunden rund 63,0 TWh ab. Ihr aggregierter Marktanteil beträgt somit 24,5 Prozent. Bei der Belieferung von SLP-Kunden im Rahmen von Sonderverträgen (außerhalb der Grundversorgung und ohne Heizstrom) betrug der kumulierte Absatz der vier absatzstärksten Unternehmen im Jahr 2019 rund 37,5 TWh. Der aggregierte Marktanteil der vier größten Unternehmen beträgt auf diesem Markt somit rund 34,1 Prozent. Bei der Grundversorgung und der Versorgung mit Heizstrom haben die vier absatzstärksten Unternehmen mit 42,5 % und 56,9 % noch einen recht hohen Marktanteil. Die DB Energie versorgt die Fahrzeuge der Deutschen Bahn und anderer Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Einphasenwechselstrom der Frequenz 16,7 Hz. Da dies nur für den Bahnbetrieb geschieht, zählt man sie insofern nicht zu den eigentlichen EVU, obwohl sie ein umfangreiches Hochspannungsleitungsnetz betreibt, welches auch nach Österreich und in die Schweiz führt. Indem die DB Energie jedoch auch zahlreiche Gewerbebetriebe an den Bahnhöfen mit 230 V 50 Hz Netzstrom versorgt, der überwiegend von außen zugeliefert wird, ist sie für diese Kunden auch ein Stromlieferant. Daneben gibt es einige Stromlieferanten, die ausschließlich aus Strom aus Erneuerbaren Energiequellen beschaffen und verteilen. Die vom Umsatz her größten, von den großen EVU unabhängigen Ökostrom-Anbieter waren 2015: Frankreich Vor 2007 gab es in Frankreich nur Électricité de France sowie lokale Verteilungsunternehmen wie „Electricité de Marseille“ (zusammenfassend „fournisseurs historiques“ genannt). Mitte 2007 liberalisierte die französische Regierung den Elektrizitätsmarkt, seitdem gibt es zahlreiche 'fournisseurs alternatifs', z. B. Engie. Österreich In Österreich gibt es zwei nationale Erzeuger-Gesellschaften sowie eine Reihe von regionalen Gesellschaften, die oft aber nur als Verteiler bzw. Stromhändler tätig sind (s. u.). Sie sind meist Gesellschaften mit Anteilen der einzelnen Bundesländer, einige (z. B. Energieversorgung Niederösterreich, Wien Energie) haben auch eigene Elektrizitätswerke, um Spitzenbedarf abzudecken. Die wichtigsten Stromerzeuger sind: Verbund AG Energieversorgung Niederösterreich Wien Energie Bahnstrom ÖBB-Infrastruktur Die wichtigsten Ökostrom-Erzeuger sind: Alpen Adria Naturenergie evn naturkraft Oekostrom AG WEB Windenergie Windkraft Simonsfeld Die Verteilergesellschaften sind: BEWAG – Burgenland Energie AG Oberösterreich – Oberösterreich Energie Steiermark (u. a. STEWEAG-STEG) – Steiermark Energieversorgung Niederösterreich – Niederösterreich KELAG – Kärnten Salzburg AG – Salzburg TIWAG – Tirol illwerke vkw – Vorarlberg Wiener Netze – Wien, Teile von Niederösterreich und Burgenland Die Übertragungsnetzbetreiber sind: Austrian Power Grid Vorarlberger Energienetze – Vorarlberg Im Zuge der Deregulierung des Strommarktes 2001 sind neue Anbieter dazugekommen, die Endkonsumenten und Unternehmen beliefern. Allerdings besitzen sie keine Infrastruktur. Viele dieser Unternehmen sind Ableger deutscher Stromversorger, z. B. E wie Einfach, ENSTROGA oder Grünwelt. Schweiz Die großen Elektrizitätsversorgungsunternehmen in der Schweiz sind: Axpo Holding (Axpo) Axpo Power AG ehemals Nordostschweizerische Kraftwerke (NOK) Axpo Services AG Axpo Solutions AG, ehemals Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL) Centralschweizerische Kraftwerke (CKW) Alpiq Holding Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel) EOS Holding (EOS) BKW Energie ehemals BKW FMB Energie AG Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) Schweizerische Bundesbahnen (SBB) für das Bahnstromnetz Repower AG Die Schweizer Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind großmehrheitlich im Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen organisiert. Siehe auch Elektrizitätswirtschaft Energiemarkt Energiewirtschaft Energieversorgung Öffentliches Versorgungsunternehmen Schlichtungsstelle Energie Stromdiscounter Stromanbieterwechsel Weblinks Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/E-Plus
E-Plus
Die E-Plus Mobilfunk GmbH war ein deutscher Mobilfunkanbieter und Teil der E-Plus-Gruppe. Diese gehörte vom Jahr 2000 bis zum 1. Oktober 2014 dem niederländischen KPN-Konzern, bevor sie Teil der Telefónica Deutschland Holding wurde. E-Plus war bis zu diesem Zeitpunkt mit rund 25,5 Millionen Kunden der drittgrößte Mobilfunknetzbetreiber Deutschlands. Viele Marken und Unternehmen der E-Plus-Gruppe wurden nach der Übernahme auf die Telefónica Germany GmbH & Co. OHG verschmolzen. Dazu gehörte auch die E-Plus Mobilfunk GmbH, die in die Teilbereiche E-Plus Mobilfunk in Düsseldorf und E-Plus Service in Potsdam gegliedert war, aber auch eigenständige Tochterunternehmen wie Simyo oder die Blau Mobilfunk. Im Zuge der Übernahme durch Telefónica wurde Yourfone bereits zum 1. Februar 2015 an den Mobilfunk-Service-Provider Drillisch verkauft. Großkunden von E-Plus wurden von O2 Business übernommen. Heute existiert nur noch die E-Plus Service GmbH mit Sitz in Düsseldorf, die nach wie vor als Vertragspartnerin von Aldi Talk fungiert. E-Plus war des Weiteren Mitglied in der Europäischen Bewegung Deutschland. Geschichte sowie Chronologie des Unternehmens Das Unternehmen wurde 1992 als E-Plus Mobilfunk GmbH gegründet und erhielt 1993 eine Mobilfunklizenz für DCS 1800 (E1-Netz) durch den damaligen Bundespostminister Wolfgang Bötsch (CSU). Lizenzinhaber wurde ein Konsortium um E-Plus, dessen Hauptgesellschafter die VEBA Telecom, RWE Telliance, Thyssen Telecom und BellSouth waren. 1994 erfolgte ab Mai der Netzstart in Berlin und sieben Ballungsgebieten nach dem Mobilfunk-Standard DCS 1800. 1997 bot E-Plus als erster deutscher Netzbetreiber Prepaid-Tarife (Free&Easy) an. 1999 führte das Unternehmen als erster deutscher Netzbetreiber Minutenpakete unter dem Namen Time&More ein. Im selben Jahr wurden die Dienste WAP und HSCSD eingeführt. Neben E-Plus bot Vodafone HSCSD an. Im selben Jahr scheiterte ein Versuch der France Télécom, bei E-Plus einzusteigen. Der französische Telekommunikationskonzern wollte den 17,24-prozentigen Anteil von Vodafone erwerben, von dem sich Vodafone nach der Fusion mit Air Touch trennen wollte. BellSouth nahm einen Kredit in Höhe von 9,18 Mrd. Euro bei dem niederländischen Unternehmen KPN auf und sicherte sich damit das Vorkaufsrecht. Zudem erwarb BellSouth den 60,25-prozentigen Anteil von o.tel.o (VEBA/RWE), da sich die Anteilseigner wieder auf das Kerngeschäft (Energie) konzentrieren wollten. Dieser Kredit von KPN wurde anschließend in einen 77,49-prozentigen Anteil an E-Plus umgewandelt. 2000 wurde KPN Hauptgesellschafter von E-Plus. Es erfolgte eine kurzzeitige Beteiligung von Hutchison Whampoa zur Ersteigerung einer UMTS-Lizenz. 2001 wurde GPRS zur Übertragung von Paketdaten eingeführt. 2002 erfolgte die Einführung des Datendienstes i-Mode. Ebenso wurde KPN in diesem Jahr alleiniger Gesellschafter. Überdies wurde die Kundenbetreuung an die SNT Deutschland, ein Tochterunternehmen der KPN, ausgegliedert. Im Januar 2002 wurde auch bekannt, dass KPN auch die restlichen Anteile von E-Plus im Rahmen eines Aktientausches von BellSouth zu erwerben beabsichtigte. Die komplette Übernahme wurde daraufhin im März 2002 vollzogen. 2004 erfolgte der kommerzielle UMTS-Netzstart. E-Plus lagerte die IT-Infrastruktur und Applikationsmanagement aus (Outsourcing an Atos Origin). 2005 erfolgte der Start der Mobilfunk-Discounter Marken Simyo und Base (Flatrate) sowie eine Kooperation mit dem Lebensmittel-Discounter Aldi. Es wurde die erste Flatrate für Datennutzung (UMTS und GPRS) eingeführt. Zudem wurde ein Mobilfunkangebot speziell für Türkischstämmige unter der Marke Ay Yildiz eingeführt. Von Mai 2006 bis Januar 2007 war Michael Krammer Geschäftsführer von E-Plus, er folgte damit auf Uwe Bergheim. 2006 bekam E-Plus E-GSM-900-Frequenzen zugeteilt. Zudem wurde die Phone-and-Music-Marke Vybemobile eingeführt, für die E-Plus eine Kooperation mit Universal Music Deutschland einging. 2007 lagerte E-Plus den Betrieb und Bau seines Mobilfunknetzes aus (Outsourcing an Alcatel-Lucent). Neuer Geschäftsführer wurde Thorsten Dirks. 2007 gingen alle alten E-Plus-Shops (160 Stück) in die neue E-Plus Shop GmbH über (Betriebsübergang). 2008 übernahm die E-Plus-Muttergesellschaft KPN den Discounter Blau Mobilfunk sowie die Shopkette SMS-Michel. Damit erhielt die E-Plus-Gruppe 400 neue Ladengeschäfte in guter Lage von Einkaufszonen. Am 1. Februar 2010 hat E-Plus die Vermarktung von Laufzeitverträgen und Prepaid-Tarifen unter der Tarifmarke E-Plus eingestellt. Interessenten werden stattdessen auf die Flatrate-Marke Base sowie die Prepaid-Marken blau und simyo verwiesen. E-Plus begründet dies mit einer größeren Einfachheit bei der Kaufentscheidung. Bestehende Kunden können unbefristet weiter ihre Tarife nutzen und bekommen einen erhöhten Kundenservice versprochen. Am 1. September 2011 führt E-Plus eine deutschlandweit gültige Festnetznummer als zubuchbare Option ein. Das ist insofern neu, als Kunden der anderen Mobilfunkanbieter lediglich eine Festnetznummer in einem Radius von 2 km nutzen können. Diese Option ist auch für diverse Submarken der E-Plus-Gruppe nutzbar, allerdings nicht für die sogenannten Discountmarken. Am 22. Dezember 2011 wurde bekannt, dass E-Plus die Marke vybemobile auflöst, weil der Vertrag mit dem Partner Universal Music zum 31. Dezember 2011 aufgelöst sei. Dies habe zur Folge, dass vybemobile-Kunden keine kostenlosen Musikdownloads mehr durchführen könnten und bedeute somit eine Verschlechterung der Vertragsbedingungen. Für vybemobile-Bestandskunden besteht zum Jahresende ein außerordentliches Kündigungsrecht. Seit 1. Januar 2012 nimmt vybemobile keine neuen Kunden mehr auf. Am 17. April 2012 startete die E-Plus-Gruppe einen neuen Mobilfunkdiscounter namens yourfone.de, der einen Alle-Netze-Pauschaltarif mit Internetpauschale für weniger als 20 Euro anbietet und läutet damit eine neue Preisrunde im Mobilfunkmarkt ein. Seit dem 1. Januar 2013 gehört blau Mobilfunk aufgrund von Änderungen in der Konzernstruktur zu E-Plus und ist nun eine direkte Tochtergesellschaft. Am 23. Juli 2013 gab KPN bekannt, dass Telefónica den Netzbetreiber E-Plus für 5 Milliarden Euro plus 17,6 % an Aktien von KPN übernehmen soll. Die EU-Kommission genehmigte die Übernahme im Juli 2014. Am 1. Oktober 2014 wurde die Übernahme von E-Plus durch Telefónica Deutschland abgeschlossen. Am 26. Januar 2015 wurde das Vermögen der E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG im Rahmen einer formwechselnden Umwandlung auf die E-Plus Mobilfunk GmbH übertragen. Seit dem 4. Februar 2015 besteht mit der Telefónica Germany GmbH & Co. OHG ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. E-Plus wird dabei langfristig als Marke aufgelöst werden. Mit Wirkung zum 1. April 2015 wurde das Mobilfunknetz (Mobilfunktürme mit der zugehörigen passiven Netztechnologie) an die beherrschende Telefónica Germany verkauft und wurde bis zur Vereinheitlichung der Netze zurück gemietet (Sale-Lease-Back). Der Vorstandsvorsitzende seit der Integration der Marke, Thorsten Dirks, schied im 1. Quartal 2017 aus dem Unternehmen aus. Marktstrategie Spätestens seit dem Jahr 2005 verfolgte E-Plus eine Schwerpunktstrategie am Mobilfunkmarkt, also eine Konzentration des Angebots auf besonders häufig nachgefragte Dienste, die zu vergleichsweise niedrigen Preisen verkauft wurden. Innovative Produkte wurden erst mit Verzögerung angeboten, wenn durch die Erfolge von Konkurrenzunternehmen absehbar war, dass sich Investitionen in diese rentieren würden. Bei E-Plus resultierte diese Strategie in eher günstigeren Tarifen für Telefonie, eine Preisführerschaft in diesem Gebiet wurde angestrebt. Das UMTS-Netz wurde schrittweise weiter ausgebaut, um neue Gebiete zu versorgen und die Kapazitäten zu erweitern. Des Weiteren wurde das GSM-Netz deutschlandweit auf E-GSM erweitert, so dass sich die Netzabdeckung stark verbessert hatte. Mobilfunknetze E-Plus betrieb bundesweite Mobilfunknetze im E-GSM-, DCS-1800-, UMTS- und LTE-Standard. Das GSM-Netz war seit 1994 in Betrieb. Zum Ende des Jahres 2013 befanden sich noch 19.316 GSM-Basisstationen und 12.280 UMTS-Basisstationen inklusive Mobilfunkrepeater in Betrieb. Nach eigenen Angaben erreichte E-Plus damals mit seinem GSM-Netz 99,9 %, mit EDGE 84 % und mit seinem UMTS-Netz 80 % der Bevölkerung. Der Aufbau des eigenen UMTS-Netzes erfolgte seit dem Jahr 2004. Zum Einsatz kamen hierbei neben gewöhnlichen Standorten mittlerer Höhe wie kleineren Masten und Hausdächern auch sogenannte Ultra High Sites (UHS). Dies bezeichnete Antennenstandorte mit einer Montagehöhe von mehr als 100 Meter, zum Beispiel Industrieschornsteine oder Fernsehtürme. UHS erlaubte die Versorgung größerer Flächen mit weniger Investitionen, als dies gewöhnlich notwendig wäre. Allerdings verringerte sich durch diese Bauweise auch die Kapazität, da trotz der größeren Fläche immer noch die gleiche Anzahl der gleichzeitig durchgestellten Gespräche blieb. Das UMTS-Netz enthielt teilweise Technik des ehemaligen Netzes von Mobilcom, dessen Ausbau noch vor der kommerziellen Inbetriebnahme gestoppt wurde. Mobilcom verkaufte einen Großteil seiner Technik im Jahr 2003 für 20 Mio. Euro an E-Plus. Anfang 2006 baute das Unternehmen E-GSM-Basisstationen auf oder vorhandene DCS-1800-Stationen zu E-GSM/DCS-1800-Dualband-Stationen um. Die E-GSM-Frequenzen wurden den beiden Netzbetreibern E-Plus und O2 von der Bundesnetzagentur zugewiesen, um auch ländliche Gebiete besser und effizienter versorgen zu können und den Empfang innerhalb von Gebäuden zu verbessern. Damit sollten die bisher nur auf 1800 MHz sendenden Netzbetreiber eine technische Chancengleichheit erhalten. Das GSM-Netz unterstützte den Dienst GPRS für den paketorientierten Datentransfer. In fast allen Regionen konnte zudem der Datendienst EDGE zum Surfen genutzt werden, wodurch ein schnellerer Datendurchsatz erreicht wurde als bei GPRS. Die Sprachübertragung wurde im GSM-Netz mit dem Adaptive Multirate Codec (AMR) und bei älteren Mobiltelefonen mit dem Enhanced Full Rate Codec (EFR) realisiert. Von Juli 2010 bis Ende 2012 baute E-Plus sein Datennetz mit dem Datenbeschleuniger HSPA+ aus. In einer Untersuchung der Datenübertragungsrate in deutschen Mobilfunknetzen durch die Stiftung Warentest im Juni 2011 hatte E-Plus am schlechtesten abgeschnitten. Auch beim Netztest der Zeitschrift Connect landete E-Plus im Jahr 2011 unter allen elf Netzbetreibern in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf dem letzten Platz. Im Januar 2013 gab E-Plus bekannt, noch bis Ende 2013, als letzter deutscher Mobilfunknetzbetreiber, seine LTE-Einführung zu vollziehen. Anfang März 2014 führte E-Plus als letzter deutscher Netzbetreiber LTE in Berlin, Leipzig und Nürnberg ein. Der Netzbetreiber griff dabei auf das 2010 von der Bundesnetzagentur erworbene 1800-MHz-Frequenzspektrum zurück. Mitte März 2014 schaltete E-Plus HD Voice für bessere Sprachqualität im UMTS-Netz frei. Ab Mitte Januar 2015 wurde auch das Netzroaming zwischen O₂ und E-Plus getestet. Im Februar 2015 kündigte Telefónica an, Mitte April 2015 das National Roaming für alle Kunden freizuschalten. Ziel war es, weiße Flecken in der Netzabdeckung zu schließen und Datendienste in nicht mit LTE versorgten Gebieten zu verbessern. Am 1. Dezember 2015 kündigte Telefónica Deutschland an, dass ab Januar 2016 mit der Zusammenlegung der GSM- und UMTS-Netze begonnen wird und diese bis Ende 2017 abgeschlossen sein soll. Netzanbieter für Mobilfunk-Discounter E-Plus war der Netzanbieter für mehrere Mobilfunk-Discounter wie Aldi Talk, Blau Mobilfunk, MTV Mobile, Ortel Mobile GmbH und simyo, sowie den MVNE Sipgate Wireless und ehemals auch Telogic. Nach der Übernahme von E-Plus übernahm Telefónica die Zusammenarbeit mit den Anbietern sowie die Betreuung des Kundenstamms, die Kunden des Angebots ALDI Talk sind jedoch, Stand Dezember 2020, weiterhin Vertragspartner der E-Plus Service GmbH mit Sitz in Düsseldorf. Sponsoring Die E-Plus-Gruppe unterstützte die Sozialkampagne „iCHANCE“ vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung. „iCHANCE“ ist eine multimedial ausgerichtete Kampagne mit dem Ziel, Vorurteile gegenüber (funktionalen) Analphabeten abzubauen und Menschen mit Grundbildungsbedarf dazu zu ermutigen, Lernangebote wie Lese- und Schreibkurse wahrzunehmen. Kritik Sperrung bestimmter Festnetzrufnummern Im Juni 2008 wurde bekannt, dass E-Plus – ähnlich wie O₂ und Vodafone – die Erreichbarkeit der Rufnummern bestimmter Sprach-Chat-Systeme erheblich einschränkte. Bei diesen Rufnummern handelt es sich um normale Festnetzrufnummern, die im Rahmen von Festnetz-Flatrates gratis angerufen werden können und in der Praxis ein hohes Gesprächsaufkommen verursachen. Dabei nahm E-Plus im Unterschied zu O2 nicht nur eine Limitierung des Anrufvolumens vor, sondern sperrte die betroffenen Rufnummern komplett. Im Februar 2009 wurden diese Sperren erweitert und umfassten seitdem auch einige Anbieter von geschäftlichen Telefonkonferenzen. Ebenso betroffen waren bestimmte Anbieter von Calling-Cards, über deren Rufnummern Gespräche ins Ausland und zu Sonderrufnummern kostengünstiger geführt werden konnten. Durch die Sperrung war es den Kunden unmöglich, diese Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, was jedoch durch die AGB abgedeckt war. Die Festnetz-Flatrates der meisten Mobilfunkanbieter schließen „Dienstenutzung“ über Festnetznummern in der Regel aus. Ebenfalls ist es seitens der Bundesnetzagentur nicht vorgesehen, auf Endteilnehmeranschlüssen Massendienste anzubieten. Unternehmensdaten EBITDA Gewinn vor Finanzergebnis, außerordentlichem Ergebnis, Steuern und Firmenwertabschreibungen (EBITDA): Kundenzahl Niederlassungen E-Plus unterhielt Betriebsniederlassungen in Hamburg, Essen, Berlin, Leipzig, Hannover, Kassel, Ratingen, Frankfurt am Main, Karlsruhe, Nürnberg, Stuttgart und München. Der Hauptsitz des Unternehmens war in Düsseldorf. Gesellschafter Die E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG gehörte von 2000 bis September 2014 zur niederländischen KPN N.V. und wurde nach der kartellrechtlichen Freigabe durch die EU-Kommission am 1. Oktober 2014 von der Telefónica Deutschland Holding übernommen. Durch die Fusion mit E-Plus ist Telefónica Deutschland zum nach Kundenzahlen größten deutschen Mobilfunkanbieter aufgestiegen. Seitdem arbeitet der Konzern kontinuierlich an einer schrittweisen Zusammenführung seiner beiden Tochtergesellschaften E-Plus und Telefónica Germany. Am 26. Januar 2015 wurde die E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG in E-Plus Mobilfunk GmbH umfirmiert und seit dem 4. Februar 2015 besteht zwischen der E-Plus Mobilfunk GmbH und der Telefónica Germany GmbH & Co. OHG als „herrschendem Unternehmen“ ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. E-Plus Retail Die 2011 gegründete E-Plus Retail GmbH verwaltete das Ladengeschäft, das aus eigenen Filialen, Franchisenehmern und freien Händlern bestand und die Marken Base und MTV Mobile führten. Anfang Dezember 2016 wurde sie in Telefónica Germany Retail GmbH umfirmiert. MTV Mobile wurde dabei mit eingestellt. Sie hatte ihren Sitz in Düsseldorf und wurde von Marcus Epple geleitet. Einzelnachweise Ehemaliger Mobilfunkanbieter Telekommunikationsunternehmen (Düsseldorf) Gegründet 1992 Aufgelöst 2014
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https://de.wikipedia.org/wiki/Einlagefazilit%C3%A4t
Einlagefazilität
Die Einlagefazilität () ist eine Möglichkeit für Geschäftsbanken im Euroraum, kurzfristig nicht benötigtes Zentralbankgeld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) anzulegen. Als Verzinsung erhalten bzw. zahlen sie den von der Zentralbank vorgegebenen Einlagesatz. Es handelt sich somit um ein Wahlrecht zur Geldanlage, welches von der Zentralbank gewährt wird und stellt ein wichtiges geldpolitisches Instrument der EZB dar. Durchführung Die Initiative zu Einlagegeschäften geht von den Geschäftsbanken aus. Sind diese für Transaktionen mit der EZB zugelassen, so können sie bei der Zentralbank kurzfristig nicht benötigtes Geld anlegen. Aufgrund der kurzen Fristigkeit solcher Geschäfte bezeichnet man diese Form der Finanzierung auch als Übernachtanlage oder Overnight-Money. Hat die Bank am Tagesende offene Habensalden auf den ESZB-Konten, werden diese automatisch zu Einlagefazilitäten. Als Preis für die Inanspruchnahme der Einlagefazilität erhalten bzw. zahlen sie den Einlagesatz (teilweise auch Einlagefazilitätssatz). Einlagefazilitäten werden dauerhaft und in unbegrenztem Volumen angeboten; daher bezeichnet man sie auch als ständige Fazilität. Einordnung Der Einlagesatz wird üblicherweise als einer der drei Leitzinsen der EZB bezeichnet. Der Zinssatz wird vom EZB-Rat festgelegt und bildet die Untergrenze des Zinskorridors. Die Einlage ist das Gegenstück der Spitzenrefinanzierungsfazilität. Längerfristige Liquidität wird den Banken vor allem über das Hauptrefinanzierungsinstrument zur Verfügung gestellt. Mit dem Übergang der Zuständigkeit für die Geldpolitik auf die EZB hat die Einlagefazilität die früheren Rediskontkontingenten abgelöst. Bedeutung für den Geldmarkt Die Einlagefazilität erfüllt vor allem zwei Funktionen: Die erste Bedeutung dieses Instruments liegt darin, dass die Geschäftsbanken von sich aus jederzeit Liquidität anlegen und damit Liquiditätsüberschüsse vermeiden können. Zweitens hat die Einlagefazilität eine geldpolitische Bedeutung: Grundsätzlich können Geschäftsbanken auch über den Geldmarkt (Interbankenmarkt) Übernachtanlagen tätigen. Allerdings müssen dort getätigte Übernachtanlagen zwangsläufig teurer (das heißt höher verzinst) sein als die Einlagefazilität, da ansonsten auf dem Interbankenmarkt keine Geschäfte zustande kommen. Daher bildet der Einlagesatz die untere Grenze der für Übernachtanlagen erhobenen Zinsen. Erhöht (senkt) die EZB den Einlagesatz, so werden auch die Geschäftsbanken ihren Zins für Übernachtanlagen erhöhen (senken) – folglich dient der Einlagesatz auch zur Durchsetzung der Zinspolitik am Markt. Weblinks Standing facilities der EZB Zeitreihen bei der EZB Geldpolitik Finanzmarktgeschäft
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https://de.wikipedia.org/wiki/Eris%20%28Mythologie%29
Eris (Mythologie)
Eris (, auf einer Vase mit der Beischrift bezeichnet; Personifikation von ) ist in der griechischen Mythologie die Göttin der Zwietracht und des Streites. Sie ist Tochter der Nyx, gilt auch als Schwester des Ares. Eris wurde aus der griechischen in die römische Mythologie als Discordia („Zwietracht“) übernommen. Apfel der Zwietracht Sie ist bekannt durch den goldenen „Apfel der Zwietracht“ (den sprichwörtlichen „Zankapfel“ oder „Erisapfel“), den sie auf der Hochzeit des Peleus und der Thetis, zu der sie nicht eingeladen war, unter die Gäste warf. Auf diesem Apfel war die Widmung eingraviert, das bedeutet „der Schönsten“. Aphrodite, Athene und Hera begannen, um den Apfel zu streiten. Auf Anweisung des Zeus führte Hermes die drei zu Paris; dieser solle ihn der schönsten der drei Göttinnen geben. Paris entschied sich für Aphrodite, die ihm die schönste Frau der Welt versprochen hatte. Es erwies sich aber, dass sie bereits verheiratet war: Helena, die Frau des Königs von Sparta Menelaos. Ihre Entführung durch Paris löste dann den Trojanischen Krieg aus. Darstellung Eris erscheint oft als hinkende, zusammengeschrumpelte, kleine Frau. Erst wenn sie es schafft, den Neid und den Hass der Menschen zu wecken, erblüht sie zu ihrer wahren Gestalt. Homer schreibt über sie in der Ilias: „... die rastlos lechzende Eris ..., die erst klein von Gestalt einherschleicht; aber in kurzem trägt sie hoch an den Himmel ihr Haupt, und geht auf der Erde. Diese nun streuete Zank zu gemeinsamem Weh in die Mitte, wandelnd von Schar zu Schar, das Geseufz’ der Männer vermehrend.“ In Werke und Tage des Hesiod ist neben der zänkischen Eris auch noch eine „gute“ angeführt, die den Menschen zur Arbeit anspornt. Nachkommen In Hesiods Theogonie werden als Nachkommen der Eris genannt: Ponos () Lethe () Limos () Algea () Hysminai () Makhai () Phonoi () Androktasiai () Neikea () Pseudea () Amphilogiai () Dysnomia () Ate () Horkos () Rezeption Eine postmoderne Rezeption des von Eris vertretenen Prinzips findet sich in der Religion des Diskordianismus, der vor allem durch die Romantrilogie Illuminatus! von Robert Shea und Robert Anton Wilson bekannt wurde. Die Zwietracht (franz. La Discorde) ist eine Fabel von Jean de La Fontaine. Nach der Göttin der Zwietracht ist auch der Zwergplanet Eris benannt, dessen Entdeckung zu einem Streit um die Neudefinition des Begriffs „Planet“ und der kontrovers diskutierten Aberkennung des Planetenstatus von Pluto geführt hatte. Der Zwergplanet wurde so metaphorisch zum Zankapfel der Astronomen. In der Kunst In der Fernsehserie Herkules ist Zankapfel ein wiederkehrender Antagonist. In The New 52 (die neuen 52) Relaunched Wonder Woman wurde Eris zu „Strife“ umbenannt. Sie ist sarkastisch, giftig, und ein Trinker. Sowohl Diana und Hermes betrachten ihre Mentalität wie die eines gehässigen Kindes. Im Film Sinbad – Der Herr der sieben Meere (2003) wird Eris als Göttin des Chaos dargestellt. In EVE Online ist Eris der Name der Gallente Interdictor (Raumschiff). In der Animeserie KonoSuba: God’s blessing on this wonderful world! wird Eris als Göttin einer mit der Protagonistin Aqua konkurrierenden Religion dargestellt. Im Videospiel Hades ist einer der Aspekte der Waffe Exogryph nach Eris benannt. Im Buch Olympos, Krieg der Götterkinder ist der Zankapfel ein Golden Delicious aus der Zukunft. Dieser wird von den drei Zeitreisenden Frauen, von Athena, Paris bei einer Hochzeit geschenkt, mit der Bitte zu schlichten. Im Streit, welche von ihnen beim Fest am Abend denn nun den goldenen Kopfschmuck tragen darf, lässt Paris die drei Frauen je eine Rose ziehen. Dr. Sarah Jones, welche zufällig kurz zuvor auch Paris’ Vater vor einem Attentäter rettete, erwischt die Rose mit dem längsten Stiel und gewinnt. Durch Veränderung der Zeitlinie, und da Paris die Begebenheit wohl etwas anders als geschehen weiter erzählte, sowie aufgrund der folgenden Jahrhunderte mündlicher Überlieferung, entstand im Buch der Mythos vom Zankapfel. Abgeleitete Begriffe Eristik, die Lehre vom Streitgespräch Literatur Weblinks Anmerkungen Griechische Gottheit Diskordianismus Weibliche Gottheit
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https://de.wikipedia.org/wiki/Enzyklop%C3%A4die
Enzyklopädie
Eine Enzyklopädie (), früher auch aus dem Französischen: Encyclopédie (von , d. h. was wir heute „Grundausbildung, allgemeine Erziehung, Allgemeinbildung“ nennen, siehe Paideia), ist ein besonders umfangreiches Nachschlagewerk. Der Begriff Enzyklopädie soll auf Ausführlichkeit oder eine große Themenbreite hinweisen, wie beispielsweise bei einem Menschen, dem enzyklopädisches Wissen nachgesagt wird. Es wird eine Zusammenfassung des gesamten Wissens dargestellt. Die Enzyklopädie ist demzufolge eine überblickende Anordnung des Wissens einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Raumes, welche Zusammenhänge darstellt. Daneben werden als Fachenzyklopädien solche Werke bezeichnet, die nur ein einzelnes Fach- oder Sachgebiet behandeln. Die Bedeutung des Begriffes Enzyklopädie ist fließend; Enzyklopädien standen zwischen Lehrbüchern einerseits und Wörterbüchern andererseits. Als älteste vollständig erhaltene Enzyklopädie gilt die Naturalis historia aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Vor allem die große französische Encyclopédie (1751–1780) hat die Bezeichnung „Enzyklopädie“ für ein Sachwörterbuch durchgesetzt. Aufgrund der alphabetischen Anordnung werden Enzyklopädien oft als Lexika bezeichnet. Die heutige Form des Nachschlagewerkes hat sich vor allem seit dem 18. Jahrhundert entwickelt; dabei handelt es sich um ein umfangreiches Sachwörterbuch über alle Themen für eine breite Leserschaft. Im 19. Jahrhundert kam der typische neutral-sachliche Stil hinzu. Die Enzyklopädien wurden klarer strukturiert und beinhalteten neue Texte, keine bloßen Übernahmen älterer (fremder) Werke. Eines der bekanntesten Beispiele im deutschen Sprachraum war lange Zeit die Brockhaus Enzyklopädie (ab 1808), im englischen die Encyclopaedia Britannica (ab 1768). Seit den 1980er-Jahren werden Enzyklopädien ferner in digitaler Form angeboten, auf CD-ROM und im Internet. Teilweise sind es Fortführungen älterer Werke, teilweise neue Projekte. Ein besonderer Erfolg war die 1993 erstmals auf CD-ROM herausgegebene Microsoft Encarta. Die 2001 gegründete Wikipedia entwickelte sich zur größten Internet-Enzyklopädie. Begriff Definitionen Die Althistorikerin Aude Doody nannte die Enzyklopädie eine Gattung, die man nur schwer definieren könne. Enzyklopädismus sei das Streben nach universellem Wissen oder auch die Summe des allgemeinen Wissens (einer bestimmten Kultur). Konkret sei die Enzyklopädie ein Buch, „das entweder die gesamte Garnitur des allgemeinen Wissens oder ein erschöpfendes Spektrum an Material über einen spezialistischen Gegenstand versammelt und ordnet.“ Die Enzyklopädie beanspruche, einfachen Zugang zu Informationen über alles zu verschaffen, das der Einzelne über seine Welt wissen muss. Für das Selbstverständnis von Enzyklopädien werden oftmals die Vorworte der Werke ausgewertet. Im 18. und vor allem 19. Jahrhundert betonten sie, dass sie Wissen zusammenfassen, und zwar nicht für Fachleute, sondern für ein breiteres Publikum. Im Vorwort des Brockhaus etwa heißt es 1809: Der Bibliothekswissenschaftler und Enzyklopädie-Experte Robert Collison schrieb um 1970 für die Encyclopaedia Britannica einleitend im entsprechenden Macropaedia-Artikel: Entwicklung zum modernen Begriff Der moderne Begriff „Enzyklopädie“ setzt sich aus zwei griechischen Wörtern zusammen: , im Kreis herumgehend, auch: umfassend, allgemein, sowie , Erziehung oder Unterricht. Das daraus zusammengesetzte verwies auf die „chorische Erziehung“, meinte also ursprünglich die musische Ausbildung junger freigeborener Griechen im Kreis des Theaterchores. Eine verbindliche Auflistung der vermittelten Fächer gab es bei den Griechen nicht. Moderne Forscher ziehen es vor, den griechischen Ausdruck als allgemeine Erziehung zu übersetzen, im Sinne einer grundlegenden Bildung. Der Römer Quintilian (35 bis ca. 96 nach Christus) griff den griechischen Ausdruck auf und übersetzte ihn. Bevor Jungen zu Rednern ausgebildet würden, sollten sie den Bildungsweg (den orbis ille doctrinae, wörtlich: Kreis der Lehre) durchlaufen. Auch Vitruv bezeichnete mit eine Vorbildung für die bei ihm angestrebte Spezialisierung zum Architekten. Dementsprechend variierten die genannten Fächer. Quintilian erwähnt für Redner beispielsweise die Bereiche Geometrie und Musik. Unklar bleibt, was Plinius gemeint hat, als er die im Vorwort zu seiner Naturalis historia (Naturgeschichte, ca. 77 n. Chr.) erwähnte. Das liegt nicht nur an der Unbestimmtheit der möglichen Fächer, sondern auch an Undeutlichkeiten der Textstelle. Die wurde schließlich zu einer Sammelbezeichnung für die sich im Römischen Reich ausbildenden (sieben) freien Künste, die artes liberales. Das Wort Enzyklopädie geht auf eine fehlerhafte Rückübersetzung der Stelle bei Quintilian zurück. Dieses tas Encyclopaedias in Plinius-Ausgaben seit 1497 setzte dann den Ausdruck durch. Es wurde als griechische Übersetzung von orbis doctrinae angesehen. In Nationalsprachen erschien der Ausdruck dann in den 1530er-Jahren. In der Mitte des 16. Jahrhunderts konnte man das Wort ohne weitere Erklärung in Buchtiteln für Werke verwenden, „in denen die Gesamtheit der Wissenschaften nach einer bestimmten Ordnung dargestellt wird“, so Ulrich Dierse. Die Betonung lag dabei nicht auf Gesamtheit, sondern auf Ordnung. Guillaume Budé verwendete die lateinische Neuschöpfung 1508 im Sinne einer allesumfassenden Wissenschaft oder Gelehrtheit. Wohl zum ersten Mal in einem Buchtitel erschien das Wort 1538. Damals veröffentlichte der südniederländische Pädagoge Joachim Sterck van Ringelbergh: Lucubrationes, vel potius absolutissima , nempe liber de ratione studii („Nachtarbeiten, oder vielmehr vollständigste , also ein Buch über die Methode des Lernens“). Als Haupttitel eines Buches tauchte es zuerst 1559 auf: Encyclopaediae, seu orbis disciplinarum (Encyclopaedia, oder der Kreis der Fächer) des Kroaten Pavao Skalić. Die englische Cyclopaedia von 1728 war ein alphabetisch geordnetes Nachschlagewerk, ein dictionary of the arts and sciences. Der Durchbruch des Namens Enzyklopädie kam erst mit der großen französischen Encyclopédie (1751 und Folgejahre). Nach dem Vorbild dieses Werkes etablierte sich der Begriff für ein allgemeines Sachwörterbuch. Daneben wurde das Wort auch für die Erkenntnis von der Einheit des Wissens verwendet; in diesem Sinne beschrieb der Philosoph Christian Appel seinen 1784 an der Universität Mainz eingerichteten „Lehrstuhl für allgemeine Enzyklopädie“. In der Erziehung gehe man von einfachen sinnlichen Eindrücken und Erfahrungen aus, dann komme man über einen Abstraktionsprozess zu zusammenhängenden wissenschaftlichen Weisheiten. Diese seien aber verstreut, daher brauche man eine Zusammenfassung. So solle die Enzyklopädie nicht am Anfang des Universitätsstudiums stehen, sondern am Ende, als Krönung. Für die Erforschung der Enzyklopädien wiederum hat sich der Begriff Enzyklopädik eingebürgert. Andere Bezeichnungen Während bei den Römern die Titel von Nachschlage- und Lehrwerken meistens eher nüchtern waren, überwogen seit der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit Metaphern: Vergleiche mit der Natur, mit Gärten, Blumen und Nahrung waren besonders häufig. Der Autor war beispielsweise ein Blumenpflücker oder eine fleißige Biene, die das Wissen wie Blütenstaub sammelt. Die Werke hießen dann Florilegia (Blumensammlung), Liber Floridus (Blühendes Buch) oder Hortus Deliciarum (Garten der Kostbarkeiten). Beliebt waren auch Verweise auf das Licht, das den Leser erleuchten soll: Elucidarium, Lucidarius. Die Bücher waren Kostbarkeiten: Tresor (Schatz), Gemma gemmarum (Schmuckstück der Schmuckstücke), Schatzkammer mechanischer Künste (Agostino Ramelli), Margarita (Perle). Theatrum, Schauplatz, wie in Theatrum Anatomicum verwies auf den Darstellungscharakter. Bibliotheca war ein Hinweis darauf, dass das Werk aus älteren Büchern zusammengestellt war. Man sah das Werk als Spiegel der Welt: Speculum, imago mundi. Auf Wasserquellen bezog sich der Livre de Sidrac, la fontaine de toutes sciences, und auf die Allegorie des Stadtbaus der Livre de la Cité des Dames. Historia war in der Naturkunde wegen Plinius geläufig und bedeutete ursprünglich das geordnete Wissen. Ansonsten war Historia normalerweise eine chronologische Abhandlung, in die man geografisches und biografisches Wissen einflocht. Ars magna (Große Kunst) ist bei Ramon Llull und Athanasius Kircher der Anspruch, eine hervorragende Leistung zu präsentieren. Alphabetisch angeordnete Enzyklopädien hießen oder heißen Dictionarium, Wörterbuch oder Lexikon. Weitere Bezeichnungen lauten: Enzyklopädisches Wörterbuch, Sachwörterbuch, Realwörterbuch, dazu Reallexikon und Realenzyklopädie, Konversationslexikon, Universallexikon usw. Im Englischen und Französischen war dictionary beziehungsweise dictionnaire weit verbreitet, oft in der Zusammenfassung dictionary of the arts and sciences beziehungsweise dictionnaire des arts et des sciences. Im Deutschen spiegelt sich das im Titel der Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften und Künste von Ersch-Gruber (1818–1889) wider. Als Künste sind gängigerweise die mechanischen und handwerklichen Künste zu verstehen, und der Begriff der Wissenschaft sollte nicht zu eng aufgefasst werden, so wurde die Theologie damals noch selbstverständlich zur Wissenschaft gezählt. Real oder Realia steht für Sachen im Gegensatz zu Begriffen oder Wörtern, ein Realwörterbuch ist also ein Sachwörterbuch und kein Sprachwörterbuch. Geschichte Literarische Gattung und Begriff laufen in der Geschichte der Enzyklopädie nicht parallel zueinander. Darum lässt sich darüber streiten, ob es vor der Neuzeit überhaupt Enzyklopädien gegeben hat. Zumindest waren sich die antiken und mittelalterlichen Autoren einer solchen literarischen Gattung nicht bewusst. Es herrscht weite Übereinstimmung, beispielsweise die Naturalis historia aus dem Alten Rom als Enzyklopädie anzusehen. Dabei besteht allerdings die Gefahr einer anachronistischen Sichtweise, nämlich ein antikes Werk mit modernen Augen zu sehen und es unangemessen zu interpretieren, warnt Aude Doody. Die Historiker sind sich nicht darüber einig, welches Werk als die erste Enzyklopädie anzusehen ist. Das liegt einerseits daran, dass viele Werke verloren gegangen sind und nur noch aus kurzen Beschreibungen oder Bruchstücken bekannt sind. Andererseits gibt es keine verbindliche Definition einer Enzyklopädie, manche Historiker berücksichtigen auch einen enzyklopädischen Ansatz im Sinne eines Strebens nach Umfassendheit. Altertum Als ein geistiger Vater der Enzyklopädie wird der griechische Philosoph Platon genannt. Er hat zwar selbst keine Enzyklopädie verfasst, aber mit seiner Akademie zu Athen verschrieb er sich dazu, die ganze Bildung jedem intelligenten jungen Mann zur Verfügung zu stellen. Von einem enzyklopädischen Werk von Platons Neffen Speusippos (gestorben 338 v. Chr.) sind nur noch Fragmente erhalten. Einen enzyklopädischen Ansatz, im Sinne von umfassend, hat man auch Aristoteles nachgesagt. Die Griechen sind für ihre intellektuellen Erkundungen und ihre philosophische Originalität bekannt. Sie haben ihr Wissen aber nicht in einem einzelnen Werk zusammengefasst. So gelten die Römer als die eigentlichen Erfinder der Enzyklopädie. In der Römischen Republik gab es bereits die Briefserie Praecepta ad filium (etwa 183 v. Chr.), mit der Cato der Ältere seinen Sohn unterwies. Vor allem entstand die Enzyklopädie in der Kaiserzeit, da sie den weiten Horizont solcher Menschen brauchte, die ein Weltreich beherrschten. Die erste der eigentlichen Enzyklopädien waren die nicht erhaltenen Disciplinarum libri IX von Marcus Terentius Varro († 27 v. Chr.). Die zweite Enzyklopädie waren die Artes des Arztes Aulus Cornelius Celsus (gestorben um 50 n. Chr.). Varro war der Erste, der die allgemeinbildenden Fächer zusammengefasst hat, aus denen später die freien Künste wurden. Zusätzlich zu jenen Fächern, die dann im Mittelalter zum Kanon wurden, nahm er Medizin und Architektur auf. Die Hebdomades vel de imaginibus sind siebenhundert Kurzbiografien großer Griechen und Römer; davon sind nur vereinzelte Bruchstücke überliefert, ebenso wie von den Discliplinarum libri. Varro hatte großen Einfluss auf Autoren der ausgehenden Antike. Von überragender Bedeutung jedoch war die Naturalis historia des Politikers und Naturforschers Plinius. Der Verwalter Plinius war es gewohnt, die Welt in Einheiten und Untereinheiten eingeteilt zu sehen. Sein Werk wurde um das Jahr 77 n. Chr. geschrieben und gilt nun als einzige Enzyklopädie des Altertums, die vollständig erhalten ist. Im Mittelalter fand man sie in fast jeder anspruchsvollen Bibliothek. Das Besondere an ihr war die beanspruchte und immer wieder thematisierte Universalität. Sie diente Plinius auch als Erklärung dafür, dass er vieles nur sehr kurz beschreiben konnte. Ein anderer römischer Enzyklopädist mit weitreichendem Einfluss war Martianus Capella aus Nordafrika. Er verfasste zwischen 410 und 429 n. Chr. eine Enzyklopädie, die oft Liber de nuptiis Mercurii et Philologiae („Die Hochzeit der Philologie mit Merkur“) genannt wird und zum Teil in Versen geschrieben wurde. Die sieben Brautjungfern entsprachen den Kapiteln des Werks und diese wiederum den sieben freien Künsten. Spätantike und frühes Mittelalter Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches bewahrte der Politiker Cassiodor mit seiner Kompilation Institutiones divinarum et saecularium litterarum (543–555 n. Chr.) Teile des antiken Wissens. Dazu hatte er sich in ein von ihm selbst gegründetes Kloster im Süden Italiens zurückgezogen. Während Cassiodor noch Weltliches und Geistliches voneinander trennte, integrierte zwei Generationen später Bischof Isidor von Sevilla die christliche Lehre in die antike Gelehrsamkeit. Isidors Enzyklopädie Etymologiae (um 620) wollte die Welt dadurch deuten, dass er Begriffe samt Wortherkunft erklärte. Durch das Erkennen des wahren Sinn eines Wortes wurde der Leser im Glauben unterwiesen. Isidor gab allerdings zu, dass manche Wörter willkürlich gewählt sind. Die Forschung hat viele Vorlagen Isidors ermittelt. Seine eigene Leistung bestand darin, daraus ausgewählt sowie eine klare, gut angeordnete Darstellung in einfachem Latein abgeliefert zu haben. Brüche im Text lassen vermuten, dass Isidor sein Werk nicht vollendet hat. Rabanus Maurus, der 847 zum Mainzer Erzbischof geweiht wurde, stellte ein Werk De universo zusammen, das großteils Isidors Text übernahm. Rabanus begann jedes seiner 22 Kapitel mit einer geeigneten Textstelle Isidors und ließ vieles weg, das ihm für das Verständnis der Heiligen Schrift unnötig erschien. Dazu gehörten für ihn insbesondere die freien Künste. Viele spätere Werke des Mittelalters folgten außerdem seinem Beispiel, mit Gott und den Engeln zu beginnen. Hoch- und Spätmittelalter Auf den antiken und frühmittelalterlichen Enzyklopädien bauten die Werke des europäischen Hochmittelalters auf (um 1050 bis 1250). Um 1230 stellte Arnoldus Saxo die lateinische Enzyklopädie De finibus rerum naturalium zusammen. Das größte enzyklopädische Werk aus der Mitte des 13. Jahrhunderts war das Speculum maius des Vincent von Beauvais mit fast zehntausend Kapiteln in achtzig Büchern. Es deckte nahezu alle Themen ab: im ersten Teil, Speculum naturale, Gott und die Schöpfung, einschließlich der Naturgeschichte; im Speculum doctrinale das praktische moralische Handeln sowie das scholastische Erbe; im Speculum historiale die Geschichte der Menschen von der Schöpfung bis ins dreizehnte Jahrhundert. Ein vierter Teil, Speculum morale, wurde nach Vincents Tod hinzugefügt und basierte vor allem auf Thomas von Aquins Werken. Der Südniederländer Jacob van Maerlant verteilte sein enzyklopädisches Wissen auf mehrere Werke: Im Alexanderroman Alexanders Geesten (um 1260) band er tausend Verse ein, die einen gereimten Weltatlas ausmachen. In Der naturen bloeme (um 1270) behandelte er die Natur, und im Spiegel historiael (um 1285) die Weltgeschichte. Er war der erste europäische Enzyklopädist, der in einer (nichtromanischen) Volkssprache geschrieben hat. Seine Werke sind vor allem Bearbeitungen lateinischer Vorlagen, wie De natura rerum von Thomas von Cantimpré und Speculum historiale von Vincent von Beauvais, doch lässt er viele Details weg, wählt aus, fügt Inhalte von anderen Autoren hinzu und schöpft zu einem geringen Teil auch aus eigenem Wissen von der Welt. Er moralisierte und glaubte zum Beispiel an die Zauberkraft von Edelsteinen. Dennoch steht Maerlant für eine vergleichsweise moderne, kritisch-forschende Naturauffassung im Geiste des Albertus Magnus. Zu den mittelalterlichen Vorläufern heutiger Enzyklopädien zählt auch das im 13. Jahrhundert entstandene Werk De proprietatibus rerum von Bartholomaeus Anglicus. Im Spätmittelalter und in der Renaissance (ca. 1300–1600) zog teilweise bereits eine Darstellung ein, die wissenschaftlicher auftrat und weniger auf dem Christentum beruhte. So befreite sich das anonyme Compendium philosophicae (um 1300) von den Legenden, wie sie seit Plinius durch die Enzyklopädien wanderten; der spanische Humanist Juan Luis Vives baute in De disciplinis seine Argumente auf der Natur, nicht auf religiöser Autorität auf. Vives wollte nicht über die Natur spekulieren, sondern die Natur beobachten, um für sich und seine Mitmenschen etwas Praktisches zu lernen. Trotz dieser Ansätze bevölkerten bis ins 18. Jahrhundert Wundertiere und Monster die Enzyklopädien, wo sie unproblematisch der Natur zugerechnet wurden. Außereuropäische Kulturen Mehr noch als die westlichen waren die chinesischen Enzyklopädien Zusammenstellungen bedeutender Literatur. Im Laufe der Jahrhunderte wurden sie eher weitergeführt als erneuert. Oft vor allem für die Ausbildung von Beamten bestimmt, folgten sie normalerweise einer traditionellen Anordnung. Die erste bekannte chinesische Enzyklopädie war der „Kaiserspiegel“ Huang-lan, der etwa 220 nach Christus auf Befehl des Kaisers erstellt wurde. Aus diesem Werk ist nichts überliefert. Das T’ung-tien, etwa 801 fertiggestellt, behandelt Staatskunst und Wirtschaft und wurde mit Ergänzungsbänden bis ins 20. Jahrhundert weitergeführt. Eine der wichtigsten Enzyklopädien, Yü-hai, wurde etwa 1267 zusammengestellt und erschien 1738 in 240 gedruckten Bänden. Als erste moderne chinesische Enzyklopädie gilt die Tz’u-yüan (1915), sie gab die Richtung für spätere Werke vor. Der persische Gelehrte und Staatsmann Muhammad ibn Ahmad al-Chwārizmi stellte 975–997 einen arabischen „Schlüssel zu den Wissenschaften“ zusammen, Mafātīḥ al-ʿulūm. Er war zweifellos mit den Grundzügen der griechischen Geisteswelt bekannt und bezog sich teilweise auf Werke des Philo, Nikomachos oder Euklid. Seine Enzyklopädie teilt sich in einen „einheimischen“, arabischen Teil, darunter das Meiste, das heute als Geisteswissenschaften angesehen wird, und einen „fremden“. Die Brüder der Reinheit in Basra (heutiger Irak), eine Gruppe von neuplatonischen Philosophen, die der Ismāʿīlīya nahestanden, waren vor allem 980–999 aktiv und arbeiteten gemeinsam an einer Enzyklopädie. Ihre Kompilation wird Rasāʾil Iḫwān aṣ-Ṣafāʾ („Sendschreiben der Brüder der Reinheit“) genannt. Auch sie kannten die griechischen Gelehrten und hatten ausgesprochene Vorlieben. Umgekehrt gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die westlichen Enzyklopädie-Autoren die arabisch-islamischen Quellen gekannt hätten. Die chinesischen Enzyklopädien wiederum waren sowohl vom christlichen als auch vom islamischen Kulturkreis getrennt. Frühe Neuzeit Margarita Philosophica von Gregor Reisch (1503) war eine weit verbreitete allgemeine Enzyklopädie, ein Lehrbuch für die sieben freien Künste. Sie war die erste Enzyklopädie, die nicht in Handschriften, sondern sofort gedruckt erschien. Ebenso wie die Encyclopaedia von Johannes Aventinus (1517) und die Encyclopaedia Cursus Philosophici von Johann Heinrich Alsted (1630) folgte sie einer systematischen Ordnung. Das Grand dictionaire historique (1674) von Louis Moréri war das erste große, nationalsprachliche, alphabetische Nachschlagewerk für die Themenbereiche Geschichte, Biografie und Erdkunde. In seiner Tradition steht das eigentümliche Dictionnaire historique et critique (1696/1697) von Pierre Bayle, das Moréris Werk ursprünglich korrigieren und ergänzen sollte. Zu eher knappen Artikeln lieferte Bayle einen überaus ausführlichen und kritischen Apparat von Anmerkungen. Da Bayle in erster Linie diejenigen Gegenstände behandelte, die ihn persönlich interessierten, ist sein Werk als ein Ego-Dokument, eine intellektuelle Autobiografie anzusehen. Es war eher neben, nicht anstelle einer allgemein gehaltenen Enzyklopädie zu verwenden. Denkt man bei Enzyklopädien heutzutage vor allem an biografisches und historiografisches Wissen und weniger an naturwissenschaftliches, so war dies um 1700 umgekehrt. Damals entstanden die dictionnaires des arts et des sciences, Wörterbücher der (mechanischen, handwerklichen) Künste und der Wissenschaften. Biografische und historiografische Informationen fehlten großteils. Als Wörterbücher brachen sie, im Unterschied zu den meisten früheren Werken, mit der thematischen Anordnung. Mit Antoine Furetières Dictionnaire universel des arts et sciences (1690) begann diese neue Richtung in der Geschichte der Enzyklopädie. Vergleichbar waren das Lexicon technicum (1704) von John Harris und dann die Cyclopaedia (1728) von Ephraim Chambers. Doch schon in direkter Nachfolge dieser erfolgreichen Werke kam es zu einem weiteren Schritt, der Überbrückung des Gegensatzes von naturwissenschaftlich-philosophischem und biografisch-historischem Nachschlagewerk. Hier ist nicht zuletzt das eben in diesem Sinne benannte Universal-Lexicon (1732–1754) von Johann Heinrich Zedler hervorzuheben. Das in 64 Bänden herausgegebene Großwerk der Goethezeit war die erste Enzyklopädie mit Biografien noch lebender Personen. Zeitalter der Aufklärung Die mit Abstand berühmteste Enzyklopädie der Geschichte ist die große französische Encyclopédie (1751–1772, Ergänzungsbände bis 1780). Sie führte zwar kaum eigentliche Neuerungen ein, wurde aber gerühmt wegen ihres Umfanges, der thematischen Breite, der systematischen Unterbauung, der vielen Abbildungen, nämlich zweitausendfünfhundert, während die Konkurrenten allenfalls einige hundert Abbildungen aufwiesen. Dennoch war sie weniger erfolgreich und einflussreich als oft angenommen, denn allein schon wegen ihrer schieren Größe erreichte sie relativ wenige Leser, verglichen etwa mit der weitverbreiteten und mehrfach wiederaufgelegten Cyclopaedia. Vor allem gilt sie mit ihrer kritischen und weltlichen Einstellung als Schmuckstück der Aufklärung, der gesamteuropäischen Bildungsoffensive. Angriffe von Seiten der Kirche und Schwierigkeiten mit der Zensur überschatteten ihre Entstehung ebenso wie spätere Streitigkeiten zwischen den Herausgebern Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert. Diderot und viele seiner Mitautoren brachten an verschiedenen Stellen in der Enzyklopädie Kritik gegen bestimmte Vorstellungen in der herrschenden Gesellschaft an. Das Werk war als solches das Ergebnis der Leistung vieler Enzyklopädisten und konnte wohl aber letztlich nur dank des Einsatzes von Louis de Jaucourt endgültig fertiggestellt werden, letzterer stellte sogar auf eigene Kosten Sekretäre ein. In den letzten zehn Bänden, die er großteils selbst geschrieben hat, gibt es weniger polemische Fundstellen als in den ersten sieben, was sie für den heutigen Leser weniger interessant machen könnte. Im englischsprachigen Raum blühte die Encyclopaedia Britannica, zunächst in Schottland herausgegeben, ab dem 20. Jahrhundert in den USA. Die erste Auflage (1768–1771) bestand aus drei Bänden und war in Qualität und Erfolg eher bescheiden. Die Qualitätsverbesserung der zweiten Auflage trug zum Erfolg der dritten bei, die bereits 18 Bände umfasste. Wenn die Encyclopaedia Britannica die Zeiten überdauerte, während die große französische Encyclopédie ihren letzten, bescheidenen und umgeformten Nachfolger 1832 hatte, lag dies am Mut der Herausgeber, Neuerungen zuzulassen. Außerdem war die politische Entwicklung in Großbritannien ruhiger als in Frankreich, das unter den Folgen der Revolution von 1789 zu leiden hatte. 19. Jahrhundert Um 1800 trat ein neuer erfolgreicher Typus der Enzyklopädien auf. Entstanden war er aus dem Konversationslexikon, das zunächst Renatus Gotthelf Löbel mitgestaltet hatte. 1808 wurde sein unvollendetes Werk, 1796 begonnen, von Friedrich Arnold Brockhaus aufgekauft. Es behandelte zeitgenössische Themen über Politik und Gesellschaft, um eine gebildete Unterhaltung in einer sozial durchaus gemischten Gruppe zu ermöglichen. Mit den Auflagen von 1824 und 1827 ging der Verlag F. A. Brockhaus dazu über, zeitlosere Themen aus der Geschichte, später auch aus Technik und Naturwissenschaft zu bevorzugen, da die stete Erneuerung der Bände mit aktuellen Themen zu teuer wurde. Im Brockhaus waren die Themen auf viele kurze Artikel aufgeteilt, wodurch das Lexikon schnell über einen Begriff informieren konnte. Ähnlich machte es auch die Britannica, die anfänglich noch teilweise aus langen Artikeln bestanden hatte. Während der Brockhaus von den Geisteswissenschaften her kam und die Naturwissenschaften später integrierte, war es bei der Britannica umgekehrt. In jenem Jahrhundert wurde das Schulwesen in den europäischen Ländern erheblich ausgeweitet. Zusammen mit drucktechnischen Verbesserungen führte dies dazu, dass immer mehr Menschen lesen konnten. Gab es um 1800 im deutschsprachigen Raum 470 Verlagsbuchhandlungen, so waren es hundert Jahre später im Deutschen Reich 9360. Entsprechend wurden Enzyklopädien nicht mehr in Auflagen zu mehreren Tausend, sondern zu mehreren Zehntausend oder gar Hunderttausend gedruckt. Von 1860 bis 1900 bemühten die Enzyklopädien sich um eine gleichmäßigere Behandlung und um Standardisierung. Die Wertschätzung für statistisches Material war groß. In Deutschland teilten sich vor allem der Brockhaus, der Meyer, der Pierer und für das katholische Publikum der Herder den Markt. Brockhaus und Meyer hatten je ein Drittel Marktanteil. Daneben gab es Ende des 19. Jahrhunderts etwa fünfzig weitere Verlage, die Enzyklopädien anboten. Manche Enzyklopädien schlossen mit ihrem Namen bewusst an einen berühmten Vorläufer an, so die Chambers’ Encyclopaedia der Brüder Chambers, die nur dem Namen nach an die Cyclopaedia von Ephraim Chambers erinnerte. 20. Jahrhundert Um 1900 verfügten die meisten westlichen Länder über wenigstens eine umfangreiche und neuere Enzyklopädie. Manche konnten eine Tradition von fünfzig oder gar hundert Jahren vorweisen. Fachleute behandelten in der Sprache des betreffenden Landes viele Themen. Die Beiträge waren in alphabetischer Reihenfolge und schlossen Biografien lebender Personen mit ein, ebenso Bebilderungen, Landkarten, Querverweise, Indizes und Literaturlisten am Ende längerer Artikel. Wich eine Enzyklopädie von diesem Konzept ab, überlebte sie nicht lange. Doch auch die übrigen kamen nur über ein oder zwei Auflagen hinaus, wenn fähige Herausgeber dahinter standen. Ferner konnten Revolutionen und Weltkriege gute Enzyklopädien zu Fall bringen. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Entwicklung teilweise; und unter anderem in Deutschland erschwerte die Inflation zunächst die Wiederaufnahme. Bei Meyer etwa führte dies zu der Entscheidung, den Großen Meyer von 20 auf zwölf Bände zu verkleinern, wodurch ein neuer, mittelgroßer Enzyklopädie-Typ entstand. In den 1920er-Jahren wandten die Großenzyklopädien sich an ein deutlich breiteres Publikum als vor dem Krieg und legten noch mehr Wert auf die sachliche Darstellung. Das Layout war moderner, es gab mehr Abbildungen; beim Brockhaus (ab 1928) wurden farbige Bilder per Hand eingeklebt. Die Werbung wurde erheblich ausgeweitet, in Kundenzeitschriften und Informationsbroschüren stellte Brockhaus nicht nur das Produkt, sondern auch Idee und Beteiligte vor; Marktanalysen wurden eingeführt. Eine Herausforderung eigener Art waren die totalitären Regimes. Beispielsweise im nationalsozialistischen Deutschland (1933–1945) wurde der Angestelltenbereich des Brockhaus-Verlags gleichgeschaltet, inhaltlich musste man Zugeständnisse an die parteiamtliche Prüfungskommission machen. So nahm der 1933 neu aufgelegte Kleine Brockhaus aktualisierte Biografien zu Hitler, Göring und anderen NS-Größen auf, ebenso neue politische Begriffe. Die Parteiideologen waren damit nicht zufrieden, aber der Verlag verwies auf das internationale Ansehen des Brockhaus, das auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht gefährdet werden dürfe. Wesentlich weniger zurückhaltend war das Bibliographische Institut. Seine Vorstandsmitglieder schlossen sich rasch der NSDAP an, 1939 bewarb man den Meyer als einziges parteiamtlich empfohlenes Großlexikon. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg boomten Enzyklopädien und ihre Verlage. Im deutschsprachigen Raum führte das dazu, dass die beiden bedeutendsten Enzyklopädie-Verlage, F. A. Brockhaus und Bibliographisches Institut (Meyer), eine starke Konkurrenz von Seiten anderer Verlage erlebten. Vor allem Großverlage erschlossen mit populären Nachschlagewerken eine breitere Leserschaft und einen erheblichen Marktanteil bei den kleinen und mittelgroßen Enzyklopädien. Piper brachte 1972 ein Jugendlexikon heraus, Bertelsmann kam mit der zehnbändigen Lexikothek (1972, mit thematischen Zusatzbänden), Droemer-Knaur zwei Jahre später ebenfalls mit einem zehnbändigen Werk. Die Einzelhandelsketten Kaufhof und Tchibo boten einbändige Lexika an. Brockhaus und Bibliographisches Institut fusionierten 1984; im Jahre 1988 kam Langenscheidt als Mehrheitsaktionär hinzu, womit einem großzügigen Angebot von Robert Maxwell begegnet wurde. Elektronische Enzyklopädien Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es Ideen zu einer neuartigen Form der Enzyklopädie. Der Science-Fiction-Autor H. G. Wells träumte um 1938 beispielsweise von einer World Encyclopaedia, die keine hastig geschriebenen Artikel anbieten solle, sondern sorgfältig zusammengestellte Auszüge, die beständig von Experten überprüft werden. Wells glaubte an den damals neuen Mikrofilm als billiges und universelles Medium. Dreißig Jahre später kommentierte der Enzyklopädie-Experte Robert Collison, dass die perfekte Enzyklopädie sich wohl nie in der von Wells vorgestellten Form verwirklichen lasse. Es gebe diese perfekte Enzyklopädie bereits in der unperfekten Form der großen Bibliotheken, mit Millionen von Büchern, durch Indizes und Kataloge erschlossen. Eine Schar von Bibliothekaren und Bibliografen stellten das alles Einzelpersonen oder Gruppen der Öffentlichkeit zur Verfügung. Täglich lieferten Autoren und Herausgeber neue Bücher und Artikel. In den 1980er-Jahren kamen die PCs in die Privathaushalte. Doch die elektronische beziehungsweise digitale Herausforderung wurde von den Enzyklopädie-Verlagen lange Zeit nicht erkannt. Im Vorwort der 26-bändigen niederländischen Winkler Prins von 1990 heißt es, die Redaktion habe die eventuelle Anwendung neuer, elektronischer Medien untersucht. Doch für das Hintergrundwissen, wie diese Enzyklopädie es anbiete, sei und bleibe die klassische Buchform das handlichste Medium. 1985 wollte die Software-Firma Microsoft eine Enzyklopädie auf CD-ROM herausbringen. Der gewünschte Partner, Encyclopaedia Britannica, schlug eine Zusammenarbeit jedoch aus. Damals hatten nur vier bis fünf Prozent der US-Haushalte einen Computer, außerdem fürchtete der Britannica-Verlag um das aufgebaute intellektuelle Image der eigenen Enzyklopädie. In den 1990er-Jahren kam dann der große Durchbruch der elektronischen Enzyklopädien. Der Brockhaus sah 2005/2006 jedoch auch einen rückläufigen Trend: Enzyklopädien würden wieder gedruckt werden. Er verwies auf sich selbst sowie auf die französische Encyclopædia Universalis (2002) und die Encyclopaedia Britannica (2002/2003). Es sei von einer dauerhaften doppelgleisigen Entwicklung mit elektronischen und Printenzyklopädien auszugehen. CD-ROM-Enzyklopädien 1985 erschien bereits eine reine Text-Enzyklopädie auf CD-ROM, Academic American Encyclopedia von Grolier, auf der Basis des Betriebssystems DOS. Dann brachte im April 1989 der Britannica-Verlag eine CD-ROM-Enzyklopädie heraus, allerdings nicht das Flaggschiff unter eigenem Namen. Man veröffentlichte vielmehr eine Multimedia-Version der erworbenen Compton’s Encyclopaedia. Microsoft seinerseits hatte 1989 die auslaufende Funk and Wagnalls Standard Reference Encyclopedia aufgekauft, die billig in Supermärkten angeboten worden war. Mit einem sehr kleinen Mitarbeiterstab wurden die Texte aufgefrischt und erweitert, auch mit Bildern und Audio-Dateien versehen. 1993 kamen sie dann als Microsoft Encarta heraus. Die Kunden erhielten sie zusammen mit dem Computer-Betriebssystem Windows, sonst kostete sie hundert Dollar. Damals besaßen schon zwanzig Prozent der US-Haushalte einen Computer. Ein Jahr später folgte Britannica mit einer CD-ROM-Version der Encyclopaedia Britannica. Man erhielt sie als Zugabe zur Druckversion oder aber für stattliche 1200 Dollar. Bis 1996 senkte Britannica den Preis auf zweihundert Dollar, doch da beherrschte die Microsoft Encarta den Markt für digitale Enzyklopädien bereits. Britannica war von dem Ansehen seiner Enzyklopädie so überzeugt gewesen, dass es den neuartigen Konkurrenten nicht ernst genommen hatte. Von 1990 bis 1996 sanken die Einkünfte aus der Encyclopaedia Britannica von 650 Millionen auf nur noch 325 Millionen Dollar jährlich. Der Eigentümer verkaufte sie 1996 für 135 Millionen an einen Schweizer Investor. Internet-Enzyklopädien Schon 1983 erschien mit der Academic American Encyclopedia die erste Enzyklopädie, die sich online präsentierte und ihren Inhalt über kommerzielle Datennetze wie CompuServe anbot. Als das Internet einen eigentlichen Massenmarkt erschloss, waren die ersten Online-Enzyklopädien 1995 die Academic American Encyclopedia sowie die Encyclopaedia Britannica. Jene Enzyklopädien waren nur gegen Bezahlung aufrufbar. Normalerweise zahlte der Kunde ein Jahresabonnement für den Zugang. Daneben kam es zu Vorschlägen für Online-Enzyklopädien auf der Grundlage Freien Wissens: Die Inhalte sollten unter gewissen Bedingungen wie der Herkunftsnennung frei und kostenlos bearbeitbar und weiterverbreitbar sein. Dieser Gedanke tauchte zwar noch nicht ausdrücklich in Rick Gates’ Aufruf zu einer Internet Encyclopedia von 1993 auf, wohl aber in Richard Stallmans Ankündigung (1999) einer Free Universal Encyclopaedia im Rahmen des GNU-Software-Projektes. Als der Internet-Unternehmer Jimmy Wales und sein Angestellter Larry Sanger im Jahre 2000 die Nupedia online stellten, war das Echo gering. Nennenswerten Andrang erhielt eine „freie“ Internet-Enzyklopädie erst, als Wales und Sanger das Wiki-Prinzip einführten. Bei einer solchen Website kann der Leser selbst unmittelbar Veränderungen anbringen. Der 15. Januar 2001 gilt als der Geburtstag der Wikipedia, die seitdem zur mit Abstand größten Enzyklopädie angewachsen ist. Sie wird überwiegend von ehrenamtlichen Autoren geschrieben, die Kosten für den Server-Betrieb werden durch Spenden an die Betreiber-Stiftung gedeckt, die gemeinnützige Wikimedia Foundation. Anfänglichen Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Wikipedia wurde von mehreren Studien begegnet, dass die Fehlerrate vergleichbar mit der in traditionellen Enzyklopädien sei. Kritischer sind Vergleiche mit Fachenzyklopädien und Fachliteratur. Qualität hat aber nicht nur mit sachlicher Korrektheit zu tun, wie der Historiker Roy Rosenzweig 2006 anführte, sondern auch mit gutem Stil und Prägnanz. Hier lasse die Wikipedia noch oft zu wünschen übrig. Außer der Wikipedia existieren weitere Online-Enzyklopädien, teils auf anderen Grundlagen beruhend. So verlangt Citizendium (seit 2006) beispielsweise die namentliche Registrierung der Autoren, die ausgewiesene Fachleute für ihr Thema sein sollen. Google Knol (2008–2011) überschreitet die Grenzen einer Enzyklopädie und gibt den Autoren größte Freiheit, inhaltlich und bezüglich der Eigentümerschaft ihrer Texte. Wissen.de (seit 2000) hat ein breites Angebot auch von nicht unbedingt enzyklopädischen Inhalten, mit Quizfragen und viel Multimedia. Dadurch ist die Nachfrage nach Printenzyklopädien und kostenpflichtigen elektronischen Enzyklopädien stark zurückgegangen. 2009 gab die Microsoft Encarta auf, die Britannica Online bemüht sich, mit Anzeigen zu überleben. Dabei hat sie sich teilweise der Wikipedia angepasst, denn sie ist kostenlos zugänglich und ruft die Leser zu Verbesserungen auf, die allerdings von Angestellten kontrolliert werden. Der Brockhaus wurde 2009 von der Bertelsmann-Tochter Wissen Media übernommen; das Bundeskartellamt hatte trotz der marktbeherrschenden Position von Bertelsmann die Übernahme genehmigt, da der Lexikonmarkt zu einem Bagatellmarkt geschrumpft sei. Fachenzyklopädien Das Wort allgemein bei allgemeines Nachschlagewerk bezieht sich sowohl auf das allgemeine Publikum als auch auf die Allgemeinheit (Universalität) des Inhalts. Fachenzyklopädien (auch Spezialenzyklopädien genannt) beschränken sich auf ein bestimmtes Fach wie die Psychologie oder ein Themengebiet wie die Dinosaurier. Oft, wenn auch nicht notwendig, sprechen sie eher ein Fachpublikum an als ein allgemeines Publikum, denn vor allem Fachleute interessieren sich für das Fach in besonderem Maße. Zur Abgrenzung von der Fachenzyklopädie nennt man die allgemeine Enzyklopädie zuweilen auch Universalenzyklopädie. Definiert man eine Enzyklopädie allerdings als ein fächerübergreifendes Nachschlagewerk, dann ist Universalenzyklopädie ein Pleonasmus und Fachenzyklopädie ein Oxymoron. Wenngleich die meisten Fachenzyklopädien ebenso wie die allgemeinen Enzyklopädien nach dem Alphabet geordnet sind, so hat sich bei Fachenzyklopädien die thematische Anordnung noch etwas stärker gehalten. Allerdings erhalten fachlich begrenzte Nachschlagewerke in thematischer Anordnung normalerweise die Bezeichnung Handbuch. Die systematische Anordnung bietet sich an, wenn das Fach bereits selbst stark einer Systematik folgt, wie die Biologie mit der binären Nomenklatur. Als vielleicht erste Fachenzyklopädie kann die Summa de vitiis et virtutibus (12. Jahrhundert) angesehen werden. Darin behandelte Raoul Ardent die Theologie, Christus und die Erlösung, das praktische und asketische Leben, die vier Haupttugenden, das menschliche Verhalten. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen entstanden Fachenzyklopädien vor allem seit dem 18. Jahrhundert, und zwar auf dem Gebiet der Biografie, wie das Allgemeine Gelehrten-Lexicon (1750/1751). Fachenzyklopädien folgten oft dem Aufstieg des entsprechenden Faches, so kam es im späten 18. Jahrhundert zum Dictionary of Chemistry (1795) und auch danach zu vielen weiteren Chemiewörterbüchern. Vergleichbar war der Publikationsreichtum nur auf dem Gebiet der Musik, beginnend mit dem Musikalischen Lexikon (1732) des Komponisten Johann Gottfried Walther. Auf ihrem Gebiet ohnegleichen ist die Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (1837–1864, 1890–1978). Eine der bekanntesten populären Fachenzyklopädien wurde Brehms Thierleben, begründet von dem Sachbuchautor Alfred Brehm 1864. Es erschien im Bibliographischen Institut, das auch Meyers Konversations-Lexikon herausbrachte. Die große Ausgabe aus den 1870er-Jahren hatte bereits 1.800 Abbildungen bei über 6.600 Seiten und zusätzlich Bildtafeln, die auch gesondert, zum Teil eingefärbt, erhältlich waren. Die dritte Auflage 1890–1893 setzte 220.000 Exemplare ab. 1911 brachten Tiermalerei und Naturphotographie ein neues Niveau der Abbildungen mit sich. Das Werk wurde, schließlich auch digital, bis ins 21. Jahrhundert weitergeführt. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erschienen ferner Enzyklopädien über bestimmte Länder oder Regionen. Dabei sind die geografischen Enzyklopädien von den Nationalenzyklopädien zu unterscheiden, die sich auf ihr eigenes Land konzentrieren. Beispiele sind das Deutsche Kolonial-Lexikon (1920), The Modern Encyclopaedia of Australia and New Zealand (1964) und das Magyar életrajzi lexikon (1967–1969). Der letzte Band der Großen Sowjetischen Enzyklopädie (1. Auflage) hatte sich ausschließlich mit der Sowjetunion beschäftigt, er wurde 1950 als zweibändige Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in der DDR veröffentlicht. Der Fischer Weltalmanach (1959–2019) behandelt die Länder der Welt in alphabetischer Reihenfolge, und zwar in aktuell gehaltenen Bänden pro Jahr. Das größte jemals in deutscher Sprache gedruckte Lexikon hatte 242 Bände. Das Werk mit dem Titel Oeconomische Encyclopädie wurde zwischen 1773 und 1858 großteils von Johann Georg Krünitz herausgegeben. Die Universität Trier hat dieses Werk vollständig digitalisiert und online verfügbar gemacht. Aufbau und Ordnung Enzyklopädien hatten bis in die Frühe Neuzeit eher den Charakter von Sach- oder Lehrbüchern. Schwieriger noch scheint die Unterscheidung zwischen Enzyklopädien und Wörterbüchern zu sein. Es gibt keine scharfe Trennung nach Sachverhalten und Wörtern, denn kein Sprachwörterbuch kommt ohne Sacherklärung aus, kein Sachwörterbuch wie eine Enzyklopädie kann auf sprachliche Hinweise verzichten. Die einzelnen Beiträge zu einer Enzyklopädie sind entweder alphabetisch oder nach einem anderen System geordnet. Im letzteren Fall spricht man häufig von einer „systematischen“ Anordnung, wenngleich auch das Alphabet als System angesehen werden kann und daher der Ausdruck „nichtalphabetisch“ korrekter wäre. Die systematisch angeordneten Enzyklopädien kann man ferner danach unterscheiden, ob die Einteilung eher pragmatischer oder gar willkürlicher Art ist, oder ob ein philosophisches System dahinter steckt. Anstelle von „systematisch“ verwendet man oft auch den Ausdruck „thematisch“. Systematische Anordnung Für den wahren Gelehrten sei allein die systematische Anordnung zufriedenstellend, schrieb Robert Collison, weil sie nahe verwandte Themen nebeneinanderlege. Dabei ging er davon aus, dass die Enzyklopädie als ganze oder zumindest in großen Stücken gelesen wird. In der Natur gibt es aber keine zwingenden Zusammenhänge. Systeme sind beliebig, weil sie durch einen menschlichen Reflexionsprozess zustande kommen. Dennoch hat eine systematische Darstellung einen didaktischen Wert, wenn sie logisch und praktikabel ist. Plinius beispielsweise hat viele verschiedene Ordnungsprinzipien verwendet. In der Erdkunde beginnt er mit der vertrauten Küstenlinie Europas und schreitet dann fort zu exotischeren Erdteilen; die Menschen behandelte er vor den Tieren, da die Menschen wichtiger seien; in der Zoologie beginnt er mit den größten Tieren; bei den Seelebewesen mit denen des Indischen Ozeans, weil diese am zahlreichsten seien. Der erste behandelte römische Baum ist die Weinrebe, da sie am nützlichsten ist. Die Künstler erscheinen in der chronologischen Reihenfolge, Edelsteine nach ihrem Preis. Eine systematische Anordnung war traditionell die übliche, bis sich ab dem 17./18. Jahrhundert die alphabetische Ordnung durchsetzte. Dennoch gab es auch noch danach einzelne größere nichtalphabetische Werke, wie die unvollendet gebliebene Kultur der Gegenwart (1905–1926), die französische Bordas Encyclopédie von 1971 und die Eerste Nederlandse Systematisch Ingerichte Encyclopaedie (ENSIE, 1946–1960). In der ursprünglich zehnbändigen ENSIE sind einzelne namentlich gezeichnete Großbeiträge nach thematischer Ordnung aufgeführt. Für die Suche nach einem einzelnen Gegenstand muss man das Register bemühen, das wiederum eine Art Lexikon für sich ist. Nachdem die Enzyklopädien meist alphabetisch angeordnet wurden, brachten viele Autoren doch noch im Vorwort oder in der Einleitung eine Wissenssystematik an. Die Encyclopaedia Britannica hatte (wie schon der Brockhaus 1958) seit 1974 einen einführenden Band namens Propaedia. Darin legte der Herausgeber Mortimer Adler einleitend die Vorzüge eines thematischen Systems dar. Damit könne man einen Gegenstand finden, selbst wenn man die Bezeichnung nicht kennt. Der Band schlüsselte das Wissen auf: zunächst in zehn Großthemen, innerhalb dieser in eine Vielzahl an Sektionen. Am Ende der Sektionen wurde auf entsprechende konkrete Artikel verwiesen. Später fügte die Encyclopaedia Britannica jedoch noch zwei Index-Bände hinzu. Bei der Propaedia heißt es, sie diene vor allem dazu zu zeigen, welche Themen behandelt werden, während der Index zeige, wo diese behandelt werden. 1985 ergab eine Umfrage unter amerikanischen wissenschaftlichen Bibliotheken, dass 77 Prozent die neue Anordnung der Britannica weniger nützlich fanden als die alte. Eine Antwort kommentierte, die Britannica käme mit einer vierseitigen Anleitung daher. „Alles, das so viel Erklärung benötigt, ist verdammt nochmal zu kompliziert.“ Keine Enzyklopädie an sich, aber doch enzyklopädischer Art sind Sachbuchreihen, in denen nach einem einheitlichen Konzept viele verschiedene Themen behandelt werden. International zu den bekanntesten gehört die 1941 gegründete französische Reihe Que sais-je ? mit über dreitausend Titeln. In Deutschland erscheint bei C. H. Beck die Reihe C. H. Beck Wissen. Alphabetische Anordnung Lange Zeit gab es überhaupt nur wenige Texte in alphabetischer Anordnung. Es handelte sich im Mittelalter vor allem um Glossare, also kurze Wörtersammlungen, oder Listen wie zum Beispiel von Arzneien. Glossare entstanden seit dem 7. Jahrhundert, und zwar dadurch, dass Leser sich schwierige Wörter auf Einzelblättern (nach Anfangsbuchstaben) notierten und dann daraus eine Liste machten. Die alphabetische Anordnung befolgte man meist nur nach dem ersten oder höchstens dritten Buchstaben, wobei man nicht sehr konsequent vorging. Viele Wörter hatten zudem noch keine einheitliche Schreibweise. Selbst im 13. Jahrhundert war die strenge alphabetische Reihenfolge noch selten. Als einige der wenigen frühen alphabetischen Enzyklopädien werden unter anderem genannt: De significatu verborum (2. Hälfte des 2. Jahrhunderts) von Marcus Verrius Flaccus; Liber glossarum (8. Jahrhundert) von Ansileubus; und vor allem die Suda (um 1000) aus dem Byzantinischen Reich. Sie haben allerdings eher den Charakter von Sprachwörterbüchern; bezeichnenderweise sind die Einträge in der Suda meist sehr kurz und befassen sich oft mit sprachlichen Themen, etwa mit Redewendungen. Nach den alphabetischen Werken des 17. Jahrhunderts war es dann vor allem die große französische Encyclopédie (1751–1772), die den Begriff „Enzyklopädie“ endgültig mit der alphabetischen Anordnung verband. Ulrich Johannes Schneider verweist darauf, dass Enzyklopädien zuvor der „universitären und akademischen Kultur der Wissensdisponierung durch Systematisierung und Hierarchisierung“ folgten. Die alphabetische Anordnung aber habe die Enzyklopädien davon entkoppelt. Sie ist sachorientiert und gewichtet die Inhalte neutral. Die alphabetische Anordnung verbreitete sich, weil sie den schnellen Zugang erleichterte. Eine dieser Enzyklopädien, die Grote Oosthoek, meinte 1977 im Vorwort, es handele sich um eine Frage der Nützlichkeit, nicht des wissenschaftlichen Prinzips. Die schnelle Information aus fremden Fachgebieten erhalte man durch einen großen Reichtum an Stichwörtern, so spare man Zeit und Energie. Laut einer Umfrage von 1985 ist ready reference, das schnelle Nachschlagen, der wichtigste Zweck einer Enzyklopädie, während das systematische Selbststudium wesentlich seltener genannt wurde. Für den Herausgeber war es einfacher, wenn ein größeres Werk thematisch aufgeteilt war. Ein thematisch abgegrenzter Band konnte leicht unabhängig von anderen geplant werden. Bei der alphabetischen Anordnung hingegen muss (zumindest theoretisch) bereits von Anfang an feststehen, wie man den Inhalt auf die Bände verteilt. Man musste alle Lemmata (Stichwörter) kennen und die Querverweise vereinbaren. Selbst diejenigen Enzyklopädisten, die für die systematische Einteilung plädierten, entschieden sich aus praktischen Gründen für die alphabetische Anordnung. Dazu gehörte auch Jean-Baptiste le Rond d’Alembert von der großen französischen Encyclopédie. Ein späterer Herausgeber und Bearbeiter dieses Werks, Charles-Joseph Panckoucke, wollte wieder eine thematische Anordnung durchsetzen. Doch er verteilte die Artikel nur auf verschiedene Sachgebiete, und innerhalb dieser Sachgebiete erschienen die Artikel in alphabetischer Reihung. Diese Encyclopédie méthodique par ordre des matières war damit eine Sammlung von 39 Sachwörterbüchern. Artikellänge Auch innerhalb der alphabetisch angeordneten Werke gibt es immer noch eine Reihe von unterschiedlichen Möglichkeiten. So können Artikel zu Einzelthemen lang oder kurz sein. Das ursprüngliche Konversationslexikon Brockhaus ist das typische Beispiel für eine Kurze-Artikel-Enzyklopädie, mit vielen, dafür kurzen, einen einzelnen Gegenstand beschreibenden Artikeln. Für den Zusammenhang sorgen Querverweise auf andere Artikel oder vereinzelte zusammenfassende Beiträge. Lange-Artikel-Enzyklopädien hingegen enthalten große, an lehrbuchartige Abhandlungen erinnernde Artikel zu relativ weiten Themen. Ein Beispiel ist der Macropaedia genannte Teil der Encyclopaedia Britannica in den 1970er- bis 1990er-Jahren. Hier ist es für den Leser nicht immer deutlich, in welchem Großartikel er den ihn interessierenden Gegenstand suchen muss. Als Nachschlagewerk gut nutzbar ist eine solche Enzyklopädie daher nur mit einem Index, ähnlich wie bei einer systematischen Anordnung. Die Idee, lange, überblickende Artikel zu verwenden, hatte erstmals möglicherweise Dennis de Coetlogon mit seiner Universal history. Sie diente wohl der Encyclopaedia Britannica als Vorbild (diese hatte ursprünglich zum Teil lange Artikel, treatises oder dissertations genannt). Längere Artikel waren auch eine Gegenbewegung zum immer definitorischer und stichwortartiger werdenden Lexikon. Allerdings konnten lange Artikel nicht nur einer bewussten Abkehr von den eher kurzen dictionnaire-Artikeln entstammen. Manchmal waren sie Folge einer schwachen Redaktionspolitik, welche die Schreiblust der Autoren wenig einschränkte oder Texte einfach kopierte. Interne Hilfsmittel Für die praktische Nutzung einer Enzyklopädie wurden im Laufe der Zeit verschiedene Hilfsmittel entwickelt. Schon im Altertum war es gängig, einen langen Text in Kapitel aufzuteilen. Entsprechende Inhaltsverzeichnisse sind hingegen eine relativ späte Entwicklung. Sie entstanden aus Titeln der Werke. Vor dem 12. Jahrhundert waren sie noch sehr selten und wurden erst im 13. Jahrhundert geläufig. So hat die Naturalis historia ein von Plinius verfasstes summarium, eine Übersicht. In manchen Handschriften findet man das summarium ungeteilt am Beginn, manchmal auf die einzelnen Bücher zerteilt, wie es wohl im Zeitalter der Buchrollen am praktischsten war. Manchmal steht der Text sowohl am Anfang als auch noch einmal später vor den einzelnen Büchern. Wie Plinius selbst es gehandhabt hatte, ist heute nicht mehr festzustellen. Während Plinius in Prosa den Inhalt des Werkes beschrieb, machten später manche Druckausgaben daraus eine Tabelle, einem modernen Inhaltsverzeichnis ähnlich. Dabei gingen sie durchaus frei mit dem Text um und passten ihn an die vermuteten Bedürfnisse der Leser an. Indizes, also Register von Stichwörtern, tauchten ebenfalls im 13. Jahrhundert auf und verbreiteten sich rasch. In einer Enzyklopädie hatte zuerst Antonio Zara in seiner Anatomia ingeniorum et scientiarum (1614) eine Art Index verwendet; wirklich taugliche Indizes kamen erst im 19. Jahrhundert in die Enzyklopädien. Eines der ersten Werke mit Querverweisen war der Fons memorabilium von Domenico Bandini (ca. 1440). Spätestens im 18. Jahrhundert wurden sie gängig. Im 20. Jahrhundert gingen einige Enzyklopädien nach dem Vorbild des Brockhaus dazu über, den Verweis mithilfe eines Pfeilsymbols zu realisieren. Im digitalen Zeitalter verwendet man Hyperlinks. Inhaltliche Balance Ein häufig wiederkehrendes Thema in der Forschung ist die Balance zwischen den Fachgebieten in einer Enzyklopädie. Diese Balance oder Ausgewogenheit fehlt zum Beispiel, wenn in einem Werk die Geschichte oder Biografie viel Raum erhalten, Naturwissenschaften und Technik hingegen deutlich weniger. In einer Fachenzyklopädie wird die mangelhafte Balance kritisiert, wenn etwa in einem altertumswissenschaftlichen Werk die politische Geschichte sehr viel ausführlicher behandelt wird als die Sozialgeschichte. Zuweilen bezieht sich die Kritik auf einzelne Artikel, wobei gemessen wird, welches Lemma mehr Raum erhalten hat als ein anderes. Harvey Einbinder fand an der Encyclopaedia Britannica von 1963 beispielsweise den Artikel über William Benton bemerkenswert. Dieser amerikanische Politiker ist der Enzyklopädie zufolge im Senat „ein Verfechter der Freiheit für die gesamte Welt“ geworden. Der Artikel ist länger als der über den ehemaligen Vizepräsidenten Richard Nixon; wie Einbinder mutmaßt, weil Benton auch Herausgeber der Encyclopaedia Britannica war. Einbinder kritisierte auch, dass der Artikel „Music“ zwar Béla Bartok und Heinrich Schütz hoch lobte, diese Komponisten aber keine eigenen Artikel erhalten haben. Auch vormoderne Enzyklopädien hatten in der Regel einen universalen Anspruch. Dennoch brachten die Interessen beziehungsweise die Fähigkeiten des Autors oftmals eine Begrenzung mit sich. So umfasste die Naturalis historia zwar Abhandlungen zur Völkerkunde und Kunst, der Schwerpunkt jedoch lag auf Wissensgebieten, die man heutzutage als naturwissenschaftlich einordnet. Im 18. Jahrhundert begannen Universalenzyklopädien damit, den Gegensatz zwischen mehr geisteswissenschaftlichen und mehr naturwissenschaftlichen Werken aufzuheben. Zum Teil sah man einem Werk seine Herkunft noch an, oder der Herausgeber entschied sich bewusst dafür, das Profil durch ein bestimmtes Gebiet oder eine bestimmte Herangehensweise zu schärfen: Der Ersch-Gruber folgte dem historischen Ansatz, wegen dessen Anschaulichkeit, der Meyer hingegen bevorzugte das Naturwissenschaftliche. Die Frage der Ausgewogenheit ist nicht zuletzt von Bedeutung bei Werken, für die der Leser bezahlen muss. Er dürfte unzufrieden sein, wenn eine Universalenzyklopädie seiner Meinung nach zu viel Raum solchen Themen lässt, die ihn persönlich wenig interessieren, die er aber mitbezahlt. Robert Collison verweist auf die Ironie, dass die Leser möglichst vollständige Abrisse haben wollten und „unhinterfragt für Millionen von Wörtern bezahlt haben, die sie wahrscheinlich niemals lesen“, während die Enzyklopädie-Macher ebenfalls nach Vollständigkeit gestrebt und Einträge über kleine Themen geschrieben haben, die kaum jemand liest. Die Ausgewogenheit wird aber selbst noch bei frei zugänglichen Enzyklopädien wie der Wikipedia diskutiert. So geht es zum Beispiel über die Frage, ob es nicht etwas über die Seriosität des Gesamtwerkes aussagt, wenn Themen der Popkultur (angeblich oder tatsächlich) überdurchschnittlich vertreten sind. Zumindest, betonte der Historiker Roy Rosenzweig, ist die Ausgewogenheit stark abhängig davon, aus welchem Erdteil und welcher sozialen Schicht die Autoren stammen. Informationen in traditionellen Enzyklopädien können durch Maßnahmen bewertet werden, die sich auf eine Qualitätsdimension wie Autorität, Vollständigkeit, Format, Objektivität, Stil, Aktualität und Einzigartigkeit beziehen. Inhaltliche Aspekte Sprachen Im Abendland war Latein lange Zeit die Sprache der Bildung und damit der Enzyklopädien. Das hatte den Vorteil, dass die Enzyklopädien auch in anderen Ländern als dem Ursprungsland gelesen werden konnten. Allerdings waren sie dadurch für die große Bevölkerungsmehrheit unzugänglich. Etwa seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts erreichte das Wissen auch das Volk in dessen Sprachen. Französisch ist an erster Stelle zu nennen, seit etwa 1300 an zweiter Stelle in Europa Mittelhochdeutsch. Gerade Frauen haben eher in den Volkssprachen Wissen vermittelt. Ende des 15. Jahrhunderts waren volkssprachliche Enzyklopädien kein Wagnis mehr, sondern Routine. Einige Enzyklopädien wurden übersetzt, wie zum Beispiel Imago mundi (ca. 1122) von Honorius Augustodunensis ins Französische, Italienische und Spanische. De natura rerum (ca. 1228–1244) erhielt eine Übersetzung ins Flämische und Deutsche, der Speculum maius (Mitte 13. Jahrhundert) ins Französische, Spanische, Deutsche und Niederländische. Später, als das Latein eine weniger große Rolle spielte, wurden erfolgreiche Enzyklopädien von einer Volkssprache in die andere übersetzt. Ab 1700 war es dann undenkbar, noch eine Enzyklopädie auf Latein herauszugeben. Im 19. Jahrhundert waren etwa der Brockhaus und der Larousse, vor allem in den kleineren Ausgaben, Vorbild für Enzyklopädien in anderen Sprachen oder wurden in diese übersetzt. Dies hatte allerdings Grenzen, da man den Inhalt an die jeweilige Sprache beziehungsweise an das jeweilige Land anpassen musste. Ein Beispiel dafür ist die Encyclopedia Americana (1827–1829), ein weiteres das Enzyklopädische Wörterbuch von Brockhaus und Efron (1890–1906), eine vom Brockhaus-Verlag mitherausgegebene Kurze-Artikel-Enzyklopädie auf Russisch. Trotz der Anpassungen wurde in beiden Fällen von Rezensenten kritisiert, die amerikanische beziehungsweise russische Geschichte und Kultur seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Einordnung in den Wissenskontext Wissenschaftliche Forschung bezieht sich in erster Linie auf die Natur und die Handlungen des Menschen. Die Grundlage sind dann je nach Fach zum Beispiel Phänomene der Natur, Experimente, Umfragen oder historische Quellen. Darauf aufbauend verfassen Wissenschaftler Fachliteratur, oder sie reflektieren in ihren Arbeiten andere Fachliteratur. Erst nach dieser eigentlich wissenschaftlichen, nämlich forschenden Arbeit kommen Hilfsmittel an die Reihe, wie Einstiegslektüre, Atlanten oder Wörterbücher. Diese Abfolge von Quellen, Fachliteratur und Hilfsmitteln heißt im Englischen primary, secondary und tertiary sources. Enzyklopädien sind demnach Hilfsmittel, die dem Leser einen ersten Zugang zu einem Thema verschaffen sollen. Ähnliches gilt für Lehrbücher und Wörterbücher, die historisch und der literarischen Gattung nach mit Enzyklopädien auch verwandt sind. Daraus wiederum ergeben sich der Charakter von Enzyklopädien und ihr Nutzen im Wissenskontext. Dass Enzyklopädien sich eher am Ende der Wissensproduktion befinden, hat den Vorteil, dass die Aussagen in der Regel bereits etabliertes und kaum noch umstrittenes Wissen darstellen. Das beinhaltet aber ebenso den Nachteil, dass neue oder unkonventionelle Ideen ausgefiltert worden sind. Außerdem können sich von den Grundlagen über die Fachliteratur bis hin zu den Hilfsmitteln Fehler oder zu grobe Vereinfachungen eingeschlichen haben. Aus diesen Gründen ist immer wieder diskutiert worden, ob allgemeine Enzyklopädien von Schülern oder Studenten als Autorität zitiert werden dürfen. An der Universität ist die Meinung verbreitet, dass allgemeine Nachschlagewerke in wissenschaftlichen Arbeiten nicht zu zitieren sind. Einbinder zufolge fanden einige Lehrer und Professoren, dass die Encyclopaedia Britannica keine zuverlässige Informationsquelle sei; sie warnten ihre Schüler davor, dieses Material blind in ihre eigenen Hausarbeiten eingehen zu lassen. Hingegen meint Thomas Keiderling in seiner Geschichte des Brockhaus, in den 1920er-Jahren hätten Wissenschaftler diese Enzyklopädie für durchaus zitierfähig gehalten. Stil Der sprachliche Stil einer Enzyklopädie hängt vom Zweck des Werkes und bisweilen auch vom persönlichen Geschmack des Autors ab. In den Werken des Altertums ist oftmals erkennbar, dass sie Lehr- beziehungsweise Sachbücher waren und ursprünglich aus solchen zusammengestellt wurden. Bei Plinius heißt es beispielsweise im Abschnitt über die Insekten: Im europäischen Mittelalter waren volkssprachliche Werke in Reimen verfasst, so dass die Leser den Inhalt leichter aufnehmen und sich besser merken konnten. Ein Beispiel aus Der naturen bloeme von Jacob van Maerlant, um 1270: Solche Darstellungsweisen ordnen den Gegenstand in einen größeren, auch philosophischen Zusammenhang ein. Dabei können sich leicht Wertungen einschleichen, die eventuell durchaus gewollt waren. In der großen französischen Encyclopédie gab sich der Artikel „Philosophe“ (Philosoph) mal ironisch, mal pathetisch: Im 19. Jahrhundert bildete sich dann der später als „enzyklopädisch“ bekannt gewordene Stil heraus. Sprachwissenschaftlich lässt er sich nicht genau von anderen Gattungen wie wissenschaftliche Aufsätze unterscheiden. Der Autor wird unsichtbar gemacht, man verwendet Passivkonstruktionen, neigt zur Verallgemeinerung. „Ein insgesamt expositorischer Charakter der Artikel“ sei ebenfalls typisch, schreibt Ulrike Spree. Allgemeine Enzyklopädien bemühen sich um ganze Sätze, normalerweise fehlt nur im ersten Satz eines Artikels das Verb. Außer dem Lemma selbst werden zahlreiche weitere Wörter abgekürzt. Ein Beispiel aus der Brockhaus Enzyklopädie: Das Wissenschaftsverständnis ist meist empirisch und positivistisch, nicht deduktiv. In alphabetischen Nachschlagewerken gibt es zwar Verweise, dennoch stehen die Artikel in keinem Kontext. Diesen Kontext muss der Leser erst herstellen. So kann ein und derselbe Text bei unterschiedlichen Lesern verschiedene Assoziationen hervorrufen. Obwohl ein gewisser Telegrammstil erkennbar ist, gibt es aus didaktischen Gründen auch die gegenteilige Tendenz. Mit erhöhter Redundanz, Anschaulichkeit und Beispielen nähern Artikel sich an Lehrbücher an. Neutralität Normalerweise erheben Enzyklopädien den Anspruch, objektiv zu sein und nicht für eine Interessengruppe oder Partei zu sprechen. Im 19. Jahrhundert etwa hielt man es für möglich, die absolute Wahrheit zu ergründen und zu vermitteln, auch wenn einzelne Irrtümer möglich seien. Seltener haben Enzyklopädisten wie Denis Diderot den Zweifel zum methodischen Prinzip erheben wollen. Wahrheitsanspruch Innerhalb des Wahrheitsanspruchs sind eine Reihe an Positionen denkbar: Eine Kompilation aus älteren Werken verweist auf eine lange Tradition, die für die Richtigkeit der Aussagen steht. Diese Haltung war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts typisch. Werke können auf ideologische Standortbestimmungen verzichten und sich darauf berufen, dass sie eine Kompilation sind. Insbesondere Konversationslexika versuchen Haltungen zu vermeiden, die als extrem empfunden werden. Mit einer neutralen Haltung wird versucht, abzuwägen und eine über den Parteien stehende Haltung einzunehmen. Eine pluralistische Vorgehensweise lässt verschiedene Interessengruppen in verschiedenen Artikeln zu Wort kommen. Oder aber Enzyklopädien ergreifen ausdrücklich Partei für eine bestimmte Gruppe, wie die gebildeten Stände, die Arbeiterklasse oder die Katholiken. Dabei sollen Interessen berücksichtigt und Irrtümer berichtigt werden. Selbst dann aber wird der Allgemeingültigkeitsanspruch nicht aufgegeben. Enzyklopädien richten sich meist nicht gegen die bestehenden grundlegenden Vorstellungen in ihrer Gesellschaft. Pierre Bayle und Denis Diderot waren Ausnahmen. Eine ausgesprochen politische Zielsetzung hatten später beispielsweise der anti-monarchische Grand dictionnaire universel du XIXe siècle von Larousse, das konservative Staats- und Gesellschaftslexikon von Hermann Wagener, das liberale Staatslexikon (1834–1843) von Karl von Rotteck und Carl Theodor Welcker sowie das sozialdemokratische Volks-Lexikon von 1894. Solche Tendenzschriften waren allerdings eher selten. Beispiele und Vorwürfe Wenn Historiker versuchen zu erfahren, wie die Menschen in einer bestimmten Epoche über etwas gedacht haben, ziehen sie oft die damaligen Enzyklopädien zu Rate. Eine Aussage muss allerdings nicht unbedingt tatsächlich für die Gesellschaft repräsentativ sein, vielleicht spiegelt sie nur die Meinung des Autors, der Herausgeber oder einer bestimmten Bevölkerungsschicht wider. Einige Beispiele: William Smellie, ein hellhäutiger Schotte, schrieb in der ersten Ausgabe der Encyclopaedia Britannica (1768–1771) über Abyssinien (das heutige Äthiopien): „Die Einwohner sind schwarz, oder beinahe, aber sie sind nicht so hässlich wie die Neger.“ 1910/1911 hieß es in der Encyclopaedia Britannica, dass „Neger“ dem Weißen geistig unterlegen seien. Zwar seien Negerkinder intelligent und aufgeweckt, doch ab der Pubertät interessiere der Neger sich vor allem für auf das Geschlechtliche bezogene Angelegenheiten. Auch die große französische Encyclopédie erlaubte sich Meinungen diskriminierender Art: „Alle hässlichen Menschen sind roh, abergläubisch und dumm“, schrieb Denis Diderot im Artikel „Humaine, Espèce“ (Spezies des Menschen). Ferner seien die Chinesen friedfertig und unterwürfig, die Schweden beinahe ohne Vorstellung einer Religion, und die Lappen und Dänen beteten eine fette, schwarze Katze an. Die Europäer seien „die schönsten und wohlproportioniertesten“ Menschen auf Erden. Solche Nationalstereotype sind in Nachschlagewerken des 18. Jahrhunderts sogar sehr gängig. Der Volks-Brockhaus verwies in „Homosexualität“ 1955 auf die damalige Gesetzgebung in der Bundesrepublik, der zufolge „Unzucht zwischen Männern mit Gefängnis, unter erschwerenden Umständen mit Zuchthaus bestraft“ werde. Außerdem sei Homosexualität „oft durch Psychotherapie heilbar“. Zwei Autorinnen der 1980er-Jahre haben festgestellt, dass allgemeinbildende Enzyklopädien weniger über berühmte Frauen als über berühmte Männer informieren und daher sexistische Rollenbilder der Gesellschaft reproduzieren. Harvey Einbinder listet eine Vielzahl von Artikeln der Encyclopaedia Britannica auf, deren Neutralität oder Objektivität er bezweifelt. Moderne Künstler würden kurzerhand für wertlos erklärt, aus Prüderie würden wichtige Handlungselemente etwa im Theaterstück Lysistrata weggelassen werden oder sexuelle Themen hinter Fachausdrücken versteckt. Der Judenmord werde unverständlicherweise nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie in Verbindung gebracht, der moralische Aspekt der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki kaum diskutiert. Letzteres geschehe seiner Vermutung nach, um den Amerikanern ein unangenehmes Thema zu ersparen. Die Herausgeber von Enzyklopädien hatten zuweilen ausdrücklich gesellschaftspolitische Ziele. Beispielsweise setzte sich insbesondere der Ergänzungsband von 1801 bis 1803 zur Encyclopaedia Britannica kämpferisch mit der Französischen Revolution auseinander. Widmungen an den regierenden Monarchen waren nicht ungewöhnlich, doch damals hieß es darin: Später im 19. Jahrhundert setzte der Meyer sich, nach eigenem Bekunden, für eine intellektuelle Gleichheit der Menschen ein, den Lesern ein besseres Leben ermöglichen. Revolutionärem Denken sollte jedoch kein Vorschub geleistet werden. Im Gegensatz zu dieser eher liberalen Haltung wollte Sparners Illustriertes Konversations-Lexikon (1870) sozialdisziplinierend auf die Unterschicht einwirken. Allgemein sehen Enzyklopädien sich oft dem Vorwurf ausgesetzt, nicht neutral zu sein. Einige Kritiker hielten die Encyclopaedia Britannica für prokatholisch, andere für kirchenfeindlich. Um 1970 lobten manche Rezensenten am Brockhaus dessen angeblich konservativen Grundton im Vergleich zum „linkslastigen“ Meyer, andere sagten, es sei genau andersherum. Thomas Keiderling findet es überhaupt problematisch, Pauschalurteile solcher Art zu fällen. Ideologische Großsysteme Die niederländische Katholieke Encyclopedie stellte sich 1949 bewusst nicht in die Tradition der Aufklärung, sondern des christlichen Mittelalters. Wie ihre Schwester, die Universität, sei die Enzyklopädie aus katholischem Hause. Ein Prospekt, bereits aus dem Jahre 1932, nennt Unparteilichkeit gerade in einer Enzyklopädie gefährlich. Schließlich bräuchten Themen wie „Spiritismus“, „Freudianismus“, „Freimaurerei“, „Protestantismus“ oder „Liberalismus“ eine kritische Behandlung und absolute Verwerfung. „Es ist doch eindeutig, dass Neutralität keine Position beziehen kann. Aber zahlreiche Themen können ohne feste Basis nicht beurteilt werden.“ In den sogenannten neutralen Enzyklopädien erhalte Buddha mehr Aufmerksamkeit als Jesus Christus. Die Enciclopedia Italiana (1929–1936) entstand in der Zeit des Faschismus und der Diktator Benito Mussolini hatte mehr oder weniger persönlich zum Thema „Faschismus“ beigetragen (vgl. La Dottrina Del Fascismo). Im Allgemeinen jedoch war das Werk international und objektiv. In Deutschland musste sich der Brockhaus in den letzten Teilen seiner Großausgabe von 1928 bis 1935 politisch anpassen. Als ausgesprochen nationalsozialistisch gefärbt gilt der sogenannte „braune Meyer“ von 1936 bis 1942 (unvollendet). Die Große Sowjetische Enzyklopädie richtete sich nicht etwa an die Massen der Arbeiter und Bauern, sondern an die „Hauptkaderleute, die den sowjetischen Aufbau betreiben“. Ihre politische Ausrichtung beschrieb sie im Vorwort von 1926 so: Noch nach dem Erscheinen musste eine sowjetische Enzyklopädie verändert werden, wenn eine Person plötzlich politisch unerwünscht wurde. Als 1953 Lawrenti Beria entmachtet wurde, schickte man den Käufern der Großen Sowjetischen Enzyklopädie ein Blatt unter anderem mit Informationen über die Beringsee, das man anstelle der alten Seite mit Beria einkleben sollte. Ausstattung Umfang Traditionell waren Enzyklopädien eher von begrenztem Umfang. Moderne Buchausgaben antiker oder mittelalterlicher Enzyklopädien bleiben meist auf einen oder wenige Bände beschränkt. Die für das Altertum monumentale Naturalis historia hatte beispielsweise in einer Ausgabe um das Jahr 1900 fünf Bände. Nach eigener Zählung bestand das Werk aus 37 libri (Büchern), wobei ein „Buch“ hier vom Umfang her als ein Kapitel zu verstehen ist. Die Etymologiae des Isidor machen ein je nach Ausgabe mehr oder weniger dickes Buch aus. Zu vielbändigen Enzyklopädien kam es erst seit dem 18. Jahrhundert, allerdings gab es gleichzeitig immer auch Nachschlagewerke in nur einem oder wenigen Bänden. Diese haben im 19. und 20. Jahrhundert, als Enzyklopädien sich massenweise verbreiteten, wesentlich mehr Käufer gefunden als die großen Ausgaben. Thomas Keiderling verwendet für das 20. Jahrhundert eine Einteilung von kleinen Ausgaben mit ein bis vier Bänden, mittleren Ausgaben von fünf bis zwölf Bänden und großen darüber. Für einen genaueren Vergleich des Umfangs müsse man jedoch zusätzlich Buchformate, Seitenanzahlen, Schriftgröße usw. hinzuziehen. Als größte Enzyklopädie der Geschichte wird zuweilen das chinesische Werk Yongle Dadian (auch: Yung-lo ta-tien) aufgeführt. Es stammt aus dem 15. Jahrhundert und umfasste 22.937 Bücher auf mehr als fünfhunderttausend Seiten. Es handelte sich jedoch mehr um eine aus älteren Texten zusammengestellte Lehrbuchsammlung. Längere Zeit das umfangreichste Nachschlagewerk war der Zedler mit seinen 64 Bänden. Dieses Mammutwerk war folglich für viele Käufer, die sowieso nur einer kleinen, reichen Oberschicht entstammen konnten, unerschwinglich. Selbst viele Lesegesellschaften haben sich den Zedler nicht angeschafft. Im 19. Jahrhundert war der Ersch-Gruber die größte allgemeine Enzyklopädie. Das 1818 begonnene Werk wurde aber nicht fertiggestellt, nach 167 Bänden gab der neue Herausgeber (Brockhaus) 1889 auf. Die größte vollständige gedruckte Enzyklopädie wurde dann im 20. Jahrhundert die spanischsprachige Espasa mit insgesamt neunzig Bänden. Die Großwerke des 18. und 19. Jahrhunderts erscheinen also umfangreicher als die des 20. Jahrhunderts mit ihren 20–30 Bänden, dabei ist aber das wesentlich dünnere Papier der späteren Werke zu berücksichtigen. Auflagenhöhen Eine populäre Enzyklopädie wie die Etymologiae des Isidor brachte es im Mittelalter auf über tausend Handschriften. Das Elucidiarium von Honorius Augustodunensis gab es in mehr als 380 Handschriften. Jeff Loveland zufolge hat man im 18. Jahrhundert etwa zweihundert bis dreihundert Exemplare von einer Enzyklopädie verkauft; Ulrike Spree zufolge betrug die Auflage hingegen 2000–4000 Exemplare. Vom Zedler (1737) wurden vermutlich nur die 1500 Subskriptionsexemplare angeschafft, also diejenigen, die zahlungskräftige Kunden zuvor bestellt hatten. Von der ersten Auflage der (damals dreibändigen) Encyclopaedia Britannica (1768–1771) verkaufte man insgesamt dreitausend Exemplare, von der 18-bändigen dritten Auflage (1787–1797) dreizehntausend. Das 19. Jahrhundert sah wesentlich höhere Auflagen. Die Encyclopaedia Britannica in der 7. Auflage (1828) kam auf dreißigtausend Exemplare, Meyers Conversations-Lexikon hatte 1848/1849 siebzigtausend Subskribenten. Da das Erscheinen langsam war und die Bandanzahl hoch, ging dies allerdings auf unter vierzigtausend zurück. Von der 2. Auflage der Chambers Encyclopaedia verkaufte man 1874–1888 allein in Großbritannien über 465.000 sets. Brockhaus verkaufte von seiner 13. Auflage (1882–1887) 91.000 Exemplare, von der 14. Auflage bis 1913 mehr als 300.000. Die 17. Auflage des großen Brockhaus von 1966 hatte eine Gesamtauflage von 240.000 Exemplaren (Komplettsets). Auf dem Gebiet der kleineren Lexika erlebte Brockhaus jedoch starke Konkurrenz. So verlief der Verkauf des einbändigen Volks-Brockhaus von 1955 schleppend: Er kostete 19,80 DM, während Bertelsmann sein Volkslexikon für 11,80 DM auf den Markt brachte und über seinen Lesering eine Million Exemplare verkaufte. In der DDR hatte das achtbändige Meyers Neues Lexikon (1961–1964) eine Auflage von insgesamt 150.000 Exemplaren, die zweibändige Ausgabe kam 1956–1958 in drei Auflagen auf 300.000 Exemplare. Zwar war die DDR deutlich kleiner als die Bundesrepublik, der VEB Bibliographisches Institut hatte aber keine Konkurrenz. Fehlende Konkurrenz führte auch in anderen kleinen Ländern, einschließlich westlichen, zu hohen Auflagen im Vergleich zur Bevölkerungsanzahl. Das sechsbändige Uj Magyar Lexikon erschien im kommunistischen Ungarn 1959–1962 in 250.000 Exemplaren. In Norwegen verkaufte sich das fünfzehnbändige Store Norske von 1977 bis 2011 in 250.000 Exemplaren bei einer Bevölkerung von nur vier Millionen Norwegern. Von der 21. Auflage der Brockhaus Enzyklopädie aus den Jahren 2005/2006 wurden nur „ein paar Tausend Exemplare“ verkauft, wie der FOCUS berichtete. Der FAZ zufolge habe die Gewinnschwelle bei 20.000 verkauften Exemplaren gelegen, davon sei die Hälfte erreicht worden. Diese letzte gedruckte Auflage der Brockhaus Enzyklopädie bestand aus dreißig in Leinen gebundenen Bänden mit Goldschnitt, die fast 25.000 Seiten beinhalteten. Sie kostete 2670 Euro. Bebilderungen Aus den antiken Werken sind so gut wie keine Illustrationen überliefert, sondern nur der Text. Nachträglich erhielten sie Abbildungen in einigen mittelalterlichen Handschriften. Diese Illustrationen unterschieden sich meist von Handschrift zu Handschrift; dann brachte der Buchdruck die Möglichkeit, auch Abbildungen genau zu vervielfältigen. Das Mittelalter kannte bereits Bilder von Menschen, Tieren oder Pflanzen, ebenso schematische Darstellungen und Weltkarten. Sie waren allerdings selten. In der Frühen Neuzeit gab es dann eine große Bandbreite von unterschiedlichen Illustrationen. Auf Titelblättern und Frontispizen reflektierte man über die Grundlagen des in der Enzyklopädie gesammelten Wissens, indem man die sieben freien Künste allegorisch darstellte. Baumdiagramme veranschaulichten den Zusammenhang der einzelnen Fächer, Funktionsdiagramme zeigten zum Beispiel, wie ein Flaschenzug funktioniert. Widmungen präsentierten einen reichen Gönner oder Schirmherr, Kupferstiche leiteten einen neuen Band ein. Beliebt waren auch Tabellen, zum Beispiel zu Planetenbewegungen. Bilder wurden entweder im Text an die geeignete Stelle eingefügt oder auf gesonderten Bildtafeln geliefert; der Brockhaus-Verlag brachte 1844–1849 und auch noch später eigens einen Bilder-Atlas zum Conversationslexikon heraus und nannte ihn im Untertitel Ikonographische Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Bildtafeln oder gar Bildbände wurden oftmals der Qualität wegen gesondert vom Rest gedruckt, da Bilder zuweilen einen besonderen Druck oder besonderes Papier verlangten. Mit der zunehmenden Verbesserung der Drucktechnik kamen mehr und mehr Bilder in die Enzyklopädien. Schließlich wurden im 20. Jahrhundert reich illustrierte Werke nicht mehr ausdrücklich als „illustriert“ angepriesen, so selbstverständlich war die Bebilderung geworden. Etwa seit den späten 1960er-Jahren waren die Abbildungen einiger Enzyklopädien vollständig in Farbe gehalten. Die 19. Auflage des Brockhaus (1986–1994) hatte 24 Bände mit insgesamt 17.000 Seiten. Darin befanden sich 35.000 Abbildungen, Karten und Tabellen. Ein dazugehöriger Weltatlas beinhaltete 243 Kartenseiten. Anhänge und Ausstattung Seit dem 18. Jahrhundert erhielten größere Enzyklopädien, wenn schon keine neue Auflage zustande kam, Ergänzungsbände, Supplemente. Der Brockhaus veröffentlichte Mitte des 19. Jahrhunderts Jahrbücher als Ergänzung oder Weiterführung des eigentlichen Lexikons. Ab 1907 gab Larousse die Monatsschrift Larousse mensuel illustré heraus. Mehr zur Kundenbindung diente die Zeitschrift Der Brockhaus-Greif, die der Verlag von 1954 bis 1975 unterhielt. Ein Sonderband konnte dazu dienen, besondere geschichtliche Ereignisse zu behandeln, wie den Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 oder den Ersten Weltkrieg. Anhänge in eigenen Bänden konnten auch Bildbände, Atlanten oder Wörterbücher sein, die aus der Enzyklopädie ein umso vollständigeres Kompendium machten. CD-ROMs, Internetzugänge und USB-Sticks schließlich wurden zunächst als Zugabe für die gedruckte Version angeboten. Ein Versuch, den Wert des Gesamtwerks zu erhöhen, stellten die Künstlerausgaben des Brockhaus dar, wie die seit 1986 von Friedensreich Hundertwasser gestaltete, auf 1800 Exemplare limitierte Ausgabe. Der Ladenpreis betrug 14.000 DM (gegenüber etwa 4000 DM für die normale Ausgabe). Die Einbände zeigten, nebeneinander auf dem Regal stehend, zusammen ein neues Bild. Lieferung In der Regel wurden Bücher nach Fertigstellung erworben und bezahlt. Bei größeren Projekten jedoch war es im 18. Jahrhundert üblich, zunächst Subskribenten zu werben und erst danach das Werk zu drucken; eventuell wurde es stückweise in Raten ausgeliefert. Hatte der Käufer alle Auslieferungen beisammen, konnte er damit zu einem Buchbinder gehen. Ein Subskribent (wörtlich: jemand, der unterschreibt) bezahlte im Voraus. So hatte der Verleger bereits ein Kapital, mit dem er erste Ausgaben bewältigen konnte. Je nach Subskriptionsmodell zahlte der Subskribent möglicherweise eine Anzahlung und dann noch pro ausgeliefertem Teil. Zusätzlich hoffte der Verleger, dass weitere Kunden das Werk kauften. Die Veröffentlichung bekannter Subskribenten vorne im Werk sollte verkaufsfördernd wirken, ähnlich wie die Widmung des Werkes an eine hochgestellte Persönlichkeit. Im Falle der ersten Ausgabe der Encyclopaedia Britannica kündigte im Juli 1767 ein Prospekt das Vorhaben der Öffentlichkeit an. Im Februar 1768 ließen die Verleger verlautbaren, dass das Werk in einhundert wöchentlichen Auslieferungen kommen sollte, jeweils mit 48 Seiten. Am Ende sollten es, gebunden, sechs Bände im Oktavformat werden. Auf einfachem Papier kostete eine Auslieferung sechs Pence und acht auf besserem. Bald darauf änderten die Herausgeber das Format auf Quarto, woraus sich drei Bände ergaben. Der Grund dafür war das höhere Prestige von Quarto und vielleicht auch der indirekte Einfluss eines Konkurrenzproduktes. Im Dezember 1768 kam der erste Teil heraus, und nach der Auslieferung des letzten 1771 erhielt man Vorwort und Titelseiten für jeden der drei Bände sowie eine Anleitung für den Buchbinder. Im August 1771 konnte man das gesamte set für zwei Pfund und zehn Schillinge kaufen (drei Pfund, sieben Schillinge bei besserem Papier). Im 19. Jahrhundert konnte man beispielsweise bei Meyers Konversations-Lexikon zwischen mehreren Liefermodellen wählen. Die dritte Auflage von 1874 bis 1878 bestand aus fünfzehn Bänden. Der Käufer erhielt wöchentlich eine Lieferung von 64 Seiten, die fünfzig Pfennig kostete; oder aber man bezahlte je 9,50 Mark pro Band. Den Brockhaus in der Jubiläumsausgabe von 1898, siebzehn Prachtbände zu je zehn Mark, zahlte man in Monatsraten von drei bis fünf Mark oder in Vierteljahresraten von neun bis fünfzehn Mark. Es gab keine Anzahlung, erst nach drei Monaten musste man die erste Rate zahlen. Subskriptionsmodelle kannte man letztlich bis ins 21. Jahrhundert. Es war aber seit dem 20. Jahrhundert gängig, dass man fertig gebundene Bände erhielt. Nelson’s perpetual loose-leaf encyclopaedia von 1920 war eine Loseblattsammlung in zwölf Bänden. Zweimal im Jahr erhielt der Käufer einige neue Seiten geliefert, mit denen er Seiten veralteten Inhalts ersetzen konnte. Die Encyclopédie française (1937–1957) nahm die Idee auf, die sich aber nicht durchsetzen konnte. Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden brauchte für die Produktion und Auslieferung insgesamt acht Jahre von 1971 bis 1979. In den Bänden 4, 7, 10, 13, 16, 19 und 22 wurden Nachträge angefügt, welche die zwischenzeitlichen Aktualisierungen zu den vorangegangenen Bänden enthielten. 1985 erschien schließlich noch ein Nachtragsband (Band 26). Autoren und Leser Der Autor einer Enzyklopädie heißt Enzyklopädist oder Enzyklopädiker, wobei dieser Begriff auch für einen Wissenschaftler der Enzyklopädik gebraucht wird, der keine Enzyklopädie schreibt, sondern Enzyklopädien und ihre Entstehung erforscht. Herausgeber und Mitarbeiter der Encyclopédie (Frankreich 1782 bis 1832) wurden die Enzyklopädisten genannt. Urheberrecht und Plagiate Ein Urheberrecht im modernen Sinne gab es vor dem 19. Jahrhundert nicht. Dennoch besteht seit der Antike der Begriff des Plagiats, als ungekennzeichnete Übernahme fremder Texte. Bis ins 18. Jahrhundert war es gängig, Enzyklopädien vor allem als Zusammenstellung älterer Texte zu sehen. Dabei wurden die Autoren manchmal genannt, oft aber auch nicht. In der Antike und im Mittelalter stand der Gedanke im Vordergrund, sich bei den alten Weisen zu bedienen und von deren reinem, unverfälschtem Wissen zu lernen. Mit der Renaissance wurde die Vorstellung eines originalen Autors wichtiger. Plagiate galten beispielsweise im 18. Jahrhundert teilweise als anrüchig, waren aber nicht verboten. Allenfalls anhand des Druckprivilegs konnte der Herausgeber Nachdrucke untersagen. Dabei handelte es sich um eine obrigkeitliche Erlaubnis, überhaupt ein bestimmtes Buch drucken zu dürfen. Nachdrucke konnten aber höchstens im eigenen Land unterbunden werden und wurden oftmals im Ausland gedruckt und dann zum Teil über Schmuggel verbreitet. Dennis de Coetlogon zum Beispiel gab zwar zu, kopiert zu haben, behauptete aber trotzdem, er sei der Autor seiner Universal history. Nimmt man dies wörtlich, so hat er sie anscheinend selbst mit der Hand, ohne Helfer, geschrieben. Wenn in der ersten Ausgabe der Encyclopaedia Britannica eine „List of Authors“ erschien, dann war damit nicht etwa gemeint, dass jene Personen bewusst für diese Enzyklopädie geschrieben hätten. Vielmehr hatte der Redakteur William Smellie sich aus ihren Werken bedient. Im Artikel „Plagiaire“ beschrieb die große französische Encylopédie das Phänomen des Plagiats. Man beeilte sich anzumerken, dass Lexikografen sich wohl nicht an die üblichen Gesetze des Mein und Dein halten müssten, jedenfalls nicht jene, die ein dictionnaire des arts et des sciences verfassten. Schließlich gäben sie nicht vor, Originales zu schreiben. Der Text hatte größte Ähnlichkeit mit dem Artikel „Plagiary“ in Chambers’ Cyclopaedia eine knappe Generation zuvor, und dieser wiederum ging auf das Dictionnaire von Antoine Furetière (1690) zurück. Der Zedler schreibt unter dem Lemma „Nachdruck derer Bücher“: Dieser Text selbst war einem zeitgenössischen Buch entnommen worden. Im 19. Jahrhundert war es dann nicht mehr möglich, eine Enzyklopädie mit der Schere zu verfassen, wie William Smellie noch über sich selbst gescherzt haben soll. Zumindest bei den allgemeinen Enzyklopädien gab es dies nach 1860 nicht mehr. Trotzdem war die gegenseitige Beeinflussung der konkurrierenden Verlage groß, auch, weil Fakten an sich (wie die Höhe eines Berges) nicht urheberrechtlich geschützt sind. Autoren Einzelautoren und Kleingruppen Gilt bei antiken Werken meist eine Person als der Autor, so ist im Mittelalter der Autor nicht immer leicht greifbar. Mit dem antiken Argument der modestia (Bescheidenheit) bezeichnen sich die Autoren des Mittelalters oft als zu unwürdig, um ihren Namen zu nennen. Sie sahen sich als bloße Vermittler gottgewollten Wissens. Gerade Laien aber, wie König Alfons der Weise oder der Notar Brunetto Latini, neigten im Gegenteil zur Selbststilisierung. Einige Werke sind in Arbeitsgemeinschaften entstanden, wobei dann die leitende Persönlichkeit stellvertretend für die Mitarbeiter genannt wurde. Die Autoren verstanden sich als Kompilatoren (Zusammensteller), als Übersetzer, die bewährte lateinische Werke einem größeren Publikum eröffneten. Eine neue Generation um 1300 brachte dann auch eigene Gedanken ein. Dies waren ebenfalls oft Laien, oft aus Italien, wo der Klerus eine weniger große Rolle als anderswo spielte. Die Autoren waren meist Männer; Frauen waren nur innerhalb von Klöstern enzyklopädisch tätig. Redaktionen Im 19. Jahrhundert kam es nicht nur zum modernen Begriff des Autors, sondern auch zu einer erheblichen Spezialisierung. Die erste Auflage der Encyclopaedia Britannica wurde noch großteils von den Herausgebern geschrieben (beziehungsweise abgeschrieben). Doch Archibald Constable, der sie 1810 gekauft hatte, setzte auf wissenschaftliche Autoritäten, die auch namentlich genannt wurden. In Deutschland war die Entwicklung beim Brockhaus vergleichbar. Für nicht gekennzeichnete Artikel war die Redaktion verantwortlich. Generell mussten die Autoren sich dem Gesamtwerk unterordnen. Vor allem nach 1830 bemühten sich die Verlage um Experten. Waren die Autoren nicht genannt (wie bei den meisten Enzyklopädien), konnte es damit zu tun haben, dass diese Werke allzu sehr aus älteren Werken abgeschrieben waren. Beliebt war der Trick, als Herausgeberin eine „Gesellschaft von Gelehrten“ anzugeben. Ulrike Spree: „Der universalistisch gebildete Lexikonautor, der Artikel zu einer ganzen Palette von Themengebieten bearbeitete, gehörte immer mehr der Vergangenheit an.“ Das gab es allenfalls noch bei ein- oder zweibändigen Werken. Trotz einiger großer Namen waren die meisten genannten Autoren unbekannte Leute. Viele haben für mehrere Enzyklopädien geschrieben. Eine der seltenen Enzyklopädien mit Autorennennung war der Ersch-Gruber und im 20. Jahrhundert beispielsweise Collier’s Encyclopedia. Thomas Keiderling zufolge seien im Brockhaus die Autoren anonym geblieben, weil die Artikel objektiv sein und keine Meinung einzelner wiedergeben sollten. Einige Autoren wollten nicht genannt werden, weil sie kontroverse Themen behandelten. Außerdem haben Redakteure die Beiträge überarbeitet und sind so Mitautoren geworden. Die Namensnennung hielt man nur bei namhaften Autoren für sinnvoll, es sei aber weder möglich noch wünschenswert gewesen, für jeden Artikel die herausragendsten Wissenschaftler zu engagieren. Bei einem solchen Anspruch wären redaktionelle Eingriffe wiederum bedenklich gewesen. 1879 beschrieb eine Wochenzeitschrift, wie bei Meyer das Konversations-Lexikon erstellt wurde. In der Hauptleitung in Leipzig wurden die 70.000 Artikel aus der vorherigen Ausgabe ausgeschnitten und auf Papier geklebt. Notizensammler werteten circa fünfzig Zeitungen aus und erfragten Daten von Behörden und Institutionen. In verschiedenen Universitätsstädten gab es Spezialredaktionen, und Autoren, die für ein jeweiliges Fachgebiet angeworben waren, arbeiteten die Artikel um. Weibliche Autoren gab es immer noch kaum. Eine Ausnahme machte die britische Chambers Encyclopaedia, die aus einer Übersetzung hervorgegangen war: Übersetzungen waren oft Frauenarbeit. Da die Hochschulen überfüllt waren, war die enzyklopädische Mitarbeit für viele Absolventen attraktiv. Typischerweise sah ein Lexikonredakteur sich als nicht öffentlich in Erscheinung tretender Generalist. Das Mitarbeiterverzeichnis des Meyer im Jahre 1877 führte 32 Autoren im Fach Geschichte namentlich auf. Alle waren promoviert, 14 davon Professoren. An der Konzeption der 15. Auflage des Großen Brockhaus (zwanzig Bände, 1928–1935) waren 57 Personen beteiligt: 22 Redakteure, zehn Büroangestellte, fünf Mitarbeiter der Bildabteilung, 15 Sekretärinnen, drei Kontorburschen. Über tausend Autoren verfassten 200.000 Artikel mit 42.000 Abbildungen, davon waren vierhundert gelegentliche und sechshundert regelmäßige Autoren. Der Verlag standardisierte Anschreiben, informierte die Autoren mit Rundschreiben und Merkblättern zu Rechtschreibfragen, Literaturangaben, Abkürzungen und Sonderzeichen. Man erhielt ein Bogenhonorar oder Pauschalbeträge nach Umfang. Weiterhin war die Anonymität vertraglich festgeschrieben. Für das altertumswissenschaftliche Fachlexikon Der Neue Pauly stellte ein Erfahrungsbericht 1998 fest, dass die Anzahl der Mitarbeiter sehr hoch gewesen sei – des großen Spezialisierungsdrucks wegen: „Es gibt zahlreiche von mehreren Autoren verfaßte ‚Komposit-Artikel‘, da sich für übergreifende Themen oder ‚Dachartikel‘ kaum noch ‚Generalisten‘ finden lassen. Die Einheitlichkeit der Konzeption eines Artikels – um von dem Werk im ganzen zu schweigen – ist hierdurch gefährdet.“ Neunzehn Fachredaktionen erarbeiteten gemeinsam eine Gesamtlemmaliste und koordinierten die Kommunikation mit den über siebenhundert Autoren. Die Wikipedia wird von Freiwilligen geschrieben und redigiert. Sie beteiligen sich aus Interesse an einem Thema oder aus Idealismus. Außerdem schließen sie sich einer Gemeinschaft an, in der sie Wertschätzung erhalten. Die Wikipedia-Freiwilligen sind höhergebildet und etwa zur Hälfte unter dreißig Jahren alt. Prominente Autoren Im 19. und 20. Jahrhundert kam es dazu, dass Enzyklopädien bekannte Wissenschaftler oder andere Prominente gewonnen haben. Berühmte Autoren der Encyclopaedia Britannica waren unter anderem der Schriftsteller Walter Scott, der Bevölkerungswissenschaftler Robert Malthus und der Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo. Im deutschsprachigen Raum der 1970er-Jahre beispielsweise integrierte Meyers Konversations-Lexikon längere Beiträge von Prominenten. Einleitend schrieb der Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß „Vom Nutzen der Enzyklopädie“. Der ehemalige SPD-Bundesminister Carlo Schmid verfasste den Beitrag „Demokratie – die Chance, den Staat zu vermenschlichen“, und der ehemalige FDP-Bundeswirtschaftsminister Hans Friedrichs schrieb über die „Weltwirtschaft“. Zu einem Problem wird dies, wenn die Prominenten Teil des öffentlichen Diskurses über ihr Fach sind. Es fällt ihnen möglicherweise schwer, einen neutralen, überblickenden Standpunkt zu beziehen. In einem Erweiterungsband der Encyclopaedia Britannica (1926) schrieb Leo Trotzki den Artikel über Lenin. Der ehemalige Kriegskommissar Trotzki war Lenins enger Mitarbeiter gewesen, und die Bezugnahme auf den bereits verstorbenen Lenin war ein wichtiges Instrument im politischen Streit zwischen Trotzki, Stalin und weiteren sowjetischen Politikern. Bezahlung Generell wurden die Mitarbeiter von Enzyklopädien eher schlecht bezahlt. William Smellie erhielt für die Arbeit an der ersten Ausgabe der Encyclopaedia Britannica die Summe von zweihundert Pfund. Für vier Jahre Teilzeitarbeit war dies weder großzügig noch armselig, so Jeff Loveland, aber im Vergleich weniger, als Diderot für die größere und langwierigere Arbeit an der Encyclopédie bekam. Bei Chambers im 19. Jahrhundert lag das Jahresgehalt der Redakteure bei der unteren Grenze des Mittelstandes. Im 20. Jahrhundert, berichtet Einbinder von der Encyclopaedia Britannica, hätten sich viele Gelehrte gern beteiligt, konnten es sich aber nicht leisten, für so wenig Geld (zwei Cent pro Wort) zu schreiben. Das gelte besonders für die Geisteswissenschaften. Zwar sei die Mitarbeit aus Gründen des Prestiges sehr begehrt, doch viele hätten nur einen Artikel beitragen wollen. Überhaupt bemängelte Einbinder einen vorrangig kommerziellen Charakter der Encyclopaedia Britannica, bei der die Gutverdiener des Verlages die Haustürverkäufer waren, und nicht etwa die Autoren. Leser Bis zum 18. Jahrhundert Ein Text kann nur dann Leser finden, wenn Menschen des Lesens kundig sind, wenn sie Zeit zum Lesen haben und wenn sie sich den Lesestoff leisten können. Das hat den Kreis der möglichen Leser historisch stark eingeschränkt, noch davon abgesehen, ob die Menschen überhaupt Interesse am Inhalt hatten. Dennoch gab es Wege, die Barrieren zu überwinden: Texte wurden früher laut gelesen, so dass Leseunkundige mithören konnten, reiche Leute stellten ihre Bibliotheken einem größeren Kreis zur Verfügung, oder Gruppen von Menschen schafften sich gemeinsam Bücher an. Erst im 19. Jahrhundert weitete sich der Kreis in Europa wesentlich aus, dank staatlich geförderter Schulen und billigerer Bücher: Um 1900 konnten neunzig Prozent der Deutschen, Franzosen, Engländer und US-Amerikaner lesen. Andere Erdteile blieben zurück, in Russland war dazu nur ein Drittel der Männer in der Lage. Plinius schrieb die Naturalis historia für die Volksmassen, wie Bauern und Handwerker, so behauptete er es in der an den Kaiser gerichteten Widmung. Jedenfalls sei sie für jeden, der die Zeit aufbringe, zu lesen. Seine Aussage ist so zu interpretieren, dass er an diejenigen dachte, die ein einfaches Leben in der Natur führen, entsprechend den von ihm geschätzten römischen Tugenden. Insgesamt wollte er jedoch alle Bürger des Reiches ansprechen, so wie sein Werk das Reich universal beschrieb. Auch die Verfasser von mittelalterlichen Enzyklopädien haben sich meist an einen offenen Leserkreis gerichtet, zumindest den Vorworten zufolge. Alle Leser sollten angesprochen sein, nicht gefiltert nach ihrem sozialen Status oder ihrem Bildungsgrad. In der Praxis jedoch ist beispielsweise das Elucidarium anscheinend fast nur von Geistlichen gelesen worden. Der Livre de Sidrac hingegen wurde nur von Adligen rezipiert, jedenfalls befand das Buch sich (den Besitzvermerken zufolge) nie in Klosterbibliotheken. Einen sehr kleinen Adressatenkreis hatte der Hortus Deliciarum: Die Äbtissin Herrad von Landsberg ließ ihn im 12. Jahrhundert nur für ihre Nonnen schreiben. Erst 350 Jahre später wurde das reich illustrierte Werk außerhalb der Klostermauern bekannt. Dennis de Coetlogon hat sich für seine Universal history (1745) wohl eine gehobene Leserschaft vorgestellt, mit Themen wie der Falknerei, die für Adlige gedacht waren. Über Handwerker, Diener und die niederen Stände schrieb De Coetlogon wiederholt despektierlich. Dennoch waren unter den Subskribenten nicht nur Kaufleute, Beamte und Geistliche, sondern auch einige Handwerker, die ungewöhnlich wohlhabend gewesen sein müssen. Die große französische Encyclopédie wurde eher im städtischen als im ländlichen Frankreich gelesen, eher in alten Städten mit kirchlichen und staatlichen Bildungseinrichtungen als in den neuen Städten, in denen sich bereits Industrie ansiedelte. Die Leser gehörten zur Oberschicht, zu den Vertretern des kirchlichen und des adligen Standes. Sie waren Beamte, Offiziere und nur selten Unternehmer. Spätere, billigere Ausgaben wurden zum Teil auch Besitz von Anwälten und Verwaltern in der Mittelschicht. Paradoxerweise erreichte dieses Werk des Fortschritts vor allem die Stände, die unter der Revolution von 1789 zu leiden hatten. Außer in Frankreich verkaufte sich die Encyclopédie (besonders in den späteren Auflagen) auch in den angrenzenden französischsprachigen Gebieten, Italien, den Niederlanden und Westdeutschland, weniger in London oder Kopenhagen, wenngleich einige sets sogar nach Afrika und Amerika kamen. Seit dem 19. Jahrhundert Großenzyklopädien wie die von Brockhaus und Meyer im 19. Jahrhundert richteten sich an das Bildungs- und Besitzbürgertum; diese Schichten waren nicht zuletzt wegen der Kreditwürdigkeit bevorzugte Zielgruppen für die Haustürverkäufer. Beim 17-bändigen Meyers Konversations-Lexikon von 1893 bis 1897 waren von je hundert Käufern: 20 Verkehrsbeamte, 17 Kaufleute, 15 Militärs, 13 Lehrer, neun Baubeamte/Techniker, sechs Verwaltungsbeamte, fünf Gutsbesitzer, drei Justizbeamte, drei Künstler, drei Privatiers, zwei Wirte, 1,5 Ärzte, ebenfalls 1,5 Studenten und ein Rechtsanwalt. Noch 1913 meinte Albert Brockhaus: Wenn man von hundert Millionen Deutschsprachigen in Europa als möglichen Käufern ausgehe, müsse man bereits fünfzig Millionen Frauen und fünfundzwanzig Millionen Kinder abziehen. Damals setzten Brockhaus und Meyer zusammen gerade einmal dreißig- bis vierzigtausend Exemplare um. Doch schon in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg richtete der Brockhaus-Verlag sich zunehmend an Frauen sowie die ärmere Bevölkerung und versuchte Begriffe verständlicher einzuführen. Konfessionell getrennte Darstellungen bei religiösen Stichwörtern kamen bei Katholiken gut an. Man konzipierte in den 1920er-Jahren auch Volksausgaben. Die Auflage des Großen Brockhaus von 1928 bis 1935 wurde in erster Linie von Hochschullehrern gekauft, auf den nächsten Rängen folgten Apotheker, Rechtsanwälte, Studienräte, Ärzte, Volksschullehrer, Zahnärzte, Geistliche und Architekten, auf Platz zehn standen die Ingenieure. Für den Großen Brockhaus in den 1950er-Jahren galt, dass fast ein Drittel seiner Käufer Lehrer waren oder aus kaufmännischen Berufen stammte. Bundespräsident Theodor Heuss berichtete 1955, er habe den Großen Brockhaus in seinem Arbeitszimmer hinter sich, und neben sich auf dem Schreibtisch den kleinen. Besondere Zielgruppen Eine besondere Zielgruppe konnten Frauen sein, so bei den Frauenzimmerlexika, wie das Damen Conversations Lexikon von 1834, die eine Tradition des 18. Jahrhunderts fortführten. Sie sollten nicht ermüdend Tatsachen aufzählen, sondern anschaulich und romantisch sein, ausführlich dort, wo die Themen die weibliche Sphäre berührten. Staat und Politik fehlten in ihnen völlig. Auch entstanden ab dem frühen 19. Jahrhundert sogenannte Hauslexika, die sich speziell Themen der praktischen Lebensbereiche widmeten. Eigene Nachschlagewerke gab es auch für Kinder, wenngleich sie lange Zeit selten waren (rechnet man nicht eigentliche Lehrbücher hinzu). Vor dem 19. Jahrhundert war wohl die Pera librorum juvenilium (Sammlung von Büchern für die Jugend, 1695) von Johann Christoph Wagenseil das einzige Werk dieser Art. Dann brachte Larousse 1853 die Petite Encyclopédie du jeune âge heraus, aber die nächste erschien im Verlag erst 1957. Arthur Mee (1875–1943) brachte 1910/1912 eine moderne Kinderenzyklopädie auf Englisch heraus, die in Großbritannien The Children’s Encyclopaedia und in den USA The Book of Knowledge genannt wurde. Die reich bebilderten Artikel waren lebhaft geschrieben. Von großem Erfolg war auch die World Book Encyclopedia (seit 1917/1918). Der Erste Weltkrieg unterbrach die Planung für eine Britannica Junior, sie erschien erst 1934. Der Britannica-Verlag kam dann noch mit mehreren Kinderenzyklopädien hervor. Mein erster Brockhaus war in den 1950er-Jahren ein großer Publikumserfolg trotz relativ hohem Preis. Kritik Oberflächliches Wissen Als Enzyklopädien nicht mehr als Lehrbücher, sondern als Nachschlagewerke verstanden wurden, wurde befürchtet, dass die Leser faul würden. Im Vorwort zur Deutschen Encyclopädie (1788) beispielsweise setzte man sich mit dem Gedanken auseinander, dass manche Enzyklopädien Unterricht ohne Mühe, ohne Grundlagenwissen versprächen. Goethe ließ im Lustspiel Die Vögel jemanden sagen: „Hier sind die großen Lexica, die großen Krambuden der Literatur, wo jeder einzelne sein Bedürfnis pfennigweise nach dem Alphabet abholen kann.“ Gerade die Befürworter einer systematischen Anordnung meinten, bei einer alphabetischen Anordnung könnte der Leser sich mit knappem, oberflächlichem Wissen zufriedengeben. Die Antwort der Lexikonmacher lautete, ihre Leser seien schon gebildet. 1896 machte der Journalist Alfred Dove sich über die Oberflächlichkeit lustig, die die Konversationslexika in die Konversation gebracht hätten. Dabei sei es unerheblich, ob man sich dem Brockhaus oder dem Meyer anvertraue, sie seien einander gleich an Charakter und Wert. Auf die Gläubigkeit gegenüber der gedruckten Autorität ging das kurze Theaterstück Der große Brockhaus ein, das 1905 im Rahmen des 100. Jubiläums von Brockhaus’ Konversations-Lexikon aufgeführt wurde. Der Protagonist schreibt seine Rede über die Gasanstalt aus dem Brockhaus ab und übersieht dabei, dass er bereits aus dem anschließenden Artikel über das Gasthaus übernimmt. Den Zuhörern fällt der Irrtum nicht auf und er kann die Wahl zum Stadtrat dennoch für sich entscheiden. Danach gesteht er gegenüber dem Bürgermeister: „Kinder, was ist der große Brockhaus doch für ein herrliches Buch, sogar wenn man falsch aus ihm abschreibt, klingt’s doch noch richtig.“ Mangelnde Aktualität Auch bei grundsätzlich für hochwertig angesehenen Produkten wurde die Kritik laut, dass der Inhalt veraltet sei. Mit dem wissenschaftlichen Fortschritt vor allem seit dem 17. Jahrhundert war dies an sich kaum vermeidbar. Wenn der letzte Band eines Großwerkes erschien, war der erste oft schon mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte alt. Überholte Darstellungen konnten jedoch auch ein Versäumnis des Autors oder Herausgebers sein, der sich nicht um die neueste Fachliteratur bemüht hatte. So behauptete Dennis de Coetlogon in seiner Universal history von 1745 fälschlicherweise, die von ihm verwendeten astronomischen Tafeln seien aktuell. Das hatte zum Teil damit zu tun, dass er aus der Cyclopaedia von 1728 abschrieb. Unter „Agriculture and Botany“ meinte de Coetlogon, dass der Saft in Pflanzen zirkuliere, so wie das Blut in Tieren. Diese Ansicht war bereits im vorherigen Jahrzehnt durch Stephen Hales’ Experimente widerlegt worden. Ihrer eigenen Reklame zufolge war die Encyclopaedia Britannica stets sehr aktuell. Harvey Einbinder listete in den 1960er-Jahren jedoch zahlreiche Artikel auf, die seit sechs Jahrzehnten oder länger nicht oder kaum verändert wurden. Beispielsweise die Artikel über Hesiod und Mirabeau seien aus den Jahren 1875–1889. In der Ausgabe von 1958 hieß es noch, dass in der polnischen Stadt Tarnopol 35.831 Menschen leben, davon vierzig Prozent Juden. Um das Alter der Artikel zu verbergen, entfernte die Encyclopaedia Britannica die Initialen von Autoren, die bereits verstorben waren. Das Alter war aber zum Teil an den veralteten Literaturhinweisen erkennbar, etwa, wenn 1963 der Artikel „Punic War“ (Punischer Krieg) angeblich aktuelle Forschung vermeldete, dies sich aber auf Veröffentlichungen von 1901 und 1902 bezog. Einbinder erklärte die veralteten Artikel damit, dass der Britannica-Verlag wesentlich mehr Geld für Reklame ausgab als für die Verbesserung des Inhalts. Selbst bei einer großzügigen Schätzung betrugen die Kosten für Beitragende um 1960 weniger als eine Million Dollar, der Werbe-Etat allein für die USA sah jedoch vier Millionen vor. Paul Nemenyi schrieb über die Ausgabe von 1950, dass die naturwissenschaftlichen Artikel im Durchschnitt fünfzehn bis dreißig Jahre alt seien. Als Diana Hobby von der Houston Post 1960 die Kritik von Einbinder wiedergab, erhielt sie in der Folge vom Britannica-Verlag einen Brief, dass sie nur wegen ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer Unschuld eine so bösartige Kritik ernst nehmen könne. Die Herausgeber von Enzyklopädien versuchten, die Aktualität mithilfe von Ergänzungsbänden aufrechtzuerhalten. 1753 erschienen beispielsweise zwei Ergänzungsbände (Supplements) für die 7. Auflage der Cyclopaedia. Der Brockhaus kam dann für seine Auflage von 1851 bis 1855 mit einem Jahrbuch (1857–1864), das in monatlichen Stücken erschien. Als um das Jahr 2000 gedruckte Enzyklopädien seltener wurden, sind oftmals die Jahrbücher weiterhin erschienen, auch wenn das eigentliche Werk bereits sein Ende gefunden hatte. Laut Umfrage von 1985 fanden Mitarbeiter von wissenschaftlichen Bibliotheken in den USA die Aktualität einer Enzyklopädie ähnlich wichtig wie Aufbau und Zugänglichkeit, und nur noch die Zuverlässigkeit wichtiger. Als allgemeine, ungeschriebene Regel galt, dass man alle fünf Jahre eine neue Enzyklopädie anschaffen müsse. Viele Bibliotheken kauften etwa einmal im Jahr eine neue Enzyklopädie, sodass sie reihum einen relativ aktuellen Satz (set) der wichtigsten Enzyklopädien anbieten konnten. Eine Ausnahme war die Britannica in der umstrittenen Anordnung der frühen siebziger Jahre; bei einem Viertel der Respondenten war ihr set mindestens neun Jahre alt. Die Bibliothekare klagten nicht über die Aktualität, und es gab Hinweise, dass sie für neuere Informationen andere Werke oder die Zeitung empfahlen. Das Bewusstsein der zeitlichen Bedingtheit von Wissen führt auch zu Kritik an der visuellen Gestaltung von Wissensvermittlung. In literarischen und künstlerischen Bezügen auf das Format der Enzyklopädie im 20. Jahrhundert äußert sich diese Kritik der Literaturwissenschaftlerin Monika Schmitz-Emans zufolge in einer teilweisen Emanzipation vom üblichen Zweck von Wissensvermittlung durch Bilder und Texte. Zielgruppen und Statussymbol Zwar haben Enzyklopädien normalerweise den Anspruch, allgemeinverständlich auch für Laien zu sein, können ihn aber gerade bei naturwissenschaftlichen Themen nicht immer einhalten. Spezialisten neigen dazu, in ihren Artikeln zu sehr ins Detail zu gehen, anstatt die allgemeinen Aspekte darzustellen. So berichtete Robert Collison in den 1960er-Jahren von einem Techniker, dem anhand von wohlausgewählten Beispieltexten eine Großenzyklopädie aufgeschwatzt wurde. Sie erwies sich aber als zu anspruchsvoll für ihn, sodass er sie bald wieder mit Verlust verkaufte. Die Reklame für die Encyclopaedia Britannica verwendete gegenüber Eltern gern das Verkaufsargument, mit dieser Enzyklopädie könne man das Bildungsniveau der Kinder erhöhen und ihnen bessere Chancen im Vergleich zu anderen Kindern geben. Allerdings wurde die Enzyklopädie nicht für Kinder, sondern für Erwachsene geschrieben. Collisons Vermutung, dass die meisten Kinder (und Erwachsenen) ihre für viel Geld erworbene Enzyklopädie gar nicht verwenden, wurde von Untersuchungen des Britannica-Verlags bestätigt. Der durchschnittliche Käufer hat weniger als einmal pro Jahr in seine Encyclopaedia Britannica geschaut. Dementsprechend wurde von den Kritikern auch wiederholt die Frage gestellt, ob Großenzyklopädien nicht ein „kostspieliger Luxus“ (Anja zum Hingst) sind, mehr ein Statussymbol für kaufkräftige Schichten als ein Instrument zur persönlichen Bildung. Betrachtet man nur die echten (gebundenen) Großenzyklopädien mit mindestens zehn Bänden, nicht älter als zwanzig Jahre, so gab es diese in den 1980er-Jahren allenfalls in fünf bis acht Prozent der Haushalte. Den Verdacht des Statussymbols schürten nicht zuletzt die Luxus-, Jubiläums- und Künstlerausgaben, die noch einmal deutlich teurer waren als die normalen, die bereits hochwertig gebunden und auf gutem Papier gedruckt waren. Literatur Robert Collison: Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B. C. to the present day. 2. Auflage. Hafner, New York 1966, . Ulrich Dierse: Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftstheoretischen Begriffs. Bouvier, Bonn 1977, ISBN 3-416-01350-6. Walter Goetz: Die Enzyklopädie des 13. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte. Band 2, 1936, S. 227–250. 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https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie%20der%20Antike
Philosophie der Antike
Die Philosophie der Antike war eine philosophiegeschichtliche Epoche. Sie dauerte mehr als 1100 Jahre, von etwa 600 v. Chr. (als ältester Vertreter wurde Thales um 624 v. Chr. geboren) bis ins 6. Jahrhundert n. Chr., als die letzten Neuplatoniker wirkten. Ihre Hauptschauplätze waren das antike Griechenland und das Römische Reich. Die Philosophie der Antike war geographisch auf den Mittelmeerraum beschränkt. Andere wichtige philosophische Traditionen des Altertums waren die Chinesische Philosophie (seit 1000 v. Chr.) und die Indische Philosophie (seit 1000 v. Chr.), einflussreich waren die Kultur des Judentums, des alten Ägyptens, des Perserreichs und Mesopotamiens. In Europa folgte auf die Philosophie der Antike die Philosophie des Mittelalters. Die Philosophen der Antike lassen sich grob in verschiedene Gruppen einteilen. Diejenigen, die vor oder unbeeinflusst von Sokrates gewirkt haben, bezeichnet man als die Vorsokratiker (etwa 600 bis 400 v. Chr.). Sie haben das damalige von Mythen und Göttern geprägte Weltbild durch ansatzweise philosophische und naturwissenschaftliche Erklärungsversuche ersetzt. Mit Sokrates beginnt die griechische Klassik (etwa 500 bis 300 v. Chr.). Zu dieser Zeit war Athen das geistige Zentrum Griechenlands. Sokrates’ Schüler Platon und dessen Schüler Aristoteles wurden zu zwei der wichtigsten und bis heute einflussreichsten Philosophen. Zur Klassik kann man auch die Sophisten, die Kyniker, die Epikureer, die Kyrenaiker und die Stoiker rechnen. Auf die Klassik folgte die Philosophie der hellenistischen und römischen Zeit, auf diese die Philosophie der Spätantike. Zeitleiste Die Einteilung der Philosophiegeschichte in Perioden kann nach verschiedenen Gesichtspunkten (Zeit, Ort, Strömung usw.) geschehen. Bis heute hat sich keine allgemeinverbindliche Einteilung etablieren können. Einigermaßen durchgesetzt hat sich der Begriff der Vorsokratiker, wobei allerdings manche Autoren die Sophisten zu den Vorsokratikern, andere zur griechischen Klassik zählen. Hier eine ungefähre Einteilung: Geschichte Vorsokratiker Mit Thales von Milet beginnt im 6. Jahrhundert v. Chr. die abendländische Philosophiegeschichte. Wie die aller anderen Vorsokratiker ist seine Lehre aber nur bruchstückhaft überliefert. Man geht davon aus, dass seit Thales langsam damit begonnen wurde, das von Mythen und Göttern geprägte Weltbild durch wissenschaftlichere Erklärungen zu ersetzen. Dazu passt, dass Thales auch Mathematiker und Astronom war. Thales zählt mit Anaximander und Anaximenes zu den sogenannten Milesiern (auch: ältere ionische Naturphilosophen). Aristoteles berichtet, dass die Milesier versucht haben, einen Urgrund (archē) aller Dinge zu finden. Für Thales soll dieser Urgrund das Wasser gewesen sein, für Anaximander war es das Unbegrenzte (apeiron) und für Anaximenes die Luft. Pythagoras gründete im 6. Jahrhundert v. Chr. die philosophische Gemeinschaft der Pythagoreer. Ihre Philosophie war nicht von der Suche nach einem Urstoff, sondern stark von der ebenfalls betriebenen Mathematik geprägt. So sahen sie in Zahlen und mathematischen Verhältnissen den Schlüssel zu einer umfassenden Weltbeschreibung und -erklärung. Die Pythagoreer betätigten sich auch politisch und stellten Theorien in den Bereichen Geometrie, Musiktheorie, Kalenderrechnung und Astronomie auf. Die von Heraklit überlieferten literarischen Bruchstücke gelten als schwer verständlich. Es handelt sich um sentenzenähnliche Sätze, die an Rätsel erinnern. So wurde er bereits in der Antike „der Dunkle“ genannt. Aus dem Feuer entsteht nach Heraklit die Welt, die in allen ihren Erscheinungsformen eine den meisten Menschen verborgene vernunftsgemäße Fügung gemäß dem Weltgesetz des Logos erkennen lässt. Alles befindet sich in einem ständigen, fließenden Prozess des Werdens, welches vordergründige Gegensätze in einer übergeordneten Einheit zusammenfasst. Aus dieser Auffassung entstand später die verkürzende Formulierung „Alles fließt“ (panta rhei). Parmenides zählt wie Zenon von Elea zu den Eleaten. Er unterscheidet zwischen dem, was den Sterblichen wahr zu sein scheint, und einer sicheren Wahrheit. Sicher wahr seien die Existenz des Seins und die Nichtexistenz des Nichtseins. Daraus müsse geschlussfolgert werden, dass das Sein unveränderbar sei, da die einzige Form der Veränderung für das Sein die wäre, Nichtsein zu werden. Dies sei aber undenkbar und somit sei die Annahme irgendeiner Form der Veränderung des Seins bloße Meinung und purer Schein, im Gegensatz zu einer Erfassung des Seins durch die Vernunft setzt. Demokrit schließlich führte den Atomismus des Leukipp weiter, indem er behauptete, dass die gesamte Natur aus kleinsten unteilbaren Einheiten, aus Atomen (atomoi) zusammengesetzt sei. Die Dinge schienen nur eine Farbe oder Geschmack zu haben, in Wirklichkeit gebe es nur Atome im leeren Raum. Xenophanes ist für seine kritische Auseinandersetzung mit dem herkömmlichen anthropomorphen Götterbild seiner Zeit bekannt. Empedokles wurde für seine Vier-Elemente-Lehre bekannt, wonach alles aus den Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde bestehe. Anaxagoras gilt als derjenige, der im Zuge seiner Übersiedlung nach Athen die Philosophie ebendahin mitbrachte. Griechische Klassik Die fünf Jahrzehnte zwischen den Perserkriegen und dem Peloponnesischen Krieg bildeten Athens klassische Blütezeit, in der die attische Demokratie ihre Vollendung fand. In dieser gesellschaftspolitischen Umbruchphase bestand entsprechender geistiger Orientierungsbedarf, den die sophistische Aufklärung zu decken suchte. Die seit 450 v. Chr. auftretenden Sophisten richteten ihre Überlegungen weg von der Natur auf den Menschen und suchten nach Methoden, das Individuum geistig und körperlich zu stärken. So brachten sie den Jugendlichen Rhetorik und Kampfkünste bei, doch waren sie nicht so spitzfindig, wie man ihnen häufig unterstellt. Wichtige Sophisten waren: Antiphon, Gorgias, Hippias von Elis, Kritias, Prodikos, Protagoras. Von Letzterem stammt der berühmte Satz: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, derer die sind, dass sie sind, und derer die nicht sind, dass sie nicht sind.“ Philosophie wurde so zur öffentlichen Angelegenheit, die auf dem Marktplatz (agora) und in interessierten Zirkeln betrieben wurde. Hier entfaltete sich die Freiheit des Denkens in einem friedlichen Wettstreit (agon) durch den Austausch der Ansichten und Argumente. Einen besonderen und bis heute fortwirkenden Eindruck hinterließ Sokrates mit seiner Lehrweise und Haltung zum Leben. Er pflegte seine Gesprächspartner in ihrem vorgeblichen Wissen zu erschüttern, indem er durch bohrendes Nachfragen gedanklich-logische Lücken freilegte, um dann in fortgesetzten Dialogen neue Erkenntnisse bei seinen Partnern zu Tage zu fördern, ein Vorgehen, das er Hebammenkunst (Mäeutik) nannte. Die Unerschrockenheit und Festigkeit seines Auftretens in dem gegen ihn als vermeintlichen Verderber der Jugend geführten Prozess und die Art, wie er das Todesurteil hin- und angenommen hat, haben ihn zum Urbild philosophischer Daseinsbewältigung werden lassen. Da Sokrates selbst nichts Schriftliches hinterlassen hat, ist sein Bild in der Philosophiegeschichte wesentlich von seinem Schüler Platon bestimmt, der die Methode und die Gehalte der sokratischen Lehre nach seinem Verständnis in Dialogform aufgezeichnet und damit überliefert hat. Dazu entwickelte er jedoch seine eigenen Lehren, sodass heute sokratische und platonische Anteile dieses philosophischen Gebäudes, wie es in den platonischen Dialogen vorliegt, schwer zu trennen sind. Berühmt ist Platons Höhlengleichnis: Ohne Kenntnis der Ideen, die die Wahrheit hinter den Dingen darstellen, sind wir wie Menschen, die in einer Höhle sitzen, nie die Sonne gesehen haben und unsere Schatten für das echte, das wahre Leben halten. Dabei nahm Platon an, dass die Ideen selbstständig in einer höheren Welt existierten. (Der Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead bemerkte einmal, dass alle späteren Entwürfe der europäischen Philosophie im Grunde nur Fußnoten zu Platon seien.) Als Aristoteles seinem Lehrer Platon philosophisch nur noch teilweise zustimmen konnte, bekannte er, zu Platon empfinde er Freundschaft, zur Wahrheit aber noch mehr als zu diesem. Während Platons Philosophie im Kern auf eine unser sinnliches Wahrnehmungsvermögen der Welt transzendierende Ideenlehre zielte, suchte Aristoteles die erfahrbare Wirklichkeit von Natur und menschlicher Gesellschaft umfassend zu erforschen und wissenschaftlich zu ordnen. Im Gegensatz zu Platon sah er die Ideen als in den Dingen befindlich und gab der realen Welt so wieder mehr Gewicht. Hierbei hat er u. a. für Biologie und Medizin, aber auch für die politische Empirie und Theorie Enormes geleistet. In seinem enzyklopädischen Wissensdrang als Philosoph beschäftigten ihn zudem u. a. Dynamik (δύναμις), Bewegung (κίνησις), Form und Stoff, siehe auch Hylemorphismus. Aristoteles begründete die klassische Logik mit ihrer Syllogistik, die Wissenschaftssystematik und die Wissenschaftstheorie. Die Autorität, die Aristoteles als Forscher und Denker noch im europäischen Mittelalter besaß, war so groß, dass sein Name für den Begriff des Philosophen schlechthin stand. Eine philosophische Richtung, die sich vor allem an der bedürfnisarmen Lebensweise des Sokrates orientierte, bildeten die Kyniker. Ihr berühmtester Vertreter, Diogenes von Sinope („Diogenes in der Tonne“), soll Alexander dem Großen, als dieser ihn besuchte und nach seinen Wünschen fragte, beschieden haben: „Geh mir aus der Sonne!“ Hellenismus und römische Zeit Im Hellenismus wurden die klassischen Denkansätze weiter fortgeführt. Eine besondere Rolle dabei spielten die hellenistischen „Musenhöfe“. So entstand in Alexandria die sehr einflussreiche Alexandrinische Schule, während die Peripatetiker die Denkansätze des Aristoteles weiter entwickelten und die platonische Akademie Platon folgte. Am Übergang vom 4. zum 3. Jahrhundert v. Chr. entstanden mit Stoa und Epikureismus zwei philosophische Schulen, die weit hinaus über Zeit und Ort ihrer Entstehung ausstrahlten und ethische Grundpositionen für ein glückendes Leben markierten. Ihr Wirkungspotential ist bis heute noch keineswegs erschöpft, wie neuere Veröffentlichungen zu Glück und Lebenskunst zeigen. Während der Epikureismus das individuelle Glück durch optimal dosierte Genüsse zu fördern trachtet und in öffentlichen Angelegenheiten Zurückhaltung empfiehlt, wendet sich die Stoa gegen die Versklavung der Seele in der Sucht nach Bedürfnisbefriedigung, unterstellt sich ganz der Vernunftkontrolle und sieht das Individuum als Teil einer menschlichen Gemeinschaft und eines kosmischen Ganzen, denen gegenüber Pflichten bestehen, die im Handeln zu berücksichtigen sind. Charakteristisch für Stoiker ist eine schicksalsbejahende Grundhaltung im Einklang mit der Ordnung des Universums. Vermittelt durch Panaitios von Rhodos und Poseidonios fanden stoische Leitlinien Eingang in das Denken führender Kreise des republikanischen und kaiserzeitlichen Rom. Im Kontakt mit der politischen Wirklichkeit des Römischen Reiches ist von der Strenge und Absolutheit des stoischen Ausgangsentwurfs dies und jenes abgeschliffen worden (etwa die völlige Missachtung des Leibes und der Emotionen). Stoisch inspirierte Römer wie Cicero in der Zeit der ausgehenden Republik und Seneca in der frühen Kaiserzeit, bezogen Elemente anderer philosophischer Schulen mit ein; das tat auch Lukrez, der sich aber auf Epikur berief. Mag es einem solchen als eigene philosophische Richtung geführten Eklektizismus an Originalität fehlen, so hat er doch Lebenstauglichkeit und Praktikabilität der philosophischen Lehren zweifellos erhöht. Im Zenit des Prinzipats wurde die Stoa zur Richtschnur und Meditationsgrundlage des römischen Kaisers Mark Aurel, des „Philosophen auf dem Kaiserthron“ in seinen Selbstbetrachtungen. Er wurde im 2. Jahrhundert n. Chr. gleichsam zur Verkörperung der da schon 500 Jahre alten platonischen Idee vom zur Herrschaft berufenen Philosophen. Die dritte neben Stoa und Epikureismus zwar an Mitgliederzahl weit unterlegene, aber philosophiegeschichtlich höchst bedeutende philosophische Strömung des Hellenismus und der Kaiserzeit bilden die so genannten skeptischen Schulen. Zu unterscheiden sind derer drei: Der Ältere Pyrrhonismus, durch Pyrrhon von Elis begründet, lehrte eine generelle Ununterschiedenheit und Ununterscheidbarkeit aller Dinge und Meinungen (Indifferentialismus), woraus er v. a. ethische Konsequenzen zog. Mehr oder minder unabhängig davon entwickelte sich später auch in der platonischen Akademie eine erkenntniskritische Richtung: Arkesilaos, mit dem die sog. Mittlere Akademie begann, lehrte nach Sokrates’ Vorbild einen strikten Agnostizismus. Dieser wurde von Karneades, dem Begründer der sog. Neuen Akademie, zu einer Art Wahrscheinlichkeitslehre gemildert, welche über seinen Nachfolger Philon von Larisa insbesondere Cicero beeinflusste und noch den jungen Augustinus von Hippo beeindrucken sollte. Schließlich begründete Ainesidemos, wohl ein ehemaliger Anhänger der Akademie, den seit langem erloschenen Pyrrhonismus neu: der Neupyrrhonismus, der v. a. in den Schriften des Sextus Empiricus beschrieben wird, verband die systematische Erkenntniskritik der Neuen Akademie mit der ethischen Motivation des Älteren Pyrrhonismus zu einer skeptischen Haltung, die durch die Enthaltung von jeglichem Erkenntnisurteil (die sog. epoché) den Kampf der Meinungen beenden wollte und gerade dadurch Seelenruhe (Ataraxie) sowie die ersehnte Glückseligkeit (Eudaimonie) zu finden hoffte. Spätantike In der Spätantike wurde, obgleich es nach wie vor auch Vertreter von Richtungen wie etwa dem Kynismus gab, der Neuplatonismus als philosophische Richtung maßgeblich, der in einem wohl wechselseitig verschränkten Prozess anregend und befruchtend auch auf das Denken der christlichen Kirchenväter einwirkte. Der philosophische Impuls, der Roms Herrschaftseliten über Jahrhunderte ethische Orientierung geboten hatte, erlahmte, als der äußere Druck auf die Grenzen zunahm und deren Verteidigung immer mehr Menschen und Mittel band; nun stiegen immer öfter Männer in die Führungsschicht auf, die dem Militär entstammten und häufig wenig Verständnis für feingeistige Dinge aufbrachten. Dennoch versiegte er, vor allem im östlichen Teil des Reiches, nicht. Der Drang von Philosophen wie Plotin und später Proklos zur Vereinheitlichung (Suche nach dem Einen, dem Göttlichen) mündete in eine Rückwendung zu Platon und in eine Neuausrichtung der platonischen Ideenlehre. Daraus ergaben sich Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Neuplatonismus und christlicher Religion. Wichtige Vertreter der antiken christlichen Apologetik waren im 2. Jahrhundert Justinus der Märtyrer, im 3. Jahrhundert Klemens von Alexandrien († nach 215) und Origenes († 253) sowie im 5. Jahrhundert Augustinus von Hippo († 430) mit seinem Werk Über den Gottesstaat. Das Denken des Augustinus spiegelte die spätantike Umbruchphase und legte das Fundament für die Philosophie des Mittelalters. Gestaltete sich in Platons Parmenides-Dialog die Suche nach dem Einen noch sehr rätselhaft, so glaubten die frühen christlichen Kirchenlehrer in Gott das Eine (und alles, Hen kai pan) gefunden zu haben, das alle Rätsel löst. Im 4. Jahrhundert hatte dann etwa die Theurgie, die teils sehr kritisch betrachtet wurde, starken Zulauf. Im Oströmischen Reich wirkten noch im 5. und 6. Jahrhundert bedeutende Philosophen wie Isidor, Simplikios, der wichtige Aristoteles-Kommentare verfasste, und sein Lehrer Damaskios. Von einem völligen Niedergang der Philosophie in der Spätantike kann somit nicht die Rede sein. Die Philosophie war im Ostteil des Reiches auch Rückhalt für nichtchristliche Traditionen (was die „heidnische Renaissance“ zu Zeiten des Kaisers Julian verdeutlichte, der selber ein Anhänger des Neuplatonismus war). Aber auch mehrere Christen traten als bedeutende Philosophen hervor, wie beispielsweise im 6. Jahrhundert Johannes Philoponos in Alexandria oder im Westen der neuplatonisch geschulte Anicius Manlius Severinus Boëthius, dessen Werk Trost der Philosophie zu den bemerkenswerten Werken in der ausgehenden Spätantike zählt. Die faktische Schließung der platonischen Akademie in Athen durch Kaiser Justinian im Jahre 529 (oder etwas später) machte den dortigen philosophischen Studien ein Ende, die christianisierte Schule von Alexandria bestand allerdings fort und ging erst infolge der Perser- und Araberkriege unter, die Byzanz im 7. Jahrhundert zu bestehen hatte (siehe Römisch-Persische Kriege und Islamische Expansion). Bald nach der Mitte des 6. Jahrhunderts erlosch die Tradition der antiken-heidnischen Philosophie endgültig, wenngleich in Byzanz die Beschäftigung mit ihr nicht abriss. Einer der letzten bedeutenden spätantiken Neuplatoniker, der Christ Stephanos von Alexandria, wirkte dann zu Beginn des 7. Jahrhunderts in Konstantinopel. Nachleben der antiken Philosophie Das Christentum, das das mittelalterliche Weltbild Europas bestimmte, hat in seine Lehren viele Elemente antiker Philosophie integriert. Die dogmatischen Diskussionen und Streitigkeiten, die das spätantike Christentum dann vom 4. bis 6. Jahrhundert prägten und der Religion ihre heutige Form gaben, sind ohne den Hintergrund der griechischen Philosophie nicht verständlich. Den weltanschaulichen Pluralismus, wie er in den nebeneinander bestehenden antiken Philosophieschulen und Religionen vorhanden war, hat der christliche Monotheismus allerdings von der Spätantike bis in das Zeitalter der Aufklärung hinein nicht mehr zugelassen. Dem griechischen Philosophiehistoriker Diogenes Laertios aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert ist es zu verdanken, dass viele antike Philosophen trotz der Zerstörung der wohl bedeutendsten antiken Bibliothek in Alexandria nicht ganz in Vergessenheit gerieten: In lateinischer Übersetzung blieb sein Werk dem Mittelalter bekannt. Für den lateinischen Westen war vor allem Boethius von kaum zu überschätzender Bedeutung, da er unter anderem die Regeln der aristotelischen Logik in eine Form brachte, die das mittelalterliche Denken entscheidend prägen sollte. Nach dem 6. Jahrhundert geriet ansonsten zumindest in Europa der größte Teil der antiken Philosophie in Vergessenheit. Die Weitervermittlung antiker Philosophie geschah in der Folgezeit hauptsächlich durch arabisch-islamische Denker wie Avicenna (980–1037) und Averroes (1126–1198) sowie durch den jüdischen Philosophen und Arzt Maimonides (1135–1204). Über solche Umwege gewann die Philosophie der Antike, insbesondere die des Aristoteles, auf die Philosophie des Mittelalters bei Scholastikern wie Albertus Magnus († 1280) und Thomas von Aquin († 1274) sowie bei Denkern der Frührenaissance allmählich wieder an Bedeutung. Ein zweiter Schub erfolgte im 15. Jahrhundert, als im Zuge der Renaissance westliche Gelehrte in den byzantinischen Osten reisten und Handschriften antiker griechischer Denker mitbrachten (so unter anderem Giovanni Aurispa) bzw., als byzantinische Gelehrte vor den Osmanen in den Westen flohen und als Vermittler antiker Bildung im Westen mitwirkten. Siehe auch Liste griechischer Philosophen Liste lateinischer Philosophen Liste bekannter Forscher zur antiken Philosophie Gesellschaft für antike Philosophie Naturphilosophie Astronomie im antiken Griechenland Literatur Einführungen Julia Annas: Kurze Einführung in die antike Philosophie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8252-3201-6. 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https://de.wikipedia.org/wiki/Ei%20%28Begriffskl%C3%A4rung%29
Ei (Begriffsklärung)
Ei bezeichnet: Ei, ein frühes Entwicklungsstadium eines Lebewesens Eizelle, die weibliche Keimzelle das Vogelei im Speziellen das Hühnerei als hauptsächlich genutztes Vogelei Ei (Lebensmittel), das Ei als Lebensmittel Frühstücksei, siehe Gekochtes Ei Ei (Sessel), Sessel des Designers Arne Jacobsen Ei, umgangssprachlich für Hoden Ei, in der Soldatensprache eine Handgranate Ei, Stationsname der Ramsei-Sumiswald-Huttwil-Bahn Ei, weiblicher asiatischer Vorname Ei(x), die Integralexponentialfunktion in der Mathematik Das Ei steht für: EI steht für: eine Schnittform für Transformatorenbleche; siehe Elektroblech#Ausführungsformen die Biegesteifigkeit in der technischen Mathematik; siehe Balkentheorie#Biegesteifigkeit im Flugverkehr: für Irland nach dem ICAO-Code für Aer Lingus nach dem IATA-Code EI, Luftfahrzeugkennzeichen für Luftfahrzeuge aus Irland EI steht als Abkürzung für: Education International; siehe Bildungsinternationale (eine der Globalen Gewerkschaftsföderationen) Der Eisenbahningenieur, eine Eisenbahn-Fachzeitschrift Elektro- und Informationstechnik; siehe Elektrotechnik Elektronenstoßionisation in der Massenspektrometrie; siehe Stoßionisation Encyclopaedia of Islam bzw. Enzyklopädie des Islam, Nachschlagewerk für die Islamwissenschaft Electronic Intifada, eine Webseite Exposure Index bzw. Belichtungsindex Unterscheidungszeichen auf Kfz-Kennzeichen: Deutschland: Landkreis Eichstätt Italien: Esercito Italiano, das italienische Heer E@I steht für: E@I, Education@Internet, ein Esperanto-Projekt Siehe auch: EI
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https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth
Elisabeth
Elisabeth ist ein weiblicher Vorname. Herkunft und Bedeutung Beim Namen Elisabeth handelt es sich um die gräzisierte Variante des hebräischen Namens אֱלִישֶׁבַע ʾælischæwaʿ. Der Name setzt sich aus dem theophoren Element „Gott“ und dem Prädikatsnomen „Glück“, „Vollkommenheit“, „Segensfülle“ zusammen. Beim handelt es sich vermutlich um einen Bindevokal und nicht um das Suffix der 1. Person Singular. Der Name bedeutet also „[M]ein Gott ist Glück“, „[M]ein Gott ist Vollkommenheit“, „[M]ein Gott ist Segensfülle“. Der in vorkommende Name אֱלִישֶׁבַע ʾælischæwaʿ (deutsch: Elischeba) wird in der Septuaginta mit wiedergegeben. Im Neuen Testament taucht der Name in der Schreibweise auf ( u. ö.). Verbreitung Der Name Elisabeth gehörte bis in die 1920er Jahre hinein zu den beliebtesten Mädchennamen Deutschlands, danach sank die Beliebtheit. Seit den 1970er Jahren wird der Name relativ selten vergeben, wobei seine Popularität in den 2010er Jahren wieder langsam stieg. Im Jahr 2021 belegte Elisabeth Rang 91 der beliebtesten Mädchennamen in Deutschland. Besonders beliebt ist der Name in Bayern. Varianten Langformen Kurzformen Namenstage 4. Januar: nach Elisabeth Anna Bayley Seton 20. Januar: nach Elisabeth von Füssenich 22. Januar: nach Elisabeth von Österreich 5. Februar: nach Elisabeth von Wertheim 22. Februar: nach Isabella von Frankreich 28. Februar: nach Elisabeth von Pommern 3. April: nach Elisabeth Koch 18. und 19. Juni: nach Elisabeth von Schönau 4. Juli: nach Elisabeth von Portugal 23. September: nach Elisabeth (Mutter des Täufers) 5. November: nach Elisabeth und Zacharias 19. November: nach Elisabeth von Thüringen 25. November: nach Elisabeth von Reute 26. November: nach Anna-Elisabeth Gottrau Bekannte Namensträger Im Alten Testament ist eine Elischeba die Frau des Aaron und damit Stammmutter des Priestergeschlechts . Am Anfang des Evangeliums nach Lukas ist – in gräzisierter Form – Elisabet die Frau des Priesters Zacharias und die Mutter Johannes des Täufers . Heilige und Selige mit dem Namen Elisabeth Heilige Elisabeth: Elisabeth Anna Bayley Seton (1774–1821), Ordensgründerin der Sisters of Charity Elisabeth von Schönau (1129–1164), Benediktinerin in Schönau Elisabeth von Portugal (1271–1336), Königin von Portugal Elisabeth von Hessen-Darmstadt (1864–1918), Märtyrerin, deutsche Prinzessin, Gemahlin des Sergei A. Romanow Elisabet, die Mutter Johannes des Täufers Elisabeth von Thüringen (1207–1231), Landgräfin von Thüringen, genannt auch Elisabeth von Ungarn Selige Elisabeth: Élisabeth Catez, Elisabeth von der Dreifaltigkeit (1880–1906), Karmelitin und Mystikerin Adlige namens Elisabeth Kaiserinnen und Königinnen Weitere Regentinnen und Regentengemahlinnen Weitere Hochadelige Äbtissinnen Weitere Namensträgerinnen Elisabeth Baume-Schneider (* 1963), Schweizer Politikerin Elisabeth Baumeister-Bühler (1912–2000), deutsche Bildhauerin und Medailleurin Elisabeth Bergner (1897–1986), österreichisch-britische Schauspielerin Elisabeth Bronfen (* 1958), deutsche Literaturwissenschaftlerin, Professorin für Anglistik Elisabeth Fischer-Friedrich (* 1981), deutsche Biophysikerin Elisabeth Flickenschildt (1905–1977), deutsche Schauspielerin Elisabeth Gehrer (* 1942), österreichische Politikerin Elisabeth Görgl (* 1981), österreichische Skirennläuferin, Weltmeisterin Elisabeth Kappaurer (* 1994), österreichische Skirennläuferin Elisabeth Kopp (1936–2023), Schweizer Politikerin, erste Bundesrätin Elisabeth Kübler-Ross (1926–2004), schweizerisch-US-amerikanische Medizinerin und Sterbeforscherin Elisabeth Lanz (* 1971), österreichische Schauspielerin Elisabeth Moses (1894–1957), deutsch-amerikanische Kunsthistorikerin Elisabeth Niejahr (* 1965), deutsche Journalistin und Buchautorin Elisabeth Oestreich (1909–1994), deutsche Mittelstreckenläuferin Elisabeth Pähtz (* 1985), deutsche Schach-Großmeisterin, Jugendweltmeisterin Elisabeth Paté-Cornell (* 1948), US-amerikanische Ingenieurin und Risikoforscherin Elisabeth Reisinger (* 1996), österreichische Skirennläuferin Elisabeth Rist (* 1962), Schweizer Künstlerin, siehe Pipilotti Rist Elisabeth Seitz (* 1993), deutsche Turnerin Elisabeth Selbert (1896–1986), eine der 4 „Mütter des Grundgesetzes“ Elisabeth Svantesson (* 1967), schwedische Politikerin Elisabeth Volkmann (1936–2006), deutsche Schauspielerin Männlicher Vorname Heinrich Aloysius Maria Elisabeth Brüning (1885–1970), deutscher Politiker (Zentrum), Reichskanzler von 1930 bis 1932 Robert Elisabeth Stolz (1880–1975), österreichischer Komponist und Dirigent Verwendung in der Kunst Bild: Mona Lisa von Leonardo da Vinci Buch: Elisabeth. Eine Geschichte, die nicht mit der Heirat schließt von Marie Nathusius, 1858 Film: Elizabeth über Königin Elisabeth I. von England von 1998 Klavierstück: Für Elise von Ludwig van Beethoven Lied: Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt’, Musik von Robert Katscher Lied: Hör mein Lied, Elisabeth (auch Elisabethserenade) Lied: Sad Lisa von Cat Stevens Musical: Elisabeth über Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn von Michael Kunze und Sylvester Levay, uraufgeführt 1992 Musical: Elisabeth – Die Legende einer Heiligen, über die heilige Elisabeth von Thüringen, Musical des Jahres 2007 Theater: Eliza Doolittle, Blumenmädchen, Hauptfigur des Schauspiels Pygmalion von George Bernard Shaw und des darauf basierenden Musicals My Fair Lady Weitere Namensgebungen Bauwerke Elisabethbrücke, Begriffsklärung zu Brücken Elisabethkirche, Begriffsklärung zu Kirchen Elisabethkloster, Begriffsklärung zu Klöstern Elisabethstraße, Begriffsklärung zu Straßen Elisabethufer (Jever), Straße in Jever Liesl, Spitzname des Polizeigebäudes an der Rossauer Lände in Wien, ehemals Elisabethpromenade Krankenhäuser Elisabeth-Krankenhaus, Begriffsklärung zu Krankenhäusern Schulen Mädchenrealschule St. Elisabeth, Friedrichshafen Elisabethschule Marburg Elisabeth-Gymnasium Halle Ehrenzeichen Elisabeth-Kreuz (Rumänien), ein rumänischer Damenorden Elisabeth-Orden (Österreich-Ungarn), ein österreichischer Damenorden Elizabeth Cross, ein britischer Orden St. Elisabethenorden, ein bayrischer Damenorden Elisabeth-Theresien-Orden, ein österreichischer Orden Orden der heiligen Elisabeth, ein portugiesischer Orden Ordensbezeichnungen Barmherzige Schwestern von der hl. Elisabeth Cellitinnen zur hl. Elisabeth Elisabethinnen Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth Ortsnamen Elisabethfehn, Ortsteil der Gemeinde Barßel Elisabethgroden, Ortsteil der Gemeinde Wangerland Elisabeth-Vorstadt, Ortsteil der Gemeinde Salzburg, benannt nach Kaiserin Elisabeth Elisabethstadt als deutscher Name der rumänischen Stadt Dumbrăveni Elisabethstadt als deutscher Name des VII. Budapester Bezirk Erzsébetváros Elisabethinsel bei Komarno in der Slowakei Jelisawetinskaja Port Elizabeth, ehemaliger Name der Stadt Gqeberha in Südafrika Schiffsnamen Elisabeth (Schiff, 1815), erstes russisches Dampfschiff Elisabeth (Schiff, 1858), Raddampfer auf dem Traunsee SMS Kaiserin Elisabeth, Kleiner Kreuzer der österreichisch-ungarischen Marine Kaiserin Elisabeth, zeitweiliger Name eines Fahrgastschiffes auf der Donau, heute Rosa Victoria Herzogin Elisabeth (Schiff, 1897), Expeditionsschiff der Neuguinea-Kompagnie Herzogin Elisabeth (Schiff, 1902), Regierungsyacht des Kaiserlichen Gouvernements Kamerun Elisabeth (Schiff, 1909), Fahrgastschiff in Neuruppin und später in Berlin Großherzogin Elisabeth, 1909 gebauter dreimastiger Schoner, Schulschiff der Seefahrtsschule Elsfleth Queen Elizabeth (Schiff, 1940), Passagierschiff der Cunard White Star Line RMS Queen Elizabeth 2, Passagierschiff der Cunard Line Queen Elizabeth (Schiff, 2010), Passagierschiff der Cunard Line Elisabeth (Schiff, 1869) (1868–1904), Kriegsschiff des Norddeutschen Bundes und später der Kaiserlichen Marine HMS Queen Elizabeth (1913), ein Schlachtschiff der Royal Navy HMS Queen Elizabeth (R08), ein Flugzeugträger der Royal Navy Ein 1895 auf dem Rhein explodiertes Segelschiff, siehe Explosion der Elisabeth Sonstiges Elisabethenflut, mehrere Sturmfluten in den Niederlanden Elisabethsee, Nordrhein-Westfalen Zeche Elisabeth, ehemaliges Steinkohlebergwerk in Dortmund Villa Elisabeth, mehrere Häuser in Deutschland Literatur Art. אֱלִישֶׁבַע, In: Wilhelm Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament. 18. Aufl. 2013, S. 65. Martin Noth: Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung. Kohlhammer, Stuttgart 1928, S. 146.237. Hans Rechenmacher: Althebräische Personennamen. Münster 2012, S. 117.199. Elisabeth Sandmann (Hrsg.): Das Elisabeth-Buch: Ein Name – 25 besondere Frauen. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2014, ISBN 978-3-938045-88-6. Hans Bahlow: Deutsches Namenlexikon – Familien- und Vornamen nach Ursprung und Sinn erklärt. Keysersche Verlagsbuchhandlung, München 1967, S. 118. Weblinks Einzelnachweise Weiblicher Vorname Theophorer Personenname Biblischer Personenname Deutscher Personenname
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https://de.wikipedia.org/wiki/E-Netz
E-Netz
Nach A-, B- und C-Netz der Deutschen Bundespost sowie dem digitalen Mobilfunknetz D-Netz nach GSM-Standard wurde 1994 das E-Netz (Funktelefonnetz-E/E1) in Deutschland aufgebaut. Es war ein telefonieorientiertes, digitales Mobilfunknetz in Deutschland, das auf dem GSM-Standard basierte und den DCS-1800-Frequenzbereich bei 1800 MHz nutzte. Der wesentliche Unterschied zu Netzen, die den GSM-900-Frequenzbereich nutzen, besteht in der geringeren Sendeleistung der Endgeräte und Basisstationen. Die weltweit erste DCS-1800-Installation war das One2One-Netz (später T-Mobile UK) in Großbritannien. Heute sind das D-Netz und das E-Netz zu einem digitalen Mobilfunknetz zusammengefasst. Länderspezifika Deutschland Geschichte Bundespostminister Wolfgang Bötsch (CSU) vergab 1993 die Lizenz für den Aufbau eines dritten digitalen Mobilfunknetzes, des E1-Netzes. Die Bezeichnung leitet sich aus den Namenskonventionen für die analogen Autotelefonnetze A-, B- und C-Netz sowie des ersten digitalen Netzes, dem D-Netz, ab. Als erstes E-Netz in Deutschland ging im Mai 1994 das E-Plus-Netz, welches auch als E1-Netz bezeichnet wird, an den Markt. Hauptgesellschafter waren Vebacom und Thyssen Telecom. E-Plus war damit neben Mannesmann der zweite private Betreiber eines öffentlichen Telekommunikationsdienstes. 1997 folgte als zweite E-Netzbetreiberin (E2-Netz) die Viag Interkom (seit 2002 O2). 2014 hat die niederländische KPN Mobile N.V. E-Plus an die spanische Telefónica verkauft. Telefónica, als Eignerin des ehemaligen Viag-Interkom-Netzes (übernommen von der britischen O2 plc), fusionierte beide Netze. Dies sollte nach Planungen 2021 abgeschlossen sein. Neben E-Plus und O2, welche jeweils 112 Frequenzen ersteigert haben, funken seit der Jahrtausendwende auch T-Mobile und Vodafone in Ballungsräumen im DCS-1800-Band. Diese haben 1999 25 (T-Mobile) und 27 (Vodafone) Mobilfunkfrequenzen in dem Band erworben, um Engpässe im P-GSM-Bereich besser ausgleichen zu können und zusätzliche Kapazitäten für das starke Kundenwachstum anbieten zu können. Technik Bis 1998 waren deutlich mehr als die geplanten 75 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit E-Plus-Funkabdeckung versorgt. Die maximale Sendeleistung der E-Netz-Mobiltelefone beträgt 1 Watt und soll insgesamt zu einem geringen Batterieverbrauch und damit relativ langen Gesprächs- und Bereitschaftszeiten führen. Wegen der geringeren Sendeleistung und der höheren Freiraumdämpfung würden die E-Netze mehr Funkstationen als die GSM-900-Netze benötigen, um die gleiche Versorgung wie die D-Netze zu gewährleisten. Die E-Netze müssten daher engmaschiger „geknüpft“ werden. Dennoch haben die D-Netze (T-Mobile und Vodafone) mehr Stationen in Betrieb als die E-Netz-Betreiber E-Plus und O2. Grund hierfür ist, dass die D-Netz-Betreiber wesentlich mehr Kunden versorgen und dementsprechend mehr Stationen aus Kapazitätsgründen gebaut haben. Da die Signale mit höheren Frequenzen stärker gedämpft werden, ist die Reichweite geringer als im 900-MHz-Bereich (D-Netz). Die systembedingte maximale Reichweite, bis zu der Signallaufzeiten ausgeglichen werden können, beträgt bei GSM-Netzen allgemein ca. 35 km. In Österreich In Österreich war E-Netz bis 1996 die Bezeichnung für das Netz der Telekom Austria nach GSM-Standard im 900-MHz-Bereich. Dieses Netz wurde im Juni 1996 in A1 umbenannt. Literatur Christel Jörges und Helmut Gold: Telefone 1863 bis heute; Aus den Sammlungen der Museen für Kommunikation; Edition Braus, 2001; ISBN 3-926318-89-9; S. 291–292 Einzelnachweise Mobilfunknetz
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ern%C3%A4hrung%20des%20Menschen
Ernährung des Menschen
Die Ernährung des Menschen beruht auf der Zufuhr von Lebensmitteln. Zu diesem Oberbegriff gehören Nahrungsmittel, Getränke und Trinkwasser. Nahrungsmittel und Getränke enthalten Makronährstoffe (Proteine, Fette und Kohlenhydrate) und somit auch Nahrungsenergie. Im Unterschied dazu besteht Trinkwasser lediglich aus Wasser mit darin enthaltenen Mikronährstoffen. Die menschliche Ernährung beeinflusst auch das körperliche, geistige, physiologische und soziale Wohlbefinden. Der bewusste Umgang mit der Zufuhr von Nahrung ist zudem ein weit verbreiteter Bestandteil der menschlichen Kulturen und vieler Religionen und Weltanschauungen. Zur Ernährung des Menschen tragen Rohkost und gegarte Nahrungsmittel bei, die frisch oder konserviert sein können. Fehlfunktionen bei der Nahrungsaufnahme werden als Ernährungsstörungen bezeichnet. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Ernährung des Menschen werden insbesondere von der Ernährungswissenschaft erforscht und u. a. im Studienfach Ökotrophologie vermittelt. Ernährung im Verlauf der Evolution des Menschen Der heutige Mensch ernährt sich zumeist omnivor, jedoch auch vegetarisch oder vegan. Belege für den Anteil tierischer und pflanzlicher Nahrung bei fossilen Arten können zum Beispiel durch eine Isotopenuntersuchung von Zinkisotopen im Zahnschmelz erbracht werden. Auch anhand des Knochenkollagens lässt sich bei einem menschlichen Skelett der ungefähre Anteil an tierischer oder pflanzlicher beziehungsweise maritimer oder kontinentaler Ernährung bestimmen. Frühe Verwandte der Vorfahren des Menschen Aus dem Abrieb und aus anderen Merkmalen ihrer Zähne wurde geschlossen, dass die frühen Vertreter der Hominini (Australopithecus anamensis, Australopithecus afarensis, Australopithecus africanus und Homo rudolfensis) sich vor rund 3 bis 4 Millionen Jahren von einer überwiegend pflanzlichen Kost ernährten, vergleichbar mit den heutigen Pavianen; zudem wurde postuliert, dass das Ausgraben von unterirdischen pflanzlichen Speicherorganen – das auch von Schimpansen (Pan troglodytes) bekannt ist – Einfluss auf den Verlauf der frühen Stammesgeschichte der Hominini nahm. Jedoch dauerte bereits bei den frühesten Vertretern der Gattung Homo die Säuglingsphase wohl deutlich länger als bei Australopithecus und Paranthropus. Frühe Hinweise auf Fleischverzehr sind 2,4 Millionen Jahre alte Schnittspuren an fossilen Knochen von der Fundstelle Ain Boucherit in Algerien. Jedoch wird heute erst Homo habilis zugeschrieben (mit dessen rund 2 Millionen Jahre alten Fossilien auch Steinwerkzeuge und als gesichert geltende Schnittspuren an Knochen gefunden wurden), dass er in etwas größerem Maße als die Individuen früherer Arten der Hominini das Fleisch großer Wirbeltiere verzehrt hat. Offenbar wurden damals mit Hilfe von Steinwerkzeugen zusätzliche Nahrungsquellen – Fleisch und Knochenmark – erschlossen. Dies geht jedenfalls aus 1,95 Millionen Jahre alten Knochenfunden hervor, die in Kenia geborgen wurden und bezeugen, dass damals bereits neben Antilopenfleisch auch das Fleisch zahlreicher im Wasser lebender Tiere – darunter Schildkröten, Krokodile und Fische – verzehrt wurde. Hyperostotische Veränderungen am rund 1,7 Millionen Jahre alten Fossil KNM-ER 1808 von Homo erectus wurden auf den Verzehr großer Mengen Fleischfresser-Leber zurückgeführt, und die ebenfalls krankhaften Veränderungen an einem 1,5 Millionen Jahre alten, den Hominini zugeschriebenen Schädelknochen eines Kleinkindes (Olduvai Hominid OH 81) wurden als Folge einer Anämie interpretiert, einer Erkrankung, die mit Eisenmangel in Verbindung gebracht wird. Hier gibt es Spekulationen, diese Anämie könnte darauf hinweisen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Anpassung an einen regelmäßigen Verzehr von Fleisch stattgefunden habe. Gestützt werden diese Interpretationen durch eine Studie, in der diverse physiologische und genetische Besonderheiten des anatomisch modernen Menschen – im Vergleich mit anderen Primaten – analysiert wurden. So sei der Säuregehalt des Magens bei Fleischfressern deutlich höher als bei Pflanzenfressern – und beim Menschen sogar höher als bei vielen anderen Fleischfressern. Dies sei vermutlich dem Umstand geschuldet, dass die Magensäure potentiell krankmachende Bakterien auf Fleisch abtötet. Auch unterscheide sich die Einlagerung von Fettvorräten in die Körperzellen – auch hierbei ähnele der Mensch anderen Fleischfressern. Den Forschern zufolge weitete sich der Fleischverzehr – beginnend vor rund 2 Millionen Jahren – allmählich aus und erreichte seinen Höhepunkt bei Homo erectus. Spätestens im Jungpaläolithikum sei eine Umkehr dieses Prozesses zu beobachten, der sich in der Mittelsteinzeit (das ist in Europa die Periode nach dem Ende der letzten großen Vereisung) verstärkte und in der Jungsteinzeit, mit Beginn des Ackerbaus, seinen Höhepunkt fand. Die Forscher vermuten aufgrund ihrer und früherer Befunde, dass der anatomisch moderne Mensch erst in stammesgeschichtlich jüngster Zeit – seit rund 85.000 Jahren – zunehmend pflanzliche Kost für seine Ernährung genutzt hat; hierfür sprächen auch die Funde von Steingeräten, die zur Verarbeitung von Pflanzenmaterial tauglich waren. Im Verlauf der Stammesgeschichte des Menschen, insbesondere in der Spätphase des Homo erectus, nahm das Hirnvolumen immer weiter zu. Homo erectus hatte zudem bereits vor rund 1 Million Jahren den Umgang mit Feuer gelernt und begonnen es zur Erschließung zusätzlicher Nahrungsquellen zu nutzen. In der auf ein Alter von 780.000 Jahre datierten Fundstätte Gesher Benot Ya’aqov in Israel wurden tausende Überreste von Fischen geborgen, deren Untersuchung den Schluss zuließ, dass die Fische nicht in offenem Feuer gegart worden waren, sondern durch Kochen. Dies sei „der früheste Beweis für das Kochen durch Homininen“. Viele Wissenschaftler gehen von einem erhöhten Bedarf an Proteinen in dieser Phase aus, die in tierischer Kost leichter zugänglich sind. Zugleich musste das Gehirn vermehrt mit Glucose versorgt werden, weshalb der Zugang zu stärkehaltiger Nahrung ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte. Welches Gewicht bei der Gehirnentwicklung dem Fleisch- und welches dem Stärkekonsum zukam, wird kontrovers diskutiert. Erschwert wird die Klärung dadurch, dass sich Pflanzenmaterial grundsätzlich weniger gut erhält, während Knochenfunde sehr viel länger auffindbar bleiben. Im Jahr 2021 veröffentlichte Analysen des Zahnbelags von fossilen Zähnen deuten darauf hin, dass stärkereiche Nahrung, möglicherweise durch Kochen modifiziert, bereits vor mindestens 600.000 Jahren, also in der Spätphase des afrikanischen Homo erectus, verzehrt wurde. Die Autoren sehen darin einen Beleg für die wichtige Rolle, die stärkehaltige Nahrung bei der Evolution des menschlichen Gehirns gespielt hat. Vergleichbare Befunde waren zuvor auch für Neandertaler, die engsten Verwandten des Homo sapiens, beschrieben worden. Rolle des Jagens Spätestens vor 450.000 Jahren gab es Jagdaktivitäten, wie Funde von Waffenresten von Homo heidelbergensis in Europa eindeutig belegen. Es wird ein stetig wachsender Fleischanteil in der Ernährung vermutet, was in der Fachwelt aber nicht unwidersprochen ist. Zum einen könnten Knollen und Zwiebeln doch einen höheren Anteil an der Nahrung des späten Homo erectus (= Homo heidelbergensis) gehabt haben, zum anderen könnte vor allem das Sammeln und Fangen von Kleintieren, wie Nager oder Schildkröten, zur Deckung des Nahrungsbedarfs gedient haben. Womöglich wird die Bedeutung der Jagd also überschätzt. An Funden aus der Höhle von Arago bei Tautavel in Südfrankreich wurde beispielsweise die Abnutzung der Zähne von Homo heidelbergensis mikroskopisch untersucht. Die Ergebnisse ließen auf eine raue Nahrung schließen, die zu mindestens 80 Prozent aus pflanzlichen Anteilen bestand. Zu beachten ist hier, dass aus dem europäischen Homo heidelbergensis zwar der Neandertaler hervorging, nicht aber der anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens). Jedoch wird dem afrikanischen Homo rhodesiensis, der vermutlich zum Formenkreis des sogenannten archaischen Homo sapiens gehört, wegen seiner stark abgenutzten Zähne ebenfalls der Verzehr von überwiegend sehr rauer pflanzlicher Nahrung zugeschrieben. Eine Meta-Studie aus dem Jahr 2022 betrachtete archäologische Studien zu Homo erectus-Funden aus 9 Ausgrabungsgebieten in Afrika. Dabei zeigte sich, dass dort auf Basis der „meat made us human“-These verstärkt nach Beweisen für fleischliche Kost gesucht wurde, also ein Stichprobenfehler vorliegt. Nach Korrektur dieses Stichprobenfehlers zeigten sich für Homo erectus keine Beweise mehr für eine vermehrt fleischliche Kost. Die mehr als 150.000 Jahre alten Hinterlassenschaften der afrikanischen Pinnacle-Point-Menschen verweisen auf eine intensive Nutzung von Meeresfrüchten. Der älteste Beleg für Fischfang auf dem offenen Meer stammt aus Osttimor und wurde auf ein Alter von 42.000 Jahren datiert. Der anatomisch moderne Mensch Nach heutigem Kenntnisstand des Verlaufs der Hominisation ist der anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens) demnach „von Natur aus“ weder ein reiner Fleischfresser (Carnivore) noch ein reiner Pflanzenfresser (Herbivore), sondern ein Allesfresser (Omnivore). Frühe Belege für den Verzehr gekochter, unterirdischer Pflanzenteile fand man in 170.000 Jahre alten Bodenschichten der Border Cave in Südafrika. Ethnographische Auswertungen von weltweit 229 heute noch existierenden Jäger- und Sammlervölkern ergab, dass der Anteil pflanzlicher Kost zwischen 0 und 85 % variiert, während tierische Nahrung einen Beitrag von 15 bis 100 % leistet. Diese enorme Bandbreite der Lebensmittelauswahl ist auf die unterschiedlichen geographischen und klimatischen Lebensverhältnisse zurückzuführen. Die omnivore Lebensweise erleichterte es dem modernen Menschen, sich nahezu jedes Ökosystem der Erde als Lebensraum zu erschließen. Während sich einige kleinere Bevölkerungsgruppen wie die Evenki in Sibirien, die Eskimos und die Massai auch heute noch überwiegend fleischlich ernähren, leben große Teile der südasiatischen Bevölkerung sowie bäuerliche Völker in den Anden in erster Linie von pflanzlichen Nahrungsmitteln. Vor rund 10.000 Jahren führte die Verbreitung des Ackerbaus zur sogenannten neolithischen Revolution. Diese kulturell äußerst bedeutsame Entwicklung ermöglichte dem Menschen die Sesshaftigkeit und führte durch die planvolle Nutzung der Natur zu einer größeren Unabhängigkeit von äußeren Bedingungen. Teilweise verschlechterte dies allerdings die Ernährungslage der Menschen durch eine drastische Verengung des Nahrungsangebots auf wenige Feldfrüchte. Heutige Ernährung Claus Leitzmann argumentiert, dass der Mensch zwar als Omnivor in der Lage dazu ist, tierische Nahrung zu essen, er jedoch besser an Pflanzenkost angepasst sei. Fleisch habe zwar in der menschheitsgeschichtlichen Entwicklung immer wieder eine Rolle gespielt, bspw. bei der Gehirnentwicklung, doch könne letztlich davon ausgegangen werden, dass die pflanzliche Kost in allen längeren Entwicklungsphasen mengenmäßig die größte Bedeutung hatte. In erster Linie ist das, was der Mensch isst, wie er es zubereitet (siehe Kochkunst) und zu sich nimmt (siehe Esskultur), sowie das, was er nicht isst (siehe Nahrungstabu), von seiner Kultur abhängig; deshalb gibt es große regionale und zeitliche Unterschiede. Da sich vor allem in den Industrieländern durch die Zunahme sitzender Tätigkeiten und abnehmender körperlicher Betätigung der Lebensstil verändert und in der Folge der Energie- und Nährstoffbedarf verringert hat, entsteht bei vielen Menschen ein Missverhältnis zwischen Nährstoffbedarf und Nährstoffzufuhr. Insbesondere die Zunahme an Zivilisationskrankheiten wird der modernen Fehlernährung zugeschrieben. Zahlreiche Ansichten, Theorien und Lehren behaupten, Empfehlungen und Vorgaben für die „richtige“ Ernährung zu propagieren. Beispiele sind die Vollwerternährung, die Rohkost-Lehre, die Low-Carb-Ernährung, die Ernährung nach den Fünf Elementen aus der traditionellen chinesischen Medizin, die Ayurveda-Lehre, der Pescetarismus, der Vegetarismus und der Veganismus, die Makrobiotik, die Trennkost-Lehre und die Steinzeiternährung. Antworten auf die Frage nach der „richtigen“ Ernährung werden durch die Diätetik wissenschaftlich erforscht. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat Regeln zur Zusammenstellung formuliert, die sie als „vollwertige Ernährung“ bezeichnet. Das globale Ernährungssystem Völker, Kollektive, Regionen und/oder Zivilisationen benötigten zur Sicherstellung von Erhalt und Überleben Systeme zur Produktion und Verteilung von Lebensmitteln. Im Laufe der Globalisierung entstand ein zunehmend globales System mit weltweit verteilten Komponenten und Untersystemen der Nahrungs-Produktion und -Verteilung der gegenwärtigen menschlichen Zivilisation. Eine Transformation dieses globalen Ernährungssystems ist laut Studien entscheidend für ein Erreichen der Klimaziele des Pariser Abkommens. Ernährungssysteme sind zentrale Bestandteile von Gesellschaften und eng mit vielen „externen“ sozialen und technischen Aspekten verbunden, sowie Teil des Ökosystems der Erde. Nährstoffe Nährstoffe werden in Makro- und Mikronährstoffe unterschieden. Makronährstoffe sind Proteine, Fette und Kohlenhydrate, die dem Körper als Energielieferant dienen. Als Mikronährstoffe bezeichnet man alle wichtigen Nahrungsmittelbestandteile, aus denen sich keine Energie gewinnen lässt, die aber für die Körperfunktionen essenziell sind, beispielsweise Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Proteine Proteine sind vor allem für den Muskel- und Zellaufbau nötig. Auch können sie im Körper zur Energiegewinnung verwertet werden, die DGE empfiehlt hier, dass mindestens 10 % des Energiebedarfs aus Proteinen und Aminosäuren gedeckt werden. Da die Anteile der verschiedenen Aminosäuren aus tierischen Quellen eher dem Bedarf des Menschen entsprechen, besitzen tierische Quellen eine höhere biologische Wertigkeit. Die Annahme, dass 10 % reichen, trifft jedoch nur unter sehr engen Voraussetzungen zu (wenig Körpergewicht, kein Sport, keine körperliche Arbeit etc.), da für die Aufrechterhaltung der Proteinstrukturen des Körpers 0,8 g/kg Körpergewicht als angemessen gelten. Soll nun mit Training auch noch Muskelmasse aufgebaut oder im Rahmen einer Diät (Low Carb) Protein im Energiestoffwechsel eingesetzt werden, so reichen die 0,8 g/kg bei weitem nicht aus. Bis ca. 4 g/kg Körpergewicht kann die Leber am Tag verstoffwechseln. Wo dazwischen die individuell richtige Menge liegt, hängt von der körperlichen Belastung (Training) ab. Proteinreiche Lebensmittel enthalten mindestens 10 g/100 g verzehrbare Masse. Da tierische Proteinquellen allerdings etwa in der veganen Ernährung nicht vorkommen, gilt proteinreichen Pflanzen ein besonderes Augenmerk. Kohlenhydrate Kohlenhydrate stellen eine der drei Quellen der Energiegewinnung dar, sind jedoch im Gegensatz zu den anderen beiden, Proteinen und Fettsäuren, kein essenzieller Nahrungsbestandteil. Laut Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sollen 55 % des Energiebedarfs aus Kohlenhydraten gedeckt werden. Die DGE empfiehlt vor allem Kohlenhydrate aus ballaststoffreichen Pflanzen, da diese langsamer vom Körper aufgenommen werden (niedriger glykämischer Index). Aufgrund der geringen Energiedichte ballaststoffreicher Pflanzen sind entsprechend große Mengen zu konsumieren, wodurch diese mengenmäßig die Hauptbestandteile der Ernährung ausmachen sollten. Einfachzucker gelangen zügig ins Blut, von dort in die Zellen und bieten sich als schnell verfügbare Energiequelle an. Allerdings ist diese nicht lange im Blut verfügbar, da der Körper auf große Mengen Zucker im Blut mit entsprechend großen Mengen an Insulin reagiert. Das Insulin sorgt u. a. dafür, dass die überschüssige Energie in Form von Fett in den Fettzellen eingelagert wird. Der Regelkreislauf dafür ist recht komplex und wird im Artikel Energiebilanz der Ernährung näher erläutert. Ballaststoffe Als Ballaststoffe werden weitgehend unverdauliche Nahrungsbestandteile – hauptsächlich pflanzliche Kohlenhydrate – bezeichnet, die vom Menschen gar nicht oder nicht vollständig verdaut werden können und aus denen deshalb im Verdauungstrakt keine oder fast keine Energie gewonnen werden kann. Ballaststoffe sind, anders als die Bezeichnung nahelegt, kein überflüssiger „Ballast“, sie unterstützen vielmehr die Verdauung der Nährstoffe und fördern zusammen mit ausreichend Flüssigkeit die Peristaltik des Darms. Die DGE empfiehlt mindestens 30 g Ballaststoffe am Tag aufzunehmen. Fette Da Fette eine sehr hohe Energiedichte besitzen, werden vom Körper geringere Mengen an fetthaltigen Lebensmitteln benötigt, um Energie zu gewinnen. Einige wenige Fettsäuren sind essenziell und dienen der Synthetisierung weiterer Substanzen. Fette sind der Hauptbestandteil von Biomembranen und dienen auch der Energiegewinnung. Es kommen viele Fettsäuren in der Natur vor, aber unter den Gesichtspunkten der menschlichen Ernährung sind folgende Klassen von Fettsäuren relevant: Unterscheidung anhand der Sättigung: gesättigte, (cis-)einfach ungesättigte und (cis-)mehrfach ungesättigte Fettsäuren Unterscheidung anhand der Lage der ersten Doppelbindung: Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren Unterscheidung anhand der Kettenlänge: kurz- und mittelkettige Fettsäuren werden anders verdaut als langkettige Fettsäuren; dieser Umstand ist für gesunde Menschen unwichtig, spielt jedoch bei gewissen Krankheiten eine Rolle die essenziellen Fettsäuren sind: Linolsäure (LA) und α-Linolensäure (ALA) bzw. Arachidonsäure (AA), Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) Essenzielle Fettsäuren sind Fettsäuren, die der Körper nicht selbst aus anderen Stoffen herstellen kann, sondern durch die Nahrung aufgenommen werden müssen, und gehören damit – neben den Essenziellen Aminosäuren und einigen Mineralien – zur Gruppe der Essenziellen Stoffe. Die Essenziellen Fettsäuren sind Linolsäure (eine Omega-6-Fettsäure) und α-Linolensäure (eine Omega-3-Fettsäure). Die essenziellen Fette sind am Transport von Nährstoffen und Stoffwechselprodukten beteiligt und werden damit auch für die Regeneration der Zellen benötigt. Die Omega-3-Fettsäuren werden hierbei insbesondere für den Herzkreislauf, das Immun- und das Nervensystem benötigt. Ein Mangel an Omega-3-Fettsäuren kann Krankheiten wie hohen Blutdruck, hohe LDL-Cholesterinwerte, Herzerkrankungen, Diabetes mellitus, Rheumatoide Arthritis, Osteoporosis, Depression, Bipolare Störung, Schizophrenie, Aufmerksamkeitsdefizit, Hautkrankheiten, entzündliche Darmerkrankungen, Asthma, Darmkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs begünstigen. Bei den Omega-3 Fetten gilt es zudem zu beachten, dass pflanzliche Quellen α-Linolensäure (ALA) enthalten, während Fisch oder Algen Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) liefern. Gesundheitliche Vorteile ergeben sich sowohl durch die pflanzliche als auch die tierische Variante, da der menschliche Körper enzymatisch ALA in EPA und EPA in DHA umwandeln kann. Ein gesundheitlicher Vorteil durch die Ergänzung von Omega-3 über die Einnahme von Fisch- oder Algenölkapseln ist hingegen nicht nachgewiesen. Die Fette werden auch für Ausdauersport benötigt. Da der Körper nur eine geringe Menge an Kohlenhydraten speichern kann, können bei entsprechender sportlicher Betätigung bereits nach 30 Minuten die Kohlenhydrat-Reserven aufgebraucht sein. Für längere Betätigung greift der Körper auf Fette zu, weshalb für Ausdauersport eine höhere Menge an Essenziellen Fettsäuren konsumiert werden muss. Mineralstoffe Mineralstoffe werden nach der Menge, in der sie im Körper vorkommen oder benötigt werden, unterschieden. Hierbei sind Mengenelemente im menschlichen Körper zu enthalten, während Spurenelemente in geringerer Konzentration vorkommen. Mengenelemente Elektrolyte sind elektrisch leitfähige Salze aus Mineralien. Hierbei sind insbesondere die Elemente Calcium, Chlor, Magnesium, Kalium und Natrium beteiligt. Die Salze werden in allen Körperflüssigkeiten und allen Stoffwechselvorgängen benötigt. Eine besondere Rolle spielen sie beim Transport von Nährstoffen und Stoffwechselprodukten im Blut sowie den Nervenfunktionen. Die wichtigste Verbindung ist das Kochsalz. Elektrolyte werden insbesondere über die Nieren mit dem Urin sowie durch Schweiß ausgeschieden. Bei einem hohen Konsum von Wasser mit geringem Elektrolytgehalt sowie starker körperlicher Betätigung und Hitze kann es zu einem Mangel an Elektrolyten und damit zur Wasservergiftung kommen. Spurenelemente Für den Menschen gibt es essentielle Spurenelemente, die nur in geringen Mengen zugeführt werden sollen. Sowohl ein Mangel als auch ein Überangebot kann gesundheitliche Folgen haben. Oft werden diese Elemente fälschlich als „Mineralien“ bezeichnet. Manche werden z. T. künstlich über Speisesalz zugeführt (Jod und Fluor). Das Eisen wird wegen seiner Wirkungsweise zu den Spurenelementen gezählt, obwohl im menschlichen Körper etwa 60 mg/kg enthalten sind und das Element selbst das vierthäufigste auf der Erde ist. Vitamine Vitamine sind lebenswichtige organische Stoffe, die der Mensch nicht bedarfsdeckend synthetisieren kann. Vitamine müssen daher mit der Nahrung aufgenommen werden, sie gehören zu den essentiellen Stoffen. Eine Ausnahme ist das Vitamin D, das in der Haut unter Einwirkung von UV-B-Strahlung aus 7-Dehydrocholesterol gebildet werden kann. Wasserbedarf Der Körper benötigt Wasser vor allem aufgrund von Verlusten durch die Atmung, für Stoffwechselvorgänge und Kühlung durch Verdunstung über die Haut. Der tägliche Wasserbedarf eines Menschen bezogen auf das Körpergewicht ρ beträgt etwa . Beispiel Der Wasserbedarf VW einer Person P mit einer Masse mP von 80 kg beträgt pro Tag: Da der Körper bei heißem Wetter und bei körperlicher Betätigung zusätzliche Wärme über Verdunstung abführen muss, kann der Wasserbedarf auch höher liegen. Ein Liter Wasser kann 600 kcal an Wärme durch Verdunstung abführen. Da die abzuführende Energiemenge abhängig von den Wetterbedingungen, der konkreten Betätigung und den physischen Gegebenheiten des Menschen individuell verschieden ist, stellt der angegebene Wert nur einen Richtwert dar. Energiebedarf Ein Mensch benötigt in der Stunde etwa 1 kcal (= 4,1868 kJ) Energie je Kilogramm Körpergewicht an Grundumsatz. Beispiel Der Energiebedarf EP einer Person P mit einer Masse mP von 80 kg an einem Tag beträgt: Aufgrund von Aktivitäten hat der Körper einen zusätzlichen Energieverbrauch, den Leistungsumsatz. Der Gesamtumsatz ist die Summe aus Grundumsatz und Leistungsumsatz. In einer ausgewogenen Ernährung sollte – über einen Zeitraum von mehreren Tagen gemittelt – etwa 55 % des Energiebedarfs aus Kohlenhydraten, mindestens 15 % aus Proteinen und 30 % aus Fetten stammen. Für Low-Carb-Diäten kann auch der Anteil der Fette höher und im Gegenzug der Anteil an Kohlenhydraten niedriger ausfallen. Die Voraussetzung bilden jedoch besonders hochwertige Fette. Wird Sport oder körperlich anstrengende Arbeit ausgeübt, muss aufgrund des höheren Energieverbrauchs zusätzliche Energie zugeführt werden. Abhängig von der Intensität der Aktivität – und damit der Belastungszone – werden vom Körper unterschiedliche Energiequellen benötigt. Hierbei ist Hohe Intensität Dauer von unter einer Stunde mit hohem Aktivitätsgrad wie schnelles Laufen (5 km bis 10 km), Basketball, Tennis, Hockey, Fußball etc. Mittlere Intensität Dauer von einer bis drei Stunden mit mittlerem Aktivitätsgrad wie Marathon, Triathlon, schnelles Fahrradfahren etc. Geringe Intensität Dauer von mehr als drei Stunden mit geringem Aktivitätsgrad wie Fahrradfahren, Wandern etc. Energiegehalt von Lebensmitteln Der Energiegehalt E eines Lebensmittels berechnet sich aus der Masse m des Inhaltsstoffes multipliziert mit dessen Brennwert H. Für Proteine und Kohlenhydrate beträgt der Brennwert etwa , während der Brennwert von Fetten etwa beträgt. Ethanol hat einen Energiegehalt von etwa . Der Brennwert anderer Inhaltsstoffe kann in der Praxis meist vernachlässigt werden. Beispiel Ein Glas mit einem Volumen VG von 200 ml mit Milch mit 3,6 % Fettanteil hat laut Verpackung einen Nährwert von 3,3 g Protein, 3,6 g Fett und 4,7 g Kohlenhydrate je 100 ml. Es soll der Energiegehalt E und die Anteile der jeweiligen Nährstoffe am Gesamtenergiegehalt ermittelt werden: Es sticht hierbei deutlich hervor, dass von der Milch mit 3,6 % Fett etwas mehr als die Hälfte des Nährwertes Fett ausmacht. Vor allem bei Personen mit Mangelerscheinungen (das heißt auch Fettleibigkeit) empfiehlt es sich eine überschlagsmäßige Berechnung der in einer Woche konsumierten Lebensmittel durchzuführen. Verschiedene ballaststoffreiche Gemüse mit geringer Energiedichte können und sollen in nahezu beliebiger Menge ergänzt werden. Ernährung in der Medizin Mit den Besonderheiten der Ernährung bei Krankheit beschäftigt sich die Ernährungsmedizin. Bei bestimmten Krankheiten werden zusätzlich zur medikamentösen Therapie Diäten verordnet, um den Krankheitsverlauf zu begünstigen. In der Medizin unterscheidet man prinzipiell: Orale Ernährung: Der Patient kann sich auf natürlichem Wege, also über den Mund (oral) ernähren. Eventuell muss die Kost aber verändert, zum Beispiel passiert werden, um ihm das Essen zu erleichtern. Reicht auch dies nicht aus, kommt voll bilanzierte Trinknahrung zum Einsatz, sogenannte Astronautenkost, die den gesamten Nährstoffbedarf deckt, sofern der Patient eine ausreichende Menge davon trinkt. Bei schwerer Abwehrschwäche, etwa nach einer Chemotherapie, darf nur keimarme Nahrung verzehrt werden, um Infektionen mit Bakterien und Pilzen vorzubeugen. Künstliche Ernährung: Der Patient kann nicht mehr auf natürlichem Wege essen. Er muss deshalb künstlich ernährt werden. Dazu gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: Enterale Ernährung: Statt der normalen Nahrung wird eine für die Art der Krankheit geeignete Sondenkost über eine Magen- oder PEG-Sonde in den Verdauungstrakt eingebracht. Wann immer möglich wird dieser Zugangsweg bevorzugt, da er der natürlichen Nahrungsaufnahme am nächsten kommt. Parenterale Ernährung: Die in Lösung oder Emulsion befindlichen Nahrungsbestandteile werden als Infusion über einen intravenösen Zugangsweg direkt ins Blut verabreicht. Die Industrie bietet hierzu zahlreiche Produkte an, bei denen die Nahrungskomponenten entweder selbst zusammengestellt werden können (Zwei- oder Drei-Flaschen-System) oder in einer festen Kombination (All-in-one-Lösungen, Drei-Kammern-Beutel) vorliegen. Enterale und parenterale Ernährung können auch kombiniert werden. Wird als ausschließliche Ernährungsform eine bedarfsdeckende parenterale Ernährung eingesetzt, so spricht man von „totaler parenteraler Ernährung“. Probleme bei der Ernährung Alle Tiere sind auf eine Reihe von Nährstoffen angewiesen, die ihr Körper nicht selbst synthetisieren kann. Diese Nährstoffe nennt man essenziell (lebensnotwendig). Dazu zählen auch Vitamine (), sie werden in geringsten Mengen (µg/kg pro Tag) benötigt und wirken meist als Cofaktoren zu Enzymen. Während Pflanzen keine Vitamine benötigen, kann der Mensch manche Stoffe nicht selbst bilden und ist daher obligatorisch auf deren Zufuhr angewiesen. Von essenziellen Aminosäuren und den essenziellen ungesättigten Fettsäuren Linolsäure und Linolensäure benötigt der Mensch täglich größere Mengen (mg/kg pro Tag). Fehl- und Mangelernährung Entspricht die Menge oder die Zusammenstellung einer Ernährung nicht den Anforderungen des menschlichen Organismus, so spricht man von Fehlernährung oder Mangelernährung. Diese Bezeichnungen werden gelegentlich synonym verwendet; Fehlernährung ist allerdings weiter gefasst als Mangelernährung, da Fehlernährung sowohl eine Unter- als auch eine Überversorgung mit Nahrungsbestandteilen beschreibt. Mangelernährung bedeutet dagegen stets eine Unterversorgung mit bestimmten, essenziellen Nahrungsbestandteilen. Eine Fehlernährung durch Überversorgung, insbesondere mit Nahrungsenergie, wird im Allgemeinen mit der Ernährungssituation in Industrieländern in Verbindung gebracht, während eine Mangelernährung als typisch für Entwicklungsländer gesehen wird. Trotz der allgemeinen Überversorgungen ist die mangelhafte Versorgung mit einzelnen Nahrungsbestandteilen aber auch in Industrieländern eine häufige Krankheitsursache. Hier wird sie durch eine falsche Nahrungszusammensetzung verursacht, tritt aber auch als sekundärer Effekt, zum Beispiel als Folge krankheitsbedingter Malabsorption auf. Spezielle Ernährungsformen wie Vegetarismus sind dagegen an sich keine Ursache von Mangelernährung, sie sind, im Gegenteil, oft sogar mit einem besseren Ernährungsstatus verknüpft. In den Industrieländern ist die Überernährung, als häufigster Faktor der Fehlernährung, für einen großen Teil der hohen und stetig steigenden Kosten im Gesundheitswesen verantwortlich. Übergewicht erhöht das Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen und zwar sowohl direkt, als auch indirekt über die Begünstigung weiterer Risikofaktoren, wie zum Beispiel hohe Cholesterinwerte, Bluthochdruck oder Diabetes mellitus. Sowohl Über- als auch Unterversorgung mit Nahrungsenergie haben zudem einen negativen Einfluss auf das Immunsystem und reduzieren die Infektionsresistenz. Unter den Mangelernährungen ist die Protein-Energie-Malnutrition (PEM), mit den Krankheitsbildern Marasmus und Kwashiorkor, die häufigste Form der Fehlernährung und vor allem in industriell weniger entwickelten Ländern anzutreffen. Weitere in größerem Umfang anzutreffende Formen der Mangelernährung sind Mikronährstoffmängel, insbesondere Anämien sowie Vitamin-A- und Jodmangel. Seltener treten dagegen der Vitamin-D-Mangel mit dem Krankheitsbild der Rachitis, der Vitamin-C-Mangel (Skorbut), Thiaminmangel (Beriberi) und Niacinmangel (Pellagra) auf. Ernährungsbedingte (alimentäre) Krankheiten Fehl- und Mangelernährung können ihrerseits Krankheiten verursachen oder begünstigen, etwa Skorbut bei Vitamin-C-Mangel, Beriberi bei Vitamin-B1-Mangel oder Diabetes mellitus bei Adipositas (starkem Übergewicht). Für diese und andere Krankheiten, vor allem für die Mangelerkrankungen, ist der Zusammenhang mit Fehl- oder Mangelernährung wissenschaftlich bewiesen. Des Weiteren gibt es eine große Zahl an Krankheiten, insbesondere die Zivilisationskrankheiten, für die diskutiert wird, ob sie durch die moderne Ernährungsweise zumindest mitverursacht werden, zum Beispiel Arteriosklerose, Bluthochdruck und Krebs. Einen wissenschaftlichen Nachweis dieser Annahme gibt es bisher nur für wenige Erkrankungen. Generell sind Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krankheit, methodisch bedingt, schwierig nachzuweisen. Für die meisten Zivilisationskrankheiten gibt es höchstwahrscheinlich nicht nur eine einzige Ursache, sondern eine Kombination von Ursachen, darunter genetische Veranlagung, unzureichende körperliche Aktivität, Ernährung und Umwelteinwirkungen. Ernährungspolitik Im globalen Maßstab befasst sich die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen (UNO) mit für die Menschheit zentralen ernährungspolitischen Fragen. Besonders in den sogenannten Entwicklungsländern bekämpft die FAO mit unterschiedlichen Projekten Mangel- und Unterernährung. Dabei werden auch traditionelle Nahrungsquellen neu erschlossen, wie im Projekt Edible Forest, das in tropischen und subtropischen Regionen für den Verzehr von Insekten zur ausreichenden Versorgung mit tierischem Eiweiß wirbt. Auch in puncto Umweltschutz ist unsere Ernährung keineswegs von geringer Bedeutung: ein Drittel der weltweit verursachten Treibhausgas-Emissionen ist auf nicht-nachhaltigen Anbau von Lebensmitteln zurückzuführen. Dabei spielt der hohe Fleischkonsum westlicher Länder eine besonders verheerende Rolle, da die benötigte Menge an Getreide für die zum Teil jahrelange Fütterung eines Masttiers bis zum Zeitpunkt der Schlachtung in keinem Verhältnis zu dem daraus gewonennen Fleisch steht. In Deutschland spielt sowohl auf Bundesebene als auch auf der jeweiligen Landesebene das Thema Ernährung politisch eine Rolle. Während es gegenwärtig auf Bundesebene beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft angesiedelt ist, gibt es in den Bundesländern unterschiedliche Zuständigkeiten, teilweise ist es dort dem Verbraucherschutz zugeordnet. Wichtigste Entwicklung in der Ernährungspolitik ist der Nationale Aktionsplan IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame Initiative von Bund, Ländern und Kommunen zur Verbesserung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens der gesamten deutschen Bevölkerung. Koordiniert wird dieser auf Kabinettsbeschluss von Juni 2008 beruhende Aktionsplan auf Bundesebene in Ernährungsfragen vom BMELV mit Sitz in Bonn. Siehe auch Alternative Ernährung Ernährungsberatung, Ernährungspyramide Ernährungsökologie Ernährungssicherung Ernährungssoziologie Essstörung Anorexie (Magersucht) Binge Eating Bulimie (Ess-Brech-Sucht) Orthorexia nervosa (Orthorexie) Fasten, Heilfasten Fastfood Nahrungsergänzungsmittel Nahrungsmittelindustrie Nurses’ Health Study Nutrigenomik Literatur Deutsch Uwe Spiekermann: Künstliche Kost – Ernährung in Deutschland, 1840 bis heute. 948 Seiten, Göttingen 2018, ISBN 978-3-525-31719-8. aid Infodienst Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz e. V. Bonn (Hrsg.): Ernährung im Fokus. Zeitschrift für Fach-, Lehr- und Beratungskräfte. 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https://de.wikipedia.org/wiki/Proteinbiosynthese
Proteinbiosynthese
Proteinbiosynthese ist die Neubildung von Proteinen in Zellen. Bei diesem für alle Lebewesen zentralen Prozess wird ein Protein durch Verknüpfung verschiedener Aminosäuren aufgebaut, an Ribosomen nach Vorgabe genetischer Information. Die Synthese eines Proteins aus seinen Bausteinen, den proteinogenen Aminosäuren, findet im Rahmen der Genexpression an den Ribosomen statt. Die ribosomale Proteinsynthese wird auch als Translation bezeichnet, da hierbei die Basenfolge einer messenger-RNA (mRNA) in die Abfolge von Aminosäuren eines Peptids übersetzt wird. Dies geschieht, indem fortlaufend jedem Codon der mRNA das entsprechende Anticodon einer transfer-RNA (tRNA) zugeordnet wird und deren jeweils einzeln transportierte Aminosäure an die benachbarte gebunden wird (Peptidbindung), sodass eine Kette mit charakteristischer Aminosäuresequenz entsteht. Dieses Polypeptid kann sich im umgebenden Medium zu einem strukturierten Gebilde dreidimensionaler Form auffalten, dem nativen Protein. Häufig wird es durch Abspaltungen, Umbauten und Anbauten danach noch verändert, posttranslational modifiziert. Während bei prokaryoten Zellen (Procyten) die ringförmige DNA frei im Zytosol vorliegt und die ribosomale Proteinsynthese zumeist unmittelbar und prompt mit der gerade eben erstellten mRNA erfolgt, sind die Verhältnisse bei eukaryoten Zellen (Eucyten) komplizierter. Für das auf mehrere Chromosomen verteilte Genom ist hier mit dem Zellkern (Nukleus) ein eigenes Kompartiment geschaffen, in dessen Karyoplasma auch die Transkription stattfindet. Die primär gezogene RNA-Kopie (hnRNA) wird zunächst stabilisiert, überarbeitet und auf den Kernexport vorbereitet, bevor sie als mRNA eine Kernpore passiert und ins Zytoplasma gelangt, das die Untereinheiten der Ribosomen enthält. Diese räumliche Aufteilung und der mehrschrittige Prozessweg erlauben somit zusätzliche Weisen, eine (hn)RNA posttranskriptional zu modifizieren und darüber die Genexpression zu regulieren beziehungsweise bestimmte RNA-Vorlagen von der Proteinbiosynthese auszuschließen (Gen-Stilllegung). Einige Arten von Bakterien, Archaeen und Pilzen können über ribosomale Proteinsynthese besondere Proteine aufbauen, die als Multienzymkomplexe eine nichtribosomale Peptidsynthese ermöglichen (NRPS). Transkription Im ersten Schritt für eine Proteinbiosynthese in einer Zelle werden Abschnitte von Genen auf der doppelsträngigen DNA aufgesucht, abgelesen und in einzelsträngige RNA-Moleküle umgeschrieben. Bei diesem Vorgang werden der vorliegenden Folge von Nukleinbasen der DNA (Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin) komplementär die Nukleinbasen von RNA-Bausteinen (Uracil, Cytosin, Guanin, Adenin) zugeordnet. In dem dann zum Strang verknüpften RNA-Transkript kommt Ribose anstelle der Desoxyribose und Uracil anstatt Thymin vor. Die genetische Information ist in der Basenfolge enthalten, ein Codogen auf der DNA wird transkribiert zu einem Codon auf der Boten- oder Messenger-Ribonukleinsäure, kurz mRNA genannt. Für die Transkription eines Gens ist neben mehreren anderen Faktoren eine RNA-Polymerase nötig als Enzym, das den fortlaufenden Aufbau des RNA-Polymers abhängig von der DNA-Vorlage katalysiert. Die der Vorlage basenpaarend zugeordneten Ribonukleosidtriphosphate (UTP, CTP, GTP und ATP) als Bausteine werden – jeweils unter Abspaltung zweier Phosphatgruppen der Triphosphate – miteinander zum Polynukleotid einer RNA verknüpft. Dabei kann es unterschiedliche Typen der RNA-Polymerase geben für die Transkription von Genen, die mittels einer mRNA für Proteine codieren, und für die anderer Gene, beispielsweise für die Bildung einer rRNA oder einer tRNA. Bei Eukaryoten findet die Transkription im Zellkern statt; daher muss die mRNA aus dem Kern in das Cytosol exportiert werden, da dort die Translation durchgeführt wird. Prokaryoten hingegen haben kein Kernkompartiment, die Transkription findet hier neben der Translation im Zellplasma statt. Posttranskriptionale Modifikation Spleißen Bei Eukaryoten müssen anschließend an die reine Transkription noch die in der dabei entstandenen prä-mRNA enthaltenen nicht-codierenden Introns herausgeschnitten werden, sodass nur noch die benötigten Exons übrig bleiben. Diesen Vorgang nennt man Spleißen. Zum Erkennen der Introns dienen Consensussequenzen. Beim Spleißen binden unterschiedliche snRNPs im Bereich der Introns und Exon-Intron-Übergänge. Diese führen unter Bildung des Spleißosoms zur Spaltung der Phosphodiesterbindungen und damit dem Herausschneiden der Introns. Gleichzeitig werden die Exons ligiert. Spleißen kommt auch bei rRNA und tRNA vor. Capping Währenddessen findet außerdem das sogenannte Capping statt, bei dem die Stabilität der RNA erhöht wird. Dabei wird eine sogenannte 5'-Cap-Struktur angehängt, wobei das 5' Ende der sich in Synthese befindlichen prä-mRNA zu einer Struktur umgewandelt wird, die als „Cap“ bezeichnet wird und die mRNA vor der Verdauung durch 5'-Exonucleasen und Phosphatasen schützt. Polyadenylierung Bei der Polyadenylierung werden die Poly(A)-Schwänze an das neu entstandene 3'-Ende der RNA (bis zu 250 Nukleotiden lang) angehängt. Dieser Poly(A)-Schwanz erleichtert den Export der mRNA in das Cytoplasma und schützt außerdem das 3'-Ende vor einem enzymatischen Abbau. RNA-Edition Bei der RNA-Edition werden einzelne oder mehrere Nukleinbasen des RNA-Moleküls nach der Transkription verändert (modifiziert), eingefügt (insertiert) oder ausgeschnitten (deletiert). Beispielsweise kann das Editing so auf der mRNA ein neues Stopcodon ergeben, das stromaufwärts des vormaligen liegt; die Translation bricht dann hier ab und es wird die kürzere Isoform eines Proteins gebildet. RNA-Editieren kommt nur bei einigen Organismen, Zellen oder Zellorganellen vor und ist oft auf besondere Nukleotidsequenzen beschränkt. Translation Unter Translation versteht man die Übersetzung der Basensequenz der mRNA in die Aminosäuresequenz des Proteins, die an den Ribosomen geschieht. In der mRNA bilden jeweils drei aufeinander folgende Basen, ein Basentriplett, innerhalb des offenen Leserahmens ein Codon, welches für eine Aminosäure codiert (siehe hierzu genetischer Code). Am Ribosom werden die Codons entsprechend ihrer Abfolge in Aminosäuren translatiert und diese sequentiell zu einem Polypeptid verknüpft. Zur Ausbildung einer Peptidbindung zwischen zwei Aminosäuren müssen sie in räumliche Nähe zueinander gebracht werden. Dazu wird die Oberfläche einer großen supramolekularen Struktur benötigt. Diese Aufgabe erfüllen die Ribosomen, zusammengesetzt aus einer kleinen und einer großen Untereinheit, welche zwei nebeneinanderliegende Bindungsstellen formt: die A-Stelle und die P-Stelle. Da es keine strukturelle Verwandtschaft zwischen einem Codon und der dazugehörigen Aminosäure gibt, wird ein Zwischenstück benötigt, das einerseits die Aminosäure bindet und andererseits das zugehörige Codon auf der mRNA erkennt. Diese vermittelnde Funktion übernehmen Transfer-Ribonukleinsäure-Moleküle, verschiedene tRNAs, als Aminosäuren-„Transporter“ mit Erkennungsregion. Sie besitzen zwei auseinanderliegende exponierte Bindungsstellen: die Aminosäurebindungsstelle und das Anticodon. Die Aminosäurebindungsstellen der tRNAs werden durch die Aminoacyl-tRNA-Synthetasen spezifisch mit der passenden Aminosäure beladen. Die tRNA erkennt mit dem Anticodon das komplementäre Codon auf der mRNA und bindet sich spezifisch daran. Der Translationsprozess als solcher lässt sich in drei Phasen unterteilen: die Initialphase, Elongationsphase und schließlich die Termination: Initialphase Erreicht eine zuvor synthetisierte mRNA ein Ribosom, so wandert die kleine Untereinheit des Ribosoms solange an der mRNA entlang, bis sie auf das Startcodon AUG stößt. Die dazu passende Methionin-tRNA mit dem Anticodon UAC heftet sich an das Codon (Initiationskomplex). Elongationsphase Unter Spaltung von GTP lagert sich nun auch die große Untereinheit des Ribosoms an und die Elongation beginnt. Die Methionin-tRNA befindet sich bei der Initiationsphase auf der P-Bindungsstelle, sodass sich in der A-Bindungsstelle die nächste tRNA anlagern kann. Eine Peptidyltransferase verknüpft das Methionin der ersten tRNA mit der Aminosäure der nachfolgenden tRNA; diese Bildung eines Dipeptids findet in der A-Bindungsstelle statt. Schließlich wandern die Ribosomeneinheiten um ein Basentriplett weiter. Die tRNA mit dem Dipeptid befindet sich nun auf der P-Bindungsstelle, von welcher es die allererste, nun unbeladene tRNA verdrängt hat, und an die freie A-Bindungsstelle kann sich wieder die nächste tRNA anlagern, deren Anticodon komplementär zum Basentriplett des mRNA-Stranges passt. Termination Trifft ein sich an der mRNA entlang bewegendes Ribosom auf eines der drei Stoppcodons, kommt es zunächst zum Stillstand der Translation, da keine passenden tRNA-Moleküle vorhanden sind, welche für eine Aminosäure codiert sind (Suppression). An ihre Stelle treten so genannte Terminations- oder Release-Faktoren (RFs), die an die A-Stelle binden und die Substratspezifität der Peptidyl-Transferase dahingehend verändern, dass ein Wassermolekül anstelle einer AA-tRNA aktiviert wird. Durch dessen nucleophilen Angriff auf die Bindung zwischen Peptidkette und tRNA kommt es schließlich zur Freisetzung des synthetisierten Proteins und zur Trennung der mRNA vom Ribosom. Co- und Posttranslationale Modifikation Die Polypeptidketten einiger Proteine werden schon während der Translation (cotranslational) durch spezielle Enzyme verändert, in den meisten Fällen aber werden Proteine erst nach Abschluss der Translation (posttranslational) modifiziert. Während Chaperone den formgebenden Prozess der Proteinfaltung beeinflussen, von dem auch die Assoziation zu Proteinkomplexen abhängt, verfügt eine Zelle daneben über eine Vielzahl an Möglichkeiten, die Struktur eines Proteins spezifisch abzuwandeln, derart auch funktionell andere Proteinspezies zu schaffen und so durch Modifikationen das Proteom zu erweitern. Zu diesen Modifikationen gehören die Abspaltung von einzelnen endständigen Aminosäuren oder auch die längerer Peptidsequenzen bei Präkursor-Proteinen, die Einführung zusätzlicher Bindungen, z. B. Disulfidbrücken zwischen Cysteinresten, oder funktioneller Gruppen, wie Hydroxylierungen von Aminosäuren (Prolin zu 4-Hydroxyprolin durch die Prolyl-4-Hydroxylase, Lysin zu Hydroxylysin durch die Lysylhydroxylase), sowie Oxidationen (z. B. kovalente Quervernetzungen mittels Lysinresten durch die Lysyloxidase), Carboxylierungen oder Decarboxylierungen und zahlreiche weitere. Beispielsweise entstehen durch Glykosylierungen Glykoproteine, durch Acylierungen und Prenylierungen Lipoproteine. Die einzelnen Schritte von Modifizierungen werden jeweils durch besondere Enzyme katalysiert, deren Vorkommen oft auf bestimmte Organellen, Zellen oder Gewebe beschränkt ist. Außerdem kann die Abfolge modifizierender Schritte bzw. deren zeitlicher Verlauf variiert werden, abhängig von Zellmilieu, Entwicklungsphase oder Umgebungsbedingungen. Das Kollagenmolekül etwa durchläuft eine Reihe posttranslationaler Modifikationen, von denen einige erst im Extrazellularraum stattfinden. Proteintargeting und Proteintransport Da viele Proteine als Zielort () nicht das Zytosol, sondern den Extrazellularraum, die Zellmembran, die Organellen wie Chloroplasten, Mitochondrien, Peroxisomen, Zellkern oder Endoplasmatisches Retikulum haben, hat die Zelle verschiedene Mechanismen, die Proteine dorthin zu verbringen. Diese Proteine enthalten meist eine N- oder auch C-terminale Signalsequenz, die je nach Targetmechanismus sehr unterschiedlich aufgebaut sein kann. In einigen Fällen gibt es keine terminale Signalsequenz, sondern interne Signale der Peptidkette, die über den Zielort des Proteins bestimmt. Proteine, deren Ziel das Endoplasmatische Retikulum (ER) ist, tragen eine spezifische N-terminale Sequenz, die von einem Protein-RNA-Komplex, dem Signal Recognition Particle (SRP), erkannt wird. Der SRP-Peptid-Ribosom-Komplex wird dann zum Endoplasmatischen Retikulum rekrutiert, wo er erkannt und gebunden wird. Die Translation wird durch die Membran fortgesetzt. Durch die anheftenden Ribosomen entsteht der Eindruck eines „rauen ERs“. Siehe Cotranslationaler Proteintransport. Im Endoplasmatischen Retikulum findet die Qualitätskontrolle des neu synthetisierten Proteins statt. Proteine, die in die Chloroplasten verbracht werden müssen, besitzen eine N-terminale Signalsequenz, die gewöhnlich früh phosphoryliert wird. Die Proteine Hsp70, 14-3-3 und Toc64 können weiterhin durch Interaktion mit dem Protein-Vorläufer eine Rolle bei der Erkennung und Weiterleitung spielen. Der Protein-Precursor-Komplex wird nach der Ankunft auf der Oberfläche des Chloroplasten von Rezeptorstrukturen des Translokonapparates der äußeren Chloroplastenmebran (Translocon Of Outer Chloroplast Membrane, TOC) erkannt. Unter GTP-Hydrolyse wird das Protein dann in den Intermembranraum importiert oder direkt durch den Translokonapparat (TIC) der inneren Chloroplastenmembran in das Stroma importiert. Für den Import in die Membran oder das Lumen der Thylakoide werden mindestens 4 Wege genutzt, die als Sec-abhängig, SRP-abhängig, delta-pH/Tat-abhängig oder spontan bezeichnet werden. Für das Mitochondrium wurden für Hefe- und Tierzellen bislang drei verschiedene Import-Wege beschrieben: Der Präsequenz-Importweg, dessen Proteine eine N-terminale amphiphile alpha-Helix tragen. Diese Proteine sind meist für die Matrix, die innere Membran oder den Intermembranraum bestimmt. Der Carrier-Protein-Importweg für Proteine der inneren Membran, welche verschiedene interne Signale tragen. Der Importweg der Proteine der äußeren Hüllmembran, der zur Integration von Proteinen mit beta-Fass-Motiv genutzt wird. Auch hier liegen sequenzinterne Signale vor. Alle drei Importwege beginnen am mitochondrialen Translokonapparat in der äußeren Membran (TOM), welcher verschiedene Rezeptoren besitzt. So erkennen die Rezeptoren Tom20 und Tom22 das N-terminale Signal und leiten das Vorläufer-Protein an die Pore Tom40 weiter. Der Rezeptor Tom70 erkennt die internen Signale der Proteine, die für die äußere Membran bestimmt sind. Nach dem Import in den Intermembranraum trennen sich die Wege: Die Proteine mit beta-Fass-Motiv, welche für die äußere Membran bestimmt sind, werden durch den SAM-Komplex (Sorting and assembly machinery) in die Membran integriert. Die Proteine der anderen beiden Importwege werden zu verschiedenen TIM-Komplexen dirigiert: Proteine mit Präsequenz werden von dem TIM23-Komplex erkannt, Proteine für die innere Membran dagegen vom TIM22-Komplex. Die Präsequenz wird durch das Enzym MPP () entfernt. Neben den oben beschriebenen Signalsequenzen ermöglicht eine Glykosylierung ein Targeting für den Einbau in die Zellmembran bzw. für die Exozytose. Beide Wege führen meist über Golgi-Vesikel. Siehe auch Ein-Gen-ein-Polypeptid-Hypothese Analbuminämie Agammaglobulinämie Weblinks Zeigt die Synthese und Prozessierung der mRNA Vereinfachtes Schema der Proteinbiosynthese Einzelnachweise Genetik Biologischer Prozess Biochemie
