id
stringlengths
1
7
url
stringlengths
31
285
title
stringlengths
1
185
text
stringlengths
2
554k
1047
https://de.wikipedia.org/wiki/Dave%20Brubeck
Dave Brubeck
David Warren „Dave“ Brubeck (* 6. Dezember 1920 in Concord, Kalifornien; † 5. Dezember 2012 in Norwalk, Connecticut) war ein US-amerikanischer Jazzpianist, Komponist und Bandleader. Er leitete mit seinem Quartett eine der langlebigsten und erfolgreichsten Combos des Modern Jazz und eroberte dem Jazz mit der intellektuellen Mittelschicht ein neues Publikum. In seinen Stücken verband er Jazz sowohl mit europäischer Konzertmusik als auch mit außereuropäischer Musik. In Brubecks Klavierspiel nahmen Blockakkorde und im rhythmischen Aufbau seiner Stücke ungerade Taktarten einen großen Raum ein. Leben und Wirken Brubeck wuchs auf einer Farm auf, sein Vater war Viehzüchter. In der Jazz-Filmreihe von Ken Burns sagte er scherzhaft, sein Jugendtraum sei gewesen, dass das von ihm gehütete Vieh den Tourbus des Benny-Goodman-Orchesters stoppen würde, sodass er ihm vorspielen könnte. Seine ersten Musikkontakte hatte er zur Country Music. Brubecks Mutter hatte in England mit dem Ziel, Konzertpianistin zu werden, Klavier studiert und war mit Henry Cowell bekannt. Sie unterrichtete auch nebenbei Klavier; ab dem vierten Lebensjahr auch Dave, der außerdem Cello lernte. Brubeck war nicht besonders daran interessiert, nach einer bestimmten Methode zu lernen, sondern wollte eher seine eigenen Melodien schaffen – dadurch lernte er nie, vom Blatt zu spielen. Brubeck studierte erst Tiermedizin und wechselte 1941 zur Musik. Er studierte zunächst am College of Pacific, wo er auch ein Orchester leitete. 1942 wechselte er auf das Mills College. Als einer seiner Professoren aus seinem schlechten Blattspiel schloss, dass er offenbar keine Noten lesen könne, wurde er beinahe vom College ausgeschlossen. Mehrere seiner Professoren setzten sich für ihn ein und wiesen auf seine Fähigkeiten in Kontrapunkt und Harmonielehre hin. Da die Schule fürchtete, dass es zu einem Skandal kommen könnte, gewährte sie ihm angeblich den Abschluss nur gegen sein Versprechen, nie selbst zu unterrichten. 1942 wurde er in die US Army eingezogen und heiratete. Zu Beginn seines Militärdienstes hatte er Gelegenheit, an der University of California Vorlesungen bei Arnold Schönberg zu besuchen. Dann diente er in George Pattons Dritter Armee während der Ardennenschlacht (1944/45). Ein Oberst beauftragte ihn und zwei weitere Musiker, eine Band zusammenzustellen. Er wählte dafür kurzfristig vor allem afroamerikanische Musiker und gewann schnell Bekanntheit und Anerkennung. Nach drei Jahren Militärdienst kehrte er zum Mills College zurück und studierte 1946 ein halbes Jahr bei Darius Milhaud, der ihn ermutigte, sich nicht nur mit klassischem Klavier, sondern auch mit Kontrapunkt und Arrangement zu beschäftigen. Milhaud charakterisierte ihn als „Einzelgänger, der seinem eigenen, unkonventionellen Weg folgte, entsprechend einem inneren Drang, der ihm keine Ruhe ließ.“ Außerdem wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Jazz zu. Noch als Student startete Brubeck ein Oktett, unter anderem mit Cal Tjader und Paul Desmond. Das Oktett The Jazz Workshop Ensemble war sehr experimentierfreudig, machte aber nur wenige Aufnahmen und bekam sehr wenig Auftrittsmöglichkeiten. Ein wenig entmutigt startete Brubeck 1949 mit zwei Mitgliedern ein Trio, das er 1951 mit Desmond zum Quartett erweiterte. Dieses spielte mehrere Jahre lang ausschließlich Jazz-Standards. Ein erster Erfolg war sein Auftritt im Oberlin College 1953, später veröffentlicht als Jazz at Oberlin. 1954 erschien Brubeck als erster Musiker nach Louis Armstrong auf einem Titelbild von Time; er wurde in zahlreichen Polls ausgezeichnet. 1951 formierte er das Dave Brubeck Quartet mit Joe Dodge am Schlagzeug, Bob Bates am Bass, Paul Desmond am Saxophon und ihm selbst am Klavier. Mitte der 1950er Jahre ersetzte er Bates und Dodge durch Eugene Wright und Joe Morello. In den späten 1950er Jahren sagte Brubeck mehrere Konzerte ab, weil der Clubbesitzer von ihm verlangte, einen anderen Bassisten als den Afroamerikaner Eugene Wright zu suchen. Er sagte auch mehrere Fernsehauftritte ab, als er herausfand, dass man vorhatte, Wright nicht ins Bild zu bringen (→ Rassismus in den Vereinigten Staaten). 1959 führte er den Dialogue for Jazz Combo and Symphony seines Bruders Howard mit Leonard Bernstein und dem New York Philharmonic Orchestra auf. 1959 brachte das Quartett das Album „Time Out“ heraus, das von ihrem Musiklabel zwar enthusiastisch aufgenommen, aber trotzdem nur widerstrebend veröffentlicht wurde: Es enthielt ausschließlich Originalkompositionen, und nur eine von ihnen (Strange Meadow Lark) stand durchgängig im üblichen Viervierteltakt. Trotzdem erreichte die Platte schnell Platin-Status. 1961 nahm er mit Louis Armstrong, Jon Hendricks, Dave Lambert, Annie Ross und Carmen McRae Stücke des Musicals The Real Ambassador auf und gab ein Konzert an der Berliner Mauer. Auf den Berliner Jazztagen 1964 führte er seine Elementals für Quartett und Symphonie-Orchester auf. Am 14. April 1964 gab er im Weißen Haus bei einem Staatsbankett ein Konzert für US-Präsident Lyndon B. Johnson und König Hussein I. von Jordanien. Das erste Brubeck-Quartett trennte sich 1967; Brubeck trat ab 1968 mit Gerry Mulligan auf, mit dem er auch Aufnahmen machte. Parallel bildete Brubeck eine neue Gruppe mit Perry Robinson bzw. Jerry Bergonzi als Bläser und mit seinen drei Söhnen Dan am Schlagzeug, Darius am Bass und Chris am Keyboard. 1972 erneuerte er die Zusammenarbeit mit Paul Desmond. 1975/76 gaben sie eine Reihe von Reunion-Konzerten mit dem klassischen Quartett und Mulligan als gelegentlichem Gast. Nach Desmonds Tod im Mai 1977 machten Mulligan und Brubeck die nächsten sechs Jahre gemeinsame Aufnahmen. 1980 wurde Brubeck Katholik. Er bezeichnete diesen Schritt nicht als Konversion, sondern als Anfang eines ernsthaften religiösen Bekenntnisses. Die unmittelbare Anregung dazu dürfte seine Arbeit an der Messkomposition To Hope gewesen sein. Er erhielt den Auftrag dazu vom amerikanischen Redakteur Ed Murray, Herausgeber der katholischen Wochenzeitschrift Our Sunday Visitor. Brubeck beschäftigte sich auch mit der Musik der nordamerikanischen Indianer. Er gab in etwa 80 Städten pro Jahr Konzerte, davon üblicherweise im Frühling in 20 europäischen. In den letzten Jahren gehörten der Altsaxophonist Bobby Militello, der Bassist Michael Moore (der Alec Dankworth und Jack Six ersetzte) und der Schlagzeuger Randy Jones zu seinem Quartett. Seit 2006 gab Dave Brubeck in Europa keine Konzerte mehr. Brubeck komponierte Jazzstandards wie In Your Own Sweet Way oder The Duke. Einige seiner Stücke stehen in ungewöhnlichen Taktarten: Pick Up Sticks in sechs Viertel, Unsquare Dance in sieben Viertel und Blue Rondo A La Turk in neun Achtel; sein langjähriger musikalischer Partner Paul Desmond schrieb das sicherlich berühmteste Stück des Dave-Brubeck-Quartetts, Take Five im Fünfvierteltakt. Daneben beschäftigte er sich auch mit dem Schreiben von Werken des Third Stream und anderen aufwändig geschichteten Kompositionen. Neben sinfonischen und kammermusikalischen Werken, etwa für das Brodsky Quartet, komponierte er auch Oratorien, Ballettmusiken und geistliche Musik (To Hope! A Celebration). Drei Jahre vor seinem Tod nahm er für seine Enkelkinder arrangierte Solo-Klavier-Wiegenlieder im Studio auf, darunter neben Jazz-Standards fünf bislang unbekannte Originalstücke von ihm selbst. Auf Wunsch seiner Söhne kamen diese als Album Lullabies Anfang November 2020 auf dem Label Verve Forecast heraus. Privatleben Mit seiner Ehefrau Iola (geb. Iola Marie Whitlock, * 14. August 1923, † 12. März 2014), die er 1942 heiratete, hatte Dave Brubeck sechs Kinder, von denen Darius, Chris, Dan und Matt ebenfalls professionelle Musiker wurden. Dave Brubeck starb am 5. Dezember 2012, einen Tag vor seinem 92. Geburtstag, im Norwalk Hospital nach Herzversagen. Auszeichnungen und Ehrungen Dave Brubeck erhielt 1996 in einer international ausgestrahlten Grammy Awards Show den Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Daneben erhielt er in seinem Leben weitere Auszeichnungen, darunter einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame, den Ehrendoktorgrad sechs amerikanischer Universitäten, den Ehrengrad der Universität Nottingham (England), den Ehrendoktor der Universität Freiburg (Schweiz) und den Ehrendoktor der Universität Duisburg. 1994 verlieh ihm Bill Clinton die National Medal of Arts. Im Februar 2006 wurde der Asteroid (5079) Brubeck nach ihm benannt. Im Dezember 2009 wurde Brubeck von Präsident Barack Obama der Preis des Kennedy Centers in Washington überreicht. Anlässlich von Brubecks neunzigstem Geburtstag fand 2010 die Premiere des Dokumentarfilms Dave Brubeck – In His Own Sweet Way statt, den Clint Eastwood produzierte und bei dem Bruce Ricker Regie führte. 2011 wurde Brubeck in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Mit der Gründung des Brubeck Institute, das sich für die Verbreitung moderner Musikstile einsetzt, ehrte die University of the Pacific Dave Brubeck als Namensgeber ihres Departments für Jazz Studies. Neben einer Brubeck Summer Jazz Colony veranstaltet man dort jährlich ein kleines zweitägiges Brubeck Festival. Diskografie (Auswahl) The Dave Brubeck Octet (1947–1948) Dave Brubeck Trio Featuring Cal Tjader (1949–1950) Dave Brubeck/Paul Desmond (1951–1953) Jazz at Oberlin (1953) Jazz at College of the Pacific (1953) Brubeck Time (1955, The Dave Brubeck Quartet) Brubeck plays Brubeck (1956, Solo Piano) All-Time Greatest Hits (1956–1965) Jazz Impressions of the U.S.A. (1957, Dave Brubeck Quartet Featuring Paul Desmond) Dave Brubeck Plays and Plays and ... (1957, Solo Piano) Dave Digs Disney (1957, The Dave Brubeck Quartet) Jazz Impressions of Eurasia (1958, The Dave Brubeck Quartet) Time Out (1959, The Dave Brubeck Quartet) Gone with the Wind (1960, The Dave Brubeck Quartet) Southern Scene (1960, Dave Brubeck Quartet, Trio and Duo) Bernstein Plays Brubeck Plays Bernstein (1960, The New York Philharmonic with the Dave Brubeck Quartet conducted by Leonard Bernstein) The Real Ambassadors (1961, mit Louis Armstrong) Near Myth (1961, mit Bill Smith) Time Further Out (1961, The Dave Brubeck Quartet) Tony Bennett/Dave Brubeck: The White House Sessions Live 1962 (Columbia/RPM/Legacy, ed. 2013) Countdown: Time in Outer Space (1962, The Dave Brubeck Quartet) Bossa Nova U.S.A. (1963, The Dave Brubeck Quartet) The Dave Brubeck Quartet at Carnegie Hall (1963) Brandenburg Gate: Revisited (1963, The Dave Brubeck Quartet) Time Changes (1964, The Dave Brubeck Quartet) Jazz Impressions of Japan (1964, The Dave Brubeck Quartet) Jazz Impressions of New York (1964, The Dave Brubeck Quartet) Angel Eyes (1965, Dave Brubeck Quartet) My Favorite Things (1965, Dave Brubeck Quartet) Time In (1966) Anything Goes! The Dave Brubeck Quartet Plays Cole Porter (1967) Bravo! Brubeck! (1967, The Dave Brubeck Quartet, Live in Mexico) Blues Roots (1970, mit Gerry Mulligan) All the Things We Are (1973–1974, mit Anthony Braxton und Lee Konitz) Brubeck and Desmond 1975: The Duets (1975) Reflections (1985) New Wine (1987) Just You, Just Me (1994, Solo Piano) A Dave Brubeck Christmas (1996, Solo Piano) One Alone (2000, Solo Piano) Private Brubeck Remembers (2004, Solo Piano) Lullabies (2020, Solo Piano) Literatur Ilse Storb: Dave Brubeck: Improvisationen und Kompositionen. Die Idee der kulturellen Wechselbeziehungen, 2. Auflage, Lit-Verlag, Münster/Hamburg/London 1999, ISBN 3-8258-4763-2. Philip Clark: Dave Brubeck : a life in time, New York, NY : Da Capo Press, 2020, ISBN 978-0-306-92164-3 Filmaufnahmen auf DVD Dave Brubeck – Live in ’64&’66 (Schwarz-Weiß, Belgien 1964, Deutschland 1966) Dave Brubeck & Paul Desmond – Take Five (Mono, San Francisco 1961, New York 1962 und Kalifornien 1975) Bruce Ricker: In His Own Sweet Way (2010) Filmmusik für den Agatha-Christie-Spielfilm 'Ordeal by innocence' (1984) Weblinks davebrubeck.com The Brubeck Institute Umfassende Diskografie Interview (23. Juli 2007, englisch) Einzelnachweise Jazz-Pianist Komponist (Kirchenmusik) Komponist (Third Stream) Bandleader Grammy-Preisträger Schüler von Arnold Schönberg Person im Zweiten Weltkrieg (Vereinigte Staaten) Militärperson (United States Army) Mitglied der American Academy of Arts and Sciences Ehrendoktor der Universität Freiburg (Schweiz) Ehrendoktor der Universität Duisburg-Essen Person als Namensgeber für einen Asteroiden US-Amerikaner Geboren 1920 Gestorben 2012 Mann
1050
https://de.wikipedia.org/wiki/Dschalalabad
Dschalalabad
Dschalalabad, auch Dschellalabad (; ), ist die etwa 289.770 Einwohner zählende Hauptstadt der Provinz Nangarhar in Afghanistan. Lage Dschalalabad liegt knapp 160 Kilometer östlich von Kabul am Fluss Kabul nahe dem Khyber-Pass in einer Höhe von ca. . Die in Pakistan gelegene Stadt Peschawar ist nur ca. 130 km in südöstlicher Richtung entfernt. Infrastruktur Der Flugplatz liegt fünf Kilometer südöstlich (). Während der internationalen Stabilisierungsmission (ISAF) unterhielten die Vereinigten Staaten mit der FOB Fenty (Forward Operation Base) dort einen wichtigen Stützpunkt. Von hier aus starteten unter anderem Drohnen für ihre Einsätze in Afghanistan, aber auch im benachbarten Pakistan. Geschichte Die Stadt hieß Adīnapūr, bevor sie Ende des 16. Jahrhunderts umbenannt wurde. Sie war ein Zentrum der Gandhara-Kultur. Hier befand sich der berühmte Garten Bāgh-i-wafā, den Babur in seiner Autobiographie Baburnama beschrieb. Der Boden war mit Klee bedeckt, im Garten standen Granatäpfel und Orangenbäume. Babur ließ 1523 Kochbananen aus Indien für den Garten importieren. Dschalalabad wurde 1570 durch den indischen Großmogul Akbar I. gegründet, es war vorher die Winterresidenz des Emirs von Afghanistan sowie Garnisonsstadt und ein wichtiger Handelsplatz. Im Ersten Anglo-Afghanischen Krieg konnte General Robert Henry Sale vom 12. November 1841 bis zum 8. April 1842 in Dschalalabad mit 1.500 Mann einer Belagerung von Dschalalabad durch 5.000 Afghanen standhalten. Nachdem er vom bevorstehenden Entsatz durch General George Pollock erfahren hatte, unternahm Sale am 7. April einen Ausfall und vertrieb die Belagerer. Vom November 1995 bis 2001 kontrollierten die Taliban die Stadt. Am 19. Februar 2011 töteten mehrere Selbstmordattentäter mehr als 38 Menschen in einer Filiale der Kabul Bank in Dschalalabad. Mehr als die Hälfte der Opfer waren Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte. Am 27. Februar 2012 sprengte sich am Flughafen ein Selbstmordattentäter in die Luft. Dabei starben neun Menschen, acht wurden verletzt. Laut den Taliban, die sich zu dem Anschlag bekannten, wurde er als Rache für die Koran-Verbrennungen auf dem US-Stützpunkt Bagram durchgeführt. Am 18. April 2015 kam es zu einem Selbstmordanschlag, der mindestens 33 Todesopfer und über 100 Verletzte zur Folge hatte. Der afghanische Präsident Aschraf Ghani machte den Islamischen Staat dafür verantwortlich, auch nachdem die Taliban ihre Beteiligung abstritten. Am 17. Mai 2017 stürmten bewaffnete Angreifer das Gebäude von Radio Television Afghanistan. Nach Angaben des Sprechers für den Gouverneur der Provinz Nangarhar, Attaullah Khogyani, gab es insgesamt vier bewaffnete Angreifer. Zwei der Angreifer sprengten sich in die Luft. Mindestens zwei Zivilisten wurden bei dem Angriff getötet, weitere 14 verletzt. Am 15. August 2021 wurde Dschalalabad kampflos an die Taliban übergeben. Umgebung Etwa 11 km westlich von Dschalalabad wurden im 19. Jahrhundert beim Dorf Bimaran die Ruinen zweier buddhistischer Stupas entdeckt und untersucht; dabei fand sich das bedeutende Bimaran-Reliquiar, welches seitdem im British Museum aufbewahrt wird. Siehe auch Liste der Städte in Afghanistan Weblinks Historische Aufnahmen von Dschalalabad Luftbild von Dschalalabad auf spaceimaging.com Nangarhar Provincial Profile. (PDF; 153 kB) Regional Rural Economic Regeneration Strategies (RRERS) 31. Oktober 2006. Dschalalabad bei der Encyclopædia Iranica Einzelnachweise Ort in der Provinz Nangarhar Provinzhauptstadt in Afghanistan
1054
https://de.wikipedia.org/wiki/Drei%C3%9Figj%C3%A4hriger%20Krieg
Dreißigjähriger Krieg
Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 war ein Konflikt um die Hegemonie im Heiligen Römischen Reich und in Europa, der als Religionskrieg begann und als Territorialkrieg endete. In diesem Krieg entluden sich auf europäischer Ebene der habsburgisch-französische Gegensatz und auf Reichsebene der Gegensatz zwischen dem Kaiser und der Katholischen Liga einerseits und der Protestantischen Union andererseits. Gemeinsam mit ihren jeweiligen Verbündeten trugen die habsburgischen Mächte Österreich und Spanien neben ihren territorialen auch ihre dynastischen Interessenkonflikte mit Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden vorwiegend auf dem Boden des Reiches aus. Infolgedessen waren eine Reihe von weiteren Konflikten mit dem Dreißigjährigen Krieg eng verbunden: Achtzigjähriger Krieg (1568–1648) zwischen den Niederlanden und Spanien Bündner Wirren (1620–1631) zwischen den Koalitionen Frankreich-Venedig und Spanien-Österreich um den heutigen Kanton Graubünden Oberösterreichischer Bauernkrieg (1626) Mantuanischer Erbfolgekrieg (1628–1631) zwischen Frankreich und Habsburg Französisch-Spanischer Krieg (1635–1659) Krieg um die Vorherrschaft im Ostseeraum (Torstenssonkrieg) (1643–1645) zwischen Schweden und Dänemark Als Auslöser des Krieges gilt der Prager Fenstersturz vom 23. Mai 1618, mit dem der Aufstand der protestantischen böhmischen Stände offen ausbrach. Der Aufstand richtete sich hauptsächlich gegen den neuen böhmischen König Ferdinand von Steiermark (der die Rekatholisierung aller Länder der Böhmischen Krone beabsichtigte), aber auch gegen den damaligen römisch-deutschen Kaiser Matthias. Insgesamt folgten in den 30 Jahren von 1618 bis 1648 vier Konflikte aufeinander, die von der Geschichtswissenschaft nach den jeweiligen Gegnern des Kaisers und der Habsburger Mächte als Böhmisch-Pfälzischer, Niedersächsisch-Dänischer, Schwedischer und Schwedisch-Französischer Krieg bezeichnet wurden. Zwei Versuche, den Konflikt zu beenden (der Friede von Lübeck 1629 und der Friede von Prag 1635) scheiterten daran, dass sie nicht die Interessen aller direkt oder indirekt Beteiligten berücksichtigten. Das gelang erst mit dem gesamteuropäischen Friedenskongress von Münster und Osnabrück (1641–1648). Der Westfälische Friede legte die Machtbalance zwischen Kaiser und Reichsständen neu fest und wurde Teil der bis 1806 geltenden Verfassungsordnung des Reiches. Darüber hinaus sah er Gebietsabtretungen an Frankreich und Schweden vor sowie das Ausscheiden der Vereinigten Niederlande und der Schweizerischen Eidgenossenschaft aus dem Reichsverband. Am 24. Oktober 1648 endete der Krieg, dessen Feldzüge und Schlachten überwiegend auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches stattgefunden hatten. Die Kriegshandlungen und die durch sie verursachten Hungersnöte und Seuchen hatten ganze Landstriche verwüstet und entvölkert. In Teilen Süddeutschlands überlebte nur ein Drittel der Bevölkerung. Nach den wirtschaftlichen und sozialen Verheerungen benötigten einige der vom Krieg betroffenen Gebiete mehr als ein Jahrhundert, um sich von den Folgen des Krieges zu erholen. Da der Krieg überwiegend in deutschsprachigen Gebieten stattfand, die noch heute Teil Deutschlands sind, führten die Erfahrungen der Kriegszeit zur Verankerung eines Kriegstraumas im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung. Vorgeschichte und Ursachen Im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges hatte sich in Europa und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ein vielfältiges Spannungsfeld aus politischen, dynastischen, konfessionellen und innenpolitischen Gegensätzen aufgebaut. Die Ursachen reichen zeitlich weit zurück. Mächteverhältnisse in Europa In der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg gab es drei wesentliche Konflikträume: West- und Nordwesteuropa, Oberitalien und den Ostseeraum. In West- und Nordwesteuropa und in Oberitalien wurden die dynastischen Konflikte zwischen den österreichischen und spanischen Habsburgern und dem französischen König sowie den nach Unabhängigkeit strebenden Niederländern ausgetragen, während im Ostseeraum Dänemark und Schweden als mögliche Großmächte um die Vorherrschaft stritten. Bestimmend in West- und Nordwesteuropa war der Konflikt zwischen Frankreich und Spanien, der wiederum aus dem dynastischen Gegensatz der Habsburger und französischen Könige entstand. Spanien war eine europäische Großmacht mit Besitzungen in Süditalien, der Po-Ebene und den Niederlanden. Die verstreuten spanischen Stützpunkte hatten zur Folge, dass es in West- und Nordwesteuropa kaum noch einen Krieg geben konnte, der nicht spanische Interessen tangierte. Frankreich wiederum sah sich im Süden, Norden und Südosten mit spanischen Ländern konfrontiert, was zu dem französischen „Einkreisungskomplex“ führte. Wegen ihrer vielen gewaltsamen Auseinandersetzungen rüsteten Frankreich und Spanien ihre Armeen auf. Neben den finanziellen Schwierigkeiten musste Spanien ab 1566 auch den Aufstand in den Niederlanden bekämpfen, der jedoch 1609 de facto mit der Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlande und einem auf zwölf Jahre begrenzten Waffenstillstand endete. Der Konflikt in Westeuropa hätte im Jülich-Klevischen Erbfolgestreit zu einem großen europäischen Krieg eskalieren können, als der Herzog von Jülich-Kleve-Berg starb und die Erbanwärter ihre Ansprüche geltend machten, darunter Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg und Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg. Internationale Bedeutung erhielt der Krieg durch die Intervention Heinrichs IV. von Frankreich, der die Fürsten der Protestantischen Union unterstützte und im Gegenzug ihre Hilfe in einem Krieg gegen Spanien forderte. Die Ermordung Heinrichs IV. 1610 beendete das französische Engagement am Niederrhein vorerst. In Oberitalien beherrschte Spanien das Herzogtum Mailand. Neben der wirtschaftlichen Stärke des Gebiets lag dessen strategischer Wert vor allem in der Sicherung des Nachschubs der spanischen Truppen in die Niederlande über die Spanische Straße. Frankreich war darum bemüht, die spanische Macht in der Region zu schwächen und den spanischen Nachschub zu stören. Beide Mächte versuchten, mit ihren Abgesandten die einheimischen Fürsten für sich zu gewinnen. Besonders im Fokus standen die Herzöge von Savoyen, mit deren Alpenpässen und Festungen man die Nachschubroute kontrollieren konnte. Benachbarte Mächte europäischen Ranges waren der Papst und die Republik Venedig, wobei die Kurie in Rom von französisch-, spanisch- und kaiserfreundlichen Kardinälen beherrscht war, während die Interessen Venedigs eher im Mittelmeerraum und an der Adriaküste lagen als in Italien. Die drei Hauptakteure der Kriege im Ostseeraum waren Polen, Schweden und Dänemark. Polen und Schweden wurden zeitweise in Personalunion von Sigismund III. regiert, der in Polen eine Ausbreitung des Protestantismus verhinderte, das deshalb während des Dreißigjährigen Krieges den Verbündeten Habsburgs zuzurechnen war. Im Jahre 1599 wurde er durch eine Adelsrevolte als schwedischer König abgesetzt. In der Folge etablierte sich der lutherische Glauben in Schweden und ein langjähriger Krieg zwischen Polen und Schweden brach aus. Die ersten Feldzüge des neuen schwedischen Königs Karl IX. verliefen zunächst erfolglos und ermutigten den dänischen Rivalen Christian IV. von Dänemark zum Angriff. Dänemark war bevölkerungsärmer als Schweden oder Polen, aber durch den Besitz Norwegens und Südschwedens in alleiniger Kontrolle über den Öresund, wodurch es hohe Zolleinkünfte verbuchte. In Konkurrenz dazu hatte Karl IX. 1603 am bisher einzigen Nordseezugang Schwedens die Stadt Göteborg gegründet. Als Ergebnis des Kalmarkrieges von 1611 bis 1613 verlor Schweden Nordnorwegen und Ösel an Dänemark unter Christian IV. Hinzu kamen Kriegskontributionen in Höhe von einer Million Reichsmark. Um diese Summe bezahlen zu können, verschuldete sich der junge König Gustav II. Adolf bei den Vereinigten Niederlanden. Diese Kriegsschulden belasteten Schweden sehr und schwächten seine außenpolitische Stellung. Der Krieg stärkte dagegen die Machtstellung Dänemarks und das Selbstvertrauen seines Königs, der Finanzmittel zum Führen weiterer Kriege besaß. Konfessionelle Gegensätze Nach der ersten Phase der Reformation, die Deutschland konfessionell gespalten hatte, versuchten die katholischen und protestantischen Landesherren zunächst eine für beide Seiten akzeptable Verfassungsordnung und ein Mächtegleichgewicht zwischen den Konfessionen im Reich zu finden. Im Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555 einigten sie sich schließlich auf das Jus reformandi, das Reformationsrecht (später zusammengefasst als cuius regio, eius religio, lateinisch für: wessen Gebiet, dessen Religion; „Herrschaft bestimmt das Bekenntnis“). Demzufolge hatten die Landesherren das Recht, die Konfession der ansässigen Bevölkerung zu bestimmen. Gleichzeitig wurde auch das Jus emigrandi, das Auswanderungsrecht eingeführt, das es Personen einer anderen Konfession ermöglichte, auszuwandern. Unklar blieb aber das Reformationsrecht der freien Reichsstädte, denn der Augsburger Religionsfrieden legte nicht fest, wie sie das Bekenntnis wechseln sollten. Seither waren das katholische und das lutherische Glaubensbekenntnis als gleichberechtigt anerkannt, nicht jedoch das reformierte. Ebenfalls aufgenommen wurde das Reservatum ecclesiasticum (lat. für: „geistlicher Vorbehalt“), das garantierte, dass Besitzungen der katholischen Kirche von 1555 katholisch bleiben sollten. Sollte ein katholischer Bischof konvertieren, verlöre er seinen Bischofssitz und ein neuer Bischof würde gewählt werden. Diese Regelung sicherte auch die Mehrheitsverhältnisse im Kurfürstenkollegium, in dem sich vier katholische und drei protestantische Kurfürsten gegenüberstanden. Der geistliche Vorbehalt wurde nur deshalb von den protestantischen Fürsten geduldet, weil mit der Declaratio Ferdinandea (lat. für: „ferdinandinische Erklärung“) zugesichert wurde, dass bereits reformierte Städte und Stände in geistlichen Territorien nicht zwangskonvertiert oder zur Auswanderung gezwungen wurden. Verschärfung der Konfliktlage und Verfall der politischen Ordnung im Reich Zwar verhinderten die Regelungen des Augsburger Religionsfriedens für 60 Jahre den Ausbruch eines großen Religionskrieges, aber es gab Auseinandersetzungen um seine Auslegung, und eine konfrontative Haltung einer neuen Herrschergeneration trug zur Verschärfung der Konfliktlage und dem Verfall der politischen Ordnung bei. Wegen des fehlenden militärischen Potenzials der Kontrahenten verliefen die Konflikte jedoch lange weitgehend gewaltfrei. Eine Auswirkung des Augsburger Religionsfriedens war eine heute als „Konfessionalisierung“ bezeichnete Entwicklung. Die Landesfürsten versuchten dabei, religiöse Uniformität zu schaffen und die Bevölkerung von unterschiedlichen religiösen Einflüssen abzuschirmen. Die protestantischen Fürsten fürchteten eine Spaltung der protestantischen Bewegung, die dadurch möglicherweise ihren Schutz durch den Augsburger Religionsfrieden verlieren würde und nutzten ihre Stellung als Notbischöfe zur Disziplinierung der Geistlichen und der Bevölkerung im Sinne ihrer Konfession (Sozialdisziplinierung). In der Folge kam es zur Bürokratisierung und Zentralisierung, der Territorialstaat wurde gestärkt. Der Frieden im Reich geriet in den Jahrzehnten nach dem Augsburger Religionsfrieden mehr und mehr in Gefahr, als die Herrscher, Theologen und Juristen, die noch den Schmalkaldischen Krieg erlebt hatten, abtraten und ihre Amtsnachfolger eine radikalere Politik vertraten und die Folgen einer Zuspitzung des Konfliktes nicht beachteten. Diese Radikalisierung zeigte sich unter anderem an der Handhabung des „geistlichen Vorbehalts“, denn während Kaiser Maximilian II. protestantischen Adeligen mit katholischen Bischofsstellen noch „Lehnsindulte“ ausstellte (sie also vorläufig belehnte, damit sie politisch handlungsfähig blieben, obwohl sie mangels päpstlicher Bestätigung keine richtigen Bischöfe waren), beendete sein Nachfolger Rudolf II. diese Praxis. Folglich waren die protestantischen Administratoren ohne Belehnung und Indulte auf Reichstagen nicht mehr stimmberechtigt. Problematisch wurde dies 1588, als der Reichstag eine Visitationsdeputation bilden sollte. Die Visitationsdeputation war eine Berufungsinstanz: Verstöße gegen Reichsrecht (wie der Einzug von Gütern der katholischen Kirche durch protestantische Landesherren) wurden vor dem Reichskammergericht verhandelt. Die Revision wurde vor der Reichskammergerichtsdeputation oder kurz Visitationsdeputation verhandelt. Diese Deputation wurde turnusgemäß besetzt, und 1588 hätte der Erzbischof von Magdeburg Mitglied sein sollen. Da der lutherische Administrator von Magdeburg, Joachim Friedrich von Brandenburg, ohne Indult aber auf dem Reichstag nicht stimmberechtigt war, konnte er auch nicht in der Visitationsdeputation mitwirken, die deshalb nicht handlungsfähig war. Rudolf II. vertagte daher die Bildung der Deputation auf das nächste Jahr, doch auch 1589 konnte keine Einigung erzielt werden, ebenso in den folgenden Jahren, weshalb eine wichtige Revisionsinstitution nicht mehr funktionierte. Wegen der steigenden Zahl der Revisionsfälle, darunter vor allem Einziehung von Klöstern durch Territorialherren, wurde 1594 die Kompetenz der Visitationsdeputation auf die Reichsdeputation übertragen. Als sich 1600 in vier Revisionsfällen (Klostersäkularisierungen durch die freie Reichsstadt Straßburg, den Markgrafen von Baden, den Grafen von Oettingen-Oettingen und den Reichsritter von Hirschhorn) eine katholische Mehrheit in der Reichdeputation abzeichnete, verließen die Kurpfalz, Brandenburg und Braunschweig den Ausschuss und lähmten die Reichdeputation dadurch. Der Ausfall der Revisionsinstitutionen schwächte das Reichskammergericht; die Fürsten verhandelten ihre Streitfälle lieber vor dem Reichshofrat, der dadurch gestärkt wurde. Aufgrund seiner gegenreformatorischen Einstellung bedeutete die Stärkung des Reichshofrates auch eine Stärkung der katholischen Seite im Reich. Wegen der Stärkung der Staaten, der Konfrontationspolitik der neuen Herrscher, der Lähmung des Reichskammergerichts als Instanz der friedlichen Konfliktlösung im Reich und der Stärkung der katholischen Fürsten durch den Reichshofrat kam es zur Bildung verfeindeter Fürstengruppierungen. In der Folge und als Reaktion auf das Kreuz- und Fahnengefecht in der Stadt Donauwörth trat die Kurpfalz aus dem Reichstag aus. Ein Reichstagsabschied zur Türkensteuer kam deshalb nicht zustande und der Reichstag als wichtigstes Verfassungsorgan war inaktiv. Am 14. Mai 1608 gründete sich unter Führung der Kurpfalz die Protestantische Union, der bald 29 Reichsstände angehörten. Die protestantischen Fürsten betrachteten die Union vor allem als Schutzbündnis, das notwendig geworden war, da alle Reichsinstitutionen wie das Reichskammergericht infolge der konfessionellen Gegensätze blockiert waren, und sie den Friedensschutz im Reich nicht mehr als gegeben ansahen. Politisch einflussreich wurde die Protestantische Union erst durch die Verbindung nach Frankreich, weil sich die protestantischen Fürsten durch eine Militärkoalition mit Frankreich Respekt von den katholischen Fürsten verschaffen wollten. Frankreich versuchte seinerseits, sich die Union im Kampf gegen Spanien zum Verbündeten zu machen. Nach dem Tode des französischen Königs Heinrich IV. 1610 wurde eine Koalition mit den Niederlanden angestrebt, aber die Generalstaaten wollten nicht in reichsinterne Konflikte hineingezogen werden und beließen es bei einem 1613 geschlossenen Defensivbündnis für 12 Jahre. Als Gegenstück zur Protestantischen Union gründete Maximilian I. von Bayern am 10. Juli 1609 die Katholische Liga, die die katholische Macht im Reich sichern sollte. Zwar war die katholische Liga in der besseren Position, doch im Gegensatz zur Protestantischen Union gab es keine mächtige Führungsfigur, sondern die Rangfolgekämpfe insbesondere zwischen Maximilian I. von Bayern und dem Kurfürsten von Mainz behinderten die Katholische Liga immer wieder. Kriegsverlauf Ausbruch des Krieges Eigentlicher Auslöser des Krieges war der Ständeaufstand in Böhmen von 1618. Er hat seine Wurzeln im Streit um den Majestätsbrief, der 1609 von Kaiser Rudolf II. ausgestellt worden war und den böhmischen Ständen Religionsfreiheit zugesichert hatte. Sein ab 1612 regierender Bruder Matthias erkannte den Majestätsbrief bei Regierungsantritt zwar an, versuchte aber, die von seinem Vorgänger gemachten Zugeständnisse an die böhmischen Stände wieder rückgängig zu machen. Als Matthias die Schließung der evangelischen Kirche in Braunau anordnete, die Ausübung der evangelischen Religion überhaupt verbot, in die Verwaltung der Städte eingriff und eine im März 1618 folgende Protestnote der böhmischen Stände mit einem Versammlungsverbot des böhmischen Landtages beantwortete, stürmten am 23. Mai 1618 mit Degen und Pistolen bewaffnete Adelige die Böhmische Kanzlei in der Prager Burg. Am Ende einer hitzigen Diskussion mit den kaiserlichen Stellvertretern Jaroslav Borsita von Martinic und Wilhelm Slavata wurden diese beiden und der Kanzleisekretär Philipp Fabricius aus dem Fenster geworfen (Zweiter Prager Fenstersturz). Diese Tat sollte spontan wirken, war aber von Anfang an geplant. Zwar überlebten die drei Opfer, doch der Angriff auf die kaiserlichen Stellvertreter war auch ein symbolischer Angriff auf den Kaiser selbst und kam deshalb einer Kriegserklärung gleich. Die folgende Strafaktion des Kaisers war somit bewusst provoziert. Böhmisch-pfälzischer Krieg (1618–1623) Krieg in Böhmen Nach der Revolte bildeten die böhmischen Stände in Prag ein dreißigköpfiges Direktorium, das die neue Macht des Adels sichern sollte. Seine Hauptaufgaben waren das Ausarbeiten einer Verfassung, die Wahl eines neuen Königs und die militärische Verteidigung gegen den Kaiser. Im Sommer 1618 begannen die ersten Gefechte in Südböhmen, während beide Seiten Verbündete suchten und sich für einen großen militärischen Schlag rüsteten. Die böhmischen Rebellen konnten Friedrich V. von der Pfalz, das Oberhaupt der Protestantischen Union und den Herzog von Savoyen Karl Emanuel I. für sich gewinnen. Letztgenannter finanzierte die Armee unter Peter Ernst II. von Mansfeld zur Unterstützung Böhmens. Die deutschen Habsburger dagegen engagierten den Grafen von Bucquoy, der sich Ende August in Marsch auf Böhmen setzte. Der Feldzug nach Prag wurde aber vorerst von Mansfelds Truppen gestoppt, die Ende November Pilsen eroberten. Die Kaiserlichen mussten sich nach Budweis zurückziehen. Anfänglich schien es so, als würde der Aufstand der böhmischen Stände erfolgreich sein. Das böhmische Heer unter Heinrich Matthias von Thurn zwang zunächst die mährischen Stände zum Anschluss an den Aufstand, drang dann in die österreichischen Stammlande der Habsburger ein und stand am 6. Juni 1619 vor Wien. Doch dem Grafen von Bucquoy gelang es, Mansfeld bei Sablat zu schlagen, sodass das Direktorium in Prag Thurn zur Verteidigung Böhmens zurückrufen musste. Im Sommer 1619 wurde die Böhmische Konföderation gegründet; die böhmische Ständeversammlung setzte Ferdinand als König von Böhmen am 19. August ab und wählte am 24. August Friedrich V. von der Pfalz zum neuen König. Gleichzeitig reiste Ferdinand zur Wahl nach Frankfurt am Main, wo ihn die Kurfürsten am 28. August einstimmig zum römisch-deutschen Kaiser kürten. Mit dem Vertrag von München vom 8. Oktober 1619 gelang es Kaiser Ferdinand II. zwar unter großen Zugeständnissen, den bayrischen Herzog Maximilian I. zum Kriegseintritt zu bewegen, doch geriet Ferdinand noch im Oktober unter Druck, als der mit Böhmen verbündete Fürst von Siebenbürgen Gabriel Bethlen Wien belagerte. Bethlen zog sich jedoch bald wieder zurück, da er fürchtete, dass ihm eine vom Kaiser in Polen angeworbene Armee in den Rücken fallen könnte. Im folgenden Jahr wurde die fehlende Unterstützung für die protestantischen Aufständischen deutlich, die zunehmend in die Defensive gerieten. Eine von Friedrich einberufene Versammlung aller protestantischen Fürsten in Nürnberg im Dezember 1619 wurde nur von Mitgliedern der Protestantischen Union besucht, während der Kaiser im März 1620 die kaisertreuen protestantischen Fürsten an sich binden konnte. Kursachsen wurde für seine Unterstützung die Lausitz zugesichert. Mit dem Ulmer Vertrag schlossen die Katholische Liga und die Protestantische Union ein Nichtangriffsabkommen, sodass Friedrich keine Hilfe mehr erwarten konnte. Deshalb konnte im September das Ligaheer ungehindert über Oberösterreich in Böhmen einmarschieren, während sächsische Truppen die Lausitz besetzten. Auch Bethlens Soldaten konnten den Gegner nicht aufhalten. Am 8. November 1620 kam es bei Prag zur Schlacht am Weißen Berg, in der das böhmische Ständeheer von den Feldherren Buquoy und Johann T’Serclaes von Tilly schwer geschlagen wurde. Friedrich musste aus Prag über Schlesien und Brandenburg nach Den Haag fliehen und suchte in Norddeutschland nach Verbündeten. Schlesien dagegen löste sich aus der Böhmischen Konföderation. Im Januar verhängte Kaiser Ferdinand die Reichsacht über Friedrich. Zuletzt hatte der Dänenkönig Christian IV. die protestantischen Herzöge von Lüneburg, Lauenburg und Braunschweig, die Gesandten von England, Holland, Schweden, Brandenburg und Pommern sowie den vertriebenen Winterkönig zwischen Januar und März 1621 zum „Segeberger Convent“ auf die holsteinische Siegesburg geladen, um gemeinsame Maßnahmen gegen den katholischen Kaiser zu beschließen. Nach vergeblichen Beratungen löste sich die Protestantische Union im April 1621 schließlich selbst auf. Nach dem Sieg bei Prag hielt der Kaiser in Böhmen ein Strafgericht ab: 27 Personen wurden im Folgenden wegen Majestätsbeleidigung angeklagt und hingerichtet. Um den Protestantismus in Böhmen wieder zurückzudrängen, vertrieb Ferdinand 30.000 Familien und zog 650 adelige Güter als Reparationen ein, die er zur Tilgung seiner Schulden an seine katholischen Gläubiger verteilte. Krieg in der Kurpfalz Schon im Sommer 1620 eroberte der spanische Heerführer Ambrosio Spinola aus Flandern kommend die linksrheinische Pfalz, zog sich im Frühjahr 1621 aber wieder nach Flandern zurück. Eine 11.000 Soldaten starke Garnison blieb in der Pfalz. Die noch verbliebenen protestantischen Heerführer Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel, der tolle Halberstädter genannt, und Ernst von Mansfeld sowie der Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach zogen im Frühjahr 1622 aus unterschiedlichen Richtungen in die Pfalz. In den pfälzischen Erblanden des „Winterkönigs“ konnten die protestantischen Truppen zunächst die Schlacht bei Mingolsheim (27. April 1622) für sich entscheiden. In den folgenden Monaten erlitten sie jedoch schwere Niederlagen, weil sie den Kaisertreuen zwar zahlenmäßig überlegen waren, es ihnen jedoch nicht gelang, sich zu vereinigen. Die badischen Truppen wurden in der Schlacht bei Wimpfen (6. Mai 1622) vernichtend geschlagen, in der Schlacht bei Höchst unterlag Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel dem Liga-Heer unter Tilly. Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel trat daraufhin mit Ernst von Mansfeld in niederländische Dienste, wohin sich die beiden Heere absetzten. Auf dem Marsch trafen sie auf ein spanisches Heer, über das sie in der Schlacht bei Fleurus (29. August 1622) einen Pyrrhussieg erringen konnten. Ab Sommer 1622 war die rechtsrheinische Pfalz von Ligatruppen besetzt und Friedrich V. verlor am 23. Februar 1623 die Kurwürde, die auf Maximilian von Bayern übertragen wurde. Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel erlitt bei Stadtlohn erneut eine verheerende Niederlage und seine dezimierten Truppen waren fortan für die Kaiserlichen kein ernstzunehmender Gegner mehr. Die Oberpfalz fiel an Bayern und wurde bis 1628 katholisiert. Ebenfalls 1628 wurde die Kurwürde der Bayerischen Herzöge erblich, ebenso der Besitz der Oberpfalz. Im Gegenzug erließ Maximilian Kaiser Ferdinand die Erstattung von 13 Millionen Gulden Kriegskosten. Diese Übertragung einer protestantischen Kurwürde auf einen katholischen Herzog sowie die territoriale Ausweitung Bayerns stellte eine tiefgreifende Änderung des Machtgefüges im Reich zu Gunsten der Katholiken dar und schaffte damit die Grundlage für die Ausweitung des Konflikts. Bereits unmittelbar nach der Inauguration Maximilians I. in Regensburg urteilte die Infantin Isabella Clara Eugenia in Brüssel an Philipp IV. von Spanien, dessen Gesandten aufgrund der Furcht vor den Konsequenzen dieses Akts im Vorfeld vergeblich versucht hatten die Einsetzung Maximilians als Kurfürst zu verschieben, dass „[d]er Kaiser […] sich damit in neue und gefährliche Kämpfe eingelassen [hat].“ Ihre Einschätzung sollte sich als richtig erweisen. Wiederbeginn des Achtzigjährigen Krieges Als 1621 der zwölfjährige Waffenstillstand zwischen den Niederlanden und Spanien auslief, begann auch der niederländische Unabhängigkeitskrieg wieder. Spanien hatte die Friedenszeit genutzt, um seine militärische Kraft zu stärken, sodass es mit einer 60.000 Mann starken Armee die Niederlande bedrohen konnte. Im Juni 1625 gelang es nach fast einjähriger Belagerung, die niederländische Stadt Breda zur Kapitulation zu zwingen, doch eine erneute Finanzknappheit der spanischen Krone behinderte weitere Operationen der flandrischen Armee und verhinderte so die vollständige Eroberung der niederländischen Republik. Niedersächsisch-Dänischer Krieg (1625–1629) Nach dem Sieg des Kaisers über die protestantischen Fürsten im Reich betrieb Frankreich ab 1624 wieder eine antihabsburgische Politik. Dazu schloss der französische König Ludwig XIII. nicht nur ein Bündnis mit Savoyen und Venedig, sondern initiierte auch ein Bündnis der protestantischen Herrscher in Nordeuropa gegen den habsburgischen Kaiser. 1625 kam es zur Gründung der Haager Allianz zwischen England, den Niederlanden und Dänemark. Das erklärte Ziel der Allianz war der Unterhalt eines gemeinsamen Heeres unter der Führung des Dänenkönigs und Herzogs von Holstein, Christian IV., mit dem der protestantische Norden Deutschlands gegen die Restitutionforderungen der Katholiken geschützt werden sollte. Christian IV. versprach, nur 30.000 Soldaten zu benötigen, von denen der Großteil vom niedersächsischen Reichskreis bezahlt werden sollte, in dem Christian als Herzog von Holstein stimmberechtigtes Mitglied war. Damit setzte er sich gegen den schwedischen König Gustav II. Adolf durch, der 50.000 Soldaten forderte. Wesentliche Motivation Christians für den Kriegseintritt war es, Verden, Osnabrück und Halberstadt für seinen Sohn zu gewinnen. Christian warb sofort ein 14.000 Mann starkes Heer an und versuchte auf dem Kreistag in Lüneburg im März 1625, die Kreisstände zur Finanzierung weiterer 14.000 Söldner zu bewegen und ihn zum Kreisobristen zu wählen. Die Stände aber wollten keinen Krieg und machten deshalb zur Bedingung, dass das neue Heer nur zur Verteidigung des Kreises diene und das Kreisgebiet deshalb nicht verlassen dürfe. Der dänische König hielt sich nicht an die Regelung und besetzte mit Verden und Nienburg Städte, die zum niederrheinisch-westfälischen Reichskreis gehörten. In dieser Bedrohungssituation bot der böhmische Adelige Albrecht von Wallenstein dem Kaiser an, zunächst auf eigene Rechnung ein Heer aufzustellen. Im Mai und Juni 1625 berieten die kaiserlichen Räte über das Angebot. Hauptsorge war dabei, durch die Aufstellung einer Armee einen neuen Krieg zu provozieren. Da die Mehrheit der Räte aber einen Angriff Dänemarks für wahrscheinlich hielt und sich dagegen rüsten wollte, wurde Wallenstein Mitte Juni 1625 im mährischen Nikolsburg zum Herzog erhoben. Mitte Juli erhielt er sein Patent zum ersten Generalat und den Auftrag zur Aushebung einer 24.000 Mann starken Armee, die von weiteren Regimentern aus anderen Teilen des Reiches verstärkt wurde. Zum Ende des Jahres war Wallensteins Armee so auf 50.000 Mann gewachsen. Wallenstein bezog in Magdeburg und Halberstadt sein Winterquartier und sperrte so den Schiffsverkehr auf der Elbe, während das Ligaheer unter Tilly weiter im östlichen Westfalen und in Hessen lagerte. Mit seinem Verbündeten Ernst von Mansfeld plante Christian einen Feldzug, der sich zunächst gegen Thüringen und dann gegen Süddeutschland richten sollte. Wie zuvor die Böhmen und Friedrich von der Pfalz wartete aber auch Christian vergeblich auf nennenswerte Unterstützung durch andere protestantische Mächte und sah sich zudem im Sommer 1626 nicht nur dem Heer der Liga, sondern auch der Armee Wallensteins gegenüber. Am 27. August 1626 erlitten die Dänen in der Schlacht bei Lutter am Barenberge eine vernichtende Niederlage gegen Tilly, die sie die Unterstützung ihrer deutschen Verbündeten kostete. Bereits am 25. April 1626 hatte Wallenstein Christians Verbündeten Ernst von Mansfeld in der Schlacht an der Dessauer Elbbrücke besiegt. Mansfeld gelang es danach noch einmal, ein Heer aufzustellen, mit dem er nach Süden auswich. In Ungarn beabsichtigte er, seine Truppen mit denen Bethlens zu vereinigen, um anschließend Wien anzugreifen. Doch Wallenstein verfolgte den Söldnerführer und zwang ihn schließlich zur Flucht. Kurz darauf starb Mansfeld in der Nähe von Sarajewo. Im Sommer 1627 stieß Wallenstein in wenigen Wochen nach Norddeutschland und auf die Halbinsel Jütland vor. Nur die dänischen Inseln blieben von den Kaiserlichen unbesetzt, da sie nicht über Schiffe verfügten. 