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https://de.wikipedia.org/wiki/Edsger%20W.%20Dijkstra
Edsger W. Dijkstra
Edsger Wybe Dijkstra ( ; * 11. Mai 1930 in Rotterdam; † 6. August 2002 in Nuenen) war ein niederländischer Informatiker. Er war der Wegbereiter der strukturierten Programmierung. 1972 erhielt er den Turing Award für grundlegende Beiträge zur Entwicklung von Programmiersprachen. Leben Edsger Dijkstra wurde als Sohn eines Chemikers und einer Mathematikerin geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums Erasmianum in Rotterdam studierte er ab 1948 Mathematik und theoretische Physik an der Universität Leiden. 1951 erreichte er den Bachelor-Grad und besuchte im Anschluss einen Programmierkurs bei Maurice V. Wilkes an der University of Cambridge. Er setzte sein Studium in Leiden fort, arbeitete fortan aber nebenbei am Mathematisch Centrum (heute Centrum Wiskunde & Informatica – Zentrum für Mathematik und Informatik) in Amsterdam. Sein Betreuer dort war Direktor Adriaan van Wijngaarden, der ihn auch überredete, gänzlich zum Programmieren zu wechseln, statt mit voller Kraft theoretische Physik zu treiben. 1956 erreichte er den Master-Grad und ging als Vollzeitangestellter zum Mathematisch Centrum. Dijkstra wird als erster Programmierer der Niederlande bezeichnet und schrieb 1959 an der Universität von Amsterdam seine Doktorarbeit über die vom Mathematisch Centrum entwickelte Electrologica X1, deren grundlegende Software er schrieb. 1962 wurde Dijkstra Mathematikprofessor an der Technischen Hochschule Eindhoven. An anderswo bereits angebotene Informatik-Lehrstühle wollte er nicht, da er hierfür noch keine ausreichende wissenschaftliche Grundlage sah. Dennoch bot er seinen Studenten die Möglichkeit, sich nach mindestens drei Jahren mathematischem Studium auf Themen der Informatik zu spezialisieren. Er blieb weiter der Ansicht, dass ein Studium der Informatik stark mathematisch geprägt und etwa ein Einführungskurs für Programmierung eine formalmathematische Veranstaltung frei von Programmiersprachen zu sein habe. Ab 1973 schränkte er seine Tätigkeit an der Universität auf eine außerordentliche Professorenstelle, repräsentiert durch den von ihm etablierten Eindhoven Tuesday Afternoon Club, ein, wo er dienstagnachmittags mit Kollegen wissenschaftliche Probleme und die neuesten Veröffentlichungen besprach, und wurde hauptamtlich Research Fellow der Burroughs Corporation. 1984 wechselte er auf den Schlumberger Centennial Chair in Computer Sciences an der University of Texas at Austin. 1999 wurde er emeritiert. Dijkstra starb an Krebs in seinem Heim in Nuenen. Er hinterließ seine Frau Ria, welche er 1957 geheiratet hatte, sowie drei Kinder. Zu seinen Doktoranden gehören Arie Habermann und Martin Rem. Wirken Unter seinen Beiträgen zur Informatik finden sich der Dijkstra-Algorithmus zur Berechnung eines kürzesten Weges in einem Graphen (1959 in einem dreiseitigen Artikel veröffentlicht), die erstmalige Einführung von Semaphoren zur Synchronisation zwischen Threads und das damit zusammenhängende Philosophenproblem sowie der Bankieralgorithmus. Des Weiteren stammt von ihm der Shunting-yard-Algorithmus, ein Algorithmus für die Überführung mathematischer Terme von der Infixnotation in die umgekehrte polnische Notation oder in einen abstrakten Syntaxbaum. Basierend auf diesen Erfahrungen entwarf er das Multitasking-Betriebssystem THE (nach Technische Hogeschool Eindhoven), das für seine Schichtenstruktur bekannt wurde. Niklaus Wirth berichtet, dass Dijkstra im Rahmen dieser Arbeit erkannte, nicht für Teamarbeit geeignet zu sein, und fortan nur noch alleine arbeitete. Ende der 1950er Jahre war Dijkstra am Entwurf von Algol 60 beteiligt, 1960 stellte er den ersten Compiler dafür fertig. Ferner entwarf er den Sortieralgorithmus Smoothsort und entdeckte den Algorithmus von Prim (auch Prim-Dijkstra-Algorithmus oder Algorithmus von Jarnik, Prim und Dijkstra) wieder. Dijkstra schrieb über 1300 Manuskripte fachlicher und privater Natur, die er fotokopierte und jeweils an etliche Kollegen postalisch versendete, meist aber nicht veröffentlichte. Heute sind viele dieser sogenannten EWD-Manuskripte (nach seinen Initialen) in einem Online-Archiv gesammelt. Für die Burroughs Corporation schrieb er über 500 wissenschaftliche Berichte. Seine populärste Abhandlung ist Go To Statement Considered Harmful über den Goto-Befehl und warum er nicht benutzt werden sollte. Er führte den Begriff der strukturierten Programmierung in die Informatik ein und popularisierte in seiner Turing-Lecture The Humble Programmer auch den Begriff der Softwarekrise, den er als regelmäßiger Redner an Friedrich L. Bauers International Summer School Marktoberdorf dort aufgenommen hatte. Auszeichnungen (Auswahl) 1971: Mitglied der Königlich-Niederländischen Akademie der Wissenschaften 1971: Distinguished Fellow der British Computer Society 1972: Turing Award 1975: Auslands-Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Sciences 1976: Ehrendoktortitel der Queen’s University of Belfast 1982: Computer Pioneer Award der IEEE 2001: Ehrendoktortitel der Wirtschaftsuniversität Athen 2002: C&C-Preis der NEC Corporation 2002: Dijkstra-Preis, der PODC Influential Paper Award, der nach seinem Tod ihm zu Ehren benannt wurde. Schriften (Auswahl) A Note on Two Problems in Connexion with Graphs. Numerische Mathematik 1 (1959), S. 269–271 Go To Statement Considered Harmful. Communications of the ACM 11, 3 (1968), S. 147–148 (PDF) Cooperating sequential processes. In: F. Genuys (Hrsg.): Programming Languages: NATO Advanced Study Institute. Academic Press, 1968, S. 43–112. Mit Ole-Johan Dahl und Tony Hoare: Structured Programming. Academic Press, London, 1972, ISBN 0-12-200550-3 (enthält auch die 1970 geschriebenen und zuvor unveröffentlichten Notes on Structured Programming) Selected Writings on Computing: A Personal Perspective. Springer NY (1982) Mit Carel S. Scholten: Predicate Calculus and Program Semantics. Springer-Verlag, 1990, ISBN 0-387-96957-8 Weblinks E. W. Dijkstra Archive. Seine Manuskripte (auch Tagebücher) und andere Veröffentlichungen, Lebenslauf, Nachrufe, Videos (englisch) Einzelnachweise Informatiker Graphentheoretiker Träger des Turing Award Hochschullehrer (University of Texas at Austin) Hochschullehrer (Technische Universität Eindhoven) Mitglied der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften Mitglied der American Academy of Arts and Sciences Ehrendoktor der Queen’s University Belfast Ehrendoktor einer Universität in Griechenland Niederländer Geboren 1930 Gestorben 2002 Mann
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Eichen
Die Eichen (Quercus), von althochdeutsch eih („Eiche, Eichbaum, Eichenbaum“) sind eine Pflanzengattung in der Familie der Buchengewächse (Fagaceae). Beschreibung Vegetative Merkmale Eichen-Arten sind sommergrüne oder immergrüne Bäume, seltener auch Sträucher. Die wechselständig und spiralig an den Zweigen angeordneten Laubblätter sind meist in Blattstiel und Blattspreite gegliedert. Die dünnen bis ledrigen, einfachen Blattspreiten sind gelappt oder ungelappt. Die Blattränder sind glatt oder gezähnt bis stachelig gezähnt. Die unscheinbaren, extrapetiolaren Nebenblätter fallen früh ab (nur bei Quercus sadleriana sind sie auffälliger). Je nach Standort und Sorte kann eine Eiche etwa 30 bis 40 Meter hoch und in manchen Fällen über 1000 Jahre alt werden. Generative Merkmale Eichen-Arten sind einhäusig gemischtgeschlechtig (monözisch). Die meist zu mehreren an der Basis junger Zweige sitzenden Blütenstände sind eingeschlechtig. Die Blüten sind sehr einfach gebaut, wie es bei windbestäubten (anemophilen) Taxa häufig der Fall ist. Die männlichen Blüten sind in hängenden Blütenständen (Kätzchen) zusammengefasst. Die Blütenhüllblätter sind verwachsen. Die männlichen Blüten enthalten meist sechs (zwei bis zwölf) Staubblätter, es sind manchmal reduzierte Pistillode (sterile Stempel), in Form von Haarbüscheln, vorhanden. Die weiblichen Blüten enthalten meist drei (bis sechs) Fruchtblätter und einen Stempel mit mehreren Griffeln. Jede Cupula (Fruchtbecher, Hütchen) enthält nur eine weibliche Blüte. Eichen sind insbesondere an ihrer Frucht, der Eichel (von althochdeutsch eihhila „das Junge der Eiche“), früher auch Ecker genannt, zu erkennen und in den einzelnen Arten zu unterscheiden. Die Eichel ist eine Nussfrucht. Sie reifen im ersten oder zweiten Jahr nach der Bestäubung. Jede Nussfrucht ist von einem Fruchtbecher umgeben. Die Chromosomengrundzahl beträgt x = 12. Ökologie Schon von Alters her ist den Menschen aufgefallen, dass Eichen eine ungewöhnliche Vielfalt von Insekten beherbergen (bis zu 1000 Arten in einer Krone). Die Spezialisierung zahlreicher Insekten-Arten auf Quercus-Arten gilt als ein Zeichen des hohen entwicklungsgeschichtlichen Alters (Koevolution). Viele Eichenarten (vor allem Korkeichen und mediterrane kalifornische Eichenarten) sind durch ihre dicke und gut regenerationsfähige Rinde gut an Brände angepasst. Zudem keimen ihre Eicheln gut und gern auf abgebranntem, konkurrenzfreiem Boden, was sie zu typischen Arten von Feuerökosystemen der Subtropen macht. Eichen-Arten sind Nahrungshabitat der Raupen von vielen Schmetterlingsarten. Sie wird in Mitteleuropa nur von der Salweide übertroffen. Beide beherbergen über 100 Arten. Standorte der Eichen-Arten in Mitteleuropa In Deutschland nehmen die Eichen nach der Dritten Bundeswaldinventur (2012) mit einer Fläche von 1,1 Millionen Hektar einen Anteil von 11,6 Prozent an der Waldfläche ein. Die Eichenfläche in den deutschen Wäldern hat sich zwischen 2002 und 2012 um 70.000 Hektar vergrößert. Die Eichen sind damit nach der Rotbuche die zweithäufigste Laubbaumgattung in Deutschland. Es handelt sich dabei hauptsächlich um die einheimischen Eichenarten Stieleiche und Traubeneiche. Die aus Nordamerika eingeführte Roteiche nimmt mit einer Fläche von 55.000 Hektar nur einen Anteil von 0,5 Prozent ein. Eichen-Arten traten bereits im Tertiär auf. Sie finden sich fossil schon vor zwölf Millionen Jahren, etwa in Sedimenten der Niederrheinischen Bucht. Das im oligozänen/eozänen Baltischen Bernstein sehr häufige Sternhaar wird ebenfalls Eichen zugeschrieben. Auch Eichenblüten sind im Baltischen Bernstein nicht selten. Sehr gut belegt sind Eichen durch fossile Pollen (u. a. aus dem Miozän Österreichs, Islands, und dem Eozän Grönlands und der Vereinigten Staaten), die auf Grund ihrer Ornamentierung bestimmten Sektionen bzw. evolutionären Linien zugeordnet werden können. Aus der Verbreitung von fossilem Pollen und darauf basierenden molekularen Uhren kann geschlossen werden, dass die heutigen Hauptabstammungslinien der Eichen im unteren Eozän entstanden und diversifizierten. Im Paleozän Grönlands sowie der Oberen Kreide der Vereinigten Staaten konnten verschiedenste Pollen von sowohl ausgestorbenen als auch noch lebenden Fagaceae (Buchengewächse) nachgewiesen werden, Eichen fehlen jedoch. Die Zuordnung einiger kreidezeitlicher Pflanzenfossilien zu Quercus bzw. Quercophyllum ist indes umstritten. Systematik und Verbreitung Bei dem römischen Autor Quintus Ennius (239–169 v. Chr.) findet sich der früheste literarische Beleg für den lateinischen Namen einer Quercus-Art, 'quercus'. Die Gattung Quercus wurde durch Carl von Linné 1753 in Species Plantarum, Tomus II, S. 994 und 1754 in Genera Plantarum, 5. Auflage, S. 431 aufgestellt. Die Gattung Quercus wird bei Denk et al. 2017 in die (primär) neuweltliche Untergattung Quercus (Diversitätsmaximum in Nord- und Mittelamerika, ~ 30 Arten in Europa und Asien) mit fünf Sektionen, Quercus (Weißeichen im engeren Sinne), Lobatae (Roteichen), Ponticae, Protobalanus und Virentes (Engl. live oaks), und die altweltliche Untergattung Cerris mit drei Sektionen, Cerris (Zerreichen im engeren Sinne), Cyclobalanopsis und Ilex, unterteilt. Die klassische Unterteilung des letzten Jahrhunderts in zwei Untergattungen (oder Gattungen), zurückgehend auf Andres Sandø Ørsted, Cyclobalanopsis (sektion Cyclobalanopsis) und Quercus (alle anderen Eichen) fand keine Entsprechung in molekular-phylogenetischen Stammbäumen. Quercus-Arten gibt es in Nordamerika, Mexiko, auf den Karibischen Inseln, in Zentralamerika, in Südamerika nur in Kolumbien, in Eurasien und in Nordafrika. Quercus ist die wichtigste Laubbaumgattung der Nordhalbkugel. Ein Schwerpunkt der Artenvielfalt ist Nordamerika. Die Gattung Quercus enthält 400 bis 600 Arten, davon mindestens 280 in der Untergattung Quercus und mindestens 140 in der Untergattung Cerris. Hier eine Arten-Auswahl: Untergattung Quercus Sektion Quercus; Synonyme: (Eu-)Lepidobalanus, Leucobalanus, Mesobalanus; Weiß-Eichen: Sie ist in Eurasien, Nordafrika und Nordamerika verbreitet. Europa, Westasien und Nordafrika: Algerische Eiche (Quercus canariensis ): Sie kommt in Marokko, Algerien, Tunesien, im südlichen Portugal und in Spanien vor. Portugiesische Eiche (Quercus faginea ): Die etwa drei Unterarten kommen in Marokko, Portugal, Spanien und auf den Balearen vor. Ungarische Eiche (Quercus frainetto ): Sie kommt in Süd-Italien, auf dem Balkan und in Ungarn vor. Hartwiss-Eiche (Quercus hartwissiana ): Verbreitet von Bulgarien bis in den Kaukasus. Gall-Eiche (Quercus infectoria ): Die etwa zwei Unterarten kommen von Griechenland bis zum südwestlichen Iran vor. Persische Eiche (Quercus macranthera ): Das Verbreitungsgebiet liegt in der Türkei, im Nord-Iran und im Südosten des Kaukasus. Traubeneiche (Quercus petraea ): Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Italien und Nordgriechenland im Süden bis zu den Britischen Inseln und Südskandinavien im Norden; von Nordspanien im Westen bis Polen, Südwestrussland und dem Schwarzen Meer bis zum nördlichen Iran im Osten. Flaumeiche (Quercus pubescens ): Sie ist von West- über das südliche Mittel-, Süd- und Südosteuropa bis nach Kleinasien und zum Kaukasusraum verbreitet. Pyrenäen-Eiche (Quercus pyrenaica ): Sie kommt im westlichen Mittelmeerraum vor. Stieleiche oder Deutsche Eiche (Quercus robur ): Sie kommt in fast ganz Europa vor sowie im Kaukasus und in der Türkei. Säuleneiche (Pyramideneiche) (Quercus robur f. fastigiata ): Diese Sippe wird als gärtnerische Auslese, also als Sorte 'Fastigiata' betrachtet. Ost-, Südost- und Südasien: Orientalische Weiß-Eiche (Quercus aliena ): Sie kommt in fünf Varietäten von Japan bis Indochina vor. Japanische Kaiser-Eiche (Quercus dentata ): Sie kommt in Japan, Korea, im Westen und Norden von China und im östlichen Russland vor. Quercus lanata : Sie kommt im Himalayagebiet sowie dem südlichen und südöstlichen Asien vor. Mongolische Eiche (Quercus mongolica , Syn.: Quercus crispula ): Sie ist im östlichsten Russland, Nordchina, Korea und im nördlichen Japan verbreitet. Amerika: Amerikanische Weiß-Eiche (Quercus alba ): Sie ist in Nordamerika weitverbreitet. Arizona-Eiche (Quercus arizonica ): Sie kommt von den südlichen US-Bundesstaaten Arizona, New Mexico, Texas bis zu den mexikanischen Bundesstaaten Chihuahua, Coahuila, Durango sowie Sonora vor. Zweifarbige Eiche (Quercus bicolor ): Sie ist in Nordamerika weitverbreitet. Blau-Eiche (Quercus douglasii ): Sie gedeiht in Höhenlagen von 0 bis 1200 Metern nur in Kalifornien. Quercus engelmannii : Sie kommt nur vom südlichen Kalifornien in den USA bis ins nördliche Baja California in Mexiko vor; von der Insel Catalina sind nur wenige kleine Fundorte bekannt. Gambel-Eiche (Quercus gambelii ): Sie kommt in den westlichen, zentralen und südlichen Vereinigten Staaten bis zu den nördlichen mexikanischen Bundesstaaten Chihuahua, Coahuila sowie Sonora vor. Oregon-Eiche (Quercus garryana ) Kalifornische Weiß-Eiche (Quercus lobata ) Leierblättrige Eiche (Quercus lyrata ) Großfrüchtige Eiche (Quercus macrocarpa ): Die vielleicht zwei Varietäten kommen vom südlichen Kanada bis Alabama vor. Korb-Eiche (Quercus michauxii ): Das Verbreitungsgebiet liegt in Nordamerika. Kastanien-Eiche (Quercus montana ): Das Verbreitungsgebiet liegt in Nordamerika. Gelbe Eiche (Quercus muehlenbergii ): Das Verbreitungsgebiet liegt in Nordamerika. Quercus stellata : Kommt in neun Varietäten im Osten und Südosten der Vereinigten Staaten vor. Sektion Lobatae ; Synonym: Erythrobalanus; Roteichen: Sie sind von Nord-, über Zentral- bis Südamerika verbreitet: Quercus acerifolia : Sie kommt in Arkansas vor. Kalifornische Steineiche (Quercus agrifolia) : Sie kommt vom westlichen Kalifornien bis ins mexikanische Baja California Norte vor. Quercus arkansana : Sie kommt im östlichen Texas, in Arkansas, Louisiana, Alabama, Georgia, im nordwestlichen Florida und vielleicht auch in Mississippi vor. Quercus buckleyi : Sie kommt in den US-Bundesstaaten Oklahoma sowie Texas vor. Quercus canbyi (Syn.: Quercus graciliformis ): Sie kommt von Texas bis ins nordöstliche Mexiko vor. Scharlach-Eiche (Quercus coccinea ) Quercus ellipsoidalis : Sie kommt in den Vereinigten Staaten und im südwestlichen Ontario vor. Quercus emoryi : Sie kommt von Arizona bis ins westliche Texas und ins nördliche Mexiko vor. Sichelblättrige Eiche (Quercus falcata ) Quercus georgiana : Sie kommt in den US-Bundesstaaten Georgia, Alabama, North Carolina und kam früher auch in South Carolina vor. Quercus gravesii : Sie kommt vom südwestlichen Texas bis zu mexikanischen Bundesstaat Coahuila vor. Quercus hemisphaerica : Sie kommt von den südöstlichen Vereinigten Staaten bis Texas vor. Mexikanische Weideneiche (Quercus hypoleucoides ): Sie kommt in den südwestlichen USA sowie im nordwestlichen Mexiko vor. Busch-Eiche (Quercus ilicifolia ) Schindel-Eiche (Quercus imbricaria ) Quercus incana : Sie kommt von den südöstlichen Vereinigten Staaten bis Oklahoma und Texas vor. Quercus inopina : Sie kommt nur in Florida vor. Kalifornische Schwarzeiche (Quercus kelloggii ) Gabel-Eiche (Quercus laevis ): Sie kommt in den südöstlichen Vereinigten Staaten vor. Quercus laurifolia : Sie kommt von den südöstlichen Vereinigten Staaten bis Oklahoma und Texas vor. Schwarz-Eiche (Quercus marilandica ) Myrtenblättrige Eiche (Quercus myrtifolia ): Sie kommt in den südöstlichen Vereinigten Staaten vor. Wasser-Eiche (Quercus nigra ): Sie kommt in den zentralen und in den östlichen Vereinigten Staaten vor. Quercus pagoda : Sie kommt in den östlichen, den südöstlichen und den zentralen Vereinigten Staaten vor. Sumpf-Eiche (Quercus palustris ) Quercus parvula : Auf Santa Cruz Island und an der Küste Kaliforniens. Quercus phellos Quercus pumila : Sie kommt in den südöstlichen Vereinigten Staaten vor. Quercus robusta : Dieser Endemit kommt nur in den Chisos Mountains in Texas vor. Roteiche (Quercus rubra ) Shumards-Eiche (Quercus shumardii ): Sie kommt in drei Varietäten in den zentralen und den östlichen Vereinigten Staaten sowie im südlichen Ontario vor. Quercus tardifolia : Sie kommt von den Chisos Mountains in Texas bis zum mexikanischen Bundesstaat Coahuila vor. Quercus texana : Sie kommt in den zentralen und in den südöstlichen Vereinigten Staaten vor. Färber-Eiche (Quercus velutina ) Quercus viminea : Sie kommt im nördlichen und westlichen Mexiko und im südlichen Arizona vor. Quercus wislizeni : Sie kommt in zwei Varietäten in Kalifornien und im mexikanischen Bundesstaat Baja California Norte vor. Sektion Protobalanus : Die etwa fünf Arten kommen von den südwestlichen Vereinigte Staaten bis ins nordwestliche Mexiko vor: Quercus chrysolepis Quercus palmeri : Sie kommt im südlichen Kalifornien, in Arizona und in Mexiko im nördlichen Baja California vor. Quercus tomentella : Sie kommt auf den kalifornischen Kanalinseln, im mexikanischen Bundesstaat Baja California und auf der Insel Guadalupe vor. Quercus vacciniifolia : Sie kommt in den US-Bundesstaaten südwestliches Oregon, westliches Nevada und Kalifornien vor. Sektion Ponticae , je eine Art in Europa (Kaukasus) und im westlichen Nordamerika (Oregon, Kalifornien): Armenische Eiche (Quercus pontica ) Quercus sadleriana : Vorwiegend in den Klamath Mountains, morphologisch sehr ähnlich Quercus pontica und genetisch als einzige Schwesterart aufgelöst. Sektion Virentes : Die etwa sieben Arten sind von den südöstlichen Vereinigte Staaten über Mexiko bis Costa Rica und Kuba verbreitet: Quercus brandegeei : Sie kommt im nördlichen Mexiko vor. Quercus cubana (Syn.: Quercus sagraeana ): Sie kommt im westlichen Kuba vor. Quercus geminata : Sie kommt in den südöstlichen Vereinigten Staaten vor. Quercus fusiformis : Sie kommt vom südwestlichen Oklahoma bis ins nordöstliche Mexiko vor. Quercus minima : Sie kommt in den südöstlichen Vereinigten Staaten vor. Quercus oleoides : Sie kommt von Mexiko bis Costa Rica vor. Virginia-Eiche oder Lebens-Eiche (Quercus virginiana ) Untergattung Cerris Sektion Cerris ; Zerr-Eichen; Vorkommen: Europa, Nordafrika, Asien: Japanische Kastanien-Eiche, auch „Gesägte Eiche“ oder „Seidenraupen-Eiche“ (Quercus acutissima ) Kastanienblättrige Eiche (Quercus castaneifolia ) Zerr-Eiche (Quercus cerris ) Quercus ithaburensis Es gibt etwa zwei Unterarten: Quercus ithaburensis subsp. ithaburensis: Sie kommt von der zentralen und südlichen Türkei bis ins nordwestliche Jordanien vor. Quercus ithaburensis subsp. macrolepis (Syn.: Quercus macrolepis ): Sie kommt im südöstlichen Italien und von der Balkanhalbinsel bis Syrien vor. Quercus ithaburensis subsp. macrolepis var. aegaeica : Die Laubblätter bei dieser Variation sind breiter und noch weißlicher, die Baumkrone ist elliptisch flach. Vorkommen im südöstlichen Griechenland, auf den ägäischen Inseln und südwestliche Küsten der Türkei. Libanon-Eiche (Quercus libani ) Quercus serrata : Sie kommt in weiten Gebieten Chinas, in Taiwan, Korea und Japan vor. Korkeiche (Quercus suber ) Mazedonische Eiche (Quercus trojana ) Chinesische Korkeiche (Quercus variabilis ): Sie kommt in weiten Gebieten Chinas, in Taiwan, Korea und Japan vor. Sektion Cyclobalanopsis ; Vorkommen: Asien: Immergrüne Japanische Eiche, auch Japanische Roteiche genannt (Quercus acuta ): Sie ist eine wichtige Baumart in immergrünen Lorbeerwäldern in Japan, Südkorea und Taiwan. Blaue Japanische Eiche (Quercus glauca ): Sie kommt vom Himalaja bis Japan vor. Kerr-Eiche (Quercus kerrii ) Bambusblättrige Eiche, auch Japanische Weißeiche genannt (Quercus myrsinifolia ): Sie kommt in Japan, in Korea und von China bis Indochina vor. Sektion Ilex ; Synonym: Heterobalanus; Vorkommen: Nordafrika, Europa, Asien: Erlenblättrige Eiche (Quercus alnifolia ) Kermeseiche (Quercus coccifera , inkl. Quercus calliprinos ) Steineiche (Quercus ilex ) Quercus rotundifolia : Wird von manchen Autoren auch als Unterart Quercus ilex subsp. rotundifolia der Steineiche angesehen. Informationen zu den in Mitteleuropa häufig zu findenden Arten Die in Mitteleuropa heimische Stiel- und Traubeneiche sind typische Arten der Weißeichen, wobei diese beiden Arten in weiten Bereichen gemeinsam vorkommen und zur Bastardisierung neigen, daher häufig nicht eindeutig zu differenzieren sind. Sie sind sogenannte Lichtbaumarten, das heißt, sie benötigen im Wachstum mehr Licht als etwa die Rotbuche und bilden selbst offene, lichte Kronen. Die Nutzung von Wäldern zur Waldweide (Hutewald) hat deshalb die Ausbildung von Eichenwäldern gefördert, weil die weidenden Tiere den Nachwuchs der Rotbuchen gehemmt haben, da dieser schlechter mit Verbiss zurechtkommt und ein geringeres Ausschlagvermögen aufweist. Das verkernende Holz der Weißeichen ist sehr dauerhaft und wurde viel im Schiffbau verwendet. Die beiden in Mitteleuropa heimischen Arten bieten weit über 500 Insektenarten einen Lebensraum. Weitere Informationen siehe Hauptartikel dieser beiden Arten. Zur ursprünglich im östlichen Nordamerika heimischen Roteiche, die in den Gemäßigten Gebieten angepflanzt wird, siehe Hauptartikel. Kultur Religion In den alten Religionen, Mythen und Sagen war die Eiche ein heiliger Baum. Häufig wurde sie mit blitztragenden Göttern oder Götterfürsten in Verbindung gebracht. Christentum: Die Eiche galt als Lebensbaum, sie stand in ihrem dauerhaften Holz und dem langen Leben des Baumes für das ewige Leben und das ewige Heil. Auch wurde der Baum mit der glaubensstarken Heiligen Maria in Verbindung gebracht. Die Eiche findet sich in der Gotik und der frühen Neuzeit etwa auf Bibeleinbänden. Antikes Griechenland: dem Zeus geweiht bei den Griechen (Eichenorakel von Dodona) Rom: dem Jupiter geweiht bei den Römern, Kelten: Dem Himmelsherrscher und Wettergott Taranis gewidmet. Durch den römischen Geschichtsschreiber Plinius dem Älteren ist überliefert, dass die Kelten ohne Eichenlaub keine kultischen Handlungen vollzogen. Nach einer Herleitung könnte das Wort Druide für Priester von der festlandkeltischen Wurzel dru abgeleitet sein. Germanen: dem Gewittergott Donar (= Thor) geweiht. Der Legende nach fällte der heilige Bonifatius (Apostel der Deutschen) im Jahr 723 die Donareiche bei Geismar, um den zu bekehrenden Heiden zu beweisen, dass ihr Gott ein ohnmächtiges Wesen sei, das nicht einmal seinen Baum schützen könne. Recht Wegen der religiösen Bedeutung wurde unter den Eichen (wie auch unter Linden) Gericht gehalten (Gerichtsbäume, zum Beispiel Femeiche). Symbolik Symbol für die Ewigkeit (ein Eichenleben überdauert 30 Generationen) „Eichenbaum“ Deutschland: seit dem 18. Jahrhundert typischer deutscher Wappenbaum; insbesondere von Klopstock beförderter deutscher Nationalbaum – Bräutigamseiche, ein Naturdenkmal in Schleswig-Holstein Großbritannien Vereinigte Staaten „Doppeleiche“ Symbol für die Einheit Schleswig-Holsteins. In vielen Dörfern des Landes wurden um 1900 Doppeleichen, das heißt zweistämmige Eichen, gepflanzt. Im Schleswig-Holstein-Lied heißt es: Teures Land, du Doppeleiche, unter einer Krone Dach. „Eichenlaub“ Ornament in der Gotik Bestandteil von militärischen Rang- oder Ehrenzeichen: Schulterstücke der Stabsoffiziere und Generale der deutschen und vieler anderer Armeen. Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes Barettabzeichen der Jägertruppe der Bundeswehr (leichte Infanterie) Uniformzeichen der Absolventen des Einzelkämpferlehrgangs der Bundeswehr Bestandteil deutscher Münzen Vorderseiten vieler Münzen der Goldmark, Reichsmark, Mark der DDR und Deutschen Mark Rückseiten der Pfennigstücke der Deutschen Mark (1–10 Pfennig Eichenlaub, 50 Pfennig Eichen-Pflanzerin) Rückseiten der deutschen Euromünzen zu 1, 2 und 5 Cent. „Eicheln“ Blattfarbe im Deutschen Blatt und im Schweizer Blatt (Kartenspiel) „Eichenkranz“ Bürgerkrone im Römischen Reich Aufhängung des finnischen Ordens des Freiheitskreuzes Parteiabzeichen der NSDAP; der Adler als Hoheitszeichen hielt einen Eichenkranz in den Fängen Umfassung der Barettabzeichen der Bundeswehr „Friedenseiche“ Friedenseichen wurden in Deutschland an vielen Orten als Symbol gepflanzt, insbesondere nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870–1871. Widerstandseiche Beispiel: Als am 30. Mai 1989 der Baustopp der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf bekannt gegeben wurde, pflanzte man in Pfreimd als Symbol für eine „unverstrahlte“ Zukunft eine Widerstands-Eiche. „Olympia-Eiche“ Anlässlich der Siegerehrung der Goldmedaillengewinner bei den Olympischen Sommerspielen 1936 wurde zusätzlich ein Eichensetzling in einem Tontopf mit der Aufschrift „Wachse zur Ehre des Sieges – rufe zur weiteren Tat“ überreicht. Lieder Auch im deutschen Liedgut kommt der Eiche eine herausragende Bedeutung bei, wie etwa beim Niedersachsenlied: „(…) Fest wie uns’re Eichen halten allezeit wir stand, wenn Stürme brausen über’s deutsche Vaterland.“ Im Album Baumlieder 1 "Bäume des Nordens" besingt Liedermacher Roland Zoss die Bäume, u. a. die Eiche und ihre Bewohner. Sonstiges Der Volksmund legt nahe, dass Eichen häufiger als andere Bäume vom Blitz getroffen werden („Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen“). Diese Aussage ist unwahr, vergleiche auch den Artikel über Blitze, Abschnitt „Verhalten bei Gewittern“. Der Künstler Joseph Beuys präsentierte in Kassel zur documenta 7 das Werk „7000 Eichen“. Die Eiche ist der Baum des Jahres 2016 in Österreich. Nutzung Eichenholz (Stiel- und Traubeneiche) Eichenstämme haben in ihrer Mitte das graubräunliche Kernholz, welches durch die eingelagerte Gerbsäure den typischen sauer-würzigen Eichengeruch erhält; zur Rinde hin und scharf abgegrenzt sind zwei bis fünf Zentimeter helles, junges, noch saftdurchflossenes Holz, das Splintholz. Das Holz der Stiel- und Traubeneiche hat eine Rohdichte bei Darrfeuchte (p0) von 0,39 bis 0,93 g/cm³, im Mittel 0,65 g/cm³, es ist hart und gut spaltbar. Weitere technische Daten: Elastizitätsmodul aus Biegeversuch E: 13.000 N/mm², Zugfestigkeit längs Sigma ZB: 110 N/mm², Druckfestigkeit längs Sigma DB: 52 N/mm², Biegefestigkeit längs Sigma BB: 95 N/mm², Bruchschlagarbeit Omega 60–75 kJ/m², Härte nach Brinell: längs 64–66 N/mm², quer 34–41 N/mm² Das wertvolle Hartholz gut gewachsener Stämme wird bevorzugt zu Furnieren verarbeitet. Eichenes Kernholz hat eine hohe Verrottungsbeständigkeit und wird selten von Wurmfraß befallen. Splint dagegen sehr schnell. Das Kernholz von Stiel- und Traubeneiche wird einer höheren Dauerhaftigkeitsklasse zugeordnet als die heimischen Nadelhölzer und die meisten Laubhölzer wie etwa Ahorn, Birke, Buche, Erle, Esche, Linde, Meranti, Roteiche und Ulme. Das Holz von Eiche und Esche ähnelt sich in Färbung und Maserung und ist leicht zu verwechseln. Eichenholz wird für Möbel, Treppen, Fußböden, Außentüren und Fenster, Fachwerk und im Wasserbau eingesetzt. Von allen Eichenarten eignen sich nur ungefähr 180 zur Herstellung von Weinfässern, siehe auch Barrique. Eichenholzchips werden zur Aromatisierung von Wein verwendet. Eichenholz ist ein gutes Brennholz mit geringem Funkenflug. Sein Flammenbild ist jedoch nicht so schön wie bei Buchen- und Birkenholz oder bei Obsthölzern; außerdem ist der Heizwert etwas niedriger als bei der Rotbuche. Mooreiche Eine Besonderheit stellt die Mooreiche dar. Dabei handelt es sich nicht um eine Baumart, sondern um Eichenstämme, die über Jahrhunderte in Mooren, Sümpfen oder in Flussufern gelegen hatten und ausgegraben wurden. Die Gerbsäure des Eichenholzes verbindet sich mit den Eisensalzen des Wassers, wodurch das Holz sehr hart wird und sich stark verfärbt. Die Verfärbung kann sehr unregelmäßig sein und variiert von hellgrau über dunkelgelb, dunkelbraun, blaugrau bis tiefschwarz. Diese subfossilen Eichen können 600 bis 8500 Jahre alt sein. Eicheln Die Früchte (Eicheln) sind reich an Kohlenhydraten und Proteinen und wurden zur Eichelmast genutzt. Man trieb die Schweine zur Waldweide in die Wälder, die häufig als Mittelwald betrieben wurden. In ur- und frühgeschichtlicher Zeit sowie in Notzeiten wurden Eicheln von Menschen als Nahrungsmittel genutzt. Von nordamerikanischen Indianern (z. B. den Maidu) wurden Eicheln regelmäßig als Grundnahrungsmittel genutzt. Zur Verwendung als Nahrung müssen die geschälten und zerstoßenen Eicheln durch mehrmaliges Baden in Wasser allmählich von den wasserlöslichen Gerbstoffen befreit werden, was sich durch die ausbleibende Verfärbung des Wassers leicht erkennen lässt, wobei eine höhere Temperatur den Vorgang beschleunigt. Sie enthalten in hohen Mengen Tannine. Danach können sie, zum Beispiel als Mehlersatz für Breie und Kuchen oder als Kaffeeersatz „Muckefuck“, verarbeitet werden. Bei letzterer Verwendung wird die Gerbsäure teilweise auch im Mehl belassen, etwa aus medizinischen Gründen. In Korea wird die rohe Eichelnpaste zu Dotori-muk () verarbeitet, ein Eichengelee, eine Form davon ist Dotori-muk muchim (), auch Eichennudeln werden hergestellt; eine koreanische Form ist Dotori-guksu (), in Japan gibt es ähnliche. Eichel-Malz eignet sich zur Bierherstellung. Rinde Die den Gerbstoff Tanninsäure enthaltende Eichenrinde, etwa von Quercus robur, wurde seit der Antike zum Färben bzw. zur Herstellung von Textilfarben benutzt und fand auch Verwendung in der Heilkunde. Aus der jungen, glatten Rinde wurden Gerbstoffe für die Lohgerberei gewonnen (Eichenschälwald). Die in der Eichenrinde enthaltene Gallussäure wurde in Verbindung mit Eisensalzen zur Herstellung von Eisengallustinte verwendet. Die Borke der Korkeiche (Quercus suber) wird als Kork zur Herstellung von Korken, Korkfußböden und mehr verwendet. In der Volksheilkunde wurde borkenlose Eichenrinde genutzt, um Entzündungen der Schleimhäute zu heilen. Gallen Aus den Galläpfeln (Knoppern, lateinisch gallae), die von der gemeinen Eichengallwespe hervorgerufen werden, hat man früher dokumentenechte Eisengallustinte gewonnen oder sie zum Färben und Gerben verwendet. Fruchtbecher Die Fruchtbecher (Cupulae, hier Eichelkelche) einiger Arten (auch Wallonen, Valonen, Valonea, Acker-, Eckerdoppen, manchmal auch Knoppern, Trillo; die Schuppen) wurden früher zum Gerben verwendet. Medizin und Pharmakologie Alle Teile der Eiche sind wegen der enthaltenen Gerbstoffe leicht giftig und können zu gastrointestinalen Symptomen (Magenschleimhautreizung, Erbrechen, Durchfälle) führen (siehe dazu den Artikel: Liste giftiger Pflanzen). Als Heilpflanze wurde und wird die Eiche allerdings geschätzt. Als harntreibend geltende Eicheln fanden früher bei der Behandlung der „Harnwinde“ (Strangurie) eine heilkundliche Anwendung. Auch die bis ins Mittelalter für die Frucht der Eiche gehaltene Eichenmistel fand magische und therapeutische Verwendung. Die im Eichenholz enthaltenen Tannine und Aldehyde können beim Einatmen allergische Reaktionen (Rhinitis, Asthma) hervorrufen. Bekannte Eichen Informationen zu Eichenexemplaren, die aufgrund ihres überdurchschnittlichen Stammumfangs bemerkenswert sind, können in den beiden folgenden Listen nachgelesen werden: Liste der dicksten Eichen in Deutschland Liste der Eichen Europas mit einem Stammumfang ab zehn Metern Ergänzend dazu werden hier weitere Eichen aufgelistet. Die Dicke einer Eiche wird auch oft verwendet, um deren Alter grob zu schätzen. Eine weitere Methode ist die Schätzung anhand von geschichtlichen Überlieferungen. Da das älteste Holz aus dem Zentrum des Stammes fehlt, ist weder eine Jahresringzählung noch eine Radiokohlenstoffdatierung möglich. Die älteste Eiche Deutschlands soll die Femeiche in Raesfeld-Erle im Kreis Borken sein, deren Alter aufgrund der Dicke auf 600 bis 850 Jahre geschätzt wird. Für die älteste Eiche Europas kommen drei Exemplare in Frage, da die Altersschätzungen sehr ungenau sind. Die 1000-jährige Eiche Bad Blumau (Oststeiermark) wird auf über 1200 Jahre geschätzt, eine Stieleiche in Bulgarien im Ort Granit, Bezirk Stara Zagora auf 1640 Jahre und die Königseiche in Dänemark im Naturschutzgebiet Jægerspris Nordskov auf der Halbinsel Hornsherred wird auf 1400 bis 2000 Jahre taxiert. Weitere bekannte Eichen: Betteleiche im Nationalpark Hainich: 600 bis 800-jährige Eiche mit 13 Meter Höhe, 5,6 Meter Umfang und geteiltem Stamm Blüchereiche in Ratekau Bräutigamseiche in Dodau bei Eutin Dicke Eiche (Eisenach) in Berteroda: 1000-jährige Stieleiche, Umfang 9,62 Meter und 16 Meter Höhe Chełmoński-Eiche, Radziejowice (Woiwodschaft Masowien) in Polen Donareiche in Fritzlar (Nordhessen) Sieben-Brüder-Eiche in Friesack (Brandenburg) Grafeneiche in Harsum-Asel, Niedersachsen, Alter etwa 1000 Jahre Grenzwalleiche am Limes Hüter des Feldes bei Lichtenfels (Oberfranken) (ca. 1000 Jahre) Kaisereichen Linden-Eiche, North Bethesda, Maryland, Vereinigte Staaten Luthereichen Luthereiche (Wittenberg) Olympia-Eichen Pommersche Grenzmal-Eiche bei Lutzig (Stare Ludzicko) in Hinterpommern; Stammumfang (1924) 9,5 Meter Russeneichen Russeneiche (Rehbach), Stammumfang 5 Meter, Alter 200 Jahre, bei Rehbach im Odenwald Russeneiche (Ispringen) Sokół-Eiche in Polen Stiftsgerichtseiche in Bassum, Stammumfang 5,05 Meter, Höhe 23 Meter Stundeneiche bei Ludwigsfelde (Brandenburg) Zigeunereiche in Polen Siehe auch Foloi (Peloponnes), Eichenwald Quellen Kevin C. Nixon: Fagaceae.: in der Flora of North America, Volume 3: Quercus – textgleich online wie gedrucktes Werk, In: Flora of North America Editorial Committee (Hrsg.): Flora of North America North of Mexico, Volume 3: Magnoliidae and Hamamelidae, Oxford University Press, New York und Oxford, 1997, ISBN 0-19-511246-6. (Abschnitt Beschreibung) Chengjiu Huang, Yongtian Zhang, Bruce Bartholomew: Fagaceae Dumortier.: Cyclobalanopsis Oersted. S. 380 und Quercus, S. 370 – textgleich online wie gedrucktes Werk, In: Wu Zheng-yi & Peter H. Raven (Hrsg.): Flora of China, Volume 4 – Cycadaceae through Fagaceae, Science Press und Missouri Botanical Garden Press, Beijing und St. Louis, 1999, ISBN 0-915279-70-3. (Abschnitt Beschreibung) Gerhard Stinglwagner, Ilse Haseder, Reinhold Erlbeck: Das Kosmos Wald- und Forstlexikon, 6. Auflage, Kosmos, 2016. ISBN 978-3-440-15219-5. Forstbotanischer Garten und Pflanzengeographisches Arboretum der Universität Göttingen: Im Reich der Bäume. Quercus robur / Stiel-Eiche, Q. petraea – Trauben-Eiche, abgerufen am 1. August 2019 Weiterführende Literatur Carl August Bolle: Die Eichenfrucht als menschliches Nahrungsmittel. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. Band 1, 1891, S. 138–148. T. Denk, G. W. Grimm, P. S. Manos, M. Deng, A. L. Hipp: An Updated Infrageneric Classification of the Oaks: Review of Previous Taxonomic Schemes and Synthesis of Evolutionary Patterns. Oaks Physiological Ecology. Exploring the Functional Diversity of Genus Quercus L. Springer International Publishing, 2017. Joachim Krahl-Urban: Die Eichen. Forstliche Monographie der Traubeneiche und der Stieleiche. Parey, Hamburg 1959. Wolf Dieter Becker: Von verkohlten Nahrungsvorräten, geheimnisvollen Wällen und bitteren Mahlzeiten – Archäobotanische Untersuchungen in Westfalen. (S. 191–194) In: Ein Land macht Geschichte Archäologie in Nordrhein-Westfalen. Köln 1995, ISBN 3-8053-1801-4. Weblinks Quercus robur und Quercus petraea, auf materialarchiv.ch. Bestimmungsschlüssel und Beschreibung der Eichenarten der iberischen Halbinsel bei Universidad Autónoma de Madrid. (spanisch, PDF; 1,34 MB). Alle Quercusarten mit vielen Beschreibungen bei Oaks of the World, abgerufen am 21. November 2018. Quercus Portal – A european genetic and genomic web resources for Quercus von INRA. Einzelnachweise Baum des Jahres (Österreich) Wildfrucht Schalenobst Wikipedia:Artikel mit Video
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https://de.wikipedia.org/wiki/Europa%20%28Tochter%20des%20Agenor%29
Europa (Tochter des Agenor)
Europa (; Näheres zum Namen siehe unter Europa), eine Gestalt der griechischen Mythologie, ist die Tochter des phönizischen Königs Agenor und der Telephassa. Zeus verliebte sich in sie und darauf verwandelte er sich wegen seiner argwöhnischen Gattin Hera in einen Stier. Sein Bote Hermes trieb eine Stierherde in die Nähe der am Strand von Sidon spielenden Europa, die der Zeus-Stier auf seinem Rücken entführte. Er schwamm mit ihr nach Matala auf der Insel Kreta, wo er sich zurückverwandelte. Der Verbindung mit dem Gott entsprangen drei Kinder: Minos, Rhadamanthys und Sarpedon. Auf Grund einer Verheißung der Aphrodite wurde der fremde Erdteil nach Europa benannt. Erzählungen Die älteste literarische Referenz auf Europa ist in der Ilias von Homer zu finden, wo Europa die Tochter des Phoinix ist. Antike Erzählungen des Europa-Mythos finden sich in der „Europa“ des Moschos und in den „Metamorphosen“ des Ovid. Darüber hinaus gibt es weitere Erzählungen von der Entführung Europas. Nach Ovid verwandelt sich Jupiter (römisch für Zeus) in einen Stier, ein besonders kräftiges, aber sehr friedlich aussehendes Exemplar mit reinem, schneeweißen Fell und kleinen Hörnern, die aussehen, als habe sie ein Künstler angefertigt. Jupiter mischt sich unter eine Herde königlicher Stiere, die Mercurius (röm. für Hermes) zuvor zum Strand getrieben hat, und nähert sich so Europa, die mit ihren Gefährtinnen am Strand ist. Europas Furcht ist bald überwunden, sie spielt mit dem Stier, füttert ihn, streichelt ihn und umwindet seine Hörner mit Blumen. Schließlich traut sie sich, auf seinen Rücken zu steigen – da geht der Stier ins Wasser und schwimmt aufs offene Meer hinaus. Er bringt sie nach Kreta, wo er seine Stiergestalt ablegt und sich offenbart. Agenor schickte seine Söhne aus, ihre Schwester Europa zu suchen, doch die Nachforschungen bleiben erfolglos. Schließlich befragt Kadmos das Orakel von Delphi und wird von diesem angewiesen, die Suche nach seiner Schwester aufzugeben und stattdessen die böotische Stadt Theben zu gründen. Nach anderen Quellen soll Europa nach der Affäre mit Zeus die drei oben genannten Söhne geboren haben. Anschließend heiratete sie Asterios, den König von Kreta, und so wurde sie Königin von Kreta. Asterios, der selbst keine Kinder hatte, adoptierte auch ihre drei Söhne. Nach Herodot seien einmal Phönizier nach Argos gekommen, um ihre Waren zu verkaufen. Als die Königstochter Io zu den Ständen kam, hätten die Phönizier Io geraubt, woraufhin die Griechen Vergeltung übten und die Tochter des Königs von Tyros raubten, die Europa hieß. Gerold Dommermuth-Gudrich weist darauf hin, dass die römische Fassung dieser Sage im Kern eine orientalische sei: Europa sei „nichts anderes als die Verkörperung der Ischtar oder Astarte, der babylonisch-syrischen Liebesgöttin, die die Griechen mit Aphrodite gleichsetzen. Noch zur Zeit des klassischen Griechentums wurde Europa als Europa-Astarte von den Phöniziern in Sidon verehrt“. Interpretation Die feministische Historikerin Annette Kuhn hält dem durch die Ovid-Überlieferung patriarchal geprägten Mythos eine alternative Lesart entgegen, die das frühe Matriarchat einbezieht. So sieht sie das Matriarchat am Wirken, als die Mutter Europas, Telephassa, über Zeus eine Strafe für sein liebestolles Verhalten gegenüber Europa verhängt, und zwar die Verweigerung der Liebe Europas und das Sterben der Natur. Sie interpretiert den Mythos dahingehend, dass Zeus überhaupt erst in der „Verkleidung“ als Stier, welcher als ein Symbol für matriarchalische Ordnung fungierte – hervorgegangen aus dem damals noch weit verbreiteten mythologischen Symbol der „kosmischen Kuh“ –, sich Europa annähern konnte. „Liebe, so lautet die einfache Botschaft, kann nicht erzwungen werden.“ Dabei verweist Kuhn unter anderem auf den Mythenforscher Robert von Ranke-Graves, der „in seiner quellenkritischen Nacherzählung der Europageschichte [schon] auf [eine] matriarchale Tradition hingewiesen“ habe. Darstellung Die ältesten entdeckten Vasenmalereien, welche eindeutig Europa abbilden, stammen bereits aus dem 7. Jahrhundert vor Christus. Spätere bildliche Darstellungen zeigen Europa meist, Ovids Beschreibung folgend, wie sie vom Zeus-Stier entführt wird. Sie ist meist nur leicht bekleidet oder ganz nackt, sitzt rittlings (in älteren Darstellungen), seitwärts oder halb-liegend (in jüngeren Darstellungen) auf dem Rücken des weißen Stieres, hält sich an ihm fest und zeigt dabei keine Zeichen von Furcht. Verwendung auf Eurobanknoten Nachdem Europa schon 1948 auf dem 5-DM-Schein zu sehen war, ist seit dem 2. Mai 2013 der Kopf der Sagengestalt auf dem 5-€-Schein im Wasserzeichen und im Hologramm abgebildet, dieser ist der kleinste Schein der zweiten „Europa-Serie“ der Eurobanknoten. Die neue 10-€-Banknote, ebenfalls mit der Abbildung der Europa, befindet sich seit dem 23. September 2014 im Umlauf. Das abgebildete Porträt stammt von einer über 2000 Jahre alten Vase aus Süditalien, die im Pariser Louvre besichtigt werden kann. Siehe auch Jupitermond Europa L’Europa riconosciuta, Oper von Antonio Salieri Literatur Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz Kunstgewerbemuseum: Die Verführung der Europa. Propyläen Verlag, Berlin 1988, ISBN 3-549-05872-1. D’Europe à l’Europe, I. Le mythe d’Europe dans l’art et la culture de l’antiquité au XVIIIe s. (colloque de Paris, ENS – Ulm, 24. – 26. April 1997), Hrsg.: R. Poignault und O. Wattel-de Croizant, coll. Caesarodunum, n° XXXI bis, 1998. II. Mythe et identité du XIXe s. à nos jours (colloque de Caen, 30. September – 2. Oktober 1999), hrsg. von R. Poignault, F. Lecocq und O. Wattel–de Croizant, coll. Caesarodunum, n° XXXIII bis, 2000. III. La dimension politique et religieuse du mythe d’Europe de l’Antiquité à nos jours (colloque de Paris, ENS-Ulm, 29. – 30. November 2001), éd. O. Wattel – De Croizant, coll. Caesarodunum, n° hors-série, 2002. IV. Entre Orient et Occident, du mythe à la géopolitique (colloque de Paris, ENS-Ulm, 18.–20. Mai 2006), dir. O. Wattel – de Croizant & G. de Montifroy, Ed. de l’Age d’Homme, Lausanne 2007. V. État des connaissances (colloque de Bruxelles, 21.–22. Oktober 2010), dir. O. Wattel-de Croizant & A. Roba, Brüssel, éd. Métamorphoses d’Europe asbl, 2011. Günter Dietz: Europa und der Stier. Ein antiker Mythos für Europa? Kulturgeschichtliche Reihe, 4. Sonnenberg, Annweiler 2003, ISBN 3-933264-29-4. Almut-Barbara Renger (Hrsg.): Mythos Europa. Texte von Ovid bis Heiner Müller. Reclam, Leipzig 2003, ISBN 3-379-20077-8. Almut-Barbara Renger, Roland Alexander Ißler (Hrsg.): Gründungsmythen Europas in Literatur, Musik und Kunst, 1: Europa – Stier und Sternenkranz. Von der Union mit Zeus zum Staatenverbund. V&R unipress, Göttingen 2009, ISBN 978-3-89971-566-8. Eva C. Huller: „da wurde es selbst Zeus ganz klar, wie uneinig Europa war“. Europa in der deutschsprachigen Literatur seit 1957. In: Christian Lohse, Joseph Mittlmeier (Hrsg.): Europas Ursprung. Mythologie und Moderne. Festschrift der Universität Regensburg zum 50-jährigen Jubiläum der Römischen Verträge. Regensburg 2007, ISBN 3-9808020-9-4, S. 119–130. Winfried Bühler: Europa. W. Fink, München 1968. Weblinks ca. 250 Photos von Darstellungen des Herakles in der Kunst, in der Warburg Institute Iconographic Database Einzelnachweise Person der griechischen Mythologie Kultur (Europa) Europäische Geschichte Phönizier Nationale Personifikation Gestalt der griechischen Mythologie als Namensgeber für einen Asteroiden
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https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrische%20Feldkonstante
Elektrische Feldkonstante
Die elektrische Feldkonstante, auch Permittivität des Vakuums oder Influenzkonstante ist eine physikalische Konstante, die eine Rolle bei der Beschreibung von elektrischen Feldern spielt. Sie gibt das Verhältnis der elektrischen Flussdichte zur elektrischen Feldstärke im Vakuum an. Der Kehrwert der elektrischen Feldkonstanten tritt als Proportionalitätsfaktor im Coulomb-Gesetz auf. Namensgebung Die deutschsprachigen Version der SI-Broschüre, des Referenzdokuments des Internationalen Einheitensystems, verwendet die Begriffe elektrische Feldkonstante und Permittivität des Vakuums synonym. Die Internationale Elektrotechnische Kommission hingegen lehnt Permittivität des Vakuums sowie auch Influenzkonstante ausdrücklich ab. Bedeutung Die elektrische Feldkonstante verknüpft elektrische und mechanische Größen, die über das Coulombsche Gesetz in Beziehung stehen. Diese Formel gilt im Vakuum; in Anwesenheit polarisierbarer Medien gelten andere, für das Medium spezifische Werte . Man bezeichnet als die Permittivität. Sie gibt an, wie stark das elektrische Feld ist, das sich an einer bestimmten Stelle des Raumes in Abhängigkeit von einem gegebenen Erregerfeld ausbildet: . Im Vakuum gilt: . Daher bezeichnet man auch als Permittivität des Vakuums. Im elektrostatischen und im gaußschen Einheitensystem sind die elektromagnetischen Größen über die Formulierung des Coulomb-Gesetzes als definiert. Hier wird die elektrische Feldkonstante nicht benötigt. Einheiten und Naturkonstanten Die Einheit von kann auf verschiedene Weisen durch die abgeleiteten SI-Einheiten Volt (V), Coulomb (C) und Farad (F) ausgedrückt werden: Aus den Maxwell-Gleichungen ergibt sich im Internationalen Einheitensystem (SI) ein einfacher Zusammenhang zwischen der elektrischen Feldkonstante, der magnetischen Feldkonstanten und der Lichtgeschwindigkeit : und damit lässt sich aus der mit Messunsicherheit behafteten Feinstrukturkonstante und den exakt festgelegten Naturkonstanten Lichtgeschwindigkeit (c), Elementarladung (e) und Planck-Konstante (h) bestimmen: Geschichte Nachdem 1948 erst die magnetische Feldkonstante μ0 und 1983 auch die Lichtgeschwindigkeit c durch die Definition der Maßeinheiten Ampere bzw. Meter auf einen exakten Wert festgelegt wurden, war damit bis zum Jahr 2019 auch der Wert der elektrischen Feldkonstante exakt festgelegt. Er betrug: Durch die auf der 26. Generalkonferenz für Maß und Gewicht beschlossene Revision des Internationalen Einheitensystems erfolgt die Definition des Ampere seit dem 20. Mai 2019 auf Basis der Elementarladung und der Definition der Sekunde. Die magnetische Feldkonstante und damit auch die elektrische Feldkonstante sind seitdem mit Messunsicherheit behaftete Messgrößen. Einzelnachweise Physikalische Konstante Elektrostatik
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https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrolyse
Elektrolyse
Elektrolyse nennt man einen chemischen Prozess, bei dem elektrischer Strom eine Redoxreaktion erzwingt. Sie wird beispielsweise zur Gewinnung von Metallen verwendet, oder zur Herstellung von Stoffen, deren Gewinnung durch rein chemische Prozesse teurer oder kaum möglich wäre. Beispiele wichtiger Elektrolysen sind die Gewinnung von Wasserstoff, Aluminium, Chlor und Natronlauge. Eine Elektrolyse erfordert eine Gleichspannungsquelle, welche die elektrische Energie liefert und die chemischen Umsetzungen vorantreibt. Ein Teil der elektrischen Energie wird in chemische Energie umgewandelt. Genau dem umgekehrten Zweck, der Umwandlung von chemischer Energie in elektrische, dienen Batterien, Akkumulatoren oder Brennstoffzellen: sie dienen als Stromquelle. Wenn man einen Akkumulator lädt, läuft eine Elektrolyse ab, die die chemischen Vorgänge während der Entladung rückgängig macht. Elektrolysen können daher der Energiespeicherung dienen, beispielsweise bei der Elektrolyse von Wasser, die Wasserstoff und Sauerstoff ergibt, die als Energieträger einer Wasserstoffwirtschaft vorgeschlagen wurden. Durch die Umkehrung der Wasserelektrolyse in einer Brennstoffzelle kann etwa 40 % der ursprünglich eingesetzten elektrischen Energie wieder zurückgewonnen werden. Die Abscheidung von Metallen aus einer Lösung, die die entsprechenden Metallionen enthält, durch einen von außen aufgeprägten Strom ist ebenfalls eine Elektrolyse. Dies kann zur Erzeugung von Metallschichten dienen, beispielsweise beim Verchromen; diese Art der Elektrolysen sind Gegenstand der Galvanotechnik. Die elektrolytische Auflösung und Wiederabscheidung von Metallen dient der Reinigung, z. B. von Kupfer, und wird elektrolytische Raffination genannt. Bei den chemischen Reaktionen, die bei der Elektrolyse ablaufen, werden Elektronen übertragen. Es sind daher immer Redoxreaktionen, wobei die Oxidation an der Anode (elektrischer Pol), die Reduktion an der Kathode ablaufen; Oxidations- und Reduktionsprozesse sind also räumlich zumindest teilweise voneinander getrennt. Geschichte Die Elektrolyse wurde im Jahr 1800 entdeckt, wobei die von Alessandro Volta erfundene erste brauchbare Batterie verwendet wurde, die Voltasche Säule. Die neu entdeckte Elektrolyse ermöglichte es Humphry Davy, in den Jahren 1807 und 1808 mehrere unedle Metalle erstmals elementar herzustellen, beispielsweise Natrium und Calcium. Michael Faraday untersuchte die Elektrolyse genauer und entdeckte ihre Grundgesetze, nämlich die Abhängigkeit der umgesetzten Massen von der Ladungsmenge und der Molmasse. Auf seine Anregung hin wurden auch die Begriffe Elektrolyse, Elektrode, Elektrolyt, Anode, Kathode, Anion und Kation geschaffen. Nach der Erfindung leistungsfähiger elektrischer Generatoren führten Elektrolysen Ende des 19. Jahrhunderts zu einer stürmischen Entwicklung in Wissenschaft und Technik, z. B. bei der elektrolytischen Gewinnung von Aluminium, Chlor und Alkalien, und bei der Erklärung des Verhaltens der Elektrolyte, zu denen auch Säuren und Basen zählen. Prinzip Durch zwei Elektroden wird ein elektrischer Gleichstrom in eine leitfähige Flüssigkeit (siehe Elektrolyt) geleitet. An den Elektroden entstehen durch die Elektrolyse Reaktionsprodukte aus den im Elektrolyt enthaltenen Stoffen. Die Spannungsquelle bewirkt einen Elektronenmangel in der mit dem Pluspol verbundenen Elektrode (Anode) und einen Elektronenüberschuss in der anderen, mit dem Minuspol verbundenen Elektrode (Kathode). Die Lösung zwischen der Kathode und Anode enthält als Elektrolyte positiv und negativ geladene Ionen. Positiv geladene Ionen (Kationen) oder elektroneutrale Stoffe nehmen an der Kathode Elektronen auf und werden dadurch reduziert. An der Anode läuft der entgegengesetzte Prozess ab, die Abgabe von Elektronen in die Elektrode, wobei Stoffe, z. B. Anionen, oxidiert werden. Die Menge der an der Anode übertragenen Elektronen ist gleich der an der Kathode übertragenen. Der Transport der Stoffe an die Elektroden erfolgt durch konvektiven Stoffübergang (Diffusion innerhalb der Flüssigkeit mit überlagerter Strömung der Flüssigkeit) und, soweit es Ionen betrifft, zusätzlich durch Migration (Wanderung durch Einwirkung des elektrischen Feldes zwischen den Elektroden). Die Spannung, die zur Elektrolyse mindestens angelegt werden muss, wird als Zersetzungsspannung (Uz oder Ez) bezeichnet. Diese oder eine höhere Spannung muss angelegt werden, damit die Elektrolyse überhaupt abläuft. Wird diese Mindestspannung nicht erreicht, wirkt der Elektrolyt beziehungsweise seine Grenzflächen zu den Elektroden, die auch elektrochemische Doppelschicht genannt werden, isolierend. Für jeden Stoff, für jede Umwandlung von Ionen zu zwei- oder mehratomigen Molekülen kann die Zersetzungsspannung, das Abscheidepotential anhand des Redoxpotentials ermittelt werden. Aus dem Redoxpotential erhält man noch weitere Hinweise, wie zur elektrolytischen Zersetzung von Metallelektroden in Säure oder zur Verminderung von Zersetzungsspannung durch Abänderung des pH-Wertes. So lässt sich durch das Redoxpotential berechnen, dass die anodische Sauerstoffbildung bei der Wasserelektrolyse von Wasser in basischer Lösung (Zersetzungsspannung: 0,401 V) unter geringerer Spannung abläuft als in saurer (Zersetzungsspannung: 1,23 V) oder neutraler (Zersetzungsspannung: 0,815 V) Lösung, an der Kathode hingegen bildet sich Wasserstoff leichter unter sauren Bedingungen als unter neutralen oder basischen Bedingungen. Sind in einer Elektrolytlösung mehrere reduzierbare Kationen vorhanden, so werden zunächst die Kationen reduziert, die in der Redoxreihe (Spannungsreihe) ein positiveres (schwächer negatives) Potential haben. Bei der Elektrolyse einer wässrigen Kochsalzlösung bildet sich an der Kathode normalerweise Wasserstoff und nicht Natrium. Auch beim Vorliegen von mehreren Anionenarten, die oxidiert werden können, kommen zunächst diejenigen zum Zuge, die in der Redoxreihe möglichst nahe am Spannungsnullpunkt liegen, also ein schwächeres positives Redoxpotential besitzen. Nach Überschreiten der Zersetzungsspannung wächst mit Spannungszunahme proportional auch die Stromstärke. Nach Faraday ist die Gewichtsmenge eines elektrolytisch gebildeten Stoffs proportional zu der geflossenen elektrischen Ladung (Stromstärke multipliziert mit der Zeit, siehe Faradaysche Gesetze). Für die Bildung von 1 g Wasserstoff (etwa 11,2 Liter, bei der Bildung eines Wasserstoffmoleküls werden zwei Elektronen benötigt) aus wässriger Lösung wird eine elektrische Ladung von 96485 C (1 C = 1 A·s) benötigt. Bei einem Strom von 1 A dauert die Bildung von 11,2 Litern Wasserstoff also 26 Stunden und 48 Minuten. Neben dem Redoxpotential ist noch die Überspannung (das Überpotential) von Bedeutung. Auf Grund von kinetischen Hemmungen an Elektroden benötigt man häufig eine deutlich höhere Spannung als sich dies aus der Berechnung der Redoxpotentiale errechnet. Die Überspannungseffekte können – je nach Materialbeschaffenheit der Elektroden – auch die Redoxreihe ändern, so dass andere Ionen oxidiert oder reduziert werden als dies nach dem Redoxpotential zu erwarten gewesen wäre. Kurz nach Abschaltung einer Elektrolyse kann man mit einem Amperemeter einen Stromausschlag in die andere Richtung feststellen. In dieser kurzen Phase setzt der umgekehrte Prozess der Elektrolyse, die Bildung einer galvanischen Zelle ein. Hierbei wird nicht Strom für die Umsetzung verbraucht, sondern es wird kurzzeitig Strom erzeugt; dieses Prinzip wird bei Brennstoffzellen genutzt. Mitunter ist es ratsam, zur Vermeidung unerwünschter chemischer Reaktionen Kathodenraum und Anodenraum voneinander zu trennen und den Ladungsaustausch zwischen Anoden- und Kathodenraum nur durch ein poröses Diaphragma – häufig ein Ionenaustauscherharz – stattfinden zu lassen. Bei der technischen Elektrolyse zur Herstellung von Natronlauge ist dies recht wichtig. Zur Verfolgung von Stoffumsatz, Wanderungsgeschwindigkeiten von Ionen kann auch das Wissen von molaren Grenzleitfähigkeiten wichtig sein. Wenn man durch eine Elektrolyse eine Trennung einzelner Moleküle oder Bindungen erzwingt, wirkt gleichzeitig ein galvanisches Element, dessen Spannung der Elektrolyse entgegenwirkt. Diese Spannung wird auch als Polarisationsspannung bezeichnet. Elektroden Es gibt nur wenige Anodenmaterialien, die während der Elektrolyse inert bleiben, also nicht in Lösung gehen, z. B. Platin und Kohlenstoff. Einige Metalle lösen sich trotz stark negativem Redoxpotential nicht auf, diese Eigenschaft wird als „Passivität“ bezeichnet. In saurer Lösung müssten sich nach der Nernst'schen Gleichung die Mehrzahl der Metalle unter Kationen- und Wasserstoffbildung auflösen. Bis auf Kupfer, Silber, Gold, Platin, Palladium besitzen fast alle Metall/Metallkationenpaare ein negatives Redoxpotential und wären für Elektrolysen in saurem Milieu ungeeignet, da sich das Gleichgewicht (Metallatom und Protonen) zur Kationenbildung und Wasserstoff verschiebt. Im schwefelsauren Milieu ist Blei ein preiswertes und beliebtes Kathodenmaterial, als Anode kann sowohl Blei als auch Bleioxid verwendet werden (Verwendung auch in Autobatterien). Bleisulfat ist schlecht löslich, so dass die Bleielektroden sich kaum auflösen. Eisen und Nickel können wegen der Passivität als Anoden manchmal auch in saurem Milieu verwendet werden, jedoch werden auch diese Anodenmaterialien vorzugsweise im basischen Milieu verwendet. Eine Eisenanode, die mit konzentrierter Salpetersäure behandelt wurde, löst sich nicht auf, durch die Passivierung gehen keine Eisen(II)- oder Eisen(III)-ionen in Lösung. Es hat sich eine sehr dünne und stabile Eisenoxidschicht (ähnlich wie beim Aluminium) gebildet, die die weitere Auflösung der Elektrode verhindert. Chloridionen oder höhere Temperaturen können jedoch die Passivität aufheben. Eisenanoden weisen im Vergleich zu anderen Anodenmaterialien nur eine sehr geringe Überspannung bei der Sauerstoffentwicklung auf, daher werden sie vorzugsweise bei der Erzeugung von Sauerstoff eingesetzt. Hemmungserscheinungen an der Anode, die bei der Sauerstoffbildung zu einer Überspannung führen, beobachtet man bei Kohle- und Platinanoden. Die Überspannung kann genutzt werden, um bei der Elektrolyse von wässriger Kochsalzlösung Chlor statt Sauerstoff zu erzeugen. An Zink-, Blei- und besonders Quecksilberkathoden zeigen Protonen eine erhebliche Überspannung und die Bildung von Wasserstoff erfolgt erst bei einer viel höheren Spannung. Die erhebliche Überspannung von Wasserstoff an der Quecksilberkathode, an der Natrium als Amalgam gebunden wird und so dem Gleichgewicht entzogen wird, nutzt man zur technischen Herstellung von Natronlauge. Durch die erhebliche Überspannung an dieser Elektrode bei der Wasserstoffbildung ändert sich die Redoxreihe, statt Protonen werden nun Natriumionen an der Quecksilberkathode reduziert. Geeignete Elektrodenmaterialien: (++) Gut geeignet, (+) geeignet, (−) nicht geeignet Überspannung Sowohl an der Kathode als auch an der Anode können Überspannungen auftreten und somit die benötigte Spannung gegenüber den Berechnungen nach der Nernst-Gleichung erhöhen. Die Überspannungen sind bei Gasbildungen (z. B. Wasserstoff- und Sauerstoffbildung) mitunter beträchtlich. Die an den Elektroden entstehenden Gase (siehe unten) bilden ihrerseits ein elektrochemisches Potenzial, das der anliegenden Spannung entgegenwirkt. Es kommt zu einer reversiblen elektrochemischen Polarisation. Die Polarisierung aufgrund von sich ausbildenden Oberflächenschichten wird auch beim Laden von Akkumulatoren und dem aktiven kathodischen Korrosionsschutz beobachtet. Die aufgebrachte Überspannungsenergie geht als Wärme verloren, trägt also bei Elektrolyse nicht zum Stoffumsatz bei. Je nach Metallart und Oberflächenbeschaffenheit der Elektroden variieren die Überspannungen. Stromstärke und Temperatur beeinflussen ebenfalls die Überspannung. Eine wachsende Stromstärke erhöht leicht die Überspannung, eine Temperaturerhöhung senkt dagegen die Überspannung. Die nachfolgenden Tabellen geben einen kurzen Überblick bezüglich der Überspannung bei der anodischen Sauerstoffentwicklung und der kathodischen Wasserstoffentwicklung (die Versuche wurden jedoch bei verschiedenen pH-Werten ausgeführt, zur Berechnung von pH-Änderungen siehe Nernst-Gleichung) Überspannung Sauerstoffbildung Konditionen: 1 N-wäss. KOH, 20 °C, Messung nach 20 min. Überspannung Wasserstoffbildung Konditionen: 1 N wäss. HCl, 16 °C. Bei anderen elektrolytischen Reduktionen (ohne Gasbildung) kann auch die Diffusionsüberspannung wichtig werden. Falls nach einigen Minuten die Konzentration des elektrolytisch umzusetzenden Stoffes vor der Elektrode absinkt, muss mehr Spannung aufgebracht werden, um die gleiche Stromstärke zu erzielen. Durch kontinuierliches Rühren oder mit rotierenden Scheiben-, Zylinderelektroden kann die Diffusionsüberspannung gesenkt werden. Die Wasserstoff- und die Sauerstoffüberspannung bleiben an vielen Metallen nicht konstant. Sie steigen mitunter sogar noch nach 60 Minuten leicht an. Zellwiderstand Der elektrische Widerstand einer Elektrolysezelle behindert den Stromfluss (ohmsches Gesetz) und sollte daher minimiert werden, andernfalls geht Energie in Form von Wärme verloren. Der Widerstand einer Elektrolysezelle hängt vom Elektrodenabstand, von der Größe der Elektrodenfläche und von der Leitfähigkeit ab. Allgemein gilt für die Berechnung des Widerstands einer Elektrolysezelle: In destilliertem Wasser ist die Leitfähigkeit sehr gering – der Widerstand also sehr hoch – und eine Elektrolyse schlecht möglich. Die Leitfähigkeiten von Lösungen geringer Konzentrationen lassen sich über die spezifische Elektrolytische Leitfähigkeit bzw. die Äquivalentleitfähigkeiten der Ionen berechnen. Die Leitfähigkeit von Lösungen sehr hoher Konzentration muss experimentell bestimmt werden. Obwohl bei starken Säuren die Leitfähigkeit höher als in basischen Lösungen gleicher Konzentration ist, werden viele Elektrolysen – aufgrund der anodischen Auflösungsvorgänge bzw. der verzögerten Sauerstoffbildung bzw. Halogenoxidation im sauren Bereich – vorwiegend in basischem Medium ausgeführt. Stromdichte Um die Wirtschaftlichkeit von elektrolytischen Verfahren zu steigern, sollten die Verfahren bei möglichst hohen Stromdichten durchgeführt werden. Dies erreicht man, indem man die Leitfähigkeit durch Salzzugabe oder durch Temperaturerhöhung (je Grad Temperaturzunahme steigt die spezifische Leitfähigkeit etwa um 1–2 %) erhöht. Häufig wird die Stromdichte durch den Diffusionsgrenzstrom limitiert. Aus Kenntnis des Diffusionsgrenzstromes lassen sich dimensionslose Kennzahlen ermitteln, um den Umsatz auch für größere Anlagen berechnen zu können. Es gibt für jede Elektrolyse eine kalkulatorisch optimale Stromdichte, sie ist größtenteils nicht die maximale Stromdichte. Um möglichst saubere, kompakte Metallabscheidungen zu erhalten, sollte bei geringer Stromdichte gearbeitet werden. Dies ist insbesondere für Gold-, Silber- und Kupferbezüge wichtig. Metallabscheidungen bei hohen Stromdichten bilden sogenannte Spieße, Stangen, Bäume aus und diese können zu Kurzschlüssen führen. Häufig – besonders in der organischen Chemie – sind thermische Verfahren aufgrund des höheren Stoffumsatzes pro Zeitspanne den elektrolytischen Verfahren überlegen. Wanderungsgeschwindigkeiten von Ionen Während der Elektrolyse können Kationen an der Kathode reduziert und an der Anode Anionen oxidiert werden. Da dicht vor der Elektrode Ladungsänderungen durch Reduktion oder Oxidation auftreten, muss die Ladungsdifferenz im Elektrodenraum durch Wanderungsprozesse ausgeglichen werden. Kationen und Anionen müssen im Elektrodenraum in identischer Konzentration vorliegen, es darf keinen Überschuss an positiven oder negativen Ionen geben. Der Ausgleich von Ionen in einer Elektrolysezelle wird durch die Ionenwanderung bewirkt. Die Wanderungsgeschwindigkeit ist abhängig von der angelegten Zellspannung und der Art der Ionen. Der Verlust an Kationen vor der Kathode kann durch die Wanderung von überschüssigen Kationen aus dem Anodenraum oder umgekehrt von überschüssigen Anionen aus dem Kathodenraum kompensiert werden. In der Regel stellt sich ein Kompromiss aus beiden Wanderungsrichtungen ein. Die Wanderungsgeschwindigkeiten lassen sich aus den Grenzleitfähigkeiten der Ionenarten berechnen. Mit der Überführungszahl kann die Änderung der Ionenzusammensetzung direkt bestimmt werden. Es gibt Ionen wie H+ oder OH-, die sehr schnell in einer Elektrolytlösung wandern. Aufgrund der unterschiedlichen Wanderungsgeschwindigkeiten können sich Ionenarten während der Elektrolyse in den Halbzellen der Elektrolysezelle anreichern. Bei einer Temperaturerhöhung um 1 °C nimmt die Leitfähigkeit um ca. 1–2,5 % zu. Die Zunahme der Wanderungsgeschwindigkeit könnte mit einer geringeren Viskosität der Solvathülle um die Ionen oder gar mit einer Abnahme der Solvathülle um die Ionen begründet werden. Zur Verknüpfung der Größen Wanderungsgeschwindigkeit , Ionenbeweglichkeit (die keine Geschwindigkeit ist!), elektrische Feldstärke , Äquivalentleitfähigkeit/Grenzleitfähigkeit (lambda) und von Ionen im elektrischen Feld beigebrachten Teilstrom siehe: Grundlagen und Berechnung der Überführungszahlen von Ionen sowie: Zahlenwerte der Ionenbeweglichkeit vieler Ionen Beispiele Elektrolyse von Wasser Die Elektrolyse von Wasser zerlegt dieses in die Elemente Sauerstoff und Wasserstoff. Wie alle Elektrolysen besteht sie aus zwei Teilreaktionen, die an den beiden Elektroden (Kathoden- und Anodenräumen) ablaufen. Das Gesamt-Reaktionsschema dieser Redoxreaktion lautet: Wasser wird durch elektrischen Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Die Elektroden tauchen in Wasser ein, welches durch die Zugabe von Säure oder Lauge besser leitend gemacht wird. Die Teilreaktionen lauten Kathodenraum: 2 H3O+ + 2 e− → H2 + 2 H2O (für saure Lösungen) oder: 2 H2O + 2 e− → H2 + 2 OH− (für basische Lösungen) Anodenraum: 6 H2O → O2 + 4 H3O+ + 4 e− (für saure Lösungen) oder: 4 OH− → O2 + 2 H2O + 4 e− (für basische Lösungen) Als Demonstrationsexperiment kann diese Reaktion im Hofmannschen Wasserzersetzungsapparat ausgeführt werden. Die Wasserelektrolyse kann zur Gewinnung von Wasserstoff als lagerbarer Energieträger an Bedeutung gewinnen. Der energetische Wirkungsgrad der Elektrolyse von Wasser liegt bei über 70 %. Elektrolyse von Zinkiodid Die Elektrolyse von Zinkiodid zerlegt dieses in die Elemente Zink und Iod. Wie alle Elektrolysen besteht auch diese aus zwei Teilreaktionen, die an den beiden Elektroden (Kathode und Anode) ablaufen. Das Gesamt-Reaktionsschema dieser Redoxreaktion lautet: Das Zinkiodid wurde durch elektrischen Strom in Zink und Iod gespalten. Die Reaktionen an den einzelnen Elektrodenräumen lauten: Kathodenreaktion: Zn2+ + 2 e− → Zn Anodenreaktion: 2 I− → I2 + 2 e− Durch die Energiezufuhr bewegen sich die Ionen in der Richtung Elektroden. Die Zink-Kationen wandern zur Kathode, nehmen dort zwei Elektronen auf (Reduktion) und es bildet sich elementares Zink. Die Iod-Anionen wandern zur Anode und werden zu elementarem Iod oxidiert. Anwendungen Stoffgewinnung Die Metalle Aluminium und Magnesium werden elektrolytisch mithilfe der Schmelzflusselektrolyse hergestellt. Elektrochemisch werden ferner Kupfer, Silber und Gold gewonnen, sowie zu großen Teilen auch Zink und Nickel. Weitere Alkalimetalle und die meisten Erdalkalimetalle werden ebenfalls durch Schmelzflusselektrolyse gewonnen. Sowohl dabei als auch bei Elektrolyse in wässrigen Medien werden je nach Ausgangsstoff die Halogene Fluor, Brom und Chlor frei, die in großem Maßstab für weitere Synthesen verwendet werden. In der Chloralkali-Elektrolyse wird aus Steinsalz Chlor, Wasserstoff und Natronlauge hergestellt. Galvanik Elektrolytische Metallabscheidungen gehören zu den wichtigsten Anwendungen, entweder zur Erzeugung von metallischen Überzügen bei der Galvanik (galvanisches Verzinken, Verchromen usw.) oder zur Herstellung und Verstärkung von Leiterbahnen in der Leiterplattenproduktion. Elektrolytische Raffination Die elektrolytische Raffination ist ein Verfahren zur Reinigung von Metallen. Die Reinigung wird dadurch erreicht, dass sich durch Elektrolyse eine Anode aus einem Rohmetall löst und sich an einer Kathode selektiv als reines Metall abscheidet. Verunreinigungen bleiben im Elektrolyt gelöst oder fallen als Anodenschlamm aus. Der Anodenschlamm und Elektrolyt werden wegen ihrer wertvollen Bestandteile aufgearbeitet. Elektrolytische Raffination wird insbesondere für die Reinigung von Kupfer, Nickel, Silber und Blei verwendet. Bei der elektrolytischen Raffination von Kupfer wird Elektrolytkupfer mit einer Reinheit von >99,5 % gewonnen und wird hauptsächlich für elektrische Leiter verwendet. Bei der Kupferraffination beträgt die Zellspannung wenige Zehntel Volt (hauptsächlich verursacht durch Überspannungen und den Zellwiderstand), die Stromdichte liegt im Bereich von 150 bis 240 A/m2. Der Anodenschlamm enthält insbesondere die Edelmetalle Gold und Silber, aber auch Selen und Antimon. Die unedleren Metalle, wie Eisen, Nickel, Cobalt und Zink, verbleiben im Elektrolyt. Bei der elektrolytische Bleiraffination dient die Raffination von Rohblei zur Abtrennung von Arsen, Antimon und Bismut. Kolbe-Elektrolyse Die Kolbe-Elektrolyse ist das älteste Beispiel einer organischen elektrochemischen Reaktion. Bei dieser Elektrolyse werden zwei Carbonsäuremoleküle unter CO2-Abspaltung gekuppelt. Weitere Anwendungen der Elektrolyse Analytische Chemie: Bei der Voltammetrie und Polarographie wird durch die Messung des Elektrolysestromes in Abhängigkeit von der Spannung ein Aufschluss über die chemische Zusammensetzung des Elektrolyten gewonnen. Bei der Elektrogravimetrie und Coulometrie wird die Umsetzung von Elektrolyten durch elektrischen Strom angewendet, um Informationen über den Metallgehalt einer Probe zu erlangen. Abwasserreinigung: Neben der Hydroxidfällung und der Reinigung von Abwasser mit Ionenaustauschern werden zur Reinigung von belasteten Abwässern aus der metallverarbeitenden Industrie, der Galvanik, Farbstoff-, Pharmaindustrie elektrochemische Reinigungsmethoden angewandt. An der Anode werden Cyanidsalze, organische Verbindungen durch Oxidation unschädlich gemacht. An der Kathode werden z. B. Blei, Arsen und Kupfer durch Reduktion entfernt, Chromat wird zu Cr3+ reduziert. Elektrochemisches Abtragen: Elektrochemisches Abtragen (ECM) wird auch elektrochemische Metallbearbeitung genannt. Dabei wird das Werkstück als Anode geschaltet und das Metall löst sich dann durch große Nähe zur Kathode auf. Durch die Formgebung der Kathode kann die Ablösung an der Anode beeinflusst werden. Als Metalle eignen sich Aluminium, Kobalt, Molybdän, Nickel, Titan, Wolfram, Stahl und Eisenlegierungen. Als Elektrolyt dient Natriumnitrat oder Natriumhydroxid. Isotopentrennung: Im natürlichen Wasser ist etwas Deuterium enthalten. Da Deuterium sehr viel langsamer als Wasserstoff an der Kathode zum Mischgasmolekül Deuteriumwasserstoff reagiert, lässt sich Deuterium elektrolytisch anreichern. Laden von Akkumulatoren: Beim Entladen von Akkumulatoren wird chemische Energie in nutzbare elektrische Energie umgewandelt. Lädt man einen Akku wieder auf, so erzwingt man durch die Ladespannung eine Umkehrung der bei der Entladung ablaufenden Redoxreaktion. Somit ist der Aufladevorgang nach der oben genannten Definition eine Elektrolyse. Diese Benennung ist aber unüblich. Wirtschaft Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2007 die folgenden Mengen an Metallen oder Chemikalien in Deutschland hergestellt. In den USA liegen die hergestellten Elektrolyseprodukte um den Faktor 2–3 höher. Dort werden ca. 5 % der gesamten Stromproduktion für die Elektrolyse benötigt. Die weltweite Gesamtmenge an mittels Elektrolyse hergestelltem Aluminium liegt bei etwa 50 Millionen Tonnen jährlich. Literatur Handbuch der experimentellen Chemie. Sekundarbereich II. Band 6: Elektrochemie. Aulis Verlag Deubner, 1994, ISBN 3-7614-1630-X. Ullmann Encyklopädie der technischen Chemie. 3. Auflage. Band 6, 1955, S. 253–304. (4. Auflage, Band 3, S. 262–298, 5. Auflage, Band A9, S. 220 ff.) Gerd Wedler: Lehrbuch der Physikalischen Chemie. Verlag Chemie, 1982, ISBN 3-527-25880-9, S. 172–212, S. 405–445, S. 821–836. Udo R. Kunze: Grundlagen der quantitativen Analyse. Georg Thieme Verlag, 1980, ISBN 3-13-585801-4, S. 169–171. Carl H. Hamann, Wolf Vielstich: Elektrochemie. 4. Auflage. WILEY-VCH Verlag, Weinheim 2005, ISBN 3-527-31068-1. Weblinks Allgemeine Beschreibung mit Zeichnung Information Portal on Hydrogen and Fuel Cells Videotutorial zur Elektrolyse Einzelnachweise Chemisch-technisches Verfahren
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https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrische%20Kapazit%C3%A4t
Elektrische Kapazität
Die elektrische Kapazität (Formelzeichen , von ; Adjektiv kapazitiv) ist eine physikalische Größe aus dem Bereich der Elektrostatik, Elektronik und Elektrotechnik. Die elektrische Kapazität zwischen zwei voneinander isolierten elektrisch leitenden Körpern ist gleich dem Verhältnis der Ladungsmenge , die auf diesen Leitern gespeichert ist ( auf dem einen und auf dem anderen), und der zwischen ihnen herrschenden elektrischen Spannung : Sie wird dabei festgelegt durch die Dielektrizitätskonstante des isolierenden Mediums sowie die Geometrie der Körper, dazu zählt auch der Abstand. Dadurch stehen (sofern die Kapazität konstant ist) und zueinander in einer proportionalen Beziehung. Bei Akkumulatoren sowie Batterien benutzt man den Begriff „Kapazität“ für die maximale Ladungsmenge , die in ihnen gespeichert werden kann. Sie wird in Amperestunden (Ah) angegeben. Diese Kapazität der elektrischen Ladung hat jedoch weder etwas mit der hier dargestellten elektrischen Kapazität (Farad) noch mit der Leistungskapazität (Watt) zu tun. Kapazität eines Kondensators Eine technische Anwendung findet die Kapazität in Form von elektrischen Kondensatoren, die durch die Angabe einer bestimmten Kapazität charakterisiert werden. Der Begriff „Kapazität“ wird umgangssprachlich auch synonym für das elektrische Bauelement Kondensator selbst () verwendet. Ein Kondensator ist eine Leiteranordnung mit zwei Elektroden zur getrennten Speicherung von elektrischer Ladung und . In physikalischer Sicht rührt der elektrische Fluss von den getrennten elektrischen Ladungen und her, die von der externen Spannungsquelle mit der Spannung auf die Elektroden transportiert werden, womit sich: ergibt. Formal erfolgt dieser Zusammenhang über das Gaußsche Gesetz. Die elektrische Kapazität eines Kondensators kann dann als das Verhältnis der Ladungsmenge zur angelegten Spannung ausgedrückt werden: . Dabei ist üblicherweise eine konstante Kenngröße, die sich wie folgt ergibt. Ein Körper, auf den eine positive elektrische Ladung gegeben wird, hat dadurch ein elektrisches Feld, das der Bewegung einer weiteren positiven elektrischen Ladung auf den Körper entgegenwirkt. Befindet sich nun aber ein Körper in der Nähe, der negativ geladen ist, so wird das abstoßende elektrische Feld des positiven Körpers geschwächt (die auf den Körper zu bewegende positive Ladung spürt auch die Kraft der anziehenden negativen Ladung). Damit wird weniger Spannung benötigt, um die weitere positive Ladung auf den bereits positiv geladenen Körper zu bewegen, als ohne den zweiten, negativ geladenen Körper. Der erste Körper hat also eine höhere Kapazität. Das Gleiche gilt natürlich auch für den zweiten Körper. Die Abschwächung des elektrischen Feldes durch den einen geladenen Körper auf den anderen geladenen Körper wird beeinflusst durch deren Geometrie und die Permittivität des isolierenden Mediums zwischen den beiden Körpern. In einer vereinfachten Analogie entspricht die Kapazität dem Volumen eines Druckluftbehälters mit konstanter Temperatur. Der Luftdruck ist dabei analog zur Spannung und die Luftmenge analog zur Ladungsmenge . Daher ist die Ladungsmenge im Kondensator proportional zur Spannung. Diese Gesetzmäßigkeit gilt auch für die sogenannte Pseudokapazität, einer innerhalb enger Grenzen spannungsabhängigen elektrochemischen bzw. faradayschen Speicherung elektrischer Energie, die mit in einer Redoxreaktion und mit einem Ladungsaustausch an Elektroden von Superkondensatoren verbunden ist, wobei allerdings im Gegensatz zu Akkumulatoren an den Elektroden keine chemische Stoffänderung eintritt. Unter anderem die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) befasst sich mit Kapazitätsnormalen. Einheiten SI-Einheit Die elektrische Kapazität wird in der abgeleiteten SI-Einheit Farad gemessen. Ein Farad (1 F) ist diejenige Kapazität, die beim Anlegen einer Spannung von 1 Volt eine Ladungsmenge von 1 Coulomb (1 C = 1 As) speichert: Ein Kondensator der Kapazität 1 Farad lädt sich bei einem konstanten Ladestrom von 1 Ampere in 1 Sekunde auf die Spannung 1 Volt auf. Die SI-Einheit Farad, genannt zu Ehren des englischen Physikers und Chemikers Michael Faraday, hat sich heutzutage international überall durchgesetzt. CGS-Einheit Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Kapazität von Kondensatoren häufig mit der Kapazitätseinheit cm beschriftet. Diese Angabe in Zentimetern rührt daher, dass die Kapazität im heute praktisch kaum noch gebrauchten Gaußschen Einheitensystem in der Längendimension ausgedrückt wird. So weist eine Metallkugel mit 5 cm Radius gegenüber einer sich im Unendlichen befindlichen Gegenelektrode eine Kapazität von 5 cm auf. Das Foto zeigt einen Papierkondensator der Marke SATOR der ehemaligen Firma Kremenezky, Mayer & Co aus dem Jahr 1950 mit einer Kapazität von 5000 cm. Das entspricht der Kapazität einer Metallkugel von 5000 cm Radius. Dargestellt im heute üblichen SI-Einheitensystem sind das ca. 5,6 nF. Eine Kapazität von 1 cm im Gaußschen Einheitensystem entspricht ca. 1,11 pF im SI-Einheitensystem. Der Umrechnungsfaktor beträgt {c}2·10−9 ≈ , wobei {c} der Zahlenwert der Lichtgeschwindigkeit ausgedrückt in cm/s ist. Kapazität bestimmter Elektrodengeometrien Für die Kapazität einer Reihe von einfachen Elektrodenformen (grau dargestellt) gibt es analytische Lösungen oder konvergente Reihenentwicklungen. Die folgende Tabelle zeigt einige Beispiele. Darin bezeichnet A die Fläche der Elektroden, d deren Abstand, l deren Länge, sowie deren Radien. Die Konstante ist die Permittivität (dielektrische Leitfähigkeit) des blau dargestellten Dielektrikums. Dabei ist die elektrische Feldkonstante und die Permittivitätszahl, eine stoffabhängige Größe ( im Vakuum). Dabei bezeichnet das Landau-Symbol den Fehlerterm der Approximation. Berechnungen zur Kapazität Folgende allgemeine Gleichungen für die Bestimmung der Kapazität gelten für die jeweils zeitabhängigen Größen Strom , Spannung und Ladung an einer konstanten elektrischen Kapazität : Ein Ausdruck für die Kapazität einer beliebigen Elektrodenanordnung oder Ladungsverteilung lässt sich mittels des Gaußschen Satzes herleiten: Dabei beträgt die dielektrische Verschiebung , also: Für ein Vakuum vereinfacht sich diese Gleichung wegen zu: Eine Berechnung der Kapazität erfordert die Kenntnis des elektrischen Feldes. Hierfür ist die Laplace-Gleichung mit einem konstanten Potential auf den Leiteroberflächen zu lösen. In komplizierteren Fällen existiert keine geschlossene Form der Lösung. Messen der Kapazität Das Messen der Kapazität dient nicht nur der Kontrolle der Kapazität eines Kondensators (Bauteil), sondern wird beispielsweise in kapazitiven Abstandssensor zur Abstandsbestimmung herangezogen. Auch weitere Sensoren (Druck, Feuchte, Gase) beruhen oft auf einer Kapazitätsmessung. Entsprechend den oben genannten Zusammenhängen kann die Kapazität folgendermaßen bestimmt werden: Laden mit konstantem Strom und Beobachten der Spannungsanstiegsgeschwindigkeit Messen der Resonanzfrequenz eines mit der Kapazität gebildeten LC-Schwingkreises Anlegen einer Wechselspannung und Messen des Stromverlaufes Insbesondere das letztgenannte Verfahren wird in Kapazitätsmessgeräten angewendet, wobei nicht nur die Größe des Stromes, sondern auch seine Phasenlage zur Spannung erfasst wird. Auf diese Weise kann auch die Impedanz und der Verlustwinkel bzw. der Gütefaktor des Kondensators bestimmt werden. Literatur Einzelnachweise und Anmerkungen Kapazitat Elektrostatik Physikalische Größenart
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Elektrischer Strom
Der elektrische Strom, oft auch nur Strom, ist eine physikalische Erscheinung aus dem Gebiet der Elektrizitätslehre. In der alltäglichen Bedeutung des Begriffs ist damit der Transport von elektrischen Ladungsträgern gemeint, also beispielsweise von Elektronen in Leitern oder Halbleitern oder von Ionen in Elektrolyten. Diese Form des Stroms bezeichnet man auch als Konvektionsstrom. Er macht sich, wie vom ampereschen Gesetz beschrieben, durch ein magnetisches Feld bemerkbar und führt meist zu einer Erwärmung des Leiters. In einem geschlossenen elektrischen Stromkreis fließt dauerhaft ein Strom, solange zwischen den Anschlüssen der Quelle eine leitende Verbindung besteht. Kurzzeitig fließt nach Anschluss eines Leiters an eine Spannungsquelle auch in einem offenen Stromkreis ein Strom, der den Leiter belädt oder entlädt, bis er auf dem von der Spannungsquelle vorgegebenen Potential ist. Darüber hinaus zählt man zum elektrischen Strom den Verschiebungsstrom. Dieser entsteht nicht durch Bewegung von Ladungen, sondern wenn ein elektrisches Feld sich zeitlich ändert. Er tritt z. B. zwischen den Platten eines Kondensators beim Be- oder Entladen auf und erzeugt ebenso wie der Konvektionsstrom ein Magnetfeld. Die physikalische Größe, die den elektrischen Strom bemisst, ist die elektrische Stromstärke. Ihr genormtes Formelzeichen ist das und ihre gesetzliche Einheit das Ampere. Geschichte Bereits Thales von Milet soll im 6. Jahrhundert v. Chr. entdeckt haben, dass Bernstein leichte Körper anzieht, wenn er vorher mit Tüchern gerieben wird. Eine Erklärung dafür konnte er zwar nicht finden, das Wort Elektrizität (vom griechischen „elektron“ für „Bernstein“) weist aber immer noch auf diese antike Entdeckung zurück. Die technische Nutzung des elektrischen Stromes begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Telegrafie und der Galvanik. Für beide Anwendungen reichte zunächst die Leistung von Batterien aus. Um 1866 fand Werner von Siemens das dynamoelektrische Prinzip und nutzte es bei der Entwicklung des ersten elektrischen Generators, den er als Zündmaschine für die Zündung von Sprengladungen vermarkten konnte. Ab 1880 entwickelten sich diese Generatoren immer mehr zu Großmaschinen, um den Strombedarf der immer größer werdenden Stromnetze befriedigen zu können. In erster Linie dienten diese Netze zur Bereitstellung von elektrischem Strom für die Beleuchtung mit Bogen- und Glühlampen in der Öffentlichkeit und den ersten Privathaushalten. Eine weitere Anwendung des elektrischen Stromes bestand in seinem Einsatz in Leuchttürmen, da die Bogenlampe eine wesentlich höhere Lichtstärke besitzt als die zuvor verwendeten Kerzen oder Petroleumlampen. Infolgedessen entstanden die ersten Kraftwerke, die zunächst noch mit einfachen Wasserturbinen und Dampfmaschinen angetrieben wurden. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts stehen leistungsfähige Dampfturbinen zur Verfügung, die bis in die Gegenwart als Kraftmaschinen bei der Stromerzeugung dominieren. In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts fiel nach dem sogenannten Stromkrieg die Entscheidung zwischen Gleichstrom- und Wechselstromsystem zugunsten des Wechselstroms. Formelzeichen Das übliche Formelzeichen für Strom ist , was vom französischen Ausdruck „intensité du courant“ („Stromstärke“) stammt. Das Symbol wurde bereits von André-Marie Ampère, nach dem die Einheit der elektrischen Stromstärke benannt ist, bei der Formulierung des Ampèreschen Gesetzes (1820) verwendet. Physikalische Zusammenhänge Für quantitative Angaben zum elektrischen Strom verwendet man die physikalische Größe Stromstärke. Entstehung des Stromes Elektrischer Strom kann auf verschiedene Arten entstehen: Redoxreaktionen in Batterien, Coulombkräfte in elektrischen Feldern, z. B. in Kondensatoren, Lorentzkräfte in magnetischen Feldern, z. B. in Generatoren (zur Bereitstellung von 'Strom', womit hier die Versorgung mit elektrischer Energie gemeint ist), Mitführung von Ladungsträgern durch eine Strömung (Konvektion), z. B. bei Influenzmaschinen oder in Gewitterwolken (siehe Blitz), Diffusion von Ladungsträgern bei Unterschieden in deren Konzentration, z. B. an Grenzschichten von Halbleitern, auch ohne das Vorhandensein von Feldern, als Diffusionsstrom bezeichnet. Änderung des Verschiebungsflusses bzw. der Feldenergie in Nichtleitern und den daraus resultierenden Verschiebungsstrom. Zusammenhang mit der elektrischen Spannung Wenn – beispielsweise zwischen den Polen einer Batterie – eine Potentialdifferenz besteht, wird von einer elektrischen Spannung gesprochen. Aufgrund des dann bestehenden elektrischen Feldes wird eine Kraft auf die Ladungsträger ausgeübt; sie erfahren dadurch eine Beschleunigung, wenn sie beweglich sind. Das geschieht beispielsweise, wenn eine Glühlampe über Metalldrähte an die Pole angeschlossen ist. Die Driftgeschwindigkeit der Ladungsträger bei dieser gerichteten Bewegung entsteht im Wechselspiel mit Streuprozessen. Die Stromdichte lässt sich berechnen durch Multiplikation der Driftgeschwindigkeit mit der Raumladungsdichte. Der Driftstrom wächst trotz der Beschleunigung nicht beliebig an; bei einer gegebenen Spannung  stellt sich eine begrenzte Stromstärke  ein. Diese Beobachtung wird mit einem elektrischen Widerstand  erklärt. Definiert wird er durch das Verhältnis . In vielen Leitermaterialien ist die Stromstärke bei konstanter Temperatur proportional zur Spannung. In diesem Fall wird der Zusammenhang als ohmsches Gesetz bezeichnet, bei dem der Proportionalitätsfaktor  von der Spannung und Stromstärke unabhängig ist. In einem Stromkreis mit einer Spannungsquelle bestimmen deren feststehende elektrische Spannung und der Widerstand die konkrete Stromstärke. Hingegen baut bei Verwendung einer Stromquelle deren feststehende Stromstärke am Widerstand die konkrete Spannung auf. In der Praxis kommen allerdings Spannungsquellen viel häufiger als Stromquellen vor, wie beispielsweise in Stromversorgungen, weshalb sich der konkrete Wert der elektrischen Stromstärke nach dem Verbraucher (genauer: dessen Widerstand) richtet. Stromleitung in Metallen In Metallen sind ein Teil der Elektronen, die sogenannten Leitungselektronen, nicht jeweils an ein bestimmtes Atom gebunden, sondern gehören allen Atomen gemeinsam, siehe metallische Bindung. Nach dem Drude-Modell ist die Leitfähigkeit von Metallen proportional zur Zahl der Leitungselektronen und ihrer Beweglichkeit. Realistischer ist das Bändermodell. Ionenleiter Der Stromtransport ist bei einem Ionenleiter an einen stofflichen Transport von beweglichen, elektrisch positiv oder negativ geladenen Atomen oder Molekülen (also Ionen) gebunden. Das unterscheidet diese Leiter von Leitern 1. Klasse wie den Metallen, in denen die Elektronen den elektrischen Strom tragen. Als Ionenleiter kommen vor allem ionisierte Gase und elektrisch leitfähige Flüssigkeiten in Frage. Man nennt diese Ionenleiter Elektrolyte oder Plasma. Auch Festkörper können Ionenleiter sein, siehe Festelektrolyt. Bei Ionenleitern kommt es bei Gleichstrom im Gegensatz zu Metallen im Regelfall zu einer stofflichen Veränderung des elektrischen Leiters. Dieser Effekt wird bei der Elektrolyse ausgenutzt. Solche chemischen Vorgänge können die Beschaffenheit des Leiters so verändern, dass sich die elektrolytische Leitfähigkeit allmählich ändert. Ist ein solcher Materialtransport (beispielsweise bei einer Gasentladung) unerwünscht, kann er durch Wechselstrom weitgehend unterbunden werden. Wirkungen des Stromes Das Auftreten eines elektrischen Stromes äußert sich durch folgende Wirkungen: Wärmewirkung (siehe beispielsweise Stromwärmegesetz) magnetische Wirkung (siehe beispielsweise Elektromagnetismus),einschließlich Kraftwirkung in eigenem oder äußerem Magnetfeld (siehe beispielsweise Elektromagnet, Elektromotor, Elektronenstrahl) chemische Wirkung (siehe beispielsweise Elektrochemie),einschließlich elektrochemische Wirkung in lebenden Organismen (siehe beispielsweise Elektrophysiologie) Lichtwirkung (siehe beispielsweise Leuchtdiode, Leuchtstofflampe, Lichtbogen) Technische Stromarten Gleichstrom Als Gleichstrom (, abgekürzt DC) wird jener elektrische Strom bezeichnet, der über die Zeit seine Richtung und Stärke nicht ändert, also zeitlich konstant ist. Praktisch alle elektronischen Geräte im Haushalt wie Radio- und Fernsehempfänger, Computer oder auch die Steuerungen heutiger Waschmaschinen benötigen für ihre Stromversorgung Gleichstrom. Aber auch in der Energietechnik werden Gleichströme eingesetzt, beispielsweise in der Schmelzflusselektrolyse zur Aluminiumgewinnung, für gut drehzahlregelbare Gleichstrommotoren (inzwischen zunehmend durch Stromrichter und Asynchronmotoren ersetzt), als Zwischenkreis in Stromrichtern, in Sendeanlagen und in Kraftfahrzeug-Bordnetzen. Gleichstrom kann durch Gleichrichter aus Wechselstrom gewonnen werden. Diese werden daher überall dort eingesetzt, wo Gleichstrom benötigt wird, aber nur der Wechselstrom des öffentlichen Stromnetzes zur Verfügung steht. Seltener, weil erheblich teurer, verwendet man auch direkte Gleichstromquellen, wie z. B. galvanische Zellen und photovoltaische Zellen. Kuriose Sonderfälle ohne technische Bedeutung sind elektrische Maschinen, die direkt ohne Gleichrichter mittels der Unipolarinduktion Gleichstrom herstellen können. Wechselstrom Bei Wechselstrom (, abgekürzt AC) kommt es zu einer periodischen Änderung der Stromrichtung. Jede Periode besteht aus aufeinanderfolgenden Zeitspannen mit positiven und negativen Augenblickswerten, die sich zu einer mittleren Stromstärke null ergänzen. Ausschlaggebend für den Erfolg des Wechselstroms zum Energietransport war, dass die Spannung mit Hilfe von Transformatoren sehr einfach geändert werden kann. Alle öffentlichen Stromversorgungsnetze werden mit Wechselspannung betrieben,– in Europa und vielen weiteren Ländern mit der Netzfrequenz 50 Hz, in anderen Teilen der Welt 60 Hz, siehe Länderübersicht Steckertypen, Netzspannungen und -frequenzen. Eine besondere Form von Wechselstrom ist der Dreiphasenwechselstrom (umgangssprachlich Stark-, Dreh- oder Kraftstrom), wie er in öffentlichen Stromnetzen zur elektrischen Energieverteilung großer Leistungen Verwendung findet. Diese Stromart ermöglicht besonders einfach gebaute und robuste Elektromotoren. Weitere Beispiele für Wechselstrom Fahrradlichtmaschine (einige 100 Hz) Audiosignale (20 … 20.000 Hz) Antennenkabel (MHz bis GHz) Mischstrom Eine Kombination aus Wechselstrom und Gleichstrom wird Mischstrom genannt. Dabei kommt es nicht unbedingt zu einer Richtungsänderung des Mischstromes, sondern der zeitlich konstante Gleichstromanteil wird durch den zusätzlich aufgebrachten Wechselstrom in seiner Stärke periodisch geändert (pulsierender Gleichstrom). Dieser Mischstrom tritt beispielsweise bei Gleichrichtern auf und wird mit Glättungskondensatoren oder Glättungsdrosseln in Netzteilen geglättet. Der dabei übrigbleibende (meist unerwünschte) Wechselanteil wird als Restwelligkeit bezeichnet, die mit einer Brummspannung verkoppelt ist. Weitere Beispiele für Mischstrom analoges Telefon (Gleichstrom + Rufton oder Audiosignal) Tonaderspeisung (Gleichstrom + Audiosignal) Pulsdauermodulations-Signal (die Pulsdauer verändert den Mittelwert) Eingeprägter Strom Von einem eingeprägten Strom spricht man, wenn die Stromstärke in einem weiten Bereich unabhängig vom Wert des Lastwiderstands ist. Dabei kann es sich um Gleichstrom oder um Wechselstrom beliebiger Frequenz und Kurvenform handeln. Sogenannte Labornetzteile verfügen sowohl über eine einstellbare Begrenzung der Ausgangsspannung als auch über eine einstellbare Begrenzung der Ausgangsstromstärke und weisen so eine Rechteckkennlinie auf. Welche der beiden Begrenzungen erreicht wird, hängt von der Größe der Belastung ab. Wenn beispielsweise die Begrenzungen auf 30 V und 1,0 A eingestellt sind, dann wird bei einem Lastwiderstand von über 30 Ω (bis zum Leerlauf) die Spannungsbegrenzung erreicht. Ändert sich der Widerstand innerhalb des angegebenen Bereichs, so ändert sich nur die Stromstärke entsprechend. Die davon unverändert bleibende Spannung bezeichnet man als eingeprägte Spannung. Bei einem Lastwiderstand von weniger als 30 Ω (bis zum Kurzschluss) wird die Strombegrenzung erreicht. Ändert sich der Widerstand innerhalb des angegebenen Bereichs, so ändert sich nur die Spannung, die sich dazu passend auf Werte unterhalb von 30 V einstellt, während der trotz Belastungsänderung unverändert fließende Strom einen eingeprägten Strom darstellt. Elektrischer Strom im Alltag Elektrischer Strom dient in Alltag und Haushalt zur Energieversorgung zahlreicher elektronischer, elektrischer und elektromechanischer Geräte und Anlagen aller Größen, von beispielsweise Armbanduhren bis zu Fahrstühlen. Typischerweise wird er bei kleinen Geräten von einer ins Gerät eingelegten Batterie direkt geliefert, bei großen über das Stromnetz von einem Elektrizitätswerk. In den Industriestaaten ist das gesamte Leben von Bezug und Umformung dieser Energieform durchdrungen. Stromverbrauch Der umgangssprachliche Ausdruck „Strom verbrauchen“ ist, ähnlich wie der Ausdruck „Energieverbrauch“, physikalisch gesehen nicht richtig. Denn aufgrund der Ladungserhaltung fließt genau der Strom, der in ein Gerät hinein fließt, auch wieder hinaus – sofern das Gerät nicht als Ganzes entweder positiv oder negativ aufgeladen wird. Gemeint ist mit Stromverbrauch in aller Regel die elektrische Energie, die von einem elektrischen Bauelement, Stromkreis oder Gerät umgesetzt wird, oft auch pro Zeitspanne gerechnet, also die elektrische Leistung. Auswirkungen des elektrischen Stroms auf den Menschen Schädigungen durch elektrischen Strom können durch Erregung elektrisch reizbarer Strukturen von Nerven- und Muskelgewebe oder durch die Folgen der bei Stromeinwirkung möglichen Wärmeentwicklung entstehen. Obwohl die Stromstärke pro Fläche – also die elektrische Stromdichte – und deren Einwirkdauer für die Auswirkungen eines Stromunfalls verantwortlich ist, wird oft die Spannung als Gefahrenquelle angegeben, da sich mithilfe des ohmschen Gesetzes über den Körperwiderstand die Stromstärke bzw. Stromdichte im Körper berechnen lässt. Der Weg des elektrischen Stroms (also beispielsweise rechte Hand – Fuß) ist dabei maßgeblich für die Gefährlichkeit der Spannung, bei einem kürzeren Weg wie etwa Brust – Rücken können geringere Spannungen lebensgefährlich werden. Zusätzlich gibt die Höhe der Spannung Auskunft über den erforderlichen Mindestabstand zu blanken, nicht isolierten Hochspannungsleitungen. Elektrische Wechselströme im Bereich der Netzfrequenz sind ab 0,5 mA für den menschlichen Organismus spürbar und bei höheren Stromstärken über 10 mA, welche länger als 2 s einwirken, gefährlich, für Kinder möglicherweise bereits tödlich. Gleichströme sind ab 2 mA spürbar und ab 25 mA, welche länger als 2 s einwirken, gefährlich. Man spricht dann auch von einem Stromschlag. Diese und folgende Werte gelten jedoch nur, wenn sich der Strom über den Körperwiderstand im Körper verteilt und nicht z. B. auf den Herzmuskel konzentriert; bei Elektroden unter der Haut gelten sehr viel kleinere Werte. Bei intensivmedizinischen Eingriffen direkt am Herzen bzw. Herzmuskel können auch wesentlich geringere Stromstärken Herzkammerflimmern auslösen. Die anschließende Tabelle gibt die Gefährlichkeit von Wechselstrom von 50–60 Hz wieder: Bei elektrischen Energieversorgungsnetzen und vor allem Bereiche und Anlagen, die mit Hochspannung betrieben werden, wie etwa Umspannwerke, Freileitungen, aber auch Oberleitungen für Bahnen, kommen auch Stromunfälle durch Spannungsüberschläge und Lichtbögen vor. Der Stromunfall mit Lichtbogeneinwirkung ist fast ausnahmslos zusätzlich mit Verbrennungen verbunden und es entstehen in der Brandwunde meist toxische Verbrennungsprodukte. Außerdem führen Hochspannungsunfälle (bei ausreichender Stromstärke) häufiger und rascher zu einem Herz- und Kreislaufstillstand. Elektrostatische Entladungen können Menschen verletzen oder töten. Besonders bei einem Gewitter besteht ein Risiko, direkt vom Blitz getroffen zu werden. Die Stromstärken reichen von etwa 2 kA bis über 100 kA. Die Entladungsdauer beträgt meist einige 100 μs. Durch die hohe Flankensteilheit des Blitzstromes treten Skineffekte auf, deren Folgen von völliger Unversehrtheit bis hin zu schweren Verbrennungen auf der Körperoberfläche mit Todesfolge reichen können. Ein weiterer Effekt ist das Auftreten von hohen Berührungsspannungen durch Naheinschläge von Blitzen. Elektrischer Strom in der Natur Jenseits der Zivilisation tritt elektrischer Strom unter anderen auf: atmosphärische Entladungen als Blitze bei einem Gewitter Geomagnetisch induzierter Strom in der Erde nach einem Magnetischen Sturm infolge einer Sonneneruption (bis einige 100 A in Stromnetzen) Zitterfische wie Zitterrochen und Zitteraal erzeugen elektrischen Strom zur Verteidigung (1 bis 50 A) aktive und passive Orientierung und Kommunikation von Lebewesen (siehe Elektrische Orientierung) bioelektrochemische Prozesse wie Erregungsleitung in Nervenzellen (pA bis nA, siehe auch Hirnströme) und einigen pflanzlichen Parenchymzellen, aber auch Erzeugung und Verarbeitung von Impulsen bei Sinnes- und Muskelzellen Siehe auch Elektro-Hydraulische Analogie – Veranschaulichung einiger Größen im Stromkreis durch Analogie zu einem hydraulischen System Literatur Weblinks Versuche und Aufgaben zum elektrischen Strom (auf Schülerniveau, LEIFI) Einzelnachweise Elektrische Größe
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Edelgard Bulmahn
Edelgard Bulmahn (* 4. März 1951 in Petershagen) ist eine deutsche Politikerin (SPD). Sie war von 1998 bis 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung und von 2005 bis 2009 Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie des Deutschen Bundestages. Zu den von ihr als Bildungsministerin initiierten bzw. umgesetzten Reformen gehören der Ausbau der Ganztagsschule, die Bologna-Reform und die Exzellenzinitiative. In der 17. Wahlperiode war sie Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Von 2013 bis 2017 war sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Mit Ablauf der Legislaturperiode beendete sie ihre parlamentarische Arbeit im Jahr 2017. Leben und Beruf Die Tochter eines Binnenschiffers und einer Friseurin wechselte nach acht Jahren Volksschule an das Aufbaugymnasium Petershagen. Nach dem Abitur 1972 verbrachte Edelgard Bulmahn zunächst ein Jahr im Kibbuz „Bror Chail“ in Israel. Danach begann sie ein Lehramtsstudium der Politikwissenschaft und der Anglistik in Hannover. 1978 bestand sie das erste und 1980 das zweite Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. Seitdem war sie als Studienrätin an der Lutherschule Hannover tätig. Edelgard Bulmahn ist seit 1979 mit Joachim Wolschke-Bulmahn verheiratet. Parteikarriere und Abgeordnetentätigkeit Seit 1969 ist Edelgard Bulmahn Mitglied der SPD. Von 1981 bis 1986 war sie Bezirksratsfrau im Stadtbezirk Linden-Limmer. Seit 1987 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, von 1987 bis 1989 stellvertretende Vorsitzende der Enquete-Kommission „Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung“. Seit 1991 war sie Mitglied im Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion, von 1993 bis 2011 Mitglied im SPD-Parteivorstand und von 2001 bis 2011 Mitglied im Präsidium der SPD. Zudem fungierte sie als Vorsitzende des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie. Von 1998 bis 2003 war sie SPD-Landesvorsitzende in Niedersachsen. Edelgard Bulmahn ist stets als direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Stadt Hannover II in den Bundestag eingezogen. Bei der Bundestagswahl 2005 erreichte sie hier 54,3 % der Erststimmen. Bei der Bundestagswahl 2009 erreichte sie hier 39,8 % der Erststimmen, bei der Bundestagswahl 2013 42,8 % der Erststimmen. Bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 22. Oktober 2013 wurde sie zu einer der Vizepräsidenten des Bundestages gewählt. Von 1995 bis 1996 war sie Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und von 1996 bis 1998 Fraktions-Sprecherin für Bildung und Forschung. 2005 bis 2009 war sie Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages, zuletzt ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Zur Bundestagswahl 2017 ist Bulmahn wie angekündigt nicht wieder angetreten. Bundesministerin für Bildung und Forschung Seit dem 27. Oktober 1998 war Edelgard Bulmahn in der von Bundeskanzler Gerhard Schröder geführten Bundesregierung Bundesministerin für Bildung und Forschung. Nach dem Kabinett Schröder I gehörte sie auch dem Kabinett Schröder II an. In ihrer Amtszeit brachte sie grundlegende Reformen der deutschen Bildungs- und Forschungslandschaft auf den Weg. Das von ihr initiierte Forum Bildung, in dem erstmals neben Vertretern von Bund und Ländern auch Sozialpartner, Kirchen, Eltern, Schüler, Auszubildende, Studierende und Wissenschaftler mitwirkten, legte am 19. November 2001 nach zweijähriger Arbeit 12 Empfehlungen zur Neugestaltung des deutschen Bildungswesens vor. Diese zielten auf eine Verbesserung der schulischen Ausbildungsqualität, die Gewährleistung von Chancengleichheit, eine bessere individuelle Förderung und beeinflussten die bildungspolitische Diskussion der darauffolgenden Jahre. Die Empfehlung zum Ausbau der Ganztagsschule setzte Bulmahn gegen den heftigen Widerstand der unionsgeführten Länder mit dem mit vier Milliarden Euro ausgestatteten Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung um. Das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz wurde von Bulmahn mit der Novellierung vom 20. Dezember 2001 deutlich ausgebaut, was sich in rasch steigenden Teilnehmerzahlen niederschlug. Ihre darüber hinausgehenden Vorschläge zur Reform des deutschen Bildungswesens scheiterten jedoch am Widerstand in den Bundesländern. Nur im Hinblick auf den von Bulmahn vorgeschlagenen Nationalen Bildungsbericht gelang noch eine Verständigung. Bei der beruflichen Bildung kam es in Bulmahns Amtszeit zu einer Vielzahl von Neuerungen, speziell in den Informations- und Kommunikationstechnologien. Das Berufsbildungsgesetz (Deutschland) wurde zum 1. April 2005 erstmals nach 35 Jahren grundlegend novelliert. Ein Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs sollte ein ausreichendes Lehrstellenangebot sichern. Auch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) wurde von Bulmahn reformiert. Die Freibeträge und Bedarfssätze wurden deutlich angehoben, die Darlehensschulden gedeckelt und die Beschränkungen für ein Auslandsstudium aufgehoben. Mit der Einführung eines vom Elterneinkommen unabhängigen Ausbildungsgeldes, das Kindergeld und familienbezogene Leistungen hätte zusammenfassen sollen, scheiterte sie allerdings am Einspruch von Bundeskanzler Schröder. Nur einen kurzfristigen Erfolg hatte sie mit ihrem Vorhaben, Studiengebühren gesetzlich auszuschließen und eine Studierendenvertretung gesetzlich im Hochschulrahmengesetz zu verankern, da das Bundesverfassungsgericht hierin einen unzulässigen Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz der Länder sah. Nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Hochschullandschaft übte Bulmahn mit dem Ausbau der Frauenförderung und der Nachwuchsförderung (Graduiertenkolleg, Graduiertenschule, Emmy Noether-Programm), der Einführung der Juniorprofessur, der Reform der Professorenbesoldung (Besoldungsordnung W), der Bologna-Reform und der Exzellenzinitiative aus. Eine von ihr angestrebte bessere Breitenförderung der Hochschulen scheiterte an den Ländern, die den vorgeschlagenen Pakt für Hochschulen als Eingriff in die Kulturhoheit ablehnten und den Hochschulbau für sich reklamierten. In der Forschungspolitik setzte Bulmahn Akzente mit dem Programm „Forschung für Nachhaltigkeit“, der erstmaligen Förderung der sozialökologischen Forschung, der Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung, der Entwicklung eines spezifischen Programms für die Neuen Länder (InnoRegio) und dem Ausbau der Gesundheitsforschung. Neuland beschritt sie mit der gezielten Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Bevölkerung im Rahmen von Wissenschaft im Dialog und der Etablierung der Wissenschaftsjahre. Durch den Pakt für Forschung und Innovation erhielten die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanzielle Planungssicherheit. Insgesamt gelang es Bulmahn trotz der angespannten Haushaltslage, einen deutlichen Mittelzuwachs von knapp 36 % für die Förderung von Bildung und Forschung durchzusetzen. Mit der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin schied sie am 22. November 2005 aus dem Amt. Im Rückblick zeigt Bulmahn Verständnis für Kritik an den Auswirkungen von Teilen der in ihre Amtszeit fallenden Hochschulreform: Es sei etwas aus der Balance geraten zwischen Projektfinanzierung auf der einen und Grundfinanzierung auf der anderen Seite. In der Wissenschaft würden zugleich kurzfristiger Wettbewerb und langfristige Planung gebraucht. „Wenn Wissenschaftler aber nur noch Anträge schreiben müssen und gar nicht mehr die Kraft haben, kreativ zu sein und langfristige Forschungsinteressen zu verfolgen, dann ist eine Schieflage entstanden.“ Das gelte ebenso für die Kurzfristigkeit vieler Beschäftigungsverhältnisse: „2006, also kurz nach dem Ende meiner Amtszeit, ist passiert, wogegen ich mich als Ministerin gesperrt habe: dass Drei-, Fünf- oder Neunmonatsverträge en masse erlaubt wurden.“ Zu dem von ihr Erreichten zählt Bulmahn eine stärkere Profilierung und Vernetzung von außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen. „Das große Problemthema der neunziger Jahre war ja das Nebeneinander und die Erstarrung der einzelnen Einrichtungen. Diese sogenannte Versäulung haben wir dann durchbrochen.“ Als „die hochschulpolitische Notwendigkeit unserer Zeit“ bezeichnet es Bulmahn, die mangelnde Grundfinanzierung der Hochschulen mit Bundesmitteln zu beheben. Bei der Ausgestaltung der Bologna-Reform macht sie Defizite bezüglich der Personalausstattung und des Weiterbildungsangebots aus. Weitere Engagements Edelgard Bulmahn war stellvertretende Vorsitzende der Naturfreunde Deutschlands und gehörte dem Vorstand von Eurosolar an. Sie war Mitglied der Kuratorien des Öko-Instituts, der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Volkswagenstiftung, der Stiftung Lesen. und des Beirates von Femtec. Weitere Engagements übernahm sie als Senatorin der Stiftung Niedersachsen, als Schirmherrin der Linden-Limmer-Stiftung und in der der Aktion Kindertraum. Außerdem war sie Mitglied des Stiftungsrates der von Georg Zundel gegründeten Berghof Stiftung für Konfliktforschung sowie stellvertretende Vorsitzende des deutsch-amerikanischen Netzwerks Atlantik-Brücke e. V. Bulmahn engagierte sich in der Trilateralen Kommission in Europa und als Jurymitglied des „Innovationswettbewerbs Top 100“, einer Auszeichnung für die innovativsten Unternehmen im deutschen Mittelstand. Sie ist stellvertretendes Kuratoriumsmitglied der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, Mitglied in den Kuratorien Deutsche Telekom Stiftung, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Impuls-Stiftung, German Institute of Global and Area Studies sowie Ehrensenatorin der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“. Literatur Vera de Vries: Edelgard Bulmahn. In: Tigo Zeyen, Anne Weber-Ploemacher (Hrsg.), Joachim Giesel (Fotos): 100 hannoversche Köpfe. CW Niemeyer Buchverlage, Hameln 2006, ISBN 3-8271-9251-X, S. 46 f. Weblinks Website von Edelgard Bulmahn Einzelnachweise Bildungsminister (Bundesrepublik Deutschland) Forschungsminister (Bundesrepublik Deutschland) Bundestagsabgeordneter (Niedersachsen) Vorsitzender der SPD Niedersachsen SPD-Parteivorstand Gymnasiallehrer Linden-Limmer Person (Hannover) Deutscher Geboren 1951 Frau Bundestagsvizepräsident (Deutschland) Mitglied des Auswärtigen Ausschusses (Deutscher Bundestag)
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Euklidische Geometrie
Die euklidische Geometrie ist zunächst die uns vertraute, anschauliche Geometrie des Zwei- oder Dreidimensionalen. Der Begriff hat jedoch sehr verschiedene Aspekte und lässt Verallgemeinerungen zu. Benannt ist dieses mathematische Teilgebiet der Geometrie nach dem griechischen Mathematiker Euklid von Alexandria. Die Geometrie des Euklid Im engsten Sinne ist euklidische Geometrie die Geometrie, die Euklid in dem Werk Die Elemente dargelegt hat. Über zweitausend Jahre lang wurde Geometrie nach diesem axiomatischen Aufbau gelehrt. Die Redewendung „more geometrico“ (lateinisch: „auf die Art der (euklidischen) Geometrie“) dient noch heute als Hinweis auf eine streng deduktive Argumentation. Euklid geht dabei folgendermaßen vor: Definitionen Das Buch beginnt mit einigen Definitionen, beispielsweise: Ein Punkt ist, was keine Teile hat. Eine Linie ist eine breitenlose Länge. Eine Gerade ist eine Linie, die bezüglich der Punkte auf ihr stets gleich liegt. Ähnlich werden Ebene, Winkel u. a. definiert. Außer diesen mehr oder weniger anschaulichen Definitionen von Grundbegriffen gibt es auch Definitionen, die im modernen Sinne als Worteinführungen zu verstehen sind, weil sie im folgenden Text abkürzend gebraucht werden, so zum Beispiel für Parallelen: „Parallel sind gerade Linien, die in derselben Ebene liegen und dabei, wenn man sie nach beiden Seiten ins Unendliche verlängert, auf keiner Seite einander treffen.“ Insgesamt geben die Elemente 35 Definitionen. Postulate Nach den eher beschreibenden Definitionen folgen die fünf eher festlegenden Postulate. Gefordert wird hier, dass man von jedem Punkt nach jedem Punkt die Strecke ziehen könne, dass man eine begrenzte gerade Linie zusammenhängend gerade verlängern könne, dass man mit jedem Mittelpunkt und Abstand den Kreis zeichnen könne, dass alle rechten Winkel einander gleich seien und dass, wenn eine gerade Linie beim Schnitt mit zwei geraden Linien bewirke, dass innen auf derselben Seite entstehende Winkel zusammen kleiner als zwei rechte würden, dann die zwei geraden Linien bei Verlängerung ins Unendliche sich treffen würden auf der Seite, auf der die Winkel lägen, die zusammen kleiner als zwei rechte seien (kurz: dass zu einer geraden Linie durch einen gegebenen Punkt, der außerhalb dieser Geraden läge, höchstens eine dazu parallele gerade Linie existieren dürfe, siehe Parallelenpostulat). Euklids Axiome Was demselben gleich ist, ist auch einander gleich. Wenn Gleichem Gleiches hinzugefügt wird, sind die Summen gleich. Wenn von Gleichem Gleiches weggenommen wird, sind die Reste gleich. Was miteinander zur Deckung gebracht werden kann, ist einander gleich. Das Ganze ist größer als ein Teil. Probleme und Theoreme Hierauf aufbauend behandelt Euklid nun Probleme … Beispiel: „Über einer gegebenen Strecke ein gleichseitiges Dreieck errichten.“ … und Theoreme Beispiel: „Wenn in einem Dreieck zwei Winkel einander gleich sind, müssen auch die den gleichen Winkeln gegenüberliegenden Seiten einander gleich sein.“ Zur Lösung eines Problems oder zum Beweis eines Theorems werden grundsätzlich nur die Definitionen, Postulate und Axiome sowie vorher bewiesene Theoreme und die Konstruktionen aus vorher gelösten Problemen verwendet. Geometrie und Wirklichkeit bei Euklid Als Platoniker war Euklid davon überzeugt, dass die von ihm formulierten Postulate und Axiome die Wirklichkeit wiedergeben. Gemäß Platons Ideenlehre gehören sie einer ontologisch höherrangigen Ebene an als die in den Sand gezeichneten Figuren, die ihre Abbildungen sind. Das Verhältnis zwischen einem unvollkommen gezeichneten Kreis und der vollkommenen Idee des Kreises illustriert den Unterschied zwischen der sinnlich wahrnehmbaren Welt und der intelligiblen (nur geistig erfassbaren) Welt, der in Platons Höhlengleichnis veranschaulicht wird. Unterschiede zu einer rein axiomatischen Theorie Aus heutiger Sicht genügen Die Elemente nicht dem Anspruch an eine axiomatische Theorie: Zweck der Definitionen (soweit sie Grundbegriffe betreffen) ist es bei Euklid, den Bezug zur vertrauten geometrischen Erfahrungswelt herzustellen und die Postulate zu motivieren. Die Aussagekraft solcher Sätze wird sehr unterschiedlich beurteilt. Strenge Axiomatiker halten sie für überflüssig. Die fünf Postulate repräsentieren am ehesten das, was heute als Axiom angesehen würde. Als Grundlage für die aus ihnen gezogenen Schlüsse sind sie aber nicht umfassend genug und zu ungenau. – Anzumerken ist, dass zumindest die drei ersten „Postulate“ die Möglichkeit von bestimmten Konstruktionen postulieren (und nicht etwa das Zutreffen bestimmter Sachverhalte). Euklids Axiomatik kann deshalb auch als konstruktive Axiomatik bezeichnet werden. Die als Axiome bezeichneten Aussagen betreffen weniger die Geometrie als vielmehr die logischen Grundlagen. Im Sinne einer Begründung der Logik sind sie allerdings lückenhaft. Hieraus folgt, dass die Schlüsse notgedrungen eine Vielzahl von unausgesprochenen Annahmen verwenden. Die moderne axiomatische Theorie In einem anderen Sinne ist euklidische Geometrie eine am Ende des 19. Jahrhunderts entstandene, streng axiomatische Theorie. Die oben genannten Probleme wurden deutlich, als sich Bertrand Russell, David Hilbert und andere Mathematiker um eine strengere Grundlegung der Mathematik bemühten. Sie wurden von Hilbert gelöst, der die Ergebnisse in seinem Werk Grundlagen der Geometrie (1899) veröffentlichte. Vorläufer waren Hermann Graßmann, Moritz Pasch, Giuseppe Peano und andere. Auch nach Hilbert wurden mehrere andere Axiomensysteme für die euklidische Geometrie aufgestellt. Hilberts Vorgehensweise David Hilbert verwendet „drei verschiedene Systeme von Dingen“, nämlich Punkte, Geraden und Ebenen, von denen er nur sagt: „Wir denken (sie) uns“. Diese Dinge sollen „in drei grundlegenden Beziehungen“ zueinander „gedacht werden“, nämlich „liegen“, „zwischen“ und „kongruent“. Zur Verknüpfung dieser „Dinge“ und „Beziehungen“ stellt er dann 21 Axiome in fünf Gruppen auf: Acht Axiome der Verknüpfung (Inzidenz) Vier Axiome der Anordnung (Ordnung) Sechs Axiome der Kongruenz (Kongruenz) Das Axiom der Parallelen (Parallelenaxiom) Zwei Axiome der Stetigkeit (archimedisches Axiom und Vollständigkeitsaxiom) Geometrie und Wirklichkeit bei Hilbert Als ein Vertreter des Formalismus erklärt Hilbert es für irrelevant, was diese Punkte, Geraden und Ebenen mit der Wirklichkeit zu tun haben. Die Bedeutung der Grundbegriffe sei dadurch bestimmt, dass sie die Axiome erfüllen. So beginnt er den Abschnitt über die Axiome der Verknüpfung mit dem Satz: „Die Axiome dieser Gruppe stellen zwischen den oben eingeführten Dingen: Punkte, Geraden und Ebenen eine Verknüpfung her und lauten wie folgt:…“ Die Definitionen der Grundbegriffe erfolgen also implizit. Andererseits erklärt Hilbert in der Einleitung zu seinem Werk: „Die vorliegende Untersuchung ist ein neuer Versuch, für die Geometrie ein vollständiges und möglichst einfaches System von Axiomen aufzustellen…“. Mit diesem Bezug auf die Geometrie stellt er klar, dass es ihm nicht um einen beliebigen Formalismus geht, sondern um eine Präzisierung dessen, was Euklid mit „Geometrie“ gemeint hat und was wir alle als die Eigenschaften des uns umgebenden Raumes kennen. – Diese Präzisierung ist Hilbert vollständig gelungen, und sie erweist sich als viel aufwändiger, als Euklid ahnte. Weitere Axiomensysteme Später aufgestellte Axiomensysteme sind grundsätzlich äquivalent zu dem Hilberts. Sie berücksichtigen die Weiterentwicklung der Mathematik. Eine mögliche Axiomatisierung ist gegeben durch die Axiome der absoluten Geometrie zusammen mit dem folgenden Axiom, das unter Voraussetzung der übrigen Axiome der absoluten Geometrie gleichwertig zum Parallelenaxiom ist: Zu jeder Geraden existiert eine von ihr verschiedene Parallele. Sind zwei Geraden zu einer dritten parallel, dann sind sie auch parallel zueinander. Euklidische und nichteuklidische Geometrie Weiterhin dient der Begriff euklidische Geometrie als Gegenbegriff zu den nichteuklidischen Geometrien. Den Impuls gab dabei die Auseinandersetzung mit dem Parallelenpostulat. Nachdem jahrhundertelang zuvor vergeblich versucht worden war, dieses fünfte Postulat des Euklid auf ein einfacheres zurückzuführen, schlussfolgerten der Ungar János Bolyai und der Russe Nikolai Iwanowitsch Lobatschewski um 1830, dass eine Verneinung dieses fünften Postulates zu logischen Widersprüchen führen müsse, wenn dieses tatsächlich auf einfachere Aussagen zurückgeführt werden könne. Also verneinten die beiden Mathematiker dieses Postulat und definierten jeweils eigene (Ersatz-)Postulate, die wider Erwarten zu einem logisch völlig einwandfreien geometrischen System führten – den nichteuklidischen Geometrien: „Nicht der Beweis war indes so beunruhigend, sondern vielmehr sein rationales Nebenprodukt, das schon bald ihn und fast alles in der Mathematik überschatten sollte: Die Mathematik, der Eckstein wissenschaftlicher Gewissheit, war auf einmal ungewiss geworden. Man hatte es jetzt mit zwei einander widersprechenden Visionen unantastbarer wissenschaftlicher Wahrheit zu tun“, was zu einer tiefen Krise in den Wissenschaften führte (Pirsig, 1973). Die genaue Formulierung des „hyperbolischen“ Axioms, das in der Geometrie von Lobatschewski, der hyperbolischen Geometrie, an die Stelle des Parallelenaxioms tritt, lautet: „… durch einen auf einer Gerade nichtliegenden Punkt gehen mindestens zwei Geraden, die mit dieser in einer Ebene liegen und sie nicht schneiden …“ Nichteuklidische Geometrien und die Wirklichkeit Ob nichteuklidische Geometrien (es gibt verschiedene) den realen Raum beschreiben können, wird unterschiedlich beantwortet. Meist werden sie als rein abstrakt-mathematische Theorien verstanden, die nur durch die Ähnlichkeit der Begriffe und Axiomensysteme den Namen „Geometrie“ verdienen. Diese Theorien haben sich inzwischen allerdings in der theoretischen Physik als sehr relevant für die Beschreibung der Realität unseres Weltalls erwiesen. Die analytische Geometrie der Ebene und des Raumes In einem Koordinatensystem lässt sich ein Punkt darstellen als ein Paar (in der ebenen Geometrie) oder als ein Tripel von reellen Zahlen. Eine Gerade oder Ebene ist dann eine Menge von solchen Zahlenpaaren (bzw. -tripeln), deren Koordinaten eine lineare Gleichung erfüllen. Die hierauf aufgebaute analytische Geometrie der reellen Zahlenebene oder des reellen Zahlenraums erweist sich als völlig äquivalent zu der axiomatisch definierten. Man kann die analytische Geometrie als ein Modell für die axiomatische Theorie ansehen. Dann liefert sie einen Beweis der Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems (wobei man allerdings eine widerspruchsfreie Begründung der reellen Zahlen als gegeben voraussetzen muss). Man kann den analytischen Zugang aber auch als eine selbstständige (und bequemere) Begründung der Geometrie ansehen; aus dieser Sicht ist der axiomatische Zugang nur noch von geschichtlichem Interesse. Bourbaki zum Beispiel (und ebenso Jean Dieudonné) verzichtet vollständig auf die Verwendung originär geometrischer Begriffe und hält mit der Behandlung der topologischen Vektorräume das Thema für erledigt. Euklidische Geometrie als Lehre vom Messen Euklidische Geometrie ist auch die Geometrie, in der Strecken und Winkeln Maße zugeordnet werden. Im axiomatischen Aufbau der euklidischen Geometrie kommen Zahlen scheinbar überhaupt nicht vor. Es ist allerdings festgelegt, wie man an eine Strecke eine kongruente in der gleichen Richtung anfügt, diese also verdoppelt – und folglich auch mit einer beliebigen natürlichen Zahl vervielfacht. Es gibt auch eine Konstruktion, um eine gegebene Strecke in n gleiche Teile zu teilen. Wird nun noch eine beliebige Strecke als Einheitsstrecke ausgezeichnet, so ist es damit möglich, Strecken zu konstruieren, deren Maßzahl eine beliebige rationale Zahl ist. Dies ist der wesentliche Gegenstand der altgriechischen Arithmetik. Bei anderen Konstruktionen ergeben sich Strecken, die keine rationale Zahl als Maßzahl haben. (Etwa die Diagonale des Quadrats über der Einheitsstrecke oder ihre Abschnitte bei der Teilung nach dem goldenen Schnitt.) Dies nachgewiesen zu haben, zeugt von dem unglaublich hohen Niveau der griechischen Mathematik schon zur Zeit der Pythagoreer. Somit wird die Einführung von irrationalen Zahlen erforderlich. 2000 Jahre später stellt Hilberts Vollständigkeitsaxiom sicher, dass alle reellen Zahlen als Maßzahlen für Strecken auftreten können. Die Festlegung von Maßzahlen für Winkel verläuft ähnlich. Die Festlegung eines „Einheitswinkels“ entfällt, da mit dem Vollwinkel (oder dem Rechten Winkel) ein objektives Maß existiert. Andererseits ist die Teilung des Winkels in gleiche Teile wesentlich problematischer; längst nicht zu jedem rationalen Winkelmaß lässt sich ein Winkel konstruieren. Schon die Dreiteilung des Winkels misslingt im Allgemeinen. Die so eingeführte Metrik ist äquivalent zu der durch die euklidische Norm induzierten euklidische Metrik des „analytischen“ oder . Für die durch ihre Koordinaten gegebenen Punkte und ist also . Maßzahlen für Winkel lassen sich in der analytischen Geometrie über das Skalarprodukt von Vektoren definieren. Verallgemeinerung für höhere Dimensionen Als analytische Geometrie lässt sich die euklidische Geometrie ohne weiteres für eine beliebige (auch unendliche) Anzahl von Dimensionen verallgemeinern. Zu den Geraden und Ebenen treten dann höherdimensionale lineare Punktmengen, die als Hyperebenen bezeichnet werden. (In einem engeren Sinne ist eine Hyperebene eines -dimensionalen Raumes ein möglichst „großer“, also -dimensionaler Teilraum.) Die Zahl der Dimensionen ist dabei nicht beschränkt und muss auch nicht endlich sein. Zu jeder Kardinalzahl lässt sich ein euklidischer Raum dieser Dimension definieren. Räume mit mehr als drei Dimensionen sind für unser Vorstellungsvermögen grundsätzlich unzugänglich. Sie wurden auch nicht mit dem Anspruch entworfen, menschliche Raumerfahrung darzustellen. Ähnlich wie bei den nichteuklidischen Geometrien fanden sich aber auch hier Bezüge zur theoretischen Physik: Die Raumzeit der speziellen Relativitätstheorie lässt sich als vierdimensionaler Raum darstellen. In der modernen Kosmologie gibt es Erklärungsansätze mit noch erheblich mehr Dimensionen. Verwandte Gebiete Verzichtet man auf das 3. und 4. euklidische Postulat (also auf die Begriffe „Kreis“ und „Rechter Winkel“) oder beschränkt man sich, für eine präzisere Definition, auf Hilberts Axiome der Verknüpfung und der Parallelen, so erhält man eine affine Geometrie. Sie wurde von Leonhard Euler erstmals entwickelt. Die Begriffe „Abstand“ und „Winkelmaß“ kommen hier nicht vor, wohl aber Streckenverhältnisse und Parallelität. Ersetzt man das Parallelenaxiom durch die Festsetzung, dass zwei in einer Ebene gelegene Geraden immer einen Schnittpunkt haben sollen, so entsteht aus der affinen eine projektive Geometrie. Umgekehrt kann man die euklidische auch aus der (reellen) projektiven Geometrie heraus entwickeln. Dualisiert man diesen Prozess innerhalb der projektiven Geometrie, so erhält man die dualeuklidische Geometrie. Diese lässt sich mit der euklidischen zur polareuklidischen Geometrie vereinen. Wenn die Anordnungs- und Stetigkeitsaxiome wegfallen, können affine und projektive Geometrien auch aus endlich vielen Punkten bestehen. In der synthetischen Geometrie wird der Begriff einer euklidischen Ebene so verallgemeinert, dass genau die Ebenen, deren affine Koordinaten in einem euklidischen Körper liegen, euklidische Ebenen sind. Weblinks Literatur Christoph J. Scriba, Peter Schreiber: 5000 Jahre Geometrie: Geschichte, Kulturen, Menschen (Vom Zählstein zum Computer). 2. Auflage. Springer, 2005, ISBN 3-540-22471-8 Bemerkungen Absolute Geometrie Synthetische Geometrie Geschichte der Mathematik Teilgebiet der Mathematik
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https://de.wikipedia.org/wiki/Elbl%C4%85g
Elbląg
Elbląg ( ), (), ist eine kreisfreie Stadt in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren nahe der Ostseeküste. Sie hat rund 119.750 Einwohner, einen Hafen und ist Sitz eines römisch-katholischen Bistums. Geographische Lage Die Stadt liegt am Südwestrand der Elbinger Höhe in der Elbinger Niederung nahe der Mündung der Flüsse Elbląg (Elbing) und Nogat in das Frische Haff (Zalew Wiślany). Sie liegt etwa 30 Kilometer südwestlich von Frombork (Frauenburg), 30 Kilometer nordöstlich von Malbork (Marienburg) und etwa 60 Kilometer südöstlich von Danzig (Gdańsk). Historisch befindet sich Elbląg in der pruzzischen Landschaft Pogesanien. Dieses Gebiet war ab dem 13. Jahrhundert Teil des Deutschordensstaates und wurde im Zuge der deutschen Ostkolonisation germanisiert. 1466 als Teil Preußens königlichen Anteils der polnischen Krone unterstellt, kam die Landschaft 1772 als Teil der Provinz Westpreußen an Preußen, wurde 1922 der Provinz Ostpreußen angegliedert und kam 1945 an Polen. Geschichte Hansestadt im Deutschordensstaat Im Jahr 1237 errichtete der Deutsche Orden unter dem Landmeister Hermann von Balk in der Nähe des Drausensees eine Festung. Die Stadt wurde im Jahr 1237 als Elbing unter dem Schutz des Deutschen Ordens von aus Lübeck stammenden Handwerkern und Kaufleuten gegründet. Es wurde zunächst eine Siedlung mit rasterförmigem Straßennetz angelegt. Das Zentrum bildete der spätere „Alte Markt“, der an dem großen Handelsweg zwischen Thorn und dem Samland gelegen war. Vor 1238 wurde die Stadtpfarrkirche St. Nikolai erbaut. 1238 ließ Landmeister Hermann von Balk die Liebfrauenkirche und ein Dominikanerkloster errichten. Bis 1246 erfolgte die Einwanderung von weiteren Bürgern, die ebenfalls überwiegend aus Lübeck stammten. 1246 erhielt Elbing das Stadtrecht nach Lübischem Recht und erhielt das Privileg, eigene Münzen zu schlagen. Im Süden der Stadt wurde während der 1240er Jahre das Ordensschloss mit einem Heilig-Geist-Hospital errichtet. In den Jahren 1251 bis 1309 war die Burg Elbing der stellvertretende Hauptsitz des Ordensstaates (Hauptsitze waren damals Akkon und später Venedig) und Sitz der Landmeister von Preußen und des Großspittlers, gleichzeitig Residenz des ermländischen Bischofs Anselm, der hier 1274 starb. Die Kirche zum Heiligen Jakob (Filiale der Stadtpfarrkirche) entstand 1256. Die Corpus-Christi-Kirche mit einem Aussätzigenhospital wurde 1292 erbaut. Der Orden erbaute um 1300 die Befestigungen der Stadt mit 14 Wehrtürmen. In dieser Zeit war Elbing zu einer bedeutenden Handelsstadt angewachsen, die bedeutende Handelsprivilegien bei den Königen von Polen, den Herzögen von Pommern, den skandinavischen Herrschern und sogar bei König Philipp IV. von Frankreich erworben hatte. Im 13. Jahrhundert wurde die schola senatoria (Ratsschule). gegründet, und 1314 wurde der Elbinger Stadtturm erbaut. Elbing entwickelte sich gemeinsam mit Danzig und Thorn zu einer der führenden Hansestädte im östlichen Mitteleuropa. Anfang des 14. Jahrhunderts war die Stadt so angewachsen, dass 1337 durch den Elbinger Komtur Siegfried von Sitten vor den Toren die Elbinger Neustadt angelegt wurde. Sie verfügte über einen eigenen Rat und wurde nach Lübischem Recht regiert. Dieser Neustadt erteilte am 25. Februar 1347 der Hochmeister Heinrich Dusemer das Privilegium. Ab 1350 beteiligte sich die Elbinger Flotte an den Kämpfen der Hanse gegen norwegische und dänische Seeräuber in der Ostsee. 1360 wütete in Elbing die Pest, der etwa 13.000 Einwohner (etwa 90 %) zum Opfer fielen. 1367 trat Elbing mit Kulm und Thorn der Kölner Konföderation bei. Die Kirche zur Heiligen Brigitta von Schweden wurde nach 1379 erbaut. 1397 entstand der Eidechsenbund: Der Aufstand des Adels und der Städte gegen die Herrschaft des Ordens begann. Nach der Schlacht bei Tannenberg wurde Elbing acht Wochen lang von polnischen Truppen besetzt. Polnische Truppen belagerten 1414 das Elbinger Ordensschloss, jedoch ohne Erfolg. 1440 gründeten die preußischen Hansestädte, unter ihnen Elbing, gemeinsam mit den Landesständen den Preußischen Bund, der gegen die Herrschaft des Ordens gerichtet war und eine autonome Selbstverwaltung unter der Oberhoheit des polnischen Königs anstrebte. 1452 ließen sie sich ihre Rechte und Privilegien von Kaiser Friedrich III. bestätigen. Im daraufhin einsetzenden Dreizehnjährigen Krieg des Preußischen Bundes gemeinsam mit Polen gegen den Deutschen Orden (1453–1466) nahmen die Bürger Elbings an der Belagerung des Ordensschlosses durch die Polen teil und zerstörten das Schloss nach dessen Kapitulation. Die Ruinen des Schlosses wurden 100 Jahre später abgetragen. Ein Teil steht bis heute. Die Stadt huldigte 1454 dem Jagiellonen Polenkönig Kasimir IV. als Schutzherrn. Er und seine Nachfolger bestätigten der Stadt sämtliche alten Privilegien und verliehen viele neue. 1478 schlossen sich die bis dahin eigenständigen Stadthälften der Alt- und Neustadt Elbings zusammen. Elbing als freie Stadtrepublik im Königlichen Preußen Der Dreizehnjährige Krieg endete 1466 mit dem Zweiten Thorner Frieden, bei dem der Orden Pommerellen, das Culmer Land und Ermland sowie Danzig, Elbing und Marienburg verloren geben musste. Diese Gebiete unterwarfen sich als Preußen Königlichen Anteils freiwillig der polnischen Krone. Dadurch entstand eine Zweiteilung Preußens in einen westlichen polnischen Teil und einen östlichen Teil des Deutschen Ordens, der allerdings die polnische Oberhoheit anerkennen musste. Das Ordensland wurde 1525 in das weltliche Herzogtum Preußen umgewandelt. Das Heer des letzten Hochmeisters Albrecht von Brandenburg-Ansbach belagerte noch 1521 unter Führung von Komtur Kaspar von Schwalbach die Stadt Elbing. Die Belagerung konnte abgewehrt werden. Der Tag des Sieges wurde mehrere Jahrhunderte am ersten Freitag nach Sonntag Laetare als „Freudetag“ in der Stadt gefeiert. Im Jahr 1536 wurde das erste evangelische Gymnasium von Willem van de Voldersgraft bzw. Wilhelm Fullonius, einem Glaubensflüchtling aus Den Haag, eingerichtet. Christoph Hartknoch beschrieb in seiner Acta Borussica III dessen Leben oder Vita Guilielmi Gnaphei. In Hartknochs Arbeiten sind ebenfalls die preußischen Städte einschließlich Elbing dargestellt. Der Rektor des Elbinger Gymnasiums musste auf Grund des Erlasses des katholischen Fürstbischofs von Ermland Elbing verlassen und wurde dann Rat des Herzogs Albrecht von Preußen sowie Rektor und Professor der Universität Königsberg. 1576 bestätigte König Stephan Báthory das Privileg der protestantischen Schule, die bis zum Direktorat Johann Wilhelm Süverns 1803 einen akademischen Anspruch hatte. 1558 sicherte König Sigismund II. August der protestantischen Stadt Elbing die vorläufige Religionsfreiheit zu. Anlässlich der Errichtung der Union von Lublin auf dem Lubliner Sejm kündigte König Sigismund II. August am 16. März 1569 die Autonomie Westpreußens jedoch unter Androhung herber Strafen einseitig auf, weshalb die Oberhoheit des polnischen Königs in diesem Teil des ehemaligen Gebiets des Deutschen Ordens von 1569 bis 1772 als Fremdherrschaft empfunden wurde. 1567 konnte die Stadt die volle religiöse Autonomie durchsetzen und verwies die Jesuiten der Stadt. Die Lutheraner übernahmen 1577 die Nikolaikirche. Seit dieser Zeit sind auch Kirchenbücher mit Eintragungen der Taufen, Heiraten und Bestattungen vorhanden. Ab 1579 unterhielt die Stadt enge Handelsbeziehungen zu England, das freien Handel in Elbing ausüben konnte. Viele englische und schottische Kaufleute ließen sich in Elbing nieder und wurden Bürger der Stadt. Sie organisierten sich in der Fellowship of Eastland Merchants. Die Church of Scotland gründete die Bruderschaft der Schottischen Nation in Elbing. Familiengräber mit Namen Ramsay, Slocombe waren noch bis 1945 auf dem St.-Marien-Friedhof in der Altstadt Elbings zu finden. Andere Familien aus diesem Kreis waren unter anderem die Lamberts, Paynes, Lardings, Wilmsons. Der Aufruhr der Danziger gegen König Stephan Báthory von Polen wurde 1580 von den Elbingern, die dem König treu blieben, geschickt ausgenutzt. Für Polen spielte Elbing nun eine Schlüsselrolle im Überseehandel. Über die Nogat, die damals tiefer war als die Weichselmündung bei Danzig, erfolgte der polnische Getreideexport nach Westeuropa und umgekehrt der Import westlicher Luxuswaren bis weiter nach Polen. Die Stadt zählte im Jahr 1594 30.000 Einwohner, und der Umsatz von Waren, die von Elbinger Handelsleuten in diesem Jahre verkauft wurden, erreichte die für damalige Zeiten hohe Summe von 1.247.850 Talern. Die Stadtpfarrkirche wurde 1617 dem katholischen Klerus übergeben. Dreißigjähriger Krieg und Nordische Kriege Um 1620 trat die Stadt aufgrund ihrer starken Handelsbeziehungen mit England aus der Hanse aus. 1625 folgte ein Ausbruch der Pest, in dessen Folge 3.608 Menschen starben. Die Truppen des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf nahmen 1626 die Stadt ein und hielten sie bis 1635 als Hauptquartier im Kampf zur Unterstützung der Evangelischen gegen die Katholischen im Dreißigjährigen Krieg. Der schwedische König setzte seinen Vertrauten und Reichskanzler Axel Oxenstierna in Elbing als Generalgouverneur für die neuen schwedischen Besitzungen ein. Dieser führte von 1626 bis 1631 neben den regionalen Geschäften auch einen Teil seiner nationalen Aufgaben von Elbing aus. In den etwa 1500 erhaltenen Briefen Oxenstiernas aus Elbing spiegeln sich militärische, ordnungs-, wirtschafts- und außenpolitische Themen der Zeit. Die Schweden nahmen Preziosen, Möbel, Bücher als Kriegsbeute und schickten diese in ihre Heimat. 1646 dokumentierte der Elbinger Stadtschreiber Daniel Barholz, dass der Elbinger Stadtrat Bernsteindreher (Paternostermacher) angestellt habe. Spätere Mitglieder der Familie Barholz waren prominent als Stadtrat und Bürgermeister. Auch der Barockdichter Daniel Bärholz gehörte dieser Familie an. Die Verarbeitung von Bernstein (preußisches Gold), nicht nur zu Schmuck und kirchlichen Artikeln, sondern als Heilmittel und zu Polierlack, war ein wichtiger Wirtschaftsfaktor jener Zeit. Die Gildemitglieder der Paternostermacher unterstanden besonderen Gesetzen. In den Jahren 1655 bis 1660 wurde Elbing im Zuge des Zweiten Nordischen Krieges ein zweites Mal durch schwedische Truppen unter Karl X. Gustav besetzt. Karl X. Gustav verfuhr dabei auf ähnliche Weise wie sein Onkel Gustav Adolf. Der polnische König Johann II. Kasimir verpfändete Elbing und dessen Territorium 1657 im Vertrag von Wehlau an den Großen Kurfürsten für die Summe von 400.000 Talern und sicherte ihm außerdem die Souveränität über das Herzogtum Preußen zu. Als die polnische Krone die obige Summe nicht erstattet hatte, machte der Nachfolger des Großen Kurfürsten, Friedrich I. in Preußen, von seinem Recht Gebrauch und nahm 1703 das Elbinger Territorium in Besitz, das mithin preußisch wurde. Die ansehnlichen Erträge, die bis dahin aus dem Territorium an die Stadt geflossen waren, wurden durch diesen Schritt erheblich beschnitten, was zu einer Lähmung der Wirtschaft und einem damit einhergehenden Rückgang der Bedeutung der Stadt führte. Hinzu kam, dass die Stadt Elbing zwar ihre Autonomie wahrte, doch in den folgenden Jahrzehnten mehrfach Besatzungen über sich ergehen lassen musste und damit einhergehende Kontributionen zu leisten hatte. So wurde Elbing während des Großen Nordischen Krieges nacheinander durch schwedische (1703–1710), russische (1710–1712) und sächsische Truppen (1712) besetzt. Während des Siebenjährigen Krieges wurde die Stadt 1758 von russischen Truppen erobert und bis 1762 besetzt gehalten. Der kaiserliche Mathematiker und Geograph Johann Friedrich Endersch vollendete 1755 eine Karte Ermlands mit dem Titel Tabula Geographica Episcopatum Warmiensem in Prussia Exhibens. Diese Karte zeigt Stadt und Land Elbing westlich des Ermlands und jedes Dorf in der Gegend. Die Karte von 1755 führt auch den Namen Prussia Orientalis (auf Deutsch: Ostpreußen). Endersch fertigte ebenfalls einen Kupferstich des Segelschiffes (Galiot), benannt D.Stadt Elbing (D=der Erbauer), später auch als Die Stadt Elbing bekannt, welches 1738 in Elbing erbaut worden war. 1772 kam Elbing im Rahmen der ersten Teilung Polens zum Preußischen Staat. Zwar verlor Elbing dadurch seine städtische Autonomie und einige damit einhergehende Privilegien, doch war nun die vollständige Unabhängigkeit der deutschen Stadt von der polnischen Krone wiederhergestellt. Im Preußischen Staat Friedrich II. unterstützte Elbing durch viele Steuererleichterungen, und der Handel begann wieder aufzublühen. 1807 besetzten Napoleons Truppen Elbing und erzwangen innerhalb von vier Tagen eine Kontribution von 200.000 Talern. Am 8. Mai 1807 hielt Napoleon I. in Elbing eine große Truppenparade ab. Vom Dezember 1812 bis Januar 1813 musste die Stadt nach seinem gescheiterten Russlandfeldzug 60.000 zurückflutende französische Soldaten, 8.000 Offiziere und 22.000 Pferde ernähren. Nach den Stein-Hardenbergschen Verwaltungsreformen war Elbing ab 1815 Teil des Kreises Elbing im Regierungsbezirk Danzig der Provinz Westpreußen. Elbing blieb bis 1945 Verwaltungssitz dieses Landkreises, wurde aber 1874 ein Stadtkreis (kreisfreie Stadt) und unterstand seither nicht mehr der Zuständigkeit des Landratsamts. Industrialisierung und Verkehrswegebau bestimmten das Schicksal der Stadt im 19. Jahrhundert. 1828 stellten die Elbinger das erste Dampfschiff Ostpreußens in Dienst. 1837 wurden die Schichau-Werke gegründet. 1840 bis 1858 wurde der Oberländische Kanal zwischen Deutsch Eylau, Osterode und Elbing nach Plänen und unter Leitung des Königlich-Preußischen Baurats Georg Steenke angelegt. Am 23. Oktober 1844 erfolgte die Gründung der Baptistengemeinde Elbing. In den 1840er Jahren wurde zusätzlich zu dem bereits bestehenden Gymnasium eine Realschule ins Leben gerufen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts verfügten die im Hafen von Elbing vertretenen Reeder über 14 Handelsschiffe. 1853 wurde die Eisenbahnlinie nach Königsberg fertiggestellt. 1858 bis 1918 erfolgte ein großer wirtschaftlicher Aufschwung der Stadt. Die Stadt hatte viele Fabriken: die Schichau-Werke, die jetzt auch unter anderem Lokomotiven herstellten, die Zigarrenfabrik Loeser & Wolff, eine große Brauerei und Schnapsbrennerei, eine Schokoladefabrik und viele andere Betriebe. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatte Elbing sieben evangelische Kirchen, eine katholische Kirche, vier Bethäuser verschiedener Freikirchen und Glaubensgemeinschaften sowie eine Synagoge. In der Industriestadt Elbing erhielt die SPD stets die Mehrheit der Wählerstimmen, bei den Reichstagswahlen 1912 sogar 51 %. Laut der preußischen Volkszählung von 1905 waren in den Kreisen Elbing Stadt und Elbing Land 94.065 Personen deutschsprachig und 280 Personen polnisch- bzw. kaschubischsprachig. Weimarer Republik und Drittes Reich Nach dem Ersten Weltkrieg musste Deutschland aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags 1920 den größten Teil Westpreußens zum Zweck der Einrichtung des Polnischen Korridors an Polen abtreten. Gleichzeitig wurde die ethnisch deutsche, politisch aber von Polen abhängige Freie Stadt Danzig gebildet und ebenfalls vom Reichsgebiet abgetrennt. Die westlich der Nogat gelegenen Teile des Landkreises Elbing fielen an den neuen Freistaat Danzig. Die Stadt Elbing gehörte zu den Gebieten, die bei Deutschland verblieben, und wurde nach Auflösung der Provinz Westpreußen an das benachbarte Ostpreußen angegliedert. Die neu hinzugekommenen westpreußischen Gebiete bildeten dort den Regierungsbezirk Westpreußen, dessen Verwaltungssitz sich in Marienwerder befand, in dem Elbing jedoch die größte Stadt war. 1926 wurde die Pädagogische Akademie Elbing zur Ausbildung von Volksschullehrern eingerichtet. Die Weltwirtschaftskrise nach 1929 beeinflusste Elbings Situation sehr ungünstig. Die bedeutende Bus- und Lastwagenfabrik Franz Komnick und Söhne AG ging 1930 in Konkurs und wurde von der Büssing AG übernommen. In den Jahren der Weimarer Republik war Elbing eine Hochburg der KPD. Die auf Deutschlands Aufrüstung gerichtete Politik der NSDAP brachte ab 1933 einen großen wirtschaftlichen Aufschwung für Elbing, hauptsächlich durch den Ausbau der Schichau-Werke, den Bau einer Flugzeugfabrik und die Eröffnung vieler neuer Schulen. 1937 hatte die Stadt 76.000 Einwohner. Nach dem Überfall auf Polen 1939, durch den die 1920 entnommenen Territorien wieder an das Reichsgebiet zurückkamen, wurde Elbing an den Regierungsbezirk Danzig im Reichsgau Danzig-Westpreußen angegliedert. Während des Zweiten Weltkriegs bestanden in Elbing fünf Arbeitslager für vornehmlich polnische Zwangsarbeiter, die dem KZ Stutthof als Außenlager unterstellt waren. Außerdem gab es im Kreis Elbing 15 weitere Zwangsarbeitslager, die für die Rüstungsproduktion arbeiteten. Nachdem ein großer Teil der Einwohner im Januar 1945 Elbing verlassen hatte, begann um den 23. Januar 1945 eine Belagerung durch die Rote Armee. Die Stadt mit ihrer strategisch wichtigen Lage wurde bis zum 10. Februar verteidigt. Am Ende lagen 60 Prozent der Gebäudesubstanz der Stadt in Trümmern (insgesamt 5255 Gebäude). Alle Baudenkmäler waren stark beschädigt, nur sechs Häuser in der Altstadt blieben stehen, darunter das Kramer-Zunfthaus und das Postamt. Etwa 5000 deutsche Soldaten fielen, viele Zivilisten ertranken bei der Flucht aus der belagerten Stadt im Frischen Haff. Elbing beherbergte Bücherschätze von europäischem Rang. Im Stadtarchiv, das im 17. Jahrhundert gegründet worden war, befanden sich viele wertvolle Pergamente aus dem 13. Jahrhundert und wertvolle historische Sammlungen aus dem 15. Jahrhundert. Die Bibliothek am Gymnasium (15.000 Bände) besaß unter anderem ein polnisches Gesetzbuch aus dem 13. Jahrhundert, die Bibliothek an der Nikolaikirche (gegründet vor 1403) 23 alte Handschriften und 1.478 alte theologische Werke. Die Bibliothek an der Marienkirche verfügte über eine herausragende Sammlung von Musikhandschriften – 520 Werke aus der Zeit vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Die Stadtbibliothek (gegründet 1601) hatte die wertvollste Sammlung: 30.000 Bände, darunter 214 Handschriften, 123 Inkunabeln und 770 Landkarten. Das Stadtmuseum beherbergte die ehemalige Bibliothek der Dominikaner, unter anderem 50 Handschriften und 15 Inkunabeln. Alle diese Bücherschätze sind seit 1945 verschollen. Volksrepublik Polen Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die Stadt rund 100.000 vorwiegend evangelische Einwohner deutscher Nationalität. Nachdem die Rote Armee Elbing erobert hatte, unterstellte sie es der Verwaltung der Volksrepublik Polen, während sämtliche Maschinen in den Fabriken, die unzerstört geblieben waren – zum Beispiel in den Schichau-Werken – bis 1946 demontiert und als Reparationsleistung in die Sowjetunion abtransportiert wurden. Auch Küchenherde, Kachelöfen, Badewannen, Junkers-Öfchen, Türschlösser und -klinken aus unzerstörten Privathäusern wurden dorthin verbracht. Die ersten Vertreter der polnischen Behörden erschienen im März 1945 in Elbing. Die polnische Verwaltung führte die Ortsbezeichnung Elbląg ein. Bis 1947 fand in Elbing durch die Vertreibung der eingesessenen Einwohner, die vor allem in die britische Besatzungszone Deutschlands gelangten, und die Ansiedlung von Polen, die im Zuge der Umsiedlung von Polen und Ukrainern aus zeitweise polnischen Gebieten östlich der Curzon-Linie 1944–1946 zum Teil vertrieben worden waren, ein Bevölkerungsaustausch statt. Die sowjetischen Militärbehörden übergaben 1946 den Seehafen der polnischen Stadtverwaltung. Da die Ausfahrt zur Ostsee bei Baltijsk (Pillau) nunmehr unter sowjetischer Kontrolle stand, war die Nutzung des Hafens nur sehr eingeschränkt möglich. Im Jahr 1948 hatte die Stadt 40.000 Einwohner. Ab 1950 begann der Wiederaufbau der Elbinger Industrie. Die Stadt wurde wieder zu einem wichtigen Zentrum der Maschinen- und Transportindustrie, außerdem besitzt die Stadt Holz-, Lebensmittel- und Textilindustrie. Die Stadt hatte im Jahr 1962 81.400 Einwohner. Viele Bewohner von Elbląg beteiligten sich 1970 zusammen mit Bürgern in Danzig und Stettin am Aufstand gegen die kommunistische Regierung in Polen. Die Stadt wurde bei der polnischen Verwaltungsreform 1970 Hauptstadt der gleichnamigen Wojewodschaft Elbląg. Die Streiks im August 1980 führten zum Aufbau der freien Gewerkschaft Solidarność unter Beteiligung vieler Einwohner Elblągs. Dritte Polnische Republik Ab 1990 wurde die Altstadt unter Verwendung historistischer Bauformen wie spitzer Giebel zur Straße sowie von Fachwerkimitationen wieder aufgebaut. Nach dem Jahr 2000 stehen wieder viele Gebäude nahe, aber nicht direkt an der Elbląger „Waterkant“. Die Stadt wurde 1992 zum Sitz des katholischen Bistums Elbląg erhoben, das zum neugeschaffenen Erzbistum Ermland gehört. Der Hafen bekam 1994 seine Rechte als Seehafen mit eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten zurück, da die Ausfahrt zur offenen Ostsee unverändert über russisches Hoheitsgebiet durch das Pillauer Tief in der Frischen Nehrung verläuft. Seit 2022 besteht aber durch den Kanal durch die Frische Nehrung bei Vogelsang und die dazugehörige Fahrrinne eine direkte Anbindung an die Danziger Bucht. Elbląg verlor bei der Verwaltungsreform 1998 seinen Rang als Hauptstadt einer Woiwodschaft, gehört seitdem zur von Olsztyn (Allenstein) aus verwalteten Woiwodschaft Ermland-Masuren und ist dort wieder Stadtkreis und Sitz der Kreisverwaltung für den Powiat Elbląski. Die Stadt erhielt 1999 den EU-Preis für Umweltpflege. Die Stadt erhielt 2000 die internationale Auszeichnung „Europäische Fahne“. Demographie Entwicklung des Schulwesens Die ersten Schulen in Elbing wurden zu Beginn des 14. Jahrhunderts gegründet, keine 100 Jahre nach der Gründung der Stadt im Jahr 1237. Zunächst waren dies Gemeindeschulen, in späteren Jahren auch weltliche Schulen, private, städtische oder staatliche Schulen. Die erste Erwähnung einer Volksschule in Elbing war die Pfarrschule von St. Nikolaus, die sich im Dorf Elbing befand. Die erste Erwähnung einer Elementarschule (Grundschule) in Elbing, die die Pfarrschule St. Nikolaus war, die sich in der heutigen Rybacka-Straße 14 befand, stammt aus dem Jahr 1310. Nach der Übernahme Elbings durch Preußen im Jahre 1772, als Folge der Ersten Teilung Polens, wurde ähnlich wie im übrigen Deutschland ein obligatorisches Volksschulsystem eingeführt, das 1773 vom preußischen König Friedrich II. proklamiert wurde. Zum Beispiel gab es 1828 in Elbing 19 Volksschulen von unterschiedlicher und nicht sehr hoher Qualität, darunter 10 öffentliche, 7 kirchliche und 2 private Schulen, die von 1.914 Schülern im Alter von 6 bis 12–14 Jahren besucht wurden. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde die Gründung der ersten preußischen Universität in Elbing erwogen. Vor allem wegen religiöser Streitigkeiten über die Gründung und Ausstattung der Universität wurde sie nicht realisiert. Grundschulen Im Gebäude der beliebten Hala Targowa, des inzwischen erheblich erweiterten Kaufhauses in der Gwiezdna-Straße, befand sich die städtische Margaretenschule. Sie wurde am 10. Oktober 1830 eröffnet und von Kindern aus den ärmsten Elbinger Familien besucht. Die Ritterschule befand sich im Gebäude der heutigen Vermessungs- und Kartographiegesellschaft in der Tysiąclecia-Allee 11. Im Gebäude des heutigen Priesterseminars der Diözese Elbląg in der Bożego Ciała Straße 10 war ab dem 12. Oktober 1891 die katholische Nicolaischule untergebracht. Im Gebäude des heutigen Lehrerkollegiums für Fremdsprachen in der Czerniakowska-Straße 22, 1886 erbaut, befand sich die Luisenmädchenschule. Im Gebäude der heute nicht mehr existierenden Zweigstelle der Ermländisch-Masurischen Pädagogischen Landesbibliothek in Olsztyn in der Pocztowa-Straße 1, neben der 1. allgemeinbildenden Mittelschule, die 1886 gebaut wurde, befand sich die Hansaschule. Im heutigen Gebäude des Gimnazjum Nr. 2 in der Robotnicza-Straße 173, bis vor kurzem die Grundschule Nr. 2, die mit den Sportanlagen in der Krakusa-Straße in den Jahren 1925–1927 gebaut wurde, befand sich die Paulusschule, die am 20. Dezember 1927 feierlich eröffnet und in den 1930er Jahren in Horst-Wessel-Schule umbenannt wurde. Das monumentale, prächtige Gebäude des heutigen Gimnazjums Nr. 5, bis vor kurzem Grundschule Nr. 3 in der Agrykola-Str. 6, wurde mit den Sportanlagen der Schule Ende der 1920er Jahre gebaut, wo die Sportgrundschule Jahnschule, deren Einweihung am 10. Oktober 1929 stattfand, den Namen des deutschen Sport- und Turnförderers Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), der als „Vater des Turnens in Preußen“ bezeichnet wird. Im Gebäude der heutigen Grundschule Nr. 4 in der A.-Mickiewicza-Straße 41, gebaut 1912/13, befand sich die Trusoschule. Im Gebäude der heutigen Universität für Geisteswissenschaften in der Robotnicza-Straße 197, wo sich bis Anfang der 90er Jahre die Grundschule Nr. 5 befand, wurde Ende des 19. Jahrhunderts eine Pfarrgrundschule (Adalbertusschule) gebaut. An der Stelle der heutigen Volksschule Nr. 7 in der Browarna-Str. 1, die 1926 erbaut und inzwischen stark umgebaut wurde, befand sich seit 1873 eine Grundschule für Mädchen, die Elisabethschule. Im Gebäude der heutigen Grundschule Nr. 8 in der Szańcowa-Straße 2, erbaut 1891 und stark umgebaut, war die kirchliche Marienschule untergebracht. Gymnasien Die bekannteste Bildungseinrichtung im ehemaligen Elbing war das berühmte Elbinger Gymnasium, gegründet von Jacob Alexwangen, Bürgermeister von Elbing, und Wilhelm van der Voldergraft, einem holländischen religiösen Emigranten, der sich 1531 in Elbing niederließ und der erste Rektor der Schule wurde. Ursprünglich war die Schule in verlassenen Klostergebäuden des Ordens der heiligen Bridget untergebracht, die vom Rat der Stadt Elbing gekauft wurden, und ihre Einweihung fand am 29. September 1535 statt. Dann am 25. November 1599 wurde es in ein neues Gebäude verlegt, den heutigen Sitz des Staatlichen Museums in Elbing am Zygmunt II. August-Boulevard 11, wo es fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts funktionierte, verschiedene Wechselfälle und zahlreiche Höhen und Tiefen durchlebte und während seiner gesamten Existenz unter dem rechtlichen und finanziellen Schutz der Stadt Elbing stand. Es wurde am 1. Januar 1847 verstaatlicht und 1882 in ein neues Gebäude verlegt, in das heutige Gebäude des Zweiten Allgemeinen Gymnasiums in der Królewiecka-Straße 42, wo es bis 1945 als Staatliches Gymnasium fungierte. An der Schule unterrichtete u. a. der berühmte böhmische Pädagoge und Bildungsreformer Johann Amos Comenius, der sich in den Jahren 1642–1648 in Elbing aufhielt. Das Elbinger Gymnasium war das erste weltliche Gymnasium in Westpreußen und das zweite auf dem Gebiet des heutigen Polens, nach der Schule in Posen, die 1519 gegründet wurde. Die heutige Mittelschule Nr. 1 in der Pocztowa-Straße 2 wurde in den Jahren 1873 bis 1875 erbaut und beherbergte die Höhere Töchterschule. Lehrerseminar Im heutigen Gebäude des 1909 errichteten Oskar-Lange-Wirtschaftsschulkomplexes in der General-J.-Bema-Straße 50 war bis 1926 das Evangelische Pädagogische Lehrerseminar untergebracht. Die Pädagogische Akademie, die erste ihrer Art in Ostpreußen, wurde 1933 in Hochschule für Lehrerbildung umbenannt. Fach- und Berufsschulen Im Gebäude des heutigen Mechanischen Schulkomplexes in der J. A. Komeñski-Straße 39, das 1929 gebaut wurde, befand sich die Höhere Lehranstalt für Praktische Landwirte. 1919 wurde in dem Gebäude in der heutigen Zacisze-Straße 11 eine Städtische Berufsschule für Mädchen – die Städtische Mädchenberufsschule – eröffnet. Królewiecka 128, erbaut in den Jahren 1926–1929, wo die Staatliche Berufsschule für Hauswirtschaft für Mädchen und die Höhere Berufsschule für Mädchen – Mädchenberufsschule, von den damaligen Elbinger Einwohnern gemeinhin als „Klopsakademie“ bezeichnet, untergebracht war. Im Gebäude des heutigen Rathauses von Elbing in der Łączności Straße 1, das in den Jahren 1910–1912 erbaut wurde, befand sich das Reform-Realgymnasium für Männer, das am 17. April 1912 feierlich eröffnet und 1931 nach Heinrich der Ältere von Plauen benannt wurde – Reform-Realgymnasium Heinrich von Plauen, das aus der heutigen Wapienna Straße, dem heutigen Gebäude des Internats, in dem es seit 1837 funktionierte, verlegt wurde. Im heutigen Polizeigebäude in der Królewiecka-Straße 106 wurde am 15. März 1941 die staatliche, nach Ferdinand Schichau benannte Ingenieurschule eingeweiht. Wegen des andauernden Krieges musste der Betrieb 1942 eingestellt werden, weil studierende Männer an die Front geschickt wurden. Politik Stadtpräsident An der Spitze der Stadtverwaltung steht ein Stadtpräsident, der von der Bevölkerung direkt gewählt wird. Seit 2014 ist dies Witold Wróblewski. Bei der Wahl 2018 trat Wróblewski erneut mit seinem eigenen Wahlkomitee, zu dem auch die PSL gehörte, an. Darüber hinaus unterstützte ihn auch die SLD. Die Abstimmung brachte folgendes Ergebnis: Witold Wróblewski (Wahlkomitee Witold Wróblewski) 48,8 % der Stimmen Jerzy Wilk (Prawo i Sprawiedliwość) 28,7 % der Stimmen Michał Missan (Koalicja Obywatelska) 19,3 % der Stimmen Stefan Rembelski (Kukiz’15) 3,2 % der Stimmen In der damit notwendigen Stichwahl setzte sich Wróblewski mit 72,0 % der Stimmen gegen den PiS-Kandidaten Wilk, der bis 2014 sein Vorgänger als Stadtpräsident war, durch und wurde wiedergewählt. Stadtrat Der Stadtrat besteht aus 25 Mitgliedern und wird direkt gewählt. Die Stadtratswahl 2018 führte zu folgendem Ergebnis: Koalicja Obywatelska (KO) 32,1 % der Stimmen, 9 Sitze Prawo i Sprawiedliwość (PiS) 30,0 % der Stimmen, 9 Sitze Wahlkomitee Witold Wróblewski 23,4 % der Stimmen, 6 Sitze Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD) / Lewica Razem (Razem) 10,0 % der Stimmen, 1 Sitz Kukiz’15 4,5 % der Stimmen, kein Sitz Wappen Blasonierung: „Von Silber und goldgegittertem Rot geteilt, oben und unten je ein Kreuz in verwechselten Tinkturen.“ Die beiden Tatzenkreuze verweisen auf die Gründung durch den Deutschen Orden. Silber und Rot sind auch die Farben der „Mutterstadt“ Lübeck. Das untere Netz steht vermutlich für Fischfang. Der noch erhaltene Bronzestempel des 1242 gebrauchten SIGILLVM BVRGENSIVM IN ELVIGGE zeigt auf Wellen eine von einem Schiffer linkshin gesteuerte Kogge, über der ein Kreuzlein schwebt. Auch der silberne Stempel des zweiten großen Siegels ist noch vorhanden; hierbei steht das Kreuzchen in der Flagge, während das dritte Schiffssiegel (15. Jahrhundert) darin die beiden Kreuze aufweist, die schon das Dekret des 14. Jahrhunderts im Dreieckschilde zeigt und die alle späteren Siegel enthalten. Städtepartnerschaften Elbląg unterhält mit 14 Städten bzw. Orten Partnerschaften: Bauwerke Städtische und Bürger-Bauten sowie Denkmale Einige erhaltene oder wiederaufgebaute Bürgerhäuser mit gotischen, Renaissance- und barocken Ornamenten (14. bis 17. Jahrhundert) Markttor (gotisch, 1314) Gotischer Speicher Fragmente der gotischen Bauten des Schlossvorhofs und der Stadtmauer (beide 13. Jahrhundert) ehemaliges Gymnasium (1599, 1808/09 umgebaut), heute Archäologisches Museum, vorher zum Brigittenkloster Denkmal für die Opfer des antikommunistischen Aufstands von 1970 Kirchen Kathedrale St. Nikolai (gotisch, 13.–15. Jahrhundert, umgebaut im 18. Jahrhundert; Bild s. o.) ehemalige Marienkirche (13. bis 16. Jahrhundert), wiederaufgebaut 1960 bis 1982, seit dem 21. Jahrhundert Kunstgalerie Galeria EL, gehörte zum Dominikanerkloster Kirche Zum heiligen Leichnam (gotisch, um 1400), Zentrum der christlichen Kultur Kirche Zum Heiligen Geist, mit Hospital (gotisch, 14. Jahrhundert), als Stadtbibliothek genutzt Ehemalige Mennonitenkirche (1590), Kunstgalerie Dorotheenkirche, Fachwerkbau, um 1705, Barock Kirche Zum Guten Hirten Kirche der Baptistengemeinde Elbląg Unweit der Stadt Schlosshotel Cadinen, polnisch Kadyny bei Tolkemit, bis 1945, seit 1899 Besitz des preußischen Königshauses. Hier verbrachte der Kaiserenkel und spätere Chef des Hauses Hohenzollern, Prinz Louis Ferdinand von Preußen die Kriegsjahre zusammen mit seiner Familie. Die vom letzten Kaiser Wilhelm II. gegründete Majolikamanufaktur ist wieder in Betrieb. Truso am Draussensee, Siedlung aus dem 8./9. Jahrhundert (Nachbau) Verkehr und Wirtschaft Straßenverkehr Bis 1945 führte die Reichsstraße 1 durch die Stadt, auf deren Trasse heute die Droga krajowa 22, die Droga wojewódzka 500 und die Droga wojewódzka 504 angelegt sind. Elbląg liegt an den Droga krajowa 7 (ehemalige deutsche Reichsstraße 130) (Danzig–Warschau) und 22 (ehemalige Reichsstraße 1) nach Gorzów Wielkopolski (Landsberg an der Warthe) bzw. Kaliningrad (Königsberg (Preußen)). Schienenverkehr Elbląg besitzt einen Bahnhof an der Strecke Bahnstrecke Malbork–Braniewo (Marienburg–Braunsberg), der ehemaligen Preußischen Ostbahn. In Elbląg beginnt die größtenteils stillgelegte Bahnstrecke Elbląg–Braniewo, die frühere Haffuferbahn, und die schon seit 1945 stillgelegte Bahnstrecke Elbing–Miswalde. In der Stadt verkehrt auf fünf Linien die Straßenbahn Elbląg. Luftverkehr Der Flughafen Elbląg ist ein Verkehrslandeplatz im Stadtteil Nowe Pole (Neustädterfeld). Der nächste internationale Flughafen ist der Lech-Wałęsa-Flughafen Danzig. Schiffsverkehr Für den Schiffsverkehr wurde im Juni 2006 ein neuer Seehafen am Fluss Elbląg in Betrieb genommen, in dem jährlich bis zu 750.000 Tonnen Güter umgeschlagen werden können. Der Hafen ist auch für den Personen- und Autofährverkehr auf der Ostsee vorgesehen. Des Weiteren wurde der Jachthafen modernisiert. Elbląg verfügte jedoch über keinen freien Zugang zur Ostsee, weil der traditionelle Schifffahrtsweg über das Frische Haff (polnisch Zalew Wislany, russisch Kaliningradski Zaliw) und das Pillauer Tief durch russische Hoheitsgewässer (Oblast Kaliningrad) führte. Zwischen Mai 2006 und Anfang 2011 war dieser Weg von russischer Seite für den internationalen Verkehr gesperrt. Um derartigen Sperren zukünftig aus dem Weg zu gehen, errichtete Polen einen Kanal durch die Frische Nehrung, der am 17. September 2022, dem 83. Jahrestag der Sowjetischen Besetzung Ostpolens, eröffnet wurde. Industrie Die ehemaligen Schichau-Werke wurden 1945 in ELZAM umbenannt und gehören seit 1990 zum Asea-Brown-Boveri-Konzern (dann Alstom, heute General Electric). Der Betrieb produziert Turbinen und Elektromotoren. Die Brauerei Elbrewery (Marke EB) ist der zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt. Außerdem besitzt die Stadt bedeutende Transportmittelfabriken, eine Schiffswerft, und es haben sich Milch-, Fleisch-, Leder-, Textil- und Möbelindustrie angesiedelt. Kunst im öffentlichen Raum Bewohner und Besucher der Stadt treffen an Straßen und Plätzen auf Skulpturen polnischer und internationaler Künstler und Künstlerinnen. Seit 1965 die erste Biennale der Räumlichen Formen stattfand, sind zahlreiche bleibende Werke entstanden, die das Stadtbild von Elbląg mitprägen. Prominenteste Teilnehmerin der ersten Biennale war Magdalena Abakanowicz mit der Stahlplastik Standing Shape. 1973 fanden die Ausstellungen erst einmal ein Ende. Seit 1986 gibt es sie wieder. Eine wichtige Rolle bei der Durchführung der Biennale spielt die Galeria-EL (Pani Marii), die sich in dem Gebäude der ehemaligen St. Marien-Kirche, der ältesten Kirche Elbings, befindet. Diese entstand im 13. Jahrhundert als Kirchengebäude des Dominikaner-Ordens. Bis 1945 evangelische Kirche, wurde sie nach 1945 nicht mehr als Kirche genutzt. Die Stadtverwaltung hat hier eine Kunstgalerie eingerichtet, in der Bilder und Skulpturen zeitgenössischer Künstler gezeigt werden, die neben erhaltenen Grabplatten und Grabinschriften der Marienkirche ausgestellt sind und an die Verdienste ehemaliger Adels- und Kaufmannsfamilien, Stadtpatrizier und Geistlicher erinnern. Bildung und Sport In Elbląg wirken folgende Lehranstalten (Stand in den 2010er Jahren): Staatliche Fachhochschule zu Elbląg (Państwowa Wyższa Szkoła Zawodowa w Elblągu) mit den Fachbereichen Wirtschaftswissenschaften, Anwendungsorientierte Informatik, Bildungswissenschaften und moderne Sprachen sowie Technische Wissenschaften. Im Ranking der überregionalen Tageszeitung Rzeczpospolita ist sie eine der besten Fachhochschulen des Landes (2005: erster Platz, 2006: dritter Platz). Höheres Priesterseminar Hochschule für Geistes- und Wirtschaftswissenschaften (EUHE) Zweigstelle der Warschauer Bogdan-Jański-Hochschule für Wirtschaftswissenschaften Der Fußballverein Olimpia Elbląg spielt in der zweiten polnischen Liga. Persönlichkeiten Ehrenbürger 1800–1945 Edward Carstenn (1886–1957), deutscher Gymnasiallehrer, Regionalhistoriker und Hochschullehrer Adolf Ernst von Ernsthausen (1827–1894), deutscher Verwaltungsjurist und Politiker Ferdinand Schichau (1814–1896), deutscher Maschinenbau-Ingenieur, Unternehmer Georg Steenke (1801–1884), deutscher Wasserbauingenieur und preußischer Baubeamter Max Toeppen (1822–1893), deutscher Gymnasiallehrer Seit 1946 Marian Biskup (1922–2012), polnischer Historiker Gerhard Jürgen Blum-Kwiatkowski (1930–2015), deutsch-polnischer Künstler Henryk Iwaniec (* 1947), polnisch-US-amerikanischer Mathematiker Johannes Paul II. (1920–2005), Papst Lech Wałęsa (* 1943), polnischer Politiker und Friedensnobelpreisträger Landgemeinde Die Stadt ist Verwaltungssitz der gleichnamigen Landgemeinde Elbląg, gehört ihr aber als eigenständige Stadtgemeinde nicht an. Die Landgemeinde Elbląg ist Teil des Powiat Elbląski (Kreis Elbing) und bildet einen Gürtel um die kreisfreie Stadt Elbląg. Die Gemeinde zählt 7239 Einwohner (30. Juni 2014) auf einer Fläche von 191 km² und gliedert sich in 37 Ortschaften, davon 24 mit einem Schulzenamt. Partnergemeinden der Gmina Elbląg sind Barßel in Niedersachsen seit 2001 sowie Chechelnyk in der Ukraine seit 2004. Siehe auch Próchnik, Dorf im Stadtgebiet Elbląg Elbinger Rechtsbuch, ein in der Stadt gefundenes mittelalterliches Rechtsbuch Literatur In der Reihenfolge des Erscheinens Theodor Lockemann (Bearb.): Elbing. Deutscher Architektur- und Industrie-Verlag (DARI), Berlin-Halensee 1926 (Deutschlands Städtebau; Digitalisat). Edward Carstenn: Geschichte der Hansestadt Elbing. 2. Auflage. Verlag von Leon Sauniers Buchhandlung, Elbing 1937. Kurt Dieckert, Horst Grossmann: Der Kampf um Ostpreussen. München 1960, ISBN 3-87943-436-0, S. 105–109. 750 Jahre Elbing. Ordens- und Hansestadt – Industrie- und Hochschulstadt. Schriftenreihe des Westpreußischen Landesmuseums 18 (1987) [Katalog zur Ausstellung 11.04.1987 – 20.09.1987]. Hans-Jürgen Schuch: Elbing. Aus 750 Jahren Geschichte der Ordens-, Hanse- und Industriestadt. Westkreuz-Verlag, Berlin / Bonn / Bad Münstereifel u. a. 1989, ISBN 3-922131-65-4 (Ostdeutsche Städtebilder 5). Bernhard Jähnig, Hans-Jürgen Schuch (Hrsg.): Elbing 1237–1987. Beiträge zum Elbing-Kolloquium im November 1987 in Berlin. Nicolaus-Copernicus Verlag, Münster 1991, ISBN 3-924238-14-6 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens 25). Historia Elbląga. 6 Bände. Gdańsk 1993–2006 Stanisław Gierszewski, Andrzej Groth (Hrsg.): Historia Elbląga. Bd. 1: do 1466r. Wydawnictwo Marpress, Gdańsk 1993, ISBN 83-85349-25-1. Andrzej Groth (Hrsg.): Historia Elbląga. Bd. 2.1: 1466–1626. Wydawnictwo Marpress, Gdańsk 1996, ISBN 83-85349-67-7. Krystyna Greczychom (Bearb.): Historia Elbląga. Bd. 6: Bibliografia Elbląga. Wydawnictwo Marpress, Gdańsk 2006, ISBN 83-89091-75-5. Hans-Joachim Pfau: Elbing: Siegel, Wappen, Fahnen, 1999, ISBN 3-00-004958-4; Münzen und Medaillen, 2000, ISBN 3-00-005173-2; Harry Schultz, Band 1 + 2, 2003 / 2005, ISBN 3-00-012538-8, ISBN 3-00-016136-8. Matthias Blazek: „Wie bist du wunderschön!“ Westpreußen – Das Land an der unteren Weichsel. Stuttgart 2012, ISBN 978-3-8382-0357-7. Fridrun Freise: Elbing. In: Wolfgang Adam, Siegrid Westphal (Hrsg.): Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit, Bd. 1. Berlin 2012, S. 467–497. Quellen Edwin Volckmann: Die Originalurkunden des Elbinger Stadtarchivs. In: Einladung zu der öffentlichen Prüfung der Schüler des Gymnasiums zu Elbing. Elbing 1875, 1876 und 1880, Druck von J. Drægers Buchdruckerei (C. Feicht), Berlin. Teil 1: 1242–1430, Elbing 1875, als Beilage zum Schulprogramm des Gymnasiums Elbing, 1874/75 ( Google Books). Teil 2: 1431–1500, Elbing 1876, als Beilage zum Schulprogramm des Gymnasiums Elbing, 1875/76 ( Google Books). Teil 3: 1501–1632, Elbing 1880, als Beilage zum Schulprogramm des Gymnasiums Elbing, 1879/80 ( Google Books). Weblinks Website der Stadt hans-pfau-elbing.de Umfangreiche deutschsprachige Seite über Elbing und Umgebung Bilder und Kurzgeschichte von Elbing als Stadt des Deutschen Ordens Historische Aufnahmen Kirchenbuch Filme seit 1577 der Einwohner Elbings Bericht von der Vertreibung und Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg Einzelnachweise Gegründet 1237 Hansestadt Ort mit Seehafen Ort der Woiwodschaft Ermland-Masuren
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Eric Hoffer
Eric Hoffer (* 25. Juli 1902 in New York City; † 21. Mai 1983 in Kalifornien) war ein sozialkritischer US-amerikanischer Philosoph und Autor. Seine Ideen hat er in zehn Büchern dargestellt, deren erstes, The True Believer, sowohl von ihm selbst als auch von der Kritik als sein bestes und wichtigstes angesehen wird. Im Februar 1983 wurde er von Ronald Reagan mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet. Leben Hoffer wurde in New York City als Sohn elsässischer Einwanderer geboren. Mit sieben Jahren konnte er englisch und deutsch lesen, erblindete aber, nachdem seine Mutter mit ihm im Arm eine Treppe hinabgestürzt war. Im Alter von fünfzehn Jahren erlangte er sein Augenlicht zurück. Aus Angst, erneut zu erblinden, begann er so viel wie möglich zu lesen. Er verlor sein Augenlicht nicht, behielt aber die Angewohnheit, viel zu lesen, sein Leben lang bei. Nach dem frühen Tod seiner Eltern suchte Hoffer eine Beschäftigung, die ihm genug Zeit zum Lesen lassen würde. Er begab sich nach Kalifornien, wo er (nach Gerüchten) aus medizinischen Gründen nicht zum Militärdienst zugelassen wurde. Seine tiefe Ablehnung des Nationalsozialismus motivierte ihn, im San Francisco Naval Shipyard am Bau von Kriegsschiffen mitzuarbeiten. Während dieser Zeit begann er seine lebenslange Angewohnheit, sich neben seiner Tätigkeit als Gelegenheitsarbeiter (später in der Landwirtschaft, als Goldsucher oder Hafenarbeiter) umfassend literarisch zu bilden. Nachdem er eher zufällig die Essays von Michel de Montaigne in einer Gebrauchtbuchhandlung gefunden hatte, fühlte er sich zum Schreiben berufen. Hoffers Philosophie der Massenbewegungen Hoffer war einer der ersten, die das Selbstwertgefühl als von zentraler Bedeutung für das psychische Wohlbefinden des Einzelnen betrachtete. Im Gegensatz zum heute betonten Nutzen eines hohen Selbstwertes betrachtete Hoffer die Folgen eines mangelnden Selbstwertes. Er versuchte, die Ursachen totalitärer Massenbewegungen (exemplarisch in Hitlers Nationalsozialismus und Stalins Sowjetkommunismus) aus der psychischen Struktur der jeweiligen Anhänger zu verstehen. Allgemein sah er Fanatismus und Selbstgerechtigkeit durch Unsicherheit und Selbstzweifel hervorgerufen. Wie er in The True Believer ausführt, kompensieren nach seinen Beobachtungen Menschen die Inhaltsleere des eigenen Lebens durch eine leidenschaftliche Hinwendung an die äußere Welt oder eine Führerperson oder -ideologie. Obwohl Hoffer seine Vorstellungen in erster Linie an den totalitären Massenbewegungen seiner Zeit entwickelte, charakterisierte er auch weniger extreme Bewegungen religiöser oder politischer Ausrichtung als Anlaufpunkt unsicherer Menschen. Hoffers Thesen waren ohne jegliche Anlehnung an die psychologischen Lehren seiner Zeit (Freud'sche Psychologie). Bewunderer von Hoffers Ideen schreiben seiner Unabhängigkeit von der akademischen Welt und der Freiheit von Zwängen die Originalität seiner Ideen zu. Hoffer und die „Intellektuellen“ Hoffer war zu seiner Zeit einer der den USA zugeneigtesten Schriftsteller. Er verstand sich nicht als „Intellektueller“, insbesondere da er die Bezeichnung negativ für anti-amerikanische Akademiker verstand. Seiner Ansicht nach waren Akademiker in erster Linie machthungrig und kompensierten die ihnen in demokratischen Staaten (aber nicht totalitären Staaten) verweigerte Macht, indem sie sich durch übertriebene Kritik wichtig machten. Hoffer selbst sah seine eigene Herkunft aus einem bescheidenen Milieu als ermutigend. Er sah sich selbst als Außenseiter und verstand Außenseiter als Vorreiter der Gesellschaft. Obwohl er links eingestellten Akademikern deutlich kritisch gegenüberstand, kann man ihn nicht als Konservativen bezeichnen. Er stand außerhalb der Strömungen seiner Zeit und verstand sich als Hafenarbeiter, dessen Schreiben aus seinen Lebensumständen hervorgebracht worden sei. Vielleicht verband ihn deshalb mit einer anderen großen Außenseiterin des akademischen Betriebs, Hannah Arendt, eine besondere Sympathie. Werke The True Believer: Thoughts on the Nature of Mass Movements, 1951 The Passionate State of Mind, 1955 (Aphorismen) The Ordeal of Change, 1963 (dt. Die Angst vor dem Neuen) The Temper of Our Time, 1967 (dt. Der Gegenwart den Puls gefühlt) Israel's Peculiar Position, 1968. (dt. Israels eigenartige Lage) Working and Thinking on the Waterfront, 1969 Reflections on the Human Condition, 1973 In Our Time, 1976 First Things, Last Things, 1979 Before the Sabbath, 1979 Truth Imagined, 1983 deutsche Ausgaben: Der Fanatiker. Eine Pathologie des Parteigängers, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1965 Die Angst vor dem Neuen. Freiheit als Herausforderung und Aufgabe, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1968 Der Fanatiker und andere Schriften, Frankfurt am Main: Eichborn 1999, Reihe Die Andere Bibliothek, ISBN 978-3-8218-4180-9. Weblinks Eric Hoffer in Russia Eric Hoffers Nachlass am Hoover Institute der Stanford University, CA Horst-Jürgen Gerigk: Unterwegs zu einer Theorie des Verrats: Eric Hoffer und Margret Boveri Einzelnachweise Sozialpsychologe Philosoph (20. Jahrhundert) Autor Literatur (Vereinigte Staaten) Literatur (Englisch) Literatur (20. Jahrhundert) Essay Träger der Presidential Medal of Freedom Person (New York City) US-Amerikaner Geboren 1902 Gestorben 1983 Mann
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Elektromagnetische Welle
Eine elektromagnetische Welle, auch elektromagnetische Strahlung, ist eine Welle aus gekoppelten elektrischen und magnetischen Feldern. Bisweilen wird auch kurz von Strahlung gesprochen, wobei hier Verwechslungsgefahr zu anderer Teilchenstrahlung besteht. Beispiele für elektromagnetische Wellen sind Radiowellen, Mikrowellen, Wärmestrahlung, Licht, Röntgenstrahlung und Gammastrahlung (Aufzählung nach aufsteigender Frequenz über 20 Größenordnungen hinweg). Die Wechselwirkung elektromagnetischer Wellen mit Materie hängt von ihrer Frequenz ab. Anders als zum Beispiel Schallwellen benötigen elektromagnetische Wellen kein Medium, um sich auszubreiten. Sie können sich daher auch über weiteste Entfernungen im Weltraum ausbreiten. Sie bewegen sich im Vakuum unabhängig von ihrer Frequenz mit Lichtgeschwindigkeit fort. Elektromagnetische Wellen können sich aber auch in Materie ausbreiten (etwa einem Gas oder einer Flüssigkeit), ihre Phasengeschwindigkeit ist dann verringert und hängt vom Brechungsindex ab. Freie elektromagnetische Wellen im leeren Raum sind Transversalwellen und zeigen daher das Phänomen der Polarisation. Ihre Vektoren des elektrischen und des magnetischen Feldes stehen senkrecht aufeinander und auf der Ausbreitungsrichtung. Bewegliche Ladungsträger beeinflussen die Form der Welle, wobei auch die Transversalität verletzt wird. Entstehung Elektromagnetische Wellen können durch unterschiedliche Ursachen entstehen: Spontane Emission, wenn sich die Energie eines Atoms verringert. Dabei sind Energieänderungen der Atomhülle meist um Größenordnungen geringer als Energieänderungen des Atomkerns. Wird das Atom während der Zeitdauer der Energieabstrahlung aus der Hülle „in Ruhe gelassen“ (wie in verdünnten Gasen), entsteht ein scharfes Linienspektrum. Das ist bei hohem Druck, wie in Höchstdrucklampen und beim Xenonlicht oder bei Atomen in Festkörpern nicht der Fall. Dort können wegen Druckverbreiterung keine wohldefinierten Spektrallinien mehr gemessen werden. Bremsstrahlung: Elektromagnetische Wellen entstehen auch, wenn Ladungsträger beschleunigt werden. Das geschieht beispielsweise im Plasma der Sonne oder in der Röntgenröhre. Molekülschwingungen (periodische Bewegungen von benachbarten Atomen in einem Molekül) Larmorpräzession eines Teilchens mit einem magnetischen Dipolmoment um die Richtung eines von außen angelegten Magnetfelds. Eine Bewegung von elektrisch geladenen Teilchen mit hoher Geschwindigkeit durch ein Medium. Wenn die Geschwindigkeit der Teilchen größer ist als die Phasengeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen in diesem Medium, entsteht Tscherenkow-Strahlung. Ein zeitlich veränderlicher elektrischer Strom gibt elektromagnetische Wellen ab. Im einfachsten Fall handelt es sich um einen hochfrequenten Wechselstrom in einem geraden elektrischen Leiter, dem Hertzschen Dipol. In der Funktechnik nutzt man dies mit Sende-Antennen zur drahtlosen Übertragung von Signalen. Bei der Paarvernichtung wird Materie in elektromagnetische Strahlung verwandelt. Die Energie der Strahlung ergibt sich dabei aus der Masse und der kinetischen Energie der Teilchen. Eigenschaften Vorhandene elektromagnetische Wellen feststellen und messen Empfänger für elektromagnetische Strahlung nennt man Sensoren oder Detektoren, bei Lebewesen Photorezeptoren. Radio-, Fernseh- und Mobilfunkwellen können mittels Antennen detektiert werden. An einer elektromagnetischen Welle lässt sich (unter anderem) die Wellengeschwindigkeit messen, einerseits die im Vakuum universale Konstante Lichtgeschwindigkeit , sowie davon abweichende Werte für die Phasengeschwindigkeit in einem durchlässigen (durchsichtigen) Medium. Messbar ist ferner die Intensität, gleichbedeutend mit der Leistung, bzw. mit der pro Zeit-Einheit durch einen bestimmten Querschnitt transportierten Energie. Um die Wellenlänge und Frequenz zu messen, gibt es je nach Wertebereich unterschiedliche Methoden. Wellenlänge und Frequenz lassen sich durch ineinander umrechnen. Wellencharakter Physikalisch betrachtet handelt es sich bei elektromagnetischen Wellen um sich ausbreitende Schwingungen des elektromagnetischen Feldes. Hierbei stehen elektrisches und magnetisches Feld bei linear polarisierten Wellen senkrecht aufeinander und haben ein festes Größenverhältnis, welches durch die Wellenimpedanz gegeben ist. Insbesondere verschwinden elektrisches und magnetisches Feld an denselben Orten zur selben Zeit, so dass die häufig gelesene Darstellung, dass sich elektrische und magnetische Energie zyklisch ineinander umwandeln, im Fernfeld nicht richtig ist. Sie stimmt allerdings zum Beispiel für das Nahfeld eines elektromagnetische Wellen erzeugenden elektrischen Dipols oder Schwingkreises. Die Entstehung elektromagnetischer Wellen erklärt sich aus den maxwellschen Gleichungen: Die zeitliche Änderung des elektrischen Feldes ist stets mit einer räumlichen Änderung des magnetischen Feldes verknüpft. Ebenso ist wiederum die zeitliche Änderung des magnetischen Feldes mit einer räumlichen Änderung des elektrischen Feldes verknüpft. Für periodisch (insbesondere sinusförmig) wechselnde Felder ergeben diese Effekte zusammen eine fortschreitende Welle. Beispiele für Experimente, in denen der Wellencharakter zum Tragen kommt: Erscheinungen wie Kohärenz und Interferenz lassen sich nur mit dem Wellenmodell erklären, weil dafür die Phase der Welle gebraucht wird. Antennen für die von Rundfunksendern emittierte Strahlung sind auf die Größe der Wellenlänge abgestimmt. Beispielsweise ist eine effiziente Dipolantenne halb so lang wie die Wellenlänge. Eine Beschreibung der Strahlung als sehr große Anzahl an Photonen bietet keinen Vorteil, da es kein Messgerät gibt, um derart energiearme Photonen einzeln nachzuweisen. Teilchencharakter Für bestimmte Eigenschaften elektromagnetischer Wellen (z. B. photoelektrischer Effekt) genügt das oben beschriebene Wellenmodell nicht, um alle beobachtbaren Phänomene zu beschreiben, vielmehr treten die Teilcheneigenschaften einzelner Photonen, der Quanten des elektromagnetischen Feldes, in den Vordergrund. Der Wellencharakter (etwa Interferenz) bleibt aber voll erhalten. Man spricht deshalb vom Dualismus von Teilchen und Welle. Im Rahmen dieser Teilchenvorstellung des Lichtes werden einer Welle der Frequenz Photonen der Energie zugeordnet, wobei die Planck-Konstante ist. Umgekehrt haben auch Teilchen wie zum Beispiel Elektronen Welleneigenschaften (siehe auch Elektrischer Strom). Beide Aspekte elektromagnetischer Wellen lassen sich im Rahmen der Quantenelektrodynamik erklären. Beispiele für Wirkungen, in denen der Teilchencharakter zum Tragen kommt: Beim Compton-Effekt trifft eine elektromagnetische Welle aus einer bestimmten Richtung auf ein Elektron und fliegt dann in anderer Richtung und mit anderer Wellenlänge weiter. Bei jedem Ablenkwinkel entspricht die Änderung der Wellenlänge genau dem Energieverlust, den ein Photon der ankommenden Welle erleidet, wenn es wie ein elastischer Körper mit dem Elektron zusammengestoßen ist. Zur Beschreibung dieser Wechselwirkung muss also der Teilchencharakter des Lichts herangezogen werden. Jeder Versuch, die beobachtete Änderung der Wellenlänge mit dem Wellenmodell zu erklären, scheitert. Beim photoelektrischen Effekt ist die kinetische Energie der herausgeschlagenen Elektronen nicht von der Amplitude der Strahlung abhängig, sondern wächst linear mit der Frequenz. Dies ist nur über den Teilchencharakter erklärbar. Photonen mit genügender Energie (etwa von einigen Elektronvolt aufwärts) wirken auf Materie ionisierend, wenn ihre Energie die Bindungsenergie der Elektronen überschreitet (Fotochemie). Sie können chemische (photochemische) Wirkungen auslösen, was auch als Aktinität bezeichnet wird. Wellen im Medium Die Phasengeschwindigkeit mit der sich eine monochromatische Welle in einem Medium bewegt, ist typischerweise geringer als im Vakuum. Sie hängt in linearer Näherung von der Permittivität und der Permeabilität des Stoffes ab, und ist damit abhängig von der Frequenz der Welle (siehe Dispersion) und bei doppelbrechenden Medien auch von ihrer Polarisation und Ausbreitungsrichtung. Die Beeinflussung der optischen Eigenschaften eines Mediums durch statische Felder führt zur Elektrooptik bzw. Magnetooptik. Eine direkte Krafteinwirkung (z. B. Richtungsänderung) auf eine sich ausbreitende elektromagnetische Welle kann nur durch das Ausbreitungsmedium erfolgen (siehe Brechung, Reflexion, Streuung und Absorption) bzw. vermittelt werden (siehe Nichtlineare Optik und Akustooptischer Modulator). Spektrum Elektromagnetische Wellen sind im elektromagnetischen Spektrum nach der Wellenlänge eingeteilt. Eine Liste von Frequenzen und Beispiele elektromagnetischer Wellen gibt es im entsprechenden Artikel. Das sichtbare Licht stellt nur einen geringen Teil des gesamten Spektrums dar und ist, mit Ausnahme der Infrarotstrahlung (Wärme), der einzige Bereich, der von Menschen ohne technische Hilfsmittel wahrgenommen werden kann. Bei niedrigeren Frequenzen ist die Energie der Photonen zu gering, um chemische Prozesse auslösen zu können. Bei höheren Frequenzen hingegen beginnt der Bereich der ionisierenden Strahlung (Radioaktivität), bei der ein einziges Photon Moleküle zerstören kann. Dieser Effekt tritt bereits bei Ultraviolett-Strahlung auf und ist für die Bildung von Hautkrebs bei übermäßiger Sonnenexposition verantwortlich. Beim Licht bestimmt die Frequenz die Farbe des Lichtes und nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen, die Wellenlänge in einem Medium bei der Ausbreitung. Die Frequenz wird anders als die Wellenlänge beim Übergang in optisch dichtere Medien nicht beeinflusst. Da sich die Farbe aber beim Durchgang durch ein Medium nicht ändert, ist nur die Frequenz charakteristisch für die Farbe des Lichts. In Spektren wird aus historischen Gründen jedoch die Wellenlänge als charakteristische Eigenschaft angegeben. Der Zusammenhang zwischen Farbe und Wellenlänge gilt nur im Vakuum und in guter Näherung in Luft. Monochromatisches Licht, also Licht mit nur einer einzigen Wellenlänge, hat stets eine Spektralfarbe. Biologische und chemische Wirkung Bei der Wechselwirkung von elektromagnetischer Strahlung mit biologischer Materie muss zwischen ionisierender Strahlung (größer 5 eV) und nicht-ionisierender Strahlung unterschieden werden. Bei der ionisierenden Strahlung reicht die Energie aus, um Atome oder Moleküle zu ionisieren, d. h. Elektronen herauszuschlagen. Dadurch werden freie Radikale erzeugt, die biologisch schädliche Reaktionen hervorrufen. Erreicht oder übersteigt die Energie von Photonen die Bindungsenergie eines Moleküls, kann jedes Photon ein Molekül zerstören, sodass beispielsweise eine beschleunigte Alterung der Haut oder Hautkrebs auftreten kann. Chemische Bindungsenergien stabiler Moleküle liegen oberhalb von etwa 3 eV pro Bindung. Soll es zu Moleküländerungen kommen, müssen Photonen mindestens diese Energie besitzen, was violettem Licht oder höherfrequenter Strahlung entspricht. Bei der Wechselwirkung von nicht-ionisierender Strahlung unterscheidet man zwischen thermischen Effekten (Strahlung wirkt erwärmend, weil sie durch das Gewebe absorbiert wird), direkten Feldeffekten (induzierte Dipolmomente, Änderung von Membran-Potentialen), Quanten-Effekten und Resonanzeffekten (Synchronisation mit Schwingung der Zellstruktur). Ein Photon mit einer Wellenlänge von 700 nm oder kürzer kann im Molekül Rhodopsin die Änderung der Konformation hervorrufen. Im Auge wird diese Änderung aufgenommen und als Signal vom Nervensystem weiter verarbeitet. Die Empfindlichkeit für eine bestimmte Wellenlänge ändert sich bei Modifikationen des Rhodopsins. Dies ist die biochemische Grundlage des Farbsinns. Photonen von Licht mit einer Wellenlänge über 0,7 µm haben eine Energie unter 1,7 eV. Diese Wellen können keine chemischen Reaktionen an Molekülen bewirken, die bei Zimmertemperatur stabil sind. Aus diesem Grund können Tieraugen normalerweise keine Infrarot- oder Wärmestrahlung sehen. 2013 entdeckten Forscher jedoch, dass der Buntbarsch Pelvicachromis taeniatus im Nah-Infrarotbereich sehen kann. Es gibt außerdem andere Sinnesorgane für Infrarotstrahlung, wie das Grubenorgan bei Schlangen. Photonen können Schwingungen von Molekülen oder im Kristallgitter eines Festkörpers anregen. Diese Schwingungen machen sich im Material als thermische Energie bemerkbar. Zusätzliche durch elektromagnetische Wellen angeregte Schwingungen erhöhen die Temperatur des Materials. Anders als bei der Wirkung von einzelnen Photonen auf chemischen Bindungen, kommt es hierbei nicht auf die Energie der einzelnen Photonen an, sondern auf die Summe der Energie aller Photonen, also auf die Intensität der Strahlung. Durch Hitzedenaturierung kann langwellige elektromagnetische Strahlung auf indirekte Weise biologische Stoffe ändern. Ausbreitungsgeschwindigkeit Ausbreitungsgeschwindigkeit als Konsequenz der Maxwellschen Gleichungen Wie schnell sich Licht ungefähr ausbreitet, war seit 1676 bekannt. Allerdings fehlte bis 1865 jeder Zusammenhang zu anderen physikalischen Erscheinungen. Diesen konnte James Clerk Maxwell in den Jahren 1861 bis 1862 durch die von ihm gefundenen Maxwell-Gleichungen herstellen, welche die Existenz elektromagnetischer Wellen vorhersagen. Deren Geschwindigkeit stimmte mit der damals bekannten Lichtgeschwindigkeit so gut überein, dass sofort ein Zusammenhang hergestellt wurde. Diese Wellen konnte Heinrich Hertz in den 1880er-Jahren experimentell nachweisen. In der klassischen Mechanik werden Wellen (in Ausbreitungsrichtung ) durch die Wellengleichung beschrieben. Hierbei bezeichnet die Auslenkung der Welle und ihre Phasengeschwindigkeit, die hier als Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle interpretiert werden kann. Aus den Maxwellgleichungen lässt sich im Vakuum für die elektrische Feldstärke die Beziehung: herleiten (in SI-Einheiten; siehe Abschnitt Mathematische Beschreibung). Die elektrische Feldstärke verhält sich in dieser Beziehung also wie eine Welle; die Größe tritt als Ausbreitungsgeschwindigkeit auf. Lichtgeschwindigkeit und spezielle Relativitätstheorie Grundlage der klassischen Mechanik ist das galileische Relativitätsprinzip, das besagt, dass die Naturgesetze in allen Inertialsystemen dieselbe Form haben (Galilei-Invarianz). Ein sich zu einem Inertialsystem mit konstanter Geschwindigkeit fortbewegendes Bezugssystem ist ebenfalls ein Inertialsystem. Insbesondere gilt, dass bei einem Wechsel des Bezugssystems die Relativgeschwindigkeit zwischen den beiden Systemen bei jeder beobachteten Bewegung subtrahiert werden muss. Nach den Maxwellschen Gleichungen breitet sich eine elektromagnetische Welle mit einer vom Bewegungszustand der Lichtquelle unabhängigen Geschwindigkeit aus. Bewegt sich ein Beobachter relativ zur Lichtquelle, so müsste er, wenn man die Galilei-Transformation auf die Maxwell-Gleichungen anwendet, eine veränderte Lichtgeschwindigkeit messen. Dies steht einerseits im Widerspruch zum Relativtätsprinzip, demzufolge in allen Inertialsystemen dieselben physikalischen Gesetze gelten sollten. Andererseits ließ sich eine solche Abhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit vom Bezugssystem experimentell nicht nachweisen (siehe Michelson-Morley-Experiment). Albert Einstein löste diesen scheinbaren Widerspruch mit der speziellen Relativitätstheorie auf, die er im Jahr 1905 veröffentlichte. Er gab die Vorstellung eines absoluten, für alle Beobachter gleichen Bezugsrahmens auf, wie er in Form des so genannten Lichtäthers in der Physik des 19. Jahrhunderts angenommen wurde. An dessen Stelle setzte er zwei Postulate: Das Relativitätsprinzip und die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, also die Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit vom Bewegungszustand der Lichtquelle. Aus beiden Postulaten folgte unmittelbar, dass die Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen denselben Wert hat, allerdings um den Preis, dass Längen und Zeiten nun bezugssystemabhängig sind. An Stelle der Galilei-Transformation tritt die sogenannte Lorentz-Transformation. Ausbreitungsgeschwindigkeit in einem Medium In einem Medium werden die beiden Feldkonstanten durch das Material geändert, was durch die Faktoren relative Permittivität und relative Permeabilität berücksichtigt wird. Beide hängen von der Frequenz ab. Die Lichtgeschwindigkeit im Medium ist dementsprechend . Das Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit in Vakuum zu der in einem Medium ist der (frequenzabhängige) Brechungsindex des Mediums. Der Zusammenhang des Brechungsindex mit der relativen Permittivität und der relativen Permeabilität heißt auch maxwellsche Relation: Wegen der im Allgemeinen gegebenen Abhängigkeit von und von der Frequenz der Welle ist zu beachten, dass die Phasengeschwindigkeit im Medium bezeichnet, mit der Punkte gleicher Phase (z. B. Minima oder Maxima) einer ebenen Welle mit konstanter Amplitude fortschreiten. Die Hüllkurve eines räumlich begrenzten Wellenpakets pflanzt sich hingegen mit der Gruppengeschwindigkeit fort. In Medien weichen diese beiden Geschwindigkeiten mehr oder weniger voneinander ab. Insbesondere bedeutet ein Brechungsindex lediglich, dass sich die Wellenberge schneller als ausbreiten. Wellenpakete, mit denen Information und Energie transportiert werden, sind weiterhin langsamer als . Transversal modulierte Welle im Vakuum Nach den Maxwell-Gleichungen ergibt sich die von der Wellenlänge unabhängige Lichtgeschwindigkeit u. a. für den Fall einer im Vakuum unendlich ausgedehnten ebenen Welle mit einer wohldefinierten Fortpflanzungsrichtung. Demgegenüber hat jede praktisch realisierbare Lichtwelle immer ein gewisses Strahlprofil. Wird dies als Überlagerung von ebenen Wellen mit leicht veränderten Fortpflanzungsrichtungen dargestellt, haben die einzelnen ebenen Wellen zwar alle die Vakuumlichtgeschwindigkeit , jedoch gilt dies nicht notwendig für die durch die Überlagerung entstehende Welle. Es resultiert eine leicht verlangsamte Welle. Das konnte an speziell geformten Bessel-Strahlen von Mikrowellen und sichtbarem Licht auch nachgewiesen werden, sogar für die Geschwindigkeit einzelner Photonen. Bei allen praktisch realisierbaren Lichtwellen, auch bei scharf gebündelten Laserstrahlen, ist dieser Effekt aber vernachlässigbar klein. Mathematische Beschreibung Die elektromagnetische Wellengleichung ergibt sich direkt aus den Maxwellgleichungen sowie der Divergenzfreiheit elektromagnetischer Wellen und lautet im Vakuum . Betrachtet man die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in polarisierbaren Medien, so muss zusätzlich die Polarisation betrachtet werden: Herleitung der elektromagnetischen Wellengleichung Die zur Wellenausbreitung gehörigen mathematischen Beziehungen lassen sich auf Basis der maxwellschen Gleichungen nachvollziehen. Insbesondere lässt sich dieselbe Form der Wellengleichung herleiten, mit der sich andere Arten von Wellen, beispielsweise Schallwellen, ausbreiten. Im Vakuum, also im ladungsfreien Raum unter Ausschluss von dielektrischen, dia- und paramagnetischen Effekten sind die Materialgleichungen der Elektrodynamik und . Außerdem sind die Stromdichte und Ladungsdichte null. Ausgehend von der dritten maxwellschen Gleichung wendet man auf beide Seiten den Rotationsoperator an. Dadurch erhält man: . Setzt man darin die vierte maxwellsche Gleichung (mit ) ein, , ergibt sich Dazu gilt ganz allgemein die vektoranalytische Beziehung . Dabei ist mit die Anwendung des vektoriellen Laplace-Operators auf das Vektorfeld gemeint. In kartesischen Koordinaten wirkt der vektorielle Laplace-Operator wie der skalare Laplace-Operator auf jede Komponente von . Wendet man diese Beziehung auf an und berücksichtigt, dass der ladungsfreie Raum betrachtet wird, in dem nach der ersten maxwellschen Gleichung die Divergenz von null beträgt, so folgt: Setzt man nun (2) und (3) zusammen, ergibt sich folgende Wellengleichung: Fast alle Wellen lassen sich durch Gleichungen der Form beschreiben, wobei die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle ist. Für die Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen, die Lichtgeschwindigkeit , gilt daher: . Damit erhält man aus (4) die Gleichung . Analog kann man für die magnetische Flussdichte die Beziehung herleiten. Die Lösungen dieser Gleichungen beschreiben Wellen, die sich im Vakuum mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Breitet sich die elektromagnetische Welle in isotropem Material mit der Dielektrizitätskonstante und der Permeabilität aus, beträgt die Ausbreitungsgeschwindigkeit . Darin sind aber im Allgemeinen die Materialkonstanten nicht linear, sondern können von der Feldstärke oder der Frequenz abhängen. Während Licht sich in der Luft fast mit Vakuumlichtgeschwindigkeit ausbreitet (die Materialkonstanten sind in guter Näherung 1), gilt das für die Ausbreitung in Wasser nicht, was unter anderem den Tscherenkow-Effekt ermöglicht. Das Verhältnis der Vakuumlichtgeschwindigkeit zur Geschwindigkeit im Medium wird als Brechungsindex bezeichnet. , wo und die relative Permeabilität und die relative Permittivität des Mediums bezeichnen. Ausbreitung elektromagnetischer Wellen Mit Hilfe der Maxwellgleichungen lassen sich aus der Wellengleichung noch weitere Schlüsse ziehen. Betrachten wir eine allgemeine ebene Welle für das elektrische Feld , wo die (konstante) Amplitude ist, eine beliebige C2-Funktion, ein Einheitsvektor, der in Propagationsrichtung zeigt, und ein Ortsvektor. Zunächst sieht man durch Einsetzen in die Wellengleichung, dass die Wellengleichung erfüllt, dass also . Damit nun eine elektromagnetische Welle beschreibt, muss es aber nicht nur die Wellengleichung erfüllen, sondern auch die Maxwellgleichungen. Das bedeutet , . Das elektrische Feld steht also stets senkrecht zur Propagationsrichtung, es handelt sich also um eine Transversalwelle. Einsetzen von in eine weitere Maxwellgleichung ergibt und da ist, folgt daraus . Die magnetische Flussdichte in der elektromagnetischen Welle steht also ebenfalls senkrecht zur Propagationsrichtung und auch senkrecht zum elektrischen Feld. Außerdem stehen ihre Amplituden in einem festen Verhältnis. Ihr Quotient ist die Lichtgeschwindigkeit . In natürlichen Einheiten () haben beide Amplituden den gleichen Wert. Mit dieser Beziehung lässt sich eine Aussage über die Energiedichte des elektromagnetischen Felds für den Fall der elektromagnetischen Welle herleiten: . Nicht jede elektromagnetische Welle hat die Eigenschaft, dass ihre Ausbreitungsrichtung sowie die Richtungen des elektrischen als auch des magnetischen Feldes paarweise orthogonal zueinander sind, die Welle also eine reine Transversalwelle ist, auch TEM-Welle genannt. Die hier demonstrierten ebenen Wellen sind von diesem Typ, daneben existieren aber auch Wellen, in denen nur einer der beiden Feldvektoren senkrecht auf der Ausbreitungsrichtung steht, der andere aber eine Komponente in Ausbreitungsrichtung hat (TM- und TE-Wellen). Ein wichtiger Anwendungsfall für solche nicht rein transversale elektromagnetische Wellen sind zylindrische Wellenleiter. Das Gesagte gilt aber vor allem in Kristallen mit Doppelbrechung. Allerdings gibt es keine rein longitudinalen elektromagnetischen Wellen. Literatur John David Jackson: Klassische Elektrodynamik. 4. Auflage. de Gruyter, Berlin u. a. 2006, ISBN 3-11-018970-4. Karl Küpfmüller, Wolfgang Mathis, Albrecht Reibiger: Theoretische Elektrotechnik. Eine Einführung. 16. Auflage. Springer, Berlin u. a. 2005, ISBN 3-540-20792-9. Claus Müller: Grundprobleme der mathematischen Theorie elektromagnetischer Schwingungen (= Die Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen. 88, ). Springer, Berlin u. a. 1957. Eduard Rhein: Wunder der Wellen : Rundfunk u. Fernsehen, dargest. f. jedermann, Ausgabe 69.–80. Tsd., Deutscher Verl. d. Ullstein A.G., Berlin-Tempelhof 1954. DNB Károly Simonyi: Theoretische Elektrotechnik. 10. Auflage. Barth, Leipzig u. a. 1993, ISBN 3-335-00375-6. Weblinks Versuche und Aufgaben auf Schülerniveau (LEIFI) Einfache Simulation zur Ausbreitung von elektromagnetischer Strahlung Anschauliche Herleitung von elektromagnetischen Wellen aus den Maxwell-Gleichungen, nahezu formelfrei Einzelnachweise Welle Elektromagnetische Strahlung
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https://de.wikipedia.org/wiki/Exobiologie
Exobiologie
Die Exobiologie (aus und Biologie) ist eine interdisziplinäre Naturwissenschaft, welche die Möglichkeit der Entstehung und Existenz von außerirdischem Leben erforscht und sich mit der allgemeinen Frage von Leben im All beschäftigt (siehe auch: Panspermie). Allgemeines Die Bezeichnung Exobiologie wurde vor allem in der Frühzeit der Raumfahrt für den heute als Astrobiologie bezeichneten Begriff verwendet, gilt aber heute nur noch für einen Teilbereich der Astrobiologie. Sie wurde von dem Biologen Joshua Lederberg in den 1960er Jahren geprägt und wird oft von einem biologischen Standpunkt aus benutzt. Die ESA benutzt diese Bezeichnung bevorzugt, und auch die NASA betreibt ein Exobiologie-Programm. Eine weitere Bezeichnung, Kosmobiologie, stammt von dem Physiker John Desmond Bernal, wird aber selten benutzt. Nach Untersteiner (2006) ist die Exobiologie jener interdisziplinäre Wissenschaftszweig, der den Ursprung, die Verbreitung und die Evolution des Lebens im Universum untersucht. Das NASA Astrobiology Institute (NAI) definiert Exobiologie schlicht als „das Studium des lebenden Universums“. Damit schließt dieser Wissenschaftsbereich auch Fragen zur weiteren Evolution des irdischen Lebens und seiner möglichen Verbreitung im Universum mit ein. In diesem Rahmen hat der deutsche Physiker Claudius Gros vorgeschlagen, dass die Technik der Breakthrough-Starshot-Initiative benutzt werden könnte, um eine Biosphäre einzelliger Lebewesen auf einem ansonsten nur zeitweilig bewohnbaren Exoplaneten zu etablieren. Die Exobiologie versucht auf drei Arten, Leben außerhalb der Erde nachzuweisen. Direkte Suche innerhalb des Sonnensystems und möglicherweise Transport einer Probe zur Erde durch Raumsonden. Suche nach Biosignaturen auf Exoplaneten durch astronomische Beobachtungsmethoden. Es gibt mehrere indirekte Methoden, um auf Leben schließen zu können. So wird angenommen, dass bestimmte Molekülverbindungen nur durch Leben dauerhaft erzeugt werden können. Würde man also zum Beispiel im Lichtspektrum (Absorptionsspektrum) eines fernen Planeten solche Moleküle finden, wäre das ein starkes Indiz für Leben. Suche nach Zeichen außerirdischer Technik. Ein eindeutiges Zeichen für intelligentes Leben wären zum Beispiel Radiosignale außerirdischer Zivilisationen, wie man sie mit SETI-Projekten zu finden versucht, oder außerirdische Artefakte. Bisher ist diesen Projekten allerdings noch kein Erfolg beschieden, auch wenn angenommen wird, dass es hunderte Zivilisationen allein in der Milchstraße geben könnte. Diese Zahl wurde mit Hilfe der Drake-Gleichung ermittelt und unterliegt starken Schwankungen je nach den getroffenen Annahmen. Literatur Aleksandar Janjic: Astrobiologie – die Suche nach außerirdischem Leben. Springer, Berlin / Heidelberg 2019, ISBN 978-3-662-59491-9. Hubert Untersteiner: Exobiologie – Wissenschaft vom Leben im All. edition nove, 2006, ISBN 3-902546-42-5. Fred Adams: Leben im Universum. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006, ISBN 3-423-34282-X. Claude R. Canizares: Evaluating the biological potential in samples returned from planetary satellites and small solar system bodies – framework for decision making. National Academy Press, Washington 1998, ISBN 0-309-06136-9 (online). Pascual Jordan: Diskussionsbemerkungen zur exobiologischen Hypothese. Steiner, Wiesbaden 1971. G. Mamikunian, M. H. Briggs (Hrsg.): Current Aspects of Exobiology. Pergamon Press, London / New York 1965. L. R. Magnolia, S. A. Gogin, J. A. Turley: Exobiology: A Bibliography. Issue 52 of Research Bibliography, STL Technical Library, TRW Space Technology Laboratories (1964). Siehe auch Exosoziologie Exopolitik Evolutionstheorie Frankfurter Evolutionstheorie Fermi-Paradoxon Synthetische Evolutionstheorie Von den Bewohnern der Gestirne Weblinks Lochfraß im Marsgestein. Forscher finden mögliche Spuren von Bakterien in einem Meteoriten vom Mars. . ORF-Artikel zu möglichem Leben auf der Venus. Sarah Scoles: Leben auf anderen Welten. Auf: spektrum.de vom 9. Juli 2023, aktualisiert am 31. Juli 2023. Einzelnachweise Astrobiologie
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https://de.wikipedia.org/wiki/Elefanten
Elefanten
Die Elefanten (Elephantidae) sind eine Familie aus der Ordnung der Rüsseltiere. Die Familie stellt die größten gegenwärtig lebenden Landtiere und schließt außerdem die einzigen heute noch lebenden Vertreter der Ordnungsgruppe ein. Es werden drei rezente Arten unterschieden: der Afrikanische Elefant, der die weitgehend offenen Landschaften Afrikas südlich der Sahara bewohnt, der ebenfalls in Afrika heimische, aber weitgehend auf tropische Regenwälder beschränkte Waldelefant und der im südlichen und südöstlichen Asien vorkommende Asiatische Elefant, der eine Vielzahl von Landschaftsräumen nutzt. Alle Elefanten sind durch ihren Rüssel, ein muskulöses Organ, das aus der Verwachsung der Nase mit der Oberlippe hervorgegangen ist, und durch ihre aus den oberen Schneidezähnen gebildeten Stoßzähne gekennzeichnet. Weitere auffällige Merkmale finden sich in dem massiven Körperbau mit säulenförmigen Beinen und der grauen, wenig behaarten Haut. Elefanten sind soziale Tiere, die in Familiengruppen aus weiblichen Individuen und deren Nachwuchs leben. Sie durchstreifen mehr oder weniger große Aktionsräume auf der Suche nach Nahrung. Die Größe der Aktionsräume und die Ausdehnung der Wanderungsbewegungen sind abhängig von lokalen Gegebenheiten wie dem genutzten Landschaftsraum und dem daraus resultierenden Nahrungsangebot. Männliche Tiere leben dagegen entweder einzelgängerisch oder formieren sich in Junggesellengruppen. Die Kommunikation untereinander, sowohl innerhalb als auch zwischen den verschiedenen Familiengruppen, findet auf mehreren Wegen statt. Zu diesen gehören Gerüche, die über Kot, Urin und Drüsensekrete vermittelt werden, Tastkontakte unter anderem mit dem Rüssel, verschiedene Körpergesten und eine reichhaltige Lautgebung, bei der variable Grolllaute im niedrigen Frequenzbereich hervorzuheben sind. Die Nahrung der Elefanten basiert auf Pflanzen, die mit dem Rüssel aufgenommen werden. In der Regel nutzen die Tiere sowohl harte Bestandteile wie Gräser als auch weichere wie Blätter und Zweige. Die genaue Zusammensetzung wird von der jahreszeitlichen Verfügbarkeit der einzelnen Pflanzen bestimmt. Ausgewachsene männliche Tiere kommen einmal jährlich in die Musth, eine teils mehrmonatig andauernde Phase, die durch einen massiven Hormonanstieg gekennzeichnet wird. Als Resultat daraus kommt es nicht nur zu einer beständigen Sekretausscheidung, sondern auch zu einer erhöhten Aggressivität gegenüber Geschlechtsgenossen. Die Musth ist Teil des Fortpflanzungsverhaltens. Der Sexualzyklus der weiblichen Tiere währt außerordentlich lang und ist ebenfalls durch auffällige Hormonanstiege markiert. Nach einer Tragzeit von fast zwei Jahren wird zumeist ein einziges Jungtier geboren, das in der Familiengruppe aufwächst. Junge weibliche Tiere verbleiben hier nach der Geschlechtsreife, junge männliche verlassen diese dann. Die Stammesgeschichte der Elefanten reicht bis in das ausgehende Miozän vor rund 7 Millionen Jahren zurück. Sie begann in Afrika und ist Teil der letzten Entwicklungsphase der Rüsseltiere. Neben den heute bestehenden zwei Gattungen (Loxodonta für die afrikanischen Elefanten und Elephas für die asiatischen Vertreter) sind zusätzlich mehrere ausgestorbene Formen überliefert. Die bekanntesten gehören zu den Gattungen Mammuthus (Mammute) und Palaeoloxodon. Diese erreichten auch Gebiete, die von den heutigen Arten nicht bewohnt werden, wozu etwa das westliche und nördliche Eurasien zählt. Beide Regionen durchliefen im Verlauf des Pleistozäns mehrere Vereisungsphasen, in deren Folge verschiedene kälteangepasste Elefantenarten entstanden, darunter das bekannte Wollhaarmammut. Einige Vertreter der Mammute erreichten auch als einzige Elefanten Nordamerika und begründeten dort eine eigene Entwicklungslinie. Ein Großteil der Angehörigen dieser Gattungen starb im Übergang vom Pleistozän zum Holozän vor etwa 10.000 Jahren aus, einige wenige verzwergte Inselformen überlebten noch ein wenig länger. In der menschlichen Gesellschaftsentwicklung und Geschichte spielten Elefanten eine bedeutende Rolle. Sie wurden anfänglich als Nahrungsressource und Rohstoffquelle gejagt beziehungsweise genutzt, fanden bereits vor mehr als 30.000 Jahren Einzug in Kunst und Kultur und erlangten in späterer Zeit mit der Sesshaftwerdung und der Entstehung verschiedener Hochkulturen ebenfalls große Bedeutung. Einzig der Asiatische Elefant trat als gezähmtes Tier dauerhaft in den Dienst des Menschen. Er fungierte dabei zunächst als Last- und Arbeitstier, später wurde er in Kriegen eingesetzt und galt als Zeichen außerordentlicher Größe und Macht. Die wissenschaftliche Erstbeschreibung des Afrikanischen und Asiatischen Elefanten datiert in das Jahr 1758. Beide Arten wurden zunächst einer einzigen Gattung zugewiesen, erst Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgte die generische Trennung der beiden Vertreter. Der Waldelefant ist erst seit dem Beginn der 2000er Jahre als eigenständige Art anerkannt. Die Familie der Elefanten wurde 1821 eingeführt. Die Bestände der drei Arten gelten in unterschiedlichem Maße als gefährdet. Merkmale Habitus Elefanten sind die größten noch lebenden Landtiere. Der kleinste rezente Vertreter, der Waldelefant (Loxodonta cyclotis), erreicht eine Körperhöhe von rund 2,1 m und ein Gewicht von etwa 2 t, die größte heutige Form, der Afrikanische Elefant (Loxodonta africana) wird bis zu 3,7 m hoch und wiegt dann rund 6,6 t. Das größte wissenschaftlich vermessene Exemplar, ein Tier aus Angola, besaß eine Schulterhöhe von 4 m und brachte vermutlich rund 10 t auf die Waage. Zwischen diesen beiden Formen vermittelt der Asiatische Elefant (Elephas maximus) hinsichtlich Körpergröße und -gewicht. In ihrer stammesgeschichtlichen Vergangenheit zeigten die Elefanten eine deutlich höhere Variationsbreite. Die kleinsten Formen bilden einige inselbewohnende Zwergelefanten. Bei einigen dieser Elefanten war der Verzwergungseffekt so stark, dass sie nur zwischen 2 und 7 % der Größe der Ausgangsarten aufwiesen. Hierzu zählen unter anderem der Sizilianische Zwergelefant (Palaeoloxodon falconeri) oder das Kreta-Zwergmammut (Mammuthus creticus), die nur rund 1 m hoch wurden und zwischen 170 und 240 kg wogen. Die größten Elefanten finden sich mit Palaeoloxodon namadicus und Palaeoloxodon recki beziehungsweise mit dem Steppenmammut (Mammuthus trogontherii) und dem Präriemammut (Mammuthus columbi), deren Körperhöhe jeweils zwischen 4,2 und 4,5 m schwankte. Ihr Körpergewicht dürfte bei 12 bis 15 t gelegen haben. Bezüglich der Größe besteht bei den heutigen Arten ein markanter Geschlechtsdimorphismus mit deutlich größeren männlichen Tieren gegenüber den weiblichen. Allgemein sind Elefanten massige Tiere mit einem großen und kurzen, dafür hohen Kopf auf kurzem Hals, säulenförmigen Beinen und einem über einen Meter langen Schwanz mit pinselartigem Ende. Das auffälligste Merkmal bildet der Rüssel, ein schlauchförmiger Muskelkörper entstanden aus der mit der Oberlippe verwachsenen Nase. Die Ausprägung des Rüssels bewirkt, dass die Maulöffnung bei den Elefanten verhältnismäßig klein ist. Als weiteres Kennzeichen kommen die vor allem bei erwachsenen Tieren ausgebildeten oberen Stoßzähne hinzu. Seitlich am Kopf setzen große, fächerartige Ohren an, die je nach Art unterschiedliche Ausmaße haben. Der Körper ist plump, die Rückenlinie verläuft entweder gerade beziehungsweise gesattelt wie bei den afrikanischen Elefanten oder aufgewölbt wie beim Asiatischen. Bei ersteren liegt der höchste Körperpunkt an den Schultern, beim letzteren auf der Stirn. Das Fellkleid der Elefanten ist sehr spärlich ausgebildet, längere Haare treten zumeist am Kinn und an der Rüsselspitze sowie am Schwanzende auf. Die Haut ist grau gefärbt, weist aber häufig pigmentfreie Flächen auf. Die eigentliche Hautfarbe kann durch Erd- und Staubbedeckung übertüncht sein. Die größeren Vorderbeine tragen rund 60 % des Körpergewichts. Vorder- und Hinterfüße enden in jeweils fünf Strahlen. Diese sind aber äußerlich nicht sichtbar, sondern in ein Polster eingebettet, das aus verschiedenen Strängen und Lagen von faserigem Bindegewebe besteht, unterbrochen wiederum durch Kammern aus Fettgewebe. Zusätzlich enthält es noch Kollagen, Reticulin und elastische Fasern. Das Polster durchsetzt den Fuß und füllt den Raum zwischen den einzelnen Knochen aus. Die Fußsohle besteht aus einer einheitlichen Fläche, die vorn rundlich, hinten oval geformt ist. An der jeweiligen Vorderseite bestehen „nagel-“ oder „hufartige“ Strukturen, deren Zahl teilweise zur Artunterscheidung herangezogen wird (Afrikanischer Elefant vorn vier, hinten drei; Waldelefant vorn fünf, hinten vier; Asiatischer Elefant vorn fünf, hinten vier bis fünf), prinzipiell aber stark variabel ist. In der Regel sind die seitlichen Nägel reduziert. Die „Hufe“ ähneln weitgehend den vergleichbaren Bildungen bei den Huftieren. Schädel- und Skelettmerkmale Schädel Der Schädel der Elefanten ist groß gestaltet sowie hoch und kurz. Die Schädeldecke am höchsten Punkt wölbt sich teilweise kuppelartig auf. Der kurze Schädel entstand durch die Reduktion der Schnauzenpartie und die Vorverlagerung des Hinterhauptbeines; das Letztere fällt bei den heutigen Elefanten stark nach vorn ein. Die Kompression des Schädels im vorderen und hinteren Bereich bewirkt auch, dass der Schwerpunkt weit nach hinten verlagert ist. Ein herausragendes Merkmal stellen die großen, bienenwabenartig gestalteten, luftgefüllten Kammern dar, die das Stirnbein, Scheitelbein, Nasenbein und den Zwischenkieferknochen durchsetzen. Dadurch kann die Schädeldecke eine Dicke von bis zu 40 cm erreichen. Die Pneumatisierungen vergrößern die Oberfläche des Schädels enorm und erweitern so die Ansatzfläche für die massive Kau- und Nackenmuskulatur. Gleichzeitig verringern sie das Gewicht des Schädels. Ein weiteres Kennzeichen ist das stark zurückgebildete Nasenbein, wodurch Platz für die außerordentlich große Muskulatur des Rüssels entstand. Beide Merkmale finden sich bei zahlreichen Rüsseltierlinien. Durch die Reduktion des Nasenbeins ist der Zwischenkiefer auch direkt mit dem Stirnbein verbunden, was als generelles Merkmal der Tethytheria gilt. Bei den Elefanten rahmt der Zwischenkieferknochen die jeweilige Alveole der Stoßzähne ein. Die Stoßzahnalveolen stehen eher senkrecht am Schädel, wodurch die Stoßzähne nach unten austreten, was ebenfalls dem kurzen Schädel geschuldet ist. Dies bildet einen deutlichen Kontrast zu den meisten früheren Rüsseltierformen, deren Stoßzahnfächer durch den langen Schädel deutlicher horizontal orientiert sind. Als weitere elefantentypische Charakteristika können die hohe Lage der Nasenöffnung sowie die nach vorn orientierten Orbita herausgehoben werden. Die Stauchung des Schädels führte auch zu Änderungen an der Schädelbasis. Hier sind die senkrechte Stellung der Flügelfortsätze des Keilbeins und der nach unten gedellte Gaumen zu nennen. Der Unterkiefer der Elefanten ist kurz und hoch. Der horizontale Knochenkörper wirkt massiv, der aufsteigende Ast ist stark verbreitert. Aus der besonderen Form des Unterkiefers ergibt sich, dass der Kronenfortsatz, eine als Muskelansatzstelle dienende knöcherne Verlängerung des aufsteigenden Astes, weit vorn lagert und etwa über dem (Masse)-Schwerpunkt liegt. Gemeinsam mit dem Gelenkfortsatz ragt er weit auf, so dass sich die Gelenkverbindung mit dem Schädel deutlich oberhalb der Kauebene befindet. Die Symphyse, welche die beiden Unterkieferhälften am vorderen Ende miteinander verbindet, zeigt sich ebenfalls kurz. Gegenüber ursprünglicheren Elefantenformen ist der Unterkiefer der heutigen Vertreter somit auffallend gestaltet. Bei ersteren war er noch deutlich gestreckter, besaß eine lange Symphyse, an der sich seitlich die Zahnfächer der Unterkieferstoßzähne anschlossen. Zahlreiche der elefantentypischen Merkmale an Schädel und Unterkiefer sind auf eine Umstrukturierung im Kauapparat zurückzuführen, welche die Kürzungen in Schädellängsrichtung hervorrief. Der Kauapparat ist auf horizontale Vor- und Rückwärtsbewegungen spezialisiert. Andere frühere Rüsseltierlinien benutzten dagegen vor allem seitlich orientierte Mahlbewegungen. Stoßzähne Elefanten besitzen zwei Arten von Zähnen: Die zu Stoßzähnen gewandelten, hypertrophierten und wurzellosen mittleren Schneidezähne der oberen Zahnreihe (I2) und die Backenzähne. Ältere Formen wie Stegotetrabelodon besaßen noch Stoßzähne im Unterkiefer, die sich aus den unteren inneren Schneidezähnen entwickelt hatten, im Verlauf der Stammesgeschichte aber durch Kürzungen im Unterkiefer, vor allem im Bereich der Symphyse verlorengingen, ein Prozess, der in mehreren Linien innerhalb der Rüsseltiere nachvollzogen werden kann. Heutige Elefanten benutzen ihre Stoßzähne überwiegend zum Graben, zum Entrinden der Bäume, zum Tragen schwerer Objekte sowie als Waffe gegen Konkurrenten beziehungsweise beim Imponiergehabe. Die Stoßzähne wachsen permanent und das gesamte Leben lang. Sie können sowohl bei beiden Geschlechtern, etwa beim Afrikanischen Elefanten beziehungsweise bei den verschiedenen Mammuten, oder hauptsächlich bei männlichen Tieren, beispielsweise beim Asiatischen Elefanten, ausgebildet sein. In der Regel sind sie nach oben und außen gebogen oder spiralig geformt. Heutige Arten können Stoßzähne von bis zu 345 cm Länge tragen, deren Gewicht mitunter 110 kg überschreitet, wobei der Afrikanische Elefant durchschnittlich größere Stoßzähne als der Asiatische Elefant hat. Die längsten bekannten Stoßzähne waren aber bei den verschiedenen Mammuten ausgebildet – Rekordmaße belaufen sich auf 490 cm. In der Regel steckt etwa ein Viertel der Länge der Stoßzähne in den Alveolen. Jungtiere besitzen Milchstoßzähne, sogenannte „Hauer“ (tushes), die noch im ersten Lebensjahr ausfallen und durch die permanenten Zähne getauscht werden. Die Stoßzähne, allgemein auch Elfenbein genannt, werden aus Carbonat-Hydroxylapatit-Kristallen gebildet (Hauptbestandteil Dahllit), die mit Kollagenfasern verbunden sind. Dabei tragen die Kristalle hauptsächlich zur Härte der Stoßzähne bei, während die Kollagenfasern für die Elastizität sorgen. Strukturell bestehen die Stoßzähne aus drei Zonen. Den Hauptbestandteil bildet das Zahnbein, das der Knochensubstanz ähnelt, aber stark mineralisiert und daher frei von Zellen ist. Es besitzt einen faserigen Aufbau und ist von zahlreichen, mit Kollagen gefüllten Kanälchen durchsetzt. Der mineralische Anteil beträgt rund 59 %, der organische etwa 33 %, der Rest entfällt auf Wasser. Umhüllt wird das Zahnbein von einer dünnen Schicht aus Zahnzement. Im Inneren dehnt sich die Pulpa aus, die hauptsächliche Wachstumszone. Das hier entstehende neue Zahnmaterial lagert sich in mehrfachen Wachstumsschüben ab, deren Länge zwischen wenigen Millimetern bis zu 35 cm variiert. Im Durchschnitt kann mit einer jährlichen Zuwachsrate von etwa 17 cm gerechnet werden. Durch die Wachstumsschübe setzt sich der Stoßzahn aus zahlreichen übereinandergestülpten, konischen „Hüten“ zusammen. Im Querschnitt erscheinen diese Wachstumsphasen als ringartig mit den ältesten Zonen an der Außenseite und den jüngsten im Innern, vergleichbar den Baumringen in umgekehrter Reihenfolge. Für die Bildung des Zahnbeins bedarf es großer Mengen an Calcium und Natrium, die beim Asiatischen Elefanten etwa täglich 60 g Calcium und 100 g Natrium betragen. Zahnschmelz ist an den Stoßzähnen der Elefanten in der Regel nicht ausgebildet, er findet sich lediglich an der Spitze, wird dort aber relativ schnell durch Nutzung der Zähne abgeschliffen. Im Gegensatz dazu weisen die Milchstoßzähne noch eine dünne Zahnschmelzschicht auf. Der fehlende Zahnschmelz unterscheidet die Elefanten von stammesgeschichtlich älteren Rüsseltierlinien. Das Zahnbein der Stoßzähne besitzt eine auffällige komplexe Bildung, die als „Schreger-Linien“ bezeichnet werden und ausschließlich bei den Elefanten vorkommen. Es handelt sich dabei um abwechselnd hell und dunkel gefärbte Bereiche, die im Zahnquerschnitt ein Schachbrettmuster formen. Es setzt sich aus rhombischen, wechselnd hell oder dunkel gefärbten Flächen zusammen, die einerseits radial vom äußeren Zahnzement zur inneren Pulpa, andererseits tangential entlang des Zahnzements verlaufen. Größe und Form der Flächen variieren je nach Lage im Zahnquerschnitt mit kleineren Rhomben im Inneren, größeren außen und eher quadratischen Strukturen im zentralen Bereich. Die Größe der einzelnen Flächen reicht von 200 bis 800 μm². Durch die wechselnde Ausdehnung der Flächen entsteht im Zahnquerschnitt die optische Illusion eines Spiralmusters mit sich überschneidenden Linien. Der Winkel, mit dem die Linien aufeinandertreffen, wird als „Schreger-Winkel“ bezeichnet und kann zur Artbestimmung herangezogen werden (Afrikanische Elefanten 118 (L. africana) bis 123 ° (L. cyclotis), Asiatischer Elefant 112 °, Wollhaarmammut 87 °, Europäischer Waldelefant 130 °). In Längsrichtung zum Stoßzahn zeigen sich die „Schreger-Linien“ als Bandmuster aus hellen und dunklen Flächen mit Stärken von rund 500 μm. Der Ursprung des Musters wird kontrovers diskutiert. Einige Forscher sind der Ansicht, dass die „Schreger-Linien“ durch die Anordnung der Zahnbein-Kanälchen entstehen, die wiederum ihren Ursprung in der Wanderung der Odontoblasten während des Stoßzahnwachstums und der Zahnbeinbildung haben. Andere Autoren leiten das Muster aus der speziellen Orientierung der Kollagenfasern her. Hinteres Gebiss und Zahnwechsel Kennzeichnendes Merkmal der hinteren Zähne ist ihr Aufbau aus einzelnen Lamellen, was entsprechend als lamellodont bezeichnet wird. Die einzelnen Lamellen bestehen aus Zahnschmelz und sind in einer Matrix aus Zahnzement eingebettet. Je nach Art unterscheiden sich die Zähne in Anzahl und Verlauf der Schmelzlamellen, sie haben somit taxonomischen Wert. Ein unterscheidendes Kriterium ist dabei die Lamellenfrequenz, die sich aus der Anzahl der Schmelzlamellen auf je zehn Zentimeter Zahnlänge ergibt. Bewertungsgrundlage ist zumeist der dritte Mahlzahn, der am größten wird und dem zufolge die höchste Anzahl an Schmelzfalten aufweist. Er kann bis zu 5 kg wiegen und besitzt beim Afrikanischen Elefanten bis zu 13, beim Asiatischen bis zu 24 Schmelzlamellen. Das ausgestorbene Wollhaarmammut (Mammuthus primigenius) hatte als am stärksten spezialisierte Elefantenart Backenzähne mit bis zu 30 Schmelzlamellen. Generell nimmt die Anzahl der Schmelzlamellen innerhalb der einzelnen Entwicklungslinien (Gattung) der Elefanten zu. Dies geht einher mit einer Ausdünnung des Zahnschmelzes, so dass stammesgeschichtlich jüngere Formen gegenüber älteren weitgehend schmalere und engerstehende Lamellen besitzen. Die Zunahme der Schmelzlamellen je Zahn reflektiert wiederum unmittelbar die wechselnden Ernährungsweisen der Tiere. Um mit dem ausdünnenden Zahnschmelz den starken Abrasionskräften beim Kauen zu widerstehen, formte dieser einerseits extrem enge Faltungen und Windungen aus, andererseits kam es auch zur Aufhöhung der Zahnkronen. Heutige Elefanten haben hochkronige (hypsodonte) Backenzähne (das heißt, die Zahnhöhe übertrifft die Zahnbreite), ursprünglichere Formen wiesen demgegenüber häufig niederkronige (brachyodonte) Zähne auf. Zwischen den Stoßzähnen und den Backenzähnen befindet sich ein zahnfreier Bereich, der allgemein als Diastema bezeichnet wird. Ein solches Diastema ist typisch für das Gebiss pflanzenfressender Säugetiere. Über das ganze Leben hinweg betrachtet, verfügt ein Elefant über sechs Backenzähne pro Kieferhälfte: drei Prämolaren (Vormahlzähne dP2 bis dP4 beziehungsweise dp2 bis dp4) und drei Molaren (Mahlzähne M1 bis M3 beziehungsweise m1 bis m3), wobei die Prämolaren den Milchbackenzähnen entsprechen, die Molaren den auch bei anderen Säugetieren üblichen permanenten hinteren Backenzähnen. Es sind also insgesamt 24 Backenzähne ausgebildet. Die Zahnformel einschließlich der Stoßzähne wird zumeist folgendermaßen angegeben: . Allgemein hat das Gebiss ausgewachsener heutiger Elefanten demzufolge keine dauerhaften Prämolaren mehr, bei einigen frühen Formen wie Stegotetrabelodon, Primelephas und bei ursprünglichen Vertretern der Gattung Loxodonta kam noch ein dauerhafter letzter Prämolar vor. Dieser bei den urtümlicheren Elefanten üblicherweise kleine Zahn war wesentlich häufiger bei älteren Linien der Rüsseltiere und ging im Laufe der Stammesgeschichte mehrfach unabhängig voneinander verloren, meist im Zusammenhang mit der Reduktion der unteren Stoßzähne und der damit verbundenen Längenabnahme der Unterkiefersymphyse. Da die Kiefer der Elefanten relativ kurz und die Backenzähne vergleichsweise groß sind, trägt eine Kieferhälfte immer nur eins bis drei Backenzähne gleichzeitig, wobei aber nur ein Teil durchgebrochen, also sichtbar ist. Die Kaufläche wird stets nur von dem Backenzahn oder den Backenzähnen gebildet, die sich nahe dem Diastema befinden (also im vorderen Bereich des Kiefers). Ausgewachsene Elefanten haben so maximal anderthalb Backenzähne je Kieferast gleichzeitig in Funktion. Beim Kauen beziehungsweise Zermahlen der relativ harten Pflanzennahrung nutzen sich die Zähne stark ab. Um zu gewährleisten, dass die Mahlleistung stets gleich bleibt, wandert vom hinteren Ende des Kiefers kontinuierlich, wie auf einem sehr langsamen Fließband, „frisches“ Zahnmaterial zum Diastema hin. Diese Wanderung wird durch Resorption und Neuaufbau von Kieferknochensubstanz ermöglicht. Bei den stark abgenutzten Zahnteilen unmittelbar am Diastema wird die Wurzel resorbiert, sodass sie absterben, keinen Halt mehr im Kiefer haben und schließlich abbrechen. Nachdem die ersten drei Backenzähne des Jugendstadiums ausgefallen sind, erfolgt der vollständige Durchbruch des vierten im Alter von etwa 10 bis 14 Jahren, der des fünften mit 26 bis 27 Jahren und des sechsten und letzten mit 34 bis 37 Jahren (jeweils gerechnet auf das Lebensalter eines Afrikanischen Elefanten). Wenn ein Elefant noch zu Lebzeiten alle seine 24 Backenzähne verschlissen hat, muss er verhungern. Diese spezielle Form der Erneuerung von Zahnsubstanz wird horizontaler Zahnwechsel genannt und kommt heute fast ausnahmslos bei Elefanten vor. Sie hat sich innerhalb der Rüsseltiere schon stammesgeschichtlich sehr früh entwickelt und ist erstmals bei der Gattung Eritreum im Oberen Oligozän vor rund 27 Millionen Jahren nachgewiesen. Der horizontale Zahnwechsel führt zu zyklischen Veränderungen des Körpergewichts bei den Elefanten. Hervorgerufen wird dies durch das Nachschieben eines neuen Zahns, der dann als zusätzliche Kaufläche zur Verfügung steht. Dadurch kann ein Tier individuell mehr Nahrung aufnehmen oder intensiver zerkauen. Die Schwankungen des Körpergewichts betragen bis zu 300 kg, sie sind aber nur bei Zootieren mit regelmäßiger und gleichmäßiger Nahrungsversorgung feststellbar. Wildlebende Elefanten unterliegen einem jahreszeitlich sowohl qualitativ als auch quantitativ abweichendem Nahrungsangebot, wodurch dieser Effekt möglicherweise überlagert wird. Körperskelett Das Skelett der Elefanten besteht aus 320 bis 346 Einzelknochen. Bei einem untersuchten Asiatischen Elefanten wog es im frischen Zustand 374 kg und machte etwa 15 % der Körpermasse aus. Die Wirbelsäule besteht aus 7 Hals-, 18 bis 21 Brust-, 3 bis 5 Lenden-, 3 bis 6 Kreuzbein- und 18 bis 34 Schwanzwirbeln. Die Anzahl der Wirbel und auch der Rippen (18 bis 21 Paare) variiert je nach Art. Den Langknochen fehlt die typische Markhöhle, stattdessen ist das Innere mit spongiösem Material gefüllt. Gleiches gilt für die Rippen. An den Vorderbeinen ist der Oberarmknochen äußerst kräftig gebaut, sein Gelenkkopf hebt sich nur undeutlich vom Schaft ab. Den Unterarm dominiert die Elle, die etwa fünfmal so schwer wie die Speiche wird. Beide Knochen sind nicht miteinander verwachsen. Das Becken wird durch die extrem große und weit ausladende Schaufel des Darmbeins geprägt. Der Oberschenkelknochen ist der längste Knochen des Skeletts. Er kann bei einem Afrikanischen Elefanten bis zu 127 cm lang werden, bei einzelnen ausgestorbenen Formen wie einigen Vertretern der Gattungen Mammuthus und Palaeoloxodon war er 140 bis 165 cm lang. Der Gelenkkopf ist typischerweise deutlich gerundet, ein dritter Rollhügel (Trochanter tertius) fehlt und ist nur als schwacher Punkt unterhalb des großen Rollhügels (Trochanter major) am vorderen oberen Schaft ausgebildet. Das Kniegelenk zeigt eine erweiterte Ruheposition, sodass beim Stehen der Winkel zwischen Oberschenkel und Schienbein fast 180 ° beträgt. Dies ist für vierfüßige Landwirbeltiere ungewöhnlich und nur beim zweibeinigen Menschen anzutreffen. Das Oberschenkelgelenk der Elefanten zeigt große Ähnlichkeit mit dem des Menschen. Die Menisken sind sehr schmal und dünn und das Kreuzbandsystem ist ebenfalls vorhanden. Die Bewegungsmuster der gewichtstragenden hinteren Gliedmaßen erinnern ebenfalls mehr an den Menschen als an cursoriale (schnellläufige) Landwirbeltiere. Die Hauptbewegung des Kniegelenks ist eine Extension-Flexion mit einem Aktionsradius von 142 °. Im fortgeschrittenen Alter sind die Kniegelenke anfällig für Arthrose. Wie am Unterarm sind am Unterschenkel Schien- und Wadenbein nicht fusioniert. Die Vorder- und Hinterfußknochen ordnen sich als Bogen an, die Knochen stehen weitgehend vertikal. Dies ist als Anpassung an das extreme Gewicht der Tiere zu betrachten, da dadurch der Widerstand im Bereich des Knöchels beim Laufen vermindert wird. Demnach können die Elefanten aus anatomischer Sicht als Zehenspitzengänger betrachtet werden. Funktional stellen sie Sohlengänger dar, da sich zum Ausgleich für das hohe Gewicht, das auf den Zehenspitzen lastet, das bereits erwähnte Fußpolster mit der durchgehenden Sohle entwickelt hat. Typisch für die Tethytheria sind sowohl die Hand- als auch die Fußwurzelknochen seriell angeordnet, das heißt, die einzelnen Knochen liegen in Reihe hintereinander und nicht wechselseitig zueinander. Dieser Aufbau wird als taxeopod bezeichnet, ein Merkmal, das die Rüsseltiere allgemein mit den Schliefern und den Seekühen teilen. Am Vorderfuß tragen nur die drei mittleren Strahlen (II bis IV) je drei Fingerglieder, der innere (I) besitzt jeweils eines, der äußere (V) zwei. Von den fünf vorhandenen Strahlen am Hinterfuß weisen der zweite bis fünfte jeweils Zehenglieder auf, der innerste Strahl besteht nur aus dem Mittelfußknochen. Drei Zehenglieder kommen allerdings nur am dritten und vierten Strahl vor, ansonsten sind es zwei. Generell ist die Ausprägung der Phalangenanzahl sehr variabel bei den heutigen Elefanten. Die Phalangen sind meist kurz und breit, ihre Größe nimmt von der ersten zur dritten rapide ab. Die äußerst kleine Endphalanx, sofern vorhanden, artikuliert in der Regel nicht direkt mit der mittleren. Zur Unterstützung hat sich bei den Elefanten zu den fünf regulären Strahlen ein sechster ausgebildet, der seitlich an der Innenseite liegt und dem Daumen beziehungsweise dem großen Zeh vorangeht. Er wird entsprechend an den Vorderfüßen als Präpollex („Vordaumen“) und am Hinterfuß als Prähallux („Vorzehe“) bezeichnet. Beide Strukturen entstehen in der Individualentwicklung aus knorpeligen Sesambeinen und verknöchern mit der Zeit. Die Bildung kann mit der Umstrukturierung des Vorder- und Hinterfußes im Laufe der Stammesgeschichte der Rüsseltiere in Verbindung gebracht werden, als sich der Zehenspitzengang aus dem Sohlengang der urtümlicheren Vorläufer heraus entwickelte. Weichteile und innere Organe Rüssel Der Rüssel gehört zu den auffälligsten anatomischen Merkmalen der Elefanten. Er stellt eine Verwachsung der Nase mit der Oberlippe dar, welche bereits im Fötalalter miteinander verschmelzen. Äußerlich bildet er einen muskulären Schlauch ohne knöchernen Unterbau, der von den Nasengängen durchzogen wird. Am unteren Ende des „Schlauches“ treten diese durch die Nasenlöcher heraus. Das Füllvolumen beträgt bei einem Asiatischen Elefanten mit rund 1,8 m langem Rüssel etwa 2,2 bis 3,1 l. Umgeben werden die Nasenlöcher von einer breiten, ebenen Fläche, an deren Rändern „fingerförmige“ Ausstülpungen aufragen. Beim Afrikanischen Elefanten sind dies zwei gegenständige „Finger“ am oberen und unteren Rand, beim Asiatischen nur ein einzelner am oberen. Das Wollhaarmammut besaß ebenfalls nur einen „Finger“ an der oberen Kante, wies aber gegenüberstehend einen breiten, schaufelförmigen Zipfel auf. Die Ausstülpungen dienen primär als Greiforgan. Prinzipiell besteht der Rüssel aus Haut, Haaren und Muskeln sowie Blut- und Lymphgefäßen beziehungsweise Nerven und einem geringen Anteil an Fett. Knorpelgewebe ist nur am Nasenansatz ausgebildet. Als hochsensitives Organ wird der Rüssel von zwei Nerven durchzogen, dem Nervus facialis und dem Nervus trigeminus. Die Muskeln wirken unterstützend. Es sind zwei Muskeltypen ausgebildet, die einerseits längs, andererseits quer beziehungsweise diagonal verlaufen. Teils wurde angenommen, dass 40.000 bis 60.000 zu Bündeln verflochtene Muskeln den Rüssel bewegen, Extrapolationen an einem sezierten Tier ergaben dagegen bis zu 150.000 Muskelbündel. Zu den Hauptmuskelgruppen gehören die vorderen levators proboscidis, die am Stirnbein ansetzen, durch den gesamten Rüssel verlaufen und diesen zum Heben bringen. Weiterhin bedeutend sind die depressores proboscidis. Diese nehmen den unteren Bereich des Rüssels ein und sind stark mit den Quermuskeln und der Haut verbunden. Dabei scheinen beim Rüssel des Afrikanischen Elefanten mehr ringartige Quermuskeln aufzutreten, so dass dieser beweglicher und „lappiger“ wirkt als beim Asiatischen Elefanten. Evolutiv entstand der Rüssel schon sehr früh in der Stammesgeschichte der Rüsseltiere. Die Herausbildung des Rüssels führte zu einigen anatomischen Änderungen im Schädelbereich, die vor allem der Ausbildung der massiven Muskulatur geschuldet sind. Die markanteste findet sich in einer außerordentlichen Reduktion des Nasenbeins und einer stark vergrößerten Nasenöffnung. Sekundär kam es auch zur Rückbildung des vorderen Gebisses. Da der Rüssel die Distanz vom Kopf zum Erdboden überbrückt, die der kurze Hals nicht bewerkstelligen kann, ist ersterer unabdingbar bei der Nahrungsaufnahme. Die Schneidezähne, die bei zahlreichen Säugetieren hauptsächlich in schneidender Weise bei der Nahrungsaufnahme Einsatz finden, hatten bei den Rüsseltieren dadurch keine vordergründige Funktion mehr. Mit Ausnahme der Stoßzähne entwickelten sie sich deshalb zurück. Darüber hinaus ist der Rüssel ein Multifunktionsorgan, welches als Tast- und Greiforgan, zur Atmung beziehungsweise Geruchswahrnehmung sowie als Waffe und Drohmittel, zusätzlich auch als Saug- und Druckpumpe beim Trinken dient. Durch die an seinem unteren Ende befindlichen Tasthaare eignet er sich auch als Tastorgan, mit dem die Tiere kleinste Unebenheiten wahrnehmen können. Er findet zudem Einsatz bei der Kontaktaufnahme zu Artgenossen in der Herde, etwa bei den komplexen Begrüßungsritualen und beim Spiel. Mit dem Rüssel werden Staub und Schmutz auf der Haut verteilt, was zum Schutz vor der starken Sonneneinstrahlung und vor Insekten geschieht. Des Weiteren wird der Rüssel zum Greifen von Gegenständen benutzt, beispielsweise, um sie zum Mund zu führen. Mit seiner Hilfe kann ein Tier Äste und Pflanzen aus bis zu sieben Meter Höhe erreichen. Ähnlich einem Giraffenhals verdoppelt er damit seine Streckhöhe. Gelegentlich dient der Rüssel beim Baden oder Schwimmen als eine Art Schnorchel, zum Riechen wird er hoch in die Luft gehalten. Ausgebildete Arbeitselefanten können mit Hilfe des Rüssels und mit Unterstützung der Stoßzähne sowie in Zusammenarbeit mit dem Elefantenführer Gegenstände von erheblichem Gewicht manipulieren, heben und bewegen. Haut und Ohren Die Haut eines untersuchten Asiatischen Elefanten wog insgesamt 211 kg und bedeckte eine Fläche von 11,96 m². Das Gewicht der Haut entsprach demnach etwa 9,8 % des individuellen Körpergewichts. Im Vergleich dazu kann beim Afrikanischen Elefanten die Hautoberfläche bis zu 26 m² betragen. Die Haut ist mitunter sehr dick, beim Asiatischen Elefanten bis 30 mm, beim Afrikanischen Elefanten bis zu 40 mm. Charakteristisch sind eine dicke Hornschicht, verschiedene Hautfalten und das Fehlen von Schweiß- und Talgdrüsen. Die Thermoregulation erfolgt daher über Verdunstungswasser auf der Hautoberfläche und durch Ohrwedeln. Individuelle Maßnahmen stellen Wasser- und Schlammbäder dar. Zusätzlich zu den Faltungen der Haut ist diese beim Afrikanischen Elefanten durch tiefe Furchen stark ornamentiert. Die Furchen und Risse entstehen in den obersten Schichten der Epidermis (Stratum corneum), welche bei ausgewachsenen Individuen nur wenige Hautschuppen besitzt und stark verhornt ist, wodurch sie bei Biegebelastung aufbricht. Das in den Rissen eindringende Wasser kann dort fünf- bis zehnmal so lange gespeichert werden wie jenes direkt an der Oberfläche und trägt so zur Regulierung der Körpertemperatur bei. Die Afrikanischen und der Asiatische Elefant unterscheiden sich in der Ohrgröße. Bei letzterem werden sie rund 60 cm breit und 55 cm hoch und bedecken eine Fläche von 0,5 m² (beide Seiten insgesamt). Erstere haben Ohren von bis zu 137 cm Höhe und 89 cm Breite. Sie nehmen bis zu 20 % der gesamten Hautoberfläche ein. Als weiterer Unterschied kann die Faltung der Ohren genannt werden, die beim Asiatischen Elefanten den oberen Abschnitt betrifft, beim Afrikanischen hingegen den seitlichen. Die Ohren des Wollhaarmammuts sind noch einmal deutlich kleiner als beim Asiatischen Elefanten. Die Ohrgröße lässt teilweise entsprechend der Allenschen Regel eine Anpassung an die geographische Breite erkennen, die bei den Afrikanischen Elefanten die Äquatorregion umfasst, beim Wollhaarmammut dagegen die weitgehend hohen arktischen Landschaften. Die Ohren bestehen aus einer beidseitigen Schicht an Haut und einer Lage aus Knorpelgewebe dazwischen. Temporaldrüse Ein weiteres markantes und einzigartiges Merkmal bildet die Temporaldrüse („Schläfendrüse“) seitlich des Auges, die bei männlichen Tieren während der Musth ein öliges Sekret absondert. Die Drüse ist auch von fossilen Formen wie dem Wollhaarmammut überliefert. Sie wird 13 bis 14 cm lang und ist flach, ihr Gewicht beträgt etwa 0,23 bis 1,59 kg. Im Innern besteht sie aus verschiedenen lappenartigen Strukturen, die mit Bindegewebe miteinander verbunden sind und einen Hohlraum von rund 5 cm Durchmesser einschließen. Der Hohlkörper führt über eine nur 2 cm weite Öffnung an die Hautoberfläche. Ihn umgeben stäbchen- oder röhrenförmigen Zellen und verschiedene Lumen. Während der ausgeprägten Musth sind die Lumen mit lockerem Zellmaterial, freien Zellkernen und Mitochondrien gefüllt. Letztere weisen einen Aufbau typisch für steroidproduzierende Zellen auf (mit kammartiger innerer Membran) wie beispielsweise Leydig-Zwischenzellen. Diese sind gemeinsam mit dem glatten endoplasmatischen Retikulum sowie den Golgi-Körpern bedeutend für die Testosteron-Produktion. In den Zellen um den Hohlkörper sind wiederum zahlreiche Mikrovilli und Sekretvakuolen eingebettet. Während der Testosteron-Produktion hypertrophieren die Zellen. Sowohl ihre Anzahl als auch der Anteil der mitochondrialen inneren Membran, des glatten endoplasmatischen Retikulums und der Golgi-Körper nehmen zu. Zum Höhepunkt brechen die Zellstrukturen zusammen und füllen die Lumen aus. Ihren Ursprung hat die Temporaldrüse offenbar in Schweißdrüsen mit apokrinem Sekretionsmechanismus. In der chemischen Zusammensetzung des produzierten Sekrets unterscheiden sich die heutigen Elefantenarten. Beim Afrikanischen Elefanten ist beispielsweise der Anteil an Proteinen, Natrium oder saurer Phosphatase deutlich geringer als beim Asiatischen Elefanten. Innere Organe Die inneren Organe der Elefanten sind im Verhältnis nicht größer als bei anderen Säugetieren. Das Gehirn der heutigen Elefanten hat 257 Milliarden Nervenzellen, was etwa der 3-fachen Menge des Menschen entspricht. Mit rund 98 % ist der Großteil davon im Kleinhirn verteilt. Diese außergewöhnliche Konzentration wird auf die taktilen Befähigungen der Tiere zurückgeführt. In der Großhirnrinde, die etwa doppelt so groß ist wie beim Menschen, sind demgegenüber nur 5,6 Milliarden Nervenzellen ausgeprägt. Hier verfügt der Mensch über etwa das Dreifache an Zellen, was wiederum mit seinen kognitiven Fähigkeiten zusammenhängt. Insgesamt weist das Gehirn eines ausgewachsenen Elefanten ein Volumen zwischen 2900 bis 5140 cm³ auf, was das des Menschen um das Dreifache übertrifft. In Relation zum Körpergewicht ist das Gehirn der Elefanten aber kleiner als beim Menschen und bei den Menschenaffen, der Enzephalisationsquotient beträgt bei den heutigen Elefanten etwa 1,7, beim Menschen 7,5. Neugeborene verfügen bereits über 35 % der Größe des Gehirns eines ausgewachsenen Tieres. Bei einigen ausgestorbenen Formen erreichte das Gehirn ein Volumen von über 6000 bis hin zu 9000 cm³, so etwa beim Europäischen Waldelefanten. Der Fund eines fossilisierten Gehirns eines Wollhaarmammuts hatte rekonstruiert ein Volumen von 4100 cm³. Es entsprach im Bau weitgehend dem der heutigen Elefanten. Bemerkenswert ist, dass einige Zwergformen ungewöhnlich große Gehirne in Bezug auf das Körpergewicht besaßen. So wog der Sizilianische Zwergelefant nur rund 189 kg, sein Gehirn erreichte aber ein Volumen von 1800 cm³. Der Enzephalisationsquotient steigt dadurch auf bis zu 3,75 an. Das Herz wiegt zwischen 12 und 27 kg, in der Länge erreicht es 45 bis 57 cm, in der Breite 32 bis 48 cm. Es besitzt ein zweigeteiltes spitzes Ende, ähnlich wie es auch bei den Seekühen beobachtet wird. Des Weiteren tritt eine paarige Hohlvene auf. Beide Merkmale gelten als relativ ursprünglich. Es schlägt im Ruhezustand 28 bis 35 Mal pro Minute, was weniger als bei einem Menschen ist. Der Magen fasst rund 77 l und der Darmtrakt über 610 l. Die Gesamtlänge des Darmtraktes beträgt rund 18 bis 35 m, davon beansprucht der Dünndarm mit bis zu 22 m den größten Teil. Der Dickdarm kann bis zu 14 m Länge erreichen. Der Blinddarm ist groß und sackartig geformt, ebenso wie das vordere Ende des Dickdarms. In der Mitte des Blinddarms befindet sich eine Falte, die möglicherweise darauf hindeutete, dass er ursprünglich aus zwei Kammern bestand. Die Harnblase nimmt eine Füllmenge von etwa 18 l auf. Die Leber ist einfach aufgebaut und teilt sich in zwei unterschiedlich große Kammern. Eine Gallenblase ist nicht oder nur rudimentär ausgebildet. Die beiden Flügel der Lunge wiegen rund 98 kg und sind jeweils 1 m lang sowie 1,2 m breit. Als Besonderheit kann herausgestellt werden, dass die Lunge im Unterschied zu den meisten anderen Säugetieren direkt mit der Brusthöhle verbunden ist. Es besteht daher kein Pleuraspalt, da der Zwischenraum durch lockeres Bindegewebe überbrückt ist. Die Pleurablätter sind dadurch weiterhin gegeneinander verschiebbar, aber bei Weitem nicht so empfindlich. Dies ermöglicht es Elefanten beispielsweise, einen Fluss zu durchqueren und währenddessen mit ihrem langen Rüssel zu „schnorcheln“. Dabei atmen die Tiere Luft mit atmosphärischem Druck ein, während sich ihr Körper, und damit insbesondere die Lunge, etwa 2 m unter Wasser befindet. Diese Druckdifferenz würde bei jedem anderen Säugetier (mit „normalem“ Pleuraspalt) die Blutgefäße, die das Wandblatt der Pleura versorgen, förmlich „ausquetschen“ und zerstören. Die Hoden der männlichen Tiere haben eine Länge von 17 und eine Breite von 15 cm, ihr Gewicht variiert zwischen 1,36 und 3,18 kg. Sie liegen in der Bauchhöhle zwischen und leicht hinter den Nieren. Der Penis ist gut entwickelt und muskulös, er wiegt rund 49 kg bei einer Länge von 100 cm und einem Durchmesser von 15 cm. Eine Penisvorhaut ist gut ausgebildet, der Ausgang der Harnröhre hat einen Y-artigen Verlauf mit der Gabelung zum Rücken zeigend. Der Musculus levator penis ist gedoppelt, beide Stränge vereinen sich rückenseitig auf dem Corpus cavernosum penis und sind wohl dafür verantwortlich, dass der Penis im erigierten Zustand einen S-förmigen Verlauf mit der Spitze nach oben aufweist. Dies ist behilflich, um den Penis beim Paarungsakt in der bauchseitig, zwischen den Hinterbeinen liegenden Vulva der weiblichen Tiere einzuführen. Die deutliche Vorverlagerung der Vulva beim weiblichen Tier zwischen die Hinterbeine ist auf den stark verlängerten Urogenitaltrakt zurückzuführen, der bis zu 130 cm lang wird und rund die Hälfte der Länge des gesamten Genitaltraktes ausmacht. Die Öffnung der Vulva ist zwischen den Beinen verlängert. Die Klitoris besitzt eine Vorhaut und zeigt mit rund 50 cm eine langgestreckte Gestalt. Der Uterus der weiblichen Tiere ist zweihörnig, die Hörner ziehen lang aus, während der Uteruskörper mit rund 15 cm Länge relativ kurz bleibt. Der gefaltete Gebärmutterhals wird ebenfalls rund 15 cm lang und ist auffallend konisch geformt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Säugetieren befindet sich das Gesäuge bei den Elefantenkühen wie bei den Primaten und Seekühen zwischen den Vorderextremitäten. Zytologie Sowohl der Afrikanische als auch der Asiatische Elefant besitzen einen Chromosomensatz von 2n = 56. Beim Afrikanischen Elefanten besteht der diploide Karyotyp aus 25 acrocentrischen/telocentrischen Paaren sowie zwei metacentrischen/submetacentrischen Paaren. Demgegenüber hat der Asiatische Elefant ein acrocentrisches Paar weniger und ein submetacentrisches Paar mehr. In beiden Arten ist das X-Chromosom groß und submetacentrisch, das Y-Chromosom klein und acrocentrisch. Unterschiede bestehen darin, dass beim Asiatischen Elefanten das entsprechende männliche Geschlechtschromosom etwas größer ist und deutlichere G-Banden aufweist als beim Afrikanischen Elefanten. Verbreitung Elefanten sind heute in Asien und Afrika verbreitet. Das natürliche Vorkommen des Asiatischen Elefanten erstreckte sich früher vom östlichen über das südöstliche bis zum südlichen Asien, möglicherweise auch durchgängig bis zum westlichen Teil des Kontinents. Heute ist es stark fragmentiert und beschränkt es sich auf den indischen Subkontinent sowie auf einzelne Teile Hinterindiens, auf Sri Lanka sowie einige der großen Sundainseln beziehungsweise den südlichsten Bereich Chinas. Die Tiere bewohnen sowohl offenere Landschaften als auch waldreichere Gebiete. Der Afrikanische Elefant besiedelte einst nahezu den gesamten afrikanischen Kontinent, heute tritt er in ebenfalls stark zersplitterten Habitaten südlich der Sahara auf. Die nördliche Verbreitungsgrenze befindet sich im Süden des Sudans. Von hier dehnt sich der Lebensraum über Ost- und Westafrika bis nach Südafrika aus. Er bewohnt eine Vielzahl von verschiedenen Lebensräumen wie Savannen, tropische Regenwälder und wüstenartige Gebiete. Der Waldelefant lebt wiederum in den Regenwäldern West- und Zentralafrikas. In ihrer stammesgeschichtlichen Vergangenheit waren die Elefanten insgesamt deutlich weiter verbreitet und kamen nicht nur in ihren heutigen Kerngebieten, sondern auch über weite Teile des nördlichen Eurasiens vor. Die meisten Arten lassen sich allerdings fossil nur in bestimmten Regionen nachweisen und blieben dadurch lokal beschränkt, einige Zwergformen lebten nur auf einzelnen Inseln endemisch. Manche Vertreter erreichten aber auch eine sehr weite Verbreitung wie der Europäische Waldelefant (Palaoloxodon antiquus), der im westlichen Eurasien auftrat, oder das Steppenmammut (Mammuthus trogontherii), das verschiedene Lebensräume von Westeuropa bis Ostasien erschlossen hatte. Einige Angehörige der Mammute (Mammuthus) drangen zudem über die Beringstraße nach Nordamerika vor und besaßen so eine paneurasische und nordamerikanische Verbreitung. Hier ist vor allem das Wollhaarmammut (Mammuthus primigenius) zu nennen, das hauptsächlich während der letzten Kaltzeit die offenen Steppenlandschaften, die sogenannte Mammutsteppe, besiedelte. Lebensweise Territorial- und Sozialverhalten Allgemein Die Lebensweise der heutigen Elefanten ist vergleichsweise gut erforscht. Sie haben eine circadiane Lebensweise. Aktivitäten finden sowohl tagsüber als auch nachts statt. Den größten Teil verbringen die Tiere mit der Nahrungsaufnahme, was etwa zwei Drittel bis drei Viertel ihrer aktiven Phase ausmachen kann. Schlaf nimmt in der Regel nur wenige Stunden in Anspruch und erfolgt häufig in der späten Nacht oder um die Mittagszeit. Währenddessen stehen die Tiere zumeist, eine REM-Phase wird selten erreicht. Elefanten bewegen sich üblicherweise im Passgang gehend fort, so dass immer wenigstens zwei Beine den Boden berühren. Die durchschnittliche Geschwindigkeit beträgt dann rund 1,4 km/h. Generell können die Tiere auch recht hohe Geschwindigkeiten erreichen, die bei etwa 14 bis 24 km/h liegen. Bedingt durch ihre Größe und enormes Gewicht rennen Elefanten dabei nicht, das heißt, es kommt nicht zu einer Sprungphase, bei der alle vier Beine gleichzeitig vom Boden abheben. Auch bleibt der Passgang weitgehend erhalten und es gibt keinen Übergang zu einer anderen Fortbewegungsform typisch für höhere Geschwindigkeiten (Trab oder Galopp). Vergleichbar zu anderen vierfüßigen Tieren nimmt bei einer höheren Geschwindigkeit die Taktfrequenz der Beinbewegungen und die Schrittlänge zu, in der Regel bleibt aber immer ein Bein im Bodenkontakt. Untersuchungen zum Bewegungsmuster der Elefanten bei höheren Geschwindigkeiten ergaben, dass die Vorderbeine eher gehende Bewegungen ausüben, die Hinterbeine dagegen rennende. Alle vier Beine üben dabei die gleiche Funktion aus, das heißt, es findet im Unterschied zu anderen vierfüßigen Säugetieren auch bei höheren Geschwindigkeiten keine Aufteilung in vorantreibende und abbremsende Gliedmaßen statt. Allerdings in Übereinstimmung mit anderen Säugetieren ist die Arbeitsleistung der Vorderbeine höher als die der Hinterbeine, was der allgemeinen Gewichtsverteilung entspricht. Dagegen sind Elefanten sehr gute Schwimmer, die sich mit stürzenden, den Tümmlern ähnlichen Bewegungen durch das Wasser bewegen. Sie bewegen sich dabei mit circa 2,7 km/h fort. Der Rüssel wird als Schnorchel über die Wasseroberfläche gehalten. Beobachtungen zufolge überwinden die Tiere dabei Distanzen von bis zu 48 km über die offene Wasserfläche. Es ist daher plausibel, dass diese Schwimmbefähigung es den Elefanten ermöglichte, in erdgeschichtlicher Vergangenheit abgelegenere Inseln zu erreichen und darauffolgend verschiedene Zwergformen auszubilden. Über die Gründe dafür liegen allerdings nur Vermutungen vor. Angenommen wird, dass die Tiere Nahrungsduft von Inseln in Sichtkontakt witterten und diese dann gezielt ansteuerten. Sozialstruktur und Raumnutzung Elefanten sind allgemein gesellige Tiere, die in komplexen Sozialgemeinschaften leben. Es gibt aber Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tieren. Kühe bilden mit den Kälbern Sozialverbände. Die engste Bindung besteht zwischen dem Muttertier und ihrem Nachwuchs. Darüber hinaus können verschiedene Stufen der Gruppenbildung unterschieden werden. Beim Afrikanischen Elefanten umfassen diese als untere Einheit Familiengruppen oder Herden, die mehrere Mutter-Jungtier-Gruppen vereinen. Diese können sich wiederum zu größeren Familienverbänden und schließlich als oberste Einheit zu Clans zusammenschließen. In der Regel sind die Individuen solcher Gruppen näher miteinander verwandt. Die Familiengruppen oder Herden werden von einer Leitkuh angeführt, bei der es sich meist um ein älteres und erfahreneres Individuum handelt. Ihre Rolle ist nicht nur beim Anführen der Familiengruppe bedeutend, sie vermittelt auch wichtige Verhaltensweisen an die Kälber. Die Hierarchie innerhalb der Herde ist linear organisiert, so dass beim Tod der Leitkuh überwiegend die älteste Tochter deren Rolle übernimmt. Herden stellen demnach die stabile Einheit innerhalb des Sozialgefüges des Afrikanischen Elefanten dar. Beim Asiatischen Elefanten hingegen bestehen innerhalb der Familiengruppen verschiedene engere oder weitere individuelle Bindungen. Eine Leitkuh hat hier nicht die dominante Rolle. Sowohl beim Afrikanischen als auch beim Asiatischen Elefanten kommt es in loser Abfolge zu einem Zusammengehen und wieder Aufbrechen der höheren sozialen Einheiten, was allgemein als Fission-fusion-Sozialgefüge („Trennen und wieder Zusammenkommen“) bezeichnet wird. Bullen hingegen leben bei allen Elefantenarten einzelgängerisch oder organisieren sich in Junggesellengruppen, die wiederum aus Individuen verschiedener Altersstufen bestehen. Die verschiedenen Elefantengruppen nutzen Aktionsräume, deren Größe in der Regel vom Nahrungsangebot der entsprechenden Region abhängig ist. Sie sind umso kleiner, je feuchter und vegetationsreicher die Umgebung ist. In bewaldeten Gebieten umfassen sie häufig nur einige Dutzend bis hunderte Quadratkilometer, dehnen sich aber in wüstenartigen Landschaften auf über zehntausend Quadratkilometer aus. Zumeist schließen die Aktionsräume verschiedene Landschaftstypen ein, die jeweils nach Bedarf aufgesucht werden. Innerhalb ihrer Aktionsräume wandern die Elefantengruppen auf der Suche nach Nahrungsquellen umher. Die zurückgelegten Entfernungen sind meist gering, vielfach nur wenige Kilometer am Tag. Das Wanderungsverhalten kann aber durch äußere Umstände stark beeinflusst werden, etwa durch die Anwesenheit menschlicher Siedlungen und Nutzungsareale. Über das Jahr gesehen überwinden Elefanten aber Entfernungen von teils mehreren tausend Kilometern. An vielfach begangenen Wegen bilden sich dann sogenannte Elefantenstraßen, die über lange Zeit bestehen können und mitunter auch von anderen Tierarten genutzt werden. Kommunikation und kognitive Fähigkeiten Das Zusammenleben innerhalb der Gruppe und zwischen den einzelnen Familiengruppen ist in der Regel friedlich und kooperativ. Die Kommunikation untereinander verläuft über verschiedene optische Signale, taktile und chemische Reize sowie Lautgebungen. Wichtige Elemente für die visuelle Kommunikation sind der Rüssel und die Ohren sowie variierende Kopf- und Körperstellungen, häufig auch in unterschiedlichster Kombination miteinander. So drückt etwa ein hoch oder niedrig gehaltener Kopf dominantes oder unterwürfiges Gebaren aus. Sich aus Konfliktsituationen ergebende Kämpfe verlaufen hochritualisiert, Ausnahmen stellen hier Bullen in der Musth dar, bei denen Kämpfe mitunter lebensbedrohlich sein können. Auch für die taktile Kommunikation spielt der Rüssel eine zentrale Rolle, etwa beim komplexen Begrüßungsritual verwandter Familiengruppen. Die chemische Kommunikation beinhaltet Urin- und Kotmarken sowie die Sekrete der Temporal- beziehungsweise der Zwischenzehendrüsen. Sie ist dabei mitunter sehr zielgerichtet, da die enthaltenen Pheromone teilweise nur auf sexuell aktive Individuen stimulierend wirken. Andererseits unterscheiden die Mitglieder einer Familiengruppe anhand des Geruchs mehrere dutzend enger und entfernter verwandter Tiere und auch artfremde Lebewesen. Die Elefanten nutzen eine sehr umfangreiche Lautkommunikation, die allerdings beim Afrikanischen Elefanten weitaus besser untersucht ist als beim Asiatischen. Ein Großteil der Verständigung findet im Infraschallbereich statt. Diese für Menschen unhörbaren Schwingungen werden durch die Luft und durch das Erdreich über mehrere Kilometer übertragen und sind wenig anfällig für Störungen etwa durch Reflexion oder Absorption. Außerdem funktionieren sie sowohl im freien Gelände wie auch in dichten Wäldern. Charakteristisch ist vor allem ein soziales Grollen, dessen Frequenzbereich bei 10 bis 200 Hz liegt. Dieses wird in verschiedenen Situationen angewandt, dient aber zumeist dem Kontakt innerhalb und außerhalb der Familiengruppe. Die Laute variieren individuell, so dass sich die Tiere gegenseitig unterscheiden können. Das soziale Grollen kann sowohl über den Rüssel (nasal) als auch über den Kehlkopf (oral) erzeugt werden. Beide Laute unterscheiden sich in der Länge des Erzeugungsweges, der beim nasalen Grollen mindestens doppelt so lang ist. Sie weisen daher unterschiedliche Frequenzen auf und werden von den Tieren unterschiedlich eingesetzt. Nasales Grollen ertönt häufig bei Kontaktsuchen, orales Grollen jedoch innerhalb der Familiengruppe. Neben diesen Lauten im niedrigen Frequenzbereich kommen auch höherfrequente vor, die teilweise bis zu 9000 Hz erreichen. Diese umfassen verschiedene Geräusche, angefangen vom bekannten Trompeten über ein Bellen, Röhren oder Schreien bis hin zu einem Schnauben oder Krächzen. Ihre Wiedergabe ist von verschiedenen Faktoren abhängig, häufig fungieren sie als Alarm- oder Warnsignale beziehungsweise stehen mit Unbehagen sowie Aufregung in Verbindung. Das soziale Grollen tritt bei allen Elefantenarten am häufigsten auf, untergeordnet werden die niederfrequenten Laute auch mit den höherfrequenten verbunden. Hier sind gewisse Unterschiede zwischen den Arten zu beobachten, da sowohl beim Afrikanischen wie auch beim Asiatischen Elefanten eine Kombination höher-/niederfrequenter gegenüber nieder-/höherfrequenter besteht. Beim Waldelefanten ist dies nicht der Fall. Eventuell sind die Unterschiede landschaftsbedingt, da die eher offeneren Gebiete, die der Afrikanische und Asiatische Elefant bewohnen, einen stärkeren Windeinfluss aufweisen als die geschlossenen Wälder des Waldelefanten. Wind allerdings überprägt niederfrequente Laute stärker, so dass eine Lautfolge mit hohen Frequenzen am Anfang bei potentiellen Zuhörern eher Aufmerksamkeit erzeugt. Eine Besonderheit stellt das Imitieren fremder Laute bis hin zur menschlichen Sprache dar, eine Befähigung, die ansonsten nur selten unter Säugetieren auftritt. Eventuell steht dies im Zusammenhang mit dem individuellen Erkennen innerhalb des Fission-fusion-Sozialgefüges. Anhand akustischer Signale unterscheiden Elefanten nicht nur arteigene, sondern auch artfremde Lebewesen und können diese zusätzlich je nach eigenen Erfahrungen bestimmten Kategorien zuordnen. Neben der komplexen Kommunikation besitzen Elefanten auch bemerkenswerte kognitive Fähigkeiten. So erbrachte ein Spiegeltest an Zootieren des Asiatischen Elefanten, dass diese über ein Ichbewusstsein verfügen und sich selbst im Spiegel erkennen können, vergleichbar zu Elstern, Delfinen und Menschenaffen. Bei weiteren Untersuchungen erlernten sie das Unterscheiden von verwandten Musterpaaren wie „schwarz/weiß“ oder „klein/groß“ und konnten sich an diese über einen langen Zeitraum erinnern. Außerdem ist nachgewiesen worden, dass Elefanten in der Lage sind, zu zählen und einfachste Additionsaufgaben zu lösen sowie unterschiedliche Mengen zu vergleichen. Die Gedächtnisleistungen der Elefanten sind insofern besonders, als sie die Rufe abgewanderter oder verstorbener Familienangehöriger noch nach mehreren Jahren wiedererkennen und beantworten. Unter Einfluss extrem negativer Erfahrungen erleiden die Tiere unter Umständen Traumata, deren Ursachen bis in das Fötalstadium zurückreichen oder deren Auswirkungen noch Jahre nach dem Ereignis auftreten können. Des Weiteren zeigen die Tiere verschiedene altruistische Verhaltensweisen, erkennen die Bedürfnisse anderer Gruppenmitglieder oder sind in der Lage, Koalitionen auf Zeit einzugehen. Weitere Studien erbrachten die Verwendung von Werkzeugen oder gar Luft zum Erreichen bestimmter Ziele. Vor allem Letzteres ist hervorzuheben, da es ein gewisses Verständnis für die physikalische Umwelt voraussetzt. Ein überaus bemerkenswertes Verhalten ist das Aufsuchen von Knochen und Stoßzähnen verstorbener Tiere, wobei sich das nicht nur auf Familienangehörige, sondern auch auf andere Artgenossen bezieht. Verbunden sind diese Handlungen mit einem verstärkten Sekretfluss aus der Temporaldrüse und intensiven sozialen Interaktionen im Umfeld des verstorbenen Individuums. Ernährung und Verdauung Die Elefanten sind ausnahmslos Pflanzenfresser. Sie haben ein umfangreiches Nahrungsspektrum, das von weichen Pflanzenteilen wie Blättern, Zweigen, Rinde, Samen und Früchten bis hin zu harten Pflanzen wie Gräsern reicht. Dadurch können sie als auf gemischte Pflanzenkost spezialisiert angesehen werden. Das Nahrungsspektrum umfasst mehrere hundert verschiedene Pflanzenarten. Die jahreszeitliche Zusammensetzung der Nahrung variiert, in der Regel nehmen die Tiere in den Regenzeiten eher grashaltige Nahrung zu sich, in den Trockenzeiten steigt der Anteil an weichen Pflanzen. Darüber hinaus gibt es auch starke räumliche Variationen, was dem jeweiligen lokalen Nahrungsangebot geschuldet ist. Die jahreszeitlichen Unterschiede im Ernährungsverhalten werden häufig mit der chemischen Zusammensetzung der Pflanzen in Verbindung gebracht, vor allem mit dem Protein- und Kohlenhydrat­gehalt. Generell haben Gräser einen niedrigeren Proteingehalt gegenüber weicheren Pflanzen, dafür ist ihr Anteil an Kohlenhydraten höher. Kohlenhydrate wiederum sind von Elefanten aller Altersstufen leichter verdaubar. Ein zu hoher Proteinkonsum wiederum benötigt größere Mengen an Wasser, was in trockeneren Regionen möglicherweise problematisch ist. Täglich benötigt ein einzelnes Tier durchschnittlich 3 g an Proteinen je Kilogramm Körpergewicht. Durch eine Aufnahme von Gräsern in ausreichender Menge kann ein Individuum prinzipiell seinen Bedarf sowohl an Proteinen als auch an Kohlenhydraten decken. In der Trockenzeit allerdings, wenn frische Gräser schwerer verfügbar sind, reicht dann ein nur geringer Anstieg an weichen Pflanzen in der Nahrungsmenge, um den Proteinbedarf auszugleichen. Durchschnittlich benötigt ein Individuum täglich rund 150 kg Nahrung (Feuchtmasse). Die Aufnahme dieser hohen Menge nimmt zwischen 17 und 19 Stunden am Tag in Anspruch. Bei der Nahrungsaufnahme kommt der Rüssel zum Einsatz, insbesondere die „fingerartigen“ Fortsätze, die einzelne Halme und Gräser ergreifen können. Rinde schaben die Tiere häufig mit Hilfe der Stoßzähne ab. Die Grasnahrung wird zu etwa 45 % verwertet, da die Tiere ein weniger effizientes Verdauungssystem haben als etwa die Wiederkäuer. Im Ruhezustand benötigt ein Tier etwa 49.000 Kilokalorien täglich. Primär fungiert der Magen als Reservoir für die Nahrung, die in dem sauren Milieu bei einem pH-Wert von circa 2 vorverdaut wird. Der wesentliche Teil der Nahrungszersetzung findet erst nach Passage durch den Magen in Blinddarm und Colon unter Beteiligung von Mikroorganismen (Bakterien und Protozoen) statt. Der gesamte Prozess dauert von der Nahrungsaufnahme bis zum Ausscheiden etwa 33 Stunden. Der Kot der Elefanten ist relativ grob und enthält viel faserhaltiges Material. Ähnlich wie bei den Pferden kann er teilweise wieder aufgenommen werden, damit die enthaltenen Nahrungsstoffe besser genutzt werden. Ebenso fressen Elefanten gelegentlich mineralhaltige Böden oder suchen Salzquellen auf, wodurch dem Körper wichtige Nährstoffe zugeführt werden. Elefanten sind wasserabhängig. In der Regel trinken Elefanten einmal täglich Wasser und benötigen dabei bis zu 140 l. Mit zunehmender Trockenheit eines Landschaftsraumes halten sich die Tiere näher an Gewässern auf, in feuchteren Gebieten steigen die Entfernungen zu Süßwasserquellen an. In Gebieten, wo keine Wasserflächen zur Verfügung stehen, graben Elefanten mit den Füßen kleine Löcher, wodurch sie wiederum anderen Tierarten den Zugang ermöglichen. Fortpflanzung Brunft, Musth und Paarung Elefanten können sich allgemein ganzjährig fortpflanzen, in Regionen mit stärker ausgeprägten Jahreszeiten zeichnet sich aber eine gewisse Saisonalisierung ab. Die Brunftphase der Kühe gehört zu den längsten unter den Säugetieren und währt zwischen 13 und 18 Wochen. Sie teilt sich in eine luteale Phase, die zwischen 6 und 12 Wochen anhält, und in eine folliculare Phase von 4 bis 6 Wochen Dauer. Zwischen beiden Abschnitten liegt eine kurze, nichtluteale Phase, während deren es zu einer zweimaligen erhöhten Produktion luteinisierender Hormone kommt. Erst der zweite Produktionsschub führt letztendlich nach einem Zeitraum von 12 bis 24 Stunden zur Ovulation. Wozu der erste Hormonanstieg dient, ist nicht eindeutig geklärt. Womöglich gehört er zur Fortpflanzungsstrategie der Elefanten und ermöglicht es den Kühen, frühzeitig die Aufmerksamkeit paarungsbereiter Bullen zu erwecken. Eine andere Erklärung wäre die einer physischen Vorbereitung des Körpers auf eine bevorstehende Befruchtung. Aufgrund dieses langen Zyklus sind Kühe in der Regel nur drei- bis viermal im Jahr empfangsbereit. Im überwiegenden Teil der Fälle bildet sich eine befruchtete Eizelle, der Follikel hat einen Durchmesser von 21 mm, was relativ klein ist für Tiere dieser Körpergröße. Der Status des Sexualzyklus wird über Laute im niederfrequenten Bereich und durch chemische Signale wie Pheromone im Urin mitgeteilt. Beide Kommunikationsmethoden können über lange Distanzen genutzt werden. Elefantenbullen erleben periodisch eine sexuelle Verhaltensänderung, deren Dauer stark variieren kann und die als Musth bezeichnet wird. Die Musth setzt im Unterschied zur Brunft zahlreicher Huftiere nicht synchron ein, sondern verläuft individuell, so dass in intakten Populationen zu jedem Zeitpunkt des Jahres wenigstens ein fortpflanzungsbereiter Bulle vorkommt. Die Asynchronität reduziert wiederum die energetischen Kosten bei Dominanzkämpfen und Rivalität. Besondere Kennzeichen der Musth finden sich in der erhöhten Aggressivität der männlichen Tiere. Dadurch können Bullen in der Musth auch physisch stärkere Individuen dominieren. Äußerlich markiert ein erhöhter Sekretausfluss an den Temporaldrüsen den Musth-Status. Einher geht die Musth mit einem extremen Anstieg des Testosteronspiegels, dabei kann die Hormonkonzentration um bis zu das 100fache gegenüber den Werten außerhalb der Musth-Phase zunehmen. Bullen wandern während der Musth verstärkt umher und suchen verschiedene Herden auf, wo sie die Geschlechtsteile und andere Körperpartien der Kühe nach paarungsbereiten Individuen kontrollieren. Dabei signalisiert der Bulle selbst durch Abtasten oder Ringkämpfe mit dem Rüssel und Nackenbisse sein eigenes Interesse. Größere Aufmerksamkeit erlangen bei ihm weibliche Tiere im mittleren Abschnitt der Brunft. Beim Geschlechtsakt ist er auf die Mitarbeit der Kuh angewiesen, da sein S-förmig gewundener Penis nur bei Stillstand in die Vulva eingeführt werden kann. Geburt und Entwicklung Die Tragzeit beträgt 640 bis 660 Tage oder rund 22 Monate, was die längste unter allen landlebenden Säugetieren ist. In der Regel wird nur ein Junges geboren, dessen Gewicht bis zu 100 kg betragen kann. Anfangs gibt es kaum Unterschiede in der Entwicklung zwischen männlichen und weiblichen Kälbern. Ab einem Alter von fünf bis sechs Jahren wachsen männliche Jungtiere aber deutlich schneller als weibliche. Die Entwicklung hält bei Bullen bis ins hohe Alter an, da diese fast ihr gesamtes Leben lang an Körpergröße und -gewicht zunehmen können. Bei Kühen hingegen erlahmt dieser Prozess etwa mit dem 30. Lebensjahr. Bullen sind daher im höheren Alter deutlich größer und schwerer als Kühe. Auch die soziale Entwicklung verläuft nicht gleichgerichtet. So sind die Aktivitäten junger weiblicher Tiere stets auf den Familienverband orientiert. Teilweise übernehmen sie auch die Betreuung des jüngsten Nachwuchses („allomaternale Pflege“). Nach der Geschlechtsreife verbleiben Jungkühe in der Regel in der Mutterherde. Junge männliche Kälber hingegen suchen Aktivitäten häufig außerhalb des Familienverbandes, wo sie Kontakt zu gruppenfremden Individuen aufnehmen. Im Alter von etwa neun Jahren trennen sich Jungbullen von ihrer Mutterherde und schließen sich häufig Junggesellengruppen an. Sie treten mit etwa 14 Jahren in die Pubertät ein. Ihre Fortpflanzungsaussichten sind zu diesem Zeitpunkt aber noch gering, da ihnen die körperlichen Voraussetzungen fehlen, um mit Altbullen konkurrieren zu können. Die erste Musth-Phase zeichnet sich daher auch erst in den 20er Lebensjahren ab. Generell sind Elefanten, sowohl Kühe als auch Bullen, bis ins hohe Alter fortpflanzungsfähig. Zwischen zwei Geburten können bei Kühen dreieinhalb bis neun Jahre vergehen. Dieses ausgesprochen lange Geburtsintervall macht paarungswillige Kühe relativ selten in einer Elefantenpopulation und zwingt Bullen dazu, weite Wanderungen zu unternehmen, um verschiedene Herden aufzusuchen. Das Höchstalter in freier Wildbahn wird in intakten Landschaften mit rund 60 bis 65 Jahren angenommen, was einhergeht mit dem Ausfall des letzten Mahlzahns. In Gebieten mit hohem Jagddruck seitens des Menschen, aber unter Umständen auch in menschlicher Obhut, kann die Lebenserwartung rapide zurückgehen. Natürliche Feinde und ökologische Bedeutung Durch ihre Größe und ihr Leben im Herdenverband haben Elefanten wenige natürliche Feinde. Nur den größten Raubkatzen wie Löwen und Tigern gelingt es bisweilen, Jungtiere zu erbeuten. In einigen Gebieten Afrikas stellen Löwen Elefanten häufiger nach als bisher angenommen. Es handelt sich hierbei um eine Anpassung an die trockenen Jahreszeiten, wenn die meisten Huftiere in nahrungsreichere Gebiete abgewandert sind. Der Großteil der erbeuteten Elefanten wird durch Jungtiere gebildet, die gerade ihre mütterliche Herde verlassen haben. Im Eiszeitalter hatten Elefanten darüber hinaus wohl noch die mittlerweile ausgestorbenen Säbelzahnkatzen zu fürchten. Insbesondere für die Gattung Homotherium konnte zumindest lokal aufgezeigt werden, dass die Tiere gelegentlich ein junges Rüsseltier erlegten. Elefanten spielen eine wichtige Rolle im ökologischen Netzwerk ihrer jeweiligen Region. Sie werden daher als ecosystem engineers angesehen. Ihre Funktion äußert sich beispielsweise im Transport gefressener Samen über teils erhebliche Distanzen, was zur Weiterverbreitung von Pflanzen führt. Als ein weiterer Effekt erreichen die Samen einzelner Pflanzen eine höhere Keimfähigkeit, nachdem sie den Magen-Darm-Trakt der Elefanten passiert haben. Das Entrinden oder Umknicken von Bäumen öffnet geschlossene Waldlandschaften und schafft so Nutzungsräume für andere Tierarten, da mitunter stärker strukturierte Habitate entstehen. Zusätzlich können derartig geöffnete Flächen von Pionierpflanzen besiedelt werden. Viel begangene Wege und Pfade sind in manchen Landschaften über Dutzende Kilometer sichtbar und werden auch von anderen Säugetieren frequentiert. Zusätzlich dienen angelegte Wasserlöcher, Pfützen in Trittsiegeln oder selbst Kotreste als Rückzugs- oder Fortpflanzungsräume verschiedener Lebewesen. Neben den zahlreichen positiven Effekten kann eine übermäßige Population an Elefanten in einer Region auch verheerende Folgen für die Landschaft mit dramatischen Veränderungen haben. Vor allem die Wechselwirkung von Elefanten und Graslandschaft beziehungsweise Baumbestand sind bisher nur unvollständig untersucht. Systematik Äußere Systematik Die Elefanten (Elephantidae) sind eine Familie innerhalb der Ordnung der Rüsseltiere (Proboscidea). Sie bilden heute das einzige Mitglied dieser taxonomischen Gruppe, weshalb diese als gegenwärtig monotypisch aufgefasst werden kann. Die Rüsseltiere wiederum gruppieren sich zusammen mit den Seekühen (Sirenia) und den Schliefern (Hyracoidea) zur übergeordneten Gruppe der Paenungulata, Letztere stellen gemeinsam mit den Afroinsectiphilia die Afrotheria, eine der vier Hauptlinien der höheren Säugetiere mit einem weitgehend originär afrikanischen Ursprung. Laut molekulargenetischen Untersuchungen entstanden die Afrotheria bereits in der Oberkreide vor 90,4 bis 80,9 Millionen Jahren. Etwa 15 Millionen Jahre später teilte sich diese Ursprungsgruppe in die beiden heutigen Hauptlinien auf. Innerhalb der Paenungulata sind die Seekühe und die Rüsseltiere als engere Verwandtschaftseinheit zu betrachten, die als Tethytheria bezeichnet wird. Ihre Aufspaltung setzte in Paläozän vor rund 64 Millionen Jahren ein. Etwa so weit reicht auch der Fossilbericht der Rüsseltiere zurück, womit diese eine sehr alte Gruppe darstellen. Im Laufe ihrer Stammesgeschichte erwiesen sie sich als sehr formenreich, wobei der hohe Diversifizierungsgrad als Resultat mehrerer Radiationsphasen entstand. Die einzelnen Vertreter zeigten vielfältige Anpassungen an unterschiedliche Biotope und Klimaregionen. Die einstige Verbreitung der Rüsseltiere reichte dabei von Afrika über weite Teile Eurasiens und Amerikas. Die Elefanten sind innerhalb der Rüsseltiere als relativ junge Entwicklungslinie anzusehen und formen einen Teil der letzten Ausbreitungsphase, die im Verlauf des Miozän begann. Systematisch gehören sie zur Überfamilie der Elephantoidea. Zu dieser zählen ebenfalls die Stegodontidae, welche als die Schwestergruppe der Elefanten aufzufassen sind. Die frühesten Fossilnachweise der Elefanten sind rund 7 Millionen Jahren alt. Innere Systematik Innerhalb der Elefanten werden zwei Unterfamilien unterschieden: die Stegotetrabelodontinae und die Elephantinae. Erstere sind nur fossil belegt und waren weitgehend auf Afrika und die Arabische Halbinsel beschränkt. Sie kennzeichnen sich durch eine lange Unterkiefersymphyse, ausgebildete untere Stoßzähne sowie durch niederkronige Backenzähne mit nur wenigen Schmelzfalten, die im nicht abgekauten Zustand zudem in der Mittelachse des Zahns unterbrochen sind – ein urtümliches Merkmal für Rüsseltiere. Der Schädel wies aber bereits die für Elefanten typische Stauchung vorn und hinten auf. Teilweise wird angenommen, dass es sich bei den Stegotetrabelodontinae um die Stammgruppe der Elefanten handelt, wahrscheinlicher repräsentieren sie aber nur einen Seitenzweig. Die Gruppe trat im Oberen Miozän auf und verschwand im Pliozän wieder. Die Elephantinae wiederum zeigen eine Tendenz zur Reduktion der unteren Stoßzähne und zu Aufhöhung der Zahnkronen der Molaren. Die Backenzähne bestehen aus zahlreicheren Schmelzfalten mit einer Minimalanzahl von sieben auf dem hintersten Zahn. Außerdem verschwindet die mediane Einkerbung auf den Zahnkronen. Die Unterfamilie umfasst die heute noch lebenden Vertreter, die sich auf zwei Gattungen mit drei Arten verteilen. Die beiden afrikanischen Vertreter werden dabei in der Gattung der Afrikanischen Elefanten (Loxodonta) eingegliedert, die einzige asiatische Form gehört der Gattung Elephas an. Ihre Abspaltung voneinander setzte gemäß molekulargenetischen Daten vor rund 7,6 Millionen Jahren ein. Daneben sind noch einzelne ausgestorbene Gattungen belegt, die in mehr oder weniger engen Beziehungen zu den heutigen Gattungen stehen. So gehören die Mammute (Mammuthus) zu den nächsten Verwandten der Gattung Elephas, während Palaeoloxodon neueren Erkenntnissen zufolge eine gemeinsame Gruppe mit den Afrikanischen Elefanten bildet. Der engere Verwandtschaftskreis um die heutigen afrikanischen Elefantenvertreter wird daher der Tribus der Loxodontini zugewiesen, der der asiatischen der Elephantini. Überblick über die Unterfamilien und Gattungen der Elefanten Die Familie der Elefanten gliedert sich demnach heute folgendermaßen: Familie Elephantidae Gray, 1821 Unterfamilie Stegotetrabelodontinae Aguirre, 1969 Stegotetrabelodon Petrocchi, 1941 Stegodibelodon Coppens, 1972 Unterfamilie Elephantinae Gray, 1821 Primelephas Maglio, 1970 Loxodonta Anonymous, 1827 Stegoloxodon Kretzoi, 1950 Palaeoloxodon Matsumoto, 1924 Elephas Linnaeus, 1758 Mammuthus Brookes, 1828 Die Stellung von Stegodibelodon innerhalb der Stegotetrabeldontinae ist nicht ganz eindeutig, da einige Autoren ihn auch zu den Elephantinae zählen. Die tatsächlichen Verwandtschaftsbeziehungen der einzelnen Vertreter der Elefanten vor allem aus der Unterfamilie der Elephantinae sind genetischen Untersuchungen zufolge komplex. So kommt es verschiedentlich zu Hybridisierungen zwischen den beiden afrikanischen Elefantenarten, ebenso auch zwischen den höheren taxonomischen Gruppen des Asiatischen Elefanten. Darüber hinaus sind derartige genetische Vermischungen zwischen verschiedenen Mammutformen belegt. Der Nachweis einzelner gemeinsamer Haplotypen sowohl bei rezenten als auch fossilen Elefantenarten reicht derzeit bis in die Stammlinie der Elefanten zurück und lässt annehmen, dass Hybridisierung zwischen einzelnen Arten bereits sehr früh einsetzte und offensichtlich auch über die Gattungsgrenzen hinweg wirkte. Aus der heutigen Zeit wurde der einzige bekannte Hybride zwischen einer asiatischen Elefantenkuh und einem afrikanischen Elefantenbullen 1978 im Zoo von Chester geboren. Es handelte sich um das Bullenkalb „Motty“, das Mischmerkmale beider Arten trug, etwa in Bezug auf die Ohrgröße, aber bereits nach zehn Tagen verstarb. Stammesgeschichte Ursprünge und Entwicklungstendenzen Die Rüsseltiere sind eine vergleichsweise alte Ordnung der Säugetiere. Ihre Ursprünge reichen bis in das Paläozän des nördlichen Afrikas vor rund 60 Millionen Jahren zurück. Innerhalb der Ordnung werden verschiedene Familien unterschieden, etwa die Deinotheriidae, die Gomphotheriidae, die Mammutidae und die Stegodontidae, die während verschiedener Radiationsphasen entstanden. Die Elefanten sind aus dieser Sicht relativ jung, sie gehören in die dritte und damit letzte Radiationsphase der Ordnung, die im Verlauf des Miozäns wiederum in Afrika einsetzte. Einige der älteren, bereits genannten Rüsseltierlinien, die noch aus den vorgehenden Radiationsphasen stammen, waren aber teilweise bis in das ausgehende Pleistozän Zeitgenossen der Elefanten. Evolutive Trends innerhalb der Elefanten finden sich in der Verschmälerung des Schädels vorn und hinten, der dadurch an Höhe zunahm. Die Kürzungen in der Länge hatten zur Folge, dass auch der Unterkiefer gestaucht wurde, wodurch die unteren Stoßzähne kaum mehr Platz fanden und sich zurückbildeten. In der Struktur der Backenzähne ist die Vergrößerung der Zahnkronenhöhe in Richtung Hypsodontie sowie die Zunahme der Anzahl der Schmelzfalten zu nennen. Bei letzterem Prozess verringerte sich die Schmelzbanddicke einer jeden Lamelle. Beide Veränderungen – Zunahme der Zahnkronenhöhe und der Lamellenanzahl – stehen in Zusammenhang mit einer stärkeren Anpassung an Grasnahrung. Miozän Die Entwicklungslinie der Elefanten begann im späten Miozän vor etwa 7 Millionen Jahren in Afrika. Die neuen Rüsseltiere unterschieden sich von anderen Vertretern der Ordnung durch die fehlende Zahnschmelzhülle der Stoßzähne und das Vorhandensein von Schmelzlamellen auf den Backenzähnen. Beide Merkmale gelten als besonders charakteristisch für die Angehörigen der Elefanten, allerdings entwickelten die Stegodonten unabhängig den Schmelzlamellen ähnliche Strukturen. Zu den frühesten Formen der Elefanten gehören die Vertreter der Stegotetrabelodontinae. Deren Charakterform Stegotetrabelodon besaß noch untere Stoßzähne und hatte Backenzähne mit sehr niedrigen Kronen sowie nur wenigen Lamellen, die aber in der Mitte der Zahnlängsachse geteilt waren. Trotz der niedrigen Zahnkronen verweist die Lamellenstruktur auf einen bereits zunehmenden Grasanteil im Nahrungsspektrum. Der überwiegende Teil der Funde ist auf das östliche Afrika und die Arabische Halbinsel beschränkt, einige Reste sind aber auch aus dem südlichen Europa belegt. Hervorzuheben ist etwa Lothagam in Kenia, in Europa ist Stegotetrabelodon unter anderem aus Cessaniti in Italien belegt. Mit Primelephas trat dann erstmals ein Vertreter der modernen Elephantinae im Oberen Miozän im östlichen Afrika in Erscheinung. Diese weitgehend nur über Gebissreste bekannte Form ist relativ gut aus der Region Djourab im nördlichen Tschad dokumentiert. Die Funde verteilen sich hier auf mehrere Fundstellen wie Toros-Menalla, Kossom-Bogoudi oder Koulà, die zwischen 7,4 und 4 Millionen Jahre alt sind. Weiteres Material fand sich im Afar-Dreieck in Äthiopien, unter anderem im Awash-Gebiet, und zusätzlich auch in Lothagam und in den Tugen Hills in Kenia. Ob die Tiere noch untere Stoßzähne trugen, ist dem paläontologischen Befund nicht eindeutig zu entnehmen. Ein charakteristisches Merkmal findet sich in den durch tiefe V-förmige Einbuchtungen getrennten Schmelzlamellen der Backenzähne. Fast zeitgleich zu Primelephas bildete sich Loxodonta heraus, nachgewiesen über einzelne Funde im östlichen Afrika wie etwa aus der Lukeino- und der Chemeron-Formation im westlichen Kenia, deren Alter zwischen 6,2 und 4 Millionen Jahren datiert. Ähnlich alte Funde früher Angehöriger der Afrikanischen Elefanten barg die Fundstelle Langebaanweg im südwestlichen Teil des Kontinentes. In der Regel handelt es sich bei den frühen Funden um isolierte Zähne, die teilweise der Art Loxodonta cookei zugewiesen werden. Das typische Kennzeichen der einzelnen Angehörigen von Loxodonta zeigt sich in der rautenförmigen Ausbuchtung des Zahnschmelzes der Schmelzlamellen der Backenzähne. Auch die bekannteste ausgestorbene Elefantenform, die Gattung Mammuthus (Mammute), hat ihren Ursprung in Afrika. Die früheste hier auftretende Form ist Mammuthus subplanifrons, von der beispielsweise Reste in Langebaanweg zu Tage traten, ebenso wie im Awash-Gebiet oder in der Nkondo-Formation in Uganda. Die entsprechenden Alterswerte variieren zwischen 6 und 5 Millionen Jahren. Mammuthus subplanifrons war sehr urtümlich für ein Mammut, es besaß noch niedrige Molaren mit nur wenigen, aber dicken Schmelzlamellen. Bisher ist die Art weitgehend über Zähne und Unterkiefer bekannt, ein Schädel liegt nicht vor. Jedoch zeigt ein Stoßzahnfragment assoziiert mit einigen Backenzähnen aus Virginia im südlichen Afrika bereits die markante Spiraldrehung, wie sie auch für die anderen Gattungsvertreter typisch ist. Insgesamt erwiesen sich die Backenzähne von Mammuthus subplanifrons als stark variabel. Das eher geringe Fundmaterial schränkt aber die Aussagemöglichkeiten ein, so dass momentan unklar ist, ob das Taxon nicht eventuell mehrere Arten einschließt. Plio- und Pleistozän Im frühen Pliozän Afrikas lässt sich noch Stegodibelodon aus der Gruppe der Stegotetrabelodontinae nachweisen, bei dem die unteren Stoßzähne bereits reduziert waren. Die Unterkiefersympphyse zeigte sich jedoch vergleichsweise lang, ebenso bestand die mittige Teilung der Schmelzlamellen noch. Die Form ist aus dem zentralen Afrika überliefert, etwa aus den Steinbrüchen von Kollé im Tschad. Von hier wurden auch späte Nachweise von Primelephas erbracht. Loxodonta erreichte im Pliozän und im Pleistozän eine weite Verbreitung in Afrika, Fossilbelege liegen vom Norden über den Osten bis zum Süden vor. Zunächst trat Loxodonta adaurora in Erscheinung, eine Form ähnlich den heutigen Afrikanischen Elefanten, aber noch mit niedrigen Backenzähnen. Die Tiere bewohnten Mosaiklandschaften, bedeutende Fundstellen mit Resten der Art liegen aus dem Awash- und dem Omo-Gebiet in Äthiopien, aus Kanapoi oder vom westlichen Turkanasee in Kenia vor. Ähnlich alt wie Loxodonta adaurora ist Loxodonta exoptata. Im Unterschied zu ersterer Art hatte letztere höhere Zahnkronen und mehr Zahnlamellen auf den Backenzähnen. Das Verbreitungsgebiet der beiden Formen war relativ ähnlich, zusätzlich drang Loxodonta exoptata bis in das zentrale Afrika vor, wie Funde aus Koro-Toro im Tschad zeigen. Loxodonta atlantica trat wiederum hauptsächlich im Oberen Pliozän und im Pleistozän sowohl in Nord- wie auch in Südafrika auf. Die Form lässt eine starke Spezialisierung erkennen mit extrem hochkronigen Molaren und einer höheren Anzahl an Lamellen als bei jedem anderen Gattungsvertreter. Dies verweist auf eine überwiegend grasfressende Ernährung. Der heutige Afrikanische Elefant ist erstmals im Altpleistozän belegbar, zu nennen wäre hier wiederum das Awash-Gebiet. Abweichend dazu verfügt der Waldelefant über keinen Fossilnachweis. Bemerkenswert ist des Weiteren, dass Loxodonta im Gegensatz zu anderen Elefantenformen bisher nicht außerhalb Afrikas dokumentiert wurde. Die Gattung Palaeoloxodon, die mit den Afrikanischen Elefanten nahe verwandt ist, entstand ebenfalls in Afrika, wo sie sich im Verlauf des Unteren Pliozän herausbildete. Ihre Vertreter entwickelten sehr früh hochkronige Zähne mit bis zu 19 Schmelzlamellen auf dem letzten Mahlzahn, was als Anpassung an das zunehmend trockener werdende Klima in Afrika anzusehen ist. Frühe Vertreter in Afrika werden zur Art Palaeoloxodon eokorensis gezählt. Eingeführt wurde die Form anhand von Zähnen aus Kanapoi in Kenia (eine ursprünglich noch ältere angenommene Art aus Ostafrika, Palaeoloxodon nawataensis, ist heute nicht mehr anerkannt). Palaeoloxodon war im Verlauf des Pliozäns und des Pleistozäns eine der dominanten Elefantenformen Afrikas. Hierzu gehört auch das riesige Palaeoloxodon recki, das beispielsweise an bedeutenden Fundstellen wie Olorgesailie oder Olduvai nachgewiesen ist. Die Art bestand über einen langen Zeitraum vom ausgehenden Pliozän bis zum Mittelpleistozän und wurde in Afrika dann durch Palaeoloxodon jolensis abgelöst. Letzterer hielt sich noch bis in den Übergang vom Mittel- zum Oberpleistozän, wie junge Funde unter anderem aus der Kibish-Formation von Natodomeri im nördlichen Kenia anzeigen. Prinzipiell bisher nur über Zähne überliefert, verweist deren hochkroniger Bau und zusätzlich vorgenommene Isotopenanalysen auf eine überwiegend grasfressende Lebensweise. Palaeoloxodon erreichte im Pleistozän auch Eurasien, von wo mit dem gleichfalls sehr großen Palaeoloxodon antiquus (Europäischer Waldelefant) der bekannteste Vertreter überliefert ist. Dessen Verbreitungsgebiet umspannte große Areale Europas und des westlichen Asiens. Eine bedeutende Fundkollektion liegt mit mehreren vollständigen Skeletten aus dem Geiseltal vor. Die hauptsächliche Nahrung bestand aus gemischter weicher und harter Pflanzenkost, dementsprechend kam die Art in den Gebieten nördlich der Alpen weitgehend nur während der Warmzeiten des Mittel- und Jungpleistozäns vor. Weiter östlich, in Zentral- und Südasien, wurde der Europäische Waldelefant vom (eventuell konspezifischen) Palaeoloxodon namadicus ersetzt. Vom Europäischen Waldelefanten stammen einige Zwergelefanten ab, die im Verlauf des Pleistozäns verschiedene Inseln des Mittelmeers besiedelten. Genannt seien hier stellvertretend Palaeoloxodon falconeri (Sizilianischer Zwergelefant) von Sizilien und Malta, Palaeoloxodon tiliensis von der Insel Tilos sowie Palaeoloxodon cypriotes von Zypern. Neben Mammuthus subplanifrons war in Afrika noch Mammuthus africanavus präsent, letzteres beschränkte sich aber weitgehend auf das Pliozän des nördlichen und zentralen Afrikas. Spätestens vor rund 3 Millionen Jahren erreichten die Mammute auch das eurasische Gebiet. In der Regel werden diese ältesten Vertreter der Mammute außerhalb Afrikas mit Mammuthus meridionalis (Südelefant) assoziiert, alternativ besteht auch die Möglichkeit einer stärkeren Aufsplitterung der Frühformen, die dann unter den Bezeichnungen Mammuthis rumanus und Mammuthus gromovi geführt werden. Unterschiede finden sich unter anderem in der Anzahl der Schmelzlamellen. Zu den frühesten Funden in Eurasien zählen einige Zähne von Cernătești in der Kleinen Walachei in Rumänien, andere nur wenig jüngere Fundstellen liegen im zentralen Italien und in England. Innerhalb der eurasischen Mammut-Linie bildete sich zunächst Mammuthus trogontherii (Steppenmammut) heraus, das weitgehend während des frühen und mittleren Abschnitts des Pleistozäns lebte und mit einer Schulterhöhe von 4,5 m zu den größten Rüsseltiervertretern gehört. Die Terminalform wird durch Mammuthus primigenius (Wollhaarmammut) repräsentiert, welches die Charakterform der kaltzeitlichen eurasischen Offenlandschaften darstellt. Sie werden als Mammutsteppe bezeichnet und beherbergten den sogenannten Mammuthus-Coelodonta-Faunenkomplex, dem als weitere namensgebende Form das Wollnashorn angehörte. Als Hinweise auf diese kaltzeitliche Lebensgemeinschaft und die weit nördliche Verbreitung des Wollhaarmammuts werden noch heute gelegentlich Eismumien der Tiere im sibirischen Dauerfrostboden gefunden, die zum Teil eine hervorragende Weichteilerhaltung besitzen. Aufgrund der Anpassungen des Wollhaarmammuts an die unwirtlichen Bedingungen der Kaltzeiten gilt die Art als am stärksten spezialisierter Elefantenvertreter. Dies drückt sich unter anderem in den Backenzähnen mit ihren extrem hohen Zahnkronen und der großen Anzahl an Schmelzlamellen aus, die mitunter mehr als dreißig umfassten. Das Wollhaarmammut überquerte im Oberpleistozän auch die Beringstraße und besiedelte weite Teile von Nordamerika. Bereits zuvor hatte dies der Südelefant oder das Steppenmammut bewältigt und sich vor 1,5 bis 1,3 Millionen Jahren in Nordamerika ausgebreitet. Dort entstand mit Mammuthus columbi (Präriemammut) eine eigenständige Linie. Im Verlauf des Oberen Pleistozäns überschnitten sich in Nordamerika die Verbreitungsgebiete von sowohl Wollhaar- als auch Präriemammut und es kam gelegentlich zur Vermischung. Ähnlich wie bei Palaeoloxodon entstanden innerhalb der Mammuthus-Linie einzelne Zwergformen, darunter etwa Mammuthus creticus von Kreta, Mammuthus lamarmorai von Sardinien und Mammuthus exilis auf den kalifornischen Kanalinseln. Die Gattung Elephas als nächstverwandte Form der Mammute ist vergleichsweise spät erstmals nachweisbar. Frühe Funde fallen in das ausgehende Pliozän und kamen in den Siwaliks in Südasien zu Tage. Sie gehören der Art Elephas planifrons an. Diese wurde dann zu Beginn des Unterpleistozäns durch Elephas hysudricus ersetzt, der von Süd- bis nach Westasien vorkam. Andere Vertreter wie Elephas platycephalus traten zu diesem Zeitpunkt ebenfalls auf, sind aber bisher äußerst selten nachgewiesen. Der heutige Asiatische Elefant ist erstmals gesichert aus dem Oberpleistozän belegt, einzelne Funde verweisen eventuell schon auf das Mittelpleistozän. Die Malaiische Inselwelt beherbergte mit Stegoloxodon eine eigene Form, dessen Zähne ein wenig an die der Afrikanischen Elefanten erinnern. Es handelt sich um eine Zwergform, von der aber bisher nur wenige Fossilmaterial von Sulawesi und Java bekannt ist. Holozän und Aussterben verschiedener Elefantenformen Über das Verschwinden der verschiedenen Elefantenformen im Laufe der Stammesgeschichte liegen aufgrund des teils wenig ergiebigen Fossilberichts nur vereinzelte Informationen vor. Dies betrifft vor allem die Vertreter des afrikanischen sowie des süd- und südostasiatischen Raumes. Vergleichsweise gut ist dagegen das Aussterben einzelner Elefantenarten (und anderer Rüsseltiergruppen) im Übergang vom Pleistozän zum Holozän untersucht wie etwa verschiedener Angehöriger der Gattungen Mammuthus und Palaeoloxodon, deren Entwicklungslinien vollständig erloschen. In Eurasien verschwand das Wollhaarmammut im Zeitraum von etwa 12.300 bis 8700 Jahren vor heute. Der Rückzug der Art erfolgte dabei wohl von West nach Ost, da die letzten Daten des Auftretens in Westeuropa durchschnittlich älter sind als im nordöstlichen Asien. Im festländischen Teil Nordasiens, etwa auf der Taimyrhalbinsel, hielt sich das Wollhaarmammut bis in das Untere Holozän. Eine kleine Population überlebte auf der Wrangelinsel noch bis in das Mittlere Holozän vor 3700 Jahren. Eine weitere weit ins Holozän überlebende Gruppe war auf den Pribilof-Inseln vor der Küste Alaskas heimisch und trat dort bis um 5700 Jahre vor heute auf. Die jüngsten Daten für das Präriemammut in Nordamerika dagegen liegen zwischen 11.400 und 9300 Jahren vor heute, die von Mammuthus exilis bei rund 11.000 Jahren. Während der Europäische Waldelefant in Eurasien spätestens vor rund 33.000 Jahren auf der Iberischen Halbinsel letztmals nachweisbar ist, überlebten seine Abkömmlinge auf den Inseln des Mittelmeers teilweise erheblich länger. Auf Zypern war Palaeoloxodon cypriotes noch vor rund 11.500 Jahren anwesend, Palaeoloxodon tiliensis von Tilos verschwand dagegen in einem Zeitraum von vor 4400 bis 3300 Jahren. Das Ende mehrerer Elefantenlinien im Oberen Pleistozän und im Verlauf des Holozäns fällt mit der Quartären Aussterbewelle zusammen, deren Ursachen vielfach diskutiert werden. Insgesamt zog sich aber das Aussterben der Mammute und der Vertreter von Palaeoloxodon über einen mehrere Tausend Jahre langen Zeitraum hin und ist so kein einmaliges Ereignis. Hier spielen vermutlich mehrere Faktoren eine Rolle. Sie setzten sich vor allem aus Klimaveränderungen, die die ausgehende letzte Kaltzeit bedingte, und den damit verbundenen Habitatüberprägungen zusammen. Gemeinsam mit diesen hat wohl auch zumindest lokal der Mensch einen Einfluss auf das Verschwinden oder Aussterben einzelner Elefantengruppen ausgeübt, etwa durch aktive Jagd. Forschungsgeschichte Die Bezeichnung „Elefant“ geht über mittelhochdeutsch/althochdeutsch (h)ëlfant und lateinisch elephantus auf das griechische Wort ἐλέφας (eléphas) zurück. Dessen Ursprung ist unbekannt; möglicherweise leitet es sich von dem hebräischen ibah her, das wiederum über das Sanskrit mit ibhas oder íbhah vermittelt wurde. Es fand Einzug in die lateinische Sprache, in der ebur für das „Elfenbein“ steht. Elephas wurde bereits in antiker Zeit verwendet, bezog sich aber zumeist auf die Stoßzähne und weniger auf das Tier selbst (so etwa bei Homer, Hesiod und Pindar nur in der Bedeutung „Elfenbein“ beziehungsweise „Elefantenzahn“). Als zusammenfassende und übergeordnete Bezeichnung für die Elefanten diente Elephas bereits im 17. Jahrhundert. Im Jahr 1758 etablierte dann Linnaeus in seinem wegweisenden Werk Systema Naturae die Gattung Elephas, in der er sowohl die asiatischen als auch die afrikanischen Tiere einschloss und sie unter der Bezeichnung Elephas maximus vereinte. Erst 45 Jahre später trennte Johann Friedrich Blumenbach die asiatischen und afrikanischen Formen auf artlicher Ebene. Die generische Unterscheidung geht mit der offiziellen Einführung der Gattung Loxodonta auf einen unbekannten Autor 1827 zurück, der aber wiederum einen zwei Jahre zuvor von Frédéric Cuvier gebrauchten Begriff verwendete. Die auf den Gattungsnamen Elephas basierende Familienbezeichnung Elephantidae wurde im Jahr 1821 von John Edward Gray eingeführt. Gray definierte die Elefanten folgendermaßen: Teeth, two grinders in each jaw, composed of transverse vertical lamina, enveloped in enamel, and soldered together by a cortical substance („Zähne, zwei Mahlzähne in jedem Kiefer, bestehend aus quergestellten, senkrechten Blättern, umhüllt von Zahnschmelz und zusammengehalten von einer äußeren Substanz“). Die systematische Zuweisung der Elefanten variierte im Laufe der Zeit. Linnaeus sah die Tiere innerhalb einer Bruta genannten Gruppe, die unter anderem auch die Seekühe, Faultiere und Schuppentiere einschloss. Blumenbach stellte ihnen noch verschiedene Huftiere wie die Tapire, Nashörner, Flusspferde und die Schweine zur Seite. Dies blieb die prinzipielle Verwandtschaftszuordnung zum Ende des 18. und im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Étienne Geoffroy Saint-Hilaire und Georges Cuvier fassten alle von Blumenbach genannten Huftiere im Jahr 1795 zu den Pachydermata (Dickhäuter) zusammen, einer aus heutiger Sicht in sich nicht geschlossenen Gruppe. Später fügte Cuvier noch die Pekaris, Schliefer und einige ausgestorbene Formen hinzu. Im Jahr 1811 führte Johann Karl Wilhelm Illiger die Bezeichnung Proboscidea ein, in der er die Elefanten einordnete und sie nach ihrem auffälligsten Kennzeichen benannte. Illiger wies noch keine Fossilformen zu den Proboscidea. Gray übernahm 1821 Illigers Ordnungseinheit und schloss in ihr neben den Elefanten zusätzlich noch die „Mastodonten“ ein, eine altertümliche und heute nicht mehr gebräuchliche Rüsseltiergruppe. In seiner Schrift von 1811 hatte Illiger die Proboscidea in einer Gruppe namens Multungulata („Vielhufer“) eingegliedert, die aber konzeptionell den Pachydermata entsprachen. Bereits fünf Jahre später brach Henri Marie Ducrotay de Blainville erstmals das Konstrukt der Pachydermata auf, in dem er mehrere Gruppen an Huftieren unterschied. Hierzu gehörten unter anderem Tiere mit einer geraden Anzahl an Zehen (onguligrades à doigts pairs) und solche mit einer ungeraden Anzahl (onguligrades à doigts impairs). Die Elefanten gruppierte er als einzige Mitglieder in eine höhere Einheit namens Gravigrades. Später, im Jahr 1848, griff Richard Owen den Ansatz auf und trennte die Paarhufer (Artiodactyla) und die Unpaarhufer (Perissodactyla) ab, womit er die Pachydermata endgültig aufspaltete. Die Rüsseltiere sah er zwar als prinzipiell ähnlich zu den Unpaarhufern, beließ sie aber aufgrund zahlreicher Eigentümlichkeiten wie des Rüssels in einer eigenständigen Ordnungseinheit. Die Nahverwandtschaft der Elefanten beziehungsweise der Proboscidea mit den Huftieren blieb nachfolgend weitgehend bestehen. Allerdings merkte Theodore Gill im Jahr 1870 eine engere Bindung zwischen den Rüsseltieren, den Seekühen und den Schliefern an, ohne dieser Gruppe einen speziellen Namen zu geben. Andere Autoren belegten ähnliche Verwandtschaftsverhältnisse mit Bezeichnungen wie Taxeopoda (Edward Drinker Cope 1880 und 1890er Jahre) oder Subungulata (Richard Lydekker 1890er Jahre und Max Schlosser 1920er Jahre), die sich aber jeweils als problematisch erwiesen. George Gaylord Simpson etablierte daher im Jahr 1945 in seiner generellen Taxonomie der Säugetiere die Paenungulata als eine neue übergeordnete Gruppe für die Elefanten, Schliefer und Seekühe nebst diversen ausgestorbenen Formen. Die Paenungulata sah Simpson als Bestandteil der Protungulata. Dagegen führten Malcolm C. McKenna und Susan K. Bell die Paenungulata (hier als Uranotheria benannt) einschließlich der Elefanten allgemein innerhalb der Ungulata. In zahlreichen Systematiken wurden die Paenungulata als näher verwandt mit den Unpaarhufern erachtet. Erst biochemische und molekulargenetische Studien aus dem Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert deckten auf, dass die Paenungulata und somit auch die Elefanten einer Gruppe angehören, die originär in Afrika verbreitet ist und folglich als Afrotheria bezeichnet wird. Zahlreiche Wissenschaftler haben die Elefanten als zentrales Forschungsthema. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts leistete vor allen Vincent J. Maglio herausragende Arbeit zur Evolutionsgeschichte der Elefanten. Er erstellte dabei auch ein Verwandtschaftsschema, das weitgehend bis heute besteht und auf Vorarbeiten von Emiliano Aguirre aus den 1960er Jahren beruht. In der Folgezeit wurde dieses weiter verfeinert, unter anderm durch die Untersuchungen von Michel Beden in den 1970er und 1980er Jahren an afrikanischen Fossilfunden. Studien jüngeren Datums zur Thematik wurden durch Jeheskel Shoshani und Pascal Tassy im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert vorgelegt, die Autoren boten im Jahr 2005 einen breiten Überblick an. Zunehmend verleihen auch genetische Untersuchungen an rezenten und fossilen Arten der Systematik der Elefanten einen Feinschliff, federführend ist hier Nadin Rohland. Mit den rezenten Arten beschäftigten sich im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert neben Shoshani vor allem George Wittemyer und Raman Sukumar. Hervorgehoben werden müssen hier des Weiteren die Feldforschungen von Joyce H. Poole und Cynthia J. Moss, die wichtige Erkenntnisse zur Lebensweise und Sozialstruktur der Elefanten beitrugen. Überwiegend die frühen Elefantenformen als Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit haben William J. Sanders und Adrian Lister. Elefanten und Menschen Elefanten in der menschlichen Geschichte Vorgeschichte Die Beziehungen zwischen Menschen und Elefanten reichen mehrere hunderttausend Jahre zurück. Dabei diente der Körper des Elefanten als wichtige Rohstoffressource, sei es für Nahrungszwecke (Elefantenfleisch) oder zur Herstellung von Werkzeugen oder Kunstgegenständen aus Knochen und Elfenbein. Reste von Elefanten finden sich relativ häufig an Fundstellen früher Menschengruppen des Alt- und Mittelpaläolithikums (vor 2,5 Millionen bis vor 40.000 Jahren), hier beispielhaft erwähnt der Südelefant in Barranc de la Boella in Katalonien, der Europäische Waldelefant an der Station von Weimar-Ehringsdorf in Thüringen oder in Ficoncella sowie in Polledrara, beide in Mittelitalien, wie auch Palaeoloxodon recki an der Station Namib IV in der Namib im südlichen oder in Fejej in Äthiopien im östlichen Afrika. An einzelnen Fundstellen lässt sich eine eindeutige Kadavernutzung feststellen, so wie in Gröbern in Sachsen-Anhalt. Hierzu gehört auch der Befund aus dem Geiseltal in Sachsen-Anhalt mit mehr als 3120 Knochenresten von rund 70 Individuen des Europäischen Waldelefanten. Sie stammen zum Großteil von männlichen Tieren und tragen häufig Schnittmarken als Hinweise auf menschliche Manipulation. Interpretiert werden sie als Jagdreste, die verschiedene Jägergruppen über einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren hinterließen. Ob die Tiere damals tatsächlich schon gejagt wurden, ist nicht ganz schlüssig geklärt, jedoch deutet die rund 120.000 Jahre alte Lanze von Lehringen, die in einem Skelett eines Europäischen Waldelefanten steckte und mit mehr als zwei Dutzend Feuersteinartefakten assoziiert war, darauf hin. Gelegentlich stellten die frühen Menschen auch Geräte und Werkzeuge aus Elefantenknochen her beziehungsweise nutzten Reste der Tiere in einem möglicherweise künstlerischen Kontext weiter, wofür die Mammutzahnlamelle aus Tata in Ungarn hervorgehoben werden soll. Intensiver wurden die Beziehungen zu den Elefanten im nachfolgenden Jungpaläolithikum (vor rund 40.000 bis 10.000 Jahren). Nicht nur verdichten sich die Hinweise auf eine aktive Jagd auf Elefanten wie dies etwa Funde von Mammutkadavern mit eingeschlagenen Projektilspitzen aus verschiedenen Fundstellen Sibiriens oder des östlichen Europas zeigen, auch wurden Elefantenteile wesentlich häufiger als Rohmaterialquelle für die Werkzeug- und Geräteproduktion eingesetzt. Die Knochen und Stoßzähne fanden darüber hinaus Verwendung in der Kleinkunst. Sie wurden bemalt oder teilweise mit Ritzmustern versehen, andere wiederum zu Kleinfiguren überarbeitet. Herausragend sind etwa der Löwenmensch aus dem Hohlenstein-Stadel in Baden-Württemberg oder verschiedene Venusstatuetten wie die Venus von Brassempouy in Frankreich. Gleichzeitig fallen darunter auch Darstellungen von Elefanten selbst, wobei in nahezu allen bekannten Fällen das Wollhaarmammut Pate stand. Diese liegen sowohl als Ritzzeichnung als auch als Kleinplastik vor und können als die ältesten Abbildungen der Tiere angesehen werden. Bekannt sind jene aus der Vogelherdhöhle in Baden-Württemberg oder aus Dolní Věstonice in Mähren, die zwischen 40.000 und 20.000 Jahre vor heute datieren, beziehungsweise etwas jünger aus Gönnersdorf in Rheinland-Pfalz. Mitunter sind es nicht nur Objekte mit künstlerische Bedeutung, sondern auch solche mit praktischer Funktion wie es die Speerschleuder von Bruniquel in Frankreich beweist. Relativ einmalig ist eine Mammutritzung aus Old Vero in Florida, die wohl ein Präriemammut darstellt und eines der wenigen bekannten paläoindianischen Kunstobjekte repräsentiert. Neben der mobilen Kleinkunst wurden Mammute auch in der Höhlenkunst porträtiert, Darstellungen sind von der Iberischen Halbinsel bis zum Ural überliefert. Herausragend sind hier die Grotte Chauvet, die Höhle von Rouffignac mit besonders vielen Mammutzeichnungen, beide in Frankreich, oder die Höhle von Kapowa in Russland. Allein in der Frankokantabrischen Höhlenkunst finden sich Mammute in rund einem Sechstel der rund 300 bekannten Höhlen mit Wandkunst und erreichen einen Anteil von 6 % aller Tierdarstellungen, sie gehören somit neben Wildpferden, Auerochsen und Wisenten, Steinböcken sowie Hirschen zu den am häufigsten porträtierten Tieren. Als weitere Besonderheit können die Mammutknochenhütten von Mesyn und Meschyritsch in der Ukraine genannt werden. Mit dem Aussterben der Mammute endete auch deren bildliche Wiedergabe. Aus prähistorischer Zeit sind aber Darstellungen auch aus dem nördlichen und südlichen Afrika sowie aus Indien belegt, die sowohl den Afrikanischen als auch den Asiatischen Elefanten betreffen. Altertum Eine größere Bedeutung erreichten Elefanten wieder ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. In der bronzezeitlichen Indus-Kultur im heutigen Pakistan wurden die Tiere auf kleinen Siegeln aus Speckstein eingraviert. Die Funde deuten darauf hin, dass möglicherweise bereits zu dieser Zeit der Asiatische Elefant gezähmt und eventuell als Arbeitstier gehalten wurde. Spätestens seit Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. berichten indische Schriften über Zähmung und Haltung von Elefanten. Ihrer großen Kraft wegen fanden sie vorwiegend Einsatz als Arbeitstiere. Überlieferungen über eine Verwendung als Kriegselefanten reichen bis in das 4. vorchristliche Jahrhundert zurück. Von Indien aus breitete sich das Wissen um die Zähmung des Asiatischen Elefanten über Südost- bis nach Ostasien aus. Er wurde dabei in der Folgezeit auch in religiöse Zeremonien integriert. Seine teils heilige Bedeutung in der Region spiegelt sich im elefantengesichtigen Gott Ganesha des Hinduismus und in der Geburtslegende des Siddhartha Gautama im Buddhismus wider. Ihm zu Ehren zieren unter anderem steinerne Skulpturen Tempel und Paläste. Zur Zähmung wilder Tiere wurden spezielle Elefantenschulen eingerichtet, die Trainer von Tieren werden als Mahuts bezeichnet. Diese jahrhundertealte Tradition wird weitgehend in der Familie weitervererbt. Einschränkend muss gesagt werden, dass trotz einer weitverbreiteten Annahme der Asiatische Elefant nie domestiziert wurde, sondern es sich vielmehr um die Zähmung von Wildtieren handelt. Nach dem Tod eines Elefanten müssen daher in der Regel neue Individuen aus den Wildbeständen eingefangen werden. Im Alten Ägypten waren Elefanten bekannt, spielten aber im Alltag keine Rolle. Gelegentlich finden sich jedoch Tempelreliefs der Tiere. Sehr begehrt war allerdings das Elfenbein der Stoßzähne. Unter anderem von Thutmosis III. ist um 1446 v. Chr. die Jagd auf 120 Tiere in Syrien überliefert. Dort waren in flussnahen Regionen noch bis ins 8./7. Jahrhundert v. Chr. Elefanten heimisch. Deren nächste genetische Verwandte sind heute in Südostasien zu finden, weswegen einige Wissenschaftler annehmen, die Tiere wären anthropogen in Westasien eingeführt worden. Die antiken Griechen kannten zunächst nur das Elfenbein als Handelsobjekt. Erste exakte Beschreibungen der Tiere datieren in das frühe 4. Jahrhundert v. Chr., als der Gelehrte Ktesias von Knidos vom Hof des persischen Großkönigs Dareios II. zurückgekehrt war. Bei den Feldzügen Alexanders des Großen gegen das Perserreich begegneten die Griechen erstmals dessen Kriegselefanten, angefangen mit der Schlacht von Gaugamela. Beeindruckt von der Effizienz der Tiere begann Alexander ein eigenes Elefantenheer aufzubauen. Nach seinem Tod 323 v. Chr. wurden die Kriegselefanten in den Diadochenkriegen eingesetzt. Durch den Sieg von Ptolemaios I. über Perdikkas gelangten die Tiere nach Nordafrika. In der Folgezeit versuchten die Ptolemäer, da abgeschnitten von der Verbreitung des Asiatischen Elefanten, diese durch Afrikanische zu ersetzen, die sie im heutigen Eritrea einfingen. Durch die Nutzung des Afrikanischen Elefanten seitens der Ptolemäer standen sich in der Schlacht bei Raphia im Jahr 217 v. Chr. erstmals Vertreter beider Arten als Kriegsbeteiligte gegenüber. Etwa im selben Zeitraum nutzte der karthagische Feldherr Hannibal Kriegselefanten, um auf seinem Marsch gen Rom im Zweiten Punischen Krieg die Alpen zu überqueren. Die Römer selbst waren Elefanten erstmals in der Schlacht von Heraclea um 280 v. Chr. begegnet. Die gegnerische Seite unter Pyrrhos I. setzte in dieser Auseinandersetzung zahlreiche Kriegselefanten ein und schlug die römischen Truppen, die angesichts der ihnen unbekannten riesigen Tiere (von den Römern als „lukanische Ochsen“ bezeichnet, benannt nach der dortigen Landschaft Lukanien) flohen. Fünf Jahre später siegte der römische Heerführer Manius Curius Dentatus über Pyrrhus in der Schlacht bei Beneventum und zeigte den Einwohnern Roms erstmals einige gefangene Tiere bei seinem Triumphzug. Um 250 v. Chr. bezwang der römische Konsul Lucius Caecilius Metellus im Ersten Punischen Krieg auf Sizilien den karthagischen Feldherren Hasdrubal und dessen Heer, dem 120 Kriegselefanten angehörten. Metellus brachte die Elefanten auf Flößen nach Italien und führte sie ebenfalls in seinem Triumphzug mit. Spätestens um 200 v. Chr. hatten die Römer Kriegselefanten in ihr Heer eingegliedert, die unter anderem während des Zweiten Makedonisch-Römischen Krieges aufmarschierten. Elefanten wurden aber nicht nur als Kriegswaffen eingesetzt, sondern dienten ab 169 v. Chr. auch bei Schaukämpfen gegen Tiere und Menschen. Zu erwähnen ist hier die Einweihung des ersten steinernen Theaters in Rom durch Gnaeus Pompeius Magnus 55 v. Chr., bei der unter anderem 20 Elefanten geschlachtet wurden. Darüber hinaus wurden zumindest in der Römischen Kaiserzeit auch Kunststücke von Elefanten zur Belustigung vorgeführt. Nach Ktesias von Knidos befassten sich in der Antike vor allem Aristoteles in seinem zoologischen Werk Historia animalium und Plinius der Ältere in seiner Naturalis historia mit Elefanten, wobei Letzterer auf das heute verlorene Werk des mauretanischen Königs Juba II. zurückgriff. Wiederholt wurden die Tiere im Altertum auf Münzen dargestellt, vor allem bei den Mächten, die Elefanten in ihrem Heer hatten (Ptolemäer, Seleukiden, Karthager), aber auch bei den Etruskern und später den römischen Kaisern. Auch auf antiken Gemmen finden sich ähnliche kleinformatige Darstellungen. In der Spätantike kamen großformatigere Abbildungen von Elefanten auf, in Mosaiken mit Jagdszenen sowie in dem neuen Genre der Buchmalerei. Mittelalter und Neuzeit Die Bedeutung des Elefanten als Kriegs- und heiliges Tier sowie als Statussymbol setzte sich fort. Akbar, einer der bedeutendsten Mogule, besiegte 1556 in der Zweiten Schlacht von Panipat seinen Gegner Hemu, in dessen Armee auch 1500 Kriegselefanten mitwirkten. Später, um 1580 marschierte Akbar selbst mit rund 500 Kriegselefanten und 50.000 Soldaten Richtung Kabul und vereinte endgültig das Reich. Die verschiedenen Mogulherrscher hatten hunderte Elefanten in ihren Ställen, die teilweise in bis zu sieben Rangklassen eingestuft waren. Besondere Verdienste wurden manchmal mit dem Geschenk eines Elefanten belohnt. Des Weiteren fanden Elefanten neben dem Krieg als Reittiere bei der Jagd sowie bei Schaukämpfen Einsatz. Die Darstellung imperialer Größe durch Elefanten ging auf die europäischen Gebiete über und verstärkte sich vor allem während der Kolonialzeit, wo die Tiere zum Teil diplomatische Geschenke bildeten. Dadurch sind einzelne Elefanten namentlich in die europäische Geschichte eingegangen. Zu nennen wären hier „Abul Abbas“ (9. Jahrhundert), „Hanno“ (16. Jahrhundert), „Soliman“ (16. Jahrhundert) und „Hansken“ (17. Jahrhundert). In der Regel handelte es sich um Vertreter des Asiatischen Elefanten, seltener wie im Falle des Elefanten Ludwigs XIV. um solche des Afrikanischen. Einige Elefanten besaßen zeitgenössische Berühmtheit und Popularität. Hierzu zählt beispielsweise „Hanno“, der unter anderem von Raffael mehrfach porträtiert wurde, darunter auch in einem lebensgroßen Fresko am Eingang des Vatikanischen Palastes, das allerdings nicht mehr erhalten ist. Bei anderen wiederum zeigte sich ihre Bedeutung erst im Nachhinein, wie etwa bei „Hansken“, dessen Skelett im Jahr 2014 zum Typusexemplar des Asiatischen Elefanten erhoben wurde. Ein Großteil der verschenkten Tiere gelangte in die Menagerien der europäischen Adelshäuser, andere gingen als Attraktion auf Rundreise. Die Menagerien wurden im Übergang von 18. zum 19. Jahrhundert durch weitgehend öffentlich zugängliche Zoos ersetzt, wobei Städte wie Wien, Paris und London den Auftakt bildeten. Bereits sehr früh wurden dabei speziell Einrichtungen für Elefanten geschaffen, so etwa 1808 in Paris oder 1831 in London. In der modernen Entwicklung zählen die Elefanten aufgrund ihrer beeindruckenden Größe zu den beliebtesten Tieren im Zoo. Durch ihre Intelligenz eignen sie sich für Dressuren im Zirkus. Allerdings ist die Haltung derart großer Tiere nicht unproblematisch. Sie führt einerseits zu Konflikten und Unfällen mit Menschen, andererseits kann eine schlechte und nicht artgerechte Unterbringung zu verschiedenen Verhaltensstörungen führen, von denen das rhythmische Hin- und Herbewegen (Weben) vielleicht die bekannteste ist. Mensch-Elefant-Konflikte Heute ist der Asiatische Elefant in rund einem Dutzend Ländern in Süd-, Südost- und Ostasien heimisch, der Afrikanische Elefant bewohnt rund drei Dutzend Länder im Afrika südlich der Sahara. Das Vorkommen des Waldelefanten in Zentral- und Westafrika ist dagegen wenig untersucht. Im südlichen Asien deckt sich das Vorkommen des Asiatischen Elefanten teilweise mit der höchsten Besiedlungsdichte des Menschen. Mehrere Länder mit Elefantenpopulationen wiederum gehören zu den ärmsten der Welt. Insbesondere durch die zunehmende Einengung der Lebensräume der Elefanten kommt es immer wieder zu Konflikten mit lokal ansässigen Menschen. Erfasst werden diese durch die „Human-Elephant-Conflict“-Statistik (HEC). Dabei stehen die Elefanten bedingt durch ihre Körpergröße und soziale Lebensweise und den daraus resultierenden Platz- und Nahrungsbedarf häufig in Konkurrenz um Nahrungsressourcen zum Menschen. Dies führt beispielsweise zu Plünderung von Feldern oder zur übermäßigen Nutzung von Wasserquellen in trockenen Gebieten durch Elefanten. Außerdem sind Elefanten vergleichbar dem Menschen befähigt, starken Einfluss auf ihre unmittelbare Umgebung zu nehmen (ecosystem engineering). Die sich daraus ergebenden Konflikte führen nicht nur zu wirtschaftlichem Schaden der betroffenen Menschen, sondern können im Extremfall auch einen tödlichen Ausgang haben. Nach Schätzungen sterben allein in Indien jährlich zwischen 150 und 400 Menschen bei Zusammenstößen mit Elefanten, bis zu 500.000 Familien sind zusätzlich durch Schäden bei Feldplünderungen betroffen. Für Sri Lanka liegt die Anzahl der getöteten Menschen bei jährlich bis zu 70, während in Kenia zwischen den Jahren 2010 und 2017 rund 200 Menschen ihr Leben verloren. Andererseits werden jährlich mehrere hunderte bis tausende Elefanten durch Menschen getötet – vielfach durch Bauern, die ihre Felderträge schützen wollen, oder als Vergeltung für menschliche Todesopfer. Weitere Tiere sterben durch die Auswirkungen menschlicher Auseinandersetzungen, etwa durch Landminen. Im zusätzlichen Maße kommt noch die Wilderei hinzu. Im Jahr 2009 wurde die Zahl der für den Elfenbeinhandel in Afrika gewilderten Elefanten auf 38.000 Tiere pro Jahr geschätzt. Die Vermeidung oder Verringerung von Mensch-Elefant-Konflikten ist eine der Herausforderungen des Naturschutzes. Es bestehen momentan verschiedene Möglichkeiten, Zusammenstöße mit beziehungsweise die Schädigung wirtschaftlicher Nutzflächen durch Elefanten zu minimieren. Einen Vorrang haben beispielsweise die Erhaltung oder Einrichtung von Schutzgebieten und Migrationskorridoren, welche die umfassenden Wanderungen der einzelnen Familiengruppen ermöglichen. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Menschen gehören hierzu des Weiteren physische Barrieren wie Zäune und Gräben sowie Abschreckung durch Feuer, Lärm, Licht oder Schaffung von Pufferzonen mit ungenießbaren Pflanzen wie Chili. Derartige Hindernisse können lokal starken Einfluss auf die Wanderungsbewegungen der Tiere ausüben. Andere Maßnahmen betreffen den Einsatz von Summgeräuschen von Bienen oder Gerüchen großer Beutegreifer, da Elefanten in beiden Fällen durch negative Erfahrungen abweisend auf diese reagieren. Auch besteht die Möglichkeit der Installation von Detektoren, die rechtzeitig vor dem Eintreffen von Elefantengruppen warnen. Eine in der Vergangenheit vor allem in Afrika häufiger angewandte Maßnahme ist die Keulung ganzer Herden. Sie ist aber rückläufig, vielmehr werden heute problematische Individuen oder Gruppen umgesiedelt. Für eine weitere Reduzierung der Mensch-Elefant-Konflikte ist eine bessere Untersuchung und Ausweisung möglicher Konfliktherde erforderlich. Das Erkennen derartig potentiell problematischer Regionen ermöglicht dann, Alternativen sowohl für die betroffenen Menschen als auch für die Tiere zu schaffen. Bedrohung und Schutz Die größte Gefährdung für die drei heute existierenden Elefantenarten ist die illegale Jagd. Diese erfolgt vor allem wegen der Stoßzähne, untergeordnet spielen auch das Fleisch als Nahrungsressource sowie Haut und Knochen als Rohstoffquelle eine Rolle. Des Weiteren wirken sich die Lebensraumzerstörung durch Abholzung der Wälder und Zersiedelung der Landschaften infolge der Ausbreitung menschlicher Siedlungen beziehungsweise Wirtschaftsflächen äußerst negativ auf die Bestände aus. Dies führt auch zu den bereits erwähnten Mensch-Elefant-Konflikten. Die IUCN stuft den Asiatischen Elefanten als „bedroht“ (endangered) ein. Der Wildbestand umfasst schätzungsweise 48.320 bis 51.680 Tiere, von denen die Hälfte ungefähr in Indien lebt. Hinzu kommen etwa 14.500 bis 16.000 Individuen, die als Nutztiere gehalten werden. Der Afrikanische Elefant gilt als „stark gefährdet“ (endangered), der Waldelefant als „vom Aussterben bedroht“ (critically endangered). Insgesamt leben in Afrika vermutlich rund 352.000 Elefanten mit dem größten Anteil im nördlichen Teil des südlichen Afrikas und in Ostafrika. Alle drei heutigen Arten werden im Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) im Anhang I geführt, womit der überregionale sowie internationale Handel mit lebenden Exemplaren oder Teilen toter Individuen verboten ist. Sowohl der Asiatische als auch die beiden afrikanischen Elefanten sind in zahlreichen Naturschutzgebieten präsent. Zu den wichtigen Herausforderungen gehören der Erhalt und Schutz der Lebens- und Migrationsräume der einzelnen Populationen auch über Grenzen hinweg sowie die Reduktion von Konflikten zwischen Elefanten und Menschen. Literatur Larry Laursen, Marc Bekoff: Loxodonta africana. In: Mammalian Species. Band 92, 1978, S. 1–8. Adrian Lister, Paul Bahn: Mammuts – Riesen der Eiszeit. Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1997, ISBN 3-7995-9050-1, S. 1–168. Jeheskel Shoshani, John F. Eisenberg: Elephas maximus. In: Mammalian Species. Band 182, 1982, S. 1–8. Jeheskel Shoshani, Pascal Tassy (und weitere Autoren): Order Proboscidea – Elephants. In: Jonathan Kingdon, David Happold, Michael Hoffmann, Thomas Butynski, Meredith Happold und Jan Kalina (Hrsg.): Mammals of Africa Volume I. Introductory Chapters and Afrotheria. Bloomsbury, London, 2013, S. 173–200. G. Wittemyer: Family Elephantidae (Elephants). In: Don E. Wilson, Russell A. Mittermeier (Hrsg.): Handbook of the Mammals of the World. Volume 2: Hooved Mammals. Lynx Edicions, Barcelona 2011, ISBN 978-84-96553-77-4, S. 50–79. Weblinks Katalog zur Sonderausstellung „Marina und andere Elephanten“ (Phyletisches Museum in Jena; PDF; 2,1 MB) Einzelnachweise Anmerkungen Rüsseltiere Wikipedia:Artikel mit Video
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https://de.wikipedia.org/wiki/Enderbit
Enderbit
Enderbite sind metamorphe Gesteine, und zwar Hypersthen führende Tonalite aus der Gruppe der Charnockite. Sie sind nach dem Fundort der ersten Gesteinsproben dieses Materials, der Typlokalität, dem Enderbyland in der Antarktis, benannt. Vorkommen finden sich z. B. in Simbabwe und Südindien. Literatur Le Maitre (Hrsg.): Igneous Rocks, A Classification and Glossary of Terms. Cambridge 2004 ISBN 0-521-61948-3 Roland Vinx: Gesteinsbestimmung im Gelände. München (Elsevier) 2005 ISBN 3-8274-1513-6 Weblinks Bild eines Enderbit aus dem Mineralienatlas Metamorphes Gestein
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https://de.wikipedia.org/wiki/Enzyklop%C3%A4dist
Enzyklopädist
Ein Enzyklopädist ist eine Person, die dazu beiträgt, das Wissen ihrer Zeit in Form einer Enzyklopädie zusammenzufassen. Weiter fallen unter den Begriff auch die Herausgeber einer Enzyklopädie. Eine zeitlich umrissene Gruppe solcher Personen waren die Beiträger zur französischen Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (1751–1780), die als die Enzyklopädisten zusammengefasst werden. In der Latinistik werden die römischen Autoren Marcus Porcius Cato der Ältere, Marcus Terentius Varro, Aulus Cornelius Celsus und Gaius Plinius Secundus als Enzyklopädisten zusammengefasst. Weblinks
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ethologie
Ethologie
Als Ethologie wird im deutschen Sprachraum traditionell die „klassische“ vergleichende Verhaltensforschung bezeichnet, die sich ab den 1930er-Jahren als eigenständige Forschungsrichtung etablierte, gelegentlich aber auch ganz generell die Verhaltensbiologie. Die Ethologie ist folglich ein Teilgebiet der Zoologie und eine Nachbardisziplin der Psychologie, aber innerhalb der Zoologie auch eine Ergänzung zu den vergleichenden Ansätzen von Morphologie, Anatomie und Physiologie im Dienst einer systematischen Verwandtschaftsforschung. Wortbedeutung Die Bezeichnung Ethologie ist abgeleitet von ([]; „Gewohnheit, Sitte, Brauch“) oder dessen Ableitung ([]; „Charakter, Sinnesart, Brauch, Sitte, Gewohnheit“; siehe auch Ethos) und (unter anderem „philosophischer Lehrsatz“, im Plural auch „Wissenschaften“, vergleiche -logie). Ethologie bedeutet dem Wortsinne nach „die Wissenschaft von den Gewohnheiten“. Der Neologismus Ethologie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich von Isidore Geoffroy Saint-Hilaire geprägt, und Friedrich Dahl hatte bereits 1898 vorgeschlagen, das französische Wort für die Lebensgewohnheiten der Tiere ins Deutsche zu übernehmen. Doch erst nachdem William Morton Wheeler 1902 ethology in den englischen Sprachraum eingeführt und sich diese Bezeichnung dort durchgesetzt hatte, gelangte sie über diesen Umweg wieder zurück nach Deutschland. Die klassische ethologische Instinktforschung Die ethologische Forschung ist eng verbunden mit den Arbeiten von Oskar Heinroth, Erich von Holst, Konrad Lorenz, Günter Tembrock, Nikolaas Tinbergen und Irenäus Eibl-Eibesfeldt, dem Entwurf einer Instinkttheorie sowie mit dem ehemaligen Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie. Als bedeutender Vorläufer kann Jean-Henri Fabre betrachtet werden, der den Instinkt bei den Insekten untersuchte. Das Fachgebiet der Ethologie integrierte Elemente aus mehreren Disziplinen. Ilse Jahn und Ulrich Sucker zufolge übernahmen die Ethologen zunächst „Elemente aus der naturwissenschaftlich orientierten Humanpsychologie von Wilhelm Wundt“, ferner Anregungen „aus der evolutionistischen vergleichenden Morphologie und Entwicklungsgeschichte“, und sie integrierten schließlich „Methoden der experimentellen Tierphysiologie sowie der taxonomischen Feldforschung.“ Historischer Hintergrund Schon Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) hatte 1760 in seiner Schrift Allgemeine Betrachtungen über die Triebe der Thiere „Instincte, Triebe, Künste“ beschrieben, die „ohne und vor aller Erfahrung, gleich nach ihrer Geburt“ dazu geeignet sind, ihrer „Selbsterhaltung“ zu dienen. Hundert Jahre später konnte Charles Darwin aufgrund jahrelanger eigener Zuchtexperimente (u. a. an Haustauben) plausibel machen, dass die häufig sehr komplexen Verhaltensweisen der Tiere aufgrund der gleichen Gesetzmäßigkeiten entstanden sein müssen wie ihre anatomischen Merkmale: also aufgrund von zufälliger Variabilität der einzelnen Merkmale und deren Bedeutung im „Überlebenskampf“ ihrer Träger. William James, der als Begründer der Psychologie in den USA und als prominenter Vertreter der sogenannten Instinktpsychologie gilt, ging 1890 in seinem Hauptwerk The Principles of Psychology aus evolutionsbiologischen Vermutungen beispielsweise davon aus, dass der Mensch mehrere Dutzend Instinkte besitze, und auch William McDougall, der Mitbegründer der British Psychological Society, schrieb 1908 dem Menschen zahlreiche „primäre Instinkte“ zu, u. a. Fluchtinstinkt, Ekelinstinkt, Neugierinstinkt, Aggressionsinstinkt, Selbstbehauptungsinstinkt, Sexualinstinkt, Elterninstinkt sowie je einen Instinkt für die Selbsterniedrigung durch Sich-selbst-Zurschaustellen und für die Geselligkeit. Noch bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein hielten sich aber auch sogenannte vitalistische Anschauungen, die angeborenes Instinktverhalten zwar nicht leugneten und sogar dessen Zweckmäßigkeit aufzeigten. Sie beantworteten jedoch die Frage nach dem Entstehen dieser Zweckmäßigkeit mit der Annahme einer Lebenskraft (lateinisch vis vitalis, daher: Vitalismus), einer Naturkraft oder der göttlichen Lenkung. Diese Unterstellung letztlich übernatürlicher Kräfte blockierte lange Zeit jede naturwissenschaftliche Ursachenforschung. Ein prominenter Vertreter dieser Richtung war Alfred Russel Wallace. Wallace gilt neben Darwin als der Begründer der modernen Evolutionstheorie; er entfernte sich aber weit von allen evolutionsbiologischen Denkweisen, sobald es um das Entstehen der Instinkte ging. In scharfem Gegensatz zu den vitalistischen Richtungen standen die sogenannten Mechanisten, die alles Verhalten als das gleichsam passive Reagieren auf Außenreize deuteten, als eine Kette von Reflexen („Reflexkettentheorie“). Ihre Anschauungen fußten vor allem auf den Forschungsergebnissen des Nobelpreisträgers Iwan Pawlow und verneinten innere Antriebe bzw. schlossen sie mangels Zugänglichkeit als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung aus. Prominente Vertreter dieser Richtung waren neben Pawlow die US-amerikanischen Psychologen John B. Watson, der Begründer des klassischen Behaviorismus, sowie B. F. Skinner. Im deutschen Sprachraum entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg eine eigenständige Forschungsrichtung, die zum einen – im Unterschied zum Behaviorismus – das spontane Auftreten von angeborenem Verhalten aufgrund innerer, zentralnervöser Ursachen („Triebe“) betonte. Zum anderen verglichen ihre Vertreter, aufgrund der unterstellten Vererbbarkeit solcher Verhaltensweisen, das Verhalten verwandter Arten in ähnlicher Weise miteinander, wie Anatomen anatomische Merkmale miteinander vergleichen (daher auch vergleichende Verhaltensforschung). 1937 schuf sich diese Forschungsrichtung mittels der Zeitschrift für Tierpsychologie ein eigenes Publikationsorgan. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bezeichnung Tierpsychologie durch die Bezeichnung Ethologie abgelöst, da die Tierpsychologie inzwischen im Ruf einer bloßen Liebhaberei stand. Noch in den 1970er-Jahren wurden die Bezeichnungen Ethologie, Instinktforschung und vergleichende Verhaltensforschung von den Forschern dieses Fachgebiets als Synonyme verwendet. In dem Maße, in dem die aus der „klassischen“ vergleichenden Verhaltensforschung hervorgegangene Instinkttheorie aufgrund von neueren verhaltensökologischen sowie neurobiologischen Befunden als überholt angesehen wurde, benutzten viele Verhaltensforscher seit den frühen 1980er-Jahren auch die Bezeichnung Ethologie immer weniger und ersetzten sie durch die als neutraler empfundene Bezeichnung Verhaltensbiologie. Außerhalb des deutschen Sprachraums stehen heute hingegen beispielsweise ethology (engl.), éthologie (französ.), etología (spanisch), etologia (italienisch), etoloji (türkisch) und etologi (dänisch) ganz allgemein für Verhaltensbiologie. Deshalb wurde die 1937 von Konrad Lorenz mitbegründete Zeitschrift für Tierpsychologie, neben Behaviour und Animal Behaviour jahrzehntelang die bedeutendste verhaltensbiologische Fachpublikation, ab 1986 von Wolfgang Wickler – dem internationalen Sprachgebrauch folgend – in Ethology umbenannt. Das Instinktkonzept Eine grundlegende Wendung nahm die Verhaltensforschung durch Oskar Heinroth, in dessen 1911 publiziertem Vortrag vor dem 5. Internationalen Ornithologen-Kongress das Wort Ethologie erstmals im heutigen, in Deutschland gebräuchlichen Sinne auch vor großem Fachpublikum verwendet wurde. Heinroth hatte zunächst das Verhalten von diversen Gänse- und Entenarten studiert und dabei festgestellt, dass bestimmte Bewegungsweisen (beispielsweise bei der Balz) von Tieren gleichen Geschlechts und gleicher Art mit immer denselben Gesten und Körperhaltungen ausgeführt werden. Heinroth nannte solche formkonstanten Bewegungen arteigene Triebhandlungen und konnte aufzeigen, dass verwandte Arten mehr oder weniger starke Abwandlungen solcher Verhaltensweisen besitzen. Von diesen genauen Verhaltensbeobachtungen zu einer evolutionären Deutung ihres Entstehens war es dann weder für Heinroth noch für dessen späteren Schüler Konrad Lorenz ein großer Schritt. Lorenz griff 1931 die Bezeichnung Ethologie erstmals auf, als er einen umfangreichen Aufsatz über die „Ethologie sozialer Corviden“ veröffentlichte. Die ethologische Instinkttheorie besagt, dass Instinktverhalten im Erbgut verankert ist und durch Schlüsselreize ausgelöst werden kann, solange eine innere aktionsspezifische Energie vorhanden ist. Die Zweckmäßigkeit dieses Ineinandergreifens von äußerem Auslöser, Handlungsbereitschaft und spezifischer Verhaltensweise habe sich im Prozess der Evolution entwickelt und diene letztlich der Weitergabe der Gene an die jeweils nächste Generation. Ein häufig zitiertes Beispiel für eine solche Instinktbewegung ist die Eirollbewegung der Graugans: Wenn ein Ei (der Schlüsselreiz) außerhalb des Nestes gerät, reckt die Gans ihren Schnabel über das Ei hinweg und rollt das Ei mit Hilfe ihres Schnabels zurück ins Nest. Diese Bewegung läuft immer auf die gleiche Weise ab und wird selbst dann zu Ende geführt, wenn das Ei während des Vorgangs von einem Versuchsleiter entfernt wird. Diese starre, angeborene Form des Verhaltens gilt als eine arteigene Triebhandlung im Sinne von Oskar Heinroth und wurde von Konrad Lorenz als Erbkoordination bezeichnet. Weitere Fachbegriffe der Instinkttheorie sind u. a. Angeborener Auslösemechanismus, Appetenz, Leerlaufhandlung und Übersprungbewegung sowie das Prägungskonzept. Kennzeichnend für die ethologische Instinktforschung ist zum einen die Betonung der Freilandforschung, also das Beobachten und Erklären des Verhaltens unter natürlichen Umweltbedingungen, zum anderen sogenannte Ethogramme: Das sind exakte Beschreibungen aller bei einer Tierart beobachtbaren Verhaltensweisen. Anhand dieser Ethogramme können Verhaltensprotokolle erstellt werden, in denen die Häufigkeit der Verhaltensweisen und ihre zeitliche Abfolge aufgelistet werden (z. B.: Nahrungsaufnahme, Schlafen, Sich-Putzen, schnelles Weglaufen, Eintragen von Jungtieren zum Nest). Hierdurch wird es möglich, sowohl die Häufigkeit als auch das Aufeinanderfolgen von Verhaltensweisen qualitativ und quantitativ zu beschreiben. Kritik Mit der Bezeichnung Instinktbewegung oder Erbkoordination war bis Ende der 1960er-Jahre die Auffassung verbunden, es handele sich bei den so gedeuteten Verhaltensweisen um rein angeborene Aktivitäten, die zwar „durch Außenreize ausgelöst und in ihrer Intensität und Orientierung beeinflußt“ werden; ihr Ablauf hingegen, „d.h. die Art der Bewegung, ist von Außenreizen unabhängig und jeweils artspezifisch festgelegt.“ Inzwischen hat die Forschung aber immer mehr Anhaltspunkte dafür gefunden, dass solche starren Reaktionen auf externe Reize ein Ausnahmefall sind, dass Erbe und Umwelt auch in Bezug auf einzelne Verhaltensweisen eng miteinander verzahnt sind (siehe Reaktionsnorm). Zentrale Konzepte der klassischen Ethologie wurden 1990 von Wolfgang Wickler, einem Schüler von Konrad Lorenz, und 1992 von Hanna-Maria Zippelius, einer Schülerin von Karl von Frisch, kritisiert (vergleiche hierzu unter anderem Übersprunghandlung und Leerlaufhandlung). Ihrer Kritik vorausgegangen war allerdings bereits fast 30 Jahre zuvor in den USA eine ausführliche Analyse in einem Review-Artikel, in dem die Instinkt-basierte Ethologie als „präformationistisch“ und „voreingenommen“ bezüglich ihrer „starren Konzepte“ zu angeborenem Verhalten und Reifung – durch Vervollkommnung im Verlauf der Individualentwicklung ohne Übung – bezeichnet wurde. Am deutlichsten wurde die Abkehr von der Instinkttheorie 1990 von Wolfgang Wickler am Beispiel von Übersprungbewegung und Leerlaufhandlung formuliert: „Die aktionsspezifische Energie erwies sich als modernes Phlogiston und das psychohydraulische Modell trotz raffinierter Veränderungen als untauglich, die Bereitschafts- und Zustandsänderungen im Tier adäquat abzubilden.“ Modellbildend wurden u. a. junge Teilgebiete der Ökologie wie die Populationsökologie und die Verhaltensökologie, die beispielsweise die Nahrungssuche und andere Entscheidungsfindungen in Konfliktsituationen mit Hilfe des Konzepts der Kosten-Nutzen-Analyse als Optimal foraging beschreiben. Für die Untersuchung von Sozialverhalten haben sich die Soziobiologie und die Bioakustik als eigenständige Fachrichtungen etabliert, und für die Untersuchung der Evolution von Verhalten liefern ferner die Spieltheorie, die Biolinguistik und die Evolutionäre Psychologie fruchtbare Ansätze. Nutztierethologie Als Nutztierethologie wird ein Teilgebiet der Agrarwissenschaften bezeichnet, das sich mit der Erforschung des Verhaltens von Nutztieren befasst. Angestrebt wird eine Optimierung der Haltungsbedingungen in der Nutztierhaltung im Sinne einer annähernd tiergerechten Haltung. Siehe auch Humanethologie Kognitive Ethologie Tiersoziologie Ethohydraulik Literatur Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung. 7. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Piper, München 1987. Ilse Jahn und Ulrich Sucker: Die Herausbildung der Verhaltensbiologie. In: Ilse Jahn (Hrsg.): Geschichte der Biologie. 2., korrigierte Ausgabe der 3. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg und Berlin 2002, S. 580–600, ISBN 3-8274-1023-1. Konrad Lorenz: Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Gesammelte Abhandlungen. Band 1 und 2, Piper, München 1965. Konrad Lorenz: Vergleichende Verhaltensforschung. 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https://de.wikipedia.org/wiki/Extension%20und%20Intension
Extension und Intension
Extension und Intension ( ‚Ausdehnung, Spannweite, Verbreitung‘ und ‚Mühe, Spannung, Anspannung‘) sind Begriffe aus der Semantik, mit denen verschiedene Dimensionen der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke (Prädikate, Sätze) oder logischer Entitäten (Mengen, Begriffe, Propositionen) bestimmt werden. Das Begriffspaar stammt aus dem Umfeld der aristotelischen Logik und wurde als und durch die Logik von Port-Royal etabliert. In der Sprachphilosophie, den Sprachwissenschaften, der Logik und der Mathematik werden Extension und Intension oftmals unterschiedlich konzipiert. Für Prädikate und Begriffe sind – im Gegensatz zu Bedeutung – die Ausdrücke Begriffsumfang und Begriffsinhalt unproblematische Übersetzungen. Begriffsumfang und Begriffsinhalt Begriffsumfang ist die „Gesamtheit der einem Begriff auf derselben Hierarchiestufe untergeordneten Begriffe“, Begriffsinhalt ist die Gesamtheit aller Merkmale eines Begriffs. Der Begriffsumfang vom Begriff Fahrzeug beispielsweise besteht aus den Unterbegriffen Landfahrzeug, Wasserfahrzeug, Luftfahrzeug und Raumfahrzeug. Der Begriffsinhalt des Luftfahrzeuges umfasst dessen Merkmale, innerhalb der Erdatmosphäre zu fliegen oder zu fahren (Ballonfahren). Hierdurch grenzt sich das Luftfahrzeug vom Raumfahrzeug ab, das im Weltraum unterwegs ist. Der Begriffsumfang wird umso kleiner, je größer der Begriffsinhalt ist. Extension und Intension von Prädikaten (Begriffen) Extension In der traditionellen Logik (Begriffslogik) verstand man unter der Extension oder dem Umfang eines Begriffs die Gesamtheit der Dinge, auf die er sich erstreckt (die unter ihn fallen, die er umfasst). Demnach war die Extension des Begriffes „Mensch“ die Gesamtheit aller Menschen. Seit der pyrrhonischen Skepsis besteht allerdings auch Zweifel an solcher Begriffspotenz. Mit dem Aufkommen empirischer Wissenschaften gerieten die Taxonomien mehr in die einzelwissenschaftlichen Verantwortungsbereiche und ihre philosophisch- bzw. theologisch-syllogistische Verwaltung wurde obsolet. In der traditionellen Logik war nie eine hinreichend komplexe Ontologie gelungen, um praxistaugliche Überprüfungs- und Entscheidungsverfahren zu ermöglichen, als Beispiel dafür sei nur die mannigfach diskutierte Frage genannt, was zur Gesamtheit aller Menschen gehört und was nicht (z. B. verstorbene Menschen, Versehrte, Leichname, zukünftige Menschen, nur möglicherweise existierende Menschen. Zum Problem siehe auch Präsentismus, Aktualismus). Der letzte Verteidiger einer solchen Begriffslogik war Bruno von Freytag-Löringhoff. In der klassischen Logik fasst man Begriffe oft als einstellige Prädikate auf, das heißt als Aussageformen mit einer Leerstelle. Aus der Aussageform „… ist ein Mensch“ entsteht dann eine wahre Aussage, wenn man in die Leerstelle den Eigennamen oder die Kennzeichnung eines Menschen einsetzt. Extension eines solchen Prädikates ist dann die Menge der Referenten all jener Eigennamen und Kennzeichnungen, die in die Leerstelle eingefügt eine wahre Aussage ergeben. Die Extension ist demnach die Menge der Gegenstände, denen die durch das Prädikat ausgedrückte Eigenschaft zukommt. Entsprechendes gilt für mehrstellige Prädikate (Relationen): Die Extension des zweistelligen Prädikats „… hat denselben Vater wie …“ besteht aus der Menge aller Geschwister- und (väterlichen) Halbgeschwisterpaare. Intension Darüber, was Intension und Begriffsinhalt sind, gehen die Meinungen in der Logik auseinander. Nach einer häufig vertretenen Auffassung besteht die Intension eines Begriffes aus der Gesamtheit der Merkmale oder Eigenschaften – die Terminologie ist hier uneinheitlich –, die den Dingen, die er umfasst, faktisch gemeinsam sind oder die die Schnittmenge ihrer notwendigen Merkmale ausmachen. Demnach enthält die Intension des Begriffes „Mensch“ die Merkmale belebt, sterblich, auf zwei Beinen gehend, ungefiedert, vernunftbegabt, Werkzeuge produzierend etc. Begriffsmerkmale treten hauptsächlich bei der Definition eines Begriffs in Erscheinung: Menschen sind auf zwei Beinen gehende ungefiederte Lebewesen. Oder: Menschen sind vernunftbegabte Lebewesen. Keine dieser Definitionen macht von allen Merkmalen Gebrauch, die allen Menschen gemeinsam sind; beide kommen z. B. ohne das Merkmal sterblich aus. Trotzdem erfüllen sie ihren Zweck, nämlich aus einem Diskursuniversum, das nur physische Dinge umfasst, trennscharf diejenigen herauszufiltern, die unter den Begriff „Mensch“ fallen. Wäre dagegen von einer Welt die Rede, in der auch für vernunftbegabte Unsterbliche Platz ist, z. B. für die Göttinnen und Götter des Olymp, so müsste die zweite Definition, um diese Funktion zu erfüllen, durch die Hinzunahme des Merkmals sterblich verengt werden. Die Beispiele zeigen außerdem, dass Begriffe mit verschiedener Intension im selben Diskursuniversum dieselbe Extension haben können: „auf zwei Beinen gehende ungefiederte Lebewesen“ und „vernünftige Lebewesen“ sind extensional gleiche Begriffe. Das Umgekehrte gilt nicht: Begriffe mit verschiedener Extension besitzen im selben Diskursuniversum stets verschiedene Intension. Extensionale Individuation von Begriffen Bekanntlich sind viele Wörter mehrdeutig: Das Wort „Bank“ kann ein Sitzmöbel oder ein Geldinstitut bezeichnen. Bei beiden Bedeutungen handelt es sich um verschiedene Begriffe. Was konstituiert die Verschiedenheit dieser Begriffe und wie erkennt man Gleichheit und Verschiedenheit von Begriffen? Ein einfacher Antwortversuch auf diese Frage wird als Extensionalitätsthese bezeichnet, der zufolge Begriffe durch ihren Extensionalbereich vollständig bestimmt seien. Offensichtlich ist die Menge aller Sitzmöbel eine andere Menge als diejenige aller Geldinstitute. Diese Extensionalitätsthese hat unter anderem das bekannte Problem, zu erklären, wie es sich bei Bezeichnungen wie „Abendstern“ und „Morgenstern“ verhält. Die Extension beider Bezeichnungen ist identisch: Beide beziehen sich auf den Planeten Venus. Trotzdem scheint plausibel, dass, wer an den Abendstern denkt, einen anderen Begriff verwendet als jener, welcher an den Morgenstern denkt. Der Unterschied liegt, so die klassische Formulierung von Gottlob Frege, nicht in der Extension, sondern in der Weise der Bezugnahme auf das bezeichnete Objekt, also der Intension. Frege selbst spricht nicht von Extension, sondern von Bedeutung, und nicht von Intension, sondern von Sinn. Zieht man auch die Intension zur Individuation von Begriffen heran, muss die Extensionalitätsthese verworfen werden. Inversverhältnis von Intension und Extension Versteht man die Intension als eine Menge von Merkmalen und die Extension als eine Menge von Gegenständen, welche diese Merkmale besitzen, so verhalten sich Intension und Extension offensichtlich in folgender Weise gegensätzlich zueinander: Je umfangreicher die Intension, desto kleiner die Extension, und umgekehrt. Ein Begriff wie „Substanz“ umfasst nach der aristotelischen Ontologie alles überhaupt Seiende, ein Begriff wie „körperliche Substanz“ entsprechend weniger, und ein Begriff wie „vernunftbegabte beseelte körperliche Substanz“ noch weniger Objekte. Solche Beispiele existieren in großer Zahl und lassen die folgende grundlegende Gesetzmäßigkeit vermuten: Mit dem Aufkommen der modernen Logik wurde die Allgemeingültigkeit dieser Regel auf verschiedene Weise angezweifelt. Der Grund dafür lag in der erwähnten Unbestimmtheit des Begriffs der Intension und in der Vielzahl der Möglichkeiten, ihn in die formale Sprache eines Logikkalküls zu übersetzen. Den ersten erfolgreichen Versuch zu einer solchen Übersetzung unternahm Paul Weingartner. Weingartner konnte zeigen, dass „bei entsprechender Definition des intensionalen Enthaltenseins“ die oben formulierte Grundregel ein Theorem der Klassenlogik darstellt. Auch der deutsche Philosoph Lutz Geldsetzer hat für intensionale Logiken eine anschauliche „pyramidale“ Notation entwickelt und sich mit dem Verhältnis von Extension und Intension beschäftigt. Auch die mehrwertige sogenannte Bayes-Logik hat intensionale Züge. Terminologie Geprägt wird die Gegenüberstellung zwischen Extension und Intension, deren Wurzeln auf die aristotelische Logik zurückgehen, in der Logik von Port-Royal. Beispielhaft sei auch eine kompakte Formulierung von Leibniz zitiert: „Das Lebewesen umfasst mehr Individuen als der Mensch, aber der Mensch enthält mehr Ideen oder Formeigenschaften; das eine hat mehr Exemplare, das andere mehr Wirklichkeitsgrad; das eine hat mehr Extension, das andere mehr Intension.“ Im Lauf der Philosophiegeschichte wurde das Konzept der Extension und Intension von unterschiedlichen Autoren aufgebracht, wobei man bei der Gleichsetzung der Begriffspaare äußerst vorsichtig sein sollte, zumal einige Autoren sie als Eigenschaften von mentalen Entitäten (Begriffen, Urteilen), andere als Eigenschaften sprachlicher Ausdrücke behandeln. Die folgende Tabelle zeigt einige dieser Bezeichnungen. Dabei ist zu beachten, dass in besonderem Maß bei Frege Vorsicht geboten ist, den Ausdruck „Bedeutung“ mit der Extension gleichzusetzen. Die Unterscheidung zwischen Extension und Intension findet grundsätzlich bei Begriffswörtern („Planet“) Verwendung, während Frege die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung auch auf Eigennamen (wobei der Sinn die Art des Gegebenseins eines Gegenstandes ist, die Bedeutung der entsprechende Gegenstand) und ganze Sätze (der Sinn ist hier der Gedanke, die Bedeutung das Wahre/Falsche) anwendet. Darüber hinaus ergeben sich auch bei Anwendung auf Begriffswörter Unterschiede: Während die Extension von „Planet“ die Planeten des Sonnensystems umfasst, ist für Frege die Bedeutung von „Planet“ der abstrakte Begriff „() ist ein Planet“. Zudem wird in ungeraden Kontexten oder opaken Kontexten der ursprüngliche Sinn zur Bedeutung des Ausdrucks. Was an die Stelle des Sinns rückt, lässt Frege offen. Extension und Intension von Sätzen Extension eines Satzes Nach verbreiteter, umstrittener, von Gottlob Frege begründeter Auffassung ist die Extension eines Aussagesatzes sein Wahrheitswert. Intension eines Satzes Die Intension eines Satzes (bei Frege: der Sinn eines Satzes) sind nach verbreiteter, umstrittener Auffassung sein Sinn, Inhalt oder der ausgedrückte (subjektive) Gedanke oder eine Proposition, nach Frege ist der Sinn eines Satzes sein Gedanke (in einem objektiven Sinn). Nach Rudolf Carnap ist die Intension eines Satzes die durch den Satz bezeichnete Proposition. Anwendungen Rechtswissenschaft, Rechtsprechung und Verwaltungshandeln Zum Alltagsgeschäft von Juristen gehört es, konkrete Sachverhalte mit Rechtsnormen zu verknüpfen, bei denen Begriffe, insbesondere unbestimmte oder vage Begriffe, eine zentrale Rolle spielen. Dabei geht es einerseits darum, die Intension eines anzuwendenden Begriffs so zu bestimmen, dass in der Praxis trennscharfe Unterscheidungen vorgenommen werden können, und so gleichzeitig die potenzielle Extension anzugeben: Fälle mit dem Merkmal x (Intensionsbestimmung) gehören zur Menge (Extensionsbestimmung) der mit dem Begriff „y“ bezeichneten normierten Sachverhalte. Beispiel: (Diebstahl) Abs. 1 des deutschen Strafgesetzbuches lautet: Der Begriff „Diebstahl“ kann nicht auf Fälle des Anzapfens elektrischer Energie angewandt werden (eingeschränkte Extension des Begriffs „Diebstahl“), da Strom keine „Sache“ ist (eingeschränkte Intension des Begriffs „Sache“). Die auf diese Weise entstandene Gesetzeslücke wurde geschlossen, indem ins StGB der eingefügt wurde, durch den die „Entziehung elektrischer Energie“ unter Strafandrohung gestellt ist. Religionswissenschaft und Theologie Die Frage, ob das, was ein Begriff als sprachliches Zeichen bezeichnet, existiert oder nicht, kann nicht nur als empirische behandelt werden, sondern auch als onto- oder mythologische. Dann bekommen Begriffe wie „Gott“, „Teufel“, „Engel“ nicht einfach eine Null-Extension, sondern eine komplexere Intension. Götter wie Zeus „gibt es“ jedenfalls als Teilelement des Begriffs „griechische Mythologie“. Siehe auch Extensionale Identität Formale Begriffsanalyse Literatur Logikgeschichte Überblicksdarstellungen Joseph C. Frisch: Extension and Comprehension in Logic. New York 1969. R. H. Robins: A Short History of Linguistics. Longman, 1967. (4. Auflage. 1997) Ellen Walther-Klaus: Inhalt Und Umfang. Georg Olms Verlag. 1987, ISBN 3-487-07829-5. (umfassende historische Darstellung, u. a. zu Spätantike, Porphyrius, Scholastik, Petrus Hispanus, Thomas de Vio, Port-Royal, Leibniz, Kant, Erdmann, Peirce, Bolzano und die jeweiligen Zwischenphasen) Antike William T. 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https://de.wikipedia.org/wiki/Liste%20von%20Filmmusik-Komponisten
Liste von Filmmusik-Komponisten
Diese Liste enthält Personen, die durch ihre langjährige Haupttätigkeit als Komponisten von Musik für Film und Fernsehen Bekanntheit erlangten oder für ihre Filmmusik mit international oder national führenden Preisen ausgezeichnet wurden oder deren Filmmusik auf andere Weise besonders erfolgreich war. Liste A Maurizio Abeni (seit den 1980ern, u. a. Wax Mask, Mord im Kloster) Richard Addinsell (1930er–1960er, u. a. Feuer über England, Wir alle sind verdammt) John Addison (1950er–1990er, u. a. Tom Jones – Zwischen Bett und Galgen, Der zerrissene Vorhang; Oscar-, Grammy-, Emmy-Preisträger) Hans Ailbout (1900er–1930er, u. a. Miss Venus, Das Land der 1000 Wunder) William Alwyn (1930er–1960er, u. a. Die letzte Nacht der Titanic, Der Fall Winslow) Masamicz Amano (seit den 1980ern, u. a. Battle Royale, Urusei Yatsura) Daniele Amfitheatrof (1930er–1960er, u. a. Goodbye, My Fancy, Rommel, der Wüstenfuchs) Michael Andrews (seit den 1990ern, u. a. Donnie Darko, Bad Teacher) Harold Arlen (1930er–1960er, u. a. Der Zauberer von Oz, Ein neuer Stern am Himmel) Craig Armstrong (seit den 1990ern, u. a. Romeo + Julia, Ray, Moulin Rouge; Grammy- & Golden-Globe-Preisträger) David Arnold (seit den 1990ern, u. a. James Bond 007: Casino Royale, Stargate; Grammy-Preisträger) Malcolm Arnold (1940er–2000er, Die Brücke am Kwai, Neun Stunden zur Ewigkeit; Oscar-Preisträger) Jorge Arriagada (seit den 1970ern, u. a. Die wiedergefundene Zeit, Genealogien eines Verbrechens) Eduard Nikolajewitsch Artemjew (seit den 1960ern, u. a. Solaris, Stalker) Farid el Atrache (1940er–1960er, u. a. Das Lied meines Herzens, Träume der Jugend) Georges Auric (1930er–1970er, u. a. Moulin Rouge, Der Seemann und die Nonne) William Axt (1920er–1930er, u. a. Millionäre bevorzugt, Das Zeichen des Zorro) Alexandre Azaria (seit 2000er, u. a. Die Daltons gegen Lucky Luke, Asterix und die Wikinger, Transporter 3) B Luis Bacalov (seit den 1960ern, Oscar-Preisträger) Angelo Badalamenti (seit den 1970ern, u. a. Blue Velvet, Twin Peaks; Grammy-Preisträger) Klaus Badelt (seit den 2000ern, u. a. The Time Machine, Wu Ji – Die Reiter der Winde, Fluch der Karibik) Mischa Bakaleinikoff (1931 bis 1960 für Columbia Pictures) Diego Baldenweg (seit den 2000ern, u. a. Mein Name ist Eugen; EDI- und SUISA/Locarno Filmfestival Preisträger) Roque Baños (seit den 1990ern, u. a. The Oxford Murders; Goya-Preisträger) Claus Bantzer (seit den 1980ern, u. a. Männer, 40 qm Deutschland; Träger Filmband in Gold) John Barry (1960er–1990er, u. a. James Bond, Der mit dem Wolf tanzt; Oscar- und Grammypreisträger) Marcel Barsotti (Filmkomponist seit 1995, u. a. Die Päpstin, Das Wunder von Bern; u. a. Preis der deutschen Schallplattenkritik) Ben Bartlett (seit den 1990ern, u. a. Dinosaurier – Im Reich der Giganten, Fiona’s Story; BAFTA-Preisträger) Weniamin Basner (1950er–1990er Jahre, u. a. Ein Menschenschicksal, Rette sich, wer kann!) Gerd Baumann (seit den 1990ern, Deutscher Filmpreis 2007 für Wer früher stirbt ist länger tot) Mick Baumeister (seit 1984, u. a. Krücke, hauptsächlich Komposition für Fernsehfilme und -serien) Jeff Beal (seit den 1990ern, u. a. Monk, Rom, Pollock; Emmy-Preisträger) Marco Beltrami (seit Mitte der 1990er Jahre, u. a. Scream – Schrei!, I, Robot; Emmy-Preisträger) Charles Bernstein (seit Ende der 1960er Jahre, u. a. A Nightmare on Elm Street; Emmy-Preisträger) Elmer Bernstein (1950er–2000er Jahre, u. a. Die glorreichen Sieben, Die Glücksritter; Oscar- und Emmy-Preisträger) Christian Biegai (seit 2000, 2008 NZ Film & TV Award für The Big Picture u. a. Tatort, Wir Sagen Du! Schatz, Nacht Vor Augen) Werner Bochmann (1930er–1950er Jahre, u. a. Quax, der Bruchpilot, Die Feuerzangenbowle; Träger Filmband in Gold) Rasmus Borowski (seit 2004, z. B. Teacup Travels, Der Beste) Simon Boswell (seit den 1980ern, u. a. Hackers – Im Netz des FBI, Als das Meer verschwand) Martin Böttcher (seit den 1950ern, u. a. Edgar-Wallace- und Karl-May-Filme) Leo Brouwer (seit den 1960er Jahren, u. a. Der Tod eines Bürokraten, Die Abenteuer des Juan Quin Quin, Cecilia Valdés, Amada – Junge Frau aus Havanna, Bittersüße Schokolade, Dem Himmel so nah) Christoph Brüx (seit den 2000ern, z. B. Alina) Christian Bruhn (1960er–1990er, v. a. TV-Serien wie Heidi und Timm Thaler) Velton Ray Bunch (seit den 1980ern, Fernsehfilme und TV-Serien wie Zurück in die Vergangenheit und Star Trek: Enterprise; Emmy-Preisträger) Carter Burwell (seit den 1980ern, u. a. Buffy-Serie, Twilight) C Sean Callery (seit den 1990ern, u. a. 24, Nikita, Emmy-Preisträger) Gérard Calvi (seit den 1940ern, u. a. Asterix der Gallier, Wettlauf nach Bombay) Jeff Cardoni (seit 2000er, u. a. CSI: Miami, American Pie präsentiert: Nackte Tatsachen, The Defenders) Pete Carpenter (1960er–1980er, u. a. Magnum, Das A-Team, Grammy-Preisträger) Kristopher Carter (seit den 1990ern, u. a. Die Liga der Gerechten, Teen Titans, Batman: The Brave and the Bold, Young Justice) Tristram Cary (1950er–1970er, u. a. Das grüne Blut der Dämonen, Ladykillers) Carles Cases (seit den 1980ern, u. a. Darkness, The Nameless) Teddy Castellucci, (seit den 1990ern, u. a. Die Wutprobe, Big Daddy und 50 erste Dates) Frank Churchill (1930er–1940er, u. a. Dumbo, Es geschah in einer Nacht, Oscar-Preisträger) Alessandro Cicognini (1930er–1960er, u. a. Don Camillo und Peppone, Die schwarze Orchidee) Alf Clausen (seit den 1980ern, u. a. Die Simpsons, Das Model und der Schnüffler, Emmy-Preisträger) George S. Clinton (seit den 1980ern, u. a. Mortal Kombat, Zahnfee auf Bewährung) Elia Cmiral (seit den 1980ern, u. a. The Mechanik, Stigmata) Serge Colbert (seit den 1990ern, u. a. Operation Delta Force, The Sweeper – Land Mines, Derailed – Terror im Zug) Lisa Coleman (seit den 1990ern, vorw. TV-Serien wie Heroes und Crossing Jordan, ASCAP-Preisträgerin) Michel Colombier (1970er–2000er, u. a. Der Cop, Asterix – Operation Hinkelstein, César-Preisträger) Pascal Comelade (seit den 1990ern, u. a. Sommer vorm Balkon) Bill Conti (seit den 1970ern, u. a. Rocky, Karate Kid, Der Denver-Clan) Stewart Copeland (seit den 1980ern, u. a. Dead Like Me – So gut wie tot, Highlander II – Die Rückkehr) Aaron Copland (1930er–1980er, u. a. Die Erbin Oscar-Preisträger) Carmine Coppola (1960er–1990er, u. a. Der Pate – Teil II, Der Pate III, Apocalypse Now) Normand Corbeil (seit den 1980ern, u. a. The Art of War (Film), Human Trafficking) Vladimir Cosma (seit den 1970ern, u. a. Pierre-Richard-, Funès-Filme, La Boum, La Boum 2) Bruno Coulais (seit den 1980ern, u. a. Die purpurnen Flüsse, Die Kinder des Monsieur Mathieu, César-Preisträger) Alexander Courage (1950er–2000er, u. a. Die Waltons, Drei Mädchen in Madrid, Emmy-Preisträger) Michel Cusson (seit 1990ern, u. a. Napoleon, Séraphin: un homme et son péché) D Jeff Danna (seit den 1980ern, u. a. Silent Hill, Das perfekte Verbrechen) Mychael Danna (seit den 1980ern, u. a. Exotica, Ararat, Water, Genie-Preisträger) Burkhard von Dallwitz (seit den 1980ern, u. a. Die Truman Show, Trucker mit Herz, Golden Globe-Gewinner) Wladimir Daschkewitsch (seit den 1970ern, u. a. Der Hund der Baskervilles, Peppi Dlinnytschulok) Peter Dasent (seit den 1990ern, u. a. Braindead, Heavenly Creatures) Carl Davis (seit den 1980ern, u. a. Die Geliebte des französischen Leutnants, Ken Folletts Roter Adler) Don Davis (seit den 1980ern, u. a. Matrix, Im Fadenkreuz – Allein gegen alle, Emmy-Preisträger) Frank De Vol (1950er – 1980er, u. a. Cat Ballou – Hängen sollst du in Wyoming, Bettgeflüster) Ramin Djawadi (seit den 2000ern, u. a. Game of Thrones, Emmy-Preisträger) Frank Duval (seit den 1970ern – 1980er, u. a. Derrick, Der Alte) Barry De Vorzon (1970er – 1990er, Xanadu, Simon & Simon, Emmy-Preisträger) John Debney (seit den 1990ern, u. a. SeaQuest DSV, Sin City, Die Passion Christi, Emmy-Preisträger) Georges Delerue (1950er – 1990er, u. a. Platoon, Magnolien aus Stahl, Oscar, Cesar & Golden Globe-Gewinner) Alexandre Desplat (seit den 1980ern, u. a. The King’s Speech, Der seltsame Fall des Benjamin Button, Cesar & Golden Globe-Preisträger) Paul Dessau (1920er – 1960er, u. a. Schmutziges Geld, Stürme über dem Mont Blanc) Franz Doelle (1930er – 1950er, u. a. Viktor und Viktoria, Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück) Klaus Doldinger (seit den 1960ern, u. a. Tatort-Titelmelodie, Das Boot, Die unendliche Geschichte) Pino Donaggio (seit den 1970ern, u. a. Piranhas, Wenn die Gondeln Trauer tragen) James Dooley (seit den 1990ern, u. a. Obsessed, Pushing Daisies) Patrick Doyle (seit den 198ern, u. a. Henry V., Kalender Girls) Anne Dudley (seit den 1980ern, u. a. American History X, Tristan & Isolde, Ganz oder gar nicht, Oscar-Preisträgerin) Dürbeck & Dohmen (seit den 2000ern, u. a. Freier Fall, Tatort, Chandani und ihr Elefant, Max-Ophüls-Preis 2008) Tan Dun (seit den 1980ern, u. a. Tiger and Dragon, Dämon – Trau keiner Seele, Oscar- & Grammy-Preisträger) Arié Dzierlatka (1970er – 1990er, u. a. Messidor) E Bernard Ebbinghouse (1960er–1970er, u. a. Die Pille war an allem schuld, britische Edgar-Wallace-Filme) Randy Edelman (seit den 1970ern, u. a. Dragonheart, Die Maske) Stephen Edwards (seit den 1990ern, u. a. Tai Chi, Children of the Corn: Revelation) Bernhard Eichhorn (1940er–1970er, u. a. Die Feuerzangenbowle, Königskinder) Cliff Eidelman (seit den 1980ern, u. a. Star Trek VI: Das unentdeckte Land, Now and Then – Damals und heute) Ludovico Einaudi (seit den 1980ern, u. a. Nicht von dieser Welt, This Is England, Echo-Preisträger) Werner Eisbrenner (1930er–1970er, u. a. Buddenbrooks, Berliner Ballade) Hanns Eisler (1920er–1960er, u. a. Die Hexen von Salem (Hexenjagd), Nacht und Nebel) Jon Ekstrand (seit den 2000ern, u. a. Easy Money – Spür die Angst, Leo) Konrad Elfers (1920er–1980er, u. a. Pippi Langstrumpf, Finale in Berlin) Danny Elfman (seit den 1980ern, u. a. Good Will Hunting, Men in Black, Milk, u. a. Emmy-Preisträger) Jonathan Elias (seit den 1980ern, u. a. Pathfinder – Fährte des Kriegers, Kinder des Zorns) Karim Sebastian Elias (seit den 2000ern, Rolf-Hans Müller Preis für Filmmusik 2004, Deutscher Fernsehpreis 2008) Ilan Eshkeri (seit den 2000ern, u. a. Der Sternwanderer, Kick-Ass) F Harold Faltermeyer (seit den 1980ern, u. a. Beverly Hills Cop – Ich lös’ den Fall auf jeden Fall, Top Gun, Grammy-Preisträger) Sharon Farber (seit den 1990ern, u. a. Und Nietzsche weinte) Johannes Fehring (1950er–1970er, u. a. Charleys Tante, Kaiserball) George Fenton (seit den 1970ern, u. a. Deep Blue, Sweet Home Alabama – Liebe auf Umwegen) Erich Ferstl (1960er–1980er, u. a. Die Antwort kennt nur der Wind, Der sanfte Lauf) Gianni Ferrio (seit den 1950ern, u. a. Der Mann aus Virginia, Ein Loch im Dollar) Brad Fiedel (seit den 1970ern, u. a. Terminator, Die Schlange im Regenbogen) Günther Fischer (seit den 1970ern, u. a. Froschkönig, Unser Lehrer Doktor Specht) Annette Focks (seit den 1990ern, u. a. John Rabe, Krabat, Deutscher Fernsehpreis 2005) Claude Foisy (seit den 1990ern, u. a. 2002 – Durchgeknallt im All, Pontypool, Wrong Turn 3: Left For Dead, Wrong Turn 4: Bloody Beginnings) Frank Fox (1930er–1960er, u. a. Schwarzwaldmädel, Königin einer Nacht) Siegfried Franz (1950er–1970er, u. a. Geliebte Hochstaplerin, Der Lügner) Hugo Friedhofer (1930er–1970er, u. a. Manfred von Richthofen – Der Rote Baron, Das Rettungsboot) Fred Frith (seit den 1980ern, u. a. Tango-Fieber, Rage) John Frizzell (seit den 1990ern, u. a. Alien – Die Wiedergeburt, Whiteout) Fabio Frizzi (seit den 1960er, u. a. Ein Zombie hing am Glockenseil, Aladin) Heinz Funk (in den 1960ern, u. a. Die Gentlemen bitten zur Kasse, Die toten Augen von London) G Steve Garbade (seit 2013 u. a. Daisy Belle, TV-Serien Ruthless, Emmy-Preisträger) Antón García Abril (1950er–1990er, u. a. Die Nacht der reitenden Leichen, Die Rückkehr der reitenden Leichen) Russell Garcia (1940er–1960er, u. a. Die Zeitmaschine, Die Leute von der Shiloh Ranch) Heino Gaze (1950er–1960er, u. a. Wenn der Vater mit dem Sohne, Witwer mit fünf Töchtern) Lisa Gerrard (seit den 1990ern, u. a. Gladiator, Salem’s Lot – Brennen muss Salem) Michael Giacchino (seit Mitte der 1990er, u. a. Fringe, Star Trek, Oben, Oscar-Preisträger) Richard Gibbs (seit den 1980ern, u. a. Wedlock, Königin der Verdammten) Heinz Gietz (1950er–1960er, u. a. Kriminaltango, Musik ist Trumpf) Philip Glass (seit den 1980ern, u. a. Koyaanisqatsi) Nick Glennie-Smith (seit den 1990ern, u. a. The Rock, Der Mann in der eisernen Maske) Nikolaus Glowna (seit den 1990ern, u. a. Solo für Klarinette, Stolberg) Ernest Gold (1940er–1970er, u. a. Exodus, Das letzte Ufer) Billy Goldenberg (1960er–1970er, u. a. Kojak-Serie) Elliot Goldenthal (seit den 1980ern, u. a. Interview mit einem Vampir, Alien 3, Oscar-Preisträger) Jerry Goldsmith (1960er–2000er, u. a. Planet der Affen, Chinatown, Star Trek: Der Film, Oscar-Preisträger) Joel Goldsmith (1980er–2010er, u. a. Stargate – Kommando SG-1, Moon 44) Joseph Julián González (seit den 1990ern, u. a. Curdled – Der Wahnsinn) Miles Goodman (1970er–1990er, u. a. La Bamba, Teenwolf) Ron Goodwin (1960er–1970er, u. a. Miss-Marple-Filme, Wie ein Schrei im Wind, Frenzy) Christopher Gordon (seit den 1990ern, u. a. Daybreakers, Master & Commander – Bis ans Ende der Welt) Adam Gorgoni (seit den 1990ern, u. a. Candyman 3 – Der Tag der Toten, Dead Girl) Peter Gotthardt (seit den 1960ern, u. a. Die Legende von Paul und Paula, Schneeweißchen und Rosenrot) Ron Grainer (1960er–1980er, u. a. TV-Serien Doctor Who, Maigret) Allan Gray (1930er–1950er, u. a. F.P.1 antwortet nicht, African Queen) Will Gregory (seit den 1990ern, u. a. Undercover, Nowhere Boy) Harry Gregson-Williams (seit den 1990ern, u. a. Shrek, Die Chroniken von Narnia) Andreas Grimm (seit den 1990ern, u. a. Ladykracher, Pastewka) Franz Grothe (1930er–1960er, u. a. Napoleon ist an allem schuld, Das Haus in Montevideo) Dave Grusin (seit den 1960ern, u. a. Die fabelhaften Baker Boys) Jay Gruska (seit den 1980ern, u. a. Charmed, Supernatural) Oliver Gunia (seit den 2000ern, u. a. Die Rosenheim-Cops, In aller Freundschaft) Paul Vincent Gunia (seit den 1970ern, TV-Serien wie In aller Freundschaft, Auf Achse) Christopher Gunning (seit den 1970ern, u. a. Unter Verdacht, Verborgenes Feuer) Artur Guttmann (1920er–1940er, u. a. Scampolo, ein Kind der Straße, Man braucht kein Geld) H Erwin Halletz (1950er–1990er, u. a. Der letzte Akt, Der Schatz der Azteken) Marvin Hamlisch (seit den 1960ern, u. a. James Bond 007 – Der Spion, der mich liebte, Der Informant!) Jan Hammer (seit Ende der 1960er Jahre, insbesondere Miami Vice, Grammy-Preisträger) Wolfgang Hammerschmid (seit Mitte der 1980er Jahre, insbesondere Der Schattenmann, Deutscher Filmmusikpreis 1995 für Der Blaue, MD Grimme-Preis) Herbie Hancock (seit Mitte der 1960er Jahre, u. a. Ein Mann sieht rot, Um Mitternacht, Oscarpreisträger) John Harrison (seit den 1980ern, u. a. Zombie 2, Creepshow) Leigh Harline (1930er–1960er, u. a. Schneewittchen und die sieben Zwerge, Der mysteriöse Dr. Lao) Richard Hartley (seit den 1970ern, u. a. Wilder Zauber, Angst vor der Dunkelheit, Emmy-Preisträger) Paul Haslinger (seit Mitte der 1980er Jahre, u. a. Underworld, Death Race, Motel) Lennie Hayton (1940er–1960er, u. a. Die Spur im Dunkel, Die süße Falle, Oscar-Preisträger) Neal Hefti (1950er–1970er, u. a. Ein seltsames Paar, Boeing-Boeing) Reinhold Heil (seit den 1980ern, u. a. Sophie Scholl – Die letzten Tage, Blood and Chocolate) Gerhard Heinz (seit den 1960ern, u. a. Hochwürden drückt ein Auge zu, Der Bockerer) Christian Henson (seit den 2000ern, u. a. Severance, Scorpion – Der Kämpfer) Paul Hepker (seit den 1990ern, u. a. Tsotsi, Machtlos) Hans Werner Henze (seit den 1960ern, u. a. Der junge Törless, Eine Liebe von Swann) Bernard Herrmann (1940er–1970er, u. a. Die Wiege des Bösen, Citizen Kane, Oscar-Preisträger) Peter Herrmann (seit den 1990ern, u. a. Hinterholz 8, Freispiel) Grégoire Hetzel (seit den 2000er, u. a. Jellyfish – Vom Meer getragen, Die Frau die singt – Incendies, The Tree) Werner Richard Heymann (1920er–1960er, u. a. Sein oder Nichtsein, Faust – eine deutsche Volkssage) Tom Hiel (seit den 1990ern, u. a. Practice – Die Anwälte, Sharktopus) Hildur Guðnadóttir (seit den 2010ern, u. a. Chernobyl, Joker, Oscar-, Golden-Globe-, Emmy- und mehrfache Grammy-Preisträgerin) Joel Hirschhorn (1960er–2000er, u. a. Elliot, das Schmunzelmonster, Streethunter, Oscar-Preisträger) Joe Hisaishi (seit den 1980ern, u. a. Flecki, mein Freund, Prinzessin Mononoke) Wolfgang Hohensee (1950er–1980er, u. a. Das grüne Ungeheuer) James Horner (1970er–2010er, u. a. Braveheart, Titanic, Avatar, mehrfacher Oscar- und Grammy-Preisträger) Joachim Holbek (seit den 1980ern, u. a. Europa, Freeze – Alptraum Nachtwache) Lee Holdridge (seit den 1970ern, u. a. Die verrückte Kanone, Die Nebel von Avalon, Emmy-Preisträger) Nicholas Hooper (seit den 1990ern, u. a. Harry Potter und der Orden des Phönix, Mord auf Seite eins) James Newton Howard (seit Mitte der 1980er Jahre, u. a. Pretty Woman, The Sixth Sense, Defiance – Für meine Brüder, die niemals aufgaben) Alan Howarth (seit den 1980ern, u. a. Die Fürsten der Dunkelheit, Halloween V – Die Rache des Michael Myers) Gottfried Huppertz (1920er–1930er, u. a. Metropolis, Die Nibelungen) Dick Hyman (seit den 1950ern, u. a. Mondsüchtig, Geliebte Aphrodite, Emmy-Preisträger) Ole Høyer (1960er–1990er, u. a. Jungfernstreich, Der schmucke Arne und Rosa) I Akira Ifukube (1940er–1990er, u. a. Godzilla, Die Rückkehr des King Kong) Peter Igelhoff (1930er–1970er, u. a. Natürlich die Autofahrer, Wir machen Musik) Alberto Iglesias (seit den 1980ern, u. a. Der ewige Gärtner, Die Liebenden des Polarkreises) Shin’ichirō Ikebe (seit den 1970ern, u. a. Ode an die Freude, Mirai Shōnen Conan) Günther Illi (seit den 1990ern, u. a. Die Nonne und der Kommissar, Zivilcourage) Neil Innes (seit den 1970ern, u. a. Erik der Wikinger) Pat Irwin (seit den 1980ern, u. a. Pepper Ann, Angela Anaconda) Mark Isham (seit den 1980ern, u. a. Von Löwen und Lämmern, Amy und die Wildgänse, Emmy-Preisträger) Chu Ishikawa (seit den 1980ern, u. a. Tetsuo: The Iron Man, Nightmare Detective) Robert Israel (seit den 1990ern, Nachvertonungen u. a. The Racket, Unterwelt) J Steve Jablonsky (seit den 2000ern, u. a. Transformers) Peter Janda (seit den 1980ern, u. a. Müllers Büro) Maurice Jarre (1950er–2000er, u. a. Doktor Schiwago) Michael Jary (1930er–1950er, Blutsbrüderschaft, Vater sein dagegen sehr) Laurie Johnson (1960er–1980er, u. a. die Serien Mit Schirm, Charme und Melone und Die Profis) Adrian Johnston (seit den 1990ern, u. a. Wiedersehen mit Brideshead) Dan Jones (seit den 1990ern, u. a. Lady Macbeth, Ein Song zum Verlieben, Shadow of the Vampire) Hans Jönsson (1960er–1970er, u. a. zwei Durbridge-Filme) Trevor Jones (seit den 1980ern, u. a. Mississippi Burning, Der letzte Mohikaner) David Julyan (seit den 2000ern, u. a. The Descent) Walter Jurmann (1930er–1940er, u. a. Marx-Brothers-Filme) K Jan A. P. Kaczmarek (seit den 1980ern, u. a. Horsemen, Wenn Träume fliegen lernen, Oscarpreisträger) Takashi Kako (seit 1977, u. a. Verschwörung der Kinder, The Quarry, Amida-do dayori) Steffen Kaltschmid (seit 1999, u. a. Die Pilgerin, Tatort, Bernd das Brot, Die Stimme des Adlers) Michael Kamen (1970er–2000er, u. a. Stirb-langsam-Reihe, Lethal Weapon-Reihe, Robin Hood – König der Diebe) Tuomas Kantelinen (seit den 1990ern, u. a. Die beste Mutter, Arn – Der Kreuzritter, Jussi-Preisträger) Bronisław Kaper (1930er–1960er, u. a. Lili, Meuterei auf der Bounty, Oscarpreisträger) Fred Karlin (1960er–1990er, u. a. Liebhaber und andere Fremde, Die Geschichte der Jane Pittman, Oscar- und Emmy-Preisträger) Kenji Kawai (seit den 1980ern, u. a. Avalon – Spiel um dein Leben, Ip Man) Juri Khanon (* 1988 bis 1992 Jahre, u. a. Tage der Finsternis, Rette und spare, Das Chagrinknochen, Felix-Preisträger) Wojciech Kilar (1960er–2010er, u. a. Bram Stoker’s Dracula, Die neun Pforten, Der Pianist, César-Preisträger) David Kitay (seit den 1980ern, u. a. Scary Movie, Harold & Kumar, Kuck mal, wer da spricht!) Philipp F. Kölmel (seit den 1990ern, u. a. Cascadeur, Französisch für Anfänger, Willkommen in Kölleda, Rubinrot) Krzysztof Komeda (1960er, u. a. Tanz der Vampire, Rosemaries Baby, Golden-Globe-Preisträger) Erich Wolfgang Korngold (1930er–1950er, u. a. Ein rastloses Leben, Robin Hood, König der Vagabunden, Oscarpreisträger) Mark Korven (seit den 1980ern, u. a. Das weiße Zimmer, Curtis’ Charm, Genie-Preisträger) L Francis Lai (seit den 1960ern, u. a. Bilitis, Ein Mann und eine Frau, Das Traumschiff, Oscar-Preisträger) Reinhard Lakomy (1970er–1990er, u. a. Der Drache Daniel, Nelken in Aspik) Rob Lane (seit den 1990ern, u. a. Elizabeth I, Red Dust – Die Wahrheit führt in die Freiheit) Hans Lang (1930er–1960er, u. a. Verlobung am Wolfgangsee, Die Lindenwirtin vom Donaustrand) Nathan Larson (seit den 1990ern, u. a. Tigerland, Lovesong for Bobby Long) Richard LaSalle (1950er–1980er, u. a. Tagebuch eines Mörders, Verschollen zwischen fremden Welten) David Nessim Lawrence (seit den 1990ern, u. a. American Pie – Wie ein heißer Apfelkuchen, Harper’s Island) Byung-woo Lee (seit den 1990ern, u. a. The Host, Mother) Raymond Lefèvre (1950er–1980er, u. a. Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe, Hasch mich, ich bin der Mörder) Michel Legrand (seit den 1950ern, u. a. Yentl, Die drei Musketiere, Oscar- & Golden Globe-Preisträger) Johannes Lehniger (seit den 2000ern, u. a. Tatort, Tore tanzt, Die Kaiserin) Christopher Lennertz (seit den 1990ern, u. a. Hop – Osterhase oder Superstar?, Supernatural) Paul Leonard-Morgan (seit den 2000ern, u. a. Gerichtsmediziner Dr. Leo Dalton, Spooks – Im Visier des MI5, Ohne Limit) Wolfgang Lesser (1950er–1960er, u. a. König Drosselbart, Beschreibung eines Sommers) Leo Leux (1930er–1950er, u. a. Truxa, Der Störenfried) Sylvester Levay (seit den 1980ern, u. a. Airwolf, Die City-Cobra) Michael J. Lewis (seit den 1960ern, u. a. Sprengkommando Atlantik, Theater des Grauens) Daniel Licht (seit den 1990ern, u. a. Dexter, Thinner – Der Fluch) Joseph LoDuca (seit den 1980ern, u. a. Tanz der Teufel, Xena – Die Kriegerprinzessin, Emmy-Preisträger) Markus Lonardoni (seit den 1980ern, u. a. Die Deutschen, Tatort) Michał Lorenc (seit den 1980ern, u. a. Exit in Red, Frühling im Herbst) Adam Lukas (seit den 2010ern, Emmy-Preisträger) Deborah Lurie (seit den 1990ern, u. a. Plötzlich verliebt, 9) Elisabeth Lutyens (1940er-1970er, u. a. Haus des Grauens, Der Schädel des Marquis de Sade) Danny Lux (seit den 1990er, u. a. Boston Public, Boston Legal, Ally McBeal, My Name Is Earl, Sabrina – Total Verhext!) M Egisto Macchi (1960er–1990er, u. a. Novembermond, Bandidos) Theo Mackeben (1930er–1950er, u. a. Tanz auf dem Vulkan, Heimat) Hans-Martin Majewski (1930er–1990er, u. a. Die Brücke, Das fliegende Klassenzimmer) Nikos Mamangakis (seit den 1960ern, u. a. Heimat – Eine deutsche Chronik, Kaspar Hauser) Mark Mancina (seit den 1980ern, u. a. Bad Boys – Harte Jungs, Tarzan) Henry Mancini (1950er–1990er, u. a. Peter Gunn, Frühstück bei Tiffany, Der rosarote Panther, Baby Elephant Walk, Grammy- und Oscar-Preisträger) Harry Manfredini (seit den 1970ern, u. a. Freitag der 13., Wes Craven’s Wishmaster) Clint Mansell (seit den 1990ern, u. a. Requiem for a Dream, The Wrestler) Anthony Marinelli (seit den 1980ern, u. a. 15 Minuten Ruhm, Sliders – Das Tor in eine fremde Dimension) Dario Marianelli (seit den 1990ern, u. a. V wie Vendetta, Der Solist, Oscar- und Golden Globe-Preisträger) Andrzej Markowski (1950er–1960er, u. a. Der schweigende Stern) Franklyn Marks (1950er–1970er für die Disney-Studios) Cliff Martinez (seit den 1980ern, u. a. Narc, Der Mandant) Willy Mattes (1940er–1970er, u. a. Der Frosch mit der Maske, Der rote Kreis) Brian May (1960er–1990er, u. a. Mad Max 1 & 2, Missing in Action 2 – Die Rückkehr) Hans May (1920er–1950er, u. a. Ein Lied geht um die Welt, Der große Unbekannte) Dennis McCarthy (seit den 1970ern, u. a. Star Trek: Treffen der Generationen, MacGyver, Emmy-Preisträger) Joel McNeely (seit den 1980ern, u. a. Star Force Soldier, Die Geister der Titanic, Emmy-Preisträger) Bear McCreary (seit den 2000ern, u. a. Battlestar Galactica, The Walking Dead, Outlander, Godzilla II: King of the Monsters) Alois Melichar (1930er–1950er, Das doppelte Lottchen, Das unsterbliche Herz) Alan Menken (seit den 1980ern, u. a. Der kleine Horrorladen, Die Schöne und das Biest, Oscar-, Golden Globe-, Grammy-Preisträger) Edmund Meisel (1920er–1930er, u. a. Panzerkreuzer Potemkin, Der rote Kreis) Will Meisel (1930er–1960er, u. a. Königin einer Nacht, Ein Walzer für dich) Hansom Milde-Meißner (1920er–1950er, u. a. Der Gasmann, Mädchen in Uniform) Paul Misraki (1930er–1990er, u. a. Schrei, wenn du kannst, Zwischenlandung in Paris) Cyril Mockridge (1930er–1960er, u. a. Der Mann, der Liberty Valance erschoß, Der Hund von Baskerville) Charlie Mole (seit den 1980ern, u. a. Verbrechen verführt, Othello) Fred Mollin (seit den 1970ern, u. a. Nick Knight – Der Vampircop, Freitag der 13. Teil VIII – Todesfalle Manhattan) Piero Montanari (seit den 1980ern, u. a. Ghosthouse) Hugo Montenegro (1960er–1970er, u. a. Wenn Killer auf der Lauer liegen, Bezaubernde Jeannie) Guy Moon (seit den 1980ern, u. a. Die Brady Family, Danny Phantom) Mike Moran (seit den 1970ern, u. a. Time Bandits, Wasser – Der Film) Giorgio Moroder (seit den 1970ern, u. a. Scarface, Flashdance, Oscar-Preisträger) Ennio Morricone (1950er-2010er, u. a. Spiel mir das Lied vom Tod, Mission, Grammy-, Golden Globe-, Oscar-Preisträger) John Morris (seit den 1960ern, u. a. Der wilde wilde Westen, Der Elefantenmensch, Emmy-Preisträger) Jerome Moross (1940er–1960er, u. a. Abenteuer am Mississippi, Weites Land) Stéphane Moucha (seit den 1990ern, u. a. Die Fremde, Das Leben der Anderen) Dominic Muldowney (seit den 1970ern, u. a. 1984, Die Scharfschützen) Rolf-Hans Müller (1950er–1980er, u. a. Salto Mortale, Alle meine Tiere) Siggi Mueller (seit den 1980ern, u. a. Mein Mann, mein Leben und du, Erkan & Stefan in Der Tod kommt krass) John Murphy (seit den 1990ern, u. a. Kick-Ass, Sunshine) Jennie Muskett (seit den 1980ern, u. a. Der Prinz & ich, Robinson Crusoe) Jean Musy (seit den 1970ern), u. a. Le bahut va craquer, Bitter und süß Stanley Myers (1950er–1990er, u. a. Die durch die Hölle gehen, Mein wunderbarer Waschsalon) Fred Myrow (1960er–1990er, u. a. Das Böse, Reise zur Insel der Geister) N Gerd Natschinski (1950er–1980er, u. a. Heißer Sommer) Thomas Natschinski (seit den 1960ern, u. a. Spuk unterm Riesenrad, Spuk von draußen) Wilhelm Neef (1950er–1990er, u. a. Die Söhne der großen Bärin, Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse) Alfred Newman (1930er–1970er, u. a. Airport, Anastasia, Oscar-Preisträger) David Newman (seit den 1980ern, u. a. Ice Age, Anastasia) Randy Newman (seit den 1970ern, u. a. Toy Story, Der Unbeugsame, Oscar-Preisträger) Thomas Newman (seit den 1970ern, u. a. Findet Nemo, The Green Mile, Emmy- und Grammy-Preisträger) Lennie Niehaus (seit den 1970er, u. a. Erbarmungslos, Bird, Emmy-Preisträger) Charly Niessen (1950er–1980er, u. a. Das blaue Meer und Du, Hula-Hopp, Conny) José Nieto (seit den 1970ern, u. a. Goyas Geister, Captain Apache) Jack Nitzsche (1960er–1990er, u. a. Der Exorzist, Das siebte Zeichen, Oscar- und Golden Globe-Preisträger) Adam Nordén (seit den 1990ern, u. a. Direct Action, Zozo) Erik Nordgren (1940er–1970er, u. a. Das Lächeln einer Sommernacht, Wie in einem Spiegel) Alex North (1930–1970er, u. a. Good Morning, Vietnam, Spartacus Emmy- und Golden Globe-Preisträger) Julian Nott (seit den 1980ern, u. a. Wallace & Gromit – Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen) Michael Nyman (seit den 1980ern, u. a. Das Piano, Gattaca) O Rainer Oleak (seit den 1980ern, u. a. Der Zimmerspringbrunnen, Klinikum Berlin Mitte – Leben in Bereitschaft) Lotar Olias (1930er–1960er, u. a. Freddy und der Millionär, Kaiserball) Riz Ortolani (seit den 1950ern, u. a. Mondo Cane, Allein gegen die Mafia) Atli Örvarsson (seit den 1990ern, u. a. Babylon A.D., 8 Blickwinkel) John Ottman (seit den 1990ern, u. a. Superman Returns, Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat) Wjatscheslaw Alexandrowitsch Owtschinnikow (1930er–1980er, u. a. Krieg und Frieden, Andrej Rubljow) P Don Peake (seit den 1970ern, u. a. Hügel der blutigen Augen, Das Haus der Vergessenen) Heitor Pereira (seit den 2000ern, u. a. Dirty Dancing 2: Havana Nights, Unterwegs mit Jungs) Jean-Claude Petit (seit den 1980ern, u. a. Cyrano von Bergerac, Les Misérables, Cesar-Preisträger) Stu Phillips (seit den 1960ern, u. a. Ein Sheriff in New York, Blumen ohne Duft) Sebastian Pille (seit den 2000ern, u. a. Jagdzeit – Den Walfängern auf der Spur, Mit sechzehn bin ich weg) Nicola Piovani (seit den 1960ern, u. a. Das Leben ist schön, Das Sams, Oscar-Preisträger) Edward H. Plumb (1940er–1950er, u. a. Bambi, Pinocchio) Jocelyn Pook (seit den 1990ern, u. a. Eyes Wide Shut, Everest – Wettlauf in den Tod) Basil Poledouris (1970er–2000er, u. a. RoboCop, Jagd auf Roter Oktober) Conrad Pope (seit den 1990ern, u. a. Metalbeast, Die Frauen des Hauses Wu) Steve Porcaro (seit den 1990ern, u. a. A Murder of Crows – Diabolische Versuchung, Metro – Verhandeln ist reine Nervensache) Rachel Portman (seit den 1980ern, u. a. Jane Austens Emma, Gottes Werk und Teufels Beitrag, Oscar-Preisträgerin) Mike Post (seit den 1980ern, zahlreiche TV-Serien, u. a. Das A-Team, Hunter, Law & Order, Magnum) John Powell (seit den 1980ern, u. a. Im Körper des Feindes, Flug 93, Hancock) Zbigniew Preisner (seit den 1980ern, u. a. Hitlerjunge Salomon, Drei Farben: Weiß) Steven Price (seit den 2010ern, u. a. Herz aus Stahl, Gravity (Film), Oscar-Preisträger) André Previn (seit den 1940ern, u. a. Gigi, Elmer Gantry (Film), Oscar-Preisträger) Anton Profes (1930er–1960er, u. a. Sissi, Der weiße Traum) Claudio Puntin (seit den 1990ern, u. a. Sunset in Venice, Soundless Wind Chime) R Peer Raben (1960er–2000er, u. a. Die flambierte Frau, Lili Marleen) Trevor Rabin (seit den 1970ern, u. a. Armageddon – Das jüngste Gericht, Der Staatsfeind Nr. 1) A. R. Rahman (Seit den 1990ern, u. a. Slumdog Millionär, 127 Hours, Oscar-Preisträger) Robert O. Ragland (1960er–2000er, u. a. American Monster, Showdown) David Raksin (1930er–1990er, u. a. The Day After – Der Tag danach, Colorado) Ernö Rapée (1920er–1940er, u. a. The Man Who Laughs, König der Könige) Matthias Raue (seit den 1980ern, u. a. Flussfahrt mit Huhn, Adelheid und ihre Mörder) Mathias Rehfeldt (seit den 2010ern, u. a. Der Zauberlehrling, Walpurgisnacht – Die Mädchen und der Tod) Niki Reiser (seit den 1980ern, u. a. Alles auf Zucker!, Die weiße Massai) Graeme Revell (seit den 1980ern, u. a. Sin City, The Crow – Die Krähe) Egon Riedel (seit den 1990ern, u. a. Das Blut der Templer, Hui Buh – Das Schlossgespenst) Diana Ringo (seit den 2020er, u. a. KARAntin) J. Peter Robinson (seit den 1980ern, u. a. Mit Herz und Hand, Mr. Nice Guy) Carsten Rocker (seit den 1990ern, u. a. Dass du ewig denkst an mich, Verschollen) Heinz Roemheld (1930er–1960er, u. a. Draculas Tochter, Im Westen nichts Neues, Oscar-Preisträger) Fabian Römer (seit den 1990ern, u. a. Jimmie, Die Tür) Stephan Römer (seit 2009, u. a. Die Fallers, Der kleine Drache Kokosnuss) Jeff Rona (seit den 1990ern, u. a. White Squall – Reißende Strömung, Die eiskalte Clique) David Rose (1940er–1980er, u. a. Das Korsarenschiff, Unternehmen Petticoat, Emmy-Preisträger) Raimund Rosenberger (1950er–1980er, u. a. Der Henker von London, Der Haustyrann) Leonard Rosenman (1950er–2000er, u. a. Der Herr der Ringe, Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart) Laurence Rosenthal (seit den 1950ern, u. a. Kampf der Titanen, Meteor, Emmy-Preisträger) Sven Rossenbach (seit 2001, u. a. Im Angesicht des Verbrechens, Das weiße Kaninchen) Nino Rota (1930er–1970er, u. a. Der Pate, Achteinhalb, Grammy-, Golden Globe- und Oscar-Preisträger) Miklós Rózsa (1930er–1980er, u. a. Ben Hur, El Cid, Quo vadis?, Oscar-Preisträger) Arthur B. Rubinstein (seit den 1970ern, u. a. WarGames – Kriegsspiele, Gegen die Zeit, Emmy-Preisträger) Marius Ruhland (seit den 1990ern, u. a. Anatomie, Heaven) Jeff Russo (seit 2009, u. a. Fargo, Star Trek: Discovery, Mile 22, Emmy-Preisträger) Carlo Rustichelli (1930er–1990er, u. a. Vier für ein Ave Maria, Scheidung auf italienisch) S Ryūichi Sakamoto (seit den 1980ern, u. a. Der letzte Kaiser, Little Buddha, Oscar- und Grammy-Preisträger) Oskar Sala (1940er–2000er, u. a. Schneeweißchen und Rosenrot, Die Vögel) Hans J. Salter (1930er–1960er, u. a. Der Henker von London, Herbststürme) Peter Sandloff (1950er–1980er, u. a. Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse, Der Rächer) Gustavo Santaolalla (seit den 1980ern, u. a. Babel, Brokeback Mountain, Oscarpreisträger) Karl-Ernst Sasse (1960er–1990er, u. a. Spur des Falken, Blutsbrüder) Camille Sauvage (seit 1946 in Frankreich) Dale Schacker (seit den 1980er, u. a. Saber Rider und die Starsheriffs, Voltron, Widget – Der kleine Wächter) Lalo Schifrin (seit den 1950ern, u. a. THX 1138, Kobra, übernehmen Sie, Grammy-Preisträger, Filmmusikpreis für sein Lebenswerk) Andreas Schilling (seit den 1990ern, u. a. Edelweißpiraten) Dieter Schleip (seit den 1980ern, u. a. Der Rote Kakadu, Der Felsen, u. a. Deutscher Fernsehpreis, Preis der deutschen Filmkritik, Adolf-Grimme-Preis) Willy Schmidt-Gentner (1920er–1950er, u. a. Nathan der Weise, Emil und die Detektive) Enjott Schneider (seit den 1970ern, u. a. 23 – Nichts ist so wie es scheint, Stalingrad) Frank Schreiber (seit den 2000ern, u. a. Manou The Swift, Ummah – Unter Freunden) Eric Serra (seit den 1980ern, u. a. Im Rausch der Tiefe, James Bond 007 – GoldenEye, Das fünfte Element, César-Preisträger) Theodore Shapiro (seit den 1990er Jahren, u. a. Die Eisprinzen, Der Teufel trägt Prada, Ich, Du und der Andere) Edward Shearmur (seit den 1990er Jahren, u. a. Johnny English, Jakob der Lügner, Emmy-Preisträger) Sherman-Brüder (Mitte der 1950er bis frühe 1970er Jahre, u. a. Mary Poppins, Das Dschungelbuch, Grammy-Preisträger) Howard Shore (seit den 1980ern, u. a. Das Schweigen der Lämmer, Der Herr der Ringe, Aviator, mehrfacher Oscar- und Grammy-Preisträger) Alan Silvestri (seit den 1980ern, u. a. Zurück in die Zukunft, Forrest Gump, Cast Away, Grammy-Preisträger) Paul J. Smith (Mitte der 1930er Jahre bis 1960er Jahre, u. a. Pinocchio, Cinderella, Oscarpreisträger) Mark Snow (seit den 1970ern, u. a. Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI, Smallville) Johan Söderqvist (seit den 1990er Jahren, u. a. Effi Briest, So finster die Nacht) Carl Stalling (1920er bis 1990er Jahre, Musik für mehr als 700 Zeichentrickfilme, u. a. Micky Maus und Looney Tunes) Richard Stauch (1930er–1950er; vor allem DEFA-Märchenfilme z. B. Hänsel und Gretel, Aschenputtel) Max Steiner (1930er bis 1960er Jahre, u. a. Der Verräter, Unser Leben mit Vater, Oscarpreisträger) Morton Stevens (seit Anfang der 1960er bis Ende der 1980er Jahre, u. a. Hawaii Fünf-Null) Herbert Stothart (1930er bis Ende 1940er Jahre, u. a. Der Zauberer von Oz, Stolz und Vorurteil, Oscarpreisträger) Marc Streitenfeld (seit den 2000ern, u. a. American Gangster, Robin Hood) Cong Su (seit Ende der 1980er Jahre, u. a. Der letzte Kaiser, Oscarpreisträger) Karel Svoboda (Mitte der 1960er Jahre bis 2000er Jahre, ca. 900 Film- und TV-Musiken, u. a. Die Biene Maja, Die Besucher) T Germaine Tailleferre (1920er-1960er, u. a. Le petit chose) Joby Talbot (seit den 1990ern, u. a. Per Anhalter durch die Galaxis, Der Sohn von Rambow) Frédéric Talgorn (seit den 1990ern, u. a. Asterix bei den Olympischen Spielen, Heavy Metal: F.A.K.K.², Anthony Zimmer) Michael Tavera (seit den 1980ern, u. a. Stitch & Co. – Der Film, Mickys Clubhaus, Schweinchen Wilburs großes Abenteuer) Eugen Thomass (1960er–1990er, u. a. Diese Drombuschs, Zucker – Eine wirklich süße Katastrophe) Peter Thomas (seit den 1960ern, u. a. Der Hexer, Raumpatrouille) Maurice Thiriet (1930er–1970er, u. a. Fanfan, der Husar, Kinder des Olymp) Yann Tiersen (seit den 1990ern, u. a. Die fabelhafte Welt der Amélie, Good Bye, Lenin!, César-Preisträger) Dimitri Tiomkin (1920er–1970er, u. a. Zwölf Uhr mittags, Der alte Mann und das Meer, Oscar-Preisträger) Martin Todsharow (seit den 1990ern, u. a. Agnes und seine Brüder, Elementarteilchen) Tomandandy (seit den 1990ern, u. a. Killing Zoe, Die Mothman Prophezeiungen) John Van Tongeren (seit den 1980ern, u. a. Outer Limits – Die unbekannte Dimension, 4400 – Die Rückkehrer) Ceiri Torjussen (seit den 2000ern, u. a. Wes Craven präsentiert Dracula III – Legacy) Herbert Trantow (1940er–1960er, u. a. Pünktchen und Anton, Auf der Reeperbahn nachts um halb eins) Brian Tyler (seit den 1990ern, u. a. Constantine, John Rambo) Christopher Tyng (seit den 1990ern, u. a. Futurama, O.C., California) U Shigeru Umebayashi (seit den 1980ern, u. a. 2046, Hannibal Rising – Wie alles begann) V Fabio Vacchi (seit den 2000ern, u. a. Gabrielle – Liebe meines Lebens) Vangelis (seit den 1960ern, u. a. Blade Runner, 1492 – Die Eroberung des Paradieses) Ralph Vaughan Williams (1930er–1950er, u. a. Scotts letzte Fahrt) Ben Vaughn (seit den 1980ern, u. a. Hinterm Mond gleich links) James L. Venable (seit den 1990ern, u. a. Jersey Girl, Scary Movie 4) Lucas Vidal (seit den 2000ern, u. a. Make Believe, Mientras duermes und Die Herrschaft der Schatten) Titus Vollmer (seit den 1990ern, u. a. Ein Fall für zwei, Der Alte, Mordkommission Istanbul) W W. G. Snuffy Walden (seit den 1980ern, u. a. Providence, Lipstick Jungle) Shirley Walker (1990er–2000er, u. a. Final Destination, Space 2063) Oliver Wallace (1940er–1960er, u. a. Dumbo, Peter Pan, Oscar-Preisträger) William Walton (1930er–1970er, u. a. Heinrich V., Hamlet) Michael Wandmacher (seit den 1990ern, u. a. Punisher: War Zone, My Bloody Valentine 3D) Thomas Wanker (seit den 1990ern, u. a. The Day After Tomorrow, Dresden) Stephen Warbeck (seit den 1990ern, u. a. Ihre Majestät Mrs. Brown, Shakespeare in Love, Oscar-Preisträger) Toshiyuki Watanabe (seit den 1970ern, u. a. Uchū Kyōdai) Franz Waxman (1930er–1960er, u. a. Boulevard der Dämmerung, Ein Platz an der Sonne, Oscar-Preisträger) Roy Webb (1920er–1960er, u. a. Katzenmenschen, Sindbad der Seefahrer) Matthias Weber (seit den 1990ern, u. a. In 3 Tagen bist du tot, Der Fall des Lemming) Konstantin Wecker (seit den 1970ern, u. a. Die weiße Rose, Bayerischer Filmpreis 2009 für Lippels Traum) Hans-Hendrik Wehding (1950er–1970er, u. a. Vergeßt mir meine Traudel nicht) Ralf Wengenmayr (seit den 1990ern, u. a. Wickie und die starken Männer, Alle meine Töchter) Joachim Werzlau (1950er–1970er, u. a. Jakob der Lügner, Das tapfere Schneiderlein) Walter Werzowa (seit den 1980ern, u. a. Taking Lives – Für Dein Leben würde er töten, Mimic 2) Gert Wilden (seit den 1950ern, u. a. Ich, Dr. Fu Man Chu, Heidi) Rolf Alexander Wilhelm (1950er–1990er, u. a. Pappa ante Portas, Das fliegende Klassenzimmer) Charles Williams (1930er-1940er, u. a. Die 39 Stufen, Eine Dame verschwindet, Das Appartement) David C. Williams (seit den 1970ern, u. a. God’s Army – Die letzte Schlacht, Supernova) John Williams (seit den 1950ern, u. a. Star Wars, Indiana Jones, E.T., Oscar-, Grammy-, Emmy-Preisträger) Joseph Williams (seit den 1990ern, u. a. Roswell, Category 7 – Das Ende der Welt) Patrick Williams (seit den 1960ern, u. a. Vier irre Typen – Wir schaffen alle, uns schafft keiner, Die Straßen von San Francisco) Kasper Winding (seit den 1970ern, u. a. The Flying Devils, Der schöne Badetag, Robert-Preisträger) Herbert Windt (1930er–1960er, u. a. Hunde, wollt ihr ewig leben, Triumph des Willens) Gerhard Winkler (1930er–1960er, u. a. Die Stimme der Sehnsucht, Schwarzwaldmelodie) Debbie Wiseman (seit den 1980ern, u. a. Lesbian Vampire Killers, Freeze Frame) Raymond Wong (seit den 1990ern, u. a. Kung Fu Hustle, Shaolin Kickers) Alex Wurman (seit den 1990ern, u. a. Anchorman – Die Legende von Ron Burgundy, Hollywood Cops) David Wurst (seit den 1990ern, u. a. Storm Catcher, The Foreigner: Black Dawn) Eric Wurst (seit den 1990ern, u. a. Active Stealth, Knight of the Apocalypse) X Stavros Xarchakos (seit den 1960ern, u. a. Rembetiko) Y Gabriel Yared (seit den 1970ern, u. a. Der englische Patient, Zimmer 1408, Oscar-Preisträger) Jo Yeong-wook (seit den 1990ern, u. a. Joint Security Area) Christopher Young (seit den 1980ern, u. a. Ghost Rider, Virtuosity) Victor Young (1930er–1950er, u. a. In 80 Tagen um die Welt, Der Sieger, Oscar-Preisträger) Z Stephan Zacharias (seit den 1990ern, u. a. Der Untergang) Gordon Zahler (1950er–1970er, u. a. Plan 9 aus dem Weltall, Der schweigende Stern) Lee Zahler (1920er–1940er, u. a. Batman und Robin, Der letzte Mohikaner) Geoff Zanelli (seit den 1990ern, u. a. Disturbia, Into the West – In den Westen, Emmy-Preisträger) Marcelo Zarvos (seit den 2000er, u. a. Der gute Hirte, Remember Me – Lebe den Augenblick, Der Biber) Paul Zaza (seit den 1970ern, u. a. Prom Night – Die Nacht des Schlächters) Guy Zerafa (seit den 1990ern, u. a. Sabotage – Dark Assassin, Fulltime Killer, Replicant) Helmut Zerlett (seit den 1980ern, u. a. Neues vom WiXXer, Maria an Callas) Aaron Zigman (seit den 2000ern, u. a. Mr. Magoriums Wunderladen, Sex And The City – Der Film) Hans Zimmer (seit den 1980ern, u. a. Der König der Löwen, The Dark Knight, Inception, Fluch der Karibik, Oscar-Preisträger) Christoph Zirngibl (seit den 2000ern, Jerry Cotton, Neues vom WiXXer) Carl Zittrer (seit den 1980ern, u. a. Prom Night – Die Nacht des Schlächters, Porky’s) Peter Zwetkoff (seit den 1960ern, u. a. Land der Väter, Land der Söhne) Siehe auch Filmmusik Filmkomponist Liste von Komponisten des deutschsprachigen Films Liste von Filmmusik-Komponistinnen Weblink Galerie der Filmkomponisten – Digitale Galerie von Autogrammen bekannter Filmkomponisten inkl. Biographien ! Filmmusik
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https://de.wikipedia.org/wiki/Freeware
Freeware
Freeware ([]; von „kostenlos“ und „Ware“) bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch Software, die vom Urheber zur kostenlosen Nutzung zur Verfügung gestellt wird. Die Programmierer verzichten bei Freeware nur auf eine Nutzungsvergütung, aber nicht auf das Urheberrecht. Den Benutzern wird nur ein Nutzungsrecht eingeräumt. Geschichte Der Begriff Freeware wurde von dem US-amerikanischen Programmierer Andrew Fluegelman begründet, der sein Kommunikationsprogramm PC-Talk 1982 jenseits der üblichen und kostenintensiven Distributionswege vertreiben wollte. Die heutige Bedeutung des Begriffs Freeware ist jedoch eine andere als die damalige, nach heutiger Terminologie würde man bei dem damaligen Vertriebsmodell für PC-Talk von Shareware reden. Begriffsabgrenzung Ein Autor kann nach dem Urheberrecht bei einer Weitergabe seines Werks die vertraglichen Bedingungen in weitem Umfang festlegen. So ist Freeware kein genau definierter, rechtsgültiger Begriff. Es ist in jedem Einzelfall anhand der in einem Endbenutzer-Lizenzvertrag festgelegten Lizenzbedingungen zu prüfen, welche konkreten Rechte der Urheber dem Anwender gewährt. Typische Vertragsbedingungen vom Autor sind etwa, dass die Verbreitung gegen ein Entgelt untersagt ist oder die Nutzung nur für Privatpersonen kostenlos ist, d. h. der Einsatz im kommerziellen Umfeld bedarf einer Lizenzgebühr. Ob bei solchen oder noch weitergehenden Einschränkungen der Nutzung der Begriff Freeware noch zutreffend angewendet wird, ist zumindest unter dem Aspekt der allgemeinen Nutzungsfreiheit strittig. Eine spezielle Form von Freeware liegt bei Software-Produkten vor, die auf ein kostenpflichtiges Betriebssystem aufbauen. Hierbei ist die kostenlose Nutzung an den Besitz anderer Lizenzen und die Zustimmung zur Rechteerweiterung der bestehenden Lizenzen gebunden. Freeware ist meistens proprietär und steht damit laut der Free Software Foundation im Gegensatz zu Freier Software (englisch ), die weitläufigere Freiheiten gewährt, etwa Veränderungen an der Software. Auch wenn Open-Source-Software oftmals ebenfalls vergleichbar kostenlos zur Verfügung gestellt wird, geht die zusätzliche Bearbeitungserlaubnis für die Software viel weiter. Zudem kann auch umgekehrt der Quelltext offen liegen, aber das Produkt verkauft werden. Dies ist häufiger bei Videospielen anzutreffen, die in einem App Store für Mobilgeräte mit Gebühr versehen sind oder bei Veröffentlichungen einer Game-Engine unter freier Lizenz, wobei die Computerspielegrafik weiterhin kommerziell vertrieben wird. Der Unterschied zu Public-Domain-Software ist, dass diese völlig frei nutzbar und veränderbar ist. Ähnliche Lizenzen Für die folgenden Lizenzmodelle wird Freeware in der Regel als Oberbegriff verwendet, teilweise auch synonym. Sie sind allerdings mit Einschränkungen verbunden, die sich aus dem Namen des Lizenzmodells ergeben: Cardware (auch Postcardware genannt) ist eine Form von Freeware, bei der der Autor um die Zusendung einer originellen Grußkarte bittet, soweit das Programm Gefallen gefunden hat. Ähnliche Konzepte gibt es für eine ganze Reihe von Sachspenden an den Autor. Donationware (auch Lohnware genannt) ist eine Form von Freeware, bei der der Autor um Spenden bittet, zumeist um die Unkosten (etwa Server-Kosten) zu decken. Registerware ist Freeware, die jedoch nur gegen eine kostenlose Registrierung heruntergeladen werden kann. Oft werden dabei die angegebenen E-Mail-Adressen verwendet, um Updates oder erweiterte Versionen zu bewerben oder Werbung von Fremdfirmen zu versenden. Eine Weitergabe solcher Programme, auch im privaten Bereich, ist ohne Registrierung meistens ausgeschlossen. Freeware für den privaten Gebrauch ist ein Kaufprogramm, das bei der Verwendung auf gewerblich genutzten Rechnern bezahlt werden muss. Lediglich bei ausschließlich privat genutzten Rechnern darf das Programm kostenlos installiert werden, meist ist aber auch hier eine Registrierung erforderlich. Oft gibt es getrennte Versionen für Privatnutzer und erweiterte Versionen für gewerbliche Nutzung. Bekannte Beispiele hierfür sind Firewall- und Antivirenprogramme. Free-to-play ist ein Businessmodell, welches die kostenlose Verwendung von Computerspiel-Software erlaubt, jedoch häufig optionale Premiuminhalte kostenpflichtig anbietet. Dies hat das Kofferwort Freemium geprägt. Verbreitung Der Begriff Freeware ist in einigen Gebieten anzutreffen: Einmal bei den Computerzeitschriften, die Freeware gerne als vereinfachenden Oberbegriff verwenden (z. B. für freie Software oder Lite-Versionen) und bei Hobbyprogrammierern, die ihre kleineren Software-Projekte auf ihrer Homepage zum kostenlosen Herunterladen anbieten und sich auch nicht mit Software-Lizenzrecht befassen wollen. Viele gängige Datenbanken, Content-Management-Systeme oder Netzwerkprotokolle werden von Open-Source-Communitys programmiert bzw. weiterentwickelt. Die Nutzung dieser Softwares ist kostenlos, die Entwickler bitten die Nutzer um eine Spende. Eine andere Quelle von Freeware ist ehemalige kommerzielle Software, die am Ende ihrer kommerziellen Vermarktung der Nutzergemeinde als Freeware zur Verfügung gestellt wird, teilweise als Promotionaktion für eine neue Software. Teilweise wird frei herunterladbare Freeware zur Verfügung gestellt, um zu verhindern, dass Software nicht mehr erhältliche Abandonware wird, beispielsweise Borland gab einige seiner Legacy-Produkte deswegen frei, z. B. Turbo Pascal oder Diversions Entertainment das Computerspiel One Must Fall. Weblinks Einzelnachweise Software-Lizenz
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz%20Lang
Fritz Lang
Friedrich Christian Anton „Fritz“ Lang (* 5. Dezember 1890 in Wien; † 2. August 1976 in Beverly Hills, Kalifornien) war ein österreichisch-deutsch-US-amerikanischer Schauspieler, Filmregisseur und Drehbuchautor. Nach seiner Heirat mit der deutschen Drehbuchautorin Thea von Harbou erwarb der Österreicher 1922 auch die deutsche und nach seiner Emigration 1939 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Lang prägte die Filmgeschichte mit, indem er – vor allem in der Ära des späten Stummfilms und des frühen Tonfilms – neue ästhetische und technische Maßstäbe setzte. Seine Stummfilme erzählen zumeist utopische und fantastische Geschichten, die in einer expressiv düsteren Atmosphäre inszeniert wurden. In seinen Tonfilmen rückte er einzelne Menschen und deren innere Beweggründe in den Mittelpunkt; ihre Themen waren dem Alltagsleben entnommen und basierten häufig auf Presseberichten. Der Stummfilm Metropolis (1927) und der Tonfilm M (1931) gehören zu den Meilensteinen der deutschen und internationalen Filmgeschichte. In den Vereinigten Staaten drehte er bedeutende Film Noirs wie Blinde Wut (1936), Gefährliche Begegnung (1944), Straße der Versuchung (1945) und Heißes Eisen (1953), weshalb er auch oft zu den Mitbegründern des Genres gezählt wird. Leben und Wirken Elternhaus Fritz Lang wuchs in Wien als Sohn des Stadtbaumeisters Anton Lang (1860–1940) und der Bauunternehmerin Paula Lang (geb. Pauline Schlesinger (1864–1920)) auf. Langs Vater stammte aus Wien, seine Mutter aus Brünn, beide starben in Gars am Kamp, wo sie auch begraben liegen. Nach der 1883 geschlossenen Zivilehe ließen sich Fritz Langs Eltern im Sommer 1900 römisch-katholisch taufen und trauen. Der bereits bei seiner Geburt, 1860, katholisch getaufte, aber wegen der 1883 erfolgten Ziviltrauung mit der Jüdin Paula Schlesinger konfessionslos gewordene Vater kehrte somit äußerlich zum katholischen Glauben zurück. Fritz Langs Mutter, die 1920 auf das Sterbesakrament verzichtet hat, erachtete die katholische Taufe und Erziehung ihrer beiden Söhne Adolf (1884–1961) und Fritz sowie ihrer Tochter (1897–1897), die allerdings totgeboren wurde, als gesellschaftlich wichtig. Aufgrund seiner römisch-katholischen Sozialisation behandelt Fritz Lang in seinen Filmen immer wieder vom Katholizismus beeinflusste Motive und Themen, ohne selbst ausgeprägt religiös zu sein. An Fritz Langs Elternhaus, Zeltgasse 1 (zugleich Piaristengasse 28) im achten Bezirk, wo er abgesehen von seinen Münchner (1912/13–1913/14) und Pariser Studienaufenthalten (1914) sowie seines Kriegsdienstes (1915–1918) von 1900 bis zu seiner Mitte September 1918 erfolgten Übersiedlung nach Berlin wohnte, ist seit 1979 eine möglicherweise inhaltlich fehlerhafte Gedenktafel angebracht, gemäß einer 1986 veröffentlichten Bemerkung des Fritz-Lang-Vertrauten Cornelius Schnauber: „Die Fritz–Lang–Gedenktafel am Wohnhaus in der Piaristengasse in Wien enthält leider falsche Daten.“ Ausbildung Nach dem Abschluss der Schottenfelder Realschule begann Fritz Lang im Wintersemester 1909/10 auf Wunsch der Eltern, die hofften, dass zumindest einer ihrer beiden Söhne den Familienbetrieb übernehme, ein Bauingenieurstudium an der Technischen Hochschule in Wien. Über seine Wiener Jugend- und Studentenjahre, seine Familie und Vorfahren hat Lang bewusst wenig berichtet, vielmehr das wenige Bekannte bzw. Mitgeteilte durch widersprüchliche Orts- und Zeitangaben sowie nachweislich irreführende Behauptungen vernebelt. „Spekulation bleiben auch die umfangreichen Europa– und Weltreisen, die Lang nach eigenen Erzählungen vor dem Ersten Weltkrieg unternommen haben will. Sie lassen sich nicht nachweisen.“ Vielmehr galt sein Interesse dem Studium der Malerei. Im Wintersemester 1910/11 wurde Fritz Lang bei der Aufnahmsprüfung von der Wiener Akademie der bildenden Künste als Schüler abgelehnt, was er zeitlebens verschwiegen hat, obwohl es durch das „Zeugnis-Protokoll der Allgemeinen Malerschule 1905/06 bis 1910/11“ zweifelsfrei dokumentiert ist. Ende 1911 schuf er für die von der Wiener Werkstätte gegründete Theater- und Kabarett-Bühne „Fledermaus“ ein Plakat, das sich bald zum Klassiker entwickelt hat. Im Wintersemester 1912/13 begann er sein drei Semester dauerndes Studium an der Königlichen Kunstgewerbeschule München, wie das von Claudia Schmalhofer im Rahmen ihrer Dissertation (2005) erstellte „Verzeichnis der Schülerinnen und Schüler der Königlichen Kunstgewerbeschule München“ belegt. Um 1914 setzte er seine Ausbildung beim Maler Maurice Denis in Paris fort, die durch den Ersten Weltkrieg abgebrochen wurde. Während des Weltkriegs, im April 1918, hat Lang erneut die Aufnahme in die Wiener Akademie der bildenden Künste angestrebt und diesmal erreicht, wobei folgende „Vorbildung“ vermerkt wurde: „Realmatura, 1 ½ J[ahre] Kunstgewerbeschule in München, 1 J[ahr] Akademie in Paris, Res[erve] L[eutnant].“ Erster Weltkrieg Mit Beginn des Ersten Weltkriegs kehrte Lang 1914 nach Wien zurück. Im August 1914 lebte er im Landhaus seiner Eltern in Gars am Kamp, wovon ein Brief zeugt, in dem er detailliert seine letzten Tage in Paris und die (laut Langs Angaben) turbulente Rückkehr nach Österreich beschreibt. Im Jänner 1915 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und zeichnete sich bei seinem ersten Einsatz an der Front durch große Tapferkeit aus. Von Juni bis Dezember 1915 soll Fritz Lang in Luttenberg in der Steiermark (dem heutigen Ljutomer im Osten Sloweniens) eine Ausbildung zum Reserveoffizier erhalten und im Haus des örtlichen Anwalts Karel Grossmann gelebt haben. Angeblich hat Lang in dieser Zeit, angeregt durch örtliche, traditionelle Töpfereien, auch in Terrakotta gearbeitet. Zwei seiner Porträt-Büsten und zwei Gartenvasen (teils signiert und datiert) werden heute in der Slowenischen Cinematheque (Slovenska kinoteka) in Ljubljana verwahrt. Spätere Filmideen und Ausstattungsmotive Langs sollen sich angeblich auf Anregungen durch Grossmanns Bibliothek und Sammlungen sowie die Architektur und Archäologie der Stadt Ljutomer und ihrer Umgebung zurückführen lassen. Gegen die Darstellung, „daß Lang sich von Juni bis Dezember 1915 in […] Ljutomer, […] aufgehalten haben soll […], sprechen die Angaben, die Lang in seinen Militärpapieren machte, vor allem aber die Einträge in seinem persönlichen Kriegstagebuch. […] Wie dieser Aufenthalt in Ljutomer, wenn er denn tatsächlich stattgefunden hat, sich zeitlich in seine militärische Ausbildung einfügt, bleibt unklar.“ Auch Fritz Langs amtliche Militärpapiere widersprechen dem Ljutomer-Aufenthalt. Es existiert zwar eine datierte und signierte Fotografie, die der spätere Film-Regisseur Fritz Lang am 16. Februar 1916 Karol Grossmann aus einem Spital in Köflach zugesandt haben soll. Allerdings diente Lang im Frühjahr 1916 als Offizier an der russischen Front, wo er am 17. Juni 1916 eine Schulterverletzung erlitten hat. Zudem entsprechen die Köflacher und Ljutomerer Signaturen nicht den von Fritz Lang bekannten Signaturen, weshalb es sich wahrscheinlich um einen Namensvetter Fritz Langs handelt. Langs im Juni 1916 erlittene Kriegsverletzung brachte ihm Genesungsurlaub und zurück nach Wien, wo er Kontakte zu Filmleuten knüpfte und ab 1917 als Drehbuchautor für Joe May zu arbeiten begann (u. a. später bei Die Herrin der Welt und Das indische Grabmal). 1917 musste Lang wieder in den Krieg zurückkehren, wurde jedoch 1918 nach einer zweiten Verwundung für kriegsuntauglich erklärt. 1918 will Fritz Lang in Heinrich Gilardones Kriegs-Propaganda-Spektakel „Der Hias“ im Wiener Ronacher für eine stattliche Gage die Hauptrolle des verwundeten Leutnants gespielt haben, was schwer zu bestätigen bzw. zu widerlegen ist, weil auch 1918 bei den Wiener Aufführungen (wie zuvor in Deutschland) bewusst weder die Namen der Darsteller genannt, geschweige denn Gagen gezahlt wurden: „Es ist wohl überflüssig zu betonen, daß sämtliche Mitwirkenden, denen sich auch einige Damen der Gesellschaft angeschlossen haben, keinerlei Spielhonorar beziehen, die gesamten Einnahmen aus diesen Vorstellungen fließen dem Roten Kreuz für militärische Wohlfahrtseinrichtungen zu. Und da es also auch nach dieser Richtung hin kein Theater im üblichen Sinne sein will, nennt der Theaterzettel keinen einzigen Namen der Mitwirkenden, ja, nicht einmal der Verfasser des Stückes tritt aus seiner bescheidenen Zurückhaltung heraus.“ Auch bei den Wiener Aufführungen blieben die Namen der Darsteller ungenannt. Welche Rolle Fritz Lang 1918 in der Wiener „Hias“-Version gespielt und ob er für seine Mitwirkung tatsächlich die erwähnte hohe Schauspieler-Gage erhalten hat, ist daher fraglich. Erste Ehe Mitte September 1918, bereits vor Kriegsende, zog Fritz Lang nach Berlin, wo er am 13. Februar 1919 vor dem Standesamt Charlottenburg die Schauspielerin Elisabeth „Lisa“ Rosenthal heiratete. Lang hielt seine erste Ehe, deren tragisches Ende seine Filmthemen (Schuld, Verstrickung, Tod und Selbstmord) maßgeblich beeinflusst haben soll, weitgehend geheim. Am 25. September 1920 starb Langs erste Ehefrau nach einem „Brustschuß“. Es wird vermutet, dass sie sich das Leben nahm, nachdem sie Zeugin von Intimitäten ihres Mannes mit Thea von Harbou geworden war, die Lang bei seiner Tätigkeit für May kennengelernt hat und die 1922 seine zweite Ehefrau wurde. Die genauen Umstände bleiben jedoch im Dunkeln: Als Todesursache wurde bei der amtlichen Beerdigungsanmeldung in der Rubrik „Krankheit“ „Brustschuß, Unglücksfall“ angegeben, was den Fritz-Lang Biografen Patrik McGilligan zu Spekulationen verführt hat, dass Lang seine erste Ehefrau ermordet hätte. Bereits 1998 hat der Fritz-Lang-Forscher Georges Sturm McGilligans ebenso spektakuläre wie fragwürdige Fantasien als völlig haltlos in Frage gestellt. Im Jahr 2001 wurde McGilligans Überinterpretation anhand amtlicher Dokumente untersucht, was zu dem Ergebnis geführt hat, dass nicht mehr restlos aufzuklären ist, ob Lisa Langs (geborene Rosenthal) Tod Selbstmord oder Unglücksfall war. Stummfilme Die Abschaffung der Zensur in der Weimarer Republik befreite nach dem Ersten Weltkrieg die Produktionsbedingungen für den Film von äußeren Zwängen. Außerdem machten die generell guten Exportchancen für Stummfilme und die Schwäche der Reichsmark im Deutschland der frühen 1920er Jahre den Dreh auch von monumentalen Filmwerken rentabel, weil allein mit den Deviseneinnahmen aus dem Auslandsgeschäft der größte Teil der Produktionskosten gedeckt werden konnte. In dieser Situation startete Fritz Lang seine Karriere als Filmregisseur, als der er bis Mitte der 1920er Jahre über die Decla-Film bzw. Decla-Bioscop AG und die UFA für den Produzenten Erich Pommer arbeitete. Langs Erstlingswerk als Regisseur war 1919 das Melodram Halbblut, das, wie auch der Nachfolger Der Herr der Liebe, heute als verloren gilt. Der bekannteste und wahrscheinlich auch qualitativ daraus hervorragende Film des Frühwerks ist der ursprünglich als Vierteiler konzipierte Abenteuerfilm Die Spinnen. Der Erfolg des ersten Teils dieses Films zwang Lang dazu, schnellstmöglich den zweiten nachzuliefern, wodurch ihm nach eigener Aussage die Regie für den zur selben Zeit entstandenen Klassiker Das Cabinet des Dr. Caligari entging. Der müde Tod und vor allem der Zweiteiler Dr. Mabuse, der Spieler bescherten dem Regisseur 1921/22 schließlich auch auf internationaler Ebene den künstlerischen und kommerziellen Durchbruch. Im August 1922 heiratete er Thea von Harbou. 1924 konnte er mit dem Helden-Epos Die Nibelungen einen weiteren großen Publikumserfolg feiern. Während einer mehrmonatigen Kreativpause bereiste er anschließend gemeinsam mit Harbou die USA, besuchte New York und die großen Filmstudios in Hollywood. Angeblich soll das Erlebnis der Wolkenkratzer-Ästhetik der Stadt New York Fritz Lang zu seinem bekanntesten Film inspiriert haben, dem 1927 uraufgeführten Science-Fiction-Klassiker Metropolis. Der Legende allerdings widerspricht, dass eine Erich Pommer gewidmete Fassung des Drehbuchs mit einer detaillierten Beschreibung der Stadt Metropolis bereits im Juli 1924 abgeschlossen worden ist, also Monate vor der ersten Amerikareise des Regisseurs im Oktober desselben Jahres. Der Film Metropolis erzählt die Geschichte einer zum Moloch mutierten Riesenstadt und brachte durch seine ausufernden Kosten und seinen Misserfolg an den Kinokassen die Universum Film AG an den Rand des finanziellen Ruins. Seine nächsten beiden Filme musste Lang selbst produzieren: 1928 folgte aus diesem Grund mit Spione ein relativ schmal budgetierter, aber kommerziell erfolgreicher Agentenfilm. Auch das nachfolgende Projekt, der Science-Fiction-Streifen Frau im Mond, war 1929 ein kommerzieller Erfolg, obwohl seine filmhistorische Bedeutung bereits von der Einführung des Tonfilms überschattet wurde – das Werk ging als einer der letzten deutschen Stummfilme in die Filmgeschichte ein. Tonfilme Noch Ende 1929 stand Fritz Lang dem Tonfilm skeptisch gegenüber: Langs erster Tonfilm war M für die Nero-Film AG. Er handelte von einem triebhaften Kindermörder (gespielt von Peter Lorre), der von der kriminellen Unterwelt und der Polizei gleichermaßen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, gejagt wird. Auch hier setzte Lang mittels einer neuen Technik der Tonwiedergabe Akzente: Die stets vom Mörder apathisch gepfiffene Melodie (In der Halle des Bergkönigs aus der Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg) wird von einem blinden Luftballonverkäufer wiedererkannt, worauf der Mörder schließlich überführt werden kann. Mit dem Element Ton ging Lang in M auch darüber hinaus sehr geschickt um, indem er die bereits aus seinen früheren Filmen bekannten Überlappungen verschiedener Szenen zu Montagen auf einen Höhepunkt trieb: In einer Schnittmontage zwischen einer Konferenz der Polizei und einer Konferenz der Unterweltgrößen wurde so geschickt zwischen beiden Seiten hin- und hergeschnitten, dass die jeweils letzten Worte vor dem Schnitt sich mit den ersten Worten der anderen Seite nach dem Schnitt nahtlos zu Sätzen vervollständigen. Die Figur des Dr. Mabuse, über den Lang eine ganze Reihe von Filmen in verschiedenen Epochen drehte, ist der Prototyp des kriminellen Genies, das danach trachtet, die Welt einer „Herrschaft des Verbrechens“ zu unterwerfen. In Das Testament des Dr. Mabuse, Langs zweitem, 1933 ebenfalls für die Nero-Film gedrehten Tonfilm, schreibt die Titelfigur, während sie in einer Zelle in der Psychiatrie einsitzt, ein Handbuch für Verbrecher. Siegfried Kracauer sah darin eine deutliche Anspielung auf Hitlers in Festungshaft entstandenes Buch Mein Kampf. Fritz Lang selbst bestritt in späteren Jahren, Das Testament des Dr. Mabuse als Anspielung auf Hitler konzipiert zu haben, räumte jedoch ein, der Mabuse-Gestalt teils wörtliche Zitate der Nationalsozialisten in den Mund gelegt zu haben. Das noch vor der Uraufführung verhängte Verbot des Films Das Testament des Dr. Mabuse durch Reichspropagandaminister Joseph Goebbels trug in der Folge zur Legendenbildung bei. Im Umgang mit dem Tonfilm zeigte sich Lang auch hier sehr einfallsreich und weitete die bereits aus M bekannte Szenenüberleitung durch Vorwegnahme des Tons der folgenden Szene noch aus. M und Das Testament des Dr. Mabuse gelten als Glanzlichter nicht nur des frühen Tonfilms und werden oft als handwerkliche Höhepunkte in Langs filmischem Schaffen bezeichnet. Emigration Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 schien Langs Karriere zunächst nicht zu berühren, doch wollte er sich künstlerisch den Nationalsozialisten nicht unterordnen. Anfang April 1933 meldete die Zeitschrift Kinematograph, dass Lang zusammen mit Carl Boese, Victor Janson und Luis Trenker die Abteilung Regie in der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) gegründet habe. Diese Aussage lässt sich aber nicht belegen. Lang selber erklärte 1962 in einem Interview, dass er keine leitende Funktion in einer der NSDAP nahestehenden Organisation bekleidet hatte. Nach späteren Angaben Fritz Langs versuchte Goebbels ihn zu überreden, sein Können in den Dienst der Nazis zu stellen. Goebbels soll ihm 1933 in einem persönlichen Gespräch die Leitung des Deutschen Films angeboten haben, nachdem er sich zuvor ihm gegenüber als großer Bewunderer des Regisseurs zu erkennen gegeben hatte. Lang erbat sich einen Tag Bedenkzeit, entschloss sich nach eigener Aussage noch am selben Tag zur Emigration und bestieg einen Nachtzug nach Paris. Ohne Geld will der inzwischen Zweiundvierzigjährige die Flucht angetreten haben, da die Bankschalter bereits geschlossen waren und er sein Konto nicht mehr auflösen konnte. Diese Aussage Langs wird aber weder durch Zeugen noch durch schriftliche Belege noch durch Einträge des Tagebuchschreibers Goebbels gestützt – tatsächlich pendelte Lang etwa drei Monate lang zwischen Berlin, London und Paris und tauschte in dieser Zeit auch Devisen bei seiner Bank. In Frankreich traf Lang auf Erich Pommer und realisierte mit ihm 1934 den Film Liliom mit Charles Boyer in der Hauptrolle. Die Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Ferenc Molnár wurde sowohl in einer französischsprachigen als auch in einer deutschsprachigen Version gedreht. Noch im selben Jahr siedelte Lang in die USA über, wobei ihn seine neue Lebensgefährtin Lily Latté an Bord der Île de France begleitete. Seine ohnehin seit langem zerrüttete Ehe mit Thea von Harbou – Lang hatte 1928 eine Affäre mit der Spione-Hauptdarstellerin Gerda Maurus begonnen – war bereits im April 1933 geschieden worden. Arbeiten in den USA In Hollywood setzte Fritz Lang seine Karriere fort, schaffte es dort insgesamt nicht mehr, an seine großen Erfolge des Deutschen Kinos anzuknüpfen. Erheblichen Anteil hatte er an der Gründung der Anti-Nazi League. Nach einigen abgelehnten Projekten drehte er mehrere Filme, in denen er seine europäisch geprägten Ansätze erfolgreich mit US-amerikanischen Themen zu verbinden wusste. In seinem ersten US-Film Blinde Wut (Fury) mit Spencer Tracy zeichnete er ähnlich wie in M die psychische Situation eines vom Mob Gejagten nach. Es folgten Gehetzt (You Only Live Once, 1937) mit Henry Fonda und zwei Western. In den 1940er Jahren realisierte Lang mehrere Filme, die dem Genre des Anti-Nazi-Films zuzurechnen sind, wie 1941 den Spionage-Film Menschenjagd (Man Hunt) und 1943 Auch Henker sterben (Hangmen also die), einen Film über das Heydrich-Attentat. Letzterer entstand zusammen mit anderen Emigranten, unter anderem Bert Brecht, mit dem es allerdings Auseinandersetzungen gab. 1944 folgte Ministerium der Angst (Ministry of Fear) nach der Vorlage von Graham Greene. Ebenfalls Beachtung fanden zwei Filme mit Edward G. Robinson in der Hauptrolle, Gefährliche Begegnung (The Woman in the Window, 1944) und Straße der Versuchung (Scarlet Street, 1945), während unter Langs Kinobeiträgen der 1950er Jahre der Polizeifilm Heißes Eisen (The Big Heat, 1953) mit Glenn Ford herausragte. Von Anfang an hatte Lang in den USA mit Einschränkungen zu kämpfen. So durfte er in „Blinde Wut“ (1936) keine schwarzen Opfer und keine Kritik am Rassismus darstellen. Wegen seiner antinazistischen Filme, seiner Mitgliedschaft in liberalen Organisationen (etwa zur Gleichberechtigung der Schwarzen) und seiner Bekanntschaft mit Brecht und Hanns Eisler geriet er in der McCarthy-Ära fälschlicherweise unter den Verdacht, ein Kommunist zu sein. Er wurde nach einigen Monaten von Harry Cohn, dem Chef des Studios Columbia, entlastet. Rückkehr nach Europa 1956 kehrte Lang nach Europa zurück und drehte für den Produzenten Artur Brauner seine letzten Filme. Dem Zweiteiler Der Tiger von Eschnapur / Das indische Grabmal (1959), der auf einem stark abgewandelten Lang-Drehbuch von 1921 basierte, folgte mit Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (1960) ein weiterer Mabuse-Film. In letzterem zeichnete Lang ein Sittenbild der frühen Bundesrepublik Deutschland: Große, scheinbar tote, vergessene Verbrecher, die im Hintergrund weiterwirken; ein Hotel als Beobachtungsapparat und Metapher für Totalitarismus; willige Handlanger und Vollstrecker; ein scheinbarer Frieden, der nur mühsam schwelende Konflikte verdeckt; eine Atmosphäre der Künstlichkeit und großspurig gespielten Lockerheit. Die drei gemeinsamen Filme mit Brauner erwiesen sich vor allem als kommerzielle, jedoch nicht als künstlerische Erfolge. Lang kehrte wieder in die USA zurück. Seine letzte Regiearbeit vollzog sich innerhalb des Films eines anderen Regisseurs: In Die Verachtung (Le mépris) von Jean-Luc Godard verkörperte Lang 1964 mit wienerisch gefärbtem Französisch sich selbst als Filmregisseur, der einen Film nach Homers Odyssee zu realisieren hat. Die entsprechenden Szenen inszenierte er selbst. Im Jahr zuvor, 1963, hatte er einen Ehrenpreis bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises erhalten. In seinen letzten Lebensjahren war Fritz Lang nahezu blind. 1971 heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin Lily Latté. 1976 starb er in Beverly Hills und wurde im Forest Lawn Memorial Park in Hollywood beigesetzt. Künstler-Verwandtschaften Mit der Schauspieler-Familie Slezak Fritz Langs Onkel Ernst Schlesinger war Rechtsanwalt, Freund und Schwager des Sängers und Schauspielers Leo Slezak. Leo Slezaks Gattin, die Schauspielerin Elsa (geborene Wertheim), war die Schwester von Ernst Schlesingers Ehefrau Margarethe (geborene Wertheim, geschiedene von Schnierer). Somit war Fritz Lang mit den Schauspielern Leo, Elsa, Walter und Margarete Slezak verwandt. Mit Erich Schweinburg und Arthur Schnitzler Fritz Lang war ein Cousin (zweiten Grades) des Schriftstellers Erich Schweinburg, der 1920 Rosa Gussmann, eine Cousine von Arthur Schnitzlers Ehefrau Olga Schnitzler (geborene Gussmann) geheiratet hat, „was Fritz Langs weitschichtige Verwandtschaft mit Arthur Schnitzler begründet.“ Filmografie Beteiligung an Drehbüchern Die Liste ist möglicherweise nicht vollständig und enthält nur Filme, bei denen Lang nicht selbst Regie führte. Regisseur Filme in Deutschland Filme in den Vereinigten Staaten Filme in Frankreich 1934: Liliom 1964: Die Verachtung (Le mépris, Darsteller – als er selbst – und teilweise Regie) Filme über Fritz Lang Le dinosaure et le bébé (1964/1967). Film in der Reihe Cinéastes de notre temps von André S. Labarthe. – Fritz Lang im Gespräch mit Jean-Luc Godard. Fritz Lang Interviewed by William Friedkin (1974), 91 Minuten Fritz Lang. Film in der Reihe „Deutsche Lebensläufe“ von Artem Demenok. 2007, 45 Minuten – Ausgezeichnet mit dem Grimme-Preis 2007. Fritz Lang – Der andere in uns. Dokudrama von Gordian Maugg, 2016 Literatur Deutsche Literatur Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen, Cornelius Schnauber: Fritz Lang. Leben und Werk. Bilder und Dokumente. Jovis, Berlin 2001, ISBN 3-931321-74-6. Maik Bozza, Michael Herrmann (Hrsg.): Schattenbilder – Lichtgestalten. Das Kino von Fritz Lang und F. W. Murnau. Filmstudien. transcript, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-8376-1103-8. Dieter Dürrenmatt: Fritz Lang. Leben und Werk. Museum des Films Basel, Basel 1982, . Fred Gehler, Ullrich H. Kasten: Fritz Lang – Die Stimme von Metropolis. Henschel, Berlin 1990, ISBN 3-362-00522-5. Frieda Grafe, Enno Patalas, Hans Helmut Prinzler: Fritz Lang. (= Reihe Film. 7). Hanser, München/Wien 1976, ISBN 3-446-12202-8; 2., ergänzte Auflage, 1987, ISBN 3-446-14542-7. Norbert Grob: Fritz Lang. »Ich bin ein Augenmensch« – Die Biographie. 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Martina Müller: "Von schlechten und sehr schlechten Menschen", großes Radio-Feature über Fritz Lang im Deutschlandfunk Kultur, 11. März 2023. Einzelnachweise Filmregisseur Drehbuchautor Künstler des Expressionismus Emigrant aus dem Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus Österreichischer Emigrant in den Vereinigten Staaten Träger des Deutschen Filmpreises Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes Träger des Ordre des Arts et des Lettres (Offizier) Träger der Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold Künstler (Wien) Person (Stummfilm) Person im Ersten Weltkrieg (Österreich-Ungarn) Thea von Harbou Österreichischer Emigrant in Deutschland Österreicher Deutscher US-Amerikaner Geboren 1890 Gestorben 1976 Mann
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Formalisierung
Formalisierung bedeutet den Vorgang oder das Ergebnis des Formalisierens einer Sache. Etwas wird formalisiert, indem ihm eine (strenge) Form gegeben, es in einer (strengen) Form dargestellt oder bei seiner Durchführung eine vorgegebene (strenge) Form eingehalten wird. Mit strenger Form ist eine Schriftform gemeint, deren Zeichen in einer festgelegten Reihenfolge auf festgelegte Art und Weise verarbeitet werden. Von dieser allgemeinen Bedeutung können eine wissenschaftstheoretische und eine kulturwissenschaftliche Bedeutung unterschieden werden. Wissenschaftstheorie Wissenschaftstheoretisch bedeutet Formalisierung im weiteren Sinn „die Generalisierung einer (wissenschaftlichen) Aussage unter Absehung ihrer konkret-empirischen Bezüge“. In dieser Bedeutung ist die Formalisierung mit der Abstraktion verwandt. Im engeren Sinn bedeutet Formalisierung die Beschreibung eines Phänomens oder die Formulierung einer Theorie in einer formalen Sprache, deren Axiomatisierung und – als letzte Stufe – die Kalkülisierung (siehe Formalisierte Theorie). So ist die mathematische Logik durch Formalisierung gekennzeichnet. Man formalisiert ein System der Logik, indem man von der vorgegebenen Intension der in ihm vorkommenden Ausdrücke absieht und diese Ausdrücke in genau dem Sinn verwendet, den die Axiome bzw. die Regeln dieses Systems diesem vorschreiben. „Die Aussagenlogik und die Prädikatenlogik lassen sich als Formalisierungen des alltäglichen logischen Schließens ansehen.“ In der Sprachwissenschaft gibt es Versuche, durch formale Grammatiken wie zum Beispiel die generative Transformationsgrammatik die natürliche Sprache zu beschreiben. Kulturwissenschaft Im kulturwissenschaftlichen Sinn kann unter Formalisierung die Auflösung zielgerichteter Handlungen in wiederholbare und übertragbare Verfahrensschritte bezeichnet werden, wie es durch die Regelung einer Ablauforganisation geschieht. Die Philosophin Sybille Krämer spricht in enger Anlehnung an die Mathematik von einem „typographischen, schematischen und interpretationsfreien Symbolgebrauch“, der Handlungen automatisierbar mache. Die damit verbundene Einschränkung eines persönlichen und willkürlichen Vorgehens kann verschiedene Absichten haben: Sie kann aus Gründen der Transparenz und Gleichberechtigung geschehen (Politik, Recht, Mathematik) oder aus Gründen der Rationalisierung und Automatisierung (Wirtschaft, Militär, Technik, Informatik). Aufzeichnungen sind sowohl Grundlage als auch Resultat von Formalisierungen. Verwandt mit der Formalisierung und historisch nicht von ihr trennbar ist die Ritualisierung, bei der streng festgelegte Abläufe zu einer Gewohnheit werden, die emotionale Sicherheit verleiht (vgl. Spielregel). So hat der Anthropologe Horace Miner in einem berühmt gewordenen Aufsatz das Zähneputzen der „Nacirema“ als magisches Ritual mit “higly formalized series of gestures” beschrieben. Der Linguist Wolfgang Wildgen spricht davon, dass „(sinnentleerte) Teilhandlungen“ durch Formalisierung und Ritualisierung eine „Sinnfunktion“ bekommen. Literatur Sybille Krämer: Symbolische Maschinen: die Idee der Formalisierung im geschichtlichen Abriß, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1988. ISBN 9783534032075 Weblinks Einzelnachweise Wissenschaftstheorie
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Fraktal
Fraktal ist ein vom Mathematiker Benoît Mandelbrot 1975 geprägter Begriff ( ‚gebrochen‘, von ‚ (in Stücke zer-)‚brechen‘), der bestimmte natürliche oder künstliche Gebilde oder geometrische Muster bezeichnet. Diese Gebilde oder Muster besitzen im Allgemeinen keine ganzzahlige Hausdorff-Dimension, sondern eine gebrochene – daher der Name – und weisen zudem einen hohen Grad von Skaleninvarianz bzw. Selbstähnlichkeit auf. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Objekt aus mehreren verkleinerten Kopien seiner selbst besteht. Geometrische Objekte dieser Art unterscheiden sich in wesentlichen Aspekten von gewöhnlichen glatten Figuren. Begriff und Umfeld Der Begriff Fraktal kann sowohl substantivisch als auch adjektivisch verwendet werden. Das Gebiet der Mathematik, in dem Fraktale und ihre Gesetzmäßigkeiten untersucht werden, heißt fraktale Geometrie und ragt in mehrere andere Bereiche hinein, wie Funktionentheorie, Berechenbarkeitstheorie und dynamische Systeme. Wie der Name schon andeutet, wird der klassische Begriff der euklidischen Geometrie erweitert, was sich auch in den gebrochenen und nicht natürlichen Dimensionen vieler Fraktale widerspiegelt. Neben Mandelbrot gehören Wacław Sierpiński und Gaston Maurice Julia zu den namensgebenden Mathematikern. Beispiele Die bekanntesten Fraktale sind in der gewöhnlichen zweidimensionalen euklidischen Ebene oder im dreidimensionalen euklidischen Raum definiert. Zu den bekanntesten Fraktalen gehören: Die Mandelbrot-Menge ist als Teilmenge der Gaußschen Zahlenebene definiert. Die Julia-Mengen sind verschiedenartige Mengen, die ebenfalls als Teilmenge der Gaußschen Zahlenebene definiert sind. Die Schneeflockenkurve (Koch-Kurve) ist ein einfaches zweidimensionales Fraktal mit einfacheren und sehr interessanten Eigenschaften, das meistens anhand seiner Begrenzungslinie und einfachen Iterationsschritten definiert wird. In seiner vollständigen Variante ist es spiegelsymmetrisch, punktsymmetrisch und 6-zählig drehsymmetrisch. Die Hilbert-Kurve ist eine spiegelsymmetrische und raumfüllende Kurve in der zweidimensionalen Ebene. Sie lässt sich problemlos auf höhere Dimensionen verallgemeinern. Die Peano-Kurve ist eine punktsymmetrische und raumfüllende Kurve in der zweidimensionalen Ebene. Sie lässt sich problemlos auf höhere Dimensionen verallgemeinern. Das Sierpinski-Dreieck wird mithilfe von selbstähnlichen Dreiecken in der zweidimensionalen Ebene definiert, die gleichseitige Dreiecke oder auch allgemeine Dreiecke sein können. Die dreidimensionale Variante ist das Sierpinski-Tetraeder. Wenig überraschend sind auch Verallgemeinerungen des Sierpinski-Dreiecks auf höhere Dimensionen möglich. Sie werden Sierpinski-Simplexe genannt. Ein weiteres Beispiel eines Dreiecksfraktals findet sich im Artikel Goldener Schnitt. Wegen ihrer angeblich höchst seltsamen Eigenschaften wurden fraktale Kurven früher auch Monsterkurven genannt. Die einfachsten Beispiele für selbstähnliche Objekte sind Strecken, Parallelogramme (zum Beispiel Quadrate) und Würfel, denn sie können durch zu ihren Seiten parallele Schnitte in verkleinerte Kopien ihrer selbst zerlegt werden. Diese sind jedoch keine Fraktale, weil ihre Ähnlichkeits-Dimension und ihre Lebesgue’sche Überdeckungsdimension übereinstimmen. Die Selbstähnlichkeit muss nicht perfekt sein, wie die erfolgreiche Anwendung der Methoden der fraktalen Geometrie auf natürliche Gebilde wie Bäume, Wolken, Küstenlinien usw. zeigt. Die genannten Objekte sind in mehr oder weniger starkem Maß selbstähnlich strukturiert, denn ein Baumzweig sieht ungefähr so aus wie ein verkleinerter Baum, die Ähnlichkeit ist jedoch nicht streng, sondern stochastisch. Im Gegensatz zu Formen der euklidischen Geometrie, die bei einer Vergrößerung oft flacher und damit einfacher werden, z. B. ein Kreis, können bei Fraktalen immer komplexere und neue Details auftauchen. Fraktale Muster werden oft durch rekursive Operationen erzeugt. Auch einfache Erzeugungsregeln ergeben nach wenigen Rekursionsschritten schon komplexe Muster. Dies ist zum Beispiel am Pythagoras-Baum zu sehen. Ein solcher Baum ist ein Fraktal, welches aus Quadraten aufgebaut ist, die so angeordnet sind wie im Satz des Pythagoras definiert. Ein weiteres Fraktal ist das Newton-Fraktal, erzeugt über das zur Nullstellenberechnung verwendete Newton-Verfahren. Beispiele für Fraktale im dreidimensionalen Raum sind der Menger-Schwamm und die Sierpinski-Pyramide auf Basis des Tetraeders (so wie das Sierpinski-Dreieck auf dem gleichseitigen Dreieck basiert). Entsprechend lassen sich auch in höheren Dimensionen Fraktale nach Sierpinski bilden – bspw. basierend auf dem Pentachoron im vierdimensionalen Raum. Fraktale Dimension und Selbstähnlichkeit In der Mathematik ist die fraktale Dimension einer Menge eine Verallgemeinerung des Dimensionsbegriffs von geometrischen Objekten wie Kurven (eindimensional) und Flächen (zweidimensional), insbesondere bei Fraktalen. Das Besondere ist, dass die fraktale Dimension keine ganze Zahl sein muss. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, eine fraktale Dimension zu definieren. In der traditionellen Geometrie ist eine Linie eindimensional, eine Fläche zweidimensional und ein räumliches Gebilde dreidimensional. Für die fraktalen Mengen lässt sich die Dimensionalität nicht unmittelbar angeben: Führt man beispielsweise eine Rechenoperation für ein fraktales Linienmuster tausende von Malen fort, so füllt sich mit der Zeit die gesamte Zeichenfläche (etwa der Bildschirm des Computers) mit Linien, und das eindimensionale Gebilde nähert sich einem zweidimensionalen. Mandelbrot benutzte den Begriff der verallgemeinerten Dimension nach Hausdorff und stellte fest, dass fraktale Gebilde meist eine nicht-ganzzahlige Dimension aufweisen. Sie wird auch als fraktale Dimension bezeichnet. Daher führte er folgende Definition ein: Ein Fraktal ist eine Menge, deren Hausdorff-Dimension größer ist als ihre Lebesgue’sche Überdeckungsdimension. Jede Menge mit nicht-ganzzahliger Dimension ist also ein Fraktal. Die Umkehrung gilt nicht, Fraktale können auch ganzzahlige Dimension besitzen, beispielsweise das Sierpinski-Tetraeder. Besteht ein Fraktal aus einer bestimmten Anzahl von verkleinerten Kopien seiner selbst und ist dieser Verkleinerungsfaktor für alle Kopien derselbe, so verwendet man die Ähnlichkeits-Dimension , die in solchen einfachen Fällen mit der Hausdorff-Dimension übereinstimmt. Die Selbstähnlichkeit kann aber auch nur im statistischen Sinn bestehen. Man spricht dann von Zufallsfraktalen. Selbstähnlichkeit, eventuell im statistischen Sinn, und zugehörige fraktale Dimensionen charakterisieren also ein fraktales System bzw. bei Wachstumsprozessen sogenanntes fraktales Wachstum, z. B. diffusionsbegrenztes Wachstum. Ein Beispiel für ein selbstähnliches Fraktal ist das Sierpinski-Dreieck, welches aus drei auf die halbe Seitenlänge verkleinerten Kopien seiner selbst aufgebaut ist. Es hat somit die Ähnlichkeits-Dimension , während die Lebesgue’sche Überdeckungsdimension gleich 1 ist. Die Ähnlichkeits-Dimension ist ein Beispiel für die Definition einer fraktalen Dimension. Anwendungen Durch ihren Formenreichtum und den damit verbundenen ästhetischen Reiz spielen sie in der digitalen Kunst eine Rolle und haben dort das Genre der Fraktalkunst hervorgebracht. Ferner werden sie bei der computergestützten Simulation formenreicher Strukturen, beispielsweise realitätsnaher Landschaften, eingesetzt. Um in der Funktechnik verschiedene Frequenzbereiche zu empfangen, werden Fraktalantennen genutzt. Fraktale in der Natur Fraktale Erscheinungsformen findet man auch in der Natur. Dabei ist jedoch die Anzahl der Stufen von selbstähnlichen Strukturen begrenzt und beträgt oft nur drei bis fünf. Typische Beispiele aus der Biologie sind die fraktalen Strukturen bei der grünen Blumenkohlzüchtung Romanesco und bei den Farnen. Auch der Blumenkohl hat einen fraktalen Aufbau, wobei man es diesem Kohl auf den ersten Blick häufig gar nicht ansieht. Es gibt aber immer wieder einige Blumenkohlköpfe, die dem Romanesco im fraktalen Aufbau sehr ähnlich sehen. Weit verbreitet sind fraktale Strukturen ohne strenge, aber mit statistischer Selbstähnlichkeit. Dazu zählen beispielsweise Radiolarien, Bäume, Blutgefäße, Flusssysteme und Küstenlinien. Im Fall der Küstenlinie ergibt sich als Konsequenz die Unmöglichkeit einer exakten Bestimmung der Küstenlänge: Je genauer man die Feinheiten des Küstenverlaufes misst, umso größer ist die Länge, die man erhält. Im Falle eines mathematischen Fraktals, wie beispielsweise der Kochkurve, wäre sie unbegrenzt. Fraktale finden sich auch als Erklärungsmodelle für chemische Reaktionen. Systeme wie die Oszillatoren (Standardbeispiel Belousov-Zhabotinsky-Reaktion) lassen sich einerseits als Prinzipbild verwenden, andererseits aber auch als Fraktale erklären. Ebenso findet man fraktale Strukturen auch im Kristallwachstum und bei der Entstehung von Mischungen, z. B. wenn man einen Tropfen Farblösung in ein Glas Wasser gibt. Die Lichtenberg-Figur zeigt ebenfalls fraktale Struktur. Das Auffasern von Bast lässt sich über die fraktale Geometrie von Naturfaserfibrillen erklären. Insbesondere ist die Flachsfaser eine fraktale Faser. Verfahren zur Erzeugung von Fraktalen Fraktale können auf viele verschiedene Arten erzeugt werden, doch alle Verfahren enthalten ein rekursives Vorgehen: Die Iteration von Funktionen ist die einfachste und bekannteste Art, Fraktale zu erzeugen; die Mandelbrot-Menge entsteht so. Eine besondere Form dieses Verfahrens sind IFS-Fraktale (Iterierte Funktionensysteme), bei denen mehrere Funktionen kombiniert werden. So lassen sich natürliche Gebilde erstellen. Dynamische Systeme erzeugen fraktale Gebilde, sogenannte seltsame Attraktoren. L-Systeme, die auf wiederholter Textersetzung beruhen, eignen sich gut zur Modellierung natürlicher Gebilde wie Pflanzen und Zellstrukturen. Es gibt fertige Programme, sogenannte Fraktalgeneratoren, mit denen Computeranwender auch ohne Kenntnis der mathematischen Grundlagen und Verfahren Fraktale darstellen lassen können. Einfache und regelmäßige Fraktale mit Abbildungen Erklärung des L-Systems Das optionale, also nicht notwendige F wird im Allgemeinen als Strecke benutzt, die durch eine Anweisungsfolge ersetzt wird. Wie das F stehen auch andere groß geschriebene Buchstaben wie R und L für einen Streckenabschnitt, der ersetzt wird. + und − stehen für einen bestimmten Winkel, der im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn läuft. Das Symbol | bezeichnet eine Kehrtwendung des Zeichenstiftes, also eine Drehung um 180°. Gegebenenfalls setzt man dafür ein entsprechendes Vielfaches des Drehwinkels ein. Beispiel Drachenkurve F → R R → +R--L+ L → -R++L- F ist eine einfache Strecke zwischen zwei Punkten. F → R heißt, dass die Strecke F durch R ersetzt wird. Dieser Schritt ist notwendig, da es zwei rekursive Ersetzungen R und L besitzt, die sich gegenseitig enthalten. Im Weiteren wird wie folgt ersetzt: R +R--L+ +(+R--L+)--(-R++L-)+ +(+(+R--L+)--(-R++L-)+)--(-(+R--L+)++(-R++L-)-)+ . . . Ab einem bestimmten Abschnitt muss dieser Ersetzungsprozess abgebrochen werden, um eine Grafik zu bekommen: +(+(+r--l+)--(-r++l-)+)--(-(+r--l+)++(-r++l-)-)+ Dabei stellen r und l jeweils eine fest vorgegebene Strecke dar. Zufallsfraktale Daneben spielen in der Natur auch „Zufallsfraktale“ eine große Rolle. Diese werden nach probabilistischen Regeln erzeugt. Dies kann etwa durch Wachstumsprozesse geschehen, wobei man beispielsweise diffusionsbegrenztes Wachstum (Witten und Sander) und „Tumorwachstum“ unterscheidet. Im ersten Fall entstehen baumartige Strukturen, im letzten Fall Strukturen mit runder Form, je nachdem, in welcher Weise man die neu hinzukommenden Teilchen an die schon vorhandenen Aggregate anlagert. Wenn die fraktalen Exponenten nicht konstant sind, sondern z. B. von der Entfernung von einem zentralen Punkt des Aggregats abhängen, spricht man von sog. Multifraktalen. Siehe auch Burning ship (Fraktal) Goldener Schnitt, Dreiecksfraktal Literatur Reinhart Behr: Fraktale, Formen aus Mathematik und Natur. Klett-Schulbuchverlag, 1. Auflage, Stuttgart (1993), ISBN 3-12-722420-6. Reinhart Behr: Ein Weg zur fraktalen Geometrie. Klett-Schulbuchverlag, 1. Auflage, Stuttgart (1989), ISBN 3-12-722410-9. Julius Dufner, Frank Unseld, Andreas Roser: Fraktale und Julia-Mengen. Verlag Harri Deutsch (1998), Thun, ISBN 3-8171-1564-4 Gerald Edgar: Measure, Topology, and Fractal Geometry. Verlag Springer (2008), New York, ISBN 978-0-387-74748-4 Kenneth Falconer: Fractal Geometry. Mathematical Foundations and Applications, 3. Auflage, John Wiley & Sons, Ltd., Chichester (2014), ISBN 978-1-119-94239-9 Horst Halling, Rolf Möller: Mathematik fürs Auge – Eine Einführung in die Welt der Fraktale, Spektrum 1995, ISBN 3-86025-427-8. Gilbert Helmberg: Getting Acquainted with Fractals, Walter de Gruyter 2007, ISBN 978-3-11-019092-2. Jürgen Kriz: Chaos und Struktur. Systemtheorie Band 1. Quintessenz, München, Berlin 1992, ISBN 3-928036-69-6. Benoît B. Mandelbrot: Les Objects Fractals: Forme, Hasard et Dimension, 1975 (französisch). In Englisch: Fractals: Form, Chance and Dimension, W.H. Freeman & Co, 1977, ISBN 0-7167-0473-0. Benoît B. Mandelbrot: Die fraktale Geometrie der Natur, Birkhäuser 1987, ISBN 3-7643-2646-8 (engl. 1982 publiziert). Heinz-Otto Peitgen, Peter H. Richter: The Beauty of Fractals. Images of Complex Dynamical Systems, Springer 1986, ISBN 0-387-15851-0 bzw. ISBN 3-540-15851-0 Heinz-Otto Peitgen, Dietmar Saupe: The Science of Fractal Images, Springer 1st ed. 1988, ISBN 0-387-96608-0 Herbert Voß: Chaos und Fraktale selbst programmieren, franzis 1994, ISBN 3-7723-7003-9 Herbert Zeitler, Dušan Pagon : Fraktale Geometrie – Eine Einführung. Für Studienanfänger, Studierende des Lehramtes, Lehrer und Schüler. Braunschweig / Wiesbaden, Vieweg 2000, ISBN 3-528-03152-2 Anmerkungen Einzelnachweise Weblinks Website über Fraktale für Einsteiger mit zahlreichen Illustrationen Natürliche Fraktale in Wissenschaft und Medizin (englisch) GNU Xaos, freier interaktiver Fraktal Explorer Online CGI Mandelbrot Fractal Explorer – Interaktive Erforschung der Mandelbrot-Menge mit MapClient (OpenLayers) Video vergrößern Mandelbox – Beispiel für 3D-Fraktal Flug durch ein animiertes 3D Fraktal (Video) Computerkunst Fraktal Ornamentik
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Francis Ford Coppola