1629 schloss Dänemark den Frieden von Lübeck und schied aus dem Krieg aus. Die protestantische Sache im Reich schien verloren. Wie 1623 Friedrich von der Pfalz, so wurden nun die mit Dänemark verbündeten Herzöge von Mecklenburg für abgesetzt erklärt. Ihre Landesherrschaft übertrug der Kaiser auf Wallenstein, um damit seine Schulden bei ihm zu begleichen. Gleichfalls 1629 erließ Ferdinand II. das Restitutionsedikt, das die Rückerstattung aller seit 1555 von protestantischen Fürsten eingezogenen geistlichen Besitztümer vorsah. Das Edikt markiert zugleich den Höhepunkt der kaiserlichen Macht im Reich und den Wendepunkt des Krieges, denn es fachte den schon gebrochenen Widerstand der Protestanten erneut an und führte ihnen Verbündete zu, denen Kaiser und Liga am Ende nicht gewachsen waren. Mantuanischer Erbfolgekrieg In dieser Zeit brach in Italien der Erbfolgekrieg um das Herzogtum Mantua aus, deren Herrscher Vincenzo II. Gonzaga Ende 1627 als Letzter aus der Hauptlinie der Gonzaga gestorben war. Obwohl der Kaiser, Spanien und Frankreich einen Krieg vermeiden wollten, wurden sie durch die mangelnde Kompromissbereitschaft der norditalienischen Fürsten in den Konflikt hineingezogen. Der nächste Gonzaga-Erbe Carlo, Herzog von Nevers, war nicht bereit, die Ansprüche der Nebenlinie Gonzaga-Guastalla und des Herzogs von Savoyen auf Teile seines Besitzes zu kompensieren. Der Herzog von Guastalla suchte die Unterstützung des Kaisers, während Savoyen diejenige Spaniens gewann. Um spanische Vorteile zu verhindern, griff Frankreich auf Seiten von Nevers ein. Obwohl das vom Kaiser geschickte Heer militärisch erfolgreich war und im Juli 1630 Mantua eroberte und ausplünderte, konnten er und Spanien ihre politischen Ziele nicht durchsetzen. Gleichzeitig fehlten die Truppen dem Kaiser in der Folge auf dem deutschen Kriegsschauplatz. Schwedischer Krieg (1630–1635) Die hier gewählte, weithin übliche Bezeichnung der relativ kurzen Phase des Krieges als „Schwedischer Krieg“ ist streng genommen willkürlich. Eigentlich zog sich der Schwedische Krieg kontinuierlich über ca. 20 Jahre hin, gezählt vom Eintreffen der Schweden im Jahr 1630 bis zu ihrem Abzug im Jahr 1650. Diese lange Zeit wurde für die Schweden nach der Schlacht bei Nördlingen im Jahr 1634 nur einmal kurz unterbrochen, als die Stellung der Schweden für einige Monate zusammenbrach. Auch bei anderen Kriegsparteien gab es ähnliche Zusammenbrüche – auf der kaiserlichen Seite sogar mehrmals – ohne dass sich dadurch die bisher üblichen Bezeichnungen der Kriegsphasen geändert hätten. Nachdem mit Dänemark eine Ostseemacht aus dem Dreißigjährigen Krieg ausgeschieden war, sah Gustav Adolf von Schweden die Chance gekommen, seine hegemonialen Ansprüche in Nordosteuropa durchzusetzen. Am 6. Juli 1630 landete er mit einer Armee von 13.000 Mann auf Usedom und verstärkte seine Truppen mit Anwerbungen auf 40.000 Mann. In langwierigen Verhandlungen mit Frankreich sicherte er mit dem im Januar 1631 geschlossenen Vertrag von Bärwalde einen Grundstock zur Finanzierung des geplanten Feldzuges. Weitere Monate mit Bedrohungen und mit der Eroberung von Frankfurt an der Oder im April 1631 waren erforderlich, um Pommern, Mecklenburg, Brandenburg und Sachsen zu Bündnisverträgen mit Schweden zu veranlassen. Während dieser Zeit eroberten im Mai 1631 die katholischen Ligatruppen unter Tilly nach mehrmonatiger Belagerung Magdeburg. Die Stadt wurde durch Brände weitgehend zerstört und war nach mehr als 20.000 Toten fast völlig entvölkert. Das als Magdeburger Hochzeit bezeichnete Ereignis war das größte Massaker des Dreißigjährigen Krieges und wurde, verbreitet durch Hunderte Flugschriften und Flugblätter, für die Protestanten zu einem wirksamen Instrument der antikatholischen Propaganda. Am 17. September 1631 traf das schwedische Heer unter Gustav Adolf in der Schlacht bei Breitenfeld nördlich von Leipzig auf die Truppen der katholischen Liga unter Tilly. Tilly wurde vernichtend geschlagen und musste sich nach Süddeutschland zurückziehen. Ein erstes Eindringen der Schweden nach Franken konnte Tilly in der Schlacht bei Bamberg gegen Gustaf Horn noch abwehren, doch in der Schlacht bei Rain am Lech (14./15. April 1632) gegen die schwedische Hauptmacht wurde er geschlagen und musste sich schwer verwundet nach Ingolstadt zurückziehen, wo er am 30. April mit dem Wort „Regensburg“ auf den Lippen starb. Die Schweden versuchten das stark befestigte Ingolstadt einzunehmen, was aber trotz hoher Verluste nicht gelang. Nach Abbruch der Belagerung verfolgte eine schwedische Heeresgruppe unter Horn flüchtende bayerische Truppen, die in Regensburg Schutz suchen wollten. Kurfürst Maximilian hatte die Stadt am 27. April 1632 überraschend gewaltsam besetzen lassen und damit die Kämpfe um Regensburg ausgelöst. Erwartet wurde ein schwedischer Angriff, denn die protestantische Reichsstadt Regensburg galt als Schlüsselfestung an der Donau, die Wien und damit Österreich vor dem bereits von Tilly befürchteten schwedischen Angriff schützen sollte. Statt Regensburg anzugreifen verfolgte das schwedische Hauptheer unter Gustav Adolf aber den bayerischen Kurfürsten Maximilian, der von Ingolstadt nach München und dann weiter nach Salzburg flüchtete. Mitte Mai 1632 wurde die kaum verteidigte Residenzstadt München vom schwedischen Heer eingenommen. Durch Zahlung eines hohen Tributes von 300.000 Talern konnte sich die Stadt vor der Plünderung bewahren. Während Gustav Adolf in der Stadt München keine Plünderungen duldete, hatte er aber auf seinem Weg nach München und während seines 10-tägigen Aufenthaltes die ländlichen Regionen Bayerns für die systematische Plünderung durch seine Soldaten freigegeben. Bereits Anfang des Jahres 1632 hatte Kaiser Ferdinand II. den 1630 auf dem Regensburger Kurfürstentag entlassenen Wallenstein erneut zum Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen ernannt, um der potentiellen Bedrohung Böhmens und Bayerns durch Schweden und ihren sächsischen Verbündeten zu begegnen. Wallenstein hatte in Böhmen sehr schnell ein neues Heer aufgestellt, war mit dem neuen Heer nach Nürnberg gezogen und hatte dort ein großes, stark befestigtes und mit Lebensmitteln und Pferden gut versorgtes Heerlager eingerichtet. Für das im Juni 1632 immer noch in München stehende schwedische Heer von Gustav Adolf waren dadurch und auch wegen des von ihm befürchteten Wankelmuts seiner sächsischen Verbündeten die Rückzugswege nach Norden zur Ostseeküste bedroht. Gustav Adolf sah sich gezwungen, von München aus den Rückzug nach Nürnberg anzutreten und Wallenstein bei Nürnberg zum Kampf zu stellen. In der daraufhin folgenden Schlacht an der Alten Veste westlich von Nürnberg bei Zirndorf gelang es Wallenstein jedoch am 3. September 1632, dem schwedischen Heer so beträchtliche Verluste beizubringen, dass Gustav Adolf gezwungen war, den Kampf abzubrechen. Durch den daraufhin folgenden Abzug auch des Wallenstein-Heeres in die Winterquartiere nach Sachsen sah sich Gustav Adolf nun gezwungen, den mit ihm verbündeten Sachsen zur Seite zu stehen. Er verfolgte das abziehende Wallenstein-Heer und konnte es in der Nähe von Leipzig bei Lützen zwar einholen, jedoch misslang ihm der erhoffte Überraschungsangriff. Die erst am Folgetag, dem 16. November 1632, wegen Nebels spät beginnende Schlacht bei Lützen verlief zunächst für Gustav Adolf günstig. Die Lage änderte sich aber, als die von Wallenstein bereits in Quartiere entlassene, dann aber zurück beorderten Reitertruppen unter Pappenheim auf dem Schlachtfeld eintrafen, obwohl Pappenheim bald nach dem Eintreffen ums Leben kam. Auch Gustav Adolf verlor in einer unübersichtlichen Situation sein Leben. Nachdem sein Tod im schwedischen Heer bekannt wurde, ergriff Bernhard von Sachsen-Weimar noch auf dem Schlachtfeld den Oberbefehl über die zunächst geschockten schwedischen Truppen und beendete die Schlacht für die Schweden aus militärischer Sicht erfolgreich. Trotzdem war der Tod Gustav Adolfs für die Protestanten ein schwer wiegender Verlust. Der schwedische Reichskanzler Axel Oxenstierna übernahm die Regentschaft über Schweden und auch den militärischen Oberbefehl. Um den Kampf weiterführen zu können, waren neue Heeresstrukturen und neue Bündnisse erforderlich. Oxenstierna schloss mit den Protestanten des fränkischen, schwäbischen und rheinischen Reichskreises den Heilbronner Bund (1633–1634). Der Tod von Gustav Adolf führte auch zu erheblichen Umgestaltungen der schwedischen Heeresverbände und zu Auseinandersetzungen zwischen den Heerführern, unter denen Bernhard von Sachsen-Weimar als deutscher Reichsfürst eine führende Stellung erringen konnte. Er besetzte im Februar 1633 Bamberg und hatte die Absicht, mit seiner neuen „fränkischen Armee“ die Oberpfalz zu besetzen und im Kampf um Regensburg diese Schlüsselstadt zu erobern, um von dort aus nach Österreich vorzudringen. Weil es durch ausbleibende Soldzahlungen zu Meutereien bei den Truppen kam, verzögerten sich die Pläne und Regensburg wurde erst im November 1633 erobert und besetzt. Wallenstein hatte es versäumt, von Böhmen aus die Eroberung von Regensburg zu verhindern. Das führte letztlich dazu, dass der bayerische Kurfürst Maximilian und besonders Kaiser Ferdinand II. das Vertrauen zu Wallenstein völlig verloren und Möglichkeiten fanden, den Feldherrn am 25. Februar 1634 in Eger ermorden zu lassen. Nach Wallensteins Tod erhielt der Sohn des Kaisers, der spätere Kaiser Ferdinand III., den Oberbefehl über das kaiserliche Heer. Es gelang ihm, in einer gemeinsamen Operation mit dem bayerischen Kurfürsten und dem unter bayerischer Führung stehenden Heer der Katholischen Liga unter dem Kommando von Johann von Aldringen, im Kampf um Regensburg die Stadt im Juli 1634 wieder zurückzuerobern. Der Verlust von Regensburg wurde durch einen Entlastungsangriff von zwei schwedischen Heeren noch fast verhindert, jedoch verloren die beiden schwedischen Heere durch die exzessive Plünderung der von ihnen auf dem Weg nach Regensburg eroberten Stadt Landshut so viel Zeit, dass sich die schwedischen Besatzungstruppen in Regensburg bereits vorher ergeben mussten. Diese vermeidbare Niederlage war der Beginn weiterer militärischer Misserfolge für die Schweden. Beide schwedischen Heere mussten in Eilmärschen den sofort von Regensburg nach Württemberg abgezogenen siegreichen kaiserlich-bayerischen Heeren folgen und erreichten Württemberg nach Verlusten von Material und erschöpft von starken Regenfällen. Dort gerieten die beiden schwedischen Feldherren Bernhard von Sachsen-Weimar und Gustaf Horn in Streit über die strategische Frage, wie die von den feindlichen Truppen belagerte Stadt Nördlingen befreit werden könne. Außerdem war es einem spanischen Heer unter dem Kardinalinfanten Ferdinand gelungen, von Süden kommend nach Südwestdeutschland einzudringen und sich mit dem kaiserlichen Heer vor Nördlingen zu vereinigen. Dort kam es im September 1634 zur entscheidenden Schlacht, in der die protestantischen, schwedischen Truppen unter Horn und Bernhard von Sachsen-Weimar eine verheerende Niederlage erlitten, die zum Ende dieser Kriegsphase führte. Nach der schweren Niederlage der Schweden brachen im Folgejahr 1635 mit Ausnahme der calvinistisch geprägten Landgrafschaft Hessen-Kassel fast alle protestantischen Reichsstände unter Führung von Kursachsen aus dem Bündnis mit Schweden aus und schlossen mit Kaiser Ferdinand II. den Prager Frieden. Im Friedensvertrag musste der Kaiser den Protestanten die Aussetzung des Restitutionsedikts von 1629 für vierzig Jahre zugestehen. Auch der bayerische Kurfürst Maximilian I. wurde gedrängt, sich dem Bündnis anzuschließen und stimmte zu, obwohl er sein Heer der katholischen Liga in die neue Reichsarmee eingliedern musste. Ziel der Reichsfürsten und der Reichsarmee war es, gemeinsam und mit Unterstützung von Spanien gegen Frankreich und Schweden als den Feinden des Reiches vorzugehen. Damit hörte der Dreißigjährige Krieg endgültig auf, ein Krieg der Konfessionen zu sein. Als Antwort auf den Prager Frieden verbündeten sich 1635 die protestantischen Schweden mit den katholischen Franzosen im Vertrag von Compiègne, um ebenfalls gemeinsam die spanisch-kaiserliche Macht der Habsburger einzudämmen. Schwedisch-Französischer Krieg (1635–1648) Die hier wiedergegebene, weithin übliche Bezeichnung der letzten Phase des Krieges als „Schwedisch-Französischer Krieg“ ist leicht irreführend. Nach dem Regierungsantritt von Kaiser Ferdinand III. im Jahr 1637 war diese Phase des Krieges ganz wesentlich geprägt von Kämpfen zwischen kaiserlich-habsburgischen und schwedischen Truppen. Das lag aber nicht in der Absicht des Kaisers, denn seine Leitlinie war eigentlich die Kooperation mit Spanien und der gemeinsame Kampf gegen Frankreich, als den „Quell allen Übels“. Kriegseintritt Frankreichs Der Kaiser und der sächsische Kurfürst waren überzeugt, mit dem Prager Friedensvertrag die Basis zur Beendigung des Konflikts mit Schweden gelegt zu haben. Diese Hoffnung erwies sich als Illusion, denn nun musste Frankreich als bisheriger finanzieller Unterstützer von Schweden fürchten, dass der Krieg zum Vorteil des Habsburger Kaisers enden könnte. Frankreich, das bisher nur über einen Stellvertreterkrieg indirekt am Krieg beteiligt war, entschloss sich, nun auch mit eigenen Truppen aktiv zu werden. Zunächst erfolgte am 19. Mai 1635 eine Kriegserklärung von Frankreich an Spanien. Spanische Truppen hatten im März 1635 die seit 1632 von französischen Truppen besetzte Stadt Trier im Handstreich eingenommen und den Kurfürsten von Sötern gefangen genommen. Die von Frankreich geforderte Freilassung des verbündeten Kurfürsten wurde verweigert, und der Kurfürst blieb stattdessen bis April 1645 in Haft. Bevor Frankreich in den Krieg eintrat, verfügte die französische Armee über 72 Infanterieregimenter. Im Jahr des Kriegseintritt erhöhte sich die Zahl auf 135 Regimenter, erreichte im Jahr 1636 174 Regimenter und gipfelte 1647 in einer Zahl von 202 Regimentern. Nach einer Heeresreform 1635 zählte jedes Linienregiment 1060 Mann. Im Jahr 1635 betrug die Zahl der französischen Infanterie ca. 130.000 Mann, im Jahr 1636 waren es ca. 155.000 Mann und im Jahr 1647 ungefähr 100.000 Mann. Bei Kriegseintritt galt das französische Heer als in einem schlechten Zustand befindlich und setzte sich aus Soldaten zusammen, die gegenüber den im Krieg kampferprobten kaiserlichen und schwedischen Soldaten unerfahren waren. Stabilisierung Schwedens Während die Schweden sich fast vollständig nach Norddeutschland an die Küste der Ostsee zurückzogen, wo der Nachschub aus ihrer Heimat per Schiff gesichert war, übernahm Frankreich ihre befestigten Orte und Schanzen am Oberrhein. Da Schweden fortan Bernhard von Sachsen-Weimar und seine Armee nicht mehr unterstützte, nahm dieser eigene Bündnisverhandlungen mit Richelieu auf. Im Oktober 1635 wurde ein Bündnis- und Kooperationsvertrag abgeschlossen. Bernhards Armee wurde dem französischen Oberkommando unterstellt und ihm ein Territorium im Elsass zugesichert. Ihm wurden jährlich vier Millionen französische Pfund als Verfügungsetat zugesichert, womit er 18.000 Soldaten besolden und versorgen sollte. Seine Armee setzte sich aus ehemaligen Söldnern der schwedischen Armee (sog. Bernhardiner oder Weimaraner) und französischen Verstärkungen zusammen. Die politische Führung unter Axel Oxenstierna und das letzte auf deutschem Boden befindliche schwedische Heer unter Johan Banér zogen sich bis September 1635 nach Magdeburg zurück. Vertragliche Grundlage hierfür bildete der im März 1636 auf Grundlage des Vertrags von Compiègne geschlossene Vertrag von Wismar. Danach sollte Schweden den Krieg über das militärisch schwache Brandenburg und Sachsen in die habsburgischen Erblande in Böhmen und Mähren verlegen und Frankreich sollte sich der Gebiete der österreichischen Habsburger am Rhein bemächtigen. Als französische Truppen im Mai 1635 versuchten, die Spanische Niederlande und im September 1635 das südliche Rheinland zu erobern, scheiterte das Vorhaben nicht nur aufgrund von Seuchen und Versorgungsschwierigkeiten im eigenen Heer, sondern auch am rechtzeitigen Entsatz von Löwen in den Niederlanden durch das kaiserliche Hilfskorps für die Spanier unter Octavio Piccolomini und am kaiserlichen Hauptheer am Rhein unter Matthias Gallas. Gallas konnte die verbündeten Heere von Frankreich und von Bernhard von Sachsen-Weimar nach Metz abdrängen, letzterer konnte aber die Stellungen am Oberrhein halten. Nach der Auflösung des Heilbronner Bundes eröffnete die Sächsische Armee im Oktober 1635 förmlich den Krieg gegen den einstigen Verbündeten Schweden und blockierte ab November 1635 Magdeburg. Die schwedischen Soldaten wurden unruhig und auch Generäle argwöhnten Friedensverhandlungen über ihre Köpfe hinweg. Nach der schweren Niederlage der Schweden bei Nördlingen hatte eine Meuterei im schwedischen Heer gedroht und noch im August 1635 wurde der schwedische Reichskanzler Oxenstierna von meuternden Gruppen festgehalten. Er entzog sich im September heimlich dem Zugriff der Truppe, da er um sein Leben fürchtete. Im Oktober 1635 beendeten Erfolge der Schweden unter Banér in der Schlacht bei Dömitz und anschließend bei Kyritz gegen ein brandenburgisches Heer die Gefahr eines schwedischen Zusammenbruchs. Die Schweden setzten nun alles daran, ihre auf Pommern und Mecklenburg zusammengeschrumpfte Machtbasis zu erweitern. Das konnte gelingen, weil sich die Kaiserlichen zunächst auf Frankreich konzentrierten und die Vertreibung der Schweden aus dem Reichsgebiet Kursachsen überließen. Kaiserliche und bayerische Truppen unter Piccolomini und Johann von Werth unterstützen dazu 1636 die spanischen Truppen in den südlichen Niederlanden. Sie drangen gemeinsam Anfang Juli von Mons aus in Nordfrankreich ein. Nachdem sie La Capelle erobert hatten und entlang der Oise Richtung Paris vorgestoßen waren, drehten sie in der erwarteten Richtung der französischen Armee nach Westen ab, eroberten Le Catelet und überschritten Anfang August von Norden her die Somme. In Paris kam es zu Aufständen, nachdem die Angreifer Mitte August die nur 100 km nördlich entfernte französische Grenzfestung Corbie erobert hatten. Im Zusammenwirken von Richelieu und König Ludwig XIII. wurde ein Volksheer gebildet, dem es gelang, die Bedrohung von Paris abzuwenden. Im Süden sollte Gallas mit einem weiteren Heer nach Frankreich vorstoßen. Zuerst musste er seine Vorhut in die spanische Franche-Comté entsenden, deren Hauptstadt Dole von einem französischen Heer belagert wurde. Der Entsatz gelang und kaiserlich-lothringische Reiter verheerten in der Folge das Gebiet bis Dijon. Das nachrückende Hauptheer unter Gallas sollte von dort ins Innere Frankreichs vorrücken, bei Langres verlegte ihm aber das Heer Bernhard von Sachsen-Weimars den Weg. Im Norden wurde Corbie nach einer Belagerung durch das französische Volksheer im November 1636 wieder zurückerobert. Die Spanier unter dem Kardinalinfanten hatten sich zu spät für einen Entsatz entschieden, da sie ihre Operationen bereits als abgeschlossen ansahen. Die spanische Militärführung gab sich letztlich mit dem Erwerb einiger französischer Grenzfestungen zufrieden, was Piccolomini als vergebene Chance betrachtete. Gleichzeitig gelang den Schweden in der Schlacht bei Wittstock ein Sieg gegen ein kaiserlich-kursächsisches Heer. Der Sieg erwies sich als so umfassend, dass im folgenden Jahr im Nordosten des Reiches kaiserlichen Truppen dringend benötigt wurden. Zuvor hatte Gallas noch versucht, eine Offensive ins innere Frankreich zu starten, um dort Winterquartiere im Feindesland einzurichten und dabei schwächer verteidigte Gebiete zu verheeren. Er scheiterte aber Anfang November an schlechter Witterung und an der erbitterten Verteidigung der Grenzstadt Saint-Jean-de-Losne. Ohne geeignete Quartiere musste er mit dem Großteil seiner Truppen wieder den langen Rückmarsch zum Rhein antreten. Nach dem Sieg bei Wittstock hatte sich die Lage für Schweden deutlich gebessert. Kurbrandenburg war wieder unter schwedischer Kontrolle und der brandenburgische Kurfürst musste nach Königsberg in Preußen fliehen. Im Frühjahr 1637 drangen die Schweden unter Banér auch in Kursachsen ein. Die Belagerung von Leipzig scheiterte aber, und nachdem sächsische Truppen und die aus Burgund zurückgekehrte kaiserliche Hauptarmee Banér zum Rückzug nach Pommern gezwungen hatten, waren die Schweden wieder in ihrer Küstenbasis eingeschlossen. Krise und Zwischenhoch der Habsburger Der direkte Kriegseingriff der Franzosen und ihre Subsidienzahlungen hatten dazu geführt, dass die schwedische Schwächephase nach 1634 überwunden wurde. 1637 war der Kaiser gestorben. Sein Nachfolger Ferdinand III. drängte zwar auf einen Ausgleich, doch der Prager Frieden war zu diesem Zeitpunkt bereits Geschichte. Sämtliche andere Friedensinitiativen wie die von Papst Urban VIII. (Kölner Friedenskongress) oder dem Hamburger Kongress von 1638 waren gescheitert. Frankreich selbst wollte vor einer Restitution der Pfalz, Hessen-Kassels, Braunschweig-Lüneburgs und weiterer protestantischer Reichsstände als auch den Erhalt von Kriegsentschädigungen keinen Frieden schließen. Letztlich vertrat auch Ferdinand III. die Interessen der alten Kirchenverhältnisse, bemühte sich aber mehr um einen reichsständischen Konsens. Die direkte Kriegsbeteiligung war für die Franzosen selbst bisher wenig erfolgreich verlaufen, die 1636 im Année de Corbie gerade so eine Katastrophe abwenden konnten und ihre einst vom Trierer Kurfürsten überlassenen Brückenköpfe am Rhein (Philippsburg und Ehrenbreitstein) bis 1637 an die Kaiserlichen verloren hatten. Erst die Entlastung im Kampf gegen die Spanier durch niederländische Erfolge wie die Eroberung von Breda 1637 und die Vorstöße Bernhards von Sachsen-Weimar am Oberrhein brachten Frankreich wieder erfolgreich in das Kriegsgeschehen zurück. Bernhards Heer besiegte 1637 zunächst den Herzog von Lothringen im Norden der Franche-Comté und zog anschließend zum Oberrhein. Ende 1637 noch von Johann von Werth wieder über den Rhein zurückgedrängt, fügte sein Heer den kaiserlichen Truppen im nächsten Jahr mehrere Niederlagen zu. Im Januar 1638 eröffnete das weimarische Heer einen Winterfeldzug auf linksrheinischem Gebiet und nahm die Waldstädte Säckingen und Laufenburg ein. Dann belagerte das Heer die strategisch wichtige Stadt Rheinfelden und besiegte nach einem ersten Misserfolg am 28. Februar im zweiten Versuch am 3. März das von seiner Rückkehr völlig überraschte kaiserliche Entsatzheer unter Savelli und Werth in der Schlacht bei Rheinfelden. Nach der Übernahme der Stadt Freiburg im April 1638 begann das weimarische Heer im Mai 1638 mit der Belagerung von Breisach. Die stark verteidigte Reichsfestung Breisach musste trotz zweier Versuche zum Entsatz durch kaiserlich-bayerische Heere im Dezember 1638 kapitulieren. Ein für 1639 geplanter Feldzug fand nicht statt, da Bernhard von Sachsen-Weimar am 18. Juli 1639 überraschend verstarb. Im Frühjahr 1638 befürchtete Richelieu beim schwedischen Reichskanzler Axel Oxenstierna einen zunehmenden Wunsch nach einem Separatfrieden und drängte deshalb auf Verabschiedung des Hamburger Vertrags. Darin verlängerten Schweden und Frankreich ihr Bündnis gegen den Kaiser und schlossen einen jeweiligen Separatfrieden mit ihm aus. Weitere 14.000 schwedische Soldaten erreichten Norddeutschland. Der bislang in Pommern eingeschlossene Banér konnte wieder in die Offensive übergehen, während die Kaiserlichen an immer schlechterer Versorgung im norddeutschen Kriegsgebiet litten. Sie erhielten nur unzureichende Unterstützung gegen die Schweden durch das schwache brandenburgische Heer, ihre eigenen Verstärkungen wurden zum Entsatz Breisachs umgelenkt. Als zusätzlich ein mit englischen Geldern finanziertes pfälzisches Heer in Westfalen eindrang, musste der Oberbefehlshaber Gallas zu dessen Abwehr eigene Truppen aus Pommern abziehen. Die Kaiserlichen unter Melchior von Hatzfeldt zerschlugen im Oktober 1638 das pfälzisch-schwedische Heer unter Erbprinz Karl Ludwig in der Schlacht bei Vlotho. Im Nordosten scheiterte dagegen endgültig das Einschließen der Schweden in Pommern, da die Versorgung und Überwinterung der Kaiserlichen in dem Gebiet nicht länger möglich war. Gallas zog sein geschwächtes Heer im Winter 1638 in die Erblande zurück, während die Schweden unter Johan Banér über das ausgezehrte Gebiet hinweg nach Sachsen zogen. Sie schlugen im April 1639 ein sächsisches Heer bei Chemnitz und stießen weiter nach Böhmen bis vor die Mauern von Prag vor. Die Feinde Habsburgs im Reich registrierten aufmerksam, wie die Übermacht des Kaiserlichen Militärs dahinschmolz. Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel brach Verhandlungen über einen Beitritt zum Prager Frieden ab und schloss im Spätsommer 1639 ein Bündnis mit Frankreich. Die in den Prager Frieden einbezogenen Welfenherzöge von Wolfenbüttel und Lüneburg gingen ein Bündnis mit Schweden ein. 1640 berief der Kaiser den Regensburger Reichstag ein und setzte damit ein richtungsweisendes Signal auf dem langen Weg zum Frieden. Der Reichstag gab der ständischen Opposition ihr Forum zurück. Die Dominanz des monarchischen Systems war zerbrochen. Ein Friedensschluss war jedoch nur mit den hier nicht vertretenen Mächten Frankreich und Schweden möglich. Militärisch führten die schwedischen Erfolge zu einer Abberufung von Gallas als Oberbefehlshaber und zur Rückberufung von Piccolominis Hilfskorps für die Spanier in die österreichischen Erblande. Mit einem gut organisierten Winterfeldzug gelang Piccolomini Anfang 1640 die Vertreibung der Schweden aus Böhmen. Im Frühjahr und Sommer lagen sich Kaiserliche und Schweden mehrmals ergebnislos gegenüber, die Kaiserlichen drängten unter dem Oberbefehl Erzherzog Leopold Wilhelms ihre Gegner aber langsam zurück bis hin zur Eroberung Höxters Anfang Oktober. Die Schweden versuchten im Gegenzug ein gemeinsames Vorgehen mit dem nun französischen ehemaligen Heer Bernhards, die Weimaraner genannt; im Januar 1641 stießen sie in einem der typischen schwedischen Blitzfeldzüge bis Regensburg vor. Die Alliierten konnten den dort tagenden Reichstag jedoch nicht sprengen, da rechtzeitig das Eis der zugefrorenen Donau brach und bayrische Kavallerie zum Schutz der Stadt eintraf. Nach Banérs Überraschungsangriff musste er vor überlegenen kaiserlichen und bayrischen Truppen unter Piccolomini und Geleen fliehen und konnte sein Heer nur unter schweren Verlusten nach Sachsen retten, wo er todkrank in Halberstadt ankam. Banérs baldiger Tod führte zu Auflösungserscheinungen im schwedischen Heer. Das schien ein letztes Mal ein Fenster für das dauerhafte Ausscheiden der Schweden aus dem Krieg zu eröffnen. Im Sommer 1641 endete der Krieg zwischen Brandenburg und Schweden, was ein weiterer schwerer Schlag für das Prager Friedenssystem darstellte. Der Kaiser musste in Verhandlungen mit den Schweden nun zwar weniger Rücksicht auf die Brandenburger Ansprüche auf Pommern nehmen, die Schweden erhielten jedoch Durchzugsrechte und feste Stützpunkte in Brandenburg. Kaiserliche und Bayern stießen zur selben Zeit über Halberstadt nach Wolfenbüttel vor, um die von Lüneburger Truppen und dem Restheer der Schweden belagerte Festung zu entsetzen. Ein Angriff auf die Stellungen der Belagerer scheiterte zwar, diese zogen letzten Endes aber doch erfolglos von der Festung ab. Gleichzeitig gelang Hatzfeldt ein Erfolg mit der Einnahme von Dorsten, der hessischen Hauptfestung in Westfalen. Nach Erfolgen gegen die deutschen Verbündeten der Schweden erreichten die Kaiserlichen aber nicht die Zerschlagung des schwedischen Heeres, das ab Ende 1641 von seinem neuen Oberbefehlshaber Lennart Torstensson erfolgreich reorganisiert wurde und im kommenden Jahr zu einem folgenreichen Gegenschlag ausholen würde. Zunächst verloren die kaiserlichen Hilfstruppen für die Spanier unter Lamboy Anfang 1642 die Schlacht bei Kempen am Niederrhein gegen Hessen-Kassel und die Weimaraner unter Guébriant. Das hinderte die Spanier am Ausnutzen ihres Sieges in der Schlacht bei Honnecourt und zwang das bayerische Heer, sich von den Kaiserlichen zu trennen, um Kurköln gegen Guébriant zu schützen. Anschließend zog Torstensson mit dem schwedischen Heer über Schlesien nach Mähren und eroberte unterwegs Glogau und Olmütz. Kaiserliche Truppen manövrierten gegen die schwedische Armee und drängten sie schließlich nach Sachsen zurück. Die Schweden unter Torstensson belagerten dann Leipzig, und die Kaiserlichen stellten ihn in der Zweiten Schlacht bei Breitenfeld. Sie erlitten aber hohe Verluste und eine schwere Niederlage annähernd vergleichbar mit der ersten Schlacht von Breitenfeld. Kämpfe im Westen, Torstenssonkrieg, Beginn der Friedensverhandlungen Ab 1643 verhandelten die kriegführenden Parteien – das Reich, Frankreich und Schweden – in Münster und Osnabrück über einen möglichen Frieden. Die Verhandlungen, immer begleitet von weiteren Kämpfen zur Gewinnung von Vorteilen, dauerten aber noch fünf Jahre an. Die sich zuspitzende Krise Spaniens nach den Aufständen auf der Iberischen Halbinsel 1640 und der verlorenen Schlacht bei Rocroi gegen Frankreich 1643 wirkte sich auch auf die Lage im Reich aus. Madrid sah sich nicht mehr in der Lage, die Wiener Hofburg finanziell zu unterstützen und war militärisch in großem Maße auf der iberischen Halbinsel gebunden. Wien konnte fortan nicht mehr auf spanische Rettungsaktionen rechnen, wenn es im Reich in eine militärische Notlage geriet. Nach dem Tod Bernhards von Weimar gelang es den Franzosen nicht, auf dem rechten Rheinufer weiter voranzukommen. Erst die enormen Verluste der spanischen Flandernarmee bei Rocroi erlaubten es Frankreich, mit größeren Kontingenten an der Rheinfront zu operieren. Hier aber trat ihnen Bayern in den Weg. Die bayerische Armee konnte sich in Süddeutschland gut gegen die französische Armee behaupten. Sie verfügte über eine bessere Versorgung als die Kaiserlichen und mit dem Lothringer Franz von Mercy und dem Reitergeneral Johann von Werth über sehr fähige Heerführer. Zusammen mit lothringischen und spanischen Truppen sowie einem kaiserlichen Korps unter Melchior von Hatzfeldt gelang ihnen in der Schlacht bei Tuttlingen die fast völlige Vernichtung eines französisch-weimaranischen Heeres. Auch Frankreich zeigte inzwischen Züge von Kriegsmüdigkeit. Dort entstanden Unruhen aufgrund der kriegsbedingt erhöhten Steuerbelastung. Dem bayerisch-kaiserlichen Heer gelang es 1644 Freiburg zurückzuerobern und den Franzosen unter den Generalen Turenne und Condé in der Schlacht am Lorettoberg schwere Verluste zuzufügen. Im Gegenzug zog Condé in die schwach verteidigte nördliche Rheinebene, wo er nach kurzer Belagerung Philippsburg einnahm und kampflos Speyer, Worms und Mainz besetzte. Die schwedischen Soldaten zog Ende 1643 nach einem erneuten Vordringen nach Mähren völlig unerwartet ab, um im Torstenssonkrieg Dänemark anzugreifen. Die Kaiserlichen reagierten darauf mit einer eigenen Offensive zur Entlastung der Dänen, denn die Hofburg wollte die Vermittlerrolle Dänemarks nicht missen. Dieser Vorstoß sollte jedoch nach anfänglichen Erfolgen schlussendlich vergeblich bleiben. Der kaiserliche Rückmarsch aus Holstein entwickelte sich zu einer Katastrophe. Im Herbst 1644 vom schwedischen Heer Torstenssons erst in Bernburg, dann in Magdeburg eingeschlossen, desertierten viele Soldaten. Nach einem Ausbruch mit schweren Verlusten schlug sich Gallas’ Truppe nach Böhmen durch. Ein eilig zusammengestelltes Heer unter Befehl Hatzfeldts wurde am 6. März 1645 von den Schweden in der Schlacht bei Jankau zerschlagen. Die Schweden konnten mit ihrer rund 28.000 Mann starken Armee fast ungehindert Richtung Wien vorstoßen, aber nicht die Donau überwinden. Im Juli 1645 führte Rákóczi seine Truppen nach Mähren, um Torstensson bei der Belagerung von Brünn zu unterstützen. Ferdinand III. erkannte die Gefahr eines gemeinsamen militärischen Vorstoßes von Torstensson und Rákóczi gegen Wien. Am 13. Dezember 1645 wurde zwischen Kaiser Ferdinand III. und Fürst Georg I. Rákóczi von Siebenbürgen der Linzer Frieden geschlossen. Gleichzeitig konnte der Kaiser nicht verhindern, dass das verbündete Sachsen mit den Schweden den Waffenstillstand von Kötzschenbroda schloss und aus dem Krieg ausschied. Nach der Abwehr ihrer Offensive mussten die Schweden sich wieder aus Niederösterreich zurückziehen, wo sie bis Mitte 1646 noch Korneuburg behaupteten, und wurden auch aus Böhmen zurückgedrängt. Im Westen war Turenne im Frühjahr 1645 in Württemberg eingefallen und wurde am 5. Mai bei Mergentheim-Herbsthausen von Mercys Heer geschlagen. Im August 1645 erlitten die kaiserlich-bayerischen Truppen in der Schlacht bei Alerheim eine Niederlage gegen die Franzosen, die schließlich zur entscheidenden Wende gegen den Bayerischen Kurfürsten werden sollte. Zwar konnten die Bayern auch den französischen Truppen hohe Verluste zufügen, weswegen sich diese zunächst wieder über den Rhein zurückziehen mussten, doch gelang bereits im Sommer 1646 einer vereint operierenden alliierten Armeen, weit nach Bayern vorzudringen. Kurfürst Maximilian ging daraufhin auf Abstand zu Wien und schloss im März 1647 den Ulmer Waffenstillstand mit Frankreich, Schweden und Hessen-Kassel, der jedoch nicht lange bestand haben sollte. In Westfalen bedrohten schwedische Truppen unter Königsmarck zeitweise die Kongressstadt Münster, nachdem sie zusammen mit den Hessen unter Rabenhaupt Wiedenbrück eingenommen hatten und vergebliche Angriffe auf Warendorf und Paderborn unternahmen, bevor sie nach Ostfriesland abzogen, um dort einen kaiserlichen Angriff abzuwehren. Der bayerische Kurfürst schloss sich Ende 1647 wieder den Kaiserlichen an. Nach einem erfolglosen Vorstoß der Kaiserlichen auf Marburg wurden sie und die verbündeten Bayern von Schweden und Franzosen nach Süden zurückgedrängt und im Mai 1648 bei Zusmarshausen geschlagen. Unter Verlusten gelang ein Rückzug nach Augsburg, aber demoralisiert vom Tod des Befehlshabers Peter Melander von Holzappel und angesichts zahlenmäßig überlegenen Gegnern gaben sie in der Folge die Verteidigungslinie am Lech auf und gingen bis an den Inn zurück. Das ermöglichte eine weitere Verwüstung Kurbayerns. Ein kleines schwedisches Heer drang danach in Böhmen ein, wo es im Juli 1648 handstreichartig die Prager Kleinseite einnahm und anschließend zusammen mit nachrückenden Verstärkungen die Alt- und Neustadt belagerte. In der Zwischenzeit drängten Kaiserliche und Bayern unter Befehl des zurückberufenen Piccolomini die gegnerischen Heere wieder langsam aus Bayern heraus und errangen noch einen kleineren Sieg in der Schlacht bei Dachau. Der Krieg endete mit Prag dort, wo er 30 Jahre vorher seinen Anfang genommen hatte. Kurz vor Eintreffen eines kaiserlichen Entsatzheeres brachen die Schweden Anfang November 1648 die Belagerung ab. Eine Woche vorher war am 24. Oktober der Westfälische Frieden geschlossen worden. Westfälischer Friede und die Kriegsfolgen Im Rahmen der Hamburger Präliminarien einigte man sich Ende 1641 schließlich, einen allgemeinen Friedenskongress in den Städten Münster (für die Katholiken) und Osnabrück (für die protestantische Seite) abzuhalten. Zuvor war an Köln und später an Lübeck und Hamburg als Kongressorte gedacht worden. Nachdem der Chefunterhändler Graf Maximilian von Trauttmansdorff im Sommer 1647 nach seinem gescheiterten Schlichtungsversuch aus Münster abgereist war, führten Reichshofrat Isaak Volmar und der kaiserliche Gesandte, Graf (später Fürst) Johann Ludwig von Nassau-Hadamar die Friedensverhandlungen endlich zum erfolgreichen Abschluss. Im Westfälischen Frieden wurde neben der katholischen und der lutherischen nun auch die reformierte Konfession im Reich als gleichberechtigt anerkannt. Konfessionelle Parität wurde für die vier paritätischen Reichsstädte Augsburg, Biberach, Dinkelsbühl und Ravensburg festgeschrieben. Umfangreiche Regelungen betrafen die religiösen Streitfragen. Dabei fand man zu teilweise pragmatischen, teilweise auch zu kuriosen Lösungen. So wurde für das Hochstift Osnabrück eine alternierende Regierung von evangelischen Bischöfen (aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg) und katholischen Bischöfen geschaffen. Das Hochstift Lübeck wurde als einziges evangelisches Hochstift mit Sitz und Stimme im Reichstag erhalten, um das Haus Gottorf mit einer Sekundogenitur zu versorgen. Für die katholischen Klöster in den erloschenen Bistümern Halberstadt und Magdeburg, die ab 1680 an Brandenburg fielen, wurden Sonderregelungen getroffen. Die neue Großmacht Schweden erhielt 1648 auf Kosten des erbberechtigten Brandenburgs Vorpommern einschließlich Stettin mit der gesamten Odermündung, die Stadt Wismar samt Neukloster sowie das Erzbistum Bremen mitsamt dem Bistum Verden als Reichslehen. Dänemark, das die sogenannten Elbherzogtümer für sich beanspruchte, wurde übergangen. Spanien einigte sich mit den Generalstaaten auf eine staatliche Unabhängigkeit. Die Tiroler Nebenlinie der österreichischen Habsburger trat den Sundgau gegen eine finanzielle Kompensation an Frankreich ab. Auf dem rechten Rheinufer erhielt Frankreich die Festung Breisach und das Besatzungsrecht in Philippsburg. Die Habsburger traten zudem ihre Rechte im Elsass an Frankreich ab, das dadurch die Oberherrschaft über die meisten elsässischen Territorien erhielt. Das genaue Ausmaß der französischen Rechte blieb vage und wurde später Anlass für die Reunionspolitik unter König Ludwig XIV. Ansonsten änderte sich im Reich vergleichsweise wenig: Das Machtsystem zwischen Kaiser und Reichsständen wurde neu austariert, ohne die Gewichte im Vergleich zur Situation vor dem Krieg stark zu verschieben. Die Reichspolitik wurde nicht entkonfessionalisiert, sondern nur der Umgang der Konfessionen neu geregelt. Frankreich hingegen wurde zum mächtigsten Land Westeuropas. Die Friedensverträge gewährten zudem der Schweizerischen Eidgenossenschaft die Unabhängigkeit von der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte (Art. VI IPO = § 61 IPM) und erkannten damit faktisch ihre staatliche Unabhängigkeit an, was jedoch nur die De-jure-Feststellung eines de facto seit Ende des Schwabenkrieges von 1499 feststehenden Umstandes war. Auch mit der Anerkennung der Unabhängigkeit der Generalstaaten wurde im Wesentlichen eine ein Jahrhundert zuvor begonnene und de facto auch schon lange vorher abgeschlossene Entwicklung ratifiziert. Mit dem Burgundischen Vertrag waren die Spanische Niederlande 1548 bereits teilweise aus dem Reichsverband gelöst worden, der nördliche Teil hatte sich schließlich 1581 für unabhängig erklärt. Noch offen gebliebene Fragen, insbesondere zum Thema Truppenabzug, wurden in den Folgemonaten im Friedensexekutionskongress in Nürnberg geklärt. Die Überführung von Soldaten ins Zivilleben war vielerorts problematisch. Einige vorherige Söldner schlossen sich zu Banden zusammen, die marodierend durch die Lande zogen, während andere als Wachleute zur Abwehr eben jener Banden Verwendung fanden. Ein gewisser Vorteil der gescheiterten Einigung zwischen Frankreich und Spanien bestand darin, dass die Soldaten im fortgeführten Krieg beider Länder eine Weiterbeschäftigung finden konnten. Auch venezianische Werbungen für den Krieg um Kreta gegen die Osmanen bot vielen Söldnern eine Möglichkeit, den Kriegsdienst fortzuführen. Teile des Heiligen Römischen Reichs waren stark verwüstet worden. Die Höhe des Rückgangs der Gesamtbevölkerung im Reichsgebiet von zuvor rund 16 Millionen ist nicht genau bekannt. Die Schätzungen reichen von 20 bis 45 %. Nach einer verbreiteten Angabe sind etwa 40 % der deutschen Landbevölkerung dem Krieg und den Seuchen zum Opfer gefallen. In den Städten wird der Verlust auf weniger als 33 % geschätzt. Die Verteilung des Bevölkerungsrückgangs war dabei sehr unterschiedlich: Die Verluste waren dort am größten, wo die Armeen durchzogen oder lagerten. In den von den Kriegswirren besonders betroffenen Gebieten Mecklenburgs, Pommerns, der Pfalz und Teilen Thüringens und Württembergs kam es zu Verlusten bis weit über 50 %, stellenweise bis mehr als 70 % der Bevölkerung. Der Nordwesten und Südosten des Reiches war hingegen kaum von einer Entvölkerung durch das Kriegsgeschehen betroffen. Zu den Gewinnern des Konfliktes zählte unter anderem die Stadt Hamburg. Das Ziel, die Anerkennung ihrer Reichsstandschaft zu erlangen, wurde zwar nicht erfüllt, jedoch konnte sie große Teile des Handels mit Mitteldeutschland auf sich konzentrieren und sich zu einem führenden Handels- und Finanzplatz Europas entwickeln. Für die großen oberdeutschen Handelsmetropolen beschleunigte der Krieg noch einmal die Abschwungphase des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Von ihrem Niedergang profitierten dagegen die Residenzstädte, die große Konsumströme in ihre Richtung lenken konnten. Wenig beachtet ist, dass mit der Unabhängigkeit der Niederlande und dem Verlust wichtiger Küstenregionen und Ostseehäfen an Schweden praktisch alle großen Flussmündungen unter fremdem Einfluss standen. Die deutschen Staaten hatten nur wenige Zugänge zur Hohen See und waren damit teilweise vom überseeischen Handel ausgeschlossen. Die Möglichkeiten des Reichs, vom wieder erstarkenden Seehandel zu profitieren, waren dadurch eingeschränkt. Die wirtschaftlichen Spätfolgen des Dreißigjährigen Krieges wie z. B. für die Kolonialisierung, die in der Folgezeit zu großen Gebietsgewinnen anderer europäischer Länder führte, sind in der Forschung umstritten. Mit Bremen und Hamburg besaßen die wichtigsten deutschen Hafenstädte jedenfalls weiter freien Zugang zur Nordsee und zum Welthandel. Reichsständische Kolonialprojekte wie die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie von Pillau und später von Emden aus hatten dagegen aufgrund geringer finanzieller Basis keinen dauerhaften Erfolg. Frankreich, England, Schweden und die Niederlande konnten sich nach dem Dreißigjährigen Krieg zu Nationalstaaten entwickeln. Mit dem aufblühenden Handel ging in diesen Ländern ein Aufschwung des liberalen Bürgertums einher. Umstritten ist dabei, welche geschichtlichen und gesellschaftlichen Folgen dies für das Reich und später Deutschland hatte. Finanzierung des Krieges Die frühmodernen Staaten Europas verfügten zu Beginn des 17. Jahrhunderts weder in finanzieller noch in administrativer Hinsicht über Strukturen, die effizient genug gewesen wären, um stehende Heere von der Größe zu unterhalten, wie sie der Dreißigjährige Krieg erforderlich machte. Die Finanzierung der riesigen Söldnerarmeen stürzte daher alle Kriegsparteien in ständige Geldnöte, ganz besonders die deutschen Fürsten, deren Territorien aufgrund der Länge und Intensität des Konflikts schon bald weitgehend ausgeblutet waren (siehe auch Kipper- und Wipperzeit). Die vermeintliche Lösung beschrieb die Parole „Der Krieg ernährt den Krieg“. Die Heere trieben in den von ihnen durchstreiften Gebieten Abgaben und Kontributionen in Form von Geld und Naturalleistungen ein. Das heißt: Das Land, in dem gerade gekämpft oder das besetzt wurde, musste für die Kriegskosten aufkommen. Dabei achteten die Feldherren darauf, möglichst die Gebiete gegnerischer Parteien zu belasten. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr wuchs sich diese Praxis zu willkürlicher Plünderung mit allen Begleiterscheinungen von Raub und Mord aus. Wallenstein wird die Äußerung zugeschrieben, dass sich ein großes Heer leichter finanzieren lasse als ein kleines, da es auf die Zivilbevölkerung stärker Druck ausüben könne. Auch wenn besonders gut organisierte und relativ zuverlässig besoldete Truppen wie die Wallensteins oder Gustav Adolfs bei der Eintreibung von Geld und Material disziplinierter vorgingen, verübten die Heere aller Kriegsparteien Gewalt und Zwang, um die eigene Versorgung zu gewährleisten. Maßnahmen der Offiziere, die Ausschreitungen der Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung einzudämmen, waren selten von nachhaltigem Erfolg. Die Armeeführungen konnten nur durch ausreichende Bezahlung eigenmächtige Plünderungen und gewalttätige Übergriffe ihrer Soldaten in Grenzen halten. Rezeptionsgeschichte Der Krieg in der kollektiven Erinnerung und in der Literatur Der Historiker Friedrich Oertel schrieb 1947 über die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf den deutschen Nationalcharakter: „Deutsche Eigenschaften bleiben allerdings das mangelnde Gefühl für die ‚liberalitas’ des von innen her souveränen Menschen und das mangelnde Gefühl für ‚dignitas’. Die Nachwirkungen des Dreißigjährigen Krieges lasten eben noch in tragischer Weise auf der Geschichte unseres Volkes und haben den Reifeprozess aufgehalten. Wann werden die Schatten endlich weichen, wird das Versäumte nachgeholt sein?“ Der Dreißigjährige Krieg hat vielfältige Spuren in Kunst und Alltagsleben hinterlassen wie im Kinderlied Maikäfer flieg mit dem ihm zugeordneten Reim: Bet, Kinder, bet, / Morgen kommt der Schwed’, / Morgen kommt der Ochsenstern, / Der wird die Kinder beten lehren. / Bet, Kinder, bet. Das Maikäfer-Lied steht laut Bazon Brock symbolhaft für eine kollektive Niederlage der Deutschen und blieb im kulturellen Gedächtnis haften. In seinem Schelmenroman Der abenteuerliche Simplicissimus, erschienen 1669, schilderte Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1625–1676) die Wirren und Gräuel des Krieges und schuf damit den ersten bedeutenden Roman der deutschen Literatur. Augenzeugenberichte haben der Söldner und spätere Bürgermeister von Görzke, Peter Hagendorf, in seiner Chronik, oder die Augustiner-Chorfrau und Priorin des Eichstätter Klosters Marienstein Klara Staiger in ihrem Tagebuch überliefert. Weitere Zeitzeugenberichte liegen von den Ulmern Hans Heberle und Joseph Furttenbach vor. Das Erlebnis von nicht enden wollendem Krieg, Hunger, Krankheiten und allgemeiner Zerstörung ließ eine Lyrik von bis dahin nicht gekannter Eindringlichkeit entstehen, in der sich die Gewissheit von Tod und Vergänglichkeit mit barocker Lebensgier verband. So schrieb Andreas Gryphius das Sonett „Tränen des Vaterlandes Anno 1636“, das bis heute zu den meistzitierten Antikriegsgedichten zählt. Es beginnt mit den Versen: Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun, Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret. Der als Volksheld und Retter in der Not gefeierte Martin Rinckart verfasste „Nun danket alle Gott“ und vom Leipziger Zeitzeugen Gregor Ritzsch stammt „Ich hab den Schweden mit Augen gesehen; er tat mir wohl gefallen“. Der Murrmann behandelt als Sage die Belagerung von Geiselwind. Im 18. Jahrhundert beschäftigte sich Friedrich Schiller als Historiker und Dramatiker mit dem Krieg. 1792 veröffentlichte er eine „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“. Sieben Jahre später vollendete er sein dreiteiliges Drama Wallenstein. Mit wachsendem zeitlichen Abstand sahen Schriftsteller in dem großen Konflikt des 17. Jahrhunderts zunehmend eine Metapher für die Schrecken des Krieges überhaupt. Dafür ist der am Beginn des 20. Jahrhunderts entstandene historische Episodenroman Der große Krieg in Deutschland von Ricarda Huch ein Beispiel. Das bekannteste Beispiel aus der Mitte des 20. Jahrhunderts ist Bertolt Brechts Stück „Mutter Courage und ihre Kinder“, das im Dreißigjährigen Krieg angesiedelt ist, aber deutlich macht, dass die Verrohung und Zerstörung des Menschen durch die Gewalt überall und zu jeder Zeit möglich ist. Der Begriff „Dreißigjähriger Krieg“ Verschiedene Konzeptionen und Herangehensweisen in der Geschichtswissenschaft führten nach dem Zweiten Weltkrieg dazu, dass der Begriff „Dreißigjähriger Krieg“ grundsätzlich infrage gestellt wurde. Im Jahre 1947 wandte sich der Historiker Sigfrid Heinrich Steinberg in einem Aufsatz für die englische Fachzeitschrift History erstmals gegen seine Verwendung. Später, im Jahre 1966, kam er in The Thirty Years War and the Conflict for European Hegemony 1600–1660 zu dem Schluss, es handele sich bei dem Begriff lediglich um ein „Produkt rückschauender Phantasie“. Demnach „benutzte weder Pufendorf, noch irgendein anderer Zeitgenosse den Ausdruck ‚Dreißigjähriger Krieg‘.“ Gegen diese Aussage wandten sich zunächst nur vereinzelt andere Historiker. Schließlich aber widerlegte der deutsche Historiker Konrad Repgen Steinbergs These, zunächst in einigen Artikeln, später in einem umfangreichen Aufsatz. Anhand zahlreicher Quellen wies er nach, dass der Begriff „Dreißigjähriger Krieg“ schon um die Zeit des Westfälischen Friedens entstanden war. Die Zeitzeugen hätten dabei vom Anfang des Krieges an dessen Dauer in Jahren angegeben; die humanistischen Gelehrten seien zudem durch das Vorbild antiker Schriftsteller inspiriert worden. Die Benennung führte Repgen auch auf das Bedürfnis der Zeitgenossen zurück, der gänzlich neuen Erfahrung Ausdruck zu verleihen, die der Krieg für sie dargestellt habe. Diese Interpretation wurde von anderen Historikern weitgehend übernommen. Johannes Burkhardt wies gleichwohl darauf hin, dass der Begriff, obwohl zeitgenössisch, dennoch ein Konstrukt bezeichnet haben könne, da es sich beim Dreißigjährigen Krieg in Wirklichkeit um eine Vielzahl paralleler und aufeinander folgender Kriege gehandelt habe. Er führte den Namen darauf zurück, dass die „Kriegsverdichtung“ solche Ausmaße angenommen habe, dass es für die Zeitgenossen fast unmöglich gewesen sei, zwischen den einzelnen Konflikten zu unterscheiden. Diese Annahme stützte 1999 eine Studie von Geoffrey Mortimer über zeitgenössische Tagebücher. Andere Historiker folgen bis heute der Tradition Steinbergs, den „Dreißigjährigen Krieg“ als eine nachträgliche Konstruktion deutscher Historiker zu betrachten. Rezeption in Museen Im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum ist dem Dreißigjährigen Krieg ein großer Bereich gewidmet. Ausgestellt sind alle Arten von Bewaffnungen dieser Zeit, wie etwa Hakenbüchsen, Luntenschloss-, Radschloss- und Steinschlossmusketen. Figurinen kaiserlicher Pikeniere, Musketiere, Kürassiere und Arkebusiere zeigen die Schutzwaffen und Ausrüstungen der Zeit. Zahlreiche Harnische, Hieb-, Stich- und Stoßwaffen runden den Bereich des Dreißigjährigen Krieges ab. Das Wirken und Schicksal der Feldherren, wie Albrecht von Wallenstein wird ebenso veranschaulicht. Ein besonderes Exponat dabei ist das eigenhändige Handschreiben Wallensteins an seinen Feldmarschall Gottfried Heinrich zu Pappenheim vom 15. November 1632, das am Vorabend der Schlacht bei Lützen geschrieben wurde und bis zum heutigen Tag großflächige Blutspuren Pappenheims aufweist, der tags darauf das Schreiben Wallensteins noch bei sich trug, als er in der Schlacht tödlich verwundet wurde. Besonders beeindruckend ist die sogenannte Piccolomini-Serie des flämischen Schlachtenmalers Pieter Snayers. Es handelt sich dabei um zwölf großformatige Schlachtengemälde, die zwischen 1639 und 1651 entstanden sind und die Feldzüge Octavio Piccolominis in Lothringen und Frankreich in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges zeigen. In Wittstock an der Dosse befindet sich im Turm der Alten Bischofsburg seit 1998 das Museum des Dreißigjährigen Krieges, welches die Ursachen, den Verlauf, die unmittelbaren Ergebnisse und Folgen sowie die Nachwirkungen des Krieges dokumentiert. In Rothenburg ob der Tauber ist im sogenannten „Historiengewölbe mit Staatsverlies“ eine kleinere Ausstellung über die Gesamtsituation der Stadt in der Zeit des Krieges zu sehen, unter anderem Waffen, Geschütze, Kriegsgerät und militärische Ausrüstungsgegenstände der Zeit. Im Städtischen Museum Zirndorf ist das Obergeschoss der Geschichte Zirndorfs während des Dreißigjährigen Krieges gewidmet. 1632 kam es nahe der Alten Veste, wo Oberbefehlshaber Albrecht von Wallenstein ein Lager errichtet hatte, zu einer kriegerischen Begegnung mit Gustav II. Adolf von Schweden. Dioramen und Modelle sowie zeitgenössische Schilderungen über das Lagerleben, das Schicksal der Soldaten und der Zivilbevölkerung veranschaulichen dieses Kapitel fränkischer Kriegsgeschichte. Historische Quellen Im Bestand „Wilhelmshöher Kriegskarten“ verwahrt das Hessische Staatsarchiv Marburg eine größere Anzahl an Karten zum Dreißigjährigen Krieg. Die Karten dokumentieren Kriegsschauplätze und Kriegsereignisse. Außerdem geben sie Einblicke in die Veränderung der Landschaften, der Städte, der Straßen und Wege usw. Die einzelnen Karten sind vollständig erschlossen und als Digitalisate online einsehbar. Ebenfalls dort wird auch die Stausebacher Ortschronik des Caspar Preis aufbewahrt, der aus seiner bäuerlichen Sicht der Dinge den Kriegsverlauf in Hessen beschreibt. Der Mainzer Historiker Josef Johannes Schmid brachte 2009 eine Quellensammlung heraus. Bereits 1991 publizierte Gottfried Lorenz eine Quellensammlung speziell zur Vor- und Frühgeschichte des Krieges. Siehe auch Seekrieg auf dem Bodensee 1632–1648 Zeittafel zum Dreißigjährigen Krieg Liste der Gesandten beim Westfälischen Frieden Kleine Eiszeit Zweiter Dreißigjähriger Krieg Filme Chronik eines Hofnarren (CS 1964). Regie: Karel Zeman. Das vergessene Tal (GB/USA 1971). Regie: James Clavell. Des Christoffel von Grimmelshausen abenteuerlicher Simplizissimus (ZDF, D 1975). Regie: Fritz Umgelter. Die Eiserne Zeit – Lieben und Töten im Dreißigjährigen Krieg (ZDF, Arte; D 2018). Regie: Philippe Bérenger, Yury Winterberg. Sechsteilige Fernsehdokumentation. Die Seelen im Feuer (Fernsehfilm, D 2014). Regie: Urs Egger. Gustav Adolfs Page (D/AUT 1960). Regie: Rolf Hansen. Wallenstein (ZDF, D 1978). Regie: Franz Peter Wirth. Vierteiliger Fernsehfilm nach der Biografie von Golo Mann. Der Dreißigjährige Krieg (1/2) – Tagebücher des Überlebens (Dokumentation Terra X, ZDF, 2018) von Ingo Helm und Volker Schmidt-Sondermann Der Dreißigjährige Krieg (2/2) – Verwüstung und Versöhnung (Dokumentation Terra X, ZDF, 2018) von Ingo Helm und Volker Schmidt-Sondermann Literatur Gesamtdarstellungen Johannes Arndt: Der Dreißigjährige Krieg 1618–1648. Reclam, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-15-018642-8. Günter Barudio: Der Teutsche Krieg 1618–1648. Fischer, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-10-004206-9. Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-11542-1. Christoph Kampmann: Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Kohlhammer, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-17-018550-0. Hans Medick: Der Dreißigjährige Krieg – Zeugnisse vom Leben mit Gewalt. Wallstein Verlag. Göttingen. 2018, ISBN 978-3-8353-3248-5. Peter Milger: Gegen Land und Leute – Der Dreißigjährige Krieg, Ursachen, Verlauf und Folgen, erzählt anhand von teilweise unveröffentlichten Bildern, Augenzeugenberichten und Dokumenten. Orbis-Verlag, München 2001, ISBN 3-572-01270-8. Herfried Münkler: Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648. Rowohlt Berlin, Berlin 2017, ISBN 978-3-87134-813-6. Geoffrey Parker: Der Dreißigjährige Krieg. Aus dem Englischen übersetzt von Udo Rennert. Campus, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-593-34419-X. Moriz Ritter: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (1555–1648). Dritter Band: Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1974, ISBN 3-534-01162-7. (unveränderter Nachdruck der Erstauflage, Stuttgart/Berlin 1908. Digitalisat im Internet Archive) Georg Schmidt: Die Reiter der Apokalypse – Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. C. H. Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-71836-6. Gerhard Schormann: Der Dreißigjährige Krieg. 3. Auflage. Kleine Vandenhoeck-Reihe, Göttingen 2004, ISBN 3-525-33506-7. Cicely Veronica Wedgwood: Der Dreißigjährige Krieg. Paul List Verlag, München 1967. (Neuauflage, Nikol, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86820-125-3). Peter H. Wilson: Der Dreißigjährige Krieg – Eine europäische Tragödie. Aus dem Englischen von Thomas Bertram, Tobias Gabel und Michael Haupt. Theiss, Darmstadt 2017, ISBN 978-3-8062-3628-6. Einführungen und Kurzdarstellungen Friedemann Bedürftig: Taschenlexikon Dreißigjähriger Krieg. Piper, München 1998, ISBN 3-492-22668-X. Axel Gotthard: Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung. (= UTB. Band 4555). Böhlau Verlag, Köln/ Weimar/ Wien 2016, ISBN 978-3-8252-4555-9. Christian Pantle: Der Dreißigjährige Krieg. Als Deutschland in Flammen stand. Vom Rauben, Morden und Plündern und der Menschlichkeit im Krieg. Propyläen Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017, ISBN 978-3-549-07443-5. Georg Schmidt: Der Dreißigjährige Krieg. 9. Auflage. Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-72196-0. Kriegsursachen Heinz Duchhardt: Der Weg in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges. Die Krisendekade 1608–1618. Piper, München 2017, ISBN 978-3-492-05749-3. Hans Sturmberger: Aufstand in Böhmen. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Oldenbourg, München 1959. N. M. Sutherland: The Origins of the Thirty Years War and the Structure of European Politics. In: English Historical Review. Band 107, 1992, S. 587–625. (Sutherland kritisiert die teilweise eindimensionale Betrachtung des Dreißigjährigen Krieges als primär deutschen Krieg) Friedensschluss Fritz Dickmann: Der Westfälische Friede. Aschendorff, Münster 1965. Heinz Duchhardt (Hrsg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte. Oldenbourg, München 1998, ISBN 3-486-56328-9. Ernst Höfer: Das Ende des Dreißigjährigen Krieges. Strategie und Kriegsbild. Böhlau, Köln/ Weimar/ Wien 1997, ISBN 3-412-04297-8. Robert Rebitsch, Jenny Öhman, Jan Kilián (Hrsg.): 1648: Kriegsführung und Friedensverhandlungen. Prag und das Ende des Dreißigjährigen Krieges. University Press, Innsbruck 2018, ISBN 978-3-903187-13-9. Konrad Repgen (Hrsg.): Krieg und Politik 1618–1648. Europäische Probleme und Perspektiven (= Schriften des Historischen Kollegs. Band 8). Oldenbourg, München 1988, ISBN 3-486-53761-X (Digitalisat). Militär Lothar Höbelt: Von Nördlingen bis Jankau. Kaiserliche Strategie und Kriegführung 1634–1645. (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums. 22). Wien 2016, ISBN 978-3-902551-73-3. Michael Weise: Grausame Opfer? Kroatische Söldner und ihre unterschiedlichen Rollen im Dreißigjährigen Krieg. In: Philipp Batelka, Michael Weise, Stephanie Zehnle (Hrsg.): Zwischen Tätern und Opfern. Gewaltbeziehungen und Gewaltgemeinschaften. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, ISBN 978-3-525-30099-2, S. 127–148. Julia Zunckel: Rüstungsgeschäfte im Dreißigjährigen Krieg. Unternehmerkräfte, Militärgüter und Marktstrategien im Handel zwischen Genua, Amsterdam und Hamburg (= Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Band 49). Duncker & Humblot, Berlin 1997, ISBN 3-428-08807-7. Wirtschafts- und Sozialgeschichte Jörg-Peter Findeisen: Der Dreißigjährige Krieg. Eine Epoche in Lebensbildern. Styria, Graz/ Wien/ Köln 1998, ISBN 3-222-12643-7. Benigna von Krusenstjern, Hans Medick (Hrsg.): Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-35463-0. Markus Meumann, Dirk Niefanger (Hrsg.): Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert. Wallstein, Göttingen 1997, ISBN 3-89244-234-7. Kulturgeschichte Klaus Bußmann, Heinz Schilling: 1648 – Krieg und Frieden in Europa. Katalogband und zwei Textbände. Münster/ Osnabrück 1998, ISBN 3-88789-127-9. (Dokumentation der Europaratsausstellung zum 350-jährigen Jubiläum des Westfälischen Friedens in Münster und Osnabrück) Esther-Beate Körber: Der Dreißigjährige Krieg als europäisches Medienereignis, in: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2015, Zugriff am 11. März 2021 (PDF) Herbert Langer: Hortus Bellicus. Der Dreißigjährige Krieg. Eine Kulturgeschichte. Edition Leipzig 1978, Prisma, Gütersloh 1982, ISBN 3-570-02991-3. Volker Meid: Der Dreißigjährige Krieg in der deutschen Barockliteratur. Reclam, Ditzingen 2017, ISBN 978-3-15-011145-1. Lokal- und Regionalgeschichte Matthias Asche, Marco Kollenberg, Antje Zeiger: Halb Europa in Brandenburg. Der Dreißigjährige Krieg und seine Folgen. Lukas Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-86732-323-9. Martin Bötzinger: Leben und Leiden während des Dreißigjährigen Krieges in Thüringen und Franken (1618–1648) – Ein Augenzeugenbericht. Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza 2001, ISBN 3-929000-39-3. Peter Engerisser: Von Kronach nach Nördlingen – Der Dreißigjährige Krieg in Franken, Schwaben und der Oberpfalz 1631–1635. Verlag Heinz Späthling, Weißenstadt 2004, ISBN 3-926621-32-X. (mit mehr als 120 Kurzbiographien) Peter Engerisser, Pavel Hrnčiřík: Nördlingen 1634. Die Schlacht bei Nördlingen – Wendepunkt des Dreißigjährigen Krieges. Verlag Heinz Späthling, Weißenstadt 2009, ISBN 978-3-926621-78-8. (mit der Vorgeschichte 1632–1634: Eroberung und Verlust von Regensburg; Geschichte der Truppen, Schlachtaufstellungen) Manuel Raschke: Der Niedersächsisch-Dänische Krieg 1625–1629. In: Eva S. Fiebig und Jan Schlürmann (Hrsg.): Handbuch zur nordelbische Militärgeschichte. Heere und Kriege in Schleswig, Holstein, Lauenburg, Eutin und Lübeck 1623–1863/67. Husum 2010, S. 289–308. Wolfgang Wüst (Hrsg.): Der Dreißigjährige Krieg in Schwaben und seinen historischen Nachbarregionen: 1618–1648 – 2018. Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung in Augsburg vom 1. bis 3. März 2018 (Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 111) Augsburg 2018, ISBN 978-3-95786-179-5. Volker Rödel, Ralph Tuchtenhagen (Hrsg.): Die Schweden im deutschen Südwesten. Vorgeschichte – Dreißigjähriger Krieg – Erinnerung. Kohlhammer Verlag Stuttgart 2020 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen 225). ISBN 978-3-17-037424-9. Weblinks Mitteldeutsche Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (MDSZ) Museum des Dreißigjährigen Krieges Informationen, Texte, Quellen u. v. m. im Projekt „1648 – Westfälischer Friede“ Der Dreißigjährige Krieg im Südwesten (Themenmodul des Landeskundeportals LEO-BW) Das Grosse Sterben in Europa: Der 30jährige Krieg 1618–1648 In: Zeitblende. von Schweizer Radio und Fernsehen vom 19. Mai 2018 (Audio) Einzelnachweise 30 Krieg (17. Jahrhundert) Deutsche Geschichte (17. Jahrhundert) Deutsche Militärgeschichte Krieg (Dänemark-Norwegen) Krieg (Frankreich) Krieg in der niederländischen Geschichte Österreichische Militärgeschichte Polnische Militärgeschichte Krieg (Bayern) Krieg (Schweden) Krieg in der Schweizer Geschichte Krieg (Spanien) Krieg in der ungarischen Geschichte 1610er 1620er 1630er 1640er