Francis Ford Coppola (* 7. April 1939 in Detroit, Michigan) ist ein US-amerikanischer Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent. Als Regisseur von Klassikern wie der Pate-Trilogie und Apocalypse Now zählt er zu den bedeutendsten Filmschaffenden des US-amerikanischen Kinos. Da er dem etablierten Studiobetrieb Hollywoods kritisch gegenüberstand, gründete Coppola 1969 das unabhängige Filmstudio American Zoetrope, wo unter anderem die ersten Filme von George Lucas verwirklicht wurden. Nachdem er mit dem Studio in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, inszenierte Coppola ab Mitte der 1980er Jahre auch kommerziell ausgerichtete Filme mit geringerem künstlerischen Anspruch. Leben Kindheit und Jugend Er wurde 1939 als Sohn des Musikers und Komponisten Carmine Coppola und der italienischen Schauspielerin Italia Pennino in Detroit geboren. Er hat zwei Geschwister, den älteren Bruder August Floyd Coppola und die jüngere Schwester Talia Shire. Sein zweiter Name Ford stammte aus einer früheren Arbeit seines Vaters als Arrangeur für die Ford Sunday Evening Hour des CBS Radio. Unmittelbar nach Coppolas Geburt zog die Familie nach New York City um. Im Alter von zehn Jahren erkrankte Coppola während eines Ausflugs der Pfadfinder an Polio, wodurch seine linke Körperhälfte gelähmt wurde. Die folgenden neun Monate im Bett verbringend, schaute Coppola häufiger Fernsehen und führte Marionettenspiele zur Unterhaltung anderer vor. Coppola akzeptierte die Tatsache, dass er nie wieder würde laufen können, aber sein Vater besorgte ihm einen Physiotherapeuten, mit dessen Hilfe sich Coppolas Zustand allmählich so verbesserte, dass er wieder in der Lage war, die Schule zu besuchen. Nachdem er sich nahezu vollständig erholt hatte, bekam er von seinen Eltern eine 8-Millimeter-Filmkamera geschenkt, mit der er seine ersten Filmaufnahmen machte. Ausbildung Er schrieb sich in die New York Military Academy ein, in der Erwartung seines Vaters, dort das Tubaspielen zu erlernen. In der Schule brachte er stets gute Leistungen; zu seinen Kameraden verhielt er sich vorlaut, aber hilfsbereit. Nach 18 Monaten auf der High School brach er den Unterricht ab und zog sich in Manhattan zurück. Nach seiner Rückkehr auf die High School spielte er wieder Tuba und schrieb seine ersten eigenen Stücke. Nach seinem Abschluss erhielt er einen Platz für ein Stipendium in der Hofstra University, wo zuvor bereits sein Bruder studiert hatte. Dort belegte Coppola verschiedene Theaterseminare und inszenierte erste Bühnenauftritte. Ein Film, der ihn zu dieser Zeit inspirierte, war Sergei Michailowitsch Eisensteins Zehn Tage, die die Welt erschütterten (1927). Nach dem Studium entschloss Coppola sich 1959, an der Filmhochschule University of California, Los Angeles weiterzustudieren. Während des Studiums traf er auf den unabhängigen Autorenfilmer Roger Corman und wurde dessen Assistent. Er half Corman bei der Produktion einiger Filme, darunter zum Beispiel The Terror – Schloß des Schreckens, nahm dabei die Aufgaben eines Drehbuchautors, Produktionsassistenten, Tonmeisters und Regisseurs wahr und eignete sich so praktische Erfahrungen im Filmbereich an. Während seiner Studienzeit war er auch an Produktionen mehrerer kleiner Horror- und Erotikfilme beteiligt. Sein Regiedebüt gab er 1961 mit dem Western Das gibt es nur im Wilden Westen, danach drehte er 1963 den Horrorfilm Dementia 13. Das Drehbuch dieses Schwarz-Weiß-Films, der von einem Serienmörder handelt, schrieb er selbst. Dementia 13 wurde mit einem Budget von rund 20.000 US-Dollar in Irland gedreht. 1968 beendete er sein Studium in Los Angeles mit der besten Note seines Jahrgangs. Etablierung als Filmemacher Coppola nahm eine Stelle im Drehbuchteam von Warner Bros.-Seven Arts ein und wurde mit der Verfilmung des Broadway-Hits Finian’s Rainbow von 1947 beauftragt. Im Juni 1968 begann er mit den Dreharbeiten zu Der goldene Regenbogen und begegnete dort George Lucas, der am Samuel-Warner-Memorial-Stipendium teilnahm. Coppola nahm Lucas als Assistenten für die Dreharbeiten an Der goldene Regenbogen. Dabei ging Lucas mit einer Sofortbildkamera über das Set und schoss Bilder möglicher Kameraeinstellungen. Der Film floppte an den Kinokassen und der Umstand, dass ein Weißer dadurch bestraft wird, dass er zu einem Schwarzen wird, trug ihm den Vorwurf des Rassismus ein. Bis zum Ende der Dreharbeiten waren Coppola und Lucas gute Freunde geworden. Er erzählte Lucas, dass er plane, ein Roadmovie nach der Vorlage einer eigenen Kurzgeschichte mit dem Titel Echoes zu drehen. Liebe niemals einen Fremden erzählt die Geschichte einer schwangeren Frau, die ihren Ehemann eines Nachts verlässt und sich mit einem Tramper auf eine ziellose Reise begibt. Dabei wollte Coppola selbst zusammen mit Lucas während einer Reise von New York nach Nebraska den Film drehen, möglichst unabhängig von Hollywoods Filmstudios. Da Lucas zu dieser Zeit sein eigenes Projekt mit THX 1138 beginnen wollte, machte Coppola Lucas ein Angebot. Er versprach, eine Absprache mit Warner Bros.-Seven Arts zu treffen, damit Lucas vom Studio dafür bezahlt würde, ein Drehbuch für THX 1138 zu schreiben. So konnte Lucas ihn als Assistent bei Liebe niemals einen Fremden begleiten und während der Reise gleichzeitig an THX 1138 arbeiten. Coppola, der sich schon längere Zeit von Hollywoods Filmindustrie abwenden wollte, schlug Lucas vor, ein unabhängiges Studio zu gründen. Nach einer Tagung mit dem Filmemacher John Korty, der von seiner dritten Produktion in seinem eigenen Studio berichtete, beschlossen Lucas und Coppola, das Studio Korty Films zu besichtigen. Coppola schaute sich noch andere unabhängige Studios an. So besichtigte er eine kleine Firma namens Lanterna Films in Dänemark und bekam ein Zoetrop als Andenken an seinen Besuch geschenkt. Bald darauf bestellte er zusammen mit Lucas hochwertige Filmausrüstung und kümmerte sich um Räumlichkeiten, die er 1969 in San Francisco gefunden hatte. Seinem Studio gab er den Namen American Zoetrope. Weiterer Lebensweg Coppola wurde die Verfilmung des Mafiaepos Der Pate (The Godfather) nach dem Roman von Mario Puzo aus dem Jahr 1969 angeboten. Dies wurde sein Durchbruch als Regisseur. Die zwei Jahre später veröffentlichte Fortsetzung war bei Kritik und Publikum ebenfalls sehr erfolgreich. Coppolas letzter großer Erfolg war 1979 das Vietnam-Epos Apocalypse Now, in dem unter anderem auch Marlon Brando und Robert Duvall aus Der Pate mitspielten. Erst nach einer Drehdauer von 1976 bis 1979 konnte Coppola den Antikriegsfilm fertigstellen. In der Produktionszeit kam es zu Differenzen mit dem Filmverleih United Artists. Trotzdem wurde das Werk zu einem finanziellen und künstlerischen Erfolg. Nach dem Flop Einer mit Herz (1982) drehte Coppola tendenziell ambitionierte Arbeiten, mit denen er seine Schulden abbezahlen konnte. 1983 entstanden die auf Romanen von Susan E. Hinton basierenden Coming-of-Age-Filme Die Outsider und Rumble Fish. Die von Coppola eingesetzten Schauspieler wurden als Brat Pack die Jungstars ihrer Generation. Die Outsider war trotz nur gemischter Kritiken ein kommerzieller Erfolg, während der in Schwarzweiß gefilmte Rumble Fish an den Kinokassen floppte. Sein Wunschfilm Cotton Club wurde 1984 ein erneuter Misserfolg, und Coppola drehte anschließend Peggy Sue hat geheiratet. So sah er sich entgegen vorherigen Beteuerungen 1990 doch gezwungen, Der Pate III zu drehen; die Kritik reagierte verhalten. Gleiches gilt für den Kinderfilm Jack mit Robin Williams und die John-Grisham-Verfilmung Der Regenmacher. Ein danach geplantes Projekt, das ihm schon lange am Herzen lag, Megalopolis, kam zunächst nicht zustande. Dafür veröffentlichte er 2007 den weitaus persönlicheren Film Jugend ohne Jugend, über Alter, Tod, Angst, Liebe, Sprache, Frühgeschichte, Traum, Reinkarnation und Atomwaffen. Mit dem vollständig digital gedrehten Film brachte er es auf die Titelseite der renommierten Cahiers. Die Kritik in den Vereinigten Staaten reagierte aber ablehnend. Als nächstes wurde 2009 sein Filmdrama Tetro veröffentlicht, dem 2011 der Horrorthriller Twixt – Virginias Geheimnis folgte. Im Anschluss widmete er sich dem Experimentalfilmprojekt Distant Vision, das 2016 an der UCLA School of Theater, Film and Television gezeigt wurde. Für Dezember 2020 war die Veröffentlichung einer von Coppola bearbeiteten neuen Schnittfassung von Der Pate III angekündigt, die insbesondere am Beginn und Ende von der bekannten Filmfassung abweicht. Zudem trägt der Film den Titel Mario Puzo’s The Godfather, Coda: The Death of Michael Corleone. Unter diesem Titel lief der Film im Dezember in einigen US-amerikanischen Kinos an. Der deutschsprachige Titel lautet Der Pate, Epilog: Der Tod von Michael Corleone. Seit Oktober 2022 finden unter seiner Regie die Dreharbeiten zu Megalopolis statt, sie sollen im Frühling 2023 abgeschlossen werden. Coppola produzierte zahlreiche Kinofilme anderer Regisseure, darunter George Lucas’ American Graffiti (1973), Akira Kurosawas Kagemusha – Der Schatten des Kriegers (1980), Godfrey Reggios Koyaanisqatsi (1983), Paul Schraders Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln (1985) und Tim Burtons Sleepy Hollow (1999). Für Jack Claytons mehrfach ausgezeichneten Film Der große Gatsby (1974) schrieb er das Drehbuch. Coppola gelang damit eine werkgetreue und dennoch Hollywood-gerechte Adaption von Fitzgeralds Roman, an der unter anderem Truman Capote gescheitert war. Finanzielle Einnahmen erzielt Coppola heute vor allem mit seinem Weingut. In der Fernsehserie The Offer aus dem Jahr 2022 über die Entstehung von Der Pate wird er von Dan Fogler gespielt. Privates Coppola ist seit 1963 mit der Dokumentarfilmerin Eleanor Coppola verheiratet, die er am Set von Dementia 13 kennengelernt hatte. Er ist der Onkel der US-amerikanischen Schauspieler Nicolas Cage und Jason Schwartzman sowie der Vater der Regisseure Sofia Coppola (Lost in Translation) und Roman Coppola (Musikvideos und Kinofilme). Sein ältester Sohn, Gian-Carlo, kam 1986 bei einem von Griffin O’Neal verursachten Bootsunfall ums Leben. Filmografie (Regie) 1962: The Bellboy & The Playgirls (Adaption von Mit Eva fing die Sünde an, 1958) 1963: The Terror – Schloß des Schreckens (The Terror) 1963: Dementia 13 1966: Big Boy, jetzt wirst Du ein Mann! (You’re a Big Boy Now) 1968: Der goldene Regenbogen (Finian’s Rainbow) 1969: Liebe niemals einen Fremden (The Rain People) 1972: Der Pate (The Godfather) 1974: Der Dialog (The Conversation) 1974: Der Pate – Teil II (The Godfather: Part II) 1979: Apocalypse Now 1982: Einer mit Herz (One from the Heart) 1983: Die Outsider (The Outsiders) 1983: Rumble Fish 1984: Cotton Club 1986: Captain EO 1986: Peggy Sue hat geheiratet (Peggy Sue Got Married) 1987: Der steinerne Garten (Gardens of Stone) 1988: Tucker (Tucker: The Man and His Dream) 1989: New Yorker Geschichten (zweite Episode: Leben ohne Zoe) 1990: Der Pate III (The Godfather Part III) 1992: Bram Stoker’s Dracula 1996: Jack 1997: Der Regenmacher (The Rainmaker) 2000: Supernova – Schnitt 2007: Jugend ohne Jugend (Youth without Youth) 2009: Tetro 2011: Twixt Auszeichnungen Francis Ford Coppola erhielt bisher insgesamt fünf Oscars bei vierzehn Nominierungen. Er erhielt die Auszeichnung 1971 für das Drehbuch für (das nicht von ihm inszenierte) Patton – Rebell in Uniform, 1972 für das Skript zu Der Pate sowie 1975 für Produktion, Regie und Drehbuch für Der Pate – Teil II. Academy Award 2011: Irving G. Thalberg Memorial Award (die Verleihung fand bereits 2010 statt) Als Regisseur 1973: Nominiert für Der Pate 1975: Oscar für Der Pate – Teil II 1980: Nominiert für Apocalypse Now 1991: Nominiert für Der Pate III Als Drehbuchautor 1971: Oscar für Patton – Rebell in Uniform 1973: Oscar für Der Pate 1975: Oscar für Der Pate – Teil II 1975: Nominiert für Der Dialog 1980: Nominiert für Apocalypse Now Als Produzent 1974: Nominiert für American Graffiti 1975: Oscar für Der Pate – Teil II 1975: Nominiert für Der Dialog 1980: Nominiert für Apocalypse Now (mit Fred Roos, Gray Frederickson und Tom Sternberg) 1991: Nominiert für Der Pate III (jeweils in der Kategorie „Bester Film“) Golden Globe Award Als Regisseur 1973: Golden Globe für Der Pate 1975: Nominiert für Der Dialog 1975: Nominiert für Der Pate – Teil II 1980: Golden Globe für Apocalypse Now 1985: Nominiert für Cotton Club 1991: Nominiert für Der Pate III Als Drehbuchautor 1973: Golden Globe für Der Pate 1975: Nominiert für Der Dialog 1975: Nominiert für Der Pate – Teil II 1991: Nominiert für Der Pate III Als Produzent 1974: Golden Globe für American Graffiti (bester Film – Comedy/Musical) 1975: Nominiert für Der Pate – Teil II (bester Film – Drama) 1975: Nominiert für Der Dialog (bester Film – Drama) 1980: Nominiert für Apocalypse Now (bester Film – Drama) 1991: Nominiert für Der Pate III (bester Film – Drama) Weitere Auszeichnungen 2010 wurde Coppola in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. 2013 wurde er mit dem japanischen Praemium Imperiale geehrt, oft als Nobelpreis der Künste bezeichnet. 2015 wurden ihm der Prinzessin-von-Asturien-Preis und der Orden des Sterns von Italien zugesprochen. Literatur Bernd Kiefer: Francis Ford Coppola * 1939. In: Thomas Koebner (Hrsg.): Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-010662-4, S. 146–152. Jeff Menne: Francis Ford Coppola. University of Illinois Press, Urbana 2014, ISBN 978-0-252-03882-2. Weblinks Brian Dauth: Francis Ford Coppola bei Senses of Cinema (englisch) in DGA Quarterly, Spring 2007 – Volume 3, Number 1 (englisch) Francis Ford Coppola im Gespräch mit der FAZ Einzelnachweise Francis Golden-Globe-Preisträger Oscarpreisträger Filmregisseur Filmproduzent Drehbuchautor Mitglied der American Academy of Arts and Sciences Träger des Ordens des Sterns von Italien (Großoffizier) Sofia Coppola US-Amerikaner Geboren 1939 Mann
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https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich%20Wilhelm%20Murnau
Friedrich Wilhelm Murnau
Friedrich Wilhelm Murnau, auch F. W. Murnau, (* 28. Dezember 1888 als Friedrich Wilhelm Plumpe in Bielefeld; † 11. März 1931 in Santa Barbara, Kalifornien) gilt als einer der bedeutendsten deutschen Filmregisseure der Stummfilmära. Sein vom Expressionismus beeinflusstes Schaffen, seine psychologische Bildführung und die damals revolutionäre Kamera- und Montagearbeit Murnaus eröffneten dem jungen Medium Film neue Möglichkeiten. Zu seinen berühmtesten Werken zählen Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922), Der letzte Mann (1924), Faust – eine deutsche Volkssage (1926) und Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen (1927). Leben und Werk Kindheit, Jugend und Ausbildung Friedrich Wilhelm Plumpe wuchs in einer wohlhabenden Bürgerfamilie auf; der Vater war Tuchfabrikant, die Mutter Lehrerin. 1892 zog seine Familie nach Kassel um. Von 1898 bis 1902 lebte Plumpe in der Kasseler Elfbuchenstraße. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Kassel begann er ein Studium der Philologie und Kunstgeschichte in Berlin und Heidelberg. Dort wurde bei einer Studentenaufführung der berühmte Regisseur Max Reinhardt auf ihn aufmerksam. Reinhardt ermöglichte ihm den Besuch der Max-Reinhardt-Schauspielschule und beschäftigte ihn als Schauspieler und Regieassistenten. Um 1910 nahm Plumpe den Künstlernamen Friedrich Wilhelm Murnau (nach dem Ort Murnau am Staffelsee) an. Dies war, neben dem künstlerischen Aspekt, ein klares Zeichen für den Bruch mit seinen Eltern, die seine Homosexualität genauso wie seine Schauspiel- und Regieambitionen nicht akzeptieren wollten. Zu seinen Künstlerfreunden gehörten unter anderem die Autorin Else Lasker-Schüler und die expressionistischen Maler der Gruppe Der blaue Reiter. Murnau im Ersten Weltkrieg Am Ersten Weltkrieg nahm Murnau als Leutnant im 1. Garde-Regiment zu Fuß und ab 1917 als Kampfflieger teil, bis er absichtlich oder durch einen Navigationsfehler auf dem Gebiet der neutralen Schweiz landete. Dort wurde er zunächst in Andermatt interniert, konnte aber nach dem Gewinn eines Inszenierungswettbewerbs für das patriotische Schauspiel Marignano am Luzerner Theater arbeiten. Die Kriegserlebnisse waren für Murnau wie für viele seiner Generation prägend; sein damaliger Lebensgefährte Hans Ehrenbaum-Degele fiel an der Ostfront. Einige Kritiker sehen in Filmen wie Nosferatu noch Spuren der Kriegseindrücke. Frühe Werke 1919 kehrte Murnau nach Berlin zurück und begann für den Film zu arbeiten. Sein erster Spielfilm, Der Knabe in Blau nach Motiven des Gemäldes The Blue Boy, ist wie auch einige seiner späteren Filme verschollen. Mit dem Film Der Bucklige und die Tänzerin begann eine höchst fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Carl Mayer, der in der Folge noch für sechs weitere Filme Murnaus die Bücher schrieb. Andere Künstler, mit denen Murnau bevorzugt zusammenarbeitete, sind die Drehbuchautorin Thea von Harbou, der Kameramann Carl Hoffmann und der Schauspieler Conrad Veidt. Sein berühmtester Film aus dieser Zeit ist Nosferatu, eine Symphonie des Grauens von 1922 mit Max Schreck in der Titelrolle, eine Verfilmung von Bram Stokers Dracula, die aber aufgrund von Lizenzproblemen umbenannt werden musste. Erfolge in Deutschland Der Erfolg seiner Filme brachte Murnau einen Vertrag bei der Universum Film (UFA) ein. Für die UFA inszenierte er als erstes 1924 den Film Der letzte Mann, in dem Emil Jannings einen Hotelportier verkörpert, der zum Toilettenmann degradiert wird und daran zerbricht. Die in diesem Film von Murnau und dem Kameramann Karl Freund verwendete „entfesselte“ oder „fliegende“ Kamera befreite die Kamera von ihrer Statik und ermöglichte neue Perspektiven (um z. B. den Rauch einer Zigarette zu verfolgen, schnallte Freund die Kamera an eine Feuerwehrleiter und bewegte diese). Ferner führte Murnau in diesem Film die „subjektive Kamera“ ein, die das Geschehen mit den Augen einer handelnden Person wiedergibt. Murnaus Fähigkeit, mit rein filmischen Mitteln eine Geschichte zu erzählen, zeigt sich auch darin, dass er in diesem Film fast ganz auf Zwischentitel verzichten konnte, was für die Stummfilmzeit ungewöhnlich ist. Die Reihe seiner in Deutschland geschaffenen Filme schloss Murnau 1926 mit Tartüff nach Molière und Faust – eine deutsche Volkssage ab. Murnau in den Vereinigten Staaten Murnaus Erfolge in Deutschland und vor allem die amerikanische Fassung von Der letzte Mann im Jahre 1925 hatten Hollywood auf ihn aufmerksam gemacht. Murnau erhielt ein Vertragsangebot des amerikanischen Produzenten William Fox, der ihm volle künstlerische Freiheit zusicherte. Sein erster in den USA inszenierter Film Sunrise nach der Erzählung Die Reise nach Tilsit von Hermann Sudermann gewann bei der allerersten Oscarverleihung 1929 drei Oscars, erfüllte jedoch die kommerziellen Erwartungen nicht ganz. Aus diesem Grunde und wegen der immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Situation der Firma Fox und der Lage in Hollywood an der Schwelle zum Tonfilm musste Murnau bei seinen folgenden Filmen zunehmend Eingriffe in sein künstlerisches Konzept hinnehmen; bei dem Film City Girl wurde er sogar als Regisseur abgelöst und ohne seinen Einfluss wurde nachträglich eine Tonfassung hergestellt. Von den Zwängen Hollywoods enttäuscht, kündigte Murnau 1929 den Vertrag mit Fox. Nach einem ergebnislosen Versuch, wieder in Berlin mit der UFA ins Geschäft zu kommen, kaufte er eine Segelyacht, fest entschlossen, seinen nächsten Film allein nach seinen eigenen Vorstellungen zu realisieren, und fuhr nach Tahiti, um dort mit dem Regisseur und Dokumentarfilmer Robert J. Flaherty den Film Tabu zu drehen. Während der Dreharbeiten gab es erhebliche Schwierigkeiten mit der die Drehkosten finanzierenden Filmmaterial-Firma. Schließlich trennte sich Murnau von Flaherty, der stärkere Dokumentarfilmambitionen hatte, und produzierte den Film auf eigene Kosten. Der auf der Insel Bora Bora ausschließlich mit einheimischen Laiendarstellern gedrehte Film wurde zu einer stilbildenden Mischung aus Dokumentation und Melodram. Der Vertrieb des von Murnau selbst finanzierten Films, für den er sein gesamtes Vermögen aufgewendet und sich hoch verschuldet hatte, wurde von der Firma Paramount übernommen, die von dem Film so beeindruckt war, dass sie Murnau einen Zehnjahresvertrag anbot. Tod Die Premiere von Tabu am 18. März 1931 erlebte Murnau nicht mehr. Am 11. März 1931, kurz vor einer geplanten Promotion-Tour durch Europa, ließ Murnau auf der Küstenstraße südöstlich von Santa Barbara (Kalifornien) seinen Diener, den ca. 31-jährigen Filipino Garcia Stevenson, an das Steuer seines Mietwagens. Dieser verlor infolge überhöhter Geschwindigkeit die Gewalt über das Fahrzeug, das eine zehn Meter tiefe Böschung hinabstürzte, wobei Murnau mit dem Hinterkopf gegen einen Leitungsmast geschleudert wurde. Während die übrigen Insassen des Fahrzeugs – neben Stevenson noch der eigentliche Chauffeur sowie Murnaus Schäferhund – nahezu unverletzt blieben, starb Murnau in der folgenden Nacht im Krankenhaus. Nur elf Personen nahmen an seiner Trauerfeier am 19. März teil, darunter Greta Garbo. Sein Leichnam wurde nach Deutschland überführt und auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf beigesetzt. Carl Mayer und der Regisseur Fritz Lang hielten die Grabreden. Unter den Trauergästen waren unter anderem Robert J. Flaherty, Emil Jannings, Erich Pommer und Georg Wilhelm Pabst. Seinen Grabstein gestaltete Karl Ludwig Manzel. Das Grab befindet sich im Block Schöneberg, Feld 3a, Erbbegräbnis 5. Es ist als Ehrengrab der Stadt Berlin gewidmet. Im Juli 2015 wurde das Grab von Grabräubern geöffnet und der einbalsamierte Kopf Murnaus entwendet. Der Schauspieler Gerd J. Pohl lobte daraufhin eine Belohnung aus, der Kopf blieb aber bislang verschollen. Rezeption in heutiger Kunst Im historisch unwahren Horrorfilm Shadow of the Vampire wird Murnau durch John Malkovich als rücksichtsloser und diktatorischer Filmemacher dargestellt. In seinem Roman Murnaus Vermächtnis webt der Autor D. B. Blettenberg Lebensstationen und Filme Murnaus in die Handlung ein. In der Reihe SOKO Wismar (Episode 5/16) – Schlechte Zeiten für Vampire hat der Fall seine Wurzeln rund um Murnau bei den Dreharbeiten zum Film Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens im Jahr 1921 in Wismar. F.W.M. Symphonie – Kurzfilm von Thomas Hörl über den gestohlenen Kopf aus der Familiengruft. Filmografie 1917: Teufelsmädel – verschollen 1919: Der Knabe in Blau – verschollen 1920: Satanas – Fragment 1920: Der Bucklige und die Tänzerin – verschollen 1920: Der Januskopf – verschollen 1920: Abend – Nacht – Morgen – verschollen 1921: Der Gang in die Nacht 1921: Marizza, genannt die Schmugglermadonna – Fragment (ca. 13 Minuten sind erhalten) 1921: Schloß Vogelöd 1921: Sehnsucht – verschollen 1922: Der brennende Acker 1922: Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens 1922: Phantom 1923: Die Austreibung – verschollen 1924: Die Finanzen des Großherzogs 1924: Der letzte Mann 1925: Tartüff 1926: Faust – eine deutsche Volkssage 1927: Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen (Sunrise – A Song of Two Humans) 1928: Vier Teufel (4 Devils) – verschollen 1930: Unser täglich Brot (City Girl) 1931: Tabu Auszeichnungen Bei den Internationalen Filmfestspielen von Berlin im Jahre 2003 erhielt Murnau posthum eine Auszeichnung für sein filmisches Wirken, nachdem sein Werk dort eine ausführliche Retrospektive erfahren hatte. Im Jahre 2012 wurde Murnau mit einem Stern auf dem Boulevard der Stars ausgezeichnet. 2016/2017 wurde im Lenbachhaus in München die Ausstellung Friedrich Wilhelm Murnau. Eine Hommage gezeigt. Siehe auch Friedrich Wilhelm Murnau-Gesellschaft Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung Murnau & Massolle Forum Literatur Michael Althen: Schlingen des Dunkels. Murnaus “Gang in die Nacht” 1920. in: Peter Buchka (Hrsg.): Deutsche Augenblicke. Eine Bilderfolge zu einer Typologie des Films. (Reihe: “Off-Texte” 1, Münchener Filmmuseum) Belleville, München 1996, ISBN 3-923646-49-6, (zuerst: SZ 1995) S. 26f. (S. 27: Szenenbild). Luciano Berriatúa: Los proverbios chinos de F. W. Murnau. Filmoteca Española. Instituto de las Artes Audiovisuales, Madrid 1990–92, ISBN 84-86877-06-7. Maik Bozza & Michael Herrmann (Hrsg.): Schattenbilder – Lichtgestalten. Das Kino von Fritz Lang und F.W. Murnau. Filmstudien, Bielefeld 2009. Lotte H. Eisner: Murnau. Kommunales Kino, Frankfurt 1979. Fred Gehler & Ullrich H. Kasten: Friedrich Wilhelm Murnau. Henschel, Berlin 1990, ISBN 3-362-00373-7. Wolfgang Jacobsen, Hans-Michael Bock: Friedrich Wilhelm Murnau – Regisseur. In: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, Lieferung 27, 1996. Thomas Koebner: Friedrich Wilhelm Murnau 1888–1931. In: ders. (Hrsg.): Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-010662-4, S. 524–532. Klaus Kreimeier (Red.): Friedrich Wilhelm Murnau 1888–1988. Bielefelder Verlag, Bielefeld 1988, ISBN 3-87073-034-X, (Katalog zur Ausstellung 1988/89). Enno Patalas, Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Murnau: Südseebilder. Texte, Fotos und der Film “TABU”. Bertz + Fischer, Berlin 2005, ISBN 3-929470-26-8, (enthält kommentiertes Original-Material von Murnau sowie das Drehbuch zum Film TABU). Hans Helmut Prinzler (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Murnau. Ein Melancholiker des Films. Bertz + Fischer, Berlin 2003, ISBN 3-929470-25-X, (Katalog zur Retrospektive auf der Berlinale 2003). Leseproben Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 5: L – N. Rudolf Lettinger – Lloyd Nolan. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 589 f. Ausstellungen 2022/2023: Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu. Sammlung Scharf-Gerstenberg, Berlin Weblinks Friedrich Wilhelm Murnau - Leben und Karriere bei der Murnau-Stiftung auf film-zeit.de Simon Broll: Regie-Legende Murnau – Verfluchtes Genie. einestages, 20. Dezember 2013 Bibliografie:Friedrich Wilhelm Murnau. In: Medienwissenschaft / Hamburg: Berichte und Papiere 126, 2011 (PDF) Ausstellung: Friedrich Wilhelm Murnau - Ein Melancholiker des Films (Deutsche Kinemathek, 22. Januar 2003 bis 5. Mai 2003) Interaktives Bildungspaket zu Friedrich Wilhelm Murnau von Neue Wege des Lernens e. V., 20. Februar 2018 Herwig Katzer: 28.12.1888 - Geburtstag von Friedrich Murnau WDR ZeitZeichen vom 28. Dezember 2013. (Podcast) Einzelnachweise Filmregisseur Deutscher Deutscher Emigrant in den Vereinigten Staaten Pseudonym Person (Kassel) Unfallopfer (Straßenverkehr) Bestattet in einem Ehrengrab des Landes Berlin Geboren 1888 Gestorben 1931 Mann Person (Stummfilm)
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https://de.wikipedia.org/wiki/Frederic%20Vester
Frederic Vester
Frederic Vester (* 23. November 1925 in Saarbrücken; † 2. November 2003 in München) war ein deutscher Biochemiker, Systemforscher, Umweltexperte, Universitätsprofessor und populärwissenschaftlicher Autor. Leben Frederic Vester studierte Chemie in Mainz, Paris und Hamburg, war Postdoc in Yale, Saarbrücken und München und habilitierte sich 1969 in Biochemie. Er gründete 1970 die „Studiengruppe für Biologie und Umwelt Frederic Vester GmbH“ in München, nach seinem Tod in „frederic vester GmbH“ umfirmiert, die sich durch staatliche und privatwirtschaftliche Beratungsaufträge finanzierte. Von 1982 bis 1989 war Vester Professor am Lehrstuhl für Interdependenz von Technik und Gesellschaft der Universität der Bundeswehr München, von 1989 bis 1991 Gastprofessor für angewandte Ökonomie an der Hochschule St. Gallen. Als Autor und über seine Präsenz in den Medien hat Vester das Systemverständnis und das „Vernetzte Denken“ im deutschen Sprachraum populär gemacht. Frederic Vester ist Vater der nach seiner Mutter benannten Schauspielerin Saskia Vester und ihrer Schwester Madeleine Vester, die ebenfalls als Schauspielerin tätig ist. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des BUND und war im deutschsprachigen Raum einer der Pioniere der Umweltbewegung. Vester ist auf dem Nordfriedhof in München begraben. Vernetztes Denken Unter Berufung auf die Kybernetik (bzw. Biokybernetik) hat Vester systemisches („vernetztes“) Denken propagiert, ein Ansatz, in dem die Eigenschaften eines Systems als ein vernetztes Wirkungsgefüge gesehen werden. Die einzelnen Eigenschaften, die zunächst als Variablen im Papiercomputer bzw. der Einflussmatrix in ihrer Wirkung bewertet werden, verstärken oder schwächen andere Größen des Systems (Rückkopplung). Diese den ungeübten („linear denkenden“) Betrachter verwirrende Vernetzung kann mit Hilfe der Methodik von Vester in mehreren Arbeitsschritten analysiert, grafisch dargestellt und nachvollziehbar gemacht werden. Auf diese Weise können z. B. positive, d. h. selbstverstärkende, und negative, d. h. selbstregulierende, Rückkopplungskreisläufe sicher erkannt werden. Einflussgrößen werden in ihrer Systemqualität sichtbar und bewertet (z. B. als stabilisierend, kritisch, puffernd oder empfindlich für äußere Einflüsse usw.) und können durch Simulationen in Bezug auf ihre langfristigen oder speziellen Wirkungen betrachtet werden. Auf der Grundlage eines so erarbeiteten Modells können Fragen nach sinnvollen Eingriffsmöglichkeiten und Steuerhebeln, zukünftiger Entwicklung oder möglichen Systemverbesserungen beantwortet werden. Die von Vester entwickelten Methoden fasste er in seinem Sensitivitätsmodell Prof. Vester zusammen, für das er eine aufwändige Software erstellte und das über Seminare und seit ca. 1980 in zum Teil umfangreichen Studien und Projekten Verbreitung fand. Seit dem Tod Vesters und der Übernahme der Rechte an allen Werken Vesters durch Fredmund Malik wird es als Malik Sensitivitätsmodell nach Prof. Vester vermarktet. Die Methoden des Vester'schen Sensitivitätsmodells finden weiterhin weltweit in Management- und Planungsprojekten Anwendung. In seinem Bestseller „Denken, Lernen, Vergessen“ hat Vester Hypothesen formuliert, wonach verschiedene Typen von Lernern (Lerntypen) verschiedene „Kanäle“ (auditiv, visuell, haptisch, verbal-abstrakt) bevorzugen. Nach eigenen Untersuchungen stellte Vester eine Theorie der Lernbiologie auf, die die jedem Menschen eigenen Besonderheiten beim Aufnehmen, Verknüpfen und Speichern von Informationen beschreibt. Allerdings treten nach Vester die vier Lerntypen dieses Modells selten als idealtypische Ausprägungen auf, sondern meistens als Mischformen mit schwerpunktmäßiger Veranlagung (so zum Beispiel der audio-visuelle Typ). Diese Klassifikation ist wissenschaftlich umstritten, aber von Pädagogen im deutschen Sprachraum in großem Umfang rezipiert worden. Vester wurde im Jahr 1993 in den Club of Rome aufgenommen. 1999 wurde Vesters Buch „Die Kunst, vernetzt zu denken. Ideen und Werkzeuge für den Umgang mit Komplexität“ als „Der neue Bericht an den Club of Rome“ veröffentlicht (aktuell 10. Auflage dtv 2015). In dem Buch fasst Vester seine wesentlichen Aussagen zusammen und zeigt das Vorgehen sowie das breite Anwendungsspektrum des Sensitivitätsmodells in praktischen Projekten auf. Auszeichnungen (Auswahl) Förderpreis des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft im Rahmen des Adolf-Grimme-Preises 1974 (für die Sendung Künstliche Erinnerungen? Neue Entdeckungen der Hirnforschung, zusammen mit Gerhard Henschel) Deutsche Umweltschutzmedaille 1975 Autorenpreis der Deutschen Umwelthilfe 1979 Umweltpreis der Stadt Essen 1984 Saarländischer Verdienstorden 1989 Bayerische Umweltmedaille 1992 München leuchtet 1995 Ehrenmedaille der Leipziger ökonomischen Sozietät 2001 Werke (Auswahl) Bücher Bausteine der Zukunft. Fischer Bücherei, Frankfurt/Hamburg 1968. Das kybernetische Zeitalter, S. Fischer, 1974/ 1982, ISBN 3-10-087201-0 Denken, Lernen, Vergessen – Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn, und wann läßt es uns im Stich? Originalausgabe: dva (Deutsche Verlags-Anstalt), Stuttgart 1975 (Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste vom 31. März bis zum 24. August 1975); Taschenbuchausgabe: dtv, München, 1. Auflage 1978, 31. Auflage 2007, 33. Auflage September 2009, 38. Auflage September 2018 ISBN 978-3-423-33045-9 Phänomen Stress – Wo liegt sein Ursprung, warum ist er lebenswichtig, wodurch ist er entartet?, dtv, München 1976 / 2002, ISBN 3-423-33044-9 (Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste vom 1. März bis zum 18. April 1976) Ballungsgebiete in der Krise: Vom Verstehen und Planen menschlicher Lebensräume, Studie im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren im Rahmen des Umweltforschungsprogramms, dtv, München 1976 / 1991, ISBN 3-423-11332-4 Krebs – fehlgesteuertes Leben (mit Gerhard Henschel). dtv, München, 1977 Neuland des Denkens – Vom technokratischen zum kybernetischen Zeitalter, dtv, München 1984 / 2002, ISBN 3-423-33001-5 Ein Baum ist mehr als ein Baum – ein Fensterbuch, Kösel, München 1985, ISBN 3-466-11050-5 Bilanz einer Ver(w)irrung, Heyne, 1986, ISBN 3-453-43090-5 Der Wert eines Vogels, Kösel, München 1987, ISBN 3-466-11038-6 Wasser=Leben, Ein kybernetisches Umweltbuch mit 5 Kreisläufen des Wassers. Illustrationen: Peter Schimmel. Ravensburger, 1987, ISBN 3-473-35597-6 Leitmotiv vernetztes Denken. Für einen besseren Umgang mit der Welt. Heyne Sachbuch 109, 1990, ISBN 3-453-04020-1 Ausfahrt Zukunft: Strategien für den Verkehr von morgen (beinhaltet die Ergebnisse der Ford-Studie) Heyne, 1991, ISBN 3-453-03983-1 Crashtest Mobilität. Die Zukunft des Verkehrs. Fakten, Strategien, Lösungen., dtv, München 1999, ISBN 3-423-33050-3 Unsere Welt – ein vernetztes System, dtv, München 2002, ISBN 3-423-33046-5 Aufmerksamkeit im Unterricht (mit Günther Beyer), Verlag Quelle & Meyer, Aachen 2002, ISBN 3-494-01317-9 The Art of Interconnected Thinking. Ideas and Tools for tackling complexity. MCB-Verlag, München 2007 Die Kunst vernetzt zu denken – Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität; Der neue Bericht an den Club of Rome, DVA und dtv, München, 1. Auflage 1999, 6. Auflage 2007, 9. Auflage 2012, ISBN 3-423-33077-5 Das Ei des Kolumbus. Ein Energiebilderbuch von Frederic Vester, Kösel‐Verlag, München 1979. Sensitivitätsmodell Prof. Vester (seit 2006 Malik Sensitivitätsmodell nach Prof. Vester. Softwarepaket Malik Management Zentrum St. Gallen AG) Spiele Ökolopoly. Ein kybernetisches Umweltspiel, 1980 als Brettspiel, 1996 als PC-Diskette, später unter dem Namen "Ecopolicy" auf CD-ROM. Filme Denken, Lernen, Vergessen; 3-teilige Serie, 130 Minuten. Phänomen Stress; 4-teilige Serie, 52 Minuten. Neuland des Denkens; 2-teilige Serie, 135 Minuten. Meister der Komplexität; Interview, 55 Minuten. Multimedia Zeitbombe Klimawandel: ein Durchgang durch die Vernetzung der wichtigsten Klimafaktoren; Multimedia-CD-ROM für Windows, 2007, Gazette-Verlags-GmbH, München Ecopolicy – das kybernetische Strategiespiel; Lehr-Software gemäß JuSchG; (CD-ROM), MCB Publishing House, München, 2011, ISBN 3-939314-12-9 (deutsch-/englischsprachige multimediale CD-ROM für Windows, als Einzel- oder Netzwerkversion) Siehe auch Albert sagt … Natur – aber nur! System Dynamics Jay W. Forrester Medizinische Kybernetik Papiercomputer (Vester) Einflussmatrix Paul Hawken Ökolopoly Einzelnachweise Weblinks Internetpräsenz von Frederic Vester . Internetpräsenz Gesellschaft für Vernetztes Denken und Komplexitätsmanagement e.V. Interview mit Frederic Vester im Schweizer Fernsehen (1991). Person (Saarbrücken) Biochemiker Hochschullehrer (Universität der Bundeswehr München) Sachbuchautor Kybernetiker Systemwissenschaftler Naturschützer Person (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) Träger des Saarländischen Verdienstordens Träger der Bayerischen Staatsmedaille für Verdienste um Umwelt und Gesundheit Mitglied des Club of Rome Absolvent der Universität des Saarlandes Deutscher Geboren 1925 Gestorben 2003 Mann Bestsellerautor (Deutschland)
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https://de.wikipedia.org/wiki/Frame
Frame
Frame (englisch „Rahmen, Gestell“) steht für: Frame (Hilbertraum), besonderes Erzeugendensystem eines Hilbertraumes (Funktionalanalysis) Frame (HTML), Technik zur Unterteilung des Anzeigenbereichs eines Webbrowsers Frame (Schrift), virtueller zweidimensionaler Raum, der von einem einzelnen Schriftzeichen eingenommen wird Zähleinheit beim Snooker, siehe Liste der Snooker-Begriffe#Frame Frame (Waffe), Lanze der Germanen Frame (West Virginia), Ort in den Vereinigten Staaten Frame (Zeitschrift), Architekturzeitschrift aus Amsterdam Weiteres: Einzelbild in Videos, Animationen und Computerspielen, siehe Einzelbild (Film) Signal- bzw. Datenstruktur bei der Nachrichtenübermittlung, siehe Rahmen (Nachrichtentechnik) ein Objekt ähnlich der Vektorraumbasis, siehe Vektorbündel#Rahmen Datenframe, eine Dateneinheit Frame Ridge, Gebirgskamm im Viktorialand, Antarktika Dubai Frame, Hochhaus Frame ist der Familienname folgender Personen: Alex Frame (* 1993), neuseeländischer Radrennfahrer Janet Frame (1924–2004), neuseeländische Schriftstellerin Linley Frame (* 1971), australische Schwimmerin Rob Frame (* 1961), kanadischer Rugby-Union-Spieler Roddy Frame (* 1964), schottischer Singer-Songwriter und Musiker Siehe auch: Frame-Semantik Frames Framing
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https://de.wikipedia.org/wiki/Film%20noir
Film noir
Film noir [] (französisch für „schwarzer Film“) ist ein Terminus aus dem Bereich der Filmkritik. Ursprünglich wurde mit diesem Begriff eine Reihe von zynischen, durch eine pessimistische Weltsicht gekennzeichneten US-amerikanischen Kriminalfilmen der 1940er und 1950er Jahre klassifiziert, die im deutschen Sprachraum auch unter dem Begriff „Schwarze Serie“ zusammengefasst werden. Üblicherweise wird Die Spur des Falken von 1941 als erster und Im Zeichen des Bösen von 1958 als letzter Vertreter dieser klassischen Ära angesehen. Die Wurzeln des Film noir liegen in erster Linie im deutschen expressionistischen Stummfilm und der US-amerikanischen Hardboiled-Kriminalliteratur der 1920er und 1930er Jahre. Dementsprechend sind die Filme der klassischen Ära üblicherweise durch eine von starken Hell-Dunkel-Kontrasten dominierte Bildgestaltung, entfremdete oder verbitterte Protagonisten sowie urbane Schauplätze gekennzeichnet. Stil und Inhalte des Film noir fanden auch nach 1958 Verwendung. Diese später produzierten Filme mit Charakteristika der klassischen Ära werden häufig als „Neo-Noir“ bezeichnet. Die Verwendungsbeschränkung des Begriffs Film noir auf Filme US-amerikanischer Herkunft wurde zunehmend aufgegeben, so dass das Produktionsland für die Einordnung heutzutage oft keine Rolle mehr spielt. Zum Begriff „Film noir“ Herkunft Im Gegensatz zu anderen Filmgattungen wie Horrorfilm, Thriller oder Western wurde der Begriff Film noir auf Seiten der Filmpublizistik entwickelt und fasst rückwirkend eine Gruppe an vormals eher in losem Zusammenhang wahrgenommenen Filmen zusammen. Erstmalige Verwendung fand die Formulierung in einem im August 1946 erschienenen Artikel des französischen Filmkritikers Nino Frank. Dieser behandelte eine Reihe von Hollywood-Filmen der frühen 1940er Jahre, die aufgrund eines Importverbots erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs den Weg in die französischen Kinos gefunden hatten. Unter anderem befanden sich darunter auch die Filme Die Spur des Falken (1941), Frau ohne Gewissen (1944), Laura (1944) und Murder, My Sweet (1944). In diesen vier Produktionen glaubte Frank eine neue „dunklere“ Spielart des Kriminalfilms zu entdecken, die grundsätzlich mehr Augenmerk auf die Charakterisierung der Figuren als auf die Handlung legte. Er wies dabei u. a. auf den Einsatz von Off-Camera-Kommentaren hin, welche die Handlung fragmentieren und die „lebensechte“ Seite des Films hervorheben. Frank kreierte die Formulierung Film noir wahrscheinlich in Anspielung auf den Titel der Buchreihe Série noire des Pariser Gallimard-Verlags, in der seit 1945 Übersetzungen amerikanischer Hardboiled-Kriminalromane veröffentlicht wurden. Bis Ende der 1960er Jahre blieb die Verwendung des Begriffs allerdings im Wesentlichen auf Frankreich begrenzt. In den USA selbst wurden die betreffenden Filme bis dahin üblicherweise als psychological melodrama oder psychological thriller bezeichnet. Filmreihe, Genre oder Stil? Bis heute besteht in der Filmwissenschaft kein Konsens darüber, wie der Film noir zu klassifizieren ist. In einem der ersten das Thema betreffenden von den Franzosen Raymond Borde und Étienne Chaumeton verfassten Essay aus dem Jahr 1955 heißt es dazu: In ihrem Buch Hollywood in the Forties von 1968 bezeichneten die Briten Charles Higham und Joel Greenberg den Film noir indessen als eigenständiges Genre: Dagegen postulierte im Jahr 1970 der ebenfalls britische Kritiker Raymond Durgnat: Eine ähnliche Ansicht vertrat 1972 der Amerikaner Paul Schrader, indem er den Film noir mit Stilrichtungen wie der Nouvelle Vague oder dem Italienischen Neorealismus verglich. Wie diese sei auch der Film noir als ein zeitlich begrenztes und vorrangig durch motivische und stilistische Merkmale gekennzeichnetes Phänomen zu sehen. Schwierigkeiten der Zuordnung Da keine eindeutige Definition des Film noirs existiert, ist naturgemäß auch die Eingrenzung des Begriffes relativ unscharf. Die Meinungen, ob ein bestimmter Film als Film noir einzuordnen ist, können zum Teil sehr unterschiedlich ausfallen. So wird zwar beispielsweise der zeitliche Rahmen der klassischen Ära üblicherweise auf die 1940er und 1950er Jahre begrenzt, doch sowohl Vorläufer (z. B. Gehetzt [1937]) als auch jüngere Filme (z. B. Explosion des Schweigens [1961]) können unter den Begriff fallen. Auch bezüglich der Herkunft als definierender Faktor besteht keine Einigkeit. Zwar zählen viele Film-noir-Experten wie beispielsweise Paul Schrader oder Alain Silver und Elizabeth Ward ausdrücklich nur Hollywood-Produktionen zum klassischen Film noir, manche Filmwissenschaftler wie James Naremore oder Andrew Spicer fassen den Begriff aber weiter und beziehen insbesondere auch britische und französische Produktionen mit ein (siehe Abschnitt „Film noir außerhalb der Vereinigten Staaten“). Auch inhaltlich existieren keine definitiven Kriterien für die Zuordnung. Selbst die weit verbreitete Ansicht, dass es sich bei Films noirs ausschließlich um Kriminalfilme handle, ist keineswegs allgemein akzeptiert. So wendete schon Nino Frank den Begriff explizit auch auf Billy Wilders Das verlorene Wochenende (1945) an, ein „Problemfilm“-Melodrama über einen Alkoholiker. Zwar wurde dieser Film in späteren Abhandlungen zum Thema weitgehend ignoriert, dafür wurden im Lauf der Zeit unter anderem sogar einige Western (z. B. Verfolgt [1947]) oder Historienfilme (z. B. Dämon von Paris [1949]) dem klassischen Film-noir-Kanon zugeordnet. Vorläufer und Einflüsse Filmische Vorläufer Deutscher Expressionismus Die Ästhetik des Film noir ist stark vom expressionistischen Stummfilm der 1920er Jahre mit seinen scharfen Hell-Dunkel-Gegensätzen, Kamerafahrten mit „entfesselter Kamera“ und verzerrten Kameraperspektiven geprägt. Expressionistische Werke wie Der letzte Mann (1924) oder Metropolis (1927) stießen in der amerikanischen Filmindustrie auf große Bewunderung und beeinflussten dort schon in den frühen 1930er Jahren die Horrorfilme der Universal Studios. Einen bedeutenden Anteil an dieser Entwicklung hatte der Metropolis-Kameramann Karl Freund, der u. a. bei Dracula (1931) und Mord in der Rue Morgue (1932) mitwirkte. Später fotografierte Freund die Films noirs Der unbekannte Geliebte (1946) und Gangster in Key Largo (1948). Während der 1930er Jahre führten die vielversprechenden Möglichkeiten Hollywoods und der aufkommende Nationalsozialismus zur Auswanderung zahlreicher weiterer Filmemacher deutscher und österreichisch-ungarischer Herkunft. Diese brachten ihre Techniken der Bildgestaltung mit nach Hollywood und verstärkten dort den expressionistischen Einfluss. Besonders hervorzuheben ist hier der Regisseur Fritz Lang, dessen erste beiden Hollywood-Filme Blinde Wut (1936) und Gehetzt (1937) bereits viele visuelle und thematische Elemente des Film noir vorwegnehmen. Früh prägend für den visuellen Stil des Film noir war auch der Kameramann Theodor Sparkuhl, dessen Low-key-Fotografie in Zum Leben verdammt (1941), Der gläserne Schlüssel und Der schwarze Vorhang (beide 1942) mit der kontrastarmen Beleuchtung vieler Gangsterfilme der 1930er Jahre brach. Weitere für den Film noir wichtige Hollywood-Immigranten waren vor allem die Regisseure Robert Siodmak, Billy Wilder, Otto Preminger, John Brahm, Max Ophüls, Fred Zinnemann, William Dieterle, Edgar G. Ulmer, Curtis Bernhardt, Rudolph Maté, Anatole Litvak und Michael Curtiz, die zahlreiche bedeutende Filme des klassischen Kanons schufen, sowie der stilbildende Kameramann John Alton, der unter anderem die Films noirs von Anthony Mann und Joseph H. Lewis fotografierte. Poetischer Realismus und Neorealismus Ebenfalls wegweisend für den Film noir war die Bewegung des poetischen Realismus im französischen Film der späten 1930er Jahre, der die bitteren sozialen und politischen Realitäten der unteren sozialen Schichten thematisierte. Werke wie Julien Duviviers Pépé le Moko – Im Dunkel von Algier (1936), Jean Renoirs Bestie Mensch (1938) oder Marcel Carnés Hafen im Nebel (1938) und Der Tag bricht an (1939) (alle mit Jean Gabin in der Hauptrolle) mischten romantische Krimihandlungen mit heroischen, dem Untergang geweihten Protagonisten. Wenn auch nicht ganz so misanthropisch und zynisch wie der Film noir, gibt es doch eine klare Verwandtschaft zwischen beiden Bewegungen. Folgerichtig lieferten Bestie Mensch und Der Tag bricht an die Vorlagen für die Films noirs Lebensgier (1954) und Die Lange Nacht (1947). Straße der Versuchung (1945) basiert ebenfalls auf einem Film Renoirs. Im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen spielten die französische Filmemacher selbst im Hollywood der 1940er und 1950er Jahre allerdings kaum eine Rolle. In Bezug auf den Film noir ist hier lediglich Jean Renoirs Melodrama Die Frau am Strand (1947) zu nennen, das von einigen Kritikern dem klassischen Zyklus zugeordnet wird. Der bedeutende Film-noir-Regisseur Jacques Tourneur wiederum war zwar von Geburt Franzose, erlernte sein Handwerk aber in Hollywood. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm auch der italienische Neorealismus mit seiner quasi-dokumentarischen Authentizität Einfluss auf die Entwicklung des Film noir. Filmemacher wie Jules Dassin (Stadt ohne Maske, Gefahr in Frisco) und Elia Kazan (Bumerang, Unter Geheimbefehl) verlegten ihre Drehorte von den Filmstudios hinaus auf die Straße. The March of Time und der Dokumentarfilm Neben den dokumentarischen Stilmitteln des Neorealismus hinterließen auch authentische Dokumentarfilme ihre Spuren im Film noir. Louis de Rochemont, der mit der Dokumentarreihe The March of Time Bekanntheit erlangt hatte, produzierte mit Das Haus in der 92. Straße (1946) den ersten Vertreter der sogenannten Semidocumentaries (etwa „halbdokumentarische Filme“). Dessen Erfolg zog eine Serie von Spielfilmen nach sich, in denen die Ermittlungsarbeit von Polizisten und anderen Staatsbediensteten gezeigt und von einem Sprecher kommentiert wurde, darunter Geheimagent T (1947), Stadt ohne Maske (1948) und Unter Geheimbefehl (1950). Literarische Einflüsse Den hauptsächlichen literarischen Einfluss auf den Film noir hatte die „Hardboiled“-Schule amerikanischer Kriminalliteratur, die von Autoren wie Dashiell Hammett seit den 1920er Jahren geprägt und meist in Pulp-Magazinen wie Black Mask publiziert wurde. Die frühen Film noir-Meisterwerke Die Spur des Falken (1941) und Der gläserne Schlüssel (1942) basieren beide auf Romanen von Hammett. Bereits 1931, ein Jahrzehnt vor Beginn der „klassischen Ära“, diente eine von Hammetts Geschichten als Grundlage des Gangsterfilms Straßen der Großstadt von Regisseur Rouben Mamoulian und Kameramann Lee Garmes. Dieser Film gilt heute aufgrund seines visuellen Stils als wichtiger Vorläufer des Film Noir. Bald nach Erscheinen seines ersten Romans The Big Sleep im Jahr 1939 wurde Raymond Chandler zum bekanntesten Autor der Hardboiled-Schule. Mehrere Romane Chandlers wurden zu Films noirs verarbeitet, beispielsweise Murder, My Sweet (1944), Tote schlafen fest (1946) und Die Dame im See (1947). Chandler war für den Film noir auch ein wichtiger Drehbuchautor, der die Skripte zu Frau ohne Gewissen (1944) und Die blaue Dahlie (1946) sowie die Erstfassung von Der Fremde im Zug (1951) verfasste. Während Hammett und Chandler die meisten ihrer Geschichten auf die Figur des Privatdetektivs ausrichteten, stellte James M. Cain in seinen Werken weniger heldenhafte Protagonisten dar und fokussierte mehr auf die psychologische Studie als auf die Aufklärung des Verbrechens. Cains Romane lieferten unter anderem die Vorlage für die Films noirs Frau ohne Gewissen (1944), Solange ein Herz schlägt (1945) und Im Netz der Leidenschaften (1946). Ein weiterer einflussreicher Autor war in den 1940er Jahren Cornell Woolrich (auch unter den Pseudonymen George Hopley und William Irish bekannt). Kein anderer Autor steuerte so viele Vorlagen zu Films noirs bei wie er: Silver & Ward nennen insgesamt 13, darunter Zeuge gesucht (1944), Vergessene Stunde (1946), Die Nacht hat tausend Augen (1948) und Das unheimliche Fenster (1949). Ähnlich essenziell für den Film noir ist das Werk von W. R. Burnett. Burnetts erster Roman Little Caesar diente als Vorlage für den Gangsterfilm-Klassiker Der kleine Cäsar (1931), außerdem schrieb er die Dialoge für Scarface (1932). Ebenfalls im Jahr 1932 entstand The Beast of the City nach einer Burnett-Vorlage. Trotz seines frühen Entstehungsjahres wird dieser Film von manchen Kritikern bereits als Film noir angesehen. Während der „klassischen Ära“ lieferte Burnett dann als Roman- oder Drehbuchautor die Basis für sechs weitere Filme, die heute als Films noirs angesehen werden, darunter Entscheidung in der Sierra (1941) und Asphalt-Dschungel (1950). Weitere wichtige Autoren, die nicht der Hardboiled-Schule angehörten aber die literarischen Vorlagen für Films noirs lieferten, waren z. B. Eric Ambler (Von Agenten gejagt [1943], Die Maske des Dimitrios [1944]), Graham Greene (Die Narbenhand [1942], Ministerium der Angst [1944]) und Ernest Hemingway (Rächer der Unterwelt [1946], Menschenschmuggel [1950]). Die „Schwarze Serie“ Nach Ansicht der meisten Experten ist John Hustons Detektivfilm Die Spur des Falken (1941) als erster klassischer Film noir anzusehen. (Allerdings wird in diesem Zusammenhang gelegentlich auch der kurz zuvor erschienene, aber weniger bekannte Stranger on the Third Floor aus dem Jahr 1940 genannt.) Der Film, in dem Humphrey Bogart und Mary Astor als Hauptdarsteller auftreten, erscheint visuell zwar noch konventionell, besitzt jedoch mit dem Privatdetektiv und einer Reihe exzentrischer Protagonisten typische Merkmale späterer Films noirs. Damit beginnt auch die erste von drei Phasen des amerikanischen Film noir, die der Kritiker Paul Schrader unterscheidet, die „wartime period“ („Phase der Kriegsjahre“) etwa von 1941 bis 1946. In diesen Jahren ist der Charakter des Privatdetektivs oder des sogenannten „einsamen Wolfs“ vorherrschend. Bücher von Chandler und Hammett bilden häufig die Vorlage, und eine Reihe von Darstellern etabliert sich im Film noir, so Humphrey Bogart und Lauren Bacall (Tote schlafen fest, 1946) und Alan Ladd und Veronica Lake (Die Narbenhand und Der gläserne Schlüssel, beide 1942). Während einige Films noirs von Regisseuren stammten, die bereits etabliert waren, wie zum Beispiel Tay Garnett (Im Netz der Leidenschaften, 1946), Fritz Lang (Gefährliche Begegnung, 1944) oder Howard Hawks (Tote schlafen fest, 1946), dienten andere ihren Regisseuren als Karrieresprungbrett, darunter John Huston, Otto Preminger (Laura, 1944), Billy Wilder (Frau ohne Gewissen, 1944) und Edward Dmytryk (Murder, My Sweet, 1944). Wilders Frau ohne Gewissen markiert für Schrader den Übergang von der ersten zur zweiten Phase des Film noir. Als zweite Phase der „Schwarzen Serie“ nennt Schrader die „post-war realistic period“ („realistische Nachkriegsphase“) etwa von 1945 bis 1949. Die Filme aus dieser Zeit handeln stärker vom Verbrechen auf der Straße, von korrupten Politikern und von alltäglicher Ermittlungsarbeit. Die Helden sind weit weniger romantisch als ihre Vorgänger, und das urbane Erscheinungsbild der Filme realistischer. Vertreter dieser Phase sind Das Haus in der 92. Straße und Rächer der Unterwelt (beide 1946), Der Todeskuß und Geheimagent T (beide 1947) sowie Stadt ohne Maske (1948). Die dritte und letzte Phase, etwa von 1949 bis 1953, ist laut Schrader die „period of psychotic action and suicidal impulse“ („Phase der psychotischen Handlungen und selbstmörderischen Triebe“). Die Persönlichkeit der Figuren löst sich auf, psychotische Mörder sind nun oft die Hauptfiguren. Ästhetisch und soziologisch sind dies für Schrader die durchdringendsten Filme, die häufig als B-Produktionen entstehen. Zu dieser Phase zählt Schrader Joseph H. Lewis’ Gefährliche Leidenschaft, Otto Premingers Faustrecht der Großstadt, Gordon Douglas’ Den Morgen wirst du nicht erleben (alle 1950) und Fritz Langs Heißes Eisen (1953). Als 1955 Rattennest von Robert Aldrich herauskam, war das Phänomen Film noir „zum Stillstand gekommen“ (Schrader). Das Amerika der Eisenhower-Ära wollte positivere Abbildungen seines „way of life“ sehen, und zugleich waren Fernsehen und Farbfilm auf dem Vormarsch. Orson Welles’ Meisterwerk Im Zeichen des Bösen aus dem Jahr 1958 wird meistens als Schlusspunkt des klassischen Film noir angesehen. Allerdings wurden und werden auch seit Ende der klassischen Phase gelegentlich immer noch Filme produziert, die thematische, visuelle oder andere Elemente des Film noir aufgreifen. Diese werden heutzutage meist mit dem Begriff „Neo-Noir“ beschrieben. Darüber hinaus wurden bereits während der klassischen Phase auch außerhalb der Vereinigten Staaten Filme produziert, die mittlerweile von vielen Experten als Film noir klassifiziert werden (siehe Abschnitt „Film noir außerhalb der Vereinigten Staaten“). Merkmale Themen und Figuren Kriminalität, insbesondere Mord, ist ein Kernelement fast aller Films noirs, wobei häufig Motive wie Geldgier oder Eifersucht zum Tragen kommen. Die Aufklärung des Verbrechens, mit der ein Privatdetektiv, ein Polizeikommissar oder eine Privatperson befasst sein kann, ist ein häufiges, aber dennoch nicht vorherrschendes Thema. In anderen Plots mag es um einen Überfall, um Betrügereien oder um Verschwörungen und Affären gehen. Films noirs drehen sich tendenziell um Helden (eigentlich Antihelden), die ungewöhnlich lasterhaft und moralisch fragwürdig sind. Sie werden häufig als alienated (dt. veräußert, entfremdet) beschrieben, oder in den Worten von Alain Silver und Elizabeth Ward, als „erfüllt von existenzieller Verbitterung“. Unter den archetypischen Figuren des Film noir finden sich hartgesottene („hardboiled“) Detektive, Femmes fatales, korrupte Polizisten, eifersüchtige Ehemänner, unerschrockene Versicherungsangestellte sowie heruntergekommene Schriftsteller. Von diesen sind, wie das Gros der Neo-Noirs zeigt, der Detektiv und die Femme fatale diejenigen Charaktere, die am ehesten mit Film noir assoziiert werden, obwohl bei weitem nicht alle der klassischen Films noirs diese beiden Charaktere zeigen. Das Menschenbild ist pessimistisch. Oftmals steht jeder gegen jeden, alle sind nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht und wer anderen vertraut, hat das Nachsehen. Typisch für den Film noir sind die urbanen Schauplätze, wobei Los Angeles, San Francisco, New York City und Chicago wohl zu den beliebtesten zählen. Die Stadt steht meist sinnbildlich für ein Labyrinth, in dem die Protagonisten gefangen sind; Bars, Nachtclubs und Spielhöllen, heruntergekommene Fabrikhallen und einsame Straßenschluchten sind die üblichen Schauplätze der Handlung. Besonders die Spannungshöhepunkte in einigen Filmen liegen in komplexen, oft industriellen Szenerien, so zum Beispiel die Explosion in Sprung in den Tod (1949). Erzähltechnik Rückblenden und Voice-over (=eine Erzählerstimme) zählen zu den häufig angewandten Erzähltechniken im Film noir. Oft dient ein Voice-over zur Unterstreichung der Ausweglosigkeit einer Situation oder eines Protagonisten und nimmt bereits zu Beginn des Films den fatalen Ausgang der Geschichte vorweg. Der Voice-over kann jedoch auch eine dem Zuschauer Sicherheit vermittelnde Funktion haben: „In der tödlich instabilen Noir-Welt dient der Voice-over oft als Halt […] er ist unser Wegweiser durch das Noir-Labyrinth“ (Foster Hirsch). Des Weiteren sind Films noirs stärker als andere Hollywood-Produktionen auf die subjektive Sicht des Protagonisten fixiert, so beispielsweise in der Traum- und Halluzinationsszene in Murder, My Sweet. Die Dame im See und Die schwarze Natter (beide 1947) sind über weite Strecken aus dem Blickwinkel der jeweiligen Hauptfigur gefilmt, sodass diese sich dem Betrachter lediglich in Spiegelbildern zeigt. Visueller Stil Der Stil des Film noir ist geprägt von einer Low-Key-Beleuchtung, die kräftige Hell-dunkel-Kontraste und auffällige Schattenbilder erzeugt. Weitere visuelle Eigenarten des Film noir sind sein Gebrauch von schrägen Kameraperspektiven, extreme Unter- oder Aufsichten und der häufige Einsatz von Weitwinkelobjektiven. Aufnahmen von Personen im Spiegel und durch gewölbtes Glas hindurch, sowie andere bizarre Effekte kennzeichnen den Film noir. In den späten 1940er Jahren entstanden zudem viele Filme an Originalschauplätzen. Dies wurde durch zunehmend empfindlicheres Filmmaterial und leichteres Equipment ermöglicht. Dennoch ist der visuelle Stil im Film noir keineswegs homogen: So wird zwar die Schwarzweißfotografie häufig als essenziell angesehen, doch existieren mit Todsünde (1945), Niagara (1953) oder Das Mädchen aus der Unterwelt (1958) Beispiele für Farbfilme, die als Film noirs anerkannt sind. Auch Filme, die überwiegend in hellem Tageslicht fotografiert wurden, werden dem Film noir zugerechnet, beispielsweise M und Reporter des Satans (beide 1951). Weltsicht und Stimmung Film noir ist grundsätzlich pessimistisch. In den Geschichten, die als charakteristisch angesehen werden, finden sich die Figuren in unvorhergesehenen Situationen gefangen und kämpfen gegen das Schicksal, das ihnen in der Regel ein schlimmes Ende beschert. Die Filme beschreiben eine Welt, der die Korruption innewohnt. Von vielen Filmtheoretikern wird Film noir mit der Gesellschaft seiner Zeit in den USA, die infolge des Zweiten Weltkriegs von Angst und Befremdung gekennzeichnet ist, in Verbindung gebracht. Nicholas Christopher umschreibt es so: „Es ist, als hätten der Krieg und die in seinem Gefolge auftretenden sozialen Umwälzungen Dämonen freigelassen, die in der Psyche der Nation eingesperrt gewesen waren.“ Anstatt sich auf einfache Gut-und-Böse-Konstruktionen zu beschränken, baut der Film noir moralische Zwickmühlen auf, die ungewöhnlich uneindeutig sind – zumindest für das typische Hollywood-Kino. Es sind keine Charaktere, die ihre Ziele nach klaren moralischen Vorgaben verfolgen: Der Ermittler in Die Spur des Fremden (1946), der wie besessen einen Nazi-Verbrecher aufspüren will, bringt andere Personen in Lebensgefahr, um die Zielperson zu fassen. Die pessimistische Stimmung des Film noir bezeichnen Kritiker auch als dunkel und „überwältigend schwarz“ (Robert Ottoson). Paul Schrader schrieb, dass Film noir durch seine Stimmung definiert sei, eine Stimmung, die er als „hoffnungslos“ bezeichnet. Auf der anderen Seite sind gewisse Filme der Schwarzen Serie jedoch berühmt für die Schlagfertigkeit ihrer Hardboiled-Figuren, die mit sexuellen Anspielungen und selbstreflektivem Humor gespickt ist. Sozialkritik und Politik im Film noir Viele Films noirs, insbesondere die auf Vorlagen der Hardboiled-Autoren basierenden, beleuchten das Milieu sozial benachteiligter Schichten oder stellen unterschiedliche soziale Schichten kontrastierend gegenüber. Filme wie Der gläserne Schlüssel (1942) und Murder, My Sweet (1944) sind laut Georg Seeßlen von „einer latenten gesellschaftskritischen Tendenz durchzogen, wie sich überhaupt an den Filmen, mehr noch aber an den an ihnen beteiligten Personen belegen läßt, daß das Genre der private-eye-Filme durchaus ein Derivat einer «linken» Strömung in Hollywood sein mochte.“ Regisseure, die sich mit sozialkritischen Themen hervortaten, waren Edward Dmytryk (Murder, My Sweet, Cornered, Im Kreuzfeuer), Robert Rossen (Johnny O’Clock, Jagd nach Millionen), Jules Dassin (Zelle R 17, Die nackte Stadt) und Joseph Losey (Dem Satan singt man keine Lieder, M). Mit Beginn der antikommunistischen McCarthy-Ära endeten die Karrieren dieser Regisseure jäh. Thom Andersen schuf für diese um „größeren psychologischen und sozialen Realismus“ bemühten Filme den Begriff Film gris. James Naremore erweitert die Liste sozial engagierter Regisseure um Orson Welles und John Huston und sieht den Film noir der 1940er Jahre in zwei Lager gespalten, den des „Humanismus und politischen Engagements“ auf der einen, den des „Zynismus und der Misanthropie“ (vertreten etwa durch Alfred Hitchcock und Billy Wilder) auf der anderen Seite. Die „Schwarze Liste“ der McCarthy-Ära bedeutete das Ende einer „wichtigen Bewegung der kulturellen Geschichte Amerikas“, denn „ohne die Generation der Roten der 1940er Jahre würde die Tradition des Film noir kaum existieren.“ (Naremore) Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre schlug sich das geänderte politische Klima in den USA auch im Film noir nieder. Es entstand eine Reihe von Filmen, die vor der Gefahr kommunistischer „Unterwanderung“ warnten wie The Woman on Pier 13 oder Ich war FBI Mann M.C. Detaillierte Milieuschilderungen wie in Steckbrief 7-73 von John Berry (der ebenfalls auf die Schwarze Liste gesetzt wurde) verschwanden aus dem Film noir. Eine Ausnahme stellte Samuel Fullers Polizei greift ein dar, der eine antikommunistische Botschaft mit dem Porträt von Vertretern der amerikanischen Unterschicht verband. Im amerikanischen Detektivroman wurde Mickey Spillanes „faschistischer Rächer“ (Naremore) Mike Hammer zur populärsten Figur jener Jahre. Film noir außerhalb der Vereinigten Staaten Im Großbritannien der Nachkriegszeit entstand eine ganze Reihe von Filmen, die dem Film noir stilistisch nahestehen, was zur Prägung des Begriffs „British Noir“ führte. Prominente Beispiele sind Brighton Rock von John Boulting nach einem Roman von Graham Greene, Sträfling 3312 von Alberto Cavalcanti und Ausgestoßen von Carol Reed, alle aus dem Jahr 1947. Mit Der dritte Mann (1949, ebenfalls nach einem Graham-Greene-Roman) inszenierte Carol Reed auch den wohl berühmtesten Vertreter des British Noir. Aufgrund der Repressionen der McCarthy-Ära emigrierten auch einige Hollywood-Regisseure nach Großbritannien und schufen dort ebenfalls herausragende Werke des British Noir, wie z. B. Der Wahnsinn des Dr. Clive (1949) von Edward Dmytryk, Teuflisches Alibi von Joseph Losey und Duell am Steuer von Cy Endfield (beide 1957). Auch in Frankreich wurden während der klassischen Ära zahlreiche Filme produziert, die in der Tradition des amerikanischen Film noir stehen. Einer der bekanntesten davon ist Rififi (1955) von dem aus den USA nach Frankreich emigrierten Jules Dassin. Weitere herausragende Beispiele sind Julien Duviviers Panik (1946), Henri-Georges Clouzots Unter falschem Verdacht (1947) und Die Teuflischen (1954), Jacques Beckers Goldhelm (1952) und Wenn es Nacht wird in Paris (1954) sowie Jean-Pierre Melvilles Drei Uhr nachts (1956). Mit Der Teufel mit der weißen Weste (1962) und Der zweite Atem (1966) schuf Melville auch noch nach Ende der klassischen Ära bedeutende französische Film noirs. Auch die Regisseure der Nouvelle Vague hatten in ihrem Kampf gegen das etablierte und langweilige französische „Qualitätskino“ der 1950er Jahre eine Vorliebe für die schnell und billig produzierten Filme der „Schwarzen Serie“. Besonders die jüngeren Vertreter wie Samuel Fuller und Robert Aldrich wurden von ihnen bewundert, und der Film noir geriet in ihrem Schaffen zur Inspirationsquelle. Louis Malles Fahrstuhl zum Schafott (1958), ein Vorläufer der Nouvelle Vague, nutzt ausgiebig die thematischen und stilistischen Vorgaben des Film noir, und François Truffauts Schießen Sie auf den Pianisten (1960) basiert auf einem Roman des Noir-Autoren David Goodis. Sogar in Deutschland und Österreich entstanden einige Filme mit Noir-Attributen. Als bedeutendster davon gilt heute Peter Lorres Der Verlorene (1951). Weitere Beispiele sind Epilog – Das Geheimnis der Orplid (1950) von Helmut Käutner, der thematisch und stilistisch an Der dritte Mann anknüpft, Abenteuer in Wien (1952) von Emil-Edwin Reinert und Robert Siodmaks Nachts, wenn der Teufel kam (1957). Neo-Noir Mit dem Begriff Neo-Noir werden Filme zusammengefasst, die seit dem Ende der Ära des klassischen Film noir entstanden und die die typischen visuellen und narrativen Elemente des Film noir variieren oder nur reproduzieren. Film noir in anderen Medien Fernsehserien Als der Film noir in den Kinos seinem Ende entgegenging, begann das neue Medium Fernsehen, das damals noch schwarzweiß war, sich rasant zu verbreiten. Trotz des völlig anderen Seherlebnisses und des nicht geschlossenen Formats der Serie wagten es einige Filmemacher, Fernsehsendungen im Noir-Stil zu produzieren. Den Anfang machte die Detektivserie China Smith (1952–1954), zu der auch Robert Aldrich wenige Episoden beisteuerte. Die Hauptfigur war gekennzeichnet durch Sarkasmus, Heimatlosigkeit und einen eigenen Moralkodex. Auch im Noir-Stil präsentierte sich die Serie Four Star Playhouse (1952–1956), an der neben Robert Aldrich auch Drehbuchautor Blake Edwards und Schauspieler Dick Powell beteiligt waren. Weitere „hartgesottene“ Detektivserien in den 1950ern waren Mickey Spillane’s Mike Hammer (1956–1959) und The Man with a Camera (1958–1959). Peter Gunn (1958–1961), die einen emotional abgeschotteten Detektiv als Hauptfigur zeigt, ist in besonderem Maße düster, fatalistisch und gewaltvoll. Von Peter Gunn inspiriert ist die nur wenig später erschienene Serie Johnny Staccato (1959–1960), die ebenfalls von Low-Key-Beleuchtung und Ich-Erzähler Gebrauch macht, allerdings stärker von der verwendeten Jazzmusik geprägt ist. Bei einigen Episoden von Johnny Staccato führte John Cassavetes Regie. Die erfolgreichste aller Noir-Serien war Auf der Flucht (1963–1967) nach einem Konzept von Roy Huggins. Sie beruht hauptsächlich auf den Romanen David Goodis’. Die Hauptfigur Dr. Kimble (gespielt von David Janssen), die von Entfremdung und Angst gezeichnet ist, ist ein typischer Antiheld. Danach verschwanden die Noir-Serien auch wieder und kamen erst in der Blütezeit des Neo-Noir erneut zum Vorschein. Michael Manns Miami Vice (1984–1989), Robert B. Parkers Spenser: For Hire (1985–1988), das Remake Mickey Spillane’s Mike Hammer (1984–1987) sowie Fallen Angels (1993–1995) sind Beispiele für jüngere Hommagen an den Film noir. Auch beim Zeichentrick gibt es mit Noir (2001) eine stark vom Film noir inspirierte Serie. In der Fernsehserie Veronica Mars (2004–2007) übernimmt eine Schülerin die Rolle des hartgesottenen Detektivs. Als Tochter eines Privatdetektivs und ehemaligen Polizeichefs hilft sie diesem außerhalb ihrer Schulzeit bei diversen Fällen aus. Sie ist eine Außenseiterin, geprägt von persönlichen Traumata wie der alkoholabhängigen Mutter und der eigenen Vergewaltigung durch einen Mitschüler und besitzt eine desillusionierte Sicht auf das Leben in ihrer Schule und Heimatstadt. Comics Der grafische Stil des Film noir hielt schon früh Einzug in die Comicwelt. Will Eisners Comicreihe The Spirit, die bereits 1940 erstmals und 1952 zum letzten Mal erschien, war in dieser Hinsicht wegweisend. Deren Held, Privatdetektiv Danny Colt, verfügt über keinerlei übernatürliche Kräfte, sondern wandelt mit einer bloßen Augenmaske durch die bedrohlich-düstere Großstadt. Nebenfiguren in Außenseiterrollen treten in den Mittelpunkt der Geschichten. Inspiriert durch The Spirit entstanden in den vergangenen Jahrzehnten weitere zahlreiche Comics im Noir-Stil, von denen Watchmen von Alan Moore, Daredevil von Stan Lee sowie Batman von Bob Kane zu den wichtigsten zählen. Eines der neusten Beispiele liefert Comicautor Frank Miller mit der Serie Sin City, die 2005 verfilmt wurde. Als europäischer Vertreter ist der französische Comic-Zeichner Jacques Tardi zu nennen. Computerspiele Mittlerweile gibt es eine Reihe von Computerspielen, die auf bekannten Vorbildern des Film noir basieren oder sich in der Tradition des Film noir sehen. Dies sind meistens Adventures, da sie sowohl gut die Handlung als auch typische Optikelemente darstellen können. Es finden sich jedoch, wenn auch selten, einzelne Stilelemente in anderen Spielgenres wie dem Ego-Shooter oder dem Third-Person-Shooter wieder. Der getreuste Vertreter des Film noir findet sich in dem Adventurespiel Private Eye, welches eine Adaption des Phillip Marlowe Romans „The Little Sister“ („Die kleine Schwester“) ist. Im Spiel kann der originale Plot des Romans oder ein alternativer Story-Verlauf gespielt werden. Ein weiterer Vertreter des Genres ist Grim Fandango von LucasArts, ein Adventure, welches in einem Totenreich spielt, und eine sehr außergewöhnliche Optik bietet. Ebenso ist Sam aus dem Adventurespiel Sam & Max eine dem Film Noir entlehnte Figur des Hardboiled Detective, auch die Ausdrucksweise ist dem Film noir entnommen. In einer Episode ist es sogar möglich „Noir“ als Option für eine Antwort in Dialogen zu geben. L.A. Noire ist ein 2011 erschienenes Computerspiel von Rockstar Games, das sich ebenfalls dem Film noir verschrieben hat. Es mischt Action- und Open-World-Elementen mit adventureartigen Ermittlungspassagen. Neben L.A. Noire gilt auch das storylastige Adventure Heavy Rain als moderner Vertreter des Film noir. Hier wird die Stimmung aufgrund des durchweg fallenden Regens und des dunklen Grundtons bestimmt. Einen anderen Ansatz bietet Discworld Noir von Perfect Entertainment. Hier werden klassische Film-noir-Beispiele (wie zum Beispiel Die Spur des Falken) stark referenziert, aber in anderer, dem Scheibenwelt-Universum angepasster Form dargestellt. In dem Spiel Max Payne werden Kinoelemente aus dem Actiongenre im Stile John Woos mit starken Einflüssen des Film noir vor allem in der Rahmenhandlung kombiniert, und mit entsprechender Musik unterlegt. Hotel Dusk: Room 215 für das Nintendo DS ist eine Mischung aus interaktivem Film und Adventure mit klassischen Film noir-Elementen. Filmografie: Bedeutende Vertreter des Film noir Films noirs der „klassischen“ Ära Films noirs nach 1958 („Neo-Noir“) Literatur Alexander Ballinger, Danny Graydon: The Rough Guide to Film Noir. Rough Guides, London und New York 2007, ISBN 978-1-84353-474-7. Thomas Brandlmeier: Film noir. Die Generalprobe der Postmoderne. München: edition text + kritik 2017, ISBN 978-3-86916-599-8. Ian Cameron: The Book of Film Noir. Continuum International, New York 1994, ISBN 978-0-8264-0589-0. 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https://de.wikipedia.org/wiki/Fred%20Zinnemann
Fred Zinnemann
Fred Zinnemann (* 29. April 1907 als Alfred Zinnemann in Rzeszów, Österreich-Ungarn; † 14. März 1997 in London) war ein österreichisch-US-amerikanischer Filmregisseur, der im Jahr 1929 in die USA auswanderte und ab den 1940er-Jahren ein bekannter Hollywood-Regisseur wurde. Seine zwischen 1936 und 1982 entstandenen Filme – darunter Klassiker wie Zwölf Uhr mittags, Verdammt in alle Ewigkeit, Ein Mann zu jeder Jahreszeit und Der Schakal – erhielten 65 Oscar-Nominierungen und gewannen 24 Oscars; er selbst wurde fünfmal mit dem Oscar ausgezeichnet. Leben und Wirken Fred Zinnemann, Sohn eines Arztes, kam im Nordosten Österreich-Ungarns in einer jüdischen Familie zur Welt und wuchs im 3. Wiener Bezirk auf. In seiner Jugend war er eng mit dem späteren Hollywood-Regisseur Billy Wilder befreundet, mit dem er zeitweise in dieselbe Klasse ging und ein Leben lang Kontakt hielt. Zinnemann maturierte 1925 am Franz-Joseph-Gymnasium Stubenbastei und begann, nachdem er sich zunächst für eine musikalische Ausbildung interessiert hatte, ein Studium der Rechtswissenschaften. 1927 nahm er nach großem Widerstand seiner Eltern und Verwandten in Paris an der Ecole Technique de Photographie et de Cinématographie eine Kameraausbildung auf. Ab 1928 in Berlin tätig, war er 1929 Kameraassistent bei einem Stummfilm mit Marlene Dietrich. Seine dritte Kameraassistenz absolvierte er im Sommer 1929 bei dem Film Menschen am Sonntag von Edgar G. Ulmer und Billy Wilder, „der bald einmal berühmt gewordenen Außenseiterproduktion der Brüder Siodmak“. Zinnemann verließ im Oktober 1929 Deutschland und ging nach Hollywood. Dort arbeitete er als Regieassistent und Kurzfilmregisseur. Er hatte einen Auftritt als Kleindarsteller in dem Spielfilm Im Westen nichts Neues, es kam jedoch zu keiner Schauspielkarriere. Zinnemann wurde erst einmal Assistent des österreichischen Regisseurs Berthold Viertel und lernte durch ihn Robert J. Flaherty kennen. Dieser vermittelte Zinnemann eine erste Regie beim dokumentarischen Spielfilm Netze (Redes) über die Ausbeutung mexikanischer Fischer. Der Film, an dem der Fotograf Paul Strand mitwirkte, entstand in den Jahren 1934 bis 1936. Zinnemann nahm 1936 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und begann 1937 seine Tätigkeit in der Kurzfilmabteilung von Metro-Goldwyn-Mayer (MGM). Für seinen dritten Kurzfilm That Mothers Might Live über den ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis erhielt er 1938 seinen ersten Oscar. In den 1940er Jahren konnte sich Zinnemann nach seinen ersten Erfolgen schließlich dem Spielfilm zuwenden. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er von MGM an den Produzenten Lazar Wechsler ausgeliehen. In dieser Zeit entstand unter anderem der Film Die Gezeichneten, der mit zwei Oscars ausgezeichnet wurde. Bis 1948 arbeitete Zinnemann für MGM, danach drehte er für verschiedene amerikanische Studios. Seine Unabhängigkeit bewahrte er sich später, indem er seine Filme selbst produzierte. 1951 drehte er mit dem Westernklassiker Zwölf Uhr mittags seinen vielleicht bekanntesten Film. Der Film erhielt 1953 vier Oscars und brachte Zinnemann die von der New Yorker Filmkritik verliehene Auszeichnung als bester Regisseur des Jahres ein. Die Szene in Der Pate, in der ein Filmproduzent den enthaupteten Kopf seines Lieblingspferdes in seinem Bett vorfindet, soll auf einen realen Vorfall im Zusammenhang mit einem Filmprojekt Zinnemanns Bezug nehmen: Frank Sinatra, der enge Kontakte zur amerikanischen Cosa Nostra pflegte, soll 1953 für den Film Verdammt in alle Ewigkeit in ähnlicher Weise als Rollenbesetzung durchgesetzt worden sein. Ein typischer Filmemacher Hollywoods war Zinnemann jedoch nicht. Nur einen Bruchteil seiner knapp sechs Jahrzehnte andauernden Karriere brachte er in Hollywood zu. Dennoch ermöglichte er während dieses Zeitraums späteren Hollywoodstars wie Montgomery Clift, Marlon Brando, Grace Kelly, Rod Steiger, Meryl Streep in seinen Filmen erste Auftritte. Zinnemann wurde insgesamt fünf Mal mit einem Oscar ausgezeichnet, war weitere sechs Mal nominiert und gilt als einer der besten Regisseure des 20. Jahrhunderts. Zinnemann erlag 1997 in London im Alter von 89 Jahren einem Herzinfarkt. 2008 wurde in Wien-Landstraße (3. Bezirk) der Fred-Zinnemann-Platz nach ihm benannt. Filmografie (Auswahl) Auszeichnungen Academy Award (Oscar): Auszeichnungen: 1939: Kategorie: Bester Kurzfilm That Mothers Might Live (Preis wurde an die Produktionsfirma MGM vergeben) 1952: Kategorie Bester Dokumentar-Kurzfilm Benjy 1954: Kategorie Beste Regie für Verdammt in alle Ewigkeit 1967: Kategorie Beste Regie für Ein Mann zu jeder Jahreszeit 1967: Kategorie Bester Film (als Produzent) für Ein Mann zu jeder Jahreszeit Nominierungen: 1948: Kategorie Beste Regie für Die Gezeichneten 1953: Kategorie Beste Regie für Zwölf Uhr mittags 1960: Kategorie Beste Regie für Geschichte einer Nonne 1961: Kategorie Bester Film (als Produzent) für Der endlose Horizont 1961: Kategorie Beste Regie für Der endlose Horizont 1978: Kategorie Beste Regie für Julia Ehrungen 1967: Goldene Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien  2008: Benennung des Fred-Zinnemann-Platz, Wien-Landstraße 2009: Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus, Weyrgasse 9, Wien-Landstraße Literatur Dieter Krusche, Jürgen Labenski: Reclams Filmführer. 7. Auflage, Stuttgart 1987, ISBN 3-15-010205-7, S. 709. Hans Helmut Prinzler: Fred Zinnemann 1907–1997. In: Thomas Koebner (Hrsg.): Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-010662-4, S. 855–858. Einzelnachweise Anmerkungen Weblinks Biografie mit Fotos (englisch) Bio-Filmografie von Fred Zinnemann bei KinoTV.com Zum 100. Geburtstag von F. Zinnemann, filmzentrale.com* Fred Zinnemann im Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek Filmregisseur Oscarpreisträger Golden-Globe-Preisträger Träger der Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold Träger des Deutschen Filmpreises Österreichischer Emigrant in den Vereinigten Staaten Person (Cisleithanien) Österreicher US-Amerikaner Geboren 1907 Gestorben 1997 Mann
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Frank Capra
Frank Capra (* 18. Mai 1897 in Bisacquino auf Sizilien als Francesco Rosario Capra; † 3. September 1991 in La Quinta, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Filmregisseur, Produzent und Autor italienischer Herkunft. Er zählte zu den erfolgreichsten Regisseuren seiner Generation. Aus einer armen Auswandererfamilie stammend, gehörte Capra in den 1930er- und 1940er-Jahren zu Hollywoods populärsten und angesehensten Regisseuren. Mit den Filmen Es geschah in einer Nacht (1934), Mr. Deeds geht in die Stadt (1936) und Lebenskünstler (1938) gewann er dreimal den Oscar für die Beste Regie. Weitere bedeutende Filmklassiker unter seiner Regie sind In den Fesseln von Shangri-La (1937), Mr. Smith geht nach Washington (1939), Arsen und Spitzenhäubchen (1944) und Ist das Leben nicht schön? (1946). Häufig drehte er Tragikomödien im Kontext der Great Depression, die – stets auf der Seite des „Kleinen Mannes“ – zu gesellschaftlichen und sozialen Themen Stellung bezogen. Als spätere Filme nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen konnten, zog er sich 1964 nach 54 Filmen in den Ruhestand zurück. Frühes Leben Frank Capra wurde in Bisacquino, einem Dorf in der Nähe von Palermo, geboren und auf den Namen Francesco Rosario getauft. Er war das jüngste von sieben – überlebenden – Kindern des Obstpflückers Salvatore Capra und seiner Ehefrau Sarah. Die Familie war römisch-katholisch und eng mit der Kirche verbunden. Die Familie emigrierte 1903 in die Vereinigten Staaten, als er fünf Jahre alt war. Die dreizehntägige Schiffsreise über den Atlantik musste die Familie wegen Geldmangels im billigen Zwischendeck zubringen, das Elend dort beschrieb Capra später als eine seiner schlimmsten Lebenserfahrungen. Die Familie siedelte sich im östlichen Teil von Los Angeles an, in einem Stadtteil, den Capra später als „Italienisches Ghetto“ beschrieb. Sein Vater arbeitete wie bereits in Italien als Obstpflücker. Frank musste, während er die Schule besuchte, zehn Jahre lang nebenher als Zeitungsjunge Geld verdienen. Frank Capra schloss die Highschool nach zehn Jahren ab und besuchte anschließend das California Institute of Technology. Für die Finanzierung des Studiums musste er sich mit verschiedenen Jobs Geld dazuverdienen: Er spielte Banjo in Nachtclubs, arbeitete in der Waschküche seiner Universität sowie als Kellner, und putzte Maschinen in einem lokalen Kraftwerk. Capra schloss sein Studium im Chemieingenieurwesen im Frühling 1918 ab. Bald darauf schloss er sich der US-Armee als Second Leutnant in den Ersten Weltkrieg an. Als Soldatenlehrer unterrichtete er an der Fort Point National Historic Site in San Francisco das Fach Mathematik. Doch Capra erkrankte an der damals wütenden Spanischen Grippe und musste zu seiner Mutter zurückgeschickt werden. Wenig später verstarb sein Vater bei einem Unfall. Als er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in ihrer Wohnung lebte, war er zwar das einzige Familienmitglied mit einem College-Abschluss, allerdings auch das einzige ohne festes Einkommen. Nach einem Jahr ohne Arbeit verfiel er zeitweise in eine Depression. Nach Überwindung seiner Depression lebte Capra die nächsten Jahre in verschiedenen Unterkünften um San Francisco; in Zügen oder mit Soldatentruppen reiste er quer durchs Land. Um sein Leben einigermaßen finanzieren zu können, arbeitete Capra als Aushilfe auf Farmen, als Filmstatist, als Pokerspieler und als Handelsvertreter, als der er unter anderen die Werke des Philosophen Elbert Hubbard verkaufte. Mit 24 Jahren drehte Capra die 32-minütige Dokumentation La Visita Dell'Incrociatore Italiano LIBYA a San Francisco. Dies war sein erster Kontakt zum Film, wenngleich ihm die kleine Dokumentation keinerlei Aufmerksamkeit oder gar Erfolg brachte. Filmkarriere 1922–1928: Die Anfänge in der Stummfilmära 1922 stieß Capra während seiner Zeit als Handelsvertreter auf eine Zeitungsanzeige, in der Regisseure für ein neues Filmstudio in San Francisco gesucht wurden. Am Telefon erzählte er den Produzenten, er würde direkt aus Hollywood kommen und hätte Erfahrung im Filmgeschäft. Der Studiogründer Walter Montague (1855–1924) stellte Capra ein und gab ihm 75 US-Dollar, um einen zehnminütigen Stummfilm zu drehen. Der angehende Regisseur drehte mit einem Kameramann und Amateurdarstellern in nur zwei Tagen den Film Fultah Fisher’s Boarding House, dessen Handlung auf einem Gedicht von Rudyard Kipling basierte. Nachdem Walter Montagues Filmstudio wenig Erfolg hatte und schnell wieder aufgelöst wurde, suchte Capra in der Folgezeit nach neuen Anstellungen im Filmgeschäft und erhielt schließlich eine feste Anstellung in einem anderen kleinen Filmstudio in San Francisco. Hier erweckte Capra die Aufmerksamkeit des Hollywood-Produzenten Harry Cohn, welcher ihn zu seinem neuen Filmstudio in Los Angeles lotste. Er arbeitete während dieser Zeit gleichzeitig als Requisiteur, Filmeditor, Titelschreiber und Assistenzregisseur; durch diese vielfältigen Aufgaben erlernte er jedoch die Grundlagen des Filmgeschäfts. 1924 arbeitete Capra kurz in der Drehbuchabteilung des Produzenten Hal Roach und schrieb unter anderem Gags für die Kleinen Strolche. Ende desselben Jahres konnte Roachs größter Konkurrent Mack Sennett Capra als Autor für die Filme des Komikers Harry Langdon abwerben; dort arbeitete er mit Arthur Ripley zusammen. Langdons Komikerfigur zeichnete sich durch grenzenlose Langsamkeit, Naivität und Unschuld aus, weshalb sie mit der großen, harten Welt meistens nicht zurechtkam. Auch Capra, der sich nun endgültig zum Komödienspezialisten entwickelte, hatte Anteil daran, dass Langdon sich Mitte der 1920er Jahre zu einem der erfolgreichsten Komiker Hollywoods emporschwang. Als Langdon von Mack Sennetts Studio zu First National wechselte, um dort Langfilme herstellen zu können, nahm er Capra als seinen wichtigsten Autoren und als Regisseur mit sich. 1926 und 1927 drehten sie zwei Langfilme, von denen der erste, The Strong Man, sowohl beim Publikum als auch bei Kritikern großen Erfolg hatte. Langdon wurde während dieser Zeit mit Charlie Chaplin, Harold Lloyd und Buster Keaton verglichen. Während der Dreharbeiten des zweiten Films kam es jedoch zu einem Streit zwischen Capra und Langdon und das Erfolgsduo trennte sich. Die Reaktionen auf den Film waren negativ und Langdons Stern begann zu sinken. Nach der Trennung von dem Komiker drehte Capra für First National mit For the Love of Mike noch eine weitere Stummfilmkomödie, in welcher auch die zu diesem Zeitpunkt noch nahezu unbekannte Claudette Colbert eine Rolle innehatte. Auch dieser Film wurde mit schlechten Kritiken bedacht und Capra erhielt keinen weiteren Vertrag bei First National. 1928–1933: Erste Erfolge bei Columbia Pictures Der arbeitslose Regisseur wurde 1928 vom Produzenten Harry Cohn, der ihn einst nach Hollywood geholt hatte, erneut für dessen Filmstudio Columbia Pictures verpflichtet. Columbia gehörte zu dieser Zeit zu den sogenannten Poverty-Row-Filmstudios in Hollywood, die mit den großen Filmstudios und deren hohen Budgets nicht konkurrieren konnten, Columbia Pictures wollte allerdings an Bedeutung und Größe gewinnen und zu den größeren Filmstudios aufschließen, doch dafür mussten erfolgreiche Langfilme produziert werden. Hierfür wurde Capra verpflichtet. Insgesamt drehte der Regisseur zwanzig Filme für Columbia Pictures, neun davon gleich im ersten Jahr. Die meisten dieser neun Filme Capras stellten sich als sehr erfolgreich heraus, sodass Cohn dessen Gehalt von 1000 US-Dollar pro Film auf das Jahresgehalt von 25.000 US-Dollar vergrößerte. Er drehte unter anderem das Drama The Younger Generation (1929), über eine jüdische Familie in New York, deren Sohn seine jüdischen Wurzeln verleugnet, um weiter in der Gunst seiner Freundin zu bleiben. Ende der 1920er-Jahre hielt der Tonfilm Einzug in Hollywood; Capra begrüßte diese Neuerung im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen und hielt den Tonfilm ebenfalls nicht für eine vorübergehende Modeerscheinung. Bei der Produktion seiner ersten Tonfilme war ihm das Ingenieurstudium ein Vorteil, denn – wie sich später Capras langjähriger Kameramann Joseph Walker erinnerte – verstand er im Gegensatz zu dem meisten anderen Regisseuren auch etwas von der technischen Materie und hatte sich schnell an die technischen Neuerungen des Tonfilmes gewöhnt. Neben dem Kameramann Joseph Walker, welcher mit dem Regisseur bei insgesamt 18 Filmen zusammenarbeitete, wurde auch der Drehbuchautor Robert Riskin regelmäßig von Capra verpflichtet. In vielen Capra-Filmen schrieb Riskin die witzigen und scharfen Dialoge und beide wurden zu „Hollywoods umjubeltstem Regisseur/Autor-Team“. Nach Achtungserfolgen wie dem Abenteuerfilm Das Luftschiff (1931) und vor allem der Komödie Vor Blondinen wird gewarnt (1931), die Jean Harlows Karriere erheblich voranbrachte, drehte Capra im Jahre 1933 die Komödie Lady für einen Tag. Mit der 75-jährigen May Robson – welche eine arme Apfelverkäuferin spielt, die sich als Dame verkleidet – hatte der Film eine eher ungewöhnliche Hauptdarstellerin. Dennoch wurde er für vier Oscars nominiert, darunter auch in der Kategorie Beste Regie für Capra, ging aber bei der Verleihung leer aus. Dennoch gilt Lady für einen Tag als Capras erster großer Wurf, außerdem war es Columbias erster Streifen, welcher für einen Oscar als Bester Film nominiert wurde. 1934–1941: Große Kinoklassiker und drei Oscars als Bester Regisseur Im folgenden Jahr sollte Capra seinen Erfolg von Lady für einen Tag allerdings übertreffen: Seine Roadmovie-Komödie Es geschah in einer Nacht (1934) gewann als erster Film alle Oscars in den fünf Hauptkategorien (Bester Film, Bester Regisseur, Bester Hauptdarsteller, Beste Hauptdarstellerin, Bestes Drehbuch). Claudette Colbert spielt im Film eine verwöhnte Millionenerbin, welche vor ihrem Vater zu einem snobhaften Geliebten flieht und auf diesem Weg nicht nur das Elend der normalen Bevölkerung in der Great Depression kennenlernt, sondern sich dabei auch in einen bodenständigen Reporter (Clark Gable) verliebt. Trotz dieser eigentlich komischen Handlung zeigt Capra also ebenso die Probleme der amerikanischen Durchschnittsbürger in der Weltwirtschaftskrise auf. Es geschah in einer Nacht gilt heute als Gründungsfilm der Screwball-Komödie schlechthin und beförderte Columbia Pictures in die Reihe der großen Hollywood-Studios. Auch bei Capras folgendem Film Broadway Bill über Pferderennen handelte es sich um eine Screwball-Komödie, allerdings war er nicht so erfolgreich wie Es geschah in einer Nacht. Nach Broadway Bill entschied sich Capra, künftig noch mehr Einfluss auf seine Drehbücher zu nehmen und in seinen Filmen auch politische, gesellschaftliche oder moralische Botschaften an die Öffentlichkeit zu senden. Der erste Film dieser Art war Mr. Deeds geht in die Stadt mit Gary Cooper und Jean Arthur in den Hauptrollen. Cooper spielt einen Glückskarten-Dichter, ein freundlich-naives Landei, das ein Millionenvermögen erbt und mit seinem Geld viel Gutes tut, ehe seine geldgierigen und betrügerischen Anwälte ihn für verrückt erklären wollen. Der Kritiker Alistair Cooke schrieb bei Mr. Deeds, dass Capra beginnen würde, mehr Filme über Themen als über Menschen zu drehen. Für Mr. Deeds geht in die Stadt gewann Capra seinen zweiten Oscar als Bester Regisseur. Von Capras vorigen Filmen unterschied sich dagegen der Abenteuerfilm In den Fesseln von Shangri-La (1937) mit Ronald Colman, welcher auf dem utopischen Roman Der verlorene Horizont von James Hilton basierte. Der Dreh verbrauchte die damals hohe Summe von 1,5 Millionen US-Dollar, unter anderem weil der Film in einem exotischen, wunderschön-utopischen Tal im Himalaya spielt – die Kulissen des Filmes waren daher äußerst aufwendig. Am 5. Mai 1936 war Capra, inzwischen bestbezahlter Regisseur in Hollywood, Gastgeber der Oscarverleihung 1936. Mit seinem dritten Oscar als Bester Regisseur in fünf Jahren wurde Capra für die Komödie Lebenskünstler ausgezeichnet, außerdem gewann die Produktion den Oscar für den Besten Film des Jahres. Lebenskünstler basiert auf dem Erfolgsstück You Can’t Take It with You, welches am Broadway ab Dezember 1937 insgesamt 837 Vorstellungen hatte. Jean Arthur und James Stewart spielen in den Hauptrollen ein junges Liebespaar, deren äußerst unterschiedliche Familien – die einen knallharte Geschäftsleute, die anderen alternative Exzentriker – sich kennenlernen. In Lebenskünstler hatte der Kolkrabe Jimmy the Raven seinen ersten Auftritt, den Capra auch in vielen seiner späteren Filme besetzte. 1939 drehte Capra mit der Politiksatire Mr. Smith geht nach Washington einen seiner bekanntesten Filme, erneut mit Arthur und Stewart in den Hauptrollen. Capra machte Stewart mit den Hauptrollen in Lebenskünstler und Mr. Smith zum Hollywood-Star. In Mr. Smith geht nach Washington wird Capras Patriotismus deutlich, er zeigt „das Individuum im demokratischen System beim Kämpfen gegen zügellose Korruption in der Politik“. Bei seiner Veröffentlichung war der Film bei Kritikern und Publikum beliebt, doch viele Politiker waren erzürnt. So bat der damalige US-Botschafter in Großbritannien, Joseph P. Kennedy, Columbia-Boss Harry Cohn, dass der Film nicht in Europa gezeigt werden sollte. An US-Präsident Franklin D. Roosevelt schrieb Kennedy, dass der Film im Ausland den falschen Eindruck erzeuge, in den USA würden Bestechung, Korruption und Gesetzlosigkeit herrschen. Solch ein Eindruck sei insbesondere im Hinblick auf den beginnenden Zweiten Weltkrieg fatal für Amerika. Capra und Cohn ignorierten die Kritik am Film und der Regisseur verteidigte seinen Film mit den Worten: „Je unsicherer die Menschen auf der Welt sind, desto mehr verstreuen und verlieren sich ihre schwergewonnenen Freiheiten im Wind der Risiken, umso mehr brauchen sie eine tönendes Statement für Amerikas demokratische Ideale.“ Mr. Smith geht nach Washington war für elf Oscars nominiert, konnte aber gegen starke Konkurrenz nur einen Preis für die Beste Originalgeschichte entgegennehmen. Als das Vichy-Regime im Zweiten Weltkrieg US-amerikanische Filme in den Kinos verbot, zeigten viele Kinobesitzer als letzten amerikanischen Film vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Mr. Smith als Zeichen für Demokratie. Nach diesem Film verließ Capra Columbia Pictures und drehte seine nächsten beiden Filme bei Warner Bros. Sein erster Film dort, Hier ist John Doe, erschien 1941. Der Filmheld, gespielt von Gary Cooper, ist ein ehemaliger Baseballspieler, der ohne Arbeit und Geld durchs Land zieht, ehe er von Nachrichtenreportern zum amerikanischen Durchschnittsbürger „John Doe“ ausgerufen wird und zum Held der Massen mutiert. Kurz vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg veröffentlicht, zeigt Hier ist John Doe erneut patriotische Züge und enthält außerdem eine Botschaft gegen Faschismus: ein skrupelloser und offensichtlich faschistischer Industrieller mit diktatorischen Absichten nutzt John Doe für seine Zwecke aus und will zum Präsidenten werden. Viele Filmhistoriker sehen diesen Film als einen der persönlichsten von Capra an, vor allem weil dieser wie sein Filmheld einen rasanten Aufstieg hingelegt hatte, jedoch auch von Unsicherheiten geprägt war. 1941–1946: Zweiter Weltkrieg und „Arsen und Spitzenhäubchen“ Nur vier Tage nach dem Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 trat Capra in die US-Armee im Rang eines Majors ein. Bei seiner Einberufung gab er nicht nur vorerst seine Hollywood-Karriere, sondern auch den Vorsitz der Directors Guild of America auf. Biografen schrieben später, dass er mit seinem Eintritt als Einwanderer seinen Patriotismus zu Amerika beweisen wollte; nach eigener Aussage wollte er sich auch etwas vom Glanz und Geld Hollywoods entfernen, der im Gegensatz zu den Inhalten seiner Filme stand. In den nächsten Jahren war er am Dreh zahlreicher Kriegsdokumentationen für Amerika beteiligt. Sein Ziel war es zu erklären, warum die US-Soldaten für ihr Land in den Krieg zogen und was ihre Ziele waren. Damit distanzierte er sich bewusst von Propagandafilmen aus Deutschland oder Japan. Zu einem großen Erfolg wurde seine siebenteilige, preisgekrönte Dokumentarfilmreihe von 1942 bis 1945, Why We Fight, die Capra als Antwort auf Leni Riefenstahls Nazi-Propagandafilm Triumph des Willens verstand. Zusätzlich produzierte er mit Walt Disneys Hilfe insgesamt 28 drei- bis fünfminütige Schwarz/Weiß-Cartoons über „Private Snafu“, die zu Unterrichtszwecken in den Streitkräften eingesetzt wurden. Für die Hintergrundmusik von Capras Dokumentationsfilmen waren namhafte Hollywoodkomponisten wie Alfred Newman und Dimitri Tiomkin verantwortlich. General George C. Marshall, unter dessen Kommando Capra stand, sagte nach der Sichtung von Capras erstem Armee-Film: „Colonel Capra, wie haben sie das nur hingekriegt? Das ist die wunderschönste Sache!“ Capras Dokumentarfilme wurden in der Folge in Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Chinesisch übersetzt und Winston Churchill verlangte, dass alle Why we Fight-Filme im britischen Kino gezeigt werden sollen. 1944 wurde Capras Arsen und Spitzenhäubchen mit Cary Grant in der Hauptrolle veröffentlicht, den Capra allerdings bereits 1941 abgedreht hatte. Die mit Schwarzem Humor angereicherte Komödie basiert auf dem Theaterstück Spitzenhäubchen und Arsenik (Arsenic and Old Lace) von Joseph Kesselring und wurde von dem Drehbuchautor Julius J. Epstein adaptiert. Der Erfolg der Bühnenfassung am Broadway verzögerte die Uraufführung des Films bis ins Jahr 1944, denn die Produzenten hatten sich vertraglich verpflichtet, mit der Auswertung des Filmes bis nach Absetzung des Stückes am Broadway zu warten. Der Film erhielt exzellente Kritiken und war auch beim Publikum erfolgreich. Heute gilt er als Klassiker der Schwarzen Komödie. 1946–1964: „Ist das Leben nicht schön?“ und nachlassender Erfolg Nach Ende des Weltkrieges gründete Capra zusammen mit seinen Regiekollegen William Wyler und George Stevens seine eigene Produktionsfirma Liberty Films, um noch mehr Kontrolle über seine Werke zu erhalten. Jedoch wurde die Firma nach Capras Filmen Ist das Leben nicht schön? (1946) und Der beste Mann (1948) bereits wieder aufgelöst. Die aufwendige Tragikomödie Ist das Leben nicht schön? ist heute wahrscheinlich Capras berühmtester Streifen. Dabei war der Film mit James Stewart in der Hauptrolle bei seiner Veröffentlichung, obwohl er für fünf Oscars nominiert wurde, ein finanzieller Misserfolg. Erst durch zahllose Ausstrahlungen im US-Fernsehen wurde der Film ab den 1970er-Jahren wiederentdeckt und gilt heute als Weihnachtsklassiker. Der Film handelt von einem Mann, der sich um die Bevölkerung seiner Kleinstadt verdient gemacht hat, aber nach einem Missgeschick an einem Weihnachtsabend seinen Lebensmut verliert und sich von der Brücke stürzen will, sodass ein Engel ihm helfen muss. In seinem „optimistischen Glauben an das Gute im Menschen“ und seiner „einfallsreichen Machart“ sei es ein typischer Capra-Film. Ist das Leben nicht schön? wurde vom American Film Institute zum inspirierendsten amerikanischen Film aller Zeiten gewählt. Bei Ist das Leben nicht schön? warfen Kritiker Capra erstmals eine übersentimentale und überidealistische Art vor. Seine Filmthemen aus der Great Depression passten zunehmend nicht mehr zum Geschmack der Öffentlichkeit, der sich gewandelt hatte, und seine Filme waren nicht mehr so erfolgreich. Capra selbst machte dafür die steigende Macht der Filmstars verantwortlich, die sich in seine Regiearbeit einmischten. Nach Der beste Mann mit dem Paar Katharine Hepburn und Spencer Tracy waren die meisten seiner Filme auch kommerziell nicht mehr erfolgreich. Nach zwei belanglosen, wenig erfolgreichen Filmen mit Bing Crosby produzierte er in den 1950er-Jahren im Rahmen der Bell Laboratory Science Series vier naturwissenschaftliche Dokumentarfilme fürs Fernsehen, die später häufig in amerikanischen Schulklassen gezeigt wurden. Bei der Berlinale 1958 fungierte Capra als Jurypräsident. Erst 1959 drehte Capra mit der Komödie Eine Nummer zu groß mit Frank Sinatra und Edward G. Robinson wieder einen Spielfilm, der jedoch nur mittelmäßige Einnahmen brachte. Sein letzter Spielfilm Die unteren Zehntausend war eine Neuverfilmung seines eigenen Filmes Lady für einen Tag von 1933, wobei Bette Davis diesmal die Rolle der Apfelverkäuferin spielte. Immerhin erhielt der Film drei Oscar-Nominierungen, dennoch halten die meisten Kritiker den Originalfilm für besser als das Remake. Anschließend drehte Capra nur noch den Dokumentarfilm Rendezvous in Space (1964) für den Konzern Martin Marietta. Privatleben, politische Ansichten und Ruhestand Frank Capra heiratete 1923 die Schauspielerin Helen Howell, die Ehe wurde 1928 geschieden. Noch im selben Jahr heiratete er Lucille Warner. Der Ehe, die 1984 durch Warners Tod endete, entstammen eine Tochter und drei Söhne – ein Sohn starb bereits als Säugling. Ein Sohn war der Filmproduzent Frank Capra junior, dessen Sohn ist der Assistenzregisseur Frank Capra III. (* 1959). Zu den Interessen Capras gehörten Jagen, Fischen und Klettern, zudem besaß er eine vier Quadratkilometer große Ranch in Fallbrook. Er sammelte ebenfalls seltene und alte Bücher, so brachte ihm eine Auktion im Jahre 1948 insgesamt 68.000 US-Dollar für ein Buch. Im hohen Alter spielte er Gitarre und schrieb einige Kurzgeschichten und Songtexte. Capra hegte ein besonderes Interesse an Naturwissenschaften und Mathematik. Zwischen 1935 und 1939 fungierte Capra als Vorsitzender der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, außerdem war er drei Jahre Präsident der Directors Guild of America, an deren Gründung er beteiligt war. Politisch war der patriotische Capra Republikaner und Konservativer sowie Gegner von Franklin D. Roosevelt und seiner Politik in der Great Depression. Weil Capra es aus schlechten Verhältnissen zu so großem Erfolg gebracht hatte, glaubte Capra, dass alle Menschen dies ebenfalls mit harter Arbeit schaffen könnten, und sah keinen Grund für Staatshilfen. Er stand allerdings gegen Korruption und war auch der Wirtschaft gegenüber kritisch eingestellt. Zudem arbeitete er häufig mit linken Drehbuchautoren zusammen, weshalb viele seiner Filme einen „linken Anstrich“ hatten und etwa Kapitalismuskritik übten. Hinter Ist das Leben nicht schön? wurde sogar vom FBI „subversive kommunistische Propaganda“ vermutet. In seinem 1958 gedrehten Dokumentarfilm The Unchained Goddess (Die entfesselte Göttin) sehen manche heute eine klarsichtige Vorwegnahme der modernen Kritik an den fossil-ökonomischen Ursachen des Klimawandels. Nach seinem letzten Film 1964 verbrachte Capra viele Jahre im Ruhestand und kümmerte sich ebenfalls um den Nachruhm seiner Filme. 1971 veröffentlichte er seine Autobiografie The Name Above the Title. Er war ebenfalls als Zeitzeuge an Dokumentationen beteiligt und nahm verschiedene Auszeichnungen entgegen. Er befand sich bis Ende der 1980er-Jahre bei guter Gesundheit, ehe er eine Reihe von Herzanfällen erlitt. Frank Capra verstarb 1991 im Alter von 94 Jahren in La Quinta an einem Herzinfarkt. Er wurde auf dem Coachella Valley Public Cemetery im Coachella Valley beigesetzt. Seine Aufzeichnungen und Schriften befinden sich als Nachlass in der Wesleyan University. Regiestil und Bedeutung Frank Capra gilt bis heute als einer der einflussreichsten Regisseure Hollywoods. In den 1930er- und 1940er-Jahren zählte er zu den weltweit zwei bis drei berühmtesten und erfolgreichsten Regisseuren. Er gehörte zu den wenigen Regisseuren, deren Namen auch einem breiteren Kinopublikum bekannt waren. Als besondere Auszeichnung verstand er selbst, dass sein Name über dem Titel des Films stand. The Name Above the Title nannte er darum auch seine Autobiographie. Zu diesem Erfolg verhalf Capra insbesondere der Fakt, dass seine Filme eine bestimmte Handschrift trugen und so ein Capra-Film fast immer auch als solcher zu erkennen war. Damit stand er im Gegensatz zu vielen anderen Regisseuren im Studiosystem, welche die Filme drehten, die sie gerade von ihren Produzenten „vorgesetzt“ bekamen. Er verlangte möglichst viel Unabhängigkeit von Produzenten und arbeitete deshalb zum Beispiel jahrelang mit einem kleineren Studio wie Columbia zusammen, bei dem er etwas mehr Freiheiten hatte. Capras Genre war die Komödie, jedoch sind viele seiner Komödien mit tragischen und sentimentalen Momenten, bissiger Gesellschaftskritik und Pathos durchsetzt. Häufig wird eine positive Geschichte in einem negativen Umfeld gezeigt, etwa die Liebesgeschichte in Es geschah in einer Nacht mitten zwischen verbitterten, von der Great Depression gezeichneten Menschen. Er setzte stets den guten „Kleinen Mann“ als Hauptfigur ein, welcher vor allem von James Stewart oder Gary Cooper gespielt wurde. Seine Filme enthielten oft Botschaften über das Gute in der menschlichen Natur und zeigen, was durch Uneigennützigkeit und harte Arbeit erreicht werden kann. Diese Figur behauptet sich durch seine wohlwollende, etwas naive und idealistische Art gegen die Schurken. Wohlhabende oder mächtige Menschen erschienen dagegen häufig als Bösewichte, ein gutes Beispiel sind Edward Arnolds Verkörperungen von machtgierigen Industriellen in Mr. Smith geht nach Washington und Hier ist John Doe. Die mächtigen Schurken seiner Filme wurden allerdings am Ende nur selten bestraft, weil er dies für realistischer hielt. Ein weiterer Aspekt in seinem Film ist der American Dream, verbunden mit einem gewissen Patriotismus und dem Glauben an Freiheit. Seine besten Filme zeichnen sich durch schlagfertige, aber dennoch natürlich wirkende Dialoge, markante und oftmals komische Figuren, ein hohes Tempo und etwas Action aus. Am Ende steht trotz vieler Probleme ein positives, fast märchenhaftes Happy End. Capra improvisierte sehr viel bei seinen Filmen und kam häufig nur mit ungenauen Scripts ans Filmset. Im Gegensatz zu vielen fast diktatorischen Regisseuren zur damaligen Zeit herrschte bei ihm am Set meistens eine angenehme, aber künstlerische Atmosphäre. Obwohl er durchaus dynamische und schnelle Kamerabewegungen und Schnitte in seinen Filmen hatte, stand Capra eher ablehnend gegen technische Spielereien wie experimentelle Kameraperspektiven, was er als schlechte Ablenkung des Publikums verstand. Einige Kritiker entdeckten einen gewissen Purismus in seiner Arbeit. Hinter der Kamera vertraute er meistens über viele Jahre auf dieselben Leute und viele Schauspieler wie H. B. Warner besetzte er in gleich mehreren seiner Filme. Abwertend werden seine Filme oft „Capra-Corn“ genannt, der positive Gegenbegriff ist „Capraesque“. Mit seinen Werken beeinflusste er viele spätere, bedeutende Regisseure maßgeblich. Filmografie Auszeichnungen (Auswahl) Oscar 1934: Nominierung als Bester Regisseur für Lady für einen Tag 1935: Auszeichnung als Bester Regisseur für Es geschah in einer Nacht 1937: Nominierung als Bester Film für Mr. Deeds geht in die Stadt 1937: Auszeichnung als Bester Regisseur für Mr. Deeds geht in die Stadt 1939: Auszeichnung als Bester Regisseur für Lebenskünstler 1940: Nominierung als Bester Regisseur für Mr. Smith geht nach Washington 1947: Nominierung als Bester Regisseur für Ist das Leben nicht schön? Golden Globes 1947: Auszeichnung als Bester Regisseur für Ist das Leben nicht schön? American Film Institute 1982: AFI Life Achievement Award für sein Lebenswerk Internationale Filmfestspiele von Venedig 1982: Goldener Löwe für sein Lebenswerk Hollywood Walk of Fame 1960: Stern für seine Filmarbeit 1984 wurde Frank Capra zum Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters gewählt. 1986 wurde er mit der National Medal of Arts ausgezeichnet. Autobiographie Autobiographie. (OT: The Name Above the Title). Diogenes, Zürich 1992, ISBN 3-257-01938-6. Literatur Jeanine Basinger (Hrsg.): The It’s a Wonderful Life Book. Alfred A. Knopf, New York 1994, ISBN 0-394-74719-4. Dieter Krusche, Jürgen Labenski: Reclams Filmführer. 7. Auflage, Reclam, Stuttgart 1987, ISBN 3-15-010205-7, S. 645 Victor Scherle, William Turner Levy: The Complete Films of Frank Capra. Citadel Press, New York/ Secaucus 1992, ISBN 0-8065-1296-2. Robert Sklar, Vito Zagarrio, Thomas Schatz: Frank Capra. Authorship and the Studio System. Temple University Press, Philadelphia 1998, ISBN 1-56639-608-5. Ursula Vossen: Frank Capra. In: Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres. Fantasy- und Märchenfilm. Reclam, Stuttgart 2003, ISBN 3-15-018403-7. Ursula Vossen: Frank Capra 1897–1991. In: Thomas Koebner (Hrsg.): Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-010662-4, S. 107–111. Filmdokumentationen Frank Capra – Der amerikanische Traum eines Cineasten (Originaltitel: Frank Capra, il était une fois l'Amérique). Französische TV-Dokumentation (2018) von Patrick Glâtre und Dimitri Kourtchine, 53 Minuten. Weblinks Hollywood Renegades (englisch) Einzelnachweise Filmregisseur Drehbuchautor Filmproduzent Person (Stummfilm) Darstellende Kunst (Sizilien) Oscarpreisträger Golden-Globe-Preisträger Autobiografie Mitglied der Republikanischen Partei Träger der Army Distinguished Service Medal Mitglied der American Academy of Arts and Letters Italienischer Emigrant in den Vereinigten Staaten Italiener Person (Sizilien) US-Amerikaner Geboren 1897 Gestorben 1991 Mann Wikipedia:Artikel mit Video Präsident der Academy of Motion Picture Arts and Sciences
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https://de.wikipedia.org/wiki/First%20National
First National
Der First National Exhibitor’s Circuit entstand 1917 als Zusammenschluss 26 regionaler Verleihfirmen unter der Federführung von Thomas L. Tally. Ursprünglich war der Zweck der Firma, Filme zu finanzieren und anschließend den Verleih zu übernehmen, doch schon bald kam eine eigene Produktion hinzu. First National war eine Reaktion auf die marktbeherrschende Stellung von Paramount, die das Geschäft immer mehr monopolisierte. Der vom neuen Paramount-Eigentümer Adolph Zukor entlassene W.W. Hodkinson wurde Direktor der First National. Das Geschäftsmodell ging zunächst gut auf. Mit der Anwerbung von Mary Pickford und Charlie Chaplin für jeweils eine Million Dollar pro Film hatte man die wichtigsten Stars auf seiner Seite und kontrollierte zudem 1919/20 ca. 3400 Kinos, was 15 bis 20 % des amerikanischen Marktes entsprach. Da es aber nicht gelang, die Stars längerfristig zu binden (sie gründeten 1919 United Artists, mussten aber aufgrund der laufenden Verträge noch einige Filme gedreht werden, weshalb die Firma 1920 noch relativ gut dastand), und da auch die geplante Fusion mit Paramount spektakulär scheiterte, ging es mit First National rapide bergab. Paramount kaufte nach und nach die einzelnen zusammengeschlossenen Firmen auf, bis First National im September 1928 von Warner Brothers aufgekauft wurde. Als Tochterunternehmen von Warner Brothers entstanden bei First National bis Mitte der 1930er-Jahre noch zahlreiche weitere Filme, bis First National im Jahr 1936 endgültig aufgelöst wurde. Bis dahin betrieb das Unternehmen auch Zweitniederlassungen im Ausland; so unter anderem die Warner Brothers First National Films Ges.m.b.H. in der Mariahilfer Straße in Wien. Einzelnachweise Ehemalige Filmgesellschaft (Vereinigte Staaten) Medienunternehmen (Kalifornien) Unternehmen (Los Angeles County) Gegründet 1917 Aufgelöst 1928
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fluor
Fluor
Fluor [] ist ein chemisches Element mit dem Symbol F und der Ordnungszahl 9. Im Periodensystem steht es in der 7. Hauptgruppe und gehört damit zur 17. IUPAC-Gruppe, den Halogenen, von denen es das leichteste ist. Es liegt unter Normalbedingungen in Form des zweiatomigen Moleküls F2 gasförmig vor und ist das reaktivste aller Elemente. Es reagiert mit allen Elementen mit Ausnahme der Edelgase Helium und Neon. Fluor ist farblos und erscheint stark verdichtet blassgelb. Es ist das elektronegativste aller Elemente und hat in Verbindungen mit anderen Elementen stets die Oxidationsstufe −1. Der Name des Elementes ist von lateinisch fluores für Flussspat abgeleitet, dem natürlich vorkommenden Mineral Fluorit, das in der Metallurgie als Flussmittel zur Herabsetzung des Schmelzpunktes von Erzen verwendet wird. Elementares Fluor ist stark ätzend und sehr giftig; sein durchdringender Geruch kann schon in geringeren Konzentrationen bemerkt werden. Dessen Salze – Fluoride und diverse Fluorokomplexsalze wie Natriummonofluorophosphat – sind in höherer Konzentration ebenfalls giftig. Schon in Spuren beeinflussen Fluor und Fluoride die Bildung von Knochen und Zähnen, insbesondere des Zahnschmelzes. Sie werden daher zur Prophylaxe von Zahnkaries in Zahnpasten eingesetzt sowie als Fluoridierung dem Trinkwasser oder dem Speisesalz zugesetzt. Geschichte Das erste beschriebene Fluorsalz war das natürlich vorkommende Calciumfluorid (Flussspat). Es wurde 1529 von Georgius Agricola als Hilfsmittel zum Schmelzen von Erzen beschrieben. Es macht Erzschmelzen und Schlacken dünnflüssiger, lässt sie fließen (Flussmittel). Carl Wilhelm Scheele beschäftigte sich ab 1771 erstmals eingehender mit Flussspat und seinen Eigenschaften sowie der daraus bei Säurebehandlung gebildeten Flusssäure. Er erforschte die Reaktionen bei Einwirkung von Flusssäure auf Glas unter Bildung von Siliciumtetrafluorid und Fluorkieselsäure. Eine weitere Eigenschaft, die er an Flussspat entdeckte, war die Fluoreszenz, die nach dem Mineral benannt ist. In einem Leserbrief an das Philosophical Magazine, der lediglich mit dem Kürzel „E.B.“ signiert ist, beklagte 1808 der Schreiber das seiner Meinung nach inkonsequente Vorgehen bei der Namensgebung für neue Elemente. In einem Nachtrag schlug er für den in der Flusssäure (engl.: fluoric acid) gebundenen Grundstoff den Namen Fluor vor. André-Marie Ampère äußerte in einem Brief vom 25. August 1812 an Humphry Davy den Gedanken, dass wie in der Salzsäure auch in der Flusssäure das Radikal (engl. fluorine, gelegentlich auch fluorin, in Analogie zu chlorine für Chlor) an Wasserstoff gebunden sei. Danach versuchten viele Chemiker, das Element zu isolieren, was wegen seiner Reaktivität und Giftigkeit aber schwierig war. Am 26. Juni 1886 gelang es Henri Moissan erstmals, elementares Fluor herzustellen und zu charakterisieren. Er erhielt es durch Elektrolyse einer Lösung von Kaliumhydrogendifluorid in flüssigem Fluorwasserstoff bei tiefen Temperaturen in einer speziell entwickelten Apparatur (teilweise aus Flussspat). Für diese Leistung erhielt Moissan 1906 den Nobelpreis für Chemie. Aufschwung nahm die Fluorherstellung im Zweiten Weltkrieg, zum einen durch die Entwicklung der Atomwaffen in den USA (Manhattan-Projekt), da die Isotopenanreicherung von 235Uran über gasförmiges Uranhexafluorid (UF6) erfolgt, das mit Hilfe von elementarem Fluor hergestellt wird. Zum anderen betrieb die I.G. Farben in Gottow damals eine Fluorelektrolyse-Zelle, deren Produkt angeblich nur zur Herstellung eines neuen Brandmittels (Chlortrifluorid) für Brandbomben dienen sollte. Ob es in Deutschland damals möglich gewesen wäre, mit Hilfe dieser Fluorproduktion 235Uran anzureichern, ist kontrovers diskutiert worden. In Knochen kann Fluor selbst dann noch angereichert werden, wenn sie als Fossilien tausende Jahre in Erdreich eingebettet sind. Dieser Umstand wurde vor allem zwischen 1950 und 1970 in Form der Fluor-Datierung für die Altersbestimmung von Knochenfunden genutzt. Vorkommen In der Erdkruste ist Fluor mit 525 ppm ein relativ häufiges Element. Es kommt aufgrund seiner Reaktivität in der Natur nur äußerst selten elementar, sondern fast ausschließlich gebunden als Fluorid in Form einiger Minerale vor. Eine Ausnahme bildet Stinkspat (eine uranhaltige Fluorit-Varietät) u. a. aus Wölsendorf, sowie Villiaumit, in denen geringe Mengen elementares Fluor durch Radiolyse entstanden sind, was bei mechanischen Bearbeitungen einen starken Geruch durch freigesetztes Fluor verursacht. Meerwasser enthält wenig gelöste Fluoride, da bei Anwesenheit von Calcium die Löslichkeit durch Bildung von schwerlöslichem Calciumfluorid eingeschränkt wird. Die häufigsten Fluorminerale sind der Fluorit CaF2 und der Fluorapatit Ca5(PO4)3F. Der größte Teil des Fluorits ist in Fluorapatit gebunden, jedoch enthält dieser nur einen geringen Massenanteil Fluor von ca. 3,8 %. Daher wird Fluorapatit nicht wegen seines Fluorgehaltes, sondern vor allem als Phosphatquelle abgebaut. Die Hauptquelle für die Gewinnung von Fluor und Fluorverbindungen ist der Fluorit. Größere Fluoritvorkommen existieren in Mexiko, China, Südafrika, Spanien und Russland. Auch in Deutschland findet sich Fluorit, beispielsweise im eingangs erwähnten Wölsendorf. Ein weiteres natürlich vorkommendes Fluormineral ist Kryolith Na3AlF6. Die ursprünglich bedeutenden Kryolithvorkommen bei Ivigtut auf Grönland sind ausgebeutet. Das in der Aluminiumproduktion benötigte Kryolith wird heute chemisch hergestellt. Fluorid-Ionen kommen daneben auch in einigen seltenen Mineralen vor, in denen sie die Hydroxidgruppen ersetzen. Beispiele sind Asbest sowie der Schmuckstein Topas Al2SiO4(OH, F)2, Sellait MgF2 und Bastnäsit (La,Ce)(CO3)F. Eine Übersicht gibt die :Kategorie:Fluormineral. Einige wenige Organismen können Fluoride in fluororganische Verbindungen einbauen. Der südafrikanische Busch Gifblaar und weitere Pflanzenarten der Gattung Dichapetalum können Fluoressigsäure synthetisieren und in ihren Blättern speichern. Dies dient zur Abwehr von Fressfeinden, für die Fluoressigsäure tödlich wirkt. Die Giftwirkung wird durch Unterbrechung des Citratzyklus ausgelöst. Gewinnung und Darstellung Das Ausgangsmaterial für die Gewinnung elementaren Fluors und anderer Fluorverbindungen ist überwiegend Fluorit (CaF2). Aus diesem wird durch Reaktion mit konzentrierter Schwefelsäure Fluorwasserstoff gewonnen. Reaktion von Calciumfluorid mit Schwefelsäure. Eine weitere Quelle für Flusssäure ist die Phosphatgewinnung, bei der Flusssäure als Abfallprodukt bei der Verarbeitung von Fluorapatit entsteht. Der größte Teil der produzierten Flusssäure wird zur Herstellung fluorierter Verbindungen eingesetzt. Wo dazu die Reaktivität der Flusssäure nicht ausreicht, gelangt elementares Fluor zum Einsatz, das aus einem kleineren Teil der HF-Produktion gewonnen wird. Da Fluor eines der stärksten Oxidationsmittel ist, kann es auf chemischem Weg nur sehr umständlich und nicht wirtschaftlich gewonnen werden. Stattdessen wird ein elektrochemisches Verfahren eingesetzt. Die Bruttoreaktion verläuft gemäß: Das Verfahren wird nach Henri Moissan benannt. Dabei wird kein reiner Fluorwasserstoff zur Elektrolyse verwendet, sondern eine Mischung von Kaliumfluorid und Fluorwasserstoff im Verhältnis von 1:2 bis 1:2,2. Der Hauptgrund für die Verwendung dieser Mischung liegt darin, dass die Leitfähigkeit der Schmelze im Vergleich zu reinem Fluorwasserstoff, der wie reines Wasser Strom nur sehr wenig leitet, stark erhöht ist. Für die Elektrolyse ist es wichtig, dass die Schmelze komplett wasserfrei ist, da sonst während der Elektrolyse Sauerstoff anstatt Fluor entstehen würde. Technisch wird das sogenannte Mitteltemperatur-Verfahren mit Temperaturen von 70 bis 130 °C und einer Kaliumfluorid-Fluorwasserstoff-Mischung von 1:2 angewendet. Bei höheren Fluorwasserstoffgehalten würde ein größerer Dampfdruck entstehen, so dass bei tiefen Temperaturen und aufwändiger Kühlung gearbeitet werden müsste. Bei niedrigeren Gehalten (etwa 1:1) sind die Schmelztemperaturen höher (1:1-Verhältnis: 225 °C), was den Umgang erheblich erschwert und die Korrosion fördert. Die Elektrolyse findet mit Graphit-Elektroden in Zellen aus Stahl oder Monel statt, die zusätzliche Eisenbleche zur Trennung von Anoden- und Kathodenraum enthalten, um eine Durchmischung der entstehenden Gase zu verhindern. An die Elektroden wird eine Spannung von etwa 8–12 Volt angelegt. Der bei der Elektrolyse verbrauchte Fluorwasserstoff wird kontinuierlich ersetzt. Das Rohfluor, das die Elektrolysezelle verlässt, ist mit Fluorwasserstoff verunreinigt, enthält aber auch Sauerstoff, Tetrafluormethan (CF4) und andere Perfluorcarbone, die durch Reaktion von Fluor und dem Elektrodenmaterial entstehen. Diese Verunreinigungen können durch Ausfrieren und Adsorption von Fluorwasserstoff an Natriumfluorid entfernt werden. Eine Aufsehen erregende Reaktion zur Synthese von Fluor im Labormaßstab, die ohne Elektrochemie auskommt, wurde im Jahr 1986 von Karl O. Christe mitgeteilt. Die experimentellen Details wurden in der Zeitschrift Inorganic Chemistry beschrieben. Hierzu wird das Dikaliumsalz der Hexafluoromangan(IV)säure – Dikaliumhexafluoromanganat(IV), K2MnF6 – mit Antimon(V)-fluorid SbF5 versetzt, wobei molekulares Fluor und Mangan(III)-fluorid gebildet wird. Zunächst entsteht das instabile blaue Mangan(IV)-fluorid MnF4. Dieses zerfällt bei Temperaturen über 150 °C in F2 und MnF3. Eigenschaften Physikalische Eigenschaften Fluor ist bei Raumtemperatur ein blassgelbes, stechend riechendes Gas. Die Farbe ist von der Schichtdicke abhängig, unterhalb von einem Meter Dicke erscheint das Gas farblos, erst darüber ist es gelb. Unterhalb von −188 °C ist Fluor flüssig und von „kanariengelber“ Farbe. Der Schmelzpunkt des Fluor liegt bei −219,52 °C. Von festem Fluor sind zwei Modifikationen bekannt. Zwischen −227,6 °C und dem Schmelzpunkt liegt Fluor in einer kubischen Kristallstruktur mit Gitterparameter a = 667 pm vor (β-Fluor). Unterhalb von −227,6 °C ist die monokline α-Modifikation mit den Gitterparametern a = 550 pm, b = 328 pm, c = 728 pm und β = 102,17° stabil. Fluor ist mit einer Dichte von 1,6959 kg/m³ bei 0 °C und 1013 hPa schwerer als Luft. Der kritische Punkt liegt bei einem Druck von 52,2 bar und einer Temperatur von 144,2 K (−129 °C). Moleküleigenschaften Fluor liegt im elementaren Zustand wie die anderen Halogene in Form zweiatomiger Moleküle vor. Die Bindungslänge im Fluormolekül ist mit 144 pm kürzer als die Einfachbindungen in anderen Elementen (beispielsweise Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung: 154 pm). Trotz dieser kurzen Bindung ist die Dissoziationsenergie der Fluor-Fluor-Bindung im Vergleich zu anderen Bindungen mit 158 kJ/mol gering und entspricht etwa der des Iodmoleküls mit einer Bindungslänge von 266 pm. Die Gründe für die geringe Dissoziationsenergie liegen vor allem darin, dass sich die freien Elektronenpaare der Fluoratome stark nähern und es zu Abstoßungen kommt. Diese schwache Bindung bewirkt die hohe Reaktivität des Fluors. Durch die Molekülorbitaltheorie lässt sich die Bindung im Fluormolekül ebenfalls erklären. Dabei werden die s- und p-Atomorbitale der einzelnen Atome zu bindenden und antibindenden Molekülorbitalen zusammengesetzt. Die 1s- und 2s-Orbitale der Fluoratome werden jeweils zu σs und σs*- bindenden und antibindenden Molekülorbitalen. Da diese Orbitale vollständig mit Elektronen gefüllt sind, tragen sie nichts zur Bindung bei. Aus den 2p-Orbitalen werden insgesamt sechs Molekülorbitale mit unterschiedlicher Energie. Dies sind die bindenden σp-, πy- und πz- sowie die entsprechenden antibindenden σp*-, πy*- und πz*-Molekülorbitale. Die π-Orbitale besitzen dabei gleiche Energie. Werden Elektronen in die Molekülorbitale verteilt, kommt es dazu, dass sowohl sämtliche bindenden als auch die antibindenden π*-Orbitale vollständig besetzt sind. Dadurch ergibt sich eine Bindungsordnung von (6–4)/2 = 1 und ein diamagnetisches Verhalten, das auch beobachtet wird. Chemische Eigenschaften Fluor gehört zu den stärksten bei Raumtemperatur beständigen Oxidationsmitteln. Es ist das elektronegativste Element und reagiert mit allen Elementen außer Helium und Neon. Die Reaktionen verlaufen meist heftig. So reagiert Fluor im Gegensatz zu allen anderen Halogenen ohne Lichtaktivierung selbst als Feststoff bei −200 °C explosiv mit Wasserstoff unter Bildung von Fluorwasserstoff. Fluor ist das einzige Element, das mit den Edelgasen Krypton, Xenon und Radon direkt reagiert; so bildet sich bei 400 °C aus Xenon und Fluor Xenon(II)-fluorid. Auch viele andere Stoffe reagieren lebhaft mit Fluor, darunter viele Wasserstoffverbindungen wie beispielsweise Wasser, Ammoniak, Monosilan, Propan oder organische Lösungsmittel. Mit Wasser reagiert Fluor bei verschiedenen Bedingungen unterschiedlich: Werden geringe Mengen Fluor in kaltes Wasser geleitet, bilden sich Wasserstoffperoxid und Flusssäure. Bei der Reaktion eines Fluor-Überschusses mit geringen Wassermengen, Eis oder Hydroxiden entstehen dagegen als Hauptprodukte Sauerstoff und Sauerstoffdifluorid. Mit festen Materialien reagiert Fluor dagegen wegen der kleineren Angriffsfläche langsamer und kontrollierter. Bei vielen Metallen führt die Reaktion mit elementarem Fluor zur Bildung einer Passivierungsschicht auf der Metalloberfläche, die das Metall vor dem weiteren Angriff des Gases schützt. Da die Schicht bei hohen Temperaturen oder Fluordrücken nicht dicht ist, kann es dabei zu einer Weiterreaktion von Fluor und Metall kommen, die zur Aufschmelzung des Materials führt. Da beim Aufschmelzen ständig frisches Metall freigelegt wird, das dann wieder zur Reaktion mit Fluor bereitsteht, kann es letztlich sogar zu einem unkontrollierten Reaktionsverlauf kommen (so genanntes Fluorfeuer). Auch Kunststoffe reagieren bei Raumtemperatur zumeist sehr kontrolliert mit elementarem Fluor. Wie bei den Metallen führt auch beim Kunststoff die Reaktion mit Fluor zur Bildung einer fluorierten Oberflächenschicht. Glas ist bei Raumtemperatur gegen Fluorwasserstoff-freies Fluor inert. Bei höherer Temperatur wird jedoch eine mehr oder weniger schnelle Reaktion beobachtet. Verantwortlich hierfür sind Fluoratome, die durch die thermische Dissoziation des molekularen Fluors gebildet werden und dadurch besonders reaktionsfreudig sind. Produkt der Reaktion ist gasförmiges Siliciumtetrafluorid. Spuren von Fluorwasserstoff führen dagegen auch ohne Erhitzen zu einer schnellen Reaktion. Isotope Fluor ist eines von 22 Reinelementen. Natürlich vorkommendes Fluor besteht zu 100 % aus dem Isotop 19F. Daneben sind weitere 16 künstliche Isotope von 14F bis 31F sowie das Isomer 18mF bekannt. Außer dem Isotop 18F, das eine Halbwertszeit von 109,77 Minuten besitzt, zerfallen alle anderen künstlichen Isotope innerhalb von Zeptosekunden (10−21s) bis etwas über einer Minute. 18F wird in der Krebsdiagnostik in Form von Fluordesoxyglucose, Fluorethylcholin, Fluorethyltyrosin bzw. 18F-Fluorid als Radionuklid in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) eingesetzt. Siehe auch: Liste der Fluor-Isotope Verwendung Aufgrund der hohen Reaktivität und des schwierigen Umgangs mit Fluor kann elementares Fluor nur eingeschränkt verwendet werden. Es wird überwiegend zu fluorierten Verbindungen weiterverarbeitet, die auf andere Weise nicht hergestellt werden können. Der größte Teil des produzierten Fluors wird für die Herstellung von Uranhexafluorid benötigt, was infolge seiner Leichtflüchtigkeit die Anreicherung von 235U mit Gaszentrifugen oder durch das Gasdiffusionsverfahren ermöglicht. Dieses Isotop ist für die Kernspaltung wichtig. Ein zweites wichtiges Produkt, das nur mit Hilfe von elementarem Fluor hergestellt werden kann, ist Schwefelhexafluorid. Dieses dient als gasförmiger Isolator beispielsweise in Hochspannungsschaltern und gasisolierten Rohrleitern. Fluor dient zudem zur Oberflächenfluorierung von Kunststoffen. Dies wird unter anderem bei Kraftstofftanks in Automobilen eingesetzt, wobei sich eine fluorierte Barriereschicht ausbildet, die unter anderem eine niedrigere Benzindurchlässigkeit bewirkt. Diese Anwendung der Fluorierung steht in Konkurrenz zur Koextrusionstechnologien und dem Metalltank. Eine zweite Wirkung der Fluorierung ist, dass die Oberflächenenergie vieler Kunststoffe erhöht werden kann. Dies findet vor allem Anwendungen, wo Farben, Lacke oder Klebstoffe auf ansonsten hydrophobe Kunststoffoberflächen (Polyolefine) aufgebracht werden sollen. Die Vorteile der Fluorierung von Kunststoffoberflächen liegen in der Behandelbarkeit von Körpern mit ausgeprägten 3D-Strukturen und Hohlräumen. Zudem lassen sich Kleinteile als Schüttgut behandeln und der Effekt bleibt über eine lange Zeit erhalten. Die Fluorierung wird eingesetzt, wenn weiter verbreitete und kostengünstigere Methoden, wie z. B. die Beflammung, nicht einsetzbar sind. Weiter mögliche Effekte, die durch Fluorierung von Kunststoffoberflächen erreicht werden können, sind: verbesserte Faser-Matrix-Haftung, verringerte Reibung und verbesserte Selektivitäten in der Membrantechnik. Werden Fluor und Graphit zusammen erhitzt, entsteht Graphitfluorid, das als Trockenschmiermittel und Elektrodenmaterial eingesetzt werden kann. Nachweis Für Fluoridionen existieren mehrere Nachweise. Bei der sogenannten Kriechprobe wird in einem Reagenzglas aus Glas eine fluoridhaltige Substanz mit konzentrierter Schwefelsäure versetzt. Fluorid-Ionen reagieren mit Schwefelsäure zu Sulfat-Ionen und Fluorwasserstoff. Es steigen Fluorwasserstoffdämpfe auf, die das Glas anätzen. Gleichzeitig ist die Schwefelsäure aufgrund der Veränderung der Oberfläche nicht mehr in der Lage, das Glas zu benetzen. Eine zweite Nachweismöglichkeit ist die sogenannte Wassertropfenprobe. Dabei wird die fluoridhaltige Substanz mit Kieselsäure und Schwefelsäure zusammengebracht. Es entsteht gasförmiges Siliciumtetrafluorid. Über das Gefäß mit der Probe wird ein Wassertropfen gehalten. Durch Reaktion von Siliciumtetrafluorid mit dem Wasser bildet sich Siliciumdioxid, das als charakteristischer weißer Rand um den Tropfen kristallisiert. Bildung des Siliciumtetrafluorids. Reaktion im Wassertropfen Siehe auch: Nachweise für Fluorid In der modernen Analytik, insbesondere für organische Fluorverbindungen spielt die NMR-Spektroskopie eine große Rolle. Fluor besitzt den Vorteil, zu 100 % aus einem Isotop (Reinelement) zu bestehen, das durch NMR-Spektroskopie nachweisbar ist. Biologische Bedeutung Fluor selbst kommt wegen seiner starken Reaktivität nicht elementar vor und hat daher keine biologische Bedeutung. Dagegen spielen die Salze des Fluors, Fluoride, eine Rolle, da sie natürlicherseits und durch technische Zugabe („Fluoridierung“) in Nahrungsmitteln und Trinkwasser enthalten sind. Toxikologie Fluor und viele Fluorverbindungen sind für den Menschen und andere Lebewesen sehr giftig, die letale Dosis (LD50, eine Stunde) liegt bei elementarem Fluor bei 150–185 ppm. Elementares Fluor wirkt auf Lunge, Haut und besonders auf die Augen stark verbrennend und verätzend. Schon bei einem fünfminütigen Kontakt mit 25 ppm Fluor kommt es zu einer erheblichen Reizung der Augen. Gleichzeitig entsteht durch Reaktion mit Wasser (Luftfeuchtigkeit, Hautoberfläche) der ebenfalls giftige Fluorwasserstoff. Eine akute Fluorvergiftung äußert sich je nachdem, über welchen Weg, in welcher Verbindung und Dosis das Fluor in den Körper gelangt ist, mit unterschiedlichen Beschwerden. Eine gastrointestinal entstandene akute Vergiftung mit Fluoriden führt zu Schleimhautverätzungen, Übelkeit, anfänglich schleimigem, später blutigem Erbrechen, unstillbarem Durst, heftigen Leibschmerzen und blutigem Durchfall. Teilweise versterben Betroffene. Bei Aufnahme von Fluorwasserstoff und staubförmigen Fluoriden mit der Atemluft folgen Tränenfluss, Niesen, Husten, Atemnot, Lungenödem bis hin zum Tod unter Krämpfen. Eine über die Haut entstandene Vergiftung mit Fluorwasserstoff (auch in sauren Lösungen von Fluoriden) hat tiefgreifende Nekrosen und schlecht heilende Ulzera zur Folge. Sicherheitshinweise Auf Grund seiner hohen Reaktivität muss Fluor in speziellen Behältnissen aufbewahrt werden. Die Werkstoffe müssen dabei so beschaffen sein, dass sie durch den Kontakt mit Fluor eine Passivierungsschicht ausbilden und so eine Weiterreaktion verhindern. Beispiele für geeignete Werkstoffe sind Stahl oder die Nickel-Kupfer-Legierung Monel. Nicht geeignet sind beispielsweise Glas, das durch entstandenen Fluorwasserstoff angegriffen wird, oder Aluminium. Brennbare Stoffe wie Fett dürfen ebenfalls nicht in Kontakt mit Fluor kommen, da sie unter heftiger Reaktion verbrennen. Fluor brennt zwar selbst nicht, wirkt aber brandfördernd. Brände bei Anwesenheit von Fluor können nicht mit Löschmitteln gelöscht werden, es muss zunächst der weitere Zutritt von Fluor verhindert werden. Verbindungen Als elektronegativstes aller Elemente kommt Fluor in Verbindungen fast ausschließlich in der Oxidationsstufe −I vor. Es sind von allen Elementen außer Helium und Neon Fluorverbindungen bekannt. Fluorwasserstoff Fluorwasserstoff ist ein stark ätzendes, giftiges Gas. Die wässrige Lösung des Fluorwasserstoffs wird Flusssäure genannt. Während wasserfreier, flüssiger Fluorwasserstoff zu den stärksten Säuren, den so genannten Supersäuren zählt, ist Flusssäure nur mittelstark. Fluorwasserstoff ist eine der wenigen Substanzen, die direkt mit Glas reagieren. Dementsprechend ist die Verwendung als Ätzlösung in der Glasindustrie eine Anwendung von Flusssäure. Darüber hinaus ist Fluorwasserstoff das Ausgangsmaterial für die Herstellung von Fluor und vielen anderen Fluorverbindungen. Fluoride Fluoride sind die Salze des Fluorwasserstoffs. Sie sind die wichtigsten und verbreitetsten Fluorsalze. In der Natur kommt vor allem das schwerlösliche Calciumfluorid CaF2 in Form des Minerals Fluorit vor. Technisch spielen auch andere Fluoride eine Rolle. Beispiele sind das unter Verwendung erwähnte Uranhexafluorid oder Natriumfluorid, das unter anderem als Holzschutzmittel verwendet wird und vor etwa 100 Jahren als Rattengift und Insektizid vermarktet wurde. Ein in der organischen Chemie häufig verwendetes Fluorid ist das Tetrabutylammoniumfluorid (TBAF). Da TBAF in organischen Lösungsmitteln löslich ist und das Fluoridion nicht durch Kationen beeinflusst wird (sogenanntes „nacktes Fluorid“) wird es als Fluoridquelle in organischen Reaktionen benutzt. Eine weitere wichtige Reaktion des Tetrabutylammoniumfluorids ist die Abspaltung von Silylethern, die als Schutzgruppe für Alkohole verwendet werden. Organische Fluorverbindungen Es existiert eine Reihe von organischen Fluorverbindungen. Eine der bekanntesten fluorhaltigen Stoffgruppen sind die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Die niedermolekularen FCKW mit einem oder zwei Kohlenstoffatomen sind gasförmige Stoffe und dienten früher als Kältemittel in Kühlschränken und Treibgas für Spraydosen. Da diese Stoffe den Ozonabbau verstärken und somit die Ozonschicht schädigen, ist ihre Herstellung und Verwendung mit dem Montreal-Protokoll stark eingeschränkt worden. Dagegen sind Fluorkohlenwasserstoffe für die Ozonschicht ungefährlich. Eine weitere umweltschädliche Auswirkung fluorhaltiger organischer Verbindungen ist ihre Absorptionsfähigkeit für Infrarotstrahlung. Daher wirken sie als Treibhausgase. Eine aus dem Alltag bekannte organische Fluorverbindung ist Polytetrafluorethen (PTFE), die unter dem Handelsnamen Teflon® als Beschichtung von Bratpfannen verwendet wird. Perfluorierte Tenside, die unter anderem bei der Herstellung von PTFE verwendet werden, und andere perfluorierte Verbindungen verfügen über eine äußerst stabile Kohlenstoff-Fluor-Bindung. Diese Bindung verleiht den Stoffen eine hohe chemische und thermische Beständigkeit, was aber auch dazu führt, dass die Substanzen in der Umwelt persistent sind und kaum abgebaut werden. Siehe auch :Kategorie:Organofluorverbindung Weitere Fluorverbindungen Mit den anderen Halogenen bildet Fluor eine Reihe von Interhalogenverbindungen. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist Chlortrifluorid, ein giftiges Gas, das vor allem als Fluorierungsmittel eingesetzt wird. Fluor ist elektronegativer als Sauerstoff, weshalb die Verbindungen zwischen Fluor und Sauerstoff nicht wie die anderen Halogen-Sauerstoffverbindungen als Halogenoxide, sondern als Sauerstofffluoride bezeichnet werden. Im Gegensatz zu den schwereren Halogenen existiert nur eine Fluorsauerstoffsäure, die Hypofluorige Säure HOF. Der Grund hierfür liegt darin, dass Fluor keine Drei-Zentren-vier-Elektronen-Bindungen ausbildet. Fluor bildet auch mit den Edelgasen Krypton, Xenon, und Argon einige Verbindungen wie Xenon(II)-fluorid. Kryptondifluorid, die einzige bekannte Kryptonverbindung, ist das stärkste bekannte Oxidationsmittel. Weitere Edelgasverbindungen des Fluor enthalten oft auch noch Atome anderer Elemente, wie beispielsweise das Argonhydrogenfluorid (HArF), die einzige bekannte Argonverbindung. Literatur Norman N. Greenwood, Alan Earnshaw: Chemie der Elemente. Weinheim 1988, ISBN 3-527-26169-9, S. 1018–1022. Michael Binnewies, Manfred Jäckel, Helge Willner, Geoff Rayner-Canham: Allgemeine und Anorganische Chemie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2004, ISBN 3-8274-0208-5, S. 552, 556–557, 575. Ralf Steudel: Chemie der Nichtmetalle. de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-012322-3. Weblinks chemie-master.de – Foto von flüssigem Fluor Einzelnachweise Nichtmetall
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fermium
Fermium
Fermium ist ein ausschließlich künstlich erzeugtes chemisches Element mit dem Elementsymbol Fm und der Ordnungszahl 100. Im Periodensystem steht es in der Gruppe der Actinoide (7. Periode, f-Block) und zählt auch zu den Transuranen. Fermium ist ein radioaktives Metall, das aber aufgrund der geringen zur Verfügung stehenden Mengen bisher nicht als Metall dargestellt wurde. Es wurde 1952 nach dem Test der ersten amerikanischen Wasserstoffbombe entdeckt und zu Ehren des Physikers Enrico Fermi benannt, der jedoch an der Entdeckung von bzw. Forschung an Fermium persönlich nicht beteiligt war. Geschichte Fermium wurde zusammen mit Einsteinium nach dem Test der ersten amerikanischen Wasserstoffbombe, Ivy Mike, am 1. November 1952 auf dem Eniwetok-Atoll gefunden. Erste Proben erhielt man auf Filterpapieren, die man beim Durchfliegen durch die Explosionswolke mitführte. Größere Mengen isolierte man später aus Korallen. Aus Gründen der militärischen Geheimhaltung wurden die Ergebnisse zunächst nicht publiziert. Eine erste Untersuchung der Explosionsüberreste hatte die Entstehung eines neuen Plutoniumisotops 244Pu aufgezeigt, dies konnte nur durch die Aufnahme von sechs Neutronen durch einen Uran-238-Kern und zwei folgende β-Zerfälle entstanden sein. Zu der Zeit nahm man an, dass die Absorption von Neutronen durch einen schweren Kern ein seltener Vorgang wäre. Die Identifizierung von 244Pu ließ jedoch den Schluss zu, dass Urankerne viele Neutronen einfangen können, was zu neuen Elementen führt. Die Bildung gelang durch fortgesetzten Neutroneneinfang: Im Moment der Detonation war die Neutronenflussdichte so hoch, dass die meisten der zwischenzeitlich gebildeten – radioaktiven – Atomkerne bis zum jeweils nächsten Neutroneneinfang noch nicht zerfallen waren. Bei sehr hohem Neutronenfluss steigt also die Massenzahl stark an, ohne dass sich die Ordnungszahl ändert. Erst anschließend zerfallen die entstandenen instabilen Nuklide über viele β-Zerfälle zu stabilen oder instabilen Nukliden mit hoher Ordnungszahl: Die Entdeckung von Fermium (Z = 100) erforderte mehr Material, da man davon ausging, dass die Ausbeute mindestens eine Größenordnung niedriger als die von Element 99 sein würde. Daher wurden kontaminierte Korallen aus dem Eniwetok-Atoll (wo der Test stattgefunden hatte) zum University of California Radiation Laboratory in Berkeley, Kalifornien, zur Verarbeitung und Analyse gebracht. Die Trennung der gelösten Actinoid-Ionen erfolgte in Gegenwart eines Citronensäure/Ammoniumcitrat-Puffers im schwach sauren Medium (pH ≈ 3,5) mit Ionenaustauschern bei erhöhter Temperatur. Etwa zwei Monate später wurde eine neue Komponente isoliert, ein hochenergetischer α-Strahler (7,1 MeV) mit einer Halbwertszeit von etwa einem Tag. Mit einer derart kurzen Halbwertszeit konnte es nur aus dem β-Zerfall eines Einsteiniumisotops entstehen, und so musste ein Isotop des Elements 100 das neue sein: Es wurde schnell als 255Fm identifiziert (t½ = 20,07 Stunden). Im September 1953 war noch nicht abzusehen, wann die Ergebnisse der Teams in Berkeley, Argonne und Los Alamos veröffentlicht werden könnten. Man entschied sich dazu, die neuen Elemente durch Beschussexperimente herzustellen; gleichzeitig versicherte man sich, dass diese Ergebnisse nicht unter Geheimhaltung fallen würden und somit veröffentlicht werden konnten. Einsteiniumisotope wurden kurz danach am University of California Radiation Laboratory durch Beschuss von Uran (238U) mit Stickstoff (14N) hergestellt. Dabei merkte man an, dass es Forschungen zu diesem Element gebe, die bislang noch unter Geheimhaltung stehen. Isotope der beiden neu entdeckten Elemente wurden durch Bestrahlung des Plutoniumisotops 239Pu erzeugt, die Ergebnisse wurden in fünf kurz aufeinander folgenden Publikationen veröffentlicht. Die letzten Reaktionen ausgehend von Californium sind: Das Team in Berkeley war zudem besorgt, dass eine andere Forschergruppe die leichteren Isotope des Elements 100 durch Ionenbeschuss entdecken und veröffentlichen könnte, bevor sie ihre unter Geheimhaltung stehende Forschung hätten veröffentlichen können. Denn im ausgehenden Jahr 1953 sowie zu Anfang des Jahres 1954 beschoss eine Arbeitsgruppe des Nobel-Instituts für Physik in Stockholm Urankerne mit Sauerstoffkernen; es bildete sich das Isotop mit der Massenzahl 250 des Elements 100 (250Fm). Die zweifelsfreie Identifizierung konnte anhand der charakteristischen Energie des beim Zerfall ausgesandten α-Teilchens erlangt werden.       Das Team in Berkeley veröffentlichte schon einige Ergebnisse der chemischen Eigenschaften beider Elemente. Schließlich wurden die Ergebnisse der thermonuklearen Explosion im Jahr 1955 freigegeben und anschließend publiziert. Letztlich war die Priorität des Berkeley-Teams allgemein anerkannt, da ihre fünf Publikationen der schwedischen Publikation vorausgingen, und sie sich auf die zuvor noch geheimen Ergebnisse der thermonuklearen Explosion von 1952 stützen konnten. Damit war das Vorrecht verbunden, den neuen Elementen den Namen zu geben. Sie entschieden sich, diese fortan nach berühmten, bereits verstorbenen Wissenschaftlern zu benennen. Man war sich schnell einig, die Namen zu Ehren von Albert Einstein und Enrico Fermi zu vergeben, die beide erst vor kurzem verstorben waren: „We suggest for the name for the element with the atomic number 99, einsteinium (symbol E) after Albert Einstein and for the name for the element with atomic number 100, fermium (symbol Fm), after Enrico Fermi.“ Die Bekanntgabe für die beiden neu entdeckten Elemente Einsteinium und Fermium erfolgte durch Albert Ghiorso auf der 1. Genfer Atomkonferenz, die vom 8. bis 20. August 1955 stattfand. Später wurde das Element zeitweilig mit dem systematischen Namen Unnilnilium bezeichnet. Isotope Sämtliche bisher bekannten 19 Nuklide und 3 Kernisomere sind radioaktiv und instabil. Die bekannten Massenzahlen reichen von 242 bis 260. Die mit Abstand längste Halbwertszeit hat das Isotop 257Fm mit 100,5 Tagen, so dass es auf der Erde keine natürlichen Vorkommen mehr geben kann. 253Fm hat eine Halbwertszeit von 3 Tagen, 251Fm von 5,3 h, 252Fm von 25,4 h, 254Fm von 3,2 h, 255Fm von 20,1 h und 256Fm von 2,6 h. Alle übrigen haben Halbwertszeiten von 30 Minuten bis unterhalb einer Millisekunde. Nimmt man den Zerfall des langlebigsten Isotops 257Fm heraus, so entsteht durch α-Zerfall zunächst das 253Cf, das seinerseits durch β-Zerfall in 253Es übergeht. Der weitere Zerfall führt dann über 249Bk, 249Cf, 245Cm, 243Am, 241Pu, 241Am zum 237Np, dem Beginn der Neptunium-Reihe (4 n + 1). Die angegebenen Zeiten sind Halbwertszeiten. Fermiumbarriere Als Fermiumbarriere bezeichnet man den Umstand, dass die Fermiumisotope 258Fm, 259Fm und 260Fm zum Teil schon nach Bruchteilen von Sekunden durch Spontanspaltung zerfallen (t½ = 370 µs, 1,5 s bzw. 4 ms). 257Fm ist ein α-Strahler und zerfällt zu 253Cf. Zudem zeigt keines der bislang bekannten Fermiumisotope β-Zerfälle, was die Bildung von Mendelevium durch Zerfall aus Fermium verhindert. Diese Tatsachen vereiteln praktisch jede Bemühung, mit Hilfe von Neutronenstrahlung, zum Beispiel mit Hilfe eines Kernreaktors, Elemente mit Ordnungszahlen über 100 bzw. Massenzahlen größer als 257 zu erzeugen. Fermium ist somit das letzte Element, das durch Neutroneneinfang hergestellt werden kann. Jeder Versuch, weitere Neutronen zu einem Fermium-Kern hinzuzufügen, führt zu einer Spontanspaltung. Gewinnung Fermium wird durch Beschuss von leichteren Actinoiden mit Neutronen in einem Kernreaktor erzeugt. Die Hauptquelle ist der 85 MW High-Flux-Isotope Reactor am Oak Ridge National Laboratory in Tennessee, USA, der auf die Herstellung von Transcuriumelementen (Z > 96) eingerichtet ist. In Oak Ridge sind größere Mengen an Curium bestrahlt worden, um Dezigramm-Mengen an Californium, Milligramm-Mengen an Berkelium und Einsteinium sowie Pikogramm-Mengen an Fermium zu erzeugen. Nanogramm- und Mikrogramm-Mengen von Fermium können für bestimmte Experimente vorbereitet werden. Die Mengen an Fermium, die in thermonuklearen Explosionen von 20 bis 200 Kilotonnen entstehen, bewegen sich vermutlich in der Größenordnung von einigen Milligramm, obwohl es mit einer riesigen Menge von Explosionsresten gemischt ist; 40 Pikogramm 257Fm wurden aus 10 Kilogramm der Explosionsreste aus dem Hutch-Test vom 16. Juli 1969 isoliert. Nach der Bestrahlung muss Fermium von den anderen Actinoiden und den Lanthanoid-Spaltprodukten getrennt werden. Dies wird üblicherweise durch Ionenaustauschchromatographie erreicht, das Standardverfahren läuft mit Kationenaustauschern wie Dowex 50 oder TEVA, man eluiert mit einer Lösung von Ammonium-α-hydroxyisobuttersäuremethylester. Kleinere Kationen bilden stabilere Komplexe mit den α-Hydroxyisobuttersäuremethylester-Anionen, daher werden sie bevorzugt von der Säule eluiert. Eine schnelle fraktionierte Kristallisationsmethode wurde ebenfalls beschrieben. Obwohl das stabilste Isotop des Fermiums das 257Fm mit einer Halbwertszeit von 100,5 Tagen ist, basieren die meisten Studien auf 255Fm (t½ = 20,07 Stunden). Dieses Isotop kann leicht isoliert werden, es ist ein Zerfallsprodukt des 255Es (t½ = 39,8 Tage). Geringe Mengen an Einsteinium und Fermium wurden aus Plutonium isoliert und abgetrennt, welches mit Neutronen bestrahlt wurde. Vier Einsteiniumisotope wurden gefunden (mit Angabe der damals gemessenen Halbwertszeiten): 253Es (α-Strahler mit t½ = 20,03 Tage, sowie mit einer Spontanspaltungs-Halbwertszeit von 7×105 Jahren); 254mEs (β-Strahler mit t½ = 38,5 Stunden), 254Es (α-Strahler mit t½ = ∼ 320 Tage) und 255Es (β-Strahler mit t½ = 24 Tage). Zwei Fermiumisotope wurden gefunden: 254Fm (α-Strahler mit t½ = 3,24 Stunden, sowie mit einer Spontanspaltungs-Halbwertszeit von 246 Tagen) und 255Fm (α-Strahler mit t½ = 21,5 Stunden). Durch Beschuss von Uran mit fünffach ionisierten Stickstoff- und sechsfach ionisierten Sauerstoffatomen wurden gleichfalls Einsteinium- und Fermiumisotope erzeugt. Eigenschaften Im Periodensystem steht das Fermium mit der Ordnungszahl 100 in der Reihe der Actinoide, sein Vorgänger ist das Einsteinium, das nachfolgende Element ist das Mendelevium. Sein Analogon in der Reihe der Lanthanoide ist das Erbium. Physikalische Eigenschaften Das Metall wurde bislang nicht dargestellt, hingegen erfolgten Messungen an Legierungen mit Lanthanoiden, ferner liegen einige Berechnungen oder Vorhersagen vor. Die Sublimationsenthalpie ist direkt mit der Valenzelektronenstruktur des Metalls verbunden. Die Sublimationsenthalpie von Fermium wurde direkt durch Messung des Partialdrucks des Fermiums über Fm-Sm- und Fm/Es-Yb-Legierungen im Temperaturbereich von 642 bis 905 K bestimmt. Sie gelangten zu einem Wert von 142(13) kJ·mol−1. Da die Sublimationsenthalpie von Fermium ähnlich ist zu denen des zweiwertigen Einsteinium, Europium und Ytterbium, wurde der Schluss gezogen, dass Fermium einen zweiwertigen metallischen Zustand besitzt. Vergleiche mit Radien und Schmelzpunkten von Europium-, Ytterbium- und Einsteinium-Metall führten zu geschätzten Werten von 198 pm und 1125 K für Fermium. Das Normalpotential wurde als ähnlich zum Ytterbium Yb3+/Yb2+-Paar eingeschätzt, also etwa −1,15 V in Bezug auf die Standard-Wasserstoffelektrode, ein Wert, der mit theoretischen Berechnungen übereinstimmt. Auf der Grundlage polarographischer Messungen wurde für das Fm2+/Fm0-Paar ein Normalpotential von −2,37 V festgestellt. Fm3+ kann relativ leicht zu Fm2+ reduziert werden, z. B. mit Samarium(II)-chlorid, mit dem Fermium zusammen ausfällt. Chemische Eigenschaften Die Chemie des Fermiums konnte bisher nur in Lösung mit Hilfe von Tracertechniken untersucht werden, feste Verbindungen wurden nicht hergestellt. Unter normalen Bedingungen liegt Fermium in Lösung als Fm3+-Ion vor, welches eine Hydratationszahl von 16,9 besitzt und eine Säurekonstante von 1,6 · 10−4 (pKs = 3,8). Fm3+ bildet Komplexe mit einer Vielzahl von organischen Liganden mit harten Donoratomen wie Sauerstoff; und diese Komplexe sind in der Regel stabiler als die der vorhergehenden Actinoide. Es bildet auch anionische Komplexe mit Liganden wie Chlorid oder Nitrat; und auch diese Komplexe scheinen stabiler zu sein als die von Einsteinium oder Californium. Es wird angenommen, dass die Bindung in den Komplexen der höheren Actinoide meist ionischen Charakter hat: das Fm3+-Ion ist erwartungsgemäß kleiner als die vorhergehenden An3+-Ionen – aufgrund der höheren effektiven Kernladung von Fermium –; und damit würde Fermium voraussichtlich kürzere und stärkere Metall-Ligand-Bindungen bilden. Sicherheitshinweise Einstufungen nach der CLP-Verordnung liegen nicht vor, weil diese nur die chemische Gefährlichkeit umfassen und eine völlig untergeordnete Rolle gegenüber den auf der Radioaktivität beruhenden Gefahren spielen. Auch Letzteres gilt nur, wenn es sich um eine dafür relevante Stoffmenge handelt. Verwendung Fermium wird – in Form seiner Verbindungen in Lösung – in erster Linie in geringen Mengen zu Studienzwecken gewonnen. Verbindungen des Fermiums wurden in fester Form bislang nicht dargestellt. Literatur Robert J. Silva: Fermium, Mendelevium, Nobelium, and Lawrencium, in: Lester R. Morss, Norman M. Edelstein, Jean Fuger (Hrsg.): The Chemistry of the Actinide and Transactinide Elements, Springer, Dordrecht 2006; ISBN 1-4020-3555-1, S. 1621–1651 (doi:10.1007/1-4020-3598-5_13). Glenn T. Seaborg (Hrsg.): Proceedings of the 'Symposium Commemorating the 25th Anniversary of Elements 99 and 100', 23. Januar 1978; Report LBL-7701, April 1979. Gmelins Handbuch der anorganischen Chemie, System Nr. 71, Transurane: Teil A 1 II, S. 19–20; Teil A 2, S. 47; Teil B 1, S. 84. Weblinks Albert Ghiorso: Einsteinium and Fermium, Chemical & Engineering News, 2003. Einzelnachweise Enrico Fermi als Namensgeber
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https://de.wikipedia.org/wiki/Francium
Francium
Francium [] ist ein radioaktives chemisches Element mit dem Elementsymbol Fr und der Ordnungszahl 87. Das Element ist ein Metall, steht in der 7. Periode, 1. IUPAC-Gruppe (Gruppe der Alkalimetalle) und gehört damit zum s-Block. Francium besitzt von allen Elementen bis zur Ordnungszahl 104 die in ihrer Gesamtheit instabilsten Isotope. Selbst das langlebigste Francium-Isotop 223Fr besitzt eine Halbwertszeit von nur 21,8 Minuten. Wegen dieser Eigenschaft und des Fehlens einer effizienten Kernreaktion zur Herstellung von Francium (223Fr entsteht in 1 % beim Zerfall von 227Ac) kann es nicht in Mengen hergestellt werden. Francium kann nur als Salz in verdünnten Lösungen und hoch verdünnt als Amalgam studiert werden. Experimente zeigen, dass Francium ein typisches Alkalimetall ist und seinem leichteren Homologon Caesium sehr ähnlich ist. So ist es in wässriger Lösung positiv einwertig und lässt sich analog zum Caesium in Form schwerlöslicher Salze, z. B. als Perchlorat, Tetraphenylborat und Hexachloroplatinat, ausfällen. Geschichte Im Jahre 1871 wurde von Dmitri Iwanowitsch Mendelejew die Existenz eines Elementes vorhergesagt, das den zu diesem Zeitpunkt noch leeren Platz innerhalb seines Periodensystems einnehmen würde. Er beschrieb es als Alkalimetall und gab ihm den Namen Eka-Caesium. Im Jahre 1925 veröffentlichte Dmitri Dobroserdow eine Theoriestudie, in der er Voraussagen über das Atomgewicht sowie chemische und physikalische Eigenschaften machte. Er nannte das Element Russium. Ein Jahr danach, im Jahre 1926, beobachteten die englischen Chemiker Gerald Druce und Frederic H. Loring die Spektrallinien des Elements bei Untersuchungen von Mangansulfat. 1929 meldete der amerikanische Physiker Fred Allison die Entdeckung des Elementes bei Untersuchungen von Mineralen und benannte das Element Virginium nach seinem Heimatstaat Virginia. 1936 wiederum gingen der Rumäne Horia Hulubei und die Französin Yvette Cauchois davon aus, das Element entdeckt zu haben und gaben ihm den Namen Moldavium. Allerdings konnte keine dieser Entdeckungen bei anderen Wissenschaftlern Bestätigung finden. Erst 1939 konnte Marguerite Perey das Element als ein Isotop 223Fr als Zerfallsprodukt von Actinium 227Ac zweifelsfrei nachweisen. Es wurde zunächst Actinium-K genannt und 1946 in Armenium umbenannt. Der Name wurde 1949 von der Internationalen Vereinigung der Chemiker abgelehnt. Das Element wurde dann Francium genannt nach dem Vaterland der Entdeckerin. Die physikalischen Eigenschaften sind im Wesentlichen Schätzungen, die durch Extrapolation der Eigenschaften der Alkalimetalle oder durch Modellrechnungen bestimmt wurden. Untersuchungen an kompakten Proben des Metalls oder seiner Verbindungen sind durch die geringen herstellbaren Mengen (wenige Attogramm, ~10.000 Atome) und die hohe Radioaktivität (Aktivität ist etwa 2-Mio.-mal höher als die der gleichen Menge von 238Pu: sichtbare Mengen würden sofort verdampfen) kaum möglich. Sicherheitshinweise Einstufungen nach der CLP-Verordnung liegen nicht vor, weil diese nur die chemische Gefährlichkeit umfassen und eine völlig untergeordnete Rolle gegenüber den auf der Radioaktivität beruhenden Gefahren spielen. Auch Letzteres gilt nur, wenn es sich um eine dafür relevante Stoffmenge handelt. Literatur Jean-Pierre Adloff, George B. Kauffman: Francium (Atomic Number 87), the Last Discovered Natural Element, The Chemical Educator, 10(5), 2005, S. 387–394, doi:10.1333/s00897050956a. Eric Scerri: A tale of seven elements, Oxford University Press, Oxford, 2013 Weblinks Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9F%20%28Einheit%29
Fuß (Einheit)
Ein Fuß () (englisch , Plural ) bzw. Schuh ist ein früher in vielen Teilen der Welt verwendetes Längenmaß, das je nach Land meist 28 bis 32 cm maß, in Extremfällen auch 25 und 34 cm. Der Fuß ist neben der Fingerbreite, der Handbreite, der Handspanne, der Elle, dem Schritt und dem Klafter eine der ältesten Längeneinheiten. Das einzige heute noch übliche Fußmaß, der englische Fuß, beträgt 1 ft = 30,48 cm (12 Zoll). Obwohl es sich nicht um eine SI-Einheit handelt, wird die Einheit Fuß auch international noch häufig verwendet, vor allem in der See- und Luftfahrt. Ursprünge Seit wann der Fuß als Maßeinheit verwendet wird, ist umstritten. Sichere Schlüsse können aus den frühesten Funden von Maßstäben gezogen werden. Das älteste unbeschädigte Fundstück dieser Art ist die sogenannte Nippur-Elle aus Mesopotamien. Durch Einkerbungen erschließen sich Untereinheiten zu 30 Fingerbreit (digiti à 1,73 cm), woraus sich die Maßeinheiten Fuß mit 16 digiti (27,6 cm) sowie die Handbreite (palmus = 4 digiti) ergeben. Versuche, die Länge der Elle an Gebäuden zu überprüfen, führten zu einem Mittelwert von 518,65 mm. Ob daraus – wie im Fall des megalithischen Yard – ein gemeinsames Urmaß abgeleitet werden kann, ist in der Fachwelt umstritten. Identische Längen oder ihre Untereinheiten in verschiedenen Kulturen könnten auch eine Folge der Einheitlichkeit von Körpermaßen sein, auf die sie zurückgehen. Antike Noch vor der IV. Pharaonen-Dynastie teilten ägyptische Geometer die Nippur-Elle nur noch in 28 Teile. Dadurch wuchs der Fuß als Maß auf 51,8 cm ÷ 28 × 16 ≈ 29,6 cm. Genau diese Länge hatte auch das römische Fußmaß. Demnach unterhalten der megalithische bzw. Nippur-Fuß und der römische Fuß ein Verhältnis von genau 28 zu 30. Ein Fuß (lat. pes ≈ 29,6 cm) ist also vier Handbreit (lat. palmus ≈ 7,4 cm) bzw. sechzehn Fingerbreit (lat. digitus ≈ 1,85 cm). Neben dem offiziellen pes monetalis wurde in einigen Teilen der römischen Nordwestprovinzen auch der sogenannte pes drusianus (≈ 33,27 cm) verwendet, der gegenüber dem offiziellen Fußmaß um etwa 2 digiti länger war. Er wurde benannt nach dem Feldherrn Nero Claudius Drusus. Das „Vier-Fuß-Maß“ nannte man in der Spätantike auf Lateinisch ulna (Elle). Das „Maß von 1½ Fuß“ ist die natürliche Elle (lat. cubitus). Das „Fünf-Fuß-Maß“ ist der Doppelschritt (lat. passus). Das englische Yard hat genau drei Fuß. Im alten Griechenland zum Beispiel gab es neben dem hauptsächlich verwendeten, eigentlichen Fuß (griechisch pous) zu 16 Fingerbreit auch eine sogenannte Pygme zu 18 Fingerbreit. Diese Pygme (Unterarm bis zum Handgelenk) wurde oft in Übersetzungen in Ermangelung eines geeigneten Wortes auch als „Fuß“ bezeichnet. Dennoch kann festgehalten werden, dass über die gesamte Zivilisationsgeschichte hinweg der Fuß stets 16 Fingerbreit beträgt, wobei der „Finger“ als die eigentliche Grundeinheit angesehen werden kann. Unter den mannigfaltigen, stets voneinander abgeleiteten griechischen Systemen sind vor allem der gemeingriechische Fuß zu nennen (wissenschaftlich seit Heron auch als Pous metrios bezeichnet), der später österreichischer Fuß wurde, sowie der besonders für die Erdvermessung des Eratosthenes relevante griechisch-kyrenaische Fuß der Antike. Griechische Fußmaße 1 Fuß (äginetischer) = 33,30 Zentimeter 1 Fuß (altattischer) = 33,00 Zentimeter 1 Fuß (attischer) = 31,04 Zentimeter 1 Fuß (dorischer) = 32,65 Zentimeter 1 Fuß (ionischer) = 34,83 Zentimeter 1 Fuß (makedonischer) = 27,50 Zentimeter 1 Fuß (olympischer) = 32,05 Zentimeter 1 Fuß (solonischer) = 29,60 Zentimeter Mittelalter und frühe Neuzeit Erst im Mittelalter mit seiner Vorliebe für das Duodezimalsystem wurde der Fuß statt in sechzehn in zwölf Untereinheiten geteilt. Dadurch ergab sich die Daumenbreite, das sogenannte Zoll (lat. uncia, engl. inch, frz. pouce). Auch in anderen Kulturkreisen, z. B. in Japan oder China, sind Längenmaße in Größe des menschlichen Fußes bekannt. Ein karolingischer Fuß maß 32,24 cm, der „Pariser Königsfuß“ 32,48 cm (vermutlich vom pes drusianus abgeleitet) und der weit verbreitete Rheinfuß knapp 31,4 cm. Bei nahezu allen Bauwerken des Mittelalters wurde der Fuß als Grundbaumaß verwendet. Er lässt sich bei Kirchenbauwerken meist durch Teilung des Breitenmaßes mit einer theologisch relevanten ganzen Zahl rekonstruieren. Die Dombauhütten und ihre Baumeister verwendeten regional unterschiedliche eigene Fußmaße, die entweder antike Fußmaße oder deren Ableitungen waren. Die rekonstruierten Längen liegen zwischen 25 und 35 cm. Wie man in der frühen Neuzeit versuchte, „ein gerechtes Meßrut“ als Mittelung zu schaffen, zeigt folgender Text des Rechenmeisters, Feldmessers und Stadtschreibers Jakob Köbel aus Oppenheim von 1535: Eine Anweisung zur Grenzvermessung zwischen der Grafschaft Nassau und der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt aus dem Jahre 1719 legt unter Punkt 5 fest, dass zur Vermessung „eine Rute zu 18 Schuh, der Schuh zu 12 Zoll“ verwendet werden solle. Mit der Einführung des dezimalen Meters in Frankreich im Jahre 1793 brach man erstmals in der Menschheitsgeschichte mit der Verwendung aller konkret auf den Menschen bezogenen Grundmaße sowie mit der traditionellen Bezugnahme auf andere, schon bestehende Maße. Die neue Referenz sollte nun der Erdumfang sein. In bestimmten Bereichen, etwa der Landvermessung und Schifffahrt, wurden allerdings schon zuvor verschiedene „geografische Meilen“ (z. B. in Deutschland 1/15 Äquatorgrad lang) und davon abgeleitete Größen verwendet. Der Meter wurde rein abstrakt als zehnmillionster Teil der Entfernung vom Pol zum Äquator definiert. In der Folge verschwand das klassische menschliche Fußmaß im Geltungsbereich des Meters. Zur Vereinfachung und besseren Akzeptanz der Umstellung auf den Meter wurde im 19. Jahrhundert da und dort das alte Fußmaß auf runde Werte des neuen Systems gebracht. Dieser erneuerte Fuß entsprach im Großherzogtum Hessen genau 25 cm, im Großherzogtum Baden sowie in der Schweiz (siehe auch: Schweizer Fuss) genau 30 cm und im Herzogtum Nassau genau 50 cm. Diese Einheiten wurden dann meistens in zehn statt wie zuvor in zwölf Zoll geteilt. Andere Staaten beschränkten sich darauf, ihren Fuß und andere Maßeinheiten in Abhängigkeit zum metrischen Systems zu definieren. Deutschsprachiger Raum Die verschiedenen alten deutschen Fußmaße sind durch den Norddeutschen Bund und die Übernahme seiner Gesetze bei der Gründung des Deutschen Reiches (1871) sowie den darauf folgenden deutschen Beitritt zur internationalen Meterkonvention (1875) ganz aufgegeben worden. In Österreich galt überwiegend der pous metrios zu 31,61 cm. Terminologisch entsprach dem Fuß regional der Schuh. Beispiele der Fußmaße in einigen deutschen Städten und Ländern (gerundet): 282 mm in Weimar 283 mm in Sachsen 285 mm in Frankfurt am Main 286 mm in Württemberg 287 mm in Hamburg 288 mm in Hessen-Kassel 288 mm in Hessen-Darmstadt 289 mm in Bremen 291 mm in Aschaffenburg 292 mm in Bayern 292 mm in Hannover 296 mm in Augsburg (römischer Fuß) 296 mm in Oldenburg (römischer Fuß) 297 mm in Salzburg (Fürsterzbistum, römischer Fuß) 304 mm in Nürnberg 304 mm in Meiningen-Hildburghausen 314 mm in Preußen (Rheinfuß) 316 mm in Wien, Österreich  (Pous metrios) Reformierte Fußmaße im Rheinbund (ab 1806) bzw. nach dem Wiener Kongress (1814/1815) sowie in der Schweiz (gemäß Konkordat von 1835): 25 cm in Hessen 30 cm in Baden und in der Schweiz 33⅓ cm in der Pfalz Spezielle Fußmaße: 291 mm im Schiffbau (Schiffsfuß) in Lübeck 284,91 mm als Katasterfuß in Kurhessen 292,87 mm als Artilleriefuß in Bayern Europäische Fußmaße (Quelle unter) Limprandischer Fuß Mit limprandischer Fuß wurde neben dem normalen oder ordinären Fuß das Längenmaß Fuß in Alessandria bezeichnet. Der Unterschied in der Länge war 1 limprandischer Fuß = 12 Zoll = 227,7 Pariser Linien = 0,51367 Meter 1 ordinärer Fuß = 8 Zoll = 151,8 Pariser Linien = 0,342435 Meter (Quelle unter) Gegenwart Fuß als angloamerikanische Maßeinheit Heutzutage ist mit der Maßeinheit Fuß oder auf Englisch foot bzw. feet die angloamerikanische Längeneinheit Fuß gemeint, die 1959 international mit 30,48 cm definiert wurde. Das Einheitenzeichen ist ft, im Gebrauch als Abkürzung ist auch das Minutenzeichen ′ (in Unicode das „PRIME“-Zeichen U+2032) oder das halbe typografische Anführungszeichen '. 1 ft = 1′ = 12 in = ⅓ yd = 30,48 cm 1 m ≈ 3,2808 ft Von 1893 (Mendenhall Order) bis 1959 war der Fuß in den USA als 1 Fuß = 1200/3937 Meter definiert. Der so definierte Fuß wurde noch bis 2022 als U.S. survey foot in der Mehrheit der US-Bundesstaaten für die Landvermessung verwendet. Die Diskrepanz betrug 2 Millionstel: Der international foot ist exakt -mal so groß wie der U.S. survey foot. Seit 2023 wird der U.S. survey foot nicht mehr verwendet. Wissenschaft In der Wissenschaft gilt international das dezimale metrische Maßsystem, und selbst in den USA wird in diesem Bereich der foot nicht mehr verwendet. Technik Im Gegensatz zum Zoll, der auch heutzutage noch weltweit verbreitet ist, beispielsweise bei der Größenangabe von Autofelgen, ist der Fuß im technischen Bereich so gut wie nicht mehr international im Gebrauch. Eine der seltenen Ausnahmen ist die gelegentliche Bezeichnung der Breite beim Mähdrescher-Schneidwerk. Logistik Viele Angaben sind in Fuß und Zoll angegeben, so z. B. die Abmessungen der weltweit verbreiteten ISO-Container. Insbesondere die Längenmaße sind hier von Bedeutung, da sie die Grundlage der Klassifikationen darstellen, aus denen sich alle weiteren Maße im Wesentlichen ableiten. Der Standard sind 20′-, 40′- und 45′-Container. Luftfahrt Direkte Werte in Fuß sind am häufigsten in der Luftfahrt anzutreffen, wo sie als feet die gebräuchlichste Maßeinheit der Flughöhe darstellen. Bei geografischen Höhenangaben in Luftfahrtkarten (speziell für Flugplätze und Berge) wird im Zusammenhang mit der Angabe in Fuß der Begriff „Elevation“ (ELEV) verwendet. Im Luftraum über der Übergangshöhe werden die Flugflächen (engl.: flight level, FL) nach ihrer Höhe in Vielfachen von 100 Fuß benannt. Beispiel: Die Höhenangabe „FL120“ bedeutet: „12000 ft über der Standard-Bezugsfläche“. Schifffahrt Viele Maße basieren auf Fuß und Zoll oder werden immer noch direkt darin angegeben. Maße bei Bauvorschriften für z. B. Durchstiege, Raumhöhen oder die Seereling wurden in Fuß oder Zoll definiert und werden heute als Millimeterwerte angegeben (Höhe der Reling 2 Fuß entspricht 610 mm, Abstand der Stützen höchstens 7 Fuß entspricht 2134 mm). Grenzwerte für Schiffsklassen sind oft ganze Fußmaße. Eine Registertonne sind 100 Kubikfuß. Tiefgangs-Marken, die sogenannten Ahmings, die am Bug und Heck eines Seeschiffes und bisweilen auch mittschiffs angebracht sind, sind oft in Fuß skaliert. Bei der Fertigung von Kettengliedern wird zumeist der Zoll verwendet, während die Produkte in Millimeter ausgezeichnet werden (die Glieder einer ¼-Zoll-Kette sind 6,35 mm dick, werden aber als 6-Millimeter-Kette bezeichnet; ⅜ Zoll sind 9,53 mm, werden aber als 10 mm verkauft; und ½ Zoll sind 12,7 mm, heißen aber 13 mm). Auf allen amtlichen amerikanischen Seekarten und nautischen Veröffentlichungen werden Wassertiefen in Fuß angegeben. Hingegen sind die Seekarten der britischen Admiralität inzwischen fast durchgehend metrisch. Auch wenn es nicht exakt stimmt, nutzen auch Nichtengländer Fußwerte im Namen eines Bootstyps oder einer Marke, um das Boot genauer zu spezifizieren (Boote der Klasse Melges 24 sind 750 cm lang, die Swan 48 hat 1483 cm und nicht korrekte 1463,04 cm = 48 ft). Sport In manchen Sportarten sind Maße ursprünglich runde Fußwerte, werden inzwischen aber häufig in Metern spezifiziert und dabei nur manchmal auf glatte Werte gerundet. Der Basketballkorb beispielsweise hängt 10 ft hoch (umgerechnet 3,048 m). Die Abmessungen eines Fußballtors stammen aus der Zeit, als in England erste Regeln wie die Acht-Acht-Regel aufgestellt wurden. 8 ft (= 2,44 m) hoch und 8 yds (24 ft = 7,32 m) breit. Die britischen Maße werden auch heute noch im FIFA-Regelwerk parallel zu den metrischen Maßen angegeben. Alle vorgegebenen Abmessungen eines Baseball-Spielfeldes sind grundsätzlich Fuß-Maße. Orgelbau Im Orgelbau wird der Fuß heute für die Angabe der Tonhöhe von Orgelpfeifen verwendet. Die sogenannte Fußtonzahl gibt die klingende Tonhöhe eines Orgelregisters an. Bei einem 8′-Register lässt die Taste C auch den Ton C erklingen, bei einem 4′-Register den Ton c0 usw. Dabei wird von einer theoretischen Standardpfeife für die Taste C ausgegangen. Für die heutige Stimmung hat im Orgelbau ein Fuß etwa 32 cm. Abhängig von der Bauart weicht die tatsächliche Länge einer Pfeife bei gleicher Tonhöhe jedoch von der in Fuß angegebenen Länge ab. Auch die Unterschiede der regional üblichen Fußmaße im historischen Orgelbau spielten bei der Nennung der Fußtonzahl keine Rolle, da sie nur grob angegeben wurde. So wurde beispielsweise das Maß ′ regelmäßig als 3′ geschrieben. Siehe auch Geschichte von Maßen und Gewichten Größenordnung (Länge) Kameralschuh Cameral-Fuß Kettenfuß Zimmerfuß Literatur Albrecht Kottmann: Fünftausend Jahre messen und bauen. Planungsverfahren und Maßeinheiten. Verlag J. Hoffmann, Stuttgart 1981, ISBN 3-87346-065-3. Albrecht Kottmann: Vom Geheimnis der alten Meister. Symbolzahlen, Maßeinheiten und Bemessungsverfahren von der Vorzeit bis zur Einführung des metrischen Systems. Verlag J. Fink, Lindenberg i. Allgäu, 2003, ISBN 3-89870-020-8. Rolf C. A. Rottländer: Vormetrische Längeneinheiten. Schulze, Johann Karl: Neue und erweiterte Sammlung logarithmischer, trigonometrischer und anderer … Tafeln, Bd., 1, Berlin 1778, S. 317 f.: Vergleichung der Fußmaße verschiedener Oerter mit dem königlichen Pariser Fuß. Weblinks Umrechner von britischen auf metrische Maßeinheiten Einzelnachweise Altes Maß oder Gewicht (Europa)
1580
https://de.wikipedia.org/wiki/Furlong
Furlong
Der Furlong (dt. „“) ist ein altes angloamerikanisches Längenmaß mit Herkunft aus der Landwirtschaft. Es ist nicht metrisch und daher nicht SI-konform. Definition 1 Furlong = 10 Chain = 40 Rod = 220 Yard = 660 Fuß (ft) = 7920 Zoll (in) = 201,168 Meter 1 Englische Meile = 8 Furlong = 80 Chain = 320 Rod = 8000 Link Die alte Flächeneinheit acre (4046,86 m²) entspricht einem streifenförmigen Feld von 1 Furlong × 0,1 Furlong, das ein Ochsengespann in etwa einem Tag pflügen konnte. Ähnliche Dimensionen haben die Einheiten Morgen und Joch, die in Europa bis heute in der bäuerlichen Bevölkerung lebendig sind. Verwendung Der Furlong wird insbesondere in Großbritannien für die Strecken von Pferderennen genutzt. So geht das Pferderennen von Ascot über 20 Furlongs und damit zweieinhalb englische Meilen. Schottischer Furlong Der alte schottische Furlong wich vom angloamerikanischen Maß ab und war etwa 25 Meter größer. Die Länge dieses Furlongs war 226,7671 Meter. Der Umrechnungsfaktor kann mit 1,127 angesetzt werden. 1 Meile (schott.) = 8 Furlongs = 1814,1368 Meter Literatur Erna Padelt, Hansgeorg Laporte: Einheiten und Größenarten der Naturwissenschaften. Fachbuchverlag Leipzig, 1964, 1967, Seite 329. Einzelnachweise Längeneinheit Altes Maß oder Gewicht (Vereinigtes Königreich)
1581
https://de.wikipedia.org/wiki/Nautischer%20Faden
Nautischer Faden
Der Nautische Faden (vom englischen: „fathom“, zu Deutsch: „Faden“, auch „Klafter“ genannt) ist eine nicht SI-konforme Maßeinheit der Länge, welche insbesondere noch in der englischsprachigen Schifffahrt – in der Nautik – für Tiefenangaben in Gebrauch ist. Ursprünglich handelt es sich bei dem Maß um die Spannweite der Arme eines ausgewachsenen Mannes, historisch sechs Fuß gleichgesetzt, dem Klafter. 1 fm = 2 yds = 6 ft = 72 in = 182,88 cm = 1,8288 m Gelegentlich wird auch eine neuere, nicht genormte Definition benutzt: 1 fm = 1/100 Kabellänge = 1/1000 Seemeile = 1,852 m In der EG-Richtlinie 80/181/EWG ist die erste Definition zugrunde gelegt, jedoch der Zahlenwert zu 1,829 Meter gerundet. Unterschiedliche Definition des Fadens in der Seefahrt Die Pariser Linie ist hier mit 2,2558 mm gerechnet. (Quellen unter) Siehe auch Größenordnung (Länge) Knoten (Einheit) Literatur Erna Padelt, Hansgeorg Laporte: Einheiten und Größenarten der Naturwissenschaften. Fachbuchverlag Leipzig 1967, S. 153 Wolfgang Trapp: Kleines Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung. Mit Tabellen und Abbildungen. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1992, S. 131 f. (=Universal-Bibliothek Nr. 8737) ISBN 3-15-008737-6. Einzelnachweise Maßeinheit (Schifffahrt) Faden (Einheit) eo:Klafto fr:Brasse (unité de mesure) ru:Фаден
1582
https://de.wikipedia.org/wiki/Farad
Farad
Das Farad ist die SI-Einheit der elektrischen Kapazität. Es wurde nach Michael Faraday benannt. Ein Kondensator, der durch das Aufladen auf eine Spannung von einem Volt (V) eine Ladung von einem Coulomb (C) speichert, hat eine Kapazität von einem Farad (F): . Der überwiegende Anteil von in der Elektrotechnik eingesetzten Kondensatoren weist erheblich kleinere Werte als ein Farad auf, so dass sehr häufig Angaben unter Zuhilfenahme von SI-Präfixen wie Mikrofarad (μF = 10−6 F), Nanofarad (nF = 10−9 F) und Pikofarad (pF = 10−12 F) anzutreffen sind. Geschichte Der Terminus Farad wurde von den beiden englischen Elektro-Ingenieuren Josiah Latimer Clark und Charles Tilston Bright zur Ehre des englischen Physikers Michael Faraday eingeführt und 1861 als Einheit für die elektrische Ladung vorgeschlagen. 1881 legte der Internationale Elektrizitätskongress jedoch das Farad als Einheit für die elektrische Kapazität und das Coulomb (nach dem französischen Physiker Charles Augustin de Coulomb) als Einheit für die elektrische Ladung fest. Weblinks Einzelnachweise Elektromagnetische Einheit Michael Faraday als Namensgeber
1584
https://de.wikipedia.org/wiki/Fluid%20dram
Fluid dram
Fluid dram und Fluid drachm (»Flüssigdrachme«) sind Maßeinheiten des Raums (Flüssigkeit, Apothekermaß), die vor allem in Nordamerika gebräuchlich sind. Das Einheitenzeichen für Fluid dram ist US.fl.dr. Das Einheitenzeichen für Fluid drachm ist Imp.fl.dr. 1 US.fl.dr. = 60 US.min. = 0,2255859375 cubic inch = 3,6966911953125 cm³ 1 US. gallon = 231 cubic inch = 1024 US.fl.dr. 1 Imp.fl.dr. = 0,96076 US.fl.dr. 1 Imp.fl.dr. = 60 Imp.min. = 0,2167339453125 cubic inch = 3,55163303280844 cm³ 1 Imp.gallon = 277,41945 cubic inch = 1280 Imp.fl.dr. Siehe auch: fluid ounce, pint, Angloamerikanisches Maßsystem Einheit dram (drachm) als Masseeinheit. Angloamerikanische Einheit Volumeneinheit en:Dram (volume)
1585
https://de.wikipedia.org/wiki/Fluid%20ounce
Fluid ounce
Fluid ounce (dt. „Flüssigunze“) ist eine Maßeinheit des Raums (Flüssigkeit, Apothekermaß) des angloamerikanischen Maßsystems. Es wird unterschieden zwischen Imperial fluid ounce, einer imperialen Maßeinheit, welche ihren Ursprung in Großbritannien hat, und United States fluid ounce, einer US-amerikanischen Maßeinheit, welche Teil der United States Customary Units ist. Das Einheitenzeichen ist entweder Imp.fl.oz. oder US fl.oz. Soweit der Zusammenhang klar ist, wird manchmal auch nur kurz oz geschrieben, womit generell aber eine Verwechslungsgefahr mit der so abgekürzten Gewichtseinheit Unze (englisch ounce) entsteht. In Amerika ist z. B. eine typische Verkaufsgröße für Bierdosen oder sonstige Getränke 12 fl.oz., was 0,3549 Litern entspricht. Äquivalenzen und Umrechnungen (Quelle:) Imperial fluid ounce 1 Imp.fl.oz. = 0,96076 US.fl.oz. 1 Imp.min. = 0,96076 US.min. US customary fluid ounce Literatur Einzelnachweise Angloamerikanische Volumeneinheit
1586
https://de.wikipedia.org/wiki/Foot-pound
Foot-pound
Das foot-pound oder foot-pound force ist eine britische und US-amerikanische Einheit sowohl der Energie als auch des Drehmoments (dort pound-foot bzw. pound-force foot). Das Einheitenzeichen ist ft·lb oder ft·lbf, auch lb·ft oder lbf·ft. Ein foot-pound entspricht genau  J (Joule) und entspricht der Energie, die aufgebracht werden muss, um einen Körper mit einer Masse von einem Pfund um einen Foot gegen seine Gewichtskraft anzuheben: 550 Foot-pound in der Sekunde entsprechen einem Horsepower (etwa 745,7 Watt). Energieeinheit
1587
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich%20Nietzsche
Friedrich Nietzsche
Friedrich Wilhelm Nietzsche ( oder ; * 15. Oktober 1844 in Röcken; † 25. August 1900 in Weimar) war ein deutscher klassischer Philologe und Philosoph. Nietzsche sprengte sowohl mit seinem Denken als auch mit seinem Stil bis dahin gängige Muster und ließ sich zunächst keiner klassischen Disziplin zuordnen. Heute gilt er manchen als Begründer einer neuen philosophischen Schule, der Lebensphilosophie. Im Alter von 24 Jahren wurde Nietzsche im Anschluss an sein Studium als außerordentlicher Professor für klassische Philologie an die Universität Basel berufen. Zuvor war er noch preußischer Staatsbürger, nach seiner Übersiedlung in die Schweiz 1869 wurde er auf eigenen Wunsch hin staatenlos. Bereits zehn Jahre später legte er 1879 aus gesundheitlichen Gründen die Professur nieder. Von nun an bereiste er – auf der Suche nach Orten, deren Klima sich günstig auf seine diversen Leiden auswirken sollte – vor allem Italien und die Schweiz. Ab seinem 45. Lebensjahr (1889) litt er unter zunehmenden psychischen Störungen, die ihn arbeits- und geschäftsunfähig machten. Seinen Anfang der 1890er Jahre einsetzenden Ruhm erlebte er nicht mehr bewusst. Den Rest seines Lebens verbrachte er als Pflegefall in der Obhut zunächst seiner Mutter, dann seiner Schwester, und starb 1900 im Alter von 55 Jahren. Die Vermutung, die Spätfolgen einer Syphilis könnten beim Krankheitsverlauf eine Rolle gespielt haben, hielt sich gut 100 Jahre. Später kamen in Fachkreisen jedoch zunehmend Zweifel an dieser Verdachtsdiagnose auf. Neuere Auswertungen von Nietzsches Krankenakte kommen zum Ergebnis, dass eine Erkrankung wie CADASIL ebenso zu seiner geistigen Verwirrung am Lebensende geführt haben könnte. Den jungen Nietzsche beeindruckte besonders die Philosophie Schopenhauers. Später wandte er sich von dessen Pessimismus ab. Sein Werk enthält scharfe Kritiken an Moral, Religion, Philosophie, Wissenschaft und Formen der Kunst. Die zeitgenössische Kultur war in seinen Augen lebensschwächer als die des antiken Griechenlands. Wiederkehrendes Ziel von Nietzsches Angriffen sind vor allem die christliche Moral sowie die christliche und platonistische Metaphysik. Er stellte den Wert der Wahrheit überhaupt in Frage und wurde damit Wegbereiter postmoderner philosophischer Ansätze. Auch Nietzsches Konzepte des „Übermenschen“, des „Willens zur Macht“ oder der „ewigen Wiederkunft“ geben bis heute Anlass zu Deutungen und Diskussionen. Nietzsche schuf keine systematische Philosophie. Oft wählte er den Aphorismus als Ausdrucksform seiner Gedanken. Seine Prosa, seine Gedichte und der pathetisch-lyrische Stil von Also sprach Zarathustra verschafften ihm auch als Schriftsteller Anerkennung. Im Nebenwerk schuf er zudem musikalische Kompositionen. Leben Jugend (1844–1869) Friedrich Nietzsche wurde am 15. Oktober 1844 in Röcken, einem Dorf nahe Lützen im Kreis Merseburg in der preußischen Provinz Sachsen (heute Sachsen-Anhalt), geboren. Seine Eltern waren der lutherische Pfarrer Carl Ludwig Nietzsche und dessen Frau Franziska, Tochter des Pfarrers David Ernst Oehler von Pobles. Seit der Reformation im 16. Jahrhundert ist die Familie Nietzsche in Sachsen als evangelisch dokumentiert. In den Familien beider Elternteile gab es einen hohen Anteil protestantischer Pfarrer. Seinen Vornamen gab ihm sein Vater zu Ehren des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., an dessen 49. Geburtstag er geboren wurde. Nietzsche selbst behauptete in seinen späten Jahren, in väterlicher Linie von polnischen Edelleuten abzustammen, was jedoch nicht bestätigt werden konnte. Die Schwester Elisabeth kam 1846 zur Welt. Nach dem Tod des Vaters 1849 und des jüngeren Bruders Ludwig Joseph (1848–1850) zog die Familie nach Naumburg. Der spätere Justizrat Bernhard Dächsel wurde formal zum Vormund der Geschwister Friedrich und Elisabeth bestellt. Von 1850 bis 1856 lebte Nietzsche im „Naumburger Frauenhaushalt“, das heißt zusammen mit Mutter, Schwester, Großmutter, zwei unverheirateten Tanten väterlicherseits und dem Dienstmädchen. Erst die Hinterlassenschaft der 1856 verstorbenen Großmutter erlaubte der Mutter, für sich und ihre Kinder eine eigene Wohnung zu mieten. Der junge Nietzsche besuchte zunächst die allgemeine Knabenschule, fühlte sich dort allerdings so isoliert, dass man ihn auf eine Privatschule schickte, wo er erste Jugendfreundschaften mit Gustav Krug und Wilhelm Pinder, beide aus angesehenen Häusern, knüpfte. Ab 1854 besuchte er das Domgymnasium Naumburg und fiel bereits dort durch seine besondere musische und sprachliche Begabung auf. 1857 bereitete Pastor Gustav Adolf Oßwald, ein enger Freund seines Vaters, ihn in Kirchscheidungen für die Aufnahmeprüfung in Schulpforta vor. Am 5. Oktober 1858 wurde Nietzsche als Stipendiat in die Landesschule Pforta aufgenommen, wo er als bleibende Freunde Paul Deussen und Carl Freiherr von Gersdorff kennenlernte. Seine schulischen Leistungen waren sehr gut, in seiner Freizeit dichtete und komponierte er. In Schulpforta entwickelte sich zum ersten Mal seine eigene Vorstellung von der Antike und, damit einhergehend, eine Distanz zur kleinbürgerlich-christlichen Welt seiner Familie. In dieser Zeit lernte Nietzsche den älteren, einstmals politisch engagierten Dichter Ernst Ortlepp kennen, dessen Persönlichkeit den vaterlosen Knaben beeindruckte. Von Nietzsche besonders geschätzte Lehrer, mit denen er nach seiner Schulzeit noch in Verbindung blieb, waren Wilhelm Corssen, der spätere Rektor Diederich Volkmann und Max Heinze, der 1897, als Nietzsche entmündigt war, zu dessen Vormund bestellt wurde. Corssen hatte sich auch vor dem Kollegium dafür eingesetzt, dass Nietzsche, trotz einer schlechten Note in Mathematik, sein Abitur erhielt, indem er auf dessen besondere Begabung in den alten Sprachen und Deutsch verwies. Gemeinsam mit seinen Freunden Pinder und Krug traf sich Nietzsche ab 1860 auf der Burgruine Schönburg, wo er mit ihnen über Literatur, Philosophie, Musik und Sprache diskutierte. Mit ihnen gründete er dort die künstlerisch-literarische Vereinigung „Germania“. Die Gründungsfeier fand am 25. Juli 1860 statt: „… bei Naumburger Rotwein (die Flasche zu 75 Pfennige) leisteten die drei sechzehnjährigen Vereinsmitglieder ihren Bundesschwur. Gedichte, Kompositionen, Abhandlungen mußten regelmäßig geliefert werden. Man wollte dann gemeinsam darüber diskutieren.“ Die Versammlungen fanden vierteljährlich statt. Auf ihnen wurden Vorträge gehalten. Es gab eine Gemeinschaftskasse, aus der Bücher beschafft wurden. Bereits in dieser Zeit entwickelte Nietzsche seine Leidenschaft für die Musik Richard Wagners. Zu Nietzsches frühen Werken, die vor dem Hintergrund der Schönburger Germania entstanden sind, zählen die Synodenvorträge, Kindheit der Völker, Fatum und Geschichte sowie Über das Dämonische in der Musik. 1863 wurde die Germania aufgelöst, nachdem Pinder und Krug ihr Interesse daran verloren hatten. Im Wintersemester 1864/65 begann Nietzsche an der Universität Bonn das Studium der klassischen Philologie und der evangelischen Theologie unter anderem bei Wilhelm Ludwig Krafft. Zusammen mit Deussen wurde er Mitglied der Bonner Burschenschaft Frankonia. Er bestritt freiwillig eine Mensur, von welcher er einen Schmiss auf dem Nasenrücken zurückbehielt. Nach einem Jahr verließ er die Burschenschaft, weil ihm das Verbindungsleben missfiel. Neben seinem Studium vertiefte er sich in die Werke der Junghegelianer, darunter Das Leben Jesu von David Friedrich Strauß, Das Wesen des Christentums von Ludwig Feuerbach und Bruno Bauers Evangelienkritiken. Diese bestärkten ihn (zur großen Enttäuschung seiner Mutter) in dem Entschluss, das Theologiestudium nach einem Semester abzubrechen. Nietzsche wollte sich nun ganz auf die klassische Philologie konzentrieren, war jedoch mit seiner Lage in Bonn unzufrieden. Daher nahm er den Wechsel des Philologieprofessors Friedrich Ritschl nach Leipzig (in Folge des Bonner Philologenstreits) zum Anlass, zusammen mit seinem Freund Gersdorff ebenfalls nach Leipzig zu ziehen. In den folgenden Jahren sollte Nietzsche zu Ritschls philologischem Musterschüler werden, obwohl er in Bonn noch dessen Konkurrenten Otto Jahn zugeneigt war. Ritschl war für Nietzsche zeitweise eine Vaterfigur, ehe später Richard Wagner diese Stelle einnahm. Im Oktober 1865, kurz bevor Nietzsche das Studium in Leipzig aufnahm, verbrachte er zwei Wochen in Berlin bei der Familie seines Studienfreundes Hermann Mushacke. Dessen Vater hatte in den 1840er Jahren zu einem Debattierzirkel um Bruno Bauer und Max Stirner gehört. Dass Nietzsche bei diesem Besuch mit Stirners 1845 erschienenem Buch Der Einzige und sein Eigentum konfrontiert wurde, liegt nahe, lässt sich aber nicht belegen. Jedenfalls wandte Nietzsche sich unmittelbar danach einem Philosophen zu, der Stirner und dem Junghegelianismus denkbar fernstand: Arthur Schopenhauer. Ein weiterer Philosoph, den er in seiner Leipziger Zeit für sich entdeckte, war Friedrich Albert Lange, dessen Geschichte des Materialismus 1866 erschien. In erster Linie setzte Nietzsche jedoch zunächst sein philologisches Studium fort. In dieser Zeit knüpfte er eine enge Freundschaft mit seinem Kommilitonen Erwin Rohde. Mit diesem zusammen beteiligte er sich 1866 an der Gründung des Klassisch-philologischen Vereins an der Universität Leipzig. Hatte er im Deutschen Krieg zwischen Preußen und Österreich, in dem das Königreich Sachsen auf österreichischer Seite stand und Leipzig preußisch besetzt wurde, als Student eine militärische Einberufung noch vermeiden können, musste Nietzsche 1867 seinen Wehrdienst bei der preußischen Armee ableisten und trat als Einjährig-Freiwilliger beim Feldartillerie-Regiment Nr. 55 in Naumburg ein. Als er nach einem schweren Reitunfall im März 1868 dienstunfähig geworden war, nutzte er die Zeit seiner Kur zu weiteren philologischen Arbeiten, die er in seinem letzten Studienjahr fortsetzte. Von großer Bedeutung wurde sein erstes Zusammentreffen mit Richard Wagner im Jahre 1868. Professor an der Universität Basel (1869–1879) Auf Empfehlung seines Lehrers Friedrich Ritschl und auf Betreiben Wilhelm Vischer-Bilfingers wurde Nietzsche 1869 als besonderes altsprachliches Talent, jedoch ohne Promotion, zum außerordentlichen Professor für klassische Philologie an die kleine, damals finanzschwache Universität Basel berufen. Zu seiner Tätigkeit gehörte auch der Unterricht am traditionsreichen Basler Gymnasium am Münsterplatz. Als seine wichtigste Erkenntnis auf dem Gebiet der Philologie wird die Entdeckung des quantitierenden Prinzips angesehen, also die Erkenntnis, dass die antike Metrik, im Gegensatz zur modernen Metrik, ausschließlich auf der Länge von Silben basierte. Auf eigenen Wunsch wurde Nietzsche nach seiner Übersiedlung nach Basel aus der preußischen Staatsbürgerschaft entlassen und blieb für den Rest seines Lebens staatenlos. Allerdings diente er im Deutsch-Französischen Krieg für kurze Zeit als Sanitäter auf deutscher Seite. In dieser Zeit zog er sich eine schwere Dysenterie- und Diphtherieerkrankung zu, deren Rekonvaleszenz von längerer Dauer war. Die Gründung des Deutschen Reichs und die anschließende Ära Otto von Bismarcks nahm er mit einer Portion Skepsis zur Kenntnis. Wegen seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung sah sich Nietzsche gezwungen, sich für den Rest des Wintersemesters 1875/1876 beurlauben zu lassen, was bald darauf zur Beendigung seiner Lehrtätigkeit führen sollte. In Basel begann 1870 die bis in die Zeit von Nietzsches geistiger Umnachtung andauernde Freundschaft zu Franz Overbeck, einem Theologieprofessor und späterem Rektor der Universität Basel. Nietzsche schätzte auch den älteren Kollegen Jacob Burckhardt, der ihm gegenüber jedoch distanziert blieb. Bereits im Jahre 1868 hatte Nietzsche in Leipzig Richard Wagner und dessen spätere Frau Cosima kennengelernt. Er verehrte beide zutiefst und war seit Beginn seiner Zeit in Basel häufig Gast im Haus des „Meisters“ in Tribschen bei Luzern. Dieser nahm ihn zwar zeitweise mit in seinen Freundeskreis auf, sah in ihm aber vor allem einen Propagandisten für die Gründung seines Bayreuther Festspielhauses. 1872 veröffentlichte Nietzsche sein erstes größeres Werk, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, eine Untersuchung über den Ursprung der Tragödie, in der er die traditionelle philologische Methode durch philosophische Spekulation ersetzte. Er entwickelte darin eine Art Kunstpsychologie, indem er die griechische Tragödie aus dem Begriffspaar apollinisch-dionysisch zu erklären versuchte. Die Schrift wurde von den meisten seiner Kollegen – unter anderem von Friedrich Ritschl – abgelehnt bzw. mit Schweigen übergangen. Aufgrund der Kritik Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffs, der Nietzsche in seiner Streitschrift Zukunftsphilologie! unsauberes wissenschaftliches Arbeiten vorwarf, kam es zu einer kurzen öffentlichen Kontroverse, in der sein ehemaliger Studienkollege Erwin Rohde, inzwischen außerordentlicher Professor in Kiel, und Richard Wagner für Nietzsche Partei ergriffen. Nietzsche wurde sich seiner Sonderstellung in der Philologie zunehmend bewusst, weswegen er sich bereits 1871, allerdings vergeblich, um den freiwerdenden Basler philosophischen Lehrstuhl Gustav Teichmüllers bemüht hatte. Im Jahre 1873 lernte Nietzsche Bertha Rohr (1848–1940) in Flims kennen und lieben. Auch die vier Unzeitgemäßen Betrachtungen (1873–1876), in denen er eine von Schopenhauer und Wagner beeinflusste Kulturkritik übte, fanden nicht die erhoffte Resonanz. Im Umkreis Wagners hatte Nietzsche inzwischen Malwida von Meysenbug und Hans von Bülow kennengelernt, und auch begann die Freundschaft mit Paul Rée, dessen Einfluss ihn vom Kulturpessimismus seiner ersten Schriften abbrachte. Seine Enttäuschung über die ersten Bayreuther Festspiele von 1876, wo er sich von der Banalität des Schauspiels und der Niveaulosigkeit des Publikums abgestoßen fühlte, nahm Nietzsche zum Anlass, sich von Wagner zu entfernen. Seine frühere Leidenschaft schlug in Ablehnung und schließlich radikale Gegnerschaft um. Er distanzierte sich auch entschieden von Wagners antisemitischen Schriften und Äußerungen und sah die Juden aufgrund ihres Überlebens trotz einer langen Unterdrückungsgeschichte zu einer Führungsrolle in Europa berufen, bestritt jedoch gleichzeitig, dass sie in der Realität derartige Herrschaftspläne auch aktiv verfolgten. Derselbe Prozess fand mit Schopenhauer statt. Nietzsche begann am 6. Dezember Philipp Mainländers 200 Seiten lange Kritik der Philosophie Schopenhauers zu lesen – wenige Tage später schrieb er, mit Schopenhauer gebrochen zu haben. Mit der Publikation von Menschliches, Allzumenschliches (1878) wurde die Entfremdung von Wagner und von der Schopenhauerschen Philosophie offenbar. Auch die Freundschaften zu Deussen und Rohde hatten sich inzwischen merklich abgekühlt. In dieser Zeit unternahm Nietzsche mehrere vergebliche Versuche, eine junge und vermögende Ehefrau für sich zu finden, worin er vor allem von der mütterlichen Gönnerin Malwida von Meysenbug unterstützt wurde. Außerdem nahmen die seit seiner Kindheit auftretenden Krankheiten (Migräneanfälle und Magenstörungen sowie eine starke Kurzsichtigkeit, die letztlich praktisch bis zur Blindheit führte) zu und zwangen ihn zu immer längeren Freistellungsphasen von seiner Lehrtätigkeit. 1879 ließ er sich deswegen schließlich vorzeitig pensionieren. Freier Philosoph (1879–1889) Getrieben von seinen Krankheiten auf der ständigen Suche nach für ihn optimalen Klimabedingungen, reiste er nun viel und lebte bis 1889 als freier Autor an verschiedenen Orten. Dabei lebte er vor allem von der ihm gewährten Pension; zudem erhielt er mitunter Zuwendungen von Freunden. Im Sommer hielt er sich meist in Sils-Maria, im Winter vorwiegend in Italien (Genua, Rapallo, Turin) und in Nizza auf. Hin und wieder besuchte er die Familie in Naumburg, wobei es mehrfach zu Zerwürfnissen und Versöhnungen mit seiner Schwester kam. Sein früherer Schüler Peter Gast (eigtl. Heinrich Köselitz) wurde zeitweilig zu einer Art Privatsekretär. Köselitz und Overbeck waren Nietzsches beständigste Vertraute. Aus dem Wagnerkreis war ihm vor allem Meysenbug als mütterliche Gönnerin erhalten geblieben. Kontakt hielt er außerdem mit dem Musikkritiker Carl Fuchs und zunächst auch mit Paul Rée. Anfang der 1880er erschienen mit Morgenröte und Die fröhliche Wissenschaft weitere Werke im aphoristischen Stil von Menschliches, Allzumenschliches. 1882 lernte er durch Vermittlung von Meysenbug und Rée in Rom Lou von Salomé kennen. Nietzsche fasste schnell weitreichende Pläne für die „Dreieinigkeit“ mit Rée und Salomé. Die Annäherung an die junge Frau gipfelte in einem mehrwöchigen gemeinsamen Aufenthalt in Tautenburg, mit Nietzsches Schwester Elisabeth als Anstandsdame. Nietzsche sah in Salomé bei aller Wertschätzung weniger eine gleichwertige Partnerin als eine begabte Schülerin. Er verliebte sich in sie, hielt über den gemeinsamen Freund Rée um ihre Hand an, doch Salomé lehnte ab. Unter anderem aufgrund von Intrigen Elisabeths zerbrach die Beziehung zu Rée und Salomé im Winter 1882/1883. Nietzsche, der angesichts neuer Krankheitsschübe und seiner nunmehr beinahe vollständigen Isolation – mit Mutter und Schwester hatte er sich wegen Salomé überworfen – von Suizidgedanken geplagt wurde, flüchtete nach Rapallo, wo er in nur zehn Tagen den ersten Teil von Also sprach Zarathustra zu Papier brachte. Die Gedanken zum dritten Teil entwickelte er bei seinem Aufenthalt im Bergdorf Èze in der Nähe von Nizza. Eine Straße und eine Gedenktafel erinnern an Nietzsches Tage in Èze. Waren ihm schon nach dem Bruch mit Wagner und der Philosophie Schopenhauers nur wenige Freunde erhalten geblieben, so stieß der völlig neue Stil im Zarathustra selbst im engsten Freundeskreis auf Unverständnis, das allenfalls durch Höflichkeit überdeckt wurde. Nietzsche war sich dessen durchaus bewusst und pflegte seine Einsamkeit geradezu, wenn er auch oft darüber klagte. Den kurzzeitig gehegten Plan, als Dichter an die Öffentlichkeit zu treten, gab er auf. Daneben plagten ihn Geldsorgen, denn seine Bücher wurden so gut wie nicht gekauft. Den vierten Teil des Zarathustra gab er 1885 nur noch als Privatdruck mit einer Auflage von 40 Exemplaren heraus, die als Geschenk für „solche, die sich um ihn verdient machten“, gedacht waren und von denen Nietzsche letztlich lediglich sieben verschenkte. 1886 ließ er Jenseits von Gut und Böse auf eigene Kosten drucken. Mit diesem Buch und den 1886/87 erscheinenden Zweitauflagen von Geburt, Menschliches, Morgenröte und Fröhlicher Wissenschaft sah er sein Werk als vorerst abgeschlossen an und hoffte, dass sich bald eine Leserschaft entwickeln würde. Tatsächlich stieg das Interesse an Nietzsche, wenn auch sehr langsam und von ihm selbst kaum bemerkt. Neue Bekanntschaften Nietzsches in diesen Jahren waren Meta von Salis und Carl Spitteler, auch ein Treffen mit Gottfried Keller war zustande gekommen. 1886 war seine Schwester, inzwischen verheiratet mit dem Antisemiten Bernhard Förster, nach Paraguay abgereist, um die „germanische“ Kolonie Nueva Germania zu gründen – ein Vorhaben, das Nietzsche lächerlich fand. Im brieflichen Kontakt setzte sich die Abfolge von Streit und Versöhnung fort, persönlich sollten sich die Geschwister aber erst nach Friedrichs Zusammenbruch wiedersehen. Nietzsche hatte weiterhin mit wiederkehrenden schmerzhaften Anfällen zu kämpfen, die ein konstantes Arbeiten unmöglich machten. 1887 schrieb er in kurzer Zeit die Streitschrift Zur Genealogie der Moral. Er wechselte Briefe mit Hippolyte Taine, dann auch mit Georg Brandes, der Anfang 1888 in Kopenhagen die ersten Vorträge über Nietzsches Philosophie hielt. Im selben Jahr schrieb Nietzsche fünf Bücher, teilweise aus umfangreichen Aufzeichnungen für das zeitweise geplante Werk Der Wille zur Macht. Sein Gesundheitszustand hatte sich vorübergehend gebessert, im Sommer war er in regelrechter Hochstimmung. Seine Schriften und Briefe ab Herbst 1888 jedoch lassen bereits auf seinen beginnenden Größenwahn schließen. Die Reaktionen auf seine Schriften, vor allem auf die Polemik Der Fall Wagner vom Frühjahr, wurden von ihm maßlos überbewertet. An seinem 44. Geburtstag entschloss er sich, nach der Vollendung der Götzen-Dämmerung und des zunächst zurückgehaltenen Antichrist, die Autobiographie Ecce homo zu schreiben. Im Dezember begann ein Briefwechsel mit August Strindberg. Nietzsche glaubte, kurz vor dem internationalen Durchbruch zu stehen, und versuchte, seine alten Schriften vom ersten Verleger zurückzukaufen. Er plante Übersetzungen in die wichtigsten europäischen Sprachen. Überdies beabsichtigte er die Veröffentlichung der Kompilation Nietzsche contra Wagner und der Gedichte Dionysos-Dithyramben. In geistiger Umnachtung (1889–1900) Am 3. Januar 1889 erlitt er in Turin einen geistigen Zusammenbruch. Kleine Schriftstücke, sogenannte „Wahnzettel“ bzw. „Wahnbriefe“, die er an enge Freunde, aber zum Beispiel auch an Cosima Wagner oder Jacob Burckhardt und sogar Umberto I. von Italien sandte, waren von einer psychischen Erkrankung gezeichnet. Die Ursache für den Zusammenbruch wird seitdem immer wieder kontrovers diskutiert. Eine wichtige Frage ist, ob bereits vor diesem Zusammenbruch intermittierende Symptome auftraten und sich stilistisch niederschlugen oder ob der Zusammenbruch abrupt auftrat und von Vorerkrankungen wie Migräne und Asthenopie bei hochgradiger Myopie isoliert zu betrachten ist. Medizinhistorische Recherchen in Originalbefunden kamen früher in der Regel zum Ergebnis, dass Nietzsches Zusammenbruch sich am ehesten mit dem Quartärstadium einer Nervensyphilis erklären ließe. Erneute Auswertungen relativieren diese Verdachtsdiagnose gleich mehrfach. Einerseits wurden die Krankheitsbilder Gonorrhoe und Syphilis damals noch nicht gegeneinander abgegrenzt und beide als Lues bezeichnet. Darüber hinaus wurden Demenz und auch Alzheimer erst nach Nietzsches Tod medizinisch definiert, daher stand diese Diagnosemöglichkeit zu seinen Lebzeiten nicht zur Verfügung. Die Krankheitssymptome decken sich aus heutiger Sicht auch mit der Diagnose der genetisch bedingten Erkrankung CADASIL, während die Zuschreibung einer Syphilis, basierend auf der Krankengeschichte, nicht bestätigt werden kann. Der durch die Wahnzettel an Burckhardt und ihn selbst alarmierte Overbeck brachte Nietzsche zunächst in die von Ludwig Wille geleitete Irrenanstalt Friedmatt in Basel. Von dort wurde der inzwischen geistig vollständig Umnachtete von seiner Mutter in die Psychiatrische Universitätsklinik in Jena unter Leitung Otto Binswangers gebracht. Ein Heilungsversuch Julius Langbehns, der von sich aus Kontakt zur Mutter aufgenommen hatte, scheiterte. 1890 durfte die Mutter ihn schließlich bei sich in ihrem Haus in Naumburg aufnehmen. Zu dieser Zeit konnte er zwar gelegentlich kurze Gespräche führen, Erinnerungsfetzen hervorbringen und unter einige Briefe von der Mutter diktierte Grüße setzen, verfiel jedoch schnell und plötzlich in Wahnvorstellungen oder Apathie und erkannte auch alte Freunde nicht wieder. Über das weitere Verfahren mit den teilweise noch ungedruckten Werken berieten zunächst Overbeck und Köselitz. Letzterer begann eine erste Gesamtausgabe. Gleichzeitig setzte eine erste Welle der Nietzsche-Rezeption ein. Elisabeth Förster-Nietzsche kehrte nach dem Suizid ihres Mannes 1893 aus Paraguay zurück, ließ die bereits gedruckten Bände der Köselitzschen Ausgabe einstampfen, gründete das Nietzsche-Archiv und übernahm von der betagten Mutter Zug um Zug die Kontrolle sowohl über den pflegebedürftigen Bruder als auch über dessen Nachlass und die Herausgabe seiner Werke. Mit Overbeck zerstritt sie sich, während sie Köselitz für eine weitere Zusammenarbeit gewinnen konnte. Nietzsche selbst, dessen Verfall sich fortsetzte, bekam von alldem nichts mehr mit. Nach dem Tod seiner Mutter 1897, nachdem seine Schwester das Haus in Naumburg verkauft hatte, lebte er in der Villa Silberblick in Weimar, wo Elisabeth ihn pflegte. Ausgewählten Besuchern – etwa Rudolf Steiner – gewährte sie das Privileg, zu dem dementen Philosophen vorgelassen zu werden. So berichtete das Jenaer Volksblatt unter Berufung auf eine Naumburger Zeitung: „Seine Lebensweise vergeht ganz nach ärztlicher Vorschrift, die seine Kost und Bedienung geregelt hat. Im Uebrigen sitzt er still in sich versunken da; nur wenn Straßen- oder Kinderlärm an sein Ohr dringt, äußert er unverständliche Laute, beruhigt sich aber wieder, wenn man ihm vorliest, ohne daß er freilich das Gelesene versteht. Sein Aussehen ist keineswegs ungesund, nur ist es etwas beschwerlich, ihn an- und auszukleiden, weil sich in letzter Zeit eine gewisse Ungelenkigkeit der Glieder bemerklich macht.“ Von Steiner stammt eine weitere, ausführliche Schilderung des umnachteten Nietzsche. Nach mehreren Schlaganfällen, die ebenfalls mit der Diagnose einer Nervensyphilis vereinbar sind (siehe oben), war Nietzsche teilweise gelähmt und konnte weder stehen noch sprechen. Am 25. August 1900, im Alter von 55 Jahren, starb er an Pneumonie und einem weiteren Schlaganfall in Weimar. Er wurde an der Röckener Dorfkirche im Familiengrab beigesetzt. Denken und Werk Nietzsche begann sein Werk als Philologe, begriff sich selbst aber zunehmend als Philosoph oder als „freier Denker“. Er gilt als Meister der aphoristischen Kurzform und des mitreißenden Prosa-Stils. Die Werke sind zuweilen mit einer Rahmenhandlung, Vor- und Nachwort, Gedichten und einem „Vorspiel“ versehen. Einige Interpreten halten selbst die scheinbar wenig strukturierten Aphorismenbücher für geschickt „komponiert“. Nietzsche hat wie kaum ein zweiter Denker die Freiheit der Methode und der Betrachtung gewählt. Eine definitive Einordnung seiner Philosophie in eine bestimmte Disziplin ist daher schwierig. Nietzsches Herangehensweise an die Probleme der Philosophie ist teils die des Künstlers, teils die des Wissenschaftlers und teils die des Philosophen. Viele Stellen seines Werks können auch als psychologisch bezeichnet werden, wobei dieser Begriff erst später seine heutige Bedeutung bekam. Zahlreiche Deuter sehen einen engen Zusammenhang zwischen seinem Leben und seinem denkerischen Werk, sodass über Nietzsches Leben und Persönlichkeit weit mehr geforscht und geschrieben wird, als dies bei anderen Philosophen der Fall ist. Übersicht zum Werk Oft wird Nietzsches Denken und Werk in bestimmte Perioden eingeteilt. Die folgende Aufteilung geht in Grundzügen auf Nietzsche selbst zurück und ist seit dem Nietzschebuch Lou Andreas-Salomés (1894) in ähnlicher Form von fast allen Interpreten verwendet worden. Die Wagnerianisch-Schopenhauerische Zeit (1872–1876), die vor allem im Zeichen dieser beiden Männer steht und romantische Einflüsse zeigt. Sie umfasst die Werke: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik Unzeitgemäße Betrachtungen in vier Teilen: David Strauß, der Bekenner und der Schriftsteller Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben Schopenhauer als Erzieher Richard Wagner in Bayreuth Die „freigeistige“ Zeit (1876–1882). Nietzsche löst sich zunehmend vom persönlichen Einfluss Wagners und von der philosophischen Prägung durch Schopenhauer. Vor allem zu Beginn dieser Periode steht die wissenschaftlich-empirische Erkenntnis im Vordergrund. Daher wird diese Phase in Nietzsches Werk auch oft als „positivistisch“ bezeichnet. An Stelle der früheren zusammenhängenden Abhandlungen treten jetzt Aphorismensammlungen, worin sich unter anderem der Einfluss der von Nietzsche sehr geschätzten französischen Moralisten widerspiegelt: Menschliches, Allzumenschliches (mit zwei Fortsetzungen) Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile Die fröhliche Wissenschaft. Das zentrale Werk Also sprach Zarathustra (1883–1885), in dem neue Lehren in symbolisch-dichterischer Sprache formuliert werden. Oft werden Also sprach Zarathustra und die Spätschriften zusammengefasst. Die späten Werke (1886–1888), in denen die bisherigen Ansätze weiter ausgeführt und zunehmend in polemische Schärfe gebracht werden. Neben Aphorismen und Sentenzen finden sich nun wieder längere Abhandlungen. Zu dieser Periode zählen: Jenseits von Gut und Böse Zur Genealogie der Moral Der Fall Wagner und Nietzsche contra Wagner Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt Der Antichrist Ecce homo (Autobiographie, kann demselben Kreis zugerechnet werden). Den Abschluss seines Gesamtwerkes bilden 1889 die Dionysos-Dithyramben, die 1891 als Anhang des vierten Teils von Also sprach Zarathustra erschienen. Es gibt allerdings einige Überschneidungen und Brüche in diesem Schema. So fügte Nietzsche den Zweitauflagen der Geburt der Tragödie und der Fröhlichen Wissenschaft von 1887 ein selbstkritisches Vorwort beziehungsweise ein fünftes Buch hinzu. Bedeutsam ist auch die erst 1896 erschienene Schrift Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne aus dem Sommer 1873, in der Nietzsche viele seiner späteren Gedanken vorwegnimmt. Einige Themen – etwa das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft – behandelt Nietzsche in allen Zeiträumen, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven und mit entsprechend unterschiedlichen Antworten. Neben seinen philosophischen Betrachtungen veröffentlichte Nietzsche Gedichte, in denen seine philosophischen Gedanken bald heiter, bald dunkel und schwermütig ausgedrückt werden. Sie hängen mit den Prosawerken zusammen: Die Idyllen aus Messina (1882) gingen in die zweite Auflage der Fröhlichen Wissenschaft ein, während einige der Dionysos-Dithyramben (1888/89) Überarbeitungen von Stücken aus Also sprach Zarathustra sind. Lange Zeit umstritten war die Bedeutung von Nietzsches Nachlass, dessen Rezeption zudem von der fragwürdigen Publikation durch das Nietzsche-Archiv erschwert wurde (vergleiche Nietzsche-Ausgabe). Extrempositionen bezogen hier einerseits Karl Schlechta, der zumindest im vom Archiv publizierten Nachlass nichts fand, was nicht auch in Nietzsches veröffentlichten Werken zu finden sei; und andererseits etwa Alfred Baeumler und Martin Heidegger, die Nietzsches veröffentlichtes Werk nur als „Vorhalle“ sahen, während sich die „eigentliche Philosophie“ im Nachlass befinde. Inzwischen herrscht eine mittlere Position vor, die den Nachlass als Ergänzung der veröffentlichten Werke begreift und darin ein Mittel sieht, Nietzsches Denkwege und Entwicklungen besser nachzuvollziehen. Nietzsches Denken ist auf viele unterschiedliche Weisen interpretiert worden. Es enthält Brüche, verschiedene Ebenen und fiktive Standpunkte lyrischer Personen („Ein Fälscher ist, wer Nietzsche interpretiert, indem er Zitate aus ihm benutzt. […] Im Bergwerk dieses Denkers ist jedes Metall zu finden: Nietzsche hat alles gesagt und das Gegenteil von allem.“, Giorgio Colli). Eine kanonische Wiedergabe ist sehr schwierig, erschwert besonders durch das Medium der gewählten Wiedergabe, den Aphorismus. Mithilfe dieser Textform vermochte Nietzsche die Verschiedenartigkeit der aufgeworfenen Aspekte und Einsichten von gängigen Voraussetzungen abzukoppeln und ineinander zu verschränken, jeden Moment gleichsam neu zu gestalten, dabei aber seinem Postulat treu zu bleiben, allen sokratischen Ordnungsansätzen sein „Mißtrauen hinsichtlich der Ergiebigkeit von Beweisketten“, auszusprechen. Die Frage, ob das weitgehende Fehlen einer Systematik von Nietzsche beabsichtigt war, somit Ausdruck seiner Weltsicht ist, hat man in der Rezeption ausführlich diskutiert. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird sie vorwiegend bejaht. Vergleiche hierzu unten den Abschnitt Kritik an Religion, Metaphysik und Erkenntnistheorie. Kritik der Moral Eines der wichtigsten Objekte von Nietzsches Kritik spätestens seit Menschliches, Allzumenschliches ist die Moral im Allgemeinen und die christliche Moral im Besonderen. Nietzsche wirft der bisherigen Philosophie und Wissenschaft vor, herrschende Moralvorstellungen unkritisch übernommen zu haben; wahrhaftig freies und aufgeklärtes Denken habe sich dagegen, wie der Titel eines Buchs sagt, Jenseits von Gut und Böse zu stellen. Dies hätten alle abendländischen Philosophen seit Platon, insbesondere Kant, versäumt. Nietzsche untersucht oft Werturteile nicht auf ihre vermeintliche Gültigkeit hin, sondern beschreibt Zusammenhänge zwischen der Erschaffung von Werten durch einen Denker oder eine Gruppe von Menschen und deren biologisch-psychologischer Verfassung. Es geht ihm also um die Frage des Werts von moralischen Systemen überhaupt: Diese Form der Kritik auf einer Meta-Ebene ist ein typisches Kennzeichen von Nietzsches Philosophie. Vergleiche: Metaethik. Er selbst führt diese Kritik mit Methoden der Geschichts-, Kultur- und Sprachwissenschaft exzessiv aus und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die Herkunft und Entstehung moralischer Denkweisen, etwa in Zur Genealogie der Moral. Wichtige Begriffe seiner Moralkritik sind: Herren- und Sklavenmoral Herrenmoral sei die Haltung der Herrschenden, die zu sich selbst und ihrem Leben Ja sagen könnten, während sie die anderen als „schlecht“ (Wortstamm: „schlicht“) abschätzig betrachteten. Sklavenmoral sei die Haltung der „Elenden […], Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen […], Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Hässlichen“, die zuerst ihr Gegenüber – die Herrschenden, Glücklichen, Ja-Sagenden – als „böse“ bewerteten und sich selbst dann als deren „guten“ Gegensatz ausmachten. Es sei vor allem die Moral des Christentums gewesen, die eine solche Sklavenmoral zum Teil selbst hervorgerufen, in jedem Fall aber begünstigt und dadurch zur herrschenden Moral gemacht habe. Ressentiment Dies sei das Grundempfinden der Sklavenmoral. Aus Missgunst, Neid und Schwäche schüfen sich die „Missratenen“ eine imaginäre Welt (zum Beispiel das christliche Jenseits), in der sie selbst die Herrschenden sein und ihren Hass auf die „Vornehmen“ ausleben könnten. Mitleid und Mitfreude Während der Pessimist Schopenhauer Mitleid ins Zentrum seiner Ethik gestellt hat, um seine Philosophie der Verneinung des Lebens umzusetzen, drehte Nietzsche die These vom Mitleiden nach seinem Bruch mit der Schopenhauerschen Philosophie um: Weil das Leben zu bejahen sei, gelte das Mitleid – als Mittel zur Verneinung – als Gefahr. Es vermehre das Leiden in der Welt und stehe dem schöpferischen Willen entgegen, der immer auch vernichten und überwinden müsse – andere oder auch sich selbst. Aktive Mitfreude (im Gegensatz zum passiven Mitleid) oder eine grundsätzliche Lebensbejahung (amor fati) seien die höheren und wichtigeren Werte. Solche Gedankengänge werden von Nietzsche zu einer immer radikaleren Kritik am Christentum, etwa in Der Antichrist, gebündelt. Dieses sei nicht nur nihilistisch in dem Sinne, dass es der sinnlich wahrnehmbaren Welt jeden Wert abspreche – eine Kritik, die in Nietzsches Verständnis auch den Buddhismus treffe –, sondern im Gegensatz zum Buddhismus auch aus Ressentiment geboren. Das Christentum habe jede höhere Art Mensch und jede höhere Kultur und Wissenschaft behindert. Carl Albrecht Bernoulli hebt hervor, dass Nietzsches Anti-Christentum vornehmlich antisemitisch bestimmt sei und dass, wo er ehrlich spricht, „seine Urteile über die Juden allen Antisemitismus an Schärfe weit hinter sich lassen.“ In den späteren Schriften steigert Nietzsche die Kritik an allen bestehenden Normen und Werten: Sowohl in der bürgerlichen Moral als auch im Sozialismus und Anarchismus sieht er Nachwirkungen der christlichen Lehren am Werk. Die ganze Moderne leide an décadence. Dagegen sei nun eine „Umwertung aller Werte“ nötig. Wie genau allerdings die neuen Werte ausgesehen hätten, wird aus Nietzsches Werk nicht eindeutig klar. Diese Frage und ihr Zusammenhang mit den Aspekten des Dionysischen, des Willens zur Macht, des Übermenschen und der Ewigen Wiederkunft werden bis heute diskutiert. Die extremsten Aussagen Nietzsches zur Energie der Größe und zum Anti-Humanismus finden sich in einem Nachlass-Fragment von 1884: „Jene ungeheure Energie der Größe zu gewinnen, um, durch Züchtung und anderseits durch Vernichtung von Millionen Mißrathener, den zukünftigen Menschen zu gestalten und nicht zu Grunde zu gehen an dem Leid, das man schafft, und dessen Gleichen noch nie da war!“ „Gott ist tot“ – Der europäische Nihilismus Mit dem Stichwort „Gott ist tot“ wird oft die Vorstellung verbunden, dass Nietzsche den Tod Gottes beschworen oder herbeigewünscht habe. Tatsächlich verstand sich Nietzsche eher als Beobachter. Er analysierte seine Zeit, vor allem die seiner Auffassung nach inzwischen marode gewordene (christliche) Zivilisation. Er war zudem nicht der erste, der die Frage nach dem „Tod Gottes“ stellte. Bereits der junge Hegel äußerte diesen Gedanken und sprach von dem „unendlichen Schmerz“ als einem Gefühl, „worauf die Religion der neuen Zeit beruht – das Gefühl: Gott selbst ist tot“. Die bedeutendste und meistbeachtete Stelle zu diesem Thema ist der Aphorismus 125 aus der Fröhlichen Wissenschaft mit dem Titel „Der tolle Mensch“. Der stilistisch dichte Aphorismus enthält Anspielungen auf klassische Werke der Philosophie und Tragödie. Dieser Text lässt den Tod Gottes als bedrohliches Ereignis erscheinen. Dem Sprecher darin graut vor der Schreckensvision, dass die zivilisierte Welt ihr bisheriges geistiges Fundament weitgehend zerstört habe: Dieser unfassbare Vorgang werde gerade wegen der großen Dimension lange brauchen, um in seiner Tragweite erkannt zu werden: „Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen.“ Und es wird gefragt: „Ist nicht die Grösse dieser That [Gott getötet zu haben] zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?“ Unter anderem aus diesem Gedanken heraus erscheint später die Idee des „Übermenschen“, wie sie vor allem im Zarathustra dargestellt wird: „Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.“ Das Wort vom Tod Gottes findet sich auch in den Aphorismen 108 und 343 der Fröhlichen Wissenschaft, und es taucht auch mehrmals in Also sprach Zarathustra auf. Danach verwendete Nietzsche es nicht mehr, befasste sich aber weiter intensiv mit dem Thema. Beachtenswert ist hier etwa das nachgelassene Fragment Der europäische Nihilismus (datiert 10. Juni 1887), in dem es heißt: „,Gott‘ ist eine viel zu extreme Hypothese.“ Nietzsche kommt zu dem Schluss, dass mehrere mächtige Strömungen, vor allem das Aufkommen der Naturwissenschaften und der Geschichtswissenschaft, daran mitgewirkt haben, die christliche Weltanschauung unglaubwürdig zu machen und damit die christliche Zivilisation zu Fall zu bringen. Durch die Kritik der bestehenden Moral, wie Nietzsche selbst sie betreibt, werde die Moral hohl und unglaubwürdig und breche schließlich zusammen. Mit dieser radikalisierten Kritik steht Nietzsche einerseits in der Tradition der französischen Moralisten, wie etwa Montaigne oder La Rochefoucauld, die die Moral ihrer Zeit kritisieren, um zu einer besseren zu gelangen; andererseits betont er mehrfach, er bekämpfe nicht nur die Heuchelei von Moral, sondern die herrschenden „Moralen“ selbst – im Wesentlichen immer die christliche. In diesem Sinne bezeichnet er sich selbst als „Immoralisten“. Es besteht weitgehende Übereinstimmung, dass Nietzsche sich nicht als Befürworter des Nihilismus verstand, sondern ihn als Möglichkeit in der [nach]christlichen Moral, vielleicht auch als eine geschichtliche Notwendigkeit sah. Über den Atheismus Nietzsches im Sinne des Nichtglaubens an einen metaphysischen Gott sagen diese Stellen wenig aus. (Siehe hierzu den Abschnitt Kritik an Religion, Metaphysik und Erkenntnistheorie.) Bezüglich Nietzsches Denkentwicklung ist in der Forschung angemerkt worden, dass er sich ab 1869 zwar mit „nihilistischen“ Themen beschäftigte („Pessimismus, mit dem Nirvana und mit dem Nichts und Nichtsein“), aber eine begriffliche Verwendung von Nihilismus erstmalig in handschriftlichen Notizen Mitte 1880 stattfand. In diese Zeit fällt ein damals populärwissenschaftliches Werk (Nicolai Karlowitsch: Die Entwicklung des Nihilismus. Berlin 1880), welches anhand russischer Zeitungsberichte den sogenannten „Russischen Nihilismus“ rekonstruierte und für Nietzsches Terminologie bedeutend ist. Kunst und Wissenschaft Das Begriffspaar „apollinisch-dionysisch“ wurde zwar schon von Schelling verwendet, fand aber erst durch Nietzsche Eingang in die Philosophie der Kunst. Mit den Namen der griechischen Götter Apollon und Dionysos bezeichnet Nietzsche in seiner frühen Schrift Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik zwei gegensätzliche Prinzipien der Ästhetik. Apollinisch ist demnach der Traum, der schöne Schein, das Helle, die Vision, die Erhabenheit; dionysisch ist der Rausch, die grausame Enthemmung, das Ausbrechen einer dunklen Urkraft. In der attischen Tragödie ist Nietzsche zufolge die Vereinigung dieser Kräfte gelungen. Das „Ur-Eine“ offenbare sich dem Dichter dabei in der Form von dionysischer Musik und werde mittels apollinischer Träume in Bilder umgesetzt. Auf der Bühne sei die Tragödie durch den Chor geboren, der dem Dionysischen Raum gibt. Als apollinisches Element komme der Dialog im Vordergrund und der tragische Held hinzu. Die griechische Tragödie sei durch Euripides und den Einfluss des Sokratismus zugrunde gegangen. Hierdurch sei vor allem das Dionysische, aber auch das Apollinische aus der Tragödie getrieben worden, sie selbst sei zu einem bloß dramatisierten Epos herabgesunken. Die Kunst habe sich in den Dienst des Wissens und sokratischer Klugheit gestellt und sei zur reinen Nachahmung geworden. Erst im Musikdrama Richard Wagners sei die Vereinigung der gegensätzlichen Prinzipien wieder gelungen. In späteren Schriften rückt Nietzsche von dieser Position ab; insbesondere sieht er in den Werken Wagners jetzt keinen Neuanfang mehr, sondern ein Zeichen des Verfalls. In dessen letztem Werk Parsifal sieht er Wagner zurückfallen in den überwunden geglaubten christlichen Erlösungszustand. Auch seine grundsätzlichen ästhetischen Betrachtungen variiert er: In den Schriften der „positivistischen“ Periode tritt die Kunst deutlich hinter die Wissenschaft zurück. Nunmehr ist für Nietzsche „der wissenschaftliche Mensch die Weiterentwickelung des künstlerischen“ (Menschliches, Allzumenschliches), ja sogar „[d]as Leben ein Mittel der Erkenntnis“ (Die fröhliche Wissenschaft). Erst nach Also sprach Zarathustra greift Nietzsche wieder deutlicher auf seine frühen ästhetischen Ansichten zurück. In einem Notizbuch von 1888 heißt es: In den späten Schriften entwickelt er auch den Begriff des Dionysischen weiter. Die Gottheit Dionysos dient zur Projektion mehrerer wichtiger Lehren, und Ecce homo schließt mit dem Ausruf: „Dionysos gegen den Gekreuzigten!“ Das Thema des Dionysos ist eine der entscheidenden Konstanten im Leben und Werk Nietzsches, von seiner Geburt der Tragödie bis in den Wahnsinn hinein, wo er mit Dionysos unterschreibt und Cosima Wagner zu seiner Ariadne wird. Kritik an Religion, Metaphysik und Erkenntnistheorie Mit der Kritik der Moral hängt eine Kritik bisheriger Philosophien zusammen. Gegen metaphysische und religiöse Konzepte ist Nietzsche grundsätzlich skeptisch. Die Möglichkeit einer metaphysischen Welt sei zwar nicht widerlegbar, aber sie gehe uns auch nichts an: Alle metaphysischen und religiösen Spekulationen seien dagegen psychologisch erklärbar; sie hätten vor allem der Legitimation bestimmter Moralen gedient. Die jeweilige Art zu denken, die Philosophien der Philosophen sind nach Nietzsche aus deren körperlicher und geistiger Verfassung sowie ihren individuellen Erfahrungen abzuleiten. Nietzsche wendet diese These auch in seinen Selbstanalysen an und weist wiederholt darauf hin, dass wir die Welt notwendigerweise stets perspektivisch wahrnehmen und auslegen. Schon die Notwendigkeit, sich in Sprache auszudrücken und damit Subjekte und Prädikate anzusetzen, sei eine vorurteilsbehaftete Auslegung des Geschehens (Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne). Damit behandelte Nietzsche Fragen, die in Ansätzen von der modernen Sprachphilosophie wieder aufgenommen wurden. Er würdigt die Skeptiker als den einzigen „anständigen Typus in der Geschichte der Philosophie“ (Der Antichrist) und äußert grundsätzliche Vorbehalte gegen jede Art von philosophischem System. Es sei unredlich zu meinen, die Welt lasse sich in eine Ordnung einpassen: In seiner Autobiographie Ecce homo beschreibt er ein letztes Mal sein Verhältnis zu Religion und Metaphysik: Weitere Gedanken Genealogie In den Werken Nietzsches lässt sich zeigen, dass er schon in jungen Jahren einen Zugang zu den Themen der Metaphysik, der Religion und der Moral, später auch des Ästhetischen, aus einem historisch-kritischen Blickwinkel forderte. Alle Erklärungsmuster, die auf etwas Transzendentes, Unbedingtes, Universales abzielen, seien nichts als Mythen, die in der Geschichte der Erkenntnisentwicklung jeweils auf der Grundlage des Wissens ihrer Zeit entstanden seien. Dieses aufzudecken sei Aufgabe der modernen Wissenschaft und Philosophie. In diesem Sinne verstand sich Nietzsche als Verfechter eines radikalen Aufklärungsgedankens. „[…] erst nachdem wir die historische Betrachtungsart, welche die Zeit der Aufklärung mit sich brachte, in einem so wesentlichen Puncte corrigirt haben, dürfen wir die Fahne der Aufklärung — die Fahne mit den drei Namen: Petrarca, Erasmus, Voltaire — von Neuem weiter tragen. Wir haben aus der Reaction einen Fortschritt gemacht.“ Den Begriff der Genealogie verwendete er erstmals im Titel der Genealogie der Moral. Die Methodik wird dort insbesondere in der zweiten Abhandlung in den Abschnitten 12 bis 14 ausgeführt. Die dahinter stehende Methode beschrieb und praktizierte er bereits in Menschliches, Allzumenschliches (Aphorismen 1 und 2), und bereits in der Zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung reflektierte er den Wert des Historischen kritisch, zeigte dessen Grenzen, aber auch seine Unhintergehbarkeit. Genealogie bedeutet für Nietzsche nicht historische Forschung, sondern kritische Erklärung von Gegenwartsphänomenen anhand von (spekulativen) theoretischen Ableitungen aus der Geschichte. Im Mittelpunkt steht eine „Deplausibilisierung“ bisheriger Narrative in Philosophie, Theologie und den kulturwissenschaftlichen Fragen durch historisch gestützte psychologische Thesen. Großen Einfluss hat dieses Konzept Nietzsches auf Michel Foucault. Josef Simon setzte die Methode mit der modernen Dekonstruktion gleich. Perspektivismus Aus seiner Kritik von Metaphysik, Erkenntnistheorie, Moralphilosophie und Religion heraus entwickelte Nietzsche selbst ein pluralistisches Weltbild. Indem er die Welt und auch den Menschen als einen im ständigen Werden befindlichen Organismus auffasste, in dem eine Vielzahl von Elementen im ständigen Gegeneinander ihrer Kräfte danach ringt, sich durchzusetzen, löste er sich vom traditionellen Substanzdenken und von jeglichen kausal-mechanistischen sowie teleologischen Erklärungen. „Alle Einheit ist nur als Organisation und Zusammenspiel Einheit: nicht anders als wie ein menschliches Gemeinwesen eine Einheit ist: also Gegensatz der atomistischen Anarchie; somit ein Herrschafts-Gebilde, das Eins bedeutet, aber nicht eins ist.“ In diesem Organismus als Totalität wirken die verschiedensten Kräfte im Kampf gegeneinander; sie folgen ihrem jeweiligen Willen zur Macht (s. u.). „Leben wäre zu definiren als eine dauernde Form von Prozeß der Kraftfeststellungen, wo die verschiedenen Kämpfenden ihrerseits ungleich wachsen.“ Jeder Organismus führt seinen Kampf aus seiner eigenen Perspektive. Die subjektive Sicht, die zur Perspektive führt, bedeutet nun weder Willkür noch Relativismus. Die jeweils eingenommene Perspektive führt vielmehr dazu, dass der Mensch die Welt, wie sie ihm erscheint, zu einem Bild, zu einer Interpretation zusammenfügt. Wille zur Macht Der „Wille zur Macht“ ist erstens ein Konzept, das zum ersten Mal in Also sprach Zarathustra vorgestellt und in allen nachfolgenden Büchern zumindest am Rande erwähnt wird. Seine Anfänge liegen in den psychologischen Analysen des menschlichen Machtwillens in der Morgenröte. Umfassender führte es Nietzsche in seinen nachgelassenen Notizbüchern ab etwa 1885 aus. Zweitens ist es der Titel eines von Nietzsche auch als Umwertung aller Werte geplanten Werks, das nie zustande kam. Aufzeichnungen dazu gingen vor allem in die Werke Götzen-Dämmerung und Der Antichrist ein. Drittens ist es der Titel einer Nachlasskompilation von Elisabeth Förster-Nietzsche und Peter Gast, die nach Ansicht dieser Herausgeber dem unter Punkt zwei geplanten „Hauptwerk“ entsprechen soll. Die Deutung des Konzepts „Wille zur Macht“ ist stark umstritten. Für Martin Heidegger war es Nietzsches Antwort auf die metaphysische Frage nach dem „Grund alles Seienden“: Laut Nietzsche sei alles „Wille zur Macht“ im Sinne eines inneren, metaphysischen Prinzips, so wie dies bei Schopenhauer der „Wille (zum Leben)“ ist. Die entgegengesetzte Meinung vertrat Wolfgang Müller-Lauter: Danach habe Nietzsche mit dem „Willen zur Macht“ keineswegs eine Metaphysik im Sinne Heideggers wiederhergestellt – Nietzsche war ja gerade Kritiker jeder Metaphysik –, sondern den Versuch unternommen, eine in sich konsistente Deutung allen Geschehens zu geben, die die nach Nietzsche irrtümlichen Annahmen sowohl metaphysischer „Sinngebungen“ als auch eines atomistisch-materialistischen Weltbildes vermeide. Um Nietzsches Konzept zu begreifen, sei es angemessener, von den (vielen) „Willen zur Macht“ zu sprechen, die im dauernden Widerstreit miteinander stehen, sich gegenseitig bezwingen und einverleiben, zeitweilige Organisationen (beispielsweise den menschlichen Leib), aber keinerlei „Ganzes“ bilden, denn die Welt sei ewiges Chaos. Zwischen diesen beiden Interpretationen bewegen sich die meisten anderen, wobei die heutige Nietzscheforschung derjenigen Müller-Lauters deutlich näher steht. Gerade der Begriff Macht weist jedoch bei Nietzsche (mit seiner stets auf das gesunde Individuum ausgerichteten Weltanschauung) auf neuere positive Verständnisformen voraus, wie wir sie bei Hannah Arendt finden – hier jedoch bezogen auf den Menschen in der Gesellschaft: die grundsätzliche Möglichkeit aus sich heraus gestaltend „etwas zu machen“. Ewige Wiederkunft Nietzsches zuerst in Die fröhliche Wissenschaft auftretender und in Also sprach Zarathustra als Höhepunkt vorgeführter „tiefster Gedanke“, der ihm auf einer Wanderung im Engadin nahe Sils-Maria kam, ist die Vorstellung, dass alles Geschehende schon unendlich oft geschah und unendlich oft wiederkehren wird. Man solle deshalb so leben, dass man die immerwährende Wiederholung eines jeden Augenblickes nicht nur ertrage, sondern sogar begrüße. „Doch alle Lust will Ewigkeit – will tiefe, tiefe Ewigkeit“ lautet folglich ein zentraler Satz in Also sprach Zarathustra. Eng mit der „Ewigen Wiederkunft“, für die Nietzsche trotz seiner nur sehr oberflächlichen naturwissenschaftlichen Bildung auch wissenschaftliche Begründungen zu geben versuchte, hängt wohl der Amor fati (lat. „Liebe zum Schicksal“) zusammen. Dies ist für Nietzsche eine Formel zur Bezeichnung des höchsten Zustands, den ein Philosoph erreichen kann, die Form der höchstgesteigerten Lebensbejahung. Über die „ewige Wiederkunft“, ihre Bedeutung und Stellung in Nietzsches Gedanken herrscht keine Einigkeit. Während einige Deuter sie als Zentrum seines gesamten Denkens ausmachten, sahen andere sie bloß als fixe Idee und störenden „Fremdkörper“ in Nietzsches Lehren. Übermensch An einen Fortschritt in der Geschichte der Menschheit – oder in der Welt überhaupt – glaubt Nietzsche nicht. Für ihn ist folglich das Ziel der Menschheit nicht an ihrem (zeitlichen) Ende zu finden, sondern in ihren immer wieder auftretenden höchsten Individuen, den Übermenschen. Die Gattung Mensch als Ganzes sieht er nur als einen Versuch, eine Art Grundmasse, aus der heraus er „Schaffende“ fordert, die „hart“ und mitleidlos mit anderen und vor allem mit sich selbst sind, um aus der Menschheit und sich selbst ein wertvolles Kunstwerk zu schaffen. Als negatives Gegenstück zum Übermenschen wird in Also sprach Zarathustra der letzte Mensch vorgestellt. Dieser steht für das schwächliche Bestreben nach Angleichung der Menschen untereinander, nach einem möglichst risikolosen, langen und „glücklichen“ Leben ohne Härten und Konflikte. Das Präfix „Über“ in der Wortschöpfung „Übermensch“ kann nicht nur für eine höhere Stufe relativ zu einer anderen stehen, sondern auch im Sinne von „hinüber“ verstanden werden, kann also eine Bewegung ausdrücken. Der Übermensch ist daher nicht unbedingt als Herrenmensch über dem letzten Menschen zu sehen. Eine rein politische Deutung gilt der heutigen Nietzscheforschung als irreführend. Der „Wille zur Macht“, der sich im Übermenschen konkretisieren soll, ist demnach nicht etwa der Wille zur Herrschaft über andere, sondern ist als Wille zum Können, zur Selbstbereicherung, zur Selbstüberwindung zu verstehen. Einflüsse Aus seiner Jugend im Pfarrhaus und im kleinbürgerlich-frommen „Frauenhaushalt“ ergaben sich Nietzsches erste praktische Erfahrungen mit dem Christentum. Schon sehr bald entwickelte er hier einen kritischen Standpunkt und las Schriften von Ludwig Feuerbach und David Friedrich Strauß. Wann genau diese Entfremdung von der Familie begann und welchen Einfluss sie auf Nietzsches weiteren Denk- und Lebensweg hatte, ist Gegenstand einer andauernden Debatte in der Nietzsche-Forschung. Der frühe Tod des Vaters dürfte Nietzsche beeinflusst haben, jedenfalls wies er selbst oft auf dessen Bedeutung für ihn hin. Dabei ist zu beachten, dass er ihn selbst kaum kannte, sondern sich aus Familienerzählungen ein wohl idealisiertes Bild des Vaters machte. Als freundlicher und beliebter, andererseits körperlich schwacher und kranker Landpfarrer taucht er in Nietzsches Selbstanalysen immer wieder auf. Schon in seiner Jugend war Nietzsche von den Schriften Ralph Waldo Emersons und Lord Byrons beeindruckt, den seinerzeit tabuisierten Hölderlin erkor er zu seinem Lieblingsdichter. Machiavellis Werk Der Fürst las er bereits privat in der Schulzeit. Wie stark der Einfluss des Dichters Ernst Ortlepp oder die Ideen Max Stirners beziehungsweise des ganzen Junghegelianismus auf Nietzsche waren, ist umstritten. Der Einfluss Ortlepps ist vor allem von Hermann Josef Schmidt hervorgehoben worden. Über den Einfluss Stirners auf Nietzsche wird bereits seit den 1890ern debattiert. Einige Interpreten sahen hier höchstens eine flüchtige Kenntnisnahme, andere dagegen, allen voran Eduard von Hartmann, erhoben einen Plagiatsvorwurf. Bernd A. Laska vertritt die Außenseiter-These, Nietzsche habe infolge der Begegnung mit dem Werk Stirners, das ihm vom Junghegelianer Eduard Mushacke vermittelt worden sei, eine „initiale Krise“ durchgemacht, die ihn zu Schopenhauer führte. Im Philologiestudium bei Ritschl lernte Nietzsche neben den klassischen Werken selbst vor allem philologisch-wissenschaftliche Methoden kennen. Dies dürfte einerseits die Methodik seiner Schriften beeinflusst haben, was insbesondere in der Genealogie der Moral deutlich wird, andererseits aber auch sein Bild von der strengen Wissenschaft als mühselige Arbeit für mittelmäßige Geister. Seine eher negative Haltung zum Wissenschaftsbetrieb an den Universitäten beruhte zweifellos auf eigenen Erfahrungen sowohl als Student als auch als Professor. An der Universität versuchte Nietzsche den von ihm geschätzten Jacob Burckhardt zu Gesprächen zu gewinnen, las einige von dessen Büchern und hörte sich Vorlesungen des Kollegen an. Mit dem Freund Franz Overbeck hatte er in der Basler Zeit einen regen Gedankenaustausch, auch später half ihm Overbeck in theologischen und kirchengeschichtlichen Fragen weiter. Werke bekannter Schriftsteller wie Stendhal, Tolstoi und Dostojewski machte Nietzsche sich für sein eigenes Denken ebenso zunutze wie solche eher unbekannter Autoren wie William Edward Hartpole Lecky oder Fachgelehrter wie Julius Wellhausen. Zu seinen Ansichten über die moderne décadence las und bewertete er etwa George Sand, Gustave Flaubert und die Brüder Goncourt. Schließlich lässt sich Nietzsches Interesse an Wissenschaften von der Physik (besonders Roger Joseph Boscovichs System) bis zur Nationalökonomie belegen. Auf die besondere Bedeutung der kritischen Auseinandersetzung mit dem Buch Der Ursprung der moralischen Empfindungen (1877) von Paul Rée verwies Nietzsche in der Vorrede zur Genealogie der Moral. Für sein Wissen über die Physiologie, auch in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Darwinismus, stützte sich Nietzsche stark auf das Werk Der Kampf der Theile im Organismus. Ein Beitrag zur Vervollständigung der mechanischen Zweckmäßigkeitslehre des Anatomen Wilhelm Roux. Er meinte auch, durch seine Krankheiten ein besseres Wissen über Medizin, Physiologie und Diätetik erlangt zu haben als manche seiner Ärzte. Wagner und Schopenhauer Ab Mitte der 1860er übten die Werke Arthur Schopenhauers großen Einfluss auf Nietzsche aus; dabei bewunderte Nietzsche aber schon zu Beginn weniger den Kern der Schopenhauerschen Lehre als die Person und den „Typus“ Schopenhauer, das heißt in seiner Vorstellung den wahrheitssuchenden und „unzeitgemäßen“ Philosophen. Eine weitere wesentliche Inspiration waren dann die Person und die Musik Richard Wagners. Die Schriften Richard Wagner in Bayreuth (Vierte Unzeitgemäße Betrachtung) und vor allem die Geburt der Tragödie feiern dessen Musikdrama als Überwindung des Nihilismus ebenso wie eines platten Rationalismus. Diese Verehrung schlug spätestens 1879 nach Wagners vermeintlicher Hinwendung zum Christentum (in Parsifal) in Feindschaft um. Nietzsche rechtfertigte seinen radikalen Sinneswandel später in Der Fall Wagner und in Nietzsche contra Wagner. Dass Nietzsche sich lange nach Wagners Tod 1883 beinahe zwanghaft mit dem einstigen „Meister“ beschäftigte, hat einige Aufmerksamkeit gefunden: Über das komplizierte Verhältnis zwischen Nietzsche und Wagner (sowie Wagners Frau Cosima) gibt es viele Untersuchungen mit teilweise unterschiedlichen Ergebnissen. Neben den von Nietzsche genannten weltanschaulichen und kunstphilosophischen Differenzen haben sicherlich auch persönliche Gründe eine Rolle bei Nietzsches „Abfall“ von Wagner gespielt. Schopenhauer sah er nun kritischer und meinte, gerade in dessen Pessimismus und Nihilismus ein zeittypisches und daher rückwärtsgewandtes Phänomen zu erkennen. Freilich fand er auch 1887 noch lobende Worte für Schopenhauer, der „als Philosoph der erste eingeständliche und unbeugsame Atheist [war], den wir Deutschen gehabt haben“: Nietzsches Rezeption anderer Philosophien Sein Wissen über Philosophie und Philosophiegeschichte hat Nietzsche sich nicht systematisch aus den Quellen angeeignet. Er hat es vornehmlich aus Sekundärliteratur entnommen: vor allem aus Friedrich Albert Langes Geschichte des Materialismus sowie Kuno Fischers Geschichte der neuern Philosophie zu späteren Autoren. Platon und Aristoteles waren ihm aus der Philologie bekannt und auch Gegenstand einiger seiner philologischen Vorlesungen, aber besonders Letzteren kannte er nur lückenhaft. Mit den Vorsokratikern befasste er sich zu Anfang der 1870er Jahre intensiv, vor allem auf Heraklit kam er noch später zurück. Für die Ethik Spinozas, die Nietzsche zeitweise anregte, war ihm Fischers Werk die Hauptquelle. Kant lernte er ebenfalls durch Fischer (und Schopenhauer, s. oben) kennen; im Original las er vermutlich nur die Kritik der Urteilskraft. Zum deutschen Idealismus um Hegel übernahm er für einige Zeit die scharfe Kritik Schopenhauers. Später ignorierte er die Richtung. Bedenkenswert ist, dass sich bei Nietzsche zu den Junghegelianern (Feuerbach, Bauer und Stirner) keine nennenswerten Äußerungen finden, obwohl er sie als Denker einer „geistesregen Zeit“ ansah, auch keine zu Karl Marx, obwohl er sich verschiedentlich über den politischen Sozialismus äußerte. Weitere von Nietzsche rezipierte Quellen waren die französischen Moralisten wie La Rochefoucauld, Montaigne, Vauvenargues, Chamfort, Voltaire und Stendhal. Die Lektüre Blaise Pascals vermittelte ihm einige neue Einsichten zum Christentum. Hin und wieder setzte sich Nietzsche polemisch mit den seinerzeit populären Philosophen Eugen Dühring, Eduard von Hartmann und Herbert Spencer auseinander. Vor allem von Letzterem und den deutschen Vertretern der Evolutionstheorie um Ernst Haeckel bezog er sein Wissen um die Lehren Charles Darwins. Die intensive Quellenforschung der letzten Jahrzehnte hat zahlreiche Bezüge in Nietzsches Werken ermittelt, unter anderem zu seinen Zeitgenossen Afrikan Spir und Gustav Gerber, deren Sprach- und Erkenntnistheorie überraschende Ähnlichkeiten mit der Nietzsches aufweisen. Vereinzelt ist in der Nietzsche-Forschung darauf hingewiesen worden, dass Nietzsches Kritik an anderen Philosophien und Lehren auf Missverständnissen beruhe, eben weil er sie nur durch entstellende Sekundärliteratur kannte. Dies betreffe insbesondere Nietzsches Aussagen zu Kant und der Evolutionslehre. Aber auch dieses Thema ist umstritten. Wirkung Trivia In der Fernsehserie Gene Roddenberry’s Andromeda gibt es eine fiktive Rasse der Nietzscheaner, die den Lehren Nietzsches anhängen. Werke und Ausgaben Eingeklammerte Jahreszahlen geben das Jahr der Entstehung, mit Kommata abgetrennte das Jahr der Erstveröffentlichung an. Philologische Werke Zur Geschichte der Theognideischen Spruchsammlung. 1867. De Laertii Diogenis fontibus. 1868/69. Homer und die klassische Philologie. 1869. Analecta Laertiana. 1870. Der florentinische Tractat über Homer und Hesiod. 1870 (siehe: Certamen Homeri et Hesiodi). Das griechische Musikdrama. 1870 (Kritische Studienausgabe (KSA) I, 513–549) Philosophische Werke, Dichtungen und Autobiografisches Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern. 1872 KSA 1: I. Über das Pathos der Wahrheit. II. Gedanken über die Zukunft unserer Bildungsanstalten. III. Der griechische Staat. IV. Das Verhältnis der Schopenhauerischen Philosophie zu einer deutschen Cultur. V. Homers Wettkampf. Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. 1872 KSA 1. Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne. 1873 KSA 1. Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen. 1873 KSA 1. Unzeitgemäße Betrachtungen. 1873–1876 KSA 1. David Strauß, der Bekenner und der Schriftsteller. 1873. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben. 1874. Schopenhauer als Erzieher. 1874. Richard Wagner in Bayreuth. 1876. Menschliches, Allzumenschliches – Ein Buch für freie Geister. (mit zwei Fortsetzungen), 1878–1880 KSA 2 Der Wanderer und sein Schatten 1880 Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile. 1881 KSA 3. Idyllen aus Messina. 1882 KSA 3. Die fröhliche Wissenschaft („la gaya scienza“). 1882 KSA 3. Also sprach Zarathustra – Ein Buch für Alle und Keinen. 1883–1885 KSA 4. Jenseits von Gut und Böse – Vorspiel einer Philosophie der Zukunft. 1886 KSA 5. Zur Genealogie der Moral – Eine Streitschrift. 1887 KSA 5. Der Fall Wagner – Ein Musikanten-Problem. 1888 KSA 6. Dionysos-Dithyramben. 1889 KSA 6. Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert. 1889 KSA 6. Der Antichrist – Fluch auf das Christentum. 1895 KSA 6. Nietzsche contra Wagner. 1895 KSA 6. Ecce homo – Wie man wird, was man ist. (1888) 1908 KSA 6. Lyrik (Auswahl) Ecce homo (Ja, ich weiß, woher ich stamme). „Mein Glück!“ Die Tauben von San Marco seh ich wieder. Vereinsamt (Die Krähen schrein und ziehen schwirren Flugs zur Stadt). Der geheimnisvolle Nachen (Gestern nachts, als alles schlief). Das trunkene Lied (O Mensch! Gib acht!). Venedig (An der Brücke stand jüngst ich in brauner Nacht). Musik Seit seiner Jugend musizierte Nietzsche und komponierte zahlreiche kleinere Stücke. Bedeutend sind: Sämtliche Werke für Klavier solo eingespielt von Michael Krücker für das Label NCA, SACD (Super-Audio-CD), Order No.: 60189, ISBN 978-3-86735-717-3. Manfred-Meditation, 1872. Zum Manfred von Lord Byron. Nach der vernichtenden Kritik Hans von Bülows gab Nietzsche das Komponieren größtenteils auf. mp3-Datei Hymnus an die Freundschaft, 1874. Hörprobe (wav-Format; 421 kB) Gebet an das Leben, NWV 41, 1882, und Hymnus an das Leben, Chor und Orchester, 1887: Nietzsche vertonte 1882 ein Gedicht von Lou von Salomé. Peter Gast arbeitete dies zu einer Komposition für gemischten Chor und Orchester um, die 1887 unter Nietzsches Namen veröffentlicht wurde. mp3-Datei Ausgaben Gesamtausgaben: vollständige, ausführlich kommentierte Ausgaben: Werke. Kritische Gesamtausgabe Sigle: KGW [auch: KGA (Verlag)], hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin und New York 1967ff. Briefe. Kritische Gesamtausgabe Sigle: KGB, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin und New York 1975–2004. Karl Schlechta (Hrsg.): Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden (mit Index-Band). 8. Auflage. Hannover/München 1966 (Vgl. dazu Nietzsche-Ausgabe#Die Schlechta-Ausgabe und Kritik daran). Studienausgaben: Taschenbuchausgaben: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden Sigle: KSA, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München und New York 1980, ISBN 3-423-59065-3. Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe Sigle: KSB, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München und New York 1986, ISBN 3-423-59063-7. Nietzsche Online: 70 Bände Editionen der Werke (KGW) und Briefe (KGB) Friedrich Nietzsches von Giorgio Colli und Mazzino Montinari: über 80 Monographien und Referenzwerke wie das Nietzsche-Wörterbuch sowie alle 38 Jahrgänge der Nietzsche-Studien – insgesamt über 100.000 Buchseiten bei De Gruyter (10/2010). Laut Weimarer Klassik Stiftung hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft rund 350.000 Euro bewilligt für eine digitale Aufbereitung des kompletten Nachlasses von Nietzsche. Eine adäquate Internet-Plattform und eine Archivdatenbank soll innerhalb von drei Jahren zur Verfügung stehen. Literatur (Nähere bibliographische Angaben finden sich in den meisten der aufgeführten Bücher und Titel, siehe auch die Bibliographien bei den Weblinks.) Zur Biografie Charles Andler: Nietzsche, sa vie et sa pensée. 6 Bände. Brossard, Paris 1920–1931, spätere Auflagen (3 Bände, jeweils zwei zusammengefasst) bei Gallimard, Paris, ISBN 2-07-020127-9, ISBN 2-07-020128-7, ISBN 2-07-020129-5 (detaillierte Gesamtdarstellung, Rezeptionsgrundlage vieler französischer Autoren). Sabine Appel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist. Eine Biographie. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-61368-5. Bernhard M. Baron: Nietzsches Oberpfalzreise 1867, in: OBERPFÄLZER HEIMAT Bd. 36/Jg. 1992, S. 83–88, ISBN 3-928901-00-1. Raymond J. Benders, Stephan Oettermann: Friedrich Nietzsche: Chronik in Bildern und Texten. Hanser, München 2000, ISBN 3-446-19877-6. Daniel Blue: The Making of Friedrich Nietzsche: The Quest for Identity, 1844–1869. Cambridge University Press, Cambridge 2016, ISBN 978-1-107-13486-7. Burkhart Brückner, Robin Pape: Biographie von Friedrich Wilhelm Nietzsche In: Biographisches Archiv der Psychiatrie (BIAPSY). 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Barbara Neymeyr: Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen. I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller. II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben (= Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken. Bd. 1/2). De Gruyter, Berlin/Boston 2020, ISBN 978-3-11-028682-3. Sarah Scheibenberger: Kommentar zu Nietzsches Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne (= Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken. Bd. 1/3). De Gruyter, Berlin/Boston 2016, ISBN 978-3-11-045873-2. Barbara Neymeyr: Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen. III. Schopenhauer als Erzieher. IV. Richard Wagner in Bayreuth (= Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken. Bd. 1/4). De Gruyter, Berlin/Boston 2020, ISBN 978-3-11-067789-8. Jochen Schmidt, Sebastian Kaufmann: Kommentar zu Nietzsches Morgenröthe. Idyllen aus Messina (= Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken. Bd. 3/1). De Gruyter, Berlin / Boston 2015, ISBN 978-3-11-029303-6. Andreas Urs Sommer: Kommentar zu Nietzsches Jenseits von Gut und Böse (= Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken. Bd. 5/1). De Gruyter, Berlin/Boston 2016, ISBN 978-3-11-029307-4. Andreas Urs Sommer: Kommentar zu Nietzsches Zur Genealogie der Moral (= Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken. Bd. 5/2). De Gruyter, Berlin/Boston 2019, ISBN 978-3-11-029308-1. Andreas Urs Sommer: Kommentar zu Nietzsches Der Fall Wagner. Götzen-Dämmerung (= Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken. Bd. 6/1). De Gruyter, Berlin/Boston 2012, ISBN 978-3-11-028683-0. Andreas Urs Sommer: Kommentar zu Nietzsches Der Antichrist. Ecce homo. Dionysos-Dithyramben. Nietzsche contra Wagner (= Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken. Bd. 6/2). De Gruyter, Berlin/Boston 2013, ISBN 978-3-11-029277-0. Zur Rezeptionsgeschichte Richard Krummel: Nietzsche und der deutsche Geist. De Gruyter, Berlin/New York 1974–2006. Klemens Dieckhöfer: Gerhart Hauptmann (1862–1946) und Nietzsche. Nietzsches Einfluß auf Gerhart Hauptmann und dessen Erlebnis der Natur. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 34, 2015, S. 123–128. Jahrbücher Nietzsche-Studien: Internationales Jahrbuch für die Nietzsche-Forschung. De Gruyter, Berlin, . Nietzscheforschung: Jahrbuch der Nietzsche-Gesellschaft. Hrsg. im Auftrag der Förder- und Forschungsgemeinschaft Friedrich Nietzsche e. V. Akademie-Verlag, Berlin. New Nietzsche Studies. The Journal of the Nietzsche Society. . Ein Kuriosum: My Sister and I Im Jahr 1951 erschien in den USA ein Buch mit dem Titel My Sister and I, als dessen Autor Friedrich Nietzsche angegeben wurde. Nietzsche soll diese angeblich autobiographische Schrift 1889–1890 während seines Aufenthalts in der Jenaer Nervenklinik verfasst haben. Ein Originalmanuskript ist jedoch nicht überliefert. Als Übersetzer ins Englische ist Oscar Levy genannt, der Herausgeber der ersten englischsprachigen Ausgabe von Nietzsches Werken. Levy war aber schon 1946 gestorben, und seine Erben bestritten, dass er etwas mit dem Werk zu tun habe. Da keine Belege für die behauptete Urheberschaft Nietzsches oder Levys vorlagen, wurde die Schrift von der Fachwelt überwiegend als Fälschung zurückgewiesen oder ignoriert. In den 1980er-Jahren stellten einzelne Stimmen diese Zurückweisung infrage. Teile der Kontroverse um die Autorschaft sind in Neuauflagen des Buches abgedruckt, etwa in: Friedrich Nietzsche, Oscar Levy (Übers.): My Sister and I. Amok Books, Los Angeles 1990, ISBN 1-878923-01-3. Weblinks Faksimile, Texte und Zitate Digitale Faksimile Gesamtausgabe (DFGA) – Digitale Reproduktion des gesamten Nietzschenachlasses, hg. von P. D’Iorio, Paris, Nietzsche Source, seit 2009. Digitale Kritische Gesamtausgabe Werke und Briefe (eKGWB) – sämtliche Werke gemäß der Kritischen Gesamtausgabe, hrsg. von Colli/Montinari, hg. von P. D’Iorio, Paris, Nietzsche Source, 2009–. – Diese Seite folgt der Schlechta-Ausgabe, die bei den Spätwerken und beim Nachlass nicht fehlerfrei ist. Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Fritzsch, Leipzig 1872. (). Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Schmeitzner, Chemnitz 1883 (). Bd. 2. Schmeitzner, Chemnitz 1883. (). Bd. 3. Schmeitzner, Chemnitz 1884. (). Bd. 4. Naumann, Leipzig 1891. (). www.friedrichnietzsche.de u. a. Volltextsuche (Anmeldung erforderlich) Nietzsche-Briefwechsel der Klassik Stiftung Weimar/Goethe- und Schiller-Archiv – vollständiges Briefverzeichnis, Hunderte Faksimiles Linksammlungen, Bibliografie und Untersuchungen Sammlung urheberrechtsfreier Primär- und Sekundärliteratur von und über Nietzsche in den Digitalen Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Privatbibliothek Friedrich Nietzsches in den Digitalen Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Friedrich Nietzsche im Internet Archive Friedrich Nietzsche Gesammelte Briefe vorgelesen bei Anchor Malcolm Brown: Nietzsche Chronicle – engl. chronologische Biographie Weimarer Nietzsche-Bibliographie der Klassik Stiftung Weimar/Herzogin Anna Amalia Bibliothek – Bibliographie, Stand: August 2008. www.f-nietzsche.de – private Website mit vielen weiterführenden und aktuellen Informationen Eintrag im philolex – Website mit Betonung von Nietzsches negativem, faschistoiden Nachleben Johann Kreuzer: Artikel „Friedrich Nietzsche“ im UTB-Online-Wörterbuch Philosophie Nietzsche von Michel Onfray und Maximilien Le Roy Rezension zum Graphic Novel-Portrait Eduard His: Friedrich Nietzsches Heimatlosigkeit. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde. Bd. 40, 1941, doi:10.5169/seals-115271#163, S. 159–186. Nietzsche-Haus in Sils Maria Kompositionen Sonstiges Anmerkungen Philosoph (19. Jahrhundert) Existenzialist Kulturphilosoph Altphilologe (19. Jahrhundert) Person (Tautenburg) Autor Aphoristiker Sprachkritiker (Philosophie) Hochschullehrer (Universität Basel) Burschenschafter (19. Jahrhundert) Literatur (19. Jahrhundert) Literatur (Deutsch) Vertreter des Atheismus Musikkritiker Religionskritiker Gräzist Brief (Literatur) Sachliteratur Person (Weimar) Person im Deutsch-Französischen Krieg Person um Richard Wagner Person um Edvard Munch Deutscher Emigrant in der Schweiz Preuße Staatenloser Deutscher Geboren 1844 Gestorben 1900 Mann