1057
https://de.wikipedia.org/wiki/Dodekaeder
Dodekaeder
Das Dodekaeder [] (von griech. Zwölfflächner; dt. auch (das) Zwölfflach) ist ein Körper mit zwölf Flächen. In der Regel ist damit ein platonischer Körper gemeint, nämlich das regelmäßige Pentagondodekaeder, ein Körper mit 12 kongruenten regelmäßigen Fünfecken 30 gleich langen Kanten, von denen jede die Seite von zwei Fünfecken ist 20 Ecken, in denen jeweils drei dieser Fünfecke zusammentreffen Es gibt aber auch andere Dodekaeder von hoher Symmetrie. Symmetrie Wegen seiner hohen Symmetrie – alle Ecken, Kanten und Flächen sind untereinander gleichartig – ist das Dodekaeder ein reguläres Polyeder. Es hat: 6 fünfzählige Drehachsen (durch die Mittelpunkte zweier gegenüberliegender Flächen) 10 dreizählige Drehachsen (durch gegenüberliegende Ecken) 15 zweizählige Drehachsen (durch die Mittelpunkte gegenüberliegender Kanten) 15 Symmetrieebenen (durch einander gegenüberliegende und parallele Kanten) und ist punktsymmetrisch (Punktspiegelung bezüglich des Dodekaedermittelpunkts) Insgesamt hat die Symmetriegruppe des Dodekaeders – die Dodekaedergruppe oder Ikosaedergruppe – 120 Elemente. Die 60 orientierungserhaltenden Symmetrien entsprechen der alternierenden Gruppe . Manchmal wird auch diese Untergruppe Ikosaedergruppe genannt. Die volle Symmetriegruppe ist isomorph zu dem direkten Produkt . Dass das Produkt direkt ist, sieht man daran, dass die Punktspiegelung am Mittelpunkt mit den Drehungen kommutiert. Die Symmetrie des Dodekaeders ist durch die hier auftretenden fünfzähligen Symmetrieachsen mit einer periodischen Raumstruktur nicht verträglich (siehe Parkettierung). Es kann daher kein Kristallgitter mit Ikosaedersymmetrie geben (siehe Quasikristalle). Struktur Das Ikosaeder ist das zum Dodekaeder duale Polyeder und umgekehrt. Mit Hilfe von Dodekaeder und Ikosaeder können zahlreiche Körper konstruiert werden, die ebenfalls die Dodekaedergruppe als Symmetriegruppe haben. So erhält man zum Beispiel das abgestumpfte Dodekaeder mit 12 Zehnecken und 20 Dreiecken durch Abstumpfung der Ecken eines Dodekaeders das Ikosidodekaeder mit 12 Fünfecken und 20 Dreiecken das abgestumpfte Ikosaeder (Fußballkörper) mit 12 Fünfecken und 20 Sechsecken als Durchschnitt eines Dodekaeders mit einem Ikosaeder (siehe archimedische Körper, Fullerene) und das Rhombentriakontaeder mit 12 + 20 = 32 Ecken und 30 Rauten als Flächen. Es entsteht durch das Aufsetzen gerader Pyramiden auf das Dodekaeder, von denen je zwei Seitenflächen einander ergänzen, d. h. in einer Ebene liegen und eine Kante gemein haben. Aus den Kanten des Dodekaeders kann man 3 Paare gegenüberliegender Kanten so auswählen, dass diese Paare 3 kongruente, zueinander paarweise orthogonale Rechtecke aufspannen. Die restlichen 8 Ecken bilden dann die Ecken eines dem Dodekaeder einbeschriebenen Würfels. Insgesamt gibt es fünf derartige Positionen, wobei jede Kante des Dodekaeders zu genau einer solchen Position gehört und jede Ecke Eckpunkt von zwei einbeschriebenen Würfeln ist. Die Symmetriegruppe des Dodekaeders bewirkt alle 5! = 120 Permutationen dieser fünf Positionen bzw. Würfel. Da die Kanten des einbeschriebenen Würfels Diagonalen der Fünfecke sind, entspricht das Verhältnis der Längen der Kanten des Dodekaeders und jener eines eingeschriebenen Würfels dem Goldenen Schnitt. Konstruktion Euklid beschreibt und beweist im dreizehnten Buch seines Werkes Elemente, unter Proposition 17, die Konstruktion des Dodekaeders. Um den Aufwand zu minimieren, enthält die folgende sphärischen Darstellung nur die Schritte, die für das Dodekaeder vonnöten sind. Von Vorteil ist hierzu die Anwendung einer sogenannten Dynamische-Geometrie-Software (DGS). Zur besseren Übersicht sind die Kreise und Hilfskugeln zur Erzeugung der Schnittpunkte nur in den betreffenden Bildern der Konstruktion (siehe nebenstehendes Bild der Konstruktionsskizze) bzw. in den animierten Bildern eingezeichnet. Gegeben sei eine Umkugel, z. B mit dem Radius gleich und deren Mittelpunkt . Beim Bestimmen der und Achsen eines kartesischen Koordinatensystems, entstehen die Punkte und auf der Oberfläche der Umkugel. Um ein Dodekaeder darstellen zu können bedarf es hierzu auch der Konstruktion eines Würfels, der ebenfalls von derselben Kugel einbeschrieben ist. Vorab werden aus einem rechtwinkligen Dreieck die beiden Größen Kantenlänge des Würfels und Kantenlänge des Dodekaeders ermittelt. Auf der verlängerten Achse wird der Punkt festgelegt und anschließend der Kugeldurchmesser mit Mittelpunkt auf einer zur Achse Parallelen projiziert. Eine Hilfskugel mit Radius markiert als dritten Punkt für den darauffolgenden Umkreisbogen . Das anschließend eingezeichnete rechtwinklige Dreieck mit der Kathete liefert als Hypotenuse die Kantenlänge des Würfels. Ihre Teilung im Goldenen Schnitt führt zur Kantenlänge des Dodekaeders. Zwecks besserer Übersicht wird in diesem Fall die Hypotenuse mithilfe eines Kreises um mit Richtung parallel zur Achse auf den Durchmesser übertragen, der Schnittpunkt ist . Nach dem klassischen Verfahren mit innerer Teilung von Heron von Alexandria, folgt die Halbierung der Strecke in , das Errichten der Senkrechten in , ein Kreis um mit Richtung parallel zur Achse (Schnittpunkt ist ) und das Einzeichnen des rechtwinkligen Dreiecks . Mittels einer ersten Hilfskugel mit Radius wird die Kathete auf die Hypotenuse projiziert, der Schnittpunkt ist . Eine zweite Hilfskugel mit Radius erzeugt den Schnittpunkt auf der Hypotenuse . Die Länge ist der größere Teil der im Goldenen Schnitt geteilten Kantenlänge des Würfels (siehe Bild 4 der Konstruktion). Nach der Halbierung der Kathete in , der Halbierung der Strecke in und dem Ziehen einer Parallele zu mit Schnittpunkt liefert die Ähnlichkeit der Dreiecke den Nachweis: Die Länge ist der konstruktiv benötigte größere Teil einer im goldenen Schnitt geteilten halben Kante des einbeschriebenen Würfels. Die eigentliche Konstruktion des Dodekaeders beginnt mit dem Einzeichnen des Inkreises des Würfels um Mittelpunkt mit Radius sowie Richtung und Achse. Die Fertigstellung des Würfels , mit den zwölf Punkten aus den Halbierungen der Kanten sowie den acht Mittelpunkten der Quadratflächen, erreicht man mit Parallelen zu den drei Koordinatenachsen, wie z. B. die Kante mit der Parallelen zur Achse durch den zuvor ermittelten Kantenmittelpunkt (siehe Bild 6 der Konstruktion). Weiter geht es mit der Positionierung der regelmäßigen Fünfecke. Bei jedem dieser zwölf Fünfecke liegen zwei seiner gegenüberliegenden Eckpunkte (z. B.: und ) auf Ecken des Würfels, ein weiterer Eckpunkt (z. B.: ) hat, so wie die beiden letzten Eckpunkte (z. B.: und ), den senkrechten Abstand zu einer Würfelfläche. Die Beschreibung zur Positionierung der Fünfecke erfolgt nun beispielhaft an den beiden Fünfecken und . Auf der Würfelfläche wird ein Kreis mit Radius um den Flächenmittelpunkt mit Richtung Achse gezogen. Damit ist die Strecke in und die Strecke in im Goldenen Schnitt geteilt. Es folgt das Errichten einer Senkrechten zur Würfelfläche in . Hierzu zieht man durch eine Parallele zur Achse und den Kreis mit Radius um mit Richtung parallel zur Achse, der Schnittpunkt ist . Eine Parallele zu durch und eine Parallele zur Achse durch erzeugen mit ebenfalls den Abstand (siehe Bild 7 der Konstruktion). Nun folgt um den Flächenmittelpunkt , der Würfelfläche , ein Kreis mit Radius mit Richtung parallel zur Achse. Die anschließende Parallele zur Achse durch schneidet den Kreis in . Der nächste Kreis mit Radius um mit Richtung parallel zur Achse und die Parallele zur Achse durch schneiden sich in (siehe Bild 8 der Konstruktion). Das Fünfeck wird nun durch Verbinden der soeben bestimmten Eckpunkte fertiggestellt. Für das Beispiel Fünfeck sind nur noch zwei Eckpunkte zu finden. Um den Flächenmittelpunkt , der Würfelfläche , wird der Kreis mit Radius um den Flächenmittelpunkt mit Richtung parallel zur Achse gezogen. Der Schnittpunkt liegt auf der Achse. Ein zweiter Kreis mit gleichem Radius wird um mit Richtung Achse eingezeichnet. Die nachfolgende Parallele zur Achse schneidet den Kreis in den Punkten und (siehe Bild 13 der Konstruktion). Das Fünfeck wird nun durch Verbinden der betreffenden Eckpunkte fertiggestellt. Formeln Die folgende Tabelle ist eine Zusammenstellung von metrischen Eigenschaften eines regulären Dodekaeders, die im nächsten Abschnitt hergeleitet werden. Winkel, Punkte, Flächen, Radien, Koordinaten Einbeschriebener Würfel Viele metrische Eigenschaften eines Dodekaeders lassen sich aus der im Bild gezeigten Koordinatendarstellung berechnen/ablesen. In dem Bild wird der Dodekaeder mit der Kantenlänge aus dem Würfel mit der Kantenlänge , der Länge der Diagonale in einer Seitenfläche (5-Eck), aufgebaut. Die Würfelpunkte sind . Sie sind 8 der 20 Dodekaeder Punkte. ist solch ein Punkt. Beim Rechnen ist immer wieder die Gleichung nützlich (siehe Goldener Schnitt). ist ein Dodekaederpunkt in der y-z-Ebene. Um dies einzusehen, muss gezeigt werden, dass der Abstand einer nicht in einer Würfelebene liegenden Kante von der Würfelebene gleich ist. Hierzu wird der Tangens des Winkels (siehe Bild Berechnung v. Winkel) auf zwei Arten ausgedrückt: Winkel Damit ist (siehe nebenstehendes Bild) der Winkel zwischen Seitenflächen Winkel zwischen einer Kante und einer Seitenfläche Punkte des Dodekaeders Startet man mit den oben beschriebenen – auch im Bild erkennbaren – Punkten (8 Würfelpunkte, 12 Andere) und will nachweisen, dass sie die Ecken eines regulären Dodekaeders sind, zeigt man, dass alle Punkte auf einer Kugel liegen (Ihr Abstand zum Nullpunkt ist gleich) die Punkte jedes Fünfecks in einer Ebene liegen benachbarte Punkte den Abstand haben. Denn dann liegen die Punkte eines jeden Fünfecks auf einem ebenen Schnitt mit der Kugel, also auf einem Kreis, und benachbarte Punkte haben den gleichen Abstand, d. h., das Fünfeck ist regulär. Um/In/Kanten-Kugelradien Aus der Zeichnung erkennt man ferner den Kantenkugelradius Umkugelradius Der Inkugelradius ist (siehe Bild Berechnung v. Winkel) der Abstand der Gerade in der y-z-Ebene durch den Punkt mit der Steigung . Diese Gerade hat die Gleichung . Bestimmt man den Abstand dieser Gerade vom Nullpunkt mit Hilfe der Hesseschen Normalform, so ergibt sich der Inkugelradius . Es ist Damit ist der Inkugelradius. Oberfläche, Volumen Die Oberfläche des Dodekaeders ist die Summe der 12 der 5-Eckflächen. Die Fläche eines regelmäßigen 5-Ecks ist . Damit ist die Oberfläche des Dodekaeders: . Das Volumen des Dodekaeders (Bild 1) ist die Summe des Würfelvolumens und den 6 über jeder Würfelseite liegendem Dach ähnlichen Teil. Das Volumen eines solchen Dachteiles setzt sich aus dem Volumen einer Pyramide mit Grundfläche und Höhe (siehe Bild) und dem dreieckigen Prisma mit Grundfläche und Länge zusammen. Also ist und es ist das Volumen des Dodekaeders: Eine weitere Möglichkeit der Volumenberechnung (Bild 2) ergibt sich, wenn man das Dodekaeder, als einen Zusammenbau von 12 gleich großen Pyramiden mit fünfeckiger Grundfläche ansieht. Das Volumen des Dodekaeders entspricht dann dem Volumen von 12 Pyramiden. Für das Volumen der Pyramide gilt allgemein . Nimmt man für die fünfeckige Grundfläche , für die Höhe der Pyramide gleich dem Inkugelradius des Dodekaeders und setzt abschließend den Faktor 12, ergibt sich daraus folgt ebenfalls Volumen des Dodekaeders: Raumwinkel in den Ecken Der Raumwinkel in einer Dodekaederecke ist der Flächeninhalt des in dem Bild durch rote Punkte markierten sphärischen Dreiecks, das die Kanten einer Ecke auf der Einheitskugel an dieser Ecke ausstechen. Die Winkel dieses sphärischen Dreiecks sind alle gleich dem Winkel (siehe oben) zwischen zwei Dreiecksebenen. Der Flächeninhalt des sphärischen Dreiecks ist der Raumwinkel Dieser Raumwinkel entspricht der Fläche eines Kugelsegments auf der Einheitskugel mit einem halben Öffnungswinkel Anwendungen Einige geodätische Kuppeln sind Polyeder, die vom Dodekaeder abgeleitet sind, indem die Fünfecke weiter in gleichschenkelige Dreiecke unterteilt werden. Es gibt dodekaederförmige Spielwürfel. Dodekaeder werden auch als originelle Wertstoff-Sammelbehälter eingesetzt, zum Beispiel in Paris. In der Bauakustik werden dodekaederförmige Lautsprecher verwendet, um eine möglichst gute Kugelcharakteristik zu erhalten. Statt einer Glaskugel werden kristallene Zwölfflächner zur Raumausleuchtung verwendet. Der Verwendungszweck des römischen Pentagondodekaeders ist bis heute unklar. Ein Dodekaeder kann auch als Jahres-Kalender verwendet werden: jeder Monat erhält ein eigenes Fünfeck. Sowohl Megaminx als auch Alexander’s Star sind Varianten des Zauberwürfels in Form eines Dodekaeders als dreidimensionales Puzzle. In Waldorfschulen ist der Grundstein, der traditionell am Eingangsportal einer jeden Schule platziert wird, ein kupfernes Pentagondodekaeder. Pentagondodekaeder mit unregelmäßigen Flächen Pyritoeder Das Pyritoeder hat ebenfalls 12 Flächen, 20 Ecken und 30 Kanten. Die Flächen sind aber nicht regelmäßig. Jede der 12 Flächen ist ein Fünfeck mit vier kürzeren und einer längeren Kante. Insgesamt besitzt dieses Polyeder 24 kürzere und 6 längere Kanten. Wie auch beim regelmäßigen Pentagondodekaeder bilden 8 der 20 Ecken einen einbeschriebenen Würfel (Vergl. Abschnitt 1.3.1); in der Abbildung sind sie gelb markiert. In der Natur kommt Pyrit (FeS2) manchmal in dieser Gestalt vor. Deshalb wird diese Varietät des Pentagondodekaeder in der Mineralogie auch Pyrit-Dodekaeder oder Pyritoeder genannt. Bei Kristallen sind fünfzählige Achsen unmöglich, wie das reguläre Pentagondodekaeder sie besitzt, weil es keine lückenlose periodische Flächenfüllung mit fünfzähliger Symmetrie gibt. Nur bei nicht streng periodischen „Kristallen“, also Quasikristallen, ist ein reguläres Pentagondodekaeder denkbar. Netze des Dodekaeders Das Dodekaeder hat 43380 Netze. Das heißt, es gibt 43380 Möglichkeiten, ein hohles Dodekaeder durch Aufschneiden von 19 Kanten aufzuklappen und in der Ebene auszubreiten. Die anderen 11 Kanten verbinden jeweils die 12 regelmäßigen Fünfecke des Netzes. Um ein Dodekaeder so zu färben, dass keine benachbarten Flächen dieselbe Farbe haben, braucht man mindestens 4 Farben. Graphen, duale Graphen, Zyklen, Färbungen Das Dodekaeder hat einen ihm zugeordneten ungerichteten planaren Graphen mit 20 Knoten, 30 Kanten und 12 Gebieten, der 3-regulär ist, d. h. von jedem Knoten gehen 3 Kanten aus, sodass der Grad für alle Knoten gleich 3 ist. Bei planaren Graphen ist die genaue geometrische Anordnung der Knoten unwesentlich. Wichtig ist allerdings, dass sich die Kanten nicht schneiden müssen. Die Knoten dieses Dodekaedergraphen entsprechen den Ecken des Dodekaeders. Die Knoten des Dodekaedergraphen können mit 3 Farben so gefärbt werden, dass benachbarte Knoten immer unterschiedlich gefärbt sind. Dies bedeutet, dass die chromatische Zahl dieses Graphen gleich 3 ist (siehe Knotenfärbung). Außerdem können die Kanten mit 3 Farben so gefärbt werden, dass benachbarte Kanten immer unterschiedlich gefärbt sind. Mit 2 Farben ist das nicht möglich, sodass der chromatische Index für die Kantenfärbung gleich 3 ist (das nebenstehende Bild veranschaulicht diese Färbungen). Um die entsprechende nötige Anzahl der Farben für die Flächen oder Gebiete zu bestimmen, ist der duale Graph (Ikosaedergraph) mit 12 Knoten, 30 Kanten und 20 Gebieten hilfreich. Die Knoten dieses Graphen werden dabei den Gebieten des Dodekaedergraphen eineindeutig (bijektiv) zugeordnet und umgekehrt (siehe bijektive Funktion und Abbildung). Die Knoten des Ikosaedergraphen können mit 4 Farben so gefärbt werden, dass benachbarte Knoten immer unterschiedlich gefärbt sind, aber nicht mit 3 Farben, sodass die chromatische Zahl des Ikosaedergraphen gleich 4 ist. Daraus lässt sich indirekt schließen: Weil die chromatische Zahl gleich 4 ist, sind 4 Farben für eine solche Flächenfärbung des Dodekaeders oder eine Färbung der Gebiete des Dodekaedergraphen nötig. Die 19 aufgeschnittenen Kanten jedes Netzes (siehe oben) bilden zusammen mit den Ecken (Knoten) einen Spannbaum des Dodekaedergraphen. Jedes Netz entspricht genau einem Spannbaum und umgekehrt, sodass hier eine eineindeutige (bijektive) Zuordnung zwischen Netzen und Spannbäumen besteht. Wenn man ein Dodekaedernetz ohne das äußere Gebiet als Graphen betrachtet, erhält man als dualen Graphen jeweils einem Baum mit 12 Knoten und 11 Kanten und dem maximalen Knotengrad 3. Jede Fläche des Dodekaeders wird dabei einem Knoten des Baums zugeordnet. Dabei kommt nicht jede graphentheoretische Konstellation (siehe Isomorphie von Graphen) solcher Bäume vor, aber einige mehrfach. Der Dodekaedergraph besitzt 60 Hamiltonkreise, aber keine Eulerkreise. Andere Dodekaeder Andere Dodekaeder sind zum Beispiel: Das Rhombendodekaeder besitzt 12 kongruente Rauten als Flächen, 14 Ecken und 24 Kanten. Es ist ein catalanischer Körper und dual zum Kuboktaeder. Es bildet die typische Kristallform der Granate. Das Trigondodekaeder besitzt 12 kongruente gleichseitige Dreiecke als Flächen, 8 Ecken und 18 Kanten. Es ist ein Deltaeder und Johnson-Körper. Ausgehöhltes Dodekaeder Großes Dodekaeder Rhombenikosidodekaeder Verlängertes Rhombendodekaeder Einige dieser Polyeder haben mehr als 12 Flächen, sind also keine echten Dodekaeder. Weblinks Euklid: Stoicheia. Buch XIII.17. Dodekaeder einer Kugel ... Herleitung der Formeln Bastelbogen für Kalender in Dodekaeder-Form Dodekaeder. Mathematische Basteleien Dodekaeder-Rechner für Kantenlänge, Oberflächeninhalt, Rauminhalt, Umkugelradius, Kantenkugelradius und Inkugelradius Wilfried Stevens: Das Dodekaeder Beitrag im Mystikum-Magazin, Juni 2019 Einzelnachweise Platonischer Körper Planarer Graph
1059
https://de.wikipedia.org/wiki/Douglas%20Coupland
Douglas Coupland
Douglas Campbell Coupland (* 30. Dezember 1961 in Rheinmünster-Söllingen) ist ein kanadischer Schriftsteller, bildender Künstler und Designer. Sein erster Roman Generation X, der 1991 erschien, wurde zu einem internationalen Bestseller und führte Begriffe wie McJob und Generation X in den allgemeinen Sprachgebrauch ein. Ein durchgehendes Merkmal von Couplands Romanen und Kurzgeschichten ist ihre Synthese von postmoderner Religiosität, Web 2.0, Sexualität und Popkultur. Bis 2013 hat er 15 Romane veröffentlicht und eine Biografie über Marshall McLuhan verfasst. Coupland war 2006 und 2010 für den Scotiabank Giller-Preis und 2009 für den Writers’ Trust Fiction Prize sowie 2011 für seine Biografie über McLuhan für den Hubert Evans Non-Fiction Prize nominiert. Die britische Zeitung The Guardian nahm 2009 zwei seiner Erzählungen, nämlich Girlfriend in a Coma und Microsklaven in die „Liste der 1000 Romane, die jeder gelesen haben muss“ auf. 2013 wurde Coupland der Order of Canada verliehen, die höchste Auszeichnung, die kanadische Zivilpersonen erhalten können. Leben Douglas Coupland wurde auf einem NATO-Stützpunkt in Deutschland geboren. Er war der zweite von vier Söhnen, sein Vater Charles Thomas Coupland war im medizinischen Dienst der Royal Canadian Air Force beschäftigt, seine Mutter C. Janet Coupland war Hausfrau und hatte einen Abschluss in Vergleichender Religionslehre der McGill University. Die Familie kehrte 1965 nach Kanada zurück, wo der Vater eine Arztpraxis eröffnete. Coupland wuchs entsprechend in Vancouver in British Columbia auf. Seinen Familienhintergrund hat Coupland als ausgesprochen religiös bezeichnet. Nach Abschluss der Highschool besuchte er die McGill University, um dort Naturwissenschaften zu studieren. Er brach sein Studium jedoch nach einem Jahr ab und kehrte nach Vancouver zurück, wo er 1984 am Emily Carr College of Art and Design ein Bildhauerei-Studium abschloss. Über seine Zeit an dem auf Granville Island liegenden College sagte er später: Bis 1986 folgten Auslandsaufenthalte in Italien und Japan. An der Universität von Hokkaidō besuchte Coupland Kurse in Produktdesign. Es gelang ihm anschließend, sich in Tokio als Designer zu etablieren. Er kehrte aus gesundheitlichen Gründen nach Kanada zurück. Dort stellte er seine Arbeiten 1987 unter dem Titel The Floating World in der Vancouver Art Gallery aus. In den späten Achtzigern begann er für lokale Magazine zu schreiben, um damit seine Arbeit als Künstler zu finanzieren. Daraus resultierte sein Erstlingswerk Generation X, das ihn berühmt machte. Daneben arbeitet er nach wie vor an Skulpturen und Installationen. 2004 schuf er das Canada House, eine Installation, die sich mit Stereotypen kanadischer Identität anhand von Alltagsgegenständen auseinandersetzte. 2005 schrieb er das Drehbuch zu dem Film Everything's Gone Green. Coupland ist weiterhin als bildender Künstler tätig. Er schuf unter anderem im Rahmen eines Kunstprojekts die Skulptur Digital Orca, die 2010 auf dem Jack Poole Plaza in Vancouver aufgestellt wurde. Er lebt mit seinem Lebensgefährten David Weir in West Vancouver, British Columbia. Werk Von 1989 bis 1990 lebte Coupland in einer Region der Mojave-Wüste, um dort einen Vertrag mit St. Martins Press zu erfüllen, der eigentlich bestimmte, dass Coupland ein Sachbuch über die Generation zu schreiben habe, die nach den Baby-Boomern auf die Welt kamen. Statt des Sachbuchs entstand jedoch ein Roman, den Coupland den Titel Generation X gab. Der Roman fand in Kanada zunächst keinen Verleger, schließlich konnte Coupland ihn 1991 bei einem US-amerikanischen Verlagshaus unterbringen. Der Roman war kein sofortiger Erfolg, gewann jedoch allmählich eine große Leserschaft, die ihr Lebensgefühl in diesem Roman reflektiert sah. Gegen seinen eigenen Widerstand gelangte Coupland in den Ruf, ein Sprecher für diese konsumkritische Bevölkerungsschicht zu sein. Der Roman Generation X wurde letztendlich ein Welterfolg, der Titel wurde zum sprichwörtlichen Begriff und namensgebend für eine vom Konsumwahn abgestoßene Bewegung. Das Buch schildert in anekdotenhafter Form den Selbstfindungsprozess dreier exemplarischer Vertreter der Generation X und ihr Streben, der zunehmenden Kommerzialisierung ein eigenes Wertesystem entgegenzustellen. 1992 folgte der Roman Shampoo Planet. Er handelt von der Generation, die der Generation X nachfolgte und die jetzt gewöhnlich als Generation Y bezeichnet wird. In ihm wird eine Jugend dargestellt, die Statussymbole und Karrieredenken in den Vordergrund stellt und damit in deutlichem Widerspruch zu den der Hippie-Generation zugehörigen Eltern steht. Coupland ließ sich kurz nach der Veröffentlichung permanent in Vancouver nieder. Das 1993 erschienene Life After God schildert episodenhaft die Existenzängste der Generation X. Atomare Bedrohung, Zerstörung der Umwelt, Tod und die Suche nach Gott charakterisieren die assoziativ geformte Erzählung. 1995 veröffentlichte Coupland den satirischen Roman Microserfs (von engl. serf, Leibeigener) über die Angestellten des Microsoft-Konzerns, der gleichzeitig den IT-Boom der Neunziger parodiert. Er erschien 1996 auf Deutsch unter dem Titel Microsklaven. Das Buch entstand aus einer Kurzgeschichte über Angestellte dieses Konzerns, die Coupland 1994 für das damals neu gegründete Magazin Wired geschrieben hatte. Während der Buchrecherchen lebte Coupland für einige Wochen in Redmond, dem Hauptsitz von Microsoft, und anschließlich für vier Monate in Palo Alto im Silicon Valley, um das Leben der Personen besser zu verstehen, die direkt an der Informationsrevolution beteiligt sind. Coupland, der selber aus einer religiösen Familie stammte, nannte die „Jetzt“-Orientierung der von ihm beobachteten Personen besonders auffällig. Maschinen seien die Idole, die ihre Wünsche, Hoffnungen, Ziele und Träume beeinflussten. Als besonders verblüffend bezeichnete er es, dass sie sich nicht mit Fragen wie Tod und einem Leben nach dem Tod auseinandersetzen. 1996 publizierte Coupland den Sammelband Polaroids from the Dead, in dem er abermals die gesellschaftlichen Veränderungen der Dekade unter die Lupe nahm. Die verschiedenen Themen, die Coupland in diesen Essays aufgreift, sind ein Besuch bei einem Konzert der Band Grateful Dead, Betrachtungen über den Film Harold and Maude, der Besuch eines deutschen Journalisten, der Jahrestag des Todes von Marilyn Monroe und das Leben in der Stadt Brentwood während der Zeit des Mordprozesses gegen den ehemaligen Football-Spieler O. J. Simpson. Im selben Jahr war Coupland auf einer Promotiontour durch Europa für seinen Roman Mikrosklaven. Die hohe Arbeitsbelastung sorgte für eine Lebensphase, die von Erschöpfung und Niedergeschlagenheit gekennzeichnet war. Diese Erfahrungen spiegeln sich auch in seinem nächsten Roman Girlfriend in a Coma wider, den eine Abkehr von Couplands lakonischem Schreibstil kennzeichnet. Es ist ein apokalyptisches Märchen, das die gescheiterten Träume der Protagonisten thematisiert. Eleanor Rigby greift 2004 abermals das Motiv ionisierender Strahlung auf und erzählt die Geschichte einer Mittdreißigerin, deren Leben aus den gewohnten Bahnen bricht, nach dem ihr Sohn, den sie nach der Geburt zur Adoption frei gab, nach 20 Jahren in ihr Leben tritt. In The Gum Thief rekrutiert sich das Personal aus den Angestellten und Kunden eines Büroartikel-Großmarkts. In die Haupterzählung eingewoben ist der fiktive Roman Glove Pond, den einer der Angestellten angelehnt an die Ereignisse seiner Kollegen Kapitel für Kapitel fortschreibt. In der Haupterzählung geht es darum, dass zwei Menschen am Tiefpunkt angekommen sind und sich dessen bewusst werden. Dann nehmen sie das ihnen entglittene Leben wieder in die Hand: Der eine, indem er den Roman schreibt, die andere, indem sie ein Studium beginnt. 2009 veröffentlichte Coupland den Roman Generation A. Rückgreifend auf sein Debüt mit Generation X unternimmt Coupland hier erneut den Versuch, das Lebensgefühl einer zunehmend individualisierten Generation zwischen YouTube, Google und Twitter zu dokumentieren. Zu diesem Zweck integriert die Erzählung zahlreiche stilistische und gestalterische Elemente des Web 2.0. Die Geschichte spielt in der nahen Zukunft: Bienen gelten als weltweit ausgestorben, bis unvermittelt fünf Personen, verstreut über den gesamten Erdball, gestochen werden. Die fünf Protagonisten werden kurz nach diesem Vorfall auf abenteuerliche Weise gefangen genommen, isoliert, schließlich an einem entlegenen Ort zusammengebracht. Es gilt herauszufinden, was die Bienen dazu animierte, ebendiese Personen zu stechen. In Player One aus dem Jahr 2010 beschreibt Coupland das Zusammentreffen verschiedener Personen in einer Flughafenbar. Ein Zwischenfall sorgt dafür, dass die Menschen von der Außenwelt abgeschnitten sind und daraufhin ihre Verhaltensweisen und Einstellungen, teils drastisch, ändern. Auszeichnungen und Nominierungen 2001 Bill Duthie Booksellers’ Choice Award – City of Glass (Douglas & McIntyre) 2011 Shortlist – Hubert Evans Non-Fiction Prize – Marshall McLuhan 2013 Officer des Order of Canada 2014 Order of British Columbia 2017 Lieutenant Governor’s Award for Literary Excellence Bibliografie Romane Generation X (1991) Deutsch: Generation X. Übersetzt von Harald Riemann. Galgenberg, 1992, ISBN 3-87058-120-4. Auch als: Generation X : Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur. Übersetzt von Harald Riemann. Aufbau Digital, Berlin 2018, ISBN 978-3-8412-1614-4 (E-Book). Shampoo Planet (1992) Deutsch: Shampoo-Planet. Übersetzt von Harald Riemann. Aufbau, 1994, ISBN 3-351-02272-7. Microserfs (1995) Deutsch: Microsklaven. Übersetzt von Tina Hohl. Hoffmann und Campe, 1996, ISBN 3-455-01173-X. Girlfriend in a Coma (1998) Deutsch: Girlfriend in a Coma. Übersetzt von Tina Hohl. Hoffmann und Campe, 1999, ISBN 3-455-01174-8. Miss Wyoming (1998) Deutsch: Miss Wyoming. Übersetzt von Tina Hohl. Hoffmann und Campe, Hamburg 2001, ISBN 3-455-01175-6. All Families Are Psychotic (2001) Deutsch: Alle Familien sind verkorkst. Übersetzt von Tina Hohl. Hoffmann und Campe, 2002, ISBN 3-455-01176-4. God Hates Japan (2001) Hey Nostradamus! (2003) Eleanor Rigby (2004) Deutsch: Eleanor Rigby. Übersetzt von Tina Hohl. Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, ISBN 3-455-40007-8. JPod (2006) Deutsch: JPod. Übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Tropen, 2011, ISBN 978-3-608-50103-2. The Gum Thief (2007) Generation A (2009) Deutsch: Generation A. Übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Tropen (Klett-Cotta Tropen #50110), 2010, ISBN 978-3-608-50110-0. Player One: What Is to Become of Us: A Novel in Five Hours (2010) Deutsch: Spieler Eins: Roman in 5 Stunden. Übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Tropen, 2013, ISBN 978-3-608-50114-8. Worst. Person. Ever. (2013) Sammlungen Life After God (1994) Deutsch: Life After God : Die Geschichten der Generation X. Übersetzt von Harald Riemann. Aufbau-Verlag, Berlin 1995, ISBN 3-351-02335-9. Polaroids from the Dead (1996) Deutsch: Amerikanische Polaroids. Übersetzt von Tina Hohl. Hoffmann und Campe, Hamburg 1998, ISBN 3-455-11123-8. Highly Inappropriate Tales for Young People (2011; mit Graham Roumieu) Bit Rot (2015) Deutsch: Bit Rot : Berichte aus der sich auflösenden Welt. Übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Blumenbar, Berlin 2019, ISBN 978-3-351-05070-2. Kurzgeschichten 1994: 1,000 Years (Life After God) (1994, in: Douglas Coupland: Life After God) Gettysburg (1994, in: Douglas Coupland: Life After God) In the Desert (1994, in: Douglas Coupland: Life After God) Little Creatures (1994, in: Douglas Coupland: Life After God) My Hotel Year (1994, in: Douglas Coupland: Life After God) Patty Hearst (1994, in: Douglas Coupland: Life After God) Things That Fly (1994, in: Douglas Coupland: Life After God) The Wrong Sun (1994, in: Douglas Coupland: Life After God) 1997: Shopping Is Not Creating (1997, in: Fred G. Leebron, Paula Geyh und Andrew Levy (Hrsg.): Postmodern American Fiction) 1998: Fire at the Ativan Factory (1998, in: Sarah Champion (Hrsg.): Disco 2000) Deutsch: Jahrhundertaustreibung. Übersetzt von Volker Oldenburg. In: Sarah Champion (Hrsg.): Die letzte Nacht des Jahrtausends. Rowohlt rororo #22587, 1999, ISBN 3-499-22587-5. 2010: Survivor (2010, in: Zsuzsi Gartner (Hrsg.): Darwin’s Bastards: Astounding Tales from Tomorrow) 2013: Andy Warhol (2013, in: Dan Crowe (Hrsg.): Dead Interviews: Living Writers Meet Dead Icons) Sachliteratur Lara’s Book: Lara Croft and the Tomb Raider Phenomenon (1998) Souvenir of Canada (2002) City of Glass : Douglas Coupland's Vancouver (2003) Souvenir of Canada 2 (2004) Terry : Terry Fox and his Marathon of Hope (2005) Marshall McLuhan : You Know Nothing of My Work! (2010) Deutsch: Marshall McLuhan : Eine Biographie. Übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner. Tropen-Verlag Label von Klett-Cotta, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-608-10178-2 (E-Book). Shopping in Jail : Ideas, Essays, and Stories For the Increasingly Real Twenty-First Century (2013) Kitten Clone : Inside Alcatel-Lucent (2014; auch: Kitten Clone : The History of the Future at Bell Labs, 2015) The Age of Earthquakes : A Guide to the Extreme Present (2015) Deutsch mit Hans Ulrich Obrist und Shumon Basar: Erschütterung der Welt : Leitfaden für die extreme Gegenwart. Bastei Lübbe, Köln 2015, ISBN 978-3-8479-0588-2. Theaterstück Life After God: The Play (2008; mit Michael Lewis MacLennan) Weblinks Website von Douglas Coupland Einzelbelege Autor Bildhauer (Kanada) Drehbuchautor Literatur (20. Jahrhundert) Literatur (21. Jahrhundert) Literatur (Englisch) Kanadische Literatur Science-Fiction-Literatur Roman, Epik Kurzgeschichte Erzählung Essay Biografie Officer of the Order of Canada Träger des Order of British Columbia Kanadier Geboren 1961 Mann
1060
https://de.wikipedia.org/wiki/Douglas%20Adams
Douglas Adams
Douglas Noël Adams (* 11. März 1952 in Cambridge, England; † 11. Mai 2001 in Santa Barbara, Kalifornien) war ein britischer Schriftsteller. Er wurde vor allem mit der satirischen Science-Fiction-Reihe Per Anhalter durch die Galaxis bekannt. Leben Adams kam als Sohn von Janet (geborene Donovan, 1927–2016) und Christopher Douglas Adams (1927–1985) in der englischen Universitätsstadt Cambridge zur Welt. Nach der Scheidung seiner Eltern zog die Mutter mit dem fünfjährigen Douglas nach Brentwood in Essex. Dort wuchs er gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester auf. 1964 heiratete seine Mutter ein zweites Mal. Aus dieser Ehe stammten zwei jüngere Halbgeschwister. Ab 1959 besuchte Adams die Brentwood-School, wo er vor allem an den Naturwissenschaften interessiert war. Damals begann er, sich als Autor zu betätigen, wobei er mit seinen Texten auf große Zustimmung des Lehrpersonals stieß und einen Literaturwettbewerb gewann. Sein erster veröffentlichter Text war eine komische Kurzgeschichte über einen Mann, der sein Gedächtnis in der Londoner U-Bahn verlor und sich im Fundbüro danach erkundigte. Dieser Text wurde in einer Science-Fiction-Zeitschrift für Jugendliche veröffentlicht. Später studierte er als Mitglied des St John’s Colleges Englisch in Cambridge, wo er sich einer kleinen Komikergruppe namens Cules anschloss. Dort lernte er John Lloyd kennen, mit dem er sich später eine Wohnung teilte. Während seines Studiums arbeitete er als Aushilfskraft, um sich sein ausgedehntes Trampen durch Europa zu finanzieren. Auf einer dieser Reisen entstand auch die Idee zu seinem berühmtesten Werk Per Anhalter durch die Galaxis. Die Idee kam ihm, als er, wie er der BBC beschrieb, nach einem Kneipenbesuch in Innsbruck angetrunken auf einem Acker lag und in die Sterne schaute. Er selbst beschrieb dieses Ereignis so: Während seiner Studienzeit arbeitete Adams in einer anderen universitären Comedygruppe namens Footlights mit (die etwa ein Jahrzehnt früher auch der Kristallisationspunkt für die Komikergruppe Monty Python gewesen war), bei der er Simon Jones kennenlernte, mit dem er später zusammenarbeitete. 1974 verließ Adams das College mit dem festen Vorsatz, Schriftsteller zu werden. Anfangs gelang ihm das nur mäßig erfolgreich. Unter anderem arbeitete er mit Graham Chapman von Monty Python zusammen. In Folge 42 von Monty Python’s Flying Circus trat er in einer Nebenrolle auf, an der letzten Folge Party Political Broadcast on Behalf of the Liberal Party wirkte er als Autor mit. 1977 gelang ihm der Durchbruch, als er mit Simon Brett einen Vertrag über die Ausstrahlung einer Science-Fiction-Radiosendung abschloss. Die Sendung trug den Titel The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy und wurde zum ersten Mal 1978 vom britischen Radiosender BBC Radio 4 gespielt. In stark veränderter und erweiterter Form wurde die Serie zwischen 1979 und 1982 zunächst als Trilogie in Buchform veröffentlicht; eine wesentliche Änderung ist das Entfernen aller zusammen mit John Lloyd geschriebenen Anteile der Radiosendungen fünf und sechs. Der Inhalt des ursprünglichen Hörspiels findet sich vor allem im ersten Band. Die Bücher wurden Bestseller. 1984 folgte ein vierter Band (Macht’s gut, und danke für den Fisch), 1992 ein fünfter (Mostly Harmless (Einmal Rupert und zurück)) mit dem Untertitel Fünfter Band einer vierteiligen Trilogie. 1991 heiratete Adams Jane Belson, 1994 wurde eine gemeinsame Tochter geboren. Anfangs lebte die Familie in London, 1999 zog Adams mit seiner Familie nach Kalifornien, vor allem, damit er die Verfilmung von Per Anhalter durch die Galaxis für das Kino unterstützen konnte. Adams starb am 11. Mai 2001 in einem Fitnessstudio an einem Herzinfarkt. Sein Grab befindet sich auf dem Highgate Cemetery in London. Zu seinem Gedenken findet jährlich am 25. Mai der sogenannte Towel Day (Handtuchtag) statt. Die Douglas Adams Memorial Lecture ist eine Vortragsreihe, die jährlich zu Ehren des Autors stattfindet. Der Vortrag findet seit 2003 jedes Jahr zur Unterstützung von Umweltorganisationen wie 'Save the Rhino International' statt und behandelt Themen wie Wissenschaft, Erforschung, Naturschutz und Comedy. Die Veranstaltung findet traditionell am 11. März rund um Adams Geburtstag statt und findet derzeit in der Royal Geographical Society statt. Stil Adams’ Geschichten, allen voran Per Anhalter durch die Galaxis, zeichnen sich durch ihren sarkastischen, satirischen Stil aus. Seine Romane spielen meist in absurden, fremdartigen Welten, die sich jedoch in vielerlei Hinsicht (etwa Bürokratie, Neidgesellschaften, Wirtschaftssysteme) von der realen Welt kaum unterscheiden. Adams stellte stets utopische und oft übersinnliche Vorgänge im Zusammenhang mit Banalitäten und Alltäglichkeiten dar. Viele Elemente des für Adams typischen Stils sind teilweise bei anderen Autoren wiederzufinden, z. B. in der Scheibenwelt-Saga (orig. ) des britischen Autors Terry Pratchett. Nach seinen Vorbildern befragt, sagte Adams in einem Interview: Werke Doctor Who Vor der Anhalter-Serie arbeitete Douglas Adams als Drehbuchautor bei der BBC und schrieb drei Abenteuer (14 Folgen) für die Serie Doctor Who: The Pirate Planet (4 Folgen) City of Death (4 Folgen) Shada (6 Folgen): Shada wurde aufgrund eines Streiks bei der BBC nie in der ursprünglichen Version fertiggestellt. Stattdessen wurde ein direkt auf Videokassette veröffentlichter Zusammenschnitt des gefilmten Materials 1992 auf den Markt gebracht. 2003 folgte ein Animationsfilm mit an die Serienkontinuität angepasstem Drehbuch. Eine Adaption des Drehbuchs als Roman wurde von Gareth Roberts verfasst und im März 2012 veröffentlicht. Eine deutsche Veröffentlichung erfolgte im Dezember 2014. Erst im November 2017, nach 38 Jahren, wurde die ursprünglich geplante Fassung durch Charles Norton fertiggestellt. Fehlende Teile wurden hierbei durch Animationen ergänzt, die entsprechenden Stellen wurden von den Originaldarstellern nachvertont. Elemente des ursprünglichen Drehbuchs von 1979 flossen auch in Dirk Gently’s Holistic Detective Agency ein. Douglas Adams schrieb außerdem einen Entwurf zu einer Folge Doctor Who and the Krikkitmen, die später die Grundlage für den dritten Hitchhiker-Roman Das Leben, das Universum und der ganze Rest bildete. Per Anhalter durch die Galaxis Der Anhalter wird als „die einzige vierbändige Trilogie in fünf Teilen“ bezeichnet, da die ersten drei Bände, die in etwa den beiden ursprünglichen Hörspielserien entsprechen, eine gewisse innere Geschlossenheit als Trilogie erreichen, der vierte Band als Vervollständigung und der fünfte als Abschluss gelten kann. Ein sechster Band Und übrigens noch was … entstand acht Jahre nach Adams' Tod im Auftrag der Witwe aus der Feder Eoin Colfers. Zur Anhalter-Serie zählt ferner die Kurzgeschichte Der junge Zaphod geht auf Nummer sicher (1986; Young Zaphod Plays It Safe), die Geschichte liegt in zwei etwas unterschiedlichen Versionen vor und ist in verschiedenen Sammelbänden, unter anderem im Nachlassband Lachs im Zweifel und als Hörbuch erschienen. Weitere Arbeiten 1974: Nach dem Ausstieg von John Cleese hat Douglas Adams an den Drehbüchern der letzten Folgen der Serie Monty Python’s Flying Circus mitgearbeitet. 1978: Doctor Snuggles, englische Zeichentrickserie, zu der Adams zwei Folgen beisteuerte. 1983: Der Sinn des Labenz (mit John Lloyd; Originaltitel The Meaning of Liff) 1985: The Hitch Hiker’s Guide to the Galaxy: The Original Radio Scripts (mit Geoffrey Perkins) 1986: The Utterly Utterly Merry Comic Relief Christmas Book (bearbeitet von Douglas Adams) 1987: Dirk-Gently-Reihe, fantastische Kriminalromane – Der elektrische Mönch (1987), Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele (1988); siehe Bibliographie unten. 1990: Der tiefere Sinn des Labenz (mit John Lloyd; erweiterte Version von Der Sinn des Labenz; Originaltitel The Deeper Meaning of Liff) 1990: Die Letzten ihrer Art (mit Mark Carwardine; Originaltitel Last Chance to See); Reisebericht über bedrohte Tierarten. Auch auszugsweise auf Audio-CD: Douglas Adams liest aus seinem Reisebuch, Lesung in Göttingen 1994, ISBN 3-8077-0290-3 1990: Hyperland, ein fiktionaler Dokumentarfilm über Hypertext und angrenzende Techniken, für den Adams das Drehbuch schrieb und Regie führte. 1997: Starship Titanic, Computerspiel des Adventure-Genres. Die deutsche Fassung Raumschiff Titanic erschien 1999. 1997: Douglas Adams’ Raumschiff Titanic, das Buch zum Computerspiel (geschrieben von Terry Jones, da Adams mit der Entwicklung des Spiels beschäftigt war). 2003: Lachs im Zweifel (Originaltitel The Salmon of Doubt), Sammelband; nach Adams' Tod aus dem Nachlass veröffentlicht, mit Interviews, Kurzgeschichten sowie Kapiteln einer geplanten Fortsetzung der Dirk-Gently-Serie. 2014: The Frood: The Authorised and Very Official History of Douglas Adams & The Hitchhiker's Guide to the Galaxy, Sammelband; aus dem Nachlass zusammengestellt von Jem Roberts. Sonstiges Douglas Adams erschuf 1984 zusammen mit Steve Meretzky von Infocom das auf dem Buch basierende Textadventure „The Hitchhiker's Guide to the Galaxy“. Später beteiligte er sich an einem weiteren Infocom-Adventure namens Bureaucracy. Zusammen mit seiner Firma The Digital Village schuf er 1999 das Adventure Starship Titanic sowie die Website h2g2, die gewissermaßen das Projekt des Anhalters darstellt, in dem jeder seine Artikel über Life, the Universe und Everything publik machen kann. 2004 und 2005 produzierte das BBC Radio 4 die Bände 3–5 der Anhalter-Serie als Hörspiel-Sequel zu den Originalhörspielen The Hitch Hiker’s Guide to the Galaxy unter den Titeln Tertiary Phase, Quandary Phase und Quintessential Phase. Der 2005 gestartete Kinofilm wird von einigen Fans dafür kritisiert, dass er sich zwar anfangs an die literarische Vorlage hält, später aber zunehmend in Klamauk verfällt, und weil er Szenen und Begebenheiten enthält, die weder im Hörspiel noch im Roman enthalten sind. Letzteres trifft jedoch auch auf die Bücher zu, deren Handlung nicht genau der Vorlage, dem Radiohörspiel, entspricht. Das gesamte Werk von Douglas Adams enthält derartige Stellen, da er seine Werke in verschiedenen Medienformen umsetzte (Radio, Fernsehen, Schallplatte, Computer, Kino); meist war er selbst der Autor dieser Abweichungen. Rezeption Per Anhalter durch die Galaxis ist sein wichtigstes Werk. Die sarkastische Science-Fiction-Satire machte Adams weltberühmt, und viele ihrer Eigenheiten haben den Sprung über die Literatur und die Science-Fiction in die reale Welt geschafft: Ein am 7. Februar 1998 entdeckter Asteroid (Nr. 18610) wurde nach Arthur Dent, dem Protagonisten der Anhalter-Romane getauft. Arthurdent ist 2,39 AE von der Sonne entfernt. Douglas Adams starb zwei Tage nach der offiziellen Namensgebung. Adams’ genialer Supercomputer Deep Thought, der die letzte Frage nach dem Leben, dem Universum und dem Rest beantworten soll, diente als Namensgeber für den gleichnamigen Schachcomputer, der im Jahr 1988 Meisterspieler wie Igor Iwanow besiegte. Adams’ Computer inspirierte IBM, ihren weltberühmt gewordenen Schachcomputer Deep Blue zu nennen – eine Synthese aus Big Blue, wie IBM auch genannt wird, und Deep Thought. Der Name Deep Thought selbst schließlich ist eine Anspielung auf den Pornoklassiker Deep Throat, der um die Zeit der Romanentstehung große Diskussionen auslöste. Adams’ Babelfisch war Namensgeber für die Übersetzungs-Software Babel Fish der Suchmaschinen AltaVista und Yahoo. In Adams’ Roman handelt es sich beim Babelfisch um eine Kreatur, die, wenn man sie sich ins Ohr gesteckt hat, jede Fremdsprache übersetzt. Die Zahl 42 wird im Anhalter durch die Galaxis als endgültige Antwort auf die letzte aller Fragen dargestellt. Verweise darauf finden sich heute in zahlreichen Songs verschiedenster Genres sowie in Zeitungsartikeln und Essays. Unter anderem benannte sich die britische Popgruppe Level 42 danach. Das Sub-Etha-Kommunikationsnetzwerk, das mehrfach im Anhalter erwähnt wird, gab dem ersten kollaborativen Texteditor SubEthaEdit seinen Namen. Das Instant-Messaging-Programm Trillian wurde nach der Romanfigur Tricia McMillan (Trillian) aus Per Anhalter durch die Galaxis benannt. Die Veröffentlichung von Version 4.2 der auch als kostenpflichtige Pro-Version erhältlichen Software wurde bis zum 25. Mai 2010 (Handtuchtag 2010) zurückgehalten. Die Firma SuSE gab der ersten Version ihres zentralen Konfigurationsverwaltungsprogramms (YaST) die Nummer 0.42 und der ersten Version von Suse Linux die Nummer 4.2. Bei der Installation von Suse Linux 7.2 erscheint auf einer verborgenen Konsole ein Nachruf auf Douglas Adams, und die Version 10.1 vom 11. Mai 2006 (5. Todestag) ist ihm gewidmet. Wolfram Alpha, die Taschenrechner-Funktion von Google und die Sprachsteuerung Siri liefern auf Anfrage von answer to life, the universe and everything das Resultat 42. In der logischen Programmiersprache Prolog können an ein System von Fakten und Regeln Fragen gestellt werden. Gibt man eine einzelne freie Variable X (was der Frage nach allgemeiner Wahrheit entspricht) ein, antwortet das Programm folgendermaßen: „% … 1,000,000 ………… 10,000,000 years later“ „%“ „% >> 42 << (last release gives the question)“ Beim ersten Raketenstart einer SpaceX Falcon Heavy wurde als Testnutzlast ein Tesla Roadster verwendet, auf dessen zentralem Bildschirm die Worte DON'T PANIC! angezeigt werden. Dies ist eine Anspielung auf den Umschlag des Reiseführers Per Anhalter durch die Galaxis, der dieselben Worte zeigt. Im Handschuhfach des Fahrzeugs befand sich ein Exemplar des Buchs und ein Handtuch, ebenfalls ein Gegenstand aus dem Roman. Adams über sich selbst Adams brachte in zahlreichen Interviews seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass er in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit nur als Autor von Per Anhalter durch die Galaxis gesehen werde und sein restliches Werk weitgehend unbeachtet geblieben sei. Besonders hob Adams das Buch Die Letzten ihrer Art hervor, auf das er sehr stolz sei. Es ist eine dokumentarische Reportage über eine Reise zu mehreren aussterbenden Tierarten der Welt. Adams war überzeugt davon, dass er, wenn er noch einmal die Wahl gehabt hätte, Zoologe statt Schriftsteller geworden wäre. Ein besonderes Vorbild war für ihn der Evolutionsbiologe Richard Dawkins; Adams hat sich mehrmals als „Dawkinsist“ beschrieben. Außerdem war er ein überzeugter Atheist, er selbst nannte sich sogar einen „radikalen Atheisten“, um sich bewusst vom Agnostizismus abzugrenzen. Dawkins’ 2006 erschienenes Buch Der Gotteswahn ist Adams gewidmet. Das Buch beginnt mit einem Zitat aus Adams’ Per Anhalter durch die Galaxis: Auszeichnungen 1980: Ditmar Award für The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy in der Kategorie International Fiction; außerdem Pat Terry Award 2016: postume Aufnahme in die Science Fiction and Fantasy Hall of Fame Bibliografie Hitchhiker’s Guide to the Galaxy 1 The Hitch Hiker’s Guide to the Galaxy (1979) Deutsch: Per Anhalter durch die Galaxis. 