1588
https://de.wikipedia.org/wiki/Frankreich
Frankreich
Frankreich (französisch [], amtlich la République française [], ) ist ein demokratischer, interkontinentaler Einheitsstaat in Westeuropa mit Überseegebieten. Ihr Staatsgebiet befindet sich auf allen Kontinenten mit Ausnahme von Asien. Metropolitan-Frankreich, d. h. der europäische Teil des Staatsgebietes, erstreckt sich vom Mittelmeer bis zum Ärmelkanal und zur Nordsee sowie vom Rhein bis zum Atlantischen Ozean. Sein Festland wird wegen der Landesform als Hexagone (Sechseck) bezeichnet. Frankreich ist flächenmäßig das größte und nach Einwohnern (hinter Deutschland) das zweitgrößte Land der Europäischen Union. Es umfasst (nach Russland und der Ukraine) das drittgrößte Staatsgebiet in Europa. Paris ist die Hauptstadt und als Agglomeration mit dem Gemeindeverband Métropole du Grand Paris und den umliegenden Gebieten der Region Île-de-France größter Ballungsraum des Landes vor Lyon, Marseille-Aix-en-Provence, Lille und Toulouse. Aus dem westlichen Teil des Fränkischen Reiches hervorgegangen, erweiterte Frankreich während des Mittelalters, meist in Rivalität mit dem Königreich England und dem Heiligen Römischen Reich, seinen kulturellen und militärischen Einfluss in Europa, bis Frankreich schließlich im 17. und 18. Jahrhundert eine europäische Führungsrolle und Vormachtstellung innehatte. Bedeutend war die politische und kulturelle Ausstrahlung: Die Hofhaltung Ludwigs XIV. wurde zum Vorbild absolutistischer Staaten in ganz Europa und die Französische Revolution mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte gab zusammen mit Okkupationen durch Napoleon Bonaparte in vielen Ländern den Auftakt zu der immer wieder von Rückschlägen unterbrochenen Entwicklung zur Demokratie. In Übersee baute Frankreich zweimal ein Kolonialreich auf. Das erste umfasste u. a. große Teile Nordamerikas und ging großenteils Mitte des 18. Jahrhunderts im Siebenjährigen Krieg verloren; das zweite mit Schwerpunkt in Afrika war im 19. und frühen 20. Jahrhundert das zweitgrößte der Welt. Im 21. Jahrhundert gilt Frankreich mit Deutschland als treibende Kraft der europäischen Integration. Die Französische Republik wird in ihrer Verfassung als unteilbar, laizistisch, demokratisch und sozial erklärt. Ihr Grundsatz lautet: „Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk“. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zählt Frankreich zu den Ländern mit sehr hoher menschlicher Entwicklung. Gemessen am nominalen Bruttoinlandsprodukt ist es die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt. Lebensstandard, Bildungsgrad und Lebenserwartung gelten als hoch. Als meistbesuchtes Land der Welt empfängt Frankreich rund 83 Millionen ausländische Touristen pro Jahr. Die französischen Streitkräfte gehören zu den sieben stärksten der Welt und sind die drittstärksten in der NATO. Das Land ist die einzige Atommacht der Europäischen Union, eines der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und hatte 2010 die weltweit dritthöchste Anzahl an Kernwaffen. Es ist Gründungsmitglied der Europäischen Union und der Vereinten Nationen, Mitglied der Frankophonie, der G7, der G20, der NATO, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Welthandelsorganisation (WTO) und der Lateinischen Union. Geographie Das gesamte Territorium der Französischen Republik zählt 632.733,9 Quadratkilometer. Das „französische Mutterland“ in Europa, auch Metropolitan-Frankreich () genannt, hat eine Fläche von 543.939,9 Quadratkilometern. Es wird wegen seiner Form als Hexagone (Sechseck) bezeichnet. Als eines der größten Länder Europas weist Frankreich zahlreiche, zum Teil sehr unterschiedlich geprägte Landschaftsformen auf. Das Landschaftsbild wird überwiegend von Ebenen oder Hügeln geprägt. Im Südosten und an der Grenze zur Iberischen Halbinsel ist das Land gebirgig. Hauptgebirge sind die Pyrenäen im Südwesten, das Zentralmassiv im Zentrum der Südhälfte des Landes sowie im Osten (aufgezählt von Norden nach Süden) die Vogesen, der Jura und die Alpen. Der höchste Berg Frankreichs ist der 4805 Meter hohe Mont Blanc in den Alpen; er wird oft auch als höchster Berg Europas angesehen. Der Elbrus im europäisch-asiatischen Grenzbereich ist zwar höher, aber keinem Kontinent eindeutig zugeordnet. Frankreich hat Meeresküsten im Süden zum Mittelmeer, im Westen und im Norden zum Atlantischen Ozean, zum Ärmelkanal und zur Nordsee. Es grenzt im Südwesten an Spanien und Andorra, im Norden und im Osten an Belgien, Luxemburg, Deutschland, die Schweiz und Italien sowie im Südosten an Monaco. Zudem grenzt Frankreich durch das Übersee-Département Französisch-Guayana an die Länder Suriname und Brasilien und durch das Überseegebiet Saint-Martin an das autonome Land Sint Maarten des Königreichs der Niederlande. Regionen Frankreich ist in 18 Regionen unterteilt, davon befinden sich 13 in Europa, und fünf sind französische Überseegebiete (, FOM) – Französisch-Guayana, Guadeloupe, Martinique, Mayotte und Réunion. Bis zum 31. Dezember 2015 war Metropolitan-Frankreich in 22 Regionen unterteilt (Frankreich hatte einschließlich der fünf FOM 27 Regionen). Naturschutzgebiete Frankreich unterhält Naturschutzgebiete verschiedener Kategorien im europäischen Kernland und in den Übersee-Départements. Es sind elf Nationalparks mit einer Fläche von etwa 4,5 Millionen Hektar, neun Meeresnaturparks, 54 regionale Naturparks mit einer Fläche von mehr als neun Millionen Hektar und eine Vielzahl von Schutzzonen, wie Naturreservate (réserve naturelle), Natura-2000-Gebiete der EU und Biosphärenreservate der UNESCO. Städte Im Jahr 2021 lebten 81 Prozent der Einwohner Frankreichs in Städten. Bevölkerung Demografie Frankreich hatte am 1. Januar 2022 67,8 Millionen Einwohner, wobei 65,2 Millionen Einwohner auf Metropolitan-Frankreich, den europäischen Teil Frankreichs, entfielen. 2021 betrug das jährliche Bevölkerungswachstum + 0,3 %. Die Bevölkerung Frankreichs im Jahre 1750 wurde auf etwa 25 Millionen geschätzt. Damit war es das bei weitem bevölkerungsreichste Land Westeuropas. Bis 1850 stieg die Einwohnerzahl bis auf 37 Millionen; danach trat eine im seinerzeitigen Europa einzigartige Stagnation der Bevölkerungsentwicklung ein. Als Ursache hierfür werden der relative Wohlstand und die fortgeschrittene Zivilisation Frankreichs angesehen. Empfängnisverhütendes Sexualverhalten wurde praktiziert und war weiter verbreitet als in anderen Ländern, zugleich war der Einfluss der katholischen Kirche bereits geschwächt. So wuchs die Einwohnerzahl in knapp 100 Jahren nur um drei Millionen: 1940 zählte Frankreich, trotz starker Zuwanderung nach 1918, nur etwa 40 Millionen Einwohner. Diese Bevölkerungsstagnation wird als eine der Ursachen dafür angesehen, dass sich Frankreich während der beiden Weltkriege gegen den bevölkerungsstärkeren Nachbarn Deutschland nur mit großer Mühe behaupten konnte. Noch dazu hatte Frankreichs Armee im Ersten Weltkrieg die relativ höchsten Verluste aller kriegführenden Staaten erlitten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dann nach langer Zeit wieder ein Geburtenzuwachs und Bevölkerungsanstieg zu verzeichnen, der zum Teil durch die transnationale geburtenstarke Generation ebenso verursacht war wie durch verstärkte Zuwanderung vor allem aus früheren französischen Kolonien. Zum Bevölkerungswachstum 2021 trug ein Geburtenüberschuss (Geburtenziffer: 10,9 pro 1000 Einwohner vs. Sterbeziffer: 9,7 pro 1000 Einwohner) bei. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 1,8 und damit über dem Wert der Europäischen Union von 1,5. Die Lebenserwartung der Einwohner Frankreichs ab der Geburt lag 2020 bei 82,2 Jahren (Frauen: 85,3, Männer: 79,2). Der Median des Alters der Bevölkerung lag im Jahr 2020 bei 40,1 Jahren und damit unter dem europäischen Wert von 42,5. Im Jahr 2021 wurden 3,2 Ehen pro 1000 Einwohner geschlossen. Zahlreiche Franzosen wählten alternativ den Zivilen Solidaritätspakt als Form des Zusammenlebens. Diese Pacs genannte Partnerschaft wurde 1999 eingeführt; 2009 wurden 175.000 Pacs geschlossen. Migration Aufgrund des langsamen Bevölkerungswachstums kannte Frankreich bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Problem des Arbeitskräftemangels. Seit Beginn der Industrialisierung kamen deshalb Gastarbeiter aus verschiedenen europäischen Ländern (Italiener, Polen, Deutsche, Spanier, Belgier) nach Frankreich, etwa in den Großraum Paris oder in die Bergbaureviere und Montangebiete von Nord-Pas-de-Calais und Lothringen. Ab 1880 lebten und arbeiteten somit etwa eine Million Ausländer in Frankreich; sie stellten sieben bis acht Prozent der Erwerbstätigen. Das Phänomen einer Massenauswanderung, das gleichzeitig in Deutschland herrschte, kannte Frankreich nicht. Während des Ersten Weltkrieges waren etwa drei Prozent der Bevölkerung Frankreichs Ausländer, es kam zu ersten ausländerfeindlichen Tendenzen, bis 1931 wuchs der Ausländeranteil auf 6,6 Prozent. Danach wurde die Einwanderung stark eingeschränkt, Flüchtlinge etwa aus dem Spanischen Bürgerkrieg ausgewiesen oder interniert. Nach dem Zweiten Weltkrieg warb Frankreich wiederum Gastarbeiter vor allem aus Spanien und Portugal an und behielt bis 1974 eine sehr liberale Einwanderungspolitik bei. Europäer, vor allem Italiener und Polen, hatten 1931 mehr als 90 Prozent der ausländischen Bevölkerung ausgemacht, in den 1970er-Jahren lag dieser Anteil nur noch bei etwa 60 Prozent, der größte Anteil waren nun Portugiesen. Der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung 2006 betrug 5,8 Prozent, dazu kamen 4,3 Prozent Français par acquisition, also Menschen, die im Ausland geboren sind und die französische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Im Jahr 2008 lebten 5,23 Millionen Einwanderer in Frankreich, was 8,4 % der Gesamtbevölkerung ausmachte. Davon hatten 2,72 Millionen die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Nachkommen von Einwanderern, bei denen mindestens ein Elternteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit im Ausland geboren wurde, wurden im Jahr 2010 auf etwa 10,4 % der Gesamtbevölkerung geschätzt. Heute (2014) sind die meisten Einwanderer in Frankreich nordafrikanischen Ursprungs (Algerier, Marokkaner, Tunesier), gefolgt von Südeuropäern (Portugiesen, Italiener, Spanier). 2018 wurden 273.000 Einwanderer registriert (davon 39 % aus Afrika und 35 % aus Europa). Die höchste Konzentration von Einwanderern lebt im Großraum Paris oder im Südosten Frankreichs (in der Region Marseille). Seit dem Beginn der europäischen Flüchtlingskrise sind viele Migranten aus Afrika, auch aus ehemaligen französischen Kolonien in Subsahara-Afrika, nach Frankreich gekommen. Bildungswesen Die Verfassung der Fünften Französischen Republik definiert, dass der Zugang zu Bildung, Ausbildung und Kultur für alle Bürger gleich zu sein hat und dass das Unterhalten eines unentgeltlichen und laizistischen öffentlichen Schulwesens Aufgabe des Staates ist. Demnach ist das Bildungssystem Frankreichs zentralistisch organisiert; die Gebietskörperschaften müssen die Infrastruktur bereitstellen. Es koexistieren private und öffentliche Einrichtungen, wobei die größtenteils katholischen Privatschulen in der Vergangenheit mehrmals Gegenstand intensiver politischer Auseinandersetzung waren. Im Gegensatz zu den Schulsystemen der deutschsprachigen Länder liegt in Frankreich mehr Schwerpunkt auf Auslese und Bildung von Eliten, bzw. Ausbildung über Bildung. Seit 1967 herrscht Unterrichtspflicht bis zum 16. Lebensjahr; Hausunterricht ist erlaubt. In Frankreich lag die mittlere Schulbesuchsdauer von über 25-Jährigen bei 11,6 Jahren (Stand: 2015). Der Kindergarten heißt in Frankreich École maternelle und bietet Vorschulerziehung für Kinder ab zwei Jahren an. Er wird von einem hohen Prozentsatz der Kinder besucht. Der Besuch ist ganztägig und gebührenfrei, nur optionale Zusatzangebote für Betreuung zu Randzeiten sowie die mittägliche Verpflegung müssen von den Eltern bezahlt werden. Die École maternelle wird in Frankreich sehr viel stärker als Schule betrachtet, als dies bei den Kindergärten in deutschsprachigen und anderen Ländern der Fall ist. Die Betreuer in den Maternelles haben eine Lehrerausbildung und sind von der staatlichen Schulbehörde Éducation nationale angestellt, die auch die Lehrpläne festlegt. Die auf die Maternelle folgende, der deutschen Grundschule entsprechende École élémentaire dauert fünf Jahre. Nach ihrem Abschluss besuchen die Kinder das Collège, eine vier Jahre dauernde Gesamtschule, und machen dort den Abschluss Brevet des collèges. Hiernach hat der Jugendliche mehrere Möglichkeiten. Er kann in eine berufsbildende Schule eintreten, die er mit dem Certificat d’aptitude professionelle abschließt; ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland ist sehr wenig verbreitet. Das Lycée entspricht in etwa dem Gymnasium. Es führt nach zwölf Schuljahren zum Baccalauréat. Mehrere Schulzweige wie naturwissenschaftlich, wirtschaftlich oder literarisch werden unterschieden. Wer ein Lycée professionnel oder ein Centre de formation d’apprentis besucht, kann nach 13 Schuljahren mit einem Baccalauréat professionnel abschließen. Im Fremdsprachenunterricht wird eher Englisch und Spanisch gelehrt als Deutsch, das als „Intello-Idiom“ gilt. Die akademische Bildung wird geprägt von der Koexistenz der Grandes écoles und der Universitäten. Die Grandes écoles haben gegenüber den Universitäten Frankreichs eine höhere Reputation, niedrige Studentenzahlen und hohe persönliche Betreuung. Man kann sie meist erst nach dem Besuch der Classe préparatoire besuchen, die in der Regel von Lycées angeboten wird. Zu den bedeutenderen der Grandes écoles zählen die École polytechnique, die École normale supérieure, die École nationale d’administration, die École des hautes études en sciences sociales und die École Centrale Paris. Im Zuge der europaweiten Harmonisierung der Studienabschlüsse im Rahmen des Bologna-Prozess wurde auch an französischen Hochschulen das LMD-System eingeführt. LMD bedeutet, dass nacheinander die Licence bzw. Bachelor (nach drei Jahren), der Master (nach fünf Jahren) und das Doktorat (nach acht Jahren) erworben werden können. Die traditionellen nationalen Diplome (DEUG, Licence, Maîtrise, DEA und DESS) sollen im Rahmen dieses Prozesses entfallen. Ende 2009 studierten rund 2,25 Millionen Studentinnen und Studenten an französischen Hochschulen. Im PISA-Ranking von 2015 erreichen Frankreichs Schüler Platz 26 von 72 Ländern in Mathematik, Platz 16 in Naturwissenschaften und Platz 19 beim Leseverständnis. Frankreich liegt damit im Mittelfeld unter den OECD-Staaten. Gesundheitswesen Das Gesundheitswesen ist Teil der öffentlichen Sozialversicherung Sécurité Sociale, die 1945 gegründet wurde und eine paritätische Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung beinhaltet. Die Organisation des Systems obliegt dem Staat sowie der gesetzlichen Krankenversicherung. Private Zusatzversicherungen sind aber weit verbreitet. Nach Einschätzung des Europäischen Verbraucherzentrums liegen die Ausgaben für Medikamente höher als in Deutschland, obwohl Arzneimittel in Frankreich vergleichsweise günstiger sind. Im Jahr 2019 praktizierten in Frankreich 32,7 Ärztinnen und Ärzte je 10.000 Einwohner. Probleme der medizinischen Versorgung bestehen vor allem in den unzureichend finanzierten Krankenhäusern. Hinzu kommt Personalmangel, da das Einkommen der Pflegekräfte unter dem nationalen Durchschnitt liegt. Auf 1000 Einwohner kommen in Frankreich 5,6 Klinikbetten, in Deutschland liegt das Verhältnis bei 1000 zu 7,9. Insbesondere die Intensivstationen bieten nur mangelhafte Kapazitäten. Seit März 2019 kommt es zu Protesten von Mitarbeitern in Notaufnahmen sowie von Ärzten. Sprachen Die französische Sprache entwickelte sich aus der Sprache des französischen Königshofes, die wahrscheinlich auf der romanischen Mundart der Île-de-France (seit dem 19. Jahrhundert in der Linguistik als francien bezeichnet) beruhte und zugleich Einflüsse der Mundarten angrenzender Gebiete (namentlich der Champagne) aufnahm. Diese Sprache wurde als françoys ([frãswè]) bezeichnet und breitete ihren kulturellen Einfluss etwa in dem Maße aus, in dem die französischen Könige ihr Herrschaftsgebiet ausdehnten. Im Jahr 1539 verfügte König Franz I., dass die „französische Muttersprache“ („langage maternel françoys“) die Verwaltungssprache seines Königreiches sein sollte, womit vor allem das Lateinische zurückgedrängt wurde. Regionalsprachen kamen in den Provinzen z. B. als Gerichtssprache weiterhin zum Einsatz; siehe Edikt von Villers-Cotterêts. Zu dieser Zeit sprachen etwa 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung Frankreichs Französisch; im 18. Jahrhundert sollen es etwa 50 Prozent gewesen sein. Nach der Französischen Revolution wurden die Regionalsprachen zurückgedrängt. Französisch, die Sprache der Aufklärung, galt als Sprache der Vernunft und der Wissenschaft und wurde zur einzigen Sprache der Republik und mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht zur einzigen Unterrichtssprache erhoben. Erst ein 1951 verabschiedetes Gesetz erlaubte Unterricht in Regionalsprachen. Auch heute legt Artikel 2 der Verfassung von 1958 Französisch als alleinige Amtssprache Frankreichs fest. Es ist nicht nur die in Frankreich allgemein gesprochene Sprache, sondern auch Träger der französischen Kultur in der Welt. Die in Frankreich gesprochenen Regionalsprachen drohen aufgrund interner Wanderungen und der fast ausschließlichen Verwendung des Französischen in den Medien auszusterben. Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen hat Frankreich zwar unterschrieben, jedoch nicht ratifiziert. Unter anderem urteilte der Verfassungsrat im Jahr 1999, dass Teile der Charta mit der französischen Verfassung unvereinbar seien. Seit 2008 erwähnt die Verfassung in Artikel 75-1 die Regionalsprachen als Kulturerbe Frankreichs. Regionalsprachen, die in Frankreich gesprochen werden, sind die romanischen Oïl-Sprachen in Nordfrankreich, die teilweise als französische Dialekte angesehen werden, wie Picardisch, Normannisch, Gallo, Poitevin-Saintongeais, Wallonisch und Champenois, das Franko-Provenzalische im französischen und (west-)schweizerischen Alpen- und Juraraum, Okzitanisch in Südfrankreich, Katalanisch im Département Pyrénées-Orientales, Elsässisch und Lothringisch im Nordosten Frankreichs, Baskisch und seine Dialekte im äußersten Südwesten, Bretonisch im Nordwesten, Korsisch auf Korsika und Flämisch im Norden des Landes. Weiterhin werden in den Überseebesitzungen verschiedenste Sprachen wie Kreolsprachen, Polynesische Sprachen oder Kanak-Sprachen in Neukaledonien gesprochen. Anders als z. B. in Italien gibt es in Frankreich keine regionalen Amtssprachen. Auch bei den Ortsnamen und Flurnamen spiegeln sich regionale Einflüsse nur bedingt wider. So sind deutschsprachige Bezeichnungen im Elsass noch sehr weit verbreitet, nicht jedoch in Lothringen. Analog dazu blieben auf Korsika die italienischen Namen auch nach der Angliederung an Frankreich weitestgehend bestehen, dies ist bei den Gebieten auf dem Festland (Savoyen, Grafschaft Nizza bzw. Alpes-Maritimes), welche früher mit Italien assoziiert waren, dagegen nicht der Fall. Der Ortsname Nizza stammt zwar aus dem Italienischen (), vor Ort ist jedoch nur die französische Bezeichnung Nice die offiziell gebräuchliche. Im äußersten Norden Frankreichs, in den Grenzgebieten zu Flandern, gibt es einige niederländische Ortsnamen, wogegen in den Grenzgebieten zu Spanien baskische und katalanische Einflüsse zu erkennen sind. Französisch ist Arbeitssprache bei den Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der Europäischen Kommission und der Afrikanischen Union. Um die französische Sprache vor der Vereinnahmung durch Anglizismen zu schützen, wurde 1994 die Loi Toubon verabschiedet. Mit dem Durchführungsdekret von 1996 wurde ein Mechanismus zur Einführung neuer Wörter festgelegt, der von der Délégation générale à la langue française et aux langues de France und der Commission générale de terminologie et de néologie gesteuert wird. Dieses Dekret verpflichtet die Behörden, die im Amtsblatt und im Wörterbuch FranceTerme veröffentlichten Neuschöpfungen zu gebrauchen. Die Einwanderer verschiedener Nationen, vor allem aus Portugal, Osteuropa, dem Maghreb und dem restlichen Afrika, haben ihre Sprachen mitgebracht. Im Unterschied zu den traditionellen Sprachen konzentrieren sich diese Sprechergemeinden besonders in den großen Städten, sind aber keinem bestimmten geographischen Gebiet zuzuordnen. Religionen Frankreich ist offiziell ein laizistischer Staat, das heißt, Staat und Religionsgemeinschaften sind vollkommen voneinander getrennt. Da von staatlicher Seite keine Daten über die Religionszugehörigkeit der Einwohner erhoben werden, beruhen alle Angaben über die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung auf Schätzungen oder den Angaben der Religionsgemeinschaften selbst und weichen deshalb oft erheblich voneinander ab, weshalb auch die folgenden Zahlen mit Vorsicht zu behandeln sind. In einer Umfrage von Le Monde des religions bezeichneten sich 51 Prozent der Franzosen als katholisch, 31 Prozent erklärten, keiner Religion anzugehören, und etwa 9 Prozent gaben an, Muslime zu sein. 3 Prozent bezeichneten sich als Protestanten. Fast alle protestantischen Kirchen in Frankreich, von denen die Vereinigte Protestantische Kirche Frankreichs die mitgliederstärkste ist, arbeiten im Französischen Evangelischen Kirchenbund zusammen. Ein Prozent bezeichneten sich als Juden. Dies entspricht auf die Bevölkerungszahl hochgerechnet 32 Millionen Katholiken, 5,7 Millionen Muslimen, 1,9 Millionen Protestanten und 600.000 Juden sowie 20 Millionen Nichtreligiösen. 6 Prozent machten andere oder keine Angaben. Unter den Katholiken ist laut Umfragen nur ein geringer Teil tatsächlich gläubig und praktizierend, allerdings sind umgekehrt auch Strömungen des katholischen Traditionalismus in Frankreich stark vertreten. Außerdem leben in Frankreich, bedingt durch Zuwanderung aus Osteuropa und dem Nahen Osten, etwa eine Million Orthodoxe und Angehörige orientalisch-orthodoxer Kirchen. Vorrangig aus dem ehemaligen Französisch-Indochina stammten die Vorfahren der etwa 600.000 Buddhisten. Weiterhin gibt es eine größere Zahl an Hindus. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Europäischen Kommission im Rahmen des Eurobarometers ergab 2020, dass für 26 Prozent der Menschen in Frankreich Religion wichtig ist, für 25 Prozent ist sie weder wichtig noch unwichtig und für 48 Prozent ist sie unwichtig. Schätzungen der 2018 veröffentlichten (SMRE) gehen für den Zeitraum 2000 (1996 bis 2005) von 51,7 Prozent Katholiken, 2,3 Prozent Protestanten, 0,2 Prozent Orthodoxen, 0,5 Prozent Juden, 0,5 Prozent Muslimen, 44,2 Prozent Personen ohne Religionszugehörigkeit und 0,6 Prozent Anderen aus. Für den Zeitraum 2010 (2006 bis 2015) gehen die Schätzung der SMRE von 40 Prozent Katholiken, 1,7 Prozent Protestanten, 0,3 Prozent Orthodoxen, 0,8 Prozent anderen Christen, 0,3 Prozent Juden, 5,1 Prozent Muslimen, 50,5 Prozent Personen ohne Religionszugehörigkeit und 1,3 Prozent Anderen aus. Christliche Konfessionen Historisch war Frankreich lange Zeit ein katholisch dominierter Staat. Seit Ludwig XI. († 1483) trugen die französischen Könige mit Einverständnis des Papstes den Titel eines roi très chrétien (allerchristlichsten Königs). In der Reformationszeit blieb Frankreich immer mehrheitlich katholisch, auch wenn es starke protestantische Minderheiten (Hugenotten) gab. Diese mussten aber spätestens nach der Bartholomäusnacht 1572 die Hoffnung auf ein protestantisches Frankreich aufgeben. Als der Protestant Heinrich von Navarra Thronerbe Frankreichs wurde, trat er aus politisch-taktischen Gründen zum katholischen Glauben über (Paris vaut bien une messe, „Paris ist eine Messe wert“), garantierte aber gleichzeitig im Edikt von Nantes 1598 den Protestanten Sonderrechte und insbesondere Religionsfreiheit. Das Edikt von Nantes wurde 1685 unter Ludwig XIV. wieder aufgehoben, was trotz schwerster Strafandrohungen zu einer Massenflucht der Hugenotten ins benachbarte protestantische Ausland führte. Erst kurz vor der Französischen Revolution erhielten die Protestanten eine begrenzte Glaubensfreiheit zugestanden. Die Französische Revolution hob dann alle Beschränkungen der Glaubensfreiheit auf. Es kam in den Jahren nach der Revolution in der Ersten Französischen Republik zu einer kurzen Phase einer heftigen Kirchenfeindlichkeit, da die katholische Kirche als Vertreterin des Ancien Régime gesehen wurde. Nicht nur die Privilegien der Kirche, sondern sogar der christliche Kalender und Gottesdienst wurden abgeschafft und durch einen Revolutionskalender bzw. einen „Kult des höchsten Wesens“ ersetzt. Unter Napoleon Bonaparte kam es mit dem Konkordat von 1801 aber wieder zu einem Ausgleich zwischen katholischer Kirche und Staat. Unter der bourbonischen Restauration nach 1815 gewannen die katholisch-monarchistische Ideen wieder die Oberhand: So wurden die 1823 zur Niederschlagung der liberalen Revolution nach Spanien entsandten bourbonischen Truppen als die „100.000 Söhne des heiligen Ludwig“ bezeichnet, die jesuitische Mission in Übersee wurde gefördert. In der Dritten Republik ergab sich erneut ein Konflikt zwischen Kirche und Staat. Letztlich war dieser Konflikt Teil der Auseinandersetzungen zwischen den republikanischen, „liberalen“ Kräften auf der einen Seite und restaurativen, konservativen Strömungen, die einen autoritären Umbau des Staates bis hin zur Wiedereinführung der Monarchie anstrebten, auf der anderen. Die katholische Kirche als Institution wurde zu den letzten gerechnet, und viele Republikaner nahmen ausgesprochen antiklerikale Standpunkte ein. Mit dem am 9. Dezember 1905 verabschiedeten Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat wurden der Kirchenbesitz weitgehend enteignet und die strikte Trennung von Kirche und Staat festgeschrieben. Da die heutigen drei Départements Moselle, Haut Rhin und Bas Rhin damals als Reichsland Elsaß-Lothringen zum Deutschen Kaiserreich gehörten, fand das Gesetz dort keine Anwendung und wurde auch später, als Elsaß-Lothringen nach dem Ersten Weltkrieg 1918 wieder zu Frankreich kam, dort nicht eingeführt. Dort gilt bis heute im Wesentlichen die Regelung von 1801. Katholische Priester, protestantische Pfarrer und jüdische Rabbiner werden in diesen drei Départements vom französischen Staat bezahlt und an öffentlichen Schulen wird katholischer und protestantischer Religionsunterricht angeboten. Außerdem sind die kirchlichen Feiertage Karfreitag und zweiter Weihnachtsfeiertag dort weiterhin arbeitsfreie Feiertage. Judentum und Islam Die jüdische Gemeinschaft in Frankreich hat eine wechselhafte Geschichte. Seit der Römerzeit lebten Juden in Frankreich. Sie wurden jedoch in zwei Wellen 1306 unter Philipp IV. und 1394 unter Karl VI. alle des Landes verwiesen. Über viele Jahrhunderte gab es danach kaum ein jüdisches Leben in Frankreich. Einzige Ausnahme blieben die im 18. und 19. Jahrhundert erworbenen Gebiete im Osten des Landes, insbesondere das Elsass, das lange einen Sonderstatus besaß. Die Französische Revolution gewährte schließlich den Juden die bürgerliche Gleichberechtigung. Frankreich blieb aber bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein Land mit vergleichsweise geringer jüdischer Bevölkerung. Nach dem Ersten, aber vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine starke Zuwanderung aus Osteuropa und dem arabischen Mittelmeerraum ein, sodass Frankreich heute das Land Europas mit der größten jüdischen Bevölkerungsgruppe darstellt. Im Zusammenhang mit einem rasant steigenden Antisemitismus und der stagnierenden Wirtschaft gibt es jedes Jahr Tausende von jüdischen Auswanderern. Es wird vermutet, dass zwischen den Jahren 2010 und 2015 mehr als 100.000 Juden das Land verlassen haben, so dass es nur noch etwa 400.000 Juden in Frankreich gibt. Ebenfalls seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist eine starke Zunahme des Anteils an Muslimen zu verzeichnen, die auf Zuwanderung aus den ehemaligen Kolonien zurückgeht. Der französische Zentralstaat fördert eine „Gallikanisierung des Islam“; er traut ihm Reformfähigkeit zu und fordert, dass der Islam eine Körperschaft als zentralen Ansprechpartner für den Staat benennt. Geschichte Urgeschichte bis Frühmittelalter Es wird geschätzt, dass das heutige Frankreich vor etwa 48.000 Jahren besiedelt wurde. Aus der Altsteinzeit sind in der Höhle von Lascaux bedeutende Felsmalereien erhalten geblieben. Ab 600 v. Chr. gründeten phönizische und griechische Händler Stützpunkte an der Mittelmeerküste, während Kelten vom Nordwesten her das Land besiedelten, das später von den Römern als Gallien bezeichnet wurde. Die keltischen Gallier mit ihrer druidischen Religion werden heute häufig als Vorfahren der Franzosen gesehen und Vercingetorix zum ersten Nationalhelden Frankreichs verklärt, wenngleich kaum gallische Elemente in der französischen Kultur verblieben sind. (Siehe auch Keltomanie) Zwischen 58 und 51 v. Chr. eroberte Caesar im Gallischen Krieg die Region; es wurden die römischen Provinzen Gallia Belgica, Gallia cisalpina und Gallia Narbonensis eingerichtet. In einer Periode von Prosperität und Frieden übernahmen diese Provinzen römische Fortschritte in Technik, Landwirtschaft und Rechtsprechung; große, elegante Städte entstanden. Ab dem 5. Jahrhundert wanderten vermehrt germanische Völker nach Gallien ein, die nach dem Zerfall des Römischen Reiches 476 eigene Reiche gründeten. Nach einer vorübergehenden Dominanz der Westgoten gründeten die Franken unter Chlodwig I. das Reich der Merowinger. Sie übernahmen zahlreiche römische Werte und Einrichtungen, u. a. den Katholizismus (496). Im Jahre 732 gelang es ihnen, in der Schlacht von Tours und Poitiers der von der iberischen Halbinsel ausgehenden Islamischen Expansion Einhalt zu gebieten. Die Karolinger folgten den Merowingern nach. Karl der Große wurde 800 zum Kaiser gekrönt, 843 wurde das Frankenreich mit dem Vertrag von Verdun unter Karls Enkeln geteilt; aus dem westlichen Teil entwickelte sich das Königreich Frankreich. Mittelalter Das französische Mittelalter war geprägt durch den Aufstieg des Königtums im stetigen Kampf gegen die Unabhängigkeit des Hochadels und die weltliche Gewalt der Klöster und Ordensgemeinschaften. Die Kapetinger setzten, ausgehend von der heutigen Île-de-France, die Idee von einem Einheitsstaat durch, die Teilnahme an verschiedenen Kreuzzügen untermauerten dies. Die Wikinger fielen ab der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts wiederholt in den Unterlauf der Seine ein und siedelten sich dort an. Nachdem im Jahr 911 der westfränkische König Karl der Einfältige den Normannenführer Rollo mit der Grafschaft Rouen betraut hatte, wurde das Gebiet als Normandie bekannt. Im Jahre 1066 eroberten die romanisierten Normannen England. Unter König Ludwig VII. begann eine lange Serie kriegerischer Auseinandersetzungen mit England, nachdem Ludwigs geschiedene Frau Eleonore von Aquitanien 1152 Heinrich Plantagenet, ab 1154 König von England, geheiratet hatte und damit etwa die Hälfte des französischen Staatsgebiets an England gefallen war. Philipp II. August konnte England zusammen mit den Staufern bis 1299 weitgehend aus Frankreich verdrängen; der englische König Heinrich III. musste zudem Ludwig IX. von Frankreich als Lehnsherrn anerkennen. Ab 1226 wurde Frankreich zu einer Erbmonarchie; im Jahre 1250 war Ludwig IX. einer der mächtigsten Herrscher des Abendlandes. Nach dem Tod des letzten Kapetingers wurde 1328 Philipp von Valois zum neuen König gewählt, er begründete die Dynastie der Valois. Die Bevölkerung Frankreichs wird für diese Zeit auf 15 Millionen geschätzt. Das Land verfügte mit der Scholastik, der gotischen und romanischen Architektur über bedeutende kulturelle Errungenschaften. Thronansprüche, die Eduard III. Plantagenet, König von England und Herzog von Aquitanien, erhob, führen 1337 zum Hundertjährigen Krieg. Nach großen Anfangserfolgen Englands, das den gesamten Nordwesten Frankreichs eroberte, konnte Frankreich die Invasoren zunächst zurückdrängen. Eine Rebellion Burgunds und die Ermordung des Königs führten dazu, dass England sogar Paris und Aquitanien besetzen konnte. Erst der von Jeanne d’Arc entfachte nationale Widerstand führte zur Rückeroberung der verlorenen Gebiete (mit Ausnahme von Calais) bis 1453. Zusätzlich zum Hundertjährigen Krieg raffte die Pest von 1348 etwa ein Drittel der Bevölkerung dahin. Frühe Neuzeit Mit der Eingliederung Burgunds und der Bretagne in den französischen Staat befand sich das Königtum auf einem vorläufigen Höhepunkt seiner Macht, wurde jedoch während der Renaissance in dieser Position durch Habsburg bedroht – der habsburgische Kaiser Karl V. beherrschte ein Reich, dessen Länder sich rund um Frankreich gruppierten. Ab der Reformation im frühen 16. Jahrhundert breitete sich, vor allem durch das Wirken von Johannes Calvin, der Protestantismus nach Frankreich aus. Die französischen Calvinisten, genannt Hugenotten, wurden in ihrer Glaubensausübung stark unterdrückt. Die Hugenottenkriege führten zu bis zu 4 Millionen Toten. Als Höhepunkt gilt die Bartholomäusnacht im Jahre 1572. Erst der erste Herrscher aus dem Haus Bourbon, Heinrich von Navarra, gewährte den Hugenotten im Edikt von Nantes 1598 Religionsfreiheit. Die Zeit der Renaissance war auch von einer stärkeren Zentralisierung geprägt, der König wurde von der Kirche und dem Adel unabhängig. Es gelang den leitenden Ministern und Kardinälen Richelieu und Jules Mazarin, einen absolutistischen Staat zu errichten. Auf Betreiben Richelieus griff 1635 Frankreich aktiv in den Dreißigjährigen Krieg in Mitteleuropa ein; im Zusammenhang damit kam es zum Krieg gegen Spanien. Im Westfälischen Frieden von 1648 erhielt Frankreich Gebiete im Elsass zugesprochen; das Heilige Römische Reich und Spanien wurden geschwächt. Es begann das Zeitalter der französischen Dominanz in Europa. Alle Herrscher Europas orientierten sich am Vorbild der französischen Kultur. Das Französische wurde zur dominierenden Bildungssprache. Die teuren Kriege und die Adelsopposition führten jedoch zum Staatsbankrott und zum Aufstand (Fronde). Mit dem Edikt von Fontainebleau 1685 hob Ludwig XIV. die Religionsfreiheit der Hugenotten wieder auf. Trotz schwerer Strafandrohungen flohen abermals zirka 200.000 Hugenotten. Mehr als 400.000 hintergebliebenen Protestanten konvertierten zum Katholizismus und weniger als 200.000 verblieben beim reformierten Glauben, zumeist im Languedoc (überwiegend in den Cevennen). Unter Ludwig XIV., dem sogenannten Sonnenkönig, der 1643 als Vierjähriger inthronisiert wurde und bis 1715 herrschte, erreichte der Absolutismus seinen Höhepunkt. In dieser Zeit wurde das Schloss Versailles errichtet. Zeitalter der Revolutionen Die Kriege, die die absolutistischen Könige führten (etwa Devolutionskrieg, Holländischer Krieg, Pfälzischer Erbfolgekrieg, Spanischer Erbfolgekrieg, Siebenjähriger Krieg, Teilnahme am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg), ihre teure Hofhaltung und Missernten lösten eine große Finanzkrise aus, die König Ludwig XVI. dazu zwang, die Generalstände einzuberufen. Die Nationalversammlung arbeitete eine Verfassung aus, beschränkte die Macht des Königs und beendete das Ancien Régime. Die sich weiter verschlechternden Lebensbedingungen des Volkes führten 1789 zur Französischen Revolution mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte als zentraler Errungenschaft. Die Kirche wurde enteignet und sogar ein neuer Kalender eingeführt. Die 1791 verabschiedete Verfassung machte Frankreich zu einer konstitutionellen Monarchie. Nach der versuchten Flucht des Königs wurde dieser verhaftet und 1793 hingerichtet, die Erste Republik wurde verkündet. Die erste Erfahrung mit republikanischer Herrschaft, die auf dem Gleichheitsprinzip beruhte, endete jedoch im Chaos und der Terrorherrschaft unter Robespierre. Napoleon Bonaparte ergriff in dieser Situation 1799 mit einem Staatsstreich die Macht als Erster Konsul; 1804 krönte er sich selbst zum Kaiser. In den folgenden Koalitionskriegen brachte er fast ganz Europa unter seine Kontrolle. Sein Russlandfeldzug 1812 wurde jedoch ein Fehlschlag, die Völkerschlacht bei Leipzig 1813 besiegelte die Niederlage der französischen Truppen. Während des Exils in Elba regierte mit Ludwig XVIII. wieder ein Bourbone, Napoleon kam 1815 zurück und regierte weitere hundert Tage. Nach der Niederlage in der Schlacht bei Waterloo wurde er endgültig verbannt. Die Restauration brachte wieder die Bourbonen auf den Thron, die darangingen, das verlorene Kolonialreich wieder aufzubauen. In Frankreich fand gleichzeitig die Industrielle Revolution statt, wobei sich langsam eine Arbeiterklasse herausbildete. Die Julirevolution von 1830 stürzte den despotisch regierenden Karl X., der durch den Bürgerkönig Louis-Philippe I. ersetzt wurde. Eine erneute bürgerliche Revolution brachte Frankreich 1848 die Zweite Republik. Zum Präsidenten der Zweiten Republik wurde Louis Napoléon Bonaparte gewählt, der sich bereits 1852 als Napoleon III. zum Kaiser krönen ließ. Unter seiner Herrschaft wurde Opposition gewaltsam unterdrückt, außenpolitisch gelangen jedoch Unternehmen wie der Erwerb von Nizza und Savoyen, die Eingliederung von Äquatorialafrika und Indochina ins Kolonialreich und der Bau des Sueskanals. Seine Herrschaft fällt zusammen mit der Nationalstaatsbildung in Deutschland unter Führung des Norddeutschen Bundes. Der Deutsch-Französische Krieg, den Napoleon III. begann, um einen mächtigen Konkurrenten um die Hegemonie in Europa zu verhindern, endete mit einer Niederlage, Wilhelm I. ließ sich im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser proklamieren. Die Pariser Kommune, ein Aufstand, der sich gegen die Kapitulation richtete, wurde mit Gewalt und zahlreichen Todesopfern niedergeschlagen. Imperialismus, Kolonialismus, Erster und Zweiter Weltkrieg Schon unter Karl X. wurde zur Ablenkung von innenpolitischen Schwierigkeiten unter einem Vorwand 1830 Algier besetzt. 1831 wurde zur Absicherung die Fremdenlegion gegründet. Algerien wurde zur Kornkammer Frankreichs. Bis 1906 stieg der Anteil der französischen Siedler, später „Pieds-noirs“ genannt, auf 13 Prozent der Bevölkerung. 1854 wurden an der Küste des Senegal erste französische Stützpunkte errichtet. Bis zum Jahr 1891 kam das gesamte Gebiet des heutigen Senegal unter französische Kontrolle. Die Dritte Republik währte von 1871 bis 1940. In dieser Zeit dehnte sich das französische Kolonialreich auf eine Fläche von 7,7 Millionen Quadratkilometer aus. Die Industrialisierung Frankreichs führte zu einem Wirtschaftsaufschwung: 1878, 1889 und 1900 fanden in Paris Weltausstellungen statt. Zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich kam es zu einem Wettlauf um Afrika. Beide Länder praktizierten Imperialismus. Höhepunkt des „Wettlaufs“ war die Faschoda-Krise 1898 zwischen den beiden Ländern. Das Vereinigte Königreich hatte sich zum Ziel gesetzt, einen Nord-Süd-Gürtel von Kolonien in Afrika zu erobern, vom Kap der Guten Hoffnung bis Kairo („Kap-Kairo-Plan“). Frankreich wollte dagegen einen Ost-West-Gürtel von Dakar bis Dschibuti. Die Ansprüche beider Staaten kollidierten schließlich in dem kleinen sudanesischen Ort Faschoda. Frankreich gab letztlich kampflos nach; die beiden Länder steckten im März 1899 ihre Interessengebiete ab („Sudanvertrag“). Die Dritte Republik erlebte mit dem Panamaskandal (1889–1893), der Faschoda-Krise und der Dreyfus-Affäre (1894–1905) drei große Krisen innerhalb von zehn Jahren. Die Römisch-katholische Kirche in Frankreich praktizierte jahrzehntelang eine antimodernistische Haltung; unter anderem deshalb wurde Frankreich – auch im Zuge der Dreyfus-Affäre – zu einem ausgeprägt laizistischen Staat („Gesetz zur Trennung von Religion und Staat“ im „Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat“ vom Dezember 1905). 1904 schloss Frankreich mit dem Vereinigten Königreich die „Entente cordiale“ und trat 1914 in den Ersten Weltkrieg ein mit dem Ziel, Elsass-Lothringen zurückzugewinnen und Deutschland entscheidend zu schwächen. Nach dem Krieg war Frankreich zwar auf der Siegerseite, Nordfrankreich war jedoch weitgehend verwüstet. Zu den 1,5 Millionen gefallenen Soldaten kamen 166.000 Opfer der Spanischen Grippe 1918/19. Die Zwischenkriegszeit war in Frankreich vor allem von politischer Instabilität gekennzeichnet. Im Friedensvertrag von Versailles wurde Deutschland 1919 verpflichtet, hohe Reparationen an die Siegermächte zu leisten. Vor allem der französische Ministerpräsident und Außenminister Poincaré bestand auf einer kompromisslosen und pünktlichen Erfüllung der Leistungen. Französisches Militär nahm Verzögerungen der Lieferungen mehrfach zum Anlass, in unbesetztes Gebiet einzurücken. Beispielsweise besetzten am 8. März 1921 französische und belgische Truppen die Städte Duisburg und Düsseldorf in der Entmilitarisierten Zone. In der Folge wurde vorübergehend sogar das Ruhrgebiet besetzt. Die ab 1934 regierende „Volksfront“ war vor allem auf den Erhalt des Status quo aus, sodass Frankreich schlecht auf den Zweiten Weltkrieg vorbereitet war: In ihrem Westfeldzug umgingen die deutschen Truppen die Maginot-Linie und marschierten in ein unverteidigtes Paris ein. Marschall Pétain musste am 22. Juni 1940 den „zweiten Waffenstillstand von Compiègne“ (in Frankreich: Armistice de Rethondes) unterzeichnen. Frankreich wurde in eine zone occupée und eine zone libre geteilt, wobei in Letzterer das von Deutschland abhängige konservativ-autoritäre Vichy-Regime regierte. Bereits kurz nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands bildeten sich Gruppen der Résistance, in London gründete Charles de Gaulle die Exilregierung Forces françaises libres. In der von den Alliierten durchgeführten Operation Overlord wurde Nordfrankreich 1944 zurückerobert. Einen Monat nach der Befreiung von Paris im August 1944 bildete de Gaulle eine provisorische Regierung. Diese beschloss unter anderem im Oktober 1944 das Frauenwahlrecht, das den Französinnen bis dahin verwehrt geblieben war. Zur Anwendung kam es das erste Mal bei den Kommunalwahlen am 29. April 1945 und auf nationaler Ebene bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 21. Oktober 1945. Nachkriegszeit und europäische Einigung Die Verfassung der Vierten Republik war bereits am 13. Oktober 1946 durch einen Volksentscheid beschlossen worden. Frankreich, das sich auf Seiten der Siegermächte wiederfand, wurde zum Gründungsmitglied der Vereinten Nationen und erhielt im Sicherheitsrat ein Veto-Recht. Frankreich erhielt zur Förderung des Wiederaufbaus unter anderem Unterstützungsleistungen aus dem Marshallplan; unter Ökonomen ist umstritten, ob diese volkswirtschaftlich nennenswerte Wirkungen hatten. Der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende lange wirtschaftliche Nachkriegsboom wurde als Trente Glorieuses bezeichnet. 1949 war Frankreich Gründungsmitglied der NATO; 1951 wurde mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl der erste Schritt zur Europäischen Integration gesetzt. Im März 1957 wurden die Römischen Verträge unterzeichnet; zum 1. Januar 1958 wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet, aus der mittlerweile die Europäische Union geworden ist und in der Frankreich ein aktives und bedeutendes Mitglied ist. Die Nachkriegszeit war auch durch den Zerfall des Kolonialreiches geprägt. Der erste Indochinakrieg (1946–1954) endete mit der Schlacht um Điện Biên Phủ und dem Verlust aller französischen Kolonien in Südostasien. Einen noch tieferen Schnitt bedeutete der Algerienkrieg (1954–1962), der mit großer Härte geführt wurde und an dessen Ende Algerien in die Unabhängigkeit entlassen werden musste. Hunderttausende Pied-noirs flohen nach Frankreich, wo ihre Integration in die französische Gesellschaft nicht immer reibungslos verlief (siehe auch Dekolonisation Afrikas). Innenpolitisch wurde die instabile Vierte Republik im Oktober 1958 durch die Fünfte Republik abgelöst, die einen starken, von der Legislative weitgehend unabhängigen Präsidenten vorsieht. Diese Fünfte Republik wurde durch Studentenproteste und einen Generalstreik im Mai 1968 im Rahmen der weltweiten 68er-Bewegung erschüttert, was langfristig kulturelle, politische und ökonomische Reformen nach sich zog. Um 1971, also schon vor der Ölpreiskrise von 1973, beschloss Frankreich, sich durch Nutzung der Kernenergie vom Erdöl unabhängiger zu machen (siehe Kernenergie in Frankreich). Eine weitere Zäsur war 1981 die Regierungsübernahme durch die Sozialistische Partei und die Präsidentschaft von François Mitterrand, die bis Mai 1995 andauerte. Während ihr wurden unter anderem Verstaatlichungen vorangetrieben, die Todesstrafe abgeschafft, die 39-Stunden-Woche und andere soziale Reformen eingeführt; 1992 wurde der Vertrag von Maastricht zur europäischen Integration ratifiziert. Mitterrands Nachfolger Jacques Chirac setzte die Einführung des Euro um und verweigerte 2002/2003 die Teilnahme am Irakkrieg. Dem ab 2007 amtierenden Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy (UMP) folgten 2012 François Hollande (Parti socialiste) und 2017 Emmanuel Macron, der unter Hollande Minister gewesen war, die Regierung aber 2016 verlassen und seine eigene Partei En Marche gegründet hatte. Im Rahmen der Eurokrise werden seit etwa 2010 Frankreichs Netto-Neuverschuldung, Staatsquote, Reformfähigkeit und anderes kritisch diskutiert. 2015 war Paris von mehreren islamistischen Terroranschlägen betroffen: Am 7. Januar kamen bei einem Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo zwölf Menschen ums Leben. Am 9. Januar wurden bei der Geiselnahme an der Porte de Vincennes in einem koscheren Supermarkt vier Menschen ermordet. Am Abend des 13. November verübten Terroristen an sechs verschiedenen Orten in der Stadt Anschläge, bei denen 130 Menschen starben. Zu diesen Anschlägen bekannte sich die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Am Folgetag wurde der Ausnahmezustand verhängt. Nach sechsmaliger Verlängerung wurde der Ausnahmezustand zum 1. November 2017 offiziell beendet. An seine Stelle trat ein neues Anti-Terror-Gesetz, das den Sicherheitskräften mehr Befugnisse verleiht; insbesondere kann seither ohne Richterbeschluss die Bewegungsfreiheit von Gefährdern drastisch eingeschränkt werden. Politik Seit der Annahme einer neuen Verfassung am 5. Oktober 1958 wird in Frankreich von der Fünften Republik gesprochen. Diese Verfassung macht Frankreich zu einer zentralistisch organisierten Demokratie mit einem semipräsidentiellen Regierungssystem. Gegenüber früheren Verfassungen wurde die Rolle der Exekutive und vor allem jene des Präsidenten weitgehend gestärkt. Dies war die Reaktion auf die politische Instabilität in der Vierten Republik. Sowohl Präsident als auch Premierminister spielen eine aktive Rolle im politischen Leben, wobei der Präsident nur dem Volk gegenüber verantwortlich ist. Die Macht des Parlaments wurde in der Fünften Republik eingeschränkt. Seit den 1980er-Jahren wurde die Verfassung modernisiert, vor allem durch die Dezentralisierung. Die Verfassung enthält keinen Grundrechtekatalog, sondern verweist auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und die in der Verfassung der Vierten Französischen Republik von 1946 festgehaltenen sozialen Grundrechte. Absolventen der 1946 gegründeten Elitehochschule ENA konnten sich in politischen Ämtern, in Schlüsselpositionen der Verwaltung und im Management großer französischer Unternehmen durchsetzen. Exekutive Laut Verfassung ist der direkt vom Volk gewählte Staatspräsident das höchste Staatsorgan. Er steht über allen anderen Institutionen. Er wacht über die Einhaltung der Verfassung, sichert das Funktionieren der öffentlichen Gewalten, die Kontinuität des Staates, die Unabhängigkeit, die Unverletzlichkeit des Staatsgebietes und die Einhaltung von mit anderen Staaten geschlossenen Abkommen. Er tritt als Schiedsrichter bei Streitigkeiten zwischen staatlichen Institutionen auf. Er verkündet Gesetze (Art. 10) und hat das Recht, sie dem Verfassungsrat zur Prüfung vorzulegen. Er darf Gesetze oder Teile davon an das Parlament zur Neuberatung zurückweisen, hat aber kein Vetorecht. Dekrete und Verordnungen werden vom Ministerrat, dessen Vorsitz der Präsident führt, beschlossen; gegenüber diesen hat der Präsident ein aufschiebendes Veto. Bei der Außen- und Sicherheitspolitik verfügt der Staatspräsident sowohl über die Richtlinien- als auch über die Ratifikationskompetenz, sodass er sowohl die Außenpolitik gestaltet als auch völkerrechtliche Vereinbarungen für Frankreich verbindlich eingeht. Diese Praxis schälte sich in der Regierungszeit de Gaulles heraus und ist nicht zwingend der Verfassung zu entnehmen. Auf Antrag der Regierung oder des Parlamentes darf der Präsident Volksabstimmungen initiieren. Er ernennt Mitglieder wichtiger Gremien, etwa drei der neun Mitglieder des Verfassungsrates, alle Mitglieder des Obersten Rates für den Richterstand sowie die Staatsanwälte. Der Staatspräsident ist keiner Kontrolle durch die Judikative unterworfen, dem Parlament gegenüber ist er nur bei Hochverrat verantwortlich. Außerdem befiehlt der Staatspräsident über die Streitkräfte und den Einsatz der Atomwaffen; im Falle der Ausrufung des Notstandes hat der Präsident fast unbeschränkte Autorität. Dem Präsidenten steht das Präsidialamt als Berater und Unterstützer zur Seite. Der Präsident leitet die ihm verliehene staatliche Autorität an den Premierminister und die Regierung weiter, wobei die Regierung die vom Präsidenten vorgegebenen Richtlinien umzusetzen hat. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Präsidenten und Premierminister, die in einer Cohabitation schwierig sein kann, also wenn Präsident und Premierminister aus zwei entgegengesetzten politischen Lagern kommen. Der Präsident ernennt formell ohne jegliche Einschränkungen einen Premierminister und, auf Vorschlag des Premierministers, die Regierungsmitglieder. Die Regierung hängt in der Folge vom Vertrauen des Parlamentes ab, der Präsident kann eine einmal ernannte Regierung formal nicht entlassen. Die Regierung besteht aus Ministern, Staatsministern, ministres délegués, also Ministern mit speziellen Aufgaben, und Staatssekretären. Regierungsmitglieder dürfen in Frankreich kein anderes staatliches Amt, keine sonstige Berufstätigkeit oder Parlamentsmandat ausüben. Sie sind in ihrer Funktion dem Parlament verantwortlich. Legislative Das Parlament der V. Republik besteht aus zwei Kammern. Die Nationalversammlung (Assemblée nationale) hat 577 Abgeordnete, die direkt auf fünf Jahre gewählt werden. Der Senat hat 348 Mitglieder (seit 2011, Stand 2015). Diese werden indirekt für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Die Wahl des Senats wird auf Ebene der Départements durchgeführt, wobei das Wahlkollegium aus den Abgeordneten des Départements, den Generalräten und Gemeindevertretern besteht. Die Wahlen zur Nationalversammlung 1967, 1973, 1978, 1986, 2002, 2007, 2012 und 2017 fanden turnusgemäß statt, die übrigen waren vorgezogene Wahlen. Die Initiative für Gesetze kann vom Premierminister oder einer der beiden Parlamentskammern ausgehen. Nach der Debatte in den Kammern muss der Gesetzestext von beiden Kammern gleichlautend verabschiedet werden, wobei das Weiterreichen des Textes als navette bezeichnet wird. Nach der Annahme durch das Parlament hat der Präsident nur einmal das Recht, einen Gesetzestext zurückzuweisen. Das Parlament hat zudem die Aufgabe, die Arbeit der Regierung durch Anfragen und Aussprachen zu kontrollieren. Die Nationalversammlung hat die Möglichkeit, die Regierung zu stürzen. Das Parlament hat nicht die Befugnis, den Staatspräsidenten politisch herauszufordern. Der Staatspräsident darf jedoch die Nationalversammlung auflösen; von diesem Recht wurde in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht, um schwierige Phasen der Cohabitation zu beenden. Eine häufige Erscheinung ist Ämterhäufung: Viele Senatoren und Abgeordnete sind zugleich als Bürgermeister in der Kommunalpolitik aktiv. Dies sollte ab 2017 nicht mehr legal sein. Recht Nach einer wechselvollen Geschichte des Rechts in Frankreich übernimmt heute, in der Fünften Republik, der Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) die Kontrollfunktion innerhalb des politischen Systems. In einem nicht erneuerbaren Mandat ernennen der Staatspräsident und die Präsidenten der Nationalversammlung und des Senats jeweils drei Abgeordnete für eine Amtszeit von neun Jahren. Der Rat überprüft Gesetze auf Anfrage, überwacht die Gesetzesmäßigkeit von Wahlen und Referenden. Für eine Überprüfung von Gesetzen sind jeweils 60 Abgeordnete der Nationalversammlung (10,4 Prozent der Abgeordneten) oder des Senats (18,1 Prozent der Senatoren) nötig. Die Todesstrafe wurde in Frankreich 1981 abgeschafft. Politische Indizes Staatshaushalt 1974 hatte der Staatshaushalt zum letzten Mal keine Neuverschuldung; er war ausgeglichen. 2016 umfasste er Ausgaben von 1369 Milliarden US-Dollar, dem standen Einnahmen von 1288 Milliarden US-Dollar gegenüber. Das Haushaltsdefizit betrug also 81 Milliarden US-Dollar beziehungsweise 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Staatsverschuldung betrug 2010 1591 Milliarden Euro oder 82,3 Prozent des BIP. Damit lagen Neuverschuldung und die Staatsschuldenquote in Frankreich weit über der in den EU-Konvergenzkriterien („Maastricht-Kriterien“) genannten Obergrenzen von 3 Prozent pro Jahr bzw. 60 Prozent ( AEU-Vertrag). Im Jahr 2021 betrug die Neuverschuldung 5,2 Prozent des BIP. Die Staatsverschuldung betrug in diesem Jahr 1.717,3 Milliarden Euro. Ende 2012 stieg der Schuldenstand auf rund 89 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der größte Posten im Budget 2012 waren die Zinszahlungen: insgesamt rund 48,8 Milliarden Euro. Das Schatzamt (siehe auch Agence France Trésor) hat die Ermächtigung, Staatsanleihen im Wert von 179 Milliarden Euro auszugeben, um die Schuldenlast zu finanzieren. Im Rahmen der Eurokrise wurde Frankreich ab 2012 von den Kreditbewertungsagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Ratings teils mehrfach herabgestuft; Präsident Sarkozy hatte angekündigt, in den kommenden fünf Jahren rund 65 Milliarden Euro im Haushalt einzusparen, falls er bei den Französischen Präsidentschaftswahl 2012 wiedergewählt worden wäre. Unter Präsident François Hollande stiegen die Staatsschulden weiter an. Anfang 2015 gab die Europäische Kommission bekannt, dass sie auch 2015 und 2016 Haushaltsdefizite oberhalb der im Vertrag von Maastricht vorgesehenen Obergrenze von 3 % dulden würde. 2015 hatte Frankreich ein Defizit von 3,5 Prozent des BIP; nur vier der 28 EU-Länder hatten höhere Quoten. Frankreich wird auch 2016 und 2017 die Defizitobergrenze nicht erfüllen. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie stieg die Staatsverschuldung 2020 auf über 100 Prozent des BIP. Anteil der Staatsausgaben (in Prozent des Bruttoinlandsprodukt): für das Gesundheitssystem: 12,2 Prozent (2020) für das Bildungssystem: 5,5 Prozent (2020) für Militär: 2,0 Prozent (2020) Politische Parteien Die französische Parteienlandschaft zeichnet sich durch einen hohen Grad der Zersplitterung und hohe Dynamik aus. Neue Parteien entstehen und existierende Parteien ändern häufig ihre Namen. Die Namen der Parteien geben nur sehr bedingt über ihre ideologische Ausrichtung Aufschluss, denn es ist zu einer gewissen Begriffsentfremdung gekommen. Französische Parteien haben in der Regel relativ wenige Mitglieder und eine schwache Organisationsstruktur, die sich häufig auf Paris als den Ort, wo die meisten Entscheidungen getroffen werden, konzentriert. Die politische Linke in Frankreich wurde seit der Nachkriegszeit vom Dualismus zwischen gemäßigten und radikalen Kräften geprägt. Bis weit in die 70er Jahre hinein war die Französische Kommunistische Partei die bestimmende Kraft im linken Lager, auch auf kommunaler und intellektueller Ebene. Durch die Geheimrede Chruschtschows und die Enthüllungen Solschenizyns über den Gulag verlor ihre enge Anbindung an die UdSSR an Legitimation, was zum Aufstieg der 1969 gegründeten Parti Socialiste (PS) führte. Diese stellte mit François Mitterrand von 1981 bis 1995 und François Hollande von 2012 bis 2017 zwei Mal den Staatspräsidenten und mehrere Premierminister. Seit der Präsidentschaftswahl 2017 hat sich das Gewicht erneut verschoben und die linkspopulistische Partei La France insoumise dominiert inzwischen das – insgesamt geschrumpfte – linke Lager. Die grüne Partei in Frankreich heißt Europe Écologie-Les Verts, wobei grüne Politik in Frankreich tendenziell weniger Zulauf genießt als in den deutschsprachigen Staaten. Das konservative Lager wird dominiert von der gaullistischen Partei, die seit dem Beginn der Fünften Republik mehrmals ihren Namen geändert hat und seit 2015 Les Républicains heißt. Neben Charles de Gaulle stellte sie in der Fünften Republik die Staatspräsidenten Georges Pompidou, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy. Sie teilt sich die Besetzung des bürgerlichen Lagers mit verschiedenen zentristisch ausgerichteten Parteien, darunter dem Parteienbündnis Union des démocrates et indépendants (UDI) und der Partei Mouvement démocrate (MoDem). Deutlich weiter rechts von der politischen Mitte angesiedelt ist der Front National. Seit er 2011 von Marine Le Pen graduell neu ausgerichtet wurde, hat er sich zu einem starken dritten Lager entwickelt, was in der Teilnahme Le Pens an der Stichwahl zum Amt des Präsidenten 2017 gipfelte. Bei den Parlamentswahlen 2022 konnte die inzwischen in Rassemblement national umbenannte Partei zum ersten Mal (mit Ausnahme der Wahl nach Verhältniswahlrecht von 1986) signifikant Abgeordnete in die Nationalversammlung entsenden und dort eine Fraktion bilden. 2016 gründete Emmanuel Macron für seine Präsidentschaftskampagne die politische Bewegung En Marche! und betonte, die Teilnahme sei mit der Mitgliedschaft in anderen Parteien vereinbar. Der Charakter einer offenen Bewegung ging jedoch bald verloren, inzwischen ist sie eine Partei wie andere. Im Jahr 2022 erfolgte die Umbenennung in Renaissance. Die Partei positioniert sich zentristisch. Innenpolitik Außen- und Sicherheitspolitik Frankreich ist eine Atommacht sowie Vetomacht im UN-Sicherheitsrat und betreibt eine aktive Außenpolitik. Mit Botschaften in 160 Ländern hatte Frankreich 2017 die dritthöchste Anzahl an ausländischen Botschaften hinter den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China. Nach dem Zweiten Weltkrieg gaben Deutschland und Frankreich die seit 1870/71 währende Erbfeindschaft auf; unter anderem vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Zwischen den beiden Ländern entstanden enge Beziehungen. Beide Länder waren Gründungsmitglieder der Europäischen Union. Zeitweise wurde ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ diskutiert mit Deutschland, Frankreich und einigen weiteren Staaten in einem Kerneuropa. Generell folgen Frankreichs Grundinteressen in der Europäischen Union jedoch dem intergouvernementalen Ansatz, welcher zunächst keine Übertragung weiterer Kompetenzen auf die EU-Ebene vorsieht. Zentrales Ziel der französischen Europapolitik ist, die Führungsrolle Frankreichs in Europa zu festigen. Aufgeweicht wird diese Position jedoch teilweise durch neue pragmatische Ansätze. Besonders in der Klima- und Energie-, der Wirtschafts- und Finanz- sowie der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Frankreich vermehrt Vorreiter europäischer Positionen. Der grundsätzliche Fokus auf nationalen Interessen bleibt allerdings erhalten. In der Eurokrise setzten sich Frankreich und Deutschland weitgehend für gemeinsame Positionen ein. Dies spiegelt sich in häufigen bilateralen Gesprächen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und François Hollande, auch im Vorfeld offizieller Gipfeltreffen, wider. Ein wichtiges Anliegen Frankreichs auf EU-Ebene ist (Stand 2008) der Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Frankreich ist zudem ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat mit Vetorecht. Über die Vereinten Nationen koordiniert es seine internationale Entwicklungszusammenarbeit und sein humanitäres Engagement. Frankreich war 1949 Gründungsmitglied des Nordatlantikvertrages (NATO) und erhielt militärischen Schutz durch die Vereinigten Staaten. Mit der Machtübernahme von de Gaulle 1958 änderten sich die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und zu der von den USA dominierten NATO dahingehend, dass Frankreich 1966 seine militärische Integration in die Strukturen der NATO aufgab und ausschließlich politisch integriert blieb. Im März 2009 kündigte Präsident Sarkozy die vollständige Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO an. Das französische Parlament bestätigte am 17. März 2009 diesen Schritt, indem es Sarkozy das Vertrauen aussprach. Unter de Gaulles Führung entwickelte sich Frankreich 1960 zu einer Atommacht und verfügte ab 1965 mit der Force de dissuasion nucléaire française über Atomstreitkräfte, die zunächst 50 mit Kernwaffen (Atombomben) ausgestattete Flugzeuge in Dienst stellte. 1968 hatte Frankreich bereits 18 Abschussrampen für Mittelstreckenraketen aufgestellt, die 1970 und 1971 mit Atomsprengköpfen ausgestattet wurden. In den 1970er-Jahren erweiterte Frankreich seine Atommacht auch auf See. Vier Atom-U-Boote tragen je 16 atomar bestückte Mittelstreckenraketen. Eine weitere Säule der französischen Außenpolitik ist die internationale Kooperation auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik und der Entwicklungszusammenarbeit bei ständiger Wahrung der französischen Souveränität. Dazu ist Frankreich Mitglied in zahlreichen sicherheitspolitischen Organisationen wie der OSZE und nimmt am Eurokorps teil. Frankreich hat bisher (Stand 2020) nicht verlautbaren lassen, auf das Potenzial seiner Atomwaffen verzichten zu wollen. Ebenfalls von großer Bedeutung für die französischen Außenbeziehungen ist die französische Kulturpolitik und die Förderung der Frankophonie. International hat die französische Sprache mit ungefähr 140 Millionen Sprechern einen hohen Stellenwert. Dies unterstützt das französische Außenministerium mit einer Unterabteilung namens AEFE, deren etwa 280 Schulen in ungefähr 130 Ländern von rund 16.000 Jugendlichen besucht werden. Die Leistungen der knapp 1000 Lokalitäten der Agence française nehmen ungefähr 200.000 Studenten in aller Welt in Anspruch. Hinzu kommt ein Engagement auch nach Ende der Kolonialherrschaft in Afrika, wo Frankreich bis heute in einigen Ländern die bestimmende Ordnungsmacht geblieben ist. In den Jahren 2020 und 2021 waren je rund 17.500 bis 18.500 Soldaten im Ausland und in Übersee-Departements stationiert. Militär Frankreich hat einen der höchsten Rüstungsetats der Welt und gehört zu den führenden Militärmächten sowie zum Kreis der offiziellen Atomwaffenstaaten. Die französischen Streitkräfte sind seit Ende der 1990er-Jahre eine Berufsarmee und umfassen 350.000 Männer und Frauen. Frankreich gab 2017 knapp 2,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung oder 57,8 Milliarden US-Dollar für seine Streitkräfte aus und lag damit weltweit auf dem sechsten Platz. International liegen die französischen Streitkräfte auf dem siebten Platz der schlagkräftigsten Streitkräfte, in der NATO sind sie das zweitstärkste Militär. 20.000 Soldaten sind in den Übersee-Départements und -territorien stationiert, weitere 8.000 in afrikanischen Staaten, mit denen Verteidigungsabkommen vereinbart wurden. Die Streitkräfte teilen sich dabei in die drei klassischen Sektoren Heer (Armée de terre), Luftwaffe (Armée de l’air) und Marine (Marine nationale). Frankreichs Nuklearstreitkräfte (Force de dissuasion nucléaire) mit ca. 350 Sprengköpfen stellen die Marine und zum kleineren Teil die Luftwaffe. Weiterhin ist die Polizeitruppe Gendarmerie nationale dem Verteidigungsministerium unterstellt. Militärisches und populärkulturelles Aushängeschild des französischen Militärs ist die Fremdenlegion (Légion étrangère). Administrative Gliederung Frankreich gilt spätestens seit Ludwig XIII. und Kardinal Richelieu als Inbegriff des zentralisierten Staates. Zwar wurden später Maßnahmen zur Dezentralisierung ergriffen, diese hatten jedoch eher den Zweck, die Zentralgewalt näher zum Bürger zu bringen. Erst seit der Verwaltungsreform der Jahre 1982 und 1983 wurden Kompetenzen von der Zentralregierung auf die Gebietskörperschaften verlagert. Auf oberster Ebene ist Frankreich seit dem 1. Januar 2016 in 18 Regionen (régions) gegliedert, zuvor waren es 27. Regionen gibt es erst seit 1964, seit 1982/83 haben sie den Status einer Collectivité territoriale (Gebietskörperschaft). Jede Region verfügt über einen vom Volk gewählten Regionalrat (Conseil régional), der wiederum einen Präsidenten wählt. Weiterhin ist der vom französischen Staatspräsidenten ernannte Präfekt des Hauptortes auch Präfekt der gesamten Region, womit er über den anderen Präfekten der Départements steht. Regionen sind zuständig für die Wirtschaft, die Infrastruktur der Berufs- und Gymnasialausbildung und finanzieren sich über Steuern, die sie erheben dürfen, und über Transferzahlungen der Zentralregierung. Korsika hat unter den Regionen einen Sonderstatus und wird als Collectivité territoriale bezeichnet. Fünf Regionen (Französisch-Guayana, Guadeloupe, Martinique, Mayotte und Réunion) befinden sich in Übersee und hatten bis zur Verfassungsänderung 2003 den Status eines Übersee-Départements. Die Regionen bilden die europäische Statistikebene NUTS-2 (auf der übergeordneten Ebene NUTS-1 bestehen 8+1 Zones d’études et d’aménagement du territoire (ZEAT, Raumplanungs- und -ordnungszonen)). Eine Region ist ihrerseits in Départements unterteilt. Départements ersetzten 1790 die traditionellen Provinzen, um den Einfluss der lokalen Machthaber zu brechen. Von den heute 103 Départements liegen 95 in Europa. Die hohe Zahl dieser relativ kleinen Verwaltungseinheiten ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Départements wählen einen Départementrat (Conseil départemental), der einen Präsidenten als Exekutivorgan wählt. Erster Mann im Département ist jedoch der vom französischen Staatspräsidenten ernannte Präfekt. Départements haben die Aufgabe, sich um das Sozial- und Gesundheitswesen, die Collèges, Kultur- und Sporteinrichtungen, Departementsstraßen und den Sozialbau zu kümmern. Sie dürfen Steuern erheben und erhalten Transferzahlungen der Zentralregierung. Die Départements bilden die europäische Statistikebene NUTS-3. Die 335 Arrondissements, davon 13 in Übersee, stellen keine eigene Rechtspersönlichkeit dar. Sie dienen vorrangig der Entlastung der Départementsverwaltung, in jedem Arrondissement liegt eine Sous-Préfecture. Ebenso dienen die 2054 Kantone (Cantons), 72 in Übersee, (Zahlen ab 2014) nur noch als Wahlbezirk für die Wahl der Départementräte. Die Arrondissements der Städte Paris, Lyon und Marseille haben den Status von Kantonen. Die kleinste und gleichzeitig älteste organisatorische Einheit des französischen Staates sind die Gemeinden (communes). Sie folgten 1789 den Pfarreien und Städten nach. In den letzten Jahren hat die enorm hohe Zahl der Kommunen leicht abgenommen. Waren es 2012 noch 36.700 Gemeinden, so ist die Zahl zu Beginn des Jahres 2017 auf 35.498 und zum 1. Januar 2022 auf 34.955 zurückgegangen, davon 129 in Übersee. Trotz der hohen Zahl der Gemeinden, die größtenteils nur sehr wenige Einwohner haben, kommen Bemühungen um eine Gemeindereform nur sehr schleppend voran. Jede Gemeinde wählt einen Gemeinderat (Conseil municipal), der dann aus seiner Mitte einen Bürgermeister wählt. Seit 1982 haben die Gemeinden deutlich mehr Rechte und werden vom Staat weniger bevormundet. Auf Gemeindeebene werden Grundschulbildung, Stadtplanung, Abfallbeseitigung, Abwasserreinigung und Kulturaktivitäten organisiert; auch sie finanzieren sich über eigene Steuern und Transferzahlungen. Die hohe Anzahl von z. T. sehr kleinen Gemeinde erschwerte die Verwaltung, daher hat man sich bemüht, die Anzahl durch Zusammenlegung zu reduzieren. Ein erster Versuch war 1971 die Commune Associée (Assoziierte Gemeinde), die beiden Gemeinden behielten ihre Identität, die Gemeinderäte tagten zusammen, der Bürgermeister des kleineren wurde stellvertretender Bürgermeister. Dies fand nur wenig Anklang. 1999 hat man mit der communauté de communes (Verbandsgemeinde) eine neue Ebene zwischen dem Departement und der Gemeinde geschaffen. In der Communauté de Communes sind die umliegenden Gemeinden vertreten und verwalten gemeinsam die Angelegenheiten, die sie zusammen betreffen, hauptsächlich Straßen, Wasser Ver- und Entsorgung u. ä. Außerdem kann die Communauté de Communes ihre Anliegen besser beim Staat vertreten. Diese Konstruktion ist ein Erfolg, 2022 gab es 1254 Communautée de Communes, in denen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung leben. Verwaltungsrechtliche Sonderstatus gelten für die Überseegebiete (Collectivités d’outre-mer, COM) Französisch-Polynesien, Saint-Barthélemy, Saint-Martin, Saint-Pierre und Miquelon, Wallis und Futuna, die Gebietskörperschaft mit Sonderstatus (Collectivité sui generis) Neukaledonien und die Französischen Süd- und Antarktisgebiete (Terres australes et antarctiques françaises, TAAF) sowie die Clipperton-Insel. Frankreich sowie seine Überseeregionen und -départements und Saint-Martin sind Teil der Europäischen Union. Die restlichen Überseegebiete sind keine Mitglieder der Europäischen Union. In Frankreich erlassene Gesetze gelten in den COM (Collectivités d’outre-mer) nur, wenn dies ausdrücklich erwähnt ist. Wirtschaft Traditionell betreiben staatliche Akteure in Frankreich eine intensive Wirtschaftspolitik und Industriepolitik; es gibt vergleichsweise starke staatliche Eingriffe. Die Ideen des Merkantilismus – speziell des Colbertismus – wirken in Frankreich bis heute nach. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Typus des „gemischten Unternehmens“ geschaffen. Mit dieser Partnerschaft von privatem und öffentlichen Kapital sollte der nationalen Industrie das Vordringen in Bereiche ermöglicht werden, in die sich privates Kapital allein nicht heranwagte (Ölindustrie: Compagnie Française des Pétroles (CFP). Chemie). Zuvor war es in Frankreich in ähnlichen Fällen üblich gewesen, dass der Staat einer einzelnen Firma eine exklusive Konzession erteilte. 1946 begann die damalige Regierung Frankreichs ein System der Planification. Der Finanzsektor wurde weitgehend verstaatlicht, der Staat kontrolierte fast 60 % aller Banken und über die Hälfte der Investitionsfinazierung. 1981 kam mit François Mitterrand der erste sozialistische Staatspräsident an die Regierung; er regierte bis Mai 1995 und betrieb zahlreiche Verstaatlichungen. Frankreich ist eine gelenkte Volkswirtschaft. Ein staatlich festgelegter Mindestlohn, der SMIC, sichert den Angestellten einen Brutto-Stundenlohn von 9,67 Euro (Stand 2016). Die französischen Exporte entstammen größtenteils dem Maschinenbau, der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrttechnik, der Pharmaindustrie, der Elektronik, dem Weinbau und der Lebensmittelbranche. Auch der Tourismus und die Luxusgüterindustrie spielen eine große Rolle. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg in den Jahren 1995 bis 2005 um durchschnittlich 2,1 Prozent jährlich und erreichte 2005 den Wert von 1689,4 Milliarden Euro. Im Vergleich mit dem BIP der Europäischen Union, ausgedrückt in Kaufkraftstandards, erreichte Frankreich im Jahr 2014 einen Index von 107 (EU-28: 100). Frankreich war, laut einer Studie der Bank Credit Suisse aus dem Jahre 2017, das Land mit dem sechst-größten nationalen Gesamtvermögen weltweit. Der Gesamtbesitz der Franzosen an Immobilien, Aktien und Bargeld belief sich auf insgesamt 12.969 Milliarden US-Dollar. Das Vermögen pro erwachsene Person beträgt 263.399 Dollar im Durchschnitt und 119.720 Dollar im Median (Deutschland: 203.946 bzw. 47.091 Dollar). Der Gini-Koeffizient bei der Vermögensverteilung lag 2016 bei 72,0 was auf eine mittlere Vermögensungleichheit hindeutet. Die Erwerbstätigenstruktur hat sich gegenüber früher grundlegend gewandelt. So arbeiteten 2003 nur noch vier Prozent der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei, in der Industrie waren es 24 Prozent, im Dienstleistungsbereich 72 Prozent. Frankreich exportierte 2016 16,1 Prozent seines Exportvolumens nach Deutschland, das seinerseits am Import mit 19,6 Prozent beteiligt war. Deutschland ist seit vielen Jahren der wichtigste Handelspartner Frankreichs. Frankreich importierte 2016 Waren im Wert von etwa 517,2 Milliarden Euro und exportierte Waren im Wert von ca. 452,8 Milliarden Euro und hat damit ein Handelsbilanzdefizit. 2001 hatte das Defizit erst 5,8 Mrd. Euro betragen; 2016 betrug es 64,7 Mrd. Euro. Die EU-Kommission veröffentlichte im Februar 2016 einen Bericht, laut dem Frankreich seit der Jahrtausendwende ein Viertel seines Exportmarktanteils verloren hat; seine Wettbewerbsfähigkeit hat nachgelassen. Wirtschaftspolitisch bedeutend ist Frankreichs Teilnehmerschaft an der Europäischen Union. Das Land ist Gründungsmitglied aller EU-Vorgängerinstitutionen seit den 1950er-Jahren. Mit zusammen rund 500 Millionen Einwohnern erwirtschaftete die Europäische Union 2011 ein nominales Bruttoinlandsprodukt von 17,6 Billionen US-Dollar und bildet somit den größten Binnenmarkt der Welt. Frankreich ist auch Teil der Eurozone, einer Währungsunion von insgesamt 20 EU-Staaten, die 2023 etwa 340 Millionen Einwohner umfasst. Offizielles Zahlungsmittel in der Eurozone ist der Euro; seine Währungspolitik wird von der Europäischen Zentralbank gesteuert. Die vorherige Währung war bis 2002 der Französische Franc. Im Global Competitiveness Index, der die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes misst, belegt Frankreich Platz 22 von 137 Ländern (Stand 2017). Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegt das Land im Jahr 2022 Platz 52 von 177 Ländern. Wirtschaftssituation In Frankreich wuchs das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den Jahren 1999 bis 2008 in Frankreich durchschnittlich um 2 Prozent (zum Vergleich: Italien plus 1,2 Prozent, Deutschland plus 1,5 Prozent). Im Krisenjahr 2009 ging es um 2,9 Prozent zurück; 2007 und 2008 war es um jeweils um 2,4 Prozent gewachsen. 2018 wuchs das BIP um 1,9 Prozent und 2019 um 1,8 Prozent (siehe Wirtschaft Frankreichs#Aktuelle wirtschaftliche Lage). Das durchschnittliche Wachstum im Zeitraum 2005 bis 2010 betrug 0,6 Prozent. Die Arbeitslosigkeit betrug im Juli 2014 mit 3,3 Millionen Menschen 10,2 Prozent, ein Allzeithoch seit Aufzeichnungsbeginn 1955. 2014 waren gut 500.000 Menschen mehr arbeitslos als 2004. Im Juni 2018 lag die Arbeitslosigkeit immer noch bei 9,2 Prozent. Im Jahr 2017 betrug die Jugendarbeitslosigkeit 23,6 Prozent. 2016 arbeiteten 2,8 Prozent aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, 20 Prozent in der Industrie und 77,2 Prozent im Dienstleistungssektor. Die Gesamtzahl der Beschäftigten wird für 2017 auf 30,68 Millionen geschätzt; davon sind 47 Prozent Frauen. Die Staatsverschuldung betrug 2021 2,8 Billionen Euro (siehe Wirtschaft Frankreichs#Aktuelle wirtschaftliche Lage). Die Staatsverschuldung stieg von 2008 bis 2014 64 Prozent auf 94 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Seit der Einführung des Euro hat Frankreichs Export ein Drittel seiner Weltmarktanteile verloren. Der Industrieanteil am französischen Bruttoinlandsprodukt ging von 18 Prozent auf 12,6 Prozent zurück. Frankreichs Anteil an den weltweiten Exporten ist von mehr als 6 Prozent im Jahr 2000 auf 4 Prozent 2012 gesunken. In Frankreich ist die Deindustrialisierung weit fortgeschritten: der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt sank von 24 Prozent im Jahr 1980 auf 10 Prozent im Jahr 2021. Der Anteil der Staatsausgaben in Prozent des Bruttoinlandsproduktes betrug 2012 in Frankreich 57 Prozent. Sie gehören damit zu den höchsten in den Industrieländern. 23 Prozent aller Beschäftigten arbeiten in Frankreich für den öffentlichen Dienst. Die französische Automobilindustrie befindet sich (Stand 2013) in einer schwierigen Lage. 2013 wurden mit knapp 1,8 Millionen Fahrzeugen so viele Einheiten verkauft wie 1997. Die Europäische Union unterstützt diesen Wirtschaftszweig massiv. Die Kreditbewertungsagentur Standard & Poor’s stufte Frankreichs Bonität 2012 von AAA auf AA+ zurück und im November 2013 von AA+ auf AA. Der 2017 ins Amt gewählte neue Präsident Emmanuel Macron versprach strukturelle Reformen um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder zu erhöhen. Kennzahlen Unternehmen Liste der 15 größten französischen Unternehmen nach Umsatz (alle Daten beziehen sich auf das Geschäftsjahr 2016). Kreativ- und Kulturwirtschaft In Frankreich hat die Kulturwirtschaft einen erheblich größeren Anteil als in anderen Staaten. Das Gesamtvolumen beträgt 74 Milliarden Euro (Stand 2012), davon werden 61,4 Milliarden direkt erwirtschaftet. Die französische Kulturindustrie ist mit den direkten Erlösen größer als der Automobilwirtschaftszweig oder die Produzenten von Luxusgütern und liegt nur knapp hinter der Telekommunikation. In zentralen Bereichen der Kultur haben große Unternehmen ihren Sitz in Frankreich, so ist die Universal Music Group der größte Musikverlag der Welt, Groupe Lagardère (früher Hachette) stehen an Nummer zwei der Buchverlage und Ubisoft ist der drittgrößte Anbieter von Computerspielen. Frankreich steht auf Platz zwei der Filmproduktionsländer und ist der viertgrößte Kunstmarkt der Erde. Tourismus Der Tourismus spielt in Frankreich eine wichtige wirtschaftliche Rolle. Rund eine Million Menschen arbeiten im Tourismussektor; dort werden rund zehn Prozent des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Das Land galt 2019 mit 90 Millionen ausländischen Besuchern als das bedeutendste Touristenziel der Welt. Paris und sein Umland, die Île-de-France, die Mittelmeerküste (z. B. Côte d’Azur) und die französischen Alpen sind wichtige Urlaubsregionen. Im Jahr 2019 hatte das Land 45 UNESCO-Welterbestätten. Im Travel and Tourism Competitiveness Report 2019 des World Economic Forum, das die Leistungsstärke eines Landes in Bezug auf den Tourismus misst, belegt Frankreich Platz 2 von 140 Ländern. Energie Die Energiewirtschaft Frankreichs beschäftigte 2008 194.000 Personen (0,8 Prozent der Erwerbsbevölkerung) und trug 2,1 Prozent zum BIP bei. Frankreich hatte früher reiche Kohlevorkommen. Die Kohleförderung erreichte 1958 mit der Förderung von 60 Millionen Tonnen ihren Höhepunkt; dann begannen eine Phase günstigen Öls und eine Kohlekrise. 1973 förderte man noch 29,1 Millionen Tonnen, 2004 schloss mit La Houve in Lothringen die letzte Kohlegrube Frankreichs. Kohle wird heute (2008) vor allem aus Australien, den USA und Südafrika importiert und in der Stahlindustrie und Wärmekraftwerken (6,9 GW installierte Leistung) verwendet. Frankreich hat sehr geringe Vorkommen an Erdöl und Erdgas; sie könnten rechnerisch den Gesamtverbrauch des Landes zwei Monate lang decken. Neben den knapp einer Million Tonnen Öl, die 2008 in Frankreich selbst gefördert wurden, wurde Erdöl aus dem Nahen Osten (22 Prozent), den Nordsee-Anrainerstaaten (20 %), Afrika (16 Prozent) und der früheren Sowjetunion (29 Prozent) importiert. Insgesamt verbrauchte Frankreich 2008 82 Millionen Öleinheiten an Erdölprodukten, davon knapp die Hälfte für den Verkehr. Die 13 Raffinerien des Landes können 98 Millionen Tonnen Öl jährlich verarbeiten. 22 Prozent des Energieverbrauches wird von Erdgas abgedeckt, vor allem im Wohnbereich und in der Industrie. Frankreich importierte 2008 Erdgas vor allem aus Norwegen, Russland, Algerien und den Niederlanden; Frankreich zahlte dafür 26 Milliarden Euro. Kernenergie Die Ölpreiskrise der 1970er-Jahre veranlassten die Regierung, ein Nuklearprogramm zu initiieren, nach Pierre Messmer auch bekannt als Messmer-Plan. Die Arbeit an den ersten drei Kernkraftwerken Tricastin, Gravelines und Dampierre begann 1974. Die Wiederaufarbeitungsanlage La Hague wurde 1976 der Staatsfirma Cogema übergeben, um abgebrannte Brennelemente nach dem PUREX-Prozess zu recyceln. Mit dem Bau der Gasdiffusionsanlage Georges Besse I wurde 1975 begonnen, der Betrieb wurde 1979 aufgenommen. Bereits 15 Jahre später waren 56 Reaktoren in Betrieb. Von den 44 Millionen Öleinheiten an Energie, die Frankreich 1973 produzierte, stammten noch neun Prozent aus Atomkraftwerken. 2008 wurden 137 Millionen Öleinheiten produziert, davon waren 84 Prozent aus Atomkraftwerken. Zu Beginn des Jahres 2009 waren in Frankreich 21 Kernkraftwerke mit 59 Reaktoren und einer Gesamtleistung von 63,3 Gigawatt am Netz. Die Kernkraftwerke Frankreichs basieren auf vier unterschiedlichen Entwürfen. Die ersten sind Kraftwerke vom Typ CP0, CP1 und CP2, welche etwa 900 Megawatt elektrischer Leistung haben und hauptsächlich zwischen 1970 und 1980 errichtet wurden. Gegenüber der CP0- und CP1-Serie wurde bei der CP2-Serie die Redundanz erhöht, ab CP1 kann in Notfällen auch Wasser ins Containment gesprüht werden. Dieser Reaktortyp wurden mehrfach exportiert, zum Beispiel für das Kernkraftwerk Koeberg und Hanul (bis 2013 Uljin) oder die chinesische CPR-1000-Reaktorbaureihe. Die nachfolgende Baureihe P4 und P’4 liefert etwa 1300 Megawatt elektrischer Leistung, das Kernkraftwerk Cattenom gehört zu dieser Bauart. Davon abgewandelt wurde das N4-Design in Civaux und Chooz mit 1450 Megawatt. Die neuste Baureihe ist der EPR, welcher sich mit Kernfänger, Doppelcontainment und gesteigertem Abbrand von den P4- und N4-Kraftwerken unterscheidet. Wegen des hohen Atomstromanteils von etwa 80 Prozent müssen die Kernkraftwerke auch im Mittellastbetrieb betrieben werden. Frankreich besitzt deshalb eines der größten Leitungsnetze in Europa; mehrere Kraftwerke können so gemeinsam Bedarfsschwankungen ausgleichen. Für die Entsorgung radioaktiver Abfälle ist die Agence Nationale pour la Gestion des Déchets Radioactifs verantwortlich. Électricité de France berechnet dafür 0,14 Cent pro Kilowattstunde auf den Atomstrompreis, was mit anderen europäischen Ländern vergleichbar ist. Die Entsorgung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen findet in Soulaines und dem Endlager Morvillier im Département Aube statt, welches etwa 650.000 Kubikmeter aufnehmen kann. Für die Entsorgung des hochradioaktiven Abfalls (hauptsächlich Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitung) wird das Tongestein nahe dem Ort Bure im gleichnamigen Felslabor untersucht. Frankreich nimmt auch in der Nuklearforschung eine führende Rolle ein: So beteiligt es sich am Generation IV International Forum und arbeitet auch an der kommerziellen Nutzung der schnellen Spaltung und Kernfusion. Die Aktivitäten sind hauptsächlich in Cadarache gebündelt. An einer Weiterentwicklung der Wiederaufarbeitungstechnik wird ebenfalls gearbeitet, um in Zukunft auch andere Actinoide abtrennen zu können. Laut einem Bericht des Rechnungshofes vom Januar 2012 kosteten die Erforschung, Entwicklung sowie der Bau der französischen Kernkraftwerke insgesamt 188 Milliarden Euro. Diese Kosten konnten bisher durch den Verkauf der Elektrizität zu etwa 75 Prozent amortisiert werden. Da die Kraftwerke größtenteils noch in Betrieb sind, werden diese Kosten aber vermutlich gedeckt werden können, jedoch gebe es kaum Rückstellungen für Folgekosten sowie die nur schwer zu schätzenden Folgen der Endlagerung des Atommülls. Durch den hohen Atomstromanteil profitiert Frankreich erheblich vom EU-Emissionshandel. Von den 442 Terawattstunden elektrischer Energie, die 2008 in Frankreich erzeugt wurden, wurden 65 Prozent in den Privathaushalten und im Dienstleistungssektor verbraucht, weitere 27 Prozent in der Industrie (ohne Stahlindustrie). Ende November 2011 machte das Französische Institut für nukleare Sicherheit auf die Notwendigkeit der Sanierung aller in Frankreich stationierten Atomkraftwerke aufmerksam. Nur so könnten mögliche Naturkatastrophen ohne größeres Unheil überstanden werden. Daraufhin wurden von grüner und sozialistischer Seite her Forderungen nach einem vollständigen Atomausstieg laut. Laut Einigung sollen bis 2025 nun 24 der 58 Atommeiler vom Netz gehen. Der 2012 neu gewählte Präsident François Hollande beabsichtigte den Anteil von Atomkraft von heute etwa 75 Prozent auf 50 Prozent reduzieren. In Umfragen sprach sich eine große Mehrheit der Franzosen für den Ausbau der erneuerbaren Energien aus. In einer jährlichen repräsentativen Umfrage der französischen Umwelt- und Energiebehörde ADEME lag die Zustimmung zum Ausbau erneuerbarer Energien in Frankreich bei 96 Prozent (2011). Stromhandelsbilanz Marktführer bei der Erzeugung elektrischer Energie ist der staatlich dominierte Konzern Électricité de France. Frankreich ist im Jahresmittel Nettostromexporteur, 2008 wurden 50 Terawattstunden an die Nachbarländer verkauft, größte Abnehmer sind Italien und Großbritannien. Da in Frankreich sehr viele Elektroheizungen installiert sind, steigt der Strombedarf während der kalten Jahreszeit stark an; während der Kältewelle 2012 erreichte die Stromnachfrage einen Höchststand von 102,1 Gigawatt, wovon knapp die Hälfte des Bedarfs auf Elektroheizungen entfiel. Auch während der Kältewelle in Europa im Januar 2017 importierte das Land große Mengen Strom aus Deutschland und weiteren Nachbarstaaten, zumal damals mehrere französische Kernkraftwerke aufgrund technischer Probleme stillstanden. Unter anderem wurden in Deutschland Kraftwerke aus der Kaltreserve hochgefahren und Redispatch-Maßnahmen durchgeführt, um die Versorgungssicherheit in Frankreich gewährleisten zu können. Im Winter importiert das Land deshalb insbesondere während der Jahreshöchstlast netto mehr Strom aus anderen Staaten wie Deutschland, als es dorthin exportiert. Frankreich importierte 2012 per Saldo 8,7 Terawattstunden aus Deutschland. Zu Spitzenlastzeiten ist der Strom aus deutschen Photovoltaikanlagen für Frankreich günstiger als aus seinen eigenen, oft überlasteten Atomreaktoren. Das der französischen Regierung unterstellte „Zentrum für strategische Analysen“ (, CAS) kam 2012 zu dem Schluss, der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland sichere neben dem Klimaschutz die energetische Unabhängigkeit Deutschlands. Energiewende Erneuerbare Energieträger spielen in Frankreich bisher nur im Bereich der Wasserkraft eine Rolle, die Nutzung der Windenergie und Photovoltaik wurden erst in den letzten Jahren politisch gefördert. 2009 wurden 5,5 Prozent der Primärenergie aus Wasserkraftwerken, 8,7 Prozent aus Holz, 2,1 Prozent aus sonstiger Biomasse, 1,2 Prozent aus Abfall und 0,49 Prozent aus Windenergie gewonnen. 2012 betrug der Anteil der Windenergie 2,7 Prozent. 2017 waren Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von etwa 13,8 Gigawatt installiert. Im Jahre 2011 lieferte Frankreich unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union 15 Prozent (44,8 Terawattstunden) der insgesamt in den EU-Ländern erzeugten Energie aus Wasserkraft. Rund 13 Prozent der elektrischen Energie stammten aus erneuerbaren Energiequellen. Das Wasserkraftwerk der Roselend-Talsperre produziert jährlich 1070 Gigawattstunden. Das Pumpspeicherkraftwerk an der Talsperre Grand-Maison ist mit einer Pumpleistung von 1200 Megawatt eines der größten weltweit. Im Oktober 2014 wurde in der französischen Nationalversammlung mit 314 zu 219 Stimmen ein Energiewende-Gesetz beschlossen. Es sieht vor, den Anteil der Kernenergie am Strommix von 75 Prozent bis 2025 auf 50 Prozent zu reduzieren. Die Gesamtleistung der Kernkraftwerke wurde auf maximal 63,2 Gigawatt gedeckelt. Zudem soll die Gebäudeisolation stark verbessert werden, eine Million Ladestationen für Elektroautos geschaffen werden und die erneuerbaren Energien stark ausgebaut werden. Dadurch soll die CO2-Emission bis 2030 um 40 Prozent sinken. Der Gesamtenergieverbrauch soll bis 2050 halbiert werden. Verkehr Straßenverkehr Ein dichtes Autobahnnetz verbindet in erster Linie den Großraum Paris mit den Regionen. Zu seiner Erschaffung seit den 1960er-Jahren wurde zunächst in erster Linie das auf Paris zulaufende Netz der Nationalstraßen ausgebaut. Nach und nach werden in jüngerer Zeit auch Querverbindungen zwischen den einzelnen Großräumen geschaffen. Die Verkehrswege Frankreichs gehören dem Staat, die meisten Autobahnstrecken werden seit 2006 aber privat betrieben, an Mautstellen müssen alle Benutzer Maut zahlen. Nur wenige Abschnitte sind mautfrei, zum Beispiel die neue A 75 oder die elsässische A 35. Ebenso verfügt die Bretagne über ein Netz mautfreier autobahnähnlicher Schnellstraßen. Zudem sind die Autobahnen im Bereich großer Ballungszentren normalerweise nicht mautpflichtig; dabei gilt aber wiederum die Ausnahme, dass bestimmte, besonders aufwendige Abschnitte auch innerhalb des Großstadtbereichs Maut kosten (z. B. Nordumgehung von Lyon oder im Raum Paris die A 14 und der Doppelstocktunnel im westlichen Teil der A 86). Der Straßenverkehr des Landes gilt als weitestgehend sicher. 2013 kamen in Frankreich insgesamt 5,1 Verkehrstote auf 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im selben Jahr 4,3 Tote. Das Land hat eine im weltweiten Vergleich hohe Motorisierungsrate. 2014 kamen im Land 578 Kraftfahrzeuge auf 1000 Einwohner. Schienenverkehr Der öffentliche Nahverkehr ist in großen Zentren hervorragend ausgebaut. In Paris ist kein Ort weiter als 500 Meter von einer Station der Métro entfernt. Auch in anderen Städten werden die U-Bahnen mit großem Aufwand ausgebaut, zum Beispiel in Lyon, Lille, Marseille oder Toulouse. Außerhalb der großen Zentren wird der Nahverkehr hingegen nur spärlich betrieben. Frankreich war auch ab den 1980er- und 1990er-Jahren ein Zentrum der Renaissance der Straßenbahn – binnen weniger Jahre wuchsen die drei Netze, die die Stilllegungswellen früherer Jahrzehnte überlebt hatten, auf mehrere Dutzend an – ein Trend, der bis heute anhält und auch auf andere Länder Europas sowie nach Nordamerika und Nordafrika ausstrahlt. Landesweit wurde seit Anfang der 1980er-Jahre das Netz des Hochgeschwindigkeitszugs Train à grande vitesse (TGV) konsequent ausgebaut. Das Netz wird weiter ausgebaut und erreicht dabei auch zunehmend die Nachbarländer. Für Deutschland ist vor allem der Neubau der Ligne à grande vitesse (LGV, deutsch Hochgeschwindigkeitsstrecke) Est européenne Richtung Straßburg und Süddeutschland beziehungsweise Richtung Saarbrücken und Mannheim relevant. Der Thalys verbindet Paris mit Brüssel, Aachen und Köln, teilweise weiter über Düsseldorf, Duisburg und Essen bis Dortmund. Seit 2003 muss sich die Staatsbahn Société nationale des chemins de fer français (SNCF) privater Konkurrenz stellen. De facto hat sie landesweit noch ein Fast-Monopol. Luftverkehr Der Luftverkehr ist in Frankreich stark zentralisiert: Die beiden Flughäfen der Hauptstadt Paris (Charles de Gaulle und Orly) fertigten 2008 gemeinsam 87,1 Millionen Fluggäste ab. Charles de Gaulle ist dabei der zweitgrößte Flughafen Europas und zentrales Drehkreuz der Air France. Er wickelt praktisch den gesamten Langstreckenverkehr ab. Die größten Flughäfen außerhalb von Paris sind jene von Nizza mit zehn Millionen Passagieren, danach folgen Lyon und Marseille. Air France, die führendes Mitglied der Allianz SkyTeam ist, fusionierte 2004 mit KLM zu Air France-KLM und ist seitdem eine der größten Fluggesellschaften der Welt. Der innerfranzösische Verkehr wird seit Einführung des TGV nach und nach durch den Hochgeschwindigkeitsverkehr der Eisenbahn ersetzt, die Eröffnung einer neuen LGV führt oft binnen weniger Monate oder Jahre zu einer Streichung von Flügen durch zurückgehende Passagierzahlen. Schiffsverkehr Frankreich hat die natürlichen und künstlichen Binnenwasserstraßen (Flüsse und Kanäle) aus wirtschaftlichen und militärischen Beweggründen in seiner Geschichte stark entwickelt und ausgebaut. Seine Hochblüte erlebte das Wasserwegenetz im 19. Jahrhundert mit einer Länge von 11.000 Kilometern. Durch Konkurrenz von Schiene und Straße ist es bis heute auf rund 8500 Kilometer zurückgegangen. Es wird zum Großteil von der staatlichen Wasserstraßenverwaltung Voies navigables de France (VNF) verwaltet und betrieben. 2007 wurden von der Frachtschifffahrt auf Frankreichs Wasserstraßen Güter mit einem Gesamtgewicht von 61,7 Millionen Tonnen befördert. Bezieht man die Distanz in die Statistik ein, ergibt sich ein Wert von 7,54 Milliarden Tonnen-Kilometer. Über die letzten zehn Jahre bedeutet dies eine Steigerung um 33 Prozent. Die Personenschifffahrt hat heute nur noch touristische Bedeutung, ist aber ein aufstrebender Wirtschaftsfaktor. Der Canal Seine-Nord Europe (CSNE) war das Projekt eines 106 Kilometer langen Kanals in Süd-Nord-Richtung durch Nordfrankreich zwischen den Einzugsgebieten der Flüsse Seine und Schelde. Das Projekt war in den Verkehrswegeplan der Europäischen Union aufgenommen, wurde jedoch 2013 eingestellt. Kultur Frankreich leitet seinen Rang in Europa und der Welt auch aus den Eigenheiten seiner Kultur ab, die sich auch über die Sprache definiert (Sprachschutz- und -pflegegesetzgebung). Frankreich sieht sich selbst nicht als Grande Nation. In der Medienpolitik wird die eigene Kultur und Sprache durch Quoten für Filme und Musik gefördert. Frankreich verfolgt in der Europäischen Union, der UNESCO und der Welthandelsorganisation (WTO) mit Nachdruck seine Konzeption der Verteidigung der kulturellen Vielfalt („diversité culturelle“): Kultur sei keine Ware, die schrankenlos frei gehandelt werden kann. Der Kultursektor bildet daher eine Ausnahme vom restlichen Wirtschaftsgeschehen („exception culturelle“). Landesweite Pflege und Erhalt des reichen materiellen kulturellen Erbes wird als Aufgabe von nationalem Rang angesehen. Dieses Verständnis wird durch staatlich organisierte oder geförderte Maßnahmen, die zur Bildung eines nationalen kulturellen Bewusstseins beitragen, wirksam in die Öffentlichkeit transportiert. Im jährlichen Kulturkalender fest verankerte Tage des nationalen Erbes, der Musik oder des Kinos beispielsweise finden lebhaften Zuspruch in der Bevölkerung. Großzügig zugeschnittene kulturelle Veranstaltungen entsprechen dem Selbstverständnis Frankreichs als Kulturnation und von Paris als Kulturmetropole. Die Förderung eines kulturellen Profils der regionalen Zentren in der Provinz wird verstetigt. Küche Die französische Küche (Cuisine française) gilt seit der frühen Neuzeit als einflussreichste Landesküche Europas. Sie ist sowohl für ihre Qualität als auch ihre Vielseitigkeit weltberühmt und blickt auf eine lange Tradition zurück. Das Essen ist in Frankreich ein wichtiger Bereich des täglichen Lebens und die Pflege der Küche ein unverzichtbarer Bestandteil der nationalen Kultur. Das gastronomische Mahl der Franzosen wurde 2010 als immaterielles Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt. Architektur Die ältesten architektonischen Spuren in Frankreich hinterließen die Römer vor allem in Südostfrankreich, wie beispielsweise das Amphitheater von Nîmes oder die Pont du Gard. Nach dem Zerfall der römischen Herrschaft wurden zunächst keine Bauwerke errichtet, die bis heute erhalten geblieben sind. Aus dem Mittelalter sind vor allem Sakralbauten erhalten geblieben, wie das Baptisterium Saint-Jean aus der Zeit der Karolinger, Kirchen in romanischem Stil wie St-Sernin de Toulouse, Ste-Foy de Conques oder Ste-Marie-Madeleine de Vézelay sowie Kirchen in gotischem Stil wie die Kathedrale von Amiens oder die Kathedrale von Beauvais. Daneben wurden Festungsstädte wie Carcassonne oder Aigues-Mortes errichtet. Als die Renaissance auch in Frankreich aufkam, interpretierten die französischen Architekten diese Kunstform auf ihre Weise und errichteten zahlreiche Schlösser im ganzen Land. Das Schloss Ancy-le-Franc blieb das einzige vollständig von Italienern durchgeführte Bauwerk. Der Absolutismus führte dazu, dass der klassizistische Barock in ganz Frankreich bestimmend wurde, um die Macht des Königs zu symbolisieren. Zu den bedeutendsten Bauwerken dieser Zeit zählen der Louvre und Schloss Versailles, diese wurden auch zu Vorbildern für Bauwerke im Ausland, etwa Schloss Sanssouci. Der technische Fortschritt ermöglichte es, Gebäude wie das Panthéon zu errichten, das für damalige Verhältnisse sehr wenig Baumaterial im Verhältnis zum umfassten Raum benötigte. In der Zeit nach der Französischen Revolution herrschte der Klassizismus mit kühler, disziplinierter und eleganter Architektur; Beispiele hierfür sind der Arc de Triomphe oder die Kirche La Madeleine in Paris. 1803 wurde die Académie des Beaux-Arts gegründet, französische Architektur wurde erneut in zahlreichen Ländern imitiert, besonders in den USA, gleichzeitig wurden in Frankreich neue Baumaterialien eingeführt; es entstanden Monumente wie der Eiffelturm oder die Pariser Markthallen und man begann mit der Restaurierung von Baudenkmälern. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam zunächst der Jugendstil auf, aus dem sich in Frankreich rasch das Art déco entwickelte. In diesen Stilrichtungen sind zahlreiche Eingänge von Métrostationen in Paris sowie das Théâtre des Champs-Élysées erhalten. Der Internationale Stil, der maßgebend von Le Corbusier mitgetragen wurde, zeichnete sich durch unverzierte geometrische Formen aus, Beispiel ist die Villa Savoye. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einige prestigeträchtige Bauten in Frankreich erstmals durch Ausländer verwirklicht, wie das Centre Pompidou oder die Pyramide im Louvre. Zu den neueren architektonischen Errungenschaften Frankreichs gehören schließlich das Institut du monde arabe (1987) und die Bibliothèque Nationale François Mitterrand (1996). Film Frankreich gilt als der Geburtsort des Filmes. Im Jahre 1895 veranstalteten die Brüder Lumière in Paris die erste kommerzielle Filmvorführung. Industrielle wie Charles Pathé und Léon Gaumont investierten große Summen in die Technik und Herstellung, sodass französische Unternehmen den Weltmarkt für Filme dominierten; in Paris gab es 1907 bereits mehr als 100 Vorführungshallen, 1920 waren es in Frankreich schon mehr als 4500. Auf Pathé geht auch die bis heute übliche Praxis des Filmverleihs zurück, seit er 1907 entschied, Filme nicht mehr als Meterware zu verkaufen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der damit verbundenen Flucht zahlreicher Filmschaffender in die USA sowie die Einführung der Tonfilm-Technik, die in Frankreich zunächst nicht eingeführt wurde, führten dazu, dass sich der Schwerpunkt der Filmproduktion in die Vereinigten Staaten verlagerte. Die 1930er-Jahre gelten als Goldenes Zeitalter des französischen Films. Die Weltwirtschaftskrise bedingten niedrige Budgets, junge Regisseure wie Jean Renoir, René Clair und Marcel Carné und Stars wie Jean Gabin, Pierre Brasseur und Arletty brachten sehr kreative und teils auch sehr politische Werke hervor (Poetischer Realismus). Auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges florierte der Film; die Vichy-Regierung gründete mit der Comité d’organisation de l’industrie cinématographique die Vorläuferorganisation des heutigen CNC. Trotz Mangelwirtschaft, Zensur und Emigration entstanden etwa 220 Filme, die sich vor allem auf die Ästhetik des gezeigten konzentrierten. Nach 1945 setzt sich die französische Regierung das Ziel, die Filmindustrie wieder aufzubauen. Um die Dominanz des amerikanischen Films zu brechen, werden im Blum-Byrnes-Abkommen Einfuhrquoten festgelegt. Die Internationalen Filmfestspiele von Cannes werden gegründet, eine Zusammenarbeit mit Italien vereinbart und gesetzliche und finanzielle Unterstützungen beschlossen. In den 1950er-Jahren wurden vor allem Literaturverfilmungen mit großem Augenmerk auf die Qualität (cinéma de papa) produziert, bis 1956 die weibliche Sexualität mit dem Auftauchen eines neuen Stars, Brigitte Bardot, filmfähig gemacht wurde. Die Nouvelle Vague, die ab dem Ende der 1950er-Jahre von einer Generation junger Regisseure wie Jean-Luc Godard, François Truffaut, Jacques Rivette, Claude Chabrol und Louis Malle getragen wurde, brachte Anti-Helden auf die Leinwand, thematisierte deren intime Gedanken, machte Filme mit hohem Tempo und offenen Enden. Neue Technik ermöglichte eine neue Ästhetik und erlaubte es Halb-Profis, mit niedrigem Budget Filme zu verwirklichen. Die Kreativität der Nouvelle Vague war international äußerst einflussreich und wurde durch die Einrichtung der Cinémas d’art et d’essai noch gefördert. Popularität erlangten auch die Protagonisten zahlreicher Filme der Nouvelle Vague, vor allem Jean-Pierre Léaud und Jean-Paul Belmondo. Das Jahr 1968 brachte auch im französischen Film eine Zäsur, die zu stark politischen Filmen und zu einer stärkeren Präsenz von Frauen im Metier führte. Gleichzeitig setzte sich das Fernsehen durch; dies brachte neue Strukturen bei der Finanzierung und Distribution von Filmen mit sich. In den 1980er-Jahren investierte die neue sozialistische Regierung stark in die Kultur; Budgets für Filmproduktionen stiegen, während gleichzeitig die amerikanische Vorherrschaft bekämpft wurde. Es kam zu aufwendigen Verfilmungen von Literaturklassikern. Parallel kam die Strömung des unpolitischen cinéma du look auf, in dem Farben, Formen und Stil die Handlung überdeckten. Sport Mit der Einrichtung eines Ministeriums für Jugend und Sport (1958) zu Zeiten der Präsidentschaft von Charles de Gaulle unter dem Minister Maurice Herzog nahm der Breiten- und der Spitzensport in Frankreich einen erheblichen, vom Staat gestützten Aufschwung. Anders als in vielen anderen Ländern Europas ist der Fußball in Frankreich bis heute nicht die unangefochtene Nummer eins unter den Sportarten. Besonders Rugby ist im Südwesten des Landes populärer. Das Interesse am Fußball hängt sehr stark mit der Leistung französischer Mannschaften auf internationaler Ebene zusammen. Als identitätsstiftendes Band gerade zwischen den verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen Frankreichs gilt die französische Fußballnationalmannschaft. Die Équipe Tricolore (in Frankreich meist les Tricolores genannt) trägt ihre Heimspiele meist im Stade de France in Saint Denis bei Paris aus. 1998 wurde in Frankreich die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen. Im Endspiel gegen Brasilien gewann der Gastgeber das Turnier. 2016 war Frankreich nach 1960 und 1984 zum dritten Mal Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft. 2018 gewann Frankreich ein zweites Mal die Fußball-Weltmeisterschaft. Ähnlich populär dem Fußball ist Rugby Union. Gerade in den südlichen und südwestlichen Regionen ist Rugby tatsächlich der weitaus beliebteste Sport. Die höchste Liga ist die Top 14. Das Meisterschaftsendspiel findet jährlich im Stade de France statt. Die Nationalmannschaft, von den Fans Les Bleus genannt, was später auch auf die Fußballequipe übertragen wurde, gilt seit Jahrzehnten kontinuierlich als eines der besten Teams der Welt und ist bislang bei jeder Weltmeisterschaft mindestens ins Viertelfinale vorgedrungen. Insgesamt wurde sie dreimal Vizeweltmeister und errang einmal den dritten Platz. Wie im Fußball gilt das Stade de France in St. Denis nahe Paris als Nationalstadion. 2007 fand erstmals die Rugbyweltmeisterschaft in Frankreich statt. Dabei zählte man Les Bleus zu den Hauptfavoriten auf den Titel. Allerdings kamen sie nicht über den vierten Platz hinaus. Weltmeister wurde Südafrika. Bei der 2023 ebenfalls in Frankreich ausgetragenen Rugbyweltmeisterschaft war der Gastgeber einer der Titelfavoriten, schied jedoch im Viertelfinale gegen den Titelverteidiger und späteren Weltmeister Südafrika aus. Weitere populäre Sportarten sind der Radsport (insbesondere im Juli, während der dreiwöchigen Tour de France), Leichtathletik, Formel 1 (Großer Preis von Frankreich in Magny-Cours), Pétanque (Mondial la Marseille à Pétanque), Judo, Handball, Basketball und alpiner Skisport. Großer Beliebtheit erfreut sich auch der Tennissport. Den Davis Cup gewann Frankreich von 1927 bis 1932 jedes Jahr, außerdem in jüngerer Zeit 1991, 1996, 2001 und 2017. 1997 und 2003 konnten die Französischen Tennisdamen den Fed Cup gewinnen. Die seit 1891 in Paris stattfindenden French Open zählen als eines der vier Grand-Slam-Turniere zu den Höhepunkten der internationalen Tennissaison. In Frankreich fanden bereits mehrmals Olympische Spiele statt: Sommerspiele 1900 und 1924 in Paris, Winterspiele in Chamonix 1924, Grenoble 1968 und Albertville 1992. Auch die Olympischen Sommerspiele 2024 werden wie 100 Jahre zuvor in Paris stattfinden. Im Motorsport ebenfalls erwähnenswert sind das legendäre 24-Stunden-Rennen von Le Mans, der MotoGP-Grand Prix von Le Mans, die ehemalige Formel-1-Rennstrecke Circuit Paul Ricard von Le Castellet nahe Avignon sowie die Grasbahn von Marmande und die Sandbahn von Morizes, wo im Rahmen der Langbahn-Weltmeisterschaft der Grand Prix von Frankreich ausgefahren wird. Special Olympics Frankreich wurde 1991 gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs von Ebersberg betreut. Musik Die französische Musik erreichte im Barock eine erste Blüte und brachte bedeutende Komponisten wie Jean-Baptiste Lully, Marc-Antoine Charpentier (17. Jahrhundert), François Couperin, Jean-Philippe Rameau (18. Jahrhundert), Hector Berlioz, Charles Gounod und Georges Bizet hervor. Die französische klassische Musik galt jedoch als technik- und formenlastig. Den Übergang zur Moderne in gesellschaftspolitischer wie musikalischer Sicht verkörpert Debussy am besten; weiterhin sind Maurice Ravel und der ebenfalls sehr experimentell arbeitende Erik Satie in dieser Epoche bedeutend. Der Beginn der Avantgarde in der Musik wird besonders durch die Groupe des Six eingeleitet. Hauptfigur der zeitgenössischen Musik ist Pierre Boulez. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts befindet sich die populäre Musik im Aufwind. Das bekannteste einheimische Genre ist das Chanson, eine Liedgattung mit starker Konzentration auf den Text. Zu den wichtigsten Künstlern des Chanson zählen Charles Trenet, Édith Piaf, Gilbert Bécaud, Boris Vian, Georges Brassens, Charles Aznavour oder Yves Montand. Ausländische Musikstile finden ihren Widerhall in Frankreich: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begann der Jazz die französische Musik zu beeinflussen, mit Django Reinhardt oder Stéphane Grappelli stellte Frankreich auch bedeutende Künstler des Jazz. In der Rock- und Popmusik prägten etwa Daft Punk und Étienne de Crécy den French House, Gotan Project ist Vorreiter des sogenannten Electrotango und St Germain steht für eine Kombination von Jazz und House. Ein bekannter Vertreter von Ambient-Musik ist Air. Der Rap wurde in Frankreich adaptiert, erfolgreichster Vertreter des Französischen Hip-Hop ist MC Solaar. Lokal verbreitete Musikstile sind die bretonische Musik, deren bedeutendster Künstler Alan Stivell ist, oder die korsische Musik mit Bands wie I Muvrini. Zahlreiche afrikanische und maghrebinische Künstler leben und arbeiten in Frankreich, so gibt es eine lebendige Raï-Szene und zahlreiche Veranstaltungen mit afrikanischer Musik. Die fünf Musiker, die zwischen 1955 und 2009 die meisten Platten in Frankreich verkauften, sind Claude François, Johnny Hallyday, Sheila, Michel Sardou und Jean-Jacques Goldman. Samedi soir sur la Terre von Francis Cabrel ist mit mehr als vier Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste Album eines französischen Musikers in seinem Heimatland. Medien Bei der Rangliste der Pressefreiheit 2017, die von Reporter ohne Grenzen herausgegeben wird, belegte Frankreich Platz 39 von 180 Ländern. Die wichtigsten französischen Druckmedien sind die nationalen Tageszeitungen Le Figaro (konservativ, Auflage: 315.400 Exemplare), Le Monde (linksliberal, Druckauflage 2009 bis 2010: 285.500 Exemplare), Libération (linksorientiert, 111.700 Exemplare), La Croix (katholisch, 95.100 Exemplare), L’Humanité (kommunistisch, 50.000 Exemplare), Les Échos und La Tribune (Wirtschaft, 120.400 bzw. 68.100 Exemplare) und L’Équipe (Sport, 310.000 Exemplare). Die wichtigsten Nachrichtenmagazine in Frankreich sind L’Obs (400.000 Exemplare), L’Express (438.700 Exemplare), Le Point (407.700 Exemplare) und Marianne. Die größte Regionalzeitung ist die Ouest-France mit einer Druckauflage von 758.500 Exemplaren. Bedeutend ist auch das jeweils mittwochs erscheinende Investigations- und Satireblatt Le Canard enchaîné mit einer Auflage von 550.000 Exemplaren. Wie in vielen anderen europäischen Ländern besteht auch in Frankreich eine Co-Existenz von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern. Zur 1992 gegründeten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt France Télévisions gehören die Sender France 2, France 3, France 4, France 5 und France Ô. Der größte Fernsehsender Frankreichs ist jedoch der Privatsender TF1, der bis 1987 noch öffentlich-rechtlich war. TF1 ist außerdem alleiniger Gesellschafter des Sportsenders Eurosport. Seit Dezember 2006 betreiben TF1 und France Télévisions den mehrsprachigen Auslandssender France 24. Weiterhin gibt es mit TV5 Monde und ARTE zwei weitere Sender, an denen France Télévisions beteiligt ist. TV5 Monde ist ein französischsprachiges Gemeinschaftsprogramm der Staaten Frankreich, Belgien, dem französischsprachigen Teil Kanadas und der Schweiz. ARTE ist ein deutsch-französischer Sender, der von ARTE France zusammen mit den deutschen Rundfunkanstalten ARD und ZDF betrieben wird. France Télévisions ist darüber hinaus an dem Nachrichtensender Euronews beteiligt. Dem öffentlich-rechtlichen Radio France steht eine Vielzahl kommerzieller Anbieter gegenüber. Sowohl Radio France als auch die Kommerziellen bieten überregionale und regionale bzw. lokale Dienste an. Im Jahr 2021 nutzten 86,1 Prozent der Einwohner Frankreichs das Internet. Der Nutzung von sozialen Medien kommt eine immer bedeutendere Rolle zu. Die Bruttoreichweite sozialer Netzwerke betrug per Januar 2011 24,8 Millionen Personen. Feiertage Liste der landesweit einheitlichen Feiertage. Details und regional zusätzliche Feiertage siehe Hauptartikel. Siehe auch Literatur Frankreich (= Informationen zur politischen Bildung. Heft 285). Mit Karten, Bonn 2004 (mit Literatur, Internet-Hinweisen). Corine Defrance, Ulrich Pfeil (Hrsg.): Länderbericht Frankreich. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2021, ISBN 978-3-7425-0661-0. Ernst Hinrichs, Heinz-Gerhard Haupt, Stefan Martens, Heribert Müller, Bernd Schneidmüller, Charlotte Tacke: Kleine Geschichte Frankreichs. BpB, Bonn 2010, ISBN 978-3-89331-663-2. (Inhalt bis 2005. Erstmals 1994, dann fortlaufend aktualisiert als RUB im Jahr 2000 Nr. 9333, 2006 Nr. 10596 und 2008 Nr. 17057.) Adolf Kimmel, Henrik Uterwedde (Hrsg.): Länderbericht Frankreich. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Lehrbuch. 2., aktualisierte und neu bearbeitete Auflage. Springer VS, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14631-9. Andrea Kother: Alltag in Frankreich. Auswandern, leben und arbeiten Conbook Verlag, Meerbusch 2011, ISBN 978-3-934918-79-5. Günter Liehr: Frankreich – ein Länderporträt. 2., aktualisierte Auflage. Ch. Links Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-86153-728-1. Wilfried Loth: Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert. Fischer, Frankfurt 1995, ISBN 3-596-10860-8. Wilfried Loth: Von der 4. zur 5. Republik. In: Adolf Kimmel, Henrik Uterwedde (Hrsg.): Länderbericht Frankreich. BpB, Bonn 2005, ISBN 3-89331-574-8, S. 63–85. Robert Picht u. a. (Hrsg.): Fremde Freunde. Deutsche und Franzosen vor dem 21. Jahrhundert. Piper, München 2002, ISBN 3-492-03956-1. (57 Essays von 52 Autoren zu Begriffen der deutsch-französischen Geschichte, Politik, Kultur und Wirtschaft, u. a. Hans Manfred Bock, Freimut Duve, Étienne François.) Alfred Pletsch, Hansjörg Dongus, Henrik Uterwedde: Frankreich. Geographie, Geschichte, Wirtschaft, Politik. 2. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-11691-7. Alfred Pletsch: Wirtschaftsräumliche Strukturen in Frankreich. In: Adolf Kimmel, Henrik Uterwedde (Hrsg.): Länderbericht Frankreich. BpB, Bonn 2012, ISBN 978-3-8389-0264-7, S. 16–32. Bernhard Schmidt, Jürgen Doll, Walther Fekl, Siegfried Loewe, Fritz Taubert: Frankreich-Lexikon. Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Presse- und Bildungswesen. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Schmidt, Berlin 2006, ISBN 3-503-07991-2. Karl Stoppel (Hrsg.): La France. Regards sur un pays voisin. Eine Textsammlung zur Frankreichkunde. Quellen und Originaltexte, in frz. Sprache, Vokabular. Reclam, Ditzingen 2000. (2., durchgesehene Auflage, Stuttgart 2008. Reclams Universalbibliothek, RUB Nr. 8906, Reihe Fremdsprachentexte.) Ludwig Watzal (Verantw.): Frankreich. Themenheft von Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu „Das Parlament“, 38, Bonn, 17. September 2007 . Weblinks Offizielle Website der französischen Verwaltung (französisch) Website des französischen Außenministeriums (mehrsprachig) Website der Französischen Zentrale für Tourismus (mehrsprachig) Länderinformationen des deutschen Auswärtigen Amtes zu Frankreich Länderprofil des deutschen Statistischen Bundesamtes Statistiken zur nachhaltigen Entwicklung des französischen Ministeriums für Ökologie, nachhaltige Entwicklung und Energie Frankreichs Empire schlägt zurück. (PDF; 3,4 MB) Sammelband: Gesellschaftswandel, Kolonialdebatten und Migrationskulturen im frühen 21. Jahrhundert. Hrsg. Dietmar Hüser in Zusammenarbeit mit Christine Göttlicher. Kassel University Press 2010; auch als Print: ISBN 978-3-89958-902-3. Anmerkungen Einzelnachweise Mitgliedstaat der Europäischen Union Staat in Europa Staat in Afrika Staat in Südamerika Staat in Mittelamerika Gruppe der Acht Mitglied des Europarats Republik (Staat) Mitgliedstaat der Vereinten Nationen Mitgliedstaat der OECD Namensgeber für ein chemisches Element Mitgliedstaat der NATO
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https://de.wikipedia.org/wiki/Geographie%20Frankreichs
Geographie Frankreichs
Als interkontinentaler Staat liegt Frankreich in mehreren Kontinenten. Das France métropolitaine, das Mutterland, liegt im westlichen Europa, grenzt an den Golf von Biscaya und den Ärmelkanal, liegt zwischen Belgien im Norden und Spanien, Andorra im Süden, südöstlich vom Vereinigten Königreich; grenzt im Südosten an das Mittelmeer und im Osten an Italien, die Schweiz, Deutschland und Luxemburg. Die Überseegebiete befinden sich in Südamerika (Französisch-Guayana), im atlantischen, pazifischen und im indischen Ozean (jeweils diverse Gebiete) sowie in der Antarktis (Adélieland, Ansprüche ausgesetzt). Fläche Für die Fläche Frankreichs in Europa, d. h. mit Korsika und den anderen in Europa gelegenen Inseln, aber ohne die Überseegebiete, werden unterschiedliche Zahlen angegeben: Das Statistische Amt Frankreichs Insee nennt einerseits (gerundet) 552.000 km², andererseits addiert es selbst die Fläche der Regionen nur auf (gerundet) 544.000 km², das deutsche Auswärtige Amt nennt mit der letzteren Zahl übereinstimmend 543.965 km², das Statistische Bundesamt hingegen für das gesamte französische Staatsgebiet 643.801 km², woraus durch Abzug von 88.000 km² für die Überseegebiete eine Fläche in Europa von (gerundet) 555.800 km² folgt. Frankreich ist somit der flächenmäßig größte Staat Westeuropas und als interkontinentaler Staat mit Überseedepartements der zweitgrößte Staat Europas nach Russland. Landesgrenzen Mit 673 Kilometern ist die Grenze zu Brasilien die längste Landesgrenze Frankreichs. Innerhalb Europas ist die Grenze zu Spanien mit 623 Kilometern die längste. Innerhalb Europas angrenzende Länder: Andorra 56,6 km (→ Grenze zwischen Andorra und Frankreich) Belgien 620 km (→ Grenze zwischen Belgien und Frankreich) Deutschland 451 km (→ Grenze zwischen Deutschland und Frankreich) Italien 488 km (→ Grenze zwischen Frankreich und Italien) Luxemburg 73 km (→ Grenze zwischen Frankreich und Luxemburg) Monaco 4,4 km (→ Grenze zwischen Frankreich und Monaco) Spanien 623 km (→ Grenze zwischen Frankreich und Spanien) Schweiz 573 km (→ Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz) Außerhalb Europas angrenzende Länder: Königreich der Niederlande (10 km im Collectivité d’outre-mer Saint-Martin auf der Insel Saint-Martin) (→ Grenze zwischen Frankreich und dem Königreich der Niederlande), Brasilien (673 km) (→ Grenze zwischen Brasilien und Frankreich) sowie Suriname (510 km) (→ Grenze zwischen Frankreich und Suriname) im Überseedépartement Französisch-Guayana in Südamerika. Küstenlinie: 3427 km (métropolitaine), 378 km (Französisch-Guayana), 306 km (Guadeloupe), 350 km (Martinique), 207 km (Réunion) Vgl. dazu die Liste der Hafenstädte in Frankreich mit gewerblich genutzten Häfen in der Abfolge der Küstenlinie von Norden nach Westen bzw. Süden etc. Flüsse Die wichtigsten Flüsse Frankreichs: Die Loire fließt nur durch Frankreich. Die Seine ist ebenfalls ein rein französischer Fluss. Nur eine kleine Fläche im Norden ihres Einzugsgebietes gehört zu Belgien. Die Garonne fließt 43 km durch Spanien, dann 529 km durch Frankreich und dann in den Atlantik. Die Rhone entspringt in der Schweiz, fließt durch den Genfersee, fließt 543 km durch Frankreich und mündet bei Marseille ins Mittelmeer. Der Rhein ist im Elsass auf einer Länge von 182 km der Grenzfluss zu Deutschland. Die Meuse (Maas) entspringt in Frankreich. Sie erreicht nach 486 km (mehr als der Hälfte ihres Laufs) Belgien, fließt dann durch die Niederlande und mündet dort ins Rhein-Maas-Delta. Die Mosel entspringt in den Vogesen und legt mehr als die Hälfte ihres Verlaufs in Frankreich zurück. Sie ist auf einer Länge von 26,5 km die Grenze zwischen Deutschland und Luxemburg, fließt dann durch Rheinland-Pfalz und mündet in Koblenz in den Mittelrhein. Die Escaut (Schelde) fließt von ihrer Quelle an 106 km durch Frankreich, dann über die Grenze zwischen Belgien und Frankreich und dann in die Nordsee. Übersee: In Französisch-Guayana fließen der Oyapock, die Mana und der Maroni. Siehe auch: Liste der Flüsse in Frankreich, :Kategorie:Fluss in Frankreich, Liste der französischen Mittelmeerzuflüsse (mit Nebenflüssen). Geografie des France métropolitaine Klima Das europäische Mutterland liegt zum größten Teil in der gemäßigten Klimazone, der Südosten unterliegt bereits dem Mittelmeerklima. Während dort milde, regenreiche Winter und heiße, trockene Sommer herrschen, ist das Klima im größten Teil von Frankreich abhängig von Lage und Relief. Insgesamt ist das französische Klima fast überall relativ mild. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt zwischen 10 °C (Norden, Lothringen, Jura, in den Alpen auch darunter) und 16 °C (Mittelmeerküste, auf Korsika auch darüber). Die Niederschläge unterschreiten im Pariser Becken und an einigen Küstenstreifen des Mittelmeeres 600 Millimeter, der trockenste Ort ist Colmar im Elsass mit unter 600 Millimetern. Sonst liegen die Werte größtenteils zwischen 700 und 1000 Millimetern. An den Westseiten der Gebirge werden sie teils deutlich überschritten (über 1500 mm in Alpen, Cevennen, Jura, Vogesen). Diese Niederschläge können sehr unterschiedlich verteilt sein. Unter 60 Regentage im Rhonedelta stehen in deutlichem Gegensatz zu über 200 Tagen in der Orne (Normandie). Die Sonnenscheindauer ist der Klimazone entsprechend im Mittelmeerraum am höchsten, gefolgt von der Atlantikküste. Die wenigsten Sonnenstunden bezieht ein breiter Streifen von der Bretagne bis zu den nördlichen Vogesen. Auch Paris zählt viele trübe Tage. Klimatisch gesehen lassen sich folgende Großräume trennen: Der Nordwesten, insbesondere Normandie und Bretagne, ist ozeanisch bis sehr ozeanisch geprägt. Die Niederschlagsmengen erreichen hier in den meisten Gegenden Höhen von 1000 mm und – vor allem an der Küste und an den Wetterseiten der Hügelländer – mehr. Es herrschen Westwinde vor, die Winter sind mild und oft schneefrei. Die Sommer sind relativ kühl und feucht. Der Nordosten weist wesentlich kontinentalere Züge auf. Insbesondere in den rauen Klimaten von Lothringen und der Vogesen können die Winter sehr kalt werden, wobei die Hochflächen (z. B. die Hochebene von Langres) besonders benachteiligt sind. Die Flusstäler von Rhein und Mosel eignen sich dagegen bereits zum Weinbau. Zentralfrankreich mit dem Pariser Becken und dem Loiretal ist insgesamt relativ niederschlagsarm. In Bezug auf Sonnenstunden und Durchschnittstemperatur liegt die Region im Mittel, es können aber durchaus extreme Wetterlagen auftreten. Die Hitzewelle in Europa 2003 war gerade hier besonders ausgeprägt, weil über dem weiten, ebenen Land keine mäßigenden Wirkungen durch Winde oder Wasser möglich waren. In Auxerre hielt sich z. B. die Tageshöchsttemperatur acht Tage oberhalb von 40 °C. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen Sommer- und Wintertemperaturen aber noch deutlich geringer als etwa in Osteuropa; nur dort kann man wirklich von Kontinentalklima sprechen. Deutlich kühler und feuchter ist das Klima im Zentralmassiv, das bis auf 1800 Meter ansteigen kann. Im Südwesten herrscht Atlantikklima vor, das insgesamt feucht, aber bereits relativ warm und sonnig ist. Niederschlagsmaxima sind insbesondere in der Nähe der Pyrenäen zu finden. Nach der Klassifikation von E. Neef heißt das Klima an der Atlantikküste „maritimes Westseitenklima“ und gehört zur gemäßigten Klimazone; durch den Einfluss des Azorenhochs ist allerdings dort der Sommer relativ trocken; das Niederschlagsmaximum liegt im Herbst oder Winter. Der Mittelmeerraum im Südosten liegt bereits im Winterregenklima, so dass hier schon eine andere Pflanzenwelt vorherrscht (Garrigue, sommertrockener Wald). Im Sommer können Dürren und Waldbrände auftreten. Abkühlung verschafft dort besonders im Einzugsbereich der Rhône der Mistral, ein gelegentlich starker, kalter, trockener nord-nordwestlicher Wind, der auch die Waldbrände anfachen kann. Ein Hochgebirgsklima ist naturgemäß in den höheren Lagen von Alpen und Pyrenäen zu finden. Relief Frankreichs Landschaftsbild prägen überwiegend flache Ebenen oder sanfte Hügel im Norden und Westen. Der Rest ist gebirgig, insbesondere die Pyrenäen im Südwesten, das Zentralmassiv und die Alpen im Südosten. Höhenextreme tiefster Punkt: Les Moëres (bei Dunkerque) höchster Punkt: Mont Blanc (Stand 2023) Natürliche Ressourcen Kohle, Eisenerz, Bauxit, Zink, Kaliumkarbonat, Nickel Landnutzung Bewässertes Land: 16.300 km² (Schätzung 1995) Umweltprobleme Eines der gewichtigsten Probleme ist die Wasserverschmutzung – teils durch urbane Abwässer – aber insbesondere dort, wo die Landwirtschaft intensiv ist (Überdüngung) (vor allem Bretagne) oder das Wasser knapp (Midi – vor allem südliches Zentralmassiv). Der Schutz der Küsten (Littoral) ist ein wichtiges Thema. Luftverschmutzung durch Industrie und Verkehr (Ozonbelastung bei starkem Sonnenschein) stellt ein weiteres Problem dar, (einige) Wälder sind vom sauren Regen geschädigt, doch ist dieses Problem nicht so stark zum Tragen gekommen, wie in Mittel- oder Nordeuropa. Allerdings sind die Folgen von Emissionen der Energiegewinnung nicht so deutlich wegen des hohen Kernenergieanteils in der französischen Stromproduktion. Hieraus ergeben sich jedoch wieder verstärkt – insbesondere weil Frankreich auch noch als ein europäisches Zentrum der Atomindustrie fungiert – die üblichen Probleme der schwer zu erfassenden Folgen der Niedrigstrahlung und der ungelösten Endlagerung. Besonders deutlich wird dieses Problem im Falle der französischen Anlage zur Aufbereitung von Kernbrennstäben in La Hague in der Normandie. Die Umweltdebatte in Frankreich macht sich immer wieder an symbolischen Großprojekten fest – nach dem (neben den anderen Kernkraftwerken) Brutreaktor in Creys-Malville in den 1970er-Jahren, war dies in den 1980er-Jahren das (gestoppte) Projekt eines Stausees an der oberen Loire (Serre de la Fare) und in den 1990er-Jahren zunächst der Bau eines Tunnels unter den Pyrenäen (Tunnel du Somport, Vallée d’Aspe) und ein Projekt zur Verbindung von Rhein und Rhone durch einen großen Kanal. Im neuen Jahrtausend kam die Erforschung einer Endlagerstätte für Atommüll in Tiefengestein in Bure in Südlothringen hinzu. Siehe auch Mittelpunkt Frankreichs Weblinks Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fear%2C%20Uncertainty%20and%20Doubt
Fear, Uncertainty and Doubt
Als Fear, Uncertainty and Doubt ( für Furcht, Ungewissheit und Zweifel, meist abgekürzt als FUD), wird eine Werbe- oder Kommunikationsstrategie bezeichnet, die der gezielten Bekämpfung und Diskreditierung eines (in der Regel wirtschaftlichen oder politischen) Konkurrenten dient, insbesondere wenn dieser bislang ein gutes Image hat. Auch zur Kommentierung von Einschüchterungsversuchen durch Unternehmen, Verbände oder staatliche Behörden wird die Formel benutzt. Geprägt hat diesen Begriff Gene Amdahl, nachdem er IBM verlassen hatte, um seine eigene Firma Amdahl Corporation zu gründen. Er soll damals über IBM-Vertriebsmitarbeiter gesagt haben, es seien Furcht, Ungewissheit und Zweifel, die sie potenziellen Amdahl-Kunden vermittelten. Ziel Das Ziel ist es, beim Informationsempfänger (zum Beispiel Kunden, Wähler) jene Furcht, Ungewissheit und Zweifel gegenüber einem Konkurrenten oder dessen Produkten hervorzurufen (Propaganda). Hierbei wird ausgenutzt, dass Angstgefühle beim Menschen irrational begründet sind und selbst nachweislich falsche Informationen zu Unsicherheiten führen können. Vorgehen Die Strategie, gezielt Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu säen, wurde von der Tabakindustrie eingeführt und wird inzwischen seit mehreren Jahrzehnten genutzt, um politische Entscheidungen zu Umweltfragen wie z. B. dem Klimaschutz zu verzögern. Man bedient sich dabei gezielter, aber dennoch subtiler und eher unterschwelliger Desinformation, zum Beispiel in Pressemeldungen. Häufig werden diese über scheinbar neutrale Quellen („Third-Party Strategy“) verbreitet, deren Verbindung zum eigentlichen Urheber nicht sofort ersichtlich ist. Panikmache oder Fehlinformation zur Unterbindung bestimmter Handlungen gehört ebenfalls in den Bereich des FUD. Hier ist der jeweilige Konkurrent das Opfer, der Informationsempfänger nur Mittel zum Zweck. So werden bisweilen Produkte verfrüht angekündigt, lediglich um Kunden vom Kauf von Konkurrenzprodukten abzuhalten (Vaporware). Befürworter freier Inhalte weisen gelegentlich angeblichen Rechteinhabern nach, die sich besonderer Schutzrechte berühmen, dass diese durch eine FUD-Strategie versuchen, Nutzer einzuschüchtern und von der Nutzung von Werken abzuhalten, die an sich frei sind. Auch bei Rechtsstreitigkeiten kann das Mittel FUD eingesetzt werden, vor allem in Verbindung mit hohen Streitwerten und unerfahrenen Gegnern. Hier bilden Informationsempfänger und Opfer eine Einheit, beispielsweise bei einer Abmahnwelle gegen private Betreiber von Websites. Abwehr Eine mögliche Verteidigung gegen alle genannten Angriffsarten ist die Veröffentlichung der Tatsachen seitens des Opfers. Nicht zu verwechseln ist FUD mit einer offen geführten Hetz- bzw. Schmutzkampagne, was im geschäftlichen Bereich als unlauterer Wettbewerb einzustufen ist. Dokumentarfilm Der Schweizer Unternehmer und Programmierer Michael Wechner drehte 2005 einen Dokumentarfilm unter dem Titel FUD – Fear Uncertainty Doubt, in dem ein Stimmungsbild der Open-Source-Szene am Beispiel der Apache Group gezeichnet wird. Siehe auch Agnotologie Embrace, Extend and Extinguish Fnord Obskurantismus Whataboutism Literatur Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Merchants of Doubt: How a Handful of Scientists Obscured the Truth on Issues from Tobacco Smoke to Global Warming. Bloomsbury Press, 2010, ISBN 978-1596916104 Deutsche Ausgabe: Die Machiavellis der Wissenschaft. Das Netzwerk des Leugnens. Wiley-VCH, Weinheim 2014, ISBN 978-3-527-41211-2 Weblinks FUD Eintrag im Jargon File (Eric S. Raymond) Microsoft: Mit Patenten gegen Open Source Dokumentarfilm von Michael Wechner Einzelnachweise Propaganda Marktpsychologie
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https://de.wikipedia.org/wiki/Frankenthal%20%28Pfalz%29
Frankenthal (Pfalz)
Frankenthal (Pfalz) ist eine kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz im Nordosten der Region Pfalz. Unmittelbar benachbart sind die Städte Worms im Norden und Ludwigshafen im Süden. Historisch war Frankenthal vom 16. bis zum 18. Jahrhundert einer der wichtigsten Orte des Kurfürstentums Pfalz. Frankenthal fungiert als Mittelzentrum für die umliegenden Gemeinden im Rhein-Pfalz-Kreis und gehört mit ihnen zur Metropolregion Rhein-Neckar. Geographie Lage Die Stadt liegt in der Oberrheinischen Tiefebene zwischen dem Pfälzerwald im Westen und dem Rhein im Osten. Durch Frankenthal fließt die Isenach, die 6 km weiter in den Rhein mündet. Ihr früherer linker Zufluss Fuchsbach ist im Stadtgebiet verrohrt; seine Hauptwassermenge erreicht den Rhein heute über Schrakel- und Eckbach. Auf der Gemarkung der Stadt liegt mit der tiefste Punkt der Pfalz. Dieser befindet sich nur wenige hundert Meter vom Rhein entfernt auf einem Acker des Klosgartenhofs, eines landwirtschaftlichen Betriebs im nordöstlichen Vorort Mörsch an der Grenze zum Ludwigshafener Stadtteil Pfingstweide. Den höchsten Punkt der Stadt bildet mit der Monte Scherbelino, ein kleiner Hügel am städtischen Strandbad, der aus einer Mülldeponie hervorgegangen ist. Zum Jahreswechsel 1882/83 führte der Rhein Hochwasser, bei dem u. a. Ludwigshafen und Teile Frankenthals überschwemmt wurden. Der östliche Bereich Frankenthals gehört zu den Gebieten, die bei solchen sehr seltenen extremen Hochwasserereignissen betroffen sein können. Klima Der Jahresniederschlag beträgt 528 mm. Dies ist ein relativ niedriger Wert, der im unteren Zehntel der in Deutschland erfassten Werte liegt; nur an 6 Prozent der Messstationen des Deutschen Wetterdienstes werden noch geringere Niederschläge registriert. Der trockenste Monat ist der Februar, die meisten Niederschläge fallen im Juni, nämlich 2,4-mal mehr als im Februar. Die Niederschläge variieren stark, lediglich 28 Prozent der Messstationen verzeichnen noch höhere jahreszeitliche Schwankungen. Stadtgliederung Die Stadt Frankenthal (Pfalz) besteht aus der Kernstadt und vier Ortsbezirken, die früher eigenständige Dörfer waren. Geschichte Zeittafel Geschichte Ur- und Frühgeschichte Bei Grabungen auf dem Strandbadgelände im Jahr 1961 wurden Mammutknochen und menschliche Schädelfragmente entdeckt. Bei weiteren Ausgrabungen im Stadtgebiet wurden Werkzeuge und auch ein Glockenbecher gefunden, die auf den Zeitraum zwischen 4000 und 1800 v. Chr. datiert wurden, der zur Jungsteinzeit gehört. Bei Kanalisationsarbeiten in der Nähe der Friedrich-Ebert-Schule wurde ein bronzezeitliches Gräberfeld entdeckt, das aus der Zeit zwischen 1800 und 1200 v. Chr. stammt. Die Gräber waren mit reichhaltigen Beigaben, darunter eine Prunkaxt, versehen. Die Gegenstände wurden dem keltischen Volk der Mediomatriker zugeordnet. Zahlreiche Funde von Terra-Sigillata-Gefäßen in der Nähe des Rheins deuten auf eine kurzzeitige römische Besiedlung während der Eisenzeit hin. Mittelalter Erstmals erwähnt wurde die Gemeinde, die ursprünglich Franconodal hieß und eine fränkische Gründung aus dem späten 5. Jahrhundert ist, in einer mittelalterlichen Schenkungsurkunde des Klosters Lorsch vom 20. September 772. In einer weiteren Schenkungsurkunde an das Kloster Weißenburg aus dem Jahre 812 wurde diesem eine Kirche im Dorf mit Höfen, Weiden und Wiesen übertragen. 886 kam es durch lange andauernde Regenfälle zu großflächigen Überschwemmungen durch den Rhein, dessen Flussbett sich anschließend dauerhaft nach Osten verlagerte. Die Gründung eines Augustiner-Chorherrenstifts durch den Wormser Adligen Erkenbert im Jahre 1119 und eines Frauenstifts durch seine Gattin Richlindis sechs Jahre später führte zu einer grundlegenden Veränderung des dörflichen Lebens. Vor allem das Chorherrenstift entwickelte sich sehr schnell zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum, das in die gesamte Region ausstrahlte. Frankenthal erlebte seine erste Blütezeit. Von besonderer Bedeutung war das Skriptorium des Klosters, in dem zahlreiche kunsthistorisch wertvolle Handschriften entstanden, so die Frankenthaler Bibel. Stadtgründung Während das Frauenstift (Kleinfrankenthal) bereits 1431 mit päpstlicher Zustimmung aufgehoben wurde, bestand das Chorherrenstift bis ins 16. Jahrhundert. 1562 wurde es durch Kurfürst Friedrich III. aufgelöst, die Mönche vertrieben und die Gebäude und Ländereien einer Gruppe flämischer Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, die ihre Heimat wegen ihres reformierten Glaubens hatten verlassen müssen. Unter den Mitgliedern der Exulantengemeinde – zunächst 62 Familien unter der Führung des Petrus Dathenus – befanden sich zahlreiche Kaufleute, Gold- und Silberschmiede, Gobelinwirker, Textilfabrikanten und Maler. In einem Ansiedlungsvertrag (Frankenthaler Kapitulation) wurden die Bedingungen für die Niederlassung und die Rechte der Siedler festgeschrieben. 1571 fand am Ort das vom Kurfürsten initiierte Frankenthaler Religionsgespräch zwischen Täufern und Reformierten statt. Nach der 1573 überarbeiteten Kapitulation erhielt Frankenthal einen gewählten Schultheiß und ein eigenes Gericht. Die Siedlung wurde mit Graben, Mauern und Toren umgeben und erhielt am 30. Oktober 1577 Stadtrecht. Zu einem weiteren Bevölkerungsanstieg kam es, als die Kurpfalz wieder das lutherische Bekenntnis annahm und zahlreiche reformierte Wallonen aus Heidelberg nach Frankenthal übersiedelten. Sie bildeten eine zweite Kirchengemeinde mit französischer Predigt. Mit den von Pfalzgraf Johann Kasimir 1582 erlassenen neuen Statuten für die Stadt wurden die bisherigen Sonderrechte weitgehend beseitigt und die Bürger Frankenthals denen der Oberamtsstadt Neustadt gleichgestellt. Die meisten Wahlbeamten, auch der Schultheiß, wurden nunmehr durch den Pfalzgrafen eingesetzt. Mit dem Zuzug weiterer Einwohner (1584 lebten 365, 1592 668 Familien in der Stadt) setzte ein wirtschaftlicher Aufschwung ein. Seit 1581 bildeten die Tuchmacher eine Zunft. 1586 erhielten die Weber eine Ordnung und Zollfreiheit auf den Messen. Es entstanden eine Goldschmiedemanufaktur und die über die Grenzen der Pfalz hinaus bekannte Frankenthaler Malschule, zu der Gillis van Coninxloo, Anton Mirou, Pieter Schoubroeck, Henrick Gijsmans und Hendrick van der Borcht (der Ältere) gehörten. Kriege und Zerstörung Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts zur stärksten linksrheinischen Festung der Kurpfalz ausgebaut, geriet Frankenthal schnell in die Wirren des Dreißigjährigen Kriegs. Nach mehreren vergeblichen Belagerungen wurde die Stadt Ende März 1623 von den auf Seiten des Kaisers und der Katholiken kämpfenden Spaniern eingenommen und stand das nächste Jahrzehnt über wie die gesamte linksrheinische Pfalz unter spanischer Sequesterverwaltung. Im November 1632 vertrieben die Schweden die Spanier vorübergehend aus Frankenthal, die nach erneuter Eroberung im Oktober 1635 in die Stadt zurückkehrten und sie bis über das Ende des Krieges hinaus besetzt hielten. Die Spanier kämpften nach 1648 weiterhin gegen Frankreich im Französisch-Spanischen Krieg und konnten von der Festung aus das nun französische Elsass bedrohen. Erst Anfang Mai 1652 zogen sie gegen finanzielle Entschädigung durch die Reichsstände ab und übergaben Frankenthal an die im Westfälischen Frieden teilweise wiederhergestellte Kurpfalz. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stadt nur noch 324 von vor dem Krieg 18.000 Einwohnern. Besonders schwer traf die Stadt auch der Pfälzische Erbfolgekrieg. Im September 1689 wurde die Stadt von französischen Truppen in Brand gesteckt und fast völlig zerstört. Aufstieg Dem Niedergang folgte bald ein neuer wirtschaftlicher Aufstieg. Im 18. Jahrhundert wurde Frankenthal dritte Hauptstadt der Kurpfalz, im Zentrum wurde die Dreifaltigkeitskirche erbaut. Die Stadt avancierte zum Experimentierfeld staatlich-merkantilistischer Wirtschaftsförderung, wobei über 20 Manufakturen entstanden. Sie stellten vor allem Galanteriewaren her. Besondere Bedeutung erlangte die 1755 errichtete Porzellanmanufaktur, die zwar nur 45 Jahre Bestand hatte, deren Produkte aber noch heute als wertvolle Antiquitäten gehandelt werden. Den Kanalhafen verband ein 1781 vollendeter Kanal mit dem nahen Oberrhein. Auf einem der Kanalschiffe wurde noch 1875 die in Frankenthal gegossene, 26 Tonnen schwere Kaiserglocke des Kölner Doms zum Rhein transportiert. Französische und bayerische Zeit Die Nachwirren der Französischen Revolution bereiteten dieser dritten Blütezeit ein Ende. Von 1798 bis 1814 stand Frankenthal unter französischer Verwaltung und war Kantonshauptstadt im Département du Mont-Tonnerre (Donnersberg). Infolge des Wiener Kongress (1815) kam Frankenthal zunächst an Österreich und 1816 aufgrund eines Tauschvertrages an das Königreich Bayern. Frankenthal blieb lange Zeit ein „unbedeutendes Landstädtchen“, wie ein zeitgenössischer Beobachter notierte. 1820–1823 errichtete der Weinbrenner-Schüler und Regierungsbaubeamte Johann Philipp Mattlener die Zwölf-Apostel-Kirche, in welche er den historischen Turm der Erkenbert-Ruine integrierte. Industrialisierung und wirtschaftlicher Aufschwung Mit der Industriellen Revolution stellte sich neuer Aufschwung ein. Die Maschinenfabrik Hamm & Co. wurde 1845 von Georg Hamm (1817–1878) gegründet. Sie entstand aus der alten Glockengießerei von Georg Friedrich Schrader, die bereits 1774 in Betrieb ging. 1859 wurde das Unternehmen von seinem Bruder Andreas (1824–1894) übernommen und später unter dem Namen Albert & Hamm um den Bau von Druckmaschinen erweitert. Auf dieses Unternehmen gehen viele der heutigen metallverarbeitenden Betriebe der Stadt zurück und auch die Heidelberger Druckmaschinen AG entstand aus Teilen der alten Glockengießerei. Die Firmen KKK, Albert-Frankenthal, KSB und Bettinger & Balcke, die zwischen 1859 und 1899 entstanden, machten die Stadt zu einem bedeutenden Zentrum der Metallverarbeitung. Die in Frankenthal hergestellten Turbinenkessel, Druckmaschinen und Pumpen genossen weltweiten Ruf. Auch die Einwohnerzahl stieg rasch an: 1850 waren es 4767, 50 Jahre später 16.899, um das Jahr 2000 etwa 50.000. Die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts neu errichtete und längst zu eng gewordene Stadtmauer wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert bis auf geringe Reste beseitigt, die Innenstadt dicht bebaut. 1919 wurden die drei nahe der Stadt liegenden Dörfer Flomersheim, Mörsch und Studernheim eingemeindet. Neubaugebiete und neue Industrien entstanden. Entwicklung ab dem Zweiten Weltkrieg Während des Zweiten Weltkriegs betrieb die Wehrmacht in Frankenthal das Kriegsgefangenen-Stammlager XII B (kurz Stalag XII B). 1940 bestand als Außenlager des SS-Sonderlagers Hinzert (KZ) in Mörsch mehrere Monate ein Zwangsarbeitslager, dessen Häftlinge beim Autobahnbau (heutige A 6) eingesetzt wurden. Am 23. September 1943 wurde Frankenthal durch Bomben stark zerstört und verlor einen Großteil seiner älteren Bebauung. Die Stadt wurde in der Nachkriegszeit wie viele andere in zweckmäßiger, allerdings schmuckloser Architektur wieder aufgebaut. Ob die Schilderung des Dichters August von Platen aus dem Jahre 1815, Frankenthal sei ein „gar so schöngebautes Städtchen, eines der schönsten in der ganzen Pfalz“, heute noch zutrifft, ist deshalb zumindest umstritten. Auf jeden Fall konnte die Stadt in den 1950er und 1960er Jahren wieder sehr schnell an ihre wirtschaftlichen und urbanen Traditionen anknüpfen. Frankenthal war nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der französischen Besatzungszone. Die Errichtung des Landes Rheinland-Pfalz wurde am 30. August 1946 als letztes Land in den westlichen Besatzungszonen durch die Verordnung Nr. 57 der französischen Militärregierung unter General Marie-Pierre Kœnig angeordnet. Es wurde zunächst als „rhein-pfälzisches Land“ bzw. als „Land Rheinpfalz“ bezeichnet; der Name Rheinland-Pfalz wurde erst mit der Verfassung vom 18. Mai 1947 festgelegt. Im Rahmen der kommunalen Gebietsreform in Rheinland-Pfalz wurde Eppstein am 7. Juni 1969 eingemeindet. Der größere Ostteil des Landkreises Frankenthal (Pfalz) ging im heutigen Rhein-Pfalz-Kreis mit Sitz in Ludwigshafen am Rhein auf, der kleinere Westteil wurde dem neuen Landkreis Bad Dürkheim zugeschlagen. Zu einem Blowout-Ereignis kam es 1980. 15 Tage lang strömten insgesamt 15 Millionen Kubikmeter Erdgas unkontrolliert aus einem Untertagespeicher der Firma Saar-Ferngas aus, bis das defekte Bohrloch durch „Red“ Adair mithilfe eines Blowout-Preventers geschlossen werden konnte. Versuche, das Leck mit 1000 Tonnen Beton abzudichten, waren vorher gescheitert. Im Jahr 2000 rief Oberbürgermeister Theo Wieder die Frankenthaler Bürgerprojekte ins Leben. Ziel ist, Projekte zu realisieren, für welche die öffentlichen Mittel fehlen, deren ehrenamtliche Umsetzung wünschenswert ist, um die Attraktivität der Stadt zu erhöhen. 2002 fand das 425-jährige Stadtjubiläum statt. Seit dem Festjahr säumen insgesamt 149 Skulpturen von Löwen (er ist das Wappentier Frankenthals) das Stadtbild, die von Privatpersonen und Firmen gekauft und unterschiedlich bemalt worden sind. Religion In Frankenthal befinden sich jeweils sieben Kirchen der römisch-katholischen und der evangelischen Konfession, eine ökumenische Kirche, sowie mehrere Sakralbauten anderer christlicher Religionsgemeinschaften. In einem Stadtteil im Nordwesten entstand in jüngster Zeit eine Moschee (siehe Liste von Sakralbauten in Frankenthal (Pfalz)). Evangelische Kirchen (Auswahl) Lutherkirche (Frankenthal) Zwölf-Apostel-Kirche (Frankenthal) Die Kleine protestantische Pfarrkirche bestand von 1712 bis 1943, von der Stiftskirche ist die Erkenbert-Ruine erhalten. Katholische Kirchen (Auswahl) St. Cyriakus (Frankenthal-Eppstein) Dreifaltigkeitskirche (Frankenthal) Ökumenisches Gemeindezentrum Das ökumenische Gemeindezentrum im Pilgerpfad mit der St.-Jakobus-Kirche wurde von Emil Wachter entworfen. Hier finden abwechselnd sowohl evangelische als auch katholische Gottesdienste statt, die von den der jeweiligen Konfession zugehörigen Geistlichen abgehalten werden. Manche Aktionen und Gruppenveranstaltungen erfolgen gemeinsam. Konfessionsstatistik Derzeit (Stand Ende September 2023) liegt der Anteil der katholischen Bürger bei 23,2 %, der evangelischen bei 21,7 % und der sonstigen bei 55,1 %. Am 9. Mai 2011 hatte der Anteil der katholischen Bürger bei 30,5 %, der evangelischen bei 31,6 % und der sonstigen bei 37,9 % gelegen. Die Zahl der Katholiken und vor allem die der Protestanten ist demnach im beobachteten Zeitraum gesunken. Freikirchen Im Stadtteil Eppstein gibt es seit 1779 eine Mennonitengemeinde mit 45 Gemeindemitgliedern, die vor Ort und in der weiteren Umgebung leben. Hinsichtlich der Anstellung einer Pastorin wird mit der Mennonitengemeinde Ludwigshafen zusammengearbeitet. Zusätzlich existiert eine Mennoniten-Brüdergemeinde, die auf Aussiedler aus Russland zurückgeht. Sie unterhält zwei Gemeindehäuser. Auch weitere Freikirchen und andere Religionsgemeinschaften sind in Frankenthal mit eigenen Gemeinden tätig. Politik Stadtrat Der Stadtrat von Frankenthal besteht aus 44 ehrenamtlichen Ratsmitgliedern, die bei der Kommunalwahl am 26. Mai 2019 in einer personalisierten Verhältniswahl gewählt wurden, und dem hauptamtlichen Oberbürgermeister als Vorsitzendem. Wegen der Besonderheiten des rheinland-pfälzischen Wahlsystems bei den Kommunalwahlen (personalisierte Verhältniswahl) sind die angegebenen prozentualen Stimmanteile als gewichtete Ergebnisse ausgewiesen, die das Wahlverhalten nur rechnerisch wiedergeben. Die Stadtratswahlen führten zu folgenden Ergebnissen (mit Vergleichszahlen der vorigen Wahl): Oberbürgermeister und Stadtvorstand Der hauptamtliche Oberbürgermeister ist Leiter der Stadtverwaltung Frankenthal und sitzt dem Stadtrat vor; daneben leitet er das städtische Dezernat A, das unter anderem für die politischen Gremien, Bauplanungen und die Stadtwerke zuständig ist. Amtsinhaber ist seit 1. Januar 2016 Martin Hebich von der CDU; er war am 31. Mai 2015 für eine achtjährige Amtszeit gewählt worden. Martin Hebich erklärte am 28. September 2022, „nach dem Ende meiner Amtszeit keine öffentliche Person mehr sein zu wollen.“ Auch werde er nicht mehr als Oberbürgermeister kandidieren. Die letzte Oberbürgermeisterwahl fand am 25. Juni 2023 statt; gewählt wurde mit 55,4 Prozent der Stimmen Nicolas Meyer, der ab 1. Januar 2024 die Amtsgeschäfte übernehmen soll. Bisherige Oberbürgermeister von Frankenthal waren unter anderem: 1921–1933: Hermann Strasser (DDP) 1942–1945: Hieronymus Merkle (NSDAP) 1945: Hermann Strasser 1946–1947: Karl Zimmermann (SPD) 1947–1948: Karl Breyer (SPD) 1949: Adam Kroll (CDU) 1949–1959: Emil Kraus 1959–1964: Jürgen Hahn (SPD) 1964–1972: Berno Zeißler (SPD) 1972–1983: Günter Kahlberg (CDU) 1984–1989: Jochen Riebel (CDU) 1990–1999: Peter Popitz (SPD) 2000–2015: Theo Wieder (CDU) 2015–2023: Martin Hebich (CDU) Unterstützt wird der Oberbürgermeister von zwei weiteren Dezernenten, mit denen er den Stadtvorstand bildet. Dies sind derzeit Bürgermeister Bernd Knöppel (CDU; Dezernat B – Gebäude, Recht, Ordnung und Umwelt sowie die städtischen Eigenbetriebe) und der Beigeordnete Bernd Leidig (SPD; Dezernat C – Finanzen, Schulen, Familien, Jugend und Soziales). Wappen Städtepartnerschaften Offizielle Städtepartnerschaften: Colombes, , seit 26. Oktober 1958 Strausberg, (Brandenburg), seit 16. Oktober 1990 Sopot, , seit 17. April 1991 Rosolini, , seit 26. Oktober 2018 Partnerschaftliche Beziehungen: Butamwa, , seit 15. Dezember 1982 Städtefreundschaften: Puschkin, Blumenau, Kultur und Sehenswürdigkeiten Perron-Kunstpreis Seit 1981 vergibt die Stadt Frankenthal jährlich den Perron-Kunstpreis. Die Schwerpunkte der künstlerischen Arbeiten bilden abwechselnd die Disziplinen Graphik, Malerei, Plastik und Porzellan. Begleitend zur Preisverleihung findet eine Ausstellung der Nominierten statt. Sehenswürdigkeiten Erkenbert-Museum Sport Frankenthal besitzt eine Vielzahl von Sportvereinen, die das Stadtbild und die Freizeitaktivitäten aller Altersklassen prägen. Auf mehr als 400 Jahre blickt die Schützengesellschaft Frankenthal zurück; zu den ältesten und mitgliederstärksten Vereinen zählen außerdem der VfR Frankenthal, die TG Frankenthal, die VT Frankenthal und der TSV Eppstein. In Frankenthal befindet sich seit dem 1. Januar 1997 das Landesleistungszentrum Karate für Rheinland-Pfalz, welches vom 1. Shotokan Karate Club Frankenthal betrieben wird. Seit 2005 besteht das DAV-Kletterzentrum Pfalz-Rock in Frankenthal. Die Halle mit etwa 1200 m² Kletterfläche, rund 15 m Höhe und einigen stark überhängenden Wettkampfbahnen (10+) ist Landesleistungsstützpunkt Sportklettern in Rheinland-Pfalz. Regelmäßige Veranstaltungen Das Strohhutfest an vier Tagen im Mai/Juni ist mit mehr als 300.000 Besuchern das größte Straßenfest der Pfalz. Der Frühjahrsmarkt, das Strandbadfest und das Herbstspektakel (früher Oktobermarkt) sind bedeutende regionale Ereignisse, die Trendtage, die Kulturtage und der Weihnachtsmarkt besitzen lokalen Charakter. Immer größere Ausstrahlung gewinnt der winterliche Eiszauber, bei dem die Erkenbert-Ruine für mehrere Wochen in eine große Eislaufbahn verwandelt wird. Wirtschaft und Infrastruktur Im Jahre 2016 erbrachte Frankenthal, innerhalb der Stadtgrenzen, ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1,564 Milliarden €. Das BIP pro Kopf lag im selben Jahr bei 32.301 € (Rheinland-Pfalz: 34.118 €, Deutschland 38.180 €) und lag damit unter dem regionalen und nationalen Durchschnitt. Das BIP je Erwerbsperson beträgt 68.902 € und liegt damit deutlich höher. In der Stadt waren 2016 ca. 22.700 erwerbstätige Personen beschäftigt. Die Arbeitslosenquote lag im Dezember 2018 bei 5,8 % und damit über dem Durchschnitt von Rheinland-Pfalz von 4,1 %. Im Zukunftsatlas 2016 belegte die kreisfreie Stadt Frankenthal Platz 205 von 402 Landkreisen, Kommunalverbänden und kreisfreien Städten in Deutschland und zählt damit zu den Orten mit „ausgeglichenem Chancen-Risiko Mix“ für die Zukunft. Unternehmen In Frankenthal haben bedeutende Unternehmen ihren Hauptsitz: Tarkett (ehem. Pegulan), Hersteller von Fußbodenbelägen KSB SE & Co. KGaA, Hersteller von Pumpensystemen Alfred Sternjakob, Hersteller von Schulranzen der Marke Scout RKW-Gruppe, Hersteller von Folien und Vliesstoffen Außerdem bestehen Niederlassungen zahlreicher Unternehmen: Amazon-Logistikzentrum (2000 Arbeitsplätze) Koenig & Bauer AG (KBA), (Druck-)Maschinenbau (Albert-Frankenthal) Renolit AG, Herstellung von Spezialfolien Intersnack Knabber-Gebäck GmbH & Co. KG, unter anderem Chio-Chips Bender GmbH, Herstellung von Flaschenverschlüssen Rohmann GmbH, Herstellung und Entwicklung von Systemen zur Werkstoffprüfung Howden Turbo GmbH (ehem. Kühnle, Kopp & Kausch (KKK)), Turbomaschinentechnik Öffentliche Einrichtungen Die Stadt ist Sitz eines Land- und eines Amtsgerichts. Außer den beiden Gerichten ist im Justizzentrum Frankenthal auch die Staatsanwaltschaft angesiedelt. In der Justizvollzugsanstalt Frankenthal mit 420 Haftplätzen im geschlossenen Vollzug sowie 19 Haftplätzen im offenen Vollzug werden Freiheitsstrafen von maximal acht Jahren Dauer und Untersuchungshaft vollstreckt. Bildung Die Stadt ist Träger einer Reihe von Schulen, die von etwa 9000 Schülern aus der Stadt und deren Umkreis besucht werden: zehn Grundschulen zwei Realschulen plus eine integrierte Gesamtschule zwei Gymnasien eine Berufsbildende Schule drei Förderschulen Zudem unterhält die Stadt ein Schullandheim sowie eine Musikschule, die im Kulturdenkmal der ehemaligen Zuckerfabrik betrieben wird. Der Bezirksverband Pfalz ist Träger des Pfalzinstituts für Hören und Kommunikation mit Internat und Berufsschule. Dazu kommt die private Freie Waldorfschule Frankenthal. Im Sommer 2008 wurde die Frankenthaler Bildungsstiftung gegründet, die die verschiedenen Bildungseinrichtungen sowie deren Schüler fördert. Verkehr Fernstraßen Unmittelbar nördlich von Frankenthal liegt die Anschlussstelle Frankenthal-Nord der A 6 (Saarbrücken–Mannheim); von Süden her wird die Stadt über die B 9 (Speyer–Worms) erreicht. Öffentlicher Nahverkehr Frankenthal liegt an der Bahnstrecke Mainz–Mannheim. Am Hauptbahnhof Frankenthal halten halbstündlich S-Bahnen der S-Bahn RheinNeckar sowie stündlich alternierend der Regionalexpress Frankfurt–Karlsruhe bzw. Frankfurt–Mannheim. Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2021 werden neue Fahrzeuge der Baureihe 463 eingesetzt. Von Frankenthal Hauptbahnhof aus verkehren zudem halbstündlich Regionalbahnen nach Freinsheim und weiter nach Grünstadt und Ramsen/Eiswoog oder nach Monsheim. Die Strecke nach Freinsheim zweigt von der Strecke nach Ludwigshafen am Rhein südlich des Haltepunktes Frankenthal Süd ab, der zum Fahrplanwechsel am 14. Juni 2015 um 0 Uhr in Betrieb genommen wurde. Mehrere Stadt- und Regionalbuslinien, die sich alle am Frankenthaler Busbahnhof treffen, bedienen Stadtgebiet und Umland. Von 1891 bis 1939 fuhr eine Lokalbahn von Frankenthal nach Großkarlbach; die Relation wird heute von der BRN-Buslinie 460 bedient. Sonstiges In dem von der Bundesanstalt für Straßenwesen erstellten Kinderunfallatlas des Jahres 2012 verunglücken in Frankenthal 2,68 von 1000 radfahrenden Kindern. Damit liegt Frankenthal (Pfalz) auf dem sechstschlechtesten Platz aller 412 untersuchten Städte und Gemeinden. Bereits seit 1984 landet Frankenthal in vergleichbaren Untersuchungen stets auf den hintersten Plätzen. Persönlichkeiten Bekannte Persönlichkeiten aus Frankenthal sind unter anderen die Maler Jacob Marrel und Martin Föller, der Maler und Kunsthistoriker Elmar Worgull, der Bergfilmer Arnold Fanck, der Rechtshistoriker Konrad Maurer, der Arzt und Schriftsteller Paul Bertololy, der Neurologe und Psychiater Franz Nissl, der Mathematiker Oskar Perron sowie der Soziologe Stefan Hradil. Literatur – Alphabetisch nach Autoren bzw. Herausgebern sortiert. – Luis Tercero Casado: Westfalia inconclusa: España y la restitución de Frankenthal (1649–1653). In: José Martínez Millán, Rubén González Cuerva (Hrsg.): La dinastía de los Austria: las relaciones entre la Monarquía Católica y el Imperio. Band II, Madrid 2010, ISBN 978-84-96813-53-3, S. 1387–1420 (). Volker Christmann u. a.: Frankenthal, Bilder aus der Vergangenheit. Stadtverwaltung, Frankenthal 1977. Volker Christmann, Edgar J. Hürkey, Gerhard Nestler, Dieter Schiffmann, Theo Wieder (Hrsg.): Frankenthal: die Geschichte einer Stadt. Im Auftrag der Stadt Frankenthal (Pfalz). Schmidt, Neustadt an der Aisch 2013, ISBN 978-3-87707-886-0. Edgar Hürkey: Kunst, Kommerz, Glaubenskampf. Frankenthal um 1600. Ausstellungskatalog. Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 1995, ISBN 978-3-88462-118-9. Walter Jarosch, Bernd Leidig: Frankenthal: Bilder erzählen Geschichte. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Frankenthal/Pfalz. Sutton, Erfurt 2004, ISBN 978-3-89702-751-0. Anna Maus: Die Geschichte der Stadt Frankenthal und ihrer Vororte. Frankenthal 1969. Weblinks Seite der Stadt Frankenthal Einzelnachweise Ort in Rheinland-Pfalz Kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz Gemeinde in Rheinland-Pfalz Ort am Oberrhein Ehemalige Kreisstadt in Rheinland-Pfalz Blowout-Ereignis
1595
https://de.wikipedia.org/wiki/Fidel%20Castro
Fidel Castro
Fidel Alejandro Castro Ruz [ ( )] (* 13. August 1926/1927 in Birán bei Mayarí, Provinz Oriente; † 25. November 2016 in Havanna) war ein kubanischer Revolutionär, kommunistischer Politiker, marxistischer Theoretiker und diktatorisch regierender Regierungschef bzw. Staatspräsident Kubas sowie erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas. Castro war mit der Bewegung des 26. Juli (M-26-7) die treibende Kraft der kubanischen Revolution, die am Jahresende 1958 zum Sturz des Diktators Fulgencio Batista führte. Als Staats- und Regierungschef Kubas prägte er 49 Jahre lang die Entwicklung seines Landes. Politisch war Castros Rolle umstritten: Von den einen wegen der Durchsetzung eines Einparteiensystems und als Verantwortlicher für diverse Menschenrechtsverletzungen gehasst und gefürchtet, von den anderen verehrt und bewundert als Revolutionär und Befreier Kubas. Als sozial- und kulturpolitische Leistungen werden vor allem Castros Kampf gegen die verbreitete Armut und den Analphabetismus im Land hervorgehoben, so etwa die Einführung eines unentgeltlichen schulischen Bildungs- und medizinischen Grundversorgungssystems für die gesamte Bevölkerung. Als Protagonist einer antiimperialistischen Weltanschauung auf marxistischer Grundlage unterstützte Castro außenpolitisch – auch militärisch – diverse antikoloniale und nationale Befreiungsbewegungen der so genannten Dritten Welt in Unabhängigkeitskämpfen gegen die herrschenden Kolonialmächte. Nach dem ab 1960 bestehenden Embargo der Vereinigten Staaten gegen Kuba war Castro auf die wirtschaftliche Unterstützung der Sowjetunion angewiesen. Mit der Stationierung sowjetischer Kernwaffen auf Kuba im Jahr 1962 und der damit folgenden Kubakrise geriet Castro in den Fokus der Blockkonfrontation des Kalten Krieges. Gleichwohl versuchte er trotz der Verbindung zur UdSSR diese Konfrontation zu überwinden. Kuba schloss sich unter seiner Regierung der Bewegung der Blockfreien Staaten an. Fidel Castro selbst war von 1979 bis 1983 sowie von 2006 bis 2008 Vorsitzender der Blockfreien Staaten. Leben Jugend und Familie Fidel Castro wurde am 13. August 1926 oder 1927 geboren. Er war ein nichteheliches Kind des Zuckerrohrplantagenbesitzers Ángel Castro Argiz und dessen Hausköchin Lina Ruz González. Sein Vater war ein spanischer Immigrant aus dem galicischen Dorf San Pedro de Láncara, der als Soldat der spanischen Kolonialarmee nach Kuba kam. Castros Mutter war die Tochter eines Bauern aus der kubanischen Provinz Pinar del Río, der bei Castros Vater angestellt war. Der Vorname Fidel geht auf einen Freund von Castros Vater, Fidel Pino Santos, zurück. Castro hat neben den Brüdern Raúl und Ramón (1924–2016) noch die Schwestern Ángela María („Angelita“), Enma, Juana („Juanita“) und Agustina sowie zwei Halbgeschwister aus der ersten Ehe seines Vaters (Pedro Emilio und Lidia Castro Argota) und mindestens einen weiteren Halbbruder aus einer außerehelichen Beziehung seines Vaters. Das erste offizielle Dokument ist eine Taufurkunde aus dem Jahr 1935, die auf den Namen „Fidel Hipólito Ruz González“ ausgestellt ist. Er trägt dort beide Nachnamen der Mutter, da er als nichteheliches Kind ausgewiesen wird. Nach der Scheidung seines Vaters 1941 ließ dieser eine neue Taufbescheinigung für Fidel ausstellen, sie lautete nun auf den Namen „Fidel Ángel Castro Ruz“; das Geburtsdatum soll gegen Bestechung auf den 13. August 1926 vordatiert worden sein, damit Fidel das Jesuitenkolleg in Havanna besuchen konnte, wofür er eigentlich noch zu jung gewesen wäre. Das letzte Taufzeugnis wurde dann im Dezember 1943 nach der Heirat seines Vaters mit Mutter Lina auf den endgültigen Namen „Fidel Alejandro Castro Ruz“ ausgestellt. Castro wurde von seiner Mutter katholisch erzogen. Trotz des Reichtums der Familie (sein Vater Ángel hatte ein Hotel, eine Telegrafenstation, eine Metzgerei und eine Bäckerei, mehrere Handwerksbetriebe sowie eine kleine Schule eingerichtet) kam er häufig mit der armen Landbevölkerung in Kontakt. Er besuchte erst eine kleine Dorfschule in Mayarí, später kam er auf das von den Marianern geleitete Colegio La Salle in Santiago de Cuba. Er wohnte bei der Familie des haitianischen Konsuls Luis Hibbert, einem Geschäftspartner des Vaters. Als uneheliches und (zunächst) nicht getauftes Kind wurde Fidel von seinen Mitschülern oft gehänselt. Die Taufe erfolgte erst im Januar 1935 auf den Namen Fidel Hipólito Ruz González. Der zweite Vorname Hipólito stammt von seinem Paten, Luis Hipólito Alcides Hibbert. Der Nachname seines Vaters tauchte in der Taufurkunde nicht auf, da dieser seine Kinder mit Lina Ruz erst nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau und seiner anschließenden Heirat mit Lina im April 1943 formal anerkannte. 1943 erhielt Fidel dann seinen endgültigen Namen Fidel Alejandro Castro Ruz. Vom Colegio La Salle wechselte er auf die jesuitische Schule Colegio Dolores in Santiago und später auf das ebenfalls jesuitisch geführte Colegio Belén in Havanna. Auch seine Geschwister wurden auf katholischen Schulen erzogen. Im Gegensatz zur ausgeprägten katholischen Familientradition wandte sich Castro nach seinem Aufstieg zum Regierungschef zunehmend gegen die Kirche, deren Einfluss auf die kubanische Gesellschaft er auf vielfältige Weise zurückdrängte. 1960–1961 kam es wegen der schrittweisen Hinwendung der Revolutionsregierung zum Kommunismus dann zum offenen Konflikt: Castro lehnte die Religion analog der von ihm nun offen vertretenen marxistisch-leninistischen Ideologie schließlich komplett ab und ließ ihre Vertreter und Anhänger verfolgen und ausgrenzen sowie kirchliches Eigentum größtenteils verstaatlichen. Entgegen den seit 1962 oft wiederholten Berichten wurde Castro jedoch niemals explizit exkommuniziert. Der von Papst Pius XII. 1949 in einem Dekret verfügte automatische Kirchenausschluss für erklärte Kommunisten wurde von Papst Johannes XXIII. nicht vollzogen. Castro selbst bezeichnete sich als Atheist, berief sich aber hin und wieder auf die Bibel und das Christentum. Ein hohes Regierungsmitglied charakterisierte ihn folgendermaßen: „Fidel ist als erstes Revolutionär, als zweites Jesuit und erst dann Marxist.“ 1996 erhielt Castro eine viel beachtete Privataudienz bei Papst Johannes Paul II., den er 1998 zu einem offiziellen Besuch in Kuba empfing. Aus Anlass eines Treffens mit Papst Benedikt XVI. während dessen Kuba-Besuchs im März 2012 ließ er verlauten, dass er schon seit den 1960er Jahren der Meinung sei, dass Marxisten und Kirche zusammenarbeiten müssten. Später sah er sich verstärkt als Globalisierungskritiker und Sprecher für die Interessen der Dritten Welt. Sein ältester Sohn Fidel Castro Díaz-Balart (1949–2018), genannt Fidelito (Kleiner Fidel), der aus der Ehe mit seiner ersten Frau Mirta Díaz-Balart Gutiérrez stammte, war promovierter Atomphysiker und bekleidete verschiedene öffentliche Funktionen im Wissenschaftsbereich. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis 1955 hatte Fidel drei Kinder mit drei Frauen: Ergebnis der Liaison mit Natalia „Naty“ Revuelta ist die uneheliche Tochter Alina Fernández Revuelta (* 1956), die 1993 über Spanien in die USA floh und als eine der schärfsten Kritikerinnen ihres Vaters gilt. Aus einer Beziehung mit María Laborde stammt Sohn Jorge Ángel (* 1956). Mit Micaela Cardoso zeugte er Tochter Francisca „Panchita“ Pupo, die ebenfalls 1956 zur Welt kam. Die erste Ehe wurde 1955 wegen Castros Untreue geschieden. Aus der zweiten Ehe mit Dalia Soto del Valle Jorge gingen fünf Söhne hervor, von denen allein Antonio Castro Soto del Valle als langjähriger Vizepräsident des kubanischen Baseball-Verbandes und dritter Vizepräsident des Baseball-Weltverbands in der Öffentlichkeit steht. Studium und erste politische Betätigung Schon in seiner Schulzeit interessierte sich Castro für Sport, vor allem Baseball. Entgegen einer lange Zeit verbreiteten Legende hat er jedoch niemals einen amerikanischen Profivertrag angeboten bekommen. Er spielte Baseball für seine Universität und zeigte Zeit seines Lebens großes Interesse an diesem Sport. 1945 begann er an der Universität von Havanna ein Jura-Studium und fiel durch politisches Engagement auf. Castro gehörte dort zu einer Gruppe von Studenten, die als Los muchachos de gatillo alegre (etwa: Jungs, die fröhlich am Drücker/Abzug sind) bekannt waren. Er wurde Delegierter der Vereinigung der Jurastudenten, gründete einen Studentenausschuss gegen Rassendiskriminierung und schloss sich 1947 der Orthodoxen Partei von Eduardo Chibás an, die gegen die korrupte Regierung von Carlos Prío und für eine an den nationalen Interessen orientierte Wirtschaftspolitik eintrat. In seiner ersten militanten Aktion beteiligte er sich 1947 am Versuch der Karibischen Legion, mit 3.000 Mann den Diktator der Dominikanischen Republik, Rafael Trujillo, zu stürzen. Das Vorhaben scheiterte, die Expeditionsschiffe wurden von kubanischen Kriegsschiffen abgefangen. 1948 heiratete er Mirta Díaz-Balart, eine Philosophiestudentin aus einer ebenfalls wohlhabenden kubanischen Familie und die Schwester seines damaligen Freundes Rafael Díaz-Balart (der spätere Diktator Batista soll ein Hochzeitsgeschenk geschickt haben). 1949 wurde sein erster Sohn, Fidelito, geboren. Die Ehe wurde 1955 auf Castros Wunsch hin wieder geschieden. Während der kubanischen Revolution wurde die Guerillera Celia Sánchez (1920–1980) seine Lebensgefährtin. Im Jahr 1950 erwarb Castro einen Doktorgrad in Zivilrecht und ein Lizenziat in Diplomatenrecht. Er eröffnete in Havanna eine Rechtsanwaltskanzlei, die er bis 1953 führte. Mit seinem Beruf war er jedoch weder zufrieden noch erfolgreich. Sein Interesse galt der Politik, und im Juni 1952 wollte er mit der Orthodoxen Partei bei den Parlamentswahlen antreten. Der Staatsstreich vom 10. März, angeführt von General Fulgencio Batista, führte zwar zur Absetzung der Regierung Carlos Prío, durchkreuzte aber Castros Pläne: Die Wahlen wurden abgesagt, und Castro verklagte daraufhin Batista wegen Verfassungsbruchs, doch die Klage wurde vom Obersten Gerichtshof abgewiesen. Er veröffentlichte dann einen Artikel in Son Los Mismos (einer kleinen studentischen Untergrundzeitung, später als El Acusador bekannt), in dem er Batistas Militärputsch verurteilte. Angriff auf die Moncada-Kaserne Nach der gescheiterten Klage gegen Batista erklärte Castro, dass nach Ausschöpfung aller legalen Mittel nun das in der Verfassung von 1940 verankerte Widerstandsrecht in Kraft getreten sei. Er begann damit, einen Angriff auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba und die Kaserne Carlos Manuel de Céspedes in Bayamo vorzubereiten, um einen Volksaufstand im Osten Kubas auszulösen und das Batista-Regime zu stürzen. Am 26. Juli 1953 versammelte Castro rund 160 Mitstreiter um sich, um die Kasernen zu stürmen. 40 Mann waren für die Kaserne in Bayamo bestimmt, die restlichen 120, darunter auch Fidel und zwei Frauen, sollten sich mit mehr als 1.500 Mann Besatzung um die Moncada-Kaserne kümmern. Fünf Studenten lehnten kurz vor der geplanten Aktion den Einsatz ab, so dass Fidels Gruppe nur noch 115 Personen zählte. Er rechnete damit, dass die Truppen wegen der Karnevalsfeiern müde sein würden. Der miserabel vorbereitete Versuch, bei dem acht Angreifer und 13 Soldaten getötet wurden, scheiterte. Blutige, teilweise in aller Öffentlichkeit durchgeführte Racheaktionen von Militär und Geheimpolizei machten die Aktion jedoch landesweit bekannt. Der Erzbischof von Santiago Enrique Pérez Serantes, ein Freund der Castro-Familie, forderte das sofortige Ende der mörderischen Aktionen. Womöglich rettete dieser öffentliche Meinungsumschwung Castro das Leben; denn als er wenige Tage später von einer Militärpatrouille aufgespürt wurde, verhinderte der anführende Feldwebel eine Lynchaktion seiner Soldaten. Castro wurde festgenommen und der Justiz überstellt. Am 16. Oktober 1953 fand in Santiago de Cuba die Gerichtsverhandlung statt. In seiner Verteidigungsrede sprach Castro den berühmt gewordenen Satz: „Die Geschichte wird mich freisprechen!“ („La historia me absolverá!“). Er wurde zu 15 Jahren Zuchthaus auf der Isla de Pinos verurteilt. Unter liberalen Haftbedingungen – sein Schwager Rafael Díaz-Balart war inzwischen stellvertretender Innenminister – hielt er weiterhin Kontakt zu seinen politischen Freunden und seiner Familie und bildete sich zusammen mit seinen Mitgefangenen politisch weiter. Die als politische Gefangene privilegierten Moncada-Kämpfer hatten u. a. freien Zugang zu Literatur aller Art. Am 15. Mai 1955 kam Castro im Rahmen einer Generalamnestie nach weniger als zwei Jahren frei. Castro verließ im März 1955 die Orthodoxe Partei und gründete mit seinen Gefährten auf Kuba am 12. Juni 1955 die Bewegung des 26. Juli. Deren Strategie war der bewaffnete Kampf mit kleinen geheimen Zellen im Untergrund, die über das ganze Land verstreut waren. Exil und Vertreibung Batistas Da auf Kuba eine militärische Ausbildung und Vorbereitung nicht möglich war, ging eine Gruppe von 82 Kämpfern am 7. Juli 1955 nach Mexiko ins Exil. Unter der Leitung des ehemaligen spanischen Offiziers Alberto Bayo, der im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik gegen Francisco Franco gekämpft hatte, begann die militärische Ausbildung der Guerilleros. Dort traf Castro auch auf den Argentinier Ernesto Guevara, später von allen Che genannt. Am 25. November 1956 brach Castro zusammen mit seinem Bruder Raúl, Che Guevara, Camilo Cienfuegos und weiteren 78 Revolutionären von Tuxpan (Mexiko) mit der Yacht Granma nach Kuba auf, wo sie am 2. Dezember ankamen. Als Comandante en Jefe (Befehlshabender Kommandant) führte er die Rebellenarmee in der Sierra Maestra an. Nach über zwei Jahren Guerillakampf gegen die zahlenmäßig weit überlegene Armee flüchtete Batista am 1. Januar 1959 schließlich aus Kuba. Die Gewerkschaften und auch bürgerliche Demokraten hatten sich gegen den Diktator gestellt, die USA hatten nach einem Massaker an Oppositionellen ein Waffenembargo verhängt und verweigerten militärischen Beistand. Gleichwohl engagierte sich die CIA bis zum Untergang des Batista-Regimes gegen Revolutionsbefürworter und für das alte Regime, vor allem in Havanna. Nach dem Sieg wurde Castro, der noch vor der Revolution behauptet hatte, er wolle keine Macht für sich persönlich, sondern nach dem Sturz des alten Regimes sich ins Privatleben zurückziehen, de facto der neue Regierungschef Kubas, indem er in öffentlichen Massenversammlungen und Fernsehansprachen die Politik der Revolutionsführung vorgab. Am 16. Februar 1959 übernahm er auch formal das Amt des Ministerpräsidenten, nachdem der erst fünf Wochen zuvor von ihm eingesetzte José Miró Cardona zu seinen Gunsten zurückgetreten war, und übergab den Oberbefehl über die Streitkräfte an seinen Bruder Raúl. Castros Rolle beim Aufbau des neuen Kuba Castro war noch für einige Zeit das Bindeglied zwischen linksradikalen Revolutionären und den Anhängern bürgerlich-liberaler Überzeugungen innerhalb seiner Anti-Batista-Bewegung, die er allerdings im Laufe des Jahres 1959 (darunter Manuel Urrutia, Huber Matos, Manuel Ray) und in der ersten Jahreshälfte 1960 (Rufo López Fresquet, Enrique Oltuski, Marcelo Fernández Font u. a.) von einflussreichen Regierungsämtern entfernte und durch prokommunistische Gefolgsleute ersetzte, während sein Bruder Raúl und Che Guevara die Aufnahme von Beziehungen zu den sozialistischen Ländern forcierten. Seit Januar 1959 hatten die Brüder Castro und Guevara in geheimen Verhandlungen mit der Führung der moskautreuen Kommunistischen Partei (PSP) an Castros Wohnsitz in Cojímar sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt. Erst nach einem persönlichen Treffen mit Nikita Chruschtschow am Rande der UN-Vollversammlung 1960 begann Castro allmählich, sich auch öffentlich positiv zur Sowjetunion zu äußern. In Anwesenheit von Ehrengästen aus kommunistischen Ländern erklärte er in seiner weichenstellenden Rede zum 1. Mai 1960 erstmals, dass er im Gegensatz zu seinen vor der Revolution wiederholten Versprechungen keine freien Wahlen abzuhalten gedenke. Während Castro, Guevara und andere auf die besondere Rolle Kubas in der revolutionären und sozialistischen Bewegung und unter den nichtpaktgebundenen Staaten Wert legten, wollten die Altkommunisten um Blas Roca und Aníbal Escalante die neue Partei und Kuba auf die führende Rolle der Sowjetunion (UdSSR) einschwören. Doch Castro setzte sich nach einem Machtkampf im Frühjahr 1962 durch. In der Kubakrise im Oktober 1962 forderte er von Chruschtschow – vergebens – einen atomaren Erstschlag auf US-amerikanisches Territorium für den Fall einer US-Invasion in Kuba. Dass sein Land in einem nuklearen Krieg zerstört worden wäre, wollte er in Kauf nehmen, da das kubanische Volk bereit gewesen wäre, seine revolutionären „Pflichten gegenüber dem Vaterland und der Menschheit zu erfüllen“, wie er an Chruschtschow schrieb. Er war verärgert darüber, dass der Abzug der sowjetischen Raketen zur Beendigung der Krise mit ihm nicht abgesprochen worden war. Wütend wegen Chruschtschows Einlenken ließ Castro im ganzen Land antisowjetische Demonstrationen durchführen. Die Spannungen in den Beziehungen zur UdSSR verschärften sich nach dem Sturz Chruschtschows 1964 u. a. wegen Che Guevaras Sympathien für den Maoismus und nach einem mit Moskau abgesprochenen Versuch von Escalante, Castro zu stürzen (Ende 1967). Auf einer Kundgebung spielte Castro die betreffenden Abhörbänder vor; Escalante und seine Anhänger wurden im Januar 1968 verhaftet. Eine neue Phase der engen Anlehnung an das sowjetische Vorbild setzte bereits wenige Monate später ein, als Castro seine Unterstützung für die Niederschlagung des Prager Frühlings erklärte, die ihn unter linken Intellektuellen damals international viele Sympathien kostete. Die von Castro in den 1970er Jahren vorangetriebene Institutionalisierung des Revolutionsstaates (I. Parteitag, Verfassung, Nationalversammlung) folgte klar dem Muster der sowjetisch dominierten Ostblockstaaten. Internationalismus Unter Castro verfolgte Kuba eine Politik des Internationalismus. Er entsandte, gewissermaßen als Gegenleistung für die umfangreiche Entwicklungshilfe der Sowjetunion, in enger Anlehnung an die Außenpolitik des Ostblocks, Truppen zur Unterstützung kommunistischer Regimes. Die Regierung unterstützte beispielsweise die Sandinisten in Nicaragua, die gegen von den USA unterstützte, rechtsgerichtete Contra-Gruppen kämpften. Darüber hinaus verfolgte Kuba ein dauerhaftes militärisches und geheimdienstliches Engagement in Zentralafrika, besonders in Angola, und auch in Äthiopien. Dort landeten am Vorabend der Unabhängigkeit (1975) kubanische Truppen, um der marxistisch-leninistischen Volksbewegung zur Befreiung Angolas (MPLA) unter Agostinho Neto zur Machtergreifung zu verhelfen und die FNLA und die UNITA zurückzuschlagen (siehe Kubanischer Militäreinsatz in Angola). Wesentlicher Teil des kubanischen Internationalismus ist die Entsendung von Ärzten, Lehrern, Technikern und Konstrukteuren hauptsächlich in Länder der Dritten Welt. So wurden bisher über 50.000 Ärzte in über 60 Länder geschickt, die dort humanitäre Hilfe leisten und Devisen für Kuba erwirtschaften, nach Schätzungen des Sozialwissenschaftlers Omar Everleny Pérez Villanueva etwa sechs Milliarden US-Dollar pro Jahr. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz von kubanischen Ärzten in den Armenvierteln Venezuelas. Beim Projekt „Barrio Adentro“ (dt. etwa: hinein ins Armenviertel) bezogen Ärzte aus Kuba Quartier in den Barrios, um dort eine medizinische Grundversorgung anzubieten und so die bolivarische Revolution zu unterstützen. Als Gegenleistung liefert Venezuela sein Öl an Kuba weit unter Weltmarktpreis. Nach 1989 Castro stand Michail Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika ablehnend gegenüber. Er nahm das mit den Reformen verbundene Risiko eines Auseinanderbrechens des Moskauer Machtbereichs für das eigene politische Überleben sehr ernst und verteidigte die von ihm errichtete marxistisch-leninistische Ordnung des kubanischen Staates gegen die im In- und Ausland vorherrschenden Rufe nach wirtschaftlicher und politischer Öffnung. Für Kubas Wirtschaft war der Handel mit den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) von größter Bedeutung. Als ab 1989 wegen des Systemwechsels in den meisten Mitgliedsländern der RGW ausfiel, stürzte Kuba in eine wirtschaftliche Krise, die Castro zu Wirtschaftsreformen zwang. Dazu zählten die Legalisierung, Dollars zu besitzen, sowie die Zulassung von selbständigen Tätigkeiten und freien Bauernmärkten, begleitet von einer Öffnung des Landes für Touristen und ausländische Investoren. Diese Zeit wird heute Periodo Especial en Tiempo de Paz (Sonderperiode in Friedenszeiten) oder kurz Periodo Especial genannt. Die Versorgungslage hat sich danach trotz weiterhin bestehender Engpässe etwas gebessert, das politische System im Wesentlichen aber nicht verändert. Politische Ämter und schrittweises Abtreten ab 2006 Castro hatte das Amt des Staatspräsidenten, des Staatsratsvorsitzenden sowie des Ministerratsvorsitzenden gleichzeitig inne. Als Präsident hielt er zugleich den Rang eines Comandante en Jefe (Oberkommandierender) der kubanischen Armee. Ferner war er bis 2011 Erster Sekretär der Kommunistischen Partei Kubas. Am 1. August 2006 gab Fidel Castro wegen einer schweren Erkrankung alle seine Funktionen und Ämter vorläufig an seinen jüngeren Bruder Raúl ab. Am Vorabend hatte Castros Privatsekretär Carlos Valenciaga einen persönlichen Brief des Präsidenten im Fernsehen verlesen: „[…] aufgrund der Arbeit Tag und Nacht ohne genügend Schlaf kam es zu extremem Stress und in der Folge zu Darmblutungen. Deshalb musste ich mich einem komplizierten chirurgischen Eingriff unterziehen.“ Am 17. Dezember 2007, rund einen Monat vor den Parlamentswahlen, deutete Fidel Castro in einem Brief an, dass er sich von seinen Führungsämtern nun vollständig zurückziehen wolle. Seinen endgültigen Verzicht auf eine erneute Kandidatur als Staatspräsident und Oberkommandierender verkündete er in einer von der Parteizeitung Granma am 19. Februar 2008 veröffentlichten Mitteilung. Am 24. Februar wählte das Parlament seinen Bruder Raúl zu seinem Nachfolger. Im Vorfeld des VI. Parteikongresses der Kommunistischen Partei im April 2011 sagte Fidel Castro, dass er eigentlich schon seit 2006 den Posten als deren Generalsekretär nicht mehr ausübe. Am 19. April 2011 trat er das Amt offiziell an seinen Bruder ab. Seit der Einrichtung des Parlaments Asamblea Nacional del Poder Popular im Jahr 1976 war Fidel Castro Abgeordneter für den Wahlbezirk Santiago de Cuba. Zuletzt ließ er sich 2008 für die laufende VII. Legislaturperiode wiederwählen, es war sein letztes offizielles Mandat. Nach über vierjähriger Abwesenheit ließ er im August 2010 eine Sondersitzung einberufen, um die Abgeordneten und die Nation in einer Rede vor den Gefahren eines bevorstehenden internationalen Atomkriegs zu warnen. Attentate, Sturzpläne Seit Castros Amtsantritt gab es zahlreiche Mordanschläge und Pläne zu seinem Sturz; siehe hierzu insbesondere die Operation Mongoose der US-amerikanischen Regierung und der CIA. Fabian Escalante, der ehemalige kubanische Geheimdienstchef, der lange Zeit für Castros Sicherheit zuständig war, will insgesamt 638 Attentate gezählt haben, die meisten davon geplant oder unterstützt von der CIA und ausgeführt von Exilkubanern oder US-amerikanischen Mafiosi. Die CIA selbst gab bisher acht eigene Mordversuche zu. Tatsächlich gab es wohl um die 30 Attentatsversuche, die Castro, auch dank des effizienten Geheimdienstes, unbeschadet überstand. Aufgrund der immensen Zahl an Attentatsversuchen soll Castro nach Angaben der regierungsnahen kubanischen Internetseite Cubadebate ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen werden als jene Person, der weltweit die meisten Attentatsversuche galten. Im Jahr 2011 war auf der dortigen Online-Repräsentanz nur ein Eintrag als „am längsten dienender Staatsmann der Welt“ zu finden. Die Palette der eingesetzten Mittel reichte von Gift in Zigarren oder Essen über Haarausfall bewirkende Chemikalien oder LSD bis zu Schusswaffen oder Bomben. Die CIA arbeitete bei den Attentatsplanungen auch mit den beiden Mafia-Größen Sam Giancana und Santo Trafficante zusammen, die zu den meistgesuchten Kriminellen der USA gehörten. Die von den USA gegen Kuba verhängten Wirtschaftssanktionen waren ebenfalls dem Sturz Fidel Castros gewidmet. Robert Torricelli, Initiator des Torricelli Act, erklärte 1992, das Ziel der Sanktionen sei die Lahmlegung der kubanischen Ökonomie in einem Ausmaß, das innerhalb weniger Wochen zum Sturz des kubanischen Präsidenten führen sollte. US-Außenminister Colin Powell legte am 1. Mai 2004 einen 500-seitigen Bericht der Beratungskommission für ein freies Kuba vor, in dem innerhalb von sechs Monaten unter Mitarbeit des kubanischstämmigen US-Wohnungsbauministers Mel Martínez Maßnahmen für einen schnellen Regimewechsel auf Kuba erarbeitet worden waren. Erkrankung und Rückzug aus der aktiven Politik Mitte 2006 erlitt Fidel Castro eine Darmblutung und musste sich einer komplizierten Operation unterziehen. Unbestätigten Angaben zufolge wurden dabei Teile seines Darms entfernt. In der Folge trat er zunächst nur „vorläufig“, Anfang 2008 dann endgültig von seinen politischen Ämtern zurück (siehe oben). Er traf sich jedoch noch gelegentlich mit hohen Besuchern, die nach Kuba reisten, zu privaten Gesprächen. Darunter waren bis 2012 mehrere amtierende und ehemalige Staatspräsidenten (u. a. Dmitri Medwedew, Mahmud Ahmadineschad und Jimmy Carter) sowie Papst Benedikt XVI. Sein politischer Einfluss auf die aktuelle Politik kurz vor seinem Tod ist umstritten. Offiziell beriet er nur seinen Bruder Raúl, den neuen Staatschef. Jedoch meinten Beobachter, dass wirkliche Reformen in Kuba erst nach Fidel Castros Tod verwirklicht werden könnten, da er weiterhin darauf achte, dass sein Weg der Revolution nicht verlassen wird. Zwischen März 2007 und Juni 2012 verfasste Castro zahlreiche Kolumnen unter der Rubrik Überlegungen des Genossen Fidel (bis Februar 2008 Überlegungen des Oberkommandierenden Fidel), die in der Parteizeitung Granma und den meisten anderen Medien des Landes veröffentlicht wurden. Danach wurden die Überlegungen seltener. Jedoch widmete er sich um 2013 scheinbar verstärkt Fragen der Landwirtschaft, um die landeseigene Lebensmittelproduktion zu erhöhen. Nachdem Fidel Castro seit 1959 insgesamt zehn US-Präsidenten erlebt hatte, erklärte er im Januar 2009, dass er das Ende der Amtszeit des damals neu gewählten Präsidenten Barack Obama, „seines“ nunmehr elften Präsidenten, im Jahre 2013 wahrscheinlich nicht mehr erleben werde. Im Laufe des Jahres wirkte Castro auf den veröffentlichten Fotos jedoch zunehmend gesünder. Ende August 2009 war er seit langer Zeit erstmals wieder im Fernsehen zu sehen, und am 7. Juli 2010 zeigte er sich bei einem Besuch des Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung (CNIC) erstmals seit seiner Erkrankung wieder in der Öffentlichkeit, wo er sich zunächst ausschließlich zu außenpolitischen Themen äußerte und unter anderem vor einem Atomkrieg infolge eines US-Angriffs auf den Iran oder des Koreakonflikts warnte. Er betonte auch, dass er inzwischen wieder vollkommen genesen sei. Seit dieser Zeit waren wieder verstärkt Einmischungen in innenpolitische Themen zu beobachten. Experten sahen darin einen Grund für die schleppenden Reformen seines Bruders Raúl im Amt des Staatsoberhaupts. Castros wahrer Einfluss auf die Politik seines Bruders in seinen letzten Jahren ist jedoch schwer einzuschätzen. Der Historiker Michael Zeuske glaubt, dass Fidels Rücktritt es ihm erlaubte, seinen Mythos nicht zu beschädigen. Die notwendigen und für die Bevölkerung zum Teil schmerzhaften Reformen müsse nicht er, sondern sein Bruder Raúl verantworten. Fidel dagegen wurde zu Lebzeiten bei vielen Kubanern als derjenige angesehen, „bei dem noch alles besser war“. Am 18. August 2010 lobte Castro in der Parteizeitung Granma den russischen Publizisten Daniel Estulin. Dieser behauptet in von Castro zitierten Exzerpten u. a., die Gründer der Bilderberg-Konferenz hätten Hitler an die Macht gebracht, den Zweiten Weltkrieg finanziert, die NATO gegründet, mit Hilfe der Frankfurter Schule und des Tavistock Institute die Massen durch Rockmusik und Drogen entpolitisiert, den Jom-Kippur-, den Afghanistan- und den Kosovokrieg initiiert, und sie würden den Drogenhandel begünstigen und Flugpassagierdaten ausforschen. In der folgenden Woche besuchte Estulin Castro zu einem öffentlichen Gespräch, in dem sich beide darüber einig zeigten, dass die USA Russland militärisch zerstören wollten und Osama bin Laden ein Agent der CIA gewesen sei. Im September 2010 hielt Castro vor jeweils mehreren Tausend Zuhörern seine letzten öffentlichen Reden, zunächst auf der Freitreppe der Universität Havanna an kubanische Studenten gerichtet, wenige Wochen später zum 50. Jahrestag des Komitees zur Verteidigung der Revolution vor dem Revolutionsmuseum. Bei einem weiteren Vortrag anlässlich der Vorstellung seines Erinnerungsbands Der strategische Sieg bezeichnete Castro die in Frankreich praktizierte, kontrovers diskutierte Abschiebung von rund 1000 rumänischen Roma in ihr Heimatland als „Rassen-Holocaust“, was von der französischen Regierung heftige Ablehnung erfuhr. Unmittelbar darauf schrieb Castro in seiner Kolumne, Präsident Nicolas Sarkozy sei „offenbar gerade dabei, den Verstand zu verlieren“. Besonderes Aufsehen erregte Castro im selben Monat durch Äußerungen gegenüber dem US-Journalisten Jeffrey Goldberg, der ihn für ein Interview über mehrere Tage begleitete. So rief er den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad auf, seine antisemitische Ideologie zu beenden und das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Des Weiteren meinte er auf die Frage, ob das „kubanische Modell“ immer noch wert sei, exportiert zu werden: „Das kubanische Modell funktioniert selbst bei uns nicht mehr“. Nach der Veröffentlichung relativierte Castro seine Aussagen, er habe sie ironisch gemeint, was die bei dem Gespräch ebenfalls anwesende US-amerikanische Lateinamerikaexpertin Julia Sweig bestritt. Beobachtern zufolge wollte Castro die eingeleiteten Wirtschaftsreformen seines Bruders Raúl gegen Widerstände in den eigenen Reihen in Schutz nehmen. Die Revolution selbst wollte er aber nicht in Frage stellen, so Sweig. Castro-Biograf Carlos Widmann vermutet, dass Fidel zwar weiterhin eher gegen die Raúl'schen Reformen war, inzwischen aber resigniert habe. Seine Äußerungen seien Galgenhumor. Das seit Ende 2014 aufkommende Tauwetter in den Beziehungen zu den USA sah Castro kritisch. „Wir haben es nicht nötig, dass uns das Imperium etwas schenkt“, war sein zentraler Kommentar zum Besuch von Barack Obama in Kuba im März 2016, dem ersten US-Präsidenten seit 88 Jahren, der dem Land einen offiziellen Besuch abgestattet hatte. Ob es sich um eine gefestigte Ablehnung der Annäherung zwischen beiden Staaten oder um eine Good-Cop-Bad-Cop-Strategie zwischen den Brüdern Raúl und Fidel handelte, blieb unklar. Bei der Parlamentswahl im Februar 2013 gab er erstmals seit seiner Erkrankung in einem öffentlichen Wahllokal seine Stimme ab und stellte sich Fragen der anwesenden Journalisten. Nach den Wahlen gehörten sowohl Fidel als auch sein Bruder Raúl weiterhin zu den Abgeordneten. Tod Fidel Castro starb am späten Abend des 25. November 2016 nach offiziellen Angaben im Alter von 90 Jahren in Havanna. Sein Bruder Raúl verlas anschließend im Fernsehen eine kurze Erklärung, in der er erwähnte, dass der Tote am folgenden Tag auf eigenen Wunsch eingeäschert werde. Die Asche Castros wurde über mehrere Tage hinweg bis nach Santiago de Cuba gebracht. Castros letzte Reise nahm damit die umgekehrte Route der „Karawane der Freiheit“, mit der die Revolutionäre 1959 nach dem Sturz des Diktators Fulgencio Batista nach Havanna eingezogen waren. Die Beisetzung erfolgte nach einer neuntägigen Staatstrauer am 4. Dezember auf dem Cementerio Santa Ifigenia in Santiago de Cuba. Reaktionen auf seinen Tod Nachdem Barack Obama nach Jahrzehnten des US-Boykotts gegen Kuba in seiner Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten noch zu Lebzeiten Castros wieder diplomatische Kontakte der USA zu Kuba eingeleitet hatte, bezeichnete dessen politischer Gegner und Nachfolger Donald Trump als „President elect“ Castro nach seinem Tod als „einen brutalen Diktator, der sein eigenes Volk fast sechs Jahrzehnte unterdrückte“. Laut Trump hinterlasse Castro ein Vermächtnis von „Erschießungskommandos, Diebstahl, unvorstellbarem Leid, Armut und der Versagung fundamentaler Menschenrechte“. Der indische Premierminister Narendra Modi hingegen befand: „Indien beweint den Verlust eines großen Freundes. Möge seine Seele in Frieden ruhen.“ Der Präsident Boliviens Evo Morales sagte: „Das Ableben des Bruders Comandante Fidel ist sehr schmerzlich. Die beste Ehrung ist die Einheit der Völker, ist, niemals seinen Widerstand gegen das imperialistische Modell und gegen das kapitalistische Modell zu vergessen“. Südafrikas Präsident Jacob Zuma bekannte: „Ich werde die Solidarität Kubas in der Phase des Kampfes gegen die Apartheid nie vergessen“. Für die Ex-Präsidentin Brasiliens Dilma Rousseff war Castro „ein zeitgenössischer Visionär, der an den Aufbau einer brüderlichen, gerechten, von Hunger und Ausbeutung freien Gesellschaft glaubte, an ein vereintes und starkes Lateinamerika.“ und die Ex-Präsidentin Argentiniens Cristina Fernández de Kirchner erklärte: „Fidel und Kuba treten endgültig in die große Geschichte ein. Zusammen mit seinem Volk ist er ein Beispiel für Würde und Souveränität.“ Auszeichnungen, Ehrungen und Denkmäler (Auswahl) 1961 erhielt Fidel Castro den sowjetischen Internationalen Lenin-Friedenspreis. Am 11. Dezember 2014 wurde ihm der Konfuzius-Friedenspreis verliehen. Das Komitee begründete seine Entscheidung mit Castros „bedeutenden Beiträgen“ zum Weltfrieden. Um den runden Geburtstag Castros im Jahr 2016 zu feiern, ließ Tabakhändler Jose Castelar am 12. August 2016 in Havanna eine 90 m lange Zigarre rollen und überbot damit die Bestleistung im Guinness-Buch der Rekorde. Er spielte darauf an, dass Castro auf einem bekannten Bild in jüngeren Jahren mit Zigarre im Mund und in Militäruniform abgebildet ist. Fidel Castro gehört zu den Alten Freunden des chinesischen Volkes. Im November 2022 wurde in Moskau ein drei Meter hohes, aus Bronze bestehendes, Castro-Denkmal durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin enthüllt. Kritik Menschenrechtsverletzungen In den ersten Jahren von Castros Herrschaft wurden zahlreiche, nach US-amerikanischen Studien einige tausend, politische Gegner inhaftiert und hingerichtet. Gegner Castros wurden als „Konterrevolutionäre“, „Faschisten“ oder „CIA-Agenten“ bezeichnet und ohne Gerichtsverfahren und unter äußerst erbärmlichen Bedingungen inhaftiert. 1965 wurden unter dem Namen „Militärische Einheiten zur Unterstützung der Produktion“ Arbeitslager eingerichtet, die Che Guevara wie folgt begründete: Sie seien für „Menschen, welche Verbrechen gegen die revolutionäre Moral begangen haben“. Später wurden dort auch Kubaner inhaftiert, die nach Castros Definition als „soziale Abweichler“ einschließlich Homosexueller und HIV-Infizierter galten, um so „konterrevolutionäre“ Einflüsse aus Teilen der Bevölkerung zu beseitigen. Die Soziologie-Professorin Marifeli Pérez Stable, die 1960 als Kind aus Kuba kommend in die USA einwanderte und als junge Frau die Revolution unterstützte, reflektiert über die Kosten des Umsturzes: „[Es gab] tausende Exekutionen, vierzig-, fünfzigtausend politische Gefangene. Die Behandlung politischer Gefangener, mit dem was wir heute über Menschenrechte und Menschenrechte betreffende internationale Normen wissen … ist es legitim, die Frage nach möglichen Menschenrechtsverletzungen in Kuba zu stellen.“ Castro gestand zwar ein, dass es auf Kuba politische Gefangene gibt, hielt dies aber für gerechtfertigt, da sie nicht wegen ihrer Ansichten, sondern aufgrund „konterrevolutionärer Verbrechen“ einschließlich Bombenlegung inhaftiert seien. Fidel Castro beschrieb die kubanische Opposition als illegitimes Ergebnis einer fortschreitenden Konspiration, aufgezogen von Exilkubanern mit Verbindungen zu der Regierung der USA oder der CIA, was faktisch teilweise auch belegt ist (siehe Attentate, Sturzpläne). Castros Unterstützer behaupteten, seine Maßnahmen seien legitim, um den Sturz der kubanischen Regierung zu verhindern, während seine Gegner, die exilkubanische Opposition in den USA und die USA selbst, hinter dieser Darstellung Schuldzuweisungen sehen, um die politischen Verhältnisse zu rechtfertigen. Amnesty International zählte im Jahresbericht 2006 insgesamt 71 gewaltlose politische Gefangene (prisoners of conscience). Außerdem waren 30 Gefangene zum Tode verurteilt, wobei seit 2003 keine Exekution mehr vollstreckt wurde. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte berichtet sogar von 300 namentlich bekannten politischen Gefangenen. Sie hat ein Patenschaftsprogramm deutscher Abgeordneter für die Inhaftierten aufgelegt. Unter der Präsidentschaft von Fidel Castros Bruder Raúl wurden die von Amnesty International anerkannten sowie weitere politische Häftlinge bis März 2011 entlassen und sämtliche bestehenden Todesurteile bis Ende 2010 in Haftstrafen umgewandelt. Personenkult Die Ansichten über einen Personenkult um Fidel Castro sind ambivalent. Bis zu seinem Rücktritt war er in den kubanischen Medien ständig präsent. Er war eine Identifikationsfigur der kubanischen Revolution und der politischen Linken. In Kuba selbst wurde er schon zu Lebzeiten kultisch verehrt. Schüler lernen seine Thesen auswendig. Während der Trauerfeier trugen sie „Viva Fidel“ an ihren Wangen, alle riefen „Soy Fidel“ (Ich bin Fidel). Darstellungen Castros sind auf kubanischen Briefmarken zu finden, Bilder von ihm hängen in vielen öffentlichen Gebäuden in Kuba. Es wurden aber keinerlei Statuen oder Denkmäler errichtet, auch wurden keine Straßen oder Plätze nach ihm benannt. Das soll nach erklärtem Willen Fidels auch nach seinem Tod so bleiben: „Der Revolutionsführer hat jeden Personenkult abgelehnt und war darin bis in seine letzte Lebensstunde konsequent.“ Rund fünf Monate nach seinem Tod wurde dann an der Universität Havanna ein Lehrstuhl für Fidel-Castro-Forschung gegründet. Dort sollen die verschiedenen Aspekte seines Erbes systematisch aufgearbeitet werden. Kubanische und internationale Künstler widmeten ihm zahlreiche Lieder und Gedichte. Das wohl bekannteste Lied ist „Y en eso llegó Fidel“ von dem kubanischen Liedermacher Carlos Puebla. In den kubanischen und internationalen Medien wurde er häufig auch als Máximo Líder (Größter Führer) oder Comandante en Jefe (Oberkommandierender) bezeichnet. Nach seinem Rücktritt von seinen offiziellen Ämtern lautete der Titel Líder histórico de la Revolución Cubana („Historischer Führer der kubanischen Revolution“). Lebensstil Juan Reinaldo Sánchez, ein ehemaliger Leibwächter Castros, berichtet in seinem Buch La Vie Cachée de Fidel Castro vom aufwendigen Lebensstil des Revolutionsführers, der im Gegensatz zu seiner kommunistischen Ideologie stehe. So berichtete Sánchez, Castro sei in seiner Zeit als Staatsoberhaupt u. a. Besitzer einer Yacht samt Yachthafen, einer privaten Insel und eines Basketballplatzes gewesen. Belege für seinen Reichtum und überschwänglichen Lebensstil, z. B. in Form von Kontoauszügen, fehlen. Forbes bestätigte auf Nachfrage, bei der Schätzung seines Privatvermögens den Wert von kubanischen Staatsunternehmen mitgerechnet zu haben. Ignacio Ramonet, ehemaliger Herausgeber der Zeitung Le Monde diplomatique, bescheinigte indes Fidel Castro, den er ab 1975 kannte und mit dem er zahlreiche Interviews führte, die Lebensweise eines „Mönch-Soldaten“: spartanisches Leben, einfaches Mobiliar, gesundes und einfaches Essen. Trivia 1992 lud der langjährige Ministerpräsident Galiciens, Manuel Fraga Iribarne, Fidel Castro in den Geburtsort seines Vaters ein. Castro besuchte das Haus, in dem sein Vater 1875 geboren wurde. Wie viele andere Galicier suchte dieser später sein Glück auf Kuba. Die längste Rede der UN-Plenarsitzungen zwischen 1945 und 1976 hielt am 26. September 1960 Castro. Die Rede auf der 872. Sitzung dauerte 269 Minuten. Castros Werke in deutscher Übersetzung (Auswahl) Chronologisch geordnet Fanal Kuba. Reden und Schriften 1960–1962. Dietz Verlag, Berlin 1963. Über Che Guevara. 1. Auflage: Voltaire Verlag, Berlin 1967. Unsere Stärke liegt in der Einheit. Besuche in der DDR, der UdSSR und in Chile. Dietz Verlag, Berlin 1973. Kampf und Tod Salvador Allendes. Pahl-Rugenstein, Köln 1974, ISBN 3-7609-0145-X. Ausgewählte Reden zur internationalen Politik 1965–1976. Rotpunktverlag, Zürich 1976, ISBN 3-85869-001-5. Ausgewählte Reden. Dietz Verlag, Berlin 1976. Briefe 1953–1955. Offizin Andersen Nexö Leipzig, 1984. Wenn wir überleben wollen. Die ökonomische und soziale Krise der Welt. Weltkreis-Verlag, Dortmund 1984, ISBN 3-88142-308-7. Fidel Castro – Mein Leben (mit Ignacio Ramonet; dt. Barbara Köhler). Rotbuch Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-86789-128-8. Reflexionen. Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2008, ISBN 978-3-939828-32-7. Die Geschichte wird mich freisprechen. Rotbuch Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-86789-061-8. Der strategische Sieg. Erinnerungen an die Revolution. Verlag Neues Leben, Berlin 2012, ISBN 978-3-355-01800-5. Filmische Rezeption Richard Fleischer: Che! USA 1969, mit Jack Palance in der Rolle von Fidel Castro Oliver Stone: Comandante. Optimum Home Entertainment, London 2002, Dokumentation Oliver Stone: Looking For Fidel. 2003, Dokumentation David Attwood: Fidel & Che. USA 2002, 123 Min., Drama/Biografie Daniel Leconte: Fidel Castro – Der Weg zur Macht. Frankreich 2004, Dokumentation Rezension Adriana Bosch: Fidel Castro: Eine Ära geht zu Ende. USA 2006, 108 Min., Dokumentation Dollan Cannell: 638 Ways to Kill Castro, Channel 4, 75 Minuten Literatur Frei Betto: Nachtgespräche mit Fidel. Union-Verlag, Berlin 1988, ISBN 3-372-00220-2. Leycester Coltman: Der wahre Fidel Castro. Biographie. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2005, ISBN 3-538-07200-0. Robert Crooks: Fidel Castro und die revolutionäre Tradition Cubas : Studien zur revolutionären Tradition Cubas, 1868–1959. [München] 1972, (Dissertation der Universität München, Philosophische Fakultät I, 1972, 233 Seiten). Alina Fernández Revuelta: Ich, Alina. Mein Leben als Fidel Castros Tochter. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2000, ISBN 3-499-60941-X. Norberto Fuentes: Die Autobiographie des Fidel Castro. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54216-6; dtv, München 2008, ISBN 978-3-423-34495-1. Claudia Furiati: Fidel Castro. Uma biografia consentida. Editora Revan, Rio de Janeiro 2001, ISBN 978-85-7106-237-5. Juan Reinaldo Sánchez und Axel Gyldén: Das verborgene Leben des Fidel Castro. Lübbe, Köln 2015, ISBN 978-3-7857-2534-4. Jeanette E. Heufelder: Fidel. Ein privater Blick auf den Máximo Líder. Eichborn, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-8218-3980-5. Thomas M. Leonard: Fidel Castro. A biography. Greenwood, Westport (Conn.) 2004, ISBN 0-313-32301-1. Frank Niess: Fidel Castro. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2008, ISBN 978-3-499-50679-6. José Pardo Llada, Fidel de los Gesuitas al Moncada, Bogotà 1976. Robert E. Quirk: Fidel Castro. Die Biographie. edition q, Berlin 2001, ISBN 3-86124-538-8. Simon Reid-Henry: Fidel & Che. A Revolutionary Friendship. Sceptre, London 2008. Peter Schenkel Eisenhertz: Kuba unter Castro. Fidel, Che, die Revolution und ich. Herbig, München 2008, ISBN 978-3-7766-2574-5. Volker Skierka: Fidel Castro. Eine Biographie. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004, ISBN 3-499-61386-7. Tad Szulc: Fidel. A Critical Portrait. New York 1986, ISBN 0-340-48763-1. Hugh Thomas: Castros Cuba. Siedler, Berlin 1984, ISBN 3-88680-035-0. José de Villa, Jürgen Neubauer: Maximo Líder. Fidel Castro: Eine Biografie. Econ, Berlin 2006, ISBN 978-3-430-30001-8. Carlos Widmann: Das letzte Buch über Fidel Castro. Hanser, München 2012, ISBN 978-3-446-24004-9. Bernd Wulffen: Eiszeit in den Tropen. Botschafter bei Fidel Castro. Links, Berlin 2006, ISBN 3-86153-406-1. Michael Zeuske: Insel der Extreme – Kuba im 20. Jahrhundert. 2. Auflage, Rotpunktverlag, Zürich 2004, ISBN 3-85869-208-5. Michael Zeuske: Kuba im 21. Jahrhundert. Revolution und Reform auf der Insel der Extreme. Rotbuch, Berlin 2012, ISBN 978-3-86789-151-6. Siehe auch Castrismus Weblinks Fidel Castro – Mit der Motoryacht in die Revolution In: Zeitblende von Schweizer Radio und Fernsehen vom 3. Dezember 2016 (Audio) Einzelnachweise Präsident (Kuba) Politiker (20. Jahrhundert) PCC-Mitglied Person der Kubanischen Revolution Militärperson (Kuba) Kubanische Militärgeschichte Held der Sowjetunion Träger des Leninordens Träger des Order of Merit (Jamaika) Träger des Order of Jamaica Träger des Karl-Marx-Ordens Träger des Ordens der Oktoberrevolution Träger des Ordens Polonia Restituta (Großkreuz) Träger des Ordens vom Aztekischen Adler (Collane) Träger des Ordens des Weißen Löwen Träger des Sterns der Völkerfreundschaft Träger des Ordens des Fürsten Jaroslaw des Weisen (I. Klasse) Träger des Internationalen Lenin-Friedenspreises Träger des Ordem de Timor-Leste Träger des Dominica Award of Honour Ehrendoktor der Universidad Nacional Mayor de San Marcos Ehrendoktor der Lomonossow-Universität Vertreter des Marxismus-Leninismus Kubaner Geboren im 20. Jahrhundert Gestorben 2016 Mann