1981. 2 The Restaurant at the End of the Universe (1980) Deutsch: Das Restaurant am Ende des Universums. 1982. 3 Life, the Universe and Everything (1982) Deutsch: Das Leben, das Universum und der ganze Rest. 1983. 4 So Long, and Thanks for All the Fish (1984) Deutsch: Macht’s gut, und danke für den Fisch. 1985. 5 Mostly Harmless (1992) Deutsch: Einmal Rupert und zurück. 1993. Young Zaphod Plays It Safe (Kurzgeschichte, 1986, in: The Utterly Utterly Merry Comic Relief Christmas Book) Deutsch: Der junge Zaphod geht auf Nummer sicher. 1997. Dirk Gently 1 Dirk Gently’s Holistic Detective Agency (1987) Deutsch: Der elektrische Mönch. Übersetzt von Benjamin Schwarz. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 1988, ISBN 3-8077-0226-1. Auch als: Dirk Gently’s holistische Detektei. Übersetzt von Benjamin Schwarz. Ullstein, 1990, ISBN 3-548-22231-5. Hörbuch: Der elektrische Mönch. Übersetzt von Benjamin Schwarz. Der Hörverlag (Die Dirk-Gently-Serie #1), München 2015, ISBN 978-3-8445-1894-8. Comic: Dirk Gentlys holistische Detektei: Schrödingers Katzenkiller. Text Chris Ryall. Zeichnungen Tony Akins (Teil 1–2) & Ilias Kyriazis (Teil 3–5). Übersetzt von Claudia Kern. Panini Verlags GmbH, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-7416-0444-7. 2 The Long Dark Tea-Time of the Soul (1988) Deutsch: Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 1989, ISBN 3-8077-0230-X. 3 The Salmon of Doubt (2002, in: The Salmon of Doubt) Deutsch: Lachs im Zweifel. In: Lachs im Zweifel: Zum letzten Mal per Anhalter durch die Galaxis. Übersetzt von Benjamin Schwarz. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 2003, ISBN 3-8077-0129-X. Hörbuch: Lachs im Zweifel. Übersetzt von Benjamin Schwarz. Der Hörverlag (Die Dirk-Gently-Serie #3), München 2016, ISBN 978-3-8445-1104-8. Dirk Gently’s Holistic Detective Agency and The Long Dark Tea-Time of the Soul (Sammelausgabe von 1 und 2; 1993; auch: The Dirk Gently Omnibus, 2001) Doctor Who mit Gareth Roberts: Shada: The Lost Adventure by Douglas Adams (2012: auch als Shada, 2013) Deutsch: Doctor Who: SHADA. Übersetzt von Claudia Kern. Cross Cult (Doctor Who #4), Ludwigsburg 2014, ISBN 978-3-86425-444-4. Hörbuch: SHADA: Das verlorene Abenteuer. Audible, Berlin 2010, . City of Death (2015) Deutsch: Doctor Who – die Stadt des Todes. Nach einer Geschichte von David Fisher. Übersetzt von Claudia Kern. Cross Cult (Doctor Who #8), Ludwigsburg 2015, ISBN 978-3-86425-793-3. Hörbuch: Die Stadt des Todes. Audible, Berlin 2010, . mit James Goss: The Pirate Planet (2017) Deutsch: Doctor Who: Der Piratenplanet. Übersetzt von Andrea Blendl. Cross Cult, Ludwigsburg 2017, ISBN 978-3-95981-180-4. Hörbuch: Der Piratenplanet. Audible, Berlin 2017, . mit James Goss: Doctor Who and the Krikkitmen (2018) Deutsch: Doctor Who und die Krikkit-Krieger. Übersetzt von Axel Merz. Bastei Entertainment (Doctor Who Romane #8), Köln 2019, ISBN 978-3-7325-7196-3. Hörbuch: Doctor Who und die Krikkit-Krieger. Übersetzt von Axel Merz. Bastei Lübbe AG (Doctor Who Romane #8), Köln 2019, ISBN 978-3-8387-9061-9 (gekürzt). Romane mit Terry Jones: Raumschiff Titanic. Übersetzt von Benjamin Schwarz. Goldmann, München 1998, ISBN 3-442-30798-8. Deutsch: Raumschiff Titanic. Terry Jones. Übersetzt von Benjamin Schwarz. Goldmann #44886, München 2001, ISBN 3-442-44886-7. Hörspiel: Raumschiff Titanic. SWR. Mit Martin Seifert u. a. Der Audio-Verlag, [Berlin] 1999, ISBN 3-89813-003-7. Sammlungen The Salmon of Doubt (2002) Deutsch: Lachs im Zweifel: Zum letzten Mal per Anhalter durch die Galaxis. Übersetzt von Benjamin Schwarz. Heyne, München 2003, ISBN 3-453-86864-1. Kurzgeschichten The Private Life of Genghis Khan (1986, in: The Utterly Utterly Merry Comic Relief Christmas Book) Anthologien mit Peter Fincham: The Utterly Utterly Merry Comic Relief Christmas Book (1986) Sachliteratur mit John Lloyd: The Meaning of Liff (1983; auch: The Deeper Meaning of Liff (rev & exp 1990), 1990) Deutsch: Der tiefere Sinn des Labenz: das Wörterbuch der bisher unbenannten Gegenstände und Gefühle. Mit Illustrationen von Bert Kitchen. Rogner und Bernhard bei Zweitausendeins, 1992, ISBN 3-8077-0262-8. mit John Lloyd: The Deeper Meaning of Liff (1993) Deutsch: Der tiefere Sinn des Labenz: Das Wörterbuch der bisher unbenannten Gegenstände und Gefühle. Mit Illustrationen von Bert Kitchen. Übersetzt von Sven Böttcher. Heyne-Bücher (Allgemeine Reihe #9891), München 1996, ISBN 3-453-09982-6. mit Mark Carwardine: Last Chance To See (1991) Deutsch: Die Letzten ihrer Art: Eine Reise zu den aussterbenden Tieren unserer Erde. Übersetzt von Sven Böttcher. Hoffmann und Campe, 1991, ISBN 3-455-08384-6. Hörbuch: Die Letzten ihrer Art: Eine Reise zu den aussterbenden Tieren unserer Erde. Lesung mit Stefan Kaminski. Übersetzt von Sven Böttcher. Der Audio Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-7424-0200-4 (vollständige Lesung, CD), ISBN 978-3-7424-0304-9 (gekürzte Fassung, MP3-Download). weitere Veröffentlichungen mit Graham Chapman: A Liar’s Autobiography Deutsch: Autobiografie eines Lügners: Mit Gastbeiträgen von David Sherlock & Alex Martin und, oh, David Yallop sowie Douglas Adams (ist aber nicht dessen Autobiografie). Mit Zeichnungen von Jonathan Hills und einer Trauerrede von John Cleese und ein bißchen was am Schluß von Eric Idle. Übersetzt von Harry Rowohlt. Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2012, ISBN 978-3-942989-11-4. Literatur John Clute, Graham Sleight: Adams, Douglas. In: John Clute, Peter Nicholls: The Encyclopedia of Science Fiction. 3. Auflage (Online-Ausgabe), Version vom 21. Oktober 2017. Don D’Ammassa: Encyclopedia of Science Fiction. Facts On File, New York 2005, ISBN 0-8160-5924-1, S. 1 f. Neil Gaiman: Don’t panic: The official hitch-hiker’s guide to the galaxy companion. Titan Books, 1988. Deutsch als: Keine Panik: Mit Douglas Adams durch d. Galaxis. Ullstein, 1990, ISBN 3-548-22272-2. Überarbeitete Neuausgabe: Heyne, München 2011, ISBN 978-3-453-40803-6. George Mann: The Mammoth Encyclopedia of Science Fiction. Robinson, London 2001, ISBN 1-84119-177-9, S. 30 f. Alexander Pawlak: Die Wissenschaft bei Douglas Adams. Wiley-VCH, Weinheim 2010, ISBN 978-3-527-50456-5 (behandelt insbesondere das Interesse von Douglas Adams an wissenschaftlichen Themen und enthält umfangreiches Verzeichnis seiner Werke). M. J. Simpson: Hitchhiker. Hodder & Stoughton, London 2003, ISBN 978-0-340-82488-7 (englischsprachige Biografie). Nick Webb: Wish you were here. Headline, London 2003, ISBN 0-7553-1155-8 (englischsprachige Biografie). Weblinks Douglas Adams in der Science Fiction Awards+ Database Das Leben, das Universum und der ganze Rest – Douglas Adams ist tot (heise.de) Douglas Adams Fantastic Fiction (Bibliographie) Einzelnachweise Autor Literatur (20. Jahrhundert) Literatur (Englisch) Literatur (Vereinigtes Königreich) Roman, Epik Science-Fiction-Literatur Science Fiction and Fantasy Hall of Fame Satire Vertreter des Atheismus Engländer Brite Geboren 1952 Gestorben 2001 Mann
1062
https://de.wikipedia.org/wiki/Demokrit
Demokrit
Demokrit (, genannt auch Demokrit von Abdera; * 460 oder 459 v. Chr. in Abdera in Thrakien; † um 370 v. Chr.) war ein frühgriechischer Philosoph, der, obwohl ein jüngerer Zeitgenosse des Sokrates, den Vorsokratikern zugeordnet wird, weil er noch nicht von diesem beeinflusst ist. Als Schüler des Leukipp wirkte und lehrte er in seiner Heimatstadt Abdera. Er selbst beeinflusste den hellenistischen Philosophen Epikur. Demokrit wurde in seinen philosophischen und wissenschaftlichen Arbeiten entschieden geprägt durch seinen Aufenthalt in Babylonien, einer Wiege der Wissenschaften zu seiner Zeit. Demokrit war Materialist und Hauptvertreter der antiken Atomistik. Er verfasste Schriften zur Mathematik, Astronomie, Physik, Medizin, Logik, Ethik und Seelenlehre. Leben Demokrits Heimatstadt Abdera war eine ionische Kolonie in Thrakien. Er war der Sohn reicher Eltern; sein Vermögen verwendete er für ausgedehnte Reisen. Er rühmte sich, von allen Menschen seiner Zeit die meisten Länder bereist zu haben und zu den gebildetsten Männern unter den Lebenden zu gehören. Von den Schriften Demokrits sind nur Fragmente erhalten. Das erhaltene Verzeichnis seiner überaus zahlreichen Schriften zeigt jedoch, dass seine Kenntnisse sich über den ganzen Umfang des damaligen Wissens erstreckten. Auch über die Kriegskunst wusste er Bescheid. Darin scheint ihn unter den späteren Philosophen der Antike nur Aristoteles übertroffen zu haben. Schon seine Zeitgenossen nannten Demokrit den „lachenden“ Philosophen, vielleicht weil seine Heimatstadt Abdera in Griechenland den Ruf einer Schildbürgerstadt hatte. Vor allem aber zielte er mit seiner Lehre darauf ab, dass die Seele durch die Betrachtung des Wesens der Dinge eine heitere, gelassene Stimmung erlange und nicht länger von Furcht oder Hoffnung umgetrieben werde. Diese gleichmütige Gestimmtheit nannte er Euthymia (wörtlich: Wohlgemutheit) und bezeichnete sie als höchstes Gut. Demokrit und Leukipp hatten großen Einfluss auf Platon – obwohl dieser ihn nie namentlich erwähnte – sowie auf Aristoteles, der ihre Lehren ausführlich untersuchte und teilweise sehr kritisch beurteilte: „Die Frage nach der Bewegung aber, woher und wo sie an die Dinge kommt, haben auch sie, ganz ähnlich wie die anderen, ohne sich über sie den Kopf zu zerbrechen, beiseite liegen lassen.“ Demokrit starb vermutlich um 370 v. Chr. Atomistischer Materialismus Wie sein Lehrer Leukipp – und in Abweichung von dessen Lehrer Parmenides – postulierte er in seiner Atomtheorie, dass die gesamte Natur aus kleinsten unsichtbaren, unteilbaren Einheiten (Elementarteilchen), den Atomen, zusammengesetzt sei. Demokrits zentrale Aussage dazu lautet (gemäß einem Dokument von Galenos aus dem 2. Jahrhundert): Jedes dieser Atome sollte fest und massiv, aber nicht gleich sein. Es gebe unendlich viele Atome: runde, glatte, unregelmäßige und krumme. Wenn diese einander näherten, zusammenfielen oder miteinander verflöchten, erschienen die einen als Wasser, andere als Feuer, als Pflanze oder als Mensch. Seiner Meinung nach lassen sich auch Sinneswahrnehmung und Seelenexistenz auf atomistische Prinzipien zurückführen, indem die Seele aus Seelenatomen bestehe. Stirbt ein Mensch, streuen diese Seelenatome aus und können sich einer neuen Seele anschließen, die sich gerade bildet. Alles, was sich im Weltall bewege, gründe entweder auf Zufall oder auf Notwendigkeit. Diese Lehre ist ein konsequenter und atomistischer Materialismus. Die wesentlichen Grundzüge finden sich bei den materialistisch gesinnten Naturforschern späterer Perioden beinahe unverändert wieder. Demokrit verwirft die Annahme eines vom körperlichen Stoffe verschiedenen geistigen Prinzips, wie es der Nous seines Vorgängers Anaxagoras war. Dieses Prinzip sollte die Dinge ihrem Endzweck gemäß gestalten. Dagegen führte Demokrit das Werden der Dinge auf die unteilbaren Elemente der Materie, die körperlichen Atome zurück. Diese besitzen von Anbeginn an eine ihnen innewohnende Bewegung im Leeren. Das heißt, er führt eine Änderung auf deren mechanisch wirkende Ursachen zurück. Die Atome sind nicht der Beschaffenheit nach (wie bei Anaxagoras) voneinander zu unterscheiden, sondern nur der Gestalt nach. Demokrit nahm an, dass jedes Atom die Form eines regelmäßigen geometrischen Körpers hat, wie Kugel, Zylinder, Pyramide, Würfel. Folgerichtig können auch die aus Atomen zusammengesetzten Körper nicht qualitativ, sondern nur quantitativ unterschieden werden, also der Gestalt, der Ordnung und Lage ihrer Elemente nach. Die Größe der Körper entspricht in ihrer Menge und ihrer Schwere dem Vielfachen der Menge und Schwere der Atome. Aus den Verschiedenheiten lässt sich alle Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt erklären. Weder bei den Atomen noch bei deren Eigenschaften, ebenso wenig wie bei deren Bewegung, darf man nach einer Ursache fragen. Sie sind sämtlich ewig. Doch liegt es in der Natur der Schwere, dass die größeren (also auch schwereren) Atome eine raschere Bewegung – und zwar nach unten – annahmen. Dadurch werden die kleineren (und folglich leichteren) verdrängt und nach oben getrieben. Durch die zusammenstoßenden Atome entstehen Seitenbewegungen und dadurch wiederum ein sich allmählich immer weiter ausbreitender Wirbel, der die Weltbildung herbeiführte. Wie sich beim Worfeln des Getreides von selbst Spreu zur Spreu und Korn zum Korn findet, so musste durch die wirbelnde Bewegung durch Naturnotwendigkeit das Leichtere zum Leichten, das Schwerere zum Schweren gelangen und durch dauernde Verflechtung der Atome der Grund zur Bildung größerer Atomenaggregate (Körper) und ganzer Körperwelten gelegt werden. Einer der auf diesem Wege gewordenen Körper ist die ursprünglich wie alles übrige in Bewegung befindlich gewesene, allmählich zur Ruhe gelangte Erde, aus deren feuchtem Zustand die organischen Wesen hervorgegangen sind. Auch die Seele ist ein Atomenaggregat, ein Körper, aber ein solcher, dessen Bestandteile die vollkommensten, das heißt feinsten, glattesten und kugelförmigsten Atome sind, welche der Erscheinung des Feurigen entsprechen. Teile derselben werden, solange das Leben währt, durch Ausatmen an die Luft abgegeben und durch das Einatmen derselben als Ersatz wieder aufgenommen. Ebenso lösen sich von den uns umgebenden Dingen unaufhörlich feine Ausflüsse, die durch die Öffnungen unseres Leibes (die Sinnesorgane) an die in seinem Innern befindliche Seele gelangen und dort durch Eindruck ihnen ähnliche Bilder erzeugen, welches die Sinneswahrnehmungen sind. Letztere bilden die einzige, aber, da jene Ausflüsse auf dem Weg zur Seele mehr oder weniger störende Umbildungen erfahren können, nicht absolut zuverlässige und objektive Quelle unserer Erkenntnis, die sich daher nicht über die Stufe der Wahrscheinlichkeit erhebt. Zu der Seele, die von Natur aus die Erkenntnis möglich macht, verhält sich der übrige Mensch (sein Leib) nur wie ein „Zelt“; wer die Gaben der ersteren liebt, liebt das Göttliche, wer die des Leibes liebt, das Menschliche. Erkenntnis aber gewährt Einsicht in das Ansich der Dinge, d. h. die Atome und das Leere, und in die gesetzliche Notwendigkeit des Verlaufs der Dinge, die weder einer Leitung durch außenstehende Mächte bedürftig noch einer Störung durch solche zugänglich ist. Während alle Unterschiede für uns nur Einsicht in die sinnlichen Erscheinungen sind, befreit die Erkenntnis von törichter Furcht wie von eitler Hoffnung und bewirkt jene Gelassenheit (Ataraxie), die das höchste Gut und zugleich die wahre Glückseligkeit ist. Demokrit soll bei dieser Weltbetrachtung das 100. Lebensjahr erreicht haben; inwiefern sie ausschließlich sein eigenes Werk ist oder von seinem, gewöhnlich mit ihm zugleich genannten, aber noch weniger bekannten Landsmann Leukippos entnommen war, lässt sich aus Mangel genauer Nachrichten nicht mehr entscheiden. Biologie und Medizin Wie Forschungen zeigen, hat sich Demokrit, ein Zeitgenosse des Naturphilosophen Anaxagoras und des (gemäß Corpus Hippocraticum mit Demokrit zumindest in brieflichem Kontakt gestandenen) Arztes Hippokrates, auch ausführlich mit medizinischen und biologischen Fragen beschäftigt. Aristoteles würdigte Demokrit als einen Pionier der biologischen Forschung. So hat Demokrit eine Reihe von biologischen Schriften verfasst, von denen aber keine vollständig erhalten ist. Ausgehend von seiner Atomtheorie, in der die Atome in den variablen Systemen des Mikro- und Makrokosmos den Prinzipien der Eukrasie (ausgeglichene Mischung) und Dyskrasie (unausgeglichene Mischung) unterworfen sind, gilt für den Arzt, eine im Krankheitsfall gestörte Ordnung der Atome des Patienten diätetisch, medikamentös oder psychotherapeutisch wiederherzustellen. Diogenes Laertius 9,46-49 überliefert insgesamt 70 Titel des Demokrit. Darunter sind fünf medizinische Schriften: Fünf medizinische Titel sind (unter der Rubrik „technische Schriften“) verzeichnet: Über die Prognose, Von der Lebensweise oder der Diätik, Ärztliche Verordnungen, Ursachen hinsichtlich des [zeitlich] Treffenden und Unzeitgemäßen. Über Fieber und Hustenkrankheiten (Von dieser Schrift sei, so Diogenes, bei andern Autoren die Rede). Diogenes Laertius überliefert ebenfalls die Titel von Demokrits biologischen Werken: Über die Säfte, Über die Sinne (Hierzu bemerkt Diogenes, diese Schrift werde von einigen (zusammen mit einer Schrift Über die Vernunft) als Peri Psyches (Über die Seele) bezeichnet), Ursachen von Samen, Pflanzen und Früchten, Ursachen der Tiere [drei Bücher]. Soweit die (v. a. bei Aristoteles überlieferten) erhaltenen Fragmente dies erkennen lassen, hat Demokrit Erklärungen sowohl zu botanischen als auch zu zoologischen Sachverhalten gegeben. Auf dem Feld der Botanik hat Demokrit das unterschiedliche Wachstumstempo von Bäumen auf den Unterschied der Dichte des Gewebes zurückgeführt. Die Frage, warum die Bäume so besonders lange leben, hat Demokrit ebenfalls erörtert. Im Bereich der Zoologie hat er sich beispielsweise über die Embryonalgenese, die Atmung der Tiere, Zahnwachstum, den Bau der Spinnennetze, die Fruchtbarkeit von Hunden, Schweinen bzw. die Unfruchtbarkeit von Mulis und Halbeseln geäußert und versucht das Wachstum der Hörner von Geweihtieren zu erklären. Stets hob er dabei das Prinzip der Artenkonstanz („Gleiches zu Gleichem“) hervor. Wie in der Zoologie führte Demokrit auch in der Botanik Lebensprozesse exklusiv auf ein rein materielles Wirken zurück: Demokrit begreift das Leben selbst als Ansammlung besonderer Seelenatome und erklärt diesen „Atomkomplex“ durch das allgemeine Prinzip eines atomaren „Wirbels“. Wie Alkmaion, Parmenides, Empedokles und hippokratische Ärzte, nahm er im Gegensatz zu Aristoteles an, dass bei der Zeugung beide Geschlechtspartner „Samen“anteile beisteuern. Astronomie Demokrit soll zusammen mit Anaxagoras die Ansicht vertreten haben, dass die Milchstraße eine Anhäufung von Sternen sei. Das wurde erst nach Erfindung des Fernrohrs durch Galileo Galilei bestätigt. Demokrit nahm an, dass die Erde eine ovale Form habe (halb so breit wie lang) und keine Scheibe sei, wie Leukipp meinte. Außerdem erkannte er, dass der Mond Berge und Täler hat und von der Sonne sein Licht erhält. Er hielt das Weltall für unendlich. Nachleben Es gibt eine fälschlich Demokrit zugeschriebene alchemistische Literatur (Pseudo-Demokrit). Als wirklicher Verfasser wird Bolos von Mendes in Betracht gezogen. Die wichtigste pseudo-demokritische Schrift ist Physika kai mystika. Christoph Martin Wieland machte Demokrit zum Helden seines ironischen Romans Geschichte der Abderiten, in dem er die Torheiten seiner Zeitgenossen verspottet. Ebenso bediente sich Karl Julius Weber seines Vorbilds als Pseudonym in Democritos oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen – einer ab 1832 erscheinenden Enzyklopädie des Lächerlichen. Nach Demokrit sind der Mondkrater Democritus, der Asteroid (6129) Demokritos und die 1973 gegründete Demokrit-Universität in Westthrakien (Griechenland) benannt. Textausgaben und Übersetzungen Laura Gemelli Marciano (Hrsg.): Die Vorsokratiker. Band 3, Artemis & Winkler, Mannheim 2010, ISBN 978-3-538-03502-7, S. 300–583 (griechische Quellentexte mit deutscher Übersetzung, Erläuterungen sowie Einführung zu Leben und Werk). Fritz Jürß, Reimar Müller, Ernst Günther Schmidt (Hrsg.): Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike. Reclam, Leipzig 1973. Geoffrey S. Kirk, John E. Raven, Malcolm Schofield (Hrsg.): Die vorsokratischen Philosophen. Einführung, Texte und Kommentare. Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-01834-2, S. 439–472 (ausgewählte Fragmente und Testimonien mit deutscher Übersetzung und Kommentar). Rudolf Löbl (Hrsg.): Demokrit. Texte zu seiner Philosophie. Rodopi, Amsterdam 1989, ISBN 90-6203-919-7 (Quellentexte mit Übersetzung und Kommentar). Literatur Übersichts- und Gesamtdarstellungen Georg Rechenauer: Leukipp und Demokrit. In: Hellmut Flashar u. a. (Hrsg.): Frühgriechische Philosophie (= Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 1). Halbband 2, Schwabe, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2598-8, S. 833–946. Denis O’Brien, Marie-Christine Hellmann: Démocrite d’Abdère. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Band 2, CNRS Éditions, Paris 1994, ISBN 2-271-05195-9, S. 649–716. Untersuchungen zu einzelnen Themen Rudolf Löbl: Demokrits Atomphysik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1987, ISBN 3-534-03132-6. Martin F. Meyer: Demokrit als Biologe. In: Jochen Althoff u. a. (Hrsg.): Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption. Wissenschaftlicher Verlag Trier, Trier 2009, S. 31–46 (online) Sousanna-Maria Nikolaou: Die Atomlehre Demokrits und Platons Timaios. Eine vergleichende Untersuchung (= Beiträge zur Altertumskunde. Bd. 112). Stuttgart 1998, ISBN 3-519-07661-6. Cynthia Munro Pyle: Democritus and Heracleitus. An Excursus on the Cover of this Book. In: Cynthia Munro Pyle: Milan and Lombardy in the Renaissance. Essays in Cultural History. La Fenice, Rom 1997, S. 203–222. Georg Rechenauer: Demokrits Seelenmodell und die Prinzipien der atomistischen Physik. In: Dorothea Frede, Burkhard Reis (Hrsg.): Body and Soul in Ancient Philosophy. De Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-11020236-6, S. 111–142. Rezeption Carmela Baffioni: Démocrite en Islam. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Band Supplément. CNRS Editions, Paris 2003, ISBN 2-271-06175-X, S. 761–773 Jens Gerlach: Gnomica Democritea. Studien zur gnomologischen Überlieferung der Ethik Demokrits und zum Corpus Parisinum mit einer Edition der Democritea des Corpus Parisinum. Reichert, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-89500-494-0. Weblinks Demokrit in anderegg Textauswahl zur Vorsokratischen Philosophie Fußnoten Atomist Vorsokratiker Erkenntnistheoretiker Physiker (vor dem 15. Jahrhundert) Universalgelehrter Person als Namensgeber für einen Asteroiden Person als Namensgeber für einen Mondkrater Grieche (Antike) Geboren im 5. Jahrhundert v. Chr. Gestorben im 4. Jahrhundert v. Chr. Mann Kosmologe der Antike
1063
https://de.wikipedia.org/wiki/Dinosaurier
Dinosaurier
Die Dinosaurier (Dinosauria, von und ) sind eine Gruppe der Landwirbeltiere, die im Erdmittelalter von der Oberen Trias vor rund 235 Millionen Jahren bis zur Kreide-Paläogen-Grenze vor etwa 66 Millionen Jahren die festländischen Ökosysteme dominierte. In der klassischen Systematik werden die Dinosaurier als ausgestorbener Zweig der Reptilien betrachtet, obwohl sie sich in der Morphologie von den rezenten, also heute lebenden Reptilien deutlich unterscheiden und mit den meisten rezenten Reptilien, insbesondere Echsen und Schlangen, nicht besonders eng verwandt sind. Aus kladistischer Sicht, die heute wissenschaftlicher Standard ist, schließen sowohl die Sauropsiden (manchmal alternativ insgesamt als Reptilien bezeichnet) als auch die Dinosaurier die Vögel, die aus kleinen theropoden Dinosauriern hervorgingen, mit ein. Somit sind nicht alle Dinosaurier während des Massenaussterbens am Ende des Erdmittelalters ausgestorben, sondern mit den Vögeln überlebte bis heute eine spezielle Entwicklungslinie der Dinosaurier. Diese Linie erwies sich als außerordentlich anpassungsfähig und erfolgreich: Die Vögel stellen etwa ein Drittel aller rezenten Landwirbeltierarten, sind in allen terrestrischen Ökosystemen vertreten und weisen zudem mit den Pinguinen eine Gruppe auf, die stark an ein Leben an und im Wasser angepasst ist. In der Zoologie, die sich vorwiegend mit rezenten Tieren beschäftigt, und speziell in der Vogelkunde, werden die Vögel jedoch nach wie vor meist als eigenständige Klasse und nicht als Dinosaurier oder Reptilien betrachtet. Gleiches gilt für den allgemeinen Sprachgebrauch. Auch in der modernen Wirbeltierpaläontologie ist eine informelle Trennung von Vögeln und Dinosauriern im klassischen Sinn üblich. Letztgenannte werden, um der kladistischen Sichtweise gerecht zu werden, auch als Nichtvogeldinosaurier (engl. non-avian dinosaurs) bezeichnet. Das Wissen über die Dinosaurier erhalten Paläontologen durch die Untersuchung von Fossilien, die in Form von versteinerten Knochen, Haut- und Gewebeabdrücken überliefert sind, und durch Spurenfossilien, also Fußspuren, Eier, Nester, Magensteine oder versteinerten Kot. Überreste von Dinosauriern sind auf allen Kontinenten gefunden worden, einschließlich der Antarktis, da die Dinosaurier zu einer Zeit entstanden, als das gesamte Festland im Superkontinent Pangaea vereinigt war. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galten Dinosaurier als wechselwarme, träge und wenig intelligente Tiere. Zahlreiche Studien seit den 1970er Jahren haben jedoch gezeigt, dass es sich um aktive Tiere mit erhöhten Stoffwechselraten und soziale Interaktionen ermöglichenden Anpassungen handelte. Dinosaurier sind zu einem Teil der weltweiten Popkultur geworden und spielen in einigen außergewöhnlich erfolgreichen Büchern und Filmen wie der Jurassic-Park-Reihe eine Rolle. Beschreibung der Dinosaurier Der englische Anatom Richard Owen stellte das Taxon „Dinosauria“ 1841 auf. Nach der heutigen kladistischen Auffassung schließen die Dinosaurier alle Nachfahren des letzten gemeinsamen Vorfahren von Triceratops und der Vögel ein. Alternativ wurde vorgeschlagen, die Dinosaurier als alle Nachfahren des jüngsten gemeinsamen Vorfahren von Megalosaurus und Iguanodon zu definieren, da dies zwei der drei Gattungen sind, die Owen bei seiner Erstbeschreibung der Dinosaurier nannte. Beide Definitionen fassen dieselben Taxa zur Gruppe der Dinosaurier zusammen: die Theropoda (zweibeinige Karnivoren), Sauropodomorphen (mehrheitlich große Pflanzenfresser mit langen Hälsen und Schwänzen), Ankylosaurier (vierbeinige Pflanzenfresser mit massiven Hautpanzern), Stegosaurier (vierbeinige, Knochenplatten tragende Pflanzenfresser), Ceratopsia (vierbeinige Pflanzenfresser mit Hörnern und Nackenschilden) und Ornithopoden (zwei- oder vierbeinige Pflanzenfresser). Die bekannten ausgestorbenen Dinosauriergruppen wiesen eine immense Formenvielfalt auf. Einige waren Pflanzenfresser, andere Fleischfresser; einige waren quadruped (vierbeinig), andere biped (zweibeinig), und wieder andere, wie zum Beispiel Iguanodon, konnten sich sowohl biped als auch quadruped fortbewegen. Viele hatten eine Panzerung, Hörner, Knochenplatten, Schilde oder Rückensegel. Obwohl sie für eine gigantische Größe bekannt sind, variierte ihre Größe beträchtlich; so waren viele Dinosaurier nur so groß wie ein Mensch oder kleiner. Jedoch beschränkte sich diese Formenvielfalt faktisch ausschließlich auf terrestrische Lebensräume. Nur einige wenige Arten zeigen gewisse Anpassungen an ein Leben an und in Süßgewässern. Auch den Luftraum beherrschten die Nichtvogeldinosaurier wahrscheinlich nicht (die Flugsaurier sind eine eigenständige Gruppe). Wie gut der oft als erster Vogel bezeichnete, aber noch recht dinosaurierhafte Archaeopteryx aktiv fliegen (das heißt dynamischen Auftrieb erzeugen) konnte, ist umstritten. Entsprechend muss davon ausgegangen werden, dass seine bislang unbekannten, möglicherweise schon relativ vogelähnlichen unmittelbaren Vorfahren nicht gut oder gar nicht aktiv fliegen konnten. Auch die einer anderen Entwicklungslinie als Archaeopteryx angehörenden „vier-flügeligen Dinosaurier“ der Unterkreide (Microraptor, Changyuraptor) konnten wahrscheinlich nicht aktiv fliegen, sondern sich nur von Baum zu Baum gleitend fortbewegen. Bis 2006 wurden 527 Gattungen von Nichtvogeldinosauriern von einer geschätzten Gesamtzahl von etwa 1850 Gattungen wissenschaftlich beschrieben. Eine Studie von 1995 schätzt die Gesamtanzahl auf 3400, wovon jedoch viele nicht als Fossilien überliefert seien. Im Mittel kommen gegenwärtig pro Monat zwei neue Gattungen und pro Jahr mindestens 30 neue Arten hinzu. Gruppenspezifische Merkmale Gegenüber ihren nächsten Verwandten innerhalb der Archosaurier (Lagosuchus, Scleromochlus und den Flugsauriern) zeichnen sich die Vertreter aller Dinosauriergruppen durch eine Anzahl gemeinsamer abgeleiteter Merkmale (Synapomorphien) aus: Schädelmerkmale: Das Postfrontale fehlt; im Gaumen überlappt das Ectopterygoid das Flügelbein (Pterygoid); der Kopf des Quadratums ist in seitlicher Ansicht exponiert; Verkleinerung der Posttemporalöffnung (Fenestra posttemporalis, einer Hinterhauptsöffnung). Merkmale des postkranialen Skeletts (das Skelett ohne den Schädel (cranium)): Die Schultergelenkpfanne ist rückwärtig orientiert; die Hand ist asymmetrisch mit verkürzten äußeren Fingern (IV und V), bei höheren Theropoden fehlen diese völlig; das Schienbein zeigt am vorderen oberen Ende eine kammartige Erhebung (Cnemialkamm); der Astragalus (ein Fußwurzelknochen) weist einen aufwärts abgehenden Fortsatz auf; der mittlere Mittelfußknochen (an dem Zehe III ansetzt) ist S-förmig gebogen. Während urtümliche Dinosaurier alle diese Merkmale aufweisen, kann der Knochenbau späterer Formen stark abweichen, so dass manche der aufgeführten Charakteristika nicht mehr vorhanden oder nachzuvollziehen sind. Darüber hinaus gibt es verschiedene weitere Merkmale, die viele Dinosaurier gemeinsam haben, aber nicht als gemeinsam abgeleitete Merkmale bezeichnet werden, da sie sich gleichfalls bei einigen Nicht-Dinosauriern finden oder nicht bei allen frühen Dinosauriern auftreten. Dies sind unter anderem das verlängerte Schulterblatt (Scapula), drei oder mehr Kreuzbein-Wirbel im Bereich des Beckengürtels (drei Kreuzbeinwirbel wurden bei einigen anderen Archosauriern gefunden, jedoch nur zwei bei Herrerasaurus) oder eine offene (perforierte) Hüftgelenkpfanne (geschlossen bei Saturnalia). Bei den Dinosauriern standen die Beine senkrecht unter dem Körper, ähnlich wie bei den meisten Säugetieren, aber anders als bei den meisten anderen Reptilien, deren Beine gespreizt nach außen hin abstehen (Spreizgang). Durch ihre aufrechte Haltung konnten Dinosaurier beim Bewegen leichter atmen, was wahrscheinlich Ausdauer- und Aktivitätslevel erlaubte, welche die anderer Reptilien mit gespreizten Beinen übertrafen. Außerdem hat die gerade Stellung der Beine eventuell die Evolution des Gigantismus unterstützt, da so die Beine entlastet wurden. Fossilbelege Das Wissen über die Dinosaurier erhalten Paläontologen durch die Untersuchung von Fossilien; dabei spielen Knochenfunde eine herausragende Rolle, durch sie werden wichtige Daten über Verwandtschaftsbeziehungen, Anatomie und Körperbau, Biomechanik und vieles mehr gewonnen. Weitere Hinweise, besonders über das Verhalten der Dinosaurier, liefern die Spurenfossilien, etwa Zahnabdrücke an Knochen von Beutetieren, Hautabdrücke, Schwanzabdrücke, und vor allem fossile Fußspuren, die mit Abstand häufigsten Spurenfossilien. Spurenfossilien ermöglichen es, Dinosaurier aus einer anderen Perspektive zu studieren, da das Tier lebte, als die Spuren hinterlassen wurden, während Knochen immer von toten Tieren stammen. Weitere Informationen werden aus fossilen Eiern und Nestern, aus Koprolithen (versteinertem Kot) und Gastrolithen (Magensteinen, die zur Zerkleinerung der Nahrung von einigen Dinosauriern verschluckt wurden) gewonnen. Evolution und Systematik Ursprung Viele Wissenschaftler dachten lange, Dinosaurier seien eine polyphyletische Gruppe und bestünden aus miteinander nicht näher verwandten Archosauriern – heute werden Dinosaurier als selbstständige Gruppe angesehen. Die ersten Dinosaurier gingen möglicherweise schon während der mittleren Trias vor etwa 245 Millionen Jahren aus ursprünglichen Vertretern der Avemetatarsalier-/Ornithodiren-Linie der Archosaurier hervor, wie der ostafrikanische Nyasasaurus bezeugt, der entweder als der früheste Dinosaurier oder als der nächste bekannte Verwandte der Dinosaurier in Frage kommt. Die Fossilien der ältesten unzweifelhaften Dinosaurier Eoraptor und Herrerasaurus entstammen der etwa 230 Millionen Jahre (späte Trias) alten Ischigualasto-Formation in Argentinien. Eoraptor gilt als der ursprünglichste Vertreter und sah wahrscheinlich dem gemeinsamen Vorfahren aller Dinosaurier sehr ähnlich. Somit dürften die ersten Dinosaurier kleine, bipede Fleischfresser gewesen sein. Diese Sichtweise wird bestätigt durch Funde primitiver, dinosaurierähnlicher Ornithodiren wie Marasuchus und Lagerpeton. Diese Gattungen werden zwar außerhalb der Dinosaurier klassifiziert, waren aber wahrscheinlich mit dem gemeinsamen Vorfahren aller Dinosaurier nahe verwandt. Als die ersten Dinosaurier erschienen, waren die Nischen der terrestrischen Ökosysteme von verschiedenen Arten urtümlicher Archosaurier und Therapsiden besetzt: Aetosaurier, Cynodonten, Dicynodonten, Ornithosuchiden, Rauisuchier sowie Rhynchosaurier. Die meisten dieser Gruppen starben noch in der Trias aus; so gab es am Übergang zwischen Karnium und Norium ein Massenaussterben, bei dem die Dicynodonten und verschiedene basale Archosauromorphen wie die Prolacertiformen und Rhynchosaurier verschwanden. Darauf folgte ein weiteres Massenaussterben am Übergang zwischen Trias und Jura, bei dem die meisten anderen frühen Archosauriergruppen, wie Aetosaurier, Ornithosuchier, Phytosaurier und Rauisuchier ausstarben. Diese Verluste hinterließen eine Landfauna, die aus Crocodylomorphen, Dinosauriern, Säugetieren, Pterosauriern und Schildkröten bestand. Die frühen Dinosaurier besetzten wahrscheinlich die Nischen, die durch die ausgestorbenen Gruppen frei wurden. Früher wurde davon ausgegangen, dass die Dinosaurier die älteren Gruppen in einem langen Konkurrenzkampf zurückdrängten – dies wird heute aus mehreren Gründen als unwahrscheinlich angesehen: Die Zahl der Dinosaurier nahm nicht allmählich zu, wie es bei einem Verdrängen anderer Gruppen der Fall gewesen wäre; vielmehr machte ihre Individuenzahl im Karnium lediglich 1–2 % der Fauna aus, während sie nach dem Aussterben einiger älterer Gruppen im Norium bereits 50–90 % ausmachte. Ferner war die senkrechte Stellung der Beine, die lange als Schlüsselanpassung der Dinosaurier galt, ebenso in anderen zeitgenössischen Gruppen ausgeprägt, die nicht so erfolgreich waren (Aetosaurier, Ornithosuchier, Rauisuchier und einige Crocodylomorphen). Systematik und Phylogenese Die Überordnung der Dinosaurier wird, wie die meisten heutigen Reptilien, zu den Diapsiden gezählt. Diese unterscheiden sich von den Synapsiden (aus denen die Säugetiere hervorgingen) und von den Anapsiden (die heutigen Schildkröten) durch zwei paarweise angeordnete Schädelfenster hinter den Augen. Innerhalb der Diapsiden werden sie zu den Archosauriern („Herrscherreptilien“) gezählt, die mit zwei weiteren Schädelfenstern ausgestattet sind. Heutige Überbleibsel dieser Reptiliengruppe sind neben den Krokodilen die Vögel. Die Dinosaurier selber werden traditionell in zwei Ordnungen, Saurischia (auch Echsenbeckendinosaurier) und Ornithischia (auch Vogelbeckendinosaurier), aufgeteilt. Diese unterscheiden sich vorrangig an der Beckenstruktur. Die Saurischia haben die Beckenstruktur ihrer Vorfahren beibehalten und sind durch voneinander abstehende Pubis- und Ischiumknochen zu erkennen. Die Pubis- und Ischiumknochen der Ornithischia jedoch verlaufen beide parallel zueinander schräg nach hinten. Es folgt eine vereinfachte Klassifikation von Dinosauriern auf Familienebene. Eine detailliertere Aufstellung bis auf die Ebene der Gattungen findet sich im Artikel Systematik der Dinosaurier. Dinosauria Saurischia (Echsenbeckendinosaurier: Theropoden und Sauropoden) Herrerasauria (frühe, bipede Fleischfresser) Theropoda (bipede Dinosaurier, zum Großteil Fleischfresser) Coelophysoidea (Coelophysis und enge Verwandte) Ceratosauria (Ceratosaurus und Abelisauriden – letztere waren wichtige Prädatoren der späten Kreide in den südlichen Kontinenten) Spinosauroidea (Fleisch- und eventuell Fischfresser; einige hatten einen krokodilähnlichen Schädel und knöcherne Rückensegel) Carnosauria (Allosaurus und enge Verwandte, wie zum Beispiel Carcharodontosaurus) Coelurosauria (Gruppe verschiedenartiger Theropoden) Tyrannosauroidea (klein bis gigantisch, oft mit reduzierten Armen) Ornithomimosauria (straußenähnlich, zahnlos, Fleisch- oder Pflanzenfresser) Therizinosauria (bipede Pflanzenfresser mit langen Armen und kleinen Köpfen) Oviraptorosauria (zahnlos; ihre Ernährung und Lebensgewohnheiten sind ungewiss) Alvarezsauridae (kleine, bipede und langbeinige Dinosaurier mit kurzen Armen) Dromaeosauridae (wie die klassischen Raptoren, zum Beispiel Velociraptor) Troodontidae (ähnlich wie die Dromaeosauriden, aber leichter gebaut, und möglicherweise Allesfresser) Aves (die Vögel, die einzigen rezenten Dinosaurier) Sauropodomorpha (Gruppe oft sehr langhalsiger Pflanzenfresser) Prosauropoda (frühe Verwandte der Sauropoden; klein bis recht groß; einige waren eventuell Allesfresser, biped und quadruped) Sauropoda (sehr groß, meistens über 15 Meter lang) Diplodocoidea (verlängerte Schädel und Schwänze; Zähne sind nach vorne gerichtet und stiftartig) Macronaria (diverse Gruppe teils riesiger Sauropoden) Brachiosauridae (sehr lange Hälse; Vorderbeine sind länger als Hinterbeine) Titanosauria (divers; besonders häufig in der späten Kreide der südlichen Kontinente) Ornithischia (Vogelbeckendinosaurier: diverse Gruppe bipeder oder quadrupeder Pflanzenfresser) Heterodontosauridae (kleinere Pflanzen- oder Allesfresser mit großen Eckzähnen) Thyreophora (Gepanzerte Dinosaurier, meistens quadruped) Ankylosauria (Panzerung aus Knochenplatten, einige hatten eine knöcherne Keule am Schwanzende) Stegosauria (quadruped, mit Knochenplatten und Stacheln) Ornithopoda (divers, waren gleichzeitig quadruped und biped, entwickelten Fähigkeit zu kauen, große Anzahl von Zähnen) Hadrosauridae (die „Entenschnäbel“) Pachycephalosauria („Dickkopfsaurier“, mit verdicktem Schädeldach und Kopfornamenten) Ceratopsia (quadrupede Dinosaurier mit Hörnern und Nackenschildern, obwohl frühe Formen nur Andeutungen dieser Merkmale hatten) Evolution, Paläobiogeographie und Paläoökologie Die Evolution der Dinosaurier nach der Trias wurde durch Veränderungen der Vegetation und der Lage der Kontinente beeinflusst. In der späten Trias und im frühen Jura waren alle Kontinente zu der großen Landmasse Pangaea vereinigt, wodurch es eine weltweit einheitliche Dinosaurierfauna gab, die sich hauptsächlich aus karnivoren Coelophysoideen und herbivoren Prosauropoden zusammensetzte. Nacktsamige Pflanzen, insbesondere Koniferen, verbreiteten sich während der späten Trias als mögliche Futterquelle. Prosauropoden konnten das Pflanzenmaterial nicht im Mund verarbeiten und waren auf andere Mittel zur Aufschlüsselung der Nahrung im Verdauungstrakt angewiesen. Die Homogenität der Dinosaurierfaunen setzte sich bis in den mittleren und späten Jura fort: Unter den karnivoren Theropoden dominierten die Ceratosaurier, die Spinosauroideen und die Carnosaurier, während unter den Herbivoren die Stegosaurier, die Ornithischier und die Sauropoden verbreitet waren. Wichtige, gut bekannte Faunen des späten Jura schließen die der Morrison-Formation in Nordamerika und der Tendaguru Beds in Tansania mit ein. Faunen aus China zeigen jedoch bereits einige Unterschiede wie die spezialisierten Sinraptoriden unter den Karnivoren und ungewöhnliche, langhalsige Sauropoden wie Mamenchisaurus unter den Herbivoren. Ankylosaurier und Ornithopoden verbreiteten sich zunehmend, die Prosauropoden jedoch starben aus. Koniferen und andere Pflanzengruppen wie Farne und Schachtelhalme waren die dominierenden Pflanzen. Anders als Prosauropoden und Sauropoden haben die Ornithischier Mechanismen entwickelt, die eine Verarbeitung von Nahrung im Mund erlaubten. So hielten backenähnliche Organe die Nahrung im Mund, und durch Kieferbewegungen konnte die Nahrung zermahlen werden. Während der frühen Kreide setzte sich das Auseinanderbrechen Pangaeas fort, wodurch sich die Dinosaurierfaunen verschiedener Kontinente mehr und mehr unterschieden. Die Ankylosaurier, Iguanodonten und Brachiosauriden verbreiteten sich über Europa, Nordamerika und Nordafrika. Später kamen besonders in Afrika Theropoden wie die großen Spinosauriden und Carcharodontosauriden hinzu; außerdem gewannen Sauropodengruppen wie die Rebbachisauriden und die Titanosaurier an Bedeutung. In Asien wurden Maniraptoren wie die Dromaeosauriden, Troodontiden und Oviraptorosaurier häufig, Ankylosaurier und frühe Ceratopsier wie Psittacosaurus wurden wichtige Herbivoren. Währenddessen wurde Australien die Heimat ursprünglicher Ankylosaurier, Hypsilophodonten und Iguanodonten. Die Stegosaurier sind anscheinend in der späten Unterkreide oder der frühen Oberkreide ausgestorben. Eine große Veränderung in der Unterkreide brachte das Auftreten der Blütenpflanzen. Zur selben Zeit entwickelten verschiedene Gruppen von Herbivoren Zahnbatterien, die aus übereinander gestapelten Ersatzzähnen bestanden. Den Ceratopsiern dienten die Zahnbatterien zum Schneiden, während sie besonders bei Hadrosauriden zum Mahlen eingesetzt wurden. Einige Sauropoden haben ebenfalls Zahnbatterien entwickelt, am deutlichsten sind sie bei Nigersaurus ausgeprägt. In der Oberkreide gab es drei große Dinosaurierfaunen. In Nordamerika und Asien dominierten unter den Karnivoren die Tyrannosaurier und verschiedene Typen kleinerer Maniraptoren, die Herbivoren waren überwiegend Ornithischier und setzten sich aus Hadrosauriden, Ceratopsiern, Ankylosauriern und Pachycephalosauriern zusammen. In den südlichen Kontinenten waren die Abelisauriden die vorherrschenden Predatoren und Titanosaurier die vorherrschenden Herbivoren. Die Fauna Europas schließlich setzte sich aus Dromaeosauriden, Rhabdodontiden (Iguanodontia), Nodosauriden (Ankylosauria) und Titanosauriern zusammen. Blütenpflanzen breiteten sich weiter aus, und die ersten Gräser tauchten am Ende der Kreide auf. Hadrosauriden, welche Nahrung zermahlten, und Ceratopsier, welche Nahrung lediglich abschnitten, erlangten gegen Ende der Kreide in Nordamerika und Asien eine große Häufigkeit und Vielfalt. Einige Theropoden entwickelten sich derweil zu Herbivoren oder Omnivoren (Allesfressern), wie die Therizinosaurier und die Ornithomimosaurier. Gefiederte Dinosaurier und Ursprung der Vögel Der erste als Vogel geltende Dinosaurier, Archaeopteryx, lebte im späten Jura Mitteleuropas (siehe Solnhofener Plattenkalk). Er entwickelte sich wahrscheinlich aus frühen Vertretern der Maniraptoren, einer Gruppe sehr vogelähnlicher Theropoden aus der relativ modernen Untergruppe Coelurosauria. Archaeopteryx weist ein Mosaik aus Merkmalen der Vögel und der Nichtvogeltheropoden auf, ähnelt letzteren jedoch so sehr, dass mindestens ein Fossil ohne klar erkennbare Federabdrücke fälschlicherweise dem Compsognathus, einem kleinen Nichtvogeldinosaurier, zugeschrieben wurde. Obwohl das erste fast vollständige Exemplar von Archaeopteryx bereits im Jahr 1861 gefunden wurde, fand die Idee, dass Vögel von Dinosauriern abstammen bzw. ein Teil dieser Gruppe sind, erst wesentlich später allgemeine Anerkennung, nachdem sie 1970 von John Ostrom neu aufgegriffen worden war. Bis heute wurden zahlreiche anatomische Gemeinsamkeiten zwischen theropoden Dinosauriern und Archaeopteryx nachgewiesen. Ähnlichkeiten zeigen sich besonders im Bau der Halswirbelsäule, des Schambeins (Pubis), des Handgelenks, des Schultergürtels, des Gabelbeins und des Brustbeins. Ab den 1990er Jahren wurde eine Reihe von gefiederten coelurosauriden Theropoden entdeckt, die weitere Anhaltspunkte auf die enge Verwandtschaft zwischen Dinosauriern und Vögeln liefern. Die meisten dieser Funde stammen aus der Jehol-Gruppe im Nordosten Chinas, einer mächtigen Sedimentabfolge, die durch exzellent erhaltene Fossilien berühmt ist. Einige der in der Jehol-Gruppe gefundenen Vertreter mit daunenartigen Federn (Protofedern) sind relativ ursprüngliche und mit den Vögeln nicht sonderlich nahe verwandte Coelurosaurier, zum Beispiel der Compsognathide Sinosauropteryx, der Therizinosauroide Beipiaosaurus sowie die Tyrannosauroiden Dilong und Yutyrannus; letzterer der nach heutigem Kenntnisstand (Stand Juni 2015) mit Abstand größte gefiederte Dinosaurier, der aus der Yixian-Formation (Barremium bis frühes Aptium) der Provinz Liaoning stammt. Dies zeigt, dass ein primitives Gefieder ein ursprüngliches Merkmal der Theropoden, zumindest aber der Coelurosaurier zu sein scheint und dass viele andere Theropoden, von denen heute nur Skelettteile bekannt sind, zu Lebzeiten ebenfalls gefiedert waren, ihr Gefieder jedoch nicht fossil überliefert wurde. Daran ändert auch nichts, dass die Sedimente der Jehol-Gruppe erst in der Unterkreide abgelagert worden sind und damit geologisch jünger als der Solnhofener Plattenkalk und Archaeopteryx sind. Funde „gefiederter Dinosaurier“ sind generell selten, was sehr wahrscheinlich daran liegt, dass Weichteile wie Haut und Federn nur unter besonders günstigen Bedingungen, wie sie in den Sedimenten der Jehol-Gruppe und im Solnhofener Plattenkalk offenbar herrschten, fossilieren. Viele der gefiederten Nichtvogeldinosaurier in der Jehol-Gruppe wären demnach die ältesten mit Gefieder überlieferten Vertreter ihrer Entwicklungslinien, obwohl alle geologisch älteren Vertreter dieser Linien sowie deren gemeinsamer Vorfahr ebenfalls Federn hatten. Die für Vögel so typischen Konturfedern finden sich jedoch nur bei Vertretern der Coelurosaurier-Untergruppe Maniraptora, welche die Oviraptorosaurier, die Troodontiden, die Dromaeosauriden und die Vögel umfasst. Protofedern entwickelten sich ursprünglich wahrscheinlich zur Wärmeisolierung, die Konturfedern speziell für die optische Kommunikation mit Artgenossen. Die Funktion des Erzeugens von Auftrieb beim Fliegen oder Segeln durch die Luft übernahmen sie erst später in der Evolution. Bei Microraptor gui, einem etwa huhngroßen Dinosaurier aus der Jehol-Gruppe, sind nicht nur die Arme und Hände, sondern auch die Beine als mit Konturfedern bestückte Flügel ausgebildet, und es wird angenommen, dass Microraptor auf diesen vier Schwingen von Baum zu Baum gesegelt ist. Allerdings gilt Microraptor, obwohl geologisch jünger als Archaeopteryx, nicht als Vogel. Sein vogelähnliches Äußeres geht stattdessen auf eine Parallelentwicklung (Konvergenz) innerhalb der Maniraptora zurück. Mit Jeholornis gab es aber auch einen frühen „echten“ Vogel in der Jehol-Gruppe. Dass Microraptor nicht als Vogel betrachtet wird, liegt nicht daran, dass er lediglich zur Fortbewegung per Gleitflug fähig war, sondern an seiner Skelettanatomie, die ihn als Dromaeosauriden ausweist. Schließlich sind auch die fliegerischen Fähigkeiten von Archaeopteryx durchaus umstritten. Eine Hypothese zur Entwicklung der Flugfähigkeit der „echten“ Vögel besagt, dass diese sich aus dem Gleitflug entwickelt hat. Die Vorfahren von Archaeopteryx, möglicherweise sogar Archaeopteryx selbst, wären demnach ebenfalls Gleitflieger gewesen. Paläobiologie Größe Obwohl Dinosaurier in der Größe erheblich variierten, waren sie als Gruppe groß. Nach einer Schätzung wog der durchschnittliche Dinosaurier ein bis zehn Tonnen, das durchschnittliche Säugetier des Känozoikums nur zwei bis fünf Kilogramm. Einige Dinosaurier waren gigantisch, insbesondere die langhalsigen Sauropoden, zu denen die größten Landtiere der Erdgeschichte gehörten. Laut der Cope’schen Regel besteht im Laufe der Evolution einer Tiergruppe infolge von zwischen- und innerartlicher Konkurrenz eine generelle Tendenz zur Zunahme der Körpergröße ihrer Vertreter. Dies allein erklärt jedoch nicht den in der Erd- und Evolutionsgeschichte beispiellosen Gigantismus der Dinosaurier. Diesbezüglich stellt sich sowohl die Frage, warum die Tiere so groß wurden, als auch, wie diese Größe erreicht werden konnte. Hinsichtlich des Warum wird für die Sauropoden angenommen, dass ihr Riesenwachstum Vorteile für die Verdauung brachte. Da Sauropoden ihre eher schwer verdauliche pflanzliche Nahrung nicht kauten, ermöglichte ein längeres Verweilen in einem ausladenden Verdauungstrakt eine intensivere Nutzung (einen besseren Aufschluss) der Nahrung als bei kleineren Pflanzenfressern. Dies hätte eine Spezialisierung auf sehr nährstoffarme Pflanzenkost erlaubt. Hinsichtlich des Wie haben ein vogelähnliches Luftsacksystem einschließlich luftgefüllter Knochen (Pneumatisierung, bei den großen Theropoden besonders im Schädel) den Gigantismus der Dinosaurier ermöglicht. Die Sauropoden hätten zudem durch die Nahrungsaufnahme ohne Kauen Kiefermuskulatur eingespart, was einen verhältnismäßig kleinen leichten Kopf zuließ, wodurch wiederum die Hälse so lang werden konnten, wobei die Halslänge als Merkmal unter anderem möglicherweise einer sexuellen Selektion unterworfen war, d. h., Männchen mit den längsten Hälsen hätten den höchsten Paarungserfolg gehabt (eine Form von innerartlicher Konkurrenz). Des Weiteren sei bei den Sauropoden eine Gewichtszunahme von bis zu 30 Tonnen in 20 Jahren nur realisierbar, wenn die Stoffwechselraten bei Jungtieren sehr hoch (vogel- oder säugerähnlich) gewesen seien, mit zunehmender Körpergröße aber immer weiter abgenommen hätten, um eine Überhitzung zu vermeiden (vgl. Oberflächenregel; siehe auch Dinosaurier-Physiologie). Welche die größten oder kleinsten Dinosaurier waren, wird wahrscheinlich nie mit Sicherheit gesagt werden können. Die Überlieferung durch Fossilien ist oft sehr unvollständig, nur die wenigsten Dinosaurier sind durch vollständige Skelette bekannt – von vermutlich besonders großen Arten werden meist lediglich Knochenfragmente gefunden. Paläontologen können zwar die Form und Größe der Knochen mit denen besser bekannter Arten vergleichen, um die Größe zu schätzen – dies ist allerdings ungenau. Noch schlechter lässt sich das Gewicht der Tiere schätzen, da es unter anderem davon abhängt, wie ein Modell mit Muskeln und Sehnen versehen wird, deren Lage Paläontologen anhand von Muskelansatzstellen an den Knochen herausfinden müssen. Der größte und schwerste Dinosaurier, der durch gute Skelettfunde bekannt ist, ist der