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Franz Müntefering
Franz Müntefering (* 16. Januar 1940 in Neheim, heute Stadtteil von Arnsberg) ist ein ehemaliger deutscher Politiker (SPD). In den Jahren 1975 bis 1992 und 1998 bis 2013 war Müntefering Abgeordneter im Deutschen Bundestag (MdB). Von 1998 bis 1999 war er Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im ersten Kabinett Schröder. Von 2005 bis 2007 war er Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales im ersten Kabinett Merkel. Müntefering war von 2002 bis 2005 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und von März 2004 bis November 2005 sowie von Oktober 2008 bis November 2009 Bundesvorsitzender der SPD. Von 2015 bis 2021 war er Vorsitzender der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen. Leben Ausbildung Franz Müntefering wurde im Januar 1940 als einziges Kind des Landwirts und Fabrikarbeiters Franz Müntefering und dessen Frau Anna Müntefering, geborene Schlinkmann, im sauerländischen Neheim (ab April 1941 Neheim-Hüsten) bei Arnsberg geboren. Er wuchs im nahegelegenen Sundern auf. Erst im Alter von sechseinhalb Jahren lernte er seinen Vater kennen, als dieser aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte. Die Eltern starben beide 1985. Nach dem Besuch der Volksschule in Sundern absolvierte Müntefering von 1954 bis 1957 eine Ausbildung zum Industriekaufmann, anschließend war er bis 1975 in der metallverarbeitenden Industrie tätig und wurde 1967 Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. 1961/1962 leistete er seinen Grundwehrdienst bei der Panzergrenadiertruppe in Höxter und Osterode am Harz ab. Parteilaufbahn Seit 1966 ist er Mitglied der SPD, deren Vorstand er ab 1991 angehörte. Von 1992 bis 1998 war er auch Vorsitzender des SPD-Bezirks Westliches Westfalen. Von 1995 bis 1998 und kommissarisch von September bis Dezember 1999 war er Bundesgeschäftsführer der SPD. Von 1998 bis 2001 hatte er das Amt des SPD-Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen inne und vom 7. Dezember 1999 bis zum 20. Oktober 2002 das des SPD-Generalsekretärs. Auf einem SPD-Sonderparteitag am 21. März 2004 wurde er als Bundesvorsitzender der SPD Nachfolger von Gerhard Schröder. Er erhielt 95,1 % der Stimmen, das bis dahin beste Ergebnis für einen SPD-Vorsitzenden seit 1991. Im Oktober 2005 schlug Müntefering den bisherigen SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel als künftigen Generalsekretär vor. Als sich jedoch am 31. Oktober 2005 innerhalb des Parteivorstandes in einer Kampfabstimmung die zum linken Flügel zählende Andrea Nahles durchsetzte, kündigte Müntefering an, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Auf dem Bundesparteitag in Karlsruhe am 15. November 2005 wurde Matthias Platzeck mit 99,4 % der gültigen Delegiertenstimmen zu seinem Nachfolger gewählt. Im August 2008, einen Monat nach dem Tod seiner Frau, die er bis zuletzt gepflegt hatte, kehrte Müntefering in die Spitzenpolitik zurück, um die SPD im Vorfeld der anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen zu unterstützen. Nach dem Rücktritt von Kurt Beck am 7. September 2008 wurde er auf einem Sonderparteitag in Berlin am 18. Oktober 2008 mit 84,86 Prozent als dessen Nachfolger gewählt. Nachdem die SPD bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 nur 23 Prozent der Stimmen erreicht hatte, kündigte Müntefering an, auf dem SPD-Parteitag vom 13. bis 15. November 2009 in Dresden nicht mehr zu kandidieren. Er wurde als Vorsitzender am 13. November 2009 von Sigmar Gabriel abgelöst. Abgeordnetentätigkeit Von 1969 bis 1979 gehörte Müntefering dem Stadtrat von Sundern an. 1975 zog er als Nachrücker erstmals in den Bundestag ein und gehörte ihm bis 1992 an. Er war dort von 1990 bis 1992 Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Nach seiner Berufung zum Minister in Nordrhein-Westfalen schied er aus dem Parlament aus. Von 1996 bis 1998 war er Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen. Dem Deutschen Bundestag gehörte Müntefering anschließend erneut von 1998 bis 2013 an, wonach er nicht mehr zur Wahl antrat. Von September 2002 bis November 2005 war er Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Öffentliche Ämter Vom 18. Dezember 1992 bis zum 27. November 1995 gehörte er als Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen dem Kabinett von Ministerpräsident Johannes Rau an. Nach der Bundestagswahl 1998 wurde er am 27. Oktober 1998 als Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in die von Bundeskanzler Gerhard Schröder geführte Bundesregierung berufen. Nach dem Rücktritt von Ottmar Schreiner am 5. September 1999 vom Amt des Bundesgeschäftsführers der SPD legte Müntefering sein Ministeramt am 17. September 1999 nieder und wurde kommissarischer Bundesgeschäftsführer. Am 22. November 2005 wurde er zum Stellvertreter der Bundeskanzlerin und zum Bundesminister für Arbeit und Soziales in der von Angela Merkel geführten Bundesregierung ernannt. Müntefering kündigte am 13. November 2007 aus familiären Gründen seinen Rücktritt von seinen Ämtern als Minister und Vizekanzler an, dieser wurde am 21. November 2007 vollzogen. Ehrenämter Franz Müntefering war von 2013 bis 2021 ehrenamtlich Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes Deutschland. Zudem war er von 2013 bis 2021 neben Lothar de Maizière Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft e. V. Am 25. November 2015 wählte ihn außerdem die Mitgliederversammlung der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen zum Vorsitzenden. Nach zwei Amtsperioden trat er 2021 nicht wieder zur Wahl des Vorsitzenden an. Seit März 2014 ist Franz Müntefering Beiratsvorsitzender des Berliner Demografie Forums. Privates Im Jahr 1961 heiratete er Renate Latusek. Müntefering ist zum dritten Mal verheiratet. Aus seiner geschiedenen ersten Ehe stammen seine beiden Töchter, Beatrix Müntferung und die Schriftstellerin Mirjam Müntefering. 1995 heiratete er Ankepetra Rettich (1946–2008). Ihr Krebsleiden, dem sie am 31. Juli 2008 in Bonn erlag, war der Grund für Münteferings Rücktritt als Bundesminister und Vizekanzler im Herbst 2007. Er wollte eigentlich bei der Bundestagswahl 2009 nicht mehr antreten, ließ sich aber im September 2008 von Frank-Walter Steinmeier (damals designierter SPD-Kanzlerkandidat) umstimmen. Am 12. Dezember 2009 heiratete er die 40 Jahre jüngere Journalistin Michelle Schumann, die seine ehemalige Büromitarbeiterin war. Schumann ist seit 2013 ebenfalls Mitglied des Bundestages und war von März 2018 bis Dezember 2021 Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Franz Müntefering ist römisch-katholisch. Positionen Liberalisierung der Finanzmärkte Im April 2005 kritisierte Müntefering das Investitionsverhalten von Investmentgesellschaften und Hedge-Fonds, derartige Kritik war bis dahin nur von Globalisierungskritikern geäußert worden. Er verglich sie mit Heuschrecken und löste damit die Heuschreckendebatte in Politik und Medien aus. Steueroasen Am 25. Februar 2009 äußerte sich Müntefering beim Politischen Aschermittwoch der baden-württembergischen SPD in Ludwigsburg in Bezug auf Länder mit niedrigerem Steuersatz als in Deutschland: „Früher hätte man dort Soldaten hingeschickt. Aber das geht heute nicht mehr.“ Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker zeigte sich daraufhin empört, und im Schweizer Parlament fand seine Aussage ebenfalls ein negatives Echo. Ehrungen und Auszeichnungen Marie-Juchacz-Plakette 2006, höchste Auszeichnung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Franz Müntefering wurde am 13. Januar 2008 zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt Sundern (Sauerland) ernannt. Am 22. Januar 2015 erhielt Franz Müntefering den Heinrich-Albertz-Friedenspreis der Arbeiterwohlfahrt für seine politische Lebensleistung. Müntefering ist Ehrenmitglied des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e. V. Oswald-von-Nell-Breuning-Preis (2017) der Stadt Trier August-Bebel-Preis (2023) Kabinette Kabinett Rau IV (Land NRW) Kabinett Rau V (Land NRW) Kabinett Schröder I (Bund) Kabinett Merkel I (Bund) Audio Erlebte Geschichten Franz Münterfering, 21.27 Minuten, WDR 13. April 2020 Werke Literatur Dokumentarfilme Klare Kante Münte!, WDR Fernsehen (Ein Film von Regina Niedenzu) Weblinks Einzelnachweise Vizekanzler (Deutschland) Arbeitsminister (Bundesrepublik Deutschland) Bauminister (Bundesrepublik Deutschland) Verkehrsminister (Bundesrepublik Deutschland) Vorsitzender der SPD Generalsekretär der SPD Bundesgeschäftsführer der SPD Landtagsabgeordneter (Nordrhein-Westfalen) Bundestagsabgeordneter (Nordrhein-Westfalen) Arbeitsminister (Nordrhein-Westfalen) Gesundheitsminister (Nordrhein-Westfalen) Sozialminister (Nordrhein-Westfalen) Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion Ehrenbürger im Hochsauerlandkreis Träger der Marie-Juchacz-Plakette Sozialminister (Bundesrepublik Deutschland) Parteivorsitzender der SPD Nordrhein-Westfalen Person (Sundern (Sauerland)) ASB-Funktionär Mitglied im Reichsbanner Deutscher Geboren 1940 Mann
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Fritz Kuhn
Fritz Kuhn (* 29. Juni 1955 in Bad Mergentheim) ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen). Er war von 2000 bis 2002 Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und von 2002 bis 2013 Bundestagsabgeordneter, von 2005 bis 2009 außerdem Fraktionsvorsitzender der Grünen-Fraktion im Bundestag.Er war von 2013 bis 2021 Oberbürgermeister der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart. 2020 trat er nicht zur Wiederwahl an. Kuhn war stellvertretender Präsident des Deutschen Städtetags. Kindheit und Jugend Kuhn wurde als Sohn eines Beamten im einfachen Dienst, der bei der Bundeswehr arbeitete, 1955 in Bad Mergentheim geboren. Er wuchs in Memmingen auf und ging auf das örtliche Bernhard-Strigel-Gymnasium. Studium Nach dem Abitur 1974 in Memmingen absolvierte Kuhn ein Studium der Germanistik und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Eberhard Karls Universität Tübingen, das er 1980 als Magister Artium (M.A.) mit dem Schwerpunkt Linguistik beendete. Linguist Anschließend war er von 1981 bis 1984 als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Augsburg. Von 1989 bis 1992 arbeitete Kuhn als Lehrbeauftragter für sprachliche Kommunikation an der Merz Akademie in Stuttgart. Von der SPD zu den Grünen Als Schüler engagierte sich Kuhn politisch u. a. bei den Memminger Jusos, in der SMV und als Schülersprecher. Nachdem der damalige Oberbürgermeister Johannes Bauer einem Dramaturgen des Memminger Theaters im Herbst 1973 gekündigt hatte, war Kuhn an der Organisation einer großen Demonstration beteiligt. Kuhn wurde als Student Mitglied der SPD, die er 1978 wegen der Politik Helmut Schmidts aber verließ. 1980 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Baden-Württemberg. 1981 war er im Vorstand des Grünen Kreisverbandes Tübingen und des Grünen Landesverbandes. Parallel zu seiner Tätigkeit an der Universität Augsburg war er Berater der Landtagsfraktion der Grünen in Baden-Württemberg. Grüner Landespolitiker Von 1984 bis 1988 und von 1992 bis 2000 gehörte Kuhn dem Landtag von Baden-Württemberg an und war jeweils Vorsitzender der Landtagsfraktion der Grünen. Am 27. Juni 2000 legte er sein Mandat bereits vor Ablauf der 12. Wahlperiode nieder. Für ihn rückte Phillip Müller nach. Von 1991 bis 1992 war er Sprecher im Geschäftsführenden Landesvorstand. Grüner Bundespolitiker Parteipolitiker Nach der Bundestagswahl 1998 gehörte er zur Delegation der Grünen bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Von Juni 2000 bis Dezember 2002 war Kuhn zunächst gemeinsam mit Renate Künast und ab März 2001 mit Claudia Roth Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2005 war Kuhn der Wahlkampfmanager der Bundespartei. Er gehörte dem Parteirat der Grünen an, scheiterte allerdings 2008 mit seiner Kandidatur und schied daher aus dem Gremium aus. Bundestagsabgeordneter Von 2002 bis Januar 2013 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Er vertrat den Wahlkreis Heidelberg, zog aber stets über die Landesliste Baden-Württemberg in den Bundestag ein. Im Bundestag leitete er zunächst die Fraktionsarbeitsgruppe Wirtschaft und Arbeit und war anschließend von Februar bis Oktober 2005 außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Am 27. September 2005 wurden Kuhn und Renate Künast zu den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen gewählt. Nach der Bundestagswahl 2009 kandidierte er nicht erneut für dieses Amt. Kuhn wurde jedoch zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Mit dem Amtsantritt als Stuttgarter Oberbürgermeister schied er im Januar 2013 aus dem Bundestag aus. Grüner Kommunalpolitiker Im Februar 2012 trat er vom stellvertretenden Fraktionsvorsitz zurück, um für das Amt des Oberbürgermeisters von Stuttgart zu kandidieren. Kuhn wurde im März 2012 von einer Mitgliederversammlung als Kandidat seiner Partei nominiert. Wahl zum Oberbürgermeister Bei einer Wahlbeteiligung von 46,7 % erreichte Kuhn im ersten Wahlgang am 7. Oktober 2012 36,5 %. Der von CDU, FDP und den Freien Wählern unterstützte parteilose Kandidat Sebastian Turner lag mit 34,5 % der Wählerstimmen 2 Prozentpunkte hinter Kuhn. Für die von der SPD nominierte Schwäbisch Haller Bürgermeisterin Bettina Wilhelm stimmten 15,1 %. Da keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichte, wurde ein zweiter Wahlgang erforderlich, bei dem eine relative Mehrheit ausreichte. Nachdem Wilhelm ihre Kandidatur zurückgezogen hatte, rief der Stuttgarter SPD-Kreisvorstand einstimmig zur Wahl Kuhns auf. Es bestehe große inhaltliche Übereinstimmung zwischen der SPD und Kuhn, „insbesondere bei den Punkten bezahlbarer Wohnraum, Aufbau von Gemeinschaftsschulen und der Wahrung von Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“, so die SPD. Der damals 57-jährige Kuhn erhielt im zweiten Wahlgang am 21. Oktober 2012 52,9 % der Stimmen; Turner erhielt 45,3 %. Kuhns Amtszeit begann am 7. Januar 2013 und endete 2021. Er war der erste grüne Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt. Er selbst bezeichnete sich als „wertkonservativ“. Fazit seiner Amtszeit war nach eigener Aussage: „Ich habe vieles gesät, was in den kommenden Jahren geerntet werden kann“. Auf Kuhn folgte Frank Nopper. Stuttgart 21 In seiner Antrittsrede kritisierte Kuhn die mangelnde Transparenz beim Projekt Stuttgart 21, welche zu einer geführt habe, und erklärte seine Absicht, über Alternativen zu diskutieren. Im Dezember 2016 bekannte sich Kuhn zum Bahnprojekt. Stuttgart 21 tue Stuttgart gut, das sei seine Meinung, welche er mit der Mehrheit des Gemeinderats teile. Die Stadt stehe an der Seite derer, die das Projekt „zeitnah und qualitätsvoll“ beenden wollten. Verkehrs-, Umwelt- und Klimapolitik Als Bundespolitiker forderte Kuhn eine Verkehrspolitik, die zu verbrauchsärmeren Autos führt, die Einführung klarer Grenzwerte, Steuerfreiheit für energiesparende Autos, mehr öffentlichen Nahverkehr und Tempolimits. Wirtschaftlichkeit und Klimapolitik müssten sich nicht widersprechen. Auf kommunalpolitischer Ebene wollte Kuhn als Oberbürgermeisterkanditat 2012 Klimaschutz im Verkehrs- und Energiesektor betreiben. Nach Plänen des damaligen Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster sollte bis 2020 die Stadt Stuttgart 20 Prozent weniger Energie verbrauchen als im Jahr 1990. Die Kommune plante 2016 hierfür ein Energiekonzept „festzuschreiben“. Für weitergehende Ziele bis 2050 sollte dieser dann „fortgeschrieben“ werden. In seinem Wahlprogramm 2012 forderte Kuhn keine weitergehenden energiepolitischen Zielmarken. Beim Verkehr setzte Kuhn auf Verkehrsvermeidung und -reduzierung. Vor allem unmittelbare Gesundheitsrisiken durch den Feinstaub in der Landeshauptstadt sollten reduziert werden. Kuhn forderte eine Verbesserung der Parkraumbewirtschaftung, mehr Fuß- und Radwege, einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und weniger Autoverkehr „mit weniger umweltbelastenden Antriebsarten“. Sein Konzept zur Energiewende für die Stadt Stuttgart stellte er 2014 vor. Es sieht vor, dass die Stadt bis 2050 ohne fossile Energieträger auskommt und „klimaneutral“ wird. Im April 2019 erklärte Fritz Kuhn die Stadt Stuttgart stehe „in Sachen Klimaschutz nicht schlecht da“, vor allem bei der Reduzierung des Energieverbrauchs von minus 27 Prozent von 1990 bis 2017. Dennoch müsse „deutlich einen Zahn zulegt werden“, um bis 2050 Stuttgart klimaneutral zu machen. Die SPD warf Kuhn jedoch vor, die von ihn vorgetragenen Daten zum Klimaschutz und zum Energiesparen seien in Wahrheit deutlich schlechter. Der Oberbürgermeister habe „seine Hausaufgaben nicht gemacht“. So seien die Investitionen der Stadtwerke Stuttgart in erneuerbare Energien „förmlich eingebrochen“. Gemäß der Morgenstadt-Studie des Fraunhofer-Instituts vom September 2016 liegt der Anteil erneuerbarer Energien in Stuttgart bei 13 Prozent. Dagegen liegt der Durchschnitt der 29 untersuchten deutschen Schwarmstädte (Kommunen mit hohen Anteil an Studenten und jungen Berufstätigen) bei 22 Prozent. Somit sind auch die klimarelevante CO2-Emissionen mit 8,92 t pro Kopf überdurchschnittlich in der Landeshauptstadt Stuttgart. Die SPD forderte 2/3 (300 Millionen Euro) aus den kommunalen Geldanlagen für die nach ihrer Ansicht überfällige Wärmewende zu verwenden. Stuttgart könnte bis zu 21 % des Stromverbrauches mit Photovoltaikanlagen auf den Dächern decken, so Thomas Uhland in seiner Mastarbeit aus dem Jahr 2018. Auf Grundlage der Ausbaurate der Jahre 2015 bis 2017 würde laut Uhlands Berechnungen es 200 Jahre dauern, bis das Strompotenzial durch Photovoltaik bei den städtischen Liegenschaften erreicht wird. Die Leistungsbilanz beim Ausbau der Photovoltaik wird auch von der CDU und der SPD kritisiert. Dagegen verweist die Stadt darauf, dass momentan durch ein Statiker- und Monteurmangel der Ausbau behindert werde. Für 2018 und 2019 sei jedoch mit einem „Schub“ beim Ausbau der Photovoltaikanlagen zu rechnen. Für die Fraktion SÖS/Linke-plus ist Stuttgart beim Klimaschutz „Entwicklungsland“. Nicht 2050, sondern 2035 müsse die Kommunen klimaneutral werden, da nur so die Klimakatastrophe verhindert werden könne. Im Juli 2019 ergänzt Kuhn die Klimaschutzmaßnahmen mit einem Aktionsprogramm Klimaschutz „Weltklima in Not – Stuttgart handelt“. Demnach will die Stadt 200 Millionen Euro aus dem Haushaltsüberschuss des Jahres 2018 zusätzlich in die angestrebte Energie- und Verkehrswende investieren. Das Programm soll für mehr Grünflächen und mehr Wasser in der Stadt sorgen und für nachhaltiges Nutzerverhalten werben. Die SPD und die Fraktion SÖS/Linke-plus hatten weitergehende Klimaschutzforderungen. So wollte die SPD 110 Millionen in die städtische Straßenbahn investieren. Umgewidmet sollen dafür die Rücklagen, die für den Rückkauf der Wasserversorgung reserviert sind. Durch die Absage der vorgesehene Grundsteuersenkung für 2020 wollten die Sozialdemokraten 30 Millionen zusätzlich für den Klimaschutz verwenden. Zudem wollte die SPD, dass bei der Förderung der energetischen Gebäudesanierung die Warmmiete für die Mieter nicht erhöht wird. Die SÖS/Linke-plus wollte 105 Millionen für die zweijährige Finanzierung eines 365-Euro-Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr verwenden. Wohnungspolitik In Stuttgart fehlen – wie in allen wirtschaftlich starken Großstädten – kostengünstige Wohnungen. Kuhn hat kurz nach Amtsantritt angekündigt, mehr Wohnungen für den angespannten Markt bereitzustellen. Ziel sind 1.800 neue Wohnungen pro Jahr. Seit 2015 wird dieser Wert deutlich überschritten: Das Statistische Amt der Stadt spricht von jährlich rund 2.000 neugebauten Wohnungen. Von den neuen Wohnungen sollen 600 im geförderten Bereich sein, davon 300 als Sozialwohnungen. 2017 wurde das Ziel für die Sozialwohnungen das erste Mal erreicht. Ende 2018 umfasste der Bestand an geförderten Wohnungen in Stuttgart 16.456 Wohnungen, darunter waren 14.380 Sozialmietwohnungen, 543 Mietwohnungen für mittlere Einkommensbezieher und 1533 geförderte Wohnungen im selbst genutzten Eigentum. Ende 2018 waren 4688 Haushalte für eine Sozialmietwohnung in Stuttgart vorgemerkt. Die größten Entwicklungsgebiete für Wohnungsbau sind in städtischer Hand, d. h. die Stadt entscheidet was hier gebaut wird. Laut städtischer Vorgabe sollen dort bis zu 80 Prozent geförderte Wohnungen entstehen. Ebenso müssen durch das SIM (Stuttgarter Innenentwicklungsmodell) private Investoren auf ihren Flächen bei neuem Baurecht 30 Prozent geförderten Wohnungsbau leiten. Zudem hat die Stadt die von Kuhn vorgeschlagene Satzung gegen Zweckentfremdung eingeführt – sie untersagt seit 2016 die Umwandlung einer Wohnung in eine Gewerbefläche oder einen mehr als sechs Monate andauernden unbegründeten Leerstand. Kulturpolitik Kuhn hat Kulturpolitik zu seiner „Herzensangelegenheit“ erklärt. Stuttgart ist unter ihm dreimal (2014, 2016 und 2018) als „Kulturmetropole Nummer 1“ in Deutschland ausgezeichnet worden. Kuhn hat vor allem die Sanierung der Stuttgarter Oper vorangetrieben. Dabei soll der Littmannbau saniert und ausgebaut werden. Für die Interimsphase des Umbaus schlug Kuhn ein Quartier bei den Stuttgarter Wagenhallen vor. Das von Kuhn entwickelte Konzept wurde nach seinem Ausscheiden aus dem Amt vom Stuttgarter Gemeinderat mit sehr großer Mehrheit beschlossen. Die historisch bedeutsame Villa Berg und der dazugehörige Park wechselteunter seiner Ägide aus Privatbesitz an die Stadt. Kuhn sprach davon, so Villa und Park an die Stadtgesellschaft zurückzugegeben. In einem intensiven Beteiligungsprozess wurde festgelegt, dort ein Kultur- und Bürgerzentrum unter dem Leitbegriff „Haus für Musik und mehr“ zu errichten. Um den „Eiermann Campus“ zu erhalten und zu entwickeln, initiierte Kuhn ein Kolloquium, das die Planung für ein neues Wohn- und Arbeitsquartier festlegte. Eine zusätzliche Bebauung soll die Sanierungskosten und den Erhalt des Kulturdenkmals wirtschaftlich absichern. Das Areal – jetzt im Eigentum der Consus Swiss Finance AG – wird im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2027 Konturen annehmen. Kuhn hat sich außerdem für die Sanierung der Wagenhallen, und den Bau der John-Cranko-Schule eingesetzt. Auslandsgeschäfte des Klinikums Stuttgart Das Klinikum Stuttgart unterhielt von 2010 bis 2016 eine International Unit. Deren Aufgabe war, das Auslandsgeschäft des Klinikums zu verwalten und neue Märkte zu erschließen. Bei zwei dieser Auslandsgeschäfte sah das Kuhn unterstellte städtische Rechnungsprüfungsamt Ende 2015 Anhaltspunkte für dolose Handlungen, woraufhin die Stadtverwaltung Strafanzeige stellte. Hintergrund waren das Zustandekommen von Verträgen und Nebenabsprachen. Zum einen wurde mit der libyschen Übergangsregierung 2013 ein Vertrag über die Behandlung von Verletzten aus dem libyschen Bürgerkrieg mit einem Volumen über etwa 26 Millionen Euro vereinbart. Zum anderen wurde 2014 ein Vertrag mit dem kuwaitischen Gesundheitsministerium über die ärztliche Unterstützung für das orthopädische Krankenhaus Al-Razi, das sich zu dieser Zeit im Aufbau befand, geschlossen. Hierfür wurden 46 Millionen Euro, ein Großteil davon über sogenannte Nebenabsprachen, veranschlagt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugs, Bestechung und Veruntreuung von Investitionsgeldern. So sollen 13,5 Millionen Euro für „Regiekosten“, die nicht in den ursprünglichen Vertrag aufgenommen waren, aufgewendet worden sein, die Staatsanwaltschaft meldete Zweifel an der korrekten Abrechnung an. Zudem sei in vielen Fällen fraglich, ob eine tatsächliche Gegenleistung erbracht wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst deutschlandweit gegen 21 Personen, darunter der damalige Leiter der International Unit und frühere baden-württembergische Landesvorsitzende der Grünen Andreas Braun. Das Klinikum Stuttgart meldete für den Vertrag in Libyen 9,4 Millionen Euro Zahlungsausfälle an. Im September 2018 konstituierte sich der Akteneinsichtsausschuss International Unit Klinikum Stuttgart des Gemeinderates, um unter anderem Einsicht in die Akten über die Auslandsgeschäfte des Klinikums zu erhalten. Der erste Zwischenbericht vom März 2019, der von allen Fraktionen getragen wird außer den Grünen, wirft dem früheren grünen Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle vor, den allein kündigungsberechtigten Gemeinderat falsch oder zumindest unzureichend informiert zu haben, ohne jedoch selbst die Vorgänge in der „International Unit“ verfolgt zu haben, verlautbarten die Fraktionschefs von CDU und SPD, Alexander Kotz und Martin Körner. Die Stadt hatte mit dem früheren Klinikchef Ralf-Michael Schmitz eine Aufhebungsvereinbarung mit einer Abfindung von insgesamt 900.000 Euro geschlossen, der der Rat zugestimmt hatte. Der Ausschuss sieht in seiner Mehrheit „erhebliche Versäumnisse“ und „nicht voll umfängliche sowie falsche Informationen“. Die Grünen sehen keine Verletzungen der Pflichten bei Wölfle und auch nicht bei Oberbürgermeister Kuhn, auch weisen sie den Vorwurf der Vertuschung zurück. Der Vorschlag zur fristlosen Kündigung des früheren Klinikchefs habe nicht zwingend im Gemeinderat eingebracht werden müssen. Mit dem Auflösungsvertrag habe die Stadt einen langjährigen Rechtsstreit vermieden, so die Argumentation der Grünen. Kuhn selbst betont, einen „erfolgreichen Neuanfang am Klinikum Stuttgart organisiert“ zu haben. „Wir haben eine neue Geschäftsführung, wir haben im Gemeinderat die Rechtsform geändert und uns den Zukunftsthemen des Klinikums wie dem Neubauprogramm zugewandt. Dies ist entscheidend, damit das Klinikum seine Spitzenstellung halten kann und damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre hervorragende Arbeit zum Wohle der Patienten fortsetzen können.“ Er stellte klar, dass es besser gewesen wäre, den Gemeinderat „früher“ vom Inhalt des Berichtes des Rechnungsprüfungsamts vom Dezember 2015 zu informieren. Kuhn verwies darauf, dass die Staatsanwaltschaft darum gebeten hatte, den Bericht nicht an Dritte weiterzugeben. Er entschuldigte sich bei den Stadträten, nicht explizit bei der Staatsanwaltschaft nachgehakt zu haben, ob er wenigstens dem Gemeinderat den Bericht hätte weiterleiten dürfen. Allerdings erklärte ein Sprecher gegenüber der Stuttgarter Zeitung, die Staatsanwaltschaft habe die Weitergabe der Informationen an den Gemeinderat nicht untersagt. In der öffentlichen Gemeinderatsdebatte vom 28. März 2019 verwies Kuhn auf ein Schreiben der Staatsanwaltschaft aus dem März 2016, dass der Bericht nicht weitergereicht werden solle, „um die Ermittlungen nicht zu gefährden“, ergänzt mit dem Hinweis, man werde die Stadt informieren sobald Staatsanwaltschaft oder Polizei keine weiteren Bedenken gegen eine Veröffentlichung hätten. Kuhns Verwaltung teilte im März 2020 mit, dass sie die Aufarbeitung als beendet ansieht. Dies hat das Regierungspräsidium Stuttgart als Rechtsaufsichtsbehörde bestätigt. Auf Beschluss des Gemeinderats hatte das Regierungspräsidium das Vorgehen der Stadtverwaltung begutachtet. Coronavirus-Epidemie Nachdem die Atemwegserkrankung COVID-19 Anfang 2020 auch Deutschland erreicht hatte, bereitete Kuhn sich ab Mitte Februar auf eine Epidemie vor. Am 4. März 2020 wurde in Stuttgart die erste Infektion mit dem neuartigen Corona-Virus festgestellt. Am 18. März berief Kuhn den Verwaltungsstab ein. Kuhn wandte sich in mehreren Videobotschaften und in einem offenen Brief an die Stuttgarter Bürger: „Das Coronavirus hat die Welt fest im Griff. Auch Deutschland und unser Stuttgart. Deswegen müssen wir jetzt in unserer Stadt zusammenhalten. Auf jeden Einzelnen kommt es an. Es handelt sich um eine gewaltige Anstrengung der gesamten Stadtgesellschaft.“ Engagement 2013 wurde Kuhn als Nachfolger von Frieder Birzele Vorsitzender des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg. 2019 wurde er im Amt bestätigt. Ehrungen 2007 wurde Fritz Kuhn mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Der Stuttgarter Gemeinderat verlieh ihm im Juli 2021 die Bürgermedaille der Landeshauptstadt Stuttgart, zur Begründung sagte sein Nachfolger im Amt Frank Nopper: „In der achtjährigen Amtszeit hat sich Stuttgart erfolgreich zu einer nachhaltigen, umwelt‐ und klimabewussten, sozialen und kulturell blühenden Großstadt weiterentwickelt.“ Privates Kuhn ist mit der ehemaligen Grünen-Landtagsabgeordneten Waltraud Ulshöfer verheiratet und hat zwei Söhne. Er wohnt in Stuttgart. Literatur Munzinger Internationales Biographisches Archiv 02/2006 vom 14. Januar 2006 (la) Weblinks Fritz Kuhn auf der Seite der Landeshauptstadt Einzelnachweise Politiker (21. Jahrhundert) Politiker (20. Jahrhundert) Bürgermeister (Stuttgart) Bundestagsabgeordneter (Baden-Württemberg) Vorsitzender der Bündnis-90/Die-Grünen-Bundestagsfraktion Fraktionsvorsitzender (Baden-Württemberg) Bundesparteivorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Parteivorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg SPD-Mitglied Träger des Verdienstordens des Landes Baden-Württemberg Person (Bad Mergentheim) Germanist Deutscher Geboren 1955 Mann
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https://de.wikipedia.org/wiki/Flugzeugtr%C3%A4ger
Flugzeugträger
Ein Flugzeugträger ist ein Kriegsschiff, das als seegestützte Luftwaffenbasis dient. Dazu ist es mit einem Flugdeck ausgestattet, auf dem Militärflugzeuge und geeignete Versorgungsflugzeuge starten und landen können. Weiterhin enthält es Infrastruktur zu Transport, Reparatur, Be- und Entwaffnung von Militärflugzeugen sowie zum Eigenschutz des Flugzeugträgers. Jeder der heute im Einsatz befindlichen Flugzeugträger bildet normalerweise den Kern einer Trägerkampfgruppe. Mit ihrer Hilfe kann ein Staat weltweit militärisch handeln, auch ohne Stützpunkte im Konfliktgebiet zu unterhalten. Moderne große Flugzeugträger (Flottenflugzeugträger) mit einer Verdrängung von über 75.000 tn.l. werden manchmal auch „Supercarrier“ genannt. Derzeit gibt es weltweit 21 einsatzfähige Flugzeugträger, 11 davon gehören zur United States Navy (Stand 2022). Geschichte Als Vorgänger aller Flugzeugträger gilt die französische Foudre. Dem US-Amerikaner Eugene Burton Ely gelang am 14. November 1910 um 15:30 Uhr von einer am Bug der Birmingham angebrachten Plattform mit einem Curtiss-Doppeldecker der erste Start von einem Schiff. Zwei Monate später, am 18. Januar 1911, gelang ihm auch die erste Landung auf einem Schiff. Er landete mit seiner Maschine auf der Pennsylvania, die eigens dafür mit einer hölzernen Plattform ausgerüstet worden war. Nach einem kurzen Aufenthalt an Bord flog er wieder zurück an Land. Am 6. September 1914 wurden der österreichisch-ungarische Kreuzer Kaiserin Elisabeth und das deutsche Kanonenboot Jaguar vor Tsingtau Ziele des ersten seegestützten Luftangriffes in der Geschichte; beide Schiffe wurden dabei nicht getroffen. Der Angriff erfolgte vom japanischen Flugzeugmutterschiff Wakamiya aus. Die in Frankreich gebauten Farman Doppeldecker-Wasserflugzeuge mussten per Bordkran ausgesetzt und gestartet werden. Die Entwicklung der Flugzeugträger begann bereits vor dem Ersten Weltkrieg, zunächst mit Handels- und Kriegsschiffen, die durch entsprechende Umrüstung zu sogenannten seeflugzeugtragenden Flugzeugmutterschiffen wurden. Die Britische Argus war zum Ende des Ersten Weltkriegs hin der erste vollwertige Flugzeugträger für Radflugzeuge. Die Japaner folgten bald darauf mit der Hōshō, und auch die US Navy fand den Anschluss an diese Entwicklung mit dem umgebauten Kohlenfrachter Jupiter, der nach dem Umbau den Namen Langley und die Kennung CV-1 erhielt. Das erste als Flugzeugträger entworfene und gebaute Schiff war die britische HMS Hermes, die am 11. September 1919 vom Stapel lief und bereits im Juli 1917 in Auftrag gegeben wurde. In den 1920er und 1930er Jahren wurde sowohl die Technik der Flugzeugträger als auch die der Flugzeuge ständig weiterentwickelt. So stattete im Jahr 1930 die Royal Navy ihren Flugzeugträger Courageous mit einer der ersten brauchbaren Fangseilanlagen aus. Im Zweiten Weltkrieg spielten Flugzeugträger erstmals eine äußerst wichtige Rolle. So stützte sich der vernichtende Luftangriff Japans auf Pearl Harbor im Dezember 1941 auf eine Flotte von sechs Flugzeugträgern (Kaga, Akagi, Sōryū, Hiryū, Shōkaku und Zuikaku), von denen Sturzkampfbomber und Torpedobomber starteten. Japaner und Amerikaner setzten in der Schlacht im Korallenmeer im Mai 1942 und in der Schlacht um Midway im Juni 1942 trägergestützte Flugzeuge ein, um das jeweilige gegnerische Trägergeschwader zu vernichten. Der Flugzeugträger war von Anfang an die Hauptwaffe zur Seebeherrschung im Pazifikkrieg. Zur Vermehrung des Trägerbestandes wurden ab 1942 auch die Rümpfe von bereits begonnenen Leichten Kreuzern der Cleveland-Klasse als Leichte Flugzeugträger fertiggestellt. Damit entstanden die neun Schiffe der Independence-Klasse. Zwei Einheiten der leistungsstärkeren Saipan-Klasse konnten nicht mehr in das Kriegsgeschehen eingreifen. Der Krieg in Afrika zwischen den italienischen Streitkräften und dem Deutschen Afrikakorps auf der einen Seite und den britischen Streitkräften auf der anderen Seite wurde entscheidend beeinflusst durch britische Flugzeugträger, die die Geleitzüge zur Versorgung der Mittelmeerinsel Malta sicherten und Malta mit Flugzeugen zum Abwehrkampf gegen die deutschen Bombenangriffe versorgten. Immer wieder wurden Flugzeugträger eingesetzt, die nur Jagdflugzeuge transportierten, die dann von den Trägern zur Insel Malta flogen, zur Verstärkung der Luftabwehr der Insel. Vom britischen Stützpunkt Malta aus wurde der Nachschub über See für die deutsch-italienischen Truppen in Afrika entscheidend durch die Versenkung von Nachschubschiffen getroffen. Im Atlantik wirkte sich die Luftüberwachung durch Geleitflugzeugträger stark auf den Kampf der deutschen U-Boote gegen den Versorgungsverkehr zu den britischen Inseln aus. Die Geleitflugzeugträger hatten ihren Anteil am Sieg über die deutschen U-Boote. Der erste und bisher einzige deutsche Flugzeugträger Graf Zeppelin lief 1938 vom Stapel. Er wurde jedoch nie fertiggestellt und im August 1947 als „nicht nutzbare Kriegsbeute“ durch zwei Torpedoschüsse sowjetischer Kriegsschiffe in der Ostsee versenkt. Mitte der 1950er Jahre wurde der Wechsel von Propeller- zu Strahlflugzeugen auf Flugzeugträgern vollzogen, was nur mit neuem großen technischem Aufwand auf den Trägern zu bewerkstelligen war, weil die Strahlflugzeuge viel schwerer waren und viel höhere Landegeschwindigkeiten und Startgeschwindigkeiten hatten. Man hatte anfangs große Schwierigkeiten beim Einfangen und beim Abschleudern der Maschinen. Mit der Enterprise führte die United States Navy im Jahr 1961 den ersten atomgetriebenen Flugzeugträger der Welt ein. Die Enterprise war bis zu ihrer Außerdienststellung am 1. Dezember 2012 mit 342 Metern Länge das längste Kriegsschiff der Welt. Der neueste Träger der amerikanischen Marine führt die Kennung CVN-78 und wurde als Typschiff der aus dem CVN-21-Programm hervorgegangenen Nachfolgern der Nimitz-Klasse auf den Namen Gerald R. Ford getauft. Die Schiffstaufe fand 2013 statt, die Indienststellung erfolgte am 22. Juli 2017. Dieser 13 Milliarden US-Dollar teure Flugzeugträger soll die Nachfolge der in Verschrottung befindlichen Enterprise antreten. Indien weihte im August 2013 seinen ersten selbstgebauten Flugzeugträger ein: die Vikrant. Indien ist damit das sechste Land der Welt, das einen selbstgebauten Flugzeugträger (oder mehrere davon) hat. In China lief am 26. April 2017 der erste von der Volksrepublik selbstgebaute Flugzeugträger Shandong vom Stapel. Bis dahin hatte China nur die Liaoning im Bestand, welche früher Warjag hieß, der Sowjetmarine gehörte und 1998 halbfertig von China gekauft wurde. Sowjetische und nachfolgend russische Trägerschiffe werden offiziell immer mit dem Begriff „Flugdeckkreuzer“ bezeichnet, da der Vertrag von Montreux (1936) die Durchfahrt von „Flugzeugträgern“ durch die Dardanellen verbietet. Um die Träger dennoch von den Werften und Häfen an der Schwarzmeerküste ins Mittelmeer und zurück verlegen zu können, verwendet man diese Bezeichnung. Bedeutung und Untertypen von Flugzeugträgern Flugzeugträger ermöglichen Militäraktionen weit außerhalb des eigenen Territorialgebietes oder verbündeter Streitkräfte, indem sie Stützpunkte in internationalen Gewässern bereitstellen. Sie kommen sowohl zu Zeiten ohne offene militärische Auseinandersetzungen wie zu Kriegszeiten zum Einsatz. Auf Grund ihrer Kosten und ihrer strategischen Ausrichtung sind sie Bestandteile der Streitkräfte von Großmächten und aufstrebenden Großmächten. Sie sind die größten Schiffe der Marine, sind aber insbesondere ein wichtiges Element der Luftstreitkräfte. Die Träger der US-amerikanischen Nimitz-Klasse, die von zwei Atomreaktoren und vier Dampfturbinen angetrieben werden, haben bis zu 6300 Mann Besatzung, und das letzte Schiff dieser Klasse kostete 6,3 Mrd. US-Dollar. Die monatlichen Betriebskosten eines Flugzeugträgers dieser Größe betragen ca. 13 Mio. Dollar (ohne Personalkosten). Untertypen von Flugzeugträgern: Flottenflugzeugträger Leichter Flugzeugträger Geleitflugzeugträger Flugdeckkreuzer Amphibisches Angriffsschiff Hubschrauberträger Außerdem werden Flugzeugträger in Glattdeckträger, also Flugzeugträger ohne 'Insel', und in Träger des „Insel-Typs“ unterschieden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden nur noch Flugzeugträger des Insel-Typs gebaut. Lediglich 13 Staaten besitzen Flugzeugträger (siehe Liste aktiver Flugzeugträger): Frankreich, Indien, Russland, Spanien, Brasilien, Italien, Thailand, das Vereinigte Königreich, Japan, Südkorea sowie die Vereinigten Staaten. Das chinesische Tourismusunternehmen Chong Lot hat 2002 den ehemaligen sowjetischen, nicht fertiggestellten Flugzeugträger Warjag von der Ukraine gekauft, offiziell um daraus ein schwimmendes Spielcasino zu bauen. Er wurde jedoch in Dalian vollendet, lief am 10. August 2011 zur ersten Probefahrt aus und wurde am 25. September 2012 unter dem Namen Liaoning in Dienst gestellt. Des Weiteren hat Australien zwei STOVL-Schiffe der Canberra-Klasse in Dienst. Die Türkei hat am 10. April 2023 die Anadolu in Dienst gestellt. Die Anadolu ist ein Flugzeugträger bzw. Amphibisches Angriffsschiff der türkischen Marine. Die größten und mit Abstand meisten Flugzeugträger gehören zur Flotte der United States Navy (20 Flugzeugträger, 72 % der Wasserverdrängung), gefolgt von Frankreich und Japan (je 4 Flugzeugträger und 5 % bzw. 4 % der Wasserverdrängung) und Ägypten (2 Flugzeugträger, 2 % der Wasserverdrängung). Alle anderen Länder mit Flugzeugträgern besitzen einen Flugzeugträger, der zudem deutlich kleiner als die der US Navy ist. In Europa ist es vor allem Frankreich, das Flugzeugträger besitzt, die mit ähnlichen Ausmaßen entwickelt werden. So möchte Frankreich mit dem PANG-Projekt einen atomaren Flugzeugträger bis 2038 entwickeln, dieser soll 300 Meter lang sein und mit 75.000 Tonnen Verdrängung ein Supercarrier sein, außerdem wird überlegt, langfristig einen zweiten Flugzeugträger dieser Klasse zusätzlich einzusetzen. Auch bereits heute verfügt die französische Marine Nationale mit der Charles de Gaulle über den einzigen atomaren Flugzeugträger außerhalb der USA, und über drei Hubschrauberträger, ein weiterer in Planung. Auch hat Großbritannien aktuell zwei neue Flugzeugträger der Queen-Elizabeth-Klasse. Allerdings sind diese mit 284 Metern von geringerer Größe als die Flugzeugträger der US Navy und der neue Flugzeugträger Frankreichs, und ihr Antrieb ist auch nicht atomar wie bei diesen. Die strategische Bedeutung des Schiffstypus Flugzeugträger verdeutlichte US-Präsident Bill Clinton im Jahre 1993 in einer Radioansprache an die US-Streitkräfte, die er auf dem Flugzeugträger USS Theodore Roosevelt hielt: Die US Navy hat auch mehrere amphibische Angriffsschiffe im Dienst, sogenannte Amphibious Assault Ships. Diese kleineren, vielseitig einsetzbaren Flugzeugträger dienen dem Transport von etwa 3.000 Soldaten des US Marine Corps sowie zusätzlichem militärischen Gerät wie zum Beispiel Landungsbooten. Neben Hubschraubern können auch senkrechtstartende Kampfflugzeuge auf dem Flugdeck stationiert werden. Großbritannien und Frankreich verfügen ebenfalls über solche Schiffe. Seeflugzeugträger Eine Besonderheit waren Flugzeugmutterschiffe und Seeflugzeugträger. Sie trugen Schwimmerflugzeuge oder Flugboote, die nach dem Niedergehen auf dem Wasser mit einem Kran an Deck geholt wurden. Der Start erfolgte ebenfalls vom Wasser aus oder mit einem Flugzeugkatapult von Deck. Mit der Entwicklung von mit Flugdeck ausgerüsteten Flugzeugträgern, auf denen Radflugzeuge starten und landen konnten, wurden diese Schiffe obsolet. Als Beispiel ist die Schwabenland erwähnenswert, die bei der Deutschen Antarktis-Expedition 1938/39 eingesetzt wurde, um Dornier Wal-Flugboote per Katapult zu starten und dann per Flugzeughebekran wieder an Bord zu nehmen. Ebenso erwähnenswert sind die U-Boot Flugzeugträger der japanischen Marine im Zweiten Weltkrieg, die I-400- und AM-Klassen, welche ebenfalls als Mutterschiffe agierten und Wasserflugzeuge in teilweise zerlegtem Zustand transportierten und zum Start aussetzen konnten. Luftschiffe als Flugzeugträger Nur drei Luftschiffe, LZ 126/ZR-3 „USS Los Angeles“, USS Akron und USS Macon konnten jemals – von 1929 bis 1935 – (kleinere) Flugzeuge entlassen und aufnehmen. Technik Rumpf Der Rumpf eines Flugzeugträgers der amerikanischen Nimitz-Klasse ist knapp 333 m lang und hat einen Tiefgang von bis zu 12 m. Die britischen Träger der Invincible-Klasse sind mit rund 210 m Länge ein gutes Drittel kleiner. Der Rumpf von Schiffen der Essex-Klasse besteht aus Stahl mit einer Dicke von mehreren Zentimetern. Unter der Wasserlinie besteht der Rumpf als Schutz vor Beschädigung aus einer Doppelhülle. Stabilität und Sicherheit werden durch die Einteilung in Schotten (quer) und Decks (horizontal) erreicht. Über der Wasserlinie wird der Rumpf, um das Flugdeck zu tragen, immer breiter und bietet dadurch auch mehr Raum für Hangars und andere Räume. Unter dem Flugdeck befinden sich im Hangardeck die untereinander verbundenen Hangars, die die dreifache Höhe normaler Decks haben. In diesen sind die Flugzeuge untergebracht und können dort gewartet werden. Sie werden über bis zu vier Aufzüge, die sich seitlich am oder direkt im Rumpf befinden, zum Flugdeck gebracht. Weitere drei Decks unter den Hangars befinden sich die Maschinenräume. Um möglichst viel Platz für das Flugdeck zur Verfügung zu haben, sind bei allen modernen Trägern die Kommandobrücke, alle Antennen und Radaranlagen auf einem einzigen Decksaufbau untergebracht. Diese sogenannte „Insel“ liegt meistens an der Steuerbordseite. Eine Ausnahme bildet die britische Queen-Elizabeth-Klasse, die über zwei getrennte Inseln verfügt. Damit sollen zwei konträre Anforderungen erfüllt werden: Für eine Optimierung der Schiffsführung sollte sich die Kommandobrücke möglichst weit vorne befinden, für die Flugdeckkontrolle ist dagegen ein möglichst weit hinten liegender Aufbau vorteilhaft. Außerdem helfen zwei getrennte Inseln, im Falle einer Beschädigung des Schiffs den Schaden einzudämmen. Der Rumpf ist auf eine hohe Geschwindigkeit ausgelegt, daher wird der maximale Völligkeitsgrad (Schiffshydrodynamik) erst im hinteren Teil erreicht. Durch diese Auslegung und die Länge des Schiffs wird eine hohe Rumpfgeschwindigkeit erreicht, welche in Kombination mit einem leistungsfähigen Antrieb eine hohe maximale Geschwindigkeit ermöglicht. Die Stabilität geht damit vom Heck aus. Beim Vergleich der Ansicht eines Frachtschiffes und eines Flugzeugträgers von schräg vorne ist zu erkennen, wie schmal der Bug eines Flugzeugträgers ist. Flugdeck Flugzeugträger gibt es in zwei grundlegenden Konfigurationen: Die meisten haben ein flaches Deck als Start- und Landefläche für Flugzeuge. Ein Dampfkatapult (seit Juli 2017 auf der USS Gerald R. Ford (CVN-78) erstmals ein elektromagnetisch angetriebenes Katapult) beschleunigt das Flugzeug, das seinen Start durch vollen Schub unterstützt, in zwei Sekunden auf Startgeschwindigkeit. Um auf dem Träger zu landen, muss ein Flugzeug mit seinem Fanghaken eines von mehreren quer auf dem Deck ausliegenden Stahlseilen aufnehmen. Es wird dann innerhalb von 100 Metern zum Stehen gebracht. Bei großen Flugzeugträgern ist das Flugdeck versetzt; dadurch erhalten Flugzeuge, die die Fangseile verfehlt haben, die Möglichkeit durchzustarten, ohne Gefahr zu laufen, in die am Bug abgestellten Maschinen zu stürzen. Für diese Art der Flugoperationen werden spezielle trägergestützte Flugzeuge benötigt, die für solche ausgelegt sind. Das Prinzip wird als Conventional Take-Off and Landing (CTOL) bezeichnet. Der zweite Ansatz von vielen Marinen – wie der britischen, italienischen, spanischen, indischen und russischen – ist eine Art „Sprungschanze“ an einem Ende des Decks, ein sogenannter Ski-Jump, die dem Flugzeug beim Start hilft. Diese Schiffe werden als STOVL- (Short Take-Off and Vertical Landing) oder STOBAR-Flugzeugträger (Short Take-Off But Arrested Recovery) bezeichnet. Das Prinzip wurde Ende der 1970er Jahre von der britischen Royal Navy entwickelt, um eine kostengünstigere und kleinere Art von Flugzeugträgern zu bauen. Nachdem es sich im Falklandkrieg bewährt hatte, begannen auch andere Nationen, dem britischen Beispiel zu folgen. Dies funktioniert mit senkrecht startenden Jets wie der britischen Hawker Siddeley Harrier, die fast ohne Vorwärtsbewegung starten und landen können, aber auch mit anderen Flugzeugen, die über entsprechend leistungsfähige Triebwerke verfügen. Der modifizierte Abflugwinkel gibt in diesem Fall dem Flugzeug mehr Zeit nach Verlassen des Flugdecks, auf eine für den Horizontalflug ausreichende Geschwindigkeit zu beschleunigen. Katapulte entfallen somit – bei Senkrechtstartern zusätzlich auch die Fangseile für die Landung. In beiden Fällen läuft das Schiff während Start- oder Landeoperationen mit bis zu 35 kn (64 km/h) gegen den Wind, um die notwendige Geschwindigkeit des Flugzeuges über dem Trägerdeck, bzw. die relative „Stall speed“ herabzusetzen. Der Unterschied zur wahren Geschwindigkeit über Grund (engl. „Ground speed“) ist somit nur mehr die zusätzliche Reduktion dieser durch die Relativbewegung des Flugzeugträgers gegenüber der Erdoberfläche (Meeresoberfläche). Beispiel: Einmotorige Sportmaschinen, wie zum Beispiel die Katana DA20 mit einer sehr geringen Stall speed (45 kcas), könnten auf einem Flugzeugträger mit 35 kn Fahrt und bei rund 20 kn Gegenwind, also in Summe 55 kn True Airspeed über Deck, wie Hubschrauber starten und landen. Antrieb Die modernen US-Träger sowie die französische Charles de Gaulle beziehen die Energie für ihre Dampfturbinen aus mehreren (meist zwei) Druckwasserreaktoren, wodurch sie eine sehr große Leistung und Reichweite haben. Alle anderen Flugzeugträger werden konventionell mit Kesseln oder Gasturbinen angetrieben. Mit bis zu vier Propellern erreichen sie eine Geschwindigkeit von über 30 Knoten. Kennung Im Gegensatz zu Fregatten oder Zerstörern gibt es international keine einheitliche Kennung für Flugzeugträger. Kennungen der US Navy Die Flugzeugträger der US Navy werden traditionell bedingt mit „CV“, gefolgt von einer Nummer gekennzeichnet, also zum Beispiel CV-6 für die Enterprise des Zweiten Weltkriegs und CVN-65 für die bis 2012 aktive Enterprise. Die Zahl bedeutet in diesem Fall somit den 6. bzw. 65. in Auftrag gegebenen Flugzeugträger der US Navy. Das „C“ steht für „Kreuzer“ (englisch: „cruiser“), da Flugzeugträger in ihren Anfängen umgebaute Kreuzer und ursprünglich der „Scouting Force“ zugeordnet waren. Der Buchstabe „V“ deklariert bei der US Navy eine bestimmte Klasse von Luftfahrzeugen, die schwerer als Luft sind (englisch: „heavier-than-air craft“, bzw. „aerodynes“), sich in selbiger aber von alleine bewegen können (im Gegensatz zu Fahrzeugen, wie bspw. einem Zeppelin, der nämlich leichter als Luft ist und dementsprechend englisch „lighter-than-air craft“, bzw. „aerostats“ genannt wird). Diese Klasse beinhaltet auch alle Starrflügelflugzeuge (englisch: „fixed wing“). Vermutlich aus diesem Grund hat die US Navy die Bezeichnung V gewählt, auch deshalb, weil CA bereits für schwere Kreuzer und AC für Kohle- und Treibstofftransporter vergeben war. Ein Flugzeugträger mit der Kennung CV hat somit die primäre Aufgabe, Starrflügelflugzeuge zu tragen. Die häufig verwendeten Bezeichnungen Carrier Vessel oder Carrier Vehicle (für US-Flugzeugträger) hingegen sind nicht korrekt, werden aber selbst im militärischen Sprachgebrauch oft verwendet. Atomgetriebene Flugzeugträger tragen den Zusatz N für Nuclear. Die Kennung aller heute aktiven US-Flugzeugträger ist auf Grund des Atomantriebs daher CVN. Der Zweite Weltkrieg führte zu folgenden weiteren, heute aber nur mehr selten verwendeten, Bezeichnungen in der US Navy: CVE (cruiser, with heavier-than-air craft, escort) – Geleitflugzeugträger CVL (cruiser, with heavier-than-air craft, light) – Leichter Flugzeugträger CVB (cruiser, with heavier-than-air craft, battle) – große Flugzeugträger CVA (cruiser, with heavier-than-air craft, attack) – Angriffsflugzeugträger CVS (cruiser, with heavier-than-air craft, anti-submarine) – U-Jagdträger (Flugzeugträger vornehmlich für Flugzeuge zur U-Boot-Bekämpfung) AVT (auxiliary, with heavier-than-air craft, training) – Trainings-Flugzeugträger Andere Typen von Trägern, deren Hauptaufgabe nicht das Operieren von Starrflügelflugzeugen ist (Helikopterträger, amphibische Landeschiffe), werden wie folgt gekennzeichnet: LPH (amphibious assault helicopter carriers) – amphibische Landungsträger für Helikopter und Marineinfanteristen (Marines) LHD (landing helicopter dock) – Helikopterträger (auch geeignet für Senkrechtstarter wie den AV-8B Harrier) LHA (landing helicopter assault) – Gleiche Eigenschaften wie LHD, jedoch als amphibisches Angriffsschiff ausgelegt (Hüllen- bzw. Rumpfklassifikation der Tarawa- und zukünftig auch America-Klasse). Kennungen der Royal Navy Die Flugzeugträger der britischen Royal Navy tragen die Kennung R. Während des Zweiten Weltkriegs bezeichnete die Royal Navy Flugzeugträger, die im Atlantik stationiert waren, mit D, jene im Pazifik mit R. Um die Kennungen zu vereinheitlichen, wurden später alle Flugzeugträger mit R bezeichnet, da D nur noch für Zerstörer verwendet wurde. Die genaue Bedeutung der Abkürzung R ist heute nicht mehr genau nachvollziehbar. Sie hat aber wahrscheinlich ihren Ursprung im alten Kennungssystem der Royal Navy, dessen Buchstaben sich auf die Heimatbasis der Schiffe bezogen (D = Devonport, R = Rosyth). Kennungen anderer Staaten Viele Nationen haben die Kennung R der Royal Navy übernommen, es gibt aber auch Ausnahmen: Italien kennzeichnet seine Flugzeugträger nur mit Nummern. Russland besitzt zurzeit nur einen Flugzeugträger, der jedoch aus seerechtlichen Gründen als schwerer Flugdeckkreuzer klassifiziert ist. Brasilien kennzeichnet seine Flugzeugträger auch mit dem Präfix NAe (portugiesisch „navio-aeródromo“). China kennzeichnet seinen ersten selbst entwickelten Flugzeugträger als Typ 001A Im Verband Flugzeugträger operieren nie alleine, sondern zusammen mit verschiedenen Begleitschiffen, die für Schutz und Versorgung sowie zusätzliches Offensivpotenzial sorgen. Diese Begleitflotte setzt sich in der Regel aus Kreuzern, Zerstörern und Fregatten zusammen, die den Verband gegen Bedrohungen aus der Luft, durch andere Seeeinheiten oder durch U-Boote schützen. Zusätzlich werden U-Boote zur Aufklärung und U-Jagd eingesetzt. Versorgungsschiffe und Tanker erweitern den Aktionsradius der Trägergruppe um ein Vielfaches. Außerdem können diese Schiffe zusätzliche Offensivkapazität bereitstellen, zum Beispiel Marschflugkörper. Ältere sowjetische Flugzeugträger verfügten ihrerseits über eine so starke Eigenbewaffnung, dass sie nicht auf den Schutz weiterer Begleitschiffe angewiesen waren. Flugbetrieb Start Der Start erfolgt entweder über Flugzeugkatapulte, über eine Sprungschanze (Ski-Jump) oder im Senkrechtstart. Katapultstart Bei Flugzeugträgern der US Navy, der französischen Marine Nationale und der brasilianischen Marine werden die Flugzeuge mittels Flugzeugkatapulten auf Startgeschwindigkeit gebracht. Um die Besatzung und wartende oder geparkte Flugzeuge auf dem Flugdeck zu schützen, wird hinter einem zu startenden Flugzeug ein Stück des Bodens („Gasstrahlabweiser“, engl. „Jetblast Deflector“, JBD) hochgeklappt, sodass die Abgasstrahlen nach oben abgelenkt werden. Der eigentliche Start erfolgt in nur wenigen Sekunden, in denen das Flugzeug auf Startgeschwindigkeit beschleunigt wird. Schanzenstart Auf den russischen, britischen, chinesischen, indischen, spanischen und italienischen Flugzeugträgern gibt es keine Dampfkatapulte. Stattdessen gibt es ein Startdeck, das am Ende hochgebogen ist, ähnlich wie eine Sprungschanze, der sogenannte Ski-Jump. Die russischen Marineflugzeuge werden von Bremsklötzen festgehalten und die Besatzung durch Strahlabweiser wie bei den amerikanischen Flugzeugträgern geschützt. Das startende Flugzeug fährt die Triebwerke mit Nachbrennern hoch, bewegt sich aber nicht vorwärts, weil die Bremsklötze das Flugzeug zurückhalten. Sobald die Bremsklötze das Flugzeug loslassen, beschleunigt es und startet über die Rampe vom Schiff. Senkrechtstart Diese Variante des Starts wird normalerweise nicht verwendet. VTOL-fähige Flugzeuge starten normalerweise über eine Schanze und landen senkrecht. Dies hat den Vorteil, dass die Flugzeuge beim Start mehr Nutzlast mitführen können. Das Transportflugzeug V-22 Osprey kann dagegen mit voller Nutzlast auch vertikal abheben. Lediglich die Reichweite wird durch den vertikalen Start herabgesetzt. Auch die auf allen Trägern stationierten Hubschrauber starten immer senkrecht, werden aber als Drehflügler nicht zu den Flugzeugen gezählt. Start per Kurzstartfähigkeit Auf den Amphibious Assault Ships der US Navy starten die auf ihnen eingesetzten Senkrechtstarter mit kurzem Anlauf. Die Schiffe verfügen nicht über Katapulte, aber auch nicht über Schanzen. Landung Die Landung auf einem Träger gehört mit zu den anspruchsvollsten und gefährlichsten fliegerischen Operationen, besonders, wenn sie bei Nacht oder schlechtem Wetter durchgeführt werden soll. Es gibt zwei Arten von Landungen, die Landung mit Fangseilen und die Senkrechtlandung. Landung mit Fangseilen Diese Art der Landung wird auf fast allen Flugzeugträgern angewandt. Hierbei sind auf dem hinteren Flugdeck meist vier (bei einigen Flugzeugträgern aber auch nur drei) Fangseile gespannt, von denen der Pilot eines mit dem Fanghaken „erwischen“ muss. Vorzugsweise sollte der Pilot bei diesem Manöver den Träger so anfliegen, dass er sich möglichst in das dritte Seil einhakt. Der grundlegende Ablauf auf einem amerikanischen Flugzeugträger ist folgender: Das vom Einsatz zurückkehrende Flugzeug fliegt zunächst eine klassische Platzrunde um den Flugzeugträger, um an Höhe und Geschwindigkeit zu verlieren. Die Fangseile werden auf das aktuelle Landegewicht des Flugzeuges eingestellt, um dieses effektiv zu bremsen. Im Endanflug fährt der Pilot das Fahrwerk und den Fanghaken aus. Die Führung des Jets wird nun von der Leitzentrale des Trägers an die Landeoffiziere auf dem Flugdeck übergeben. Dieser Landesignaloffizier (LSO), der selbst Pilot auf dem Flugzeugträger ist, „spricht den Piloten herunter“, indem er ihm jeweils mitteilt, wie seine Fluglage von der Ideallinie abweicht. Der Gleitwinkel wird dem Piloten auch durch ein optisches Landehilfesystem angezeigt (von den Piloten „Meatball“ genannt), bei der ein verschiebbares Licht sich in einer Linie mit einer stationären grünen Lichterkette befindet, wenn der Gleitwinkel korrekt ist. Fliegt der Pilot den Träger zu flach an, liegt das Licht unterhalb der Lichterkette, bei einem zu steilen Gleitwinkel liegt es oberhalb. Sollten die LSOs irgendeine Unregelmäßigkeit feststellen, betätigen sie eine Taste, die das Lichtsignal auslöst, das dem anfliegenden Piloten das „wave off“-Signal gibt. Der Pilot bricht den Landeanflug sofort ab und startet durch, um es erneut zu versuchen. Die LSOs bewerten die Anflüge aller Piloten und vergeben Noten, die wichtig für deren weitere Laufbahn sind. Wenn der Pilot den Gleitwinkel und die Geschwindigkeit trifft, fängt der Haken das dritte Seil und das Hauptfahrwerk berührt das Deck. Das Flugzeug wird sofort abgebremst. Beim Aufsetzen des Hauptfahrwerkes gibt der Pilot vollen Schub, um bei einem Fehlschlag (engl. bolter), wenn beispielsweise der Haken zurückfedert, sicher durchstarten zu können. Wurde das Fangseil erwischt, wird das Flugzeug hydraulisch gebremst und kommt innerhalb von nur zwei Sekunden auf einer Strecke von knapp 50 m zum Stehen. Der Pilot wird bei diesem Manöver extrem in die Gurte gedrückt. Sofort werden die Triebwerke in Leerlauf geschaltet, der „hook runner“ löst den Haken vom Fangseil und der Haken wird eingezogen. Danach rollt das Flugzeug in die vorgegebene Parkposition. Ein Flugzeug hat üblicherweise Kerosin für zwei Landungen im Tank (Nimitz-Klasse). Nach zwei erfolglosen Landeversuchen muss in der Luft nachgetankt werden. Für derartige Zwischenfälle ist immer eine mit Luftbetankungsbehälter ausgerüstete Boeing F/A-18 im Luftraum über dem Flugzeugträger. In besonderen Notfällen ist der Pilot eventuell nicht in der Lage, sein Flugzeug vorschriftsmäßig zu landen, beispielsweise weil der Fanghaken beschädigt wurde. In solch einem Fall wird auf dem Flugdeck ein Netz gespannt, mit dem das Flugzeug auch ohne Fangseile zum Stehen gebracht wird. Meist jedoch führt eine solche Landung zu Schäden am Flugzeug. Eine F-18 Hornet kann auch vollautomatisch ohne Zutun des Piloten gelandet werden. Dieses Verfahren wird aber nur im Notfall angewendet, weil im Kriegsfall die Elektronik durch den Gegner gestört werden kann. Auch dann muss eine sichere Landung möglich sein. Senkrechtlandung Diese Art der Landung wird momentan nur mit dem Hawker Siddeley Harrier oder dem V-22 Osprey und durch ihre Nutzer US Marine Corps, Royal Air Force und Royal Navy (Fleet Air Arm) betrieben. Die Marine Corps operieren mit ihren Flugzeugen nicht nur von Flugzeugträgern, sondern auch von Hubschrauberträgern der America- und Wasp-Klasse. Die Harrier-Flugzeuge werden in Zukunft von der im Moment in der Testphase befindlichen Lockheed Martin F-35 abgelöst. Von diesem Flugzeugtyp hat auch Italien Maschinen für den Einsatz auf ihren Trägern bestellt. Wie auch beim Start nutzen Hubschrauber immer ihre Fähigkeit, senkrecht zu landen. Luftfahrzeuge Auf einem Flugzeugträger werden unterschiedliche Typen von Luftfahrzeugen eingesetzt, die in folgende Kategorien eingeteilt werden: Flugzeuge: Strahlflugzeuge, Turbopropmaschinen, Schwenkrotorflugzeuge, Hubschrauber. Die Strahlflugzeuge können wiederum in folgende Kategorien unterteilt werden: konventionelle Strahlflugzeuge, Schwenkflügelflugzeuge (zum Beispiel F-14 Tomcat), V/STOL-Maschinen („Senkrechtstarter“, beispielsweise Hawker Siddeley Harrier). Die Luftfahrzeuge dienen unterschiedlichsten Zwecken: Bekämpfung von Luftzielen (andere Luftfahrzeuge, Flugkörper), Bekämpfung von Überwasserzielen (Schiffe und Boote), Bekämpfung von Unterwasserzielen (U-Boote), See- und Luftraumüberwachung, Frühwarnung, Angriffe auf Landziele, elektronische Kampfführung (ELOKA), Störung gegnerischer Sensoren, Luftaufklärung, Luftbetankung, Seenotrettung, Transport, Verbindungsflüge, Spezialoperationen. Flugdeckbesatzung Auf dem Flugdeck sind Besatzungsmitglieder für verschiedene Zwecke tätig. Sie werden anhand ihrer farbigen Hemden, Arbeitswesten und Helme bzw. Helmbezüge nach ihren Funktionen an Deck unterschieden. Auf Flugzeugträgern der United States Navy werden folgende Farben verwendet: Siehe auch Liste historischer Flugzeugträger Liste aktiver Flugzeugträger Literatur David Brown: Operationsbasis Flugzeugträger. Entwicklung, Taktik und Einsatz alliierter Träger-Jagdflugzeuge 1939–1945. („Carrier fighters 1939–1945“) Motorbuch-Verlag, Stuttgart 1980, ISBN 3-87943-740-8. Christopher Chant: Flugzeugträger. Geschichte, Klassen, Flugzeuge. („Aircraft Carriers“) Stocker-Schmid, Dietikon-Zürich 2005, ISBN 3-613-30534-8. Tom Clancy: Supercarrier. Die Welt der amerikanischen Flugzeugträger. („Carrier“) 2. Aufl. Heyne, München 2002, ISBN 3-453-21179-0. David Jordan: Die Geschichte der Flugzeugträger. („Aircraft Carriers“) RM Vertrieb, Rheda-Wiedenbrück 2002. Arkadi Morin, Nikolaj Walujew: Sowjetische Flugzeugträger. Geheim 1910–1995. Brandenburgisches Verlagshaus, Berlin 1996, ISBN 3-89488-092-9. Stefan Terzibaschitsch: Die Flugzeuge der U.S. Navy, des Marine Corps und der Küstenwache. Verlag Wehr & Wissen, Koblenz 1980, ISBN 3-8033-0309-5. Stefan Terzibaschitsch: Flugzeugträger der U.S. Navy. Flottenflugzeugträger, Geleitflugzeugträger. Bernard & Graefe Verlag, Bonn 1999, ISBN 3-7637-6200-0. Weblinks Übersicht über heutige Hubschrauberträger und Flugzeugträger Übersicht der Flugzeugträger der US Navy und ihr aktueller Status (jeweils englisch) Fußnoten Militärschiffstyp
1599
https://de.wikipedia.org/wiki/Freudenstadt
Freudenstadt
Freudenstadt ist eine Mittelstadt sowie Große Kreisstadt mit Einwohnern () im Regierungsbezirk Karlsruhe in Baden-Württemberg. Sie ist Sitz des Landratsamtes Freudenstadt als Verwaltungsbehörde des Landkreises Freudenstadt. Freudenstadt ist ein anerkannter heilklimatischer und Kneippkurort sowie ein traditionell beliebter Urlaubsort. Daneben ist Freudenstadt bekannt für seinen sehr großen, fast quadratischen Marktplatz. Für die umliegenden Gemeinden bildet es ein Mittelzentrum im Bereich des Oberzentrums Pforzheim. Mit den Gemeinden Bad Rippoldsau-Schapbach und Seewald besteht eine vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft. Die Stadt wurde 1599 von Herzog Friedrich I. von Württemberg gegründet. Scharfe Einschnitte in die Stadtentwicklung verursachten der Stadtbrand von 1632, die großen Bevölkerungsverluste im Dreißigjährigen Krieg und die weitgehende Zerstörung der Innenstadt im Zweiten Weltkrieg. Geographie Lage Freudenstadt liegt im nordöstlichen Schwarzwald. Es befindet sich 66 Kilometer (Luftlinie) südwestlich von Stuttgart und 61 Kilometer südlich von Karlsruhe auf einem Hochplateau am Ostrand des Nordschwarzwalds auf 591 bis in der Region Nordschwarzwald. Das Hochplateau liegt am Rande einer nach Osten flach abfallenden schiefen Ebene. Diese ist Einzugsgebiet der Glatt, die dann in den Neckar mündet. Gleich westlich des Stadtzentrums fällt das Gelände steil zum tief eingeschnittenen Tal des Forbachs ab, der zur Murg fließt. Sechs Kilometer in Richtung Süden, im Luftkurort Loßburg, entspringt die Kinzig, die bei Kehl in den Rhein mündet. Das größtenteils waldbedeckte westliche Stadtgebiet steigt zur Passhöhe am Kniebis an und von dort weiter bis auf bei der Alexanderschanze. Südlich des Ortsteils Kniebis entspringt der Fluss Wolf. Nachbargemeinden Die folgenden Städte und Gemeinden grenzen im Uhrzeigersinn, beginnend im Norden, an die Stadt Freudenstadt: Baiersbronn, Seewald, Grömbach, Pfalzgrafenweiler, Dornstetten, Glatten, Loßburg und Bad Rippoldsau-Schapbach (alle Landkreis Freudenstadt). Geologie Die Stadt befindet sich in einem Deckgebirge der Trias, das auf einem älteren Grundgebirgssockel liegt. Die vorherrschenden Buntsandstein-Ablagerungen wurden im Verlauf des Tertiärs vom Freudenstädter Graben gestört, einem zwölf Kilometer langen und sieben Kilometer breiten Graben mit Verwerfungen von bis zu 140 Meter Sprunghöhe. Die Grabensohle besteht wie in dem östlich benachbarten Gäu aus Muschelkalk. Vor allem an den Grabenrändern, zum Beispiel im Christophstal unweit des heutigen Stadtzentrums, haben hydrothermale Lösungen Quarz-Schwerspat-Gänge gebildet. Einen ersten, wenn auch schwachen Hinweis auf historischen Bergbau im Freudenstädter Revier enthält eine Urkunde von 1267. Weitere Hinweise aus dem Mittelalter fehlen, Hauptphase des Bergbaus war im Zeitraum vom 16. bis 18. Jahrhundert. Wie im württembergischen Schwarzwald die Regel, traf dieser auch hier auf große wirtschaftliche Schwierigkeiten und war häufig unterbrochen. Abgebaut wurden vor allem Silber- und Kupfer- sowie Eisenerze. Zur Eisengewinnung wurde der oberflächennah reichlich auftretende Limonit gefördert und zur Silber-, später auch Kupfergewinnung arsenreiches Fahlerz abgebaut. Die Fahlerze der Reviere im Deckgebirge weisen einen erhöhten Wismutgehalt auf. Der Abbau führte zur Erstbesiedlung des Christophstals rund 30 Jahre vor der Gründung von Freudenstadt. Das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau stellte 2008 bei Bohrungen ein im Vergleich zu anderen deutschen Gangrevieren „erhebliches“ Potential an Baryt fest. Ein Probeabbau erfolgt derzeit beim Dorothea-Untersuchungsstollen nahe der Talstraße im Forbachtal. Stadtgliederung Das Stadtgebiet von Freudenstadt gliedert sich in die Kernstadt Freudenstadt mit Christophstal und Zwieselberg (zusammen 16.159 Einwohner) und die Stadtteile Dietersweiler und Lauterbad (2256 Einwohner), Grüntal und Frutenhof (1027 Einwohner), Igelsberg (254 Einwohner), Kniebis (947 Einwohner), Musbach (761 Einwohner) und Wittlensweiler (2186 Einwohner). Die Stadtteile wiederum sind in Dörfer, Weiler, Höfe und Häuser untergliedert. Die offizielle Benennung der Stadtteile erfolgt in der Form „Freudenstadt, Stadtteil …“ Bei den Stadtteilen handelt es sich mit Ausnahme von Kniebis um ehemals selbständige Gemeinden. In Freudenstadt ist die unechte Teilortswahl eingeführt, das heißt, das Stadtgebiet gliedert sich in sechs Wohnbezirke im Sinne der baden-württembergischen Gemeindeordnung. Die Kernstadt und der Stadtteil Igelsberg sind zu einem Wohnbezirk zusammengefasst, die restlichen Wohnbezirke sind identisch mit den Stadtteilen. In den Stadtteilen bestehen Ortschaften im Sinne der baden-württembergischen Gemeindeordnung mit eigenem Ortschaftsrat und einem Ortsvorsteher als dessen Vorsitzenden. In den Ortschaften gibt es Verwaltungsstellen des Bürgermeisteramts. Abgegangene, heute nicht mehr bestehende Ortschaften und Burgen sind die Burg Hofstätten und die Siedlung Burgberg auf dem Schwarzwald im Stadtteil Dietersweiler, Schöllkopf, ein im Dreißigjährigen Krieg abgebranntes Gehöft, die Siedlungen und Einzelhöfe Wolfhaus im Stadtteil Grüntal, Slunwag im Stadtteil Igelsberg sowie Gallushütte und Hilpertshöfle im Stadtteil Musbach. Raumplanung Freudenstadt ist ein Mittelzentrum innerhalb der Region Nordschwarzwald, in der Pforzheim als Oberzentrum ausgewiesen ist. Zum Mittelzentrum Freudenstadt gehören die Städte und Gemeinden Alpirsbach, Bad Rippoldsau-Schapbach, Baiersbronn, Dornstetten, Glatten, Grömbach, Loßburg, Pfalzgrafenweiler, Schopfloch, Seewald, Waldachtal und Wörnersberg. Klima Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es regelmäßige Messungen der Regenmenge, der Sonnenscheindauer und anderer Klimawerte. Im Jahr 1925 hieß es in einer Anzeige: . Die Jahresdurchschnittstemperatur lag zwischen 1990 und 2007 bei 7,9 °C. Die höchste durchschnittliche Maximaltemperatur ergab sich mit 21,2 °C im August, die niedrigste durchschnittliche Minimaltemperatur im Januar bei −2,2 °C. Analog dazu sind die höchste und die niedrigste Tagesdurchschnittstemperatur verteilt. Die zwischen 1961 und 1990 gemessene Jahresniederschlagsmenge ist aufgrund der Gebirgsrandlage der Stadt mit 1681,4 Millimeter für Deutschland überdurchschnittlich hoch. Über das Jahr wurden dabei recht konstante Werte verzeichnet, wobei das Maximum mit 189,9 Millimetern im Dezember verzeichnet wurde. Für die Regentage ergibt sich ein ähnliches Bild mit einer recht homogenen Verteilung von 15,2 Tagen im Juni und Juli und 19,7 Tagen im Dezember. Im Jahr gab es im Mittel 205,6 Regentage. Bei den durchschnittlichen täglichen Sonnenscheinstunden zwischen 1990 und 2007 erreichte Freudenstadt mit 4,6 einen hohen Wert, der vermutlich auf die weitgehende Nebelfreiheit zurückzuführen ist. Die meisten Sonnenstunden wurden im Juni verzeichnet (7,1 Stunden), die geringsten im Dezember mit 1,8 Stunden. Wetterdaten für Freudenstadt werden von der Warte des Deutschen Wetterdienstes auf dem erhöht liegenden Kienberg gesammelt. Die Firma Meteomedia unterhält Wetterstationen auf dem Marktplatz und in Freudenstadt-Langenwald. Ausführliche Klimatabelle Geschichte Spätere Stadtteile und Bergbau im St. Christophstal Der heutige Stadtteil Grüntal-Frutenhof wurde erstmals 1100 als Grindelen urkundlich erwähnt. Das Gehöft Frutenhof fand dagegen erst 1470 schriftliche Erwähnung. 1583 bekam Grüntal eine eigene Pfarrei. Die Existenz von Igelsberg ist als Illigsberg um das Jahr 1230 gesichert, als es vom Pfalzgrafen Rudolf von Tübingen zu Lehen an das Bistum Straßburg ging. Seit 1381 gehörte Igelsberg zum Benediktiner-Kloster Reichenbach und kam erst 1595 zu Württemberg. Im heutigen Kniebis stand um 1250 eine Kapelle eines Herrenalber Mönchs, die 1278 zu einem Franziskanerkloster umgebaut wurde, das 1320 zu Württemberg kam. Um sich gegen mögliche Angriffe des habsburgischen Bischofs von Straßburg zu schützen, ließ der von den Habsburgern unter Friedrich dem Schönen zum Kaiser Ludwig dem Bayern übergelaufene Graf Eberhard Schanzen auf dem Kniebis errichten. Der Stadtteil Musbach, namentlich das gegenwärtige Untermusbach, fand 1274 als Muosbach Eingang in Schriftstücke und war von Beginn an württembergisch. Wohl 1291 kam das heutige Untermusbach vom Pfalzgrafen von Tübingen zum Kloster Reichenbach. Erst 1595 wurde es württembergisch. Dietersweiler fand 1347 erstmals als Dietrichsweiler urkundlich Erwähnung. Zusammen mit dem bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts als Witelineswilare bestehenden Stadtteil Wittlensweiler wurde es von den Herren von Lichtenfels an die Herren von Neuneck veräußert. Wittlensweiler ging 1473 an Württemberg, Dietersweiler folgte 1511. 1520 bis 1534 gab es unter österreichischer Herrschaft Erzförderung in der Nähe des ehemaligen Gehöfts Schöllkopf. 1544 wurde das Kloster auf dem Kniebis aufgelöst. Viele kleine Bergwerke, deren Stollen waagrecht in den Berg führten, entstanden, darunter um 1560 der nach Herzog Christoph bzw. seinem Namenspatron benannte „St.-Christoph-Erbstollen“, dessen Name auch auf den Talabschnitt und die Siedlung, die kurz darauf entstand, überging. Die steilen Talhänge des Christophstal begünstigten die Anlage von Stollen, senkrechte Schächte blieben in Zahl und Bedeutung deutlich zurück. Aber nicht nur im Christophstal wurden Gruben angelegt. In der Nähe von Lauterbad entstand die Charlottengrube, auf dem Kienberg der Georgsstollen sowie die Grube „Schweitzer Treu“. Auch in den späteren Ortsteilen wurde geschürft: In Wittlensweiler wurde zwischen 1812 und 1824 eine Grube in der Pfarrgasse („Friedrich- und Wilhelmina-Fundgrub in der Kirchgaß“) betrieben, die Schwerspat und Brauneisen förderte. Bereits im Jahr 1536 wurden die Bergleute mit besonderen Privilegien ausgestattet. Im Jahr 1598 wurden 87 Tonnen Erz gefördert, das je Tonne bis zu 1.800 Gramm Silber und 140 Kilogramm Kupfer enthielt. Die Silberschmelze wurde mit Holzkohle aus den Wäldern der Umgebung beheizt. 1603 betrug die Förderung 94 Kilogramm Silber. Daraus entstanden die sogenannten Christophstaler. Später konzentrierte sich der Abbau auf Kupfer und Eisen. Am 23. Januar 1572 wurde unter Herzog Ludwig der Bau eines Hüttenwerkes angeordnet. Sein Nachfolger Friedrich I. sorgte im Hinblick auf eine weitgehende Rohstoff-Autarkie des Herzogtums für die Gründung weiterer Verarbeitungsbetriebe. 1595 plante Baumeister Heinrich Schickhardt eine Eisenschmiede, aus der der spätere obere Großhammer entstand. 1606–1610 kam eine Messingfaktorei mit Brennöfen und Schmiede hinzu. 1616 wurde der obere Drahtzug eingerichtet, 1621 der untere. Es entstanden ein Kupferhammer, ein Pfannenhammer, ein weiterer Großhammer, der spätere Wilhelmshammer. Zwischen Kupferhammer und (unterem) Pfannenhammer wurde eine zweite Schmelze errichtet. An einem heute unbekannten Ort stand auch eine Glockengießerei. Zwischen 1622 und 1628 wurde im Christophstal eine der vier verschiedenen württembergischen Münzprägeanstalten betrieben, in der erst Münzen aus der Kipper- und Wipperzeit, so der Hirschgulden mit dem Münzzeichen „CT“ oder „C“ und später dann reguläre Münzen geprägt wurden. Stadtplanung Herzog Friedrich I. betrieb als Vertreter des Frühabsolutismus eine aktive Macht- und Wirtschaftspolitik. Die Förderung des Bergbaus in Christophstal und die Ansiedlung von Exulanten sollten im merkantilistischen Sinne die Einnahmen des Landesherren sichern. Die bestehenden Landesfestungen wurden ausgebaut. An der Westflanke, nahe dem strategisch wichtigen Kniebis-Pass, sollte mit Freudenstadt eine neue befestigte Residenz weitere geplante Territorialerwerbungen im Westen als Brückenschluss zu den westrheinischen Besitzungen sichern. 1595 hatte der Herzog Besigheim und Mundelsheim von Baden erworben. Im selben Jahr setzte er mit Gewalt seine Ansprüche auf Reichenbach durch. Sein weiteres Ziel war der Erwerb des Hochstifts Straßburg. 1604 erlangte er zumindest auf dreißig Jahre befristet die Pfandschaft Oberkirch von diesem Hochstift. Friedrich beauftragte seinen Baumeister Heinrich Schickhardt um das Jahr 1598, das Gebiet um das heutige Freudenstadt zu untersuchen. Rückblickend berichtet Schickhardt 1632 in der Zusammenfassung seines Lebenswerkes („Inventar“): Dennoch bestand der Herzog auf den Bau der Stadt. Schickhardts quadratischer Grundriss für Freudenstadt geht wahrscheinlich auf Zeichnungen Albrecht Dürers in seiner Festungslehre zurück. Schickhardt entwarf Freudenstadt auf Geheiß Friedrichs I. am Reißbrett. Zunächst legte er dem Herzog den als Baublockplan bekannten Entwurf vor, bei dem jeweils mehrere Häuser in Zeilen oder rechteckig, teils mit Innenhof, angelegt sind. Die massive Festung mit dem Schloss war in diesem ersten Plan in einer Ecke der Anlage vorgesehen, der Marktplatz im Zentrum der Stadt war verhältnismäßig klein geplant. Schickhardts zweiter Entwurf ist eine Fortentwicklung des Baublockplans. Es sind bereits deutliche Ansätze der später realisierten Häuserzeilen zu erkennen. Das Schloss in der damals üblichen Bauweise war abermals in einer Ecke der Anlage in die Festungsmauern eingebettet. Tatsächlich wurde Freudenstadt dann nach dem Dreizeilenplan erbaut, wobei das nun in der Mitte der Stadt geplante Schloss und die Festung erst später entstehen sollten. Diese Entscheidung ließ zu, die Stadt flexibel zu vergrößern, bis eine konstante Einwohnerzahl erreicht war. Das Schloss war im Dreizeilenplan mittig und um 45° zur geometrischen Stadt gedreht auf dem Marktplatz vorgesehen. Die geplante massive Konstruktion der Festung wurde zurückgenommen und gleicht mehr einer Stadtmauer, was darauf hindeutet, dass dem Herzog bereits zu diesem Zeitpunkt doch nicht mehr so viel an der militärischen Funktion seiner Stadt gelegen war. Gleichwohl ist ein Plan Schickhardts bekannt, der den Dreizeilenplan um eine mächtige Festung erweiterte. Ob es sich dabei mehr um eine „Spielerei“ oder um eine echte Planung handelte, ist allerdings nicht bekannt. Umgeben wird das Zentrum auf dem Plan von drei Häuserzeilen, die an ein Mühlebrett erinnern. Selbst die Namen der ersten Bewohner, vornehmlich Handwerker, die vom Bau der neuen Stadt profitieren wollten, sind eingetragen. Diese Anmerkungen dürften von Elias Gunzenhäuser, dem örtlichen Bauleiter, stammen. Stadtgründung Der 22. März 1599, als die ersten Häuser und Straßen von Schickhardt in Anwesenheit des Herzogs abgesteckt wurden, gilt als Gründungsdatum der Stadt. Die Häuser am Marktplatz hatten zum Platz hin ausgerichtete Dachgiebel und wurden daher Giebelhäuser genannt. Es handelte sich um typische Fachwerkhäuser. Ein vom Zimmermann aufgestelltes Gerüst aus Balken wurde mit Mauerwerk ausgefüllt und hell verputzt, während die Balken, die zum Teil sichtbar blieben, dunkel angestrichen wurden. Heute sind im Stadtkern keine solchen Häuser mehr erhalten. Im wenig entfernten Dornstetten ist diese Bauweise im historischen Ortskern noch sichtbar. Am 1. Mai 1601 erfolgte die Grundsteinlegung für die wohl von Elias Gunzenhäuser entworfene Stadtkirche, die am Marktplatz als Winkelkirche gebaut wurde. Ab 1602 wurden in der Nordwestecke – ebenfalls durch Gunzenhäuser – das Kaufhaus, in den 1660er-Jahren in der Nordostecke das Rathaus erbaut, beide ebenfalls als Winkelbauten. Am 6. Mai 1601 wurde die „Stadt ob Christophstal“ erstmals urkundlich als „Freudenstadt“ erwähnt. Wie es zu dieser Namensgebung kam, ist nicht geklärt. Am 3. November erfolgte dann eine Ausschreibung, mit der gezielt Ansiedlungswillige angesprochen wurden, denen Bauplatz, Holz und Felder versprochen wurden. Auf diese Art wurden vor allem von der habsburgischen Gegenreformation betroffene protestantische Glaubensflüchtlinge aus den österreichischen Kronländern Steiermark, Kärnten und Krain in die junge Stadt gelenkt. Da viele Flüchtlinge aus Krain nur slowenisch sprachen, predigte bald auch ein slowenischer Pfarrer. 1603 erhielt die junge Stadt ein Wappen und den ersten Bürgermeister, zwei Jahre später ihre Gemarkung. Hierzu wurden Teile des Dornstetter Waldgedings und der Nachbargemeinde Baiersbronn abgetrennt. Freudenstadt wurde Sitz eines kleinen Amtes. Da sich die Einwohnerzahl gut entwickelte, ordnete Herzog Friedrich I. die Vergrößerung der Stadtanlage an. Schickhardt erstellte daraufhin den Fünfzeilenplan. Zwei zusätzliche Häuserreihen sollten zusammen mit den drei bestehenden etwa 2.500 Einwohnern Wohnplatz bieten. 1608 starb Herzog Friedrich I. von Württemberg. Da die bisherigen Parzellen der nunmehr vierzeiligen Stadt zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig bebaut waren, baten die Bürger seinen Sohn und Nachfolger, Johann Friedrich von Württemberg, zumindest die Erweiterung um eine fünfte Häuserzeile aufzugeben; dem Gesuch wurde stattgegeben. Nach dem Tod von Herzog Friedrich wurden auch die Pläne für das Schloss in „Friedrichs Stadt“ nicht mehr berücksichtigt. Die freie Fläche im Zentrum blieb somit ein riesiger Platz, der heute als ‚größter bebauter Marktplatz‘ Deutschlands gilt (siehe dazu weiter unten: Städtebeziehung u. a. zu Heide mit dem ‚größten unbebauten Marktplatz‘ Deutschlands). Außerdem besaß die Stadt lange Zeit keine Stadtmauer. Zwar gab es hierfür immer wieder Pläne (beispielsweise Schickhardts Plan von 1612, siehe oben); teils wurden auch Arbeiten begonnen, tatsächlich fertiggestellt wurden sie aber nicht. Der Freudenstädter Bürgermeister bat Herzog Johann Friedrich im Jahr 1619 vergeblich um eine Stadtmauer. Die Stadt war zu arm, um eine Befestigung selbst zu finanzieren, deshalb wurde in den folgenden Jahren ein Bretterzaun rund um die Stadt gebaut. Auf dem Merianstich von 1643 ist dieser Zaun gut erkennbar. 1616 erfolgte mit dem Weiler St. Christophstal die erste Eingemeindung in die junge Stadt. Elendsjahre und Wiederaufblühen Nur wenige Jahre nach der Gründung, als Freudenstadt schon fast 3.000 Einwohner gezählt haben soll, brach 1610/11 die Pest aus; sie soll 800 Menschen hinweggerafft haben, weitere 900 seien daraufhin abgewandert. Viehkrankheiten und Missernten verschlimmerten die Situation. 1632 brach im Gasthaus Zum Güldenen Barben am unteren Marktplatz ein Brand aus, der sich wegen der Anordnung der Fachwerkhäuser in Häuserzeilen schnell ausbreitete. Heinrich Schickhardt vermerkt zu dem Ausmaß des Schadens: Nach der verlorenen Schlacht bei Nördlingen im Dreißigjährigen Krieg wurden durch kaiserlich-habsburgische Truppen erneut Gebäude in Brand gesetzt und die wenigen verbliebenen Einwohner beinahe gänzlich ermordet und geplündert. Die Einwohnerzahl in jenen Tagen dürfte im unteren zweistelligen Bereich gelegen haben. Die Pest brach 1635 zudem erneut aus und vernichtete wiederum nahezu jegliches Leben. Freudenstadt blieb über Jahre weitgehend verödet. Selbst 1652, fast zwanzig Jahre nach den tragischen Ereignissen, ist in Aufzeichnungen von nur etwa 300 Bürgern die Rede. Festungsanlage Der Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs veranlasste Herzog Eberhard III., sich erneut mit der Stadtentwicklung und den Festungsplänen zu befassen. Eberhard III. galt als den Freudenstädtern sehr zugeneigt, er half der Bevölkerung in mancherlei Weise. Damit die Einwohner in der Stadt blieben, wurde ihnen sechs Jahre Steuerfreiheit zugesagt. Neue Bürger brauchten zwölf Jahre lang keine Steuern zahlen. Es gab verbilligte Bauplätze, das Bauholz wurde verschenkt. Erstmals nach der langen Kriegszeit wurden die Ämter wieder besetzt. Auch die Lateinschule, ein Eckbau hinter der Stadtkirche, wurde wieder eröffnet. In Freudenstadt fing das Leben wieder an zu gedeihen. Im Jahr 1667 ließ Herzog Eberhard III. endlich nach den Ideen des Ingenieurs d’Avila mit dem Bau einer gewaltigen Festungsanlage beginnen. Die Bauleitung hatte Matthias Weiß (1636–1707), unterstützt von dem später als Kartograf bekannt gewordenen Georg Ludwig Stäbenhaber. Bis 1674 wurde gebaut. Die Festung bedeckte inzwischen eine gut doppelt so große Fläche, wie die bewohnte Stadt. Sie bestand aus acht Bastionen mit den Kurtinen (Verbindungswällen) und vier Stadttoren. Bedingt durch den steilen Geländeabfall zum Christophstal waren die drei westlichen Bastionen wesentlich kleiner als die anderen fünf Bastionen. Stadttore Das Königliche Statistisch-Topographische Bureau beschreibt die damals erbauten vier „massiven, sehr festen, gewölbeartigen“ Stadttore 1858 genauer. Das Stuttgarter Thor im Osten war mit „aus Stein gehauenen Kanonen- und Mörserläufen verziert“ und trug die herzogliche Inschrift (für Eberhard Herzog zu Württemberg) sowie das württembergische und dettingische Wappen. Es beherbergte außerdem oberamtsgerichtliche Gefängnisse. Das Straßburger Tor im Süden war „weniger reich verziert“ und erhielt dieselben Wappen und die Inschrift . Über dem Torbogen befand sich eine vermietete Wohnung und jeweils ein Gefängnis des Oberamts und des Oberamtsgerichts. Das Murgthal-Thor im Westen umfasste die Wohnung des Oberamtsdieners und zwei Gefängnisse des Oberamts Freudenstadt. Die Inschriften lauteten auf der Außenseite und auf der Innenseite. Dies entspricht den Initialen von Friedrich Carl, dem Vormund von Herzog Eberhard Ludwig. Das Hirschkopf-Thor im Norden, mit der Jahreszahl 1622 beschriftet, war das älteste Stadttor. Dort waren die Wohnung des Oberamtsgerichtsdieners sowie drei Gefängnisse des Oberamtsgerichts untergebracht. Festungsplan Bis auf die links dargestellte Zitadelle auf dem Kienberg – sie wurde nicht gebaut – entspricht der Plan dem Stand der Festung bei Beendigung der Bauarbeiten 1674. Verfall der Festung Im Jahr 1674 – die Festung war noch nicht ganz fertiggestellt – starb Herzog Eberhard III.; der Bau wurde sofort eingestellt. Sein Nachfolger, Herzog Wilhelm Ludwig, ließ durch Oberstleutnant Andreas Kieser ein Gutachten über die Festung erstellen. Dieses Gutachten enthält ausschließlich Argumente, die gegen die Festung sprachen; damit fiel es Herzog Wilhelm Ludwig leicht, das ungeliebte, teure Projekt zu beenden. Die Bevölkerung nutzte das Desinteresse der Obrigkeit an der Festungsanlage und versorgte sich über Jahrzehnte mit Baumaterial aus den Festungsmauern. Die behauenen Steine fanden sich in privaten Gebäuden wieder, aus Gräben und Wällen wurden Gärten und Weiden für das Kleinvieh. Die Stadt trug dem Rechnung und verpachtete einzelne Teile der Festung an die Bürger. Die landwirtschaftliche Nutzung und später die Überbauung veränderte das Bild der Festung. 1820 wurde geplant, die Reste der Festung Freudenstadt zur Bundesfestung auszubauen. Die Bundesversammlung entschied hingegen, in Ulm und Rastatt Bundesfestungen zu errichten. Ab 1870 wurden die Stadttore zum Abriss verkauft und die Festung endgültig dem Verfall preisgegeben. Im Jahr 1880 waren nur noch die Festungsanlagen im Bereich des heutigen Stadtbahnhofs und östlich davon gut erhalten. Heute sind nur noch sehr wenige Reste der Festung vorhanden, so z. B.: Zwischen Blaicherstraße und Musbacher Straße, hinter der Friedenskirche liegt ein kurzer, recht gut erhaltener Teil des „östlichen Bollwerks“, er ist heute noch etwa fünf Meter hoch. In der Nähe des Stadtbahnhofs, an der Ecke Dammstraße/Wallstraße sind noch Wallreste erkennbar. Ein Wappenstein mit Fratze als einzigem Rest des früheren Loßburger Tors (abgerissen 1865) ist in die Wand des Kurhauses eingesetzt. Es zeigt links das Wappen von Herzog Eberhardt (württembergische Hirschstangen, Rauten von Teck, Reichssturmfahne und die Barben von Mömpelgard), rechts das Wappen seiner Frau, Maria Dorothea Sofie, geb. Gräfin von Öttingen. In der Stuttgarter Straße, an der Toreinfahrt zum ehemaligen Finanzamt, stehen zwei Pfeiler mit Ziersteinen und Gucklöchern, die vom Loßburger Tor stammen. Auf dem Kniebis entstanden 1674 bis 1675 Befestigungswälle für den Reichskrieg gegen Ludwig XIV., den Sonnenkönig. Herzog Karl Alexander ließ diese zum Fort Alexander ausbauen, heute gemeinhin bekannt als Alexanderschanze. Sie war von 1799 bis 1801 in den Koalitionskriegen Schauplatz von Feindseligkeiten zwischen Österreichern und Franzosen. Diesen fiel auch das Klostergebäude Kniebis durch einen Brand zum Opfer. Von der Garnisonsstadt zum Oberamt und Kurort 1721 entstand mit dem von Christoph Wilhelm Dietrich gegründeten und namensgebenden Gut Lauterbad eines der ersten Gebäude in dem heute zum Stadtteil Dietersweiler gehörenden Weiler Lauterbad. 1737 wurde Freudenstadt Standort einer kleinen Garnison. 1759 wurde das Amt Freudenstadt zum Oberamt erhoben. 1784 wurde der Bergbau mit der Schließung des Stollens Dorothea im Christophstal gänzlich eingestellt. Das Oberamt Freudenstadt war eines der kleinsten Ämter Altwürttembergs. 1807, ein Jahr nach der Gründung des Königreichs Württemberg und den damit einhergehenden Umwälzungen in der Verwaltungsgliederung, gewann der Freudenstädter Amtsbezirk jedoch deutlich an Umfang. 1833 wurde das Stadtgebiet um etwa 2.300 Hektar Wald des ehemaligen Waldgedings vergrößert. 1837 eröffnete eine „Siechstation“ mit vier Betten. Freudenstadt wurde zusehends zu einer Stadt des Handwerks, was durch den Anschluss an das Streckennetz der Württembergischen Eisenbahn mit der Gäubahn 1879 begünstigt wurde. 1864 wurden die Freudenstädter Stadttore abgerissen. 1876 gab der damalige Stadtschultheiß Hartranft die Absicht bekannt, Freudenstadt mit seiner reinen Luft zum Kurort zu machen. Das Vorhaben gelang, und gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte ein stetig wachsender Kurbetrieb ein. Zu den bekanntesten Hotels jener Zeit gehörten das Hotel Rappen, das Hotel Waldlust der Hotelier-Familie Luz und das Kurhaus Palmenwald des Stuttgarter Unternehmers Paul Lechler. Insgesamt gab es um 1930 rund 20 Hotels in der kleinen Stadt, davon fünf der höchsten Kategorie. Freudenstadt war als Kurort weltweit bekannt und zog Gäste wie den englischen König Georg V., die schwedische Königin, John D. Rockefeller, Mark Twain oder den Sultan von Selangor an. 1888 wurde das Bezirkskrankenhaus in der Herrenfelderstraße eröffnet. Zwei Stadtärzte und zwei Diakonissen nahmen ihren Dienst auf. Die Stadt wurde zum beliebten Urlaubsort für Großstadtbewohner. 1899 wurde anlässlich des 300-jährigen Stadtjubiläums ein Aussichtsturm auf dem Freudenstädter Hausberg, dem Kienberg, eröffnet und auf den Namen Herzog-Friedrich-Thurm (nach Herzog Friedrich I.) getauft. „Drittes Reich“ und Zweiter Weltkrieg 1933 stand die Bevölkerung von Freudenstadt relativ geschlossen hinter der NSDAP. Die Wahlergebnisse waren wie folgt: „Namhafte Söhne der Stadt“ aus dieser Zeit waren: Theodor Bauder (1888–1945), Bauingenieur und SA-Führer (u. a. bis 1945 Generalbevollmächtigter für Bauwesen im Generalgouvernement Polen und Verbindungsmann zu Generalgouverneur Hans Frank) Theo-Helmut „Theobald“ Lieb (1889–1981), Generalleutnant im Zweiten Weltkrieg (u. a. Träger des Eichenlaubs zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes 1944) Gerhard Pfahler (1897–1976), Psychologe und Erziehungswissenschaftler, beteiligt an der Rassenpsychologie des Nationalsozialismus (u. a. Antisemitischer Herausgeber; Professor Uni Göttingen und Tübingen) Albert Schmierer (1899–1974), Reichsapothekenführer (u. a. Gründer des Reichsapotheker-Registers und des Institut für Arzneimittelprüfung und einer Akademie für pharmazeutische Fortbildung) Helmut Kunz (1910–1976), Zahnarzt, NSDAP-Mitglied und Mitglied der Waffen-SS (u. a. als SS-Untersturmführer dem Pionierbataillon der dritten SS-Totenkopf-Division im Konzentrationslager Dachau zugeordnet und beteiligt an der Ermordung der sechs Goebbels-Kinder). Lieb, Pfahler, Schmierer und Kunz wurden entweder nach kurzer Gefangenschaft oder Haftzeit entnazifiziert oder vor Gericht freigesprochen und arbeiteten weiterhin unbehelligt bis zu ihrem Tod. 1938 wurde aus dem Oberamt der Landkreis Freudenstadt. Im Zweiten Weltkrieg entstand auf dem bis zu hoch gelegenen Kniebis, unweit der Alexanderschanze, eine Befehlszentrale der Wehrmacht zur Verteidigung der Westfront: das Führerhauptquartier Tannenberg (nahe der Gemarkungsgrenze auf dem Gebiet der Gemeinde Baiersbronn). In der Umgebung, vor allem auf dem Schliffkopf und der Hornisgrinde, wurden als Teil der LVZ West (Luftverteidigungszone West) schwere Flak-Stellungen mit den dazugehörigen Versorgungs- und Unterkunftsgebäuden gebaut. Im Freudenstädter Lazarett wurden viele Verwundete behandelt. Hitlers einwöchiger Besuch in Tannenberg und Freudenstadt 1940 (nach dem Frankreichfeldzug) anlässlich der Einweihung des Hauptquartiers wurde in Wochenschauberichten propagandistisch dargestellt. Damit wurde Freudenstadt samt Umland in Frankreich zu einem Symbol des Naziregimes und der französischen Niederlage, was 1945 noch eine gewichtige Rolle spielen sollte. Zur Situation der Juden in Freudenstadt im „Dritten Reich“ liegt wenig vor. Namentlich bekannt sind: Paul Pick, 1894 in Freudenstadt geboren, Inhaber eines kleinen Kaufhauses, im Juni 1944 im Konzentrationslager Riga ermordet, Emma Pick geb. Baum, 1896 in Stuttgart geboren, im Dezember 1944 im Konzentrationslager Stutthof ermordet. Richard L. Pick, Sohn der Beiden konnte im Juli 1941 emigrieren. Carl Beer (* 19. Februar 1885, verheiratet mit Fanny geb. Reichert aus Freudenstadt). Die beiden lebten in Freudenstadt in der Lauterbadstraße 73. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde er in das KZ Dachau eingewiesen, wo er bis Mitte Dezember 1938 festgehalten wurde. 1944/45 war Beer „Krankenbehandler“ für die noch in Nürnberg und Fürth ansässigen jüdischen Einwohner. Ein schwerer Luftangriff auf Nürnberg verhinderte im Februar 1945, dass Carl Beer und die anderen in „Mischehe lebenden Nürnberger Juden“ noch nach Theresienstadt deportiert wurden. Nach dem Einmarsch der US-Armee in Nürnberg war Beer in Nürnberg der erste Internist für Nürnberg und Fürth. Er kehrte dann nach Freudenstadt zurück und konnte noch einige Jahre als Arzt tätig sein. Die Bevölkerung wählte ihn 1946 mit der zweithöchsten Stimmenzahl auf der Liste der SPD in den Gemeinderat. Fanny Beer starb 1964, Carl Beer 1969. Nach ihm ist in Freudenstadt eine Straße benannt. Aussagen aus der Bevölkerung: Stolpersteine sind nicht verlegt. Kriegsende Am 16. April 1945, nur wenige Wochen vor Kriegsende, wurde die Stadt unerwartet von Truppen der französischen 1. Armee unter General de Lattre angegriffen, wobei es durch Bombenabwurf und Artilleriebeschuss zu großflächigen Zerstörungen kam. Freudenstadt war Knotenpunkt des französischen Vordringens in Richtung Stuttgart wie zum Hochrhein, während die Amerikaner im Rhein-Main-Gebiet nach Osten vorgingen. Die Wehrmacht hatte vier Stunden vor dem Einmarsch der Franzosen in Freudenstadt eines der drei Fachwerkviadukte der Bahnstrecke Eutingen im Gäu–Freudenstadt gesprengt, da die Bahnlinie nicht dem Feind in die Hände fallen sollte. Der französische Heeresbericht nennt eine Abteilung der SS (nach deutschen Quellen ein Dutzend sogenannter Werwölfe), die vor der Stadt eine Sperre errichtet hatten. Freudenstadt geriet, mit Unterbrechungen, etwa 16 Stunden lang unter Artilleriefeuer. Kein Einwohner wagte es, den französischen Truppen zur Übergabe der Stadt entgegenzugehen; umgekehrt rechneten diese mit erheblichem militärischen Widerstand. Da die Hauptwasserleitung durch US-amerikanische Luftangriffe und die wichtigsten Feuerwehrwagen durch Artilleriebeschuss zerstört worden waren, konnten sich Feuer nahezu ungehindert ausbreiten. Teilweise wurde Gülle zum Löschen verwendet. Eine Übergabe fand erst statt, als die französischen Truppen bis zum Rathaus vorgerückt waren. Es gab einige Dutzend zivile Opfer; etwa 600 Gebäude, 95 Prozent der gesamten Innenstadt, wurden in der Nacht vom 16. auf den 17. April direkt oder indirekt zerstört und 1400 Familien obdachlos. Beim Einmarsch der französischen Truppen und in den folgenden drei Tagen kam es zu vielzähligen, heftigen Übergriffen durch marokkanische Einheiten. Nach Angaben der Ärztin Renate Lutz seien allein bei ihr über 600 vergewaltigte Frauen in Behandlung gewesen. Auf Vorhaltungen habe die Zivilbevölkerung laut Berichten von Zeitzeugen auch die Antwort erhalten es sei Krieg, Freudenstadt müsse drei Tage brennen. Viele der verschont gebliebenen Bauten wurden dann von der französischen Besatzung beansprucht. Zahlreiche Familien hausten in notdürftig überdachten Kellerräumen. Insgesamt reduzierte sich der durchschnittliche Wohnraum je Einwohner auf unter acht Quadratmeter. Die Not war groß und das Aufräumen der Trümmer erfolgte zunächst nur schleppend. Das „Wunder von Freudenstadt“ Es setzte eine lange Diskussion über den Wiederaufbau der Stadt ein (Luftbild siehe Artikelanfang). Dazu wurden Modelle einheimischer Architekten sowie renommierter Stadtplaner jener Zeit begutachtet. Es galt, eine ausgewogene Mischung zwischen Tradition und Moderne zu finden. Der Wohnraum sollte beim Wiederaufbau den veränderten Lebensgewohnheiten angepasst werden. Bereits 1945 wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Pläne von Paul Heim, Hermann Gabler, Adolf Abel, Paul Schmitthenner und anderen vorgelegt. In manchen Konzepten war die Verkleinerung des als übergroß empfundenen Marktplatzes vorgesehen. Fraglich war auch der trauf- oder giebelständige Wiederaufbau am Marktplatz. Die „Abgebrannten“ forderten einen Wiederaufbau ihrer Häuser auf den alten Parzellengrenzen. Andererseits waren der zunehmende Verkehr und eine moderne Stadtplanung zu berücksichtigen. Bei den Konflikten setzte sich unter anderem Carlo Schmid vermittelnd ein. Am Ende konnte sich die traditionelle Minderheit um Ludwig Schweizer und dessen Lehrer Schmitthenner gegen die sonst vorherrschende modernistische Fachmeinung durchsetzen. Beide waren Vertreter der Formensprache der Stuttgarter Schule mit ihrer Heimatschutzarchitektur. Schweizer wurde zum Stadtbaumeister ernannt. Zusammen mit der Stadtverwaltung unter Bürgermeister Hermann Saam entstand ein detailliertes und einheitlich durchgeplantes Konzept zum Wiederaufbau. Freudenstadt entstand so innerhalb von nur fünf Jahren abermals als Planstadt. Begünstigt wurde der schnelle Wiederaufbau dadurch, dass Freudenstadt neben Friedrichshafen in Württemberg-Hohenzollern die einzige Stadt mit derart starken Zerstörungen war und deshalb großzügige Unterstützung erhielt. Art und Ausmaß des ganzheitlichen Freudenstädter Wiederaufbaus sowie das damit verbundene enorme bürgerliche Engagement brachte der Stadt viel Aufmerksamkeit und Anerkennung. Insbesondere Stimmen aus der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) lobten das Zurückgreifen auf „nationale Traditionen“ als vorbildlich, wohingegen die lokale Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 1949 als einzige Partei im Stadtrat gegen den traditionellen Wiederaufbau mit Giebelhäusern gestimmt hatte. In Zusammenhang mit dem schließlich gelungenen Wiederaufbau wird auch vom „Wunder von Freudenstadt“ gesprochen. Er gilt heute noch als Gesamtkunstwerk, das (wie in nur wenigen anderen Städten) den Zeitgeist der 1950er-Jahre ausdrückt. Zur Wahrung des einheitlichen Erscheinungsbildes gilt bis zum heutigen Tage eine sehr strenge Gestaltungssatzung für die Innenstadt. Neuere Geschichte Württemberg-Hohenzollern ging 1952 im Bundesland Baden-Württemberg auf. Der . Internationale Bürgermeisterkongress der Internationalen Bürgermeisterunion 1958 in Freudenstadt leitete eine Wende in den deutsch-französischen Beziehungen auf kommunaler Ebene ein und führte zu einer Vielzahl von Städtepartnerschaften. Freudenstadt ging 1961 eine Partnerschaft mit der Stadt Courbevoie im Großraum Paris ein. Bei der Kreisreform zum 1. Januar 1973 erhielt der Landkreis Freudenstadt seine heutige Ausdehnung, Freudenstadt blieb Amtssitz des vergrößerten Kreises. Dieser wurde gleichzeitig Teil der neu gegründeten Region Nordschwarzwald, die damals dem neu umschriebenen Regierungsbezirk Karlsruhe zugeordnet wurde. Damit wurde das ehemals württembergische Freudenstadt nunmehr von der ehemaligen badischen Hauptstadt Karlsruhe aus verwaltet. 1965 beschloss der Kreistag den Neubau des Freudenstädter Krankenhauses auf dem Gebiet Zehnmorgen in der Nordstadt. Der Bau wurde 1976 fertiggestellt. Seit 1977 ist das renovierte Gebäude des alten Krankenhauses Sitz des Landratsamts. In den 1980er-Jahren widersetzten sich viele Freudenstädter den Plänen von Bund und Land, den ausufernden Verkehr der Ost-West-Achse Straßburg–Freudenstadt–Tübingen mithilfe eines Tunnels aus der Innenstadt zu verbannen und damit der Stadtentwicklung neue Wege zu ebnen. Insbesondere Einzelhändler fürchteten Umsatzeinbußen durch den verminderten Durchgangsverkehr. Der Bürgerprotest war erfolgreich, gilt jedoch heute als die größte Fehlentscheidung der Nachkriegszeit. 1983 wurde das städtische Hallenbad Panoramabad eröffnet. Ebenfalls in den 1980er-Jahren wurde das bestehende Kurhaus um ein Kongresszentrum erweitert (siehe Kurhaus und Kongresszentrum Freudenstadt, es wurde 1989 eingeweiht). 1986 überschritt die Einwohnerzahl die Grenze von 20.000. Auf Antrag der Stadt beschied die Landesregierung von Baden-Württemberg Freudenstadt mit Wirkung vom 1. Januar 1988 die Bezeichnung Große Kreisstadt. 1989 entstand unter dem oberen Marktplatz eine großräumige Tiefgarage, so dass der Marktplatz weitgehend autofrei und zur Fußgängerzone erklärt wurde. Anlässlich der 400-Jahr-Feier der Stadt im Jahr 1999 fand ein Festumzug statt. Der Umbau des unteren Marktplatzes zum Stadtpark wurde mit fünfzig beleuchteten Fontänen vollendet und ein neu entdecktes früheres Bergwerk in unmittelbarer Nähe des heutigen Facharztzentrums als Besucherbergwerk für den Publikumsverkehr freigegeben. 2003 erhielt Freudenstadt mit den Linien S31 und S41 Anschluss an das Karlsruher Stadtbahnnetz. Die gelben Fahrzeuge gaben dem Tagestourismus einen kräftigen Impuls und prägen seitdem das Stadtbild. Im Oktober 2008 wurde mit dem vierspurigen Ausbau der Stuttgarter Straße (die Bundesstraße 28 innerorts) als Hauptschlagader der Stadt begonnen. Stadtentwicklung Eingemeindungen Bereits kurz nach der Stadtgründung wurde Christophstal, das ursprünglich zu Dornstetten gehörte, eingemeindet. Erst 1926 folgte mit Zwieselberg (zuvor Gemeinde Reinerzau) die nächste Eingemeindung. Die einschneidendste Änderung brachte die Gebietsreform des Landes Baden-Württemberg in den 1970er-Jahren, der zufolge am 1. Juli 1971 Igelsberg und am 1. Januar 1972 Grüntal (mit Frutenhof) eingegliedert wurden. Am 1. Januar 1975 folgten Dietersweiler (mit Lauterbad), Untermusbach (mit Obermusbach) und Wittlensweiler sowie die zuvor zu Baiersbronn und Bad Rippoldsau gehörenden Teile des Weilers Kniebis, der bereits überwiegend zu Freudenstadt gehörte. Einwohnerentwicklung Nach der Gründung im Jahr 1599 wuchs die Einwohnerzahl der Stadt bis Anfang 1610 auf 2.000 bis 3.000 an und gehörte damit zum Kreis der schwäbischen Städte. Nach der Pest, einem Stadtbrand, Hungersnöten und dem Dreißigjährigen Krieg lebten 1652 kaum noch Menschen im Ort. Es dauerte über 200 Jahre, bis sich die Stadt hinsichtlich ihrer Bevölkerungszahl erholt hatte. 1849 wurden bei einer Volkszählung 5.154 Einwohner ermittelt, um 1930 war die Zehntausendermarke überschritten, die seitdem nur in den Kriegsjahren 1939 bis 1945 unterschritten wurde. 1970 waren 14.375 Bürger mit Hauptwohnsitz in Freudenstadt gemeldet. Durch die baden-württembergische Gebietsreform in den frühen 1970er-Jahren wuchs die Einwohnerzahl durch Eingemeindungen auf 19.454 an. 1986 wurde die 20.000-Einwohner-Schwelle überschritten. Seit 1995 hält sich die Einwohnerzahl recht konstant bei knapp unter 24.000. Politik Gemeinderat Die Kommunalwahl am 26. Mai 2019 führte zu folgendem Ergebnis: Bürgermeister Die Stadt Freudenstadt wurde nach ihrer Gründung nach württembergischem Muster verwaltet, das heißt, es gab einen Magistrat mit mehreren Bürgermeistern, die anfangs die Bezeichnung Stadtschultheiß trugen (die Bezeichnung Bürgermeister wurde in Württemberg 1930 eingeführt). Seit der Erhebung zur Großen Kreisstadt 1988 trägt das Stadtoberhaupt die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister. Am 13. April 2008 wurde der Erolzheimer Julian Osswald (CDU), ehemaliger Direktor des Regionalverbands Donau-Iller, mit 82,48 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang zum neuen Oberbürgermeister gewählt. Er hatte zwei Gegenkandidaten. Seine Vereidigung erfolgte am 2. Juli 2008. Am 24. April 2016 wurde er ohne Gegenkandidaten mit 92,7 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Ehemalige Bürgermeister von Freudenstadt sind: Hoheitszeichen Als Hoheitszeichen führt die Stadt Freudenstadt ein Dienstsiegel, ein Wappen und eine Flagge. Ferner verwendet die Stadt ein Logo. Die Stadtflagge hat die Farben Rot und Weiß und wurde 1950 vom Staatsministerium Württemberg-Hohenzollern verliehen. Städtebeziehungen Die Partnerschaft mit der französischen Stadt Courbevoie stand am Anfang der Ausweitung der deutsch-französischen Städtepartnerschaften Anfang der 1960er-Jahre und wird seit 1961 intensiv betrieben. Es finden regelmäßig Schüleraustausche sowie kulturelle und kommunalpolitische Besuche statt. Zusätzlich unterhält Freudenstadt drei Städtefreundschaften. Die Freundschaft mit Männedorf in der Schweiz besteht seit 1959. Die Freundschaft mit Heide in Schleswig-Holstein gibt es seit 1989. Sie beruht darauf, dass Heide ebenfalls den Anspruch erhebt, den größten Marktplatz Deutschlands zu besitzen. Die Städte einigten sich mittlerweile darauf, dass beide Marktplätze gleich groß sind, wobei Heide den größten unbebauten und Freudenstadt den größten bebauten Marktplatz Deutschlands hat. Eine weitere Städtefreundschaft besteht seit 1990 mit Schöneck im sächsischen Vogtland. Einige Freudenstädter Schulen und Vereine pflegen einen regen Austausch mit dem polnischen Partner-Landkreis Tomaszów Lubelski. Mit dem Fremdsprachengymnasium in Lowetsch/Bulgarien findet ebenfalls ein regelmäßiger Schüleraustausch statt. Kultur und gesellschaftliches Leben Soziales Unter anderem sind folgende vernetzte soziale Einrichtungen in der Stadt präsent: Die Kinder- und Jugendwerkstatt Eigen-Sinn soll in sozialen Gruppenarbeiten die persönlichen, sozialen und schulischen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen fördern und entwickeln, damit diese selbst neue und eigene Handlungs- und Konfliktlösungsstrategien und letztlich eine eigene zukunftsfähige Lebensstrategie entwickeln können. Die Erlacher Höhe, die auch in sechs weiteren Landkreisen in Baden-Württemberg vertreten ist, setzt sich dafür ein, dass Menschen in sozialen Notlagen respektiert und geachtet werden und soziale Ausgrenzung abgebaut wird. Die Diakonie setzt sich für Arme, Ausgegrenzte und sozial Benachteiligte ein. Das Mehrgenerationenhaus Familien-Zentrum-Freudenstadt e. V. stellt „sozialen Raum“ bereit, in dem Menschen, v. a. Mütter und ältere Menschen, sich (wieder) als Teil einer Gemeinschaft begreifen können. Im Kinder- und Jugendzentrum Freudenstadt (KiJuz) wird für Grundschulkinder und Jugendliche offene Kinder- und Jugendarbeit angeboten. Des Weiteren bietet die Katholische Junge Gemeinde (KjG) Freudenstadt Aktionen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit an. Die FrauenHilfe Freudenstadt betreibt eine Beratungsstelle für Frauen, die von Gewalt betroffen sind oder Gewalt befürchten und dringend Hilfe suchen. Dialekt Freudenstadt liegt an der Sprachgrenze zwischen den schwäbischen und alemannischen Dialekten. Innerhalb der Raumgliederung der schwäbischen Mundart befindet sich die Stadt im Freudenstädter Raum, der sich von Alpirsbach über Freudenstadt bis in die Altensteiger Gegend erstreckt. Im Westen grenzt das Baiersbronner Gebiet, im Norden das Obere Enzgebiet und im Osten der Obere Neckarraum an. Im Süden schließt sich das Oberrheinalemannische an. Der Gebrauch des Dialekts ist, wie im gesamten schwäbischen Raum, immer noch sehr lebendig. Die Mundart wird für gewöhnlich sowohl in der Freizeit als auch im Betrieb, in öffentlichen Ämtern wie auch in den Schulen gesprochen und akzeptiert. Allerdings geht der Trend, besonders in der Kernstadt und bei jüngeren Menschen, zu einer Art Regiolekt, einer dialektal geprägten Hochsprache. Religionen Evangelische Kirche Das Kloster Kniebis hatte eine seit 1535 ungenutzte Klosterkirche, die 1799 von den Franzosen niedergebrannt wurde. Infolge der württembergischen Gründung war Freudenstadt lange Zeit eine fast gänzlich protestantische Stadt mit einer dem Neubau-Stadtgrundriss angepassten sogenannten Winkelhakenkirche (siehe Abschnitt Sehenswürdigkeiten). Zunächst gehörte die junge Gemeinde zum Dekanat beziehungsweise Kirchenbezirk Herrenberg innerhalb der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. 1672 wurde Freudenstadt Sitz eines eigenen Dekanats (→ Kirchenbezirk Freudenstadt), das das gesamte Freudenstädter Umland umfasst. Zunächst gab es nur die evangelische Stadtkirchengemeinde, 1960 entstand dazu die Martinskirche. Beide Kirchen bilden mit der Gemeinde Kniebis die Gesamtkirchengemeinde Freudenstadt. Auch in den anderen Stadtteilen gibt es evangelische Kirchen beziehungsweise Kirchengemeinden. In Dietersweiler, das zunächst eine Filialgemeinde von Glatten war, wurde 1901 eine eigene Pfarrei eingerichtet. Die dortige Kirche ist gotischen Ursprungs und wurde 1745 umgebaut. Grüntal war zunächst eine Filialgemeinde von Dornstetten, wurde aber bereits 1583 eigene Pfarrei. Die Pfarrkirche mit romanischem Turm wurde 1592 von Heinrich Schickhardt errichtet und 1871 erneuert. In Igelsberg gibt es eine evangelische Kirche im ummauerten Friedhof. Die Gemeinde Untermusbach ist eine Filialgemeinde von Grüntal. Wittlensweiler ist seit 1899 Pfarrei. Die alte Kirche wurde 1968 erneuert. Im 19. Jahrhundert entstand in Freudenstadt eine christliche Gemeinschaft, die sich später als Altpietistische Gemeinschaft bezeichnete. Ihre Mitglieder nennen sich Apis und gehören zur Evangelischen Kirche von Württemberg. Katholische Kirche Im 19. Jahrhundert zogen vermehrt Katholiken nach Freudenstadt. Bereits 1859 gründeten sie eine eigene Pfarrei. Ihre Kirche Christi Verklärung (Taborkirche genannt) ist jedoch ein Neubau von 1931. Die Pfarrgemeinde Christi Verklärung Freudenstadt ist zusätzlich für die Katholiken des Umlands zuständig und bildet zusammen mit der katholischen Pfarrgemeinde Alpirsbach eine Seelsorgeeinheit innerhalb des Dekanats Freudenstadt der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Freikirchen Freikirchen sind außerdem zwei Gemeinden und Teile des Sozialwerks Süd (unter anderem die Klinik Hohenfreudenstadt) der evangelisch-methodistischen Kirche, die Volksmission entschiedener Christen, die Heilsarmee, die Siebenten-Tags-Adventisten, die dem Mülheimer Verband angehörende Christus-Gemeinde, die Vineyard-Gemeinde und die Crossroads International Church, die zur Gemeinde Gottes Deutschland gehört. Eine freie christliche Gemeinde hat sich den Namen GOTOP gegeben. Weitere Religionen Die neuapostolische Kirche, die zum Apostelbereich Tübingen gehört, ist ebenfalls mit drei Gemeinden vertreten. Diese befinden sich in Freudenstadt sowie in den Stadtteilen Dietersweiler und Wittlensweiler. Eine jüdische Gemeinde konnte sich nie wirklich etablieren. Um 1870 lebten nur zwei jüdische Personen in der Stadt, 1910 waren es 13. Eher kamen noch Kurgäste jüdischen Glaubens in koschere Hotels, wie die 1907 eröffnete Villa Germania oder das 1911 eröffnete Hotel Teuchelwald. Die wenigen ortsansässigen Juden schlossen sich der nächstgelegenen jüdischen Gemeinde in Horb an. Der Türkisch-Islamische Kulturverein e. V. unterhält die Fatih-Moschee. Ferner gibt es ein Gebäude für religiöse Zeremonien der Aleviten. Sehenswürdigkeiten Marktplatz Bekannt ist Freudenstadt vor allem durch den größten bebauten Marktplatz Deutschlands, auf dem eigentlich ein Schloss stehen sollte (siehe Abschnitt zur Geschichte). Er gilt als das Wahrzeichen der Stadt und ist circa 4,5 Hektar groß und mit den Maßen 219 × 216 Meter fast quadratisch. Charakteristisch sind die umlaufenden Laubengänge, Arkaden genannt. Drei Zierbrunnen auf dem Marktplatz überstanden den Zweiten Weltkrieg unversehrt. Der Markt wurde nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg 1950 im Heimatschutzstil wiederaufgebaut. Stadtkirche An der südwestlichenlichen Ecke des Platzes steht die evangelische Stadtkirche Freudenstadt von 1608. Sie ist eine der seltenen Winkelkirchen, ihr Grundriss ist L-förmig. 1945 schwer beschädigt, wurde sie äußerlich wieder aufgebaut und im Innern vereinfacht wieder hergestellt. Sie besitzt eine Reihe wertvoller Ausstattungsstücke. Rathaus An der gegenüberliegenden nördlichen Ecke des Marktplatzes steht das Rathaus, das Teile der Stadtverwaltung beherbergt sowie zwei Aussichtsplattformen bietet. Im Zentrum des Platzes befindet sich das Stadthaus, in dem das Heimatmuseum mit den Abteilungen Volkskunde, Stadtgeschichte, Handwerk und Fremdenverkehr sowie die Stadtbücherei untergebracht sind. Eine Gedenksäule daneben erinnert an den Wiederaufbau der Stadt nach ihrer Zerstörung im Weltkrieg. Unter Anspielung auf die Finanzierung des Wiederaufbaus wird das Denkmal im Volksmund Hypothekenvenus genannt. Friedrichsturm Der Friedrichsturm ist ein im Jahr 1899 anlässlich des 300-jährigen Stadtjubiläums auf dem Kienberg erbauter 25 m hoher Aussichtsturm. Er wurde vom Schwarzwaldverein und dem Verschönerungsverein geplant und bei seiner Einweihung zu Ehren des Stadtgründers Herzog-Friedrich-Turm genannt. Weiteres Eine kulturhistorische Sehenswürdigkeit ist das Besucherbergwerk Freudenstadt. Die Schwarzwaldhochstraße, Teil der Bundesstraße 500, ist die älteste Ferienstraße Deutschlands und verbindet Freudenstadt mit Wander- und Skigebieten des Nordschwarzwalds und der Stadt Baden-Baden. Freudenstadt liegt an der Deutschen Alleenstraße, die von Rügen nach Konstanz führt. Die Schwarzwald-Fernwanderstrecken Mittelweg und Ostweg verlaufen durch die Stadt. Freizeit Seit 1929 besteht ein Golfclub. Die Anlage gilt als eine der ältesten in Deutschland. Über den Landkreis hinaus bekannt ist das Panoramabad in der Nordstadt mit einem Wellness-Bereich und einer „Saunalandschaft“. Erreichbar ist das Bad auch mit der Stadtbahn (Haltestelle Schulzentrum/Panoramabad). Für den Mannschaftssport stehen in der Kernstadt drei Turnhallen, ein Stadion und mehrere Ballsportplätze zur Verfügung. Am Schierenberg gibt es mehrere Tennisplätze. Ebenfalls in der Nordstadt gelegen ist ein Reitverein. Eine Fußballschule hat ihren Sitz bei den Stadionanlagen. Größter Sportverein ist der TSV Freudenstadt. Für Wanderungen und Nordic Walking stehen zahlreiche gut ausgebaute und beschilderte Wanderwege zur Verfügung. Bei ausreichender Schneelage bieten sich Loipen oder der Skilift am Stokinger-Hang im Stadtteil Lauterbad an. Noch besser sind die Wintersportmöglichkeiten im höher gelegenen Ortsteil Kniebis. Die Stadt verfügt über zwei Kinos. Das Subiaco im Kurhaus ist nicht-kommerziell und auf alternative Filme ausgerichtet. Das Central beim Amtsgericht deckt aktuelle Kinofilme ab. Zahlreiche Kneipen in der Loßburger und der Straßburger Straße, am Marktplatz und am Stadtbahnhof sorgen abends für Kurzweil. Beliebt ist die Freudenstädter Kneipennacht. Eine Diskothek befindet sich außerhalb des Zentrums in der Nähe des Hauptbahnhofs. Regelmäßige Veranstaltungen Die Umzüge der Narrenzunft Freudenstadt, vor allem der Große Fasnetsumzug, der am Tag nach dem Fackelumzug stattfindet, lockt tausende Hästräger und Zuschauer in die Stadt. Im März und Oktober veranstaltet der Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin (ZAEN) den ZAEN-Kongress im Kongresszentrum. Die Veranstaltung ist mit ihren Seminaren ein Forum zur Weiterbildung und zum Erfahrungsaustausch. In der Stadtkirche findet traditionell Ende April bis Anfang Mai das Eröffnungskonzert des Schwarzwald-Musikfestivals statt. Die Veranstaltungsserie dauert bis in den August und ist darüber hinaus in Stadtteilen zu Gast. Anfang Juli verwandelt an einem Wochenende das Stadtfest den gesamten Marktplatz in den Schauplatz eines Volksfests, das am Samstagabend in einem großen Feuerwerk gipfelt. Seit 2002 unterhalten Mitte Juli örtliche Vereine beim Fontänenzauber am Unteren Marktplatz das Publikum musikalisch und artistisch vor der Kulisse der Freudenstädter Fontänen. Das üblicherweise mehrtägige Afrikafest findet gewöhnlich in der letzten Juliwoche auf dem Oberen Marktplatz statt. Die Darbietungen reichen von Tanz- und Musikvorführungen über Artistik, Kino, Ballspiele, Workshops, Ausstellungen und Basare bis zu Gottesdiensten. Größter Beliebtheit erfreut sich im Juli und August das Freudenstädter Sommertheater, eine jährlich wechselnde Open-Air-Aufführung durch ortsansässige Amateurschauspieler. Das Publikum folgt den Akteuren dabei zu verschiedenen natürlichen Bühnen im Stadtgebiet. Für Tennisfans waren die Black Forest Open eine feste Größe im ATP-Kalender, die jährlich von 1999 bis 2009 parallel zu den US Open ausgetragen wurden. Spieler wie Magnus Norman, Gustavo Kuerten und Marat Safin kämpften bereits am Schierenberg um Weltranglistenpunkte. Von Frühjahr bis Herbst finden auf dem Marktplatz wechselnde Veranstaltungen statt. Am ersten Oktoberwochenende findet auf dem Oberen Marktplatz der Kunsthandwerkermarkt des Handels- und Gewerbevereins Freudenstadt (HGV) parallel zu einem verkaufsoffenen Sonntag statt. Den Jahresausklang besiegelt der Ende November beginnende zehntägige Freudenstädter Weihnachtsmarkt des HGV. Zahlreiche Handwerkslädchen und Einzelhändler bieten in einem Dorf aus rund 100 Hütten ihre Waren an. Der Auftritt der Turmbläser auf dem Rathausturm zählt zu den Höhepunkten des Marktes. Wirtschaft und Infrastruktur Wirtschaft Auf den Dienstleistungssektor entfielen im Jahr 2006 54,2 Prozent der Wertschöpfung, auf das produzierende Gewerbe 45,0 Prozent. Die Landwirtschaft spielte mit 0,8 Prozent eine kleine Rolle. Die Stadt bindet in der Region Nordschwarzwald überdurchschnittlich viel Kaufkraft. 2005 betrugen die Gesamteinnahmen je Einwohner 25.785 Euro, die ungebundenen Einnahmen beliefen sich auf 16.730 Euro, 4 Prozent über dem Landesschnitt. Die Stadt wies im Jahr 2007 einen Einpendlerüberschuss von 1.653 Arbeitnehmern auf. In Freudenstadt gab es im Jahr 1993 205 Ladengeschäfte. 2007 standen im Stadtgebiet 2.832 Gästebetten zur Verfügung. Die Anzahl der Übernachtungen betrug 339.292. Das verarbeitende Gewerbe ist zum größten Teil in den Industriegebieten angesiedelt. Erwähnenswert sind insbesondere die Gebr. Schmid GmbH + Co. (Photovoltaik, Leiterplatten, Flachbildschirme), die Robert Bürkle GmbH (Maschinen zur Oberflächenveredlung), die Firma Georg Oest Mineralölwerk GmbH & Co. KG (Mineralölwerk, Tankstellen, Maschinenbau) sowie die Hermann Wein GmbH & Co. KG (Schwarzwälder Schinken). Auch die Kreissparkasse Freudenstadt zählt zu den größten Arbeitgebern. Der ehemals größte Arbeitgeber der Stadt, die Schlott Gruppe AG (Druckerzeugnisse), hatte 2011 Insolvenz angemeldet. Der Freudenstädter Betrieb wurde stillgelegt und fast alle Mitarbeiter entlassen. Straßenverkehr Es führen vier Bundesstraßen durch Freudenstadt. Am Marktplatz treffen sich die Bundesstraßen B 28 (Kehl–Ulm) und B 462 (Rastatt–Rottweil); zusätzlich endet hier die gegen Ende deckungsgleich mit der B 28 verlaufende B 500 (Baden-Baden–Freudenstadt). Diese Straßen führen danach in West-Ost-Richtung auf einer gemeinsamen Trasse durch das Stadtgebiet. Seit 1985 führt die in Nord-Süd-Richtung verlaufende B 294 (Bretten–Gundelfingen) als Ortsumgehung östlich an Freudenstadt vorbei. Nach dem endgültigen Scheitern der Pläne für die „Schwarzwaldautobahn“ A 84 Anfang der 1980er-Jahre wurden andere Lösungen projektiert, um dem hohen Verkehrsaufkommen entgegenzuwirken, die gegenwärtig in die Umsetzungsphase gelangen. Dazu gehört der vierspurige Ausbau der B 28 in der Kernstadt mit dem Baubeginn Ende 2008 sowie eine Unterfahrung der Innenstadt in einem V-förmigen Tunnel (vordringlicher Bedarf im Bundesverkehrswegeplan). Bus und Bahn Im Jahr 1879 erhielt die Stadt durch den Bau der von Stuttgart über Herrenberg und Eutingen im Gäu nach Freudenstadt führenden Gäubahn Anschluss an den Eisenbahnverkehr. Da deren Weiterführung ins Tal der Kinzig damals bereits geplant war (und 1886 ausgeführt wurde), wurde der Hauptbahnhof im Südosten der Stadt, relativ weit vom Zentrum entfernt, errichtet. 1901 wurde der württembergische Teil der Murgtalbahn nach Klosterreichenbach gebaut. Dabei entstand der 60 Meter höher gelegene Stadtbahnhof nördlich des Zentrums, ein Einheitsbahnhof von Typ IIIb. Eine durchgehende Verbindung nach Rastatt (Baden) wurde 1928 eingerichtet. Somit ist Freudenstadt Ausgangspunkt dreier Bahnstrecken. Die Murgtalbahn wird von der Stadtbahn Karlsruhe befahren. Die Linien S8 und S81 der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) verbinden Freudenstadt über Rastatt mit Karlsruhe. Dabei fährt die S8 stündlich bis in die Karlsruher Innenstadt, die Linie S81 hingegen nur in Tagesrandlagen, dafür direkt zum Karlsruher Hauptbahnhof. Die Stationen innerhalb Freudenstadts sind der Hauptbahnhof, der Stadtbahnhof sowie die Haltepunkte Schulzentrum-Panoramabad und Industriegebiet. Alle werden tagsüber im Halbstundentakt von Stadtbahnen bedient. Die S8 verkehrt hierbei bis in die frühen Morgenstunden. Die Landeshauptstadt Stuttgart wird über die Bahnstrecke Eutingen im Gäu–Schiltach und weiter über die Bahnstrecke Stuttgart–Horb erreicht. Beide werden auch als Gäubahn bezeichnet. Es besteht ein Stundentakt mit Verdichtungen im Schülerverkehr. Die von Karlsruhe kommende S8 fährt alle zwei Stunden über die seit 2006 elektrifizierte Strecke bis Eutingen; dort ist Anschluss an den Regional-Express (RE) Stuttgart–Singen. Dazwischen gibt es mit dem RE ab Freudenstadt eine Direktverbindung zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Wie auf der Murgtalbahn fährt die S8 hier bis frühmorgens. Richtung Kinzigtal verkehren Züge der Südwestdeutschen Landesverkehrs-AG (SWEG), die Freudenstadt stündlich über Alpirsbach, Schiltach und Hausach mit Offenburg verbinden. Fernverkehr gibt es in Freudenstadt seit der Jahrtausendwende nicht mehr. In Hausach, Horb, Karlsruhe, Offenburg und Rastatt bestehen Umsteigemöglichkeiten auf Intercity (IC) oder Intercity-Express (ICE). Der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) mit über 40 Buslinien ist zusammen mit dem unmittelbar angrenzenden Stadtbahnhof mit den Stadtbahnlinien S81 und S8 einer der Hauptverkehrsknoten im Schwarzwald. Stadtbusse fahren Ziele in der Kernstadt an. Die meisten Gemeinden im Landkreis sind umsteigefrei oder über den Knoten Horb zu erreichen. Ebenso werden touristische Ziele, wie der Mummelsee und der Schliffkopf, angefahren, und es gibt jahreszeitabhängige Angebote wie Skibusse. Öffentliche Verkehrsverbindungen zu Städten in den Nachbarlandkreisen, wie Oberndorf, Wolfach, Altensteig oder Dornhan, bestehen; doch haben viele Buslinien, insbesondere in kleinere Gemeinden, keinen dichten Fahrplan. In den Nächten auf Samstage, Sonn- und Feiertage fährt das Nachtbusangebot Nachtexpress, in Ergänzung des nächtlichen Schienenverkehrs. Im gesamten Landkreis gelten der Verbundtarif der Verkehrs-Gemeinschaft Landkreis Freudenstadt (VGF) und das Ticketangebot RegioX des Karlsruher Verkehrsverbundes (KVV). Medien und Telekommunikation Als regionale Tageszeitungen berichten sowohl der Schwarzwälder Bote als auch die Neckar Chronik der Südwest Presse über das Geschehen vor Ort. Kostenfreie Wochenzeitungen sind der WOM der Schwarzwälder-Bote-Mediengesellschaft sowie der Anzeiger. Ansässig ist zudem der Radiosender Freies Radio Freudenstadt (FRF). Das Hotel Palmenwald sowie verschiedene Objekte wie das Rathaus sind Drehorte der ARD-Fernsehserie Der Schwarzwaldhof, die seit 2008 ausgestrahlt wird. Gerichte, Behörden und Einrichtungen Freudenstadt ist Sitz des Amtsgerichts, das zu den Bezirken des Landgerichts Rottweil und des Oberlandesgerichts Stuttgart gehört. Die Stadt ist Sitz des Landratsamts des gleichnamigen Landkreises und beherbergt den Großteil seiner Verwaltungsbehörden. Ferner gibt es ein Finanzamt. Die Stadt ist Sitz des Kirchenbezirks Freudenstadt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Der evangelische Schuldekan für die Kirchenbezirke Freudenstadt und Sulz am Neckar hat seinen Dienstsitz in Freudenstadt, das römisch-katholische Dekanat Freudenstadt jedoch in Horb am Neckar. Die Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald unterhält eine Geschäftsstelle im Industriegebiet Freudenstadt-Wittlensweiler. Bildung Die Schulen in Trägerschaft der Stadt sind zum einen das Kepler-Gymnasium und die Kepler-Hauptschule, die beide in einem Gebäudekomplex nördlich des Zentrums und unweit der Sportanlagen untergebracht sind. Südöstlich in Richtung des Hauptbahnhofs liegt die Falken-Realschule, unweit davon entfernt die Hartranft-Grundschule, eine offene Ganztagsschule mit einer Außenstelle im Stadtteil Kniebis. Die Theodor-Gerhard-Grundschule mit integrierter Werkrealschule als zweite Grundschule der Kernstadt befindet sich gegenüber den oben genannten Keplerschulen. Die Stadtteile Dietersweiler und Wittlensweiler haben jeweils eine eigene Grundschule. Zu den Schulen in Trägerschaft des Landkreises zählen die Eduard-Spranger-Schule, eine kaufmännische Schule mit wirtschaftswissenschaftlichem Gymnasium, die Heinrich-Schickhardt-Schule als gewerblich-technische Schule mit technischem Gymnasium sowie die Luise-Büchner-Schule als hauswirtschaftliche Schule mit ernährungswissenschaftlichem Gymnasium. Alle drei Schulen sind in einem Gebäudekomplex im Nordosten des Zentrums nahe dem Hauptfriedhof untergebracht und verfügen über eine eigene S-Bahn-Haltestelle. Die Christophorus-Schule, eine Förderschule, findet sich nördlich in der Nähe des Schwarzwald Centers. Die untere Schulaufsichtsbehörde für die Grund-, Haupt-, (Werk-)Real- und Sonderschulen in Freudenstadt ist seit dem 1. Januar 2009 das Staatliche Schulamt Rastatt. Die Gymnasien unterstehen zunächst dem Regierungspräsidium Karlsruhe. In Freudenstadt sind mit der nordwestlich gelegenen evangelischen Berufsfachschule für Kinderpflege Oberlinhaus und der freien Waldorfschule unweit des Hauptbahnhofes zwei Privatschulen ansässig. Nachdem die Stadt ihre Jugendmusikschule im Jahr 2005 aus finanziellen Gründen nicht weiter betreiben konnte, bildete sich ein Trägerverein aus Musiklehrern des Kepler-Gymnasiums, den Kirchenmusikern der beiden großen Kirchen und anderen engagierten Bürgern, die im Jahr 2006 die Musik- und Kunstschule Region Freudenstadt e. V. ins Leben riefen. Ihre Arbeit wurde inzwischen mit zahlreichen Preisen bei Jugend musiziert und anderen Wettbewerben ausgezeichnet. In der Stadt gibt es zudem ein Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Grund-, Werkreal- und Hauptschulen). Das Eduard-von-Hallberger-Institut bietet angehenden ausländischen Studenten deutschsprachiger Hochschulen Sprach- und Studienvorbereitungskurse. Außerdem ist Freudenstadt Sitz des Hochschulinstituts für Psychologie und Seelsorge (IPS) der Gustav-Siewerth-Akademie. Das Europäische Theologische Seminar im Stadtteil Kniebis bietet Studienmöglichkeiten in Theologie. Persönlichkeiten Söhne und Töchter der Stadt Johannes Ettwein (1721–1802), Bischof der Herrnhuter Brüdergemeine in Pennsylvania Johann Gottfried Küstner (1803–1864), Lithograph Julius Schmidlin (1811–1881), württembergischer Oberamtmann Ferdinand Thrän (1811–1870), Dombaumeister am Ulmer Münster Heinrich Stahl (1834–1906), württembergischer Oberamtmann Heinrich Georgii (1842–1926), Klassischer Philologe und Gymnasiallehrer Emil Noellner (1847–?), Architekt und Dekorationsmaler in Breslau Max Bauder (1877–nach 1935), Architekt Wilhelm Baessler (1878–1975), Hotelier und Politiker (CDU) Theodor Bauder (1888–1945), Bauingenieur und SA-Führer Theo-Helmut „Theobald“ Lieb (1889–1981), Generalleutnant im Zweiten Weltkrieg Otto Steurer (1893–1959), Arzt, Hochschullehrer und Rektor der Universität Rostock Friedrich Eberhardt (1895–1971), Maler, Grafiker und Kunsthandwerker David Fahrner (1895–1962), Bildhauer und Zeichner Gerhard Pfahler (1897–1976), Psychologe und Erziehungswissenschaftler, beteiligt an der „Rassenpsychologie“ des Nationalsozialismus Albert Schmierer (1899–1974), Reichsapothekenführer Paul Kollsman (1900–1982), Erfinder Kurt Walter Merz (1900–1967), Chemiker und Pharmakologe Helmut Kunz (1910–1976), Zahnarzt, NSDAP-Mitglied und Mitglied der Waffen-SS Gustav Memminger (1913–1991) nationalsozialistischer Funktionär, Unternehmer Friedrich Stock (1913–1978), MdL und Fraktionsvorsitzender der baden-württembergischen FDP/DVP Rolf E. Straub (1920–2011), Professor für Technologie der Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Franz Lazi (1922–1998), Industrie- und Werbefotograf sowie Dokumentarfilmer Gerhard Hertel (1924–2007), Finanzbeamter, Kommunalpolitiker und Heimatforscher Eugen Mahler (1927–2019), Internist, Künstler und emeritierter Professor an der Universität Kassel für Psychoanalyse und Gruppendynamik Arno Votteler (1929–2020), Industriedesigner Hermann Braun (* 1932), Philosoph und Hochschullehrer Hans-Martin Gauger (* 1935), Romanist, Sprachwissenschaftler und Autor Karl-August Schaal (1935–2017), Politiker (Die Republikaner) Hermann Wagner (* 1941), Mediziner Waltraud Monika Fischer (1944–1991), Malerin und Grafikerin Günter Mahler (1945–2016), Physiker Gerhard Walter (* 1949), Rechtswissenschaftler Klaus Fischer (* 1950), Unternehmer Ludwig Duncker (* 1951) Erziehungswissenschaftler und Hochschullehrer Michael Schultz (1951–2021), Galerist und Kunsthändler Hartmut Volle (* 1953), Schauspieler Johannes Schweikle (* 1960), Journalist und Autor Michael Volle (* 1960), Opernsänger (Bariton) Christine Walde (* 1960), Altphilologin Hardy Hermann (* 1961), Profitänzer, Tanztrainer und Tanzsportfunktionär Jörg Frey (* 1962), evangelischer Neutestamentler Birgit Bergmann (* 1963), Politikerin (FDP), Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft Klaus N. Frick (* 1963), Chefredakteur der Science-Fiction-Serie Perry Rhodan Carl Finkbeiner (* 1964), Kameramann Harald Schmid (* 1964), Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Manfred Bischoff (* 1968), Bauingenieur Detlef Roth (* 1970), Opern- und Konzertsänger Rainer Rothfuß (* 1971), Geograph und Politiker (CSU, AfD) Roland Braun (* 1972), Nordischer Kombinierer Henriette Gärtner (* 1975), Pianistin Dunja Dogmani (* 1977), Schauspielerin, Synchron- und Hörspielsprecherin und Regisseurin Mario Glaser (* 1978), parteiloser Politiker Benjamin Stoll (* 1979), Schauspieler, Regisseur und Autor Robert Marijanović (* 1980), Dartspieler Jens Kaufmann (* 1984), Nordischer Kombinierer Petra Lammert (* 1984), Leichtathletin in der Disziplin Kugelstoßen Simone Hirth (* 1985), Schriftstellerin Benjamin Huber (* 1985), Fußballtorhüter Marcel Schuon (* 1985), Fußballspieler Sebastian Schwarz (* 1985), Volleyballspieler Selene Kapsaski (* 1986), deutsch-englische Schriftstellerin, Filmregisseurin und -produzentin, Schauspielerin und Kamerafrau Katrin Schindele (* 1987), Politikerin (CDU) Andreas Günter (* 1988), Nordischer Kombinierer Andrea Rothfuß (* 1989), Skirennläuferin Rahel Kapsaski (* 1991), deutsch-englische Schauspielerin, Filmproduzentin und Model Sinan Tekerci (* 1993), Fußballspieler Weitere Persönlichkeiten Friedrich I. (1557–1608), Gründer von Freudenstadt Heinrich Schickhardt (1558–1635), Baumeister von Freudenstadt Eberhard Gmelin (1751–1809), Begründer der Heilbronner Hypnose Karl Burger (1883–1959), Fußball-Nationalspieler Georg Lindemann (1884–1963), Generaloberst im Zweiten Weltkrieg Wolfgang Kohlrausch (1888–1980), Begründer der deutschen Krankengymnastik und Leiter des Sanatoriums Hohenfreudenstadt Hans Rommel (1890–1979), Oberstudienrat, Stadtarchivar und Gründer der „Freudenstädter Heimatblätter“ Martin Haug (1895–1983), Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg Hanns Vogts (1900–1976), Schriftsteller Klaus Mehnert (1906–1984), politischer Journalist, Publizist und Autor Ludwig Schweizer (1910–1989), Architekt, Stadtbaurat Margret Hofheinz-Döring (1910–1994), Malerin, Wohnung in Freudenstadt 1953 bis 1974 Friedrich Schlott (* 10. Juni 1914 in Kirchbach; † 21. Dezember 1997 in Freudenstadt), Unternehmer, Mäzen und Wohltäter der Stadt Joseph Abileah (ursprünglich Wilhelm Niswiszki) (1915–1994), israelischer Violinist und Friedensaktivist, 1948 erster verurteilter israelischer Kriegsdienstverweigerer, starb in Freudenstadt Wolfgang Altendorf (1921–2007), Schriftsteller, Verleger und Maler Werner J. Egli (* 1943), Schweizer Schriftsteller Wolfgang Tzschupke (* 1945), Forstwissenschaftler, Gemeinderat Costa Cordalis (1944–2019), deutschsprachiger Schlagersänger; wohnte im Stadtteil Kniebis Jürgen Klopp (* 1967), Fußballspieler und -trainer, absolvierte in Freudenstadt sein Abitur an der Eduard-Spranger-Schule Kevin Kurányi (* 1982), Fußballspieler; absolvierte ab 1997 seine Schulausbildung an der Kepler-Hauptschule Literatur (alphabetisch sortiert) Jan Ilas Bartusch: Der Freudenstädter Taufstein und das Bietenhausener Tympanon – Zwei frühe Steinmetzarbeiten der Alpirsbacher Klosterhütte, in: (Hrsg.) Hohenzollerischer Geschichtsverein e. V.: Zeitschrift für Hohenzollerische Landesgeschichte, 51./52. Band, Sigmaringen 2015/2016. Gerhard Hertel: Freudenstadt in alten Ansichtskarten. Frankfurt am Main 1979 Gerhard Hertel: FREUDENSTADT (Schwarzwald) – Bilder aus den Jahren 1850–1950. Horb am Neckar 1987 Nils Krüger: Ludwig Schweizer, Architekt zwischen Tradition und Moderne – Der Wiederaufbau von Freudenstadt. Das Wunder im Quadrat. Freudenstadt 2019 Weblinks Internetpräsenz der Stadt Freudenstadt Einzelnachweise Anmerkungen Ort im Landkreis Freudenstadt Idealstadt Kurort in Baden-Württemberg Planstadt Kreisstadt in Baden-Württemberg Große Kreisstadt in Baden-Württemberg Exulantenstadt Katastrophe 1945
1600
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrichshafen
Friedrichshafen
Friedrichshafen [ (lokale und regionale Aussprache) oder ] ist eine große Mittelstadt am nördlichen Ufer des Bodensees und die Kreisstadt des Bodenseekreises, zugleich dessen größte Stadt und nach Konstanz die zweitgrößte Stadt am Bodensee. Gemeinsam mit Ravensburg und Weingarten bildet Friedrichshafen eines von 14 Oberzentren (in Funktionsergänzung) in Baden-Württemberg. Seit April 1956 ist Friedrichshafen Große Kreisstadt, seit September 2011 kann es sich durch die Zeppelin Universität außerdem Universitätsstadt nennen. Geographie Geographische Lage Friedrichshafen liegt an einer sanft geschwungenen Bucht am Nordufer des Bodensees und am Südwestrand des Schussenbeckens. Die Stadt erstreckt sich über eine Höhenlage von am Bodenseeufer bis in Ailingen (Horach). Die Kernstadt befindet sich unweit westlich der Mündung der Rotach in den Bodensee. Von Oberteuringen kommend erreicht dieser Fluss westlich der Ortschaft Ailingen das Stadtgebiet und durchfließt einige kleinere Ortsteile, bevor er am Ostrand der Kernstadt in den See mündet. Die etwas größere Schussen streift die nordöstliche Ecke des Stadtgebietes, bevor auch sie – wenige Kilometer östlich von Friedrichshafen – im Bodensee endet. Nachbargemeinden Folgende Städte und Gemeinden grenzen an die Stadt Friedrichshafen. Sie werden im Uhrzeigersinn beginnend im Westen genannt und gehören mit Ausnahme von Ravensburg alle zum Bodenseekreis: Immenstaad (vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft), Markdorf, Oberteuringen, Ravensburg, Meckenbeuren, Tettnang und Eriskirch. Stadtgliederung Die Stadt besteht aus der Kernstadt und den im Rahmen der Gebietsreform der 1970er-Jahre eingegliederten Gemeinden Ailingen, Ettenkirch, Kluftern und Raderach. Diese eingegliederten Gemeinden sind Ortschaften im Sinne der baden-württembergischen Gemeindeordnung; das heißt, sie haben jeweils einen von den Wahlberechtigten in einer Kommunalwahl neu zu wählenden Ortschaftsrat mit einem Ortsvorsteher als dessen Vorsitzenden. In jeder Ortschaft gibt es eine Ortsverwaltung, deren Leiter der Ortsvorsteher ist. Zu fast allen Stadtteilen und zur Kernstadt gehören noch viele räumlich getrennte Wohnplätze mit eigenen Namen, die oft nur wenige Einwohner haben oder Wohngebiete, deren Bezeichnung sich im Laufe der Bebauung ergeben und dann erhalten haben – und deren Grenzen oft nicht genau festgelegt sind. Teilweise handelt es sich auch um ehemals selbstständige Gemeinden oder Gemeindeteile, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingemeindet wurden oder sich mit anderen Gemeinden zusammengeschlossen haben. Im Einzelnen sind dies: Grenze zu Baden Die Grenzlinie zwischen den ehemaligen Ländern Baden und Württemberg verlief am Grenzbach zwischen Friedrichshafen-Fischbach und Immenstaad. Zwischen der Bundesstraße 31 und der naturgeschützten Uferzone finden sich noch Reste des „Grenzhofs“. Raumplanung Friedrichshafen bildet zusammen mit Ravensburg und Weingarten das Oberzentrum (in Funktionsergänzung) der Region Bodensee-Oberschwaben und ist zugleich im östlichen Teil des Bodenseekreises der zentrale Ort eines Mittelbereichs, der neben Friedrichshafen die Gemeinden Bermatingen, Deggenhausertal, Eriskirch, Immenstaad, Kressbronn, Langenargen, Markdorf, Meckenbeuren, Neukirch, Oberteuringen und Tettnang umfasst. Schutzgebiete Im Gebiet der Stadt Friedrichshafen sind durch das Regierungspräsidium Tübingen bzw. das Landratsamt Bodenseekreis als untere Naturschutzbehörde mit Stand 2009 vier Naturschutzgebiete (Eriskircher Ried, Hepbacher-Leimbacher Ried, Lipbachsenke, Lipbachmündung), fünf Landschaftsschutzgebiete (Haldenberg, Hepbacher-Leimbacher Ried, Lipbachsenke, Württembergisches Bodenseeufer (Teilgebiete)), elf flächenhafte und 25 Einzel-Naturdenkmäler ausgewiesen. Klima Das Klima Friedrichshafens ist vor allem von den Einflüssen des Bodensees und der nahen Alpen geprägt (siehe Bodenseeklima). Im Vergleich zum Hinterland sind die Temperaturen eher mild. Durch die Nähe zu den Alpen entstehen die charakteristischen Föhnwinde sowie teilweise kräftige Gewitter. Außerdem bildet sich im Winter häufig Nebel, da der See Wärme speichert, die wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnimmt und diese als Dunst wieder abgibt. Geschichte Gründung 1811 Friedrichshafen entstand 1811 aus der ehemaligen Reichsstadt Buchhorn (von der sie das Wappen übernahm) durch Zusammenschluss mit dem nahen Dorf und Kloster Hofen an derselben Bodenseebucht. Die Stadt gehörte als Bestandteil des Königreichs Württemberg zum Oberamt Tettnang, aus dem 1938 der Landkreis Friedrichshafen hervorging, welcher 1945 nach Rückverlegung der Kreisverwaltung wieder zum Landkreis Tettnang wurde. Unter württembergischer Herrschaft Friedrichshafen wurde nach dem ersten württembergischen König Friedrich I. (1754–1816) benannt. Die Stadt prosperierte unter diesem König vor allem wirtschaftlich, als privilegierter Freihafen und Warenumschlagplatz für den Handelsverkehr mit der Schweiz. Dadurch wurden Neuansiedler angelockt, die sich in der Karl- und der Friedrichstraße niederließen und so die Ortsteile Buchhorn und Hofen nach und nach verbanden. Im 19. Jahrhundert diente Friedrichshafen den württembergischen Monarchen als Sommerresidenz. Das ehemalige Kloster Hofen wurde zum königlichen Schloss umgebaut. Unter König Wilhelm I. (1781–1864) blühte die Wirtschaft neuerlich auf, was sich unter anderem in dem Kauf des Dampfschiffes Wilhelm widerspiegelte. Besonders das Schloss lockte viele Fremde nach Friedrichshafen, darunter auch Minister und hohe Beamte, die sich zum Teil im näheren Umkreis Villen errichten ließen. Auch die ersten Touristen kamen zum Stadtbesuch, unter ihnen soll auch der russische Zar Alexander II. (1818–1881) gewesen sein. Erste Industrie Als erster isolierter Abschnitt der Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahn wurde am 8. November 1847 das Südbahn-Teilstück Friedrichshafen–Ravensburg eröffnet. Ab 1. Juni 1850 konnte die erste Strecke des württembergischen Eisenbahnnetzes von Heilbronn bis Friedrichshafen durchgehend befahren werden. 1869 nahm das Bodensee-Trajekt den Betrieb auf mit Eisenbahnfähren, die Güter von Friedrichshafen nach Romanshorn in der Schweiz transportierten. 1859 wurde die Lederfabrik Hüni + Co gegründet. Im 19. Jahrhundert wurden die „Schwabenkinder“ aus Vorarlberg, Tirol, aus Liechtenstein und der Schweiz an Bauern vermittelt. Industrialisierung durch den Zeppelinbau Die Industrialisierung Friedrichshafens ist vor allem von Ferdinand von Zeppelin geprägt. Der in Konstanz geborene Graf siedelte in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts die Produktion seiner Starrluftschiffe, der Zeppeline, hier an. Am 2. Juli 1900 erhob sich der 128 Meter lange LZ 1 in der Manzeller Bucht zum ersten Mal von der Startfläche. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten begann man 1906 damit, das Nachfolgermodell LZ 2 zu testen. Der Begeisterung der Deutschen für die Luftschifffahrt war es zu verdanken, dass das gesamte Projekt trotz einiger Fehlversuche dennoch fortgesetzt wurde (siehe Zeppelinspende des deutschen Volkes). Die 1909 in Bissingen an der Enz durch Wilhelm Maybach auf Initiative Zeppelins gegründete Luftfahrzeug-Motorenbau GmbH übersiedelte 1912 auch wegen veränderter technischer Anforderungen nach Friedrichshafen. Die Leitung des Unternehmens übernahm Karl Maybach (1879–1960), der älteste Sohn von Wilhelm Maybach. Um die hohen finanziellen Mittel für Forschung und Produktion zu besorgen, wurde 1909 eine Aktiengesellschaft (AG) gegründet, die Deutsche Luftschifffahrts-AG (DELAG) mit Sitz in Frankfurt am Main, die erste Luftreederei weltweit. Eine Erfindung des Ingenieurs Max Maag der Maag Zahnräder AG, die das Herstellen präziser Zahnräder in Serie erst möglich machte, trug zur Weiterentwicklung der Zeppeline bei und führte 1915 zur Gründung der Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF), die 1922 ebenfalls zu einer AG wurde. Mit dem Fortschritt im Luftschiffbau kam so ein allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung in Gang. Mit der Zahl neuer Arbeitsplätze stieg auch der Zustrom an Feriengästen allmählich an. 1912 beschäftigte der „Zeppelinkonzern“ etwa 200 Mitarbeiter, die großteils in einer eigens für sie errichteten neuen Siedlung, dem Zeppelindorf, lebten. Der Beginn des Ersten Weltkriegs beschleunigte dieses Wirtschaftswachstum, da viele Luftschiffe für den Kriegseinsatz gebaut wurden. Graf Zeppelin starb 1917. Das Büro Dornier, das zunächst mit Metallflugzeugbau im Hause Zeppelin beschäftigt war, wurde 1922 von Claude Dornier übernommen; dies war der Anfang für die späteren Dornier-Werke. Die Zwischenkriegszeit An der Novemberrevolution 1918 beteiligten sich auch die Arbeiter Friedrichshafens, indem sie für Fälle von wichtigen Entscheidungen einen Arbeiter- und Soldatenrat einsetzten. Mit dem Ende der Monarchie hatte das Schloss als Königliche Sommerresidenz ausgedient, es wurde dem entmachteten Haus Württemberg zugesprochen. Nun wurde durch den Volksstaat Württemberg auch in Friedrichshafen die Demokratie der Weimarer Republik wirksam. Der auf Rüstung spezialisierte Zeppelinkonzern musste nach dem Kriegsende den Großteil seiner Arbeiter entlassen. Die Tochterunternehmen widmeten sich nun anderen Produktionsbereichen und konnten so einen Teil der Belegschaft halten. Maybach-Motorenbau konzentrierte sich auf den Bau von Pkw-Motoren und produzierte 1922 das erste seiner später berühmten Automobile. Die ZF produzierte nun vor allem einbaufertige Schaltgetriebe für die Automobilindustrie, die zu jener Zeit bereits großes Potential hatte. Auch der Luftschiffbau wurde schon nach kurzer Zeit wieder aufgenommen. Dies war vor allem Hugo Eckener zu verdanken, der über einen Spendenaufruf rund 2,5 Millionen Reichsmark für die neue Produktion einsammelte (die sogenannte Zeppelin-Eckener-Spende für LZ 127). Die Dornier-Werke (ursprünglich Zeppelin-Werk Lindau GmbH, ab 1922 Dornier-Metallbauten GmbH, ab 1938 Dornier-Werke GmbH, ab 1966 Dornier GmbH) wurden in den 1930er Jahren durch Zweigbetriebe in Neuaubing und Oberpfaffenhofen (jeweils bei München) sowie in Wismar (Norddeutsche Dornier-Werke) erweitert. Gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages konnte das berühmteste ihrer Flugzeuge, die Dornier Wal, zunächst (in Italien) nur in Lizenz gefertigt werden. Am Bodensee entstand das seinerzeit größte Flugzeug der Welt, die Dornier Do X. Das erste Luftschiff nach dem Krieg, LZ 126, wurde als Wiedergutmachungsleistung an die USA übergeben. Seine Atlantiküberquerung sorgte für großes Aufsehen. Auch die folgenden Luftschiffe LZ 127 „Graf Zeppelin“ und LZ 129 „Hindenburg“ standen stark im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Nach der Hindenburg-Katastrophe in Lakehurst am 6. Mai 1937, bei der 36 Menschen infolge einer Explosion ums Leben kamen, wurde jedoch der Bau weiterer Luftschiffe (mit Ausnahme von LZ 130 und LZ 131) eingestellt und auch der gesamte Flugverkehr der Zeppeline. Im Nationalsozialismus und im Krieg Bei der Kreisreform während der NS-Zeit in Württemberg wurde die Stadt 1938 Sitz des neu umrissenen Landkreises Friedrichshafen, der ab 1945 wieder Landkreis Tettnang hieß. In der nationalsozialistischen Zeit wurde der Fremdenverkehr in Friedrichshafen zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor. 1934 wurde der amtierende Bürgermeister Schnitzler durch Walter Bärlin ersetzt. Seit 1933 bestand in Friedrichshafen eine Außenhauptstelle der Württembergischen Politischen Polizei, die ab 1938 als „Geheime Staatspolizei – Grenzpolizeikommissariat Friedrichshafen“ firmierte. Die Industrie, die auf Kriegswirtschaft umgestellt worden war, wuchs stetig. Von 1942 bis Ende 1944 fertigte die Firma Zeppelin auch Teile für die A4-Rakete (die so genannte V2); für die Überprüfung kompletter A4-Raketen wurde zwischen 1942 und 1943 bei Raderach eine Prüf- und Abnahmestelle gebaut, das V2-Werk Raderach. Vier große Rüstungsbetriebe machten Friedrichshafen zu einem wichtigen Rüstungsstandort im Deutschen Reich: Luftschiffbau Zeppelin GmbH (Radaranlagen, Peilanlagen, Fallschirme, Teile für den Flugzeug- und Raketenbau) Maybach-Motorenbau GmbH (Fertigung aller Motoren für die Kettenfahrzeuge der Wehrmacht [allerdings nicht alle am Standort Friedrichshafen]) Zahnradfabrik AG (Getriebe für schwere Fahrzeuge) Dornier-Werke GmbH (etwa 6000 Flugzeuge) In diesen Betrieben sollen bis zu 14000 ausländische Arbeitskräfte beschäftigt gewesen sein, darunter etwa 1000 KZ-Häftlinge, die zum größten Teil in Lagern untergebracht waren. Das Zeppelin-Werk hatte ein eigenes Arbeitskommando des Konzentrationslagers Dachau, das dazugehörige Arbeitslager Friedrichshafen befand sich auf dem Firmengelände der Zeppelin-Werft (heute ZF). Zwischen Juni 1943 und September 1944 befanden sich ungefähr 1200 KZ-Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau im KZ-Außenlager Friedrichshafen. Nach der Zerstörung des Lagers (zwischen Hochstraße und Luftschiffbau) durch einen Bombenangriff am 28. April 1944 wurden die KZ-Häftlinge in die Nähe des V2-Werks in Raderach verlegt. Dort befand sich seit 1942 bereits ein Arbeitslager für kriegsgefangene Zwangsarbeiter. Am 25. September 1944 wurden 762 dieser KZ-Häftlinge in das KZ Dora-Mittelbau in Nordhausen gebracht. Von Oktober 1944 bis April 1945 errichteten KZ-Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau einen unterirdischen Stollen bei Überlingen, den Goldbacher Stollen, um die gefährdeten Friedrichshafener Produktionsstätten zu verlagern und so die Produktion vor den Bombardierungen zu schützen. Die beim Bau des Stollens gestorbenen Zwangsarbeiter wurden auf dem KZ-Friedhof Birnau beigesetzt. Die Produktionsstätten elementarer Rüstungsindustrie waren der Grund dafür, dass insgesamt elf Luftangriffe auf Friedrichshafen zwischen Juni 1943 und Februar 1945 durchgeführt wurden. Der folgenschwerste dieser Angriffe fand in der Nacht zum 28. April 1944 statt, ihm fielen der Kern der Altstadt und die Hafenanlagen mit mehreren Schiffen zum Opfer. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Friedrichshafen zu zwei Dritteln zerstört, es musste daher in den 1950er Jahren fast komplett neu aufgebaut werden. Die vollständige Zerstörung der Stadt wurde vermutlich durch die Entschlossenheit der Bürger und ihres Bürgermeisters verhindert, indem diese den Befehl missachteten, Friedrichshafen bis zum letzten Haus zu verteidigen. Bei Kriegsbeginn 1939 lebten 25.041 Menschen in Friedrichshafen, 1943 dann 27.168; nach den Luftangriffen waren es zunächst noch 7.650, da zwei Drittel der Bevölkerung abgewandert oder evakuiert worden waren. Im Juni 1945 zählte die Stadt dann 10.126 und im Dezember 1945 wieder 14.979 Einwohner. Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 wurde Friedrichshafen Teil der Französischen Besatzungszone und erfuhr somit 1947 die Zuordnung zum neu gegründeten Land Württemberg-Hohenzollern, welches 1952 im Land Baden-Württemberg aufging. Nach dem Krieg wurden einige Firmen, darunter die Luftschiffbau Zeppelin GmbH und die Dornier-Werke, zwangsaufgelöst. Dadurch verloren viele Menschen ihren Arbeitsplatz und damit ihr Auskommen. Die Zahnradfabrik und der Maybach-Motorenbau konnten gerettet werden, mussten aber ihre Produktion umstellen. Die erste wichtige Handlung des Wiederaufbaus war die Enttrümmerung der Stadt. Dazu wurde eine Schmalspurbahn angelegt, mit deren Hilfe bis 1949 die gesamte Altstadt freigeräumt wurde. Außerdem errichtete die Firma Hüni + Co eine Trümmerwiederaufbereitungsanlage. 1950 wurde mit der Planung des Neuaufbaus begonnen, die vor allem bessere Verkehrsverhältnisse sowie größere Grünanlagen vorsah. Mit der Einweihung des neuen Rathauses wurde diese Bauphase 1956 abgeschlossen, doch es mangelte nach wie vor an ausreichendem Wohnraum. Ehemalige Bürgermeister, Landräte und andere Politfunktionäre des NS-Regimes aus der Region wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von der französischen Besatzungsmacht in einem Gefangenenlager bei Balingen interniert. Im Frühjahr 1946 begann in Friedrichshafen die Entnazifizierung: 2500 Einwohner mussten Fragebögen zu ihrer Tätigkeit und ihrem Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus ausfüllen und sich vor Untersuchungsausschüssen verantworten. Dabei gab es auch Verfahren gegen 15 bekannte Unternehmer und „Wehrwirtschaftsführer“, wie zum Beispiel Hugo Eckener (Luftschiffbau Zeppelin), Claude Dornier, Karl Maybach und Hans Cappus (ZF Zahnradfabrik). Die „politische Säuberung“ wurde bis März 1951 beendet, wobei die meisten Personen als unbelastete Mitläufer eingestuft wurden. Der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt Friedrichshafen ist auch der Zeppelin-Stiftung zu verdanken, die bereits 1908 von Grafen Zeppelin gegründet worden war und der Förderung des Luftschiffbaus dienen sollte. Für den Fall, dass der ursprüngliche Stiftungszweck nicht mehr erfüllt werden könne, sollte die Stiftung an die Stadt Friedrichshafen fallen. In diesem Falle sollten die Erträge aus der Zeppelin-Stiftung für wohltätige Zwecke eingesetzt werden. Am 1. März 1947 ging deshalb das Stiftungsvermögen an die Stadt Friedrichshafen über. Die Zeppelin-Stiftung hält 93,8 Prozent der Aktien der ZF Friedrichshafen AG und ist Eigentümerin der Luftschiffbau Zeppelin GmbH und der Zeppelin GmbH. Mit den Erträgen aus diesen sogenannten Stiftungsbetrieben finanziert die Stiftung satzungsgemäß mildtätige und gemeinnützige Zwecke. Neuere Geschichte Dank des rapiden Bevölkerungszuwachses (auf 53.000 Einwohner) wurde Friedrichshafen bei der Kreisreform in Baden-Württemberg am 1. Januar 1973 Verwaltungssitz des neu gegründeten Bodenseekreises. In jener Zeit datieren auch die meisten Eingemeindungen. In dieser Zeit begann man auch damit, die Infrastruktur zu erweitern und auszubauen. Zahlreiche Bildungseinrichtungen sind seither entstanden, darunter ein Teil der öffentlichen Schulen, die Musikschule, die Volkshochschule sowie das Berufsschulzentrum. Hinzu kamen das Zeppelin-Stadion und die Bodenseesporthalle, das Hallenbad war bereits 1970 eröffnet worden. Beim 26. Deutschen Feuerwehrtag, der im Juni 1990 in Friedrichshafen stattfand, kam es zur starken erstmaligen Teilnahme der Feuerwehren aus der DDR. Nach einigen Jahrzehnten wurden dort auch Feuerwehrleute aus Osteuropa willkommen geheißen und vielfältige Kontakte geknüpft. Im Jahr 1992 erfolgte der Abzug der französischen Garnison (Heeresflieger) aus ihrem Quartier Durand de Villers. Eingemeindungen Im heutigen Stadtgebiet gab es ab 1812 folgende Gemeinden: Stadt Friedrichshafen und die Gemeinden Hagendorn, Ettenkirch, Kluftern und Raderach. 1825 wurde die Gemeinde Hagendorn aufgelöst. Es entstanden daraus die Gemeinden Ailingen und Berg. 1850 wurde Schnetzenhausen von der Gemeinde Berg als selbständige Gemeinde abgetrennt, aber 1937 in die Stadt Friedrichshafen eingegliedert. Ebenfalls 1937 wurde die Gemeinde Berg in die Gemeinde Ailingen eingegliedert, die ihren Gemeindeteil Allmannsweiler jedoch an die Stadt Friedrichshafen abgeben musste. Somit bestanden ab 1937 neben der Stadt Friedrichshafen noch die Gemeinden Ailingen, Ettenkirch, Kluftern und Raderach. Im Laufe der Geschichte wurden somit folgende Gemeinden bzw. Orte in die Stadt Friedrichshafen eingegliedert. Sie gehörten vor der Kreisreform, soweit nicht anders angegeben, zum Landkreis Tettnang. 1. April 1910: Löwental, St. Georgen und Teile des Ortes Trautenmühle 1. April 1914: Trautenmühle (Rest) sowie Jettenhausen, Meistershofen und Waggershausen (jeweils nur teilweise) 1. April 1937: Schnetzenhausen (bis 1850 zur Gemeinde Berg gehörig), Jettenhausen (Rest) und Gemeindeteil Allmannsweiler der Gemeinde Ailingen 1. Dezember 1971: Ailingen (bis 1825 und ab 1937 mit der Gemeinde Berg) und Raderach (Landkreis Überlingen) 1. April 1972: Kluftern (mit Efrizweiler und dem durch das Genehmigungsschreiben des Innenministeriums 1861 eingegliederten Lipbach; Landkreis Überlingen) 1. Dezember 1972: Ettenkirch (mit der 1937 eingegliederten Gemeinde Hirschlatt) Einwohnerentwicklung Einwohnerzahlen nach dem jeweiligen Gebietsstand. Die Zahlen sind Volkszählungsergebnisse (¹) oder amtliche Fortschreibungen der jeweiligen Statistischen Ämter (nur Hauptwohnsitze). ¹ Volkszählungsergebnis Religion Geschichte Das Gebiet der heutigen Stadt Friedrichshafen gehörte anfangs zum Bistum Konstanz und war dem Archidiakonat Albgovia Kapitel Ailingen-Buchhorn unterstellt. Die Reformation wurde nicht durchgeführt. Nach einer ab 1593 durchgeführten Untersuchung in der Stadt Buchhorn wurde bestimmt, dass niemand Bürgerrechte erwerben, Mitglied des Rates sein oder in städtische Dienste treten könne, der sich nicht unter Eid zur römisch-katholischen Kirche bekennt. Ursprünglich war Buchhorn kirchlich vom Kloster Hofen abhängig. Die dem Kloster zugehörige Kirche „St. Andreas und Pantaleon“ war auch die Kirche Buchhorns. 1325 wird in Buchhorn jedoch eine Nikolauskapelle erwähnt, die aber erst Ende des 16. Jahrhunderts zur Pfarrei erhoben wurde. Die katholische Gemeinde gehörte noch bis 1802 zum Bistum Konstanz und war dem Dekanat Theuringen, ab 1808 dem Ordinariat Ellwangen unterstellt, aus dem 1821/1827 das neu gegründete Bistum Rottenburg, heute Bistum Rottenburg-Stuttgart, hervorging. Konfessionsstatistik Gemäß der Volkszählung 2011 waren 25.974 (45,6 %) der Einwohner römisch-katholisch, 11.705 (20,6 %) evangelisch und 33,8 % waren konfessionslos oder gehörten einer anderen Glaubensgemeinschaft an. Für Ende 2020 sind die Zahlen für das Stadtgebiet von Friedrichshafen 22.832 katholische Mitglieder (37 % der Gesamtbevölkerung) und 6.189 evangelische Mitglieder (10 % der Gesamtbevölkerung). Katholische Gemeinden Die heutige Pfarrkirche St. Nikolaus wurde ursprünglich bereits im Mittelalter im Hoheitsbereich des Klosters Hofen errichtet. In den 1920er Jahren entstand infolge starken Wachstums der Nikolausgemeinde die Filialkirche St. Petrus Canisius, sie wurde in einer dem Backsteinexpressionismus angenäherten Architektur erbaut und am 24. November 1928 von Bekennerbischof Joannes Baptista Sproll geweiht. Sie steht unter Denkmalschutz. Zehn Jahre nach Fertigstellung der Kirche wird 1938 die gleichnamige Kirchengemeinde gegründet, die heute die mitgliederstärkste christliche Gemeinde Friedrichshafens ist. Im selben Jahr wird zunächst nur aus St. Nikolaus und St. Petrus Canisius eine Gesamtkirchengemeinde gebildet. Vermögen, Liegenschaften, Gebäudeunterhalt sowie Kirchensteuereinnahmen und -ausgaben werden gemeinsam verwaltet und solidarisch gehandhabt. Die nach dem Zweiten Weltkrieg weiter wachsende Bevölkerung veranlasste die Verantwortlichen der Gesamtkirchengemeinde, die Errichtung einer weiteren Kirche zu planen, die dem Patrozinium Christi, des guten Hirten, unterstellt werden sollte. Ihr Baustil mit dem muschelförmigen Kuppelbau und der aufgesetzten Glockenschale ist recht eigenwillig. Die Kirche Guter Hirte wurde am 12. Mai 1962 geweiht. Am 1. Oktober erhielt die neue Gemeinde die Eigenständigkeit. Nach dem Absturz eines Sportflugzeugs musste das Dach der Kirche bereits zehn Jahre nach der Weihe instand gesetzt werden. Auch diese Kirche steht unter Denkmalschutz. Da auch die alte Pfarrkirche St. Mariä Geburt aus dem 13. Jahrhundert im Stadtteil Jettenhausen zu klein geworden war, wurde sie 1960 durch einen Neubau, der der heiligen Maria geweiht war, ersetzt. Der letzte Neubau war dann der, der Kirche St. Columban, deren zeltförmige Architektur von den Reformideen des Zweiten Vatikanischen Konzils geprägt ist. Sie wurde 1966 vom italienischen Bischof Pietro Zuccarino aus Bobbio geweiht. Ihr Gemeindegebiet erstreckt sich im neu entstandenen Stadtteil Friedrichshafen Ost und auf der alten Gemarkung St. Georgen. Der Chor der Gemeinde hatte schon etliche nationale Auftritte (Katholikentag in Ulm, Ökumenischer Kirchentag in Berlin). Auch in den anderen Stadtteilen Friedrichshafens gibt es jeweils Gemeinden und Kirchen: St. Magnus Fischbach (erbaut 1955, alte Pfarrkirche St. Vitus 1834), St. Peter und Paul in Schnetzenhausen (erbaut 1754 auf älteren Resten), St. Nikolaus im Ortsteil Berg (erbaut 1520, doch 1785 erneuert und um 1900 weiter verändert) und St. Petrus und Paulus im Ortsteil Ettenkirch (erbaut im 17. Jahrhundert, 1884 wurde der Turm erhöht). Auch St. Johann Baptist in Ailingen geht auf einen älteren Vorgängerbau zurück. Alle katholischen Gemeinden auf dem ehemals württembergischen Teil des Stadtgebiets bilden seit 2005 die Katholische Gesamtkirchengemeinde Friedrichshafen und zählen zusammen 22.393 Katholiken (Stand 2017). Diese gemeinschaftlich verantwortete Struktur ist Trägerin zahlreicher sozialer Einrichtungen: Der Herberge für Wohnsitzlose, dem Stadtdiakonat, einer Sozialstation und sechzehn Kindergärten. Diese zehn Gemeinden gehören heute zum Dekanat Friedrichshafen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Nach der Kreisreform 1973 war dieses aus dem bisherigen Dekanat Tettnang durch Umbenennung hervorgegangen. Eine weitere Kirchengemeinde, St. Gangolf Kluftern, gehört nicht zur Gesamtkirchengemeinde Friedrichshafen. Kluftern gehörte ab 1806 zu Baden, die Kirchengemeinde gehört somit bis heute zum Dekanat Linzgau innerhalb der Erzdiözese Freiburg. Die Katholiken im Stadtteil Raderach gehören zur Kirchengemeinde Bergheim. Es gibt jedoch seit 1837 in Raderach eine Kapelle Mariä Heimsuchung. Insgesamt leben somit ca. 24.000 Katholiken im gesamten Stadtgebiet (2017). Evangelische Gemeinden Anfang des 19. Jahrhunderts zogen auch Protestanten in den Raum Friedrichshafen. Es waren zunächst vor allem Beamte und Bedienstete des württembergischen Königs, die ins Schloss Hofen, das ehemalige Kloster, einzogen. Für sie gründete König Friedrich von Württemberg eine evangelische Kirchengemeinde, der er die barocke Schlosskirche zur Verfügung stellte. 1845 wurde hier eine Pfarrei errichtet. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde der evangelische Stadtpfarrer Karl Steger als Vertreter der „Deutschen Christen“ überregional bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die evangelische Gemeinde stark an, vor allem wegen des Zustroms von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen. Daher wurden weitere Kirchengemeinden gegründet und Kirchen erbaut. Es entstanden die Erlösergemeinde (1958), die Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde (1968) und die Paul-Gerhardt-Gemeinde Jettenhausen (1978). Sie alle bilden mit der Schlosskirchengemeinde seit 1994 die Evangelische Gesamtkirchengemeinde Friedrichshafen. Diese gehört zum Dekanat bzw. Kirchenbezirk Ravensburg innerhalb der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Weitere Kirchengemeinden bzw. Kirchen im Stadtgebiet Friedrichshafens befinden sich in Manzell (Kirche und Pfarrei von 1938), Ailingen (Kirche von 1949, eine Kapelle gab es bereits seit 1937) und Kluftern, wobei die letztgenannte zum Dekanat Überlingen-Stockach der Evangelischen Landeskirche in Baden gehört. Die Protestanten aus Ettenkirch werden von der Kirchengemeinde Ailingen, die Protestanten von Raderach von der Kirchengemeinde Markdorf betreut. Weitere christliche Kirchen Neben den beiden großen Kirchen gibt es in Friedrichshafen auch eine serbisch-orthodoxe Kirchengemeinde sowie Gemeinden, die zu Freikirchen gehören, darunter eine evangelisch-freikirchliche Gemeinde (Baptistengemeinde), eine evangelisch-methodistische Gemeinde, eine Vineyard-Gemeinde, die Unabhängige Evangelische Gemeinde und die Freie Christengemeinde Foyer FN. Auch die Neuapostolische Kirche, hat zwei Gemeinden. Andere Gemeinschaften Des Weiteren sind die Christliche Wissenschaft und die Zeugen Jehovas in Friedrichshafen vertreten. Islam Im Zuge der Anwerbung von Gastarbeitern, vor allem aus der Türkei, sowie weiterer Einwanderung kamen seit den 1960er Jahren verstärkt auch Angehörige des islamischen Glaubens nach Friedrichshafen. In Folge von Bürgerkriegen mit weitreichenden Kriegshandlungen kamen Mitte 2015 auch hunderte Flüchtlinge in die Stadt. Schätzungen zufolge leben in der Stadt rund 5000 Muslime, überwiegend Sunniten. Seit 1998 betreibt die türkische DİTİB die Mehmet-Akif-Moschee; sie befindet sich am Rande des Stadtkerns in Richtung der Teilgemeinde Berg. Hinzu kommen zwei weitere kleinere islamische Gemeinden in der Kernstadt. Politik Gemeinderat Die Kommunalwahl am 26. Mai 2019 führte zu folgendem Ergebnis: Bürgermeister An der Spitze der Stadt Buchhorn standen ab dem 13. Jahrhundert der vom Stadtherrn eingesetzte Ammann (Amtmann) sowie der Rat, der zugleich Stadtgericht war. Ab 1397 wurde der Ammann als Vorsitzender des Rates durch einen Bürgermeister ersetzt, der Ammann war dann nur noch Vorsitzender des Gerichts. Die Zünfte hatten dann das Sagen in der Stadt. Sie bildeten den Kleinen und den Großen Rat. 1552 wurde durch Kaiser Karl V. die Geschlechterherrschaft eingeführt. Danach gab es drei Bürgermeister, die jeweils vier Monate im Amt waren. Im 18. Jahrhundert zerfiel die Verwaltung immer mehr, so dass 1752 ein kaiserlicher Kommandant eingesetzt werden musste. Nach dem Übergang an Württemberg wurde in der nunmehrigen Stadt Friedrichshafen ein Stadtschultheiß eingesetzt. 1935 wandelte sich dessen Bezeichnung zu „Bürgermeister“, der seit der Erhebung zur Großen Kreisstadt 1956 die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister trägt. Heutzutage wird der Oberbürgermeister für eine Amtszeit von acht Jahren gewählt. Er ist Vorsitzender des Gemeinderats und Leiter der Stadtverwaltung. Der Oberbürgermeister hat zwei Beigeordnete als hauptamtliche Stellvertreter. Die Amtsbezeichnung des Ersten Beigeordneten ist „Erster Bürgermeister“, der Zweite Beigeordnete nennt sich schlicht „Bürgermeister“. Bei der Bürgermeisterwahl am 5. April 2009 setzte sich Andreas Brand (Freie Wähler) mit 69,96 Prozent der gültig abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 44,33 Prozent) gegen seinen Mitbewerber Peter Kienzle (CDU) durch. Amtsvorgänger Josef Büchelmeier (SPD) stand für eine Wiederwahl nicht mehr zur Verfügung. Die Stadtoberhäupter seit 1810 Wappen Partnerstädte Friedrichshafen unterhält Städtepartnerschaften mit in Bosnien und Herzegowina, seit 1972 in Frankreich, seit 1973 in Illinois (USA), seit 1976 , Sachsen seit 1990 in Belarus, seit 1990 in Italien, seit 2014 Außerdem besteht eine Städtefreundschaft mit Tsuchiura in Japan, seit 1994 In Friedrichshafen wurden von engagierten Bürgern zahlreiche eingetragene Vereine zur Pflege der Städtepartnerschaften gegründet: Peoria Club seit 1982 Freundeskreis Polozk seit 1995 Pro Sarajevo seit 2000 Amici di Imperia seit 2009 Patenschaft Die Stadt Friedrichshafen übernahm am 12. Dezember 1967 die Patenschaft über das Marinefliegergeschwader 3 „Graf Zeppelin“ aus Nordholz anlässlich der Verleihung des Traditionsnamens Graf Zeppelin an das Geschwader am 9. Juli 1967. Wirtschaft und Infrastruktur Industrie und Gewerbe Die größten Arbeitgeber der Stadt sind immer noch die Industrieunternehmen, deren Wurzeln in die Zeit des Luftschiffbaus zurückreichen. Die ZF Friedrichshafen AG (ZF) wurde 1915 als Zahnradfabrik GmbH gegründet, um die Getriebe (in erster Linie waren es die Zahnräder) der Zeppeline zu verbessern. Das Unternehmen wurde 1921 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Heute ist die ZF der weltweit viertgrößte Automobilzulieferer und zählt zu den weltweit führenden Unternehmen der Antriebs- und Fahrwerktechnik. Eigentümer sind zu 93,8 % die Zeppelin-Stiftung und zu 6,2 % die Dr. Jürgen und Irmgard Ulderup Stiftung in Lemförde. Die Rolls-Royce Power Systems ist hervorgegangen aus der MTU Friedrichshafen GmbH (MTU; nicht zu verwechseln mit der Motoren und Turbinen Union in München) und zählt zu den weltweit führenden Herstellern von großen Dieselmotoren und kompletten Antriebs- und Energiesystemen. Bis 1985 gehörte das Unternehmen zum Daimler-Chrysler-Konzern, der die MTU Friedrichshafen 2005 jedoch für 1,6 Milliarden Euro an die schwedische Private-Equity-Gruppe EQT verkaufte. Nach einer Umbenennung 2006 in Tognum GmbH, bei der der Markenname MTU erhalten blieb, änderte sich die Firmierung 2007 mit dem Börsengang in Tognum AG. Ab 2011 hielten Rolls-Royce und Daimler über die gemeinsame Tochter Engine Holding GmbH 98,3 % des Kapitals der Tognum AG. 2014 übernahm der Rolls-Royce-Konzern die Daimler-Anteile. Seit Januar 2014 firmiert das Unternehmen unter Rolls-Royce Power Systems. Die Zeppelin Luftschifftechnik GmbH ist ein 1993 gegründetes Unternehmen, das die halbstarren Hybridluftschiffe vom Typ Zeppelin NT entwickelt und herstellt. Hauptanteilseigner sind die Luftschiffbau Zeppelin GmbH und die ZF. Die Deutsche Zeppelin-Reederei GmbH, ein Tochterunternehmen der Luftschifftechnik, ist zuständig für die Vermittlung der Flüge. Die Sauerstoffwerk Friedrichshafen GmbH (SWF) wurde 1913 zur Herstellung von Wasserstoff als Traggas für Zeppeline gegründet. Heute stellt sie mit zwei weiteren Werken in Aitrach und Bielefeld Gase aller Art für den industriellen, handwerklichen und medizinischen Bedarf her. Die seit 1909 bestehende LZ-Gießerei ging 1948 in die Firma Metallbearbeitung Friedrichshafen eGmbH über und gehört heute unter der Firmierung DGH Sand Casting GmbH zur DGH-Group mit Sitz in Dohna. 1859, also lange Zeit vor der Zeppelinproduktion, gründete Hans Heinrich Hüni östlich der Altstadt von Friedrichshafen die Firma Hüni + Co. Ursprünglich produzierte sie Leder, inzwischen gilt sie als Spezialist für hochwertige Beschichtungen mit organischen Kunststoffen. Friedrichshafen hat sich außerdem als Messestandort etabliert und nennt sich daher gerne „Messe- und Zeppelinstadt“. Zu den bekannteren regelmäßigen Veranstaltungen in der Messe Friedrichshafen gehören die Luftfahrtmesse Aero die Internationale Bodenseemesse (IBO) für Konsum- und Investitionsgüter die Wassersportmesse Interboot die Fahrradmesse Eurobike die Auto-Tuningmesse Tuning World Bodensee die internationale Amateurfunkausstellung Ham Radio die Fachmesse für Kunststoffverarbeitung Fakuma die Pferdefachmesse Pferd Bodensee die Motorradmesse Motorradwelt Bodensee Am 21. Februar 2007 gewann die Stadt den von der Deutschen Telekom ausgeschriebenen Wettbewerb T-City. Verkehr Schiffsverkehr Die Fährlinie Friedrichshafen–Romanshorn verbindet Friedrichshafen mit Romanshorn in der Schweiz. Seit 2005 verbinden die beiden Katamarane Fridolin und Constanze die Stadt mit Konstanz. 2007 kam ein drittes Schiff hinzu, der Katamaran Ferdinand. Friedrichshafen ist durch den Linienverkehr der Bodensee-Schifffahrtsbetriebe (BSB, ugs.: „Weiße Flotte“) mit diversen Städten rund um den See verbunden (z. B. Meersburg, Überlingen, Konstanz, Lindau, Bregenz). Diese Schiffe verkehren nur während des Sommerhalbjahres. Vom Hafenbahnhof gibt es eine direkte Anbindung an die Züge im Bahnhof Friedrichshafen Stadt. Luftverkehr Im Nordosten der Stadt (Richtung Meckenbeuren) befindet sich der Flughafen Friedrichshafen. Er wird regelmäßig von der Lufthansa, British Airways und weiteren Fluglinien angesteuert. Neben dem innerdeutschen Ziel Frankfurt bestehen unter anderem auch Verbindungen nach London, Toulouse, Istanbul (Turkish Airlines). Hinzu kommen im Sommer- und Winterflugplan internationale Ziele für Ferienflüge, beispielsweise nach Palma de Mallorca, Kroatien oder Teneriffa. Straßenverkehr Friedrichshafen liegt an der Bundesstraße 31 (Freiburg im Breisgau–Sigmarszell), die am nördlichen Bodenseeufer entlangführt, und ist durch die Bundesstraße 30 in Richtung Ravensburg und Ulm angebunden (es gab einmal Pläne, die B 30 zur Bundesautobahn 89 auszubauen). Nach der Umgestaltung der Innenstadt in eine verkehrsberuhigte Zone verfügt Friedrichshafen über vier Parkhäuser (See, Altstadt, Stadtbahnhof und Graf-Zeppelin-Haus). Schienenverkehr Im Friedrichshafener Stadtgebiet gibt es die Bahnhöfe Friedrichshafen Hafen und Friedrichshafen Stadt, die durch die Bahnstrecke Friedrichshafen Stadt–Friedrichshafen Hafen verbunden sind, sowie weitere Stationen. Im Stadtbahnhof sind darüber hinaus die Bahnstrecke Ulm–Friedrichshafen, die Bahnstrecke Stahringen–Friedrichshafen und die Bahnstrecke Friedrichshafen–Lindau miteinander verknüpft. Der Fernverkehr beschränkt sich auf ein Intercity-Express-Zugpaar nach Dortmund/Innsbruck und ein RailJet nach Frankfurt a. M./Wien, mehr Anschlüsse bietet der durch enge Taktung verbundene Knotenpunkt Ulm Hbf. Darüber hinaus werden die Bahnhöfe von Regionalzügen der Deutschen Bahn AG (DB) und der Bodensee-Oberschwaben-Bahn (BOB) bedient. Öffentlicher Nahverkehr Seit dem Jahr 1990 wird der städtische Nahverkehr vom Stadtverkehr Friedrichshafen durchgeführt. Das Unternehmen wurde 1999 umstrukturiert und ist seit 2004 im Bodensee-Oberschwaben Verkehrsverbund (bodo). Heute verkehren in diesem Netz 17 Buslinien, deren wichtigste Knotenpunkte Hafen- und Stadtbahnhof sind. Bei Messeveranstaltungen werden zusätzlich ein Messeexpress (Hafenbahnhof–Stadtbahnhof–Messe) und ein Messeshuttle (Flughafen–Messe) eingerichtet. In der Schwachverkehrszeit sind im Stunden- bzw. Zweistundentakt sechs Abendlinien von bzw. zum Stadtbahnhof, auf teilweise gegenüber den Tageslinien veränderten Routen, unterwegs. Außerdem bietet das Unternehmen das Ruftaxi RIA im Abend- und Nachtverkehr und das eCarsharingangebot „FRIZZ“ an. Medien In Friedrichshafen befindet sich ein SWR-Studio, in dem neben Fernseh- und Onlinenachrichten aus der Region das SWR4-Bodenseeradio des Südwestrundfunks produziert wird. Die SWR-Redakteure berichten aus den Landkreisen Bodensee, Konstanz, Lindau, Ravensburg, Biberach, Sigmaringen sowie länderübergreifend aus Vorarlberg und der Ostschweiz. Das Studio befindet sich in der Innenstadt, beim Parkhaus am See. Weitere regionale Radiosender sind das eher jugendorientierte Radio 7 und Radio Seefunk, die beide vorwiegend Rock- und Popmusik spielen. Die Schwäbische Zeitung (ist auch an Radio 7 beteiligt) betreibt eine eigene Lokalredaktionen in Friedrichshafen, die über das aktuelle Geschehen in der Stadt sowie aus der Region berichtet. Friedrichshafen gehört außerdem zum Sendegebiet des über Kabel zu empfangenden privaten Regionalfernsehsenders Regio TV Bodensee, der 2013 sein Studio von Friedrichshafen nach Ravensburg verlagerte. Behörden und Einrichtungen Als Kreisstadt des Bodenseekreises beherbergt Friedrichshafen dessen Verwaltung, das Landratsamt. Ferner vor Ort sind das Finanzamt und ein Notariat. Die Stadt ist auch Sitz des Dekanats Friedrichshafen des Bistums Rottenburg-Stuttgart. Bildungseinrichtungen Kindertageseinrichtungen In Friedrichshafen gibt es 37 Kindertageseinrichtungen. Allgemeinbildende Schulen Als Große Kreisstadt verfügt Friedrichshafen über alle gängigen Schularten. In der Primarstufe gibt es die drei Grund- und Werkrealschulen Ludwig-Dürr-Schule, Pestalozzischule und die katholische Bodenseeschule St. Martin, die zudem ein sozialwissenschaftliches berufliches Gymnasium angeschlossen hat, sowie die Gemeinschaftsschule Schreienesch und die fünf Grundschulen Grundschule Ailingen mit einer Außenstelle in Berg, Grundschule Friedrichshafen-Fischbach mit Außenstelle in Schnetzenhausen, Albert-Merglen-Schule, Don-Bosco-Schule Ettenkirch und die Grundschule Friedrichshafen-Kluftern. An weiterführenden Schulen stehen die Realschule Ailingen sowie die katholische Mädchen- und Jungenrealschule St. Elisabeth zur Verfügung. Ferner eine Abendrealschule. Seit dem Schuljahr 2014/2015 gibt es außerdem zwei Gemeinschaftsschulen an der Gemeinschaftsschule Schreienesch und der Gemeinschaftsschule Graf Soden. Außerdem bietet die Stadt mit dem Graf-Zeppelin-Gymnasium und dem Karl-Maybach-Gymnasium zwei allgemeinbildende Gymnasien. Hinzu kommt die Merianschule als Förderschule und die Tannenhagschule als Sonderschule für Geistigbehinderte sowie die privaten Sonderschulen Schule am See (Sonderschule für Körperbehinderte) und Sprachheilschule (Sonderschule für Sprachbehinderte). Die SIS Swiss International School (Privatschule) bietet bilinguale Bildung vom Kindergarten über die Grundschule bis zum Gymnasium. Im Berufsschulzentrum (im Osten der Stadt; Träger ist der Bodenseekreis) befinden sich die Claude-Dornier-Schule (gewerbliche Schule, unter anderem mit dem Technischen Gymnasium und dem Informationstechnischen Gymnasium), die Hugo-Eckener-Schule (kaufmännische Schule, unter anderem mit dem Wirtschaftsgymnasium) und die Droste-Hülshoff-Schule (haus- und landwirtschaftliche Schule, unter anderem mit dem Ernährungswissenschaftlichen-, Sozialwissenschaftlichen- und Biotechnologischen Gymnasium). Die Bernd-Blindow-Schule ist eine private berufliche Schule mit Naturwissenschaftlich-technischem, Sozialpädagogischem und Medien- und Gestaltungstechnischem Gymnasium. Außerschulische Bildungseinrichtungen sind die Wissenswerkstatt, die Interesse für Technik und technische Berufe wecken will, die KinderUni FN mit Vorlesungen für Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren in allen Wissensbereichen und die Hector Kinderakademie zur Förderung begabter Kinder im Grundschulalter. Hochschulen Die 2003 gegründete Zeppelin Universität ist seit September 2011 (Verleihung der Promotions- und Habilitationsrechte durch das Wissenschaftsministerium) die zehnte Universität im Land Baden-Württemberg; Friedrichshafen ist somit seitdem Universitätsstadt. Die Universität befindet sich in privater Trägerschaft und beschreibt sich selbst als „Universität zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik“. Angeboten werden Studiengänge in den Bereichen Wirtschaftswissenschaften, Kommunikations- und Kulturwissenschaften, Politik- und Verwaltungswissenschaften sowie Soziologie, Politik und Ökonomie. Weiterhin befindet sich eine duale Hochschule in Friedrichshafen: Die Fakultät Technik der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Ravensburg (DHBW Ravensburg) bietet 14 Studienrichtungen in den Bereichen Elektrotechnik, Maschinenbau, Informatik, Wirtschaftsinformatik, Luft- und Raumfahrttechnik, Wirtschaftsingenieurwesen. Außerdem befindet sich in Friedrichshafen ein Studienzentrum der privaten DIPLOMA – Fachhochschule Nordhessen. Bibliotheken Neben der Stadtbibliothek „Medienhaus am See“ ist in Friedrichshafen die Bodenseebibliothek ansässig, die als Spezialbibliothek Werke zum Bodenseeraum und seiner Geschichte sammelt. Soziale Einrichtungen Die Evangelische Heimstiftung und die BruderhausDiakonie betreiben in Friedrichshafen Einrichtungen der Altenhilfe und der Sozialpsychiatrie. Die Stiftung Liebenau unterhält mehrere Seniorenzentren und das Hospiz St. Josef. Arbeiterwohlfahrt (AWO), Deutsches Rotes Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe, das THW, der Malteser Hilfsdienst und die DLRG unterhalten in Friedrichshafen Vertretungen. Kultur und Sehenswürdigkeiten Ferienstraßen Friedrichshafen liegt an der Hauptroute der Oberschwäbischen Barockstraße. Die grenzüberschreitende Grüne Straße/Route Verte, die in den Vogesen in Contrexéville beginnt und bei Breisach den Rhein überschreitet, führt in der Nordroute über Friedrichshafen und endet in Lindau. Promenade, Wanderwege und Pfade Häufig besucht ist vom Hafen aus gesehen westwärts die See- und Uferstraße als Promenade bis zum württembergischen Schloss und ostwärts der Weg durch das Naturschutzgebiet Eriskircher Ried, die Teil des Bodensee-Rundweges sind. Weiter westwärts in den Ortsteilen Manzell und Fischbach führt dieser wegen der Industrieanlagen nicht am Bodenseeufer, sondern an der vielbefahrenen Bundesstraße 31 entlang und erreicht den See erst wieder beim Campingplatz Immenstaad. Der Geschichtspfad Friedrichshafen bietet Informationen zu geschichtlich interessanten Örtlichkeiten und Gebäuden. Auf inzwischen über fünfzig Informationstafeln an Originalstandorten in der Friedrichshafener Innenstadt und den näher gelegenen Stadtteilen werden Blicke „hinter die Fassaden“ gewährt. Eine Ergänzung des Geschichtspfads ist der Maybach-Weg. Die wichtigsten Stationen im Leben des Motoren- und Automobilkonstrukteurs Karl Maybach (* 1879; † 1960 in Friedrichshafen) werden durch ihn aufgegriffen. An zwölf Standorten im Stadtgebiet wird auf installierten Tafeln an sein Leben und seine Leistungen erinnert. Der zwölf Kilometer lange Zeppelin-Pfad soll an neun Stationen die Geschichte der Stadt Friedrichshafen im 20. Jahrhundert, in deren Mittelpunkt die Geschichte der Zeppelin-Stiftung steht, erfahrbar machen. Er ergänzt ebenfalls das Angebot des Geschichtspfads. Durch das Stadtgebiet Friedrichshafens verläuft die dritte Etappe des Jubiläumswegs, ein 111 Kilometer langer Wanderweg, der 1998 zum 25-jährigen Bestehen des Bodenseekreises ausgeschildert wurde. Er führt über sechs Etappen durch das Hinterland des Bodensees von Kressbronn über Neukirch, Meckenbeuren, Markdorf, Heiligenberg und Owingen nach Überlingen. Als direkt am See liegende Stadt ist Friedrichshafen auch Station des Bodensee-Radwegs. Zeppelinrundflüge und Schiffsrundfahrten Von seinem Standort Friedrichshafen aus können Rundflüge mit dem Zeppelin NT über den Bodensee und das Hinterland gestartet werden. Da Friedrichshafen eine zentrale Lage am deutschen Bodenseeufer hat, können von hier aus Schifffahrten mit einem der zahlreichen Passagierschiffe unternommen werden. Museen Das Dornier-Museum zeigt die Geschichte der Luft- und Raumfahrttechnik der Firma Dornier auf. Das direkt neben dem Flughafen Friedrichshafen in einem 25.000 Quadratmeter großen Landschaftspark erbaute Museum wurde im Juli 2009 eröffnet. Es ist einem Flugzeughangar nachempfunden und zeigt mit mehr als 400 Exponaten 100 Jahre Luft- und Raumfahrtgeschichte. Zu sehen sind unter anderem von Claude Dornier entworfene Flugzeuge wie die Dornier Do 27, der Senkrechtstarter Dornier Do 31 oder ein Nachbau des Dornier Merkur. Darüber hinaus können auch Originalteile eines Spacelabs besichtigt werden. In der „Museumsbox“ wird die Geschichte des Unternehmens Dornier anhand von Filmen und Videos präsentiert. Das Feuerwehrmuseum in Ettenkirch-Waltenweiler mit Ausstellungsstücken aus der Geschichte der Feuerwehr ist ab 2002 von ehrenamtlichen Helfern eingerichtet worden. Das 1930 erbaute Museumsgebäude diente der Ettenkircher Freiwilligen Feuerwehr bis 1977 als Feuerwehrhaus und stand danach bis zur Museumseröffnung im Jahr 2005 leer. Das Schulmuseum Friedrichshafen wurde gegründet von Erich H. Müller-Gaebele, Professor an der Pädagogischen Hochschule Weingarten und Norbert Steinhauser, Rektor der Pestalozzischule, im Stadtteil Schnetzenhausen. Es war das erste Museum Baden-Württembergs, das schulgeschichtliche Sammlungen zeigte. 1989 wurde es auf Beschluss des Gemeinderates in die „Villa von Riss“ verlegt, um mehr Ausstellungsfläche zu Verfügung zu haben. Jeder Ausstellungsraum schildert einen Typ von Schule: Die Klosterschule, Schulräume aus den Jahren 1800, 1850, 1900 und 1930. Das Thema Schule im Nationalsozialismus bildet einen besonderen Schwerpunkt. Die Vorstellung verschiedener Schultypen sowie ein Raum zum Thema „Schulstrafen“ ergänzen die umfangreiche Sammlung. Das Zeppelin-Museum befindet sich im Gebäude des ehemaligen Hafenbahnhofes und zeigt die Zeppelingeschichte und ihre wesentlichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Stadt Friedrichshafen. Geboten wird u. a. ein begehbares Segment aus dem Fahrgastraum eines Zeppelins mit Passagierzimmer und Schlafkabinen. Im zweiten Stockwerk des Gebäudes können unter dem Motto „Technik und Kunst“ Bilder von Otto Dix und anderen Künstlern betrachtet werden. Das Bodensee-Museum war ein Museum für die Geschichte und Naturkunde des Bodenseeraumes, das von 1869 an vom Verein für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung aufgebaut wurde und 1912 seine endgültige Aufstellung im ehemaligen „Kreuzlinger Hof“ (Ecke Karlstraße-Schanzstraße) fand. 1927 ging es in die Trägerschaft der Stadt Friedrichshafen über; es verbrannte beim Luftangriff am 28. April 1944. Das „Städtische Bodensee-Museum Friedrichshafen“ (1957) und das „Zeppelin-Museum“ (1996) knüpfen an die Tradition des ehemaligen Bodensee-Museums an. Gedenkstätten Auf dem Städtischen Hauptfriedhof befindet sich der sogenannte „Russenfriedhof“. Dort wird auf einem Gedenkstein an 450 Frauen und Männer erinnert, die als KZ-Häftlinge bei NS-Zwangsarbeit in den Flugzeug- und Luftschiffwerken Dornier ihr Leben ließen. Eine Gedenktafel an der Hafenseite des Zeppelinmuseums erinnert an die Tausende sogenannter „Schweizer Kinder“, die 1946/1947 „von großherzigen Menschen“ in die Schweiz eingeladen wurden. Musik Die Musikszene Friedrichshafens ist durch neun Musikvereine und einige Orchester und dadurch durch viele verschiedene Stilrichtungen geprägt. Neben Folklore und Jazz spielt vor allem auch die Blasmusik eine große Rolle. Der Seehasen-Fanfarenzug wurde 1956 anlässlich des Seehasenfestes von Erich Deisel, Lehrer am Graf-Zeppelin-Gymnasium, gegründet. Damals bestand der Verein aus vier Trommlern und zwei Fanfarenbläsern. Im Jahr 1959 wurden die ersten typischen gelb-roten Kostüme, die an den Charakter der spanischen Epoche erinnern, getragen. 1972 nahm der Fanfarenzug an der Deutschen Meisterschaft der Fanfarenzüge teil und belegte den achten Platz. Bis zum 50-jährigen Jubiläum 2006 veranstaltete er viele Konzerte im Ausland und errang einige Preise bei deutschlandweiten Wettbewerben. Der jährliche Höhepunkt ist immer noch das „Seehasenfest“. Im Jahr 1965 traten einige Mitglieder des Seehasen-Fanfarenzuges aus und gründeten den Fanfarenzug Graf Zeppelin (bis 1967 Seegockel-Fanfarenzug). Die Fusion beider Fanfarenzüge wurde 1976 verhindert. 1992 unternahm der Fanfarenzug Graf Zeppelin auf Einladung des Moskauer Konservatoriums eine Russland-Reise. Er nahm auch bei der Victory-Peace-Parade auf dem Roten Platz teil. Weitere Reisen sowie das „Seehasenfest“ prägten die Entwicklung des Fanfarenzuges. Der seit 1999 existierende Verein jazzport Friedrichshafen e. V. hat das Ziel, ein Forum für Jazzbegeisterte zu schaffen und Konzerte zu veranstalten. Seine Band, das New Jazzport Orchestra (NJPO), besteht vor allem aus Musikschullehrern und -schülern. Die Konzerte finden überwiegend im Flughafenrestaurant statt. Die Musikschule Friedrichshafen wurde 1953 als städtische Bildungseinrichtung gegründet. Im Jahr 2003 zog sie in das neu erbaute Gebäude nahe dem Graf-Zeppelin-Gymnasium um. Angeboten wird neben der musikalischen Früherziehung und Grundbildung die gängigen Instrumente als Einzel- oder Gruppenunterricht, sowie verschiedene Ensembles und Orchester, die wichtigsten hierbei sind das Symphonische Jugendblasorchester, das Folklore-Ensemble, das Jugend-Sinfonieorchester und die Bigband, die auch regelmäßig außerhalb der Region Konzerte geben. Am Wettbewerb Jugend musiziert nehmen viele der Schüler teil. Bauwerke Kirchen Schlosskirche: Das bedeutendste Bauwerk und Wahrzeichen der Stadt ist die ehemalige Klosterkirche des Klosters Hofen. Sie wurde 1695 bis 1702 von Christian Thumb neu erbaut. Die beiden Türme mit Zwiebeldach sind 55 Meter hoch. Die ehemalige Klosteranlage Hofen wurde 1824 zu einem Schloss umgebaut, das dem württembergischen Königshaus als Sommerresidenz diente. Das Schloss wurde mit der Schlosskirche erbaut, das „alte Gebäu“ von Michael Beer jedoch bereits 1654 bis 1661. Die Umbaumaßnahmen im 19. Jahrhundert plante Giovanni Salucci. Pfarrkirche St. Nikolaus: Im Zentrum der früheren Stadt Buchhorn, im 17. Jahrhundert unter Einbeziehung einer Kapelle aus dem 13. Jahrhundert erbaut Pfarrkirche St. Petrus Canisius: erbaut 1927–1928 nach Entwurf des Stuttgarter Architekten Hugo Schlösser im Stil des Backsteinexpressionismus. Pfarrkirche Zum Guten Hirten: erbaut 1962 und bereits denkmalgeschützt. Katholische Pfarrkirche St. Columban (1966) Kapelle St. Blasius (Stadtteil Meistershofen), erbaut im 11. Jahrhundert und ältestes erhaltenes Bauwerk auf dem Stadtgebiet. Profanbauten Stadtbahnhof: repräsentativer Bau, Vorgängerbau 1846 errichtet. Hafenbahnhof: 1928 bis 1933 anstelle zweier Vorgängerbauten errichtet und zwischen 1994 und 1996 zum Zeppelin Museum umgebaut, seltenes Zeugnis des Neuen Bauens am Bodensee Zeppelindorf: Bereits 1913 hatte Ferdinand Graf von Zeppelin mit der „Zeppelin Wohlfahrt GmbH“ ein umfassendes und vorbildliches Sozialwerk errichtet, das die Unternehmenskultur Zeppelins mitgeprägte. Um Wohnraum zu schaffen errichtete eben dieses von 1914 bis 1919 das Zeppelindorf nach Plänen der Stuttgarter Architekten Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer. Es steht seit 1991 unter Denkmalschutz. Rathaus Friedrichshafen: 1954–1956 nach Plänen von Wilhelm Tiedje und Ludwig Hilmar Kresse erbaut „Villa Winz“: Wohngebäude, 1915 von Paul Bonatz erbaut Villa Niederberger: in der Schmidstraße 3 ist ein unter Denkmalschutz stehendes expressionistisches Wohnhaus Villa Wagner: 1965 errichtete, denkmalgeschützte Villa in Spaltenstein Aussichtsturm Moleturm: im Jahr 2000 am Hafen errichtet Die Tankstelle in der Werastraße wurde 1950 von der Deutsch-Amerikanischen Petroleum-Gesellschaft (DAPG) errichtet. Der Klinkerbau mit typischem Flachdach ist bis heute als ehemalige Tankstelle kenntlich. Im gesamten Bodenseekreis gibt es nur noch zwei Exemplare dieses Baustils, beide Tankstellen sind Kulturdenkmale. Kunst im öffentlichen Raum (Auswahl) Vor dem Rathaus befindet sich der von Gernot Rumpf mit grotesken Skulpturen gestaltete Buchhornbrunnen, der unter anderem an die Umbenennung von Buchhorn in Friedrichshafen im Jahr 1811 erinnert. Regelmäßige Veranstaltungen Das Kulturbüro Friedrichshafen bietet mit knapp 300 kulturellen Veranstaltungen pro Jahr für eine Stadt dieser Größe ein umfangreiches Kulturprogramm. Hauptspielstätten sind das Graf-Zeppelin-Haus, der Kiesel im k42, der Bahnhof Fischbach sowie das Zeltfestival Kulturufer. Die Veranstaltungen haben jedes Jahr insgesamt etwa 60.000 Besucher, davon knapp 5.000 im Abonnement. Friedrichshafen hat eine Reihe von Stadt- und Heimatfesten, die jährlich veranstaltet werden. Seit 1985 findet jeweils zu Beginn der Sommerferien das Kulturufer statt, ein zehntägiges Zeltfestival in den Uferanlagen direkt am Bodensee. Bekannte und weniger bekannte Künstler und Gruppen aus der ganzen Welt treten in den Zelten und an der Uferpromenade auf. Die Darbietungen reichen von Musikveranstaltungen über Kabarett, Schauspiel und Tanz bis hin zu Lesungen, Akrobatik und Straßentheater. Auch für Kinder gibt es ein tägliches Theaterangebot im Zelt. Die Aktionswiese bietet darüber hinaus ein Programm für Kinder, die Molke ein spezielles Angebot für Jugendliche an. Das Kulturufer wird veranstaltet vom Kulturbüro und dem Amt für Familie, Jugend und Soziales. Die Schwäbische Zeitung bietet außerdem eine „Zeitungswerkstatt“ für Kinder und Jugendliche an, die so mit selbst erstellten Berichten in die Welt des Journalismus hineinschnuppern können. Im Durchschnitt zieht das Kulturufer etwa 70.000 Besucher an den See. Eines der bekanntesten und ältesten Feste in Friedrichshafen ist das Seehasenfest, ein Kinder- und Heimatfest, das seit der Nachkriegszeit stattfindet. Ebenfalls in den Uferanlagen wird seit 1997 in den Sommerferien das Kulinarische Stadtfest abgehalten. Verschiedene Gastronomieunternehmen der Umgebung bieten Köstlichkeiten verschiedener Nationalitäten an. Abends wird das internationale Flair durch ein musikalisches Rahmenprogramm abgerundet. Friedrichshafen gehört zum Mundartbereich des Bodenseealemannisch. Die Fasnet in Friedrichshafen wird nach schwäbisch-alemannischer Tradition gefeiert. Die ältesten Belege eines solchen Ereignisses in der Stadt Buchhorn stammen aus dem Jahr 1569. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Fasnet wiederbelebt. Damals entstand die älteste Maske, die Buchhorn-Hexe. Drei Jahre später folgte der populäre Seegockel, beides Figuren der gleichnamigen Narrenzunft. Der Ablauf in Friedrichshafen konzentriert sich auf die Zeit vom Gumpigen Donnerstag, an dem Schul- und Rathaussturm stattfinden, bis zum traditionellen „Kehraus“ am Fasnetsdienstag um 24 Uhr. Höhepunkte sind der „Bürgerball“ im Graf-Zeppelin-Haus und der Umzug. Das internationale Theaterfestival „Theatertage am See“ findet seit 1993 an Bodenseeschule St. Martin statt. Binnen weniger Jahre wurde das Festival über Europas Grenzen hinaus ein begehrter Treffpunkt der Amateurtheaterszene. Das jährlich stattfindende Veranstaltung genießt weltweit hohes Ansehen und ist eine der größten, alljährlich stattfindenden Veranstaltungen der Theaterpädagogik in Europa. Das Bodenseefestival, das internationale Stadtfest und der Christkindlesmarkt sind weitere Ereignisse in der Stadt. „Kulturhaus Caserne“ Das Kulturhaus Caserne befindet sich im westlichen Teil der Stadt, im Fallenbrunnen. Der Name Caserne verweist auf die ursprüngliche Nutzung der Gebäude. Die Räumlichkeiten waren in den Jahren 1937 bis 1943 als Flakkaserne erbaut worden. Die Friedrichshafener Kulturszene wird zu einem Teil von dem 2002 gegründeten Culturverein Caserne e.V. bestimmt, bzw. von dessen Arbeit und seinem Angebot. Der Verein wird durch seine Mitglieder und die Stadtverwaltung finanziert. Im Theater Atrium finden außer Theater- und Kabarett- auch verschiedene Musikveranstaltungen statt. Zu einem wesentlichen Bestandteil des Culturvereins wurde die englischsprachige Amateurtheatergruppe Bodensee Players e.V., die großteils aus Muttersprachlern besteht. Das studio17, ein Kino mit 88 Sitzplätzen, zeigt, ob in den eigenen Räumlichkeiten oder open air, vor allem alternative Kinofilme. In dem ehemaligen Mannschaftskasino der französischen Garnison befindet sich ein Restaurant. Ende 1996 wurde der Club Metropol als Disko und Konzerthalle eingerichtet. Schon drei Jahre wurde dieser aufgrund des starken Zuspruchs großzügig umgebaut und erweitert.1997 wurde die groove box eingerichtet, in der vornehmlich House und Jazz gespielt wird. Graf-Zeppelin-Haus Das Graf-Zeppelin-Haus (kurz: GZH) ist das Kultur- und Kongresszentrum der Stadt Friedrichshafen. Auf einer Bürgerversammlung 1964 wurde zum ersten Mal die Idee öffentlich, ein derartiges Gebäude zu errichten. Für ein solches Vorhaben erschien das freie Grundstück an der westlichen Uferpromenade direkt neben dem Yachthafen als idealer Standort. Nach langjährigen Überlegungen beschloss der Gemeinderat im Oktober 1978, den Planungsauftrag zu erteilen, um das Haus im Oktober 1985 zu eröffnen. Das Stuttgarter Architektenteam Breuning/Büchin erstellte ein zur Landschaft passendes Gebäude mit niedrigen Fassaden, die zum großen Teil aus Glas bestehen. Die Aufgaben des Hauses kann man grob in zwei Kategorien unterteilen: Einerseits dient es als kulturelles Bürger-Zentrum für die Bewohner der Region, andererseits, in Ergänzung zur Messe, als Kongress- und Tagungszentrum für Verbände, Firmen und Institutionen. Der „Hugo-Eckener-Saal“ bietet auf einer Fläche von (samt Erweiterung und Empore) 1300 m² bis zu 1300 Plätze. Dort finden auch die bedeutenderen kulturellen Veranstaltungen (Konzerte, Theateraufführungen etc.) statt. Das GZH beherbergt darüber hinaus acht kleinere Säle und Tagungsräume sowie zwei Restaurants, ein Café und eine Tiefgarage. Kulturzentrum K42 Seit 2006 gibt es das K42 (nach der Adresse Karlstraße 42), im ehemaligen Gebäude der Kreissparkasse Friedrichshafen (KSK) direkt am Hafen gelegen. Hier entstand 1973 nach Abbruch des historischen Salzstadels 1967 ein Bankgebäudeneubau. Durch den Zusammenschluss verschiedener Sparkassen im Bodenseebereich bedurfte es jedoch eines größeren Verwaltungsgebäudes. Nach dem Auszug der KSK im Jahre 2002 stand der ehemalige Bank- und Verwaltungsbau leer. Im Jahr 2004 beschloss der Gemeinderat, das Gebäude nach den Plänen einer Projektgruppe in ein kombiniertes Geschäfts- und Medienhaus umzuwandeln. Nach einem Teilabschluss der Baumaßnahmen eröffnete darin am 2. November 2006 eine große Buchhandlung. Im vorderen Teil des Gebäudes befindet sich seit Jahresbeginn 2007 ein Café-Restaurant; im mittleren Gebäudeteil eröffnete am 1. März 2007 ein Textilkaufhaus, seit dem darauf folgenden Tag steht auch die Stadtbücherei – nun als „Medienhaus am See“ – an diesem Ort für den Publikumsverkehr offen. Ein architektonisches Unikum ist der ebenfalls im März 2007 eröffnete Veranstaltungsraum Kiesel, der rund 100 Zuschauern Platz bietet. Auf der Studio-Bühne wird von Beginn modernes Programm geboten. Schwerpunkte sind Schauspiel, Kinder- und Jugendtheater (inkl. eines theaterpädagogischen Angebots) sowie Lesungen. Es werden aber auch Konzerte gespielt sowie Hörspiele und Filme präsentiert; außerdem gibt es im Kiesel Figurentheater für Erwachsene, Tanz- und Video-Performances. Für sein Kiesel-Programm im Bereich Kinder- und Jugendtheater wurde das Kulturbüro 2009 mit dem „Veranstalterpreis der Assitej“ ausgezeichnet. Filmtage Seit 2009 veranstaltet das Kulturbüro Friedrichshafen jährlich ein mehrtägiges Filmfestival, das den Titel „Jetzt oder nie“ trägt. Es werden Kurzfilme (u. a. Experimentalfilme und Animationsfilme) und Dokumentarfilme – gelegentlich auch Filme mit Deutschlandpremiere – gezeigt, die von jungen Regisseuren aus dem deutschsprachigen Raum in den vorangegangenen zwei Jahren erstellt wurden. Das Filmfest ist besonders für junge Filmemacher attraktiv. 2018 wurden mehr als 300 Filme zur Sichtung eingereicht. Alle Filme werden in dem etwa 100 Sitze umfassenden Kinosaal des Medienhaus Kiesel gezeigt. Im direkten Anschluss stehen oftmals die einzelnen Filmemacher für Publikumsgespräche zur Verfügung. 2019 finden die Filmtage vom 22. bis zum 25. Februar 2019 statt. Sport Volleyball Der VfB Friedrichshafen nimmt erfolgreich am Spielgeschehen der Volleyball-Bundesliga und der Champions League teil. Im Jahr 1969 gegründet, stieg der VfB 1981 erstmals in die erste Bundesliga auf. Nach dem dritten Aufstieg 1987 (seither durchgehend in der ersten Bundesliga) wurde er 13-mal DVV-Pokalsieger und 13-mal Deutscher Meister, achtmal konnte sich der VfB das Double sichern (Stand 2023). Am 1. April 2007 schrieb der VfB europäische Volleyballgeschichte: als erste deutsche Volleyballmannschaft konnte der VfB Friedrichshafen die Champions League gewinnen – und damit sicherte er sich das historische Triple (erster Verein in ganz Europa) aus Pokal, Meisterschaft und Champions League. Die Volleyball-Heimspiele wurden von 2003 bis 2020 in der ZF-Arena ausgetragen. Nach deren Schließung aufgrund Einsturzgefahr finden sie in der Saison 2020/2021 in der Zeppelin Cat Halle A1 der Messe Friedrichshafen statt. Lacrosse 2011 gründeten zwei Studenten der Zeppelin Universität das erste Lacrosseteam in Friedrichshafen. Seitdem ist das Team in der Bundesliga Süd etabliert. Es besteht aus Schülern, Arbeitstätigen und Studenten. Es gibt sowohl ein Herren- als auch ein Damenteam. Gespielt wird die Sportart auf dem Gelände des VfB Friedrichshafen. Zuständig ist der Hochschulsportverein der Zeppelin Universität. Badminton Die 1953 gegründete Badmintonabteilung des VfB spielte in der Spielzeit 2010/2011 in der Regionalliga. 2006/2007 war die erste Mannschaft als Meister der zweiten Bundesliga Süd in die erste Bundesliga aufgestiegen. Segeln Der Württembergische Yacht-Club Friedrichshafen e. V. (WYC) ist ein weiterer Sportverein der Stadt. Er wurde 1911 von König Wilhelm II. gegründet, noch im selben Jahr wurde mit dem Bau des Yachthafens begonnen. Es wurde auch die Geschichte des WYC und ihrer Regatta, der Bodenseewoche, durch die beiden Weltkriege mit beeinflusst. Erst 1951 wurde der Regattabetrieb wieder aufgenommen. Sportliche Höhepunkte bilden die internationalen Erfolge einiger Clubmitglieder: 1976 wurden die Brüder Jörg und Eckart Diesch Olympiasieger im Flying Dutchman vor Kingston (Kanada), 1978 ersegelten Albert und Rudolf Batzill die Weltmeisterschaft im Flying Dutchman vor Hayling Island. Nach 20-jähriger Planung wurde 1992 der neue Yachthafen erbaut und eingeweiht. Der Club zählte 1999 über 1000 Mitglieder. Fußball Die erste Mannschaft der Fußballabteilung des VfB Friedrichshafen spielt aktuell in der Landesliga. 2009/2010 gab sie ein „Gastspiel“ in der Verbandsliga, stieg aber sofort wieder ab. Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 war Friedrichshafen Mannschaftsquartier der iranischen Nationalmannschaft (auch die Niederlande, Norwegen, die Schweiz, Tschechien, Japan, die Slowakei und Russland hatten Interesse gezeigt). Das Team wählte das Ringhotel „Krone“ in Schnetzenhausen als Mannschaftsquartier, trainiert wurde im VfB-Stadion im Norden der Stadt. Karate In Friedrichshafen unterrichtet der ehemalige Karate-Bundestrainer Toni Dietl. Er erbaute eines der größten Karate-Dōjō in Deutschlands im Sportpark Friedrichshafen. Mit über 1000 Schülern hat er auch eine der größten Karate-Schulen in Deutschland. Er entwickelte das Samurai-Kids-Unterrichtssystem, sowie den Junior-Dan und das Sound-Karate-System. Radsport Friedrichshafen war in den Jahren 2002 und 2005 jeweils Zielort der fünften und Startort der sechsten Etappe der damaligen Deutschland Tour. Friedrichshafen beherbergt sechs Radsportvereine: „RRMV Friedrichshafen“ für Kunstradfahren, „RV Immergrün“ aus Ailingen für Radball, „RSV Seerose“, ADFC Sektion Friedrichshafen, Radfreunde Friedrichshafen und den Freundeskreis Uphill (Organisator deutsche Meisterschaft 2011 und 2012, ferner Betreiber und Projektleiter des Stoppomat). Schwimmen Die aktiven Mitglieder des Schwimmvereins Friedrichshafen 1932 e.V. trainieren regelmäßig neben der DLRG Ortsgruppe Friedrichshafen im Friedrichshafener Hallenbad. Erfolge konnten sie sowohl auf regionaler Ebene als auch bei internationalen Wettkämpfen verzeichnen. Dachvereine Der VfB Friedrichshafen führt neben seinen Hauptsparten Fußball und Volleyball auch aufgrund der Nähe zu den Alpen auch eine Ski- und Bergsportabteilung. Die TSG Ailingen deckt neben Fußball, Beachvolleyball auch Skisport und Turnen ab. Persönlichkeiten Ehrenbürger Die Stadt Friedrichshafen bzw. die früheren Gemeinden haben folgenden Personen das Ehrenbürgerrecht verliehen: Die Ehrenbürgerschaft Adolf Hitlers wurde erst im November 2013 aberkannt. Friedrichshafen vor 1887: Joseph Anton Gagg, Oberlehrer 1888: Hans Heinrich Hüni, Fabrikant 1888: Karl von Völter-Hüni, Obersteuerrat 1895: Jacques Leuthold-Hüni, Fabrikant 1900: Hermann Eberhard Faber, Hofrat 1904: Hermann Freiherr von Mittnacht, Württembergischer Ministerpräsident 1907: Ferdinand Graf von Zeppelin 1910: Karl Lanz, Kommerzienrat 1925: Alfred Colsman, Kommerzienrat 1925: Hugo Eckener, Geschäftsführer der Luftschiffbau-Zeppelin GmbH 1925: Ludwig Dürr, Chefkonstrukteur 1929: Karl Maybach 1933: Adolf Hitler (2013 symbolisch aberkannt) 1934: Claude Dornier 1940: Alfred Graf von Soden-Fraunhofen, Mitbegründer der Zahnradfabrik Friedrichshafen AG 1954: Hans Schnitzler, Altbürgermeister 1956: Gebhard Müller, Ministerpräsident a. D. 1956: Viktor Renner, Minister a. D. 1977: Max Grünbeck, Oberbürgermeister a. D. Ehemalige Gemeinde Ailingen 1867: Franz Josef Schaffrath, Lehrer, Mesner, Organist 1865: Josef Wieland, Altbürgermeister Ehemalige Gemeinde Ettenkirch 1933: Paul von Hindenburg, Reichspräsident (2013 symbolisch aberkannt) 1933: Wilhelm Schütterle, Gemeindepfleger Ehemalige Gemeinde Kluftern 1950: Heinrich Weißmann, Geistlicher Rat 1963: Josef Braun, Fabrikant 1964: Emil Higelin, Pfarrer Töchter und Söhne der Stadt Johann Baptist Nesensohn (1748–1807), Pfarrer von Lippertsreute, geboren in Hofen Matthäus Pertsch (1769–1834), Architekt Ignaz von Longner (1805–1868), römisch-katholischer Theologe, Geistlicher und Kirchenhistoriker August von Beckh (1809–1899), Eisenbahningenieur Heinrich Lanz (1838–1905), Landmaschinen-Hersteller (Heinrich Lanz AG, Lanz Bulldog) Rudolf Müller (1856–1922), Lehrer und biographischer Autor Bruno Diamant (1867–1942), Bildhauer Gustav Abel (1869–1939), Oberamtmann und Landrat Karl Haas (1869–1946), Apotheker und Fabrikant Karl Caspar (1879–1956), Maler Max Caspar (1880–1956), Astronomiehistoriker, Herausgeber der Werke von Kepler Mathilde Hirsch (1882–1952), Generalpriorin der Missions-Benediktinerinnen von Tutzing Hedwig Dinkel, verheiratete Braun (1885–1977), Medizinerin Albert Eitel (1887–1962), Landrat Wilhelm Sedlmeier (1898–1987), Theologe, Weihbischof der Diözese Rottenburg Ernst Wilhelm Benz (1907–1978), evangelischer Theologe und Kirchenhistoriker Toni Schneider-Manzell (1911–1996), Bildhauer Albrecht Kleinschmidt (1916–2000), Mediziner und Mikrobiologe Maria Opitz-Döllinger (1917–2007), Politikerin (ÖDP), Trägerin des Bundesverdienstkreuzes Jürgen Flemming (1920–2013), Politiker (FDP/DVP, SPD), Landtagsabgeordneter August Entringer (1921–2008), Politiker (CDU), Landtagsabgeordneter Ruth Scheerbarth (1921–1992), Schauspielerin und Regisseurin Albrecht Roser (1922–2011), Puppenspieler Silvius Dornier (1927–2022), Unternehmer Rolf Gerich (1928–2013), Oberbürgermeister von Weingarten Armin Ayren (* 1934), Schriftsteller Karl Segelbacher (* 1935), Fußballspieler Winfried Hagenmaier (* 1936), Bibliothekar Carl Herzog von Württemberg (1936–2022), Chef des Hauses Württemberg, Unternehmer und Theologe Christiane Stang-Voß (* 1938), Leichtathletin und Biologin sowie Rektorin der Deutschen Sporthochschule Köln Heinrich Kuhn (* 1940), Arzt und Landtagsabgeordneter Klaus Autbert Maier (* 1940), Offizier und Militärhistoriker Eckart Rüther (* 1940), Psychiater Peter Siewert (* 1940), Historiker Armin Wertz (1945–2020), Journalist und Autor Harald Wertz (* 1947), Professor für Informatik, Université Paris 8 Stefan Waggershausen (* 1949), Sänger Brigitte Unger-Soyka (* 1949), Pädagogin und Politikerin (SPD) Zipflo Reinhardt (* 1949), Jazzmusiker Norbert Zeller (* 1950), Politiker (SPD), Landtagsabgeordneter Thom Barth (* 1951), Maler, Grafiker und Installationskünstler Jörg Diesch (* 1951), Segler, der 1976 Olympiasieger wurde Maren (* 1952), Juristin und ehemalige Schlagersängerin Irene Ferchl (* 1954), Schriftstellerin, Publizistin und Kulturjournalistin Eckart Diesch (* 1954), Segler, Olympiasieger 1976 Josef Hoben (1954–2012), Schriftsteller Armin Kreiner (* 1954), Professor für Fundamentaltheologie Hans-Hubertus Mack (* 1954), Offizier und Erziehungswissenschaftler Albin Bucher (* 1955), Sänger und Komponist Rupert Kubon (* 1957), Oberbürgermeister von Villingen-Schwenningen Jürgen Polke (* 1957), Managementtrainer und Hochschullehrer Peter Rundel (* 1958), Geiger und Dirigent Joachim Buhmann (* 1959), Biophysiker Iren Dornier (* 1959), Unternehmer Hubert Knoblauch (* 1959), Soziologe Stefan Gasser (* 1960), Richter am Bundessozialgericht Uwe Altenried (* 1961), Komponist und Musiker Martin Fix (* 1961), Pädagoge Alissa Walser (* 1961), Schriftstellerin Friedrich Herzog von Württemberg (1961–2018), Unternehmer Stefan Müller-Stach (* 1962), Mathematiker und Hochschullehrer Heinz Beck (* 1963), Koch Georg Kraus (* 1965), Managementberater und Autor Bjoern Strangmann (* 1965), Jazzmusiker und Musikschulleiter Joachim Jenrich (* 1967), Sachbuchautor und Biologe Theresia Walser (* 1967), Schriftstellerin Martin Keck (* 1968), Mediziner und Neurowissenschaftler David Oswald (* 1968), Designer und Hochschullehrer Markus Kohlöffel (* 1971), Taekwondo-Sportler und Cheftrainer Andrea Schmölder-Veit (* 1971), Archäologin Heiko Ruprecht (* 1972), Schauspieler Philip Kiefer (* 1973), Fach- und Sachbuchautor Sotiria Loucopoulos (* 1974), Schauspielerin Stefanie Rothweiler (* 1979) Olympiateilnehmerin im Segeln Hannes Weber (* 1979), Bäckermeister, Konditor, Fachautor und Unternehmer Winfried Lichtscheidel (* 1980), Organist Fabian Müller (* 1980), Sportwissenschaftler und Fußballtrainer Michael Binder (* 1981), Handballspieler Philippe Bühler (* 1981), Sänger Matthias Karger (* 1982), Volleyball- und Beachvolleyballspieler Claudia Alfons (* 1983), Oberbürgermeisterin von Lindau Friedemann Vogel (* 1983), Linguist und Kulturwissenschaftler Steffen Wohlfarth (* 1983), Fußballspieler Kay One (* 1984), Rapper Kerstin Wohlbold (* 1984), Handballspielerin Max Günthör (* 1985), Volleyballspieler Lance Butters (* 1988), Rapper Musiye (* 1989), Rapper Chantal Laboureur (* 1990), Volleyball- und Beachvolleyballspielerin Marc Endres (* 1991), Fußballspieler Simon Zoller (* 1991), Fußballspieler Sturmwaffel (* 1992), Webvideoproduzent Jakob Günthör (* 1995), Volleyballspieler Jannis Hopt (* 1996), Volleyballspieler Sascha Uwe Kaleck (* 1997), Volleyballspieler Liane Lippert (* 1998), Radrennfahrerin Giulia Gwinn (* 1999), Fußballspielerin Jannik Brentel (* 2002), Volleyballspieler Persönlichkeiten mit Verbindung zur Stadt Olga Nikolajewna Romanowa (1822–1892), Königin des Königreichs Württemberg, ist in Friedrichshafen gestorben und begraben Thekla Schneider (1854–1936), Schriftstellerin, lebte in Friedrichshafen Wilhelm Peppler (1884–1961), Meteorologe, Leiter des Aerologischen Observatoriums (Drachenstation) Edwin Grünvogel (1890–1970), Geologe und Naturschützer, Lehrer am Graf-Zeppelin-Gymnasium Richard Wagner (1893–1935), Pilot, lebte in Friedrichshafen Fridolin Endraß (1893–1940), Gewerkschaftsfunktionär und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime Jean Raebel (1900–1985), Unternehmer André Ficus (1919–1999), Maler, lebte in Friedrichshafen Kurt Prokscha (1919–1998), Dirigent Maria Beig (1920–2018), Schriftstellerin, lebte längere Zeit hier und starb in Friedrichshafen Martin Walser (1927–2023), Schriftsteller, lebte in Friedrichshafen Benny Golson (* 1929), US-amerikanischer Saxophonist, mit Zweitwohnsitz in Friedrichshafen Gunther Jauss (1936–2016), Architekt Peter Sattmann (* 1947), Schauspieler Stelian Moculescu (* 1950), Volleyballtrainer Stephan Jansen (* 1971), Wirtschaftswissenschaftler Literatur Martin Ebner: Die Entnazifizierung von Zeppelin, Maybach, Dornier & Co. Magisterarbeit, Universität Konstanz 1996. Ernst Haller: Mühlen – in und um Friedrichshafen. Verlag Robert Gessler, Friedrichshafen 2010, ISBN 978-3-86136-138-1. Ernst Haller: Seewein – Die Geschichte des Weinbaus in und um Friedrichshafen. Robert Gessler Verlag, Friedrichshafen 2005, ISBN 3-86136-099-3. Ernst Haller: Fasnachtszeiten. Brauchtum von Buchhorn bis Friedrichshafen. Verein zur Pflege des Volkstums Friedrichshafen e. V., 1997. Erich Keyser (Hrsg.): Friedrichshafen, Landkreis Tettnang. In: Deutsches Städtebuch. Band 4,2 Teilband Baden-Württemberg: Württembergisches Städtebuch. Kohlhammer, Stuttgart 1961. Fritz Maier: Friedrichshafen. Robert Gessler Verlag, Friedrichshafen; Bd. 1: Die Geschichte der Stadt bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. 1983, ISBN 3-922137-22-9. Bd. 2: Die Geschichte der Stadt vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 1994, ISBN 3-922137-46-6. Bd. 3: Stadtgeschichte(n) – Erinnerungen an Vorgestern und Gestern. Von der Nachkriegszeit bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts. 2004, ISBN 3-86136-085-3. Johann Daniel Georg von Memminger: Beschreibung des Oberamts Tettnang. Cotta, Stuttgart / Tübingen 1838 (Volltext bei Wikisource). Hans Schlieper: Eisenbahntrajekte über Rhein und Bodensee. Alba Verlag, Düsseldorf 2009, ISBN 978-3-87094-369-1. Siegfried Seibold: Mein Weg – Kriegs- und Nachkriegszeit 1939–1955. Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge, Kassel 2012 (Zeitzeugenbericht Zweiter Weltkrieg und danach in Friedrichshafen). Weblinks Internetpräsenz der Stadt Friedrichshafen Einzelnachweise Ort im Bodenseekreis Kreisstadt in Baden-Württemberg Große Kreisstadt in Baden-Württemberg Friedrich (Württemberg) Gemeindegründung 1811 Deutsche Universitätsstadt Ort am Bodensee