Sauropode Brachiosaurus (auch bekannt als Giraffatitan). Ein Skelett, das aus den Knochen verschiedener etwa gleich großer Individuen besteht, ist im Berliner Naturkundemuseum ausgestellt und hat eine Höhe von über 13 Metern und eine Länge von mehr als 23 Metern; ein solches Tier hätte wahrscheinlich ein Gewicht von 30 bis 60 Tonnen gehabt. Der längste durch vollständige Skelette bekannte Dinosaurier ist Diplodocus, ein Skelettfund zeigt eine Länge von 27 Metern. Noch größere Sauropoden sind nur durch Skelettfragmente bekannt. Einer der größten Dinosaurier könnte Argentinosaurus gewesen sein, der manchmal auf ein Gewicht von bis zu hundert Tonnen geschätzt wird; der 33,5 Meter lange Diplodocus hallorum (früher Seismosaurus) könnte zusammen mit dem 33 Meter langen Supersaurus vielleicht zu den längsten Dinosauriern gehört haben. Unter den fleischfressenden Dinosauriern gab es ebenfalls Riesen. Der größte durch fast vollständige Skelettfunde bekannte Theropode ist der etwa 12 Meter lange Tyrannosaurus rex, jedoch gibt es hier ebenso Skelettfragmente, die auf noch größere Gattungen schließen lassen. Der größte bekannte Theropode war vielleicht Spinosaurus mit einer Länge von 16 bis 18 Metern und einem Gewicht von acht Tonnen, weitere sehr große Theropoden schließen Giganotosaurus, Mapusaurus und Carcharodontosaurus mit ein. Die kleinsten Dinosaurier hatten die Größe eines Huhns, so waren die Theropoden Microraptor und Parvicursor beide weniger als 60 Zentimeter lang. Die kleineren Dinosaurier ernährten sich fast ausschließlich karnivor. Verhalten Aussagen über das Verhalten der Dinosaurier basieren auf der Haltung von Skelettfunden, auf Spurenfossilien wie fossilen Fußspuren, auf dem Habitat, in welchem die Tiere lebten, auf Computersimulationen der Biomechanik und auf Vergleichen mit rezenten Tieren ähnlicher ökologischer Nischen. Viele Hypothesen über das Verhalten der Dinosaurier werden in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Es gibt aber auch eine mit der Zeit größer werdende Reihe von Annahmen zum Verhalten, denen die meisten Forscher zustimmen. Der Fund eines Iguanodon-Massengrabs in Bernissart (Belgien) im Jahr 1878 gab einen ersten Hinweis auf Herdenleben bei Dinosauriern. Heute sind viele weitere Hinweise auf ein Herdenleben bei vielen Dinosaurierarten bekannt, so wurden neben weiteren Massengräbern auch viele parallel verlaufende Fährtenfolgen entdeckt. Hadrosauriden wanderten vermutlich in großen Herden, ähnlich wie die heutigen Springböcke oder Amerikanischen Bisons; so enthält ein Massengrab von Maiasaura aus Montana (USA) die Überreste von mindestens 10.000 Individuen. Sauropodenspuren aus Oxford (England) zeigen, dass diese Sauropoden in gemischten Herden mit unterschiedlichen Arten wanderten. Vielleicht bildeten Dinosaurier Herden zur Verteidigung gegen Fressfeinde, zum Schutz der Jungtiere oder für periodische Wanderungen. Einige karnivore Dinosaurier werden ebenso oft gesellig dargestellt, wobei sie in einer Gruppe selbst größere Beute erlegt haben könnten. Jedenfalls ist das Jagen in Gruppen bei den nächsten lebenden Verwandten der Dinosaurier, den Vögeln und den Krokodilen, recht ungewöhnlich, und vermeintliche Nachweise für ein Jagen in Gruppen bei den Theropoden Deinonychus und Allosaurus könnten die Ergebnisse von tödlichen Auseinandersetzungen zwischen fressenden Tieren sein, wie bei modernen Reptilien häufig zu beobachten. Eine Maiasaura-Nestkolonie, die Jack Horner im Jahr 1978 in Montana (USA) entdeckt hat, zeigt, dass einige Dinosaurier ihre Jungen noch lange nach dem Schlüpfen betreuten und beschützten. In der Mongolei wurde 1993 das Skelett des Oviraptoriden Citipati in einer brütenden Position über seinen Eiern entdeckt; dies könnte auf isolierende Federn hinweisen, welche die Eier warm hielten. Andere Funde zeigen ebenfalls elterliche Fürsorge. So wurde zum Beispiel in Liaoning (China) ein erwachsenes Exemplar des Ceratopsier Psittacosaurus zusammen mit 34 Jungtieren gefunden – die große Anzahl des Nachwuchses könnte darauf hindeuten, dass das erwachsene Tier den Nachwuchs von verschiedenen Individuen betreut hat, ähnlich wie bei heutigen Straußen. Die Auca-Mahuevo-Fundstelle in Patagonien barg tausende Nester mit Eiern, die Sauropoden zugeschrieben werden und Hinweise auf große Nistkolonien dieser Dinosaurier geben, ähnlich denen der heutigen Pinguine. Sauropoden betrieben allerdings wahrscheinlich keine elterliche Fürsorge, was nicht zuletzt wegen der Größe der Elterntiere im Vergleich zu den Jungtieren angenommen wird. Die mannigfaltigen Kämme und Schilde einiger Dinosaurier, wie die der Marginocephalia, der Theropoden und der Lambeosaurinen, waren zur aktiven Verteidigung vielleicht zu zerbrechlich. Wahrscheinlicher ist, dass sie zur sexuellen Zurschaustellung dienten oder Artgenossen einschüchtern sollten – jedoch ist nur wenig über die Paarung und das Territorialverhalten der Dinosaurier bekannt. Bisswunden an den Schädeln von einigen Theropoden lassen aktive aggressive Konfrontationen zumindest bei diesen Dinosauriern vermuten. Die Kommunikation der Dinosaurier untereinander bleibt ebenfalls mysteriös, ist aber ein aktives Gebiet der Forschung. Beispielsweise haben jüngere Studien gezeigt, dass die Kopfkämme der Lambeosaurinen als Resonanzverstärker für ein breites Spektrum von Rufen gedient haben könnten. Ein Fossil eines Troodontiden aus China zeigte, dass dieser kleine Theropode den Kopf beim Schlafen unter die Arme steckte, um ihn warm zu halten; ähnlich wie heutige Vögel. Eines der für die Verhaltensforschung wertvollsten Dinosaurier-Fossilien wurde im Jahr 1971 in der Wüste Gobi entdeckt und beinhaltet einen Velociraptor, der einen Protoceratops attackiert hat; der Fund zeigt die Tiere annähernd in Lebenddarstellung. Weitere Hinweise auf das Jagen lebender Beute liefert eine teilweise verheilte Schwanzverletzung eines zu den Hadrosauriern zählenden Edmontosaurus – der Schwanz wurde von einem Tyrannosaurier gebissen, das Tier überlebte aber. Kannibalismus konnte bei einigen Theropoden wie Majungasaurus nachgewiesen werden; so wurden im Jahr 2003 in Madagaskar entsprechende Bissspuren gefunden. Neue Funde wie Oryctodromeus zeigen, dass einige herbivore Arten anscheinend in einem Bau unter der Erde lebten, während einige vogelähnliche Arten vielleicht baumbewohnend waren, wie Microraptor und die rätselhaften Scansoriopterygiden. Die meisten Dinosaurier bewegten sich jedoch auf dem Boden fort. Ein gutes Verständnis der Art der Fortbewegung ist ein Schlüssel für die Verhaltensforschung, und die Biomechanik hat bedeutende Fortschritte auf diesem Gebiet gebracht. So gab es Studien über die von Muskeln ausgeübten Kräfte und über das auf dem Skelett lastende Gewicht, wodurch geschätzt wurde, wie schnell Dinosaurier rennen konnten. Weiter wurde untersucht, ob Diplodociden mit ihrem Schwanz einen Überschallknall erzeugen konnten oder ob Sauropoden schwimmen konnten. Für Theropoden wurde anhand von Kratzspuren im Sediment eines Sees nachgewiesen, dass sie schwimmen konnten. Physiologie Seit den 1960er Jahren läuft eine energische Diskussion über die Temperatur-Regulierung der Dinosaurier. Obwohl die Theorie, dass Dinosaurier ihre Körpertemperatur überhaupt regulieren konnten, ursprünglich von Wissenschaftlern abgelehnt wurde, ist die Warmblütigkeit (Endothermie) der Dinosaurier die heute gängige Sichtweise, und die Debatte hat sich mehr auf die Mechanismen der Thermoregulation fokussiert. Als die ersten Dinosaurier entdeckt wurden, glaubten die Wissenschaftler, Dinosaurier seien wechselwarme (ektotherme) Tiere – „schreckliche Echsen“, wie ihr Name nahelegt. Man stellte sich Dinosaurier als langsame, träge Tiere vor und verglich sie mit Reptilien, die sich erst durch die Sonne aufwärmen müssen, um sich aktiv bewegen zu können. Die Vorstellung von wechselwarmen Dinosauriern herrschte vor, bis Robert „Bob“ Bakker, ein früher Verfechter der Warmblütigkeit der Dinosaurier, eine einflussreiche Arbeit zum Thema veröffentlichte. Hinweise auf Warmblütigkeit liefern Entdeckungen aus Antarktika und Australien, wo „Polar-Dinosaurier“ gefunden wurden, die dort einen kalten, sechsmonatigen Winter überstehen mussten. Erst kürzlich wurden Funde aus der Kreidezeit in Nordalaska gemacht, die zeigen, dass in diesen schon damals kalten Gebieten sogar dieselben Arten wie im übrigen Nordamerika lebten. Zusätzlich lässt der Skelettbau vieler Dinosaurier – insbesondere der Theropoden – auf eine hohe Aktivität schließen, die ebenfalls für eine hohe Stoffwechselrate spricht. Ebenso konnten die für warmblütige Tiere typischen Blutgefäß-Strukturen in Dinosaurierknochen nachgewiesen werden. Eine nicht unbedeutende Anzahl von kleineren Dinosauriern verfügte außerdem über ein isolierendes Federkleid. Es ist möglich, dass einige Dinosaurier warmblütig waren, andere aber nicht. Die Debatte wird dadurch verkompliziert, dass Warmblütigkeit auf mehr als nur einen Mechanismus beruhen kann. In den meisten Diskussionen wird die Dinosaurier-Warmblütigkeit mit der von durchschnittlich großen Vögeln oder Säugetieren verglichen, welche Energie aufwenden, um ihre Körpertemperatur über der Umgebungstemperatur zu halten. Kleine Säugetiere und Vögel besitzen außerdem eine Isolierung in Form von Fett, Fell oder Federn, die den Wärmeverlust verringert. Jedenfalls haben große Tiere wie Elefanten ein ganz anderes Problem – wird ein Tier größer, vergrößert sich das Volumen viel schneller als die Hautfläche (Haldanes Prinzip). Ab einem gewissen Punkt übersteigt die vom Körper produzierte Wärme den Wärmeverlust über die Haut, sodass den Tieren Überhitzung droht. Besonders in Bezug auf Sauropoden wird daher die Theorie diskutiert, dass große Dinosaurier durch ihre schiere Größe wärmer als die Umgebung waren (gigantotherm), ohne dass sie spezielle Anpassungen wie Säugetiere oder Vögel besessen hätten. 2011 hatten Forscher in Science berichtet, dass die Körpertemperatur für einige große pflanzenfressende Dinosaurier auf 36 bis 38 Grad bestimmt wurde. Anfang 2020 wurde eine Publikation veröffentlicht, in der anhand der Isotopenverteilung in fossilen Eierschalen die Temperatur ermittelt wurde, unter der diese Schalen im Körper von Dinosaurierweibchen gebildet wurden. Die Temperatur der natürlichen Umgebung wurde anhand der Isotopenverteilung in Schalen wirbelloser Tiere ermittelt, und man kam zum Ergebnis, dass die Körpertemperatur der Dinosaurierweibchen 10 bis 15 °C höher war als die Umgebungstemperatur. Theropoden und wahrscheinlich ebenso Sauropoden besaßen Luftsäcke, die wie Blasebälge Luft durch die Lunge führten. Da dieses Merkmal unter heute lebenden Tieren nur bei den Vögeln bekannt ist, gilt es als weiterer Hinweis auf eine Abstammung der Vögel von den Dinosauriern. Außerdem wird es als Hinweis gedeutet, dass ebenso größere Dinosaurier wie die Sauropoden warmblütig gewesen sein könnten, da Verdunstung in den Luftsäcken einen effektiven Kühlmechanismus darstellt. Computertomographische Untersuchungen von Hohlräumen in der Brustgegend des Ornithopoden Thescelosaurus zeigten im Jahr 2000 die Überreste eines komplexen, vierkammerigen Herzes. In Fachkreisen besteht zwar Uneinigkeit über die Richtigkeit der Ergebnisse, das Vorkommen eines vierkammerigen Herzens sowohl bei Vögeln als auch bei Krokodilen könnte jedoch darauf hindeuten, dass Dinosaurier ebenfalls ein solches besessen haben. Histologische Untersuchungen an Dinosaurierknochen lieferten Hinweise auf enge physiologische Parallelen zwischen weiblichen Dinosauriern und Vögeln bei der Eierschalenproduktion. Bei weiblichen Vögeln wächst infolge der Ausschüttung von Östrogen im Zeitraum vor der Eiablage eine sehr calciumreiche Knochensubstanz in den Beinknochen, an der Innenseite der harten Außenknochen (corticaler Knochen) in die Markhöhle hinein. Diese Knochensubstanz wird als medullärer Knochen bezeichnet und ist reich an Proteoglykanen und Glykoproteinen, an die die Calcium-Ionen gebunden werden, sowie arm an Kollagen. Medullärer Knochen dient als Reservoir, in dem Calcium gespeichert wird, das für die Bildung der Eierschalen nötig ist. Knochensubstanz, die als medullärer Knochen gedeutet wird, fand sich auch in den Beinknochen eines Tyrannosaurus rex. Dies lässt vermuten, dass die Calciumeinlagerung bei Dinosauriern und Vögeln ähnlich funktionierte. Zudem kann das Vorhandensein von medullärem Knochen bei fossilen Vögeln oder bei Dinosauriern für die Bestimmung weiblicher Tiere genutzt werden. Nach weiteren Forschungen wurde medullärer Knochen auch bei Allosaurus und dem Vogelbeckensaurier Tenontosaurus entdeckt. Da diese beiden Gattungen jeweils einer der beiden Hauptlinien der Dinosaurier angehören, wird davon ausgegangen, dass medullärer Knochen zur Calciumspeicherung bereits sehr früh in der Dinosaurierevolution entstanden ist und dass deshalb nahezu alle Dinosaurier dieses Merkmal besessen haben dürften. Dass diese Knochensubstanz auch bei noch nicht voll ausgewachsenen Tieren gefunden wurde, lässt den Schluss zu, dass Dinosaurier relativ früh in ihrer Individualentwicklung die Geschlechtsreife erreichten. Weiches Gewebe und DNA Eines der besten Beispiele für Abdrücke von weichem Gewebe in einem Dinosaurierfossil wurde in Petraroia, Italien entdeckt. Der im Jahr 1998 beschriebene Fund stammt von dem kleinen, sehr jungen Coelurosaurier Scipionyx und zeigt Abdrücke verschiedener Darmabschnitte, der Leber, der Muskeln und der Luftröhre. Im Jahr 2005 stellten Mary Higby Schweitzer und ihr Team erstmals flexibles Gewebematerial eines Dinosauriers vor, das in einem 68 Millionen Jahre alten Beinknochen eines Tyrannosaurus rex aus der Hell-Creek-Formation in Montana (USA) gefunden wurde. Nach einer Rehydrierung wurde das Material wieder elastisch, und nach einer mehrere Wochen währenden Behandlung zum Entfernen der Mineralien (Demineralisierung) konnten intakte Strukturen wie Blutgefäße, Knochenmatrix und Knochenfasern nachgewiesen werden. Genauere Untersuchungen unter dem Mikroskop zeigten darüber hinaus, dass sogar noch Mikrostrukturen auf zellulärer Ebene erhalten geblieben sind. Thomas Kaye et al. stellen die Ergebnisse in einer 2008 veröffentlichten Studie jedoch in Frage – nach diesen Forschern handelt es sich bei dem vermeintlichen Gewebematerial um bakterielle Biofilme. Die Bakterien kolonisierten einst die Hohlräume des Knochens, die zuvor von echten Zellen besetzt waren. Die von Schweitzer aufgrund ihrer Eisenhaltigkeit als Blutgefäße interpretierten Strukturen deuten die Forscher zudem als Framboide – rundliche, mikroskopisch kleine Mineralstrukturen. Die erfolgreiche Gewinnung von Dinosaurier-DNA wurde zwar in zwei Fällen gemeldet, keine dieser beiden Studien konnte jedoch bestätigt werden. Jedenfalls wurde bereits das theoretische Peptid Rhodopsin eines Dinosauriers kloniert, wobei die Gene von Krokodilen und Vögeln, den nächsten heute lebenden Verwandten der Dinosaurier, als Grundlage für die phylogenetische Ableitung dieses Peptids dienten. Das in Zellkultur exprimierte und aufgereinigte Rhodopsin zeigte sich aktiv in funktionellen Tests. Des Weiteren wurden verschiedene Proteine in Dinosaurierfossilien entdeckt, inklusive des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Die Möglichkeit des Klonens von Dinosauriern, wie in Michael Crichtons berühmtem Roman DinoPark (1993 verfilmt als Jurassic Park), kann aufgrund mangelnder genetischer Information für die nähere Zukunft ausgeschlossen werden. Lebenserwartung und Wachstumsraten Im Zuge der mehr als einhundertjährigen Erforschung fossiler Überreste von Dinosauriern sind viele Informationen über Neurologie, mögliches Verhalten und Physiologie dieser urzeitlichen Lebewesen gewonnen worden. Empirische Daten zur Individualentwicklung (beispielsweise zum Erreichen der Geschlechtsreife und zu Wachstumsraten) und zur allgemeinen Lebenserwartung fehlten jedoch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch weitgehend. Um das Alter einzelner Individuen und darüber die mittlere Lebenserwartung der entsprechenden Spezies abzuschätzen, kamen und kommen histologischen Untersuchungen und insbesondere der Lebensaltersbestimmung anhand von Wachstumslamellen (Skeletochronologie) eine besondere Bedeutung zu. Bei den nächsten lebenden Verwandten der Dinosaurier, Vögeln und Krokodilen, korreliert die Lebenserwartung bei einer bestimmten Spezies mit der maximal erreichbaren Körpergröße ihrer Individuen (je größer, desto älter) und die Vertreter einiger der größten Arten können erfahrungsgemäß sehr alt werden (in Gefangenschaft teils mehr als 100 Jahre). Daraus könnte man ähnliche Lebensspannen und eine ähnliche Größenkorrelation für Dinosaurier ableiten. Allerdings stimmen die Ergebnisse histologischer Untersuchungen nicht mit solch rein phylogeniebasierten Rückschlüssen überein; die Daten rezenter Archosaurier lassen sich also nicht ohne Weiteres auf Dinosaurier hochrechnen. Nichtsdestoweniger sind die Erkenntnisse aus histologischen Untersuchungen rezenter Archosaurier wichtig für die korrekte Interpretation der Beobachtungen an histologischen Schnitten fossiler Dinosaurierknochen (Aktualismusprinzip). Dass viele Dinosaurierarten eine enorme Größe erreichten, weiß man bereits seit dem 19. Jahrhundert. Wie schnell sie wuchsen, mit welchem Alter sie ausgewachsen waren oder ob sie bis zu ihrem Tode kontinuierlich weiterwuchsen, war jedoch lange Zeit unbekannt. Skeletochronologische Untersuchungen an Dinosaurierknochen, das heißt das Zählen von Wachstumslamellen (engl.: lines of arrested growth, wörtlich: ‚Linien gestoppten/gebremsten Wachstums‘), die im Idealfall wie die Jahresringe eines Baumstamms das Lebensalter des Tieres anzeigen, konnten diese Wissenslücke mittlerweile ansatzweise füllen. So ist für den spätkreidezeitlichen riesenwüchsigen Theropoden Tyrannosaurus ermittelt worden, dass er in der „Pubertät“, im zweiten Lebensdrittel (zwischen 14 und 18 Jahren), besonders schnell wuchs, mit einer täglichen Gewichtszunahme um mindestens zwei Kilogramm, und dass sich im Alter von etwa 20 Jahren und bei einem Gewicht von 5 Tonnen das Wachstum drastisch verlangsamte, er faktisch ausgewachsen war. Sein Höchstalter soll 28 Jahre betragen haben, wäre also, angesichts seiner Größe, überraschend gering gewesen. Für kleinere, geologisch ältere Vertreter der Tyrannosauriden wurden noch geringere Höchstalter berechnet. Die Lebenserwartung des großwüchsigen triassischen „Prosauropoden“ Plateosaurus wird auf mindestens 27 Jahre geschätzt. Ob bei einem bestimmten Dinosauriertaxon die starke Verlangsamung des Körperwachstums (das Erreichen der sogenannten asymptotischen Größe oder somatischen Reife) auch mit dem Erreichen der Geschlechtsreife übereinstimmte, kann durch das Zählen von Wachstumsringen allein nicht festgestellt werden. Die Entdeckung von medullärem Knochen (einem kalziumreichen Knochengewebe in der Markhöhle der Beinknochen weiblicher Vögel) bei verschiedenen Dinosaurierarten ermöglicht allerdings nunmehr relativ eindeutig die Bestimmung des Alters der Geschlechtsreife, zumindest bei weiblichen Individuen. Medullärer Knochen dient als Kalziumspeicher für die Sekretion kalkiger Eierschalen und sollte folglich nur bei geschlechtsreifen Tieren zu finden sein. So ist in Kombination mit der Skeletochronologie für Tenontosaurus (ein Vogelbeckensaurier), Allosaurus und Tyrannosaurus (beides Echsenbeckensaurier) das Erreichen der Geschlechtsreife im Alter von 8, 10 bzw. 18 Jahren ermittelt worden. Dies legt nahe, dass Dinosaurier wahrscheinlich einige Jahre vor Erreichen der asymptotischen Größe geschlechtsreif wurden. Dass dieses Muster auch bei mittelgroßen bis großen Säugetieren auftritt und vor allem dass Dinosaurier die Geschlechtsreife und asymptotische Größe bedeutend früher erreichten, als es rezente Reptilien täten, wenn diese ähnlich großwüchsig wären, lässt den Schluss zu, dass Dinosaurier warmblütigen Amnioten wie Säugetieren physiologisch-metabolisch wahrscheinlich ähnlicher waren als rezenten Reptilien. Aussterben Vor etwa 66 Millionen Jahren ereignete sich ein weltweites Massenaussterben, bei dem schätzungsweise 50 % der Gattungen und 20 % der Familien verschwanden, darunter alle Nichtvogeldinosaurier. Es wurden die verschiedensten Hypothesen aufgestellt, um die Ursachen dieses Massensterbens zu klären. Die meisten aktuellen Theorien sehen die Ursache in einem Meteoriteneinschlag und/oder einem gesteigerten Vulkanismus, einige schließen beide Ereignisse mit ein. Das rapide Absinken des Meeresspiegels könnte gleichfalls zum Massensterben beigetragen haben, da die großen Flachmeere verschwanden und sich Landbrücken bildeten. In einer dünnen, dunklen Ton­schicht aus der Zeit des Massenaussterbens an der Kreide-Paläogen-Grenze fanden der Physiker Luis Walter Alvarez und sein Sohn, der Geologe Walter Alvarez, eine Anreicherung des sonst in der Erdkruste sehr seltenen Schwermetalls Iridium (siehe Iridium-Anomalie). In ihrer im Juni 1980 veröffentlichten Studie postulierten sie, dass dieses Iridium durch einen Meteoriten auf die Erde gelangt sein könnte, dessen Einschlag das Massensterben auslöste. Die Hypothese wurde 1991 durch den Fund des 180 km durchmessenden Chicxulub-Kraters am Rande der Yukatan-Halbinsel im Golf von Mexiko untermauert, der zum passenden Zeitpunkt durch den Einschlag eines etwa 10 km großen Meteoriten entstanden ist. Zu den möglichen kurz- und mittelfristigen Folgen für die damaligen Ökosysteme sind vielfältige Überlegungen angestellt worden. So wird eine zunächst starke Aufheizung der Atmosphäre als unmittelbare Folge des Einschlags angenommen („Feuersturm“), gefolgt von einer inzwischen nachgewiesenen starken Abkühlung, weil die Atmosphäre durch Staub verdunkelt und so die Sonneneinstrahlung (Insolation) für einige Jahre um 10 bis 20 % reduziert wurde („nuklearer Winter“), mit negativen Auswirkungen auf die Photosyntheseraten von Landpflanzen und einzelligen Meeresalgen, den Primärproduzenten der terrestrischen und marinen Ökosysteme. Eine weitere unmittelbare und mittelbare Folge des Einschlages waren wahrscheinlich schwere und schwerste Erdbeben und Tsunamis, die noch tausende Kilometer vom Einschlagsort entfernt auftraten. Mehrere Hypothesen zu den Ursachen des Aussterbens stehen speziell mit dem Umstand in Zusammenhang, dass der Einschlag seinerzeit in eine karbonatische Schelfplattform erfolgte. Deren Sedimentabfolge beherbergt heute in unmittelbarer Nähe des Chicxulub-Kraters eine ergiebige Erdöllagerstätte, die wahrscheinlich auch schon am Ende der Kreidezeit existierte. Daher wurde, gestützt auf Isotopenuntersuchungen von organischem Kohlenstoff aus Sedimenten des Kreide-Paläogen-Grenzbereichs, eine These formuliert, die besagt, dass durch den Einschlag große Mengen von Erdöl verbrannt seien. Der dabei entstandene Ruß sei in die Stratosphäre aufgestiegen und habe sich dort weltweit verbreitet. Dies, und nicht der aus dem Einschlagskrater ausgeschleuderte feine Gesteinsstaub, sei Hauptursache für die nach dem Impakt erfolgte weltweite Verdunkelung und Abkühlung gewesen. Weil der mächtige Sedimentstapel der Yucatan-Karbonatplattform unter anderem auch Anhydrit und Gips (Kalziumsulfat, CaSO4) enthält, könnten durch die Einschlagshitze große Mengen Schwefeldioxid (SO2) und -trioxid (SO3) entstanden sein, was in den folgenden Wochen und Monaten weltweit zu saurem Regen geführt hätte, der eine Versauerung von Böden und Gewässern verursacht und so die Lebensbedingungen vor allem für Pflanzen und Algen erheblich verschlechtert hätte. Mithilfe eines computergestützten Klimamodells wurde ermittelt, dass nicht Staub oder Ruß, sondern vor allem langlebige Schwefelsäure-Aerosole in der Atmosphäre in den Monaten nach dem Einschlag ein Absinken der durchschnittlichen jährlichen globalen Oberflächentemperatur um mindestens 26 °C bewirkt hätten. Dadurch habe die Erde eine mehrjährige, nahezu globale Dauerfrostperiode erlebt, mit dramatischen Folgen für sowohl Land- als auch Meereslebewesen. Ein Indiz für die Vulkanismustheorie ist der gewaltige Dekkan-Trapp-Vulkanismus der indischen Dekkan-Hochebene, der mindestens zwei Millionen Kubikkilometer Basalt (Flutbasalt, Trapp) förderte. Neben einer verminderten Sonneneinstrahlung könnten große Mengen Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre gelangt sein, was einen starken Treibhauseffekt zur Folge gehabt hätte. Eine neuere Studie verknüpft den Chicxulub-Impakt unmittelbar mit dem Dekkan-Trapp-Vulkanismus. Demnach verzeichnete der lange „schwelende“ Dekkan-Trapp aufgrund der beim Meteoriteneinschlag freigesetzten Energie von mindestens 3×1023 Joule und der dadurch ausgelösten tektonischen Schockwellen ein neues Aktivitätsmaximum. Laut dieser Hypothese ist der geologisch kurzfristige, über Jahrtausende in das Paläogen reichende Ausstoß von 70 % aller Dekkan-Trapp-Flutbasalte auf dieses Ereignis zurückzuführen. Das eigentliche Aussterben vollzog sich wahrscheinlich in einem relativ kurzen Zeitraum und „zumindest in Nordamerika nach geologischen Maßstäben augenblicklich“. Zwar wurden einige Dinosaurierknochen in 64,5 Millionen Jahre alten känozoischen Schichten gefunden und daraufhin von einigen Forschern als Hinweis auf ein langsames Aussterben gedeutet, jedoch wurde dieser These heftig widersprochen mit der Begründung, die Knochen seien aus mesozoischen Ablagerungen erodiert und in den känozoischen Schichten neu eingebettet worden. Weit umstrittener ist die Frage, ob die Dinosaurier am Ende der Kreidezeit ohnehin im Niedergang begriffen waren oder ob sie in voller Blüte standen. Forschungen hierzu ergaben, dass die Artneubildungsrate der Dinosaurier schon 50 Millionen Jahre vor dem Ende der Kreidezeit von der normalen Hintergrundaussterberate übertroffen worden sein soll. Ausnahmen von dieser allmählichen Abnahme der Artenvielfalt seien die Hadrosaurier und die Ceratopsia, spezialisierte Pflanzenfresser, die noch in der jüngsten Kreide zahlreiche neue Arten bildeten. Trotz dieser Ausnahmen seien die Dinosaurier insgesamt seinerzeit offenbar relativ anfällig gegenüber einer globalen Katastrophe gewesen. Dem wird entgegengehalten, dass der im Fossilbericht dokumentierte Artenrückgang eher darauf zurückzuführen ist, dass sich zum Ende der Kreidezeit (Campan bis Maastricht) die Bedingungen für die Fossilerhaltung extrem verschlechterten. Die tatsächliche Artenvielfalt der Dinosaurier in diesem Zeitraum, jedenfalls in Nordamerika, sei deshalb bisher unterschätzt worden. Dinosaurier und Menschen Keine anderen fossilen Tiergruppen haben eine so hohe kulturelle Bedeutung wie die ausgestorbenen Gruppen der Dinosaurier. Seit sie im 19. Jahrhundert erstmals ins Licht der Öffentlichkeit rückten, erfreuen sie sich weltweit großen Interesses und so großer Beliebtheit, dass teilweise von einer bis heute anhaltenden „Dinomanie“ gesprochen wird. Fast so bekannt wie die Dinosaurier selbst ist die Tatsache, dass der Großteil von ihnen innerhalb kürzester Zeit ausgestorben ist. Daher wird der Name Dinosaurier oft als Metapher für Denk- und Handelsweisen oder für Dinge benutzt, die als rückwärtsgewandt und nicht mehr zeitgemäß empfunden werden, wie etwa beim Dinosaurier des Jahres. Entdeckungsgeschichte Die ersten Dinosaurierfossilien sind schon vor hunderten, wahrscheinlich tausenden von Jahren gefunden worden, wobei ihre wahre Natur nicht erkannt wurde. Im China der östlichen Jin-Dynastie berichtete Cháng Qú (常璩) in seinem Buch Huàyángguó zhì () im 4. Jahrhundert über die Entdeckung von „Drachenknochen“ aus der Provinz Sichuan, die vielleicht von Dinosauriern stammten. Dorfbewohner in Zentralchina haben derartige Drachenknochen seit Jahrzehnten ausgegraben, um aus ihnen traditionelle Medizin herzustellen. Die antiken Griechen und Römer fanden ebenso entsprechende Fossilien, die Stoff für ihre Legenden und Sagen boten. Im Jahr 1677 fertigte Robert Plot die erste formelle Beschreibung eines Dinosaurierfossils an, das in der Nähe von Cornwell bei Oxfordshire (England) entdeckt und heute Megalosaurus zugeschrieben wird. Obwohl er den großen Knochen zuerst einem Elefanten zuordnete, der mit den Römern nach Britannien gekommen war, erkannte Plot später eine scheinbare Ähnlichkeit mit Menschenknochen und schrieb ihn einem Riesen der biblischen Vorsintflut zu. Einer der ersten, der über diese Gruppe urzeitlicher Riesenreptilien wusste und danach forschte, war der englische Arzt Gideon Mantell. Bereits im Jahre 1822 fand er den ersten fossilen Zahn, den er einige Jahre später und nach weiteren Funden Iguanodon nannte. 1824 beschrieb der Amateurpaläontologe William Buckland mit Megalosaurus erstmals einen Dinosaurier in einem wissenschaftlichen Journal. Den Begriff Dinosauria prägte jedoch ein anderer, der englische Anatom Richard Owen. Im Jahr 1841 fasste er Megalosaurus und Iguanodon mit einer weiteren Gattung, Hylaeosaurus, zu einer Gruppe zusammen, die er Dinosauria nannte. Im Jahr 1858 wurde dann das erste fast vollständige Dinosaurierskelett in Nordamerika entdeckt. Dieser als Hadrosaurus foulkii beschriebene Fund aus Haddonfield (New Jersey) zeigte, dass dieser Dinosaurier wohl zweibeinig lief, und revolutionierte damit das öffentliche Bild der Dinosaurier – zuvor stellte man sich Dinosaurier wie Megalosaurus als riesige, auf vier Beinen laufende, waranähnliche Wesen vor. Diese Entdeckung löste eine wahre Dinomanie (Dinosaurier-Enthusiasmus) in den USA aus. In den Folgejahren begann eine Feindschaft zwischen zwei berühmten Dinosaurierforschern, Edward Drinker Cope und Othniel Charles Marsh, die in den berühmten „Knochenkriegen“ eskalierte. Vielleicht begann der Streit, als Cope scharfe Kritik seitens Marsh erhielt, als er den Schädel des neu entdeckten, seltsamen Meeresreptils Elasmosaurus am falschen Ende des Körpers platzierte. Dies war der Beginn von Missgunst und Eifersucht zwischen den beiden Forschern, und ihr Streit endete erst 30 Jahre später im Jahr 1897 nach dem Tod Copes. Jeder der beiden Kontrahenten versuchte mit seinem Team, immer mehr Dinosaurierknochen zu finden als der andere – mit allen Mitteln. Sie zerstörten sich gegenseitig viele Knochenfunde, weitere Knochen fielen dem Dynamit zum Opfer, mit dem damals Knochen freigesprengt wurden. Das Resultat der Rivalität waren 142 neu entdeckte Dinosaurierspezies, wozu Marsh 86 Arten und Cope 56 Arten beitrug. Seitdem werden auf der ganzen Welt Dinosaurierfossilien gefunden: So startete das Berliner Museum für Naturkunde eine große Expedition unter der Leitung von Werner Janensch nach Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, die einzigartige Funde wie Brachiosaurus oder Kentrosaurus zutage förderte. Weitere wichtige Entdeckungen wurden unter anderem in Südamerika, Madagaskar, Indien, der Mongolei, China und ebenso in Deutschland gemacht. Obwohl Dinosaurier anfangs als lebhafte, agile Tiere galten, wurde dieses Bild durch die Entdeckungen von Marsh und Cope verändert; Dinosaurier wurden zunehmend als dumme, langsame und unbeholfene Kreaturen betrachtet. Einen Sauropoden beschrieb Marsh aufgrund seines im Vergleich zur Körpergröße lächerlich klein erscheinenden Kopfes sogar als Morosaurus („dumme Echse“), später hatte sich jedoch Copes Bezeichnung Camarasaurus durchgesetzt. Erst seit den 1970er Jahren näherte sich die wissenschaftliche Meinung wieder dem ursprünglichen Bild von lebhaften, aktiven Tieren an, nachdem John Ostrom Deinonychus beschrieben hatte und die Idee von einer Warmblütigkeit der Dinosaurier aufkam. Diese Entwicklung löste die Dinosaurier-Renaissance aus, eine bemerkenswerte Zunahme von Aktivitäten innerhalb der Dinosaurierforschung, die bis heute andauert. Dinosaurier in der Kultur Modelle Breites öffentliches Interesse an Dinosauriern erregte erstmals der Dinosaur Court im Crystal Palace Park in London, wo im Jahr 1854 eine Urlandschaft mit verschiedenen, lebensgroßen Modellen ausgestorbener Tiere modelliert wurde, die noch heute zu bestaunen ist. Der Bildhauer Benjamin Waterhouse Hawkins fertigte unter Beratung von Owen 33 Skulpturen ausgestorbener Tiere an, darunter vier von Dinosauriern. Die Popularität der Dinosaurier im Crystal Palace Park wurde so groß, dass Hawkins für ein ähnliches Projekt im Central Park in New York engagiert wurde. Eine neue Verwaltung des Parks ließ diesen Plan jedoch fallen, und die halbfertigen Modelle wurden zerstört. Skelette Seit Anfang des 19. Jahrhunderts zogen ausgestellte Skelette urzeitlicher Säugetiere eine Vielzahl von Besuchern an. Mit Reiseausstellungen, die durch die USA und Europa zogen, konnte viel Geld eingenommen werden. Daher sollten schon bald nach der Entdeckung vollständiger Dinosaurierskelette diese ausgestellt werden. Im Jahr 1868 wurde Hawkins beauftragt, erstmals Dinosaurier-Skelette (Hadrosaurus und Dryptosaurus) zu montieren und der Öffentlichkeit zu präsentieren. In einem New Yorker Museum gab es einen regelrechten Besucheransturm. In den folgenden Jahrzehnten wurden durch diese neuen Attraktionen in den Museen viele Skelette anderer urtümlicher Tiere in die Museumskeller verbannt, und in Deutschland konnten im Jahr 2006 allenfalls noch Relikte der Ägypter mit der Popularität von Dinosaurierskeletten konkurrieren. Literatur und Film Von Beginn des 20. Jahrhunderts an wurde das Motiv Dinosaurier in Literatur und Film wirtschaftlich immer bedeutender und ertragreicher. Eine der ersten und berühmtesten Fantasy-Geschichten ist Arthur Conan Doyles Roman Die vergessene Welt („The Lost World“, 1912), der ab 1925 vielfach verfilmt wurde. Wie diese handeln viele andere solcher Geschichten von der Entdeckung eines bis dahin isolierten Gebietes, zum Beispiel im Regenwald oder auf einer Insel, wo Dinosaurier bis in unsere Zeit überlebt haben. In Hollywood-Action-Filmen des 20. Jahrhunderts wurden Dinosaurier oft entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse als höhlenmenschen­fressende Ungetüme dargestellt. Hingegen zeigte der preisgekrönte tschechoslowakische Fantasy-Film Reise in die Urzeit von 1954, in dem Kinder auf einem Fluss immer tiefer in die Vergangenheit reisen, Urzeittiere entsprechend dem damals bekannten Ablauf der Erdgeschichte. In der auch in Deutschland sehr erfolgreichen Zeichentrickserie Familie Feuerstein (1960–1966) sind Dinosaurier Haus- und Nutztiere der nicht-so-ganz-steinzeitlichen Steinzeitmenschen. Neueste Dinosaurierfilme sind oft Dokumentationen, zum Beispiel die mit großem Aufwand produzierte BBC-Serie Dinosaurier – Im Reich der Giganten (englischer Titel: „Walking with Dinosaurs“), in der versucht wird, Dinosaurier in ihrem Lebensraum zu zeigen. Erst durch die moderne und oft aufwändige dreidimensionale Bewegtgrafik (Computer Generated Imagery) ist es glaubhaft möglich, diese Kreaturen lebensecht bildlich darzustellen. Dennoch hat im wissenschaftlichen Bereich die handwerkliche, oftmals kunstfertige und ästhetische Illustration – im englischen Sprachraum wird diese Disziplin manchmal als Paleoart bezeichnet – ihre Bedeutung nicht verloren. Nach dem immensen wirtschaftlichen Erfolg von Jurassic Park (1993), der als erster Kinofilm ein weltweites Einspielergebnis von über einer Milliarde US-Dollar erzielte, eroberte der „Darsteller Dinosaurier“ ebenso die Welt des Computerspiels. Ein Dino verkörperte die Hauptfigur der 1990–2006 produzierten Hörbuchserie Mit em Batino unterwägs der Zürcher Verkehrserziehung. Der ABC-Dino Xenegugeli gibt dem Schweizer Tier-ABC-Klassiker als Buch-, Liederalbum und App von Roland Zoss den Namen. Bildung und Sprache Bilder eines (regelmäßig grünhäutig dargestellten) Sauropoden im Stile einer Kinderbuchillustration werden in Leselern-Materialien (Anlauttabellen) als Beispielwort-Bild in der Bedeutung Dinosaurier oder Dino für den Buchstaben D verwendet, z. B. in einer 2014 in bayerischen Grundschulen verwendeten Ausgabe. Dies impliziert, dass heute der Begriff „Dino(saurier)“ verbunden mit dem Ikon des Sauropoden als Bestandteil des rezeptiven Wortschatzes deutschsprachiger Schulanfänger allgemein vorausgesetzt wird. Im April 2016 wurden Bilder von Köpfen dreier als exemplarisch angesehener Dinosaurier-Taxa zur Aufnahme als Emojis in den Unicode-Standard vorgeschlagen. In dem Vorschlagsdokument werden die Köpfe von Tyrannosaurus rex und Brontosaurus („Bronto“) grünhäutig dargestellt, der von Triceratops bräunlich. Privater Handel mit exklusiven Exemplaren Auktionshäuser versteigern jährlich auch einige besonders wertvolle originale Dinosaurierskelette oder Skelettteile an exklusive, wohlhabende Sammler. Vor allem begehrt sind Exemplare von großen Theropoden. Die Stücke können Preise von mehreren Hunderttausenden bis zu mehreren Millionen Euro erzielen. Die Käufer bleiben oft anonym. Experten sehen die Versteigerung wissenschaftlich wertvoller Skelette kritisch, da sie der Forschung nicht zur Verfügung stehen. Im Oktober 2020 wurde für das Skelett eines Tyrannosaurus rex ein Rekordpreis von 27 Mio. Euro erzielt. Seit im November 2022 eine ähnliche Versteigerung in Hongkong abgesagt wurde, weil Zweifel an der Echtheit eines erheblichen Anteils der Knochen aufgekommen waren, fielen die Preise für Dinosaurierfossilien. Die erste Versteigerung eines Tyrannosaurus-Skeletts in Europa erbrachte im April 2023 in Zürich knapp 4,9 Millionen Euro. Bei diesem Skelett mit dem Namen „Trinity“ war zuvor klar kommuniziert worden, dass es aus den versteinerten Knochen von drei verschiedenen Individuen rekonstruiert und um Kunstharzabgüsse der fehlenden Knochen ergänzt worden ist. Siehe auch Literatur Philip J. Currie, Kevin Padian: Encyclopedia of Dinosaurs. Academic Press, San Diego, Calif. u. a. 1997, ISBN 0-12-226810-5. James O. Farlow, Michael K. Brett-Surman (Hrsg.): The Complete Dinosaur. Indiana University Press, Bloomington IN u. a. 1997, ISBN 0-253-33349-0. William J. T. Mitchell: The Last Dinosaur Book. The Life and Times of a Cultural Icon. University of Chicago Press, Chicago IL u. a. 1998, ISBN 0-226-53204-6 (Auszüge aus dem Buch). Gregory S. Paul: The Scientific American Book of Dinosaurs. St. Martin’s Press, New York NY 2000, ISBN 0-312-26226-4. Gregory S. Paul: Dinosaurs of the Air. The Evolution and Loss of flight in Dinosaurs and Birds. The Johns Hopkins University Press, Baltimore MD u. a. 2002, ISBN 0-8018-6763-0. José Luis Sanz: Starring T. rex! dinosaur mythology and popular culture. Indiana University Press, Bloomington IN 2002, ISBN 0-253-34153-1. David B. Weishampel, Peter Dodson, Halszka Osmólska (Hrsg.): The Dinosauria. 2. Ausgabe. University of California Press, Berkeley CA u. a. 2004, ISBN 0-520-24209-2. David E. Fastovsky, David B. Weishampel: The Evolution and Extinction of the Dinosaurs. 2. Ausgabe. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2005, ISBN 0-521-81172-4. Weblinks Auf Deutsch Zeitreise ins Erdmittelalter – Die Paläobiologie der Dinosaurier. Von Martin Sander. In: Gerold Wefer (Hrsg.): expedition Erde. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, 2006 (PDF; 1,8 MB) Dossier Dinosaurier von scinexx. Stand 15. August 2001 Dinosaurier-Interesse (Privates Projekt mit einführenden Informationen über Dinosaurier und andere Tiere des Mesozoikums für Erwachsene und Kinder) Auf Englisch Palaeos.com (Umfassendes privates Projekt mit hohem wissenschaftlichem Anspruch, über Dinosaurier und die gesamte Lebewelt der Erdgeschichte) EnchantedLearning.com (Kommerzielle Internetpräsenz ohne Registrierungszwang mit knappen und sachlichen Informationen, richtet sich an Erwachsene und Kinder) Fossilworks – Dinosaur facts and figures (Kuriose Statistiken der wissenschaftlichen Datenbank “The Paleobiology Database”) Bilder Skeletal Drawing (Bilder zur Anatomie der Dinosaurier erstellt von dem Paläontologen Scott Hartman) Einzelnachweise
1066
https://de.wikipedia.org/wiki/Dixieland%20%28Jazz%29
Dixieland (Jazz)
Die Stilrichtung des Dixieland entwickelte sich in den 1910er-Jahren aus der Nachahmung des New-Orleans-Jazz durch weiße Musiker und verbreitete sich von New Orleans aus nach Chicago und New York. Stil Beim Dixieland-Jazz treten im Vergleich zum traditionellen New-Orleans-Jazz die ursprüngliche Tonbildung, Schleiftöne, expressives Vibrato und der Gesamtausdruck zurück. Die Melodien sind glatter und die Harmonien reiner. Seit Beginn der 1930er Jahre ist Dixieland-Jazz nicht mehr scharf vom New-Orleans-Jazz abzutrennen. Im Laufe der Zeit spielten Musiker unabhängig von ihrer Hautfarbe beide Stilrichtungen. Louis Armstrong zum Beispiel spielte mit seinen All-Stars auch Dixieland. Heute gibt es drei Hauptströmungen des Dixieland-Jazz: den Chicago Style, West Coast Revival und New Orleans Traditional. Die typische Besetzung einer Dixieland-Formation ist eine Melodiegruppe aus Trompete oder Kornett, Klarinette, Posaune mit den drei Hauptstimmen sowie eine Rhythmusgruppe, bestehend aus Schlagzeug, Piano, Kontrabass bzw. Sousaphon oder Tuba sowie Banjo oder Gitarre. Allgemeine Stilmerkmale sind die Kollektivimprovisation, Breaks, die Trompete als Leadinstrument und die Umspielung der Melodie durch Klarinette und Posaune. Die Melodien und Improvisationen sind oft eingängig und in der Regel künstlerisch weniger ambitioniert. Musikalische Merkmale Der Dixieland-Jazz zeichnet sich besonders durch Kollektivimprovisation bzw. Variantenheterophonie aus, die durch die Melodiegruppe verwirklicht wird. Es handelt sich also beispielsweise um eine Art Ruf-und-Antwort-Funktion (Call and Response). Die Rhythmusgruppe ist für das „Time Keeping“ – also das Tempo-Halten – verantwortlich. Bestehend aus Basstrommel, Tuba, Kontrabass, Banjo und Klavier, übernimmt diese zusätzlich die Aufgabe des Betonens der 1. und 3. Zählzeit. Damit handelt es sich um ein weiteres wichtiges Charakteristikum des Dixieland-Jazz – den „Two Beat“. Die Vorrangstellung bzw. Lead-Position der Trompete ist beim Dixieland-Jazz genauso unbestritten wie beim New-Orleans-Jazz. Als weitere Teile der Melodiegruppe bildet die Posaune dafür eine Art Fundamentstimme, und die Klarinette sorgt für eine harmonische Umspielung des Trompeten-Parts. Um Pausen, wie z. B. Ragtime-Breaks, kümmert sich vorrangig das Klavier. Im Gegensatz zum klassischen New-Orleans-Jazz sind die Melodien des Dixieland-Jazz glatter, die Harmonien reiner und die Technik ist versierter. Die Bestandteile der „Hot-Intonation“, also Dirty tones (unsauber intonierte Töne), „Off-Pitchness“ (geringfügige Tonhöhenabweichungen), Vibrato, Growling (Tonbrechung durch gleichzeitiges Spielen mehrerer Töne), „Tailgate“ der Zugposaune (glissandoartige, also gleitende Füllparts) und das Slapping des Kontrabasses (Technik zum Erzeugen eines klatschenden Geräusches) treten beim Dixieland eher in den Hintergrund. Gelegentlich lassen sich bei Werken des Dixieland-Jazz Tierstimmenimitationen nachweisen (z. B. bei Original Dixieland Jass Band: „Barnyard Blues“, 1917). Entstehung Der Dixieland-Jazz entstand, als weiße Musiker den New-Orleans-Jazz interpretierten. Als Vater des Dixieland-Jazz gilt – weniger wegen der von ihm gespielten Musik als wegen der weißen Musiker in seiner Band, die im frühen Jazz zu Prominenz gelangten – Papa Jack Laine, der mit seiner Street Band musizierend durch die Straßen von New Orleans marschierte. Zu seinen Musikern gehörte Nick LaRocca. Stilbildend und ursächlich für die Verbreitung des neuen Stils waren vor allem die Original Dixieland Jass Band und die New Orleans Rhythm Kings. Etwa Mitte der 1920er-Jahre entwickelte sich aus dem Dixieland-Stil der Chicago-Jazz. Ende der 1930er gab es ein Wiederaufleben des Dixieland, als man in der Swing-Ära anfing, sich mit den Ursprüngen des Jazz zu beschäftigen. Bandleader wie Tommy Dorsey oder Bob Crosby bildeten aus den Mitgliedern ihrer Swingorchester Dixielandformationen für Schallplattenaufnahmen (sogenannte „bands within a band“). Revival Nach Europa kam dieser Stil erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch Bands wie die von Wilbur De Paris. In den 1950er Jahren kam es zu einem regelrechten Dixieland-Revival, der einige Titel in die Spitze der Plattenverkäufe brachte. Dixieland wurde hier zum Teil nicht mehr in der ursprünglichen Form gespielt. Vielmehr gingen in diesen Traditional Jazz auch Spielerfahrungen aus dem New-Orleans-Stil und aus der Skifflemusik ein. Mit dem Revival verbunden sind Namen wie Chris Barber, Acker Bilk, Ken Colyer, Monty Sunshine oder die Dutch Swing College Band. Einige Dixieland-Musiker Einige der bestverkauften und bekanntesten Dixieland-Künstler der Nachkriegszeit: Tony Almerico, Trompeter, spielte Dixieland live im Clear Channel WWL Radio in New Orleans und in vielen Downtown-Hotels, er war ein unermüdlicher Förderer dieser Musik. Die Dukes of Dixieland, die Band der Assunto-Familie in New Orleans. Eine Nachfolger-Band spielt heute noch in New Orleans. Eddie Condon, ein Gitarrist und Bandleader, der eine Kette von Nachtclubs in New York betrieb und bekannte Radiosendungen hatte. Nachfolger-Bands spielten bis in die 1970er und ihr Stil wird noch heute gehört. Turk Murphy, ein Posaunist und Bandleader bei Earthquake McGoons und anderen Schauplätzen in San Francisco von den späten 1940ern bis Ende der 1970er. Al Hirt, ein Trompeter mit einer Serie von Top-40-Hits in den 1960ern, war bis zu seinem Tod Bandleader in New Orleans. Pete Fountain, Klarinettist, Bandleader in New Orleans. Kenny Ball aus England, hatte mit „Midnight in Moscow“ einen Top-40-Hit in den frühen 1960ern. Jim Cullum junior, Kornettist aus San Antonio (Texas). Führte zusammen mit seinem Vater seit 1963 Bands in San Antonio an, bekannt als The Happy Jazz Band. Heute leitet er die Jim Cullum Jazz Band, die schon seit langem in US-Radioshows zu hören ist. Tim Laughlin, Klarinettist, Schützling von Pete Fountain, er leitete einige bekannte Bands in New Orleans und tourt oft den Sommer über in Europa. Heutige Festivals Das Internationale Dixieland Festival Dresden, Europas größtes Oldtime-Jazz-Festival, findet immer in der zweiten Maiwoche statt. Eine halbe Million Besucher erleben jährlich innerhalb von 8 Tagen bis zu 350 Musiker aus aller Welt bei einer Vielzahl von Veranstaltungen. Ein kleineres Ereignis names „Riverboat Jazz Festival“ findet jährlich im dänischen Silkeborg statt. Das größte traditionelle Jazz-Festival in den USA ist das Sacramento Jazz Jubilee. Es findet in Sacramento (Kalifornien) am Wochenende des Memorial Day statt. Das Ereignis verzeichnet 100.000 Besucher, es spielen 150 Bands aus der ganzen Welt. Andere kleinere Festivals und Jazz-Partys kamen in den späten 1960ern auf, als die Rock-Revolution viele der Jazz-Nachtclubs verdrängte. Etymologie Siehe auch Geschichte des Jazz Dixieland Jug Blowers Literatur Reimer von Essen: New Orleans. In: Joachim-Ernst Berendt (Hg.) Die Story des Jazz. Vom New Orleans zum Rock Jazz. Reinbek 1978 (1991), S. 17–38. Weblinks Jazz-Stil
1068
https://de.wikipedia.org/wiki/Dogma%2095
Dogma 95
Dogma 95 () ist ein von den dänischen Filmregisseuren Lars von Trier und Thomas Vinterberg am 13. März 1995 unterzeichnetes Manifest für ihre Produktion von Filmen. Außerdem waren Kristian Levring und Søren Kragh-Jacobsen Teil des Kollektivs. Geschichte Vor dem Dogma 95 gab es frühere Aktionen zur Erneuerung des Films, nämlich in den 1950er Jahren die aus Frankreich stammende Nouvelle Vague sowie das Oberhausener Manifest, das 1962 veröffentlicht wurde. Dogma 95 wurde am 20. März 1995 unter großem Aufsehen der Medien bei einer Konferenz im Pariser Odeon-Theater anlässlich des 100. Geburtstags des Films vorgestellt. Im Jahr 1998 präsentierten Thomas Vinterberg und Lars von Trier mit Das Fest und Idioten auf den Filmfestspielen in Cannes die ersten nach dem Dogma 95 entstandenen Filme. Am 20. März 2005 – zehn Jahre nach der Präsentation in Paris – entschieden die vier maßgeblich beteiligten Regisseure, die Idee teilweise fallen zu lassen. Jedem Produzenten steht es somit frei, zu entscheiden, ob sein Film den im Internet veröffentlichten Dogma-95-Kriterien entspricht. 2008 wurde die Bewegung um von Trier, Vinterberg, Levring und Kragh-Jacobsen mit dem Europäischen Filmpreis in der Kategorie Beste europäische Leistung im Weltkino bedacht. Anforderungen Das Manifest Dogma 95 richtet sich insbesondere gegen die zunehmende Wirklichkeitsentfremdung des Kinos und verbannt Effekte und technische Raffinessen, Illusion und dramaturgische Vorhersehbarkeit. Dogma 95 sieht sich auch als Gegenbewegung zur Auteur-Theorie, die zwar – so die Dogma-Initiatoren – ursprünglich (Anfang der 1960er Jahre) denselben Missständen entgegentrat, letztendlich aber innerhalb des Systems verhaftet blieb und daher scheiterte. Paul Hauser hat an diesem Genre mitgearbeitet. Die einzuhaltenden Regeln, die als „Keuschheitsgelübde“ (englisch „Vow of Chastity“) präsentiert wurden, verlangen Folgendes: Als Drehorte kommen ausschließlich Originalschauplätze in Frage, Requisiten dürfen nicht herbeigeschafft werden. Musik kann im Film vorkommen (zum Beispiel als Spiel einer Band), darf aber nicht nachträglich eingespielt werden. Zur Aufnahme dürfen ausschließlich Handkameras verwendet werden. Die Aufnahme erfolgt in Farbe, künstliche Beleuchtung ist nicht akzeptabel. Spezialeffekte und Filter sind verboten. Der Film darf keine Waffengewalt oder Morde zeigen. Zeitliche oder lokale Verfremdung ist verboten – d. h. der Film spielt hier und jetzt (also nicht etwa im Mittelalter oder in einer entfernten Zukunft oder in einem anderen als dem Produktionsland, auf einem fremden Planeten, in einer fremden Dimension o. Ä.). Es darf sich um keinen Genrefilm handeln. Das Filmformat muss Academy 35 mm sein. Der Regisseur darf weder im Vor- noch im Abspann erwähnt werden. Die meisten Dogma-Filme verstoßen jedoch gegen eine oder mehrere Regeln, was dann oft ironisch reumütig im Abspann erwähnt wird. Wichtige Dogma-Filme Je nach Zählweise gibt es 35 bis über 100 Dogma-Filme. Einige exemplarische sind: Dogma 20_13 Als Weiterentwicklung für das Theater und als gleichzeitige Distanzierung zum Dogma 95 wurde 2013 vom Dortmunder Schauspielhaus das „Dortmunder Manifest“ DOGMA 20 13 veröffentlicht. Literatur Jana Hallberg, Alexander Wewerka: Dogma 95. Zwischen Kontrolle und Chaos. Alexander Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-89581-047-9. Matthias N. Lorenz (Hrsg.): DOGMA 95 im Kontext. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Authentisierungsbestrebung im dänischen Film der 90er Jahre. Universitätsverlag, Wiesbaden 2003, ISBN 3-8244-4518-2. Jerome P. Schaefer: An Edgy Realism. Film Theoretical Encounters with Dogma 95, New French Extremity, and the Shaky-Cam Horror Film. Cambridge Scholars Publishing, Newcastle upon Tyne 2015. Andreas Sudmann: Dogma 95. Die Abkehr vom Zwang des Möglichen. Offizin, Hannover 2001. Weblinks Einzelnachweise Manifest Filmbewegung Ereignis 1995 Lars von Trier Thomas Vinterberg
1069
https://de.wikipedia.org/wiki/Das%20Fest
Das Fest
Das Fest bezeichnet: Das Fest (Film), dänischer Spielfilm von Thomas Vinterberg nach den Dogma-95-Konventionen Das Fest (Drama), Bearbeitung dieses Stoffes für das Theater von Thomas Vinterberg Das Fest (Karlsruhe), Open-Air-Musik-Veranstaltung Das Fest (Roman), Roman von John Grisham Das Fest (Kurzgeschichte), Kurzgeschichte von H. P. Lovecraft.