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fichten
Fichten
Die Fichten (Picea) bilden die einzige Gattung der Unterfamilie Piceoideae innerhalb der Pflanzenfamilie der Kieferngewächse (Pinaceae). Die einzige in Mitteleuropa heimische Art ist die Gemeine Fichte (Picea abies), die wegen ihrer schuppigen, rotbraunen Rinde in manchen Regionen auch als „Rottanne“ bezeichnet wird. Beschreibung und Ökologie Erscheinungsbild und Merkmale Picea-Arten sind immergrüne und einstämmige Bäume. Sie erreichen in der Regel Wuchshöhen von etwa 30 bis 50 Metern, in Ausnahmefällen über 80 Metern, wie etwa Picea sitchensis. Die Baumkrone ist kegelförmig bis walzlich. Der Stammdurchmesser beträgt bis zu 1 Metern, maximal bis 2,5 Metern; bei einzelnen Arten treten Extremwerte von bis zu 4 Metern auf. Ein strauchförmiger Wuchs kommt nur unter besonderen Standortsbedingungen oder bei Mutanten vor. Für alle Picea-Arten charakteristisch ist eine monopodiale, akroton (an den oberen bzw. äußeren Knospen) geförderte Verzweigung. Dies führt zu einem etagenartigen Kronenaufbau und einer spitzwipfeligen Krone. Die Seitensprosse erster Ordnung stehen in Astquirlen in scheinquirliger Anordnung und bilden so einzelne „Stockwerke“. Fichten können mehrere hundert Jahre alt werden, so erreicht beispielsweise die Gemeine Fichte (Picea abies) ein Lebensalter von bis zu 300 Jahren. Mit zunehmendem Alter tritt vermehrt proventive Triebbildung auf: An älteren Zweigen treiben schlafende Knospen aus. Bei älteren Bäumen können diese einen wesentlichen Teil der Zweige und Nadelmasse der Krone aufbauen. Kronenform und Sprosssystem variieren je nach Umweltbedingungen und sind zum Teil auch genetisch bedingt. Beim Verzweigungstyp unterscheidet man mehrere Formen: Bei der Plattenfichte sind auch die Seitensprosse höherer Ordnung horizontal angeordnet, so dass die Etagen einzelne „Platten“ bilden (besonders bei Picea pungens, Picea torano). Bei Kammfichten hängen die Seitensprosse ab der zweiten Ordnung wie ein Vorhang lang herab (zum Beispiel besonders bei Picea breweriana, Picea smithiana). Bürstenfichten sind eine Zwischenform, bei der die Seitenzweige nach allen Seiten abstehen. Jungfichten weisen meist eine plattige Verzweigung auf. Die Kammform stellt sich meist erst ab 30 Jahren ein. Schmalkronigkeit, wie sie bei den sogenannten „Spitzfichten“ auftritt, kann wie bei Picea omorika artspezifisch, also genetisch fixiert sein. Sie kann aber auch bei spezifischen Ökotypen oder Mutanten („Spindelfichten“) auftreten. Meistens ist sie jedoch eine Standortmodifikation („Walzenfichten“) unter hochmontan-subalpinen oder boreal-subarktischen Klimabedingungen. Diese Modifikation tritt auch bei der in Mitteleuropa heimischen Gemeinen Fichte (Picea abies) auf. Sämlinge besitzen meist vier bis neun (bis zu 15) Keimblätter (Kotyledonen). Zweige und Knospen Junge Zweige besitzen feine Furchen. Diese befinden sich zwischen erhabenen Rücken, die durch die Abfolge der „Blattpolster“ (Pulvini) gebildet werden. Diese Blattpolster werden entweder als Achsenprotuberanzen oder als Blattgrund gedeutet. Sie enden nach oben in einem stielähnlichen Fortsatz. Dieser Fortsatz („Nadelstielchen“) ist rindenfarbig und steht vom Zweig ab, wodurch dieser raspelartig aussieht. Dem Nadelstielchen sitzt die eigentliche Nadel auf. Diese beiden Merkmale – Furchen und abstehende Nadelstielchen – sind für die Gattung Picea spezifisch. Knospen sind vielfach ei- bis kegelförmig. Sie sind je nach Art mehr oder weniger stark verharzt. Die Knospenmerkmale sind für die jeweilige Art charakteristisch. Blütenknospen und die in den basalen Teilen auftretenden Proventivknospen weichen jedoch oft von diesen artcharakteristischen Merkmalen ab. Nadeln Picea-Arten besitzen die für Koniferen typischen immergrünen, nadelförmigen Blätter, die in der Regel einen recht xeromorphen Bau aufweisen. Die Nadeln sind vom rindenfarbenen „Nadelstielchen“ (Blattkissen) durch eine Trennschicht abgegrenzt. Hier löst sich die Nadel nach dem Absterben ab: Die Nadel schrumpft an der Kontaktfläche aufgrund von Wasserverlust, das verholzte Blattkissen hingegen nicht. Im Normalfall bleiben die Nadeln sechs bis 13 Jahre auf den Zweigen, bei Stress fallen sie eher ab. Die Morphologie und Anatomie der Nadeln sind wesentliche Merkmale für die Unterscheidung der einzelnen Fichtenarten: Nadelquerschnitt, Mesophyllstruktur, Anordnung der Spaltöffnungen (Stomata) und der Harzkanäle. Die Nadeln der einzelnen Arten entsprechen in der Regel einem von folgenden zwei Typen: äquifazial/amphistomatisch: die Nadeln sind im Querschnitt ± viereckig, etwa so hoch wie breit oder sogar höher. Die Stomata sind allseitig verteilt, die Nadeln allseitig gleich gefärbt. invers-dorsiventral/epistomatisch: die Nadeln sind dorsiventral abgeflacht, breiter als hoch. Auf der Blattunterseite fehlen die Stomatalinien und sind nur auf der Oberseite als weiße Streifen sichtbar. Die Nadeln sind daher zweifarbig. Bei den Seitenzweigen der Picea-Arten sind die Oberseiten der Nadeln jedoch nach unten gerichtet, sodass die weißen Streifen scheinbar auf den Nadelunterseiten stehen. Die Nadeln sind meist 1 bis 2 Zentimeter lang und spitz oder zugespitzt, bei manchen Arten sogar scharf und stechend (zum Beispiel Picea pungens). Die Nadeln sind an den Zweigen spiralig angeordnet. Dennoch gibt es artspezifische Unterschiede, wie die Nadeln an den horizontal wachsenden (plagiotropen) Seitenzweigen angeordnet sind: Sie können ringsum vom Zweig abstehen wie etwa bei Picea asperata und Picea pungens, oder an der Zweigunterseite streng (Picea glehnii) oder schwach (Picea schrenkiana) gescheitelt sein. Blüten, Zapfen und Samen Picea-Arten sind einhäusig getrenntgeschlechtig (monözisch), das heißt, es gibt weibliche und männliche Blütenorgane getrennt voneinander an einem Baum. Nur ausnahmsweise kommen auch zweigeschlechtige Blüten bzw. Blütenstände vor. Die Blütenstände werden an vorjährigen Seitensprossen gebildet. Blühreife tritt im Alter von 10 bis 40 Jahren ein. Die Blütezeit findet im Zeitraum April bis Juni statt. Die männlichen Blüten stehen einzeln, sind länglich-eiförmig und 1 bis 2 Zentimeter lang. Anfangs sind sie purpurn bis rosa, zur Reife gelb. Der Pollen hat zwei Luftsäcke. Die Bestäubung erfolgt durch den Wind (Anemophilie). Die weiblichen Blütenzapfen entstehen meist aus endständigen Knospen. Sie sind zunächst aufrecht, krümmen sich jedoch nach der Befruchtung nach unten. Unreife Zapfen sind grün, rot bis dunkelblau und schwarzviolett gefärbt. Bei manchen Arten gibt es sogar einen Farbdimorphismus, der mit einem Selektionsvorteil rot/purpurn gefärbter Zapfen in alpinen/borealen Gebieten erklärt wird. Die Zapfen reifen zwischen August und Dezember und sind dann meist braun, eiförmig bis zylindrisch. Der Samen fällt zwischen August und Winter, teilweise erst im nächsten Frühjahr aus, wird also durch den Wind verbreitet. Danach werden die Zapfen als Ganzes abgeworfen. Die Zapfen sind 2 bis 20 Zentimeter lang. Die Deckschuppen sind immer kürzer als die Samenschuppen und deshalb am Zapfen nicht sichtbar. Die Samen sind mit einer Länge von 3 bis 6 Millimetern relativ klein. Fertile Samen sind dunkelbraun bis schwarz, unfruchtbare Samen sind heller. Ihre Flügel sind hell, gelb- oder rosa-braun und etwa 6 bis 15 Millimeter lang. Verbreitung und Standortbedingungen Die Gattung Picea ist holarktisch verbreitet. Nur in Mexiko und auf Taiwan reicht ihr Verbreitungsgebiet bis zum nördlichen Wendekreis. Verschiedene Picea-Arten sind bestandsbildend in der borealen Nadelwaldzone und in der Nadelwaldstufe vieler Gebirge in den klimatisch temperaten, submeridionalen und meridionalen Teilen Eurasiens und Nordamerikas. In Nordamerika kommen etwa sieben Arten vor; eine Art ist dort ein Neophyt. Viele der asiatischen Arten sind in den Gebirgen der submeridionalen und meridionalen Zonen vertreten. Hier finden sich etliche Endemiten mit eng umrissenen Arealen. In China und Zentralasien kommen mehrere Arten in den kontinentalen Gebirgen im östlichen Tibet sowie Turkestan vor. Sie bilden ein pflanzengeographisches Bindeglied zur Sibirischen Fichte (Picea obovata), deren Areal von Ostsibirien und der Mongolei bis westlich des Urals reicht. Westlich davon schließt die in Europa heimische Gemeine Fichte an. Die Parallelarten zur Picea obovata in Nordamerika sind Picea glauca und Picea mariana, die ebenfalls einen breiten Waldgürtel in der borealen Zone bilden. In den Rocky Mountains sind einige kontinental verbreitete Arten heimisch, etwa Picea engelmannii und Picea chihuahuana, die bis Mexiko reicht. Ozeanisch verbreitete Arten gibt es in Nordamerika nur zwei (Picea breweriana und Picea rubens). Picea-Arten sind generell anspruchslos bei der Nährstoffversorgung. Die ozeanisch verbreiteten Arten brauchen aber feuchte und zugleich gut durchlüftete Böden. Staunässe wird von Picea-Arten nicht vertragen. 2008 wurde unter einer heute als Old Tjikko bekannten Fichte in der Provinz Dalarna in Schweden Wurzelholz gefunden, das auf ein Alter von 9.550 Jahre datiert wurde und genetisch identisch mit dem darüber wachsenden Baum sein soll. Nutzung Fichten zählen auf der Nordhalbkugel zu den wichtigsten forstwirtschaftlich genutzten Baumarten. Nur in Resten werden noch Naturwälder genutzt, meist sind es bewirtschaftete oder künstlich geschaffene Monokulturen. In Mitteleuropa ist die Gemeine Fichte der Brotbaum der Forstwirtschaft. Ausschlaggebend sind hier wie auch bei den anderen Arten der gerade Wuchs, das rasche Wachstum, die geringen Ansprüche an den Standort und die gute Verwendbarkeit des Holzes. Die Fichte liebt eher kühle Lagen, wie z. B. die Bergregionen. Durch die flache Wurzel ist sie anfällig für Trockenschäden. Im Zuge der globalen Erwärmung und des dadurch vielerorts trockeneren Waldbodens ist ein Teil der Fichten geschwächt, von Borkenkäfern befallen und/oder bereits abgestorben. Fichten sind gegen Borkenkäfer anfälliger als andere Nadelbäume, weil ihre Rinde relativ dünn ist und weil sie wenig(er) Harz haben. Fichtenholz wird vor allem genutzt zur Papier- und Zellstoffherstellung, als Bauholz, als Möbelholz und als Brennholz. Als Schnittholz wird Fichtenholz in der Regel gemeinsam mit Tannenholz als Mischsortiment Fichte/Tanne gehandelt und verwendet. Fichtenstämme werden zu Rundholz, Schnittholz (Bretter und Brettschichthölzer) und als Furnierholz verarbeitet. Es ist das wichtigste Holz für die Herstellung von Holzwerkstoffen wie Sperrholz, Leimholz, Spanplatten und Faserplatten. Gleichmäßig gewachsene Stämme aus dem Hochgebirge werden zu Brettern gesägt, aus denen man Resonanzböden von Tasteninstrumenten und Resonanzdecken von Streichinstrumenten und Zupfinstrumenten herstellt. Fichtenwälder in Steillagen können talwärts liegende Flächen vor Lawinen und Steinschlag schützen (→ Schutzwald). Einige Arten werden auch als Ziergehölze in Parks und Gärten gepflanzt und als Weihnachtsbäume verwendet. Namensherkunft Das Wort wurde von den Römern im Sinne von ‚harzhaltiges Holz: Fichte‘ verwendet (Vergil, Aeneis. 6,180), aber auch, wenn die Gemeine Kiefer gemeint war (Plinius der Ältere, Naturalis historia 16,40ff.). Es ist eine Substantivierung des Adjektivs , das zu , Genitiv , gehört, ‚Pech‘, ‚Harz‘. Dieses wird auf die indogermanische Wurzel *pik- ‚Pech‘, ‚Harz‘ zurückgeführt. Dieser Wurzel nahe steht die Wurzel *pit- ‚Fichte‘. Beide Wurzeln werden meist mit den indogermanischen Wörtern für ‚Fett‘, ‚Saft‘, ‚Trank‘ in Verbindung gebracht. Es ist jedoch auch eine Verbindung mit *(s)pik-, *(s)pit- ‚spitz‘, ‚stechend‘ denkbar. Evolution und Systematik Fossile und molekularbiologische Daten deuten darauf hin, dass die Gattung Picea in Nordamerika entstand. Die ältesten Fossilien (Pollen) stammen aus dem Paläozän Montanas (USA). Aus dem Eozän sind viele Zapfenfossilien bekannt, allerdings nur aus Nordamerika. Die frühesten Fossilien Asiens stammen aus dem Oligozän, Europas aus dem Pliozän. Über die Bering-Route dürfte die Gattung in ein oder zwei Wellen nach Asien und von da weiter nach Europa gelangt sein. Der Ursprung der Gattung liegt vermutlich in der späten Kreide oder im frühen Tertiär. Die Gattung Picea bildet alleine die Unterfamilie Piceoideae. Die Monophylie der Gattung ist bislang unbestritten. Die nächsten Verwandten innerhalb der Familie sind die Gattungen Cathaya und Pinus. Die Systematik innerhalb der Gattung wird klassischerweise primär auf der Basis von Zapfenmerkmalen, sekundär von Nadelmerkmalen aufgestellt. Eine weitgehend anerkannte Systematik stammt von Schmidt 1989; auf ihr basiert die hier angeführte Systematik in der Fassung von Schmidt 2004. Auch Aljos Farjon folgte 1990 dieser Gliederung, wenngleich er die Taxa unterhalb der Gattung eine Stufe niedriger ansetzte. Arbeiten (Ran et al. 2006) auf [[Molekularbiologie<molekularbiologischer]] Basis stellten diese auf morphologischer Grundlage entwickelte Systematik berechtigt in Zweifel, machten aber keine neuen Vorschläge für eine [[Phylogenetik<phylogenetische]] Systematik. Nach der Systematik von Schmidt 2004 gibt es 35 Arten. Andere Autoren geben 28 bis 56 Arten an: Untergattung Picea (Morinda-Zapfen): Sektion Omorika: Sargent-Fichte (Picea brachytyla ) Siskiyou-Fichte (Picea breweriana ): Sie gedeiht in montanen bis subalpinen Wäldern in Höhenlagen von 1000 bis 2300 Metern nur in den Siskiyou-Bergen in den westlichen US-Bundesstaaten Kalifornien sowie Oregon. Picea farreri Serbische Fichte (Picea omorika ) Sikkim-Fichte (Picea spinulosa ) Sektion Picea: Untersektion Marianae : Serie Orientales : Kaukasus-Fichte (Picea orientalis ) Serie Rubentes : Sachalin-Fichte (Picea glehnii ) Schwarz-Fichte (Picea mariana ) Amerikanische Rot-Fichte (Picea rubens ) Untersektion Picea Serie Politae : Alcocks-Fichte (Picea alcoquiana , Syn.: Picea bicolor hort. ex ) Maximowiczs Fichte (Picea maximowiczii ) Tigerschwanz-Fichte (Picea torano , Syn.: Abies torano , Abies polita nom. illeg., Pinus polita , Picea polita ): Der Name Picea polita wird zwar relativ oft verwendet ist aber nicht gültig veröffentlicht. Sie gedeiht im Gebirge in Höhenlagen von meist 600 bis 1700 (400 bis 1850) Metern auf Böden über Vulkangestein auf japanischen Inseln: von der pazifischen Seite des zentralen Honshū (westlich der Präfektur Fukushima), auf Shikoku sowie Kyūshū. Sie wird in China kultiviert. Serie Smithianae : Taiwan-Fichte (Picea morrisonicola ) Schrenks Fichte (Picea schrenkiana ) Himalaja-Fichte (Picea smithiana ) Wilsons Fichte (Picea wilsonii ) Serie Asperatae : Picea asperata agg. Borsten-Fichte (Picea asperata ) Picea aurantiaca Picea crassifolia Picea meyeri Picea neoveitchii Picea retroflexa Chihuahua-Fichte (Picea chihuahuana ) Serie Picea: Picea koraiensis Koyama-Fichte (Picea koyamae ) Sibirische Fichte (Picea obovata ) Gemeine Fichte (Picea abies ) Serie Glaucae : Weiß-Fichte (Picea glauca ) Untergattung Casicta (Casicta-Zapfentyp): Sektion Sitcha : Serie Ajanenses : Ajan-Fichte (Picea jezoensis ) Sitka-Fichte (Picea sitchensis ) Serie Likiangenses : Picea likiangensis agg. Likiang-Fichte (Picea likiangensis ) Picea linzhiensis Purpur-Fichte (Picea purpurea ) Sektion Pungentes : Engelmann-Fichte (Picea engelmannii ): Es gibt zwei Varietäten: Picea engelmannii var. engelmannii (Syn.: Picea glauca subsp. engelmannii , Picea columbiana , Picea engelmannii var. glabra ): Sie gedeiht in montanen bis subalpinen Wäldern in Höhenlagen von 1000 bis 3000 Metern von den kanadischen Provinzen Alberta sowie British Columbia über die US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien, Colorado, Idaho, Montana, Nevada, New Mexico, Oregon, Utah, Washington, Wyoming bis Mexiko. Picea engelmannii var. mexicana (Syn.: Picea mexicana , Picea engelmannii subsp. mexicana , Picea engelmannii subsp. mohinorsensis , Picea engelmannii var. mohinorsensis ): Sie kommt nur in den mexikanischen Bundesstaaten südliches Chihuahua sowie Nuevo León vor. Stech-Fichte (Picea pungens , Syn.: Picea parryana ): Sie gedeiht in mittleren montanen Wäldern in Höhenlagen von 1800 bis 3000 Metern in den US-Bundesstaaten Arizona, Colorado, Idaho, New Mexico, Utah sowie Wyoming. Quellen Literatur P. A. Schmidt: Picea. In: Schütt, Weisgerber, Schuck, Lang, Stimm, Roloff: Lexikon der Nadelbäume. Nikol, Hamburg 2004, ISBN 3-933203-80-5, S. 265–278. Einzelnachweise Weblinks Weiterführende Literatur Jin-Hua Ran, Ting-Ting Shen, Wen-Juan Liu, Pei-Pei Wang, Xiao-Quan Wang: Mitochondrial introgression and complex biogeographic history of the genus Picea. In: Molecular Phylogenetics and Evolution, Volume 93, 2015, S. 63–76. Baum
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Fusion
Fusion (von lateinisch fusio „Schmelze, Guss“) oder Verschmelzung steht für: Fusion (Völkerrecht), Zusammenschluss von Staaten; Fusion (Wirtschaft), Zusammenschluss von zwei oder mehreren zu einem Unternehmen Kernfusion, Kernreaktion, bei der zwei Atomkerne zu einem einzigen Kern verschmelzen Zellfusion, Verschmelzen biologischer Zellen Fusion international, gemeinnützige Organisation Verschmelzung der wahrgenommenen Bilder von rechtem und linkem Auge zu einem, siehe Binokularsehen #Fusion Verschmelzung (Psychologie), eine Entfremdung des Subjekts von sich selber Verschmelzung (Grammatik), Zusammenziehung von Wörtern verschiedener Wortarten Verschmelzung mehrerer Flurstücke zu einer Einheit, siehe Kataster #Fortführung Technik: Black Magic Fusion, Compositing Software Fusion (Softwaretechnik), objektorientierte Methodik der Datenverarbeitung AMD Fusion, Prozessordesign von AMD NetObjects Fusion, HTML-Editor für Microsoft Windows Ford Fusion (Europa), Automodell Ford Fusion (Vereinigte Staaten), Automodell Fusion-Klasse, Fährschiffsklasse Musik: Fusion (Musik), Musikstil aus Jazz, Funk und Rockmusik Fusion (Jazzband), deutsche Jazzband (1977–1987) Fusion (R&B-Band), ehemalige deutsche Band (1998–2000) Fusion Festival, Freiluft-Musikfestival in Lärz, Mecklenburg-Vorpommern Siehe auch: Fusionsküche (Kochen) fusionaler Sprachbau (Affigierung) Gemeindefusionen in der Schweiz
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Franz Kafka
Franz Kafka (tschechisch gelegentlich František Kafka, jüdischer Name: ; * 3. Juli 1883 in Prag, Österreich-Ungarn; † 3. Juni 1924 in Kierling, Österreich) war ein deutschsprachiger Schriftsteller. Sein Hauptwerk bilden neben drei Romanfragmenten (Der Process, Das Schloss und Der Verschollene) zahlreiche Erzählungen. Kafkas Werke wurden zum größeren Teil erst nach seinem Tod und gegen seine letztwillige Verfügung von Max Brod veröffentlicht, einem engen Freund und Vertrauten, den Kafka als Nachlassverwalter bestimmt hatte. Kafkas Werke werden zum Kanon der Weltliteratur gezählt. Seine Art der Schilderung von unergründlich bedrohlichen und absurden Situationen hat zur Bildung des auch im außerliterarischen Kontext verwendeten Adjektivs „kafkaesk“ geführt. Leben Herkunft Franz Kafkas Eltern Hermann Kafka und Julie Kafka, geborene Löwy (1856–1934), entstammten bürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilien. Der Familienname leitet sich vom Namen der Dohle, tschechisch , polnisch ab. Der Vater kam aus dem Dorf Wosek in Südböhmen, wo er in einfachen Verhältnissen aufwuchs. Er musste als Kind die Waren seines Vaters, des Schächters Jakob Kafka (1814–1889), in umliegende Dörfer ausliefern. Später arbeitete er als reisender Vertreter, dann als selbstständiger Grossist mit Galanteriewaren in Prag. Julie Kafka gehörte einer wohlhabenden Familie aus Podiebrad an, verfügte über eine umfassendere Bildung als ihr Mann und hatte Mitspracherecht in dessen Geschäft, in dem sie täglich bis zu zwölf Stunden arbeitete. Neben den Brüdern Georg und Heinrich, die bereits als Kleinkinder verstarben, hatte Franz Kafka drei Schwestern, die später deportiert wurden, vermutlich in Konzentrationslager oder Ghettos, wo sich ihre Spuren verlieren: Gabriele, genannt Elli (1889–1942?), Valerie, genannt Valli (1890–1942?), und Ottilie „Ottla“ Kafka (1892–1943). Da die Eltern tagsüber abwesend waren, wurden alle Geschwister im Wesentlichen von wechselndem, ausschließlich weiblichem Dienstpersonal aufgezogen. Kafka gehörte zur Minderheit der Bevölkerung Prags, deren Muttersprache Deutsch war. Außerdem beherrschte er wie seine Eltern Tschechisch. Als Kafka geboren wurde, war Prag Teil des Habsburger Reiches in Böhmen, wo zahlreiche Nationalitäten, Sprachen und politische und soziale Strömungen sich mischten und recht und schlecht nebeneinander bestanden. Für Kafka, einen gebürtigen Böhmen deutscher Sprache, in Wirklichkeit weder Tscheche noch Deutscher, war es nicht leicht, eine kulturelle Identität zu finden. Sein Verhältnis zu seiner Heimatstadt beschreibt er so: „Prag lässt nicht los. […] Dieses Mütterchen hat Krallen.“ Während sich Kafka in Briefen, Tagebüchern und Prosatexten umfangreich mit seinem Verhältnis zum Vater auseinandersetzte, stand die Beziehung zu seiner Mutter eher im Hintergrund. Allerdings gibt es gerade aus der mütterlichen Linie eine große Anzahl von Verwandten, die sich in Kafkas Figuren wiederfinden, zu nennen sind hier Junggesellen, Sonderlinge, Talmudkundige und explizit der Landarzt Onkel Siegfried Löwy, der Vorbild für die Erzählung Ein Landarzt war. Kindheit, Jugend und Ausbildung Von 1889 bis 1893 besuchte Kafka die Deutsche Knabenschule am Fleischmarkt in Prag. Anschließend ging er, entsprechend dem väterlichen Wunsch, auf das ebenfalls deutschsprachige humanistische Staatsgymnasium in der Prager Altstadt, Palais Goltz-Kinsky, das sich im selben Gebäude wie das Galanteriegeschäft der Eltern befand. Zu seinen Freunden in der Oberschulzeit gehörten Rudolf Illowý, Hugo Bergmann, Ewald Felix Příbram, in dessen Vaters Versicherung er später arbeiten sollte, Paul Kisch sowie Oskar Pollak, mit dem er bis in die Universitätszeit befreundet blieb. Kafka galt als Vorzugsschüler. Dennoch war seine Schulzeit von großen Versagensängsten überschattet. Väterliche Drohungen, Warnungen der Hausangestellten, die ihn betreuten, und extrem überfüllte Klassen lösten bei ihm offensichtlich massive von Angst geprägte Verunsicherung aus. Schon als Schüler beschäftigte sich Kafka mit Literatur. Seine frühen Versuche sind jedoch verschollen, vermutlich hat er sie vernichtet, ebenso wie die frühen Tagebücher. 1899 wandte sich der sechzehnjährige Kafka dem Sozialismus zu. Obwohl sein Freund und politischer Mentor Rudolf Illowy wegen sozialistischer Umtriebe von der Schule verwiesen worden war, blieb Kafka seiner Überzeugung treu und trug die rote Nelke am Knopfloch. Nach Ablegen der Reifeprüfung (Matura) im Jahre 1901 mit „befriedigend“ verließ der 18-Jährige zum ersten Mal in seinem Leben Böhmen und reiste mit seinem Onkel Siegfried Löwy nach Norderney und Helgoland. Sein Universitätsstudium, von 1901 bis 1906 an der Deutschen Universität Prag, begann Kafka zunächst mit Chemie; nach kurzer Zeit wechselte er in die juristische Richtung; danach probierte er es mit einem Semester Germanistik und Kunstgeschichte. Im Sommersemester 1902 hörte Kafka Anton Martys Vorlesung über Grundfragen der deskriptiven Psychologie. Dann erwog er sogar 1903 die Fortsetzung des Studiums in München, um schließlich doch beim Studium der Rechte zu bleiben. Programmgemäß schloss er dieses nach fünf Jahren mit der Promotion ab, worauf ein obligatorisches einjähriges unbezahltes Rechtspraktikum am Landes- und Strafgericht folgte. Kafkas intensivste Freizeitbeschäftigung war von Kind an bis in die späteren Jahre das Schwimmen. In Prag waren längs des Moldauufers zahlreiche sogenannte Schwimmschulen entstanden, die Kafka häufig aufsuchte. Im Tagebucheintrag vom 2. August 1914 schreibt er: „Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt – Nachmittag Schwimmschule.“ Berufsleben Nach einer knapp einjährigen Anstellung bei der privaten Versicherungsgesellschaft „Assicurazioni Generali“ (Oktober 1907 bis Juli 1908) arbeitete Kafka von 1908 bis 1922 in der halbstaatlichen „Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag“. Seinen Dienst bezeichnete er oft als „Brotberuf“. Kafkas Tätigkeit bedingte genaue Kenntnisse der industriellen Produktion und Technik. Der 25-Jährige machte Vorschläge zu Unfallverhütungsvorschriften. Außerhalb seines Dienstes solidarisierte er sich politisch mit der Arbeiterschaft; auf Demonstrationen, denen er als Passant beiwohnte, trug er weiterhin eine rote Nelke im Knopfloch. Anfangs arbeitete er in der Unfallabteilung, später wurde er in die versicherungstechnische Abteilung versetzt. Zu seinen Aufgaben zählte das Schreiben von Gebrauchsanleitungen und Technikdokumentationen. Seit 1910 gehörte Kafka als Konzipist zur Betriebsabteilung, nachdem er sich durch den Besuch von Vorlesungen über „Mechanische Technologie“ an der Technischen Hochschule in Prag auf diese Position vorbereitet hatte. Kafka stellte Bescheide aus und bereitete diese vor, wenn es alle fünf Jahre galt, versicherte Betriebe in Gefahrenklassen einzuteilen. Von 1908 bis 1916 wurde er immer wieder zu kurzen Dienstreisen nach Nordböhmen geschickt; häufig war er in der Bezirkshauptmannschaft Reichenberg. Dort besichtigte er Unternehmen, referierte vor Unternehmern und nahm Gerichtstermine wahr. Als „Versicherungsschriftsteller“ verfasste er Beiträge für die jährlich erscheinenden Rechenschaftsberichte. In Anerkennung seiner Leistungen wurde Kafka viermal befördert, 1910 zum Konzipisten, 1913 zum Vizesekretär, 1920 zum Sekretär, 1922 zum Obersekretär. Zu seinem Arbeitsleben vermerkt Kafka in einem Brief: „Über die Arbeit klage ich nicht so, wie über die Faulheit der sumpfigen Zeit“. Der „Druck“ der Bürostunden, das Starren auf die Uhr, der „alle Wirkung“ zugeschrieben wird, und die letzte Arbeitsminute als „Sprungbrett der Lustigkeit“ – so sah Kafka den Dienst. An Milena Jesenská schrieb er: „Mein Dienst ist lächerlich und kläglich leicht […] ich weiß nicht wofür ich das Geld bekomme.“ Als bedrückend empfand Kafka auch sein (von der Familie erwartetes) Engagement in den elterlichen Geschäften, zu denen 1911 die Asbestfabrik des Schwagers hinzugekommen war, die nie recht florieren wollte und die Kafka zu ignorieren suchte, obwohl er sich zu ihrem stillen Teilhaber hatte machen lassen. Kafkas ruhiger und persönlicher Umgang mit den Arbeitern hob sich vom herablassenden Chefgebaren seines Vaters ab. Der Erste Weltkrieg brachte neue Erfahrungen, als Tausende von ostjüdischen Flüchtlingen nach Prag gelangten. Im Rahmen der „Kriegerfürsorge“ kümmerte sich Kafka um die Rehabilitation und berufliche Umschulung von Schwerverwundeten. Dazu war er von seiner Versicherungsanstalt verpflichtet worden; zuvor hatte ihn diese allerdings als „unersetzliche Fachkraft“ reklamiert und damit (gegen Kafkas Intervention) vor der Front geschützt, nachdem er 1915 erstmals als militärisch „voll verwendungsfähig“ eingestuft worden war. Die Kehrseite dieser Wertschätzung erlebte Kafka zwei Jahre später, als er an Lungentuberkulose erkrankte und um Pensionierung bat: Die Anstalt sperrte sich und gab ihn erst nach fünf Jahren am 1. Juli 1922 endgültig frei. Vaterbeziehung Das konfliktreiche Verhältnis zu seinem Vater gehört zu den zentralen und prägenden Motiven in Kafkas Werk. Selbst feinfühlig, zurückhaltend, ja scheu und nachdenklich, beschreibt Franz Kafka seinen Vater, der sich aus armen Verhältnissen hochgearbeitet und es kraft eigener Anstrengung zu etwas gebracht hatte, als durch und durch lebenstüchtige und zupackende, aber eben auch grobe, polternde, selbstgerechte und despotische Kaufmannsnatur. Regelmäßig beklagt Hermann Kafka in heftigen Tiraden seine eigene karge Jugend und die gut versorgte Existenz seiner Nachfahren und Angestellten, die er allein unter Mühen sicherstellt. Die aus gebildeten Verhältnissen stammende Mutter hätte einen Gegenpol zu ihrem grobschlächtigen Mann bilden können, aber sie tolerierte dessen Werte und Urteile. Im Brief an den Vater wirft Kafka diesem vor, eine tyrannische Macht beansprucht zu haben: „Du kannst ein Kind nur so behandeln, wie Du eben selbst geschaffen bist, mit Kraft, Lärm und Jähzorn und in diesem Fall schien Dir das auch noch überdies deshalb sehr gut geeignet, weil Du einen kräftigen mutigen Jungen in mir aufziehen wolltest.“ In Kafkas Erzählungen werden die Vaterfiguren nicht selten als mächtig und auch als ungerecht dargestellt. Die kleine Erzählung Elf Söhne aus dem Landarzt-Band zeigt einen mit all seinen Nachkommen auf unterschiedliche Weise tief unzufriedenen Vater. In der Novelle Die Verwandlung wird der zu einem Ungeziefer verwandelte Gregor von seinem Vater mit Äpfeln beworfen und dabei tödlich verletzt. In der Kurzgeschichte Das Urteil verurteilt der im Verhältnis stark und furchterregend wirkende Vater den Sohn Georg Bendemann zum „Tode des Ertrinkens“ – dieser vollzieht das in heftigen Worten Vorgebrachte in vorauseilendem Gehorsam an sich selbst, indem er von einer Brücke springt. Freundschaften Kafka hatte in Prag einen konstanten Kreis etwa gleichaltriger Freunde, der sich während der ersten Universitätsjahre bildete (Prager Kreis). Neben Max Brod waren dies der spätere Philosoph Felix Weltsch und die angehenden Schriftsteller Oskar Baum und Franz Werfel. Max Brods Freundschaft war für Kafka sein ganzes Erwachsenenleben von großer Bedeutung. Brod glaubte unabänderlich an Kafkas literarisches Genie und hat ihn immer wieder zum Schreiben und Publizieren ermuntert und gedrängt. Er förderte seinen Freund, indem er die erste Buchpublikation beim jungen Leipziger Rowohlt Verlag vermittelte. Als Kafkas Nachlassverwalter verhinderte Brod gegen dessen Willen die Verbrennung seiner Romanfragmente. Zu dem Rowohlt-Verleger Kurt Wolff entstand ein über Jahre andauerndes freundschaftliches Verhältnis. Obwohl Kafkas kleine Werke (Betrachtung, Ein Landarzt, Der Heizer) kein literarischer Erfolg für den Verlag waren, glaubte Kurt Wolff an Kafkas besonderes Talent und regte ihn immer wieder an, ja insistierte hartnäckig, ihm Stücke zur Veröffentlichung zu überlassen. Unter den Freunden Kafkas findet sich auch Jizchak Löwy, ein Schauspieler aus einer chassidischen Warschauer Familie, der Kafka durch seine Kompromisslosigkeit beeindruckte, mit der er seine künstlerischen Interessen gegen die Erwartungen seiner orthodox-religiösen Eltern durchsetzte. Löwy erscheint als Erzähler in Kafkas Fragment Vom jüdischen Theater und wird auch im Brief an den Vater erwähnt. Die engste familiäre Beziehung hatte Kafka zu seiner jüngsten Schwester Ottla. Sie war es, die dem Bruder beistand, als er schwer erkrankte und dringend Hilfe und Erholung brauchte. Beziehungen Kafka hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu Frauen. Einerseits fühlte er sich von ihnen angezogen, andererseits floh er vor ihnen. Auf jeden seiner Eroberungsschritte folgte eine Abwehrreaktion. Kafkas Briefe und Tagebucheintragungen vermitteln den Eindruck, sein Liebesleben habe sich im Wesentlichen als postalisches Konstrukt vollzogen. Seine Produktion an Liebesbriefen steigerte sich auf bis zu drei täglich an Felice Bauer. Dass er bis zuletzt unverheiratet blieb, trug ihm die Bezeichnung „Junggeselle der Weltliteratur“ ein. Als Ursachen für Kafkas Bindungsangst vermutet man in der Literatur neben seiner mönchischen Arbeitsweise (er stand unter dem Zwang, allein und bindungslos zu sein, um schreiben zu können) auch Impotenz (Louis Begley) und Homosexualität (Saul Friedländer), wofür sich jedoch kaum Belege finden. Dass Kafka den Frauen gefiel, sei heute kein Geheimnis mehr, schrieb der Literaturkritiker Volker Hage 2014 in einer Spiegel-Titelgeschichte über Kafka (Heft 40/2014): „Sexuelle Erfahrungen machte er reichlich, nicht nur mit käuflicher Liebe.“ Außerdem: „Anders als ein überholtes Kafka-Bild es will, war er kein lebensabgewandter Mensch.“ An anderer Stelle schreibt Hage: „Die reale Sexualität mit ihren schwer zu kontrollierenden Kräften und inneren Konflikten machte ihm offensichtlich zu schaffen, durchaus im Rahmen einer für sensible Menschen nicht ungewöhnlichen Spannung, frei von pathologischen Zügen. Kafka hat in seinen Tagebüchern und Reiseaufzeichnungen bemerkenswert unbefangen über die körperliche Seite der Liebe gesprochen.“ Kafkas erste Liebe war die 1888 in Wien geborene, fünf Jahre jüngere Abiturientin Hedwig Therese Weiler. Kafka lernte sie im Sommer 1907 in Triesch bei Iglau (Mähren) kennen, wo die beiden ihre Ferien bei Verwandten verbrachten. Obschon die Urlaubsbekanntschaft einen Briefwechsel nach sich zog, blieben weitere Begegnungen aus. Felice Bauer, die aus kleinbürgerlichen jüdischen Verhältnissen stammte, und Kafka trafen einander erstmals am 13. August 1912 in der Wohnung seines Freundes Max Brod. Sie war bei der Carl Lindström AG beschäftigt, die u. a. Grammophone und sogenannte Parlographen herstellte, und stieg dort von der Stenotypistin zur leitenden Angestellten auf. Eine Schilderung dieser ersten Begegnung zwischen Franz und Felice gibt Reiner Stach: Die Briefe an Felice umkreisen vor allem eine Frage: Heiraten oder sich in selbstgewählter Askese dem Schreiben widmen? Nach insgesamt rund dreihundert Schreiben und sechs kurzen Begegnungen kam es im Juni 1914 zur offiziellen Verlobung in Berlin – doch schon sechs Wochen darauf zur Entlobung. Diese war das Ergebnis einer folgenschweren Aussprache am 12. Juli 1914 im Berliner Hotel „Askanischer Hof“ zwischen ihm und Felice in Anwesenheit von Felices Schwester Erna und Grete Bloch. Bei dieser Zusammenkunft wurde Kafka mit brieflichen Äußerungen konfrontiert, die er gegenüber Grete Bloch gemacht hatte und die ihn als Heiratsunwilligen bloßstellten. In seinen Tagebüchern spricht Kafka vom „Gerichtshof im Hotel“. Er lieferte Reiner Stach zufolge die entscheidenden Bilder und Szenen für den Roman Der Process. Es folgte jedoch ein zweites Eheversprechen während eines gemeinsamen Aufenthalts in Marienbad im Juli 1916, bei dem beide eine engere und beglückende intime Beziehung eingingen. Aber auch dieses Verlöbnis wurde – nach dem Ausbruch von Kafkas Tuberkulose (Sommer 1917) – wieder gelöst. Nach dem endgültigen Bruch mit Felice verlobte sich Kafka 1919 erneut, diesmal mit Julie Wohryzek, der Tochter eines Prager Schusters. Er hatte sie während eines Kur-Aufenthalts in der Pension Stüdl im 30 Kilometer von Prag entfernten Dorf Schelesen (Želízy) kennengelernt. In einem Brief an Max Brod beschrieb er sie als „eine gewöhnliche und eine erstaunliche Erscheinung. […] Besitzerin einer unerschöpflichen und unaufhaltbaren Menge der frechsten Jargonausdrücke, im ganzen sehr unwissend, mehr lustig als traurig“. Auch dieses Eheversprechen blieb unerfüllt. Im Laufe des ersten, gemeinsam verbrachten Nachkriegssommers wurde ein Hochzeitstermin festgelegt, jedoch wegen der Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche in Prag verschoben. Im folgenden Jahr trennten sich die beiden. Ein Grund mag die Bekanntschaft zu Milena Jesenská gewesen sein, der ersten Übersetzerin seiner Texte ins Tschechische. Die aus Prag stammende Journalistin war eine lebhafte, selbstbewusste, moderne, emanzipierte Frau von 24 Jahren. Sie lebte in Wien und befand sich in einer auseinandergehenden Ehe mit dem Prager Schriftsteller Ernst Polak. Nach ersten Briefkontakten, die während Kafkas Meraner Aufenthalts im Frühjahr 1920 besonders intensiv waren, kam es zu einem Besuch Kafkas in Wien. Voller Begeisterung berichtete der Zurückgekehrte seinem Freund Brod von der viertägigen Begegnung, aus der sich eine Beziehung mit einigen Begegnungen und vor allem einem umfangreichen Briefwechsel entwickelte. Doch wie schon bei Felice Bauer wiederholte sich auch bei Milena Jesenská das alte Muster: auf Annäherung und eingebildete Zusammengehörigkeit folgten Zweifel und Rückzug. Kafka beendete schließlich die Beziehung im November 1920, woraufhin auch der Briefwechsel abrupt abbrach. Der freundschaftliche Kontakt zwischen den beiden riss allerdings bis zu Kafkas Tod nicht ab. Im Inflationsjahr 1923 schließlich lernte Kafka im Ostseeheilbad Graal-Müritz Dora Diamant kennen. Im September 1923 zogen Kafka und Diamant nach Berlin und schmiedeten Heiratspläne, die zunächst am Widerstand von Diamants Vater und schließlich an Kafkas Gesundheitszustand scheiterten. Nachdem er sich im April 1924 schwerkrank in ein kleines privates Sanatorium im Dorf Kierling bei Klosterneuburg zurückgezogen hatte, wurde er dort von der mittellosen Dora Diamant, die auf materielle Unterstützung aus dem Familien- und Bekanntenkreis Kafkas angewiesen war, bis zu seinem Tod am 3. Juni 1924 gepflegt. Das Urteil In der Nacht vom 22. zum 23. September 1912 gelang es Kafka, die Erzählung Das Urteil in nur acht Stunden in einem Zuge zu Papier zu bringen. Nach späterer literaturwissenschaftlicher Ansicht hat Kafka hier mit einem Schlag thematisch und stilistisch zu sich selbst gefunden. Kafka war elektrisiert durch den noch nie so intensiv erlebten Akt des Schreibens („Nur so kann geschrieben werden, nur in einem solchen Zusammenhang, mit solcher vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele.“). Auch die unverminderte Wirkung der Geschichte nach wiederholtem (eigenem) Vorlesen – nicht nur auf die Zuhörer, sondern auch auf ihn selbst – bestärkte in ihm das Bewusstsein, Schriftsteller zu sein. Das Urteil leitete Kafkas erste längere Kreativphase ein; die zweite folgte rund zwei Jahre später. In der Zwischenzeit litt Kafka volle eineinhalb Jahre, wie später auch, unter einer Periode der literarischen Dürre. Allein schon deshalb blieb für ihn eine Existenz als „bürgerlicher Schriftsteller“, der mit seinem Schaffen sich und dazu noch eine eigene Familie ernähren kann, zeitlebens in unerreichbarer Ferne. Seine beruflichen Verpflichtungen können als Schreibhindernisse nicht allein der Grund gewesen sein, hatte Kafka seine kreativen Hochphasen oft gerade in Zeiten äußerer Krisen bzw. Verschlechterungen der allgemeinen Lebensverhältnisse (etwa im zweiten Halbjahr von 1914 durch den Kriegsausbruch). Überdies wusste Kafka mit seiner Strategie des „Manöver-Lebens“ – was hieß: vormittags Bürostunden, nachmittags Schlafen, nachts Schreiben – seinen Freiraum auch zu verteidigen. Einer anderen gängigen These zufolge war Kafkas Leben und Schreiben nach der Entstehung des Urteils dadurch gekennzeichnet, dass er dem gewöhnlichen Leben entsagte, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Für diese stilisierte Opferung des Lebens liefert er selbst in den Tagebüchern und Briefen reichlich Material. Anders als beim Urteil war allerdings das spätere Schreiben für ihn häufig quälend und stockend; dies gibt folgende Tagebuchaufzeichnung wieder: Judentum und Palästina-Frage Durch Kafkas Bekanntenkreis und vornehmlich durch Max Brods Engagement für den Zionismus wurde die Kafka-Forschung häufig mit der Frage nach dem Verhältnis des Schriftstellers zum Judentum und mit den Kontroversen über die Assimilation der westlichen Juden konfrontiert. Im Brief an den Vater beklagt sich Kafka einerseits in einer längeren Passage über das „Nichts an Judentum“, das ihm in seiner Jugend eingetrichtert wurde, gibt aber gleichzeitig seiner Bewunderung für den jiddischen Schauspieler Jizchak Löwy Ausdruck. Seine Sympathie für die ostjüdische Kultur ist mehrfach dokumentiert. Laut Egon Erwin Kisch fand Kafka in den Volkserzählungen der Chassidim, „vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, eine gewisse Harmonie“. Als Schriftsteller belegte er alles „explizit Jüdische […] mit einem Tabu: der Begriff kommt in seinem literarischen Werk nicht vor“. Gleichwohl interpretiert sein Biograph Reiner Stach die Lufthunde in Kafkas Parabel Forschungen eines Hundes als das jüdische Volk in der Diaspora. Ein bezeichnendes Bild auf seine brüchige religiöse und individuelle Selbsteinschätzung zeigt ein Tagebucheintrag vom 8. Januar 1914: „Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam und sollte mich ganz still, zufrieden damit dass ich atmen kann in einen Winkel stellen“. Zeitweise war Kafka entschlossen, nach Palästina auszuwandern, und er lernte intensiv Hebräisch. Sein sich verschlechternder Gesundheitszustand hinderte ihn an der 1923 ernsthaft geplanten Übersiedlung. Reiner Stach resümiert: „Palästina blieb ein Traum, den sein Körper schließlich zunichte machte.“ Krankheit und Tod Im August 1917 erlitt Franz Kafka einen nächtlichen Blutsturz. Es wurde eine Lungentuberkulose festgestellt; eine Erkrankung, die zur damaligen Zeit nicht heilbar war. Die Symptome besserten sich zunächst wieder, doch im Herbst 1918 erkrankte er an der Spanischen Grippe, die eine mehrwöchige Lungenentzündung nach sich zog. Danach verschlechterte sich Kafkas Gesundheitszustand von Jahr zu Jahr, trotz zahlreicher langer Kuraufenthalte, u. a. in Schelesen (heute Tschechien), Tatranské Matliare (heute Slowakei), Riva del Garda (Trentino im Sanatorium Dr. von Hartungen), Meran (1920) und Graal-Müritz (1923). Während seines Aufenthaltes in Berlin 1923/24 griff die Tuberkulose auch auf den Kehlkopf über, Kafka verlor allmählich sein Sprechvermögen und konnte nur noch unter Schmerzen Nahrung und Flüssigkeit zu sich nehmen. Während eines Aufenthalts im Sanatorium Wienerwald im April 1924 wurde von Dr. Hugo Kraus, einem Familienfreund und Leiter der Lungenheilanstalt, definitiv Kehlkopftuberkulose diagnostiziert. Infolge der fortschreitenden Auszehrung konnten die Symptome nur noch gelindert werden; ein operativer Eingriff war wegen des schlechten Allgemeinzustands nicht mehr möglich. Franz Kafka reiste ab und starb am 3. Juni 1924 im Sanatorium Hoffmann in Kierling bei Klosterneuburg im Alter von 40 Jahren. Als offizielle Todesursache wurde Herzversagen festgestellt. Begraben wurde er auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag-Žižkov. Der schlanke kubistische Grabstein von Franz Kafka und seinen Eltern mit Inschriften in hebräischer Sprache befindet sich rechts vom Eingang, etwa 200 Meter vom Pförtnerhaus entfernt. An der dem Grab gegenüber liegenden Friedhofswand erinnert eine Gedenktafel in tschechischer Sprache an Max Brod. Zur Frage der Nationalität Kafka verbrachte den Hauptteil seines Lebens in Prag, das bis zum Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr 1918 zum Vielvölkerstaat der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn gehörte und dann Hauptstadt der neu gegründeten Tschechoslowakei wurde. Der Schriftsteller selbst bezeichnete sich in einem Brief als deutschen Muttersprachler („Deutsch ist meine Muttersprache, aber das Tschechische geht mir zu Herzen“). Die deutschsprachige Bevölkerung in Prag, die etwa sieben Prozent ausmachte, lebte in einer „inselhaften Abgeschlossenheit“ mit ihrer auch als „Pragerdeutsch“ bezeichneten Sprache. Diese Isoliertheit meinte Kafka auch, wenn er im selben Brief schrieb: „Ich habe niemals unter deutschem Volk gelebt.“ Zudem gehörte er der jüdischen Minderheit an. Schon in der Schule gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen tschechisch- und deutschsprachigen Pragern. Das politische Deutsche Reich blieb für Kafka – etwa während des Ersten Weltkriegs – weit entfernt und fand keinen Niederschlag in seinem Werk. Auch Belege für die Selbstsicht einer österreichischen Nationalität lassen sich nicht finden. Ebenso wenig hatte Kafka einen Bezug zur 1918 gegründeten Tschechoslowakei. Im Unterschied zu seinen deutschböhmischen Vorgesetzten behielt Kafka aufgrund seiner Kenntnis der tschechischen Sprache und seiner politischen Zurückhaltung nach 1918 seine Stellung in der Arbeiter-Versicherungs-Anstalt und wurde sogar befördert. Im amtlichen Schriftverkehr in tschechischer Sprache verwendete er seitdem auch die tschechische Namensform František Kafka, soweit er den Vornamen nicht, wie meist, abkürzte. Das Milieu, in dem Kafka aufwuchs, jenes der assimilierten Westjuden, war betont kaisertreu, weswegen Patriotismus unhinterfragt akzeptiert wurde. Kafka nahm selbst an einer patriotischen Veranstaltung zu Beginn des Ersten Weltkrieges teil und kommentierte diese: „Es war herrlich“. Dabei bezog er sich auf „die Größe des patriotischen Massenerlebnisses“, „die ihn überwältigt habe“. In dieses Bild passt auch, dass er erhebliche Summen an Kriegsanleihen zeichnete. Nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie verstärkten sich die vorher schon kaum verhüllten antideutschen und antisemitischen Ressentiments in der Prager Mehrheitsbevölkerung, und auch Kafka nahm diese wahr und zum Anlass, eigene Migrationspläne zu konkretisieren, ohne dadurch jedoch den zionistischen Ideologen aus seiner Umgebung (z. B. Max Brod) näherzukommen: „Die ganzen Nachmittage bin ich jetzt auf den Gassen und bade im Judenhass. Prašivé plemeno [räudige Brut] habe ich jetzt einmal die Juden nennen hören. Ist es nicht das Selbstverständliche, dass man von dort weggeht, wo man so gehasst wird (Zionismus oder Volksgefühl ist dafür gar nicht nötig)?“ Mutmaßungen über Kafkas sexuelle Orientierungen Eine Aussage Kafkas aus seinen Tagebüchern lautet: „Der Coitus als Bestrafung des Glückes des Beisammenseins. Möglichst asketisch leben, asketischer als ein Junggeselle, das ist die einzige Möglichkeit für mich, die Ehe zu ertragen. Aber sie?“ Sexuelle Begegnungen mit seinen Freundinnen Felice Bauer und Milena Jesenka scheinen für ihn beängstigend gewesen zu sein. Andererseits sind Kafkas Besuche in Bordellen bekannt. Gleichzeitig war Kafka ein Mann mit vielfältigen platonischen Beziehungen zu Frauen in Gesprächen und Briefen, insbesondere bei seinen Kuraufenthalten. In Tagebüchern, Briefen und in seinen Werken werden Frauen häufig als unvorteilhaft beschrieben. Zu nennen ist hier seine ungewöhnliche Sicht auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Die Frauen sind stark, körperlich überlegen, zum Teil gewalttätig. Im Verschollenen erscheinen das Dienstmädchen, das Karl Rossmann regelrecht vergewaltigt, oder die Fabrikantentochter Klara, die ihm einen ungleichen Kampf aufzwingt, oder die monströse Sängerin Brunelda, zu deren Dienst er gezwungen wird. Die Frauen im Schloss sind überwiegend stark und grobschlächtig (mit Ausnahme der zarten, aber eigenwilligen Frieda). Männliche Figuren aber werden mehrfach als schön oder reizend beschrieben. Karl Rossmann, der Verschollene, der schöne Knabe, oder im Schloss der schöne, fast androgyne Bote Barnabas und der reizende Junge Hans Brunswick, der K. helfen will. Homoerotische Ansätze In Tagebucheinträgen Kafkas werden seine Freundschaften zu Oskar Pollak, Franz Werfel und Robert Klopstock thematisiert mit schwärmerischen, homoerotischen Anklängen. In seinem Werk treten homoerotische Anspielungen unverhüllt deutlich hervor. Bereits in einer seiner frühen größeren Erzählungen Beschreibung eines Kampfes, als der Erzähler und ein Bekannter auf einem Hügel ein phantastisches Gespräch über ihre gegenseitige Beziehung und sich daraus ergebende Verwundungen führen. Karl Rossmann im Verschollenen entwickelt zu dem Heizer, den er eben auf dem Schiff kennengelernt hat, eine kaum verständliche Anhänglichkeit. Der Heizer hatte ihn in sein Bett eingeladen. Beim Abschied zweifelt er, dass sein Onkel ihm jemals diesen Heizer würde ersetzen können. Im Schloss dringt K. ins Zimmer des Beamten Bürgel vor. In seiner Ermüdung legt er sich zum Beamten ins Bett, wird auch von diesem willkommen geheißen. Während seines Schlafes träumt er von einem Sekretär als nacktem Gott. Sadomasochistische Phantasien In einem Brief an Milena Jesenska im November 1920 schreibt er: „Ja das Foltern ist mir äußerst wichtig, ich beschäftige mich mit nichts anderem als mit Gefoltert-werden und Foltern.“ Im Tagebuch vom 4. Mai 1913 notiert er: Bereits in der Verwandlung erscheint ein sadomasochistisches Moment. Der riesige Käfer kämpft um das Bild einer Frau mit Pelz, die an die Novelle Venus im Pelz von Sacher-Masoch denken lässt. In der Strafkolonie ist das Foltern mit Hilfe eines „eigentümlichen Apparates“ das Hauptthema. Dabei kommt es zu einer Verschiebung zwischen Opfer (nackter Verurteilter) und Täter (Offizier). Der Offizier glaubt zunächst an die kathartische Wirkung der Folterung durch die ausgefeilte Maschine, die er dem Reisenden vorführt. In seiner Ergriffenheit umarmt der Offizier den Reisenden und legt seinen Kopf auf dessen Schulter. Aber der Reisende ist von dieser Art Rechtsprechung durch Folter in keiner Weise zu überzeugen und bewirkt so einen Urteilsspruch über die Maschine, der der Offizier sich freiwillig unterwirft, indem er sich selbst unter die arbeitende Maschine legt. Aber der Offizier erkennt keine eigene Schuld. Die Prügler-Szene im Prozess ist eine ausgesprochene Sado-Maso-Inszenierung. Da sind zwei Wächter, die wegen K. gefehlt haben. Sie sollen nackt von einem halbnackten Prügler in schwarzer Lederkleidung mit einer Rute geprügelt werden. Diese Prozedur dauert offensichtlich über zwei Tage an. Auch die kleinen Erzählungen wie Der Geier und Die Brücke enthalten quälende, blutrünstige Darstellungen. Einflüsse Aus der Literatur, Philosophie, Psychologie und Religion Kafka sah in Grillparzer, Kleist, Flaubert und Dostojewski seine literarischen „Blutsbrüder“. Unverkennbar ist etwa der Einfluss von Dostojewskis Roman Aufzeichnungen aus dem Kellerloch, der viele Eigenheiten von Kafkas Werk, aber auch zum Beispiel den Gedanken der Verwandlung des Menschen in ein Insekt in der Erzählung Die Verwandlung vorwegnimmt. Nabokov zufolge übte Flaubert den größten stilistischen Einfluss auf Kafka aus; wie dieser habe Kafka wohlgefällige Prosa verabscheut, stattdessen habe er die Sprache als Werkzeug benutzt: „Gern entnahm er seine Begriffe dem Wortschatz der Juristen und Naturwissenschaftler und verlieh ihnen eine gewisse ironische Genauigkeit, ein Verfahren, mit dem auch Flaubert eine einzigartige dichterische Wirkung erzielt hatte.“ Als Maturand (Abiturient) beschäftigte sich Kafka intensiv mit Nietzsche. Besonders Also sprach Zarathustra scheint ihn gefesselt zu haben. Zu Kierkegaard schreibt Kafka in seinem Tagebuch: „Er bestätigt mich wie ein Freund.“ Sigmund Freuds Theorien zum ödipalen Konflikt und zur Paranoia dürften Kafka zwar zeitbedingt zu Ohren gekommen sein, er scheint sich aber für diese Themen nicht interessiert zu haben. Kafka hat sich durch umfangreiche Lektüre intensiv mit der jüdischen Religion auseinandergesetzt. Besonders interessierten ihn religiöse Sagen, Geschichten und Handlungsanleitungen, die ursprünglich mündlich überliefert wurden. Persönlicher Kontakt bestand zu dem jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. In enger Beziehung stand Kafka jedoch auch mit der in Prag präsenten Philosophie von Franz Brentano, über dessen Theorien er gemeinsam mit seinen Freunden Max Brod und Felix Weltsch an der Karls-Universität Vorlesungen von Anton Marty und Christian von Ehrenfels hörte. Die von den Brentanisten entwickelte empirische Psychologie prägte mit ihren Fragestellungen die Poetik des jungen Kafka nachhaltig. Aus dem Kino, dem jiddischen Theater und aus Vergnügungseinrichtungen In einem Brief vom Dezember 1908 äußert Kafka: „[…] wie könnten wir uns sonst am Leben erhalten für den Kinematographen“. Er schreibt 1919 an seine zweite Verlobte Julie Wohryzek, er sei „verliebt in das Kino“. Kafka war aber offensichtlich weniger beeindruckt von Filmhandlungen (entsprechende Äußerungen fehlen in seinen Schriften); vielmehr geben seine Texte selbst eine filmtechnische Sichtweise wieder. Sein Erzählen entwickelt seinen besonderen Charakter durch die Verarbeitung filmischer Bewegungsmuster und Sujets. Es lebt aus den grotesken Bildfolgen und Übertreibungen des frühen Kinos, die literarisch verdichtet hier sprachlich auftreten. Der Film ist in Kafkas Geschichten allgegenwärtig: im Rhythmus des großstädtischen Verkehrs, in Verfolgungsjagden und Doppelgänger-Szenen und in Gebärden der Angst. Diese Elemente sind besonders im Romanfragment Der Verschollene zu finden. Auch in den deftigen Vorführungen des jiddischen Theaters aus Lemberg, die Kafka oft besuchte und mit dessen Mitgliedern er befreundet war, waren viele der genannten Elemente enthalten; Kafka hatte hier einen starken Eindruck von Authentizität. Von Kafkas Interesse an jiddischer Sprache und Kultur in Osteuropa zeugen zwei kleine Werke aus dem Nachlass, nämlich Vom jüdischen Theater und Einleitungsvortrag über Jargon. Bis ca. 1912 hat Kafka auch rege am Nachtleben mit Kleinkunstdarbietungen teilgenommen. Hierzu gehörten Besuche in Cabarets, Bordellen, Varietés u. ä. Eine Reihe seiner späten Erzählungen sind in diesem Milieu angesiedelt; siehe Erstes Leid, Ein Bericht für eine Akademie, Ein Hungerkünstler, Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse. Werke und Einordnung Franz Kafka kann als Vertreter der literarischen Moderne gesehen werden. Er steht neben Schriftstellern wie Rilke, Joyce oder Döblin. Die Romanfragmente Wie in einem Albtraum bewegen sich Kafkas Protagonisten durch ein Labyrinth undurchsichtiger Verhältnisse und sind anonymen Mächten ausgeliefert. Die Literaturkritik spricht von einer „Traumlogik“. Die Gerichtsgebäude in Der Process bestehen aus einem weit verzweigten Gewirr unübersichtlicher Räume, und auch in Der Verschollene (von Brod unter dem Titel Amerika veröffentlicht) sind die seltsam unverbundenen Schauplätze – unter anderem ein Schiff, ein Hotel, das „Naturtheater von Oklahoma“ sowie die Wohnung des Onkels von Karl Roßmann, dem Helden – gigantisch und unüberschaubar. Insbesondere bleiben auch die Beziehungen der handelnden Personen ungeklärt. Im Schloss erzeugt Kafka Zweifel an der Stellung des Protagonisten K. als „Landvermesser“ und dem Inhalt dieses Begriffes selbst und schafft so Interpretationsspielraum. Nur bruchstückhaft erfährt K. und mit ihm der Leser im Laufe des Romans mehr über die Beamten des Schlosses und ihre Beziehungen zu den Dorfbewohnern. Die allgegenwärtige, aber gleichzeitig unzugängliche, faszinierende und bedrückende Macht des Schlosses über das Dorf und seine Menschen wird dabei immer deutlicher. Trotz all seiner Bemühungen, in dieser Welt heimisch zu werden und seine Situation zu klären, erhält K. keinen Zugang zu den maßgeblichen Stellen in der Schlossverwaltung, wie auch der Angeklagte Josef K. im Process niemals auch nur die Anklageschrift zu Gesicht bekommt. Nur im Romanfragment Der Verschollene – auch Das Schloss und Der Process blieben unvollendet –, bleibt die vage Hoffnung, dass Roßmann im fast grenzenlosen, paradiesischen „Naturtheater von Oklahoma“ dauerhaft Geborgenheit finden kann. Die Erzählungen In vielen Erzählungen Kafkas, z. B. Der Bau, Forschungen eines Hundes, Kleine Fabel ist das Scheitern und das vergebliche Streben der Figuren das beherrschende Thema, das oft tragisch-ernst, manchmal aber auch mit einer gewissen Komik dargestellt wird. Ein fast durchgängiges Thema ist das verborgene Gesetz, gegen das der jeweilige Protagonist unwillentlich verstößt oder das er nicht erreicht (Vor dem Gesetz, In der Strafkolonie, Der Schlag ans Hoftor, Zur Frage der Gesetze). Das Motiv des dem Protagonisten verborgenen Codes, der die Abläufe beherrscht, findet sich in den Romanfragmenten Process und Schloss und in zahlreichen Erzählungen. In seinem unvergleichlichen Stil, vor allem in seinen Erzählungen, beschreibt Kafka äußerst deutlich und nüchtern die unglaublichsten Sachverhalte. Die kühle minutiöse Beschreibung der scheinbar legalen Grausamkeit In der Strafkolonie oder die Verwandlung eines Menschen in ein Tier und umgekehrt, wie in Die Verwandlung oder Ein Bericht für eine Akademie, sind kennzeichnend. Kafka hat zu Lebzeiten drei Sammelbände veröffentlicht. Dies sind Betrachtung 1912 mit 18 kleinen Prosaskizzen, Ein Landarzt 1918 mit 14 Erzählungen und Ein Hungerkünstler 1924 mit vier Prosatexten. Versteckte Themen Neben den großen Themen Kafkas, also dem Verhältnis zum Vater, undurchdringliche große Bürokratien oder Grausamkeit eines Systems, gibt es in seinen Werken eine Reihe von anderen Motiven, die immer wieder eher unauffällig auftauchen. Zu nennen ist hier das Zurückweichen vor Leistung und Arbeit. Die Beamten des Schlosses in ihrer vielfachen Müdigkeit und Krankheit, die sie sogar veranlasst, ihre Parteien im Bett zu empfangen und am Morgen, die ihnen zugeteilte Arbeit abzuwehren versuchen. Ähnlich dem Anwalt Huld aus dem Prozess. Die Bergarbeiterschaft in Ein Besuch im Bergwerk, die den ganzen Tag die Arbeit ruhen lässt, um die Ingenieure zu beobachten. Das Stadtwappen erzählt vom Bau eines gigantischen Turmes. Doch er wird nicht begonnen. Es herrscht die Meinung, die Baukunst der Zukunft sei für die tatsächliche Errichtung des Turmes besser geeignet. Spätere Generationen von Bauarbeitern aber erkennen die Sinnlosigkeit des Vorhabens. Beim Bau der Chinesischen Mauer ist, wie der Titel sagt, ebenfalls ein großes Bauprojekt das Thema. Doch die Ausführung besteht, zunächst gewollt und vielfach abgewogen, immer in lückenhaften Mauersegmenten. Da niemand das Gesamtprojekt übersieht, bleibt schließlich unerkannt, ob es zu einer realen Schutzfunktion überhaupt fähig wäre. In Die Prüfung tritt ein Diener auf, der keine Arbeit hat und sich auch nicht dazu drängt. Andere Diener im Herrenhaus scheinen ebenfalls untätig. Ein Prüfender kommt dazu und bescheinigt, dass das Nichtstun und Nichtwissen genau richtig ist. In Der große Schwimmer tritt ein berühmter Schwimmsportler auf, den die großen Feierlichkeiten um seine Person verwirren und der behauptet, gar nicht schwimmen zu können, obwohl er es seit längerem hätte lernen wollen, aber es habe sich keine Gelegenheit dazu gefunden. Humoristische Momente So düster der Roman Der Prozess auch ist, gerade hier gibt es kleine humoristische Einlagen. Beim Vorlesen des Romans soll Kafka vielfach laut gelacht haben. Die Richter studieren Pornohefte statt Gesetzestexte, sie lassen sich Frauen wie prächtige Speisen auf einem Tablett herbeitragen, ein Gerichtsraum hat ein Loch im Boden, ab und zu hängt ein Verteidiger so sein Bein in den darunterliegenden Raum. Dann eine Slapstick-Szene, als alte Beamte neu ankommende Advokaten immer wieder die Treppe hinunterwerfen, diese aber immer wieder hinaufsteigen. Zum Teil sind es nur kleine Szenen, wie im Schloss, als der Landvermesser in winterlicher Nacht seinen Boten trifft, der ihm ein wichtiges Schriftstück des Beamten Klamm überreicht. Als er es lesen will, stehen seine Gehilfen neben ihm und heben und senken in unnützer Weise abwechselnd ihre Lichter über K.s Schulter. Oder wie der Landvermesser die beiden Gehilfen zur Tür hinauswirft, diese aber schnell wieder zum Fenster hereinkommen. Die kleine Erzählung Blumfeld, ein älterer Junggeselle beinhaltet Slapstick und Verfolgung. Der ältere Junggeselle wird verfolgt von zwei kleinen weißen Bällen, die nicht abzuschütteln sind. Zwei kleine eifrige Mädchen aus dem Haus wollen sich der beiden Bälle annehmen. Kafkas Erzählstruktur und Wortwahl Auf den ersten Blick scheint ein Spannungsgegensatz zwischen Thematik und Sprache zu bestehen. Stilistische Entsagung erscheint als Franz Kafkas ästhetisches Prinzip. Die schockierenden Begebenheiten werden in einer schmucklosen, nüchternen Sprache berichtet. Kafkas Stil ist ohne Extravaganzen, Verfremdungen und Kommentare. Sein Ziel ist eine höchstmögliche Steigerung der Wirkung des Textes kraft äußerster Beschränkung der sprachlichen Mittel. Kafka war sehr erfolgreich in seiner Bemühung, einen höchst objektiven Stil zu erreichen. Durch den sachlichen, kühlen Berichtsstil wird das Erstaunliche und Unerklärliche vom Leser als Tatsache hingenommen. Je knapper die Formulierungen ausfallen, desto stärker wird der Leser stimuliert, das Erzählte nachzuvollziehen. Die erzählte Begebenheit wird als dermaßen real suggeriert, dass der Leser gar nicht dazu kommt, über deren (Un-)Möglichkeit nachzudenken. Kafkas Ziel war es, adäquat darzustellen, statt zu verfremden, also Spracharmut zu betreiben. Aus diesem Verhältnis zur Sprache resultiert Kafkas charakteristische Tendenz zu einer Epik ohne einen kommentierenden oder allwissenden Erzähler. Die scheinbare Einfachheit des Kafkaschen Wortgebrauchs ist das Resultat einer strengen Wortwahl, das Ergebnis einer konzentrierten Suche nach dem jeweils eingängigsten und direktesten Ausdruck. Max Brod betonte als Franz Kafkas höchste dichterische Tugend das absolute Bestehen auf der Wahrhaftigkeit des Ausdrucks, das Suchen des einen, völlig richtigen Wortes für eine Sache, diese sublime Werktreue, die sich mit nichts zufriedengab, was auch nur im Geringsten mangelhaft war. Ein weiteres Stilmittel Kafkas ist es, schon im ersten Satz des Werkes die ganze künftige verstörende Problematik konzentriert offenzulegen, wie etwa in Die Verwandlung, Der Verschollene oder Der Process. Mit seinem Stil und seinen befremdlichen Inhalten formt Kafka nicht einfach ein Lebensgefühl nach, sondern schafft eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen, deren Unvergleichlichkeit nicht zuletzt der Begriff des „Kafkaesken“ zu umschreiben versucht. Interpretation Das Deutungsinteresse der Interpreten nach 1945 liegt vielleicht daran, dass seine Texte offen und hermetisch zugleich sind: Einerseits sind sie durch Sprache, Handlung, Bildhaftigkeit und relativ geringen Umfang leicht zugänglich; andererseits ist jedoch ihre Tiefe kaum auszuloten. Albert Camus meinte: „Es ist das Schicksal und vielleicht auch die Größe dieses Werks, daß es alle Möglichkeiten darbietet und keine bestätigt.“ Theodor W. Adorno meint zu Kafkas Werk: „Jeder Satz spricht: deute mich, und keiner will es dulden.“ Abgesehen von der textimmanenten Kritik weisen unterschiedliche Interpretationen von Kafkas Werk u. a. in folgende Richtungen: psychologisch (wie bei entsprechenden Deutungen von Hamlet, Faust oder Stiller), philosophisch (vor allem zur Schule des Existenzialismus), biographisch (z. B. durch Elias Canetti in Der andere Prozess), religiös (ein dominierender Aspekt der frühen Kafka-Rezeption, der heute eher als fragwürdig angesehen wird, u. a. von Milan Kundera) und soziologisch (d. h. den gesellschaftskritischen Gehalt untersuchend). Eine wichtige Frage der Interpretation der Werke Kafkas ist die nach dem Einfluss der jüdischen Religion und Kultur auf das Werk, die schon von Gershom Scholem dahingehend beantwortet wurde, dass Kafka eher der jüdischen als der deutschen Literaturgeschichte zuzuordnen sei. Dieser Deutungshinweis wurde auf breiter Front von Karl E. Grözinger in seiner Publikation Kafka und die Kabbala. Das Jüdische im Werk und Denken von Franz Kafka. Berlin/Wien 2003 aufgenommen. Seine Forschungen haben eine tiefe Verankerung ganzer Romane wie Der Process oder Das Schloss in der jüdisch religiösen Kultur gezeigt, ohne die das Werk kaum adäquat verstanden werden kann. Wenn auch von manchen modernen Autoren bestritten, haben sich Grözingers Auffassungen doch weithin durchgesetzt. Kafka bringt viele Figuren seiner Romane und Erzählungen in Beziehung zum Christentum: Im Process betrachtet Josef K. sehr genau ein Bild von der Grablegung Christi, und im Urteil wird Georg Bendemann auf dem Weg zu seiner Selbstopferung von der Bedienerin mit „Jesus!“ angesprochen. Im Schloss verbringt der Landvermesser K. ähnlich wie Jesus die erste Nacht seines (Roman-)Lebens in einem Gasthaus auf einem Strohsack, und im selben Roman trägt Barnabas, der von allen männlichen Romanfiguren dem Landvermesser am nächsten steht, den Namen eines Juden, dem das Christentum wichtiger wurde als das Judentum (Apostelgeschichte ). Besonders charakteristisch für Kafka sind die häufigen Wiederholungen von Motiven, vor allem in den Romanen und vielen der wichtigsten Erzählungen, zum Teil über alle Schaffensperioden hinweg. Diese Wiederholungsmotive bilden eine Art Netz über das gesamte Werk und können für eine verbindliche Deutung desselben fruchtbar gemacht werden. Zwei der wichtigsten Wiederholungsmotive sind das Motiv „Bett“, ein unerwartbar häufiger Aufenthalts- und Begegnungsort von Figuren, an dem bzw. in dem für viele Protagonisten der Texte das Unheil beginnt und sich fortsetzt, und das Motiv „Türe“ in Form der Auseinandersetzung um ihr Passieren (bekanntestes Beispiel ist das Tor zum Gesetz im Text Vor dem Gesetz, der sogenannten „Türhüterlegende“). Ungeachtet der jeweiligen Interpretationen wird zur Bezeichnung einer auf „rätselhafte Weise bedrohlichen“ Atmosphäre der Begriff des Kafkaesken verwendet, der laut Kundera „als der einzige gemeinsame Nenner von (sowohl literarischen als auch wirklichen) Situationen zu sehen ist, die durch kein anderes Wort zu charakterisieren sind und für die weder Politikwissenschaft noch Soziologie noch Psychologie einen Schlüssel liefern.“ Wirkungsgeschichte Literaturkennern wie Robert Musil, Hermann Hesse, Walter Benjamin oder Kurt Tucholsky war Kafka bereits in den zwanziger Jahren ein Begriff. Weltruhm erlangte sein Werk erst nach 1945, zunächst in den USA und Frankreich, in den 1950er-Jahren dann auch im deutschsprachigen Raum. Heute ist Kafka der meistgelesene Autor deutscher Sprache. Die Kafka-Rezeption reicht bis ins Alltagsleben hinein: So gab es in den 1970er Jahren einen Werbeslogan „Ich trinke Jägermeister, weil ich Kafkas Schloss nicht geknackt habe.“ Kafkas eigene Sichtweise auf sein Werk Zu seinen Lebzeiten war Kafka der breiten Öffentlichkeit unbekannt. Kafka haderte mit sich selbst. Seine Zweifel gingen so weit, dass er seinen Nachlassverwalter Brod anwies, die noch nicht veröffentlichten Texte (darunter die heute berühmten Romanfragmente) zu vernichten. In der zweiten an Brod gerichteten Verfügung vom 29. November 1922 erklärte Kafka: Heute besteht in literarischen Kreisen weitgehend Einigkeit, dass Brod eine segensreiche Entscheidung traf, als er den letzten Willen seines Freundes überging und dessen Werk publizierte. Einen nicht näher bestimmbaren Teil seiner Texte hat Kafka allerdings eigenhändig vernichtet, so dass Brod zu spät kam. Kafka als verbotener Autor Während der Zeit von 1933 bis 1945 war Kafka in der einschlägigen Liste verbotener Autoren während der Zeit des Nationalsozialismus als Erzeuger von „schädlichem und unerwünschtem Schriftgut“ aufgeführt. Seine Werke fielen wie viele andere den Bücherverbrennungen zum Opfer. Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KSČ) rehabilitierte Kafka nach dem Zweiten Weltkrieg nicht, sondern stufte ihn als „dekadent“ ein. In dem Roman Der Process fand man unerwünschte Anklänge an die Denunziationen und Schauprozesse in den Staaten des Ostblocks. Im Allgemeinen identifizierte sich die Tschechoslowakei zur Zeit des Kommunismus kaum mit Kafka, wohl auch, weil er fast ausschließlich in deutscher Sprache geschrieben hatte. Im Mai 1963 hielt der tschechoslowakische Schriftstellerverband zum 80. Geburtstag des Schriftstellers auf Initiative von Eduard Goldstücker eine internationale Kafka-Konferenz im Schloss Liblice bei Prag ab, die sich mit dem damals im Ostblock noch weitgehend abgelehnten Schriftsteller sowie mit dem thematischen Schwerpunkt Entfremdung beschäftigte. Er wurde von vielen Rednern gewürdigt. Diese Konferenz gilt als ein Ausgangspunkt des Prager Frühlings von 1967/68. Aber bereits nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 wurden Kafkas Werke wieder verboten. Die Bedeutung der Konferenz wurde im Jahr 2008 in einer Tagung aufgearbeitet. Heutiges Tschechien Mit der Öffnung Tschechiens zum Westen und dem Zustrom ausländischer Besucher wuchs Kafkas lokale Bedeutung. 2018 gelang es einem Doktoranden der Prager Karls-Universität, eine bis dahin verschollen geglaubte zeitgenössische Werkbeschreibung zu Franz Kafkas Kurzgeschichten Vor dem Gesetz und Ein Bericht für eine Akademie wiederzuentdecken und zu veröffentlichen. Im Jahr 2003 wurde im Prager jüdischen Viertel Josefov auf Initiative der Franz-Kafka-Gesellschaft ein Franz-Kafka-Denkmal errichtet. Die Prager Franz-Kafka-Gesellschaft widmet sich den Werken Kafkas und versucht, das jüdische Erbe Prags wiederzubeleben. Im Kafka-Jahr 2008 (125. Geburtstag) wurde Kafka von der Stadt Prag zur Förderung des Tourismus herausgestellt. Es gibt viele Stätten zur Kafka-Begegnung, Buchläden und Souvenirartikel jeglicher Art. Seit 2005 zeigt das Kafka-Museum auf der Prager Kleinseite (Cihelná 2b) die Ausstellung Die Stadt K. Franz Kafka und Prag. Seit 2014 steht in Prag die kinetische Skulptur Franz-Kafka-Kopf. Internationale Wirkung Bereits 1915 wurde Kafka indirekt mit dem „Theodor-Fontane-Preis für Kunst und Literatur“ ausgezeichnet: Der offizielle Preisträger Carl Sternheim gab das Preisgeld an den noch weitestgehend unbekannten Kafka weiter. Verbürgt ist der große Einfluss Kafkas auf Gabriel García Márquez. Insbesondere von Kafkas Erzählung Die Verwandlung hat García Márquez nach eigener Bekundung den Mut für die Ausgestaltung seines „magischen Realismus“ genommen: Gregor Samsas Erwachen als Käfer, so García Márquez selbst, habe seinem „Leben einen neuen Weg gewiesen, schon mit der ersten Zeile, die heute eine der berühmtesten der Weltliteratur ist“. Kundera erinnert sich in seinem Werk Verratene Vermächtnisse (S. 55) an eine noch präzisere Auskunft von García Márquez zu dem Einfluss Kafkas auf ihn: „Kafka hat mir beigebracht, dass man anders schreiben kann.“ Kundera erläutert: „Anders: das hieß, indem man die Grenzen des Wahrscheinlichen überschreitet. Nicht (in der Art der Romantiker), um der wirklichen Welt zu entfliehen, sondern um sie besser zu verstehen.“ In einem Gespräch mit Georges-Arthur Goldschmidt bezeichnet der Kafka-Biograph Reiner Stach Samuel Beckett als „Kafkas Erbe“. Unter den zeitgenössischen Schriftstellern bezieht sich Leslie Kaplan in ihren Romanen und in Aussagen zu ihrer Arbeitsweise häufig auf Kafka, um die Entfremdung des Menschen, die mörderische Bürokratie, aber auch den Freiheits-Spielraum, den vor allem das Denken und Schreiben eröffnet, darzustellen. Auch abseits künstlerischer Kriterien findet Kafka große Bewunderung. So ist für Canetti Kafka deswegen ein großer Dichter, weil er „unser Jahrhundert am reinsten ausgedrückt hat“. Kafkas Werk hat zur Umsetzung in der bildenden Kunst angeregt: K – Kunst zu Kafka. Ausstellung zum 50. Todestag. Bücherstube am Theater, Bonn 1974. Hans Fronius. Kunst zu Kafka. Mit einem Text von Hans Fronius. Einführung Wolfgang Hilger. Bildtexte Helmut Strutzmann. Edition Hilger und Lucifer Verlag im Kunsthaus Lübeck, Wien und Lübeck 1983, ISBN 3-900318-13-1. Streit um die Handschriften Kafka hatte seinen Freund Max Brod vor seinem Tod gebeten, den Großteil seiner Handschriften zu vernichten. Brod widersetzte sich diesem Willen jedoch und sorgte dafür, dass viele von Kafkas Schriften postum veröffentlicht wurden. 1939, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag, gelang es Brod, die Handschriften nach Palästina zu retten. 1945 schenkte er sie seiner Sekretärin Ilse Ester Hoffe, wie er auch schriftlich festhielt: „Liebe Ester, Bereits im Jahre 1945 habe ich Dir alle Manuskripte und Briefe Kafkas, die mir gehören, geschenkt.“ Nach Brods Tod 1968 erbte sie dessen literaturhistorisch bedeutenden Nachlass, darunter die Korrespondenz Max Brods und wichtige Manuskripte zum Werk Franz Kafkas, mit der Auflage, dass die materiellen Rechte und Ansprüche aus Kafkas Handschriften nach ihrem Tod ihren Erben zufallen sollten, diese aber verpflichtet seien, diesen Teil des Nachlasses „der Bibliothek der Hebräischen Universität Jerusalem oder der Städtischen Bibliothek Tel Aviv oder einem anderen öffentlichen Archiv im Inland oder Ausland“ zu übergeben und wissenschaftlich zugänglich zu machen. Hoffe verkaufte einige dieser Handschriften, darunter Briefe und Postkarten, das Manuskript zu Beschreibung eines Kampfes (heute in Besitz des Verlegers Joachim Unseld) und das Manuskript zum Roman Der Process, das 1988 im Londoner Auktionshaus Sotheby’s für umgerechnet 3,5 Millionen Mark an Heribert Tenschert versteigert wurde. Dieses ist nunmehr im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen. Die übrigen Handschriften schenkte Hoffe noch zu Lebzeiten ihren beiden Töchtern Eva und Ruth Hoffe. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 2007 vereinbarten Eva und Ruth Hoffe, die Handschriften an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach zu verkaufen, was zu einem Streit zwischen den beiden Schwestern und dem Literaturarchiv einerseits und dem Staat Israel, der den rechtmäßigen Platz von Kafkas Handschriften in der Nationalbibliothek Israels sieht, andererseits führte. Israel begründet seinen Anspruch auf die Handschriften mit einem Paragraphen aus Max Brods Testament, obwohl Ester Hoffe die Handschriften als Schenkung von Max Brod erhalten hatte und sie auch ihren Töchtern schenkte und nicht vererbte. Seit 1956 befinden sich sämtliche noch in Hoffes Besitz befindliche Handschriften in Banktresoren in Tel Aviv und Zürich. Am 14. Oktober 2012 entschied ein israelisches Familiengericht, dass die Manuskripte nicht Eigentum der Schwestern Hoffe sind. Kafkas Nachlass soll an die israelische Nationalbibliothek gehen. Eva Hoffe kündigte an, in Berufung zu gehen. Am 7. August 2016 wies der Oberste Gerichtshof Israels in letzter Instanz die Berufung zurück und sprach den Nachlass der israelischen Nationalbibliothek zu. Dan Miron kritisierte dieses Urteil in Ha’aretz scharf, denn mit dem Urteil des Obersten Gerichts würden völlig unangebracht „nationalistisches Denken und lokale Interessen über die universellen und objektiven Interessen der literarischen Kultur“ gestellt. Eva Hoffe kommentierte das Urteil mit den vielsagenden Worten, es zeige und belege den „Willen, Besitz zu ergreifen, nicht Recht zu sprechen“. In der Tat überraschte die Entscheidung angesichts der Tatsache, dass die Bestimmung der Institution, die die Dokumente erhalten sollte, eindeutig den Schlusserben vorbehalten worden war. David Blumenberg, der Direktor der Bibliothek, kündigte an, den Bestand einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da ein Teil der Hinterlassenschaft auch in Banksafes der UBS in Zürich aufbewahrt wurde, war für die Urteilsvollstreckung ein weiterer Gerichtsentscheid erforderlich. Nötig war eine schweizerische Anerkennung des israelischen Urteils, die das Bezirksgericht Zürich Anfang April 2019 erteilte. Auf dieser Basis erst konnte die UBS im Juli 2019 den Inhalt der Safes der israelischen Nationalbibliothek aushändigen. Werke Zu Lebzeiten veröffentlicht 1908 – Betrachtung. (mit acht Prosatexten, die alle 1913 im Prosaband Betrachtung aufgenommen wurden), Hyperion Heft 1, Januar 1908, S. 91–94. 1909 – Ein Damenbrevier. 1909 – Gespräch mit dem Beter. 1909 – Gespräch mit dem Betrunkenen. 1909 – Die Aeroplane in Brescia. 1911 – Richard und Samuel. 1912 – Großer Lärm. 1913 – Betrachtung. (mit 18 Prosatexten, u. a. mit: Der Ausflug ins Gebirge, Der plötzliche Spaziergang). 1913 – Das Urteil. 1913 – Der Heizer. (Erstes Kapitel des Romanfragments Der Verschollene). 1915 – Die Verwandlung.; 1916 – Reihe Der jüngste Tag, Verlag Kurt Wolff, Leipzig, mit einer Schutzumschlagzeichnung von Ottomar Starke. 1915 – Vor dem Gesetz. Bestandteil des Romanfragments Der Process und des Bandes Ein Landarzt. 1917 – Der Kübelreiter. 1918 – Der Mord. (1918; frühere Fassung von Ein Brudermord, der 1919 entstand und im Rahmen des Landarztbandes veröffentlicht wurde). 1918 – Ein Landarzt. 1919 – In der Strafkolonie. 1920 – Ein Landarzt. (Sammelband mit 14 Prosatexten, u. a. mit: Ein Landarzt (Erzählung), Vor dem Gesetz, Eine kaiserliche Botschaft, Ein Brudermord, Ein Bericht für eine Akademie) 1924 – Ein Hungerkünstler. (Erzählung von 1922 und Titel des Sammelbands mit drei weiteren Prosatexten: Erstes Leid, Eine kleine Frau und Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse). Alle 46 Publikationen (zum Teil Mehrfachveröffentlichungen einzelner Werke) zu Lebzeiten Franz Kafkas sind aufgeführt auf den Seiten 300 ff. in Joachim Unseld: Franz Kafka. Ein Schriftstellerleben. Die Geschichte seiner Veröffentlichungen. ISBN 3-446-13554-5. Posthum veröffentlicht Erzählungen und andere Texte In Klammern das Jahr der Entstehung. Die Romanfragmente 1925 – Der Process. Niederschrift 1914/15; abweichend von Kafkas Schreibweise für das Romanfragment werden Der Proceß oder Der Prozess verwendet. 1926 – Das Schloss. Niederschrift 1922; Romanfragment. 1927 – Der Verschollene. Erste Entwürfe 1912 unter dem Titel „Der Verschollene“; von Brod unter dem Titel Amerika veröffentlicht, heute ist der ursprüngliche Titelname wieder eher gebräuchlich; Romanfragment. Werkausgaben Max Brod (Hrsg.): Gesammelte Werke. S. Fischer, Frankfurt/New York 1950–1974 (auch bekannt als Brod-Ausgabe, heute textkritisch überholt). Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm Pasley, Jost Schillemeit (Hrsg.): Kritische Ausgabe. Schriften, Tagebücher, Briefe. S. Fischer, Frankfurt 1982 ff. (auch bezeichnet als Kritische Kafka-Ausgabe, KKA). Hans-Gerd Koch (Hrsg.): Gesammelte Werke in 12 Bänden in der Fassung der Handschrift. S. Fischer, Frankfurt 1983 ff. (textidentisch mit den Textbänden der Kritischen Ausgabe). Roland Reuß, Peter Staengle (Hrsg.): Historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte. Stroemfeld, Frankfurt/Basel 1995 ff. (auch bezeichnet als Franz Kafka-Ausgabe, FKA, noch nicht abgeschlossen). Hörspielbearbeitungen Kein Brief gestern, keiner heute, Hörspiel nach Texten von Franz Kafka, Autor: Matthias Baxmann, Regie: Barbara Plensat. Mit Markus Meyer (Kafka), Jürgen Holtz (Mann) und Regina Lemnitz (Frau), Produktion MDR 2003, Hörspiel des Jahres 2003 In der Strafkolonie, mit Peter Simonischek. Regie: Ulrich Gerhardt. Produktion: BR Hörspiel und Medienkunst 2007. Laufzeit 73 Min. Als Podcast/Download im BR Hörspiel Pool. Der Process, Hörspiel in 16 Teilen. Mit Rufus Beck, Samuel Finzi, Corinna Harfouch, Jürgen Holtz, Milan Peschel, Jeanette Spassova, Thomas Thieme, Manfred Zapatka. Regie: Klaus Buhlert. Produktion: BR Hörspiel und Medienkunst 2010, Laufzeit 10 Stunden. Als Podcast/Download im BR Hörspiel Pool. Das Schloss, Hörspiel in 12 Teilen. Mit Michael Rotschopf (Erzähler), Devid Striesow (K.), Werner Wölbern (Beobachter vom Schloss), Steven Scharf (Schwarzer), Peter Kurth (Wirt vom Brückenhof), Corinna Harfouch (Wirtin vom Brückenhof), Stefan Zinner (Wirt vom Herrenhof), Jens Harzer (Arthur/Jeremias), Gerti Drassl (Frieda), Sandra Hüller (Olga), Samuel Finzi (Momus/Oswald), Moritz Kienemann (Barnabas), Dieter Fischer (Lasemann), Wowo Habdank (Gerstäcker), Deleila Piaskov (Frau 1), Margit Bendokat (Wirtin vom Herrenhof), Wolfram Berger (Vorsteher), Götz Schulte (Lehrer), Anna Drechsler, Benedict Lückenhaus, Bibiana Beglau (Amalia), Johannes Silberschneider (Bürgel), Stefan Wilkening (Erlanger). Bearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert, Produktion: BR Hörspiel und Medienkunst 2016. Nach der Erstsendung (15. Januar – 3. April 2017) gibt es die einzelnen Teile als Podcast/Download im BR Hörspiel Pool. Hörbücher Sven Regener liest Franz Kafka: Der Prozeß, ungekürzte Lesung. Roof Music, Bochum 2016, ISBN 978-3-86484-399-0. Sven Regener liest Franz Kafka: Amerika, ungekürzte Lesung. Roof Music, Bochum 2014, ISBN 978-3-86484-103-3. Ansturm gegen die Grenze – Tagebücher von 1910 bis 1922. Gelesen von Bodo Primus, mOceanOTonVerlag, 2007, ISBN 978-3-86735-237-6. Die Verwandlung. 2 CDs, Laufzeit 120 Min., gesprochen von Rainer Maria Ehrhardt, Hörmedia Audioverlag, 2005, ISBN 3-938478-66-7. Das Schloss, erzählt von Monica Bleibtreu, Anna Thalbach, Uwe Friedrichsen u. a., Verlag Patmos, Düsseldorf 2006. Der Process, erzählt von Alexander Khuon, Mathieu Carrière und Anja Niederfahrenhorst, Verlag Patmos, Düsseldorf 2007 Das Urteil. Eine Geschichte und andere Erzählungen, gelesen von Axel Grube, 1 CD, Laufzeit 66 Min., onomato Verlag, Düsseldorf 2008, ISBN 978-3-939511-56-4. Tagebücher Heft 4–12 von 1912–1923, gelesen von Axel Grube, 1 CD, Laufzeit 73 Min., onomato Verlag, Düsseldorf 2001, ISBN 3-933691-04-4. Erzählungen, gelesen von Axel Grube, 1 CD, Laufzeit 79 Min., onomato Verlag, Düsseldorf 2002, ISBN 3-933691-24-9. Brief an den Vater, gelesen von Till Firit, Mono Verlag, Wien 2009, ISBN 978-3-902727-91-6 Brief an den Vater, gelesen von Stefan Fleming, 2 CDs, Laufzeit 134 Min., Preiser Records, Wien 2001, Preis der Deutschen Schallplattenkritik Ein Bericht für eine Akademie, gelesen von Hans-Jörg Große, Laufzeit 25 Min., Eigenproduktion Hans-Jörg Große und Christian Mantey, Berlin 2010. Gert Westphal liest Kafka – Erzählungen und Betrachtungen, 1 CD, Litraton, 2000, ISBN 3-89469-873-X. Gert Westphal liest Franz Kafka Der Process, 7 Audio-Kassetten, Litraton, September 2000, ISBN 3-89469-120-4. Hörbuchsammlungen Librivox Vorleser.net Franz Kafka Hörbuchprojekt – Hans-Jörg Große & Christian Mantey Briefe Kafka schrieb intensiv und über eine lange Zeit seines Lebens teils sehr persönliche Briefe. Sie belegen seine hohe Sensibilität und vermitteln seine Sicht der bedrohlichen Aspekte seiner Innenwelt und seine Ängste angesichts der Außenwelt. Manche Autoren halten Kafkas Briefe nicht für eine Ergänzung seines literarischen Werks, sondern sehen sie als Teil davon. Besonders seine Briefe an Felice und Briefe an Milena gehören zu den großen Briefdokumenten des 20. Jahrhunderts. Die Briefe an Ottla sind ein bewegendes Zeugnis von Kafkas Nähe zu seiner (vermutlich 1943 von den Nationalsozialisten ermordeten) Lieblingsschwester. Im Brief an den Vater wird das prekäre Verhältnis des hochbegabten Sohnes zu seinem Vater deutlich, den er als lebenstüchtigen Despoten beschreibt, der die Lebensführung des Sohnes äußerst kritisch beurteilt. Die Briefe an Max Brod sind Dokumente einer Freundschaft, ohne die von Kafkas Werk allenfalls Bruchstücke erhalten geblieben wären. Die jeweiligen Antwortschreiben sind bis auf Ausnahmen nicht erhalten, was besonders im Hinblick auf die fehlenden Briefe der Journalistin und Schriftstellerin Milena Jesenská äußerst bedauerlich ist, die für Kafka das bewunderte Beispiel eines freien Menschen ohne Angst war. Briefe an Ernst Weiß, an Julie Wohryzek und an Dora Diamant sind, bedingt durch die Zeitumstände der Zeit des Nationalsozialismus bis heute verschollen. Ausgaben der Briefe Bestandteil von: Kritische Ausgabe. Schriften, Tagebücher, Briefe. Verlag S. Fischer, 1982 ff. Briefe, Band 1 (1900–1912). Herausgegeben von Hans-Gerd Koch. Text, Kommentar und Apparat in einem Band. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-10-038157-2. Briefe, Band 2 (1913 bis März 1914). Herausgegeben von Hans-Gerd Koch. Text, Kommentar und Apparat in einem Band. S. Fischer Verlag, 2001, ISBN 978-3-10-038158-3. Briefe, Band 3 (1914–1917). Herausgegeben von Hans-Gerd Koch. Text, Kommentar und Apparat in einem Band. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-10-038161-3. Briefe, Band 4 (1918–1920). Herausgegeben von Hans-Gerd Koch. Text, Kommentar und Apparat in einem Band. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main angekündigt für Juli 2013, ISBN 978-3-10-038162-0. Andere Ausgaben: Malcolm Pasley (Hrsg.): Franz Kafka, Max Brod – Eine Freundschaft. Briefwechsel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-10-008306-7. Josef Čermák, Martin Svatoš (Hrsg.): Franz Kafka – Briefe an die Eltern aus den Jahren 1922–1924. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-596-11323-7. Jürgen Born, Erich Heller (Hrsg.): Franz Kafka – Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main, ISBN 3-596-21697-4. Jürgen Born, Michael Müller (Hrsg.): Franz Kafka – Briefe an Milena. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-596-25307-1. Hartmut Binder, Klaus Wagenbach (Hrsg.): Franz Kafka – Briefe an Ottla und die Familie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-10-038115-7. Tagebücher Kafkas Tagebücher sind für den Zeitraum von 1909 bis 1923 (kurz vor seinem Tod im Jahre 1924) großenteils erhalten geblieben. Sie enthalten nicht nur persönliche Notizen, autobiographische Reflexionen, Elemente einer Selbstverständigung des Schriftstellers über sein Schreiben, sondern auch Aphorismen (siehe z. B. Die Zürauer Aphorismen), Entwürfe für Erzählungen und zahlreiche literarische Fragmente. Ausgaben der Tagebücher Bestandteil von: Gesammelte Werke in Einzelbänden in der Fassung der Handschrift. Verlag S. Fischer, 1983. Hans-Gerd Koch (Hrsg.): Tagebücher Band 1: 1909–1912 in der Fassung der Handschrift. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1994. Hans-Gerd Koch (Hrsg.): Tagebücher Band 2: 1912–1914 in der Fassung der Handschrift. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1994. Hans-Gerd Koch (Hrsg.): Tagebücher Band 3: 1914–1923 in der Fassung der Handschrift. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1994. Hans-Gerd Koch (Hrsg.): Reisetagebücher in der Fassung der Handschrift. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1994 Bestandteil von: Historisch-kritische Ausgabe. Stroemfeld Verlag, 1995. Roland Reuß, Peter Staengle und andere (Hrsg.): Oxforder Oktavhefte 1 & 2. Stroemfeld, Frankfurt am Main und Basel 2004. (Entstehungszeitraum der Oktavhefte: Ende 1916 bis Anfang 1917) Roland Reuß, Peter Staengle und andere (Hrsg.): Oxforder Quarthefte 1 & 2. Stroemfeld, Frankfurt am Main und Basel 2001. (Zeitraum der Ouarthefte: 1910–1912) Amtliche Schriften Als Angestellter der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen verfasste Franz Kafka Aufsätze, Gutachten, Rundschreiben und anderes. Siehe oben den Abschnitt „Berufsleben“. Ausgaben der amtlichen Schriften Franz Kafka: Amtliche Schriften. Mit einem Essay von Klaus Hermsdorf. Hrsg. von Klaus Hermsdorf unter Mitwirkung von Winfried Poßner und Jaromir Louzil. Akademie Verlag, Berlin 1984. Klaus Hermsdorf: Hochlöblicher Verwaltungsausschuß. Amtliche Schriften. Luchterhand, 1991, ISBN 3-630-61971-1. Klaus Hermsdorf, Benno Wagner (Hrsg.): Franz Kafka. Amtliche Schriften. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2004, ISBN 3-10-038183-1. (Bestandteil der Kritischen Kafka-Ausgabe. Übersetzung tschechischer Texte und Textpassagen und Autorschaft des Textteils Erläuterungen zu den tschechischen Versionen der Jahresberichte der Prager AUVA) Zeichnungen Ausgaben der Zeichnungen Niels Bokhove, Marijke van Dorst (Hrsg.): Einmal ein großer Zeichner. Franz Kafka als bildender Künstler. Vitalis, Prag 2006, ISBN 3-89919-094-7. Andreas Kilcher (Hrsg.): Franz Kafka. Die Zeichnungen. C. H. Beck, München 2021, ISBN 978-3-406-77658-8. Gedichte Ausgaben der Gedichte Marijke van Dorst (Hrsg.): „Ik ken de inhoud niet …“ Gedichten / „Ich kenne den Inhalt nicht …“ Lyrik. Zweisprachige Ausgabe. Niederl. Übersetzung: Stefaan van den Bremt. Erläuterungen: Niels Bokhove. Exponent, Bedum 2000. Musik Franz Kafka war, was seine persönliche Haltung gegenüber der Musik betraf, eher zurückhaltend. So findet sich in seinem Tagebuch die bemerkenswerte Mitteilung: „Das Wesentliche meiner Unmusikalität ist, dass ich Musik nicht zusammenhängend genießen kann, nur hie und da entsteht eine Wirkung in mir und wie selten ist die eine musikalische. Die gehörte Musik zieht natürlich eine Mauer um mich und meine einzige dauernde musikalische Beeinflussung ist die, dass ich so eingesperrt, anders bin als frei.“ Seiner Verlobten Felice Bauer vertraute er einmal an: „Ich habe gar kein musikalisches Gedächtnis. Mein Violinlehrer hat mich aus Verzweiflung in der Musikstunde lieber über Stöcke springen lassen, die er selbst gehalten hat, und die musikalischen Fortschritte bestanden darin, dass er von Stunde zu Stunde die Stöcke höher hielt.“ Max Brod, der enge Vertraute Kafkas, „attestierte seinem Jugendfreund zwar ‚ein natürliches Gefühl für Rhythmus und Melos‘ und schleppte ihn in die Konzerte mit, gab es aber bald wieder auf. Kafkas Eindrücke seien rein visuell. Typisch wohl, dass ihn nur eine so bunte Oper wie ‚Carmen‘ begeistern konnte“. Sekundärliteratur Maria Luise Caputo-Mayr, Julius Michael Herz: Franz Kafka, Internationale Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur. 2., erweiterte und überarbeitete Auflage. Saur, München 2000, ISBN 3-907820-97-5 (deutsch und englisch, Band 1, Band 2/Teil 1, Band 2/Teil 2). Biographien Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. Beck, München 2005, ISBN 3-406-53441-4. Thomas Anz: Franz Kafka. Beck, München 1989, ISBN 3-406-33162-9 (2. Auflage erschien 1992). Louis Begley: Die ungeheure Welt, die ich im Kopfe habe. Über Franz Kafka. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008, ISBN 978-3-421-04362-7. Hartmut Binder: Kafka-Handbuch in zwei Bänden. Band 1: Der Mensch und seine Zeit. Kröner, Stuttgart 1979, ISBN 3-520-81701-2. Hartmut Binder: Auf Kafkas Spuren. Gesammelte Studien zu Leben und Werk. Herausgegeben von Roland Reuß & Peter Staengle, Wallstein, Göttingen 2023, ISBN 978-3-8353-5421-0. Max Brod: Franz Kafka. Eine Biographie. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1962. Josef Čermák: „Ich habe seit jeher einen gewissen Verdacht gegen mich gehabt.“ Franz Kafka – Dokumente zu Leben und Werk. 2 Bde., 1. Textband, 2. 30 Faksimiles von Originaldokumenten, Parthas Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86964-026-6. Saul Friedländer: Franz Kafka. C.H.Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-63740-7. (Originaltitel: Franz Kafka. Poet of Shame and Guilt.) Ekkehard W. Haring: Leben und Persönlichkeit. In: Manfred Engel, Bernd Auerochs (Hrsg.): Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzler, Stuttgart/Weimar 2010, 1–27, ISBN 978-3-476-02167-0. Ronald Hayman: Franz Kafka. Sein Leben, sein Werk, seine Welt. Aus dem Englischen von Karl. A. Klewer. Wilhelm Heyne Verlag, München 1986, ISBN 3-453-55136-2. Roger Hermes, W. John, H.-G. Koch, A. Widera: Franz Kafka. Eine Chronik. Wagenbach, Berlin 1999, ISBN 3-8031-2338-0. Nicholas Murray: Kafka und die Frauen, Felice Bauer, Milena Jesenska, Dora Diamant. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-538-07242-8. Bernd Neumann: Franz Kafka. Gesellschaftskrieger. Eine Biografie. Wilhelm Fink, München 2008, ISBN 978-3-7705-4689-3. Alois Prinz: Auf der Schwelle zum Glück. Die Lebensgeschichte des Franz Kafka. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007. Harald Salfellner: Franz Kafka und Prag. 7., neubearbeitete Ausgabe. Vitalis-Verlag, Prag 2011, ISBN 978-3-89919-018-2. Reiner Stach: Kafka. Die Jahre der Entscheidungen. S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-16187-8. Reiner Stach: Kafka. Die Jahre der Erkenntnis. S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-10-075119-5. Reiner Stach: Kafka. Die frühen Jahre. S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-10-075130-0. Joachim Unseld: Franz Kafka. Ein Schriftstellerleben. Die Geschichte seiner Veröffentlichungen. Hanser, München 1982, ISBN 3-446-13554-5 und S. Fischer, Frankfurt 1984, ISBN 3-596-26493-6 (Fischer Taschenbuch). Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Eine Biographie seiner Jugend. Francke, Bern 1958. Klaus Wagenbach: Franz Kafka. (rororo Monographie) Rowohlt, Reinbek 1964 (Eine überarbeitete Neuausgabe erschien 2002, ISBN 3-499-50649-1) Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Bilder aus seinem Leben. Wagenbach, Berlin 1983, ISBN 3-8031-3509-5; 2., erweiterte und veränderte Auflage. Wagenbach, Berlin 1994, ISBN 3-8031-3547-8; 3., erweiterte und veränderte Auflage. Wagenbach, Berlin 2008, ISBN 978-3-8031-3625-1. Felix Weltsch: Religion und Humor in Leben und Werk Franz Kafkas. Onomato, Düsseldorf 2009, ISBN 978-3-939511-21-2. Hanns Zischler: Kafka geht ins Kino. Rowohlt, Hamburg 1996. Handbücher Hartmut Binder (Hrsg.): Kafka-Handbuch in zwei Bänden. Band 1: Der Mensch und seine Zeit; Band 2: Das Werk und seine Wirkung. Kröner, Stuttgart 1979, ISBN 3-520-81801-9. Manfred Engel, Bernd Auerochs (Hrsg.): Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzler, Stuttgart/Weimar 2010, ISBN 978-3-476-02167-0. Bettina von Jagow, Oliver Jahraus (Hrsg.): Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-525-20852-6. Interpretationen Ulf Abraham: Der verhörte Held. Verhöre, Urteile und die Rede von Recht und Schuld im Werk Kafkas. Wilhelm Fink, München 1985, ISBN 3-7705-2308-3. Max Brod: Kafkas Glaube und Lehre. Desch, München 1948. Mit 4 Zeichnungen Kafkas und 2 s/w Bildern von ihm (1901: 3/4-Aufnahme; Gartenszene, sitzend mit jg. Frau, Weimar 1912); häufige Neuaufl. Claude David (Hrsg.): Franz Kafka. Themen und Probleme. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1980, ISBN 3-525-33433-8. Wilhelm Emrich: Franz Kafka. Athenäum, Bonn 1958. ders.: Franz Kafkas Bruch mit der Tradition und sein neues Gesetz & Die Bilderwelt Franz Kafkas. In: ders.: Protest und Verheißung. Athenäum Verlag, Frankfurt am Main 1960. Rike Felka: Ohne Übergang. Kafka. In: dies.: Das räumliche Gedächtnis. Berlin 2010, ISBN 978-3-940048-04-2. Janko Ferk: Kafka, neu ausgelegt. Originale und Interpretationen. Wissenschaftliche Essays. Leykam, Graz/Wien 2019, ISBN 978-3-7011-8133-9. Waldemar Fromm: Artistisches Schreiben. Franz Kafkas Poetik zwischen „Proceß“ und „Schloss“. Wilhelm Fink, München 1998. Karl Erich Grözinger: Kafka und die Kabbala. Das Jüdische im Werk und Denken von Franz Kafka. Erw. Neuaufl. Philo Fine Arts, Hamburg 2002, ISBN 3-86572-303-9 (zuerst Eichborn, Frankfurt am Main 1997). 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, Campus, Frankfurt a. M. 2014, ISBN 978-3-593-50089-8. Erich Heller: The World of Franz Kafka. In ders.: The Disinherited Mind: Essays in Modern German Literature and Thought. Bowes & Bowes, Cambridge 1952. ders.: Enterbter Geist. Essays über modernes Dichten und Denken. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986. Paul Heller: Franz Kafka. Wissenschaft und Wissenschaftskritik. Stauffenburg, Tübingen 1989, ISBN 3-923721-40-4. Bettina von Jagow, Oliver Jahraus: Kafka-Handbuch Leben-Werk-Wirkung. Vandenhoeck & Ruprecht, 2008, ISBN 978-3-525-20852-6. Herbert Kraft: Kafka. Wirklichkeit und Perspektive. Bebenhausen 1972. ders.: Mondheimat. Kafka. Neske, Pfullingen 1983, ISBN 3-7885-0244-4. (Interpretation zahlreicher Kafka-Texte aus der Sicht historisch-kritischer Literaturwissenschaft). Klaus-Detlef Müller: Franz Kafka – Romane. Erich Schmidt, Berlin 2007. Gerhard Neumann: Franz Kafka – Experte der Macht. Carl Hanser Verlag, München 2012, ISBN 978-3-446-24069-8. Rasmus Overthun: Franz Kafka. 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Jahrhundert) Literatur (Österreich) Literatur (Deutsch) Roman, Epik Erzählung Kurzgeschichte Aphoristiker Phantastische Literatur Tagebuch Brief (Literatur) Dichterjurist Jurist (Versicherungswirtschaft) Absolvent der Karl-Ferdinands-Universität Prag Person im Ersten Weltkrieg (Österreich-Ungarn) Person des Judentums (Prag) Person als Namensgeber für einen Asteroiden Person (Klosterneuburg) Person (Königreich Böhmen) Person (Cisleithanien) Österreicher Tschechoslowake Geboren 1883 Gestorben 1924 Mann
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https://de.wikipedia.org/wiki/Friesische%20Sprachen
Friesische Sprachen
Die friesischen Sprachen, allgemein nur Friesisch (westfriesisch Frysk, saterfriesisch Fräisk, nordfriesisch Friisk, fresk, freesk, frasch, fräisch, freesch) genannt, sind eine Gruppe von drei Sprachen. Sie gehören zum nordseegermanischen Zweig der westgermanischen Sprachen. Friesisch war ursprünglich an der Nordseeküste zwischen der Rhein- und Elbmündung und später auch nördlich der Eidermündung bis an die Wiedau verbreitet (siehe Karte). Heute wird es noch von etwa 400.000 Menschen gesprochen, vor allem in den Niederlanden. Einen Vergleich verschiedener Wortformen aus friesischen Dialekten und den benachbarten Sprachen Niederländisch, Niederdeutsch, Hochdeutsch und Dänisch bietet die Liste friesischer Wörter. Geschichte Aus den Jahren von etwa 500 bis etwa 1200 sind lediglich einige friesische Runeninschriften und Einzelwörter innerhalb lateinischer Texte bekannt. Vollständige Texte sind erst seit dem 13. Jahrhundert überliefert. Die Sprachstufe von dieser Zeit bis ins 16. Jahrhundert wird als Altfriesisch bezeichnet und ist zeitlich in etwa in die gleiche Epoche einzuordnen wie Mittelniederländisch, Mittel- und teilweise auch Frühneuhochdeutsch sowie das frühe Mittelniederdeutsche. Bereits für die altfriesische Zeit sind deutliche Unterschiede zwischen den westfriesischen und ostfriesischen Dialekten festzustellen. Altfriesische Texte aus Nordfriesland sind dagegen nicht erhalten. Das heutige Nordfriesland wurde in zwei Wellen um die Jahre 700 und 1100 besiedelt, die nordfriesischen Dialekte spalteten sich zu dieser Zeit von der Sprache der Ost- und Westfriesen ab. Das moderne Friesisch entstand ab dem 16. Jahrhundert und zerfällt in drei Hauptgruppen. Es ist in der Sprachwissenschaft umstritten, ob die drei friesischen Hauptgruppen „nur“ Dialekte einer Sprache bildeten. Heute allerdings sind die drei verbliebenen Nachfolger untereinander nicht mehr verständlich und werden als unterschiedliche Sprachen betrachtet. Einzelsprachen des friesischen Sprachzweigs Nordfriesisch Nordfriesisch wird in Teilen des Kreises Nordfriesland und auf Helgoland in Schleswig-Holstein gesprochen. Auf den Inseln und dem Festland gibt es heute neun verschiedene nordfriesische Dialekte, die untereinander teils kaum verständlich sind. Von etwa 164.000 Einwohnern des Kreises Nordfriesland sprechen etwa 10.000 Nordfriesisch. Das Nordfriesische wird im Endangered Languages in Europe Report als (ernsthaft gefährdet) eingestuft, da es nur noch an wenigen Orten, insbesondere im Norden und in der Mitte der Insel Amrum und im Westen der Insel Föhr, innerhalb der Familien an die jüngere Generation weitergegeben wird. Als dialektübergreifende nordfriesische Bezeichnung der Sprache hat sich eingebürgert. Ostfriesisch Im ehemaligen ostfriesischen Sprachgebiet zwischen der Lauwers und der Weser (vor allem Ostfriesland, die Provinz Groningen und das nördliche Oldenburg) ist die friesische Sprache fast gänzlich ausgestorben. Seit etwa 1400 wurde das Ostfriesische nach und nach durch unterschiedliche niederdeutsche Dialekte – und in jüngerer Zeit durch das Hochdeutsche – ersetzt. Zuletzt starb in den 1950er Jahren das Wangerooger Friesisch aus. Das letzte Überbleibsel der ostfriesischen Sprache, das Saterfriesische, wird in der Gemeinde Saterland im Landkreis Cloppenburg von etwa 1.000 bis 2.500 Menschen gesprochen. Zur eindeutigen Unterscheidung der ostfriesischen Sprache vom ostfriesischen Platt wird in Anlehnung an die Bezeichnung westerlauwerssches Friesisch für das Westfriesische auch der Terminus osterlauwerssches Friesisch verwendet. Westfriesisch Das Westfriesische wird in der niederländischen Provinz Friesland (Fryslân) von ca. 440.000 Menschen gesprochen, von denen es etwa 350.000 als Muttersprache sprechen. Es besteht aus vier Hauptdialekten und vier weiteren kleinen Dialekten. Als einziger der drei friesischen Sprachzweige hat Westfriesisch eine Standardvarietät entwickelt. Nichtfriesische Varietäten mit der Bezeichnung „Friesisch“ Es existieren verschiedene sprachliche Varietäten, die von Friesen oder von Bewohnern ehemals friesisch besiedelter Gebiete anstelle des Friesischen angenommen wurden, aber linguistisch nicht zu den friesischen Sprachen zählen. Dennoch führen viele dieser volkssprachlichen Varietäten in irgendeiner Form den Namen „Friesisch“ als Selbst- oder Fremdbezeichnung oder zumindest deren Teil. So wird heute mit „Ostfriesisch“ in der Regel das ostfriesische Platt bezeichnet, das in Ostfriesland die friesische Sprache als Volkssprache ersetzt hat. Begünstigt wurde dies dadurch, dass die Saterfriesen sich lange nicht mehr zu den Friesen zählten und ihre eigene Sprache nicht als friesisch bezeichnen, sondern als saterländisch ('seeltersk'). Grundsätzlich ähnlich verhält es sich mit dem Plattdeutschen in Nordfriesland. Da dort die friesische Sprache aber noch lebendig ist, wird die Bezeichnung Nordfriesisch ausschließlich für die friesischen Dialekte verwendet. Das nordfriesische Platt unterscheidet sich zudem nicht so sehr vom übrigen Schleswiger Platt wie das ostfriesische Niederdeutsch von seinen Nachbardialekten. Die oft als Stadtfriesisch bezeichneten Mundarten der Städte in der Provinz Fryslân gehören ebenfalls nicht zum Friesischen. Sie wurden im 15. Jahrhundert von friesischen Kaufleuten aus der Provinz Holland übernommen. Durch starken Einfluss der westfriesischen Grammatik und Syntax fällt die Klassifizierung als holländischer Dialekt allerdings ebenfalls schwer. Sie werden daher meist als Sondergruppe innerhalb der niederländischen Sprache behandelt, bisweilen aber sogar als Sondersprache bezeichnet. Nicht zu verwechseln mit der westfriesischen Sprache ist auch der holländische Dialekt der Region Westfriesland in der niederländischen Provinz Noord-Holland. Er wird ebenfalls als Westfriesisch bezeichnet. Die Verwechslungsgefahr des Dialekts mit der westfriesischen Sprache besteht in den Niederlanden nicht. Dort ist Westfriesland eindeutig die nordholländische Region. Die Provinz Friesland, die in Deutschland meist als Westfriesland bezeichnet wird, heißt in den Niederlanden einfach Friesland oder Fryslân. Sprachvergleich mit germanischen Sprachen Saterfriesisch: Nordfriesisch (Mooringer Dialekt): Westfriesisch: Niederdeutsch: Ostfriesisches Niederdeutsch: Ostfälisch (Niedersachsen): Niedersächsisch (Niederlande): Gronings (Groninger Dialekt des Niederdeutschen): Standarddeutsch: Der Junge streichelte das/dem Mädchen ums Kinn und küsste es auf die Wange/Wangen. Niederländisch: Afrikaans: Englisch: Dänisch: Norwegisch (Bokmål): Schwedisch: Siehe auch Friesen Frieslande Frisistik Friesenrat Literatur Bo Sjölin: Einführung in das Friesische. Metzler, Stuttgart 1969. Weblinks Erster Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (PDF, 2,7 MB) 2000 Zweiter Bericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (PDF, 3,5 MB) 2003 Nordfriesisches Institut Lehrstuhl Friesische Philologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel It Nijs ist die einzige friesischsprachige Tageszeitung mit Nachrichten aus aller Welt Die Rundfunkstation Omrop Fryslân sendet in friesischer Sprache Einzelnachweise !
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fotografie
Fotografie
Fotografie oder Photographie (aus „Licht“ [im Genitiv ] und -graphie, sinngemäß „Zeichnen mit Licht“) bezeichnet: eine Gattung der Bildenden Kunst eine bildgebende Methode, bei der mit Hilfe von optischen Verfahren ein Lichtbild auf ein lichtempfindliches Medium projiziert und dort direkt und dauerhaft gespeichert (analoges Verfahren) oder in elektronische Daten gewandelt und gespeichert wird (digitales Verfahren). das dauerhafte Lichtbild (Diapositiv, Filmbild oder Papierbild; kurz Bild, umgangssprachlich auch Foto genannt), das durch fotografische Verfahren hergestellt wird; dabei kann es sich entweder um ein Positiv oder ein Negativ auf Film, Folie, Papier oder anderen fotografischen Trägern handeln. Fotografische Aufnahmen werden als Abzug, Vergrößerung, Filmkopie oder als Ausbelichtung bzw. Druck von digitalen Bild-Dateien vervielfältigt. Der entsprechende Beruf ist der Fotograf. Bilder, die zum Beispiel für das Kino aufgenommen werden. Beliebig viele fotografische Bilder werden in Reihen von Einzelbildern auf fotografischen Film aufgenommen, die später mit einem Filmprojektor als bewegte Bilder (Laufbilder) vorgeführt werden können (siehe Film). Begriff Bis ins 20. Jahrhundert bezeichnete Fotografie alle Bilder, welche rein durch Licht auf einer Oberfläche entstehen. Schreibweise Bereits im Duden 1929 wurde die Schreibweise „Fotografie“ zugelassen und seit 1973 empfohlen, was sich jedoch bis heute noch nicht ganz durchsetzen konnte. Die Kurzform „Foto“ und das Verb „fotografieren“ gelten als vollständig in die deutsche Sprache integriert und sollen seit der deutschen Rechtschreibreform 1996 nicht mehr mit „ph“ geschrieben werden. Gemischte Schreibungen wie „Fotographie“ oder „Photografie“ sowie daraus abgewandelte Adjektive oder Substantive waren jedoch zu jeder Zeit falsche Schreibweisen. Allgemeines Die Fotografie ist ein Medium, das in sehr verschiedenen Zusammenhängen eingesetzt wird. Fotografische Abbildungen können beispielsweise Gegenstände mit primär künstlerischem (künstlerische Fotografie) oder primär kommerziellem Charakter sein (Industriefotografie, Werbe- und Modefotografie). Die Fotografie kann unter künstlerischen, technischen (Fototechnik), ökonomischen (Fotowirtschaft) und gesellschaftlich-sozialen (Amateur-, Arbeiter- und Dokumentarfotografie) Aspekten betrachtet werden. Des Weiteren werden Fotografien im Journalismus und in der Medizin verwendet. Die Fotografie ist teilweise ein Gegenstand der Forschung und Lehre in der Kunstgeschichte und der noch jungen Bildwissenschaft. Der mögliche Kunstcharakter der Fotografie war lange Zeit umstritten, ist jedoch seit der fotografischen Stilrichtung des Piktorialismus um die Wende zum 20. Jahrhundert letztlich nicht mehr bestritten. Einige Forschungsrichtungen ordnen die Fotografie der Medien- oder Kommunikationswissenschaft zu, auch diese Zuordnung ist umstritten. Im Zuge der technologischen Weiterentwicklung fand zu Beginn des 21. Jahrhunderts allmählich der Wandel von der klassischen analogen (Silber-)Fotografie hin zur Digitalfotografie statt. Der weltweite Zusammenbruch der damit in Zusammenhang stehenden Industrie für analoge Kameras aber auch für Verbrauchsmaterialien (Filme, Fotopapier, Fotochemie, Laborgeräte) führt dazu, dass die Fotografie mehr und mehr auch unter kulturwissenschaftlicher und kulturhistorischer Sicht erforscht wird. Allgemein kulturelle Aspekte in der Forschung sind z. B. Betrachtungen über den Erhalt und die Dokumentation der praktischen Kenntnis der fotografischen Verfahren für Aufnahme und Verarbeitung aber auch der Wandel im Umgang mit der Fotografie im Alltag. Zunehmend kulturhistorisch interessant werden die Archivierungs- und Erhaltungstechniken für analoge Aufnahmen aber auch die systemunabhängige langfristige digitale Datenspeicherung. Die Fotografie unterliegt dem komplexen und vielschichtigen Fotorecht; bei der Nutzung von vorhandenen Fotografien müssen die Bildrechte beachtet werden. Die Gesetzgebungen in verschiedenen Ländern unterscheiden sich teilweise stark. Fototechnik Prinzipiell wird meist mit Hilfe eines optischen Systems, in vielen Fällen einem Objektiv, fotografiert. Dieses wirft das von einem Objekt ausgesendete oder reflektierte Licht auf die lichtempfindliche Schicht einer Fotoplatte, eines Films oder auf einen fotoelektrischen Wandler, einen Bildsensor. Fotografische Kameras Der fotografischen Aufnahme dient eine fotografische Apparatur (Kamera). Durch Manipulation / Veränderung des optischen Systems (unter anderem die Einstellung der Blendenzahl, Scharfstellung, Farbfilterung, die Wahl der Belichtungszeit, der Objektivbrennweite, der Beleuchtung und nicht zuletzt des Aufnahmematerials) stehen einem Fotografen zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten offen. Als vielseitigste Fotoapparatbauform hat sich sowohl im Analog- als auch im Digitalbereich die Spiegelreflexkamera durchgesetzt. Für viele Aufgaben werden weiterhin die verschiedensten Spezialkameras benötigt und eingesetzt. Lichtempfindliche Schicht Bei der Digitalfotografie besteht das Äquivalent der lichtempfindlichen Schicht aus Chips wie CCD- oder CMOS-Sensoren. Bei der filmbasierten Fotografie (z. B. Silber-Fotografie) ist die lichtempfindliche Schicht auf der Bildebene eine Dispersion (im allgemeinen Sprachgebrauch Emulsion). Sie besteht aus einem Gel, in dem gleichmäßig kleine Körnchen eines Silberhalogenids (zum Beispiel Silberbromid) verteilt sind. Je kleiner die Körnung ist, umso weniger lichtempfindlich ist die Schicht (siehe ISO-5800-Standard), umso besser ist allerdings die Auflösung („Korn“). Dieser lichtempfindlichen Schicht wird durch einen Träger Stabilität verliehen. Trägermaterialien sind Zelluloseacetat, früher diente dazu Zellulosenitrat (Zelluloid), Kunststofffolien, Metallplatten, Glasplatten und sogar Textilien (siehe Fotoplatte und Film). Entwicklung und Fixierung bzw. Konvertierung Mit Ausnahme von Rohdaten (RAW-Dateien) müssen digitale Bilddateien nicht entwickelt werden, um sie am Monitor betrachten oder verarbeiten zu können; sie werden elektronisch gespeichert und können anschließend mit der elektronischen Bildbearbeitung am Computer bearbeitet und bei Bedarf auf Fotopapier ausbelichtet oder beispielsweise mit einem Tintenstrahldrucker ausgedruckt werden. Rohdaten werden vorab mittels spezieller Entwicklungssoftware oder RAW-Konvertern am Computer in nutzbare Formate (z. B. JPG, TIF) gebracht, was als digitale Entwicklung bezeichnet wird. Durch das Entwickeln bei der filmbasierten Fotografie wird auf chemischem Wege das latente Bild sichtbar gemacht. Beim Fixieren werden die nicht belichteten Silberhalogenid-Körnchen wasserlöslich gemacht und anschließend mit Wasser herausgewaschen, sodass ein Bild bei Tageslicht betrachtet werden kann, ohne dass es nachdunkelt. Ein weiteres älteres Verfahren ist das Staubverfahren, mit dem sich einbrennbare Bilder auf Glas und Porzellan herstellen lassen. Der Abzug Als Abzug bezeichnet man das Ergebnis einer Kontaktkopie, einer Vergrößerung oder einer Ausbelichtung; dabei entsteht in der Regel ein Papierbild. Abzüge können von Filmen (Negativ oder Dia) oder von Dateien gefertigt werden. Abzüge als Kontaktkopie haben dieselbe Größe wie die Abmessungen des Aufnahmeformats; wird eine Vergrößerung vom Negativ oder Positiv angefertigt, beträgt die Größe des entstehenden Bildes ein Vielfaches der Größe der Vorlage, dabei wird jedoch in der Regel das Seitenverhältnis beibehalten, das bei der klassischen Fotografie bei 1,5 bzw. 3:2 oder in USA 5:4 liegt.Eine Ausnahme davon stellt die Ausschnittvergrößerung dar, deren Seitenverhältnis in der Bühne eines Vergrößerers beliebig festgelegt werden kann; allerdings wird auch die Ausschnittvergrößerung in der Regel auf ein Papierformat mit bestimmten Abmessungen belichtet. Der Abzug ist eine häufig gewählte Präsentationsform der Amateurfotografie, die in speziellen Kassetten oder Alben gesammelt werden. Bei der Präsentationsform der Diaprojektion wurde in der Regel mit dem Original-Diapositiv, also einem Unikat gearbeitet, während es sich bei Abzügen immer um Kopien handelt. Geschichte der Fotografie Vorläufer und Vorgeschichte Der Name Kamera leitet sich vom Vorläufer der Fotografie, der Camera obscura („Dunkle Kammer“) ab, die bereits seit dem 11. Jahrhundert bekannt ist und Ende des 13. Jahrhunderts von Astronomen zur Sonnenbeobachtung eingesetzt wurde. Anstelle einer Linse weist diese Kamera nur ein kleines Loch auf, durch das die Lichtstrahlen auf eine Projektionsfläche fallen, von der das auf dem Kopf stehende, seitenverkehrte Bild abgezeichnet werden kann. In Edinburgh und Greenwich bei London sind begehbare, raumgroße Camerae obscurae eine Touristenattraktion. Auch das Deutsche Filmmuseum hat eine Camera obscura, in der ein Bild des gegenüberliegenden Mainufers projiziert wird. Ein Durchbruch war 1550 die Wiedererfindung der Linse, mit der hellere und gleichzeitig schärfere Bilder erzeugt werden können. 1685 wurde der Ablenkspiegel erfunden, mit dem ein Abbild auf Papier gezeichnet werden konnte. Im 18. Jahrhundert kamen die Laterna magica, das Panorama und das Diorama auf. Chemiker wie Humphry Davy begannen bereits, lichtempfindliche Stoffe zu untersuchen und nach Fixiermitteln zu suchen. Die frühen Verfahren Die vermutlich erste Fotografie der Welt „Blick aus dem Arbeitszimmer“ wurde im Frühherbst 1826 durch Joseph Nicéphore Niépce im Heliografie-Verfahren angefertigt. 1837 benutzte Louis Jacques Mandé Daguerre ein besseres Verfahren, das auf der Entwicklung der Fotos mit Hilfe von Quecksilberdämpfen und anschließender Fixierung in einer heißen Kochsalzlösung oder einer normal temperierten Natriumthiosulfatlösung beruhte. Die auf diese Weise hergestellten Bilder, allesamt Unikate auf versilberten Kupferplatten, wurden als Daguerreotypien bezeichnet. Bereits 1835 hatte der Engländer William Fox Talbot das Negativ-Positiv-Verfahren erfunden. Auch heute werden noch manche der historischen Verfahren als Edeldruckverfahren in der Bildenden Kunst und künstlerischen Fotografie verwendet. Am 13. April 1839, vier Monate vor Daguerre, veröffentlichten Carl August von Steinheil und Franz Ritter von Kobell das von ihnen entwickelte Steinheil-Verfahren. Sie verwendeten dazu als lichtempfindliches Material Chlorsilberpapier. Die aufgenommenen Negative fotografierten sie nochmals ab und erhielten dadurch Positive. Ihre ersten Fotos zeigten unter anderem die Glyptothek und die Türme der Münchner Frauenkirche. Im Jahr 1883 erschien in der bedeutenden Leipziger Wochenzeitschrift Illustrirte Zeitung zum ersten Mal in einer deutschen Publikation ein gerastertes Foto in Form einer Autotypie, die Georg Meisenbach etwa 1880 erfunden hatte. Farbfotografie Der amerikanische Baptistenprediger und Daguerrotypist Levi Hill beanspruchte um 1850/1851 als erster die Erfindung der Farbfotografie für sich. Hill weigerte sich allerdings, die Funktionsweise seines Verfahrens offenzulegen. 1860 arbeitete Niépce de Saint-Victor an einem Verfahren, alle Farben auf einer einzigen lichtempfindlichen Schicht aufzuzeichnen (Heliochromie). Eine Abbildung von James Clerk Maxwell 1861 gilt als die erste Farbfotografie. Gesellschaftliche Bedeutung der frühen Fotografie Zwei Jahre nach der Erfindung der Fotografie wurden ab 1840/41 die ersten Fotoateliers eröffnet. Von Friedrich Wilhelm Schelling und Alexander von Humboldt wurden noch in deren hohem Alter Fotografien aufgenommen. Bilder von Herrschern entstanden, darunter Abraham Lincoln, Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm I. Sie wurden in zahllosen Kopien in privaten Wohnungen gehalten, aber erst mit dem Aufkommen der Presse als Massenartikel ab den 1880er Jahren verbreitet. Parallel entstanden dokumentarische Fotografien, etwa von Naturereignissen. Der erste deutsche Fotograf Hermann Biow fotografierte den Großbrand im Hamburger Alsterbezirk vom Mai 1842. Fotografien entstanden in allen nachfolgenden Kriegen, so im Krimkrieg (1853–1856) und im amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865). Der Kunstcharakter der Fotografie stand zu Beginn hinter ihrem dokumentarischen, technisch-objektivierenden Anspruch. In den Naturwissenschaften fand die Fotografie frühen Einzug, darunter in der Astronomie und in der Medizin (Röntgen). Die Arbeitswelt wurde ab den 1860er Jahren fotografiert, die Reisefotografie entstand. Die Reisefotografie brachte den Menschen bis dahin wenig bekannte Regionen der Erde in neuer Form nahe. Das achtbändige Prachtwerk „The Peoples of India“ (1865–1875) zeigte 460 Aufnahmen. Das vierbändige Illustration of China and Its People (1873) dokumentierte ein damals den Europäern unbekanntes Land. Derselbe Fotograf, John Thomson, richtete später seine Kamera auf die Armen in London. In den großen Städten entstanden Fotostudios. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gehörte das Familienbild oder das Gruppenfoto am Arbeitsplatz längst zur kulturellen Grundausstattung. Die Fotografie war in das Alltagsgeschehen vorgedrungen, dazu zählen Werbung, Propaganda, Bildpostkarte und Ansichtskarte. Die private Nutzung der Fotografie wurde durch die Rollfilmkamera stark gefördert. 20. Jahrhundert Fotografien konnten zunächst nur als Unikate hergestellt werden, mit der Einführung des Negativ-Positiv-Verfahrens war eine Vervielfältigung im Kontaktverfahren möglich. Die Größe des fertigen Fotos entsprach in beiden Fällen dem Aufnahmeformat, was sehr große, unhandliche Kameras erforderte. Mit dem Rollfilm und insbesondere der von Oskar Barnack bei den Leitz Werken entwickelten und 1924 eingeführten Kleinbildkamera, die den herkömmlichen 35-mm-Kinofilm verwendete, entstanden völlig neue Möglichkeiten für eine mobile, schnelle Fotografie. Obwohl, durch das kleine Format bedingt, zusätzliche Geräte zur Vergrößerung erforderlich wurden und die Bildqualität mit den großen Formaten bei Weitem nicht mithalten konnte, setzte sich das Kleinbild in den meisten Bereichen der Fotografie als Standardformat durch. 21. Jahrhundert Die Digitalfotografie, in den 1990er Jahren technologisch eingeleitet, ab den 2000er Jahren sich im professionellen Bereich, später auch bei Amateurfotografen adaptiert, veränderte die Fotografie nachhaltig. Sie veränderte als ein disruptiver Prozess die Fotoindustrie, die Bearbeitungskette und vor allem die Nutzung. Statt eines chemischen Films war nun ein Bildsensor Speicher der Fotografie. Digitale Bilder können nun beliebig auf den Computer übertragen werden und auch mit digitalen Bildbearbeitungsprogrammen bearbeitet (oder manipuliert) werden. Dies dürfte auch die Qualität der Bilder beeinflusst haben, denn Kameraautomatik oder nachträgliche Bildbearbeitungen konnten nun Fehler beim Entstehen der Aufnahme ausgleichen. Die Technik führte zu einer ungeheuerlichen Bilderflut und massenhaften Bildautorenschaften, die in sich noch gesteigert wurde durch die Verbreitung in sozialen Plattformen oder auch durch die Smartphone-Fotografie, bei der die Kamerafunktion nur noch einen Teil von vielen Funktionalitäten darstellt. Unabhängig von der Amateurfotografie als Massenmarkt, hat die Digitalfotografie auch die Arbeit von Profifotografen verändert. Deren Bilder können heute unter technischen Gesichtspunkten wesentlich in der Qualität gesteigert werden. Zugleich kann bei Auftragsarbeiten die Zeit zwischen Aufnahme durch den Fotografen und Nutzung durch den Auftraggeber auf ein Minimum reduziert werden. Technikgeschichte Analogfotografie Begriff Zur Abgrenzung gegenüber den neuen fotografischen Verfahren der Digitalfotografie tauchte zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Begriff Analogfotografie oder stattdessen auch die zu diesem Zeitpunkt bereits veraltete Schreibweise Photographie wieder auf. Um der Öffentlichkeit ab 1990 die seinerzeit neue Technik der digitalen Speicherung von Bilddateien zu erklären, verglich man sie in einigen Publikationen technisch mit der bis dahin verwendeten analogen Bildspeicherung der Still-Video-Kamera. Durch Übersetzungsfehler und Fehlinterpretationen sowie durch den bis dahin noch allgemein vorherrschenden Mangel an technischem Verständnis über die digitale Kameratechnik, bezeichneten einige Journalisten danach irrtümlich auch die bisherigen klassischen Film-basierten Kamerasysteme als Analogkameras. Der Begriff hat sich bis heute erhalten und bezeichnet nun fälschlich nicht mehr die Fotografie mittels analoger Speichertechnik in den ersten digitalen Still-Video-Kameras, sondern nur noch die Technik der Film-basierten Fotografie. Bei dieser wird aber weder digital noch analog 'gespeichert', sondern chemisch/physikalisch fixiert. Allgemeines Eine Fotografie kann weder analog noch digital sein. Lediglich die Bildinformation kann punktuell mittels physikalischer, analog messbarer Signale (Densitometrie, Spektroskopie) bestimmt und gegebenenfalls nachträglich digitalisiert werden. Nach der Belichtung des Films liegt die Bildinformation zunächst nur latent vor. Gespeichert wird diese Information nicht in der Analogkamera, sondern erst bei der Entwicklung des Films mittels chemischer Reaktion in einer dreidimensionalen Gelatineschicht (Film hat mehrere übereinander liegende Sensibilisierungsschichten). Die Bildinformation liegt danach auf dem ursprünglichen Aufnahmemedium (Diapositiv oder Negativ) unmittelbar vor. Sie ist ohne weitere Hilfsmittel als Fotografie (Unikat) in Form von entwickelten Silberhalogeniden bzw. Farbkupplern sichtbar. Gegebenenfalls kann aus solchen Fotografien in einem zweiten chemischen Prozess im Fotolabor ein Papierbild erzeugt werden, bzw. kann dies nun auch durch Einscannen und Ausdrucken erfolgen. Bei der digitalen Speicherung werden die analogen Signale aus dem Kamerasensor in einer zweiten Stufe digitalisiert und werden damit elektronisch interpretier- und weiterverarbeitbar. Die digitale Bildspeicherung mittels Analog-Digital-Wandler nach Auslesen aus dem Chip der Digitalkamera arbeitet (vereinfacht) mit einer lediglich zweidimensional erzeugten digitalen Interpretation der analogen Bildinformation und erzeugt eine beliebig oft (praktisch verlustfrei) kopierbare Datei in Form von differentiell ermittelten digitalen Absolutwerten. Diese Dateien werden unmittelbar nach der Aufnahme innerhalb der Kamera in Speicherkarten abgelegt. Mittels geeigneter Bildbearbeitungssoftware können diese Dateien danach ausgelesen, weiter verarbeitet und auf einem Monitor oder Drucker als sichtbare Fotografie ausgegeben werden. Digitalfotografie Die erste CCD (Charge-coupled Device) Still-Video-Kamera wurde 1970 von Bell konstruiert. 1972 meldete Texas Instruments das erste Patent auf eine filmlose Kamera an, welche einen Fernsehbildschirm als Sucher verwendete. 1973 produzierte Fairchild Imaging das erste kommerzielle CCD mit einer Auflösung von 100 × 100 Pixel. Dieses CCD wurde 1975 in der ersten funktionstüchtigen digitalen Kamera von Kodak benutzt. Entwickelt hat sie der Erfinder Steven Sasson. Diese Kamera wog 3,6 Kilogramm, war größer als ein Toaster und benötigte noch 23 Sekunden, um ein Schwarz-Weiß-Bild mit 100×100 Pixeln Auflösung auf eine digitale Magnetbandkassette zu übertragen; um das Bild auf einem Bildschirm sichtbar zu machen, bedurfte es weiterer 23 Sekunden. 1986 stellte Canon mit der RC-701 die erste kommerziell erhältliche Still-Video-Kamera mit magnetischer Aufzeichnung der Bilddaten vor, Minolta präsentierte den Still Video Back SB-90/SB-90S für die Minolta 9000; durch Austausch der Rückwand der Kleinbild-Spiegelreflexkamera wurde aus der Minolta 9000 eine digitale Spiegelreflexkamera; gespeichert wurden die Bilddaten auf 2-Zoll-Disketten. 1987 folgten weitere Modelle der RC-Serie von Canon sowie digitale Kameras von Fujifilm (ES-1), Konica (KC-400) und Sony (MVC-A7AF). Es folgten 1988 Nikon mit der QV-1000C, 1990 Kodak mit dem DCS (Digital Camera System) sowie 1991 Rollei mit dem Digital Scan Pack. Ab Anfang der 1990er Jahre kann die Digitalfotografie im kommerziellen Bildproduktionsbereich als eingeführt betrachtet werden. Die digitale Fotografie revolutionierte die Möglichkeiten der digitalen Kunst, erleichtert insbesondere aber auch Fotomanipulationen. Die Photokina 2006 zeigte, dass die Zeit der filmbasierten Kamera endgültig vorbei ist. Im Jahr 2007 waren weltweit 91 Prozent aller verkauften Fotokameras digital, die herkömmliche Fotografie auf Filmen schrumpfte auf Nischenbereiche zusammen. Im Jahr 2011 besaßen rund 45,4 Millionen Personen in Deutschland einen digitalen Fotoapparat im Haushalt und im gleichen Jahr wurden in Deutschland rund 8,57 Millionen Digitalkameras verkauft. Fotografie als Kunstform Pioniere und Kritiker Der Kunstcharakter der Fotografie war lange Zeit umstritten: Charles Baudelaire führte dies bereits in seinem Werk Die Fotografie und das moderne Publikum im Jahre 1859 aus. Baudelaire beschäftigte sich mit dem Einfluss der Fotografie auf die Kunst und ebenso mit den tiefgreifenden Veränderungen der Kunstwahrnehmung: Ästhetische Erziehung und Geschmacksbildung wurde nun neben den klassischen Künsten auch durch die Fotografie bestimmt. Baudelaire sah hier die Geschlossenheit der Künste durch ein neues Medium erweitert. Baudelaire erkannte auch die Konkurrenz innerhalb der Kunst: Der Porträtmaler stand nun dem Porträtfotografen gegenüber. Baudelaire kritisierte die Bestrebungen, die Natur zu kopieren, ohne ihr Wesen zu kennen, als eine gegenüber der wahren Kunst feindlich eingestellte Lehre. Diese Kritik manifestiert sich bis heute: Die realistische oder auch idealisierte Abbildung wird oft kritisiert. Künstlerische Fotografie bedeutet bis heute, Wahrnehmung, Dialog und Schöpfung. Zugespitzt formuliert der Kunsttheoretiker Karl Pawek in seinem Buch Das optische Zeitalter (1963): „Der Künstler erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf sieht sie.“ Diese Auffassung, u. a. von Walter Benjamin vertreten, betrachtet die Fotografie nur als ein technisches, standardisiertes, mechanisch reproduzierte Verfahren, mit dem eine Wirklichkeit auf eine objektive, quasi „natürliche“ Weise abgebildet wird, ohne dass dabei gestalterische und damit künstlerische Aspekte zum Tragen kommen: „die Erfindung eines Apparates zum Zwecke der Produktion … (perspektivischer) Bilder hat ironischerweise die Überzeugung … verstärkt, dass es sich hierbei um die natürliche Repräsentationsform handele. Offenbar ist etwas natürlich, wenn wir eine Maschine bauen können, die es für uns erledigt.“ Fotografien dienten gleichwohl aber schon bald als Unterrichtsmittel bzw. Vorlage in der Ausbildung bildender Künstler (Études d’après nature). Schon in Texten des 19. Jahrhunderts wurde aber auch bereits auf den Kunstcharakter der Fotografie hingewiesen, der mit einem ähnlichen Einsatz der Technik wie bei anderen anerkannten zeitgenössische grafische Verfahren (Aquatinta, Radierung, Lithografie, …) begründet wird. Damit wird auch die Fotografie zu einem künstlerischen Verfahren, mit dem ein Fotograf eigene Bildwirklichkeiten erschafft. Die ersten Schritte in Richtung künstlerische Fotografie entstanden mit Gedanken hin zu einer konzeptionellen Fotografie, also eine Fotografie, die neben das reale Festhalten eines Moments, Bildaussagen, Bildsprache und eine strukturierte Ordnung der Bildelemente im Sinne einer Komposition setzt. Auch zahlreiche Maler des 19. Jahrhunderts, wie etwa Eugène Delacroix, erkannten dies und nutzten Fotografien als Mittel zur Bildfindung und Gestaltung, als künstlerisches Entwurfsinstrument für malerische Werke, allerdings weiterhin ohne ihr einen eigenständigen künstlerischen Wert zuzusprechen. Allerdings gab es auch zuvor schon die Camera obscura die wohl schon Filippo Brunelleschi (1377–1446) bei seiner Anwendung der Zentralperspektive als Hilfsmittel einsetzte. Die Methode von Malern der Fotografie als Skizzenelement wurde auch im 20. und 21. Jahrhundert angewandt. So nutzt David Hockney fotografische Vorlagen (als Polaroid oder auf Film) für Porträts oder in der Landschaftsmalerei, setzte sie aber auch für Foto-Collagen im Sinne der Panografie ein. Auch Fotografen kritisierten teilweise den Mangel an künstlerischem Anspruch. Der Fotograf Henri Cartier-Bresson, selbst als Maler ausgebildet, wollte die Fotografie ebenfalls nicht als Kunstform, sondern als Handwerk betrachtet wissen: „Die Fotografie ist ein Handwerk. Viele wollen daraus eine Kunst machen, aber wir sind einfach Handwerker, die ihre Arbeit gut machen müssen.“ Gleichzeitig nahm er aber für sich auch das Bildfindungskonzept des „entscheidenden Augenblickes“ in Anspruch, das ursprünglich von Gotthold Ephraim Lessing dramenpoetologisch ausgearbeitet wurde. Damit bezieht er sich unmittelbar auf ein künstlerisches Verfahren zur Produktion von Kunstwerken. Cartier-Bressons Argumentation diente also einerseits der poetologischen Nobilitierung, andererseits der handwerklichen Immunisierung gegenüber einer Kritik, die die künstlerische Qualität seiner Werke anzweifeln könnte. So wurden gerade Cartier-Bressons Fotografien sehr früh in Museen und Kunstausstellungen gezeigt, so zum Beispiel in der MoMa-Retrospektive (1947) und der Louvre-Ausstellung (1955). Cartier-Bresson kritisierte sogar Kollegen: „Die Welt ist dabei, in Stücke zu fallen und Leute wie Adams und Weston fotografieren Felsen!“ Fotografie wurde bereits früh als Kunst betrieben (Julia Margaret Cameron, Lewis Carroll und Oscar Gustave Rejlander in den 1860er Jahren). Der entscheidende Schritt zur Anerkennung der Fotografie als Kunstform ist den Bemühungen von Alfred Stieglitz (1864–1946) zu verdanken, der mit seinem Magazin Camera Work den Durchbruch vorbereitete. Auch der Objektkünstler und Fotograf Man Ray versuchte mit fotografischen Methoden Kunst zu schaffen, allerdings auch mit Methoden der Abstraktion, der Bildsprache oder der Symbolik, mit denen er sich von einer realistischen Abbildung abzuheben versuchte. Etablierung in Ausstellungen Erstmals trat die Fotografie in Deutschland in der Werkbund-Ausstellung 1929 in Stuttgart in beachtenswertem Umfang mit internationalen Künstlern wie Edward Weston, Imogen Cunningham und Man Ray an die Öffentlichkeit. Spätestens seit den MoMA-Ausstellungen von Edward Steichen (The Family of Man, 1955) und John Szarkowski (1960er) ist Fotografie als Kunst von einem breiten Publikum anerkannt, wobei gleichzeitig der Trend zur Gebrauchskunst begann. Ein wichtiger Meilenstein war 1947 die Gründung der Bildagentur Magnum Photos, eine unabhängige Fotoagentur und Fotografenagentur. Die zahlreichen bekannten Fotografen von Magnum brachten Bilder von hoher Qualität und Aussage in die Massenmedien und veränderten damit auch die Wahrnehmung der Fotografie durch die Öffentlichkeit. Oft wurde das Zeitgeschehen mit künstlerischen Aussagen der Magnum-Fotografen kommentiert – es entstanden ikonografische Bilder. Ein anderer Aspekt ist die Nutzung der Fotografie in Mode oder Architektur. Diese „Kunstwerke“ wurden spätesten ab den 1920er Jahren zu Objekten einer künstlerischen Fotografie. Modefotografie und Architekturfotografie schufen nun auch ikonografische Bilder. Als ein mögliches Kriterium für Fotografien als Kunstform sieht Susan Sontag im Kriterium des Neuen. Neu bedeutet hier das Aufzeigen neuer formaler Möglichkeiten oder Abweichungen der tradierten visuellen Sprache, heute würde man also von Bildsprache oder „fotografischem Sehen“ sprechen. Wie für jede Kunstform gilt „das Neue“ als ein essentieller Anspruch an die künstlerische Fotografie. Den von Walter Benjamin aufgezeigten Makel der Fotografie, dem eines mechanisch reproduzierten Objektes, dem die Handwerklichkeit der Malerei und ihre Fähigkeit ein Original zu schaffen abgeht, setzt Sontag entgegen, dass Fotografien durchaus über eine gewisse Authentizität aufweisen können. Fotografien, die eine eigene Bildsprache hervorbringen können und in einen Dialog mit dem Betrachter eintreten, können sehr wohl Kunst sein. Nicht zuletzt gilt auch die Rezeption in Museen und Ausstellungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts als ein möglicher Indikator für die zunehmende Herausbildung eines ästhetischen Urteils über Fotografien als Kunst. Innerhalb des Chemogramm wird 1974 die bis zu diesem Zeitpunkt vorhandene Schnittstelle zwischen den künstlerischen Medien Malerei und Fotografie kunsthistorisch relevant geschlossen. Das Chemogramm von dem Fotodesigner Josef H. Neumann, in den frühen siebziger Jahren erfunden und exakt spezifiziert, vereint Fotografie und Malerei erstmals weltweit innerhalb der schwarzweißen fotografischen Schicht. Im Jahr 1977 stellte die documenta 6 in Kassel erstmals als international bedeutende Ausstellung in der berühmten Abteilung Fotografie die Arbeiten von historischen und zeitgenössischen Fotografen aus der gesamten Geschichte der Fotografie in den vergleichenden Kontext zur zeitgenössischen Kunst im Zusammenhang mit den in diesem Jahr begangenen „150 Jahren Fotografie“. Etablierung in den Museen Heute ist Fotografie als vollwertige Kunstform akzeptiert. Indikatoren dafür sind die wachsende Anzahl von Museen, Sammlungen und Forschungseinrichtungen für Fotografie, Ausstellungen, die Zunahme der Professuren für Fotografie sowie nicht zuletzt der gestiegene Wert von Fotografien in Kunstauktionen und Sammlerkreisen. Zahlreiche oftmals nicht trennscharfe Genres haben sich entwickelt, darunter die Landschafts-, Akt-, Industrie-, Architekturfotografie und viele mehr, die innerhalb der Fotografie eigene Wirkungsfelder entfaltet haben. Außerdem entwickelt sich die künstlerische Fotomontage zu einem der Malerei gleichwertigen Kunstobjekt. Neuere Diskussionen innerhalb der Foto- und Kunstwissenschaften verweisen indes auf eine zunehmende Beliebigkeit bei der Kategorisierung von Fotografie. Zunehmend werde demnach von der Kunst und ihren Institutionen absorbiert, was einst ausschließlich in die angewandten Bereiche der Fotografie gehört habe. Die Digitalfotografie und die massenhafte Verbreitung von Kameras führte zu neuen Diskussionen über den Kunstanspruch der Fotografie. So ist heute die gewohnte und immer wieder gesteigerte Ästhetik oft ein Kritikpunkt und die geschickte Vermarktung von bekannten Fotografen, die sich in immer neuen Rekorden bei Auktionen widerspiegelt. Technisch perfekte Bilder können Kitsch sein, und nur bekannte Muster reproduzieren, ohne das Neue aufzuzeigen. Kritiker schöner oder perfekter Bilder kehren damit zu Baudelaire zurück: Es kommt auf das Erkennen einer Aussage an, auf Kritik, auf das Neue. Fotografie als Kunstform muss Fragen stellen und einen Dialog auslösen. Die Rezeption der künstlerischen Fotografie in Museen und Ausstellungen, die zahlreichen Wettbewerbe zeigen deutlich, das Fotografie eine Kunstform sein kann. Die US-amerikanische Essayistin Susan Sontag kommentierte dazu: „Das wahre Ausmaß des Thriumphs der Fotografie als Kunst und über die Kunst, wird erst nach und nach erfasst.“ Urheberrecht Ein Foto kann urheberrechtlichen Schutz genießen, wenn es als Lichtbildwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG anzusehen ist. Dies erfordert eine persönliche geistige Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG), d. h. das Foto bedarf einer gewissen Gestaltungshöhe. Die Gestaltungshöhe kann durch die Auswahl des Aufnahmeorts, eines bestimmten Objektivs oder durch die Wahl von Blende und Zeit eintreten. Fehlt die Gestaltungshöhe, kann der Fotograf statt eines urheberrechtlichen Schutzes einen Leistungsschutz nach § 72 UrhG genießen. Durch § 72 UrhG sind die Vorschriften für Lichtbildwerke auch auf die Lichtbilder anwendbar. Ab dem Jahr 1909 mussten die Fotografen, die den Kaiser und die kaiserliche Familie fotografiert hatten, die Rechte an diesen Fotografien an diese abtreten. Einflussreiche Fotografen Die Fotografie als Objekt der Kunstwissenschaft wurde geprägt durch herausragende Fotografen wie beispielsweise – ohne Wertung quer durch die Zeit- und Stilgeschichte der Fotografie – Tina Modotti, Gerda Taro, Franz Xaver Setzer, Jacob Wothly, W. H. Talbot, E. S. Curtis, Aenne Biermann, Karl Blossfeldt, Albert Renger-Patzsch, August Sander, Henri Cartier-Bresson, Germaine Krull, Florence Henri, Paul Wolff, Ansel Adams, vor dem Zweiten Weltkrieg, Marie Karoline Tschiedel, Otto Steinert, Richard Avedon, Diane Arbus und unzählige andere bis hin zu „Modernen“ wie Helmut Newton, Manfred Baumann, Walter E. Lautenbacher, Thomas Ruff, Jeff Wall, Andreas Gursky, Josef H. Neumann, Gerhard Vormwald und Rafael Herlich. Mit jedem dieser berühmten Fotografen ist eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Auffassung von Fotografie, ein persönlicher Stil – möglicherweise innerhalb eines bestimmten Fachgebietes der Fotografie – und eine eigene Thematik verbunden. Einige Fotografen organisierten sich in Künstlergruppen wie f/64 um Edward Weston in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder arbeiteten zusammen in Foto- oder Bildagenturen wie Magnum Photos oder Bilderberg – Archiv der Fotografen, andere arbeiten dagegen bevorzugt alleine. Oft sind künstlerisch bekannte Fotografen in ihrem „Brotberuf“ eher unauffällig und durchschnittliche „Handwerker“, erst in ihren freien Arbeiten treten sie mit Ausstellungen oder durch Preisverleihungen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Als Beispiel seien der Modefotograf Helmut Newton, der Werbefotograf Reinhart Wolf, der Landschafts- und Architekturfotograf Robert Häusser und der deutsche Eisenbahnfotograf Carl Bellingrodt genannt. Sie wurden mit völlig anderen Sujets als denen ihrer täglichen Arbeit bekannt, wie Akt-, Eisenbahn-, Food-, Architektur- sowie mit künstlerischer Schwarz-Weiß-Fotografie. Die Fotografie ist jedoch keine exklusive Kunstform, sondern wird auch von zahllosen Amateurfotografen betrieben: Die Amateurfotografie ist der Motor der Fotowirtschaft und Motivation für die Produktion der meisten Bilder, deren Zahl weltweit monatlich in die Milliarden geht. Genres der Fotografie Abstrakte Fotografie Aktfotografie Arbeiterfotografie Architekturfotografie Astrofotografie Dokumentarfotografie Erotische Fotografie Experimentelle Fotografie Food-Fotografie Fotojournalismus Hochzeitsfotografie Industriefotografie Konzertfotografie Kriegsfotografie Künstlerische Fotografie Landschaftsfotografie Modefotografie Naturfotografie Porträtfotografie Produktfotografie Ruinen-Fotografie Schwarzweißfotografie Sozialdokumentarische Fotografie Sportfotografie Straßenfotografie Theaterfotografie Tierfotografie Umweltfotografie Unterwasserfotografie Weltraumfotografie Werbefotografie Wissenschaftliche Fotografie Rezeption Teuerste Bilder Die aktuell teuerste Fotografie „Phantom“ von Peter Lik wurde nach Presseberichten im Dezember 2014 für 6,5 Millionen Dollar verkauft. Der englische Guardian" jedenfalls konnte das Bild sich sehr gut als „abgedroschenes Poster in einem schicken Hotel“ vorstellen. Vielleicht muss man die Frage stellen, ob der Preis eines aktuell gehandelten Bildes etwas über den künstlerischen Wert aussagt oder doch eher über die Vermarktung. Gursky, Salgado und andere Künstler entwickelten eine eigene Bildsprache – und haben wohl damit Kunstwerke geschaffen. Theorie und Praxis Die Fotografie wird in zahlreichen Einzeltheorien diskutiert, eine einheitliche und umfassende „Theorie der Fotografie“ fehlt bisher, stattdessen existieren sehr unterschiedliche Perspektiven, die die Fotografie beispielsweise aus philosophischer, psychologischer oder kunsthistorischer Sicht betrachten. Die gestalterische Gratwanderung zwischen der fotografischen Technik und der gewünschten Bildaussage, bis hin zu einer konzeptionellen Fotografie, vielleicht auch mit einer Bildsprache, wie sie professionelle Fotografen einsetzen, kennzeichnet die vielschichtig differenzierte Foto-Praxis der Gegenwart. Zitate Namensgeber Fotografiesammlungen in Museen Victoria & Albert Museum, London (UK) National Science & Media Museum, West Yorkshire (UK) Royal Photographic Society (UK) Boston Museum of Fine Arts, Boston (USA) MoMa, New York City (USA) Whitney Museum of American Art, New York City (USA) SFMoMa, San Francisco (USA) Art Institute of Chicago, Chicago (USA) Chicago Museum of Contemporary Photography, Chicago (USA) Getty Research Institute, Los Angeles (USA) New York Public Library, New York City (USA) Fotomuseum Antwerp, Antwerpen (B) Nederlands Fotomuseum, Rotterdam (NL) Musée d’Orsay, Paris (F) MEP Maison européenne de la photographie, Paris (F) Museum für Fotografie, Berlin (D). Fotografische Sammlungen Sammlung Fotografie in der Berlinischen Galerie Fotografie Sammlung im LVR-LandesMuseum Bonn Fotografische Sammlung im Museum Folkwang Essen Fotografische Sammlung des Ruhr Museums Essen Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg Fotografie und Medien im Sprengel Museum Hannover Landessammlung zur Geschichte der Fotografie im Haus der Fotografie (Erdgeschoss des Turm Ungenannt) des Landesmuseums Koblenz Sammlung Fotografie im Museum Ludwig, Köln Die Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur, Köln Sammlung Fotografie und zeitbasierte Medien, Pinakothek der Moderne, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München Stiftung Ann und Jürgen Wilde, Pinakothek der Moderne, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München Sammlung Fotografie im Münchner Stadtmuseum Fotografische Sammlung des Saarlandmuseums, Saarbrücken Ausstellungen 2012/013, Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim: Die Geburtsstunde der Fotografie – Meilensteine der Gernsheim-Collection 2018/019, Museum Fünf Kontinente, München: Fragende Blicke. Neun Zugänge zu ethnografischen Fotografien 2020, Kunstmuseum Basel: The Incredible World of Photography – Sammlung Ruth und Peter Herzog (Bis 10. Oktober) Literatur Fototechnik, Gestaltung und Fotopraxis Andreas Feininger: Andreas Feiningers große Fotolehre. Heyne, ISBN 3-453-17975-7. Harald Mante: Das Foto. Verlag Photographie 2010, ISBN 978-3-933131-79-9. Willy Puchner: Gestaltung mit Licht, Form und Farbe. München 1981, ISBN 3-87467-207-7. John Hedgecoe: Foto-Handbuch, Technik Ausrüstung Bildgestaltung. Buchclub Ex Libris, Zürich, 1985. Harald Mante, Josef H. Neumann: Filme kreativ nutzen. Verlag Photographie, Schaffhausen 1987, ISBN 3-7231-7600-3. Geschichte, Chronologie Boris von Brauchitsch: Kleine Geschichte der Fotografie. Philipp Reclam jun., Ditzingen 2018, ISBN 978-3-15-020519-8. Bodo von Dewitz, Reinhard Matz: Silber und Salz: Zur Frühzeit der Photographie im deutschen Sprachraum. Edition Braus, Köln/Heidelberg 1989, ISBN 3-925835-65-2. 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Riat, das auch die wichtigsten fotografischen Techniken beschreibt Informationen und Erläuterungen über alle Grundlagen der Fotografie (Peter Rohr) (private Seite) Gute Aussichten: Junge Deutsche Fotografie (private Seite) Online-Magazin für zeitgenössische Fotografie Photolit internationale Datenbank zur Fotoliteratur Fotostudium in Deutschland Deutsche Gesellschaft für Photographie Wissensportal rund um die digitale Spiegelreflexfotografie (private Seite) Videotutorials, Fototechnik, Informationen, Objektivtests (private Seite) Einzelnachweise Reproduktionstechnik Gattung der bildenden Kunst Künstlerische Technik Kunst als Namensgeber für einen Asteroiden
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fullerene
Fullerene
Als Fullerene (Einzahl: das Fulleren) werden hohle, geschlossene Moleküle (mit häufig hoher Symmetrie, z. B. Ih-Symmetrie für C60) aus Kohlenstoffatomen, die sich in Fünf- und Sechsecken anordnen, bezeichnet. Sie stellen (neben Diamant, Graphit, Lonsdaleit, Chaoit, Kohlenstoffnanoröhren und Graphen) eine weitere Modifikation des chemischen Elements Kohlenstoff dar. Geschichte Die erste Veröffentlichung zu Fullerenen von dem japanischen Chemiker Eiji Ōsawa, der ihre Existenz theoretisch vorhersagte und berechnete, stammt aus dem Jahr 1970. Diese und folgende seiner Publikationen veröffentlichte er in japanischer Sprache, weswegen erst die 15 Jahre später am 14. November 1985 in der Zeitschrift Nature erschienene Publikation der Forscher Robert F. Curl jr. (USA), Sir Harold W. Kroto (England) und Richard E. Smalley (USA) weltweite Aufmerksamkeit erlangte. Diese erhielten dafür 1996 den Nobelpreis für Chemie, während Osawa unberücksichtigt blieb. Vor diesen Veröffentlichungen zu Fullerenen gab es einige zu „Hohlmolekülen“, beispielsweise einen Artikel von David Jones im New Scientist 1966, nachgedruckt auch im Buch „Zittergas und schräges Wasser“ (S. 27 f.), mit Rechnungen zur Stabilität von Hohlmolekülen, wobei die damals größten bekannten Moleküle nur Dodekaeder-Form hatten, also nur 20 Atome enthielten. 2010 wurden Fullerene durch Infrarotaufnahmen des Weltraumteleskops Spitzer im planetarischen Nebel Tc 1 nachgewiesen. Sie sind die größten nachgewiesenen Moleküle im extraterrestrischen Weltraum. Name Die bekanntesten und stabilsten Vertreter der Fullerene haben die Summenformeln C60, C70, C76, C80, C82, C84, C86, C90 und C94. Das mit Abstand am besten erforschte Fulleren ist C60, das zu Ehren des Architekten Richard Buckminster Fuller Buckminster-Fulleren (auf Englisch auch ) genannt wurde, da es den von ihm konstruierten geodätischen Kuppeln ähnelt. Es besteht aus 12 Fünfecken und 20 Sechsecken, die zusammen ein Abgestumpftes Ikosaeder (Archimedischer Körper) bilden. Da ein klassischer Fußball dieselbe Struktur hat, wird es auch Fußballmolekül () genannt. Herstellung Erstmals wurde C60 1984 von E. A. Rohlfing, D. M. Cox und A. Kaldor in Spuren hergestellt. Allerdings hatten die Autoren in ihrer Publikation das Ergebnis ihrer Molekularstrahlexperimente falsch interpretiert und die besondere Struktur und Wichtigkeit des Kohlenstoffclusters mit 60 Atomen nicht erkannt. Die richtige Interpretation eines vergleichbaren Experiments lieferte dann ein Jahr später die Forschergruppe Harold W. Kroto, James R. Heath, Sean C. O’Brien, Robert F. Curl und Richard E. Smalley 1985. Sie stellten dabei erstmals die Hypothese der Fußballform des derart nachgewiesenen C60-Clusters auf. Über eine im Vakuum drehende Graphit­scheibe hinweg wird unter hohem Druck ein kurzer Helium­puls geblasen. Gleichzeitig wird mitten in diesen Heliumpuls die Graphitoberfläche von einem Laserpuls getroffen. Das Laserlicht hatte in dem Versuch eine Wellenlänge von 532 nm, mit dem innerhalb einer Bestrahlungszeit von 5 ns eine Energie von 30 bis 40 mJ übertragen wurde. Der Kohlenstoff des Graphits sublimiert dabei schlagartig atomar und verbindet sich in der kühlenden Heliumumgebung zu penta- und hexagonalen Ringstrukturen, die sich, während sie von dem Heliumpuls aus dem Bestrahlungsraum hinausgetrieben werden, in einer Reaktionskammer zu Kohlenstoffclustern beliebiger Größe, darunter Fullerenen, verbinden und im Massenspektrometer nachgewiesen werden. Die Ausbeute an C60 war jedoch so gering, dass die Untersuchung weiterer Eigenschaften nicht möglich war. Insbesondere blieb auch die hypothetische Fußballstruktur unbewiesen. Die Heidelberger Experimente Einen ersten Hinweis für die hochsymmetrische Struktur des C60-Moleküls lieferten 1988 UV- und IR-Spektren von Kohlestaub (Ruß) gemessen durch Wolfgang Krätschmer und den Praktikanten Bernd Wagner. Wagner hatte mittels Widerstandsheizung Graphit in einer Schutzgasatmosphäre von 50 Torr (65 hPa) Argon verdampft und dabei zum ersten Mal für spektroskopische Messungen ausreichende Mengen des C60-Moleküls erzeugt. Die gemessenen IR-Spektren zeigten vier relativ starke Absorptionslinien, die mit früheren theoretischen Vorhersagen für C60 gut übereinstimmten. Monate später, im Februar 1989, griff Konstantinos Fostiropoulos gleich zu Beginn seiner Doktorarbeit das brachliegende Experiment Wagners auf. Nach nur wenigen Wochen hatte er das Verfahren soweit weiterentwickelt, dass er vom Potenzial der Wagner’schen Arbeit zunächst sich selbst überzeugen konnte. Schließlich gelang es ihm, unter 100 Torr (133 hPa) Helium sehr dünne aber hochkonzentrierte Fullerenschichten herzustellen. Sofort wurde für den vorjährigen MPIK-Jahresbericht (1988) von Krätschmer ein Bericht über die Praktikumsarbeit von Bernd Wagner verfasst (Krätschmer und Wagner). Später entwickelte Fostiropoulos zwei weitere Verfahren, eines durch Widerstandsheizung für empfindliche Elektroden und ein robustes Lichtbogen-Verfahren für die effiziente Produktion, sodass schließlich die präparative Herstellung im Grammmaßstab pro Tag und die definitive Charakterisierung des vermuteten Fußballmoleküls möglich wurde. Das Widerstandsheizung-Verfahren diente Fostiropoulos, um dem Argument der Verunreinigung durch Kohlenwasserstoffe („Pumpenöl“) zu begegnen. Dazu entwickelte er eine bindemittelfreie Sintermethode und stellte Graphitelektroden aus Kohlestaub des 13C-Isotops (99 %) her, um diese durch Widerstandsheizung unter 100 Torr He zu verdampfen. So erreichte er im Dezember 1989 eine (fast) vollständige isotopische Substitution und generierte das exotische 13C60, womit der notwendige Nachweis schlussendlich erbracht war, dass der molekulare Träger der IR-Absorptionen ein reines Kohlenstoffmolekül hoher Symmetrie war und nicht eine Verunreinigung. Anfang Mai 1990 kam schließlich der Durchbruch. Zum ersten Mal konnte Fostiropoulos ein natürliches Fullerengemisch (C60, C70, C84 …) unter dem Schutzgas Ar (oder unter Vorvakuum) thermisch aus dem generierten Kohlestaub treiben und damit Quarz- und Si-Substrate für die Spektroskopie beschichten. Diese Filme erwiesen sich in der Folge als löslich in Benzol, sodass die Extraktion aus dem Ruß mittels Filtration oder Soxhlet-Einsatz deutlich vereinfacht wurde und eine chromatografische Trennung der Fullerene gelang. Das Lichtbogen-Verfahren wie auch die Extraktion der Fullerene aus dem Ruß mittels Lösungsmittel wurde zur heute gebräuchlichen industriellen Herstellung ausgereift. Erst dieses letzte der drei Heidelberger Herstellungsverfahren ermöglichte ab 1991 die Forschung an Fullerenen im großen Maßstab: Zwei Graphitelektroden werden unter reduziertem Druck in statischer Schutzgasatmosphäre (Helium oder Argon) im Lichtbogen verdampft. Der Dampf kondensiert an der kühlenden Atmosphäre, und es bildet sich ein aufsteigender Rauch. Der so produzierte Ruß enthält bis zu 15 % Fullerene. Die generierten Fullerene können anschließend aus dem Ruß thermisch ausgetrieben werden oder lassen sich alternativ mit einem unpolaren Lösungsmittel (Benzol, Toluol …) herauslösen. Die gewonnene Fulleren-Mischung besteht zu ca. 90 % aus C60 und ca. 10 % C70. Dagegen entstehen höhere Fullerene nur in Spuren. Durch Chromatographie, z. B. an Aktivkohle und/oder Kieselgel, kann die Fulleren-Mischung aufgetrennt werden. Möglich ist auch die Herstellung unter ausschließlicher Verwendung rationaler Synthesen, wobei hier im letzten Schritt eine Flash-Vakuum-Pyrolyse erfolgt. Die Ausbeute bei diesem Verfahren liegt allerdings nur bei etwa einem Prozent, weshalb es deutlich teurer als die Herstellung im Lichtbogen ist. Die Fullerene C60 und C70 kommen natürlich in Shungit und Fulgurit, aber auch molekular im interstellaren Medium vor. Eigenschaften Fullerene sind braun-schwarze Pulver von metallischem Glanz. Sie lösen sich in manchen organischen Lösungsmitteln (z. B. Toluol) unter charakteristischer Färbung. Fullerene lassen sich bei ca. 400 °C sublimieren. Verschiedene Möglichkeiten zur Verwendung als Katalysator, Schmiermittel, zur Herstellung künstlicher Diamanten, in der Medizin, als Halbleiter und Supraleiter sind Gegenstand der Forschung. Aufgrund der Bindungsverhältnisse im Molekül kann es extrem viele Radikale aufnehmen und binden (Radikalfänger). Diese sollen für den Alterungsprozess der Haut mitverantwortlich sein. Diese Wirkung von Fullerenen ist jedoch nicht wissenschaftlich belegt. Eine umstrittene Studie von 2012 berichtet, die orale Gabe von C60 aufgelöst in Olivenöl bei Ratten zeige keine toxische Wirkung und habe die Lebensdauer der Ratten deutlich verlängert. Eine Reproduktion des Experiments konnte die lebensverlängernde Wirkung nicht bestätigen. Nomenklatur Lange Zeit weigerte sich die für verbindliche Empfehlungen zur Nomenklatur chemischer Verbindungen zuständige IUPAC, den Trivialnamen Fulleren anzuerkennen. Erst im Jahr 2002 änderte sie ihre Meinung und empfiehlt seitdem die Verwendung von Fulleran, Fulleren und Fulleroid. Das bedeutet eine erhebliche Erleichterung, denn bis dahin ist der korrekte, das heißt IUPAC-konforme Name, z. B. des [60]Fullerens (C60), folgender gewesen: Hentriacontacyclo[29.29.0.02,14.03,12.04,59.05,10.06,58.07,55.08,53.09,21.011,20.013,18.015,30.016,28.017,25.019,24.022,52.023.50.026,49.027,47.029,45.032,44.033,60.034,57.035,43.036,56.037,41.038,54.039,51.040,48.042,46]hexaconta-1,3,5(10),6,8,11,13(18),14,16,19,21,23,25,27,29(45),30,32(44),33,35(43),36,38(54),39(51),40(48),41,46,49,52,55,57,59-triaconten Struktur und Stabilität Viele Fullerene bestehen aus 12 Fünfecken, die von einer unterschiedlichen Anzahl Sechsecken umgeben sind. Durch die Unmöglichkeit, eine Ebene mit regelmäßigen Fünfecken (und Sechsecken) vollständig zu bedecken, ergibt sich die sphärische Wölbung (siehe Bild rechts). Das kleinste Fulleren ist ein Dodekaeder, C20, und besteht nur aus pentagonalen Kohlenstoffringen. C60 hat etwa den Durchmesser 700 pm, also 7 · 10−10 m. Der Van-der-Waals-Durchmesser beträgt allerdings etwa 1000 pm, also einen Nanometer oder 1 · 10−9 m. Die Masse des C60 Fullerens beträgt etwa 720 u, außerdem hat C60 Ikosaeder-Symmetrie. Die Fullerene mit mehr als 60 C-Atomen besitzen im Allgemeinen geringere Symmetrie, C70 etwa ist annähernd ein Ellipsoid mit D5h-Symmetrie. Die Stabilität eines Fullerens ist dann am größten, wenn die Fünfecke nicht aneinandergrenzen, sondern nur von Sechsecken umgeben sind (Fünfeckregel, engl.: , IPR), der aromatische Charakter ausgeprägt ist (siehe Aromatizität, wobei hier allerdings die sog. sphärische Aromatizität betrachtet werden muss). Fullerene sind eng verwandt mit Graphen, einer Modifikation des Kohlenstoffs, bei der die C-Atome eine monomolekulare Schicht mit hexagonaler Struktur bilden. Es lässt sich folgende Reihe bilden: Graphen (nur 6-Ecke, plan) > Fullerene, allgemein (5- und 6-Ecke, gewölbtes Hohlmolekül) > C20-Fulleren (nur 5-Ecke, Dodekaeder, engste Krümmung, kleinstes Volumen). Reaktionen von C60 Fullerene bieten drei Ansatzpunkte für chemische Modifikationen. Durch Additionsreaktionen an die Doppelbindungen erhält man exohedrale Addukte. Das Ersetzen von Kohlenstoffatomen aus der Käfighülle durch z. B. Stickstoffatome zum C59N bezeichnet man als substitutionelles Doping. Schließlich bieten derartige Käfigstrukturen noch die Möglichkeit, Atome oder Verbindungen in den Hohlraum einzubringen. Verbindungen dieser Art bezeichnet man als endohedrale Komplexe. Zur Kennzeichnung endohedraler Komplexe hat sich in der Literatur die Schreibweise X@Cn durchgesetzt, bei der sich ein Atom oder Cluster X im Inneren eines Fullerenkäfigs aus n Kohlenstoffatomen befindet. C60 besitzt einen Hohlraum mit einem Durchmesser von 400 pm, in den Metall- und Nichtmetallatome eingelagert werden können. Ein Beispiel ist die Einlagerungsverbindung des Heliums, die mit der Notation He@C60 korrekt bezeichnet wird. He@C60 entsteht, wenn Graphit in einer Helium-Atmosphäre verdampft wird. Weiterhin kann C60 die für Aromaten aber auch Alkene typischen Reaktionen wie Hydrierung, Halogenierung, Ozonolyse und Birch-Reduktion eingehen. Jedoch findet in der Regel keine vollständige Umsetzung aller Doppelbindungen statt; nur mit Fluor kann die Zusammensetzung C60F60 erreicht werden. Weitere interessante Verbindungen sind die ionischen Alkalimetall-Fulleride: C60 kann mit Natrium und Kalium reduziert werden. Dabei entstehen Verbindungen der Zusammensetzung MC60, M2C60 und M3C60 (M = Na, K). KC60 kristallisiert in der Natriumchlorid-Struktur. In K3C60 liegt das C603−-Anion vor und bildet eine kubisch-dichteste Kugelpackung, wobei die K+-Kationen alle vorhandenen Tetraeder- und Oktaeder-Lücken in der Kristallstruktur besetzen. K3C60 ist ein Supraleiter. In der Gruppe von Anton Zeilinger an der Universität Wien (siehe Weblink) wurde die Interferenz von C60-Molekülen am Gitter beobachtet. Damit wurden die von Louis de Broglie postulierten Materiewellen auch für relativ makroskopische Objekte gezeigt. In der Arbeitsgruppe von Jochen Mattay an der Universität Bielefeld wurden weitreichende Untersuchungen über die Funktionalisierung der Fullerene zu Aza-Heterofullerenen gemacht. Natürliches Vorkommen Fullerene kommen in der Natur nur in wirtschaftlich nicht verwertbaren Mengen (Konzentrationen) vor. Mit Hilfe der Massenspektrometrie wurden Fullerene nachgewiesen im graphitartigen Shungit, im durch Blitzeinschlag entstandenen glasartigen Fulgurit, in Kratern von Meteoriteneinschlägen und im Kerzenruß. Mit Hilfe des Hubble-Teleskops wurden große Mengen des C60-Fullerens im interstellaren Raum nachgewiesen. Verwendung C60 eignet sich als Komponente in unterschiedlichen Konzepten organischer Solarzellen (OPV – organic photovoltaic). Solche Systeme basieren auf einer Absorberschicht, die aus einer Donator-Akzeptor-Kombination besteht. Wegen seiner hohen Elektronenaffinität ist das C60-Molekül für die Rolle als Elektronenakzeptor einzigartig und wird deshalb in solchen Bauteilen fast ausschließlich eingesetzt. Als Elektronendonator stehen dagegen eine große Zahl organischer Moleküle, wie z. B. das ebenfalls thermisch stabile Zn-Phthalocyanin, und viele Polymere zur Verfügung. Ein Beispiel für eine Verbindung, die C60 enthält, ist PCBM. Am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie hatte eine Forschungsgruppe um Konstantinos Fostiropoulos 2001 eine organische Solarzelle aus C60 und Zn-Phthalocyanin, präpariert aus der Gasphase, mit einer Rekordeffizienz von η=2,5 % erreicht. Bis heute (Stand 2015) erreichen fullerenbasierte OPV-Konzepte Effizienzen bis zu 12 %. Eine industrielle Fertigung organischer Solarzellen wird angestrebt. Literatur Joachim Dettmann: Fullerene – Die Buckyballs erobern die Chemie. Springer Basel AG, Basel 2014, ISBN 978-3-0348-5706-2. Andreas Hirsch, Michael Brettreich: Fullerenes – Chemistry and Reactions. Wiley-VCH, Weinheim 2005, ISBN 3-527-30820-2. Aurelio Mateo-Alonso, Dirk M. Guldi, Francesco Paolucci, Maurizio Prato: Fullerene: vielseitige Bausteine für molekulare Maschinen. In: Angewandte Chemie. 119, Nr. 43, 2007, S. 8266–8272, . Karsten Strey: Die Welt der Fullerene. Lehmanns Media, Berlin 2009, ISBN 978-3-86541-321-5. Einzelnachweise Weblinks Molekülphysik Kohlenstoffmodifikation Nanowerkstoff Stoffgruppe
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Frühmittelalter
Frühmittelalter oder frühes Mittelalter ist eine moderne Bezeichnung für den ersten der drei großen Abschnitte des Mittelalters, bezogen auf Europa und den Mittelmeerraum für die Zeit von etwa Mitte des 6. Jahrhunderts bis ca. 1050. Dem Frühmittelalter geht die Spätantike (ca. 300 bis 600/700) voran, eine Transformationszeit, die sich teils mit dem beginnenden Frühmittelalter überschneidet. Auf das Frühmittelalter folgen das Hoch- und das Spätmittelalter. Das Frühmittelalter ist als Übergang von der Antike zum Mittelalter sowie als eigenständige Epoche von Bedeutung. Beginn und Ende werden in der historischen Forschung unterschiedlich datiert, so dass verschieden breite Übergangszeiträume betrachtet werden. Entgegen der älteren Deutung als „dunkle“ oder „rückständige“ Epoche wird das Frühmittelalter in der modernen Forschung wesentlich differenzierter betrachtet. Es ist sowohl von Kontinuitäten als auch vom Wandel im politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich gekennzeichnet, was Auswirkungen bis in die Moderne hat. So begann die fortdauernde Teilung Europas und des Mittelmeerraums in einen christlichen und einen islamischen Teil sowie des christlichen Teils in einen lateinischen und einen orthodoxen, der den Kulturkreis von Byzanz umfasste. Mehrere der im Frühmittelalter entstandenen Reiche bildeten außerdem die Grundlage für heute noch existierende Staaten. Der Beginn des Frühmittelalters ist mit der sogenannten Völkerwanderung verknüpft, in deren Verlauf das weströmische Kaisertum 476 unterging. Die römischen Verwaltungsstrukturen im Westen verschwanden nur langsam, auf dem Boden des Westreiches entstanden neue germanisch-romanische Reiche. Das von den Merowingern im späten 5. Jahrhundert gegründete Frankenreich entwickelte sich zum bedeutendsten Nachfolgereich im Westen. Im Osten behauptete sich hingegen Ostrom, das im 6. Jahrhundert sogar einige verlorene Territorien im Westen zurückerobern konnte. Allerdings gingen große Teile der eroberten Gebiete bald wieder verloren. Ostrom bzw. Byzanz befand sich zudem bis ins frühe 7. Jahrhundert im Abwehrkampf gegen die persischen Sāsāniden. Im 7./8. Jahrhundert veränderte sich infolge der arabischen Eroberungen die politische Ordnung im Mittelmeerraum grundlegend. Dies bedeutete das endgültige Ende der Antike. Der ehemals byzantinisch kontrollierte Raum im Vorderen Orient und in Nordafrika wurde von den muslimischen Arabern besetzt und langsam islamisiert. Auch auf der Iberischen Halbinsel und auf Sizilien hielten sich längere Zeit islamische Herrschaften. Im Osten eroberten die Araber Persien und drangen bis nach Zentralasien vor. Im 8. Jahrhundert übernahmen im Frankenreich die Karolinger die Herrschaft. Unter ihnen entwickelte sich das Frankenreich zur Hegemonialmacht im Westen. Damit verbunden war eine Verlagerung des politischen Schwerpunkts vom Mittelmeerraum nach West- und Mitteleuropa und eine neue Phase der „staatlichen Ordnung“ in Europa. Unter Karl dem Großen, der im Jahr 800 an das westliche Kaisertum anknüpfte, umfasste das Frankenreich den Kernteil der lateinischen Christenheit vom Norden Spaniens bis in den rechtsrheinischen Raum und nach Mittelitalien. Aus dem im 9. Jahrhundert zerfallenden Karolingerreich entstanden das Westfrankenreich und das Ostfrankenreich, aus denen sich später Frankreich und Deutschland entwickelten. In Ostfranken stiegen im 10. Jahrhundert die Liudolfinger auf, erlangten die westliche Kaiserwürde und legten die Grundlage für das römisch-deutsche Reich, das auch Reichsitalien umfasste. Frankreich und England entwickelten sich schließlich zu territorial geschlossenen Herrschaftsräumen. Politisch waren das 10. und 11. Jahrhundert in den karolingischen Nachfolgereichen, auf der Iberischen Halbinsel und in England eine Konsolidierungsphase; es vollzog sich der Übergang ins Hochmittelalter. Im Norden begann im 8. Jahrhundert die bis ins 11. Jahrhundert andauernde Wikingerzeit. In Osteuropa entstanden ab dem 7. Jahrhundert Herrschaftsgebiete der Slawen, teils auf Stammesbasis, teils in Form von Reichsbildungen. Byzanz konnte sich nach schweren Abwehrkämpfen behaupten und überwand auch den Bilderstreit im 8./9. Jahrhundert. Im 10./11. Jahrhundert stieg Byzanz wieder zur Großmacht im östlichen Mittelmeerraum auf. Dagegen wurde das arabische Kalifat wiederholt von inneren Kämpfen geschwächt. Die seit 661 herrschende Dynastie der Umayyaden wurde 750 von den Abbasiden gestürzt. Unter ihnen erlebte das Kalifat eine kulturelle Blüte, musste aber auch die Abspaltung von Teilgebieten hinnehmen. In Bezug auf staatliche Institutionen und die darauf beruhende Organisation komplexerer Aufgaben waren Byzanz und das Kalifat den schwächeren Monarchien im Westen lange Zeit überlegen. Ebenso war die dortige Wirtschaftskraft und vor allem das kulturelle Milieu ausgeprägter, zumal dort mehr vom antiken Kulturgut und der Wissenschaftstradition erhalten blieb. Im lateinischen Europa etablierte sich im Frühmittelalter eine neue Gesellschaftsordnung mit dem Adel und der hohen Geistlichkeit als den führenden Schichten. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Grundherrschaft. Nach einer Phase des Niedergangs blühte die Kultur in Westeuropa im Zuge der karolingischen Bildungsreform im späten 8. und frühen 9. Jahrhundert spürbar auf, bevor es wieder zu einem zeitweiligen Rückgang kam. Bildung blieb ganz überwiegend auf die Geistlichkeit beschränkt. Wirtschaftlich begann nach einem Einbruch im 7./8. Jahrhundert wieder eine Phase des Aufschwungs, an dem die Städte Anteil hatten, wenngleich das Frühmittelalter wirtschaftlich überwiegend agrarisch geprägt war. Im religiösen Bereich wurde im Inneren Europas die Christianisierung der paganen Gebiete vorangetrieben. Dieser langsame Prozess zog sich teilweise bis ins Hochmittelalter hin, erweiterte den christlichen Kulturkreis aber erheblich nach Nord- und Osteuropa. Das zunächst politisch nicht relevante Papsttum und das Mönchtum gewannen zunehmend an Bedeutung. Die Kirche spielte im kulturellen Bereich ebenfalls eine wichtige Rolle. Mit dem Islam entstand zu Beginn des 7. Jahrhunderts eine neue große monotheistische Religion. Begriff und zeitliche Abgrenzung Das Mittelalter wird oft mit dem Jahrtausend von etwa 600 bis etwa 1500 gleichgesetzt. Der Begriff bezieht sich in erster Linie auf Europa sowie den Mittelmeerraum als Kulturbereich und lässt sich daher nur bedingt auf die außereuropäische Geschichte anwenden, wenngleich in der historischen Forschung auch bezüglich der Kulturräume Indien, China und Japan spezifische historische Perioden als das jeweilige Mittelalter bezeichnet werden. Relevant ist der Begriff Mittelalter vor allem für den christlich-lateinisch geprägten Teil Europas, da es dort in der Spätantike zu einem politischen und kulturellen Einschnitt kam. Aber auch der byzantinisch-griechische und islamisch-arabische Raum sind für das Verständnis des Mittelalters wesentlich, da alle drei Räume in einer wechselseitigen Beziehung standen. Die Geschichtswissenschaft diskutiert noch immer darüber, wie man das Frühmittelalter zeitlich zur Spätantike und zum Hochmittelalter abgrenzt. Mit dem Ende der Antike und dem Anfang des Frühmittelalters setzte eine Zeit ein, die in der älteren Forschung oft als eher „dunkle Periode“ betrachtet wurde. Dies begann bereits mit dem Aufkommen des Begriffs „Mittelalter“ (medium aevum) im Humanismus und festigte sich endgültig mit dem Geschichtsmodell der Aufklärung im 18. Jahrhundert, in der diese Form der Periodisierung vorherrschend wurde und Geschichtsabläufe in einem bestimmten Sinne (einer „mittleren Zeit“ zwischen Antike und Neuzeit) gedeutet wurden. Damit wurde von vornherein eine gewollte Abwertung vorgenommen. Speziell das Frühmittelalter galt im Vergleich zur Antike und der Renaissance als „finstere Epoche“. Dieses Geschichtsbild war noch bis ins 20. Jahrhundert prägend. In der modernen Forschung wird jedoch auf die Problematik solch pauschaler Urteile hingewiesen und für eine differenziertere Betrachtung plädiert. Für den Beginn des Frühmittelalters sind aus unterschiedlichen Perspektiven verschiedene Zeitpunkte und Ereignisse vorgeschlagen worden: 306–337: Herrschaft Konstantins, konstantinische Wende in der Religionspolitik um 375: Die Hunnen fallen in Ostmitteleuropa ein; dies gilt als Beginn der Völkerwanderung und der dadurch bedingten Umgestaltung West- und Mitteleuropas. 476: Der letzte weströmische Kaiser, Romulus Augustulus, wird von Odoaker abgesetzt. 486/87: Der merowingische König Chlodwig I. besiegt Syagrius, den letzten Repräsentanten der römischen Herrschaft in Gallien. 529: Benedikt von Nursia gründet die Abtei Montecassino in Süditalien, die zur Wiege des mittelalterlichen Mönchtums wird. Im gleichen Jahr verbietet der oströmische Kaiser Justinian die Platonische Akademie in Athen. 565: Justinian, dessen Truppen weite Gebiete im Westen zurückerobert haben, stirbt. 568: Mit dem Einfall der Langobarden in Italien erfolgt die Gründung des letzten für das Frühmittelalter bedeutenden Nachfolgereiches auf römischem Boden. 632: Die Ausbreitung des Islams beginnt. Die frühen Datierungen werden in der neueren Forschung nicht mehr vertreten. Vielmehr betrachtet man nun den Zeitraum von ca. 500 bis ca. 700 als fließende Übergangszeit von der Spätantike ins frühe Mittelalter mit Überschneidungen. Dabei wird berücksichtigt, dass dieser Prozess regional sehr unterschiedlich verlief und (unterschiedlich stark ausgeprägt) antike Elemente erhalten blieben. Oft wird von Frühmittelalterhistorikern auch die Entwicklung in der Spätantike ab dem 4. Jahrhundert in die Betrachtung einbezogen, soweit in dieser Phase wichtige Voraussetzungen für die spätere Entwicklung Westeuropas geschaffen wurden. Denn die Spätantike war eine Übergangszeit, die einzelne Wesenszüge des Mittelalters vorwegnahm, so insbesondere die Christianisierung von Staat und Gesellschaft. Während die ältere, am Klassizismus orientierte Forschung einen Bruch zwischen der als vorbildlich geltenden griechisch-römischen Antike und dem vermeintlich „finsteren“ Mittelalter betonte („Katastrophentheorie“), werden in der heutigen Forschung daher die Aspekte der Kontinuität herausgearbeitet und stärker gewichtet. Die Vielzahl von aktuellen Publikationen zeigt den deutlichen Anstieg des Forschungsinteresses an der Übergangszeit von der Spätantike ins Frühmittelalter, wobei die Forschungsansätze stark variieren. In der neueren Forschung wird das Geschehen im eurasischen Raum im ersten Jahrtausend – die Entstehung des spätrömischen Reiches mit all den damit verbundenen Umbrüchen, die „Völkerwanderung“, die Auseinandersetzungen mit Persien, die Entstehung der islamischen Welt und der romanisch-germanischen Welt im Westen des ehemaligen Imperiums – zunehmend im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang betrachtet. In diesem Zusammenhang entstand ein als long Late Antiquity bezeichnetes Modell der Zeit vom 3. bis 9. Jahrhundert, das von einer Minderheit in der Forschung vertreten wird. Unbestritten ist inzwischen, dass Spätantike und Frühmittelalter nicht als starre chronologische Gebilde begriffen werden dürfen und vielmehr regional unterschiedliche Übergangszeiträume zu berücksichtigen sind. In der neueren Forschung wird das frühmittelalterliche Europa verstärkt nicht mehr isoliert betrachtet, sondern ist eingebettet in einen globalgeschichtlichen Kontext. Auch das Ende des Frühmittelalters und der Beginn des Hochmittelalters wird an keinem einzelnen Datum festgemacht. Als Eckpunkte gelten etwa der endgültige Zerfall des Karolingerreiches und die Bildung der Nachfolgereiche um und nach 900, die Adaptierung der weströmischen Reichsidee durch Kaiser Otto I. 962 (einschließlich der folgenden Entwicklung, die vom Ostfrankenreich zum später so genannten Heiligen Römischen Reich führte), das Ende des ottonischen Kaiserhauses (1024) oder allgemein die Zeit um 1050. Die Gliederungsansätze in der deutschsprachigen Forschung sind vor allem an der mitteleuropäischen Dynastiegeschichte orientiert; in der englischen, französischen und italienischen Forschung stehen andere Gesichtspunkte im Vordergrund. Dies hängt mit den unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen zusammen. So gilt zum Beispiel in Großbritannien die Eroberung Englands durch die Normannen im Jahr 1066 als Zäsur. Aus byzantinistischer Sicht sind das Jahr 1054, mit dem das Morgenländische Schisma zwischen Rom und Konstantinopel begann, und die Eroberung Anatoliens durch türkische Nomaden ab 1071 wichtige Einschnitte. Die Datierungsansätze variieren daher in der Fachliteratur, auch in den „europäisch“ ausgerichteten Überblicksdarstellungen, zwischen ca. 900 und der Mitte des 11. Jahrhunderts. Politische Geschichte Voraussetzungen: Rom in der Spätantike Auch nach dem Erlöschen des weströmischen Kaisertums im Jahr 476 war das römische Erbe im Mittelalter weiterhin von Bedeutung. Latein blieb die zentrale Verkehrs- und Gelehrtensprache, römische Ämter existierten noch lange nach dem Ende Westroms in den germanisch-romanischen Nachfolgereichen fort. Viele Zeitgenossen nahmen 476 daher nicht als Einschnitt wahr. Materielle Hinterlassenschaften waren allgegenwärtig und wurden teils ebenfalls weiterhin genutzt. Die in Konstantinopel residierenden Kaiser des Ostreichs wurden in den meisten Regionen des Westens noch das ganze 6. Jahrhundert hindurch als Oberherr anerkannt (wenngleich meist ohne praktische Konsequenzen). Denn die Idee des römischen Imperiums prägte nachhaltig das gelehrte Denken: Da die Kirchenväter gelehrt hatten, das Römische Reich sei das letzte vor dem Weltende, folgerten viele christliche Autoren hieraus im Umkehrschluss, dass das Imperium Romanum weiterhin bestehe. Dieses Reich allerdings wandelte sich bereits lange vor 476 in vielerlei Hinsicht, und diese Tendenzen setzten sich nun nach dem Wegfall der kaiserlichen Zentralgewalt fort. Das Römische Reich durchlief in der Spätantike einen Transformationsprozess, der lange mit Dekadenz bzw. Verfall gleichgesetzt wurde und erst in der modernen Forschung differenzierter analysiert worden ist. An die Reformen Kaiser Diokletians anknüpfend organisierte Konstantin der Große Verwaltung und Heer zu Beginn des 4. Jahrhunderts weitgehend neu. Noch folgenreicher war die von Konstantin betriebene religionspolitische Wende, die oft als konstantinische Wende bezeichnet wird, vor allem die nach 312 deutliche Privilegierung des Christentums. Die auf Konstantin folgenden Kaiser waren mit Ausnahme Julians alle Christen. Diese Entwicklung gipfelte am Ende des 4. Jahrhunderts in der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion durch Theodosius I. Die paganen (heidnischen) Kulte konnten sich noch bis ins 6. Jahrhundert halten, verloren aber spätestens nach 400 zunehmend an Bedeutung und wurden nur noch von einer schrumpfenden Minderheit praktiziert. Im Gegensatz dazu gewann die christliche Reichskirche immer stärker an Einfluss, wenngleich die verschiedenen innerchristlichen Streitigkeiten (→ Erstes Konzil von Nicäa, Arianismus, Nestorianismus, Monophysitismus) teilweise erhebliche gesellschaftliche und politische Probleme verursachten. Bereits im 3. Jahrhundert entwickelte sich zuerst im Osten des Reiches das Mönchtum, das im Mittelalter von großer Bedeutung war. Im Gegensatz zur älteren Lehrmeinung wird die Entwicklung des römischen Staates und der römischen Gesellschaft in der Spätantike nicht mehr als ein Niedergangsprozess aufgefasst. Vielmehr zeigten Wirtschaft, Kunst, Literatur und Gesellschaft Zeichen spürbarer Vitalität, wenngleich regional unterschiedlich ausgeprägt. Im Osten des Reiches, der im Inneren weitgehend stabil blieb, war die Lage insgesamt deutlich günstiger als im krisengeschüttelten Westen. In der spätantiken Kultur wurde das „klassische Erbe“ gepflegt, gleichzeitig wuchs aber der christliche Einfluss. Christliche und pagane Autoren schufen bedeutende Schriften verschiedener Couleur (siehe Spätantike#Kulturelles Leben). Rechtsgeschichtlich von großer Bedeutung war das spätantike Werk des Corpus iuris, das ab dem Hochmittelalter umfänglich rezipiert wurde. Der römische Staat war seit Konstantin zentralisierter als zuvor, wobei die nun rein zivilen Prätorianerpräfekten an der Spitze der Verwaltung standen. Es kann aber nicht von einem Zwangsstaat gesprochen werden, zumal die Verwaltung mit ihren rund 30.000 Beamten für die ca. 60 Millionen Einwohner nach modernen Maßstäben personell schwach ausgeprägt war. Im militärischen Bereich wurden häufig Germanen und andere „Barbaren“ für das Heer rekrutiert; da sie anders als früher nicht mehr in gesonderten Verbänden (Auxiliartruppen), sondern in der regulären Armee dienten, wirkte diese nun offenbar „unrömischer“ als zuvor. Eine Sonderrolle spielten dabei die foederati, reichsfremde Krieger, die als Verbündete galten und nur indirekt römischem Befehl unterstanden. Außenpolitisch verschlechterte sich die Lage des spätantiken Imperiums ab etwa 400. Bereits zuvor hatten Germanen an Rhein und Donau sowie vor allem das neupersische Sāsānidenreich, Roms großer Rivale im Osten, für beständigen Druck gesorgt, doch blieb die Lage bis ins späte 4. Jahrhundert relativ stabil. Die Römer konnten zudem oft selbst die Initiative übernehmen. Nach der faktischen Teilung des Imperiums 395 wurden beide Kaiserhöfe aber wiederholt in Gebietsstreitigkeiten und in Konflikte über den Vorrang im Gesamtreich verwickelt. Das ökonomisch stärkere und bevölkerungsreichere Ostreich konnte die externen und internen Probleme dabei besser lösen, war ab dem 6. Jahrhundert allerdings in einen anhaltenden Konflikt mit den Sāsāniden verwickelt (→ Römisch-Persische Kriege). Westrom hingegen erlebte innere Wirren und eine Kette von Bürgerkriegen. Dort gewannen zudem die Heermeister zunehmend an politischem Einfluss (den sie, anders als im Ostreich, auch behaupten konnten) und kontrollierten am Ende faktisch die Kaiser. Von der Antike ins Mittelalter: die Völkerwanderung Die sogenannte Völkerwanderung (ca. 375 bis 568) bildet ein Bindeglied zwischen der Spätantike und dem Beginn des europäischen Frühmittelalters. Die zunehmend schwach verteidigten weströmischen Grenzen wurden nun verstärkt von Plünderern germanischer Stämme aus dem Barbaricum überschritten, während im Inneren des Reiches Kriegerverbände (sehr oft mit Familien) umherzogen. Foederati (aufgrund von Verträgen in römischen Diensten stehende reichsfremde Kriegergruppen mit eigenen Befehlshabern) wurden insbesondere in die internen Kämpfe verwickelt, die in Westrom jahrzehntelang andauerten. Teils im Zusammenspiel und durch Verträge (foedera) mit den römischen Behörden, teils mit militärischer Gewalt gewannen ihre Anführer die Kontrolle über immer größere Teile des westlichen Imperiums, indem sie oft das Machtvakuum füllten, das die fortschreitende Desintegration der kaiserlichen Herrschaft geschaffen hatte. Auf diese Weise trugen sie umgekehrt zu einer Destabilisierung des Weströmischen Reiches bei. Der Auflösungsprozess, verbunden mit dem sukzessiven Verlust der Westprovinzen (vor allem Africa und Gallien), schritt bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts rasch voran und endete im Jahr 476 mit der Absetzung des letzten Kaisers in Italien, während sich Ostrom behaupten konnte. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung gemäß traditioneller Ansicht bereits im 4. Jahrhundert: Im Jahr 376 baten Goten an der Donau auf der Flucht vor den Hunnen (ein aus Zentralasien stammendes, heterogen zusammengesetztes Reitervolk unklarer Herkunft) um Aufnahme im Osten des Imperiums. Die Römer warben die Krieger als Söldner an. Bald auftretende Spannungen führten jedoch zu einer Meuterei und 378 zur Schlacht von Adrianopel, in der der oströmische Kaiser Valens und ein Großteil seines Heeres fielen. In den folgenden Jahrzehnten agierten diese gotischen Gruppen im Imperium manchmal als foederati und manchmal als Gegner Roms. Unter ihrem Anführer Alarich forderten gotische foederati vom Westkaiser Flavius Honorius seit 395 zunehmend verzweifelt Versorgung (annona militaris); als es zu keiner Einigung kam, plünderten sie 410 Rom, das längst nicht mehr kaiserliche Residenz, aber doch ein wichtiges Symbol des Imperiums war. In den Jahren 416/18 wurden die Krieger schließlich in Aquitanien angesiedelt. Sie agierten in der folgenden Zeit als römische foederati und kämpften etwa unter dem mächtigen weströmischen Heermeister Flavius Aëtius 451 gegen die Hunnen. Der westgotische rex Eurich (II.) brach bald nach seinem Regierungsantritt 466 den Vertrag mit dem geschwächten Westreich und betrieb eine expansive Politik in Gallien und Hispanien. Aus diesen Eroberungen entstand das neue Westgotenreich, das bis zum Jahr 507 weite Teile Hispaniens und den Südwesten Galliens umfasste. Für Westrom, das von inneren Machtkämpfen und Usurpationen erschüttert wurde, wurde die Lage durch den Rheinübergang von 406 und die dadurch ausgelöste Entwicklung immer bedrohlicher: Zum Jahreswechsel 406/07 überschritten Vandalen, Sueben und Alanen den Rhein, vermutlich im Raum Mogontiacum (Mainz). Die römische Rheinverteidigung brach vorübergehend zusammen und „barbarische Gruppen“ fielen plündernd in Gallien ein, bevor sie nach Hispanien weiterzogen. Die untereinander verfeindeten Römer warfen einander dabei vor, die fremden Krieger ins Land gerufen zu haben. An den Rhein stießen außerdem die Burgunden vor, die sich kurzzeitig in die römische Politik einmischten, bevor sie in den Dienst der Römer traten und am mittleren Rhein ein bis 436 bestehendes Reich errichteten. Anschließend wurden die Burgunden in das heutige Savoyen umgesiedelt, wo sie ein neues Reich errichteten, das in den 530er Jahren von den Franken erobert wurde. Eine wichtige Rolle im Rahmen der „Völkerwanderung“ und im weiteren Verlauf des Frühmittelalters kommt dem Frankenreich zu. Franken fungierten zu Beginn des 5. Jahrhunderts als römische foederati im Nordosten Galliens. Sie profitierten am meisten vom Zusammenbruch der römischen Herrschaftsordnung in Gallien, wo sie Ende des 5. und Anfang des 6. Jahrhunderts ein neues Reich errichteten (siehe unten). Der Kriegerverband der Vandalen setzte unter dem rex Geiserich im Jahr 429 von Südspanien nach Nordafrika über, wo die Krieger bis 439 ganz Africa, die reichste weströmische Provinz, eroberten. Die Vandalen wurden mit einer neuen Flotte zu einer ernsten Bedrohung für die weströmische Regierung, die seit Ende 402 statt in Mailand in Ravenna residierte. Geiserich griff in der Folgezeit immer wieder in die weströmischen Machtkämpfe ein. Im Jahr 455 plünderte er Rom, 468 wehrte er eine gesamtrömische Flottenexpedition ab. Im Inneren erwiesen sich die Vandalen dabei, ähnlich wie viele andere foederati nicht als Barbaren, sondern durchaus als Anhänger der römischen Kultur, die weiter in Africa gepflegt wurde. Allerdings kam es zwischen den arianischen Vandalen und den katholischen Romanen zu erheblichen religiösen Spannungen, die nicht überwunden wurden, bis in den Jahren 533/534 oströmische Truppen das Vandalenreich eroberten. In Britannien ging währenddessen die römische Ordnung bereits in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts unter. Um 440 rebellierten hier Sachsen, später auch Jüten und Angeln, die als foederati gedient hatten, und gründeten eigene Kleinreiche, nachdem Westrom die Insel praktisch sich selbst überlassen hatte. Nur vereinzelt gelang es römisch-britannischen Truppen, den Invasoren Widerstand zu leisten, doch ist über die Details wenig bekannt (siehe unten). Die (später sogenannten) Ostgoten waren nach 375 unter hunnische Herrschaft geraten. Unter Attila erreichte das Hunnenreich an der Donau die größte Machtentfaltung: Sowohl West- wie auch Ostrom bemühten sich um möglichst gute Beziehungen (siehe etwa den ausführlichen Bericht des Priskos über eine oströmische Gesandtschaft 449). Um 450 kam es dann zum Konflikt mit Flavius Aëtius. Nach gescheiterten Vorstößen nach Gallien (451) und Italien (452) zerfiel nach Attilas Tod im Jahr 453 und der Schlacht am Nedao im darauffolgenden Jahr (454) das nur sehr locker organisierte Hunnenreich. Die Ostgoten profitierten davon, nachdem sie in der Schlacht an der Bolia (469) gegen Gepiden und Skiren siegreich geblieben waren. Zunächst in Pannonien, dann in Thrakien lebten sie als römische foederati. Währenddessen war das immer weiter schrumpfende weströmische Reich, d. h. das vom Hof in Ravenna kontrollierte Gebiet, schließlich auf Italien beschränkt, nachdem Westrom Africa, Hispanien und Gallien faktisch an die verschiedenen Kriegergruppen verloren hatte. Damit waren ganz erhebliche steuerliche Einbußen verbunden, was sich auf die militärischen Ressourcen auswirkte. Nach der Ermordung des durchaus ehrgeizigen Aëtius im Jahr 454 durch Kaiser Valentinian III. (der im folgenden Jahr getötet wurde) beschleunigte sich der staatliche Erosionsprozess im Westreich. Des Weiteren hatten in den letzten Jahrzehnten Westroms nur „Schattenkaiser“ regiert, während die wahre Macht bei den Heermeistern lag und die Armee von den Kaisern nicht mehr effektiv kontrolliert werden konnte. Das nun fast vollkommen „barbarisierte“ weströmische Heer hatte im Jahr 476 Land von der weströmischen Regierung gefordert; als die Forderung nicht erfüllt wurde, meuterten die Truppen. Ihr Anführer Odoaker setzte den letzten römischen Kaiser in Italien, Romulus Augustulus, Anfang September 476 ab. Damit blieb nur noch (wenngleich sich der im Jahr 475 aus Italien vertriebene Kaiser Julius Nepos bis 480 in Dalmatien hielt) der Kaiser in Konstantinopel als Oberhaupt des auf das Ostreich reduzierten Imperiums übrig. Der oströmische Kaiser Zenon schlug im Jahr 488 dem ostgotischen Heerkönig Theoderich, der ihm immer gefährlicher zu werden erschien, eine Invasion Italiens vor. Ein Jahr später (489) fiel Theoderich in Italien ein und besiegte und tötete Odoaker im Jahr 493. Italien prosperierte unter der Herrschaft Theoderichs, doch begann nach seinem Tod im Jahr 526 eine Krisenzeit. Ostrom nutzte dynastische Kämpfe aus, um im Gotenkrieg (ab 535) das ehemalige Kernland des Imperiums zu erobern. Dies gelang bis zum Jahr 552, doch war Italien anschließend verwüstet. Der Einfall der Langobarden im Jahr 568, die von Pannonien aus aufgebrochen waren und bald schon große Teile Ober- und Mittelitaliens beherrschten, setzte hierbei nur den Schlusspunkt. Im Gegensatz zur älteren Forschung wird heute auf die Problematik des Begriffs Völkerwanderung und dem damit verbundenen Geschichtsbild hingewiesen. Nicht ganze Völker „wanderten“ demnach, es waren vielmehr unterschiedlich große, heterogen zusammengesetzte Kriegergruppen mit ihrem Anhang, die erst im Laufe der Zeit zu Verbänden zusammenwuchsen und eine eigene Identität beanspruchten. Dieser Vorgang kann nicht anhand von biologischen Kategorien erfasst werden; Identitäten entstanden vielmehr in einem wechselhaften sozialen Prozess, bei dem mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Die Mitglieder dieser Gruppen einte nicht zuletzt das Bemühen, am Wohlstand des Imperiums, das sie keineswegs zerstören oder erobern wollten, teilzuhaben. Lange Zeit versuchten sie dieses Ziel zu erreichen, indem sie in die Dienste der Römer traten und für diese gegen äußere und innere Feinde kämpften. In diesem Kontext spielt der Prozess der Ethnogenese eine wichtige Rolle, also der Entstehung neuer Gruppen, die fiktiv Abstammungsgemeinschaften waren, deren Einheit aber in Wirklichkeit politisch und sozial begründet war. Allerdings wurde dieser einflussreiche Forschungsansatz (den unter anderem Herwig Wolfram und mit Modifizierungen Walter Pohl vertreten haben) in den letzten Jahren durch mehrere anglo-amerikanische Forscher teilweise in Frage gestellt. Wolfram und Pohl verwenden den Ethnogenese-Begriff in ihren neueren Arbeiten allerdings selbst nicht mehr, sondern betonen den Identitätsbegriff, der in der neueren Forschung verstärkt eine Rolle spielt. Die Völkerwanderung war zudem viel mehr als nur ein Abwehrkampf des Römischen Reiches. Sie war vor allem eine Transformation der bisherigen römischen Mittelmeerwelt hin zu einer germanisch-romanischen Welt im Westen und einer griechisch-römischen Welt im Osten. Die teils dramatischen Veränderungen am Ende der Spätantike dürfen hierbei nicht übersehen, aber auch nicht überschätzt werden, denn es lassen sich ebenso zahlreiche Zeichen der Kontinuität ausmachen. Im Verlauf des sechsten und siebten Jahrhunderts kam es im Westen so zu einer langsamen Transformation hin zu einer germanisch-romanischen Welt, die das europäische Mittelalter prägen sollte. Dieser Prozess verlief aber keineswegs geradlinig oder war zwangsläufig, sondern war vielmehr geprägt von Kontingenzerfahrungen für die damalig handelnden Personen. Westrom wurde nicht von „Barbaren“ überrannt und vernichtet. Es fiel vielmehr einem politischen Desintegrationsprozess zum Opfer. Spätestens seit dem frühen 5. Jahrhundert nahm der Einfluss der hohen Militärs im Westreich derart zu, dass die Heermeister nun die wahre Macht ausübten. Neben dem Militär entglitten aber auch zusehends wichtige Provinzen (vor allem Africa, bald darauf aber auch große Teile Hispaniens und Galliens) der kaiserlichen Kontrolle. Andere Militärführer oder auch Anführer diverser gentes agierten währenddessen als Warlords auf eigene Rechnung und profitierten so von der politischen Erosion im Westreich. Dies war allerdings kein von Beginn an geplanter Prozess; so entwickelten sich die meisten der neuen Herrschaftsgebiete erst im Verlauf der Auflösung des Westreichs (beschleunigt von internen römischen Machtkämpfen und begünstigt durch äußere Faktoren wie der Bedrohung durch das Hunnenreich unter Attila). Damit handelte es sich in erster Linie um eine Herrschaftsübernahme, wobei die neuen Herren oft bestrebt waren, die vorhandenen römischen Strukturen zu nutzen und die einheimische römische Elite nicht selten kooperierte. Die im Laufe der Völkerwanderung entstandene „post-römische Welt“ war in vielerlei Hinsicht noch immer eng mit der Antike verbunden, wenngleich sie sich immer mehr veränderte. Johannes Fried fasst dies folgendermaßen zusammen: Nach und nach verschwanden im Westen immer größere Teile der gewohnten römischen Institutionen, zunächst (bereits im 5. Jahrhundert) die Armee, dann die römische Verwaltungsordnung. Römische Bildung und kulturelle Traditionen, die eng mit der spätantiken urbanen Gesellschaft zusammenhingen, befanden sich ebenfalls im Niedergang, aber keineswegs überall (wenn man vom Spezialfall Britannien absieht, wo es recht rasch zu einem Zusammenbruch kam): Vor allem in Nordafrika, im Westgotenreich sowie in Italien und teilweise in Gallien florierte die spätantike Kultur vielmehr noch bis weit ins 6. Jahrhundert hinein. Eine wichtige Vermittlerrolle kam in diesem Zusammenhang der Kirche zu, in deren Klöstern antike Texte aufbewahrt und später kopiert wurden, bereits beginnend mit Cassiodor. Die Bücherverluste in der Spätantike führten allerdings dazu, dass zahlreiche antike Werke nur anhand von Zitaten und Zusammenfassungen rezipiert werden konnten. Ebenso funktionierte die römisch ausgebildete Verwaltung in diesen Gebieten noch längere Zeit. Die ohnehin verschwindend kleine Minderheit der Germanen glich sich außerdem der einheimischen romanischen Bevölkerung mit deren überlegener römischer Zivilisation oft an, war aber religiös von den Romanen weitgehend abgesondert. Die Germanen waren, wenn sie nicht zuvor in paganer religiöser Tradition standen, mehrheitlich arianische Christen, die Bevölkerung hingegen römisch-katholisch, was oft zu Spannungen führte, vor allem im Vandalenreich sowie teils im ostgotischen und langobardischen Italien. Die Franken hingegen vermieden mit der Annahme des katholischen Bekenntnisses unter Chlodwig I. solche Probleme. In der aktuellen Forschung spielt zudem das Konzept von „Romanness“ im Hinblick auf den Übergang von der Spätantike ins Frühmittelalter eine zunehmend wichtigere Rolle. Mit diesem Begriff, der sich vielleicht am ehesten als „Römertum“ übersetzen lässt, soll verdeutlicht werden, dass die soziale Identität von (ehemaligen) Angehörigen des Imperiums sehr vielschichtig sein konnte, keineswegs nur ethnisch definiert und auch nicht unveränderlich war. Nachdem der alte politische Bezugsrahmen mit dem Fall Westroms entfiel und nun die reges in den Nachfolgereichen zum politischen Bezugspunkt für die jeweiligen Eliten wurden, verlagerte sich der Schwerpunkt auf religiöse (dem „richtigen“ Bekenntnis, d. h. die Zugehörigkeit zur Reichskirche) und kulturelle Aspekte. Dies konnte sich regional allerdings sehr unterschiedlich gestalten. Die spätantike Mittelmeerwelt im Wandel: Von Justinian bis zum Einbruch des Islam Im 6. Jahrhundert wurden die Mittelmeerwelt und der Vordere Orient von zwei rivalisierenden Großmächten dominiert: dem Oströmischen Reich und dem neupersischen Sāsānidenreich, das Ostrom militärisch und kulturell durchaus gewachsen war. Der (ost-)römische Kaiser Justinian (reg. 527–565) betonte im Inneren die christlich-sakrale Komponente seines Kaisertums, nach außen strebte er seit den 530er Jahren die Rückgewinnung von Territorien im Westen an. Wenngleich die Zeit Justinians den Charakter einer Übergangszeit hat, orientierte sich der Kaiser politisch weiterhin an der römischen Tradition. Er kümmerte sich intensiv um die Religionspolitik und ging gegen die Reste der paganen Kulte und gegen häretische christliche Gruppen vor. Eine Lösung der teils schwierigen theologischen Probleme (siehe unter Monophysitismus) und die Durchsetzung eines einheitlichen christlichen Glaubensbekenntnisses für das gesamte Reich gelang ihm allerdings nicht. Außerdem betrieb er eine energische Bau- und Rechtspolitik (siehe Corpus iuris civilis). Außenpolitisch ging das Imperium in seiner Regierungszeit im Westen in die Offensive und konnte auf den ersten Blick beeindruckende Erfolge vorweisen. Dank fähiger Befehlshaber wie Belisar gelang 533/34 die rasche Eroberung des Vandalenreichs in Nordafrika. 535 bis 552 wurde nach harten Kämpfen im Gotenkrieg das Ostgotenreich in Italien erobert. Sogar in Südspanien fasste Ostrom seit 552 vorläufig wieder Fuß. Damit erstreckte sich das Imperium Romanum wieder vom Atlantik bis nach Mesopotamien. Allerdings beanspruchte diese Ausweitung alle Mittel des Reiches, das im Inneren durch Naturkatastrophen und Seuchen (→ Justinianische Pest und die daran anschließenden Pestwellen bis ins 8. Jahrhundert hinein) geschwächt wurde. Im Osten musste Justinian zudem gegen die Sāsāniden Rückschläge hinnehmen und konnte erst nach wechselhaften und verlustreichen Kämpfen 562 mit dem bedeutenden Perserkönig Chosrau I. Frieden schließen. Als Justinian 565 starb, war das Imperium von den langen Kriegen im Westen und im Osten geschwächt, aber zugleich unzweifelhaft die bedeutendste Macht im Mittelmeerraum. Nachdem es in der Regierungszeit Justins II. 572 wieder zum Krieg mit Persien gekommen war, wobei keiner Seite ein entscheidender Erfolg gelang, konnte Kaiser Maurikios (reg. 582–602) von einem Konflikt um die persische Thronfolge profitieren und mit König Chosrau II. 591 Frieden schließen. Die Ermordung des Kaisers im Jahr 602 nahm Chosrau II. aber zum Vorwand, um in römisches Gebiet einzufallen. Von 603 bis 628 tobte daher der „letzte große Krieg der Antike“. Persische Truppen eroberten bis 619 Syrien und Ägypten, die Kornkammer des Reiches, und belagerten 626 zusammen mit den Awaren (die Ende des 6. Jahrhunderts im Balkanraum ein Reich errichtet hatten) sogar Konstantinopel. Das Reich befand sich in einer äußerst schwierigen Situation, eine vollständige Vernichtung schien nicht ausgeschlossen. Der Gegenschlag des Herakleios (reg. 610–641) in den Jahren 622 bis 628 rettete aber das Reich und zwang die Perser schließlich zum Rückzug. 628 bat Persien angesichts innerer Wirren um Frieden, und Herakleios, der als einer der bedeutendsten Kaiser der oströmisch-byzantinischen Geschichte gilt, stand auf dem Höhepunkt seines Ansehens; sogar aus dem Frankenreich erreichten ihn Glückwünsche zu seinem großen Sieg. Doch das Imperium war von den schweren Kampfhandlungen über die vergangenen Jahrzehnte extrem geschwächt, in den Quellen kommt das Ausmaß der Vernichtung deutlich zum Ausdruck. Im Inneren schloss Herakleios die Gräzisierung des Staates ab, doch es gelang ihm weder die religiösen Streitigkeiten zu beenden (→ Monotheletismus) noch das Reich wieder zu konsolidieren. Als in den 630er Jahren die islamische Expansion begann, waren Ostrom und Persien nach den langen Kriegen nicht mehr in der Lage, effektiv Widerstand zu leisten, was ein wichtiger Grund für die schnellen arabischen Erfolge war. Die Wüstengrenze war für Ostrom und Persien ohnehin kaum zu kontrollieren (man hatte hier in Gestalt der Lachmiden und Ghassaniden vielmehr auf arabische Verbündete gesetzt) und größere Truppenverbände waren dort nach dem Perserkrieg nicht stationiert; hinzu kam die Mobilität der muslimischen Araber. Das von Bürgerkriegen zusätzlich geschwächte Sāsānidenreich erlitt zwei schwere Niederlagen gegen die Araber (638 in der Schlacht von al-Qādisīya und 642 in der Schlacht bei Nehawand). Zwar leisteten die Perser Widerstand und konnten zu Beginn eine große Schlacht gewinnen sowie einige erfolgreiche kleinere Gegenoffensiven führen, doch schließlich brach ihr Reich 651 zusammen; die Söhne des letzten persischen Großkönigs Yazdegerd III. flohen an den chinesischen Kaiserhof der Tang-Dynastie. Persien konnte seine kulturelle Identität unter der islamischen Herrschaft aber weitgehend bewahren und wurde relativ langsam islamisiert, ähnlich wie die christlichen Gebiete in Ägypten und Syrien. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts eroberten die Araber Sogdien (siehe auch Ghurak und Dēwāštič) und stießen weiter nach Zentralasien vor. Im Westen unterlagen oströmische Truppen 636 in der Schlacht am Jarmuk den Arabern und mussten Syrien vollständig räumen, nachdem Damaskus 635 kapituliert hatte. Syrien diente von nun an als Ausgangsbasis für arabische Angriffe auf Kleinasien, das die Oströmer jedoch halten konnten und das nun zum Kernland des Imperiums wurde. Jerusalem ergab sich 638. Am schmerzhaftesten war der Verlust Ägyptens 640/42 (aufgrund dessen Wirtschaftskraft, des Steueraufkommens und des Getreides). Bald darauf nahmen die Araber Armenien, Zypern (649) und Rhodos (654) ein. Sie stießen die nordafrikanische Küste entlang nach Westen vor und besetzten um 670 das heutige Tunesien, Karthago konnte noch bis 698 gehalten werden. 711–725 folgte die Eroberung des Westgotenreichs in Hispanien und Südwestgallien. Vorstöße ins Frankenreich blieben aber erfolglos. 655 erlitt die oströmische Flotte unter Konstans II. in der Schlacht von Phoinix eine schwere Niederlage gegen die Araber, die nun als Seemacht auftraten und damit den Handel und die maritime Vorherrschaft Ostroms bedrohten. Den Oströmern/Byzantinern gelangen allerdings auch einige wichtige Erfolge: Bei der Verteidigung von Konstantinopel 674 bis 678 vernichteten sie die arabische Flotte; ob es in diesem Zusammenhang zu einer regelrechten Belagerung kam, ist in der neueren Forschung allerdings umstritten. 677/678 konnten die Oströmer trotz beschränkter Ressourcen zu einer Offensive übergehen und vorübergehend sogar Truppen in Syrien landen. Ostrom-Byzanz konnte den Verlust der orientalischen Provinzen dennoch nicht verhindern oder rückgängig machen und wurde in die Defensive gedrängt. Die antike Einheit des Mittelmeerraums (die sowohl politisch als auch wirtschaftlich von großer Bedeutung für die Stabilität des römischen Staatswesens gewesen ist) war mit den arabischen Eroberungen beendet. 100 Jahre nach Justinians Tod hatte das Römische Reich nun mehr als die Hälfte seines Territoriums und seiner Bevölkerung verloren, während an der Ost- und Südküste des Mittelmeers mit dem arabischen Kalifat ein neues Reich mit einem neuen Glauben entstanden war. Damit war die alte Weltordnung, die die gesamte Spätantike zwischen Ostrom und Persien bestanden hatte, infolge der arabischen Eroberungen zerbrochen und durch eine neue Ordnung ersetzt, in der Ostrom-Byzanz gegen das Kalifat um die reine Existenz kämpfen musste. Das Oströmische Reich, das um 700 schließlich auf Kleinasien, Griechenland, Konstantinopel samt Umland und einige Gebiete in Italien beschränkt war, wandelte sich nun endgültig zum griechischen Byzanz des Mittelalters. Die Zeit von der Mitte des 7. bis ins 8. Jahrhundert war weiterhin von schweren Abwehrkämpfen geprägt. Die schließlich erfolgreiche Abwehr verhinderte ein weiteres Vordringen der Araber nach Südosteuropa. Die Dynastie des Herakleios regierte noch bis 711. Unter Kaiser Leo III., der 717 an die Macht kam, ging Byzanz gegen die Araber wieder begrenzt in die Offensive (siehe unten). Für die Geschichte West- und Mitteleuropas war entscheidend, dass die Kaiser ab dem 7. Jahrhundert faktisch gezwungen waren, den einstigen Westen des Imperium Romanum weitestgehend sich selbst zu überlassen: Anders als noch im 6. Jahrhundert war mit militärischen Interventionen nun nicht mehr zu rechnen. Konstantinopel rückte in die Ferne. Das Frankenreich der Merowinger Das im späten 5. Jahrhundert entstandene Frankenreich sollte sich zum bedeutendsten der germanisch-romanischen Nachfolgereiche im Westen entwickeln. Der Aufstieg der Franken von einer Regionalmacht im Nordosten Galliens zu einem Großreich begann unter der Führung von Königen aus dem Geschlecht der Merowinger. Der in Tournai residierende salfränkische König (rex) Childerich I. etablierte einen eigenen Machtbereich in Nordgallien, wobei er auf die weiterhin arbeitenden lokalen Waffenschmieden (fabricae) zurückgreifen konnte. Es wird oft angenommen, dass er mit dem gallorömischen Feldherrn Aegidius kooperierte, der sich 461 gegen die weströmische Regierung erhob, doch sind die Details unklar. Aegidius, der nun faktisch als Warlord agierte, errichtete in Nordgallien einen unabhängigen Herrschaftsbereich; nach seinem Tod folgte ihm nach kurzer Zeit sein Sohn Syagrius nach. Childerichs Sohn Chlodwig vernichtete die anderen fränkischen Kleinreiche (unter anderem Ragnachars und Chararichs) und wurde damit zum Gründer des Frankenreichs. 486/487 eroberte Chlodwig das Reich des Syagrius. 507 wurden die Westgoten in der Schlacht von Vouillé besiegt und faktisch aus Gallien verdrängt. Gegen die Alamannen ging Chlodwig ebenfalls vor, während es mit den Burgunden zu einer vorläufigen Annäherung kam. Der ursprünglich pagane Chlodwig trat zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt (wahrscheinlich eher gegen Ende seiner Herrschaft) zum Christentum über. Entscheidend war, dass er sich für das katholische Bekenntnis entschied und somit Probleme vermied, die sich bisweilen in den anderen germanisch-romanischen Reichen zwischen den Eroberern und der römischen Bevölkerung ergaben. Das geschickte und gleichzeitig skrupellose Vorgehen Chlodwigs sicherte den Franken eine beherrschende Stellung in Gallien. Das Frankenreich wurde nach dem Tod Chlodwigs im Jahr 511 unter seinen vier Söhnen Theuderich, Chlodomer, Childebert und Chlotar aufgeteilt, wobei jeder einen Anteil an dem fränkischen Stammland in Nordgallien und den eroberten Gebieten im Süden erhielt. Die verbreitete Praxis unter den Franken, den Herrschaftsbesitz nach dem Tod eines Königs unter den Söhnen zu teilen, sorgte für eine Zersplitterung der königlichen Zentralgewalt. Thronstreitigkeiten waren nicht selten, zumal die meisten Merowinger kein hohes Alter erreichten und oft Kinder von mehreren Frauen hatten, was die Nachfolgeregelung erschwerte. Für Verwaltungsaufgaben hatte bereits Chlodwig die gallorömische Oberschicht und hierbei speziell die Bischöfe (wie Gregor von Tours, dessen Geschichtswerk die wichtigste Quelle zur fränkischen Geschichte des 6. Jahrhunderts ist) herangezogen. Er hatte außerdem das System der vor allem in Südgallien verbreiteten römischen civitates genutzt, wo der gallorömisch-senatorische Adel (deren Vorfahren einst römische Staatsämter bekleidet hatten und nun als lokale und vor allem kirchliche Würdenträger fungierten) noch längere Zeit nachweisbar ist. Die Städte spielten eine entscheidende Rolle bei der Herrschaftssicherung und der Verwaltung des Reiches und hatten den größten Anteil an der römischen Kontinuitätslinie in der Merowingerzeit. Die Verwaltung orientierte sich zunächst noch weitgehend an spätrömischen Institutionen, auf der die frühmerowingische Herrschaft im Wesentlichen beruhte. So wurden im 6. Jahrhundert noch Steuerlisten geführt und von königlichen Beamten verwaltet, bevor diese verschwanden und zunehmend Grafen (comites) und Herzöge (duces) an Einfluss gewannen. Die fränkische Expansion wurde weiter vorangetrieben: 531/534 wurden die Thüringer und 534 die Burgunden unterworfen. Den Gotenkrieg in Italien nutzten die Franken, um Teile des ostgotischen Territoriums zu besetzen. Theuderichs Sohn Theudebert I. sah seine Stellung im Osten des Merowingerreiches als so gefestigt an, dass er angeblich sogar mit dem Gedanken gespielt haben soll, Kaiser Justinian herauszufordern. Allerdings deuteten sich schon im 6. Jahrhundert Spaltungen des fränkischen Herrschaftsbereichs (Francia) an, die bei späteren Kämpfen zwischen Teilherrschern immer wieder eine Rolle spielten. Der galloromanische Süden mit den Zentren an Rhone und Saône behielt lange seine aus dem gallorömischen Senatsadel hervorgegangene Elite und seine spätantiken städtischen Strukturen mit starker Stellung der Bischöfe und das Römische Recht (droit écrit) bei. Hingegen wechselten im stärker germanisierten Norden die Eliten, die städtische Kultur verfiel zum Teil und das im germanischen Stammesrecht wurzelnde Gewohnheitsrecht (droit coutumier) spielte eine wachsende Rolle. Erst seit dem 15. Jahrhundert näherten sich die Rechtssysteme allmählich an. Im Südwesten Galliens hielten sich westgotische Einflüsse. Immer wieder flammten im Inneren Kämpfe zwischen den einzelnen merowingischen Teilherrschern auf. Nach dem Tod Chlothars I. 561 entbrannte ein merowingischer Bruderkrieg, der erst 613 mit der Wiedervereinigung des Gesamtreiches unter Chlothar II. endete. Dagobert I., der 623 die Herrschaft im Teilreich Austrasien antrat und von 629 bis 639 über das Gesamtreich herrschte, gilt allgemein als der letzte starke Merowingerkönig, wenngleich auch er dem mächtigen Adel einige Zugeständnisse machen musste. Nach der gängigen Lehrmeinung verfiel nach Dagoberts Tod die königliche Macht immer mehr und die wahre Macht lag in den Händen der Hausmeier. Diese waren ursprünglich nur Verwalter des Königshofes, doch gewannen sie im Laufe der Zeit immer mehr Einfluss. Da die adeligen Hausmeier (deren Titel schließlich erblich wurden) zudem über großen Landbesitz verfügten, waren sie für den König nur sehr schwer zu kontrollieren. Die Einschätzung der seit Mitte des 7. Jahrhunderts übergroßen Macht der Hausmeier orientiert sich an der Sichtweise der karolingerzeitlichen fränkischen Geschichtsschreibung, etwa den Reichsannalen und Einhards Vita Karoli Magni. In der Darstellung dieser Quellen erscheint die Übertragung der fränkischen Königswürde auf die Karolinger im Jahr 751 als notwendige Konsequenz der Machtlosigkeit der letzten Merowinger, die sich in deren eher lächerlichem Erscheinungsbild gespiegelt habe. Die negative Einstellung der karolingerzeitlichen Autoren zu den späten Merowingern erschwert allerdings eine unvoreingenommene Beurteilung. In der neueren Forschung wird bisweilen bezweifelt, dass die letzten Merowingerkönige wirklich so machtlos waren, wie es die karolingische Geschichtsschreibung unterstellt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die parteiischen Quellen zumindest Teile der historischen Erzählung verformt haben. Sicher ist, dass die Karolinger nach dem gescheiterten Versuch Grimoalds des Älteren, schon im 7. Jahrhundert einen Dynastiewechsel herbeizuführen, lange davor zurückschreckten, die Merowinger zu entmachten, sei es aufgrund sakraler Königsvorstellungen oder aufgrund eines verwurzelten dynastischen Denkens. Tatsächlich scheinen einzelne Merowingerkönige sich noch einmal gegen den übermächtigen Einfluss der Hausmeier gestemmt zu haben. So werden Theuderich III. und Dagobert II. zwar oft als mehr oder weniger hilflose „Schattenkönige“ bezeichnet, doch haben sie nachweislich Gerichte abgehalten, geurkundet, über Hausgüter wohl frei verfügt und Privilegien verteilt, wobei Dagobert in der Kirchenpolitik zudem mehr Spielraum hatte. Des Weiteren haben die letzten Merowinger, die in den karolingischen Quellen lächerlich gemacht werden, zudem an mehr als zehn weit auseinanderliegenden Orten Urkunden ausgestellt. Erst nach der Schlacht bei Tertry 687 und dem Triumph des Hausmeiers Pippins des Mittleren begann der endgültige Aufstieg der Karolinger, deren Bezeichnung auf den mächtigen fränkischen Hausmeier Karl Martell zurückgeht. Karl Martell konnte sich gegen konkurrierende Hausmeier durchsetzen (Schlacht von Vincy 717 und Schlacht bei Soissons 718/19). Er setzte nacheinander Merowinger als Schattenkönige ein, die aber über keine reale Macht verfügten (siehe Chlothar IV., Chilperich II. und Theuderich IV.; nach dem Tod Theuderichs IV. 737 ließ Karl den Königsthron unbesetzt). Karl fungierte nun bis zu seinem Tod 741 als wahre Macht hinter dem Thron, wobei er die Grenzen des Reichs sichern und erweitern konnte (unter anderem durch die Unterwerfung der Friesen). Die Karolinger kontrollierten fortan die Regierungsgeschäfte im Reich und errangen schließlich 751 die fränkische Königswürde, als der letzte Merowingerkönig Childerich III. abgesetzt wurde. Vom Karolingerreich zu West- und Ostfranken 751 wurde in Absprache mit Papst Zacharias Pippin der Jüngere als erster Karolinger zum fränkischen König erhoben (reg. 751–768). Die Salbung Pippins durch den Papst im Jahr 754 diente offenbar der zusätzlichen Legitimation und legte das Fundament für die Rolle der fränkischen Könige als neue Schutzherren des Papstes in Rom. Die frühen karolingischen Könige erwiesen sich als fähige Herrscher. Pippin intervenierte in Italien, wo er gegen die Langobarden vorging, führte Feldzüge in Aquitanien und sicherte die Pyrenäengrenze. Er genoss bei seinem Tod im Jahr 768 weit über die Grenzen des Frankenreichs hinaus Ansehen. Das Reich wurde unter seinen beiden Söhnen Karlmann und Karl aufgeteilt. Zwischen den Brüdern bestanden offenbar starke Spannungen; nach dem unerwarteten Tod Karlmanns Ende 771 ignorierte Karl die Erbansprüche der Söhne Karlmanns (die später vermutlich auf Karls Befehl beseitigt wurden) und besetzte dessen Reichsteil. Karl, später Carolus Magnus („Karl der Große“) genannt, gilt als der bedeutendste Karolinger und als einer der bedeutendsten mittelalterlichen Herrscher (reg. 768–814). Nach Sicherung der Herrschaft im Inneren begann Karl ab dem Sommer 772 Feldzüge gegen die Sachsen. Die daraus resultierenden Sachsenkriege dauerten mit Unterbrechungen bis 804 und wurden mit äußerster Brutalität geführt. Ziel war nicht nur die Eroberung des Landes, sondern auch die gewaltsame Christianisierung der bis dahin paganen Sachsen. Militärisch spielte die fränkische Panzerreiterei eine wichtige Rolle. Zeitgleich dazu intervenierte Karl auf päpstlichen Wunsch hin 774 in Italien und eroberte das Langobardenreich, das er mit dem Frankenreich vereinigte. Weniger erfolgreich verlief der Spanienfeldzug im Jahr 778 gegen die Mauren, wenngleich später zumindest die Spanische Mark errichtet werden konnte. Karls diplomatische Kontakte reichten bis zum Kalifen Hārūn ar-Raschīd. Im Osten seines Reiches beendete er 788 die Selbstständigkeit des Stammesherzogtums Bayern. Es kam außerdem zu Kämpfen mit den Dänen und mehreren Slawenstämmen sowie zum letzten Endes erfolgreichen Reichskrieg gegen die Awaren (791–796). Karl hatte in jahrzehntelangen Kämpfen die Grenzen des Reiches erheblich erweitert und das Frankenreich als neue Großmacht neben Byzanz und dem Kalifat etabliert. Das Karolingerreich umschloss nun weite Teile der lateinischen Christenheit und war das bedeutendste staatliche Gebilde im Westen seit dem Fall Westroms. Karl machte Aachen zu seiner Hauptresidenz. Zur effizienteren Organisation der Herrschaftsordnung nutzte er comites (sogenannte „Grafschaftsverfassung“) und die von ihm geförderte Kirche. Die sogenannte karolingische Renaissance (die besser als „karolingische Bildungsreform“ bezeichnet werden sollte) sorgte für eine kulturelle Neubelebung des christlichen Westeuropas, nachdem es ab dem 7. Jahrhundert zu einem Bildungsverfall im Frankenreich gekommen war. Den Höhepunkt von Karls Regierungszeit stellte seine Kaiserkrönung zu Weihnachten des Jahres 800 durch Papst Leo III. in Rom dar. Die Details dieses Vorgangs und seine Vorgeschichte sind in der Forschung umstritten. Fest steht, dass damit aus Sicht der Zeitgenossen das Kaisertum erneuert worden war, was allerdings zu Konflikten mit Byzanz führte (Zweikaiserproblem). Für die Geschichte des Mittelalters ist dieses Ereignis von großer Bedeutung, da es den Grundstein für das westliche mittelalterliche Kaisertum legte. Karl hinterließ bei den folgenden Generationen einen bleibenden Eindruck. Im anonymen Karlsepos wird der Kaiser sogar als pater Europae, als Vater Europas, gepriesen. Er galt im Mittelalter als Idealkaiser. Damit begann bereits die Mythenbildung um Karl, was bis in die Neuzeit unterschiedliche Geschichtsbilder zur Folge hatte. Nach Karls Tod im Januar 814 folgte ihm sein Sohn Ludwig der Fromme nach, den Karl bereits 813 zum Mitkaiser gekrönt hatte. Die ersten Regierungsjahre Ludwigs waren vor allem von seinem Reformwillen im kirchlichen und weltlichen Bereich geprägt. Programmatisch verkündete er die Renovatio imperii Francorum, die Erneuerung des fränkischen Reiches. Ludwig bestimmte 817, dass nach seinem Tod eine Reichsteilung erfolgen sollte. Sein ältester Sohn Lothar sollte jedoch eine Vorrangstellung vor seinen anderen Söhnen Ludwig (in Bayern) und Pippin (in Aquitanien) erhalten. Eine schwierige Lage entstand jedoch, als Kaiser Ludwig 829 auch Karl, seinem Sohn aus seiner zweiten Ehe mit der am Hof einflussreichen Judith, einen Anteil am Erbe zusicherte. Bereits zuvor hatte es Gegner der neuen Reichsordnung gegeben; sie leisteten dem Kaiser nun offen Widerstand. Mit der Erhebung der drei ältesten Söhne gegen Ludwig den Frommen im Jahr 830 begann die Krisenzeit des Karolingerreiches, die schließlich zu dessen Auflösung führte. Die Rebellion richtete sich zunächst vor allem gegen Judith und ihre Berater, doch führte sie 833 zur Gefangennahme des Kaisers auf dem „Lügenfeld bei Colmar“, wobei das Heer Ludwigs zum Gegner überlief. Anschließend musste Ludwig einer demütigenden Bußhandlung zustimmen. Damit war aber der Bogen überspannt und die drei älteren Söhne Ludwigs zerstritten sich wieder. 834 wandten sich mehrere Anhänger von Lothar ab, der sich nach Italien zurückzog. Während das Reich von außen zunehmend von Wikingern, Slawen und Arabern bedrängt wurde, blieben die Spannungen im Inneren bestehen. Ludwig war bestrebt, Karls Erbteil zu sichern. Nach Pippins Tod 839 wurde Karl mit dem westlichen Reichsteil ausgestattet, doch war die Lage bei Ludwigs Tod im Jahr 840 weiterhin ungeklärt. Im Ostteil hatte Ludwig der Deutsche seine Stellung gesichert, ähnlich Karl im Westen, so dass der Druck auf Kaiser Lothar stieg. Karl und Ludwig verbündeten sich gegen Lothar und besiegten ihn in der Schlacht von Fontenoy am 25. Juni 841. Im Februar 842 bekräftigten sie ihr Bündnis mit den Straßburger Eiden. Auf Drängen der fränkischen Adeligen kam es 843 zum Vertrag von Verdun, womit die Teilung des Reiches im Grunde bestätigt wurde: Karl regierte den Westen, Ludwig den Osten, während Lothar ein Mittelreich und Italien erhielt. Die in diesem Zusammenhang in der Forschung oft diskutierte Frage nach den Anfängen der „deutschen“ Geschichte führt eher in die Irre, da es sich um einen längerfristigen, bis in das 11. Jahrhundert hinziehenden Prozess gehandelt hat; erst ab dem 10. Jahrhundert ist die Bezeichnung Regnum Teutonicorum gesichert nachweisbar. Offenbar grenzten sich jedoch die karolingischen Reichsteile bereits im 9. Jahrhundert immer mehr voneinander ab, die Reichseinheit konnte nur noch vorübergehend wiederhergestellt werden. Nach Lothars Tod 855 erbte sein ältester Sohn Lothar II. das Mittelreich. Nach dessen Tod 869 kam es zum Konflikt zwischen Karl und Ludwig um das Erbe, was 870 zur Teilung im Vertrag von Meerssen führte. Damit formierten sich endgültig das West- und das Ostfrankenreich, während in Italien von 888 bis 961 separat Könige regierten. Die Idee der Reichseinheit hatte weiterhin einige Anhänger. Unter Karl III., der 881 die Kaiserkrone errang und seit 882 über ganz Ostfranken herrschte, war das gesamte Imperium für wenige Jahre noch einmal vereint, als er 885 auch die westfränkische Königskrone erwarb. Doch blieb diese Reichseinigung eine Episode, zumal Karl die zunehmenden Wikingerangriffe nicht effektiv abwehren konnte (Frieden von Asselt 882 und Belagerung von Paris 885–886) und Ostfranken Ende 887 an seinen Neffen Arnolf verlor (reg. 887–899). In der „Regensburger Fortsetzung“ der Annalen von Fulda ist zum Jahr 888 abschätzig vermerkt, nach dem Tod Karls (im Januar 888) hätten viele reguli (Kleinkönige) in Europa nach der Macht gegriffen. Arnolf bestätigte die Herrschaft der neuen Könige, so in Westfranken, Burgund sowie Italien. Seine Herrschaftsbasis war Bayern. Er beschränkte seine Herrschaft explizit auf Ostfranken, wo er Slawen und Wikinger abwehrte. Einen Italienzug lehnte Arnolf zunächst ab. Erst 894 begab er sich einem päpstlichen Hilferuf folgend nach Italien; 896 erwarb er sogar die Kaiserkrone. Dennoch war der Zusammenbruch des Karolingerreichs unübersehbar. Auch kulturell trat im späten 9. Jahrhundert ein Niedergang ein, vor allem in Ostfranken, wo es zu einem spürbaren Rückgang der literarischen Produktion kam. Im Osten starb der letzte Karolinger Ludwig das Kind im Jahr 911; ihm folgte Konrad I. nach. Konrad war bemüht, Ostfranken zu stabilisieren, wobei er sich gegen den mächtigen Adel behaupten und gleichzeitig die Ungarn abwehren musste, die wenige Jahre zuvor ein Reich gegründet hatten. Am Ende erwies sich seine Herrschaft, die durchaus an karolingischen Traditionen orientiert war, als bloße Übergangszeit zu den Ottonen, die von 919 bis 1024 die ostfränkischen Könige stellten. In Westfranken regierten die Karolinger mit Unterbrechungen noch bis zum Tod Ludwigs V. 987, hatten jedoch schon zuvor ihre Macht weitgehend verloren. An ihre Stelle traten die Kapetinger, die anschließend bis ins 14. Jahrhundert die französischen Könige stellten. Allerdings war das französische Königtum zunächst weitgehend auf seinen Kernraum in der Île-de-France beschränkt und übte nur eine nominelle Oberherrschaft über die Machtbereiche selbstbewusster Herzöge aus. Das Reich der Ottonen Nach dem Tod des ostfränkischen Königs Konrad im Jahr 919 bestieg mit Heinrich I. das erste Mitglied des sächsischen Hauses der Liudolfinger („Ottonen“) den ostfränkischen Königsthron; sie konnten sich in der Folgezeit bis 1024 im Reich behaupten. In der neueren Forschung wird zwar die Bedeutung der Ottonenzeit für die Ausformung Ostfrankens betont, sie gilt aber nicht mehr als Beginn der eigentlichen „deutschen“ Geschichte. Der damit verbundene komplexe Prozess zog sich vielmehr mindestens bis ins 11. Jahrhundert hin. Heinrich I. sah sich mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Die an karolingischen Mustern orientierte Herrschaftsausübung stieß an ihre Grenzen, zumal nun die Schriftlichkeit, ein entscheidender Verwaltungsfaktor, stark zurückging. Gegenüber den Großen des Reiches scheint Heinrich, wie mehrere andere Herrscher nach ihm, eine Form der konsensualen Herrschaftspraxis betrieben zu haben: Während er formal auf seinem höheren Rang bestand, band er die Herzöge in seine Politik durch Freundschaftsbündnisse (amicitia) ein und ließ ihnen in ihren Herzogtümern weitgehenden politischen Spielraum. Schwaben und Bayern wurden dadurch in die Königsherrschaft Heinrichs integriert, blieben jedoch bis um das Jahr 1000 königsferne Regionen, in denen der Einfluss des Königtums schwach ausgeprägt war. Das Reich befand sich weiterhin im Abwehrkampf gegen die Ungarn, mit denen 926 ein Waffenstillstand geschlossen wurde. Heinrich nutzte die Zeit und ließ die Grenzsicherung intensivieren; auch gegen die Elbslawen und gegen Böhmen war der König erfolgreich. 932 verweigerte er die Tributzahlungen an die Ungarn; 933 schlug er sie in der Schlacht bei Riade. Im Westen hatte Heinrich den Anspruch auf das zwischen West- und Ostfranken umstrittene Lothringen zunächst 921 aufgegeben, bevor er es 925 gewinnen konnte. Noch vor seinem Tod im Jahr 936 hatte Heinrich eine Nachfolgeregelung im Rahmen einer „Hausordnung“ getroffen, so dass bereits 929/30 sein Sohn Otto als designierter Nachfolger gelten konnte und das Reich ungeteilt blieb. In der Regierungszeit Ottos I. (reg. 936–973) sollte das Ostfrankenreich eine hegemoniale Stellung im lateinischen Europa einnehmen. Otto erwies sich als energischer Herrscher. 948 übertrug er das wichtige Herzogtum Bayern seinem Bruder Heinrich. Ottos Herrschaftsausübung war allerdings nicht unproblematisch, denn er wich von der konsensualen Herrschaftspraxis seines Vaters ab. Bisweilen verhielt sich Otto rücksichtslos und geriet mehrfach in Konflikt mit engen Verwandten. So agierte etwa Ottos ältester Sohn Liudolf gegen den König und stand sogar in Verbindung mit den Ungarn. Diese nutzten die Lage im Reich aus und griffen 954 offen an. Liudolfs Lage wurde unhaltbar und er unterwarf sich dem König. Otto gelang es, gegen die Ungarn eine Abwehr zu organisieren und sie 955 in der Schlacht auf dem Lechfeld vernichtend zu schlagen. Sein Ansehen im Reich wurde durch diesen Erfolg erheblich gesteigert und eröffnete ihm neue Optionen. Im Osten errang er Siege über die Slawen, womit die elbslawischen Gebiete (Sclavinia) verstärkt in die ottonische Politik eingebunden wurden. Otto trieb die Errichtung des Erzbistums Magdeburg voran, was ihm 968 endgültig gelang. Ziel war die Slawenmission im Osten und die Ausdehnung des ostfränkischen Herrschaftsbereichs, wozu nach karolingischem Vorbild Grenzmarken errichtet wurden. Die erstarkte Stellung Ottos ermöglichte ein Eingreifen in Italien, das nie ganz aus dem Blickfeld der ostfränkischen Herrscher geraten war. Während des ersten Italienzugs 951 scheiterte sein Versuch, in Rom das westliche Kaisertum zu erneuern, wenngleich ihm italienische Adlige als „König der Langobarden“ huldigten. Er brach 961 wieder nach Italien auf und wurde am 2. Februar 962 in Rom vom Papst zum Kaiser gekrönt, im Gegenzug bestätigte er die Rechte und Besitzungen der Kirche. Das an die antike römische Kaiserwürde angelehnte westliche Kaisertum wurde nun mit dem ostfränkischen (bzw. römisch-deutschen) Königtum verbunden. Außerdem wurden weite Teile Ober- und Mittelitaliens dem ostfränkischen Reich angegliedert (Reichsitalien). Allerdings erforderte eine effektive Beherrschung Reichsitaliens die persönliche Präsenz des Herrschers, eine Regierung aus der Ferne war in dieser Zeit kaum möglich. Dieses Strukturdefizit sollte auch seinen Nachfolgern noch Probleme bereiten. Ein dritter Italienzug (966–972) erfolgte aufgrund eines päpstlichen Hilferufs, diente aber gleichzeitig der Absicherung der ottonischen Herrschaft. Im Inneren stützte sich Otto, wie generell viele frühmittelalterlichen Herrscher, für Verwaltungsaufgaben vor allem auf die Kirche. Beim Tod Ottos am 7. Mai 973 war nach schwierigen Anfängen das Reich konsolidiert und das Kaisertum wieder ein politischer Machtfaktor. Ottos Sohn Otto II. (reg. 973–983) war bereits sehr jung 961 zum Mitkönig und 967 zum Mitkaiser gekrönt worden. Im April 972 hatte er die gebildete byzantinische Prinzessin Theophanu geheiratet. Otto war selbst gleichfalls gebildet und wie bei seiner Ehefrau Theophanu galt sein Interesse auch geistigen Angelegenheiten. Im Norden wehrte er Angriffe der Dänen ab, während in Bayern Heinrich der Zänker (ein Verwandter des Kaisers) gegen ihn agierte und Unterstützung durch Böhmen und Polen erhielt. Die Verschwörung wurde aufgedeckt, doch erst 976 gelang die (vorläufige) Unterwerfung Heinrichs. Die Ostmark wurde von Bayern abgetrennt und den Babenbergern übertragen. Im Westen kam es zu Kampfhandlungen mit Westfranken (Frankreich), bevor 980 eine Übereinkunft erzielt werden konnte. Otto plante, anders als noch sein Vater, die Eroberung Süditaliens, wo Byzantiner, Langobarden und Araber herrschten. Ende 981 begann der Feldzug, doch erlitt das kaiserliche Heer im Juli 982 eine vernichtende Niederlage gegen die Araber in der Schlacht am Kap Colonna. Otto gelang nur mit Mühe die Flucht. Im Sommer 983 plante er einen erneuten Feldzug nach Süditalien, als sich unter Führung der Lutizen Teile der Elbslawen erhoben (Slawenaufstand von 983) und somit die ottonische Missions- und Besiedlungspolitik einen schweren Rückschlag erlitt. Noch in Rom starb der Kaiser am 7. Dezember 983, wo er auch beigesetzt wurde. In der mittelalterlichen Geschichtsschreibung wurde Otto II. aufgrund der militärischen Rückschläge und kirchenpolitischer Entscheidungen (so die Aufhebung des Bistums Merseburg) stark kritisiert, während in der modernen Forschung seine nicht leichte Ausgangslage berücksichtigt wird, ohne die militärischen Fehlschläge zu übersehen. Die Nachfolge trat sein gleichnamiger Sohn an, Otto III. (reg. 983–1002), der noch vor dem Tod seines Vaters als nicht ganz Dreijähriger zum Mitkönig gewählt worden war. Aufgrund seines jungen Alters übernahm zunächst seine Mutter Theophanu, nach deren Tod 991 dann seine Großmutter Adelheid von Burgund die Regentschaft. 994 trat Otto III. mit 14 Jahren die Regierung an. Der für seine Zeit hochgebildete Herrscher umgab sich im Laufe der Zeit mit Gelehrten, darunter Gerbert von Aurillac. Otto interessierte sich besonders für Italien. Streitigkeiten in Rom zwischen Papst Johannes XV. und der mächtigen Adelsfamilie der Crescentier waren der Anlass für Ottos Italienzug 996. Papst Johannes war jedoch bereits verstorben, so dass Otto seinen Verwandten Bruno als Gregor V. zum neuen Papst bestimmte, der ihn am 21. Mai 996 zum Kaiser krönte. Anschließend kehrte Otto nach Deutschland zurück. Gregor wurde jedoch aus Rom vertrieben, so dass Otto 997 erneut nach Italien aufbrach und den Aufstand Anfang 998 brutal niederschlug. Der Kaiser hielt sich noch bis 999 in Italien auf und strebte im Zusammenspiel mit dem Papst eine kirchliche Reform an. Während dieser Zeit ist ein Regierungsmotto Ottos belegt: Renovatio imperii Romanorum, die Erneuerung des römischen Reiches, als dessen Fortsetzung man das mittelalterliche römisch-deutsche Reich betrachtete. Die Einzelheiten sind jedoch umstritten; eine geschlossene Konzeption ist eher unwahrscheinlich, weshalb die Bedeutung in der neueren Forschung relativiert wird. Nach Gregors Tod machte der Kaiser Gerbert von Aurillac als Silvester II. zum neuen Papst. Beide Papsternennungen verdeutlichen die Machtverteilung zwischen Kaisertum und Papsttum in dieser Zeit. Otto knüpfte auch Kontakte zum polnischen Herrscher Bolesław I. und begab sich nach Gnesen. Die nächsten Monate verbrachte der Kaiser in Deutschland, bevor er sich wieder nach Italien begab. 1001 brach in Rom ein Aufstand aus. Otto zog sich nach Ravenna zurück, beim erneuten Vormarsch nach Rom starb der Kaiser Ende Januar 1002. In den Quellen wird sein großes Engagement in Italien eher negativ bewertet; in der modernen Forschung wird betont, dass der frühe Tod Ottos eine abschließende Bewertung erschwert, da seine Politik nicht über Anfänge hinauskam. Nachfolger Ottos III. wurde Heinrich II. (reg. 1002–1024), der aus der bayerischen Nebenlinie der Ottonen stammte und dessen Herrschaftsantritt umstritten war. Heinrich II. setzte andere Schwerpunkte als sein Vorgänger und konzentrierte sich vor allem auf die Herrschaftsausübung im nördlichen Reichsteil, wenngleich er dreimal nach Italien zog. Auf seinem zweiten Italienzug 1014 wurde er in Rom zum Kaiser gekrönt. Im Süden kam es 1021/22 auch zu Auseinandersetzungen mit den Byzantinern, die letzten Endes ergebnislos verliefen und dem Kaiser keinen Gewinn einbrachten. Im Osten führte er vier Feldzüge gegen Bolesław von Polen, wobei es um polnisch beanspruchten Besitz und um Fragen der Ehre und Ehrbezeugung ging, bevor 1018 der Frieden von Bautzen geschlossen wurde. Im Inneren präsentierte sich Heinrich als ein von der sakralen Würde seines Amtes durchdrungener Herrscher. Er gründete das Bistum Bamberg und begünstigte die Reichskirche, auf die er sich im Sinne des „Reichskirchensystems“ stützte, wenngleich in neuerer Zeit dieser Aspekt unterschiedlich bewertet wird. Einige Forscher betrachten Heinrichs diesbezügliches Vorgehen als realpolitisch motiviert; Heinrich habe über die Reichskirche geherrscht, mit ihr regiert und damit versucht, die Königsherrschaft zu intensivieren. Sicher ist die enge Verzahnung von Königsherrschaft mit der Kirche im Reich. Damit erhoffte sich Heinrich wohl auch ein Gegengewicht zur Adelsopposition, die sich wiederholt gegen den König erhob, der seine Führungsrolle gegenüber den Großen im Reich betonte. Seine Regierungszeit wird sehr unterschiedlich bewertet; erst im Rückblick wurde er, von der Bamberger Kirche vorangetrieben, zu einem „heiligen Kaiser“ stilisiert und 1146 heiliggesprochen. Seine Ehe blieb kinderlos, statt der Ottonen traten die Salier die Königsherrschaft an. Frankreich und Burgund Wenngleich in Westfranken (Frankreich) die Karolinger formal noch bis 987 die Könige stellten, von der Regierungszeit einiger (durchaus durchsetzungsfähiger) Könige aus anderen Geschlechtern wie Odo abgesehen, hatten sie bereits zuvor den Großteil ihrer Macht eingebüßt. Die Politik wurde im 10. Jahrhundert von den großen Adligen dominiert, wie z. B. von Herzog Hugo Magnus aus dem Hause der Robertiner. Der Gegensatz zwischen Karolingern und Robertinern war in dieser Zeit prägend. In der Spätphase der westlichen Karolinger geriet König Lothar sogar in Abhängigkeit von den mächtigeren Ottonen. Er versuchte sich militärisch davon zu lösen und unternahm Vorstöße nach Ostfranken, die aber erfolglos verliefen. 987 wurde der Robertiner Hugo Capet zum neuen König gewählt. Damit begann die Herrschaft der später nach Hugos Beinamen benannten Kapetinger. Von Hugo Capet stammten alle späteren französischen Könige bis zur endgültigen Abschaffung des Königtums im 19. Jahrhundert in direkter männlicher Linie ab. Hugos Zeitgenossen nahmen seinen Regierungsantritt allerdings nicht als bedeutsame Zäsur wahr, als dauerhafter Dynastiewechsel erwies sich seine Erhebung erst später. Noch im selben Jahr erhob Hugo seinen Sohn Robert zum Mitkönig; er sollte seinem Vater 996 als Robert II. nachfolgen und bis 1031 regieren. Der Dynastiewechsel von 987 verlief aber nicht ohne Konflikte. Herzog Karl von Niederlothringen, ein karolingischer Königssohn, machte seinen Thronanspruch geltend. Er verbuchte einige Erfolge, bevor er durch Verrat in die Hände der Kapetinger fiel. Ein Umsturzversuch der Familie Blois im Jahr 993 scheiterte ebenfalls. Die Kapetinger betonten die Sakralität ihrer Königswürde und das damit verbundene Ansehen (auctoritas). Den Kern der Königsherrschaft stellte die Krondomäne mit dem Zentrum Paris dar; der königliche Besitz wurde in den folgenden Jahrzehnten systematisch ausgebaut. Außerdem konnten die Kapetinger sich auf eine recht breite kirchliche Unterstützung verlassen. Die Durchsetzung der Königsherrschaft gelang jedoch nicht vollständig, denn die Großen des Reiches verkehrten mit den frühen Kapetingern auf einem relativ gleichen Niveau. Zwar waren sie zur Hof- und Heerfahrt verpflichtet, bisweilen kam es aber zu anti-königlichen Koalitionen. In mehreren Regionen konsolidierte sich die Fürstenherrschaft im frühen 11. Jahrhundert. Versuche Roberts II., die Königsmacht in herrschaftslos gewordenen Gebieten zu vermehren, waren nur im Herzogtum Burgund erfolgreich, während er etwa in den Grafschaften Troyes und Meaux scheiterte. Sein Sohn und Nachfolger Heinrich I. musste sich gegen das Haus Blois durchsetzen und unterhielt recht gute Verbindungen zu den salischen Herrschern. Außenpolitisch konnten die frühen Kapetinger keine Erfolge verbuchen; so scheiterte etwa der Versuch, Lothringen von den Ottonen zurückzugewinnen. Die französischen Könige waren aber bemüht, die Gleichrangigkeit ihres Reiches mit dem Imperium zu betonen. Im 12. Jahrhundert kam es zu Konflikten mit dem mächtigen Haus Plantagenet, das neben umfangreichem Festlandbesitz in Frankreich gleichzeitig bis ins Spätmittelalter die englischen Könige stellte. Erst unter Philipp II. August (reg. 1180–1223) gelang es den Kapetingern, die Oberhand zu gewinnen. Das Königreich Burgund entstand während des Zerfalls des Karolingerreiches. 879 wurde Boso von Vienne zum König von Niederburgund gewählt, sein Sohn Ludwig der Blinde erweiterte kurzzeitig den burgundischen Herrschaftsraum. Bereits vor Ludwigs Tod 928 zerfiel der niederburgundische Herrschaftsraum, wovon zunächst Hugo von Vienne, letztendlich aber Hochburgund profitierte. Dort war 888 Rudolf I. zum König gekrönt worden. Immer wieder kam es in der Folgezeit zu Spannungen mit dem örtlichen Adel; ein starkes Königtum konnte sich nie entwickeln, die Königsmacht blieb vielmehr regional begrenzt. Rudolf II., dessen Expansion nach Nordosten in den schwäbischen Raum 919 gestoppt worden war, knüpfte Kontakte zu den Ottonen. Er erkannte die ostfränkische Oberhoheit an und leitete die Vereinigung von Hoch- und Niederburgund ein (angeblich 933 vertraglich vereinbart, was allerdings in der Forschung teils bestritten wird), doch starb er bereits 937. Sein Sohn Konrad konnte mit ottonischer Unterstützung seinen Herrschaftsanspruch auch in Niederburgund zur Geltung bringen. Die enge Anlehnung der burgundischen Rudolfinger an die Ottonen drückte sich im Erbfolgevertrag von 1016 aus, wovon die salischen Herrscher profitierten, die 1033 Burgund mit dem Imperium vereinigten. Italien Nach dem Ende Westroms 476 war es in Italien zunächst zu keinem kulturellen oder wirtschaftlichen Einbruch gekommen. Unter der Gotenherrschaft Theoderichs (489/93 bis 526) erlebte das Land vielmehr noch einmal ein Aufblühen der spätantiken Kultur, wie an den Philosophen Boethius und Symmachus zu erkennen ist. Theoderich zollte der senatorischen Elite Respekt und bemühte sich, im Einvernehmen mit den Römern zu herrschen. Er nutzte die Kenntnisse der senatorischen Führungsschicht in Italien und zog Römer für die Zivilverwaltung heran, trennte aber zivile und militärische Gewalt nach ethnischen Prinzipien auf. Seine Goten übten die Militärverwaltung aus und erhielten außerdem Land zugewiesen. Es scheint, als habe die Privilegierung der Ostgoten das Verschmelzen des römischen Adels mit der gotischen Führungsgruppe be- oder gar verhindert. Nach Theoderichs Tod 526 kam es zu Thronwirren, wobei Ostrom die günstige Gelegenheit nutzte und in Italien intervenierte. Der anschließende Gotenkrieg (535–552) verwüstete die Halbinsel, die nun vorläufig wieder eine oströmische Provinz wurde. Die unter ihrem König Alboin 568 nach Italien eingebrochenen Langobarden profitierten vom Zustand des erschöpften Landes und den nur wenigen kaiserlichen Besatzungstruppen. Nur vereinzelt wurde den Eroberern Widerstand geleistet, so dass Mailand schon 569 fiel, Pavia jedoch erst 572. Die langobardische Eroberung von Ober- und Teilen Mittelitaliens erwies sich jedoch als verheerend für die Reste der antiken Kultur und die lokale Wirtschaft. Bereits in Cividale del Friuli hatte Alboin kurz nach Beginn der Invasion ein Dukat (Herzogtum) errichtet; diese Form der Herrschaftsorganisation (eine Zusammenführung spätrömischer Verwaltung und der langobardischen Militärordnung) sollte typisch für die Langobarden werden. Die Königsmacht verfiel nach der Ermordung Alboins 572 und der seines Nachfolgers Cleph 574, die langobardische Herrschaft zersplitterte in relativ selbstständige Dukate. Das Langobardenreich stand weiterhin unter hohem äußeren Druck. Erst angesichts einer Bedrohung durch die Franken wählten die Langobarden nach zehnjähriger Königslosigkeit 584 erstmals wieder Authari in diese Position. Die Oströmer/Byzantiner konnten zudem mehrere der Seestädte halten, außerdem Ravenna, Rom und Süditalien. Innenpolitisch blieben die Spannungen zwischen den zumeist arianischen Langobarden und den katholischen Romanen eine Belastung für das gegenseitige Verhältnis, wenngleich auch katholische Langobardenkönige herrschten. Erwähnenswert unter den Langobardenkönigen des 7. Jahrhunderts sind etwa Agilulf, unter dem die Langobarden wieder einige Erfolge erzielen konnten, und Rothari, der 643 die langobardischen Rechtsgewohnheiten systematisch sammeln und aufzeichnen ließ. Liutprand (reg. 712–744) wirkte ebenfalls als Gesetzgeber und konnte seine Macht sogar gegenüber den Duces von Spoleto und Benevent, den beiden südlichen langobardischen Herrschaften, zur Geltung bringen. Die Langobarden waren zu diesem Zeitpunkt endgültig katholisch geworden und traten wieder expansiv auf, so gegen Byzanz, und intervenierten auch in Rom. 774 schlugen die Franken König Desiderius und eroberten das Langobardenreich. Italien im Frühmittelalter war ein politisch zersplitterter Raum. Während des Zerfallsprozesses des Karolingerreiches im 9. Jahrhundert stiegen lokale Machthaber auf. Sie regierten von 888 bis 961 als Könige unabhängig in Oberitalien, bis diese Region (außer der Republik Venedig) unter Otto I. in das Ostfrankenreich integriert wurde. Als Reichsitalien blieb es bis zum Ende des Mittelalters Teil des römisch-deutschen Reiches. In diesem Zusammenhang waren die von den Kaisern geförderten Bischöfe ein wichtiger Faktor zur Herrschaftssicherung. Die römisch-deutschen Könige seit Otto I. betrieben jedoch keine stringente Italienpolitik, sondern mussten ihre Herrschaftsrechte (Regalien), vor allem in späterer Zeit, auch militärisch durchsetzen. Realpolitisch relevant war die Beherrschung Oberitaliens vor allem aufgrund der vergleichsweise hohen Wirtschafts- und Finanzkraft der dortigen Städte, die seit dem 11. Jahrhundert wieder aufblühten; eine Sonderrolle spielten die Seerepubliken. Zunächst standen viele Städte in Reichsitalien unter dem Einfluss der Bischöfe, bevor sie nach und nach an politischer Autonomie gewannen. Neben der immer noch relativ starken städtischen Kultur war auch die antike Kultur dort in Teilen bewahrt worden. Das schriftliche Niveau lag höher als im Norden, was für eine effektive Herrschaftsausübung vorteilhaft war, wenngleich die persönliche Präsenz des Herrschers weiterhin ein wichtiger Faktor war. Andererseits profitierte Oberitalien von den nun stabileren politischen Verhältnissen. Im 8. Jahrhundert hatte sich in Mittelitalien der Kirchenstaat etabliert, wobei dessen Umfang und der Status der Stadt Rom selbst zwischen den Päpsten und Kaisern oft umstritten war. Politisch gewannen die Päpste während des Niedergangs der Karolinger für kurze Zeit Spielraum, andererseits musste man in Rom wiederholt Angriffe der Normannen und Araber auf päpstlichen Besitz abwehren. Schon aus diesem Grund begrüßte man das spätere Eingreifen der Ottonen in Italien. Das Papsttum geriet aber im 10. Jahrhundert außerdem in die Auseinandersetzung einflussreicher stadtrömischer Familien, die es für ihre Zwecke instrumentalisierten, was einen Ansehensverlust für den Bischof von Rom bedeutete. Seit der Ottonenzeit übten, wie zuvor die Karolinger, die römisch-deutschen Herrscher eine Schutzherrschaft über das Papsttum aus, wenngleich es in der Salierzeit zum offenen, auch politisch motivierten Konflikt im Investiturstreit kam. Byzanz verfügte noch bis ins 11. Jahrhundert über Stützpunkte in Italien. Nachdem Ravenna 751 an die Langobarden verloren gegangen war und man auch nicht mehr in Mittelitalien effektiv eingreifen konnte, konzentrierten sich die Byzantiner auf die Kontrolle ihrer Besitzungen in Süditalien. Diese wurden von arabischen Raubzügen, vor allem seit der von Nordafrika aus erfolgten Eroberung Siziliens im 9. Jahrhundert (Fall von Syrakus 878, Fall Taorminas 902), und seit dem 10. Jahrhundert auch von den römisch-deutschen Herrschern bedroht. Mit dem Fall Baris 1071 endete die byzantinische Herrschaft in Italien endgültig. In Süditalien übernahmen dafür die Normannen eine führende Rolle. Sie waren zu Beginn des 11. Jahrhunderts von dortigen langobardischen Lokalherrschern als Krieger angeworben worden, etablierten aber bald schon eigene Herrschaften. Sie nutzten die komplizierte politische Lage im Raum zwischen Byzanz, Papsttum und lokalen Herrschern aus, wobei die Bündnisse wechselhaft waren. In Aversa, Capua und Salerno entstanden in der Folgezeit normannische Fürstentümer. Die Normannen expandierten ab 1061 auch nach Sizilien, das in der Zwischenzeit partiell und kurzzeitig von den Byzantinern zurückerobert worden war, und gewannen die Insel für sich. Eine führende Rolle spielte die Familie Hauteville. Bereits 1059 war für sie das Herzogtum von Apulien und Kalabrien als päpstliches Lehen geschaffen worden; sie erlangten 1130 die Königswürde für Sizilien und Unteritalien, bis das Königreich Sizilien 1194 an die Staufer fiel. Iberische Halbinsel In Hispanien und Südgallien hatte sich Ende des 5. Jahrhunderts das Westgotenreich etabliert. Die Westgoten mussten jedoch nach der schweren Niederlage in der Schlacht von Vouillé gegen die Franken 507 Gallien bis auf die Region um Narbonne räumen. Toledo wurde die neue Hauptstadt der Westgoten (Toledanisches Reich) und im Laufe des 6. Jahrhunderts entwickelte sich eine westgotische Reichsidee. Das Verhältnis zwischen König und einflussreichen Adeligen war nicht selten angespannt und es kam wiederholt zu Auseinandersetzungen. Die Westgoten waren zudem Arianer, was zu Konflikten mit der katholischen Mehrheitsbevölkerung führte. Leovigild war wie sein Sohn und Nachfolger Rekkared I. ein bedeutender Herrscher. Er eroberte 585 das Suebenreich im Nordwesten Hispaniens, scheiterte jedoch bei seinem Versuch, die kirchliche Einheit des Reiches durch einen gemäßigten Arianismus herzustellen. Das Problem löste Rekkared I., der 587 zum katholischen Glauben übertrat, indem er 589 auf dem 3. Konzil von Toledo den Übertritt der Westgoten erreichte. Dies begünstigte den ohnehin recht großen Einfluss der Westgotenkönige auf ihre Reichskirche. Die Oströmer wurden zu Beginn des 7. Jahrhunderts aus Südspanien vertrieben und die Franken stellten keine unmittelbare Bedrohung mehr dar. Dennoch gelang es den folgenden westgotischen Königen nicht, eine dauerhafte Dynastie zu begründen. Grund dafür waren die internen Machtkämpfe im 7. Jahrhundert. Es kam immer wieder zu Rebellionen und Machtkämpfen zwischen rivalisierenden Adelsgeschlechtern, wobei der Hofadel besonders einflussreich war. Von den westgotischen Königen des 7. Jahrhunderts wurden mehr als die Hälfte abgesetzt oder ermordet. Dennoch gelang es einzelnen Königen durchaus sich zu behaupten, so etwa Chindaswinth (642–653) oder König Rekkeswinth (653–672). Unter Rekkeswinth herrschte im Reich wieder weitgehend Frieden. Er regierte im Einklang mit dem Adel und erließ 654 ein einheitliches Gesetzbuch für Goten und Romanen. Das Reich profitierte von der Anknüpfung an spätrömische Traditionen und erwies sich insgesamt als gefestigt. Der christliche Königsgedanke des Frühmittelalters wiederum war von der westgotischen Idee des sakral legitimierten Königtums beeinflusst. Kulturell erlebte das Reich um 600 eine Blütezeit, deren wichtigster Repräsentant Isidor von Sevilla war. Das Westgotenreich erlangte, nicht zuletzt durch die Tradierung des Wissens in den dortigen Klosterschulen, eine beachtliche kulturelle Strahlkraft. Im frühen 8. Jahrhundert wurde das Reich von den Arabern erobert; sie schlugen 711 König Roderich in der Schlacht am Río Guadalete. Die politische Lage auf der Iberischen Halbinsel war im weiteren Verlauf des Frühmittelalters recht kompliziert. Nach dem Fall des Westgotenreichs drangen die Mauren zeitweilig sogar in das südliche Frankenreich vor. Alle Teile der Halbinsel kamen zunächst unter islamische Herrschaft, doch schon wenige Jahre nach der Invasion der Muslime formierte sich im Nordwesten Widerstand. Dort wählten christliche Adlige 718 den vornehmen Goten Pelagius zu ihrem König. Damit wurde das Königreich Asturien gegründet. Dies gilt als der Ausgangspunkt der Reconquista, der Rückeroberung durch die Christen, wobei manche christliche Herrscher die Anknüpfung an die Westgoten betonten (Neogotismus). Bis ins späte 15. Jahrhundert standen sich ein christlicher Norden und ein islamisch beherrschter, lange Zeit sehr viel mächtigerer und (allerdings nicht in der Anfangszeit der Eroberung) kulturell höher entwickelter Süden (Al-Andalus) gegenüber. Neben dem bestehenden Königreich Asturien-León, das im 10. Jahrhundert eine Blütezeit erlebte und im 11. Jahrhundert mit Kastilien verbunden wurde, entstanden weitere christliche Reiche in Nordspanien: im 9. Jahrhundert die Grafschaft (seit Ferdinand I. im frühen 11. Jahrhundert: Königreich) Kastilien und das Königreich Navarra; hinzu kamen die ehemalige fränkische Spanische Mark, aus der sich die Grafschaft Barcelona entwickelte, und im 11. Jahrhundert das Königreich Aragon. Die Christen profitierten von den innenpolitischen Krisen im Emirat und dem späteren Kalifat von Córdoba und waren seit dem 9. Jahrhundert offensiver vorgegangen; trotz mancher Rückschläge und maurischer Gegenangriffe drängten sie die islamische Herrschaft Stück für Stück nach Süden zurück. Daneben gab es aber immer wieder Phasen der Koexistenz. In Al-Andalus lebten Muslime, Christen und Juden weitgehend friedlich zusammen, wenngleich es auch einige Übergriffe von Muslimen auf Christen gab und die Koexistenz nicht idealisiert werden sollte. Die Kultur im islamischen Spanien stand im 10. Jahrhundert in voller Blüte. Córdoba war zu dieser Zeit eine der größten und reichsten Städte des Mittelmeerraums. Es fand auch ein kultureller Austauschprozess statt, der für die christliche Seite sehr vorteilhaft war. Die Mehrheit der Bevölkerung im maurischen Spanien war noch im 10. Jahrhundert christlich (Mozaraber). Es fanden aber Abwanderungen in die christlichen Reiche und Konversionen zum Islam statt, vor allem als sich die tolerante muslimische Religionspolitik später teils änderte. Unter Sancho III. von Navarra, der sein Reich erheblich ausgedehnt hatte, erlebte das christliche Spanien im frühen 11. Jahrhundert eine politische und kulturelle Erstarkung (gestützt durch eine Klosterreform). Sancho teilte sein Reich unter seinen Söhnen auf, doch wurden nun diese Reiche von Nachfahren derselben Dynastie regiert. Nach dem Fall des Kalifats von Córdoba 1031 spaltete sich der islamische Süden in zahlreiche Klein- und Kleinstreiche auf (Taifa-Königreiche), was die christlichen Herrscher ausnutzten. 1085 fiel die ehemalige westgotische Königsstadt Toledo an Alfons VI. von León-Kastilien, woraufhin die muslimischen Herrscher in Sevilla und Granada die Almoraviden aus Nordafrika zu Hilfe riefen, die Alfons 1086 in der Schlacht bei Zallaqa schlugen, bald aber eigene Herrschaften errichteten. Die britischen Inseln Über die Vorgänge in Britannien unmittelbar nach dem Abzug der Römer zu Beginn des 5. Jahrhunderts liegen fast keine schriftlichen Zeugnisse vor, weshalb kaum Details bekannt sind. Der grobe Rahmen kann aber anhand der wenigen schriftlichen und archäologischen Quellen zumindest annähernd rekonstruiert werden. Das Feldheer hatte die Insel 407/8 unter dem Gegenkaiser Konstantin III. wohl vollständig geräumt, es ist aber schwer vorstellbar, dass nicht zumindest ein Minimum an Garnisonstruppen zurückgelassen worden ist, da die Insel als Ganzes wohl nicht aufgegeben werden sollte. Die wenigen Verbände dürften sich erst im Laufe der Zeit aufgelöst haben, als die Insel faktisch sich selbst überlassen wurde, weshalb es 409 in Britannien zum Aufstand kam. Die lokale Verwaltung scheint anschließend zumindest teilweise noch längere Zeit funktioniert zu haben, es entstanden schließlich mehrere romano-britische Kleinreiche (Sub-Roman Britain). In dieser Zeit kamen Angelsachsen in relativ geringer Anzahl als Söldner nach Britannien und übernahmen statt römischer Soldaten Verteidigungsaufgaben. Um die Mitte des 5. Jahrhunderts erhoben sich die Angelsachsen gegen die romano-britischen Herrscher, wobei die Gründe nicht ganz klar sind. Um 500 scheinen die Angelsachsen zu einem vorläufigen Siedlungsstopp gezwungen worden zu sein, nachdem sie von Ambrosius Aurelianus in der nicht genau datierbaren oder lokalisierbaren Schlacht von Mons Badonicus geschlagen worden waren. In der Folgezeit drängten sie jedoch die Romano-Briten zurück. Zwar sind Einzelheiten darüber nicht überliefert, doch gelang es den Angelsachsen bis zum Ende des 7. Jahrhunderts weite Teile des Gebiets südlich des Firth of Forth unter ihre Kontrolle zu bringen, wobei es offenbar wiederholt zu schweren Kampfhandlungen kam. Einzelne britische Gebiete konnten jedoch ihre Unabhängigkeit bewahren, so Wales und das heutige Cornwall. Es kam auch kaum zu massenhaften Vertreibungen der romano-britischen Bevölkerung. Der Christianisierung der Angelsachsen gelang im 7. Jahrhundert der Durchbruch. In dieser Zeit bildete sich auch die sogenannte Heptarchie aus, die sieben bis ins 9. Jahrhundert dominierenden angelsächsischen Königreiche (Essex, Sussex, Wessex, Kent, East Anglia, Mercia und Northumbria), wovon Mercia und Northumbria die mächtigsten waren und immer wieder Kämpfe um die Oberherrschaft ausfochten. Mercia siegte über Northumbria 679 in der Schlacht am Fluss Trent, wodurch Mercias Vormachtstellung begründet wurde; bedroht wurden die angelsächsischen Reiche aber auch von Einfällen der Pikten. Die südlichen angelsächsischen Reiche gerieten in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts in die Abhängigkeit Mercias, das unter Offa zeitweise zum mächtigsten Reich in England aufstieg, während Northumbria aufgrund des mercischen Widerstands nach Norden expandierte. Die Vorherrschaft Mercias unter den angelsächsischen Reichen war nur von kurzer Dauer. Bereits im frühen 9. Jahrhundert befreiten sich East Anglia und Kent von der mercischen Vorherrschaft. Unter Egbert gewann Wessex wieder zunehmend an Einfluss. Mit dem Sieg über Mercia in der Schlacht von Ellendun 825 wurde die mercische Hegemonie endgültig gebrochen und Wessex annektierte mehrere andere angelsächsische Gebiete. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts kontrollierte Wessex ganz England südlich der Themse, als 866 die große Wikingerinvasion begann. Das angelsächsische England war besonders in der Frühzeit mit Skandinavien verbunden. 865/66 schlossen sich jedoch mehrere Wikingerführer (darunter Ivar Ragnarsson, ein Held der skandinavischen Saga-Literatur) zusammen und fielen von Dänemark aus mit einem großen Heer in Nordostengland ein, wobei sie plünderten und zahlreiche Bewohner töteten. Der Einfall steht wahrscheinlich in Verbindung mit den verstärkten Abwehrbemühungen im Frankenreich, so dass England ein leichteres Ziel darstellte. Das Wikingerheer war offenbar den angelsächsischen Truppen zahlenmäßig überlegen. 871 kontrollierten die Wikinger bereits den Osten Englands, von York im Norden bis in den Raum London. Doch erst in den 870er Jahren begannen sie sich dort anzusiedeln, wenngleich sie teils angelsächsische Schattenkönige einsetzten. Damit zerbrach die bisherige politische Ordnung der angelsächsischen Reiche, nur Wessex blieb zunächst relativ unbeschadet. Mit Alfred von Wessex (reg. 871–899), später „Alfred der Große“ genannt, begann jedoch die Zurückdrängung der Wikinger und eine bedeutende Zeit des angelsächsischen Englands. Nach anfänglichen Rückschlägen besiegte Alfred die Wikinger 878 in der Schlacht von Edington. Sein Gegner Guthrum ließ sich taufen und zog sich aus Wessex zurück; 886 wurde in einem Vertrag die Grenze zwischen Angelsachsen und Danelag festgelegt. Faktisch herrschte Alfred zu diesem Zeitpunkt über alle Angelsachsen, die nicht im dänischen Herrschaftsbereich lebten. Zur weiteren Abwehr gegen die Wikinger, die gegen Ende seiner Regierungszeit wieder angriffen, wurden burhs (befestigte Plätze) eingerichtet und eine Kriegsflotte aufgestellt. Im Inneren betrieb er nach dem karolingischen Vorbild eine wirksame Kulturförderung. Die Nachfolger Alfreds (wie sein Sohn Eduard der Ältere) drängten die dänische Herrschaft immer weiter zurück, bis nur noch das Königreich York übrig blieb. Eduards Sohn Æthelstan betrieb wie Alfred eine intensive Förderung der Kultur und konnte auch militärische Erfolge verbuchen. Doch fanden einige Könige von Wessex nicht die allgemeine Anerkennung aller Angelsachsen. So versuchte man in Northumbria einige Zeit, mit Hilfe der Dänen die Unabhängigkeit zu bewahren. Im 10. Jahrhundert kam es daher immer wieder zu Kämpfen um die Herrschaft über das gesamte angelsächsische England. Die relativ lange Regierungszeit Edgars wirkte sich stabilisierend aus, doch nach seinem Tod 975 traten Spannungen wieder offen hervor. Darauffolgende Versuche, die Königsmacht weiter zu konsolidieren, hatten kaum Erfolg, vor allem weil es seit 980 wieder zu größeren Wikingereinfällen kam. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war unter Knut dem Großen erreicht, der im frühen 11. Jahrhundert kurzzeitig ein maritimes Reich errichtete, das große Teile Westskandinaviens sowie England umfasste. In England bestieg 1042 Eduard der Bekenner den Thron, doch hatte er mit starken innenpolitischen Widerständen zu kämpfen, was ihm nur relativ geringen Handlungsspielraum ließ. Als er 1066 starb, endete damit die westsächsische Dynastie. Im Nachfolgekampf setzte sich schließlich der Normanne Wilhelm der Eroberer durch, der 1066 in der Schlacht bei Hastings siegte. Dies bedeutete das Ende des angelsächsischen Englands. Im Norden Britanniens entstand Mitte des 9. Jahrhunderts das Königreich Schottland aus Vereinigung der Pikten mit den keltischen Skoten (Dál Riada), wobei das Königtum eher schwach ausgeprägt war. Obwohl eine flächendeckende Herrschaftsdurchdringung nicht oder kaum gelang, wurde Lothian um 950, Cumbria 1018 hinzugewonnen. Unter Malcolm II. (gest. 1034) nahm das Königreich Alba (Schottland) langsam endgültig Gestalt an. Kämpfe mit den Angelsachsen waren relativ selten, dafür mussten wiederholt Wikingerangriffe abgewehrt werden. In Irland herrschten neben Stammeskönigen vor allem regionale Kleinkönige. Bemerkenswert ist das Fortbestehen irischer Dynastien über lange Zeiträume. Das Hochkönigsamt, das ahistorisch uralt gewesen sein soll, wurde von verschiedenen Gruppen immer wieder beansprucht. Vor allem die Uí Néill, deren Aufstieg bereits im 5. Jahrhundert begann und auf Kosten des Provinzialkönigreichs Ulaid ging, versuchten es zur Legitimation ihres Herrschaftsanspruchs zu nutzen und beanspruchten seit dem 7. Jahrhundert das „Königtum von Tara“. Zwischen den einzelnen Gruppen kam es wiederholt zu Kampfhandlungen. So konnte sich bis ins Hochmittelalter kein starkes, die ganze Insel umfassendes Königtum etablieren. Ende des 8. Jahrhunderts tauchten die Wikinger in Irland auf und errichteten Stützpunkte; im 10. Jahrhundert sind Siedlungen der Wikinger und Kämpfe mit ihnen belegt. Damit war Irland das erste Mal in geschichtlicher Zeit militärischen Angriffen von außen ausgesetzt. Skandinavien Mehrere germanische Stämme der Völkerwanderungszeit beanspruchten in ihren Herkunftsgeschichten eine Abstammung aus Skandinavien, doch wird dies in der modernen Forschung in der Regel als Topos betrachtet, der vor allem der Identitätsstiftung diente und zusätzliche Legitimation verschaffen sollte. Das beginnende Frühmittelalter im skandinavischen Raum wird in der modernen Forschung als Vendelzeit (Schweden, nach den reichen Grabfunden in Vendel), Merowingerzeit (Norwegen) oder jüngere germanische Eisenzeit (Dänemark) bezeichnet. Über diesen Zeitraum sind nur wenige Details bekannt, vor allem auf Grundlage archäologischer Funde. In der Forschung wurde oft angenommen, dass sich im späten 6. und im 7. Jahrhundert ein Niedergang vollzogen habe, wobei mehrere Siedlungen verfallen seien. Neuere Untersuchungen zeigen hingegen, dass zahlreiche Siedlungen kontinuierlich bewohnt blieben. Um 600 wurden zusätzliche Flächen kultiviert und Funde deuten auf weiterhin aktive politische Zentren von Häuptlingen und Kleinkönigen hin; allerdings fehlen teilweise noch Studien für einzelne Regionen. Herrschaftsausübung hing in Skandinavien jedenfalls (wie auch in anderen Teilen des frühmittelalterlichen Europas) eng mit der Fähigkeit des jeweiligen Herrschers zusammen, durch Kämpfe Prestige und Reichtum zu erlangen und seine Anhänger daran teilhaben zu lassen. Dies führte schließlich zu Raubzügen in andere Regionen. Im späten 8. Jahrhundert begann in Skandinavien die Wikingerzeit. 793 überfielen skandinavische Seefahrer, die sogenannten Wikinger, das Kloster Lindisfarne vor der Küste Englands. In den folgenden Jahren fielen sie wiederholt auf der Suche nach Beute in das Frankenreich und in England sowie in Irland ein, wobei sie teilweise befestigte Plätze zum Überwintern bzw. Siedlungen errichteten. Die Wikinger waren sowohl als Räuber als auch als Händler aktiv. Ihre Züge führten sie bis ins Mittelmeer und nach Osteuropa, schließlich in den Nordatlantik. Dort entstanden auf Island wohl Ende des 9. Jahrhunderts erste Siedlungen, Ende des 10. Jahrhunderts wurde Grönland besiedelt; schließlich fanden sogar Fahrten nach Nordamerika statt (Vinland). Im Osten stießen skandinavische Seefahrer, die sogenannten Waräger, über verschiedene Flüsse bis ins Innere Russlands vor, betrieben Handel und waren auch politisch aktiv, wie etwa die Nestorchronik berichtet (siehe Kiewer Rus). Andere Gruppen gelangten bis in den arabischen und byzantinischen Raum. Die zeitgenössischen Quellen, etwa die angelsächsische Chronik oder die fränkischen Reichsannalen und deren spätere Fortsetzungen, beschreiben mehrfach die verheerenden Überfälle der Wikinger. Dem folgten auch Herrschaftsbildungen. Im späten 9. Jahrhundert setzten sie sich im Norden Englands fest, während 911 der Wikinger Rollo vom westfränkischen König mit der Normandie belehnt wurde. Die romanisierten Normannen sollten im 11. Jahrhundert auch in Unteritalien aktiv werden und 1066 England erobern. Die politische Geschichte Skandinaviens im Frühmittelalter ist recht verworren und die Quellen sind nicht immer zuverlässig. Schweden, wo Ende des 10. Jahrhunderts das Königtum der Svear Gestalt annahm, stand in enger wirtschaftlicher Beziehung zu Osteuropa. Das schwedische Königtum war im Frühmittelalter nur schwach ausgebildet und hatte in paganer Zeit vor allem kultischen Charakter. Vermutlich war Olof Skötkonung (gest. 1022) der erste König, der über ganz Schweden herrschte. Er war Christ und nutzte die Religion anscheinend bei dem Versuch, seiner Herrschaft Autorität zu verschaffen, was aber auf Widerstand stieß. Dafür siegte er 999 oder 1000 im Bündnis mit Dänemark in der Seeschlacht von Svold über den norwegischen König Olav I. Tryggvason. Über die ihm direkt nachfolgenden schwedischen Könige ist kaum etwas bekannt. Anund Jakob stellte sich zusammen mit norwegischer Unterstützung der dänischen Vorherrschaft unter König Knut entgegen. In Norwegen ist ein Königtum um 900 unter Harald I. in den Quellen belegt. Er scheint weite Teile Südwestnorwegens direkt beherrscht und in anderen Teilen eine eher formale Oberherrschaft ausgeübt zu haben, doch sind Details kaum bekannt (siehe Geschichte Norwegens von Harald Hårfagre bis zur Reichseinigung). Haralds ältester Sohn und Nachfolger Erik musste ins Exil gehen (vermutlich nach England), wo er auch starb. Im frühen 11. Jahrhundert förderte dann Olav II. Haraldsson das Christentum in Norwegen. Er hatte sowohl mit innenpolitischen Gegnern zu kämpfen als auch mit den Ansprüchen des Dänenkönigs Knut. Einen ersten Angriff Knuts konnte Olav abwehren, doch 1028 musste er an den Hof von Jaroslaw von Kiew flüchten und fiel 1030 beim vergeblichen Versuch, den norwegischen Thron zurückzugewinnen. Olavs Sohn Magnus wurde 1035 in jungen Jahren nach Norwegen gerufen, wo er schließlich gegen politische Gegner vorging. Magnus musste sich am Ende seiner Regierungszeit die Herrschaft mit seinem Onkel Harald Hardråde teilen, der ihm 1047 nachfolgte. Harald erlangte die Kontrolle über ganz Norwegen und vollendete die Reichseinigung, starb aber 1066 in England. Norwegen konnte in dieser Zeit die Unabhängigkeit von Dänemark bewahren, Magnus und Harald erhoben sogar Anspruch auf die dänische Königskrone. In Dänemark sind Könige, die möglicherweise recht früh über eine relativ starke Stellung verfügten, bereits im frühen 9. Jahrhundert belegt, als es zu Kämpfen mit den Franken kam. Allerdings scheint es sich um Kleinkönige gehandelt zu haben, die zunächst keine dynastisch legitimierte Herrschaftsausübung etablieren konnten. Dänemark übte im 9. Jahrhundert, in dem Könige wie Gudfred und Horik I. in den Quellen erwähnt werden, zeitweise eine Oberherrschaft im südlichen Skandinavien aus, die um 900 erschüttert wurde. Im frühen 10. Jahrhundert ist König Gorm belegt, in dessen Regierungszeit die dänische Macht wieder gefestigter war. Über Gorm selbst ist kaum etwas bekannt, aber anders als er, lehnte sein Sohn Harald Blauzahn die Taufe nicht ab. Haralds Sohn Sven Gabelbart versuchte sich als Wikingeranführer und fiel auch in England ein; dort wurde er 1013 als König anerkannt, starb aber 1014. Sein Sohn war der bereits erwähnte Knut (auch Knut der Große genannt), der England und Dänemark für kurze Zeit in einer Art Personalunion verband. Knut fiel 1015 in England ein und errang dort militärische Erfolge. Mit König Edmund II. verständigte er sich und übernahm nach dessen Tod 1016 auch Wessex. Somit herrschte Knut faktisch über ganz England. Seit 1014/1015 bezeichnete er sich als rex Danorum („König der Dänen“), Alleinherrscher in Dänemark war er seit 1019. In Schweden und Norwegen stieß seine Expansion auf harten Widerstand, wobei Knut gegen Norwegen erfolgreicher agierte. Das von ihm errichtete Nordseereich hatte nach seinem Tod 1035 jedoch keinen Bestand. Ost- und Südosteuropa Der Osten und Südosten Europas war im Frühmittelalter ein politisch zersplitterter Raum. Noch im Verlauf der endenden Völkerwanderung im 6. Jahrhundert drangen in den von germanischen Stämmen weitgehend aufgegebenen Raum östlich der Elbe und nördlich der Donau Slawen ein. Ihre Herkunft bzw. der Prozess ihrer Ethnogenese ist bis heute umstritten und problematisch. Gesichert ist ihr Auftauchen durch archäologische Befunde sowie literarische Quellen (z. B. Jordanes und Prokopios von Kaisareia) erst für das 6. Jahrhundert. Eine aus dem 9. Jahrhundert stammende Aufzeichnung der Slawenstämme findet sich beim sogenannten Bayerischen Geographen. Einzelheiten über die weitere Ausbreitung der Slawen und ihren ersten Herrschaftsbildungen sind kaum bekannt; nur wenn sie in Kontakt oder Konflikt mit den Nachbarreichen kamen, ändert sich dies. Im Donauraum tauchten zur Zeit Justinians die Anten auf. In der Folgezeit überschritten offenbar mehrere slawischen Gruppen die Donau, wobei sie zunächst unter der Oberherrschaft der Awaren standen. Diese hatten Ende des 6. Jahrhunderts im Balkanraum ein Steppenreich errichtet, bevor die Macht der Awarenkhagane im 7. Jahrhundert spürbar nachließ. Seit den 580er Jahren geriet die byzantinische Grenzverteidigung im Donauraum unter massiven Druck und gab schließlich zu Beginn des 7. Jahrhunderts nach, zumal die Truppen im Osten im Kampf gegen die Perser benötigt wurden. Slawen fielen daraufhin in die römischen Balkanprovinzen und in Griechenland ein. 626 belagerten Slawen als awarische Untertanen vergeblich Konstantinopel. Nach dem Zusammenbruch der awarischen Vorherrschaft bildeten sich im Balkanraum mehrere slawische Herrschaften, die von den Byzantinern als Sklavinien bezeichnet wurden. Es fand eine faktische Landnahme statt, auch in Teilen Griechenlands siedelten sich Slawen an, wo es aber nach der byzantinischen Rückeroberung zu einer Rehellenisierung kam. Die byzantinischen Städte im Balkanraum schrumpften, wirtschaftlich und demographisch bedeutete dies ebenfalls einen erheblichen Verlust, wenngleich nur wenige Details bekannt sind. Andererseits übte Byzanz in der Folgezeit noch einen großen kulturellen Einfluss auf die Balkanreiche aus. Erst im 8. Jahrhundert konnte Byzanz in diesem Raum wieder in die Offensive gehen, als mit den (später slawisierten) Protobulgaren bereits ein neuer Gegner auftauchte, der ebenfalls eine Bedrohung für Byzanz darstellte, während die Wolgabulgaren eine eigene Reichsbildung betrieben. Trotz byzantinischer Militäroperationen (dabei unterlag eine byzantinische Armee bereits 679, während im 8. Jahrhundert Operationen teils sehr erfolgreich verliefen), konnte sich das Bulgarenreich in den Kämpfen mit den Byzantinern behaupten, wie etwa die Erfolge Krums belegen. Es kam im bulgarischen Herrschaftsraum zunehmend zu einer Verschmelzung der protobulgarischen und slawischen Gruppen. Unter Omurtag kam es zu einer intensiven Bautätigkeit im Reich, Bulgarien wurde aber ebenso von byzantinischen Einflüssen geprägt. Unter Boris I., der sich 865 auf den Namen Michael taufen ließ, verstärkte sich im 9. Jahrhundert die Christianisierung trotz mancher Widerstände bulgarischer Bojaren. Die stetige Slawisierung Bulgariens gipfelte in der Übernahme der Liturgie in slawischer Sprache und des kyrillischen Alphabets. Höhepunkt der frühmittelalterlichen bulgarischen Geschichte stellte die Regierungszeit Simeons I. im frühen 10. Jahrhundert dar, der gebildet und militärisch erfolgreich war. Er war der erste bulgarische und slawische Herrscher mit dem Titel Zar, der slawischen Entsprechung für einen (regional begrenzten) Kaisertitel. Die Kampfhandlungen mit Byzanz flackerten immer wieder auf, bevor Kaiser Basileios II. nach brutalen Kämpfen die Bulgaren 1014 entscheidend schlug und das Bulgarenreich 1018 eroberte. Eine slawische Westbewegung in den Raum des heutigen Tschechiens und des Ostalpenraums ist archäologisch für das 6. Jahrhundert belegt, die Ostseeküste wurde wohl im 7. Jahrhundert erreicht. Den Zerfall des Awarenreiches begünstigte die „slawische Expansion“. So nutzte dies ein fränkischer Kaufmann namens Samo aus, der sich an die Spitze eines Slawenaufstands stellte und in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts ein slawisches Reich (wohl im böhmischen Raum) errichtete, das auch einem Angriff der Franken widerstand, nach Samos Tod aber zusammenbrach. Besonders im 9. Jahrhundert entstanden mehrere, auch länger bestehende slawische Herrschaften, so in Böhmen, das bald christianisiert wurde und seit dem 10. Jahrhundert zum römisch-deutschen Reich gehörte. Des Weiteren Kroatien (wobei die Kroaten bereits im 7. Jahrhundert nach Dalmatien eingewandert waren) und Serbien (das bald unter byzantinischen Einfluss geriet). Weiter östlich entstanden in Polen und in der heutigen Ukraine neue Herrschaften, die in der weiteren Geschichte Europas eine bedeutende Rolle spielten. Dazu gehörte etwa der Kiewer Rus, der im 10. Jahrhundert christianisiert wurde und unter Wladimir I. eine erste Blütezeit erlebte. Um 900 fand auch die Landnahme der (nicht slawischen) Ungarn statt, die wiederholt weitreichende Raubzüge unternahmen und mehrmals in Italien und Ostfranken einfielen, bevor sie 955 geschlagen wurden. Erster ungarischer König wurde 1001 Stephan I., der Begründer der Árpáden-Dynastie. Stephan war Christ und unterstellte sein Reich dem Heiligen Stuhl, wofür er die kirchliche Organisationsoberhoheit erhielt. Er schuf im Inneren eine königliche Verwaltung und stärkte Kirche und Königsgewalt in Ungarn. Außenpolitisch kam es im frühen 11. Jahrhundert zu Konflikten mit dem römisch-deutschen Reich, während Ungarn, das zu einer bedeutenden Macht in Südosteuropa aufstieg, zu Byzanz und Polen recht gute Beziehungen unterhielt. Im 9. Jahrhundert wurde von den Franken die Grenze im Elberaum gesichert. Hier hatten sich in karolingischer Zeit mehrere Slawenstämme etabliert, darunter die Abodriten und Wilzen. In ottonischer Zeit wurde die Unterwerfung und Christianisierung der paganen Elbslawen versucht, doch erlitt dieses Vorhaben durch den Slawenaufstand von 983 einen erheblichen Rückschlag. Polen, das sich im 8./9. Jahrhundert mit dem Kernraum der Polanen etablierte, erstarkte unter den Piasten im 10. Jahrhundert. Mieszko I. nahm das Christentum an, fortan förderten die polnischen Herrscher die Missionierungen der paganen Gebiete. Mit den ottonischen und salischen Herrschern kam es immer wieder zu Kooperationen (verbunden mit Tributzahlungen) und Konflikten, als Abgrenzung zum römisch-deutschen Reich sind auch die drei Königskrönungen im 11. Jahrhundert zu verstehen. Bolesław I. ließ sich 1024/25 zum König krönen, doch musste Polen schließlich Gebiete an die salischen Herrscher abtreten. Hauptresidenz des verkleinerten Königreichs wurde Krakau. Byzanz Das Oströmische Reich hatte sich im Laufe des 7. Jahrhunderts tiefgreifend gewandelt (siehe oben). Das in Armee und Verwaltung noch gesprochene Latein war endgültig dem Griechischen gewichen; aufgrund der arabischen Eroberungen sowie der Bedrohung der Balkangebiete waren um die Mitte des 7. Jahrhunderts an den Grenzen Militärprovinzen entstanden, die sogenannten Themen. Auf dem Fundament römischen Staatswesens, griechischer Kultur und christlich-orthodoxen Glaubens entstand das mittelalterliche Byzanz. Die Abwehrkämpfe gegen die Araber dauerten bis ins 8./9. Jahrhundert an. Byzanz verlor mit den orientalischen und afrikanischen Provinzen bis Ende des 7. Jahrhunderts mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung und des Steueraufkommens an das Kalifat. Der Verlust dieser Provinzen, in denen mehrheitlich christliche Kirchen mit einer abweichenden Haltung zur Reichskirche vertreten waren, sorgte aber auch für eine stärkere religiöse Gleichförmigkeit des Reiches. Die arabische Seemacht und regelmäßige Vorstöße zu Land bedrohten zunächst weiterhin Byzanz, während die Balkangebiete und Griechenland von Bulgaren und Slawen bedrängt wurden. In Griechenland siedelten sich im späten 6. (vielleicht aber auch erst im frühen 7.) Jahrhundert slawische Gruppen an, doch sind die Details in der neueren Forschung umstritten. Mehrere Küstenregionen blieben in byzantinischer Hand. Die von Slawen beherrschten Gebiete in Griechenland (Sklavinien) wurden bis ca. 800 nach und nach zurückerobert und wieder hellenisiert. Auf dem Balkan sowie in Kleinasien, der nun zentralen Reichsregion, entstanden Festungsstädte, Kastra genannt. Diesen Existenzkampf konnte das Reich durch eine militärische Neuorganisation mit fähigen Generalen, begünstigt durch innerarabische Machtkämpfe, überstehen, wonach sich der byzantinische Staat wieder konsolidierte. Ein nicht unwichtiger Verbündeter gegen das Kalifat war das mächtige Chasarenreich an der Nordküste des Schwarzen Meeres. Justinian II. war der letzte Herrscher der von Herakleios begründeten Dynastie, die das Reich seit 610 regiert hatte. Nach seinem Tod 711 folgten einige Jahre der Anarchie, bevor 717 mit dem Themengeneral Leo wieder ein fähiger Kaiser den Thron bestieg. Leo(n) III. wehrte 717–718 den letzten und ernsthaftesten arabischen Vorstoß auf Konstantinopel ab. Der neue Kaiser ging sogar zu einer begrenzten Offensive über und errang 740 bei Akroinon einen großen Sieg. Leo sicherte die Grenzen und begann im Inneren mit Reformen; so wurde etwa ein neues Gesetzbuch (Ekloge) herausgegeben. 741 folgte ihm sein Sohn Konstantin V. (reg. 741–775) nach, der zunächst eine Usurpation niederschlagen musste. Gegen Araber, Bulgaren und Slawen ging der Kaiser in den folgenden Jahren offensiv vor und errang mehrere Erfolge. Im Inneren wurde Byzanz im 8. und 9. Jahrhundert durch den sogenannten Bilderstreit erschüttert. In der modernen Forschung wird dieser wichtige Abschnitt der mittelbyzantinischen Zeit allerdings sehr viel differenzierter betrachtet. Verglichen mit der außenpolitischen Bedrohung, scheinen die erhaltenen (bilderfreundlichen) Quellen ein recht verzerrtes Bild von dieser inneren Auseinandersetzung zu vermitteln, das nicht der Realität entspricht. So ist es bereits sehr fraglich, ob es durch die „ikonoklastischen“ (bilderfeindlichen) Kaiser zu einem regelrechten Bilderverbot oder blutigen Verfolgungen aufgrund der Bilderverehrung gekommen ist (siehe unten). Die von Leo III. begründete Syrische Dynastie hielt sich bis 802 an der Macht; es folgten die Amorische Dynastie (820–867) und die Makedonische Dynastie (867–1057). Außenpolitisch musste das Reich im frühen 9. Jahrhundert einige Rückschläge verkraften. Der Bulgarenkhan Krum schlug 811 ein byzantinisches Heer, tötete den Kaiser und fertigte aus dessen Schädel ein Trinkgefäß an. 813 folgte eine weitere Niederlage gegen die Bulgaren, bevor an der Balkangrenze vorerst Ruhe einkehrte. Mitte des 9. Jahrhunderts begannen die Byzantiner die Missionierung der Balkanslawen und Bulgaren. Dennoch kam es Ende des 9. und zu Beginn des 10. Jahrhunderts wieder zum Konflikt mit Bulgarien, Byzanz musste zeitweise sogar Tributzahlungen leisten. Das ehrgeizige Ziel Simeons I., die byzantinische Kaiserkrone zu erlangen und ein bulgarisch-byzantinisches Großreich zu errichten, wurde nicht erreicht; Bulgarien blieb aber ein für Byzanz bedrohlicher Machtfaktor in der Region. Die Araber wiederum errangen im 9. Jahrhundert ebenfalls weitere Siege gegen die Byzantiner und eroberten 827 Kreta (Emirat von Kreta) und landeten auf Sizilien. Im 10. Jahrhundert errangen die Byzantiner mehrere Siege. Ihre Flotte beherrschte wieder die Ägäis und in der Regierungszeit der Kaiser Nikephoros II. und Johannes Tzimiskes wurden Kreta, Zypern, Kilikien und Teile Syriens zurückerobert; byzantinische Truppen stießen kurzzeitig sogar bis nach Palästina vor. Gleichzeitig ging allerdings der byzantinische Einfluss im Westen, wo Sizilien um 900 verloren ging, spürbar zurück. Nachdem es Mitte des 7. Jahrhunderts zu einem kulturellen Einbruch gekommen war, wenngleich mehr antike Substanz erhalten blieb als in vielen Regionen des Westens, erholte sich das Reich und es begann im 9. Jahrhundert die sogenannte Makedonische Renaissance. Diese Phase der verstärkten Rückbesinnung auf das antike Erbe in Byzanz wurde von mehreren Kaisern gefördert, darunter Leo VI. und Konstantin VII. Im Inneren bestimmten die Generale und Führer der großen Familien die Politik des 10. Jahrhunderts maßgeblich, bevor 976 ein neuer Kaiser an die Macht kam und sich nach schwierigem Beginn durchsetzen konnte. Basileios II. (reg. 976–1025) eroberte nicht nur das Bulgarenreich, sondern sicherte auch die byzantinische Ostgrenze. Er machte Byzanz wieder endgültig zur Großmacht im östlichen Mittelmeerraum. Seine Nachfolger hatten allerdings weniger Erfolg; die Folgen der Niederlage von Manzikert (1071) waren verheerend, da Byzanz das Innere Kleinasiens an die Türken verlor und von nun an wieder in einen Abwehrkampf gedrängt wurde. Die islamische Welt In Arabien entstand im frühen 7. Jahrhundert mit dem Islam eine neue monotheistische Religion. Ihr Prophet und Religionsstifter war Mohammed, der aus einer führenden mekkanischen Familie stammte. Die islamische Überlieferung zu Mohammed (Koran, Hadithliteratur, Biographien und islamische Geschichtsschreibung) ist reichhaltig, doch sind verschiedene Aussagen widersprüchlich; einzelne Aspekte werden daher in der modernen Forschung kritischer betrachtet und sind umstritten. Die Frühgeschichte des Islams, für die die Quellenlage (unter anderem aufgrund zunächst vor allem mündlicher Überlieferung arabischer Berichte) problematisch ist, wird in der neueren Forschung wieder verstärkt diskutiert. Dazu gehört die Feststellung, dass die Entwicklung der neuen Religion im geschichtlichen Kontext der ausgehenden Spätantike erfolgte und von verschiedenen zeitgenössischen Strömungen beeinflusst wurde. Mohammed war als Kaufmann tätig, als er mit etwa 40 Jahren ein Offenbarungserlebnis hatte. Er trat anschließend für einen strengen Glauben an einen allmächtigen Schöpfungsgott (Allah) ein, der von den Gläubigen eine sittliche Lebensführung verlange. Damit stieß er in Mekka allerdings auf Widerstand. Die Stadt profitierte als paganer Wallfahrtsort mit der Kaaba als Mittelpunkt. Gleichzeitig gab es in Arabien aber auch jüdische und christliche Einflüsse, die monotheistische Strömungen wie den neuen Glauben begünstigten; Mohammed war zudem nicht die einzige Person, die in dieser Zeit als Prophet auftrat. 622 begab sich Mohammed mit seinen Anhängern nach Medina; der Auszug aus Mekka (Hidschra) ist der Beginn der islamischen Zeitrechnung. Allerdings musste er auch in Medina Widerstände überwinden. Es kam anschließend zum Krieg mit Mekka, den Mohammed schließlich 630 endgültig für sich entscheiden konnte. Bekehrte Mekkaner und vor allem Mohammeds eigener Stamm der Quraisch spielten fortan eine wichtige Rolle im neuen islamischen Reich. Sehr früh wurde im Islam, anders als beispielsweise im Christentum, ein Anspruch auf politische Herrschaft formuliert; daran wurde auch später festgehalten. Bis zu seinem Tod 632 konnte Mohammed mehrere Erfolge erringen und den Großteil Arabiens unter seiner Herrschaft und auf Basis des neuen Glaubens vereinen. Die nördlichen Randgebiete standen aber weiterhin unter der Kontrolle Ostroms und des Sāsānidenreichs. Nach Mohammeds Tod 632 fiel die Führung dem ersten Kalifen (Nachfolger, Stellvertreter) Abū Bakr zu, einem engen Vertrauten Mohammeds. Abū Bakr war der erste der vier sogenannten „rechtgeleiteten“ Kalifen. Unter den muslimischen Arabern kam es zu einer Abfallbewegung (Ridda), da viele Stämme glaubten, nur dem Propheten selbst verpflichtet gewesen zu sein; die Aufständischen wurden schließlich unterworfen (Ridda-Kriege). Unter Abū Bakr begann in den 630er Jahren auch die Islamische Expansion im eigentlichen Sinne: die Eroberung des christlichen Vorderen Orients und Nordafrikas sowie des Perserreichs der Sāsāniden (zu Details siehe oben). Die religiös und nicht zuletzt durch Aussicht auf reiche Beute motivierten Araber errangen in den folgenden Jahren große Erfolge über die beiden durch lange Kämpfe geschwächten Großmächte; der letzte Krieg zwischen Ostrom und Persien war nach gut 25 Jahren erst 628 beendet worden. Bis 651 war im Osten das Sāsānidenreich, allerdings erst nach schweren Kämpfen, erobert. Im Westen verlor Ostrom/Byzanz seine orientalischen und nordafrikanischen Besitzungen: 636 Syrien, 640/42 Ägypten, bis 698 ganz Nordafrika. 717/18 belagerten die nun auch als Seemacht auftretenden Araber vergeblich Konstantinopel. Die Araber verlagerten sich auf Raubzüge nach Kleinasien, während im Westen die Iberische Halbinsel (711) erobert wurde und im Osten die Grenze Indiens erreicht wurde; ein (wohl begrenzter) Feldzug ins Frankenreich scheiterte 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers. Hinzu kam die Bedrohung der christlichen Reiche durch die neue arabische Seemacht. Von 888 bis 972 setzten sich etwa arabische Seeräuber an der Küste der Provence in Fraxinetum fest (das heutige La Garde-Freinet) und unternahmen ausgedehnte Raubüberfälle; im östlichen Mittelmeerraum bedrohten sie byzantinisches Gebiet (siehe etwa Leon von Tripolis). Die Quellenlage zu den frühen Eroberungen ist allerdings problematisch. Die erst später entstandenen arabischen Berichte (Futūh) sind nicht immer zuverlässig, während für das 7. Jahrhundert nur relativ spärliche christliche Berichte darüber vorliegen. Die Araber errichteten in den eroberten Gebieten neue Städte, wie Kufa, Basra, al-Fustat oder Kairouan, wie generell die Städte als Wirtschaftszentren eine wichtige Rolle im neuen Reich spielten, ebenso wie die Einnahmen aus Plünderungen und den Zwangszahlungen der (lange Zeit) nicht-muslimischen Mehrheitsbevölkerung. Bei der Verwaltung stützten sie sich zunächst weitgehend auf die vorhandene, gut funktionierende Bürokratie. Noch bis Ende des 7. Jahrhunderts war Griechisch (für die ehemaligen oströmischen Gebiete, Verwaltungssitz war Damaskus) und Mittelpersisch (für die ehemaligen persischen Gebiete, Verwaltungssitz war Kufa) in der Finanzverwaltung des Kalifenreichs gängig, die zunächst recht locker organisiert war; die Möglichkeiten einer zentralisierten Reichsverwaltung waren beschränkt. Die Verwaltung Ägyptens wurde von Fustat aus organisiert. In der Verwaltung des Kalifenreichs waren daher noch lange Zeit Christen tätig, die mit der effektiven spätrömischen Verwaltungspraxis vertraut waren. Sie bekleideten auch hochrangige Posten, wie etwa der einflussreiche Sarjun ibn Mansur und sein Sohn, der später als Johannes von Damaskus bekannt wurde. Erst ab 700 wurde damit begonnen, Christen aus der Verwaltung zu verdrängen, doch dies war ein langsamer Prozess, so dass sich die Kalifen noch einige Zeit auf Christen in den ehemaligen byzantinischen Gebiete stützten. Auch in kultureller Hinsicht waren die ehemaligen oströmischen und persischen Gebiete höher entwickelt als das arabische Kernland. Die Mehrheit der Bevölkerung im Kalifat war lange Zeit nichtmuslimisch und wurde nur relativ langsam islamisiert. Anhänger der Buchreligionen (Christen, Juden und Zoroastrier) mussten eine spezielle Kopfsteuer (Dschizya) zahlen (die wirtschaftlich nicht unbedeutend war), durften ihren Glauben nicht öffentlich verrichten und keine Waffen tragen, blieben ansonsten aber weitgehend unbehelligt. In der Folgezeit kam es allerdings zu Übergriffen etwa gegen Christen, wie der Druck seit dem späten 7. Jahrhundert insgesamt zunahm, so dass es zu Diskriminierungen und unterdrückenden Maßnahmen seitens der Kalifen und Statthalter gegenüber der christlichen Mehrheitsbevölkerung kam (siehe unten). Ebenso kam es später zu Zoroastrierverfolgungen durch muslimische Herrscher. Trotz der spektakulären außenpolitischen Erfolge kam es im Inneren des Kalifenreichs wiederholt zu Unruhen. Nach Abū Bakrs Tod 634 folgten zwei weitere Kalifen (ʿUmar ibn al-Chattāb und ʿUthmān ibn ʿAffān), bis 656 Mohammeds Schwiegersohn Ali Kalif wurde. Sein Anspruch innerhalb der Gemeinde (Umma) war allerdings umstritten, es kam zum Bürgerkrieg. Ali wurde 661 ermordet; Sieger war schließlich Muawiya (reg. 661–680), der die Dynastie der Umayyaden an die Macht brachte, die bis 750 das Kalifat beherrschen sollte. Die Anhänger Alis hingegen blieben weiterhin aktiv (Schia), was zu einer Spaltung der islamischen Glaubensgemeinde führte. Die Umayyaden machten Damaskus zur Hauptstadt des Kalifats, trieben die (oben geschilderte) Expansion voran und organisierten die Verwaltung nach dem Vorbild in Byzanz und Persien um. Allerdings war ihr Herrschaftsanspruch auch nach dem Tod Alis nicht unbestritten. In Mekka und Medina erhob sich Widerstand und mit ʿAbdallāh ibn az-Zubair trat ein Gegenkalif auf. Er wurde jedoch während der umayyadischen Eroberung Mekkas 692 getötet, womit der zweite Bürgerkrieg beendet war. Abd al-Malik (reg. 685–705) sicherte die umayyadische Herrschaft und schuf eine neue islamische Gold- und Silberwährung; in der Verwaltung ersetzte Arabisch endgültig Griechisch und Persisch. Allerdings blieb der Kalifenstaat relativ locker aufgebaut, die Kontrollmacht der Umayyaden war alles in allem recht begrenzt. Als letzter bedeutender umayyadischer Kalif gilt der 743 verstorbene Hischām ibn ʿAbd al-Malik. In der Spätphase der Umayyaden nahmen die inneren Spannungen zu; so kam es zwischen arabischen und nicht-arabischen Muslimen zum Konflikt, die ungelöste Steuerproblematik (da es verstärkt zu Konversionen kam und somit Gelder ausblieben) wurde zu einer ernsthaften Belastung und innere Unruhen erschütterten das Reich. 750 wurden die Umayyaden von den Abbasiden gestürzt, die im Osten des Reiches eine erfolgreiche Revolte begonnen hatten. Die meisten Umayyaden wurden ermordet, Abd ar-Rahman I. gelang aber auf abenteuerliche Weise die Flucht nach Spanien, wo er 756 das Emirat von Córdoba begründete und sich faktisch vom Kalifat löste. Unter den bis 1258 formal regierenden Abbasiden verlor das Kalifenreich zunehmend seinen spezifisch arabischen Charakter. Der politische Schwerpunkt verlagerte sich nach Mesopotamien im Osten, wo mit Bagdad im Jahr 762 eine neue Hauptstadt gegründet wurde (Runde Stadt Bagdad). Ursprünglich unterstützt von der schiitischen Bewegung, bemühten sich die Abbasiden bald um Distanz, was allerdings zu Widerständen führte. Anhänger Alis wurden bekämpft und vor-abbasidische Kalifen als Usurpatoren betrachtet. Die neuen Kalifen bemühten sich um eine religiöse Einigung des Reiches, doch verhinderte dies nicht das Aufkommen regionaler Dynastien in den Randgebieten ab ca. 800, wie beispielsweise der Aghlabiden in Nordafrika oder der Samaniden im Iran. Die frühe Abbasidenzeit war eine kulturelle Blütezeit in Kunst, Literatur, Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft. Der Kalifenhof in Bagdad entfaltete eine enorme Pracht, orientiert am Vorbild des Sāsānidenreichs, des letzten Großreichs des alten Orients. Das Monopol der Araber auf die hohen Posten im Reich war beendet; Perser spielten fortan eine wichtige Rolle am Hof in politischer und kultureller Hinsicht. Beispielhaft war die Hofhaltung von Hārūn ar-Raschīd (reg. 786–809), dessen Ruf sogar bis ins Frankenreich reichte. Politisch verschlechterte sich die Lage im 9. Jahrhundert jedoch dramatisch, als verschiedene türkische Söldnerführer in den Provinzen die Macht ergriffen. Sie gewannen schließlich auch am Kalifenhof Einfluss, was den politischen Niedergang des Kalifats einleitete. Mitte des 10. Jahrhunderts standen die Abbasiden unter der Kontrolle der Buyiden, die für gut 100 Jahre die wahre Macht in Bagdad ausübten, während der Kalif nur noch geistliches Oberhaupt war. 929 hatte sich in Spanien Abd ar-Rahman III. zum Kalifen proklamiert; dies war der Beginn des bis 1031 bestehenden Kalifats von Córdoba. Im 10. und 11. Jahrhundert bedrohten zudem die Fatimiden in Ägypten die Herrschaft der Abbasiden. Die Macht der Kalifen in Bagdad war bereits zu diesem Zeitpunkt gebrochen und nur noch eine Scheinherrschaft. Herrschaftsordnung und Herrschaftsausübung Herrschaftsform Die „staatliche Entwicklung“ verlief in den verschiedenen frühmittelalterlichen Reichen unterschiedlich. Zentrale Verwaltungsstrukturen aus spätrömischer Zeit hatten in den Königreichen der Völkerwanderungszeit zunächst fortbestanden (so vor allem in den Gotenreichen, aber auch im Vandalen- und im Frankenreich). Bestimmte Elemente (Finanzen, Münz- und Urkundenwesen) blieben im Westen in der Folgezeit noch weitgehend erhalten; allerdings waren die staatlichen Strukturen verglichen mit der römischen Zeit nur rudimentär ausgebaut bzw. brachen schließlich zusammen. Am problematischsten war, dass das römische Steuerwesen im Westen (das etwa im Merowingerreich im 6. Jahrhundert noch zumindest teilweise funktionierte, wenngleich Ausnahmeregelungen und Steuerflucht zunehmend ein Problem waren) schließlich aufhörte zu existieren und nun vor allem Landbesitz entscheidend war, hinzu kam Beute aus Kriegszügen. Die Einkommen der post-römischen Reiche waren daher weitaus geringer als zur Zeit des Imperiums. In diesem Zusammenhang zerfiel auch das an spätrömischen Strukturen orientierte Verwaltungswesen, das über fließende Steuern finanziert werden musste. Die Folge war ein im Vergleich zum spätrömischen Staat wesentlich schwächeres Herrschaftswesen. Eine erfolgreiche Herrschaftsausübung hing nun eng mit der Fähigkeit des jeweiligen Herrschers zusammen, durch Kämpfe Prestige und Reichtum zu erlangen sowie seine Anhänger daran teilhaben zu lassen, diese aber gleichzeitig nicht zu mächtig werden zu lassen. Im frühmittelalterlichen lateinischen Europa leitete sich die „staatliche Gewalt“ nicht von einer zentralen Autorität ab (wie dem König), sondern von jedem in welcher Form auch immer Herrschenden. Herrschaft war im Frühmittelalter daher ganz wesentlich an einzelne Personen gebunden, es existierten faktisch keine „staatlichen Institutionen“ (und damit kein abstrakter Begriff wie Staatlichkeit) losgelöst von diesen Herrschaftsstrukturen eines Personenverbands. In mehreren der Nachfolgereiche im Westen existierten aber Reste der spätrömischen Verwaltungsordnung. So fungierten etwa im Merowinger-, Vandalen- und im Ostgotenreich referendarii als Leiter der königlichen Kanzleien. In der Völkerwanderungszeit gewannen vor allem die militärischen Fähigkeiten von Anführern an Bedeutung (Heerkönig), die darauf aufbauend eigene Herrschaften errichteten. Der Trend hin zur Formierung einer Militäraristokratie hatte sich bereits in der spätrömischen Elite abgezeichnet. Allerdings kam es im Laufe der Zeit zu einer „Verdichtung“ der Herrschaft, indem nicht mehr nur das Königtum als zentraler Bezugspunkt existierte, sondern auch das Reich an sich als Idee an Kraft gewann und somit erst eine Stabilisierung der Herrschaftsgebilde, wie das Frankenreich, ermöglichte. Dieses Strukturdefizit betraf fast alle frühmittelalterlichen Herrschaftsgebilde in Europa – in Skandinavien sowie bei den Slawen hatte sich die Königsherrschaft im Vergleich zu den germanisch-romanischen Reichen und dem angelsächsischen England ohnehin relativ spät entwickelt. Nur in Byzanz und im Kalifat waren die staatlichen Strukturen straffer organisiert, so existierte dort unter anderem weiterhin ein effektives Besteuerungssystem und eine lokale, aber der Hauptstadt untergeordnete Verwaltung. Wenngleich in der neueren Forschung viele Aspekte der mittelalterlichen Herrschaft umstritten sind (zu unterscheiden ist etwa Königsherrschaft, Kirchenherrschaft, Dorf- und Stadtherrschaft usw.), kann generell als wichtiges Merkmal gelten, dass Herrschaft ganz wesentlich auf Gegenseitigkeit beruhte und es sich um einen Herrschaftsverband handelte. Der Herrscher und der Beherrschte waren durch Eide aneinander gebunden: Im Austausch für Schutz und bestimmte Leistungen wurde Unterstützung versprochen. Dies galt vor allem im militärischen Bereich, da die frühmittelalterlichen Reiche (außer Byzanz und Kalifat) keine stehenden Heere wie in römischer Zeit unterhielten, sondern für militärische Aktionen auf Gefolgschaften angewiesen waren. Untertanenloyalitäten galten im Grunde nur dem jeweiligen Herrscher und mussten daher bei einem neuen Herrschaftsantritt erneut gesichert werden. Es handelte sich nicht um ein reines Herrscher-Untertanen-Verhältnis, denn der Adel hatte Anspruch auf Teilhabe an der Herrschaft, was es zu achten galt. Dazu dienten unter anderem Freundschaftsbindungen, weshalb in den Quellen oft von amicitia die Rede ist. Die Bedeutung des römischen Rechts war im Frühmittelalter zwar vergleichsweise gering, die Beschäftigung damit brach aber vor allem in Italien nie völlig ab, zumal auch in den germanisch-romanischen Reichen Rechtssammlungen erstellt wurden. Eine wichtige Rolle spielten die germanischen Volksrechte (Leges), die vom 5. bis ins 8. Jahrhundert bezeugt sind, so bei Goten, Franken, Burgunden, Alamannen, Bajuwaren und Langobarden. Hinzu kam das später verstärkt rezipierte Kirchenrecht. Die Frage des Lehnswesens In den germanisch-romanischen Nachfolgereichen Westroms entwickelte sich das germanische Gefolgschaftswesen der Völkerwanderungszeit, in dem der Heerkönig eine wichtige Rolle spielte, weiter und wurde durch den Kontakt mit der römischen Staatlichkeit beeinflusst. Die Herrschaft über ein freies Gefolge weitete sich schließlich zur Herrschaft über Land und Leute aus (Grundherrschaft, siehe unten). Nach traditioneller Ansicht der Forschung entwickelte sich daraus im frühmittelalterlichen lateinischen Europa das Lehnswesen als politische Organisationsform. Beide Seiten konnten vom Lehnsverhältnis profitieren, denn während der Lehnsherr zusätzliche Macht gewann, erhöhte sich auch das Prestige des Lehnsträgers, wenn er einem sozial Höhergestellten den Lehnseid leistete. Solche Eide konnten auch als Belohnung für geleistete Dienste abgelegt werden. In der modernen Forschung ist die traditionelle Vorstellung vom Lehnssystem, die unter anderem François Louis Ganshof maßgeblich geprägt hat, aber stark in Frage gestellt worden. Lange Zeit wurde angenommen, dass die später verbreitete Praxis von Vasallität und Lehensvergabe bereits in karolingischer Zeit üblich war. Die Wurzeln der Vasallität sind wohl gallorömisch/fränkisch, doch ist die Deutung der einschlägigen Quellen problematisch. So wurde z. B. der dort auftauchende Begriff vassus oft als Vasall gedeutet, ebenso fidelis, während beneficium oft als Lehen interpretiert wurde. Die Begriffe sind aber mehrdeutig, so bedeutet vassus nicht zwangsläufig „Vasall“. Fidelis bedeutet zunächst nur „Getreuer“, beneficium als „Wohltat“ konnte eine Schenkung bezeichnen, die nicht an eine Gegenleistung geknüpft war. In den Quellen des 9. Jahrhunderts wird zudem bislang kein hoher fränkischer Amtsträger auch als vassus bezeichnet, was aber im Rahmen eines voll entwickelten Lehnssystems eigentlich der Fall sein müsste. In der Vergangenheit wurden, so lautet ein zentraler Kritikpunkt der neueren Forschung, oft Termini in den Quellen als Hinweise auf Vasallität gedeutet, deren Zuordnung nicht gesichert ist. Persönliche Bindungen waren demnach im Karolingerreich, das von der älteren Forschung in Bezug auf die Ausbildung des Lehnssystems oft untersucht worden ist, sehr vielfältig und folgten keinem starren Muster. Ein Treueid eines Getreuen war demnach nicht zwangsläufig ein Lehenseid. Aus diesem Grund wird in der neueren Forschung betont, wie unsicher viele ältere Interpretationen sind und sich das System, in dem Lehen und Vasallität eng verbunden waren und aufgrund erblicher Lehen das Treueverhältnis oft weniger respektiert wurde, erst später entwickelte und im Frühmittelalter in dieser Form nicht gängig war. Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen. Königs- und Adelsmacht Ideelle Grundlagen des frühmittelalterlichen Königtums im Westen des alten Imperium Romanum waren das Heerkönigtum der Völkerwanderungszeit, antike römische Herrschaftsvorstellungen und das Christentum. Die Bedeutung eines germanischen Sakralkönigtums in diesem Zusammenhang wird in der neueren Forschung hingegen sehr skeptisch gesehen bzw. abgelehnt. Das Heerkönigtum hingegen spielte offenbar eine entscheidende Rolle, ebenso wie römische Herrschaftsideologie. Denn die politischen Kontakte zwischen den germanisch-romanischen Königen des Frühmittelalters mit dem römischen Kaiser bildeten die Grundlage für die Etablierung zwischenstaatlicher Kontakte im Rahmen römischer Herrschaftsrepräsentation und Inszenierung; dieser Weg führte „vom Heerkönigtum zum vizekaiserlichen königlichen Monarchen“. Hinzu kamen schließlich die Einflüsse aus dem Christentum, das bereits das spätantike römische Kaisertum beeinflusst hatte. Demnach war jede weltliche Herrschaft vom göttlichen Willen abhängig, denn Gott stünde über den Königen dieser Welt. Gleichzeitig repräsentierten die Könige aber auch Gottes Herrschaft auf Erden (Gottesgnadentum); das Königtum wurde somit in den christlichen frühmittelalterlichen Reichen „verchristlicht“. Eine möglichst große Nähe des Königs zu seinen Untertanen war ein wichtiger Faktor hinsichtlich der Intensivierung der Königsherrschaft. Die frühmittelalterlichen Könige, speziell im Karolingerreich und seinen Nachfolgereichen, waren oft Reisekönige, die von Pfalz zu Pfalz reisten und unterwegs die notwendigen Regierungsgeschäfte regelten. Dies war in einer zunehmend oralen, „archaischen“ Gesellschaft essentiell, in der die Schriftlichkeit im Verwaltungsbereich nach der frühen Karolingerzeit regional unterschiedlich zurückging (speziell im 10. Jahrhundert); es war allerdings nicht sehr effektiv. Zentrum der Königsherrschaft war der königliche Hof mit der angeschlossenen Kanzlei; allerdings sind mehrere im Frühmittelalter ausgestellte Urkunden heute nicht erhalten und können nur teils indirekt erschlossen werden (Deperdita). Die zentrale Problematik in den post-römischen Reichen des Westens bestand darin, dass sie über keine mit dem römischen Staat vergleichbare administrativen Strukturen und über kein diese finanzierende effektives Steuerwesen verfügten. Stattdessen mussten sich die Könige auf Gefolgsleute verlassen, die aber oft auch große Landbesitzer mit eigenem Gefolge waren und somit zumindest potentielle Konkurrenten sein konnten. Problematisch war die Lage im Ostfrankenreich insofern, als sich dort keine spezifische Residenzstadt entwickelte, anders als etwa zuvor im West- und im Ostgotenreich oder später in England und Frankreich. Die Karolinger stützten sich auf ausgedehnte und wirtschaftlich leistungsfähige Besitzungen, während in der Ottonenzeit das Reisekönigtum bereits stärker ausgeprägt war, wobei die Herrscher aber königsnahe Gebiete in Sachsen und Franken bevorzugten. Es existierten im Karolingerreich und seinen Nachfolgereichen immer königsnahe und königsferne Räume, wo also eine effektive Herrschaftsausübung mal mehr, mal weniger gut gelang. Ebenso standen Adel und hoher Klerus in den jeweiligen Reichen in einer unterschiedlich starken Beziehung zum Königtum. Das Zusammenspiel zwischen König und Kirche war im Frühmittelalter von besonderer Bedeutung. Bereits die Merowinger und später noch stärker die Karolinger hatten die Kirche in ihre Herrschaftskonzeption eingebunden. Eine wichtige Rolle spielte dabei unter den Karolingern die Hofkapelle. Im Frankenreich waren Ämter bis in die späte Karolingerzeit in der Regel nicht vererbbar, sondern wurden vom König verliehen; dies änderte sich im ausgehenden 9. Jahrhundert, so dass verliehene Ämter zu Erbtiteln wurden (wie bei den Grafen und Herzögen), worunter die Autorität des Königtums litt. Im Inneren stützten sich auch die Ottonen aufgrund der wenig ausgebildeten Strukturen für Verwaltungsaufgaben auf die Reichskirche. Nur die Kirche verfügte über genügend ausgebildetes Personal, das lesen und schreiben konnte; die Bischofskirchen stellten außerdem Truppenkontingente. Im Gegenzug für die Übernahme dieser weltlichen Aufgaben wurden der Kirche zunehmend Herrschaftsrechte übertragen und sie erhielt umfangreiche Schenkungen. In der älteren Forschung wurde dieses Zusammenspiel als Ottonisch-salisches Reichskirchensystem bezeichnet. Die Praxis der Herrschaftsausübung stellt aber im Vergleich zu anderen christlich-lateinischen Herrschern keine Besonderheit dar und erfolgte auch kaum planmäßig. In der neueren Forschung wird darauf hingewiesen, dass es den ottonischen und frühsalischen Königen aufgrund ihrer Machtstellung nur effektiver gelang als anderen Herrschern, die Kirche in die weltliche Herrschaft einzubinden. Durchsetzungsfähigkeit und Akzeptanz der Königsherrschaft variierten. Im Westgotenreich z. B. kam es immer wieder zu Konflikten zwischen König und dem einflussreichen Adel, doch war das Königtum im Westgotenreich bereits stark sakral legitimiert. Der Aspekt der Sakralität von Herrschaft war auch später noch in den anderen frühmittelalterlichen Reichen bedeutend. Zur Stützung der Königsherrschaft wurde unter anderem die sakrale Salbung genutzt, das „Königtum von Gottes Gnaden“ gewann an Bedeutung. Das Königsideal ist immer wieder in den Quellen greifbar, wo der ideale König gerecht, tugendhaft und religiös ist und das Reich verteidigt. Während die späten Merowinger durch die starke Stellung der vom hohen Adel dominierten Hausmeierposten weniger oder gar nicht frei agieren konnten, konnten die frühen Karolinger ihre Herrschaft besser zur Geltung bringen, wobei sie bezeichnenderweise das Amt des Hausmeiers abschafften. Allerdings erschwerten die verschiedenen Herrschaftsteilungen eine konsolidierte Herrschaft. Der dynastische Bezug war oft durchaus vorhanden, allerdings war etwa im Ostfrankenreich der Wahlcharakter des Königtums stark ausgeprägt. Die Königswahl bzw. Königserhebung war dementsprechend in den jeweiligen Reichen unterschiedlich. In Westfranken verfiel die Königsmacht allerdings schließlich im Kampf mit den einflussreichen Großen, in Ostfranken gelang den Ottonen die Stabilisierung der Königsherrschaft, wenngleich die in spätkarolingischer Zeit (wieder) entstandenen Stammesherzogtümer ihre eigenen Interessen vertraten. Neben der effektiven personalen Bindung sowie dem Zusammenspiel mit der Kirche war auch die Verfügbarkeit über das Krongut von Bedeutung. Im angelsächsischen England hingegen gelang es nach der Zeit Alfreds des Großen nur zeitweise, das gesamte Land unter einem König zu vereinen. In Frankreich konnten die Kapetinger im 11. Jahrhundert nur in engen Grenzen die Königsherrschaft ausüben; sie waren im Wesentlichen auf die eigene Krondomäne beschränkt, die Beziehung zum hohen Adel basierte auf weitgehender Gleichheit. Zentrum des herrschaftlichen Handelns war der königliche Hof. Gelang es dem Adel bzw. unterschiedlichen Gruppen innerhalb des Adels, die eigene Herrschaftsausübung in den Territorien zu forcieren oder am Hof den König politisch weitgehend auszuschalten, so sank gleichzeitig die Königsmacht. Aber auch der Adel war ausdifferenziert; so existierten lokale Adelsgruppen und, wie in der Karolingerzeit, reichsweit agierender Adel (wie etwa die Robertiner und die Welfen); dementsprechend variierten die verschiedenen Adelsinteressen. Im Fall einer relativ stark ausgeprägten Königsmacht war es für die Großen wiederum von zentraler Bedeutung, einen möglichst guten Zugang zum Hof und damit zum König zu haben. Nur dies garantierte, dass die eigenen Bedürfnisse und Wünsche gezielt artikuliert und somit möglichst durchgesetzt werden konnten. Es war daher wichtig, wer das „Ohr des Königs“ besaß und damit die Möglichkeit hatte, Bitten, Wünsche und Forderungen vorzutragen oder auch als Fürsprecher aufzutreten. Die Bedeutung des Kräftedreiecks (König, Adel und Kirche) wird in der Forschung für das Frankenreich sowie das Ostfrankenreich betont. Auf den Hoftagen kam es immer wieder zu wichtigen Beratungen, in denen es vor allem um Rat und Unterstützung ging. Der Konsens zwischen König und dem hohen Adel spielte bei der effektiven Herrschaftsausübung eine wichtige Rolle („konsensuale Herrschaft“): Der König und die Großen des Reiches, die in einer wechselseitigen Beziehung zueinander standen, achteten den gegenseitigen Rang und versuchten, möglichst nicht konfrontativ zu agieren. In der modernen Mediävistik wird des Weiteren der Ritualforschung bzw. Herrschaftsrepräsentation ein großer Stellenwert eingeräumt. Es geht um die Beschreibung und Deutung von ritualisierten Abläufen in der mittelalterlichen Politik, die unter dem Begriff „symbolische Kommunikation“ zusammengefasst werden. Dies betrifft unter anderem den zeremoniellen Empfang oder das Konfliktverhalten, wie die Inszenierung der deditio (Unterwerfung) aufständischer Fürsten. Rituale waren in diesem Zusammenhang auch deshalb von Bedeutung, weil sie zumindest teilweise als Ausdruck der jeweiligen Rangordnung zwischen den Großen zu verstehen sind. Folgt man diesem Ansatz, so erforderten z. B. herrschaftliche Ehrverletzungen Genugtuung (satisfactio), etwa in Form der deditio. Konflikte an unterschiedlichen Höfen im Frühmittelalter sind mehrmals belegt. Der gütliche Ausgleich (compositio) gestaltete sich allerdings umso schwerer, je mehr der Konflikt zuvor eskaliert war. In jüngster Zeit ist die Ritualforschung teilweise in die Kritik geraten. Herrschaftsansprüche und Realität Eine Sonderrolle fiel dem von Karolingern und Ottonen erneuerten westlichen („römischen“) Kaisertum zu, das in spätantiker Tradition stand und eine neue universale Komponente einbrachte (Reichsidee). Das Zweikaiserproblem mit Byzanz hatte nur bis 812 realpolitische Folgen, als im Frieden von Aachen Venedig als Teil des Byzantinischen Reiches anerkannt wurde. Die karolingischen und ottonischen Kaiser übten eine hegemoniale Stellung im lateinischen Europa aus. Allerdings wirkte sich dies sehr selten in einer tatsächlichen politischen Einflussnahme in anderen Reichen aus, denn begründete Eingriffsrechte existierten für das Kaisertum nicht. Es handelte sich letztendlich in erster Linie um einen formalen Vorranganspruch. Das Verhältnis der Kaiser gegenüber dem Papsttum änderte sich jedoch: Während die frühen Karolinger noch eine „Schwurfreundschaft“ geleistet hatten, leisteten die Kaiser später nur noch Schutzversprechen sowie seit der Ottonenzeit Sicherheitseide. Im Zusammenhang mit neueren Untersuchungen ist zudem erkennbar, wie verhältnismäßig eingeschränkt die Gestaltungskraft des Kaisertums selbst im Karolingerreich (immerhin das mächtigste Herrschaftsgebilde im lateinischen Europa seit dem Fall Westroms) verglichen mit anderen Großreichen dieser Zeit war. Das wird an einem einfachen Beispiel deutlich: 792 ordnete Karl der Große den Bau eines 3 km langen Kanals in Mittelfranken an, der die Flusssysteme Rhein und Donau verbunden hätte. Die Bauarbeiten blieben jedoch bald stecken, so dass 793 der Bau abgebrochen wurde. 767 waren demgegenüber weitaus umfangreichere Bauvorhaben in Byzanz (wo Wasserleitungen über eine Distanz von mehr als 300 km instand gesetzt wurden) und im Kalifat (Runde Stadt Bagdad, an deren Bau über 100.000 Arbeiter beteiligt waren) ohne größere Probleme gelungen. Im China der Tang-Dynastie wiederum war 742/43 ein Kanal von rund 150 km Länge planmäßig gebaut worden. All diese Reiche hatten universale Herrschaftsansprüche, ähnlich wie das Karolingerreich; die Ressourcen und die darauf basierenden Gestaltungsspielräume waren jedoch im Fall des westlichen Kaisertums wesentlich eingeschränkter. Das änderte sich auch während der Ottonenzeit nicht maßgeblich. In Byzanz hatte hingegen in stärkerem Maße die spätantike Staatlichkeit überlebt. Der byzantinische Kaiser herrschte weitgehend absolut und konnte sich weiterhin auf einen Beamtenapparat stützen (siehe Ämter und Titel im Byzantinischen Reich), wenngleich sich der byzantinische Staat im 7. und 8. Jahrhundert, verglichen mit dem spätrömischen Reich des 6. Jahrhunderts, auch stark gewandelt hatte. Die Einflussmöglichkeiten des Kaisers waren in Byzanz aufgrund der differenzierteren und eindeutiger in ihren Abläufen geregelten und auf den Kaiser ausgerichteten politischen Infrastruktur höher; er unterlag auch, anders als im Westen (so während des Investiturstreits), nicht so sehr der Gefahr einer kirchlichen Maßregelung. Im Kalifenreich hatte man die funktionierende byzantinische bzw. persische Bürokratie zunächst weitgehend übernommen, Griechisch und Mittelpersisch blieben bis Ende des 7. Jahrhunderts auch die Verwaltungssprachen. Der Dīwān fungierte als eine zentrale Verwaltungsinstitution, in der Abbasidenzeit mit dem Wesir an der Spitze. Der Kalif selbst wurde nach der Zeit der „rechtgeleiteten Kalifen“ als politischer Führer betrachtet, unterstand aber dem religiösen Recht. Sein weltlicher Herrschaftsanspruch war ebenfalls nicht allumfassend. Nachdem sich im 8./9. Jahrhundert zunehmend lokale Herrschaften gebildet hatten, wurde die politische Theorie vertreten, der Kalif könne seine Macht delegieren, was die Aufgabe eines absoluten Herrschaftsanspruchs bedeutete. Die faktische Macht am Hof ging in der Abbasidenzeit ebenfalls zunehmend auf die hohen Beamten über. Gesellschaft und Wirtschaft Menschen und Umwelt Die modernen Kenntnisse über die frühmittelalterliche Gesellschaft im lateinischen Europa sind recht lückenhaft. Über das Leben der „einfachen Leute“ berichten die erzählenden Quellen nur sehr selten, während die archäologische Forschung bisweilen genauere Einblicke erlaubt. Im Frühmittelalter lebten nach modernen Schätzungen über 90 % der Menschen auf dem Lande und von der Landwirtschaft. Demographische Angaben sind recht spekulativ, für die Zeit um 1000 wird von einer Gesamtbevölkerung in Europa von etwa 40 Millionen ausgegangen, die in der Folgezeit zunahm. Die allgemeine Lebenserwartung war vor allem in der ärmeren Bevölkerung sehr viel geringer als in moderner Zeit. Manche Gebiete mussten im Laufe der Zeit erst urbar gemacht und kultiviert werden; sogar Gebiete, die in römischer Zeit genutzt wurden, mussten teils erneut gerodet und nutzbar gemacht werden. Die Schwierigkeiten der Lebensbedingungen, die sich aus dem natürlichen Umfeld ergaben, dürfen daher nicht unterschätzt werden. Zudem unterschieden sich die verschiedenen geographischen Räume kulturell und wirtschaftlich voneinander, wie die in spätrömischer Zeit stark urbanisierten und auf das Mittelmeer ausgerichteten Regionen und die weiter nördlichen Regionen. Es gab aber auch weiterhin zusammenhängende urbane Gebiete, so vor allem in Italien und im südlichen Gallien. Diese hatten aufgrund von Kriegen, Seuchen und aus anderen Gründen ebenfalls einen Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen, waren aber immer noch relativ dicht besiedelt. Hier sind auch stärkere Kontinuitätslinien von der Spätantike ins Mittelalter zu erkennen. Der östliche Mittelmeerraum ist aufgrund der andersartigen Entwicklung noch einmal ein Sonderfall. Je weiter man sich jedoch von den alten römischen Zentren entfernte, vor allem östlich des Rheins, desto geringer wurde die Bevölkerungsdichte. In der Folgezeit entstanden aber auch neue Siedlungszentren bzw. wurden auf Grundlage älterer Vorläufer Siedlungen und Städte wieder errichtet. Interkulturelle Kontakte zwischen dem lateinischen sowie dem byzantinischen und arabischen Raum waren zwar teils vorhanden, wurden aber nicht selten durch zahlreiche Faktoren (wie geringe Fremdsprachenkenntnisse und eher mangelhafte Raumvorstellungen) erschwert. Von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung war die Kirche, die in den Gemeinden sichtbar vertreten war. Die jeweiligen Lebensgemeinschaften waren zumeist überschaubar. Übergreifendes Gemeinschaftsgefühl ist kaum feststellbar und manifestierte sich über spezielle „Trägerschaften“ (Adel und Klerus). Ethnische Identifikationen, also ein übergreifendes „Wir-Bewusstsein“, fehlten weitgehend und bildeten sich erst im Laufe der Zeit aus. Die Entwicklung in den einzelnen Regionen verlief eher heterogen. Vergleichbare Lebensbedingungen, technische Kenntnisse sowie geistige und religiöse Entwicklungen sorgten jedoch für eine gewisse Einheitlichkeit des nach-römischen Europas. Gesellschaftsordnung Die Auflösung der römischen Ordnung im Westen setzte eine Entwicklung in Gang, die zu neuen gesellschaftlichen Verhältnissen führte. Die frühmittelalterliche Gesellschaft im lateinischen Europa war keine religiöse Kasten- oder ökonomische Klassengesellschaft, sondern eine Ständegesellschaft. Sie war hierarchisch geordnet und sozialer Aufstieg war nur relativ selten möglich. Durch Geburt begründete soziale und rechtliche Ungleichheit war nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Die an der Spitze stehende adlige Führungsschicht war sehr klein. Königsnähe und Besitzumfang spielten für das adelige Standesbewusstsein eine wichtige Rolle, wenngleich sich gerade der jeweilige Territorialbesitz oft in die eine oder andere Richtung verschob und auch geographisch nicht immer konstant war. Adelige memoria, zielgerichtete Erinnerungspflege, und herrschaftliche Schwerpunktbildung hatten daher eine wichtige Funktion. Bereits das römische Recht unterschied grundsätzlich zwei Personengruppen: Freie (liberi) und Unfreie (servi), dies wurde auch im Frühmittelalter getan. Eine Art mittlere Stellung zwischen Adel und Unfreien nahmen dabei die Freien mit Besitz ein, die nicht in der Grundherrschaft eingebunden waren. Eine Schicht darunter waren kleine, zu Abgaben pflichtige selbstständige Bauern oder Landarbeiter und Handwerker am Hofe eines Herren. Allgemein ist es nach Ansicht der neueren Forschung falsch, eine Tendenz zur Verelendung im Frühmittelalter zu betonen. Es gab durchaus eine Entwicklung hin zu größeren Freiheiten. Sozial niedrig gestellte Personen entzogen sich teils dem Zugriff ihres Herren und wanderten beispielsweise ab. Seit dem 9. Jahrhundert sind im Frankenreich rechtliche Besserstellungen und Abgabemilderungen feststellbar. Der Adel war allerdings oft bestrebt, Abhängigkeitsverhältnisse zu bewahren und zu verstärken. Selbst in der „niedrigen“ Gesellschaftsschicht finden sich aber Parallelen zur adligen Grundherrschaft, wie z. B. der Bauer, der über sein Haus und seine Familie das Verfügungsrecht hat. In der sozialen Hierarchie folgten die besitzlosen Armen (pauperes), die oft auf das Betteln angewiesen waren. Die Kirche griff hierbei oft ein, doch gelang es (auch in der Frühen Neuzeit) nie, dieses soziale Problem befriedigend zu lösen. Ganz unten befanden sich die Sklaven, doch stellt die Frage der frühmittelalterlichen Sklaverei ein Forschungsproblem dar. Dies liegt unter anderem an den unklaren Quellenaussagen zu den Sklaven, so dass man bisweilen versucht, dies mit „Unfreie“ oder „Abhängige“ zu umschreiben. Ebenso existierten zunächst noch im eigentlichen Sinn Sklaven, wobei es sich in der Regel um „Kriegsbeute“ handelte. Besonders Skandinavier (Wikinger) trieben regen Handel mit Sklaven, die vor allem in den arabischen Raum verschifft wurden. Unter christlichem Einfluss wurde das einfache Tötungsrecht des Hausherrn später aufgehoben, der aber über das „Hausgesinde“ weiter frei verfügen konnte. Unfreie servi konnten aber auch aufsteigen und befreit werden. Es gab jedenfalls unterschiedliche Abstufungen des Abhängigkeitsverhältnisses (siehe auch Leibeigenschaft). In jüngerer Zeit wurde auch die These vertreten, dass in der Forschung die Abhängigkeit der Bauern vom Grundherren im beginnenden Frühmittelalter zu stark betont worden sei und man das regionale Quellenmaterial jeweils genauer prüfen müsse. Frauen, Kinder und Juden Im Rahmen der patriarchalischen Gesellschaft des Mittelalters wurde von einer untergeordneten Rolle der Frau ausgegangen. Aus den Quellen, in denen Frauen immer wieder hochachtungsvoll erwähnt werden, ist aber keine regelrechte Frauenfeindlichkeit abzuleiten. Die Rolle der Frauen im Frühmittelalter ist nicht ganz eindeutig. Rechtlich waren sie formal unmündig; Vater, Ehemann oder Vormund waren ihnen übergeordnet, auch die Verfügungsgewalt über den Besitz wird Frauen in mehreren Gesetzen abgesprochen. Es hat in der Praxis aber durchaus Möglichkeiten der Selbstentfaltung gegeben, dies hing allerdings entscheidend von ihrem jeweiligen Stand ab. Vor allem im adeligen Milieu finden sich Beispiele für Frauen, die über nicht geringen Einfluss verfügten und sich teils sogar politisch durchsetzen konnten. Dieser potentielle Einfluss von adeligen Frauen, speziell aber von einigen Königinnen, der in mehreren Quellen greifbar ist, konnte am Hof aber durchaus auf Widerstand stoßen. Dies musste nicht zwingend mit der weiblichen Person zusammenhängen, sondern konnte auch politisch begründet sein, wie das politische Wirken Brunichilds zeigt, während die Regentschaft Theophanus akzeptiert wurde. Denn auch als Frau war ein männliches Verhalten (viriliter) vorbildlich, um Anerkennung in einer herrschenden Position zu erhalten. Eine Frau hatte dann politischen Einfluss, indem sie entsprechend heiratete oder in eine hochrangige Adelsfamilie hineingeboren wurde. Im Gegensatz dazu wurden männliche Bewerber um das Amt des Königs oftmals gewählt oder kamen infolge von Erbschaften an die Macht. Sowohl für Frauen als auch für Männer der oberen Schichten galt, die Herrschaft zu sichern und dadurch die Familie bzw. die Dynastie zu stärken. Daher war es nicht unüblich, dass sich die Rolle der Frau und des Mannes ergänzten. Die Frauen der gesalbten Könige standen in der Pflicht, im Zeichen der Fruchtbarkeit einen geeigneten Nachfolger zu gebären. Sie hatten demnach eine ähnlich entscheidende Aufgabe als Ehegattin des Königs. Königspaare waren zum Erhalt der Macht in ihrem Herrschaftsraum unterwegs. Bei Anwesenheit von König und Königin am selben Ort wurde erwartet, dass sich die Gattin ihrem Mann ergeben zeigte, wobei die Königin unter Umständen ebenfalls politisch tätig war. Innerhalb der Familie kam es oftmals zu Streitigkeiten, sodass sowohl Frauen als auch Männer in den Machtpositionen vermitteln mussten. Dies taten sie dann gemeinsam am gleichen Ort oder wählten unterschiedliche Präsenzstätten, um zu vermitteln und zu schlichten. Auf Pfalzen oder Burgen hielten der König und die Königin Gericht auf ihren Reisen ab. Diese Auseinandersetzungen, beispielsweise zwischen Vätern und Söhnen, aber auch andere Streitigkeiten, wurden oftmals gewaltsam ausgetragen. Königliche Frauen wurden genauso in Urkunden erwähnt, wie ihre männlichen Gegenspieler. Theophanu wurde durch die Heiratsurkunde in das königliche Machtverhältnis durch die Bezeichnung consortium imperii (Teilhabe an der Herrschaft) aufgenommen. Um 989 führte Theophanu neben weiblichen Titeln die männlichen Beinamen Kaiser und Augustus. Ebenso ist es falsch, wie bisweilen geschehen, von Kinderfeindlichkeit im Frühmittelalter zu sprechen. Sorge und Liebe um das Wohlergehen der Kinder kommt in verschiedenen Quellen wiederholt zum Ausdruck; dazu wurde im zeitgenössischen Denken körperliche Bestrafung nicht als Gegensatz empfunden. Allerdings endete die Kindheit aufgrund der niedrigeren Lebenserwartung sehr früh. Eine spezielle Position nahmen die Juden als religiöse Randgruppe in den christlichen Reichen ein. Relativ starke jüdische Minderheiten existierten im Frühmittelalter in Byzanz, Italien, im südlichen Gallien und in Spanien. Im späteren Deutschland gab es in einigen Bischofsstädten jüdische Gemeinden, so unter anderem in Mainz. Bereits im Frankenreich nahmen sie eine durch Privilegien gesicherte Sonderstellung ein. Wirtschaftlich bedeutend war ihre Rolle als Fernhändler, aber auch jüdische Handwerker und Ärzte sind belegt. Rechtlich waren die Juden eingeschränkt und es gab bisweilen judenfeindliche Äußerungen, (im Frühmittelalter relativ seltene) gewaltsame Übergriffe und Versuche von (kirchlich abgelehnten) Zwangstaufen. Auf der Synode von Elvira war es schon um 300 zu einem ersten Eheverbot zwischen Juden und Christen gekommen (canones 16/78), mit dem Codex Theodosianus (III, 7,2; IX, 7,5) galt dieses Verbot im gesamten Reich bei Androhung der Todesstrafe. Außerdem wurden den Juden Kleidungsverbote auferlegt, die Sklavenhaltung (damit der Zugang zum Latifundienbesitz und zur Gutsherrschaft) verwehrt und die Übernahme öffentlicher Ämter verboten. Allerdings wurde ihre Religionsausübung auch nicht permanent und systematisch verhindert, oftmals wurden sie weitgehend toleriert. Über die kulturelle Entwicklung der Juden in der Diaspora im Frühmittelalter ist so gut wie nichts bekannt; anhand der späteren Ausformung lassen sich nur einige Schlussfolgerungen ziehen. Eine größere Rolle im religiösen Leben spielte die Midraschliteratur und der babylonische Talmud. Wirtschaftsordnung Die frühmittelalterliche Gesellschaft war vorwiegend agrarisch geprägt. Grundlage der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung im Westen war die Grundherrschaft, in der die meisten Menschen auf dem Land eingebunden waren (Hörigkeit). Ob die adelige und kirchliche Grundherrschaft auf germanische oder spätrömische Wurzeln zurückging oder auf beide, oder ob sie vielmehr eine originäre frühmittelalterliche Entwicklung darstellt, ist in der Forschung umstritten. In spätrömischer Zeit dominierten die ausgedehnten kaiserlichen und senatorischen Landgüter (Latifundien) mit den entsprechenden villae rusticae. Große Villengüter sind noch bis ins 6. Jahrhundert belegt, bevor das System kollabierte. Der Zusammenbruch der römischen Strukturen hatte somit weitreichende Folgen für die großen senatorischen Landbesitzer, die mit dem römischen Staatswesen eng verbunden waren. Auf die Ressourcen des spätrömischen Staates mit seinem relativ leistungsfähigen Steuersystem, das vor allem die Armee finanzierte, konnten die frühmittelalterlichen Herrscher spätestens im 7. Jahrhundert nicht mehr zurückgreifen. Größte Landbesitzer waren der König, der Adel und die Kirche. Typisch für das Frühmittelalter wurde die Villikation, die zweigeteilte Grundherrschaft: einerseits der Fronhof des Grundherrn, andererseits die vom Grundherrn abhängigen Bauernhöfe. Dem Bauern wurde vom Grundherrn Boden zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt und er wurde unter dessen Schutz gestellt, der Bauer musste dafür unterschiedlich hohe Abgaben leisten. Es bestand folglich ein wechselseitiges Verhältnis, von dem freilich der Grundherr am meisten profitierte. Die Grundherrschaften waren aber keine geschlossenen Wirtschaftsräume, vielmehr wurde reger Handel getrieben. Die Landwirtschaft war der bedeutendste Wirtschaftszweig. Im Karolingerreich wurde versucht, das urbare Land genauer zu erfassen und es möglichst in Parzellen (Hufe) einzuteilen. Die im Frühmittelalter schließlich steigende Bevölkerungszahl war für das System der Grundherrschaft problematisch, zumal eine systematische schriftliche Erfassung nicht dauerhaft gelang. Es fand nun jedoch wirtschaftsbezogenes Rechnen statt. Dieser Prozess der wirtschaftlichen Erfassung ist nicht stringent, sondern mit zahlreichen Brüchen verbunden, vor allem seit dem Niedergang des Karolingerreichs, ist aber seit dieser Zeit sicher feststellbar. In der Landwirtschaft ist zwischen Acker- und Weideland zu trennen, wobei der Ackerbau wohl dominierte, auch der Weinanbau war von Bedeutung. Getreide stellte die wichtigste Nahrungsgrundlage für die breite Bevölkerung dar und wurde in vielfältiger Form genutzt. Fleisch und Fisch wurden regional unterschiedlich aber ebenso als Ergänzung verzehrt (zu Details siehe Esskultur im Mittelalter). Es kam allerdings wiederholt zu regionalen Hungersnöten, besonders bei zunehmender Bevölkerungszahl oder infolge militärischer Auseinandersetzungen. Tiere wurden nicht nur auf den Herrenhöfen, sondern auch auf den Bauernhöfen gehalten. Eine Vielzahl der Alltagsprodukte wurde zu Hause hergestellt. Die Erträge der Aussaat waren relativ gering, sie betrugen nach einer Quelle nur das 1,6 bis 1,8-fache; es ist allerdings fraglich, wie repräsentativ dies ist. Die Anfänge der Dreifelderwirtschaft scheinen auf das 8. Jahrhundert zurückzugehen, sie war im Frühmittelalter aber nicht flächendeckend verbreitet. Zwar begann bereits im Frühmittelalter auch ein Innovationsprozess, technisch wurden aber zunächst viele antike Vorläufer übernommen, so der bereits bekannte Pflug zur Bodenbearbeitung. Als Zugtiere dienten in der Regel vor allem Ochsen, da Pferde zu kostspielig dafür waren. Das Kummet kam erst im 11./12. Jahrhundert verstärkt zum Einsatz und auch nur in Regionen mit ausreichend vorhandenen Pferden; neueren Untersuchungen zufolge waren die antiken Anspannungssysteme dem Kummet auch nicht prinzipiell unterlegen, der erst im Zusammenspiel mit anderen Neuerungen eine wirkliche Effizienzsteigerung brachte. Bei der Getreideverarbeitung spielten Mühlen eine wichtige Rolle, wobei Wassermühlen bereits in der Spätantike weit verbreitet waren. Im Handwerk wurde an römische Traditionen angeschlossen, so in der Keramik-, Glas- und Metallverarbeitung. Spezialisierte Handwerker genossen zwar keine besonders hervorgehobene soziale Stellung, wurden aufgrund ihrer Fertigkeiten aber durchaus geachtet. Eine der wenigen diesbezüglichen Quellen, das karolingische Capitulare de villis, verzeichnet unter anderem die Handwerksspezialisten in den königlichen Domänen des Frankenreichs. Eine nicht unwichtige Rolle im Rahmen des Wirtschaftskreislaufs spielten die Klöster. Mehrere verfügten über eigenen, teils sehr erheblichen Besitz und nutzten ihn wirtschaftlich. Die größeren klösterlichen Grundherrschaften konnten über tausend Bauernstellen umfassen. Wichtigstes Transportmittel war das Schiff, gleich ob Binnen- oder Seeschifffahrt. Entgegen älteren Annahmen spielte im Frühmittelalter die Geldwirtschaft immer noch eine wichtige Rolle; die Bedeutung der naturalen Tauschwirtschaft darf daher nicht überschätzt werden. Münzprägungen wurden fast kontinuierlich von der Spätantike bis ins Mittelalter betrieben, doch ist ihre genaue Kaufkraft heute nur noch schwer einzuschätzen. Teilweise ist aber ein erheblicher Materialmangel feststellbar. Bereits seit spätmerowingischer Zeit ist im Frankenreich Bergbau nachweisbar, im 7. Jahrhundert ging man dort von Gold- zu Silbermünzen über. Handel Handel und Verkehr im Frühmittelalter stellen ein viel diskutiertes Forschungsproblem dar, zumal die relativ wenigen Quellen zur frühmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte recht verstreut sind. In der älteren Forschung wurde oft angenommen, dass der Fernhandel infolge der Umbrüche in der ausgehenden Spätantike zum Erliegen gekommen war (siehe Pirenne-These). Neuere Untersuchungen konnten jedoch belegen, dass es zwar zu einer Abnahme, nicht aber zu einem völligen Abreißen des Fernhandels gekommen war. Das spätantike Handelsnetzwerk hatte den gesamten Mittelmeerraum umfasst, wobei das weitere Handelsnetzwerk über Persien bis nach Zentralasien, China und Indien reichte (siehe die Ausführungen zu Zentralasien im Artikel Spätantike und Indienhandel). Nach dem Zusammenbruch der römischen Staatsordnung im Westen (die Handelskontakte des Ostreichs waren bis ins ausgehende 6. Jahrhundert davon nicht betroffen) kam es zu regionalen Ausgestaltungen; in diesem Zusammenhang war die lokale Aristokratie, außer in der Francia (dem fränkischen Herrschaftsgebiet) und in der Levante, sogar ärmer und politisch regional beschränkter als in römischer Zeit. Die staatliche Gewalt schrumpfte infolge der geringeren Finanzkraft. Die Fiskalstruktur war einfacher gestaltet als zu römischer Zeit und brach im Westen sogar völlig zusammen. In diesem Zusammenhang darf jedoch nichts verallgemeinert werden, sondern die Regionen müssen jeweils einzeln betrachtet werden. Das spätantike Wirtschaftssystem im Mittelmeerraum hatte im 6. Jahrhundert schwere Rückschläge erlitten, nicht zuletzt durch die sogenannte Justinianische Pest und die anschließenden Pestwellen. Die Folgen der Pest sind allerdings im Einzelnen nur schwer einzuschätzen. Der Bevölkerungsrückgang im beginnenden Frühmittelalter ist aufgrund der uneinheitlichen Quellenbefunde nicht zwingend auf die Pest zurückzuführen; es kann sich auch um Folgen politischer Krisen handeln. Um die Mitte des 7. Jahrhunderts ist wohl ein wirtschaftlicher Tiefpunkt im Mittelmeerhandel festzustellen. Um 700 bildeten sich aber neue Handelsrouten heraus. Die einzelnen Regionen (auch im Westen) waren nicht vollkommen isoliert, sondern standen weiterhin in Handelskontakt zueinander. Entgegen der älteren Lehrmeinung kam es bereits im späten 8. Jahrhundert zu einem nicht unerheblichen wirtschaftlichen Aufschwung. Auch im Mittelmeerraum ist in dieser Zeit ein reger Warenaustausch zwischen den lateinisch-christlichen Reichen, Byzanz und dem Kalifat nachweisbar, von Luxuswaren (wie Pelze und Seide) bis hin zu Salz, Honig und nicht zuletzt Sklaven. In diesem Sinne bildete sich ein neues vernetztes und weitgespanntes Handelssystem heraus. Im Westen kam es in der Merowingerzeit außerdem zu einer Handelsverschiebung in den Norden, wobei fränkische Händler schon im 7. Jahrhundert bis in das Slawenland im Osten vorstießen. Hinzu kamen später Handelsrouten nach Skandinavien. Der wichtigste fränkische Hafen für den Nordhandel war Quentovic. Die nördlichen Regionen waren nach der arabischen Expansion also keineswegs vom Kulturraum des Mittelmeers abgeschnitten, denn es fand ein wechselseitiger Austauschprozess und eine entsprechende Kommunikation statt. Fernhändler überwanden die engeren Regionengrenzen, einige Jahrmärkte scheinen seit der Spätantike fortlaufend besucht worden zu sein. Dennoch ist es sinnvoll, den westlichen und östlichen Mittelmeerraum hinsichtlich des Warenaustauschs getrennt zu betrachten, da es durchaus Unterschiede gab. Die oftmals geschrumpften Städte waren für den Warenumschlag und Fernhandel auch nach dem 6. Jahrhundert von Bedeutung, besonders in den antiken Kulturlandschaften im Westen, so in Italien und teilweise im südlichen Gallien. Venedig verhandelte mit islamischen Herrschaften wegen Bauholz und trieb Handel mit Salz und vor allem Sklaven, die nach Byzanz und in den islamischen Raum verkauft wurden. Gaeta, Amalfi und Bari profitierten ebenfalls vom Fernhandel. Mailand, das bereits in der Spätantike eine wichtige Rolle gespielt hatte, gewann seit dem späten 10. Jahrhundert wieder an Bedeutung, so im Bereich der Geldwirtschaft. Dagegen brach die antike urbane Kultur im Donauraum und in Britannien faktisch zusammen. Kleinere Städte konnten – wie bereits zuvor und lange danach – nur mit dem Überschuss der lokalen Produktion handeln. Der Handel mit Massenwaren war vor allem für den Binnenhandel von Bedeutung. Der Großteil des Handels dürfte ohnehin innerhalb der Regionen stattgefunden haben, so dass die meisten Waren über relativ kurze Distanz transportiert wurden. Byzanz Byzanz durchlief im 7./8. Jahrhundert eine Transformation, wobei wichtige antike Strukturen zwar erhalten blieben, Gesellschaft und Wirtschaft sich aber teils grundlegend wandelten. Aufgrund der angespannten außenpolitischen Lage militarisierte sich die Gesellschaft im 7. Jahrhundert zunehmend. Es formierte sich seit dieser Zeit eine Adelsschicht aus den Reihen der einflussreichen Bürokratie und der großen Landbesitzer und es bildeten sich Familiennamen heraus – Familien, die teils sehr bedeutend wurden. Im späten 9. Jahrhundert rekrutierte sich die Führungsschicht zunehmend aus diesen Geschlechtern. Parallel dazu nahm das freie Bauerntum ab, viele gerieten schließlich in die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern. Trotzdem blieb die byzantinische Gesellschaft wesentlich offener als die westeuropäische, auch der Kaiserthron blieb nicht dem hohen Adel vorbehalten. Ein sozialer Aufstieg bis an die Spitze des Staates stand somit grundsätzlich jedem offen, wie das Beispiel von Basileios I. zeigt. Die byzantinische Wirtschaft erholte sich nach der Krisenphase des 6. und 7. Jahrhunderts langsam. In dieser Zeit hatte sie unter den Folgen von Pest und Kriegen gelitten, verbunden mit einem Bevölkerungsrückgang. Die Quellen zur mittelbyzantinischen Wirtschaftsgeschichte, speziell für das 8./9. Jahrhundert, sind jedoch nicht besonders ergiebig. Manche Städte wurden aufgegeben, andere waren auf ihre Kernzentren reduziert, Konstantinopel blieb aber weiterhin eine bedeutende Metropole im Mittelmeerraum und die wichtigste Stadt des Reiches. Die reichsten Provinzen des Reiches waren nach 700 zwar verloren, Kleinasien konnte aber zumindest in gewissem Maß als Ersatzbasis dienen. Die staatliche Bürokratie blieb im Gegensatz zum Westen voll funktionsfähig, wenngleich die Steuereinnahmen zurückgingen. Die Wirtschaftskraft stieg in der folgenden Zeit wieder an; war der byzantinische Staat im 8. Jahrhundert fast verarmt, verfügte er im 10. Jahrhundert wieder über erhebliche Mittel. Allgemein spielte in Byzanz der ländliche Wirtschaftsraum zwar eine wichtige, aber nicht die dominierende Rolle wie im lateinischen Europa, da die urbane Wirtschaftsproduktion weiterhin ein wichtiger Faktor war. Im Gegensatz zum lateinischen Europa war die Wirtschaft zudem stärker staatlich reglementiert und finanzierte über den Fiskus stärker den Herrschaftsapparat. Bildung Bildungssystem und Entwicklung Die frühmittelalterliche Gesellschaft war eine weitgehend orale Gesellschaft, in der nur wenige Menschen lesen und schreiben konnten. Literarisch gebildet war eine noch kleinere Minderheit, die ganz überwiegend, aber nicht ausschließlich, Geistliche umfasste. Das antike Kulturgut stellte die Grundlage dar. Allerdings war im frühmittelalterlichen westlichen Europa nur ein geringer Teil der antiken Literatur erhalten. Das mittelalterliche Latein (Mittellatein) unterschied sich zudem vom klassischen Latein, die Kenntnis des Griechischen hatte bereits in der Spätantike im Westen abgenommen. Dennoch verband die lateinische Sprache auch nach dem Zerfall Westroms weite Teile Europas miteinander, da eine gemeinsame kommunikative Grundlage vorhanden war. Das spätantike dreistufige Bildungssystem (Elementarunterricht, Grammatik und Rhetorik) war infolge der politischen Umwälzungen der Völkerwanderungszeit im Westen nach und nach verschwunden. Die ältere Forschung hat den Übergang von der Antike zum Mittelalter oft mit einer „Barbarisierung“ gleichgesetzt. Es handelt sich letztendlich aber um einen Übergang zu einer neuen Kultur, in der auch abweichende Interessen und ein neues Kulturideal feststellbar sind. Für die romanische Oberschicht war Bildung ohnehin noch längere Zeit von Bedeutung. Der Geschichtsschreiber und Bischof Gregor von Tours im späten 6. Jahrhundert entstammte einer vornehmen gallorömisch-senatorischen Familie und legte erkennbar Wert auf Bildung, denn er beklagte ihren Verfall. Schulen im südlichen Gallien und Italien gingen nach und nach unter, in privaten Zirkeln wurde aber teils weiterhin Bildung vermittelt. Die Entwicklung der schriftlichen Kultur im Frühmittelalter verlief sehr heterogen und wurde durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst. Ebenso wenig waren Bildung und geistiges Leben im lateinischen Westen einheitlich. In der frühen Merowingerzeit wurde anscheinend noch Profanunterricht erteilt, denn die Merowinger verfügten über eine rudimentäre Bürokratie, für die Schriftkenntnisse erforderlich waren. In der frühen Merowingerzeit spielten nicht zuletzt die vornehmen gallorömischen Familien eine wichtige Vermittlerrolle im Hinblick auf klassische Lehrinhalte. Die merowingische Kanzlei bestand lange Zeit vorwiegend aus entsprechend gebildeten Laien (siehe Referendarius), nicht aus Klerikern. Von der Königsfamilie und Mitgliedern des hohen Adels wurde erwartet, dass sie über Lese- und Schreibfähigkeiten verfügten. Einige Könige wie Chilperich I. besaßen eine gehobene Bildung und demonstrierten sie. Erst nach der Mitte des 7. Jahrhunderts kam es auch infolge der merowingischen Machtkämpfe mit dem Adel zu einem weiteren Verfall. Die Lese- und Schreibkenntnisse nahmen unter Laien, teils aber auch unter Geistlichen stark ab. Im Westgotenreich finden sich noch im 7. Jahrhundert Spuren der spätantiken Bildung. Ähnliches gilt für Italien auch nach der langobardischen Invasion im späten 6. Jahrhundert; in den italienischen Städten sind schriftkundige Laien weiterhin bezeugt. Auf den britischen Inseln entwickelte sich im 7. und 8. Jahrhundert eine neue Kultur der Schriftlichkeit. Im Merowingerreich brach die literarische Produktion zwar im 7./8. Jahrhundert dramatisch ein, doch entstanden noch einige Werke, wie die merowingischen Heiligenviten. Für die mittelalterliche Bildungsvermittlung und den Wissenstransfer im lateinischen Westen waren schließlich die Kloster-, Dom- und Stiftsschulen und somit die Kirche von zentraler Bedeutung. Der Großteil der antiken Literatur ist nicht erhalten, doch in den Klöstern wurde das im Westen noch vorhandene antike Wissen gesammelt und tradiert; diese Tradition begann bereits im 6. Jahrhundert mit Cassiodor. Texte wurden nach festen Regeln gelesen und teils auswendig gelernt sowie in den kirchlichen Skriptorien kopiert. Als Beschreibstoff wurde noch teilweise Papyrus verwendet (so in der merowingischen Verwaltung), doch setzte sich verstärkt das Pergament durch; die Schriftrolle wich zunehmend dem Buch (Kodex). Neben Klerikern erhielten auch Nonnen eine lateinische Ausbildung, einige Schulen standen zudem Laien (so aus der adeligen Oberschicht) offen. Die Laien waren aber in der Regel ungelehrt, in kirchlichen Kreisen wurde teilweise auch der Gegensatz zu den illiterati (Leseunkundigen) betont. Rosamond McKitterick vertritt allerdings die umstrittene These, dass in karolingischer Zeit die Schriftlichkeit unter Laien höher gewesen sei, als früher oft angenommen. In den kirchlichen Schulen wurden neben der Bibel und den Texten der Kirchenväter auch profane spätantike Texte für die Lehre herangezogen. Martianus Capella hatte in der Spätantike ein Lehrbuch verfasst, in dem der Kanon der sieben freien Künste (die artes liberales) zusammengefasst war: Trivium und das weiterführende Quadrivium. Daneben spielten vor allem Boethius und Isidor von Sevilla eine wichtige Rolle. Die Schriften des Boethius genossen im Mittelalter ein gewaltiges Ansehen. Er hatte zudem die freien Künste neu bearbeitet und damit eine wichtige Grundlage für den mittelalterlichen Lehrkanon geschaffen. Isidor hatte im 7. Jahrhundert in der Enzyklopädie Etymologiae in 20 Büchern systematisch weite Teile des bekannten spätantiken Wissens gesammelt. Dem Werk kam für die Wissensvermittlung im Frühmittelalter große Bedeutung zu. Karolingische Bildungsreform Im Frankenreich war die lateinische Sprache stilistisch zunehmend verwildert, auch die kirchlichen Bildungseinrichtungen verfielen. Dieser Prozess wurde im Karolingerreich seit Ende des 8. Jahrhunderts durch gezielte Maßnahmen der Kulturförderung gestoppt. Diese neue Aufschwungphase wird oft als karolingische Renaissance bezeichnet. Der Begriff „Renaissance“ ist aus methodischen Gründen allerdings sehr problematisch. Dies trifft auch auf die sogenannte Makedonische Renaissance in Byzanz zu, da dort eine Kulturkontinuität zur Antike bestand. Hierbei traten zwar Abschwächungen ein, es kam dort aber nie zu einem vollständigen Bruch. Im Frankenreich handelte es sich ebenfalls nicht um eine „Wiedergeburt“ des klassischen antiken Wissens, sondern vielmehr um eine Reinigung und Vereinheitlichung. Für die Karolingerzeit spricht man aus diesem Grund heute von der karolingischen Bildungsreform. Den Anstoß dafür gab wohl die Reform der fränkischen Kirche durch Bonifatius Mitte des 8. Jahrhunderts. Bereits zuvor fand zudem eine Belebung des geistigen Lebens in England und Irland statt, wo die Schriftkultur zunehmend erstarkte. Die Schriften des sehr belesenen Beda Venerabilis (gest. 735) decken eine große Bandbreite ab, so Kirchengeschichte, Hagiographie, Chronologie sowie die freien Künste und vermitteln das Bild eines lebendigen geistigen Lebens. Karl der Große selbst war offenbar kulturell durchaus interessiert und versammelte an seinem Hof gezielt mehrere Gelehrte aus dem lateinischen Europa. Der angesehenste von ihnen war der Angelsachse Alkuin (gest. 804). Alkuin war zuvor Leiter der berühmten Kathedralschule in York gewesen; er besaß eine umfangreiche Bibliothek und genoss einen herausragenden Ruf. Er begegnete Karl in Italien und folgte 782 dem Ruf an dessen Hof, wo er nicht nur als ein einflussreicher Berater wirkte, sondern auch zum Leiter der Hofschule aufstieg. Einhard (gest. 840) stammte aus einer vornehmen fränkischen Familie und war zunächst Schüler Alkuins, später Leiter der Hofschule und Vertrauter Karls. Er war zudem als Baumeister Karls tätig und verfasste nach 814 eine an antiken Vorbildern orientierte Biographie des Königs, die als die „reifste Frucht der karolingischen Renaissance“ bezeichnet worden ist. Petrus von Pisa war ein lateinischer Grammatiker, der Karl in lateinischer Sprache unterrichtet hat. Der langobardische Gelehrte Paulus Diaconus hatte in Italien im Königsdienst gestanden und war 782 an den Hof Karls gekommen, wo er vier Jahre blieb und wirkte. Theodulf von Orléans war ein gotischer Theologe und Dichter. Er war überaus belesen und gebildet; für Karl verfasste er auch die Libri Carolini. Der Hof Karls und die Hofschule gaben Impulse für eine kulturelle Erneuerung, wobei auch die karolingische Kirche als zentraler Kulturträger reformiert wurde. Die Umsetzung der folgenden Bildungsreform war maßgeblich Alkuins Verdienst. Der Schlüsselbegriff dafür lautete correctio, wonach die lateinische Schrift und Sprache sowie der Gottesdienst zu „berichtigen“ waren. Das vorhandene Bildungsgut sollte systematisch gesammelt, gepflegt und verbreitet werden; dazu diente auch die Einrichtung einer Hofbibliothek. In der berühmten Admonitio generalis aus dem Jahr 789 wird auch das Bildungsprogramm angesprochen. Die Klöster wurden ermahnt, Schulen einzurichten. Die Reform der Kloster- und Domschulen war auch aus religiösen Gründen von Bedeutung, da der Klerus auf möglichst genaue Sprach- und Schriftkenntnisse angewiesen war, um die Bibel auslegen und theologische Schriften erstellen zu können. Die lateinische Schriftsprache wurde bereinigt und verbessert. Es wurde sehr auf korrekte Grammatik und Schreibweise Wert gelegt, wodurch das stilistische Niveau angehoben wurde. Als neue Schriftart setzte sich die karolingische Minuskel durch. Im kirchlichen Bereich wurde unter anderem die Liturgie überarbeitet, Homiliensammlungen erstellt und die Beachtung der kirchlichen Regeln eingefordert. Im administrativen Bereich wurden ebenfalls mehrere Änderungen vorgenommen. Die kirchlichen Bildungseinrichtungen wurden verstärkt gefördert, außerdem wurde eine revidierte Fassung der lateinischen Bibelausgabe angefertigt (sogenannte Alkuinbibel). Ältere Schriften wurden durchgesehen und korrigiert, Kopien erstellt und verbreitet. Die Hofschule wurde zum Lehrzentrum, was auf das gesamte Frankenreich ausstrahlte. Im Kloster Fulda beispielsweise entwickelte sich unter Alkuins Schüler Hrabanus Maurus eine ausgeprägte literarische Kultur. Daneben waren unter anderem Corbie und St. Gallen von Bedeutung. Die Forschung hat für die Zeit um 820 neben dem Karlshof 16 „Schriftprovinzen“ identifiziert, jede mit mehreren Skriptorien. Die Bildungsreform sorgte für eine deutliche Stärkung des geistigen Lebens im Frankenreich. Die literarische Produktion stieg nach dem starken Rückgang seit dem 7. Jahrhundert spürbar an, auch Kunst und Architektur profitierten davon. Antike Texte sowohl von paganen als auch von christlichen Verfassern wurden nun wieder zunehmend herangezogen, gelesen und vor allem kopiert. Besonders nachgefragt waren Ovid und Vergil, daneben wurden unter anderem Sallust, Quintus Curtius Rufus, Sueton und Horaz wieder zunehmend gelesen. Die karolingische Bildungsreform hatte somit für die Überlieferung antiker Texte eine große Bedeutung. Allerdings gab es im Frankenreich regionale Unterschiede. Westfranken war aufgrund des gallorömischen Erbes kulturell weiter entwickelt. Der Hof Karls des Kahlen wirkte als ein kulturelles Zentrum, von Bedeutung war auch die sogenannte Schule von Auxerre. In Ostfranken hingegen stagnierte die literarische Produktion Mitte/Ende des 9. Jahrhunderts zunächst, bevor es im 10. Jahrhundert wieder zu einem erneuten Aufschwung kam. In ottonischer Zeit gewannen die Kathedralschulen zunehmend an Bedeutung. Im 10. Jahrhundert sind Lese- und Schreibkenntnisse im Adel seltener, die adelig-kriegerische Erziehung war dafür bestimmend. Andererseits verfügten sowohl Otto II. als auch Otto III. über eine sehr gute Bildung. Kultur im östlichen Mittelmeerraum Ein kulturelles Zentrum bildete vor allem der Osten, Byzanz und die islamische Welt, wo antikes griechisches Wissen bewahrt und gepflegt wurde. In Byzanz riss die Beschäftigung mit antiken Werken (z. B. Platon, Aristoteles, Fachwerke und Prosaliteratur) nicht einmal in der oft als „dunklen Periode“ bezeichneten Zeit von Mitte des 7. Jahrhunderts bis ins 9. Jahrhundert ganz ab; das beste Beispiel dafür ist Photios. Nicht nur Geistliche, sondern auch Laien, die es sich leisten konnten, genossen dort weiterhin eine Ausbildung, die für den Staatsdienst ohnehin unerlässlich blieb. Der Elementarunterricht in Lesen und Schreiben dauerte zwei bis drei Jahre und stand auch den mittleren Schichten offen. Genauere Einzelheiten über die Erteilung des Unterrichts sind aber kaum bekannt. Die höhere Bildung wurde bisweilen staatlich gefördert und überwacht. Der diesbezügliche Unterricht wurde an kaiserlichen Hochschulen erteilt, in mittelbyzantinischer Zeit also primär in Konstantinopel; in den Provinzen scheint es aber ebenfalls einige Einrichtungen gegeben zu haben. Es existierten mehrere umfangreiche Bibliotheken, die Ausbildung konnte etwa Rechtswissenschaften, Theologie oder Medizin umfassen. Die arabischen Eroberer profitierten erheblich von der bereits vorhandenen höheren kulturellen Entwicklung in den ehemaligen oströmischen Gebieten und in Persien, woran später muslimische Gelehrte anknüpften. Im islamischen Raum wurde in der Masǧid (Moschee) unterrichtet, zu der eine angegliederter Herberge für die Schüler gehörte. Höhere Bildung (außer in Al-Andalus) wurde in der gildenartig organisierten Madrasa unterrichtet, wo vor allem islamische Theologie und Rechtswissenschaft (auch mit Kenntnis des Koran) gelehrt wurde. Finanziert wurde der Unterricht durch private Zuwendungen. Es entstanden zahlreiche arabische Übersetzungen griechischer Werke (Haus der Weisheit). In Damaskus, Bagdad, später auch auf Sizilien und in Al-Andalus, beschäftigte man sich ausgiebig mit den antiken Schriften, die Impulse für neue Überlegungen gaben. In der Umayyadenzeit erfolgte die kulturelle Orientierung noch stark an den spätantiken Vorbildern. So wurden prächtige Jagdschlösser im spätantiken Baustil errichtet (so Chirbat al Mafdschar nördlich von Jericho und Qasr al-Hair al-Gharbi in Syrien). Zu erwähnen sind des Weiteren christliche syrische Gelehrte, die unter arabischer Herrschaft lebten, so Jakob von Edessa, Johannes von Damaskus und Theophilos von Edessa. Syrer spielten generell bei der Vermittlung des antiken Wissens an die Araber eine nicht unwichtige Rolle. Ebenso gelangte Wissen aus dem Osten in das lateinische Europa. Indisch-arabische Ziffern sind seit dem späten 10. Jahrhundert belegt. Vor allem Spanien und später Sizilien spielten eine wichtige Vermittlerrolle. Frühmittelalterliche Literatur Geschichtsschreibung Das letzte bedeutende und weitgehend erhaltene spätantike Geschichtswerk in lateinischer Sprache hat Ammianus Marcellinus im späten 4. Jahrhundert verfasst. Die Namen einiger lateinischer Geschichtsschreiber im Westen bis zum Ende der Antike sind zwar bekannt, von ihren Werken ist aber faktisch nichts erhalten. Das trifft auch auf die Gotengeschichte Cassiodors zu (der außerdem eine erhaltene Chronik verfasste), welche die Grundlage für die Getica des Jordanes darstellte. Ende des 6. Jahrhunderts verfasste der gebildete, aus senatorischer gallorömischer Familie stammende Bischof Gregor von Tours sein Hauptwerk, die bis 591 reichenden Historien in 10 Büchern. Es handelt sich um eine bedeutende christliche Universalgeschichte mit dem Frankenreich im Zentrum, wobei die Zeitgeschichte besonders ausführlich beschrieben wurde. Das Niveau Gregors wurde in der Folgezeit lange nicht mehr erreicht. Die Fredegarchronik aus dem 7. Jahrhundert etwa ist in einem verwilderten Latein geschrieben und auch inhaltlich dürftig. Typisch für die frühmittelalterliche Geschichtsschreibung sind neben der Chronik (Lokalchroniken und christliche Weltchroniken, die spätantiken Ursprungs sind) die Annalen. Sie entstanden in den karolingischen Klöstern und entwickelten sich von sehr kurzen, jahrweisen Einträgen zu teils ausführlichen, chronikartigen Schilderungen. Die bedeutendsten waren die bis 829 reichenden Reichsannalen, an denen sich in West- und Ostfranken verschiedene Fortsetzungen anschlossen (Annalen von St. Bertin, Annalen von Fulda). Inhaltlich standen sie dem karolingischen Herrscherhaus nahe und können bereits in gewisser Weise als Hofgeschichtsschreibung angesehen werden. Hinzu kamen weitere Annalen und Chroniken, die oft auf das eigene Bistums-, Kloster- oder Reichsgebiet ausgerichtet waren. In karolingischer Zeit entstanden auch mehrere erzählende Geschichtswerke. Paulus Diaconus schrieb eine Langobardengeschichte in 6 Büchern (sein Hauptwerk, die Historia Langobardorum), eine römische Geschichte in 16 Büchern und eine Geschichte der Bischöfe von Metz, die die karolingischen Ahnen pries. Nithard, im Gegensatz zu den meisten frühmittelalterlichen Autoren im Westen kein Geistlicher, schrieb vier Bücher Historien über die Geschichte der karolingischen Bruderkämpfe nach dem Tod Karls des Großen. Der karolingische Hofgelehrte Einhard verfasste die erste mittelalterliche Biographie eines weltlichen Herrschers: Inspiriert von den Kaiserbiographien Suetons, verfasste er nach dem Tod Karls des Großen die Vita Karoli Magni. Karls Sohn und Nachfolger Ludwig dem Frommen waren sogar zwei Biographien gewidmet: die Thegans und die eines anonymen Autors, der als Astronomus bezeichnet wird. In der späten Karolingerzeit schrieb Regino von Prüm eine bis 906 reichende Weltchronik. Im frühen 10. Jahrhundert entstanden zunächst keine größeren Geschichtswerke, wie auch die Schriftlichkeit in Ostfranken in dieser Zeit abgenommen hatte. Widukind von Corvey schrieb eine Sachsengeschichte in drei Büchern, die wichtig für die ottonische Geschichte ist. Die Ende des 10. Jahrhunderts verfasste Bischofschronik des Thietmar von Merseburg weitete sich zu einer bedeutenden Reichsgeschichte aus, die eine wichtige Quelle für die Ottonenzeit darstellt. In Westfranken schrieben des Weiteren Flodoard von Reims (Annalen und eine Geschichte der Kirche von Reims) und Richer von Reims (Historien, teils unter Bezugnahme auf Flodoard) Geschichtswerke, die wichtige Informationen für die Vorgänge im spätkarolingischen Westfranken enthalten. In Britannien entstanden im Frühmittelalter die bedeutende Kirchengeschichte des Beda Venerabilis (frühes 8. Jahrhundert), die auch auf die politische und kulturelle Geschichte Britanniens eingeht, die Angelsächsische Chronik und Assers Biographie Alfreds des Großen; Lokalgeschichten sind für Irland und Wales (Annales Cambriae) belegt. Bereits in der Spätantike entstand in Rom der stetig fortgesetzte Liber Pontificalis, eine fortlaufende Papstgeschichte. Ansonsten stammen aus Italien mehrere, eher lokal ausgerichtete Chroniken. In Hispanien schrieb in westgotischer Zeit der bedeutende Gelehrte Isidor von Sevilla eine Universalchronik und eine Gotengeschichte. Später entstanden in Spanien unter anderem die Mozarabische Chronik und die Crónica Albeldense. Einzelne frühmittelalterliche Werke gingen zudem in der Folgezeit verloren (z. B. die Historiola des Secundus von Trient). Mehrere der genannten Werke sind aus Sicht der modernen Forschung in mancherlei Hinsicht problematisch. Hervorzuheben ist aber die Vielfältigkeit der frühmittelalterlichen lateinischen Geschichtsschreibung. Diese hatte sich von der spätantiken Geschichtsschreibung zwar entfernt, die antiken Grundlagen waren aber nicht völlig verschwunden. Seit der karolingischen Bildungsreform wurde der Blick wieder stärker der Antike zugewandt, so dienten beispielsweise antike Autoren oft als stilistische Vorbilder oder es wurde Bezug genommen auf vergangene Geschehnisse (exempla). Die frühmittelalterliche Geschichtsschreibung war vor allem von einem festen christlichen Geschichtsdenken durchzogen, z. B. hinsichtlich eines linearen Verlaufs, in dem das Imperium Romanum das Ziel der Geschichte darstellte; ebenso spielte das göttliche Wirken sowie christlich-ethisches Handeln eine wichtige Rolle. Die byzantinische Geschichtsschreibung in griechischer Sprache war im Frühmittelalter zwar ebenfalls christlich beeinflusst, doch der antike Bezug war weitaus größer als im Westen, zumal das antike Erbe stärker erhalten blieb und Geschichtsschreibung nicht auf Geistliche beschränkt war. Von Georgios Synkellos und Theophanes sind bedeutende byzantinische Chroniken überliefert. Die Tradition der antiken Geschichtsschreibung endete in Byzanz zwar im frühen 7. Jahrhundert, wurde aber im 10. Jahrhundert wieder verstärkt rezipiert. Die Nachahmung (Mimesis) der klassischen Texte wurde in vielen folgenden profangeschichtlichen byzantinischen Werken angestrebt. Unter Konstantin VII. wurden in einem gewaltigen Unterfangen Texte antiker Historiker exzerpiert; davon sind heute nur geringe Reste erhalten, die aber wertvolles Material enthalten, das ansonsten nicht überliefert worden wäre. Im Orient entstanden weiterhin (christliche) armenische und syrische Geschichtswerke, die teils sehr wertvolle Informationen vermitteln. Zu nennen sind z. B. das Werk des Pseudo-Sebeos im 7. Jahrhundert und die heute verlorene Chronik des Theophilos von Edessa im 8. Jahrhundert, die mehreren späteren Autoren als Quelle gedient hat. Die Anfänge der islamischen Geschichtsschreibung reichen wohl bis ins 8. Jahrhundert zurück, doch sind viele Details umstritten, zumal erhaltene Kompilationen des älteren Materials erst aus dem 9./10. Jahrhundert stammen. Besonders hervorzuheben ist etwa die Universalgeschichte des gelehrten at-Tabarī, die bis ins frühe 10. Jahrhundert reicht. Hagiographie Eine Sonderrolle nimmt die Hagiographie ein. Sie wurde auch zur Gattung der historia (Geschichtserzählung) gezählt und war weiter verbreitet als die im engeren Sinne „weltliche Geschichtsschreibung“. Ein wichtiges Vorbild stellte die Vita des heiligen Martin von Tours dar, die Sulpicius Severus verfasst hat. Bereits in der Merowingerzeit entstanden Märtyrergeschichten und Viten als Exempel vorbildlicher Lebensführung sowie Bischofsviten, hinzu kamen Wunderberichte (miracula). Neben Gallien ist vor allem Italien zu nennen: Papst Gregor der Große verfasste im späten 6. Jahrhundert Dialogi, in denen zeitgenössische Heilige dargestellt wurden; später wurde zunehmend in mehreren Städten der Schutzpatrone gedacht. In karolingischer Zeit wurden, beeinflusst von der Bildungsreform, zudem mehrere Viten neu- oder umgeschrieben. Während die hagiographische Überlieferung aus Hispanien relativ dürftig ist, sind aus England seit dem frühen 8. Jahrhundert Viten überliefert. In der byzantinischen Literatur ist die Gattungsgrenze fließend, da die theologische Literatur dort weit ausgeprägt war (Homilien, Briefe, Geschichtswerke etc.). Im slawischen Bereich entstanden nach der Übernahme des Christentums verschiedene hagiographische Werke, so in Bulgarien im 10. Jahrhundert durch die Übersetzung und Bearbeitung byzantinischer Werke. Lateinische Dichtung Die mittellateinische Dichtung war recht stark von antiken Werken beeinflusst. Als erster frühmittelalterlicher Dichter kann der im späten 6./frühen 7. Jahrhundert lebende Venantius Fortunatus gelten, der seine Ausbildung in Italien erhielt und am merowingischen Königshof in Austrasien wirkte, wo er gute Kontakte knüpfte und schließlich Bischof wurde. Venantius Fortunatus stand dichterisch in spätantiker Tradition und verfasste über 200 Lobgedichte, Klage- und Trostlieder sowie Nachrufe, was Ausdruck eines um 600 durchaus noch vorhandenen Bedürfnisses traditioneller Bildung im Frankenreich ist. Besonders die frühmittelalterliche Hofdichtung war bedeutend, vor allem am karolingischen Königshof. Von Karls bereits erwähntem gelehrten Berater Alkuin sind mehr als 300 metrische Gedichte überliefert. Angilbert, Hofkaplan Karls des Großen und Vater des Geschichtsschreibers Nithard, verfasste neben Prosaschriften auch Gedichte und wurde Karls „Homerus“ genannt. Paulinus II. von Aquileia verfasste ein Klagegedicht zu Ehren Erichs, des Markgrafen von Friaul; auch andere Dichtungen werden ihm zugeschrieben. Paulus Diaconus, der auch als Geschichtsschreiber tätig war und einige Zeit am Hof Karls wirkte, verfasste mehrere Gedichte, darunter Lobgedichte und Epitaphien. Von Theodulf von Orléans sind ca. 80 Gedichte erhalten, die seine umfassende Bildung bezeugen. Im weiteren Verlauf des 9. Jahrhunderts wirkten in Westfranken noch Ermoldus Nigellus und der sehr gelehrte Johannes Scottus Eriugena. Hinzu kamen klösterliche Dichtungen, die zum Teil sehr bedeutend waren. Dazu zählen unter anderem Dichtungen Walahfrid Strabos und der Liber Ymnorum Notkers (entstanden um 884 und dem einflussreichen Liutward von Vercelli gewidmet). Die kulturelle Wiederbelebung nach dem Ende der Antike wurde durch die karolingischen Bildungsreform begünstigt. Die bedeutendste frühmittelalterliche Dichterin war Hrotsvit im 10. Jahrhundert. Im Bereich der mittellateinischen Epik ist vor allem der Waltharius zu nennen, eine epische Heldendichtung aus dem 9. oder 10. Jahrhundert. Im Übergang vom Früh- zum Hochmittelalter entstand die Dichtung über den Ritter Ruodlieb, die als erster fiktionaler Roman des Mittelalters gilt. Verbreitet waren Bibeldichtungen, zumal die Bibel als Stoffgrundlage in der mittellateinischen Literatur ohnehin eine zentrale Rolle spielte. Ebenso entstanden geschichtliche Dichtungen, so um 800 das Versepos Karolus Magnus et Leo papa und Ende des 9. Jahrhunderts das Werk des Poeta Saxo. In England wirkten im 7. Jahrhundert Cædmon und Aldhelm von Sherborne, in Italien und im spanischen Westgotenreich entstanden ebenfalls einige bedeutende Dichtungen. Volkssprachige Literatur Seit Mitte des 8. Jahrhunderts sind im Westen nicht mehr nur lateinische, sondern auch volkssprachige Werke belegt; allerdings ist die Zahl der jeweils namentlich bekannten Verfasser überschaubar. Die Bandbreite der volkssprachigen frühmittelalterlichen Literatur ist recht beachtlich, sie umfasst unter anderem Zauber- und Segensbücher, Heldenerzählungen, Geschichtsdichtungen und Schlachtengedichte. Kirchliche Gebrauchstexte wurden ebenso übersetzt, vor allem im Hinblick auf die Vermittlung christlicher Glaubensbotschaften. Ein Großteil der volkssprachigen Dichtung war denn auch geistlicher Natur, wie z. B. Bibeldichtungen. Das früheste erhaltene Zeugnis für die althochdeutsche Bibeldichtung stellt das Wessobrunner Schöpfungsgedicht aus dem 9. Jahrhundert dar. Die karolingischen Bildungsreform hatte nicht nur eine zunehmende Beschäftigung mit lateinischen Texten und der vorhandenen antiken Überlieferung zur Folge, sie stärkte auch die Entwicklung des Althochdeutschen. Zentren altdeutscher Überlieferung waren unter anderem die Klöster Fulda, Reichenau, St. Gallen und Murbach. Fragmentarisch erhalten ist das Hildebrandslied, ein althochdeutsches Heldenlied aus dem frühen 9. Jahrhundert. Karl der Große soll angeordnet haben, alte pagane Heldenlieder aufzuzeichnen, doch ist davon nichts erhalten. Unter Leitung des gelehrten Hrabanus Maurus entstand um 830 mit dem althochdeutschen Tatian eine Evangelienübersetzung. Als erster deutscher Dichter gilt Otfrid von Weißenburg, der in den 860er und 870er Jahren wirkte. Der von ihm um 870 verfasste Liber Evangeliorum ist ein althochdeutsches Bibelepos (im südrheinfränkischen Dialekt) und umfasst 7104 Langzeilen in fünf Büchern, wobei das Leben Jesu Christi im Mittelpunkt steht. Die Straßburger Eide von 842 sind in althochdeutscher und altfranzösischer Fassung überliefert und gelten als frühe Sprachzeugnisse. Das althochdeutsche Ludwigslied entstand im späten 9. Jahrhundert. In ottonischer Zeit endet für einige Zeit die althochdeutsche Literaturproduktion, wofür die Forschung bislang keine befriedigende Erklärung hat. Um 1000 wirkte dann etwa Notker von St. Gallen, der mehrere antike Texte ins Althochdeutsche übertrug und damit eine wichtige Grundlage für wissenschaftliche Texte in dieser Sprache schuf. Am angelsächsischen Königshof Alfreds des Großen wurden einzelne Werke lateinischer Gelehrter (so Boethius und Orosius) ins Altenglische übersetzt. Die Masse der altenglischen Literatur (die neben altenglischen auch mehrere lateinische Texte umfasst) ist in vier Handschriften überliefert (Junius-Handschrift, auch Cædmonhandschrift genannt, Exeter-Buch, Vercelli-Buch und Beowulfhandschrift). In Irland entwickelte sich im 6./7. Jahrhundert eine lebendige Schriftkultur mit zunächst lateinischen, bald auch altirischen Werken, die Heldenerzählungen, Dichtungen, Annalen, Heiligen- und Königsgenealogien, hagiographische und geistliche Literatur umfasste. Im Altfranzösischen sind nur wenige frühmittelalterliche Texte belegt, so etwa die Eulaliasequenz (zu Ehren der heiligen Eulalia) im späten 9. Jahrhundert und das Leodegarlied aus dem 10. Jahrhundert. Aus dem 11. Jahrhundert stammt die altfranzösische poetische Verarbeitung einer lateinischen Legende, das sogenannte Alexiuslied. In Italien beginnt die Geschichte der volkssprachigen Literatur erst im 13. Jahrhundert. Auf der Iberischen Halbinsel sind Belege für romanische Werke aus dem Frühmittelalter kaum vorhanden. Aus dem Kloster San Millán de la Cogolla etwa stammen romanische Glossen (10. Jahrhundert), in arabischen und hebräischen Dichtungen (die sogenannten Jarchas, 11. Jahrhundert) sind romanische Schlussstrophen belegt. Vollständig entwickelte volkssprachige Werke wurden aber erst im Hochmittelalter verfasst; dazu zählt unter anderem das Epos Cantar de Mio Cid. In der skandinavischen Literatur ist der Übergang von mündlichen Erzählungen und Gedichten (Skaldendichtung und Vorstufen der Edda im 9. Jahrhundert) zur Schriftsprache auch mit der Christianisierung und der Übernahme des lateinischen Alphabets (anstelle der Runenschrift) verbunden. Mit der Entwicklung des Kirchenslawischen im 9. Jahrhundert entstand im slawischen Kulturraum in der Folgezeit eine reichhaltige Literatur. Nach der Christianisierung Bulgariens wurden mehrere altkirchenslawische Übersetzungen griechischer Werke angefertigt, vor allem theologische Werke (liturgische und biblische Texte), Chroniken und Viten. In Byzanz selbst entstanden neben Schriften in der antiken griechischen Hochsprache auch mehrere volkssprachige (mittelgriechische) Werke. Eines der bedeutendsten ist das Epos Digenis Akritas. Philosophie Die Philosophie des Mittelalters baute stark auf antiken Grundlagen auf, allerdings, anders als noch in der Spätantike, nun fest eingebettet in das christliche Weltbild. In diesem Sinne war die theologisch ausgerichtete Patristik von Bedeutung, die im 7./8. Jahrhundert endete. Bereits in der Spätantike wurde der Neuplatonismus von christlichen Gelehrten rezipiert, die die platonische Ideenlehre mit christlichen Überlegungen verbanden, zumal Platons Ideen bereits durch den Neuplatonismus ins Transzendente übertragen wurden. Aussagen der Bibel wurden teilweise mit Hilfe platonischen Gedankenguts gedeutet, unter anderem mit Bezug auf das Gute und das Sein/Seiende. Von den Schriften Platons und des Aristoteles war im Frühmittelalter im Westen allerdings nur sehr wenig bekannt. Einflussreich waren dafür platonisch beeinflusste Philosophen. Augustinus von Hippo und Boethius sind beide historisch noch zur Spätantike zu zählen, stehen aber philosophiegeschichtlich an der Schwelle zum Mittelalter. Beide hatten einen starken nachhaltigen Einfluss auf die mittelalterliche Philosophie, besonders im Frühmittelalter. Dies gilt auch für die Werke des Pseudo-Dionysius Areopagita, eines anonymen spätantiken christlichen Neuplatonikers, die bereits in karolingischer Zeit ins Lateinische übersetzt wurden. Pseudo-Dionysius arbeitete auch das Konzept der negativen Theologie weiter aus. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts ist der aus Irland stammende bedeutende Philosoph Johannes Scottus Eriugena belegbar, der einige Zeit am westfränkischen Königshof verbrachte. Er war dort als gelehrter Berater tätig, erteilte auch Unterricht in den freien Künsten und genoss offenbar großes Ansehen. Eriugena stellt insofern eine Ausnahmeerscheinung dar, als ohne seine Schriften zwischen Boethius und Anselm von Canterbury eine weitgehende Lücke in der lateinischen philosophischen Literatur klaffen würde. Er verfügte, was im Westen zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich war, über einige Griechischkenntnisse und trat für ein strikt logisches Denken ein, geriet dabei auch in Konflikt mit kirchlichen Autoritäten. Sein Hauptwerk mit dem griechischen Titel Periphyseon („Über die Naturen“) behandelt in Dialogform eingeteilt in fünf Büchern vor allem die kosmologische Weltordnung und das Verhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung. In logischer und systematischer Form sollte die christliche Offenbarung untersucht und ausgelegt werden, um die darin enthaltene Wahrheit zu erkennen. Das Werk basiert auf einer recht umfangreichen Quellenbasis und ist neuplatonisch geprägt. Eriugena verfasste außerdem einen (nur fragmentarischen) Kommentar zum Johannesevangelium und zu Martianus Capella. Im byzantinischen Raum gilt als letzter spätantiker Philosoph Stephanos von Alexandria im frühen 7. Jahrhundert. Der damalige militärische Überlebenskampf des Reiches hatte einen spürbaren Rückgang des kulturellen Interessenniveaus zur Folge. Die Überlieferung bezüglich der geistigen Entwicklung in Byzanz ist für das späte 7. und das 8. Jahrhundert nicht günstig, dennoch blieb in Byzanz mehr vom kulturellen antiken Erbe erhalten als im Westen. Im 9./10. Jahrhundert wirkte dann der sehr gelehrte Photios, der über eine große Bibliothek verfügte und heute verlorene philosophische Abhandlungen verfasste. Einer seiner Schüler, Zacharias von Chalkedon, schrieb in den 860er Jahren eine kleine Schrift „Über die Zeit“. Leon der Mathematiker und Arethas von Kaisareia sammelten ebenfalls klassische griechische Texte und gaben sie teils neu heraus. Aus verstreuten Fragmenten lässt sich zudem erschließen, dass auch im 9. Jahrhundert Aristoteles und Platon in Byzanz gelesen und wohl teils auch neu herausgegeben wurden. Infolge des Bilderstreits entstanden zudem Schriften, in denen auch philosophische Argumente vorgebracht wurden. Die Grundlage der islamischen Philosophie stellte zunächst die systematische Übersetzung griechischer philosophischer oder wissenschaftlicher Texte dar, wobei die weiterhin lebendige christlich-syrische Tradition der Beschäftigung mit griechischer Wissenschaft ebenfalls eine Rolle spielte. Bedeutung erlangte im 9. Jahrhundert al-Kindī, dessen Werke thematisch breit gestreut sind und unter anderem Astronomie, Mathematik, Optik, Medizin und Musik betreffen. Al-Kindī beschäftigte sich mit Platon und Aristoteles und fertigte Übersetzungen griechischer Werke an. Einflussreich war seine Abhandlung über Definitionen und Beschreibungen der Dinge, in der er das griechische philosophische Vokabular aufbereitete. Der jüdische Philosoph Isaak ben Salomon Israeli orientierte sich in seinem Buch über Definitionen eng an al-Kindī. Im 10. Jahrhundert wirkten der persische Philosoph Abu Bakr Muhammad ibn Zakariya ar-Razi und der aus Zentralasien stammende al-Fārābī. Letzterer konnte praktisch auf die gesamte noch erhaltene antike Überlieferung griechischer Philosophen zurückgreifen; er betrachtete die Philosophie als Grundlage jeglicher Wissenschaft und bezog dies auch auf die Religion. Der bedeutende persische Philosoph Avicenna (gest. 1037) stellte grundsätzlich die Frage nach der Aufgabe und der Möglichkeit der Philosophie. Seine sehr einflussreichen Überlegungen betrafen unter anderem die Logik und Intellektlehre. In seinem Kanon der Medizin fasste er außerdem systematisch das damalige medizinische Wissen zusammen. Daneben sind noch andere Gelehrte zu nennen, so z. B. al-Chwarizmi im 9. Jahrhundert. Kunst Im Frühmittelalter kam den Fürstenhöfen, vor allem aber dem fränkischen Königshof mit der Hofschule, und der Kirche eine tragende Rolle in der kulturellen und künstlerischen Förderung zu. In den Motiven dominiert die christliche Symbolik. Die frühmittelalterliche Kunst orientierte sich zunächst an spätantiken Vorbildern, bevor sich neue Kunststile entwickelten. Die byzantinische Kunst beeinflusste auch den Westen, wobei in der Forschung der Grad dieses Einflusses umstritten ist. Wurde die frühmittelalterliche Kultur früher als eher rezipierend und weniger als kreativ betrachtet, wird in neuerer Zeit wieder betont, dass es im Westen bereits spätantike Vorbilder gab und die Beeinflussung zwischen Ost und West subtiler war. Die karolingische Bildungsreform und die sogenannte ottonische Renaissance (10./11. Jahrhundert) bewirkten wieder einen kulturellen Aufschwung. Im mittelalterlichen gelehrten Denken ist die Frage der Schönheit losgelöst von der Kunst und beruht auf platonischen und neuplatonischen Überlegungen. In der Kunsttheorie des frühen Mittelalters waren die Aussagen des Augustinus und des Pseudo-Dionysius Areopagita einflussreich. Ein Kunstwerk und die damit verbundene ästhetische Schönheit galt demnach nicht als Selbstzweck; Schönheit hatte vielmehr auch eine transzendentale Bestimmung. Für Johannes Scottus Eriugena z. B. galt das sinnlich Wahrnehmbare als ein Symbol des Göttlichen. In der Baukunst bildet die Vorromanik einen Übergang zwischen spätantiken und romanischen Architekturformen. Im Kirchenbau dominierten in Hispanien und England Saalkirchen aus Stein, östlich des Rheins waren zunächst Holzkirchen verbreitet, von denen fast nichts erhalten ist. In Italien wiederum waren Basiliken verbreitet. Es entwickelten sich neue Bautypen, oft aus Italien inspiriert und mit Mosaiken geschmückt, was bereits in der Spätantike üblich war. Die Monumentalarchitektur wurde seit der Zeit Karls des Großen wieder gepflegt, der Massenbau mit mehreren Pfeilern beruhte auf antiken Kenntnissen. In karolingischer Zeit entstanden schließlich mehrere Herrscherpaläste, wie die Aachener Königspfalz, die in der Gesamtkomposition ebenfalls an römischen Vorbildern orientiert waren. Nach 814 gab es im Frankenreich einen gewissen Einbruch in der Monumentalarchitektur. Es wurden zunächst nun eher kleinteilige, aus einzelnen Raumzellen zusammengefügte Kirchenbauten bevorzugt. Zwar entstand später im 9. Jahrhundert auch der Hildebold-Dom, ebenso wurde in Corvey die Lorscher Westwerkform aufgenommen oder etwa in Hersfeld der Zellenquerbau in größere Dimensionen ausgeführt, es war aber nicht der Regelfall. In ottonischer Zeit knüpfte man bewusst an die karolingische Tradition an, es wurden wieder mehrere große Kirchenbauten errichtet. Problematisch bei der Bewertung frühmittelalterlicher Architektur ist allerdings, dass etwa aus dem 10. und 11. Jahrhundert kaum Überreste herrschaftlicher Profanbauten erhalten sind, sondern vor allem kirchliche Bauten. In Italien war aufgrund relativer Kulturkontinuität der Übergang ins Frühmittelalter weniger stark ausgeprägt, neu waren aber quadratische Pfeiler und Hallenkrypten. In Hispanien verschmolzen in der Westgotenzeit antike, frühchristliche und volkstümliche Motive; nach 711 entwickelte sich die mozarabische Architektur. In England entstanden infolge der Christianisierung der Angelsachsen neben mehreren Holzkirchen auch größere Kirchenbauten, von denen aber nur geringe Reste erhalten sind. In den unterschiedlichen angelsächsischen Reichen sind im Kirchenbau abweichende Bautypen anzutreffen. Die auch byzantinisch beeinflusste karolingische Buchmalerei bedeutete eine Steigerung gegenüber der merowingischen Buchmalerei und ist eines der Resultate der karolingischen Bildungsreform. Beispiele dafür sind unter anderem das Lorscher Evangeliar, das Krönungsevangeliar und das Ada-Evangeliar (siehe auch Ada-Gruppe) aus der Zeit Karls des Großen oder der Codex aureus von St. Emmeram aus dem späten 9. Jahrhundert. Zentren der karolingischen Buchmalerei waren neben der königlichen Hofschule später Reims, St. Martin in Tours und Metz. Bedeutung erlangte im späteren 9. Jahrhundert die Hofschule Karls II. in Westfranken. Es entstanden auch in den großen Reichsklöstern und bedeutenden Bischofsresidenzen Bildhandschriften, teils in Nachahmung der königlichen Hofschulen (so das Fuldaer Evangeliar). Entscheidend hierfür war, dass die geistlichen Einrichtungen über gute Skriptorien verfügten und kulturelle Impulse aufnahmen, was auf weltlicher Seite zunächst kaum der Fall war. In der Ottonenzeit im 10./11. Jahrhundert wurde, nach einem kulturellen Abschwung am Ende der Karolingerzeit, an ältere Vorbilder angeknüpft. So entstand im Ostfrankenreich die ebenfalls bedeutende ottonische Buchmalerei, deren Zentren die Klöster Corvey, Hildesheim, Fulda und Reichenau waren; später gewannen auch Köln, Regensburg und Salzburg an Bedeutung. Zu deren bedeutendsten Produkten gehören das Gebetbuch Ottos III. und das Evangeliar Ottos III. Des Weiteren sind noch aus anderen Regionen Europas Buchmalereien erhalten. Einen Höhepunkt der angelsächsischen Buchmalerei stellt das Aethelwold-Benedictionale aus dem späten 10. Jahrhundert dar, in Westfranken entstand um 1000 die reich verzierte „Erste Bibel“ von St. Martial (Limoges). Aus Spanien stammt der Beatuskommentar zur Offenbarung des Johannes (8. Jahrhundert), während auch in Italien zahlreiche illustrierende Bildhandschriften entstanden, vor allem zum Leben bekannter Heiliger und bedeutender Geistlicher. Im Frühmittelalter gingen einige antike Kunstkenntnisse verloren. Dies betrifft etwa die Dreidimensionalität und die Darstellung des Menschen in seinen natürlichen Proportionen. Es entwickelte sich ein recht statischer Aufbau und eine gewisse Furcht vor der Leere (horror vacui). Hinzu kamen neue künstlerische Zielsetzungen und andere künstlerische Charakteristika, so keltische und germanische Ornamentik (siehe auch Germanischer Tierstil). Grundlage der frühmittelalterlichen Wandmalerei ist die spätantike Monumentalmalerei, von der im Frühmittelalter mehr als heute erhalten war. Wie stark die konkreten Zusammenhänge zwischen spätantiker und frühmittelalterlicher Wandmalerei sind, ist heute aber kaum noch zu erschließen, da oft jüngere Eingriffe vorliegen. Von verschiedenen frühmittelalterlichen Wandmalereien sind zudem nur Teile erhalten. Ein Bild der Monumentalmalerei in karolingischer Zeit um 800 vermitteln die heute zwar verlorenen, aber durch Beschreibungen und Skizzen bekannten Vorzeichnungen für den ursprünglichen Kuppeldekor der Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen. In Kirchen waren Wandmalereien mit Darstellungen aus dem Leben Jesu Christi besonders beliebt, aber auch zahlreiche andere biblische Szenen wurden verwendet. Dies wurde durch eschatologische Erwartungen für die Zeit um 1000 noch verstärkt. In ottonischer Zeit griff man zunächst auf die karolingische Tradition zurück. Das Mittelschiff von St. Georg in Reichenau-Oberzell (10. Jahrhundert) ist wohl das beste Beispiel für die Innenausmalung eines Kirchenraums, die in karolingischer und ottonischer Zeit recht üblich war. Mehrere Bischöfe traten als Förderer der Kunst auf, so im späten 10. Jahrhundert Gebhard von Konstanz in seiner Eigenkirche in Petershausen oder Egbert von Trier, unter dessen Patronage der Meister des Registrum Gregorii wirkte. Das Kunsthandwerk brachte unter anderem Fibeln, Gürtelschnallen, aber auch Schnitzarbeiten aus Elfenbein, Goldblecharbeiten und reich verzierte Buchdeckelarbeiten hervor. In der Kleinplastik wurde aufgrund des starken religiösen Bedürfnisses viele Reliquienbehältnisse angefertigt. Es entstanden zudem zahlreiche liturgische Geräte; als eines der schönsten gilt das um 1000 angefertigte Lotharkreuz. Das in ottonischer Zeit entstandene Gerokreuz wiederum ist eine der ersten Monumentalskulpturen des Mittelalters. Die kulturellen Zentren befanden sich daneben vor allem im Osten. In Byzanz zählt die Ikonenmalerei zu den Höhepunkten frühmittelalterlicher Kunst, ebenso brachte die byzantinische Buchmalerei bedeutende Werke hervor. Die sogenannte makedonische Renaissance im 9./10. Jahrhundert führte in Byzanz, nachdem die existenzbedrohenden Abwehrkämpfe gegen die Araber überstanden waren, zu einer stärkeren Besinnung auf antike Motive und die antike Literatur. In Byzanz tobte im 8. und 9. Jahrhundert der Bilderstreit, was Auswirkungen auf die Kunst hatte. Im späten 8. Jahrhundert konnten sich kurzzeitig die Bilderverehrer durchsetzen und sie waren dann im 9. Jahrhundert endgültig siegreich. Im Westen beschäftigte man sich auf der Synode von Frankfurt 794 mit der religiösen Bilderverehrung, die man schließlich ablehnte (Libri Carolini). Im Westen wurden aber byzantinische Kunsteinflüsse durchaus aufgenommen, z. B. in der Buchmalerei oder bezüglich Formen des Zentralbaus bei romanischen Kirchen. In der Architektur sind vom byzantinischen Stil unter anderem der Markusdom in Venedig und die karolingische Pfalzkapelle im Aachener Dom (Oktogonform) inspiriert. Christentum Allgemeines Religion war im Frühmittelalter im lateinischen Europa, in Byzanz und im Kalifat ein bestimmendes Lebensmoment. Es ist jedoch sehr fraglich, ob man für jeden dieser Kulturräume von einer Einheit in Kultur und Religiosität sprechen kann; vielmehr bestand zwischen den gelehrten Denkvorstellungen und der gelebten Volksfrömmigkeit ein Unterschied. Dies betraf auch das lateinische Europa, wenngleich in populären Vorstellungen oft von einem monolithischen Block ausgegangen wird. Die allgemeine Geschichte des lateinischen Europas und des byzantinischen Kulturkreises im Frühmittelalter ist dennoch eng mit der Geschichte des Christentums in dieser Zeit verknüpft. Bereits in der Spätantike bestand eine enge Bindung von Kirche, Staat und Kultur. Das Christentum war unter Theodosius I. zur Staatsreligion erhoben worden, die paganen („heidnischen“) Kulte verloren immer mehr an Anhängerschaft und versanken schließlich in der Bedeutungslosigkeit, wenngleich kleine pagane Minderheiten in Byzanz noch bis ins 6. Jahrhundert belegt sind. Nach dem Untergang Westroms war zwar die politische Einheit im Mittelmeerraum aufgehoben, dennoch waren die neuen germanischen Reiche christliche Reiche – entweder bereits bei ihrer Gründung oder kurz darauf (wie das Frankenreich). Neigte die Mehrheit der christlichen Germanen zum Arianismus, so bestand die romanische Mehrheitsbevölkerung aus katholischen Christen, was teilweise zu erheblichen Spannungen führte. Im ostgotischen Italien wirkte sich der konfessionelle Unterschied sogar außenpolitisch im Verhältnis zu Byzanz aus (akakianisches Schisma). Die Langobarden, die 568 in Italien einfielen, waren ebenfalls überwiegend Arianer, doch erfolgte im 7./8. Jahrhundert zunehmend die Hinwendung zum katholischen Bekenntnis. Chlodwig I. ließ sich um 500 katholisch taufen und ihm folgten zahlreiche Franken; im Westgotenreich erfolgte die Konversion 589. Trotz politischer Zersplitterung blieb eine gewisse kulturell-religiöse Einheit bestehen, die erst mit der arabischen Expansion im 7. Jahrhundert endete. Päpste und weltliche Herrschaft Das Papsttum spielte im Frühmittelalter politisch keine so entscheidende Rolle wie im weiteren Verlauf des Mittelalters. Der Bischof von Rom genoss als Nachfolger der Apostel Petrus und Paulus zwar großes Ansehen, doch übte er etwa über die byzantinische Kirche keine Oberherrschaft aus. Der Patriarch von Konstantinopel wiederum erhielt nie die Bedeutung wie der Papst im Westen, wo die Päpste schließlich auch eine weltliche Vollgewalt beanspruchten, und bestimmte zu keinem Zeitpunkt die byzantinische Politik. Während des Übergangs von der Antike zum Mittelalter standen die Päpste politisch stark unter byzantinischem Einfluss. Infolge des byzantinischen Machtverlustes im Westen gewannen die Päpste langsam, aber zunehmend an politischem Spielraum. Gregor der Große beispielsweise, der aus vornehmer römischer Familie stammte, sehr gelehrt und einer der bedeutendsten mittelalterlichen Päpste war, war auch politisch aktiv. Dennoch waren die Päpste formal noch Untertanen des byzantinischen Kaisers, der ihnen sogar den Prozess machen konnte. Mitte des 8. Jahrhunderts waren die Päpste aufgrund der langobardischen Bedrohung gezwungen, sich nach Unterstützung umzusehen. Papst Stephan II. reiste 753/54 zum Frankenkönig Pippin und ging ein Bündnis mit ihm ein. Die Karolinger übernahmen die Rolle als neue päpstliche Schutzmacht, die später die Ottonen und die folgenden römisch-deutschen Könige ebenfalls übernahmen. Durch diese Allianz wurden nicht zuletzt die päpstlichen Ansprüche geschützt, die sich, wie der entstehende Kirchenstaat zeigt, auch in weltlicher Form artikulierten. Die im 8./9. Jahrhundert gefälschte Konstantinische Schenkung sollte für diese Ansprüche eine Grundlage bieten. Seit der Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahr 800 waren Papst und Frankenreich noch enger miteinander verquickt. Die Verbindung war insofern problematisch, als sowohl Papsttum als auch Kaisertum universale Gewalten waren, deren Interessen nicht immer parallel verliefen, wie der Investiturstreit im 11./12. Jahrhundert deutlich zeigt; doch bereits im 9. Jahrhundert kam es zu Konflikten zwischen Papst und den karolingischen Kaisern. Als Gegengewicht zur weltlichen Macht wurde von kirchlicher Seite die Zwei-Schwerter-Theorie entwickelt, wenngleich im Hochmittelalter die Päpste bisweilen selbst die weltliche Oberherrschaft nachdrücklich beanspruchten. Das päpstliche Ansehen stieg zunehmend, so dass verschiedene Herrscher im lateinischen Europa die Unterstützung des Papstes erbaten. Im 9. Jahrhundert erreichte die päpstliche Autorität unter Nikolaus I. einen ersten Höhepunkt, eine „Weltstellung“, bevor sie im späten 9. Jahrhundert verfiel. Das Papsttum wurde im frühen 10. Jahrhundert zu einem Spielball der Interessen stadtrömischer Familien. In ottonischer Zeit spielte es politisch keine entscheidende Rolle. Die Verbindung zwischen westlicher und östlicher Kirche wiederum schwand immer mehr und führte letztendlich zum Schisma von 1054. Die karolingische Bildungsreform um 800 hatte schon aufgrund der engen Verbindung von christlicher Religion und Kultur im Frühmittelalter auch Auswirkungen auf die Kirche im Frankenreich und förderte deren Erneuerung. Eine überarbeitete Fassung der lateinischen Bibelausgabe wurde erstellt und die kirchlichen Bildungseinrichtungen (Schulen, Skriptorien und Bibliotheken) gefördert, was zu einem kulturellen Aufschwung führte. Die Reichskirche im Frankenreich war politisch eng mit dem Königtum verbunden. Die fränkischen Könige waren seit der Karolingerzeit darauf angewiesen, dass die Kirche weltliche Verwaltungsaufgaben übernahm, nachdem die an spätrömischen Mustern orientierte Verwaltungspraxis der Merowingerzeit zusammengebrochen war. Diese Tradition wurde in West- und Ostfranken bis ins Hochmittelalter beibehalten. Aufgrund der effektiven Verbindung von Reich und Kirche in der Ottonen- und Salierzeit hat die ältere Forschung von einem Reichskirchensystem im Ostfrankenreich gesprochen. Tatsächlich hatte die Kirche aber ebenfalls in anderen christlichen Reichen des lateinischen Europas Verwaltungsaufgaben übernommen. Die christlichen Könige sowie vor allem die Kaiser übten eine Schutzherrschaft über die Kirche aus und waren oft bestrebt, dem Bild eines gerechten christlichen Idealherrschers wenigstens formal zu entsprechen. Kirchliche Konzile und Synoden wurden oft von den weltlichen Herrschern einberufen, gerade um das enge Zusammenwirken von Herrscher und Kirche zu demonstrieren. Mitte des 4. Jahrhunderts hatte Martin von Tours die erste Mönchsgemeinschaft im Westen Europas gegründet. Das Mönchtum gewann im Verlauf des Frühmittelalters zunehmend an Bedeutung. Einflussreich wurden die Mönchsregeln des Benedikt von Nursia. In den Klöstern war der Alltag von festen Abläufen geprägt. Die weitgehend von der Außenwelt abgeschirmten Mönche widmeten dabei ihr Leben und ihr Wirken ganz Gott, doch waren die Klöster ebenso ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor, da sie über Güter und Besitzungen verfügten. Das Mönchtum ist auch als Korrektiv zu einer Kirche zu verstehen, die sich zunehmend weltlichen Angelegenheiten zuwandte. Die Kirche war hierarchisch aufgebaut und verfügte über eine recht effektive Verwaltung. In der frühmittelalterlichen lateinischen Kirche genossen die einzelnen Bischöfe recht weitreichende Vollmachten. Nach dem Zusammenbruch der römischen Verwaltungsordnung im Westen kam den Bischofssitzen eine wichtige Verwaltungsaufgabe zu. Vor allem im südlichen Gallien, in Italien und auch in Spanien übernahmen Bischöfe politische Aufgaben, was zur Etablierung faktisch autonomer sogenannter „Bischofsrepubliken“ führte. Frömmigkeit und Gottesdienst Das geistige und religiöse Leben im lateinischen Europa war im Frühmittelalter äußerst vielfältig und es wirkten zahlreiche christliche Gelehrte. Als Beispiele seien für den lateinischen Westen unter anderem genannt: Gregor von Tours und Gregor der Große im späten 6. Jahrhundert, Alkuin, Einhard, Hrabanus Maurus und Hinkmar von Reims im 9. Jahrhundert sowie Notker von St. Gallen um 1000. Christliche Frömmigkeit war im Frühmittelalter allgegenwärtig, drückte sich aber recht unterschiedlich aus und veränderte sich von Zeit zu Zeit. Der Glaube an ein Reich Gottes im Jenseits war gängige Vorstellung, wodurch Tod und Teufel überwunden werden sollten. Die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft erfolgte durch die Taufe; noch in der Spätantike hatte sie nicht diese Bedeutung gehabt. Dem ging in der Regel das Katechumenat als Schulungszeit voraus. Die freiwillige Annahme war prinzipiell Voraussetzung, Zwangsbekehrung (obwohl teils praktiziert) galt nach dem Kirchenrecht als nicht gestattet und wurde von verschiedenen Päpsten (so von Gregor dem Großen) wiederholt abgelehnt. Die Kraft von Gottes Allmacht sollte durch gutes Handeln in der Gegenwart erlangt werden. Gott galt als gütig und gerecht, der aber durchaus Verfehlungen bestraft. Fehlverhalten erforderte daher eine angemessene Buße. Der Gottesdienst war von festen Ritualen geprägt, die innerhalb der Liturgie vor allem eine symbolische Bedeutung hatten. Wenngleich das Christentum eine Buchreligion ist, war aufgrund geringer Lesekenntnisse im Frühmittelalter der gesprochene Wortgottesdienst sehr bedeutend. Neben den lateinischen Gottesdiensten entstanden volkssprachige Gebete. Das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser waren von zentraler Bedeutung und wurden in mehrere Volkssprachen übertragen. In der Volksfrömmigkeit spielten Aberglauben, Heiligenverehrung und Reliquien eine wichtige Rolle. Sozialtätigkeit wie Armenfürsorge galt als religiöse Pflicht. Infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen entstand zunehmend eine Friedenserwartung, deren Realisierung man von kirchlichen Maßnahmen erhoffte und die teilweise erfüllt wurde (Gottesfriedensbewegung). Eschatologische Vorstellungen eines Weltenendes existierten zwar, doch ist in der neueren Forschung umstritten, wie stark die Endzeiterwartungen um 1000 ausgeprägt waren. Mission und Glaubensverschiedenheit Während des gesamten Frühmittelalters wurde die von den Päpsten geförderte Christianisierung, wozu die Germanenmission gehörte, in den paganen Gebieten Europas vorangetrieben. Dazu zählten Regionen, wo die germanische Religion in ihrer unterschiedlichen Ausprägung praktiziert wurde. Dies betraf noch nicht christianisierte rechtsrheinische Gebiete (so die Siedlungsgebiete der Bajuwaren und der Thüringer im 6. Jahrhundert sowie Sachsen in Nordwestdeutschland), Skandinavien (mit dem Hauptgott Odin sowie wichtigen Nebengöttern wie Thor und Tyr, siehe nordgermanische Religion) und Teile Britanniens (siehe angelsächsische Religion). Hinzu kamen Kulte im slawischen Raum, wo Perun, Svarog, Svarožić (Dazbog) und Veles wichtige Gottheiten darstellten. Neben älteren antiken Berichten, Runeninschriften und späteren Verarbeitungen (Edda) stammen viele der diesbezüglichen Berichte von christlichen Autoren. Pagane Gottheiten galten den Christen als Kreaturen des Teufels und als Dämonen. Wie bei den paganen Germanen spielte bei den Slawen Naturverehrung eine wichtige Rolle, ebenso war eine Jenseitsvorstellung hinsichtlich eines Lebens nach dem Tod verbreitet. Die slawischen Kulte waren recht stark gentilreligiös geprägt, also auf den jeweiligen Stammesraum bezogen. Die Christianisierung zuvor paganer Gebiete hatte nicht zuletzt Einfluss auf die dortigen Lebensverhältnisse: Totschlag oder Kindesaussetzungen wurden durch die neuen religiösen Regeln erschwert, die somit abmildernd wirkten; die verpflichtende Fürsorgetätigkeit unterschied den christlichen Glauben ebenfalls grundlegend von den paganen Kulten, in denen karitative Maßnahmen außerhalb der Familien nicht üblich waren. Die noch in der Spätantike begonnene Missionierung Irlands durch Mönche war im 6. Jahrhundert abgeschlossen. Im 7. Jahrhundert war die Christianisierung der Angelsachsen weitgehend abgeschlossen, doch bedeutete der Einfall der Wikinger im 9. Jahrhundert einen Rückschlag und erforderte teils neue Missionierungen. Irland, obwohl selbst nie Teil des römischen Reiches, nahm die antike Kultur auf und trug sie schließlich wieder in den kontinentaleuropäischen Raum zurück. So ist es kein Zufall, dass nicht zuletzt irische Gelehrte in karolingischer Zeit im Frankenreich wirkten. Irische Mönche wie Columban beteiligten sich zudem aktiv an der Christianisierung (Iroschottische Mission), auch in noch paganen Gebieten in der ehemaligen Germania magna. Bonifatius war im 8. Jahrhundert im rechtsrheinischen Raum sehr aktiv und gründete das später bedeutende Kloster Fulda. Die Sachsen, für die die Irminsul ein wichtiges Heiligtum war, wurden erst durch die blutigen Sachsenkriege Karls des Großen im späten 8./frühen 9. Jahrhundert gewaltsam christianisiert. Um 900 bildete die Elbe die Grenze zum paganen Raum. Die Ottonen betrieben im 10./11. Jahrhundert eine aktive Missionierungspolitik im Slawenland, die aber mit erheblichen Rückschlägen wie dem Slawenaufstand von 983 verbunden war. In vielen Regionen verlief die Christianisierung im Frühmittelalter nicht gewaltsam, sondern friedlich, das heißt, das christliche Bekenntnis wurde freiwillig angenommen. Des Weiteren war die Zwangstaufe kirchlich sehr umstritten; sie wurde wiederholt von päpstlicher Seite abgelehnt und war kirchenrechtlich zudem untersagt, wenngleich nach den gleichen Beschlüssen Zwangsgetaufte dazu angehalten waren, Christen zu bleiben. Die Bulgaren und Serben übernahmen in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts das Christentum, Kiewer Rus wurde im späten 10. Jahrhundert, die Polen und (die nicht slawischen) Ungarn wurden um 1000 christianisiert. Um die Jahrtausendwende war die Christianisierung auch in Dänemark und Norwegen weitgehend erfolgreich. Die Missionstätigkeit im Norden wurde im 9./10. Jahrhundert maßgeblich vom Erzbistum Hamburg-Bremen übernommen. Die Christianisierung dieser Gebiete erfolgte in der Regel durch Bekehrung der Oberschicht. Dieser Prozess verlief langsam und war nicht immer spannungsfrei. Pagane Bräuche hielten sich zudem noch längere Zeit im Alltag. Die Christianisierung der Slawen, Ungarn und Skandinavier bedeutete eine erhebliche Ausdehnung des christlichen Kulturkreises. Byzantinische Missionare wirkten vor allem im östlichen und südöstlichen Europa, wo im 9. Jahrhundert die Brüder Methodios und Kyrill bei der Slawenmission erfolgreich waren; durch sie wurde außerdem die Grundlage für das Kirchenslawische geschaffen (siehe Glagolitische Schrift). Im Osten Europas konkurrierten lateinische und griechische Missionare, da die Zuständigkeit der neuen christlichen Gebiete entweder Rom oder Konstantinopel zufiel. So unterstellten sich Serbien und Bulgarien dem Patriarchat von Konstantinopel. In Bulgarien wurde 927 ein eigenes Patriarchat errichtet, das nach der byzantinischen Eroberung im frühen 11. Jahrhundert zum Erzbistum zurückgestuft wurde. In Byzanz bestanden innerhalb des Reichsgebiets bis ins 7. Jahrhundert erhebliche religiöse Spannungen zwischen den Vertretern der orthodoxen Reichskirche sowie den Nestorianern und den Miaphysiten. Mehrere kaiserliche Lösungsversuche schlugen fehl. Diese religionspolitische Problematik wurde faktisch durch die arabische Eroberung der byzantinischen Ostprovinzen im 7. Jahrhundert „gelöst“, denn die verbleibende Reichsbevölkerung (einschließlich nach Kleinasien strömender Flüchtlinge) war ganz überwiegend orthodoxen Glaubens. Die christliche Kirche in Nordafrika, die bedeutende Denker wie Augustinus von Hippo hervorgebracht hatte, verlor zunehmend an Bedeutung und erlosch schließlich. Dort bereitete ab 645 eine konfessionell bedingte Erhebung die Islamisierung vor. Schon seit etwa 640 betrieb Maximus Confessor seine Polemik gegen den Monotheletismus, der vielfach von Flüchtlingen aus den von Arabern eroberten Gebieten mitgebracht wurde. Er konnte 645 in einer öffentlichen Disputation den ehemaligen Patriarchen von Konstantinopel Pyrrhos I. von seiner dyotheletischen Lehre überzeugen. Ihre Lehren stimmten zwar darin überein, dass Jesus Christus zwei Naturen, nämlich eine göttliche und eine menschliche habe, aber in Konstantinopel herrschte zu dieser Zeit der Glaube an nur einen Willen oder ein Ziel vor, während Karthago und auch Rom an das Wirken zweier getrennter Willen in der Person Christi glaubten. Die christlichen Kirchen in Ägypten, Syrien und Mesopotamien behielten hingegen längere Zeit ihre Bedeutung (christliche Minderheiten sind noch heute in Ägypten und Syrien vorhanden) und die Mehrheit der Bevölkerung unter arabischer Herrschaft blieb noch lange christlich. Manche Christen waren sogar am Kalifenhof als Gelehrte tätig, wie z. B. Mitte des 8. Jahrhunderts Theophilos von Edessa. Die relativ tolerante arabische Herrschaft stieß anscheinend auf keinen nennenswerten Widerstand. Anhänger der Buchreligionen (Christen, Juden und Zoroastrier) mussten zwar eine spezielle Kopfsteuer (Dschizya) zahlen, durften ihren Glauben nicht öffentlich ausüben und keine Waffen tragen, blieben ansonsten aber zunächst weitgehend unbehelligt. Teils war auch eine besondere Kleidungspflicht für Christen vorgeschrieben. Ende des 7. Jahrhunderts verstärkte sich aber der Druck auf die christliche Mehrheitsbevölkerung: 699 löste im Kalifenreich Arabisch die bisherigen Verwaltungssprachen Griechisch und Mittelpersisch ab und Christen wurden von staatlichen Positionen ausgeschlossen. Das Gesellschaftsleben wurde zunehmend auf den neuen Glauben ausgerichtet und es kam zu verstärkten Diskriminierungen von Nichtmuslimen. Dies hing mit der jeweiligen Religionspolitik des regierenden Kalifen zusammen, die seit dem späten 7. Jahrhundert den Druck auf die nichtsmuslimische Bevölkerung nicht unerheblich verstärkten, sich in innerchristliche Angelegenheiten einmischten und auch Kirchengüter konfiszierten. Bilderstreit in Byzanz Mit der Regierungszeit der byzantinischen Kaiser Leo III. und Konstantin V. wird traditionell ein wichtiger Abschnitt der byzantinischen Geschichte verbunden, der Beginn des sogenannten Bilderstreits, der erst Mitte des 9. Jahrhunderts endete. Den Bilderstreit soll Leo entfacht haben, als er 726 die Christus-Ikone über dem Chalketor am Kaiserpalast entfernt und bald darauf ein Gesetz erlassen habe, das angeblich die Verehrung der Ikonen verbot. In der Forschung wurden dazu unterschiedliche mögliche Motive diskutiert. Das Resultat sei ein „Bildersturm“ (Ikonoklasmus) gewesen, verbunden mit Zerstörungen von Heiligenbildern und Verfolgungen. Diese Schilderung entspricht der modernen Forschung zufolge aber keineswegs der Realität. Äußerst problematisch ist vor allem die Quellenlage, da fast ausschließlich Berichte der letztlich siegreichen Seite, der Bilderfreunde (Ikonodulen), erhalten sind und in ihnen nachweislich Geschichtsumdeutungen vorgenommen wurden. In mehreren dieser Werke wird gegen die militärisch erfolgreichen und durchaus nicht unbeliebten Kaiser Leo und Konstantin polemisiert (so in byzantinischen Geschichtswerken wie der Chronik des Theophanes). Unzweifelhaft ist, dass die byzantinischen Kaiser, aufgrund der vergleichsweise schwachen Stellung des Patriarchen von Konstantinopel, einen starken Einfluss auf die Religionspolitik des Reiches hatten. Es ist aber nicht einmal sicher, ob Leo III. tatsächlich konkrete Maßnahmen gegen die Bilderverehrung ergriff, denn belastbare Belege für ein gesetzliches Verbot fehlen. Konstantin V. wiederum hat zwar theologische Traktate gegen die Bilderverehrung verfasst und 754 das Konzil von Hiereia einberufen, anschließend aber kaum ernsthafte Schritte eingeleitet. Zwar war Konstantin offenbar kein Anhänger der Bilderverehrung, Vorwürfe gegen ihn werden aber nicht in zeitgenössischen, sondern in den später entstandenen ikonodulen Quellen erhoben. Mehrere harte Maßnahmen gegen politische Gegner des Kaisers sind demnach erst im Nachhinein zu Maßnahmen gegen Bilderfreunde umgeschrieben worden. Die Auseinandersetzung um die Bilder fand also Mitte des 8. Jahrhunderts zwar statt, jedoch nicht in der überlieferten Form; dass die Bevölkerung den Ikonoklasmus mehrheitlich abgelehnt hätte, ist ebenfalls nicht gesichert. Generell ist es fraglich, ob der Bilderstreit in Byzanz die Bedeutung hatte, wie es die späteren Quellen suggerieren. Das zweite Konzil von Nikaia 787 erlaubte die Bilderverehrung nur in bestimmten Grenzen, die Mehrheit der Bischöfe wird wohl noch ikonoklastisch orientiert gewesen sein. Im frühen 9. Jahrhundert flammte der Bilderstreit unter Leo V. (reg. 813–820) wieder auf, wenngleich wohl vor allem das öffentliche Bekenntnis von Bedeutung war. Hintergrund dürfte die Erinnerung an die militärischen Erfolge der „ikonoklastischen Kaiser“ gewesen sein, die bis dahin nicht wiederholt werden konnten. Die neue kaiserliche Politik wurde, wie anscheinend bereits zuvor, von zahlreichen Kirchenführern und Mönchen unterstützt. Kaiser Michael III. (reg. 842–867) gestattete jedoch 843 wieder die Ikonenverehrung und beendete damit den Bilderstreit. Literatur Gesamtdarstellungen und Überblickswerke The New Cambridge Medieval History. Hrsg. von Paul Fouracre u. a. Band 1–3. Cambridge University Press, Cambridge 1995–2005.(Die wohl umfassendste Darstellung des Frühmittelalters mit umfangreicher Bibliographie.) Arnold Angenendt: Das Frühmittelalter. Die westliche Christenheit von 400 bis 900. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1990; 3. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln 2001, ISBN 3-17-017225-5.(Gesamtdarstellung mit dem Schwerpunkt Kirchen- und Mentalitätsgeschichte.) Peter Brown: The Rise of Western Christendom. 2., erweiterte Auflage. Blackwell, Oxford 2003, ISBN 0-631-22138-7.(Darstellung der Entwicklung von der Spätantike ins Mittelalter mit dem Schwerpunkt Christentums- und Kulturgeschichte.) Roger Collins: Early Medieval Europe 300–1000. 3., überarbeitete Auflage. Palgrave, Basingstoke u. a. 2010, ISBN 0-230-00673-6.(Aktuelle und gut lesbare Darstellung mit dem Schwerpunkt politische Geschichte unter Einbeziehung der Religions- und Kulturgeschichte.) Johannes Fried: Die Formierung Europas 840–1046 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Band 6). 3. Auflage. Oldenbourg, München 2008. Hans-Werner Goetz: Europa im frühen Mittelalter. 500–1050 (= Handbuch der Geschichte Europas. Band 2). Ulmer, Stuttgart 2003, ISBN 3-8001-2790-3.(Überblick mit dem Schwerpunkt Strukturgeschichte.) Erik Hermans (Hrsg.): A Companion to the Global Early Middle Ages. Arc Humanities Press, Leeds 2020. Matthew Innes: Introduction to Early Medieval Western Europe, 300–900: The Sword, the Plough and the Book. Routledge, London u. a. 2007. Reinhold Kaiser: Die Mittelmeerwelt und Europa in Spätantike und Frühmittelalter (= Neue Fischer Weltgeschichte. Band 3). S. Fischer, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-10-010823-4. Franz Neiske: Europa im frühen Mittelalter 500–1050: Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Primus, Darmstadt 2006. Johannes Preiser-Kapeller: Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300–800 n. Chr. Mandelbaum Verlag, Wien 2018.(Globalgeschichtlicher Überblick der Verflechtungen im eurasischen und ostafrikanischen Raum im Rahmen einer „langen Spätantike“. Besprechungen bei H-Soz-Kult von Lutz Berger, Stefan Esders und Marcus Bingenheimer.) Friedrich Prinz: Von Konstantin zu Karl dem Großen. Entfaltung und Wandel Europas. Artemis und Winkler, Düsseldorf/Zürich 2000, ISBN 3-538-07112-8.(Fundierte und gut lesbare Darstellung, die vor allem die Kontinuitäten und Brüche der Spätantike zum Mittelalter hin herausarbeitet.) Peter Sarris: Empires of Faith. The Fall of Rome to the Rise of Islam, 500–700. Oxford University Press, Oxford 2011.(Zum Übergang Spätantike/Frühmittelalter mit starker Berücksichtigung der politischen Geschichte.) Rudolf Schieffer: Christianisierung und Reichsbildung. Europa 700–1200. C.H. Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-65375-9.(Knappes, aktuelles Überblickswerk, das zeitlich bis ins Hochmittelalter reicht und den Schwerpunkt auf die politische Geschichte legt.) Chris Wickham: The Inheritance of Rome. A History of Europe from 400 to 1000. Penguin, London 2009.(Aktuelle und gut lesbare Gesamtdarstellung des Frühmittelalters.) Literatur zu einzelnen Themenbereichen Kunibert Bering: Kunst des frühen Mittelalters (= Kunst-Epochen. Band 2). 2. Auflage. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-018169-0. Franz Brunhölzl: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. Wilhelm Fink Verlag, München 1975 (Band 1); München 1992 (Band 2).(Überblick zur lateinischen Literatur von der ausgehenden Spätantike bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts.) Jörg W. Busch: Die Herrschaften der Karolinger 714–911. Oldenbourg, München 2011. Florin Curta: Eastern Europe in the Middle Ages (500–1300). Brill, Leiden/Boston 2019.(Aktuelle Darstellung zu Osteuropa bis ins Hochmittelalter mit einer umfassenden Bibliographie.) Falko Daim (Hrsg.): Byzanz. Historisch-kulturwissenschaftliches Handbuch (= Der Neue Pauly, Supplemente. Bd. 11). Metzler, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-476-02422-0.(Aktuelles Handbuch zur Geschichte von Byzanz.) Gilbert Dragon, Pierre Riché und André Vauchez (Hrsg.): Die Geschichte des Christentums. Band 4: Bischöfe, Mönche und Kaiser (642–1054). Herder, Freiburg (Breisgau) u. a. 1994.(Umfassende Darstellung des Christentums im Frühmittelalter, einschließlich der Ostkirchen.) Bonnie Effros, Isabel Moreira (Hrsg.): The Oxford Handbook of the Merovingian World. Oxford University Press, Oxford u. a. 2020. Stefan Esders, Yaniv Fox, Yitzhak Hen (Hrsg.): East and West in the Early Middle Ages. The Merovingian Kingdoms in Mediterranean Perspective. Cambridge University Press, Cambridge 2019. Johannes Fried: Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024 (= Propyläen Geschichte Deutschlands. Bd. 1). Propyläen, Berlin 1994, ISBN 3-549-05811-X.(Umfassende und gut lesbare, aber recht unkonventionelle Darstellung.) Hugh N. Kennedy: The Prophet and the Age of the Caliphates. The Islamic Near East from the sixth to the eleventh Century. 2. Auflage. Pearson Longman, Harlow u. a. 2004, ISBN 0-582-40525-4.(Einführung in die frühislamische Geschichte.) Ralph-Johannes Lilie: Byzanz – Das zweite Rom. Siedler, Berlin 2003, ISBN 3-88680-693-6.(Gut lesbare Gesamtdarstellung der byzantinischen Geschichte.) Mischa Meier: Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert. C. H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-73959-0.(Die derzeit aktuelle und umfassendste Darstellung zur Völkerwanderungszeit.) Rory Naismith: Early Medieval Britain, c. 500–1000. Cambridge University Press, Cambridge 2021. Lutz E. von Padberg: Die Christianisierung Europas im Mittelalter. 2. Auflage. Reclam, Stuttgart 2009, ISBN 3-15-017015-X. Walter Pohl (Hrsg.): Die Suche nach den Ursprüngen – Von der Bedeutung des frühen Mittelalters (= Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Band 8). Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien 2004, ISBN 3-7001-3296-4. Johannes Preiser-Kapeller: Byzanz. Das Neue Rom und die Welt des Mittelalters. Beck, München 2023. Reinhard Schneider: Das Frankenreich (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 5). 4. Auflage. Oldenbourg, München 2001.(Knappe Darstellung mit Forschungsüberblick und umfassender Bibliographie.) Klaus von See (Hrsg.), Peter Foote (Mitverf.): Europäisches Frühmittelalter. In: Klaus von See (Hrsg.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Bd. 6. Aula-Verlag, Wiesbaden 1985, ISBN 3-89104-054-7. Julia M. H. Smith: Europe after Rome. A New Cultural History 500–1000. Oxford University Press, Oxford 2005.(Problemorientierter kulturgeschichtlicher Überblick.) Christoph Stiegemann u. a. (Hrsg.): CREDO. Christianisierung Europas im Mittelalter. 2 Bde., Michael Imhof Verlag, Petersberg 2013.(Katalog und Essayband, in denen die Christianisierung Europas umfassend geschildert wird.) Chris Wickham: Framing the Early Middle Ages. Europe and the Mediterranean, 400–800. Oxford University Press, Oxford 2005.(Grundlegende wirtschafts- und sozialgeschichtliche Darstellung.) Weblinks Internet Medieval Sourcebook (Quellentexte in englischer Übersetzung) E-Lexikon des Projekts Formulae-Litterae-Chartae. Neuedition der frühmittelalterlichen Formulae der Universität Hamburg. Anmerkungen Germanische Altertumskunde Historisches Zeitalter
1610
https://de.wikipedia.org/wiki/Fluss%20%28Begriffskl%C3%A4rung%29
Fluss (Begriffsklärung)
Fluss (von ‚Fließen‘) steht für: Fluss, größeres Fließgewässer Atmosphärischer Fluss, tropische Luftströmungen in gemäßigten Breiten. Fluss (Physik), die Anzahl von Teilchen, die Masse, die Energie etc., die sich pro Zeitspanne durch eine Fläche bewegt Flüsse und Schnitte in Netzwerken, spezielle Abbildung von der Menge der Kanten in die Menge der reellen Zahlen Fluss (Mathematik), ein Konzept, das es ermöglicht, zeitabhängige (System-)Zustände zu beschreiben die Lösung eines vektoriellen Oberflächenintegrals (Flussintegral) in der Mathematik eine Heroldsbildbezeichnung in der Heraldik, siehe Fluss (Heraldik) Fluss (Krankheit), eine früher als Fluss schädlicher Körpersäfte gedachte Krankheit (auch in Form von Sekret, etwa als „Weißer Fluss“ ein Scheidenausfluss); zum Beispiel Wochenfluss, Schlagfluss oder „Stickfluss“ (beim Lungenödem) – vgl. auch Rheuma und Katarrh Flussmittel, Zusatzstoffe, die den Schmelzvorgang und die Handhabung geschmolzener Stoffe erleichtern Fluss oder Fluß ist der Familienname folgender Personen: Grete Fluss (1892–1964), deutsche Sängerin, Humoristin und Schauspielerin Manfred Fluß (* 1943), deutscher Politiker Max Fluß (1889–1935), österreichischer Historiker und Gymnasiallehrer Robin Fluß (* 1996), deutscher Fußballspieler Uschi Werner-Fluss (1924–2002), Kölner Original und Sängerin Siehe auch: Sigmund Fluss, Brünner Dampfkunstfärberei, Appretur und chemische Waschanstalt während der österreichisch-ungarischen Monarchie
1614
https://de.wikipedia.org/wiki/Fata%20Morgana
Fata Morgana
Eine Fata Morgana (auch Luftspiegelung) ist ein durch Ablenkung des Lichtes an unterschiedlich warmen Luftschichten auf dem fermatschen Prinzip basierender optischer Effekt. Es handelt sich hierbei um ein physikalisches Phänomen und nicht um eine visuelle Wahrnehmungstäuschung oder optische Täuschung. Der französische Physiker Gaspard Monge hat 1798 in Niederägypten erstmals Luftspiegelungen naturwissenschaftlich untersucht und gedeutet. Wortherkunft Das Wort „Fata Morgana“ stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist dem italienischen „Fee Morgana“ () entlehnt. Das italienische gehört zum lateinischen (Schicksal, Weissagespruch) und (sprechen). Der Frauenname Morgana entstammt dem griechischen , (Perle) (arabisch ). Im Volksglauben wurde die „Fee Morgana“ ursprünglich für die Luftspiegelungen in der Straße von Messina verantwortlich gemacht und dann später als Bezeichnung für ähnliche Phänomene an anderen Orten übertragen. Erklärung und Vorkommen Der Brechungsindex heißer Luft ist geringer als jener der kälteren Luft. Lichtstrahlen, die zunächst eine kalte Luftschicht durchqueren und anschließend in flachem Winkel auf wärmere Luftschichten stoßen, werden vom optisch dünneren Medium bis hin zu einer Totalreflexion weggebrochen. Dafür ist keine scharfe Grenze zwischen heißer und kalter Luft notwendig, es muss auch nicht windstill sein. Kontinuierliche Änderung des Brechungsindex bewirkt eine Krümmung der Strahlen. Wenn in Wüsten solche Luftschichtungen in größerer Höhe auftreten, sieht man Spiegelungen am Himmel, die Fata Morgana. Auch Vergrößerungen sind möglich, ebenso Mehrfachspiegelungen, welche die gespiegelten Objekte wieder aufrecht erscheinen lassen. Seefahrer früherer Jahrhunderte nannten solche Erscheinungen bei Schiffen auch fliegender Holländer. An der Straße, die westlich des Nils zwischen Assuan und Abu Simbel in Ägypten verläuft, bildet sich in den Sommermonaten mit ziemlicher Regelmäßigkeit wegen der kaum sich ändernden Wetterlage und Sonneneinstrahlung eine Fata Morgana. Die Touristenbusse stoppen hier und die Passagiere können eine Oase mit mehreren gespiegelten Wasserstellen fotografieren. Etymologie Die Bezeichnung Fata Morgana kommt aus dem Italienischen. Sie bedeutet Fee Morgana, ein Name aus der im Mittelalter in ganz Europa verbreiteten Artussage. Morgana bewohnte die mystische und für Sterbliche unerreichbare Insel Avalon. Dementsprechend wurde die Erscheinung einer nicht vorhandenen Insel in der Straße von Messina zwischen dem italienischen Festland und Sizilien mit ihr in Verbindung gebracht. Literatur H. Dittmar-Ilgen: Warum platzen Seifenblasen. Hirzel, Stuttgart 2003, ISBN 3-7776-1149-2, S. 144. Weblinks Anschauliche Erklärung von oberer und unterer Luftspiegelung und scheinbarer Verformungen der Sonne Gekrümmte Lichtstrahlen, Terrestrische Refraktion Einzelnachweise Photometeor Optische Täuschung Italienische Phrase
1615
https://de.wikipedia.org/wiki/Fuzzylogik
Fuzzylogik
Fuzzylogik ( ‚verwischt‘, ‚verschwommen‘, ‚unbestimmt‘; fuzzy logic, fuzzy theory ‚unscharfe Logik‘ bzw. ‚unscharfe Theorie‘) oder Unschärfelogik ist eine Theorie, welche in der Mustererkennung zur „präzisen Erfassung des Unpräzisen“ (Zadeh) entwickelt wurde, sodann der Modellierung von Unschärfe von umgangssprachlichen Beschreibungen von Systemen dienen sollte, heute aber überwiegend in angewandten Bereichen wie etwa der Regelungstechnik eine Rolle spielt. Anders als die herkömmliche Boolesche Logik, basiert Fuzzylogik auf den unscharfen (fuzzy) Mengen (Fuzzy-Sets). Eine Eigenschaft eines Gegenstands wird in beiden Modellen als die Zugehörigkeit zu einer Menge gefasst, aber in der Fuzzylogik wird die Zugehörigkeit nicht durch eine ja/nein-Unterscheidung scharf definiert, sondern ist graduell abgestuft. Das geschieht durch Zugehörigkeitsfunktionen, die jedem Element einen numerischen Wert aus einem Intervall als Zugehörigkeitsgrad zuordnen. Die so eingeführten neuen Mengenoperationen definieren die Operationen eines zugehörigen Logikkalküls, der die Modellierung von Inferenzprozessen erlaubt. Historische Entwicklung Die Überlegungen zu einer Logik der Unschärfe reichen zurück in die griechische Antike. Bereits der Philosoph Platon postulierte, dass zwischen den Begriffen wahr und falsch ein dritter Bereich liege. Dies stand ganz im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Aristoteles, welcher die Präzision der Mathematik darin begründete, dass eine Aussage nur entweder wahr oder falsch sein kann. Bezüge zum modernen Begriff der Unschärfe hat auch der von Georg Wilhelm Friedrich Hegel geprägte Begriff der Gedoppelten Mitte. Die Fuzzy-Set-Theorie, also die unscharfe Mengenlehre, wurde 1965 von Lotfi Zadeh an der University of California, Berkeley entwickelt. Die Fuzzy-Set-Theorie nahm in den 1980er Jahren vor allem in Japan ihren Aufschwung mit der sogenannten japanischen Fuzzy-Welle. Die Fuzzy-Set-Theorie wurde als Fuzzy-Regler erfolgreich in industriellen Prozessen eingesetzt. Ein historisches Beispiel ist die Regelung der vollautomatischen U-Bahn Sendai, die erste erfolgreiche Großanwendung mit Fuzzylogik in der Praxis. Später fand die Fuzzylogik auch in Geräten der Unterhaltungselektronik breite Anwendung. Die europäische Fuzzy-Welle kam erst Mitte der 1990er Jahre, als die Grundsatzdiskussionen über die Fuzzylogik verebbten. Zu den deutschen Pionieren gehört Harro Kiendl. Fuzzy-Set-Theorie Die Fuzzy-Set-Theorie ist von der mehrwertigen Logik zu unterscheiden, die in den 1920er Jahren von dem polnischen Logiker Jan Łukasiewicz beschrieben wurde. Im engeren Sinne kann die so genannte Fuzzylogik zwar als eine mehrwertige Logik gedeutet werden, und insofern gibt es eine gewisse Nähe zur mehrwertigen Logik, für deren Wahrheitswert einer logischen Aussage Zahlen aus dem reellen Einheitsintervall [0, 1] (die reellen Zahlen von 0 bis 1) verwendet werden. Allerdings fasst Lotfi Zadeh die Fuzzy-Set-Theorie als Formalisierung von unbestimmten Begriffsumfängen im Sinne einer referenziellen Semantik auf, was ihm erlaubt, die Unschärfe der Zugehörigkeit von Objekten als Elemente der zu definierenden Mengen graduell über numerische Werte zwischen 0 und 1 anzugeben. Damit eröffnete sich eine weitergehende, linguistische Interpretation der Fuzzy-Set-Theorie als Basis einer Logik der Unschärfe. Die Bezeichnung Fuzzy Logic wurde zunächst auch nicht von Zadeh, sondern erst später von dem ebenfalls in Berkeley lehrenden Linguisten George Lakoff benutzt, nachdem Joseph Goguen, ein Doktorand Zadehs, eine Logik unscharfer Begriffe eingeführt hatte. In der linguistischen Semantik wird heute die Fuzzylogik aber mehrheitlich als nicht geeignet angesehen, um ein Modell für Vagheit und ähnliche Phänomene der natürlichen Sprache zu liefern. Anstatt einer unbestimmten Aussage einen Wahrheitswert zuzuweisen, der eine reelle Zahl zwischen 0 (falsch) und 1 (wahr) ist, wird die Methode der Supervaluation bevorzugt, bei der die Zuweisung eines klassischen Wahrheitswertes (0;1) aufgeschoben ist, weil sie erst noch von einem Parameter abhängt, der durch Information aus dem Kontext belegt werden muss. Das zugrundeliegende Modell bezeichnet man als eine partielle Logik (die in einem klaren Gegensatz zu mehrwertigen Logiken steht). Unscharfe Mengen Grundlage der Fuzzylogik sind die sogenannten unscharfen Mengen (engl.: fuzzy sets). Im Gegensatz zu traditionellen Mengen (im Kontext der Fuzzylogik auch scharfe Mengen genannt), in denen ein Element einer vorgegebenen Grundmenge entweder enthalten oder nicht enthalten ist, wird eine unscharfe (fuzzy) Menge nicht durch die Objekte definiert, die Elemente dieser Menge sind (oder nicht sind), sondern über den Grad ihrer Zugehörigkeit zu dieser Menge. Das geschieht durch Zugehörigkeitsfunktionen μA: X → [0,1], die jedem Element der Definitionsmenge X eine Zahl aus dem reellwertigen Intervall [0,1] der Zielmenge zuordnen, welche den Zugehörigkeitsgrad μA(x) jeden Elements x zur so definierten unscharfen Menge A angibt. Damit wird jedes Element zum Element jeder unscharfen Menge, aber mit jeweils unterschiedlichen, eine bestimmte Teilmenge definierenden Zugehörigkeitsgraden. Zadeh erklärte hierzu neue Mengenoperationen, die als Operationen eines neuen Logikkalküls die mehrwertige Fuzzylogik begründen und sie als eine Verallgemeinerung der zweiwertigen, klassischen Logik ausweisen, welche als Spezialfall in ihr enthalten ist. Diese Operationen auf unscharfen Mengen sind wie auf scharfen Mengen definierbar, wie z. B. die Bildung von Schnittmengen (UND), Vereinigungsmengen (ODER) und Komplementmengen (NICHT). Zur Modellierung der logischen Operatoren der Konjunktion (UND), der Disjunktion (ODER) und der Negation (NICHT) bedient man sich der Funktionsklassen der T-Norm und T-Conorm. Negation Die Negation in der Fuzzylogik erfolgt durch Subtraktion der Eingabewerte von 1. Also NOT(A)=1-A Nicht ausschließende-ODER-Schaltung Die Adjunktion erfolgt durch Wahl des jeweils höheren Wertes der Eingabewerte. Also OR(A;B)=A wenn A>B B wenn A<=B UND-Schaltung Die Konjunktion erfolgt durch Wahl des jeweils niedrigeren Wertes der Eingabewerte. Also AND(A;B)=A wenn A<B B wenn A>=B Ausschließende-ODER-Schaltung Für die Disjunktion komplementiert man den kleineren zweier Werte und wählt den kleineren der beiden. Für mehr als zwei Eingabewerte setzt man das Ergebnis der letzten Operation rekursiv mit dem jeweils nächsten Eingabewert ein. Einfacher: man nimmt die Differenz des weniger Extremen von dem ihm gegenüberliegenden Extremwert. Also XOR(A;B)=A wenn A>B und A<(1-B) 1-B wenn A>B und A>=(1-B) B wenn B>=A und B<(1-A) 1-A wenn B>=A und B>=(1-A) Fuzzyfunktionen Zusammenfassungen einzelner Zugehörigkeitsfunktionen ergeben die Fuzzyfunktionen. Ein Beispiel dafür ist eine Fuzzyfunktion für das Alter eines Menschen. Diese könnte aus mehreren dachförmigen Dreiecken bestehen, die ihrerseits für verschiedene Alterstypen stehen und Zugehörigkeitsfunktionen dieser einzelnen Alterstypen darstellen. Jedes Dreieck deckt einen Bereich von mehreren Jahren des Menschenalters ab. Ein Mensch mit 35 Jahren hätte so die Eigenschaften: jung mit der Wertung 0,75 (das ist noch relativ viel), mittleres Alter mit der Wertung 0,25 (das ist ein bisschen) und von den übrigen Funktionen nichts. Anders ausgedrückt: mit 35 ist man ziemlich viel jung und ein bisschen mittel. Die Fuzzyfunktion ordnet jedem Alterswert eine ihn charakterisierende Zugehörigkeitsfunktion zu. Diese Dreiecksgestalt ist allerdings keineswegs zwingend, generell können die Werte von Fuzzy-Funktionen beliebige Gestalt haben, solange deren Funktionswerte im Intervall [0,1] bleiben. In der Praxis werden solche Dreieckfunktionen aufgrund ihrer einfachen Berechenbarkeit jedoch gerne verwendet. Relativ weit verbreitet sind noch Trapeze (nicht notwendigerweise spiegelsymmetrisch), aber auch Halbkreise finden sich in einigen Anwendungen. Auch können sich prinzipiell mehr als zwei Abschnitte einer Fuzzy-Funktion überlappen (beim hier betrachteten Beispiel scheint das aber nicht sinnvoll zu sein). In vielen Fällen werden Fuzzyfunktionen über Tabellen aus statistischen Erhebungen erzeugt. Diese können auch von der Anwendung selbst erhoben werden soweit eine Rückkopplung gegeben ist, wie in der Fahrstuhlsteuerung. Praktisch bedeutsam ist auch, die Erfahrungen und Intuitionen eines Experten auf dem jeweiligen Gebiet in eine Fuzzyfunktion mit einfließen zu lassen, insbesondere dann, wenn überhaupt keine statistischen Aussagen vorhanden sind, beispielsweise dann, wenn es sich um ein komplett neu zu beschreibendes System handelt. Beispiel für eine nicht-lineare Fuzzy-Funktion Ein Beispiel für eine nicht-lineare Zugehörigkeitsfunktion bildet die folgende Sigmoidfunktion: Die Kurve drückt durch die Form des Buchstabens S eine ansteigende Zugehörigkeit zu der jeweils beschriebenen Menge durch einen Wert im Wertebereich [0,1] aus. Je nach Anwendungsfall lässt sich eine abnehmende Zugehörigkeit durch eine entsprechende Z-Kurve ausdrücken: Der Parameter gibt hierbei den Wendepunkt der S-Kurve an, der Wert bestimmt die Neigung der Kurve. Je größer gewählt wird, desto flacher wird der Verlauf der resultierenden Funktion. Das Alter eines Menschen lässt sich mittels dieser Kurve wie folgt als Fuzzy-Funktion darstellen: Dabei können die umgangssprachliche Modifikatoren sehr, mehr oder weniger sowie nicht sehr durch einfache Modifikation einer gegebenen Funktion dargestellt werden: Der umgangssprachlich verstärkende Modifikator sehr kann in Form eines erhöhten Exponenten dargestellt werden (im Beispiel ). Das Ergebnis ist ein steilerer Kurvenverlauf im Vergleich zur Ausgangsfunktion. Der umgangssprachliche Modifikator mehr oder weniger kann durch Verwendung eines niedrigeren Exponenten bzw. der Quadratwurzel auf eine gegebene Funktion ausgedrückt werden(). Das Ergebnis ist ein flacherer Kurvenverlauf im Vergleich zur Ausgangsfunktion. Die Negation eines umgangssprachlichen Ausdrucks lässt durch eine einfache Subtraktion darstellen (). Den Anwendungsfällen entsprechend handelt es sich bei dieser Form der Repräsentation um linguistische Variablen. Letztlich wird aus den einzelnen gewichteten Aussagen ein einziger Zahlenwert berechnet, der das Alter in mathematischer Form auszudrücken vermag. Mit diesem Wert lässt sich dann präzise weiterarbeiten. Auch bei dieser so genannten Defuzzyfikation sind viele Verfahren möglich, das bekannteste (aber bei weitem nicht immer beste) ist sicherlich die Methode Center-of-Gravity, bei der der Zahlenwert gewichtet nach der Masse der geometrischen Form der einzelnen Abschnitte der Zugehörigkeitsfunktion gebildet wird. Eine andere Möglichkeit ist, einfach einen gewichteten Mittelwert der Funktionswerte zu bilden. Anwendungsbeispiele Fuzzylogik wird heute in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt: Eine wesentliche Anwendung sind Fuzzy-Regler, z. B. in der Automatisierungstechnik, Medizintechnik, Unterhaltungselektronik, Fahrzeugtechnik und anderen Bereichen der Regelungstechnik, in denen Fuzzy-Regler verstärkt mit konventionellen Reglern konkurrieren. Anwendung findet sie auch in der künstlichen Intelligenz, in Inferenzsystemen, in der Spracherkennung und zum Beispiel in der Elektrosicherheit. Nützen kann Fuzzylogik besonders dann, wenn keine mathematische Beschreibung eines Sachverhaltes oder Problems vorliegt, sondern nur eine verbale Beschreibung. Auch wenn – wie fast immer – das vorhandene Wissen Lücken aufweist oder teilweise veraltet ist, bietet sich der Einsatz von Fuzzylogik an, um noch zu einer fundierten Aussage über einen aktuellen oder künftigen Systemzustand zu gelangen. Dann wird aus sprachlich formulierten Sätzen und Regeln mittels Fuzzylogik eine mathematische Beschreibung gewonnen, die in Rechnersystemen genutzt werden kann. Interessant ist dabei, dass mit der Fuzzylogik auch dann Systeme sinnvoll gesteuert (bzw. geregelt) werden können, wenn ein mathematischer Zusammenhang zwischen den Ein- und Ausgabegrößen eines Systems nicht darstellbar ist – oder nur mit großem Aufwand erfolgen könnte, wodurch eine Automatisierung zu teuer oder nicht in Echtzeit realisierbar wäre. Dies ist häufig bei defekten oder ungenauen Sensoren der Fall, deren Funktion mit Fuzzylogik kompensiert werden kann. Weitere Anwendungen sind die Regelung von U-Bahnen, die Prognose der zukünftigen Last in Routern, Gateways oder Mobilfunk-Basisstationen, die Steuerung automatischer Getriebe in Automobilen, Alarmsysteme für die Anästhesie, Zwischenfrequenzfilter in Radios, Antiblockiersysteme für Automobile, Brandmeldetechnik, die Prognose des Energieverbrauchs bei Energieversorgern, AF-gekoppelte Mehrfeld-Belichtungsautomatiken und AF-Prädiktion in Spiegelreflexkameras, um einige zu nennen. Auch in betriebswirtschaftlichen Anwendungen hat Fuzzylogik erfolgreich Einzug gehalten. Ein Beispiel mit Erfolgsquote ist die Intelligente Schadenprüfung (ISP), mit der sich Versicherungsunternehmen vor Versicherungsbetrug schützen. Begriffsabgrenzung Nicht zu verwechseln mit der Fuzzylogik ist die Fuzzy-Suche, die eine unscharfe Suche in Datenbanken ermöglicht, zum Beispiel, wenn die genaue Schreibweise eines Namens oder Begriffes nicht bekannt ist. Auch wenn die Zugehörigkeits-Werte aus dem Intervall [0,1] formal wie Wahrscheinlichkeitswerte aussehen, so ist Unschärfe etwas grundsätzlich anderes als Wahrscheinlichkeit. Vor allem ist zu beachten, dass die Summe der Werte zweier Funktionen, die sich überschneiden, nicht 1 sein muss. Sie kann gleich 1 sein, aber auch darüber oder darunter liegen. Literatur S. Noma (Hrsg.): fuzzy engineering. In: Japan. An Illustrated Encyclopedia. Kodansha, 1993. ISBN 4-06-205938-X, S. 436. Benno Biewer: Fuzzy-Methoden. Praxisrelevante Rechenmodelle und Fuzzy-Programmiersprachen. Springer, Berlin 1997, ISBN 3-540-61943-7. Christoph Drösser: Fuzzy logic. Methodische Einführung in krauses Denken. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1996, ISBN 3-499-19619-0. Siegfried Gottwald: Fuzzy Sets and Fuzzy Logic. Foundations of Application – from a Mathematical Point of View. Vieweg und Teknea, Braunschweig/Wiesbaden Toulouse 1993. Berthold Heinrich [Hrsg.:] Messen, Steuern, Regeln. Elemente der Automatisierungstechnik. 8. Auflage. Vieweg, Wiesbaden 2005, ISBN 3-8348-0006-6. Ulrich Höhle, Stephen Ernest Rodabaugh: Mathematics of Fuzzy Sets: Logic, Topology, and Measure Theory. Springer, 1999, ISBN 0-7923-8388-5. Michels, Klawonn, Kruse, Nürnberger: Fuzzy-Regelung. Grundlagen, Entwurf, Analyse. Springer-Verlag, ISBN 3-540-43548-4. George J. Klir, Bo Yuan: Fuzzy Sets and Fuzzy Logic: Theory and Applications. 1995, ISBN 0-13-101171-5. Thomas Kron: Fuzzy-Logik für die Soziologie. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 2005, H. 3, S. 51–89. Thomas Kron, Lars Winter: Fuzzy Systems – Überlegungen zur Vagheit sozialer Systeme. In: Soziale Systeme, 2005, H. 2, S. 370–394. Andreas Mayer [u. a.]: Fuzzy Logic. Einführung und Leitfaden zur praktischen Anwendung. Addison-Wesley, Bonn 1993, ISBN 3-89319-443-6. Daniel McNeill u. Paul Freiberger: Fuzzy Logic. Die unscharfe Logik erobert die Technik. Droemer Knauer, München 1994, ISBN 3-426-26583-4. Rodabaugh, S.E.; Klement, E.P (Hrsg.): Topological and Algebraic Structures in Fuzzy Sets: A Handbook of Recent Developments in the Mathematics of Fuzzy Sets. Springer, 2003, ISBN 978-1-4020-1515-1. Carsten Q. Schneider, Claudius Wagemann: Qualitative Comparative Analysis (QCA) und Fuzzy Sets. Barbara Budrich, 2007, ISBN 978-3-86649-068-0. Rudolf Seising: Die Fuzzifizierung der Systeme. Die Entstehung der Fuzzy Set Theorie und ihrer ersten Anwendungen – Ihre Entwicklung bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. (Boethius: Texte und Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften, Band 54). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08768-0. Hans-Jürgen Zimmermann: Fuzzy Set Theory and its Applications. 2001, ISBN 0-7923-7435-5. Wolfgang Anthony Eiden: Präzise Unschärfe – Informationsmodellierung durch Fuzzy-Mengen. Ibidem, 2002, ISBN 3-89821-230-0. Magdalena Mißler-Behr: Fuzzybasierte Controllinginstrumente – Entwicklung von unscharfen Ansätzen. Wiesbaden 2001, ISBN 3-8244-9049-8. Jürgen Adamy: Fuzzy Logik, Neuronale Netze und Evolutionäre Algorithmen. Shaker Verlag, Aachen 2015, ISBN 978-3-8440-3792-0. Weblinks Buch zum Thema (PDF; 1,27 MB) Englische Einführung in das Thema (Fuzzy Logic Introduction, M. Hellmann, PDF; 260 kB) Fuzzy Logic Tutorial (englisch) Dissertation about fuzzy logic in profitability analysis (englisch) Software und Tools JFuzzyLogic: Open Source Fuzzy Logic Package + FCL (sourceforge, java) Open Source Software "mbFuzzIT" (Java) Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/Frisches%20Haff
Frisches Haff
Das Frische Haff (, ) ist ein Haff der Ostsee, das im Norden zur russischen Oblast Kaliningrad und im Süden zu Polen gehört. Geographie Das Frische Haff beginnt etwa 40 Kilometer östlich von Danzig bei Elbląg (dt. Elbing) in der historischen Region Westpreußen und erstreckt sich von dort aus 70 bis 80 Kilometer weit in nordöstlicher Richtung bis zur Stadt Primorsk (dt. Fischhausen) in der historischen Region Ostpreußen. Mit einer Fläche von 838 km² ist das Frische Haff etwa anderthalb mal so groß wie der Bodensee. Zu Polen gehören 328 km², zu Russland 510 km² des Haffs. Bei etwa 90 Kilometern Länge ist das Haff 7 bis 15 km breit und nur 3 bis 6 Meter tief (tiefste Stelle auf polnischem Gebiet: 4,40 Meter). Der 70 Kilometer lange und zwei Kilometer breite Festland-Streifen der Frischen Nehrung trennt das Haff von der Danziger Bucht. Der einzige Durchlass zwischen dem Haff und der Ostsee war jahrhundertelang das 380 m breite und 3–5 m tiefe Pillauer Tief beim (russischen) Baltijsk (Pillau); ein 1,3 km langer Kanal durch die Frische Nehrung auf polnischer Seite wurde am 17. September 2022 eröffnet. In das Haff münden die Nogat, der Elbing, die Passarge, der Frisching und der Pregel. Die bedeutendsten Städte am oder in unmittelbarer Nähe zum Frischen Haff sind Kaliningrad (Königsberg) und Baltijsk in der russischen Oblast Kaliningrad sowie Elbląg in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren. Name Zeitweise hieß das Haff auch „Friesisches Haff“. Die Bezeichnung stammt von den ersten deutschen Siedlern auf der Nehrung, den Friesen. Der Begriff wurde im Laufe der Zeit zu „Fries’sches Haff“ und später zu „Frisches Haff“. In dem Buch Speculum Germaniae oder ein kurtzer geographischer Bericht von dem gesammten Teutschland von 1676 wird die Lage von Fischhausen, Frauenburg oder Tolkemit am frischen Haff erwähnt. Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1907 erwähnt den Frisching als Namensgeber. Auf heißt das Frische Haff Калининградский залив, Kaliningradski saliw (Kaliningrader Bucht) und auf Zalew Wiślany (Weichsel-Bucht). Geschichte In den Jahren 1924 bis 1939 kam es zum epidemieartigen Auftreten einer Fischvergiftung im nördlichen Teil des Haffs, die heute weltweit als Haffkrankheit (engl. Haff disease) bezeichnet wird. Bis 1945 gehörten das Frische Haff und die Frische Nehrung zum Deutschen Reich. Als die Rote Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs nach Westen vordrang, schnitt sie zehntausenden ostpreußischen Flüchtlingen den Landweg ab, weshalb diese den Weg über das zugefrorene Frische Haff nahmen. Tausende erfroren, starben durch sowjetischen Maschinengewehrbeschuss oder auch durch Bombardierungen der Eisdecke. Nach Kriegsende wurde die südliche Hälfte Ostpreußens von der sowjetischen Besatzungsmacht gemäß dem Potsdamer Abkommen unter polnische Verwaltung gestellt. Quer durch das Frische Haff verläuft deshalb heute die Grenze zwischen der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren und der russischen Exklave Kaliningrad. Weichselhaffkanal Vergessen ist die Binnenwasserstraße über das Frische Haff durch den Weichselhaffkanal zur Weichsel. Unter Vermeidung des Seeweges über die Ostsee verband sie Königsberg mit Danzig. Er wurde 1845–50 erbaut und war 19,7 km lang bei 2,1 m mittlerer Tiefe. Noch in den 1930er Jahren war sie wichtig für die ausgedehnte Ziegelindustrie an der Haffküste und für den Obsthandel. Neue Seeverbindung Am 17. September 2022 wurde der Kanal durch die Frische Nehrung auf polnischem Staatsgebiet eröffnet. Damit soll der Hafen von Elbląg reaktiviert werden, der darunter litt, dass bis dahin die einzige schiffbare Verbindung zur Ostsee, das Pillauer Tief, auf russischem Gebiet liegt. Der neue Kanal verkürzt auch die Länge des Schiffswegs von Elbląg nach Danzig von rund 180 km auf ca. 77 km. Literatur Frisches Haff (Lexikoneintrag). In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage. Band 7, Leipzig und Wien 1907, S. 156. Bernhard Ohlert: Skizzen aus Ostpreußen. II. Das frische Haff. Altpreußische Monatsschrift, Band 3, Königsberg 1866, S. 97–122 (Volltext). August Eduard Preuß: Preußische Landes- und Volkskunde oder Beschreibung von Preußen. Königsberg i. Pr. 1835, S. 33–35. Die Wasserwege der Provinz Preußen. Bemerkungen über das östliche Ufer des frischen Haffs und dessen Umgegend. Archiv für vaterländische Interessen. Neue Folge, Jahrgang 1845, Marienwerder 1845, S. 634–641. Johann Christian Wutzke: Beschreibung des Frischen Haffs, der Nehrung, des Hafens bei Pillau u. s. w. Preußische Provinzial-Blätter, Band 8, Königsberg 1832, S. 356–364, S. 462–470, und S. 594–604, Band 9, Königsberg 1833, S. 42–57, S. 151–165, S. 261–268, S. 429–440 und S. 668–675, Band 10, Königsberg 1833, S. 101–108 und S. 236–244. Karl Friedrich Vollrath Hoffmann: Deutschland und seine Bewohner. Ein Handbuch der Vaterlandskunde für alle Stände. Stuttgart 1834, S. 439–441. Weblinks Als die Dampfer übers Haff fuhren (Landsmannschaft Ostpreußen) Einzelnachweise Lagune in Europa Bucht (Ostsee) Geographie (Ostpreußen) Geographie (Oblast Kaliningrad) Geographie (Woiwodschaft Ermland-Masuren) Bucht in Polen Bucht in Europa Geographie (Woiwodschaft Pommern) Powiat Nowodworski (Pommern) Powiat Elbląski Powiat Braniewski
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https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A9partement%20Doubs
Département Doubs
Doubs [], amtlich Département du Doubs, ist das französische Département mit der Ordnungsnummer 25. Es liegt im Osten des Landes in der Region Bourgogne-Franche-Comté und ist nach dem Fluss Doubs benannt. Das Département bedeckt eine Fläche von 5234 km² und hat Einwohner (Stand ). Hauptstadt ist Besançon. Geographie Das Département Doubs grenzt im Norden an das Département Haute-Saône, im äußersten Nordosten an das Territoire de Belfort, im Osten und Südosten an die Schweizer Kantone Jura, Neuenburg und Waadt sowie im Westen an das Département Jura. Bedeutendster Fluss im Département ist der namengebende Doubs. Dessen wichtigste Nebenflüsse sind die den Südwesten des Départements durchziehende Loue und der die östliche Region bewässernde Dessoubre. Nur der Norden, das Gebiet zwischen dem die Nordwestgrenze bildenden Ognon und dem Unterlauf des Doubs, stellt niedriges Hügelland dar, während der restliche, etwa vier Fünftel ausmachende Teil des Départements, insbesondere der Südosten, gebirgig ist und von vier Kalkketten des Jura durchzogen wird. Die Montagnes du Lomont bilden die niedrigste von diesen Ketten; sie liegen östlich von Baume-les-Dames, steigen bis 835 m an und weisen eine Ost-West-Ausrichtung auf. Tief im Süden des Départements nahe der Schweizer Grenze befindet sich dessen höchste Erhebung, der Mont d’Or (1463 m). Weitere hohe Berggipfel sind der Morond (1419 m) und der Gros Crêt (1419 m). Zu den größten Seen gehören der Lac de Saint-Point (4,2 km²), Lac de Remoray (0,95 km²) und Lac des Brenets (0,8 km²). Das Klima ist gemäßigt kontinental und regnerisch; es weist einen beträchtlichen Unterschied zwischen der Sommer- und Wintertemperatur auf. Geschichte Auf dem Gebiet des heutigen Départements Doubs siedelten in der Antike die Sequaner. Diese wurden in den 50er Jahren v. Chr. von Gaius Iulius Caesar dem Römischen Reich unterworfen. Augustus vereinigte das Land mit Gallia Belgica. Bis zum 5. Jahrhundert stand es unter römischer Herrschaft, dann kam es unter die der Burgunden. Ab dem 11. Jahrhundert gehörte es zur Grafschaft Burgund und im Spätmittelalter den Herzögen von Burgund. Durch die Heirat der burgundischen Erbin Maria mit Maximilian von Habsburg fiel das Gebiet 1477 an die spanische Linie der Habsburger, die es im Frieden von Nimwegen 1678 Frankreich überlassen musste. Das Département Doubs wurde am 4. März 1790 aus Teilen der Freigrafschaft Burgund gebildet. 1796 trat das Haus Württemberg die Grafschaft Mömpelgard an Frankreich ab. Deren Gebiet gehörte bis 1800 zum Département Mont-Terrible, nach dessen Auflösung zum Département Haut-Rhin und schließlich ab 1814 zum Département Doubs. Nach dem Sieg der Alliierten in der Schlacht bei Waterloo war das Département Doubs von Juni 1815 bis November 1818 von österreichischen und Schweizer Truppen besetzt. Von 1960 bis 2015 gehörte das Département zur Region Franche-Comté, die 2016 in der Region Bourgogne-Franche-Comté aufging. Wappen Beschreibung: Im Blau und Gold durch Wellenschnitt geteilten Wappen ist oben ein wachsender goldener Löwe mit Krone, roter Zunge und Krallen zwischen besäten goldenen Schindeln und unten ein blauer Wellenbalken. Städte Die bevölkerungsreichsten Gemeinden des Départements Doubs sind: Verwaltungsgliederung Das Département Doubs gliedert sich in 3 Arrondissements, 19 Kantone und 573 Gemeinden: Siehe auch: Liste der Gemeinden im Département Doubs Liste der Kantone im Département Doubs Liste der Gemeindeverbände im Département Doubs Sehenswürdigkeiten Les Salines Royales Montbéliard Montagney-Servigney-la Forge unweit von Rougemont gelegen. Kleiner Ort mit „eiserner Vergangenheit“: hier findet sich am Fluss Ognon gelegen ein weitgehend erhaltener Hochofen (Haut Fourneau) aus dem 18. Jahrhundert sowie ein neu eingerichteter Erlebnispfad (Sentier de découverte), der den Besucher in die Zeit der Eisengewinnung zurückführt. Eine Köhlerhütte wurde rekonstruiert und auf Bildtafeln wird die Herstellung des Eisens erläutert. Schloss Bournel etwas nördlich von Rougemont im Dörfchen Cubry gelegen. Das völlig restaurierte, prächtige Schloss liegt inmitten einer schönen Golfanlage und dient als Hotel. Der Ort zeichnet sich durch etliche gut restaurierte Häuser aus. Weblinks Département Doubs (französisch) Präfektur des Départements Doubs (französisch) Einzelnachweise Doubs Verwaltungsgliederung (Bourgogne-Franche-Comté) Gegründet 1790