1071
https://de.wikipedia.org/wiki/Dollar
Dollar
Dollar ist der Name verschiedener Währungen. Die gegenwärtig wohl bekannteste Dollarwährung ist der US-Dollar der Vereinigten Staaten, der die weltweit wichtigste Leitwährung ist. Namensherkunft und Entstehung Das Wort Dollar leitet sich von der deutschen Münzbezeichnung Taler ab, die im Niederdeutschen Daler entspricht. Taler bzw. Thaler war die Kurzbezeichnung des Joachimstalers, einer Silbermünze im Wert eines Guldens. Dieser Taler stammte aus den Minen der nordböhmischen Stadt Sankt Joachimsthal, dem heutigen, zu Tschechien gehörigen Jáchymov. Der Name Dolaro oder Dolares tauchte zum ersten Male unter Kaiser Karl V. zur Unterscheidung der umlaufenden verschlechterten 8-Reales-Stücke (Peso) gegen die im Silbergehalt vollwertigen Stücke auf. Der Name Dolaro entstand in Anlehnung an den niederländischen daalder (Taler), als die Niederlande unter spanischer Besatzung standen. Erste offizielle Dolaros ließ König Philipp II. von Spanien ab 1575 in Potosí (heute Bolivien) prägen. Sie waren gleichgewichtig mit den niederländischen Philippusdaalders und wurden häufig von englischen Freibeutern (Kaperschiffen) erbeutet. Dadurch kamen sie in die britischen Nordamerikakolonien und wurden so ein begehrtes (Ersatz-)Zahlungsmittel mangels ausreichender englischer Gelder (Silver-Crowns). Erste Dollars ließ dann Königin Elisabeth I. von England offiziell ab 1600 prägen und diese dann über die britische East India Company in ihren Kolonien verbreiten. Im Rahmen der Ablösung vom britischen Mutterland wollten die amerikanischen Kolonien nicht das englische Pfund als Währung haben. Da das Prägen von eigenen Münzen 1704 von den Briten verboten wurde, behalf man sich mit anderen Währungen, insbesondere den spanish dollars aus Mexiko. Nach dem 1775 begonnenen Unabhängigkeitskrieg wurde ein eigenes Währungskonzept entwickelt und 1787 wurden die ersten Dollar-Münzen geprägt. Das amerikanische Münzgesetz vom 2. April 1792 (Coinage Act of 1792) erklärte den „spanischen Dollar oder Peso“ mit einem Silberfeingewicht von 371,25 grains oder umgerechnet 24,056 g zur Hauptwährungseinheit. Es galt: 1 Dollar=10 Dimes=100 Cents. Gleichzeitig war noch eine 10-Dollar-Goldmünze zu 24,7 grains fein (feinkörnig) vorgesehen, was einem Gold/Silber-Wertverhältnis von 1:150 entsprach. Jeder Bürger konnte fortan auch Gold- und Silbermünzen nach diesen gesetzlichen Münzfüßen – bei einer entsprechenden Edelmetallanlieferung – privat ausmünzen und sich so sein Geld mit staatlichem Münzbild „herstellen“ lassen. Am 14. März 1900 wurde vom Kongress ein Gesetz verabschiedet, das ausdrücklich die reine Goldwährung bestimmte. Dafür mussten andere Zahlungsmittel wie die Greenbacks und Schatznoten in Gold umgetauscht werden. Auch die zuvor ausgegebenen Silbermünzen und Silber-Schatzscheine hatten sich nicht als hilfreich zur Stabilisierung des Zahlungssystems erwiesen. Sprachlich verwandt ist auch die ehemalige Währung Tolar des Staates Slowenien (1991–2007). Dollarzeichen Das Währungssymbol für den Dollar ist das Dollarzeichen $, es taucht spätestens in den 1770er Jahren zunächst in Handschriften im Geschäftsverkehr zwischen Mexiko und den britischen Kolonien Nordamerikas zur Kennzeichnung der spanischen Währung auf. Die Herkunft lässt sich nicht eindeutig belegen, es ist aber wahrscheinlich, dass es sich im Laufe der Zeit aus der handschriftlichen Abkürzung Ps für Peso(s) oder Piaster (ursprünglich Gewichtsmaße) entwickelt hat. Das Dollarzeichen wird als großes S mit früher zwei senkrechten Strichen, heute meist mit nur einem senkrechten Strich dargestellt. Oft wird das Zeichen auch als Symbol für die Säulen des Herakles (die zwei senkrechten Striche) gesehen, die den (spanischen) Anspruch auf überseeische Herrschaft symbolisieren. Die geschwungene S-Linie wäre in diesem Fall ein stilisiertes „Spruchband“. Das Spruchband war ursprünglich auf den 8-Reales-Stücken des 16./17. Jahrhunderts als Bestandteil des spanischen Wappens aufgeprägt und gehört noch immer zum Wappen Spaniens. Entgegen weitverbreiteter Ansicht entstand das Dollarzeichen nicht durch Überlagerung der Buchstaben U und S zu $. Dollar-Währungen Siehe auch ISO 4217 (Norm für Währungs-Abkürzungen) Weblinks Dollarbeschreibung bis 1892 Währungsfragen in den Vereinigten Staaten, Teil II. in Vossische Zeitung, 6. Dezember 1902. Literatur Anton Zischka: Der Dollar – Glanz und Elend einer Währung. 3., vom Autor völlig überarbeitete und ergänzte Auflage. Wirtschaftsverlag Langen-Müller / Herbig, München 1995 (Erstausgabe 1986), ISBN 3-7844-7345-8. Heinz Fengler, Gerhard Gierow, Willy Unger: Transpress Lexikon Numismatik. 4., bearbeitete Auflage. Transpress Verlag für Verkehrswesen, Berlin 1988, ISBN 3-344-00220-1. René Frank: Ungewöhnliches Kolonialgeld in Sierra Leone – Die ersten Dollarmünzen der Geschichte. In: Money Trend, 05/2012, S. 174–182, (Auszug, PDF, kostenfrei, 5 Seiten, 1,5 MB). Einzelnachweise Währungsname
1072
https://de.wikipedia.org/wiki/Domitian
Domitian
Domitian (* 24. Oktober 51 in Rom; † 18. September 96 ebenda) war vom 14. September 81 bis zu seinem Tod römischer Kaiser. Als Nachfolger seines Bruders Titus war er der dritte und letzte Herrscher aus dem Geschlecht der Flavier. Sein vollständiger Geburtsname war Titus Flavius Domitianus; als Kaiser führte er den Namen Imperator Caesar Domitianus Augustus. Domitian wurde in der traditionell von Senatoren verfassten Geschichtsschreibung als schlechter Princeps und Tyrann (pessimus princeps) dargestellt, da er dem Senat nicht den gewünschten Respekt entgegenbrachte und Entscheidungen traf, ohne ihn zu konsultieren. Nach seinem Tod sollte seine Selbstdarstellung als Kaiser offiziell ausgelöscht werden. Erst die moderne Forschung ab Ende des 20. Jahrhunderts revidierte das Domitianbild. Seine militärischen Erfolge in Germanien und Pannonien sowie seine Finanz- und Provinzpolitik lassen ihn als fähigen Herrscher erscheinen. Zugleich bleiben seine Persönlichkeit und Herrschaftsauffassung in Teilen unerklärlich. Leben bis zur Übernahme der Herrschaft Domitian wurde am 24. Oktober 51 in Rom als zweiter Sohn des aus dem Ritterstand zum Senator aufgestiegenen Titus Flavius Vespasianus, des späteren Kaisers, geboren. Über seine Jugend ist wenig bekannt. Laut Sueton verbrachte er sie unter ärmlichen Umständen, was jedoch nicht den Tatsachen entsprochen haben dürfte. Als Sohn eines Senators dürfte Domitian standesgemäß erzogen worden sein. Als Vespasian im Vierkaiserjahr 69 zum Kaiser ausgerufen wurde, konnte Domitian, im Gegensatz zu seinem Onkel Titus Flavius Sabinus, der Verfolgung durch die Anhänger des Vitellius entkommen und war nach dem Sieg der Flavier zusammen mit Gaius Licinius Mucianus der politische Statthalter des neuen Kaisers in Rom. In den folgenden Jahren wurde Domitian von seinem Vater zwar nicht bewusst zurückgesetzt, spielte aber neben seinem als Mitherrscher und Nachfolger herausgestellten Bruder Titus nur eine nachgeordnete Rolle und wurde nicht auf die Rolle des Princeps vorbereitet. Er erhielt den Titel Caesar, wurde fünfmal Suffektkonsul und bekleidete einmal, im Jahr 73, ein ordentliches Konsulat. Damit war er bis zu Titus’ Herrschaftsantritt insgesamt einmal weniger Konsul als sein Bruder, zweimal weniger als sein Vater. Als Titus im Jahr 79 Vespasians Nachfolge antrat, machte er seinen Bruder zum Kollegen im ordentlichen Konsulat des Jahres 80, verlieh ihm jedoch nicht die tribunicia potestas, die er selbst während der Herrschaft Vespasians erhalten hatte. Die Zeit als Princeps Regierungsantritt Antike Autoren hielten es für möglich, dass Domitian den Tod seines Bruders Titus am 13. September 81 herbeigeführt hatte, doch erlauben die widersprüchlichen Quellen keine eindeutige Beurteilung, zumal ungeklärte Todesfälle von Herrschern oft Mordgerüchte nach sich zogen. Am selben Tag riefen die Prätorianer Domitian zum Imperator aus, er versprach ihnen ein Donativum. Am 14. September trat er die Nachfolge als Kaiser an. Der Senat verlieh ihm die Titel Imperator, pater patriae, pontifex maximus, Augustus sowie die tribunicia potestas und erkannte damit den Herrschaftsübergang an. Domitian bemühte sich um personelle und legislative Kontinuität. Der Freundeskreis (amici) des Kaisers hatte weitgehend die gleiche Zusammensetzung wie unter Vespasian und Titus, seine Sachentscheidungen knüpften sowohl an die der julisch-claudischen Dynastie als auch an die seines Vaters und Bruders an. Domitian erwies sich damit am Anfang seiner Regierungszeit auch in den Augen des Senats als fähiger Regierungschef. Er bekämpfte energisch die Korruption, steigerte wie seine beiden Vorgänger weiter die Effizienz der Verwaltung und hielt die Staatsfinanzen in Ordnung. Baupolitik Kaum ein anderer Kaiser bemühte sich mithilfe von Neubauten und Restaurierungen die Stadt Rom derartig zu gestalten und zu beeinflussen, wie Domitian es tat. Folgend schreibt Sueton: „Er ließ in allen Regionen der Stadt so viele riesige verdeckte Durchgänge und Triumphbogen bauen, daß man auf einem in griechischen Buchstaben geschrieben hat: »Es ist genug«.“ Zu seinen größten Bautätigkeiten gehörten unter anderem der Wiederaufbau des Kapitols, die Anlage des Forum Transitorium, der Titusbogen, die Fertigstellung des Colosseum und sein überlebensgroßes Reiterstandbild (Equus Domitiani) auf dem Forum Romanum. Der Kaiserpalast auf dem Palatin sticht unter all seinen Baumaßnahmen als einer seiner wichtigsten verwirklichten Bauten hervor, da Domitian mittels des Palasts seine monarchische Selbstdarstellung und Selbstüberhöhung auf ein neues Niveau heben konnte. Dieses zeigt sich auch dadurch, dass der Kaiserpalast auch über Domitians Regierungszeit hinaus von anderen Herrschern benutzt worden ist. Die verwirklichten Bauvorhaben, die im öffentlichen Raum entstanden, hatten dabei stets die Absicht, den Kaiser in der Nachwelt zu repräsentieren und somit sein Erinnerungsbild langwirkend aufrechtzuerhalten. Außerdem versuchte er durch die Errichtung von vielen „repräsentativen Funktionsbauten“ für Feiern und Spiele, das Volk von seiner Herrschaft zu überzeugen. Das belegen unter anderem die Errichtung des monumentalen Stadions auf dem Marsfeld, das Odeon oder die Naumachie. Verhältnis zum Senat Den Senat brachte Domitian nicht lange nach seinem Herrschaftsantritt gegen sich auf, weil er ihn kaum noch zu Rate zog und sich angeblich von seinem Umfeld als dominus et deus („Herr und Gott“) anreden ließ. Nicht anders als seine Vorgänger auch, richtete Domitian ein consilium principis ein, eine Art informellen Kronrat. Allerdings nahmen an diesem Rat auch Ritter teil, was den Senat teils brüskierte, insbesondere dann, wenn der Kaiser von den besten Männern aus beiden Ständen sprach, die sich um ihn versammelt hätten. Darüber hinaus gerieten die wenigen Treffen des consilium in der Villa des Princeps in den Albaner Bergen – und nicht in Rom – in den Ruf der Heimlichtuerei und der bewussten Abgrenzung. Wie vermutlich unter Tiberius auch, setzte Domitian einen ehemaligen Quästor ein, der sich um die Belange des Senats kümmern und diesen betreuen sollte. Ähnlich wie vor ihm Caligula und nach ihm Commodus brach Domitian damit die Spielregeln des Prinzipats, denen zufolge der Kaiser zwar faktisch alle Macht in Händen hielt, nach außen aber die Rolle von Volk und Senat in Ehren zu halten hatte. Domitian scheint diese seit Augustus übliche Fassade zumindest in der zweiten Hälfte seiner Regierung immer weniger gepflegt zu haben und brüskierte durch die Offenlegung der tatsächlichen Machtverhältnisse den Senat immer mehr. 85 übernahm er schließlich noch das Amt des Zensors auf Lebenszeit und damit das Recht, Senatoren zu ernennen und zu entlassen. Als einziger Kaiser führte Domitian offiziell den Titel eines censor perpetuus. Allerdings nahm Domitian für sich nicht in Anspruch, selbst ein Gott zu sein, und er forderte für sich selbst keine göttliche Verehrung, vielmehr sah er sich unter göttlichem Schutz stehend. Domitians autokratische Herrschaft führte zum Widerstand senatorischer Kreise sowie einiger Philosophen, die gegen den Prinzipat Stellung bezogen. Die Feindseligkeit dieser Kreise, die in den Plinius-Briefen bezeugt ist, trug entscheidend dazu bei, das Bild Domitians nach seinem Tod zu verdunkeln. Heute gehen daher die meisten Althistoriker davon aus, der Kaiser sei in der Innen- und Außenpolitik weitaus erfolgreicher gewesen, als es die Quellen suggerieren. Die Forschung sieht Domitians Umgang mit dem Senat differenzierter. Er wählte Amtsinhaber, insbesondere militärische, nach ihrer Fähigkeit aus und nicht nach ihrer Ahnenliste. Dies wirkte sich unmittelbar auf die Aufstiegsmöglichkeiten der senatorischen Elite aus. Domitian entschied sich auch für Kommandanten aus dem Ritterstand, wie zum Beispiel Iulius Ursus oder Cornelius Fuscus, während er patrizische Legaten abberief oder nicht wie erwartet beförderte. Dennoch suchte der Princeps die Unterstützung des Senats und hinderte fähige Senatoren nicht an ihrer Karriere. Als die Chatten im Winter 88/89 n. Chr. den obergermanischen Statthalter Lucius Antonius Saturninus gegen Domitian unterstützen wollten, reagierte Domitian nach Niederschlagung der Revolte auf dieses Angebot mit einem Kriegszug gegen sie. Es ist bezeichnend, dass die Revolte sehr rasch zusammenbrach, was dafür spricht, dass der Kaiser auch weiterhin die Unterstützung der Armee und ihrer Kommandeure besaß. Mehrere Senatoren ließ Domitian hinrichten, andere schickte er in die Verbannung und beschlagnahmte ihr Eigentum. In den meisten Fällen war die Begründung für die Maßnahmen entweder Anstiftung zum Umsturz oder Beleidigung des Herrschers und des Herrscherhauses. Die durchweg summarische Beschreibung des „Terrors“ von Domitian gerade bei Sueton deutet auf eine Vielzahl von Ermordungen und Exilierungen hin, allerdings werden nur 14 Senatoren namentlich genannt. Für Claudius hingegen sind 35 Hinrichtungen von Senatoren und über 300 von Rittern überliefert. Wie die meisten römischen Kaiser förderte Domitian Kunst und Künstler und war unter anderem Mäzen der Dichter Statius und Martial. Auffallend häufig wurde die Minerva auf den Rückseiten seiner Münzen abgebildet. Aktivitäten in Germanien Unter Domitian begann die Phase einer erneuten römischen Expansion rechts des Rheins im Bereich der obergermanischen Heeresgruppe. Als ein Krieg in Germanien unausweichlich schien, entschied der Kaiser nach einer Ratssitzung, unter dem Vorwand eines Zensus in Gallien im Jahre 83 über den Rhein zu marschieren. Vermutlich im Frühjahr 83 begann der Krieg gegen die Chatten, dessen Ziel die Schwächung der Chatten als des letzten größeren Unruheherds in Rheinnähe war. Domitian stieß tief bis in das chattische Kernland vor, also weit ins heutige Hessen. Im Herbst wurde der Kriegszug in Germanien gegen die Chatten zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Dabei gelang die Unterwerfung des Gebiets zwischen Taunus, Lahn und Main (Wetterau). Domitian begann schließlich mit der Errichtung des Limes, des römischen Grenzwalles zwischen Rhein und Donau. Außerdem nahm Domitian zwischen Juni und August 83 den Siegerbeinamen Germanicus an. Dies war nach Vitellius das zweite Mal, dass ein Prinzeps diesen nicht vererbt bekommen hatte, sondern durch eigene militärische Leistungen für sich beanspruchte. Am Ende des Jahres 83 feierte er den Triumph in Rom und bekam weitere Ehrungen durch den Senat verliehen. Hierzu zählen vor allem, vor dem Senat im Triumphgewand erscheinen zu dürfen und von 24 Liktoren begleitet zu werden. Außerdem wurde der Oktober in Domitianus umbenannt. Nach einem erneuten Chattenkrieg im Jahre 85 gelang es Domitian, den Erfolg im Chattenland durch die Einrichtung der Taunuskastelle und Dislozierung von Truppen zu festigen; die Bereiche des ober- und niedergermanischen Heeres wurden in zwei ordentliche Provinzen umgewandelt. Der Chattenkrieg stellte für längere Zeit die letzte große militärische Machtdemonstration im rechtsrheinischen Germanien dar. Manches spricht dafür, dass die Domitian feindlich gesinnte Überlieferung den Erfolg dieser Operationen kleinredet; tatsächlich blieb die Grenze zum freien Germanien in der Folgezeit fast 100 Jahre lang weitgehend friedlich. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Domitian seine Ziele in diesem Raum nicht erreicht hat. Domitian erklärte so das seit Augustus ungelöste Germanienproblem durch die offizielle Gründung der beiden Provinzen Germania superior („Obergermanien“) und Germania inferior („Niedergermanien“) für beendet. Noch im Jahre 82 war in offiziellen Dokumenten nur von der Germania die Rede gewesen. Kurz darauf tauchen die ersten Inschriften auf, die von duae Germaniae sprechen. Tilmann Bechert nimmt daher an, dass Germania inferior etwa in den Jahren 83/84 seine lex provinciae erhalten hat, die alle Fragen der Gerichtsbarkeit, Steuergesetzgebung und Verwaltung in der Provinz gesetzlich und endgültig regelte. Anhand von Militärdiplomen scheint die offizielle Einrichtung der beiden Provinzen hingegen auf die Zeit zwischen 82 und 90 datierbar zu sein. Die exakte Amtsbezeichnung des niedergermanischen Statthalters lautete jetzt: legatus Augusti pro praetore Germaniae inferioris (vorher: legatus Augusti pro praetore exercitus Germanici inferioris). Seit dem Ende der 80er Jahre wurden aus den Legaten der germanischen Heere konsularische Statthalter der beiden schmalen Grenzprovinzen Ober- und Niedergermanien. Im Rang und in ihrer Laufbahn standen sie etwa zwischen den Statthaltern der beiden moesischen und denen der großen, mit drei Legionen besetzten Provinzen wie Britannien, wohin der militärische und politische Aufstieg die Statthalter der germanischen Provinzen häufig führte. Zensus und Finanzverwaltung und damit das gesamte Steuerwesen unterstanden weiterhin dem Prokurator von Gallien (Sitz: Augusta Treverorum). Die Hauptstädte der beiden Provinzen und Sitze der Statthalter blieben in Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln) und Mogontiacum (Mainz), wo sich das Oberkommando der beiden Heere befunden hatte. Domitian und seine Berater hatten schnell erkannt, dass der Wert der vertraglichen Beziehungen zu den germanischen Stammeseliten bei ausreichender Stärke der römischen Grenztruppen nicht hoch einzustufen war. Ein aktives Eingreifen in innergermanische Konflikte im Sinne einer Schutzmacht stand nie zur Diskussion. Als die Cherusker ein Jahr nach dem Chattenkrieg Domitians von diesen bedrängt Rom um Hilfe baten, erhielten sie keine militärische, sondern finanzielle Unterstützung. Danach fanden nahezu keine erkennbaren diplomatischen Aktivitäten jenseits des Limes statt. In der außen- und militärpolitischen Praxis könnte Tiberius ein Vorbild für Domitian gewesen sein. Dieser setzte die Politik, die ihm in Senatskreisen größte Vorwürfe einbrachte, fort: Er führte nur dann Kriege, wenn sie unumgänglich waren, und verstärkte ansonsten die Grenzsicherung. Domitian wollte, wie sein Vater und sein Bruder, militärische Erfolge vorweisen. Daker- und Pannonische Kriege Die Feldzüge gegen die Chatten brachten reiche Beute ein und führten zu kleineren Gebietsgewinnen für die Römer; sie mussten abgebrochen werden, da die Legionen an der Donau benötigt wurden. Mitte 85 drangen starke dakische Kriegerverbände des Stammesfürsten Diurpaneus von Nordosten in die römische Provinz Moesien ein und trafen die Römer völlig unvorbereitet. Der Statthalter Gaius Oppius Sabinus fiel während der gescheiterten Abwehrkämpfe, die Daker plünderten und brandschatzten viele Siedlungen und Kastelle. Der Kaiser ordnete eine Verlegung von Legionen aus allen Teilen des Reiches an und begab sich selbst mit seinen Prätorianern unter dem Befehl von Cornelius Fuscus an die moesische Front. Auf dem Marsch von Rom aus verstärkte Domitian seine Truppen aus Pannonien und Dalmatien. Das Oberkommando führte der Kaiser, den Oberbefehl erhielt Fuscus, ihm beigeordnet waren die Legaten Marcus Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus und Lucius Funisulanus Vettonianus. Mit zwei erfolgreichen Expeditionen konnte Diurpaneus über die Donau zurückgetrieben werden, Domitian erhielt drei imperatorische Akklamationen und kehrte nach Rom zurück, wo er seinen ersten Dakertriumph feierte. Fuscus blieb als Oberbefehlshaber in Moesien, reorganisierte die Provinz und das Heer und bereitete den Rachefeldzug gegen die Daker vor. Mitte 86 überschritt er die Donau, stellte Diurpaneus und verlor in der ersten Schlacht, die ihn das Leben kostete, fast die gesamte Expeditionsarmee. Diese zweite Niederlage innerhalb kurzer Zeit hätte Domitian neben dem außenpolitischen Schaden auch innenpolitisch in Bedrängnis bringen können, sodass er erneut nach Moesien aufbrach und Truppen verlegte. Eine Konsequenz der Verlegung war die Aufgabe und Schleifung des schottischen Legionslagers Inchtuthil und damit die Beschränkung des römischen Gebietes auf die Gebiete südlich des Forth-Clyde-Kanals. Bis Ende 86 schlug Cornelius Nigrinus als neuer Oberbefehlshaber mindestens zwei erfolgreiche Schlachten gegen die Daker und in erster Linie Diurpaneus. Im Spätherbst 86 kehrte Domitian nach Rom zurück und verzichtete auf einen Triumph. Nach dem Ausfall von Diurpaneus wurde Decebalus zum Führer der dakischen Stämme. Bisher hatte er sich neutral verhalten und dem Kaiser bei beiden Aufenthalten in Moesien seine Neutralität versichert und vermutlich ein Bündnis angeboten. Nun verband er sich mit den in der Walachei sitzenden sarmatischen Panzerreitern der Roxolanen. Domitian reagierte mit Truppenverlegungen und Reorganisation. Die schon im Herbst 86 durchgeführte Trennung der römischen Provinz in Moesia superior (Obermösien) und Moesia inferior (Niedermösien) zeugt davon, dass der Kaiser eine systematische Befriedung der Daker plante, die er nun umsetzte. Während Cornelius Nigrinus in Moesia Inferior die Ordnung hielt und die römische Position ausbaute, griff Lucius Tettius Iulianus von Moesia superior aus im Jahr 88 Sarmizegetusa, das dakische Machtzentrum in den Westkarpaten, an. Nach Verlusten mussten die Römer sich zurückziehen und überwinterten in Obermoesien. Nach der Schlacht von Tapae, die für Decebalus mit einer Niederlage endete, bot dieser Domitian einen Friedensschluss an, den der Kaiser aber ablehnte. Stattdessen sollten die Legionen von Mainz und Britannien aus verstärkt werden, was sich aufgrund des Saturninusaufstandes verzögerte. Im Sommer 89 startete die zweite Strafexpedition gegen Decebalus und Sarmizegetusa, die sich zuerst gegen die Markomannen richtete, deren Bündnisangebot Domitian abgelehnt hatte. Der Widerstand war jedoch so groß, dass die Römer sich über die Donau zurückziehen mussten. Als Folge des Angriffs und der römischen Niederlage traten die Quaden und Jazygen in den Krieg ein und bildeten eine bedrohliche pannonische Allianz gegen die Römer. Der Kaiser änderte nach Beratungen seine Strategie: Er nahm Friedensverhandlungen mit Decebalus auf. Der Dakerkönig unterwarf sich Rom, Domitian selbst reiste in das dakische Hinterland, wo der Bruder des Königs, Diegis, zum römischen Klientelfürsten gekrönt wurde. Decebalus erhielt zivile und militärische Unterstützung sowie Subsidienzahlungen, die wirtschaftlichen Beziehungen prosperierten in der Folgezeit. Die nicht unüblichen Zahlungen an die Daker waren einer der Gründe für den Feldzug Trajans gegen die Daker. Domitian erhielt drei imperatorische Akklamationen und feierte bei seiner Rückkehr im Herbst 89 einen Triumph. Im Jahr 92 war Domitian erneut an der östlichen Donaufront, um die Einfälle der sarmatischen Jazygen niederzuschlagen, die zuvor bei Brigetio eine Legion – möglicherweise die Legio XXI Rapax – vernichtet hatten. Dieser Sarmatenkrieg wurde anschließend von dem Dichter Arruntius Stella verherrlicht. Britannien In Britannien gelang es Domitian mit Hilfe des Statthalters Gnaeus Iulius Agricola, dem Schwiegervater des Geschichtsschreibers Tacitus, den römischen Machtbereich bis zur Grenze des schottischen Hochlandes zu erweitern. Im Jahr 83 oder 84 überschritt Agricola auf Anweisung des Kaisers den Firth of Clyde, um die schottischen Gebiete endgültig zu befrieden. Die Gegenwehr der Kaledonen unter ihrem Führer Calgacus war massiv, sodass Agricola sieben Feldzüge führen musste. Die letzte Schlacht fand am mons Graupius statt, die Kaledonen flohen und Rom stand der Weg nach Norden offen. Ein römischer Flottenverband umsegelte Schottland und nahm die Unterwerfung der Orkneyinseln entgegen. Kurz nach den Erfolgen in Britannien ließ Domitian die Truppen verlegen. Agricolas erzwungenen Abzug und die damit verbundene Aufgabe Schottlands und Konsolidierung des römischen Machtbereichs begründet Tacitus mit dem Neid und schlechten Wesen Domitians. Tatsächlich hatte der Kaiser aufgrund der Lage in Pannonien gute Gründe, diese Front stillzulegen und die Legionen zu verlegen, er ließ Agricola vom Senat mit Triumphinsignien und einer Statue ehren. Bis 86 wurde das gerade erst aufgebaute Legionslager Inchtuthil wieder geschleift, die Truppen zogen sich in die Nähe des späteren Hadrianswalls zurück. Agricolas Nachfolger als Legat in Britannien wurde Sallustius Lucullus, den Domitian vermutlich 96 hinrichten ließ. Der Rückzug sicherte die schottische Front und sorgte für Ruhe im Norden; unter Trajan wurde die Grenzlinie noch weiter nach Süden gelegt. Tod und Reaktionen Die Ermordung Domitians geschah aus dem inneren Kreis am Hof und aus persönlichen Motiven heraus. Als Gründe für den Mord werden, neben dem tyrannischen und angespannten Verhalten, das zunehmende Misstrauen Domitians genannt, das in der Ermordung des Sekretärs Epaphrodites mündete und bei den Palastarbeitern Domitians starke Unsicherheiten erzeugte. Unter anderem wird angeführt, dass er seinen Cousin Titus Flavius Sabinus, den Mann seiner Nichte Iulia, der Tochter des Titus, aus ebenso marginalen Gründen hinrichten ließ wie seinen Vetter Clemens, den Vater der designierten Thronerben Vespasian und Domitian des Jüngeren. Das auslösende Moment für die Verschwörer soll die Ermordung von Epaphroditos gewesen sein, die die engsten Mitarbeiter Domitians auch um ihr Leben fürchten ließ. Domitian wurde schließlich am 18. September 96 in seinem Palast in Rom „hinterlistig ermordet“. Umstritten ist, wer genau zur Gruppe dazugehörte und wer eingeweiht war. Fest steht, dass Stephanus, der Prokurator von Domitians Nichte Domitilla, sowie Maximus, ein Freigelassener von Domitians Kammerdiener Parthenios, die Tat ausführten; Stephanus drohte eine Anklage wegen Unterschlagung. Die weitere Besetzung differiert, es sollen rangniedrige Soldaten, weitere Freigelassene und Kammerdiener sowie Gladiatoren beteiligt gewesen sein. Ob Domitians Frau Domitia Longina treibende Kraft war, ob Nerva zumindest Kenntnis hatte und ob die Prätorianerpräfekten die Verschwörung billigten, lässt sich nicht sagen. Stephanus hatte bereits einige Tage zuvor einen Arm verbunden und eine Verletzung vorgetäuscht, um in den Binden einen Dolch verstecken zu können. Der Kaiser starb unter starker Gegenwehr, die Täter wurden noch vor Ort von den Wachen getötet. Domitians vollständige Titulatur zum Zeitpunkt seines Todes lautete Imperator Caesar divi Vespasiani filius Domitianus Augustus Germanicus, Pontifex maximus, Tribuniciae potestatis XVI, Imperator XXIII, Consul XVII, Censor perpetuus, Pater patriae. Sein Nachfolger wurde der langjährige Senator Nerva. Er war als Übergangskandidat zum einen aus dem flavischen Kreis und so für die Prätorianer und besonders den Senat tragbar, zum anderen war von ihm als kinderlosem, älteren Mann keine lange Regierungszeit zu erwarten. Seine Position war jedoch gefährdet, da Domitian bei Armee und Volk sehr beliebt gewesen war. Sueton beschreibt die Freude der Senatoren über Domitians Tod. Sie sollen sogar den Leichnam Domitians beschimpft und seine Ehrenbilder und Symbole zerstört haben. Dennoch basiert die Ermordung Domitians wahrscheinlich nicht ausschließlich auf politischen Motiven. Vielmehr wird ein Palastkomplott, der aus den persönlichen Ängsten der Palastarbeiter heraus entstand, vermutet. Während das Volk mit Gleichgültigkeit reagiert haben soll, zeigten sich die Soldaten emotional und versuchten Domitian öffentlich als den „Göttlichen“ zu verehren. Doch der Senat billigte die Tat, das Andenken Domitians fiel der damnatio memoriae anheim. Domitian blieben die üblichen Ehrungen nach seinem Tod versagt, seine Asche musste sogar von seiner Amme heimlich in den flavischen Tempel gebracht werden. Es fand lediglich eine Leichenfeier auf ihrem Anwesen statt. Die Dynastie der Flavier endete mit ihm. Domitianbild Antike Autoren Zu den relevantesten antiken Autoren der frühen römischen Kaiserzeit gehören Sueton und Tacitus. Sueton schrieb seine Kaiserviten allgemein aus der Perspektive der römischen Nobilität und steht dem dynastischen Kaisertum entsprechend negativ gegenüber. Dies ist auch im Falle Domitians ersichtlich. Auf der einen Seite schildert Sueton mehrere militärische Erfolge Domitians, negativiert diese aber, indem er ihm Sittenverfall oder Glück als Grund für seinen Erfolg unterstellt. Zu Beginn der Herrschaft zählt Sueton noch positive Charaktereigenschaften Domitians auf, darunter Uneigennützigkeit, Milde und umsichtige Rechtsprechungen. Dieses verändert sich allerdings im Laufe seiner Herrschaft. Die Beschreibungen aufwendiger Spiele, exzentrischen Auftretens und häufiger Sittenbrüche zeichnen ein Bild, das an die typischen Tyrannenbilder von Nero und Caligula erinnert. Sueton führt das tyrannische Verhalten auf charakterliche Schlechtheit zurück, die Domitian in Kombination mit Furcht und angeblichem Mangel gierig und grausam gemacht haben sollen. Die Grundlagen für diese Entwicklung wurden nach Suetons Meinung in der Kindheit des letzten flavischen Herrschers gelegt. Es wird ein Aufwachsen in „entehrender Armut“ und inzestuöses Verhalten unter Anleitung römischer Amtsträger beschrieben. Das Verhalten Domitians während der Herrschaftszeiten Vespasians und Titus‘ ist maßgeblich von Willkür und Bosheit gezeichnet. Er soll im Schatten seines Bruders oft versucht haben, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um die gleiche Anerkennung wie sein beliebter Bruder zu erhalten. Neben seiner Charakterisierung als Tyrann wird Domitian auch für seine Auswahl von Mitstreitern und politischen Akteuren kritisiert, die nicht den typischen senatorischen Vorstellungen entsprach. Insgesamt fällt das Domitianbild Suetons – trotz der militärischen und politischen Erfolge – aufgrund des unsittlichen Auftretens und der gewaltsamen Umgangsformen negativ aus. Tacitus schrieb in seinen Historien in 12 oder 14 Büchern in erzählerisch ausgearbeiteter Form über die politischen und militärischen Geschehnisse in- und außerhalb Roms. Die Schrift erstreckt sich lediglich bis zum Jahre 70 n. Chr., also 11 Jahre vor Domitians Herrschaftsantritt. Bei den wenigen erhaltenen Schriften, die Tacitus über Domitian schrieb, muss beachtet werden, dass Tacitus sich zwar nach eigener Aussage ein Objektivitätsgebot auflegt, aber dennoch maßgeblich von den Bedingungen seiner Schaffenszeit beeinflusst worden ist. So sieht er sich zum einen von der flavischen Dynastie gefördert und zum anderen als Anhänger des „göttlichen Nerva“ und Trajans. Außerdem stellt die mögliche Feindschaft zwischen seinem Stiefvater Agricola und Domitian ein Problem für das anfängliche Objektivitätsgebot dar. Anhand der wenigen Aussagen Tacitus‘ lässt sich ein ähnlich schlechtes Domitianbild vermuten. Tacitus beschreibt Domitian unter anderem als anspruchslosen Redner, ungestümen und hemmungslosen Feldherrn und „Brausekopf“. Außerdem spricht er Domitian und seinen eigens gewählten Beratern und Mitstreitern allgemeines Misstrauen aus. Des Weiteren unterstellt er Domitian, dass sich dieser den „Hurereien und Ehebrüchen“ widme, anstatt Interesse für die staatlichen Geschäfte aufzubringen. Plinius minor belegt Domitian mit ähnlichen Eigenschaften wie Sueton und Tacitus. Er schreibt primär zum Zweck der Verherrlichung Trajans und nutzt dabei Domitian als Negativbeispiel. In seinem Panegyricus dichtet Plinius Verdienste Domitians Trajan zu. Im vierten Buch seiner Satiren stellt Iuvenal die Parodie einer Sitzung von Domitians consilium dar. Dabei gilt die Parodie sowohl Domitian selbst als auch seinen Mitstreitern und Beratern. Ihnen wird politisches Desinteresse und Unfähigkeit vorgeworfen und sie werden als elitär und verwöhnt dargestellt. Das Domitianbild Cassius Dios ähnelt der drastisch negativen Darstellung Neros und Caligulas, indem es sich auf die Persönlichkeiten und Lebensläufe fokussiert, um so ein Bild eines Tyrannen zu zeichnen. Rezeption Mittelalter Die mittelalterliche Rezeption Domitians baute zu großen Teilen auf dem Verständnis der antiken Autoren auf. Tertullian nannte ihn einen „halben Nero“ und stellte so einen gedanklichen Zusammenhang zwischen dem Namen Domitians und der Christenverfolgung her. Dadurch wurde Domitian in der christlichen Scholastik zu einem weitestgehend verhassten Symbol. Laktanz beschreibt einen Verstoß gegen Gottes Willen als Grund für Domitians Fall. Bemerkenswert an seinem Domitianbild, welches insgesamt negativ ausfällt, ist auch das Anerkennen einer stabilen Herrschaft. Die mittelalterliche christliche Scholastik zeichnet demnach ein insgesamt drastisches Bild von Domitian als Christenverfolger und Tyrann. Dieses basiert allerdings nicht auf dem modernen geschichtswissenschaftlichen Verständnis, weil unter Domitian keine systematische Christenverfolgung stattfand, sondern lediglich von der Zurückdrängung von Christen als Nebeneffekt der Durchsetzung von Domitians Herrschaftsansprüchen geredet wird. Moderne Die moderne Domitianforschung wird in ihren Anfängen maßgeblich von Stéphane Gsell und seinem 1894 veröffentlichten Essai sur le règne de l’empereur Domitien geprägt, wobei er ohne Kommentierung oder historische Einordnung die Aussagen und Charakterisierungen Suetons und Tacitus wiedergibt. Er schreibt ihm einen von Natur aus schlechten sowie einen hochmütigen, eifersüchtigen und menschenfeindlichen Charakter zu. Die Auffassungen Gsells blieben für eine lange Zeit die Grundlage für die moderne Domitianforschung. Alfred von Domaszewski fällt 1909 ein ebenfalls lediglich charakterbezogenes Urteil zu Domitian; er nennt ihn einen Tyrannen und setzt ihn in eine Reihe mit dem unbeliebten Tiberius. Alfred Heuß kommt 1964 in einer knappen und differenzierteren Beurteilung Domitians ohne den Tyrannenbegriff aus und spricht ihm neben Tatkräftigkeit und Ehrgeiz allgemeines politisches Geschick zu. Durch die eigene göttliche Selbstdarstellung und seine Nähe zum Hellenistischen habe er sich in eine assoziative Nähe zu Nero und Caligula begeben. Rainald Goetz beklagt 1978 den unzulänglichen Forschungsstand zu Domitian und forderte eine Domitianforschung, die nicht auf Gsells Aussagen aufbaut. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgen viele psychologische Interpretationen Domitians unter anderem durch Hermann Bengtson, Pat Southern und Christian Witschel. Bei diesen Ansätzen wird oftmals die von Sueton dargestellte, mittlerweile aber umstrittene, tragische Kindheit Domitians als Ausgangspunkt für eine psychologische Analyse genutzt, die oftmals zu einer Einschätzung als psychisch gestört führen. Diese Ansätze werden teilweise als zu spekulativ kritisiert und folgen der von Sueton gesetzten Tradition den Fokus auf den Charakter des Herrschers zu legen, gegenüber seinen politischen und militärischen Fähigkeiten. Des Weiteren existieren wissenschaftliche Behandlungen Domitians, die sich eines eindeutigen Urteils enthalten, wie durch Christiana Urner, die 1993 eine kritische Prüfung der Quellen zu Domitian fordert. Die Revision sowie Ausdifferenzierung des Domitianbildes wird 1992 maßgeblich durch Brian W. Jones angestoßen und beeinflusst. Er spricht Domitian enorme herrschaftliche Fertigkeit und Fähigkeiten zu und mutmaßt, er habe sich durch verfehlte Kommunikation mit der römischen Nobilität ein Bein gestellt, etwa durch die von Sueton beschriebenen Sittenverstöße, Exzentrik und Umgebung mit eigenen Vertrauten. Die Forschung betont mittlerweile oftmals Domitians kriegerische Erfolge und vermutete politische Kompetenzen. Quellen Flavius Josephus: De bello Iudaico. Griechisch/deutsch. Hrsg. und mit einer Einleitung sowie mit Anmerkungen versehen von Otto Michel und Otto Bauernfeind. 3 Bände, 1959–1969, Josephus’ Jüdischer Krieg (englische Übersetzung) Juvenal: Satiren. Lateinisch-Deutsch. Hrsg. von Joachim Adamietz. Artemis & Winkler, München und Zürich 1993, ISBN 3-7608-1671-1. Laktanz: Über die Todesarten der Verfolger (lateinischer Text, deutsche Übersetzung in der Bibliothek der Kirchenväter). Sueton: Domitian. Ausführlichste antike Biographie aus der Sammlung der Kaiserbiographien von Caesar bis Domitian. Zahlreiche Ausgaben, beispielsweise mit deutscher Übersetzung in: Gaius Suetonius Tranquillus: Sämtliche erhaltene Werke. Magnus, Essen 2004, ISBN 3-88400-071-3 (lateinischer Text, englische Übersetzung). Tacitus: Historiae/Historien. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und Herausgegeben von Helmuth Vretska. Stuttgart 1984, ISBN 3-15-002721-7, Buch 1–2 (englische Übersetzung online). Tertullian: Apologetikum. Übersetzt von K. A. Heinrich Keller (lateinischer Text, deutsche Übersetzung). Literatur Sekundärliteratur Überblickswerke Hermann Bengtson: Die Flavier. Vespasian, Titus, Domitian. Geschichte eines römischen Kaiserhauses. C. H. Beck, München 1979, ISBN 3-406-04018-7 (Darstellung, die in Inhalt und Quellenkritik höchst umstritten ist). Karl Christ: Geschichte der Römischen Kaiserzeit. 6. Auflage mit aktualisierter Bibliographie. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-59613-1. Miriam Griffin: The Flavians. In: Alan K. Bowman, Peter Garnsey, Dominic Rathbone (Hrsg.): The Cambridge Ancient History. 2. Auflage. Band 11: The High Empire, A. D. 70–192. Cambridge University Press, Cambridge 2000, ISBN 0-521-26335-2, S. 1–83. Stefan Pfeiffer: Die Zeit der Flavier. Vespasian, Titus, Domitian. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009, ISBN 978-3-534-20894-4 (Rezension). Christian Witschel: Domitian. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian. 4., aktualisierte Auflage. C. H. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-60911-4, S. 98–110. Andrew Zissos (Hrsg.): A Companion to the Flavian Age of Imperial Rome. Wiley, Chichester/Malden 2016, ISBN 978-1-4443-3600-9 (Rezension). Darstellungen Sophia Bönisch-Meyer, Lisa S. Cordes, Verena Schulz, Anne Wolsfeld, Martin Ziegert (Hrsg.): Nero und Domitian. Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich (= Classica Monacensia. Band 46). Narr Francke Attempto, Tübingen 2014, ISBN 978-3-8233-6813-7. Lisa Cordes: Kaiser und Tyrann. Die Kodierung und Umkodierung der Herrscherrepräsentation Neros und Domitians (= Philologus. Supplemente. Band 8). De Gruyter, Berlin/Boston 2017, ISBN 978-3-11-054318-6. Jens Gering: Domitian, dominus et deus? Herrschafts- und Machtstrukturen im Römischen Reich zur Zeit des letzten Flaviers. Marie Leidorf, Rahden 2012, ISBN 978-3-89646-736-2 (zugleich Dissertation, Universität Osnabrück 2011; Rezension). Rainald Goetz: Freunde und Feinde des Kaisers Domitian. Eine prosopographische Untersuchung. Dissertation, Universität München 1978. Stèphane Gsell: Essai sur le règne de l’empereur Domitien. Paris 1894. Brian W. Jones: The Emperor Domitian. Routledge, London u. a. 1992, ISBN 0-415-04229-1. Brian W. Jones: Domitian and the senatorial order. A prosopographical study of Domitian’s relationship with the Senate, A. D. 81–96. American Philosophical Society, Philadelphia 1979, ISBN 0-87169-132-9. Jens Leberl: Domitian und die Dichter. Poesie als Medium der Herrschaftsdarstellung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-25253-6 (zugleich Dissertation, Universität Freiburg 2002; Digitalisat). Pat Southern: Domitian. Tragic tyrant. Routledge, London 1997, ISBN 0-415-16525-3. Karl Strobel: Die Donaukriege Domitians. Habelt, Bonn 1989, ISBN 3-7749-2368-X. Christiana Urner: Kaiser Domitian im Urteil antiker literarischer Quellen und moderner Forschung. Dissertation, Universität Augsburg 1994. Anne Wolsfeld: Die Bildnisrepräsentation des Titus und des Domitian (= Tübinger Archäologische Forschungen. Band 32). Verlag Marie Leidorf, Rahden (Westfalen) 2021, ISBN 978-3-89646-863-5. Literarische Verarbeitungen Lion Feuchtwanger: Die Josephus-Trilogie. Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 1. Bd. Der jüdische Krieg. 2002, ISBN 3-7466-5602-8, 2. Bd. Die Söhne. 2002, ISBN 3-7466-5603-6, 3. Bd. Der Tag wird kommen. 2002, ISBN 3-7466-5604-4. Gerd Trommer: Triumph der Besiegten. Kulturhistorischer Roman um Domitian. Prisma-Verlag Zenner und Gürchott, Leipzig 1983, ISBN 3-7354-0028-0. Weblinks Anmerkungen Kaiser (Rom) Herrscher (1. Jahrhundert) Censor Augur Flavier Geboren 51 Gestorben 96 Mann Titus
1076
https://de.wikipedia.org/wiki/Digitale%20Revolution
Digitale Revolution
Der Begriff Digitale Revolution bezeichnet den durch Digitaltechnik und Computer ausgelösten Umbruch, der seit Ausgang des 20. Jahrhunderts in vielen Ländern einen Wandel nahezu aller Lebensbereiche bewirkt und zu einem digital vernetzten Lebensstil (Digital Lifestyle) führt – ähnlich wie die industrielle Revolution 200 Jahre zuvor in die Industriegesellschaft führte. Deshalb ist auch von einer dritten industriellen Revolution die Rede oder in technischer Hinsicht von mikroelektronischer Revolution. Die mit der Digitalen Revolution einhergehenden Veränderungen in Wirtschafts- und Arbeitswelt, in Öffentlichkeit und Privatleben vollziehen sich in großer Geschwindigkeit überall dort, wo die materiellen Voraussetzungen für Anwendungs- und Nutzungsmöglichkeiten der fortschreitenden Digitalisierung bestehen. Neue Medien beeinflussen zunehmend Kommunikationsverhalten, Sozialisationsprozesse und Sprachkultur. Anwendungsbereiche und Entwicklungspotenziale von künstlicher Intelligenz gehören zu den Trends und offenen Zukunftsfragen der Digitalen Revolution. Zeitgeschichtliche Verortung, Entwicklungsdynamik und Trends In einer von soziologischen Gesichtspunkten bestimmten Abfolge der bisherigen Menschheitsgeschichte, die von Jägern und Sammlern über Agrargesellschaften zu Industriegesellschaften führt, stellt sich die Digitale Revolution der Gegenwart für Stengel, Looy und Wallaschkowski nach der Neolithischen Revolution und der Industriellen Revolution als dritte große Umwälzung der Menschheitsgeschichte dar. Sie schlagen vor, ihren Durchbruch mit dem Ende des kurzen 20. Jahrhundert im Jahr 1989 anzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt habe eine neue Entwicklung eingesetzt, die noch in den frühen 1980er Jahren nicht absehbar gewesen sei: „1989 entwickelten Tim Berners-Lee und Robert Cailliau am Forschungszentrum CERN in Genf das World Wide Web, ohne dessen Hypertext-Protokolle und Webbrowser das damals bereits bestehende, aber weitgehend unbekannte Internet noch für längere Zeit eine Angelegenheit vor allem für Nerds, Geeks und Universitätspersonal geblieben wäre.“ Das World Wide Web habe es Nutzern erleichtert, auf Informationen zuzugreifen, die auf weit entfernten Servern gespeichert waren. Mit der Web 2.0 bzw. Social Media genannten Erweiterung war es Nutzern ab 2003 zudem möglich, eigene Inhalte als Text-, Audio- oder Videodatei ins Netz zu stellen und auf sozialen Plattformen miteinander zu interagieren, und im Jahr 2010 überstieg die Anzahl der mit dem Internet vernetzten Geräte die der damals lebenden Menschen. Innerhalb einer Dekade, so Annahmen aus dem Jahr 2014, werde angesichts der zunehmenden Gerätevernetzung das Internet der Dinge zur Grundinfrastruktur gehören. Gegenüber den vorherigen Revolutionen in der Menschheitsgeschichte ist diese Revolution laut Stengel, Looy und Wallaschkowski vielleicht mit mehr Recht noch als die beiden vorherigen als Revolution zu bezeichnen, „ereignete sie sich doch binnen weniger Jahrzehnte und auf globaler Ebene.“ Bei Andreas Mühlichen heißt es: „Der Übergang von einer Welt des Analogen zu der Ära digitaler Computer, digitaler Datenspeicherung und digitaler Vernetzung beschreibt eine mediale und informationstechnische Zäsur, die ähnlich tiefgreifend erscheint wie der Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit.“ Der deutsche Kybernetiker Karl Steinbuch formulierte bereits 1966: „Information ist Anfang und Grundlage der Gesellschaft.“ Er prognostizierte ein System wie das Internet ebenso wie der Gordon-Helmer-Bericht von 1964 für die 1980er Jahre. Weitgehend unstrittig ist heute die Verwendung des Revolutionsbegriffs für gravierende Kontinuitätsbrüche, die nicht nur Technik und Wirtschaft berühren, sondern alle Lebensbereiche umwälzen, wie das zum Beispiel Friedrich Engels für die industrielle Revolution formulierte: eine „Revolution, die zugleich die ganze bürgerliche Gesellschaft umwandelte“. Doch während die industrielle Revolution heute im Wesentlichen durch eine lange Periode außergewöhnlichen wirtschaftlichen Wachstums definiert wird, gingen die Wachstumsraten in wichtigen OECD-Ländern und weltweit seit den 1970er Jahren und verstärkt seit 1995 zurück. Wenn man als Revolutionstreiber die weitreichenden informationstechnologischen Durchbrüche im Vorfeld und zu Beginn des 21. Jahrhunderts ansieht, wie das Manuel Castells mit seinem Begriff des informationellen Kapitalismus anregt, stellt sich die Frage, warum sich diese Revolution ausgerechnet in einer Phase stagnierender und sinkender Wachstumsraten abgespielt haben soll bzw. noch abspielt. Darauf gibt es verschiedene Antworten: Zum einen kann die Digitale Revolution in der Produktionstechnik als Versuch verstanden werden, angesichts gesättigter Massenmärkte und hoher Rohstoff- und Energiekosten (Ölpreiskrisen 1973 und 1979/80) sowie sinkender Kapitalrenditen auch in Hochlohnländern flexibler, kundenorientierter, material- und energieeffizienter und damit arbeits- und kapitalsparend zu produzieren (v. a. durch Ersetzung von mechanischer und analoger Technik mittels digitaler Technik, durch Miniaturisierung und Integration von Bauteilen, durch einen steigenden Informations- und einen sinkenden Rohstoffanteil in den Produkten usw.) und gleichzeitig rascher auf neue Bedürfnisse zu reagieren. Das ist durchaus mit einer sinkenden Investitionsquote vereinbar: Weltweit sank diese bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt von etwa 23–25 % in den 1970er Jahren auf unter 20 % nach 2008. Zum anderen werden viele Leistungen der digitalen Wirtschaft nicht vollständig in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung abgebildet, u. a. die Arbeit der Kunden, die durch Lieferung von Daten immer stärker kostenlos mitwirken (z. B. bei einer Flugbuchung, bei Umfragen oder bei der Konfiguration von Produkten). Hinzu kommen die sinkenden Distributionskosten für digitale Produkte über Netze. Alle diese Faktoren tragen zur Erhöhung der Unternehmensgewinne trotz relativ sinkender Wachstumsraten bei. Eine angebotsgetriebene Revolution Unabhängig von der Frage, wie sich die Digitale Revolution in wirtschaftlichen Kerndaten ausdrückt und ob ihr Nutzen in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung überhaupt einen Ausdruck findet, ist zu konstatieren, dass der Prozess der technologischen Transformation bisher fast exponentiell expandiert, und zwar nicht nur durch die Zunahme der Rechen-, Speicher- und Kommunikationskapazitäten, sondern „aufgrund seiner Fähigkeit, durch digitale Sprache eine Schnittstelle zwischen technologischen Bereichen zu schaffen, in der Informationen erstellt, gespeichert, aufgerufen, verarbeitet und weitergeleitet werden können.“ Die Verbindung eingebetteter Softwaresysteme zur sensorgestützten Überwachung und Steuerung der physischen Realität mit globalen digitalen Netzinfrastrukturen (dem Cyberspace) erlaubt vielfältige Applikationen und Problemlösungen mit hohem wirtschaftlichen Potential und starker Innovationskraft: Angebotsseitig entstehen immer mehr Nutzungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten von Daten, die neue Geschäftsmodelle ermöglichen, während bisherige Medien- und Technologiebrüche und damit verbundene Tätigkeiten der Datenerfassung und -transformation entfallen. Man kann daher sagen, dass die Digitale Revolution weitgehend angebots-, nicht nachfragegetrieben abläuft, weil immer mehr flexible Nutzungsmöglichkeiten von immer mehr potenziellen Anwendern „entdeckt“ und kostensenkend und profitsteigernd genutzt werden. So war durch die Existenz einer miniaturisierten, leichtgewichtigen und integrierten Steuerungstechnik, deren Entwicklung in den 1950er und 1960er Jahren vor allem von der Nachfrage des Militärs nach Raketen mit großer Nutzlast getrieben war, seit den 1970ern angesichts einer weltweiten Wachstumskrise plötzlich die Möglichkeit gegeben, arbeits- und kapitalsparende flexible Steuerungstechnologien (Speicherprogrammierbare Steuerungen) in Werkzeugmaschinen, Robotern und bei anderen zivilen Anwendungen einzusetzen. Für private Zwecke heutzutage genutzte Tabletcomputer sind hinsichtlich Speicherkapazität, Datenverarbeitungs- und übertragungsgeschwindigkeit leistungsfähiger als die bei der Mondlandung verwendeten NASA-Rechner. Die Digitalisierung von Informations- und Kommunikationsprozessen führte aber auch zu einer Informationsexplosion auf der Angebotsseite, die sich bei den Nutzern zum Teil als Informationsüberflutung niederschlägt. Vor allem die weltweiten Telekommunikations- und Informationsspeicherkapazitäten pro Kopf sind in den zwei Jahrzehnten zwischen 1986 und 2007 zwischen 23 % und 28 % pro Jahr gewachsen (zum Vergleich: Bei den jährlichen Wachstumsraten der Weltwirtschaft geht es regelmäßig um Prozentzahlen im oft niedrigen einstelligen Bereich). Es wird angenommen, dass es im Jahr 2002 das erste Mal möglich war, mehr Informationen digital als im Analogformat zu speichern, ein Anhaltspunkt für den Beginn des „Digitalen Zeitalters“. Es wird geschätzt, dass im Jahr 1993 lediglich 3 % der weltweiten Informationsspeicherkapazität digital war, 2007 bereits 94 %. Die weltweite Telekommunikationskapazität (bidirektionaler Informationsaustausch) war bereits 1986 zu 20 %, 1993 zu zwei Dritteln (68 %) und im Jahr 2000 zu 98 % digitalisiert. Die globale Broadcast- und Rundfunkkapazität hingegen (unidirektionale Informationsübermittlung) blieb demgegenüber zurück: Im Jahre 2007 waren erst 25 % digital. Die Leistungsfähigkeit der Computerchips wächst in der dem mooreschen Gesetz entsprechenden Weise immer schneller, indem die vorgenommenen Verbesserungen sich vervielfachen und die Leistungsfähigkeit der Technologie sich etwa alle zwei Jahre verdoppelt. Binnen 40 Jahren ist die Leistung von Mikroprozessoren, so Jaron Lanier, millionenfach erhöht worden. „Niemand weiß, wie lange sich dieser Prozess fortsetzen lässt.“ Im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium arbeitet unterdessen die gleichfalls digital basierte Forschung zur künstlichen Intelligenz, deren Anwendungsbereiche sich unter anderem bereits auf Handschriften- und Gesichtserkennung, auf Spracherkennung und Sprachassistenz erstrecken. Welche Formen und Spielarten künstlicher Intelligenz weiterhin realisiert werden, bleibt eine der offenen Zukunftsfragen wissenschaftlicher Forschung und menschlicher Existenz. Allerdings erlebt der Mensch heute erstmals das Ausmaß und die Bedeutung des technischen Fortschritts selbst zu seinen eigenen Lebzeiten in dramatischer Form – man denke nur an die verschiedenen Formen der Speicherung und Wiedergabe von Musik seit 1970, die zur Obsoleszenz mehrerer Mediengenerationen führten. Technische Aspekte Grundlage der Digitalen Revolution ist der Mikrochip (integrierter Schaltkreis), der unter anderem die Einführung der flexiblen Automatisierung in der Produktion und mittels vernetzter Rechner ab den 1970er Jahren den Aufbau des Internets ermöglichte. Mit der Computerisierung einher ging der Trend, Arbeitsprozesse durch elektronische Datenverarbeitung stärker zu rationalisieren. Seit den 1980er Jahren wurden Computer nicht nur in Beruf und Forschung, sondern vermehrt auch im privaten Bereich genutzt. Grafische Benutzeroberflächen und Computermaus, fortgeschrittene Betriebssysteme, Softwareentwicklungen und Computerspiele erweiterten die Verwendungsmöglichkeiten und den Nutzerkreis der neuen Technologie, die nun auch miniaturisiert im Smartphone oder Stick-PC eingesetzt wird. Ausgangspunkt der digitalen Entwicklung waren die Turingmaschine und die ihr in den 1940er Jahren nachfolgenden Rechenmaschinen. Steuerungen in der Raumfahrt ab den 1960er Jahren wurden mit Hilfe von Rechnern überhaupt erst möglich. Ende 1969 wurden erste Taschenrechner hergestellt. Als PC wurde der Computer (Apple II) ab 1977 allgemein halbwegs erschwinglich; jedoch löste er in den Unternehmen nur sehr langsam die Großrechnertechnik bzw. die Mittlere Datentechnik ab. Einen kommerziellen Durchbruch brachte erst die Bereitstellung billiger Standardsoftware für Büroanwendungen. In den 1980er Jahren kamen das Global Positioning System (GPS), die CD, bildgebende Verfahren und Kernspintomographie hinzu, in den 1990er Jahren das Mobiltelefon, der Roboter, das Internet, die DVD und Computeranimationen, insbesondere für Simulationen und in der Filmkunst. 1996 konnte der Großrechner Deep Blue erstmals den amtierenden Schachweltmeister in einer Partie schlagen. Es folgten Digitalkamera, digitale Videokamera, Digitalfernsehen, Digitalradio, Navigationssystem, RFID, Drohnen, selbstfahrende Autos. Die mobile App ermöglichte die Digitalisierung von immer mehr Alltagsvorgängen. Dazu gehören unter anderem Kauf-, Buchungs-, Bezahl-, Reservierungs- und Bewertungsvorgänge, Hilfen bei der räumlichen Orientierung und Wegsuche sowie vielerlei Spielangebote. In den Anfängen des 21. Jahrhunderts sind Datenmaschinen – verstanden als „soziotechnische Vorrichtungen, die ein Geschehen datifizieren, also erfassen, speichern und auswerten können“ – zur „dominanten Maschinform“ aufgestiegen und durchdringen zunehmend alle Gesellschaftsbereiche. Manche Zukunftprojektion der Digitalen Revolution schließt die Erwartung einer technologischen Singularität ein, eines Entwicklungsstadiums, in dem die künstliche Intelligenz fähig wäre, von sich aus technischen Fortschritt hervorzubringen. Allerdings wird von dem Sozialwissenschaftler Peter Schadt kritisiert, dass durch eine einseitige Betonung der Technologie als Treiber die Digitalisierung in vielen – auch wissenschaftlichen – Publikationen ein „Scheinsubjekt“ aufgebaut werde, wodurch die tatsächlichen Akteure der Digitalisierung in den Hintergrund gerieten. Ökonomische Aspekte Durch die Einführung des PC sank in den 1980er und 1990er Jahren die Zugangsschwelle zum Markt für viele kleine Unternehmen. Heute spielt der Mobilfunk eine ähnliche Rolle für Kleinproduzenten in Entwicklungsländern, die durch den Netzzugang ihre Marktchancen besser ausloten können. Die Digitalisierung erleichtert die großräumige Verlagerung von Produktionsstandorten und Arbeitsplätzen im Zuge der Globalisierung. So können z. B. Farben an Textilmustern elektronisch vermessen werden und die Daten an Farbmischmaschinen an entfernten Standorten weitergegeben werden, wodurch das Hin- und Herschicken von Proben entfällt. In Konstruktionsabteilungen beispielsweise wird eine mehrere Kontinente übergreifende Arbeitsverteilung praktikabel, die auf der Basis der globalen digitalen Kommunikationsnetze eine „Rund-um-die-Uhr-Produktivität“ ermöglicht: „Dadurch, dass irgendwo auf der Welt immer ein Teil der Firma wach und am Arbeiten ist, kann jederzeit an den Produkten weitergearbeitet werden. Zuerst die in Asien oder Australien lebenden Mitarbeiter, gefolgt von den Europäern und Afrikanern, bevor dann die Kollegen in Nord- und Südamerika weitermachen.“ Beträchtlich durchgewirbelt von den mit der Digitalen Revolution verbundenen neuen Möglichkeiten präsentieren sich Banken und Finanzwelt, deren digitale Vernetzung in den 1980er Jahren begann. Immer leistungsstärkere Server gelangen seither zum Einsatz. Zu den jüngeren Entwicklungen im digitalisierten Finanzsektor zählt der umstrittene Hochfrequenzhandel auf der Basis programmierter Algorithmen, bei dem Rechnerkapazitäten und Datenübertragungsgeschwindigkeit für die Gewinnaussichten maßgeblich sind. In der durch die Digitale Revolution veränderten Wirtschaftsweise können Unternehmensgewinne zum Teil auch ohne gesamtwirtschaftliches Wachstum steigen. Das trägt wesentlich dazu bei, dass die Lohnquote seit Mitte der 1980er Jahre sinkt, da durch Verbilligung der Investitionsgüter die Schwellen für die Ersetzung von Arbeitskraft durch digitale Technologie gesunken sind. Eine Aufteilungsquote von 70 % Lohneinkommen zu 30 % Kapitaleinkommen war viele Jahre lang bis in die 1970er Jahre konstant. John Maynard Keynes sprach in diesem Zusammenhang von einem „ökonomischen Wunder“. Diese Aufteilungsregel gilt heute nicht mehr: Im Jahr 2015 betrug die weltweite Lohnquote nur noch 58 %, was begleitet ist von einer Schwächung der Angebotsposition der Arbeitnehmer. Ein Gesamtbild muss jedoch alle Sektoren der Gesellschaft in den Blick nehmen und fragen, wie deren Entwicklung mit der Digitalen Revolution verknüpft ist. Ob der von Dan Schiller geprägte Begriff des „digitalen Kapitalismus“ analytisch geeignet ist, die veränderte Funktionsweise der Gesellschaft abzubilden, wird derzeit diskutiert. Philipp Staab stellt zwei Folgen der digitalen Revolution in den Vordergrund: die Vermachtung proprietärer Märkte, die den großen Internetunternehmen „gehören“, und allgegenwärtige Zugangskontrollen zu diesen Märkten und Plattformen einschließlich der Kontrolle ihrer User. Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee von der MIT Sloan School of Management nahmen frühere optimistische Vorannahmen zu den wirtschaftlichen Folgen der Digitalisierung 2015 teilweise wieder zurück: „In den 80er Jahren geriet das Wachstum des durchschnittlichen [US-]Haushaltseinkommens ins Stottern. In den vergangenen 15 Jahren war es sogar negativ. Inflationsbereinigt verdient ein amerikanischer Privathaushalt in der Mitte der Einkommensverteilungskurve heute weniger als 1998 – selbst unter Berücksichtigung von Veränderungen der Haushaltsgröße. Auch das Beschäftigungswachstum in der Privatwirtschaft hat nachgelassen […] Dieses Phänomen bezeichnen wir als die große Abkopplung. […] Der gesamtwirtschaftliche Reichtum im Sinne von Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Produktivität setzt den Aufwärtstrend fort, während es mit dem Einkommen und den Karriereaussichten für die typischen Arbeitnehmer bergab geht. So etwas haben wir noch nie erlebt seit 30 Jahren.“ Dieser Trend gelte auch für Schweden, Finnland und Deutschland, wenn auch nicht im gleichen Maße wie in den USA. „Die Mittelschicht wird weiter schrumpfen, Wachstum werden wir ganz unten und ganz oben erleben. Brillante Manager, Unternehmer, Investoren und Schriftsteller profitieren. Yo-Yo Ma wird wohl kaum demnächst durch einen Roboter ersetzt werden, aber die Nummer 100 unter den Cellisten dieser Welt würde ich zumindest aus finanzieller Sicht nicht sein wollen.“ Die Frage nach der Entstehung und Verwendung von digitalem, allgemein verfügbaren Wissen durch freiwillige, unbezahlte Arbeit in sozialen Medien oder Wikis wirft für die marxistische Forschungstradition auch die Folgefrage auf, ob und unter welchen Voraussetzungen es sich dabei um produktive oder unproduktive Arbeit handelt, wie diese bewertet und wie diese Form der Wissensgenerierung in und außerhalb von Organisationen kontrolliert und angeleitet werden kann, um als produktiv gelten zu können. Regulatorische Aspekte Die digitale Revolution wurde wesentlich von neoliberalen Konzepten der Deregulierung vorangetrieben. Wichtige Voraussetzungen bildeten die Privatisierung der Telekommunikationsnetze und die Kommerzialisierung des Internets. Das Ziel der Deregulierung der Telekommunikation war zunächst die Beschränkung der Monopolmacht der großen Telekomkonzerne, die in Europa meist in staatlicher Hand waren und wegen ihrer den Wettbewerb verhindernden Rolle auch als Preistreiber und Hindernis der technischen Entwicklung galten. Auch in den USA wurden Netze privatisiert. 1990 wurde das von der US-Regierung finanzierte ARPAnet, das wichtigste Vorgängernetz des Internets, abgeschaltet, dafür wurden private Netzprovider und Informationsanbieter in das Internet hineingenommen. Im World Wide Web löste sich die zuvor enge Verbindung von Software und Information auf. Die Netzbetreiber waren künftig nur noch für den Transport von Daten, aber nicht mehr für den Inhalt zuständig und verantwortlich. Mit dem Web 2.0 wurde der Enduser in die Erstellung von Inhalten eingebunden, die faktisch nicht mehr kontrolliert werden konnten. Mit dieser Deregulierung war die Grundlage für den raschen Aufstieg der großen Internetkonzerne wie Google gegeben, die sich ihre eigenen Marktplätze schufen. So hatte Google im Januar 2019 mit ca. 90 Prozent einen Marktanteil bei der Internetsuche, Facebook einen Anteil von fast 70 Prozent bei den sozialen Netzwerken. Allerdings konkurrieren diese Konzerne untereinander und mit anderen nach wie vor hart um die Werbeeinnahmen, aus denen sie sich größtenteils noch finanzieren. Um die Jahrtausendwende waren damit die Voraussetzungen für die Entstehung einer digitalen Plattformökonomie erfüllt: Käufer und Verkäufer trafen sich auf Handelsplattformen wie Amazon, Suchende und Werbetreibende begegneten sich auf Suchmaschinen, Selbständige mit Auftraggebern auf Freelancer- und Projektseiten, Fahrer und Transportbedürftige auf Taxi-Plattformen, Arbeitgeber und Arbeitsuchende auf Jobbörsen usw. Je mehr Anbieter von Waren, Dienstleistungen oder Informationen sich auf einer solchen Plattform befinden, desto größer sind Auswahl, Transparenz und Preiskonkurrenz; und je mehr Kunden auf eine digitale Plattform zugreifen, desto mehr Anbieter werden vor ihr angezogen, wobei die Transaktionskosten geringer sind als auf traditionellen Märkten. Die Stärke des Modells liegt nicht mehr in der kosteneffizienten Produktion und Steigerung der Arbeitsproduktivität, als vielmehr in der Rationalisierung der Distribution von materiellen und immateriellen Gütern. Wegen steigender switching-costs wird es aber immer schwieriger für Anbieter und Kunden, die Plattform zu wechseln, d. h. die Marktplätze werden zu proprietären, quasi-monopolistischen Märkten. Natürlich gab es schon vor der Internetzeit digitale Plattformen wie etwa die elektronischen Börsenhandelssysteme, doch das Internet senkte die Zugangsschwelle auch für Privatkunden erheblich und schuf die Möglichkeit, dass die digitalen Marktplätze international rasch expandierten und nur die am schnellsten wachsenden überlebten. Die oft kritisierte demokratieschädigende Vermachtung der digitalen Netzökonomie erfolgte also über marktförmige Prozesse: Die großen Internetkonzerne werden zu Maklern, die man bei Käufen und Verkäufen kaum umgehen kann. Sie erwirtschaften ihre Profite aus dem Besitz der Märkte in Form von Provisionen. Damit verschiebt sich die Verteilung des Profits von den Produzenten hin zu den Internetunternehmen. Da die Netze fast von Anfang an grenzüberschreitend arbeiteten, entfiel ein (nationaler) juristischer und institutioneller Ordnungsrahmen, der ihre Neutralität verbürgte, z. B. hinsichtlich der Geschwindigkeit und Priorisierung der Datenübertragung, beim Hochfrequenzhandel an der Börse oder beim Ranking der gesuchten Objekte in Suchmaschinen oder im Onlinehandel, das durch intransparente Algorithmen gesteuert wird. Der Unterschied zu einer vom Lieferanten erkauften oder durch dessen Marktstellung veranlassten bevorzugten Präsentation einer Ware im Supermarktregal ist, dass diese vom Lieferanten überwacht und in der Regel rasch erkannt wird, während der Kunde meist auf andere Läden ausweichen kann. Aus diesem Modell, das Staab einen „privatisierten Merkantilismus“ nennt, fiel China von Anfang an weitgehend heraus, das zahlreiche populäre Websites wie youtube gesperrt hat und dafür Eigentwicklungen fördert, die jedoch zensiert werden. Spätestens nach der Finanzkrise 2009 und aufgrund der nachfolgenden sozialen und politischen Verwerfungen entstand insbesondere in Europa ein Unbehagen an einem weiterhin unregulierten Wachstum der Netzindustrien. Schon 2010 hatte EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia ein Verfahren gegen Google wegen Missbrauchs seiner Monopolstellung eröffnet, das von der Nachfolgerin Margrethe Vestager seit 2014 entschiedener betrieben wurde. In der Folge rückte die EU-Kommission die Plattformökonomie in den Fokus ihrer Wettbewerbspolitik auf digitalen Märkten. Ausgangspunkt waren die zahlreichen Konflikte, die entstehen, wenn Nutzer oder Geschäftspartner sich den für sie ungünstigen Geschäftspraktiken einer scheinbar übermächtigen Internetplattform ausgeliefert sehen. So kritisierte die EU-Kommission an der Google-Praxis die Bevorzugung von Links, die auf die Google-eigenen Dienste verweisen, im Vergleich zu Konkurrenzdiensten, ferner die Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material Dritter ohne deren Zustimmung, sodann Verträge, die Dritte dazu verpflichteten, (fast) alle Online-Suchanzeigen von Google zu übernehmen, und schließlich die vertragliche Einschränkung der Übertragung von Werbekampagnen auf andere Onlinesuchplattformen. Herkömmliche Monopoltheorien und die entsprechende (Kartell-)Gesetzgebung greifen wegen der großen Dynamik des Sektors oft zu kurz, weil sie auf stabilere, langfristigere Monopolsituationen ausgerichtet sind. Neuere ökonomische Theorien sprechen in diesem Zusammenhang auch von temporären Monopolen. So bestrafte Amazon Verlage, die sich weigerten, höhere Rabatte einzuräumen, kurzfristig mit verzögerter Auslieferung. Da die EU für die Handelspolitik zuständig ist, fokussiert sich die Diskussion in Deutschland vor allem auf die Einspeisung von Inhalten ins Netz, was durch einen Medienstaatsvertrag neu reguliert werden soll. Dieser Vertrag soll 2020 in Kraft treten. Er zielt auch auf Plattformen ab, die keine eigenen Inhalte herstellen, aber publizistische Angebote von Dritten aufbereiten wie Google und Facebook. Im Audiobereich könnten auch Spotify und Amazons Alexa betroffen sein. Auch scheint ein Regulierungsbedarf für Bewertungsplattformen zu bestehen, gegen die immer häufiger Klagen angestrengt wurden, wie zum Beispiel in Bezug auf Jameda, dem u. a. eine Bevorzugung der Premiumkunden unter den Ärzten vorgeworfen wurde. Insgesamt steht derzeit die Verhinderung der Diskriminierung von Privatpersonen im Fokus regulatorischer Aktivitäten in Deutschland, während die unterschiedliche Behandlung von Geschäftskunden von diesen oft klaglos hingenommen wird. Ein spezielles Thema stellt die Internetkriminalität dar. Für seinen von HP Enterprise Security gesponserten Bericht 2014 zu den Kosten der Internetkriminalität befragte das Ponemon Institute ein in einem branchenübergreifenden Sample 46 Betrieben in Deutschland. Die Umfrage ergab eine durchschnittliche Schadenhöhe von 6,1 Mio. €, mit einer Spannbreite von 425 Tsd. € bis 20,2 Mio. € pro Jahr. Phishing, Social Engineering und Web-Attacken machten mehr als 35 % der Kosten aus. Die Durchsetzung der Netzneutralität (Trennung der Netzebene von der Ebene der Anwendungen und Dienste) wird in Deutschland von der Bundesnetzagentur überwacht. Dem Schutz vor Hasskriminalität und von Persönlichkeitsrechten soll das Netzwerkdurchsetzungsgesetz von 2017 dienen. Die Fachkonferenz zum Thema „Digitalisierung und Regulierung von Netzindustrien“ des Arbeitskreises „Regulierung in Netzindustrien“ am 31. Mai 2016 markierte den Beginn einer breiteren öffentlichen Debatte, die erstmals die disruptiven Aspekte der Vernetzung in den Mittelpunkt rückte. Die internationalen Erfahrungen des Lockdowns während der COVID-19-Pandemie zeigen, dass die großen amerikanischen Tech-Konzerne Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft (die GAFAM) im Unterschied zu vielen Konzernen traditioneller Branchen von der Krise profitierten. Die GAFAM-Unternehmen, die zusammen über Bargeldreserven von rund 560 Milliarden US-Dollar (mehr als das Bruttoinlandsprodukt Schwedens) verfügen, schufen 2020 weltweit Zehntausende neuer Stellen. So verbesserte sich durch die Krise Amazons Wettbewerbsposition gegenüber dem stationären Handel sowohl in den USA als auch in Deutschland. Arbeitswelt Durch Digitalisierung und Vernetzung wird die Abgrenzung des Systems „Unternehmen“ nach außen durchlässiger. Arbeit wird dadurch innerhalb und außerhalb der formalen Grenzen der Unternehmen zunehmend austauschbar (siehe Entgrenzung der Arbeit). Der Sitz von Kontroll- und Entscheidungszentren von Unternehmen wird tendenziell frei wählbar, wobei das gewachsene System der Regulation von Arbeit teilweise obsolet wird. Telearbeit, mobile Arbeit und Plattformarbeit gewinnen zunehmend an Bedeutung. Die Digitalisierung überbrückt die Kluft zwischen technischem und sozialem System, sie dringt immer stärker in die symbolische Kommunikation im Arbeitsprozess ein, trägt aber zu deren Regelhaftigkeit und Formalisierung und damit zur Entmischung regelgebundener und kreativer Arbeit bei, ohne die Rolle der menschlichen Kreativität vollständig übernehmen zu können. Für die Menschen in den technologisch fortgeschrittenen Staaten erzeugt die Digitale Revolution neue Herausforderungen hinsichtlich der beruflichen Qualifikation und der Flexibilität im Erwerbsleben: „Der einmal erlernte Beruf ändert sich unter den Händen der Arbeitenden.“ Wer in den 1970er Jahren Informatik studiert habe oder in der Industrie ausgebildet worden sei, finde sich in einer völlig umgestalteten Arbeitswelt wieder, ebenso wie der Paketbote, Biologe oder Romanautor. „Mal ist es die Digitalisierung der Arbeitsmittel wie der programmierten CNC-Fräsen, mal der Einzug der Robotik in die Autoindustrie, dann die Vernetzung der wissenschaftlichen Gemeinschaft über den ganzen Globus hinweg oder auch der Einzug der Navigationsgeräte in die Taxen.“ Eine Studie zeigt jedoch, dass die industriellen Arbeitsplätze von Frauen in der derzeitigen Phase der Digitalisierung noch weniger betroffen sind als die der Männer. Sie scheinen als eine Art Flexibilitätspotenzial oder als ‚Lückenbüßerinnen‘ der technischen Entwicklung zu dienen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) entwickelte 2016 einen „Job-Futuromaten“, der u. a. die künftigen Automatisierungspotentiale einzelner Berufe prognostiziert. Für Bäcker wie für Anlagenmechaniker beispielsweise werden damit zwischen 91 und 100 Prozent Automatisierbarkeit vorhergesagt. „Ähnlich stark gefährdet sind laut dem Programm: Steuerfachangestellte, Buchhalter, Kassierer, Korrektoren und Gabelstaplerfahrer.“ Unter dem Eindruck der Entkopplung von Beschäftigung und Konjunkturlage befürwortet der Soziologe Claus Offe ein Bürgergeld/Grundeinkommen. 3,4 Millionen Stellen könnten in den kommenden fünf Jahren ab 2018 nach Angaben des Branchenverbands Bitkom in Deutschland allein durch die Digitalisierung wegfallen: „Angesichts von aktuell knapp 33 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten entspräche das mehr als jeder zehnten Stelle. Jedes vierte Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern sieht sich durch die Digitalisierung gar in seiner Existenz bedroht. Dies geht aus einer Umfrage des Verbands unter 500 Unternehmen quer durch alle Branchen hervor.“ Für die USA wurden 2013 verschiedene Entwicklungen wie zum Beispiel die Robotergesteuerte Prozessautomatisierung (RPA) anhand von rund 700 Berufsbildern untersucht. Demnach könnten rund 47 % der Arbeitsplätze durch die Automatisierung wegfallen. Ökologische Aspekte Die Digitale Revolution hat theoretisch das Potenzial zur Steigerung der Material- und Energieeffizienz von Produktion, Distribution und Konsum, ist aber bisher nicht nachhaltig. Effizienzgewinne in der Produktion werden durch Mehrverbrauch in der Konsumtion zunichtegemacht (sog. Reboundeffekt). An verschiedenen Beispielen werden häufiger negative als positive Aspekte diskutiert. So entstehen durch die kurzen Innovationszyklen und die damit verbundene Wegwerfmentalität (siehe Elektroschrott) erhebliche Umweltprobleme, beispielsweise auch bei der Verwendung der Metalle der Seltenen Erden. Nach Angaben des Deutschen Naturschutzrings lagern um 2018 in Tablets 40.000 Tonnen Aluminium, 30.000 Tonnen Kupfer und 11.000 Tonnen Kobalt. 2014 urteilte Eva Wolfangel, Mitarbeiterin bei Spektrum der Wissenschaft, dass derzeit an „Handys und Tablet-PCs […] nichts nachhaltig“ sei. Jedoch gäbe es Alternativen wie etwa das Fairphone. Das für die Herstellung der Lithium-Ionen-Akkus notwendige Metall Lithium hat an der Erdkruste einen Anteil von etwa 0,002 bis 0,006 % seine Gewinnung galt im Jahr 2011 wegen der stark streuenden Fundorte als schwierig. Es kann nach Schätzungen aus dem Jahr 2012 in ausreichenden Mengen gewonnen werden. Nach neueren Untersuchungen reichen die Vorkommen aus, um auch den in der Zukunft steigenden Bedarf durch die Digitalisierung zu decken. Auch könne das verwendete Lithium zu 90 % recycelt werden. Für den Rohstoff Kobalt bestehen mittlerweile ebenfalls Verfahren, um dieses zu 95 % zu recyceln. Auch der Strombedarf der Serverzentren der großen Internetfirmen ist erheblich. Google unterhält eigene Wind- und Solarparks mit einer installierten Kapazität von 2,6 Gigawatt. Das entspricht rund der Kapazität von 1000 Windrädern. Laut Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe beträgt der Energiebedarf von Rechenzentren in Deutschland etwa 10 bis 15 Terawattstunden, was etwa den CO2-Emissionen des Flugverkehrs in Deutschland entspricht. Auswirkungen auf Gesellschaft und Individuen Neben Wirtschafts- und Arbeitsleben unterliegen auch viele andere Bereiche des privaten, sozialen und öffentlichen Lebens den von der Digitalen Revolution hervorgerufenen Veränderungen und Folgewirkungen. Dies betrifft zwischenmenschliche Interaktionsformen ebenso wie zum Beispiel Mediennutzung, Bildungswesen und wissenschaftliches Forschen. Herkunftsbezogene und familiäre Orientierungspunkte, die über die individuelle Lebenszeit hinaus einen verlässlichen Rahmen bilden, schwinden für viele Menschen im globalisierten und digitalisierten Alltag. Dieser Auflösungszustand, so Zygmunt Baumann, werde durch Konsum als „Kitt“ gefüllt. Gleichzeitig unterstütze die Digitalisierung das Streben nach persönlicher Autonomie und die Entwicklung abgehobener Eliten. Datenpreisgabe und Informationsnutzung Das Internet versetzt alle mit einem anschlussfähigen Gerät Ausgestatteten in die Lage, nahezu überall auf der Welt jederzeit Informationen aller Art abzurufen, zu vergleichen oder eigene Impulse und Beiträge zu versenden. Das in pluralistischen politischen Systemen verfassungsrechtlich verbürgte Grundrecht auf Informations- und Meinungsfreiheit wird – so gesehen – in der Digitalen Revolution auf ein erweitertes Fundament gestellt. Insbesondere gestattet die Verwendung von Metamedien wie Suchmaschinen und Plattformen, Informationen aus Primärmedien unabhängig vom ursprünglichen Trägermedium auszuwählen, in digitaler Form abzugreifen, zu vergleichen, aufzubereiten und ggf. in veränderter Form zu versenden. Die Algorithmen, mit denen Informationen selektiert und nutzerspezifisch präsentiert werden, sind jedoch für den Durchschnittsnutzer nicht mehr durchschaubar. Um Informationen zu erlangen, muss er selbst zahlreiche persönliche Informationen bis hin zum aktuellen Standort preisgeben. Der Prozess der Selektion und Verdichtung der immer unüberschaubarer werdenden Inhalte primärer Medien wird auch Metamedialisierung genannt. In liberal-demokratisch verfassten Staaten bzw. Gesellschaften stehen der zunehmenden Datenerfassung durch die in das Alltagsleben integrierten Datenmaschinen der Schutz persönlicher Daten im Sinne des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber. Private Plattformbetreiber wie die von Google und Facebook verwenden zur Erhebung von Personen- und Nutzungsdaten Techniken des Nudgings und der verdeckten Erhebung von Bewegungsdaten. Nutzern wird versichert, dass ihre verfügbaren Daten gemäß den geltenden gesetzlichen Bestimmungen behandelt würden; zudem werden ihnen diverse Einstellungsmöglichkeiten zur Kontrolle der Sichtbarkeit ihrer Daten angeboten und ihr Einverständnis mit den Nutzungsbedingungen angefordert. Dass diese tatsächlich von vielen zur Kenntnis genommen werden, ist laut Rainer Mühlhoff jedoch als illusorisch anzusehen, „nicht nur weil es Zeit kostet, im falschen Moment daherkommt oder die seitenlangen juristischen Klauseln ein Gefühl der Ohnmacht erzeugen, sondern auch weil es gar keine Möglichkeit gibt, ihnen zu widersprechen – es sei denn, man verzichtet gleich ganz auf die Benutzung des entsprechenden Services.“ Ein dem Staat gegenüber vorhandenes grundsätzliches Misstrauen der Bürger in Bezug auf Datenerhebung bestehe hinsichtlich der eigenen Nutzung kommerzieller Plattformen nicht. Hier entscheide und kontrolliere man ja selbst, welche persönlichen Informationen man diesen Plattformen übermittelt. Unberücksichtigt blieben dabei die Wahrscheinlichkeitsaussagen, die über jedes beliebige Individuum anhand eines Massendatensatzes getroffen werden könnten. Dafür genügen die Daten, die von den Usern tagtäglich freiwillig zur Verfügung gestellt werden, so Mühlhoff, in Verbindung mit den – in Korrelationen mit anderen Usern – abgeleiteten Daten, die daraus gewonnen werden. „Die heute öffentlich geführte Debatte um Datenschutz hingegen fokussiert auf einen liberalistischen Individualismus und verliert damit die fundamentalen Transformationen des Sozialen und Politischen aus den Augen, die die ökonomische, polizeiliche und politische Verwendung von Daten als Massendaten möglich macht.“ Privatheit als zentrale Voraussetzung persönlicher Freiheit ist laut Andreas Mühlen „unter den Bedingungen ubiquitärer Netze schwieriger, komplexer und undurchsichtiger“ als jemals zuvor. Webtracking, unter anderem mit Hilfe von Cookies und der Erfassung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken, sei oft nur um den Preis des vollständigen Nutzungsverzichts vermeidbar. „Selbst wenn die jeweiligen Webseitenbetreiber von den großen Analytics-Anbietern vielleicht nur anonymisierte Daten über mich und mein Verhalten im Web erhalten, so laufen doch zumindest bei diesen Anbietern so viele Daten zusammen, dass davon auszugehen ist, dass eine Deanonymisierung entweder leicht vorgenommen werden kann oder letztlich gar nicht mehr notwendig ist, weil schlicht bekannt ist, wer ich bin, und dann einfach zugeordnet werden kann, was ich sonst noch so im Netz unternehme.“ Doch liege es auch an den Konsumenten selbst, die sich zunehmend der digitalen Technologien und Infrastrukturen bedienen, dass vernetzte datensammelnde System und Prozesse immer mehr Alltagsbereiche in öffentlichen und privaten Räumen durchdringen. Zwar wurde mit der Datenschutz-Grundverordnung eine verbesserte, europäische Regelung geschaffen, doch wurde dabei zum Beispiel kritisiert, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einem harmonisierten Wettbewerb entgegenstünde. Zudem zeigte sich am Beispiel des Daten-Leaks bei der Autovermietung Buchbinder, dass es teilweise noch schwere Mängel bei der technischen Umsetzung gibt. Wandel der Kommunikationsweisen Schon in der frühen Phase der Verbreitung digitaler Kommunikationsmedien wurde konstatiert, dass anders als im unmittelbaren Kontakt face to face die Kommunikation mit Interaktionspartnern von eingeschränkten Wahrnehmungs- und Kontrollmöglichkeiten mitbestimmt wird, die etwa Mimik, Gestik und Tonfall betreffen. Sie kann unter diesen Umständen einen unverbindlichen, anonymen Charakter annehmen. So bleibt es fraglich, ob bzw. auf welche Weise hierbei Verbindlichkeit oder Beziehungsnähe und -wärme entstehen können. Diese Defizite können teilweise durch Metakommunikation (z. B. Emoticons) ausgeglichen werden. Gleichzeitig erweitert sich der Kommunikationsradius erheblich. Das erlaubt die Etablierung globaler Communities (z. B. internationaler Interessengemeinschaften, Identitätsgruppen oder NGOs) oder privater grenzüberschreitender Informationsnetzwerke bereits mit relativ geringem Aufwand. Internet und Mobiltelefonie werden von Entwicklungspolitikern und Hilfsorganisationen mittlerweile als Bestandteil der Grundbedürfnisse definiert, da diese in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht Partizipation förderten. Die erweiterten Filtermöglichkeiten der Kommunikation können jedoch zur Bildung von Informations- und soziokulturellen Blasen führen. Kommunikation in digitalen Medien erleichtert und fördert nicht nur die Erfassung und Übertragung von Affekten, sondern bringt auch neue Affektdynamiken und Bezugsformen hervor, sei es in den „Echokammern“ der sozialen Netzwerke, sei es durch die Techniken des User Experience Designs oder gefördert durch die affektiven Dynamiken von Memes und Onlineforen. Anja Breljak weist auf zwei gegensätzliche Wirkungsweisen hin: Einerseits führe ein diffuses Gefühl ständiger Beobachtung in digitalen Kommunikationsräumen – in Verbindung mit der Schaffung von Bewertungsanreizen und der öffentlichen Sichtbarkeit solcher Bewertungen – angesichts eines möglichen Ansehensverlusts zu Hemmungen bezüglich des unverstellten persönlichen Ausdrucks, der Erprobungslust und der Risikobereitschaft. Bei regelmäßiger Einübung bewirke solches Verhalten eine Abkühlung der sozialen Beziehungen (Social Cooling). Andererseits herrsche gleichzeitig eine Tendenz zur Überhitzung (Social Heating): „Wenn Fotos, Videos, Nachrichten oder Kommentare viral verbreitet werden, schafft das neben hitzigen Debatten auch politische Realitäten.“ Zugespitzte Titel, schockierende Bilder und Falschnachrichten würden umso weitläufiger durchs Internet katapultiert, je mehr Empörung oder Anteilnahme sie auslösten, je schneller sie geteilt würden. Dabei gelte: „Die Geschwindigkeit von fetzigen Nachrichten, von empörenden Inhalten, egal ob wahr oder falsch, trifft auf eine sehr viel langsamere Aufklärungsarbeit und noch viel langsamere politische Entscheidungsprozeduren.“ Veränderte Wirkkräfte im medialen Raum Ähnlich wie die einzelnen Menschen beruflich und privat, stehen öffentlicher Raum und mediale Öffentlichkeit im Wirkungsfeld der Digitalen Revolution. Ihre Auswirkungen erstrecken sich auch auf die politische Praxis und bergen Gefahren für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Wenn früher Wandel durch Handel ein wirksames Schutzprinzip westlicher Demokratien gewesen sei, so gehe es nun ums Vernetzen „unter demokratischen Prämissen nach westlichen, aufgeklärten Werten“. Die digitale Technik werde unverzichtbar werden und den Lebensalltag immer weiter durchdringen. „Wenn sie im Besitz weniger ist und von ihnen kontrolliert wird, dann steht der Idee einer besseren, digitalen Gesellschaft eine mächtige Dystopie entgegen: der Missbrauch der digitalen Macht.“ Die vormalige Dominanz des Journalismus, der in Zeitungswesen, Rundfunk und Fernsehen, bei öffentlicher Berichterstattung, Meinungsbildung und in seiner politischen Kontrollfunktion eine „vierte Gewalt“ in pluralistischen Systemen bildete, hat das weitgehende Monopol verloren, Informationen massenhaft zu verbreiten. Es ändere sich etwas, so Beckedahl und Lüke, wenn beispielsweise die 56 Sekunden währende Videoaufnahme, die einen Fünfjährigen mit einem Dreijährigen unter dem Titel Charlie bit my finger (Charlie hat mich in den Finger gebissen) zeigt, auf YouTube annähernd 400 Millionen Mal betrachtet werde oder wenn das, „was in irgendeiner Kneipe passiert und besprochen wird“, per Livestream vom Mobiltelefon aus beliebig viele andere Menschen weltweit erreichen könne. Zunehmend stelle sich auch in den Redaktionen der diversen Medien vorrangig die Frage: „Was klickt?“ Online sei jeder Klick durch einen Nutzer bares Geld wert. „Wer viel angeklickt wird, kann mehr Geld für Werbung verlangen. So will es die Werbebranche, so funktioniert das Geschäftsmodell.“ Den Werbenden sei es egal, neben welchen Inhalten ihre Erzeugnisse auftauchten, ob zusammengewürfelte Bildergalerien, sensationsheischende Antexter oder Rätselspiele: „Mit Journalismus hat dies alles nichts zu tun. Es geht um Klicks, Klicks und nochmals Klicks.“ Journalistische Medien treten immer häufiger zusätzlich oder allein mit Online-Ausgaben auf, die sie als werbungsgestützte Plattformen teils mit ergänzenden Angeboten bestücken. Sie präsentieren sich auch in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter – im Massenwettbewerb um die Aufmerksamkeit des Publikums. Auch für Politiker geht es nicht mehr allein darum, in den Medien öffentlich aufzutreten, um Beachtung für eigene Positionen und die eigene Person zu wecken. Auch sie betreiben persönliche Webseiten, äußern sich immer öfter auf Blogs bzw. in sozialen Netzwerken und sammeln dort Follower. Wie problematisch der so entstehende öffentliche Raum zum Teil beschaffen ist, zeigt eine in Science publizierte Studie zum viel genutzten Kurznachrichtendienst Twitter. Sie betrifft den englischen Sprachraum und bezieht sich auf den Zeitraum 2006 bis 2017: „Den Forschern zufolge hat unwahrer Inhalt – ein Bild, eine Behauptung oder ein Link zu einem Onlineartikel – eine um 70 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, weiterverbreitet zu werden.“ Am häufigsten betroffen seien politische Inhalte. „Der Schneeballeffekt für Unwahres nahm mit der Zeit zu und war in den US-Wahlkampfjahren 2012 und 2016 besonders stark.“ Ein zum Weiterleiten speziell unwahrer Inhalte anregender Faktor dürfte demzufolge sein, dass diese auf Twitter-Nutzer oft besonders spannend und neuartig wirkten. Urheberrechte Durch die Fortschritte in den digitalen Techniken können immer bessere Kopien, Reproduktionen und sogar Fälschungen hergestellt werden. Urheberrechtsverletzungen und Fälschungen können zu einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden führen. So wurde Anfang der 1990er Jahre ein international tätiger Fälscherring in New York entdeckt, der gefälschte Kunstwerke mit einem Verkaufswert von 1,8 Milliarden US-Dollar produziert hatte. In den gleichen Zeitraum fiel die ab 1997 beginnende Krise der Musikindustrie durch die unautorisierten Musikdownloads aus dem Internet, die auf CD-Rohlinge gebrannt und so auch illegal vertrieben werden können. Die Zahl der Rohlinge stieg von 1999 bis 2004 in Deutschland von 58 Millionen auf 303 Millionen, während im gleichen Zeitraum die Zahl bespielter Original-CDs von 210 Millionen auf 146 Millionen zurückging. Neuartige Urheberrechtsprobleme werfen sog. Metamedien wie Suchmaschinen auf, die Inhalte (Texte, Bilder usw.) aus Primärmedien selektieren, abgreifen, neu kombinieren und verbreiten. Gegen Google Books wurde eine Sammelklage von US-amerikanischen Verlagen und Autoren angestrengt, doch auch aus europäischen Staaten kam Kritik am Verhalten des Google-Konzerns. Medien berichten von einem „schleichenden Niedergang der Buchbranche“. Ein weiteres Urheberrechtsproblem finden sich im 3D-Druck: Mit der Erstellung einer 3D-Druckvorlage (in der Regel in Form einer digitalen Vorlage oder CAD-Konstruktion) liegt ein Werk im Sinne des Urhebergesetzes vor und ist geschützt. Der Herstellung einer solchen Vorlage durch einen 3D-Druck stellt eine Vervielfältigung dar. Ein unrechtmäßige Verkauf durch Dritte (bzw. ohne Einwilligung des Urhebers) kann einen Verstoß gegen das Urhebergesetz darstellen. Politische Komplikationen Für die Aushandlung und Gestaltung von Politik setzt die Digitale Revolution stark veränderte Rahmenbedingungen. Von der Konkurrenz des Internets bedroht, so die Einschätzung von Bernhard Pörksen und Wolfgang Krischke, „untergraben klassische Medien im Wettlauf um Quoten und Auflagen die eigene Legitimation durch die Skandalisierung von Politikern und die Trivialisierung der Politik.“ Die politischen Akteure würden durch eine permanent empörungsbereite Öffentlichkeit in die Defensive gezwungen. Es herrsche das Bemühen vor, nicht durch eine unbedachte Äußerung selbst den nächsten Shitstorm „einer lauernden digitalen Normpolizei“ zu provozieren, nicht parteiinterne Differenzen nach außen dringen zu lassen: „Vermeidung, nicht aber programmatische Gestaltung, erscheint als Leitmotiv gegenwärtiger Politik. Offensichtlich fehlen die Ruhezonen der Ideenentwicklung lagerübergreifend und in allen Parteien. Man hetzt voran und lässt sich hetzen.“ Im Wortsinne interne Beratungen gebe es im Zeitalter der „digitalen Überall-Medien und der barrierefreien Geheimnisvermarktung“ kaum noch. Einengung der Diskursmöglichkeiten, Stromlinienförmigkeit des öffentlichen Auftretens und ein rundgeschliffenes Politdeutsch gehörten zu den Folgen. Die Demokratisierung der Medienwelt durch das Internet zeitigt laut Pörksen jedoch bislang nur wenige Freiheitseffekte. Sie nütze vor allem Populisten und verstärke die sich in ihren Echokammern verkapselnden „Selbstbestätigungsmilieus“. Mit der großen Gereiztheit im digitalen Zeitalter gehe zugleich die Tendenz zu einer Hypersensibilisierung in sprachlichen Fragen einher. Hassrede und übertriebene „Political Correctness“ seien zwei sich gegenseitig befeuernde Erscheinungen gegenwärtiger Debatten. Mit zunehmender sprachlicher Empfindlichkeit werde vor allem auf die hassgetriebene Vergiftung des Diskurses reagiert. Lügen sind nichts Neues in der Politik, hält Andrea Römmele fest. Doch hätten die Lügner in der Vergangenheit gewusst, dass sie als solche enttarnt würden, wenn bestimmte Fakten ans Licht der Öffentlichkeit kämen, und hätten eine bestimmte Definition von Wahrheit und Fakten als Grundlage des demokratischen Diskurses akzeptiert. Neuerdings hätten Fakten aber ihre Bedeutung als Diskussionsgrundlage verloren und seien zu einem Werkzeug mit flexiblen Anwendungsmöglichkeiten für die Begründung von Weltanschauungen geworden. Fakten- und Bildmanipulationen würden teils nicht nur bewusst für politische Zwecke eingesetzt, sondern auch nach der Enttarnung noch für gerechtfertigt im Dienst der eigenen Sache erklärt. Solcher „Bullshit“ (Harry Frankfurt) blende unwillkommene Fakten einfach aus: „Was die Botschaft bekräftigt ist wahr, was ihr zuwiderläuft, ist falsch. Der Wahrheitsgehalt spielt keine Rolle mehr, politische Debatten verlieren ihre empirische Basis.“ Über die als Motive verbleibenden Weltanschauungen, Gefühle und Werte ließe sich dann kaum noch sinnvoll streiten, weil sie grundsätzlich weder wahr noch falsch seien. Digitaler Kolonialismus Als „digitaler Kolonialismus“ werden Strategien bezeichnet, durch die der Internetzugang in Drittwelt- und Schwellenländern oder für arme Bevölkerungsgruppen über eine Smartphone-App gebührenfrei durch soziale Medien organisiert wird. Das Netzwerk – in den meisten Fällen ist es Facebook mit seinem in 65 Ländern angebotenen Dienst Free Basics – trifft dabei eine Auswahl, auf welche Internetangebote die Nutzer kostenlosen Zugriff erhalten. Kritiker monieren, dass dabei lokale Sprachen und Websites weitgehend ausgeklammert, die Nutzer mit einer Flut von Diensten privater Unternehmen aus den USA überschwemmt und große Mengen an Metadaten gesammelt werden. Die Prinzipien der Netzneutralität würden dadurch verletzt, dass meist nur ein Dienst pro Sparte (wie Wettervorhersage, Nachrichten, Suchmaschine, Ratgeber für Schwangere und Eltern oder Sport) angeboten werde. Oft würden nur Überschriften präsentiert; bei Interesse müsse man Datenvolumen hinzukaufen. Außerdem gibt es kein E-Mail-Programm. Hier reproduziere sich die technologische Spaltung der Welt, die seit dem 16. Jahrhundert zu einer Abhängigkeit eines großen Teils der Menschheit von den Technologien der Kolonialmächte geführt habe. Der digitale Kolonialismus beschreibe der guatemaltekische Menschenrechtsanwältin Renata Avila zufolge „eine neue, quasi-imperiale Machtstruktur, die von dominanten Mächten einer großen Anzahl an Menschen ohne deren Einverständnis auferlegt wird“. So wies die US-Regierung im Herbst 2019 als Reaktion auf die Unruhen in Venezuela die amerikanische Firma Adobe an, die Cloud-Dienste in dem südamerikanischen Land zu sperren. Der Techniksoziologe Michael Kwet bezeichnet mit digitalem Kolonialismus die Gesamtheit der Vorhaben der US-Konzerne wie Google, Amazon und Facebook, die darauf abzielten, die Kontrolle über das „digitale Ökosystem“ und den kompletten Datenverkehr vor allem in Afrika, aber auch in anderen Ländern zu erlangen. Sozialisation, Bildungswesen und Gesundheit Die Sozialpsychologin und Soziologin Catarina Katzer sieht die individuelle Identitätsbildung durch das Internet stark verändert. „Wir bewegen uns heute in zwei gleichwertigen nebeneinander existierenden Lebensräumen, in unserer Offline- und unserer Online-Welt.“ Das Netz ermögliche zum ersten Mal das Erschaffen von Identitäten in virtuellen Räumen. „Und diese Identitäten sind »echt«, denn wir selbst füllen sie mit Leben. […] Als Referenzpunkte für unsere Meinungen, Einstellungen, Beurteilungen oder konkretes Verhalten ziehen wir eben nicht mehr nur unser reales Umfeld in Schule oder Familie zurate. Vor allem bei der Frage, wer bin ich und wer will ich sein, was ist richtig und was ist falsch, orientieren wir uns immer stärker an Personen, den Peers, die wir im Netz treffen und mit denen wir connected sind.“ Dies gelte insbesondere für Kindheit und Jugend, den Phasen mit der stärksten prägenden Wirkung für die Identitätsfindung. Für Markus Beckedahl und Falk Lüke relativiert sich in der digitalen Gesellschaft die Bedeutung der Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen für das Bildungswesen. Nötig dazu komme heute als vierte Komponente das Methodenwissen als „Kompetenzkompetenz“: „Wenn man weiß, wie man sich Wissen erschließen kann, muss man es nicht im Kopf haben.“ Es stelle sich die Frage, wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen, „dass einmal gelerntes Wissen uns nicht mehr durch das Leben bringt“. Das ungleiche Wissen um die Nutzung digitaler Technik werde zum Problem, wenn ganze gesellschaftliche Gruppen kaum Chancen hätten, sich damit angemessen zu befassen, sei es wegen Mängeln der Netzinfrastruktur oder -geschwindigkeit, sei es aufgrund geringer Bildungschancen oder wegen fehlender finanzieller Eigenmittel: „Dann gibt es diejenigen, die können und haben und damit für die Zukunft gerüstet sind. Und diejenigen, die chancenlos sind. […] Wenn ein Kind einer Geringverdienerfamilie nicht lernt, einen Computer zu benutzen, dann ist das für seine Zukunft eine inakzeptabel große Hypothek. […] Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung werden manche herkömmliche Struktur, manche Berufsbilder und vielleicht sogar Einkommensformen grundsätzlich in Frage stellen. Nur wer das sieht, kann diesen Wandel auch gestalten. Wer es hingegen ignoriert, wird von diesem früher oder später überrollt werden.“ Der Psychiater und Hirnforscher Manfred Spitzer warnt mit Blick auf erkennbare sensomotorische Entwicklungsdefizite und depressionsträchtige psychosoziale Folgeerscheinungen des Gebrauchs elektronischer Kommunikationsgeräte speziell im Kindes- und Jugendalter vor Unterforderung der Hirnfunktionen und „digitaler Demenz“. Unter Berufung auf wissenschaftliche Studien, die negative Auswirkungen beim Einsatz neuer Medien in der Schule aufzeigten, wendet Spitzer sich gegen „digitale Klassenzimmer“ und gegen Vorstellungen, dass Kinder am besten schon in der Grundschule mit dem Programmieren von Computern vertraut gemacht werden sollten: „Wir tun den Schülern keinen Gefallen, was ihre Gesundheit und ihre Bildung anbelangt, wenn wir Bildungseinrichtungen digitalisieren. Darüber müssen wir uns klar sein. Alles andere ist postfaktische Bildungspolitik.“ Spitzer stößt mit seinen durch mehrere Bücher verbreiteten Warnungen auf deutliche Gegenreaktionen auch in Wissenschaftskreisen. So argumentieren die Medienwissenschaftler Markus Appel und Constanze Schreiner mit Berufung auf meta-analytische Befunde gegen bestimmte seiner Aussagen und gelangen zu dem Fazit: „Die vorliegende Erwiderung enthält wissenschaftlich nicht oder kaum haltbaren Behauptungen. Diese sind dazu geeignet, inkorrekte Informationen und Halbwahrheiten über menschliches Erleben und Verhalten im Umgang mit Medien in der Öffentlichkeit zu verbreiten. In Summe wird deutlich: Die einseitige Perspektive von Spitzer verunklart den Blick auf die Chancen und Risiken des Lebens in einer digitalen Welt.“ Katzer wiederum weist auf Befunde aus den USA hin, wonach immer mehr Jugendlichen sich einsam fühlen – trotz ihrer starken Vernetzung und ihrer durchschnittlich 250 „Online-Buddys“. Das subjektive Wohlbefinden junger Facebook-User gehe eher zurück, als dass es sich verbessere. Vor allem auf die Offenheit und Ungeklärtheit bestimmter Weichenstellungen weist der Naturwissenschaftler und Pädagoge Salman Ansari hin: „Die Sinnhaftigkeit der Medien für schulische Lernprozesse ist noch gar nicht hinreichend erforscht. Gleichwohl wird der Einsatz von Medien propagiert. Die Kinder und Jugendlichen sollen das Programmieren lernen, mit Robotern umgehen und so weiter.“ Mimetische Rivalität und Influencer-Boom Die sozialen Medien werden zum „Resonanzraum der Nachahmung par excellence“. Das bezieht sich nicht nur auf die erweiterten Möglichkeiten zum einfachen und schnellen Kopieren und Teilen von Inhalten. Das Internet wird darüber hinaus zum Instrument der „mimetischen Konkurrenz“. René Girard bezeichnet mit diesem Begriff das nachahmende Begehren im Kampf um gemeinsam begehrte Objekte (siehe Mimetische Theorie). Er postuliert, dass wir Menschen – sofern die Grundbedürfnisse gedeckt sind – Dinge nicht mehr um ihretwillen begehren, sondern weil sie von anderen begehrt werden. Das fördere einerseits Enkulturations- und Lernprozesse, andererseits die Nachahmung von und die Fixierung auf Autoritäten (der Popkultur usw.). Die unterdessen viel geübte Praxis der ständigen Selbstdarstellung in den Social Media schafft darüber hinaus einen Druck zur Darstellung auch des eigenen Lebens, das zum Designobjekt wird, und verstärkt die Inszenierungsspirale durch Selfies und Körperkult. 39 Prozent der befragten Jugendlichen gaben in einer vom Marktforschungsinstitut IKW in Auftrag gegebenen Studie an, wöchentlich Selfies zu machen, 26 Prozent machten sie täglich, 14 Prozent sogar mehrmals täglich. Sie kontrollieren dabei jedes einzelne Bild bis ins Detail, um möglichst viele Likes zu erzielen. 30 Prozent der jungen Menschen sehen das Berühmtwerden neuerdings als explizites Lebensziel, gut doppelt so viele wie 10 Jahre zuvor. Diesbezügliche Vorbilder aus dem eigenen Altersumfeld sind die oft noch jugendlichen Influencer. Einfluss gewinnen diese jungen Leute dadurch, dass sie in sozialen Medien wie YouTube und Instagram für ihre Selbstdarstellung eine ungewöhnlich hohe Zahl an Followern angesammelt haben. So werden sie zu Stars der einschlägigen Netzszene und auch für die Werbewirtschaft interessant. Sie erreichen zum Teil ein Millionenpublikum, indem sie sich und ihr Leben in die Öffentlichkeit tragen und in ihrer Peergroup-Ansprache und -Kontaktpflege nahbarer wirken als herkömmliche Prominente. Laut einer Kinder- und Jugendstudie des Branchenverbandes Bitkom sind Influencer unter Jugendlichen mittlerweile beliebter als Schauspieler und Sportler. Ihren Followern gelten sie ähnlich vertrauenswürdig wie Familienmitglieder und Freunde. Damit sind sie als Mittler bei ihrer Klientel für die Werbebranche wirksamer als jedes Model oder jeder Prominente. „Influencer stehen mit der neuesten Fotokamera von Canon vor einem Tempel in Thailand. Influencer posieren in einem Mantel von Prada vor dem Eiffelturm in Paris, lehnen sich im Bikini der Marke Missoni am Strand von Saint-Tropez an eine Palme oder liegen zu Hause mit einer Flasche Waschmittel von Coral im Bett.“ Der Wert eines gesponserten Fotos auf Instagram bemisst sich nach Reichweite und Interaktionsrate: „Je mehr Follower ein Influencer hat und je mehr Likes und Kommentare seine Fotos sammeln, desto mehr Geld kann er dafür verlangen.“ Laut Bitkom-Studie sieht jeder zweite unter den befragten Jugendlichen das Gebaren von Influencern als normale Berufstätigkeit an – und jeder dritte wäre gern selbst einer. Gegenwartsorientierung, Raum- und Zeitwahrnehmung, Gedächtnis Kritiker behaupten, eine starke Gegenwartsorientierung, die oft mit Hedonismus und gesundheitsgefährdendem (z. B. Sucht-)Verhalten einhergeht, werde durch exzessive Nutzung sozialer Medien gefördert. Die schnelle Aktualisierung der Inhalte im Internet führe zu immer schnellerer Obsoleszenz des Vergangenen. Auch die Streamingdienste förderten die Gegenwartsorientierung: das Individuum sei permanent von Musik umgeben. Infolge der starken Gegenwartsorientierung gehe auch der Bezug auf die Zukunft verloren. Das Parallelerleben von Real- und virtueller Online-Welt samt häufigem Wechsel zwischen diesen beiden erzeugt laut Carina Katzer zahlreiche Wechselwirkungen für individuelle Wahrnehmungsprozesse, für Rezeption und Erinnerung. Auch Raum- und Zeitwahrnehmung veränderten sich. „Und Kontrollverlust, Überforderung, Abschweifen und Unkonzentriertheit, Ablenkung vom Wesentlichen, das Gefühl, sich im virtuellen Garten zu verlieren, oder die Angst, etwas zu verpassen – sind Folgen des Hypes, ständig vernetzt zu sein.“ Mehr und mehr, so neuere Studien, ersetzen Computeranwendungen und Internet diverse Lern- und Gedächtnisleistungen, die Menschen zu ihrer Orientierung vordem nötig hatten. Navigationsgeräte treten an die Stelle erlernter Fähigkeiten zu räumlicher Orientierung; jederzeit mögliche Internetabfragen vermindern das Interesse am Erwerb eigener Wissensvorräte. Werde das Internet immer stärker als Gedächtnisersatz gebraucht, so Katzer, bestehe die Gefahr, dass das Langzeitgedächtnis Schaden nehme. Damit stehe aber auch die Fähigkeit auf dem Spiel, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Soziale Wirkungen und psychische Gesundheit Eine für 33 Millionen Erwerbstätige in Deutschland repräsentative Studie des Center for Disability and Integration der Universität St. Gallen im Auftrag der Barmer GEK zeigte weder eindeutig positive noch negative Auswirkungen der Digitalisierung am Arbeitsplatz auf die Gesundheit. Auch zeigten sich nur geringe Unterschiede zwischen den Altersgruppen in der Wahrnehmung der Digitalisierung und ihrer Auswirkungen. Insgesamt standen die Befragten der Digitalisierung optimistisch gegenüber; nur die wenigsten befürchteten, ihren Arbeitsplatz aufgrund der Digitalisierung zu verlieren. Alle Berufsgruppen scheinen zumindest in gewissem Masse von der Digitalisierung erfasst. Bei den Branchen bildet der Bereich IT/Computer/Software/Internet/Datenverarbeitung den Spitzenreiter und die Reinigung/Entsorgung das Schlusslicht. Während die tatsächlichen Krankentage kaum beeinflusst scheinen, ergeben sich unerwünschte Zusammenhänge mit emotionaler Erschöpfung und Konflikten zwischen Arbeit und Familienleben. Der Gesundheitsreport des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen (BKK) von 2017 konstatiert, dass 40 Prozent der Befragten ihre Tätigkeiten mit Hilfe digitaler Technologien schneller erledigen und mehrere Aufgaben zugleich bearbeiten können (Multitasking). Darin sehen Experten eine Gefahr: Beschleunigung und Multitasking erhöhen den Stress ebenso wie die Erwartungshaltung, ständig kontaktbereit sein zu müssen. Während 2006 zehn Prozent aller Krankschreibungen als Ursache ein psychisches Leiden hatten, waren es im Jahr 2016 16 Prozent. Allerdings ist es schwierig, die Effekte von Arbeitsverdichtung, Digitalisierung und nicht mit der Arbeitssituation verbundenen Faktoren zu isolieren. Der Neurobiologe Martin Korte verweist auf Untersuchungsergebnisse, die gezeigt hätten, dass der Internetgebrauch die analytischen Fähigkeiten, die Geschwindigkeit der Bildverarbeitung im Gehirn und die Fähigkeit zum Multitasking verbessere; beeinträchtigt werde aber die gezielte Aufmerksamkeit für die jeweilige Hauptaufgabe und damit die Effektivität der Aufgabenbearbeitung: „Wer sich also auf Multitasking konditioniert, zahlt einen hohen Preis: Die Fehleranfälligkeit seines Denkens und Handels wird sehr groß (schnell ist noch lange nicht korrekt), die Konzentrationsspannen werden verkürzt.“ Den im 20. Jahrhundert durchgängig angestiegenen Intelligenzquotienten (Flynn-Effekt) sieht Korte ins Stocken geraten und neuerdings auf dem absteigenden Ast: „Zu viele unserer Aktivitäten in den digitalen Welten scheint unser Belohnungssystem in die Irre zu leiten. Die Konzentrationsfähigkeit wird auf zu kurze Zeiten eingestellt, unsere Sprachkompetenzen verkümmern ebenso wie unsere haptischen Fertigkeiten.“ Den Einfluss der digitalen Techniken auf die sozialen Alltagsinteraktionen der Menschen hält die Soziologin Eva Illouz für immens: „Die alte Kunst, von Angesicht zu Angesicht Beziehungen auszuhandeln, geht verloren. Die Menschen sitzen allein vor ihren digitalen Geräten und zählen die Likes auf ihren Profilen.“ Das Internet zerstöre die traditionellen Orte der Geselligkeit wie Restaurants und Kinos. Nach einer vom Tagesspiegel zitierten Studie der Universität Leipzig sind Paare im Lebensalter zwischen 60 und 70 Jahren sexuell aktiver als Singles zwischen 18 und 32 Jahren, was von den beteiligten Wissenschaftlern auf die beliebige Verfügbarkeit von pornografischem Material im Internet zurückgeführt wird. Illouz sieht auch die Pornografie sich virtualisieren; künftig sei eine zunehmende Bedeutung von Sexrobotern zu erwarten (siehe auch Cybersex). In einer Studie an der Universität Pittsburgh unter rund 1.800 Amerikanern im Alter zwischen 19 und 32 Jahren wurden psychische Auswirkungen der mit sozialen Medien verbrachten Zeit untersucht. Eines der Ergebnisse war, dass Probanden, die sich täglich mehr als zwei Stunden mit sozialen Medien beschäftigten, eine doppelt so hohe Anfälligkeit für Gefühle sozialer Isolation hatten wie diejenigen, die damit weniger als 30 Minuten verbrachten. Digital Detox (deutsch: ‚digitale Entgiftung‘) ist ein Ansatz unter manchen Dauernutzern neuer Medien, durch Einübung von Verzicht oder bewusste Abkehr von ihnen, Stress zu vermeiden und Zeit für Erlebnisse und Begegnungen im nichtvirtuellen „wirklichen Leben“ (Real Life) zurückzugewinnen. Mögliche Gefährdung der Augengesundheit Zu den Nebenfolgen, die mit der Digitalen Revolution einhergehen, gehört einigen Studien zufolge auch eine zunehmende Kurzsichtigkeit (Myopie). Die dramatischsten Werte diesbezüglich wurden in asiatischen Großstädten erhoben. In Hongkong, Shanghai oder Seoul finde man unter jungen Erwachsenen praktisch keine gesunden Augen mehr; auch in Europa und den Vereinigten Staaten sei mindestens jedes zweite junge Augenpaar betroffen. Anders als früher gilt Myopie heutzutage als langfristige Gefahr für das Sehvermögen. Neuere Forschungsergebnisse besagen, dass Kurzsichtigkeit sich entwickelt, wenn das Auge zu selten dem Tageslicht ausgesetzt ist und zu oft auf Nahsicht fokussiert wird. Während im Freien an sonnigen Tagen auch im Schatten mit einer Lichtstärke von 10.000 Lux zu rechnen ist, sind es in einem Klassenraum oder Kinderzimmer typischerweise nur 500 Lux. Die Zeit, die Kinder im Freien verbringen, nimmt aber tendenziell ab. „Am meisten gefährdet sind also jene Stubenhocker, die über Stunden bei mangelhafter Beleuchtung Bücher lesen oder auf den Computerbildschirm oder das Smartphonedisplay starren.“ Die Weltgesundheitsorganisation hat Myopie zu einem globalen Gesundheitsproblem erklärt. Experten begründen die besonders hohe Betroffenenrate in Asien mit den dort rigorosen Schulanforderungen, die besonders lange Verweilzeiten in Innenräumen zur Folge hätten. Während in den 1960er Jahren nur knapp jeder fünfte junge Chinese kurzsichtig gewesen sei, seien es heute über 90 Prozent. Laut dem australischen Myopie-Forscher Ian Morgen sollten Kinder etwa drei Stunden am Tag in einer Lichtstärke von 10.000 Lux bzw. im Freien verbringen, um ihr Myopie-Risiko wirksam zu senken: „So bleibt fürs Erste nur der Rat, dessen Befolgung auch sonst erfreuliche Wirkung zeigt: statt auf den Bildschirm viel öfter mal auf den Horizont zu blicken. Und das bitte im Freien.“ Implikationen für Forschung und Wissenschaft Nach Ansicht von Pieter Drenth, Ex-Präsident der All European Academies, hat die Digitale Revolution Fortschritte der Wissenschaft auf verschiedensten Gebieten ermöglicht: Erfolge in der Genom-Entschlüsselung, Voraussagen der Klimaforschung, komplexe Modelle in Physik und Chemie, Nanotechnologie, neurophysiologische Grundlagen der Sprachentwicklung und der kognitiven Funktionen, ökonomische Simulationen sowie vergleichende Studien in Sprach- und Literaturwissenschaften. Eigentlich habe jede wissenschaftliche Disziplin von den Entwicklungen der Computertechnologie profitiert. Bisher mussten Forschungsergebnisse Filter (sog. gatekeepers) passieren, in denen über die Veröffentlichung oder Nicht-Veröffentlichung entschieden wurde. Heute kann prinzipiell jeder im Internet publizieren. Wissenschaftler können daher bereits fortlaufend über den Forschungsprozess berichten (Open Science), die Daten zugänglich machen, auf denen ihre Befunde basieren (Open Data) oder vorab ihre Ergebnisse veröffentlichen (Pre-Publishing), ohne den Prüfprozess eines Journals durchlaufen zu haben. Auch dieser Prüfprozess kann transparenter gestaltet werden (Open Peer Review). Gleichzeitig forcieren die Möglichkeiten der online-Kommunikation die Konkurrenz um Erstveröffentlichungen von Forschungsergebnissen: Auf den einschlägigen Servern wird der Eingang von Texten sekundengenau protokolliert. Das führt einerseits dazu, dass die Publikationsflut schneller steigt als die Zahl der Leser der elektronischen Journale und dass oft unzureichend überprüfte Ergebnisse hastig publiziert werden; andererseits verbessern sich die Möglichkeiten der Überprüfung (z. B. auf mögliche Plagiate) durch die wissenschaftlichen Communities. Besonders kritisch ist die sich öffnende Kluft zwischen informatischer und geisteswissenschaftlicher Fachkultur. Informatiker versuchen geisteswissenschaftliche Fragestellungen auf handhabbare Formate herunterzubrechen (sog. Digital Humanities wie Stilometrie usw.), doch gibt es bisher kaum erfolgreiche Versuche, hermeneutische Prozesse in maschinenlesbaren Programmen abzubilden. Für Richard David Precht wirkt sich die computerbasierte „Quantifizierung von allem und jedem“ vor allem in Universitäten und Forschungseinrichtungen aus, speziell bei Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaftlern. Ganze Universitätsdisziplinen erscheinen ihm „nahezu lahmgelegt unter der zentnerschweren Last empirischer Forschung.“ Zwar sei unbestritten, dass es Felder gebe, auf denen sinnvoll empirisch zu forschen sei. Verfehlt sei aber „das Diktat des Empirischen“ in den Gesellschaftswissenschaften, das Fächer mit großen Traditionen zu Lieferanten von Zahlen degradiere. Diskursaspekte und kritische Reflexion So vielfältig und weitreichend die von der Digitalen Revolution ausgehenden Veränderungsimpulse sich bei den Individuen und im öffentlichen Raum auswirken, so aspektreich wird der darauf bezogene gesellschaftliche Diskurs geführt. Neue Rahmenbedingungen für menschliche Interaktion, für Sozialisation, Wirtschaft, Politik und Kultur zeichnen sich ab: als vorwiegend verheißungsvoller Fortschritt für die einen, als in den Folgen eher skeptisch zu betrachtendes Geschehen bei anderen. Kritisch beobachtet wird die Entstehung einer digitalen Kluft, die sich in unterschiedlicher Ausprägung sowohl innergesellschaftlich als auch international zeigt. 2007 waren noch weniger als vier Prozent der Menschen in Afrika online. Und Indien beispielsweise stand 2016 zwar auf Platz 2 der Länder mit den meisten Internetnutzern; doch bildeten diese nur knapp 35 Prozent der indischen Bevölkerung. Der Zukunftsforscher Daniel Dettling deutet den „Megatrend der Digitalisierung“ und ihren „disruptiven Charakter“ als Aufforderung an die Gesellschaft, den Anschluss an diese in Geschwindigkeit und Gleichzeitigkeit der Veränderungen neuartige industrielle Revolution nicht zu verpassen. Im deutschen Bürgertum mache sich eine „digitale Hysterie“ – die Rede ist auch von „German Angst 4.0“ – breit, der zufolge Computer und Handys die Kinder dumm und krank machten. Die Zukunft als Verlängerung der Gegenwart zu denken, werde der neuen Herausforderung jedoch nicht gerecht. Für wegweisend hält Dettling die von Emmanuel Macron eingenommene Haltung zur Künstlichen Intelligenz (KI). Dessen KI-Strategie sehe eine interdisziplinäre Kreuzung aus Mathematik, Sozialwissenschaften, Technologie und Philosophie vor, verbunden mit dem Bekenntnis: „Ich möchte Teil der Disruption sein. Künstliche Intelligenz ist eine politische Revolution. Treiber sollte der Fortschritt für die Menschen sein.“ Chancen für einen durchgreifenden politischen Strukturwandel über das Internet sieht Richard David Precht eher nicht. Eine dafür nötige Bündelung von Themen, wie sie von großen meinungsbildenden Zeitungen in der Vergangenheit geleistet worden seien, werde im Netz nicht möglich sein. „Das Internet segmentiert so stark, dass jeder in seiner eigenen Informationswelt leben kann, aber dadurch wird es auch immer schwieriger, Gemeinsamkeiten herzustellen. Das wird oft kaschiert, weil das Internet das Gefühl kultiviert, durch einen kurzen Klick zu relevanten Entscheidungen beitragen zu können. Aber damit nährt es eine Illusion, denn in Wirklichkeit bleiben die Verhältnisse beim Alten.“ Andererseits sieht Precht in der Digitalen Revolution – dem „zweiten Maschinenzeitalter“ – ökonomische Schmelzprozesse anlaufen und Zeiten kommen, in denen es für viele Menschen keine entlohnte Arbeit mehr gibt – mit problematischen Folgen für ihr Selbstwertgefühl. „Ein kurzer Blick über den Atlantik belehrt uns unmissverständlich darüber, dass eine hochinnovative Digitalwirtschaft von sich aus keine Volkswirtschaft rettet. Während das Silicon Valley boomt, stirbt die klassische Industrie überall dahin und produziert Arbeitslosigkeit, Resignation und Trump-Wähler.“ Angesichts der „Eindringtiefe der Digitalisierung in alle Nischen der Lebenswelt“ beklagt der Soziologe Harald Welzer ein „frappierend“ geringes politisches Problembewusstsein. „Start-up und Innovations- und Disruptionsberauschtheit“ stelle die Menschen vielleicht zunehmend so unter „Vollzeitablenkung“, dass kaum noch klare Gedanken gefasst werden könnten. „Nach einer vielleicht nicht so überraschenden Überwältigung durch all die Formen, in denen die Digitalisierung nachgerade über uns kommt, ist es jetzt mal Zeit, die Dinge politisch zu sortieren, und zwar nach Maßgabe der Frage, was von den zweifellos hervorragenden Möglichkeiten dieser Technologie für das zivilisatorische Projekt nützlich ist und was nicht.“ Sich von Algorithmen vorschreiben zu lassen, wie man leben soll, sei „der Wiedereintritt der Menschen in die selbstverschuldete Unmündigkeit.“ Eine mündige Gesellschaft verstehe Digitalisierung nicht als Schicksal, sondern als Gestaltungsaufgabe. Die Chancen, die das Netz für die individuelle Meinungsäußerung und politische Partizipation allgemein bietet, kommen in der Ausübung nur teilweise positiv zur Geltung. Zwar werden kulturelle und politische Debatten unterdessen zumeist von den Aktivitäten der vielen im Netz vorangetrieben, wenn nicht dominiert; doch lassen viele Beiträge jede konstruktive Ausrichtung vermissen – in der Sache wie im Umgang mit Andersdenkenden. Infolgedessen ergibt sich verbreitet der Eindruck, dass die Regeln des Anstands online viel schneller außer Acht gelassen werden als in der persönlichen Begegnung: „Wer nicht sieht, hört, spürt, was seine Äußerungen beim gegenüber bewirken, kommentiert enthemmter.“ Als unkalkulierbare Größe hinzu kommen gruppendynamische Prozesse, die einer grassierenden Shitstorm-Angst Vorschub leisten: „Der Wind im Netz dreht bekanntlich nicht nur schnell, er ist auch unberechenbar.“ Zygmunt Bauman sieht u. a. durch die Digitalisierung und Entpersonalisierung der Kommunikation die Stabilität und die Innen-Außen-Grenzen von sozialen Strukturen infrage gestellt. Diese werden immer fluider: „Verschwunden sei die Gewissheit, dass ‚wir uns wiedersehen werden‘, […] dass es mehr als eine nur vorübergehende Bedeutung hat, wie wir miteinander umgehen, weil die Folgen unserer Handlungen uns noch lange begleiten werden – aufbewahrt im Denken und Handeln von Augenzeugen, die immer um uns sind“. Orientierungs- und Wertewandel Die disruptive Entwicklung im Bereich der Alltagstechnik (das Verschwinden von Schreibmaschinen, Telefonzellen, Tageszeitungen, Fotoapparaten, Stereoanlagen oder CD-Playern, künftig des Bargeldes), aber auch der Alltagspraktiken (wie das Verschwinden des Lesens, der flüssigen Handschrift, des mechanischen Spielzeugs oder des Stammtisches, der durch Gruppen in den sozialen Netzwerken ersetzt wird) wirkt polarisierend auf kulturelle und ästhetische Wertvorstellungen. Sie bringt mit großem Tempo neue Handlungsformen und Subjektivitätsmodelle hervor, die in Einklang mit den ökonomischen Anforderungen stehen (Leben in Popwelten, „digitaler Realismus“), provoziert aber auch Gegenströmungen (Kampagnen zur Leseförderung, Revival des schön ausgestatteten Buchs). Daniel Dettling vom Zukunftsinstitut konstatiert einen „Wertesplit“: Insbesondere die Erstnutzer der neuen digitalen Technologien fühlten sich als Repräsentanten von Werten wie Freiheit, Mobilität und Souveränität und begrüßten die „digitale Autonomie“, während 70 Prozent der Deutschen orientierungslos und ängstlich auf die Digitale Revolution starrten. Manuel Castells sieht einen rückläufigen Einfluss von Religion, Moral, Autorität, traditionellen Werten und politischen Ideologien in dem neuen, auf digitalisierter elektronischer Produktion und Distribution sowie auf einem demgemäßen Austausch beruhenden Kommunikationssystem. Sie verschwinden nicht ganz, „aber sie werden geschwächt, es sei denn, sie codieren sich neu innerhalb des neuen Systems, wo ihre Durchschlagskraft sich durch die elektronische Materialisierung spirituell übertragener Angewohnheiten vervielfacht: Elektronische Prediger und interaktive fundamentalistische Netzwerke sind in unseren Gesellschaften eine effizientere und durchdringendere Form der Indoktrination, als die von Person zu Person verlaufende Vermittlung einer fernen, charismatischen Autorität.“ Im Netz mit beliebigen anderen Angeboten auf einer Ebene konkurrierend, verlören transzendentale Botschaften ihren „übermenschlichen Status“; die Säkularisierung gelange damit zum Abschluss: „Die Gesellschaften sind endgültig und wahrhaft entzaubert, weil alle Wunder online zu haben sind und zu selbst konstruierten Vorstellungswelten kombiniert werden können.“ Anzeichen von „Digitalisierungswahn“ Werner Thiede setzt sich aus der Perspektive eines evangelischen Theologen kritisch mit der Digitalen Revolution auseinander. Dabei steht für ihn nicht „das Digitale schlechthin“ in Frage, sondern dessen „impliziter Durchsetzungs- und robuster Herrschaftsanspruch.“ Was er befürchtet, skizziert er drastisch: „In der Tat droht die Gefahr, dass immer mehr Technologen, Ökonomen und Politiker über unsere Zukunft bestimmen, die selber geistig abgedriftet und mehr oder weniger digitaler Demenz verfallen sind. Und eine immer mehr dement gewordene, dem digitalen Massenwahn erlegene Gesellschaft wird davon nicht einmal mehr viel mitbekommen, denn sie ist weitgehend kritiklos geworden.“ Überwachungsmöglichkeiten wie nie zuvor sieht Thiede mit der Verbreitung „funkender Computerbrillen“ kommen, die allen Nutzern interessante, womöglich suchterzeugende Möglichkeiten eröffneten und damit zugleich den datenverarbeitenden Diensten Rohmaterial in Fülle lieferten. Derartiges zeichne sich auch für ein digitalisiertes Gesundheitswesen ab, in dem bald alle eine virtuelle Kopie des eigenen Körpers als Prognoseinstrument zum Beispiel für Medikamentenwirkung oder Krankheitsvorbeugung besitzen könnten: „Der sich unseres Leibes bemächtigende Digitalisierungswahn dient dem Big-Data-Konzept: Er entfremdet uns in dem Maße von uns selbst, indem er der Manipulation Tür und Tor öffnet.“ Im Zeichen der Social Media sieht Thiede die Möglichkeiten individueller Lebensgestaltung schwinden: „Wer entschleunigen statt weiter beschleunigen möchte, wer die analoge Welt der digitalen eindeutig vorzieht, der hat es unter der Herrschaft digitaler Technokratie immer schwerer; seine Freiheit nimmt ab.“ In der letzten von 95 Thesen zum Thema Digitaler Turmbau zu Babel heißt es eingangs: „Für Theologie und Kirche stellt sich angesichts der Entwicklungsspirale der digitalen Revolution die ernste Frage, ob nicht expliziter Widerstand gegen kommende Auswüchse die ethisch gebotene Handlungsweise sein sollte.“ Auch der Psychologe Gerd Gigerenzer kritisiert die mit der Digitalisierung einhergehende verbreitete Euphorie und betont im Hinblick auf das Hacken: „Das Gefährlichste an der ganzen Digitalisierung ist das Internet der Dinge.“ Die digitalen Sprachassistenten bezeichnet er als „potentielle Heimspione“ und warnt vor dem leichtfertigen Umgang mit persönlichen Daten. Datenabschöpfung als Eingriff in die Privatsphäre Die mit der Digitalen Revolution verbundene massenhafte Sammlung, Speicherung und Übertragung digitaler Daten hat zuvor ungekannte Möglichkeiten der Überwachung eröffnet, die sich rechtsstaatlicher Kontrolle teilweise entziehen. Dadurch gefährdet ist das Recht auf Privatsphäre, und gläserne Bürger werden zu einer möglichen Realität. Yuval Noah Harari hält den Siegeszug einer „Religion des Dataismus“ für möglich. Deren Anhänger glaubten, dass die Intelligenz, die durch Vernetzung von Computern und die Entwicklung eines „Internets der Dinge“ entstehe, zu einem „posthumanistischen Zeitalter“ führen werde, in dem Datenschutz und Demokratie sinnlose Begriffe seien. So seien soziale Netzwerke wie facebook bereits heute in der Lage, durch die Analyse von 300 „I-like“-Klicks eines Menschen besser als dessen Lebenspartner zu wissen, welche Vorlieben und Abneigungen der betreffende Mensch habe. Bald schon würden entsprechend „gefütterte“ Netzwerke genauer als ein bestimmter Wähler wissen, welches Wahlverhalten für ihn am nützlichsten sei, ihn aber auch hocheffektiv manipulieren können. Jaron Lanier rief dazu auf, man möge sich neben den „Gratis-Verlockungen“ der neuen Netzwelt auch die Kehrseiten der schicken Gadgets, Smartphones und Tabletcomputer vor Augen führen: „Wir kommunizieren regelmäßig mit Menschen, von deren Existenz wir vor dem Netzwerkzeitalter nicht einmal gewusst hätten. Wir können jederzeit Informationen zu fast jedem Thema finden. Aber wir haben auch erfahren, dass unsere Geräte und die aus idealistischen Motiven entstandenen digitalen Netzwerke von ultra-mächtigen, fernen Organisationen genutzt werden, um uns auszuspionieren. Wir werden stärker analysiert als wir analysieren.“ In den meisten Fällen könne man einen Tabletcomputer nicht einmal einschalten, ohne persönliche Informationen preiszugeben. Ohne Datenerhebung und Datenanalyse, so Beckedahl und Lüke, könne eine moderne Gesellschaft nicht funktionieren, und sie seien in mancher Hinsicht auch für die Bürger sehr vorteilhaft. Es gehe nicht darum, ob das stattfindet, sondern „wie und nach welchen Regeln es stattfindet, um den Missbrauch von Daten zu verhindern. Dieser Gedanke ist in Politik und Wirtschaft noch nicht angekommen.“ Für Juristen seien Digitalisierung und Netzwelt ein besonders schwieriges Feld, weil es sich bei den Rechtswissenschaften um „nachlaufende Wissenschaften“ handle: Hier gehe es zumeist erst dann um passende Regelsetzung, „wenn etwas in der Welt oder zumindest vorstellbar ist“. Das technische Normensystem des Internets sei mit dem juristischen kaum kompatibel. „Rechtswissenschaftler haben über Jahrhunderte versucht, staatliche Souveränität zu definieren und eine Weltgemeinschaft souveräner Staaten inklusive Völkerrecht zu definieren und auszugestalten. Das Netz sagt: Ich bin überall. […] Es schert sich auch nicht darum, was es da transportiert, und von wem zu wem. Das hat die Juristen dieser Welt vor Probleme gestellt: Ihre nationalen und internationalen Regelwerke wollen allzu oft nicht so recht passen.“ Heinrich Wefing, einer der Initiatoren der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union, setzt sich kritisch mit dem Geschäftsmodell von Internet-Plattformen wie Facebook, Google und Twitter auseinander. Deren Existenz hänge davon ab, Nutzer an sie zu binden und sie zu verführen, möglichst viel Zeit bei ihnen zu verbringen. „Denn je länger die Nutzer auf einer Plattform sind, desto mehr Werbung kann man ihnen vorsetzen. Und desto mehr Daten lassen sich von ihnen absaugen.“ Die jeweiligen Algorithmen seien in der Art digitaler Suchtmittel darauf programmiert, ständig so viel an Aufmerksamkeit wie nur möglich bei den Nutzern zu erregen. Iyad Rahwan, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, vergleicht in einem Interview die Verantwortung der Internetunternehmen mit den Problemen der Umweltverschmutzung und sieht Handlungsbedarf bei Staat und Gesellschaft. Neue Entfremdungsaspekte in datenbasierten Machtkonstellationen Die Konferenz- und Innovationsplattform Digital Life Design zeigt die Rolle großer Konzerne im technischen Entwicklungsprozess. Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers sieht in der Landwirtschaft eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung. Das KTBL stellte 2017 fest, dass zum Beispiel der Verlust der Handlungsautonomie bei Prozessen und Entscheidungen, eine Überforderung durch zunehmende Komplexität der Entscheidungen und eine Polarisierung der Arbeit grundsätzliche Risiken einer Digitalisierung in der Landwirtschaft darstellen können. In einer gegenwartsbezogenen Würdigung sozioökonomischer Theoreme von Karl Marx anlässlich dessen 200. Geburtstags 2018 verknüpft Jürgen Neffe Erscheinungsformen der Digitalisierung des Wirtschafts- und Arbeitslebens mit Erkenntnissen des Marxismus: Wie der Fabrikarbeiter der ihm zugewiesenen Maschine diene der Einzelne im „Datenkapitalismus“ heute über das von ihm genutzte Gerät der „digitalen Weltmaschine“, die vampirartig Lebensdaten absauge. „Der Rohstoffzufluss durch lebendige Tätigkeit lässt den toten Mechanismus aus Prozessoren und Speicherchips umso mehr leben, je mehr wir ihm geben. Er verarbeitet sie zu durchaus nützlichen Informationen, die er uns schenkt, wenn er uns dafür Empfehlungen und Werbung zuspielen darf. So macht uns etwas, das von uns abhängt, umgekehrt zu seinen Abhängigen. Indem uns formt, was wir füttern, werden wir zum Produkt unserer eigenen Hervorbringung.“ Im Maschinenfragment von 1857 habe Marx bereits die Frage aufgeworfen, wie das kapitalistische System funktionieren würde, wenn sich auf der Basis von Wissen alle Waren und Dienstleistungen vollautomatisch herstellen ließen. „Indem uns die Verheißung zeitnaher, bedarfsgerechter und automatischer Produktion wieder ein Stück weiter zu Untertanen unserer eigenen Schöpfung macht, erleben wir so etwas wie einen marxschen Moment.“ Dabei hält Neffe auch bei im Kern fortbestehender wirtschaftlicher Freiheit eine Entwicklung für möglich, „in der Basisbedürfnisse wie Nahrung und Wasser, Mobilität und die Teilhabe am kulturellen Leben mit freier Kommunikation und Netzzugang selbstverständlich erfüllt werden.“ Ihm schwebt vor, dass diese Güter zu Gemeineigentum würden wie öffentliche Grünflächen, Straßenland und Plätze, die jenseits kommerzieller Interessen instand gehalten werden und allen zur Verfügung stehen. „Auch ohne Umsturz ließe sich eine digitale Moderne vorstellen, in der die Herrschaft über die wachsende Datenmenge nicht unkontrolliert in den Händen Einzelner liegt.“ Perspektiven in der Corona-Krise Der Soziologe und Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz sieht neben dem Wiedererstarken des Staates als ordnungssetzender Macht die Digitalisierung als „zweite große Gewinnerin“ in der Corona-Krise. In dieser erweise sich die digitale Revolution als Glücksfall, indem sie eine Kommunikation unter räumlich Getrennten ermögliche; zwar könne sie nicht alles, aber doch manches ersetzen. „Homeoffice und Videokonferenzen im Bereich der Arbeit, digitales Lernen in Schule und Hochschule, Onlinekonsum und persönliche Kommunikation über das Netz – man kann davon ausgehen, dass diese Erfahrungen auch nach Ende der Krise dazu führen, dass sich Arbeit, Bildung und Privatsphäre weiter tiefgreifend digitalisieren.“ Einen anderen Akzent setzt der Philosoph Richard David Precht, mit dem Hinweis, „künstliche Intelligenz sagt in der Krise niemandem, was zu tun ist, und digitales Gerät schützt nicht vor existenziellen Lebenskrisen.“ Es gelte bei der Nachbereitung dieser Krise auch, analoge Bedarfe wieder stärker zu berücksichtigen. Zukunftsprojektionen Für das 21. Jahrhundert erwarten Stengel, Looy und Wallaschkowski ein grundlegend verändertes Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Menschliches Leben werde sich aus der Natur noch weiter in digitale Räume verlagern. Nach Eingriffen in das eigene und in das Genom anderer Organismen würden Menschen künftig auch neue, synthetische Organismen erschaffen. In einer sich abzeichnenden postkapitalistischen Wirtschaftsordnung bedürfe es zur Produktion vieler Dinge nicht mehr unbedingt der Unternehmen. Mit neuen Fabrikationsverfahren wie dem 3D-Druck wandle sich die Wirtschaft von einer zentralisierten Top-down-Ökonomie zu einer demokratischen Bottom-up-Ökonomie, in der vieles von den Bürgern selbst hergestellt werden könnte. Dezentralisierung stehe auch hinsichtlich der Energieversorgung bevor, sobald jedes Gebäude sich damit selbst versorgen könne. Der medizinische Fortschritt verspreche allen Menschen eine längere und gesündere Lebensspanne. Big Data werde den Übergang von standardisierten zu individualisierten medizinischen Therapieverfahren ermöglichen. Hinsichtlich der mit solchen Entwicklungen einhergehenden kulturellen Veränderungen könnten nur jene Religionen künftig noch überzeugen, denen es gelinge, Genetic-Engineering und die menschliche Schöpfung künstlicher Lebensformen in ihr Weltbild und Normensystem zu integrieren. Die Menschen des digitalen Zeitalters werden sich künftig durch die Erweiterung ihrer körperlichen Möglichkeiten von denen des Industriezeitalters markant unterscheiden, und zwar bedingt durch neue Formen des Human-Enhancement auf genetischer, pharmakologischer und technologischer Basis, so Oliver Stengel. „Der Mensch 2.0“ werde sich nicht nur durch biologische Eingriffe in sein Genom verändern, sondern auch „durch die Integration (digital)technologischer Bauteile in seinen Körper und vielleicht auch durch nanotechnologische Interventionen.“ In der Art der bereits genutzten Cochlea-Implantate für verbessertes Hören erwartet Stengel unter anderem die Entwicklung von Retina-Implantaten in Form eines Microchips in Auge oder Kontaktlinse, der mit dem Internet oder einem Navigationssystem verbindet. Menschen- und völkerrechtliche Fragen Technologiefirmen im Silicon Valley arbeiten laut Miriam Meckel daran, „das menschliche Gehirn zur neuen Eroberungszone ihrer unternehmerischen Aktivitäten zu machen.“ Für das auf erhöhte Leistungsfähigkeit zielende Zusammenwirken von neuester Technik mit dem menschlichen Gehirn steht der Begriff Brainhacking, so Meckel. Bei Facebook werde seit 2018 zu einer Technik geforscht, die es ermöglicht, Gedankenprodukte unmittelbar auf das Smartphone zu übertragen und das Schreiben auf dem Gerät dadurch enorm zu beschleunigen. Der Unternehmer Elon Musk beschäftige seine Firma Neuralink wiederum damit, menschliche Gehirne in einer durch künstliche Intelligenz angereicherten Hirncloud zu vernetzen. Die individuellen Gedanken würden damit für jeden verfügbar, der sich an diese Cloud anschließt. Meckel warnt davor, dass eine solche Entwicklung den nahezu unbegrenzten Zugriff auf das Innerste der individuellen Persönlichkeit mit sich brächte: „Und wo sich Gedanken aus dem Gehirn lesen lassen, da lassen sie sich im Umkehrschluss auch hineinschreiben. So kann man Informationen, Erfahrungen und Erinnerungen speichern und eine Persönlichkeit umschreiben.“ Welche Rolle den Menschen in einer global durchdigitalisierten künftigen Weltgesellschaft verbleibt, erwägen die Soziologen Heinz Bude und Philipp Staab. Sie sehen die USA und China mit ganz verschiedenen Leitbildern um die digitale Weltherrschaft wetteifern und suchen einen eigenen europäischen Standort zu bestimmen. Während sich die Sicherung der Massenloyalität in China durch ein auf umfassende Datenpreisgabe und -überwachung gegründetes Sozialkreditsystem abzeichne (Privilegiengewährung bei Wohlverhalten im Sinne der kommunistischen Parteiführung), laufe das amerikanische Gegenmodell auf vielfältige und weitgehend kostenlose „Lebensassistenzangebote“ hinaus: „Man zahlt mit seinen Daten und freut sich an der ungeheuren Bequemlichkeit des digitalen Anschlusses an die Welt.“ Massenloyalität entstehe in dieser Variante aus der Gratisversorgung mit digitalen Lebenshilfen. „Bleibt uns nur die Wahl zwischen Huawei und Facebook?“, fragen Bude und Staab und verweisen darauf, dass die Voraussetzungen für die „dritte Stufe der Evolution des Netzes“ in Europa vorlägen: „Nach dem kommunikativen Netz mit den sozialen Netzwerken, dem kommerziellen Netz mit den Internetkaufhäusern befinden wir uns weltweit jetzt im Aufbau eines industriellen Netzes der Dinge.“ Für die Europäer gelte es zu zeigen, wie der Mensch „sich hier als vernetzter Produzent mit verteilter Intelligenz, als disponierender Konsument mit einer Vielfalt händlerischer Möglichkeiten und als konstitutiver Bürger ganz neu und anders zur Geltung bringt.“ Es handle sich darum, „ob offene Gesellschaften individuelle Freiheit und kollektive Handlungsfähigkeit als die zwei Seiten einer gemeinsamen Anstrengung noch einmal zum Schwingen bringen können.“ Die beiden Soziologen gelangen zu dem Fazit: „Aus der Individualität kommt die Bewegung, aus der Solidarität die Form. Das ist der europäische Weg.“ Völkerrechtliche Fragen, die durch die Digitale Revolution aufgeworfen werden, rückten im Zuge der Überwachungs- und Spionageaffäre 2013 in den Fokus der gesellschaftlichen und politischen Diskussion. Dies schließt weitgehend ungelöste Fragen bezüglich der Menschenrechte, der Spionageabwehr und der staatlichen Souveränität ein. Siehe auch Digitale Agenda für Europa 2020 Digital Lifestyle Digitale Transformation Digitalität Digitale Welt Industrie 4.0 Medizin 4.0 Literatur Digitalisierung. Informationen zur politischen Bildung 344. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildungen, Bonn 2020. Dirk Baecker, 4.0 oder Die Lücke die der Rechner lässt. Merve, Leipzig 2018, ISBN 978-3-96273-012-3. Markus Beckedahl, Falk Lüke: Die digitale Gesellschaft. Netzpolitik, Bürgerrechte und die Machtfrage. München 2012, ISBN 978-3-423-24925-6. Anja Breljak, Rainer Mühlhoff, Jan Slaby (Hrsg.): Affekt Macht Netz. Auf dem Weg zu einer Sozialtheorie der Digitalen Gesellschaft. transcript, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-4439-5. (PDF-Download) Holm Friebe, Sascha Lobo: Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème oder: intelligentes Leben jenseits der Festanstellung. Heyne, München 2006, ISBN 3-453-12092-2. Uwe Jean Heuser: Tausend Welten. Die Auflösung der Gesellschaft im digitalen Zeitalter. Berlin Verlag, 2000, ISBN 3-8270-0208-7. Catarina Katzer: Cyberpsychologie. Leben im Netz: Wie das Internet uns ver@ndert. München 2016. Andreas Mühlichen: Privatheit im Zeitalter vernetzter Systeme. Eine empirische Untersuchung. Opladen/Berlin/Toronto 2018. Otto Peters: Kritiker der Digitalisierung. Warner, Bedenkenträger, Angstmacher, Apokalyptiker. Frankfurt 2012. Erik Brynjolfsson, Andrew McAfee: The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird. Plassen Verlag, 2014, ISBN 978-3-86470-211-2. Karl Steinbuch: Die informierte Gesellschaft. Geschichte und Zukunft der Nachrichtentechnik. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1966. Oliver Stengel, Alexander van Looy, Stephan Wallaschkowski (Hrsg.): Digitalzeitalter – Digitalgesellschaft: Das Ende des Industriezeitalters und der Beginn einer neuen Epoche. Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-16508-6. Werner Thiede: Die digitalisierte Freiheit. Morgenröte einer technokratischen Ersatzreligion. LIT-Verlag, Berlin 2014 (2. Aufl.), ISBN 978-3-643-12401-2. Werner Thiede: Digitaler Turmbau zu Babel. Der Technikwahn und seine Folgen. oekom: München 2015, ISBN 978-3-86581-727-3 (2., erweiterte Aufl. 2021: ISBN 978-3-96238-300-8). Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. C. H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-74024-4. Weblinks Digitales, Website der Bundeszentrale für politische Bildung Stanisław Lem: Wir stehen am Anfang einer Epoche, vor der mir graut. In: heise.de Peter Russel: Auf dem Weg zum globalen Gehirn. In: heise.de Pieter J. D. Drenth: Die digitale Gesellschaft erkunden – Dossier des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft gGmbH Eugen Pfister und Tobias Winnerling: Digitale Spiele, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 10. Januar 2020 – Digitale Spiele als integraler Teil der „Digitalen Revolution“ Anmerkungen Einzelnachweise Technischer Fortschritt Industriegeschichte Sozialer Wandel Globalisierung Informatik und Gesellschaft
1077
https://de.wikipedia.org/wiki/Debian
Debian
Debian [] ist ein gemeinschaftlich entwickeltes freies Betriebssystem. Debian GNU/Linux basiert auf den grundlegenden Systemwerkzeugen des GNU-Projektes sowie dem Linux-Kernel. Die aktuelle Version ist Debian 12 „Bookworm“. Debian bietet eine große Auswahl an Anwendungsprogrammen und Werkzeugen; derzeit sind es etwas mehr als 64.000 Programmpakete. Debian wurde im August 1993 von Ian Murdock ins Leben gerufen und wird seitdem aktiv weiterentwickelt. Heute hat das Projekt über 1000 offizielle Entwickler. Es ist eine der ältesten, einflussreichsten und am weitesten verbreiteten GNU/Linux-Distributionen. Viele weitere Linux-Distributionen basieren auf Debian. Das heute bekannteste Debian-GNU/Linux-Derivat ist Ubuntu, von dem wiederum das ebenfalls verbreitete Linux Mint abstammt. Projekt Debian-Entwickler kann jeder werden, der den sogenannten New-Member-Prozess erfolgreich durchläuft: Bewerber werden hinsichtlich ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten geprüft, außerdem wird sichergestellt, dass sie mit der Philosophie des Projektes vertraut sind. Der Name des Betriebssystems leitet sich von den Vornamen des Debian-Gründers Ian Murdock und seiner damaligen Freundin und späteren Ehefrau Debra Lynn ab. Bereits wenige Monate nach der Gründung, im Mai 1994, entschied sich das Projekt zu einer Änderung des offiziellen Namens von Debian Linux zu Debian GNU/Linux, womit es der Auffassung der Free Software Foundation folgte, dass das häufig als Linux bezeichnete Betriebssystem eine Variante des GNU-Systems sei (zu den Hintergründen siehe GNU/Linux-Namensstreit). Da Debian in Version 6.0 (Squeeze) und 7 (Wheezy) in zwei Varianten – GNU/Linux und GNU/kFreeBSD – verfügbar ist, wird seitdem nur noch in Bezug auf diese der jeweilige Namenszusatz genannt; allgemein wird also nur noch von Debian gesprochen. Das System ist bekannt für seine Paketverwaltung dpkg und deren Frontend APT. Mit diesen ist es möglich, alte Versionen von Debian GNU/Linux durch aktuelle zu ersetzen oder neue Softwarepakete zu installieren. Sie sind ebenfalls dafür zuständig, alle von einem Programm benötigten Abhängigkeiten aufzulösen, also alle Programmpakete zu laden und zu installieren, welche die gewünschte Software benötigt. Geschichte 1993 bis 1998 Am 16. August 1993 wurde von Ian Murdock das „Debian Linux Release“ angekündigt. Er hatte versucht, SLS, das eine der ersten umfassenden Linux-Distributionen war, zu nutzen. Da er jedoch mit deren Qualität unzufrieden war, konzipierte er sein eigenes System, ließ sich aber von SLS inspirieren. Im selben Jahr veröffentlichte er auch das Debian-Manifest, eine Zusammenstellung seiner Sichtweise zu Debian. Im Vordergrund stand hier eine offene Entwicklung „im Geiste von Linux und GNU“. Bis 1995 veröffentlichte das Projekt die ersten Entwicklungsversionen mit den Versionsnummern 0.9x. In dieser Zeit wurde es auch von der Free Software Foundation gesponsert und zählte etwa 60 Entwickler. 1996 wurde letztlich die erste stabile Version 1.1 veröffentlicht. Weil ein CD-ROM-Verkäufer versehentlich eine Vorversion unter der Nummer 1.0 veröffentlicht hatte, kam es – um Verwirrung zu vermeiden – nie zu einer tatsächlichen Version 1.0. Im April 1996 wurde Murdock von Bruce Perens als Leiter des Projekts abgelöst. In den darauffolgenden Jahren wechselte diese Position einige Male. Am 17. Juni 1996 folgte mit Buzz (Version 1.1) das erste Release, welches einen Aliasnamen trug. Alle weiteren Veröffentlichungen wurden ebenfalls mit einem solchen versehen, wobei sich dieser immer nach einer Figur aus dem Film Toy Story bzw. seinen Fortsetzungen richtet. 1997 wurde nach vorheriger Diskussion der Debian-Gesellschaftsvertrag ratifiziert. Am 24. Juli 1998 wurde die Version 2.0 Hamm veröffentlicht, welche erstmals für mehrere Architekturen zur Verfügung stand. Das Projekt umfasste zu diesem Zeitpunkt 1500 Pakete und 400 Entwickler. 1999 bis 2004 Es folgten weitere 2.x-Veröffentlichungen mit neuen Portierungen zu anderen Architekturen sowie einer steigenden Zahl von Paketen. Besonders hervorzuheben ist die Entwicklung von APT. Auch entstand mit Debian GNU/Hurd die erste Portierung zu einem Nicht-Linux-Kernel. Im Jahr 2000 wurde der Testing-Zweig gegründet. In der nachfolgenden Zeit wurde die Debian-Website in 20 Sprachen übersetzt. Es kam zur Gründung der Unterprojekte Debian-Junior und Debian-Med, die sich an Kinder bzw. medizinische Forschung und Praxis richteten. Im gleichen Jahr fand auch erstmals die Entwicklerkonferenz DebConf statt, welche seitdem jährlich an unterschiedlichen Orten abgehalten wird. Die Version 3.0 Woody vom 19. Juli 2002 enthielt erstmals das K Desktop Environment, nachdem die Lizenzproblematik von Qt geklärt war. Das Projekt war auf 900 Entwickler und 8500 Binärpakete angewachsen. Die offizielle Distribution bestand aus 7 CDs. Seit 2005 Erst knappe drei Jahre später, am 6. Juni 2005, kam es zur Veröffentlichung von Version 3.1 Sarge. Der lange Zeitraum brachte dem Projekt einige Kritik ein, war aber vor allem in der Neuentwicklung eines Installers für elf verschiedene Architekturen begründet. Mit Ubuntu entstand zwischenzeitlich auch das heute bedeutendste Debian-Derivat. Sarge enthielt etwa 15.400 Pakete und benötigte damit 14 CDs. Es beteiligten sich etwa 1500 Entwickler an dieser Veröffentlichung. Neben der Masse an aktualisierten und neu hinzugekommenen Paketen ist vor allem das neu geschriebene Installationsprogramm hervorzuheben, das in 40 Sprachen übersetzt wurde. Erstmals wurde auch OpenOffice.org aufgenommen. 2006 wurde in Oaxtepec, Mexiko, die siebte DebConf abgehalten. Zudem wurde nach dem Namensstreit zwischen Debian und Mozilla seitens Debian das entsprechende Paket des Mozilla Firefox in Iceweasel, sowie das von Mozilla Thunderbird in Icedove umbenannt. Am 8. April 2007 wurde von etwa 1000 Entwicklern Version 4.0 Etch veröffentlicht. Diese enthielt rund 18.200 Binärpakete. Im Februar 2009 folgte 5.0 Lenny, und im Februar 2011 wurde Lenny oldstable und 6.0 Squeeze mit über 29.000 Softwarepaketen als stable veröffentlicht. Ab Version 6.0 „Squeeze“ war mit Debian GNU/kFreeBSD die erste offizielle Portierung auf einen anderen Betriebssystemkern – jenen des FreeBSD-Projektes – als Technologievorschau verfügbar. Am 4. Mai 2013 wurde mit Wheezy die Version 7 als „stable“ gesetzt. Diese enthielt erstmals LibreOffice. Für Version 7 „Wheezy“ wurde die Veröffentlichung von Debian GNU/Hurd, einer offiziellen Portierung auf den GNU Hurd, diskutiert. Dies wurde jedoch verworfen. Am 25. April 2015 folgte ihr Version 8, Codename Jessie, bei der das init-System vom bisher benutzten SysVinit auf das kontrovers diskutierte systemd umgestellt wurde. Auf die FreeBSD-Portierung wurde in Version 8 verzichtet. Die neunte Ausgabe von Debian, Codename Stretch, erschien am 17. Juni 2017. Augenfälligste Neuerung war die Rückkehr von Firefox und Thunderbird. Am 6. Juli 2019 wurde Debian 10 mit dem Codenamen Buster veröffentlicht. Es basiert auf dem Linux-Kernel 4.19. Wichtige Neuerungen sind das Mandatory Access Control (MAC) Framework AppArmor, das bei Neuinstallationen aktiviert ist, sowie das Container-Verwaltungswerkzeug Docker. In Debian 10 sind erstmals der Compiler für die Programmiersprache Rust und in Rust geschriebene Programme enthalten. Der Paketumfang wuchs gegenüber dem Vorgänger signifikant und liegt nun bei über 57.000 Paketen. Seit 2020 Debian 11 Bullseye erschien am 14. August 2021. Zu den Änderungen gehören die native Unterstützung für das Dateisystem ExFAT, treiberloses Drucken und die standardmäßige Passwort-Verschlüsselung mit yescrypt. Debian 12 Bookworm erschien am 10. Juni 2023. Die auffälligste Neuerung ist die Integration von unfreier (proprietärer) Firmware in die offiziellen Installationsabbilder. Grundlage dafür ist eine bis Anfang Oktober 2022 stattgefundene Abstimmung, bei der aus insgesamt sechs Varianten abgestimmt werden konnte, wie das Projekt zukünftig mit proprietärer Firmware umgeht. Die Abstimmung endete mit dem Ergebnis, zukünftig proprietäre Firmware in die offiziellen Abbilder zu integrieren. Dabei soll der Installations-Assistent prüfen, ob proprietäre Treiber notwendig sind und diese bei Bedarf automatisch laden. Dies ist die neue Standard-Einstellung, der Nutzer muss dies nicht gesondert aktivieren. Wer dagegen keine unfreie Firmware nutzen möchte, kann dieses neue Verhalten abschalten. Innerhalb von Debian wurde dies kontrovers diskutiert, da die GNU/Linux-Distribution sich für freie Software positioniert und bis dahin in den offiziellen Abbildern keine proprietäre Firmware auslieferte. Wer diese nutzen wollte, musste sie entweder händisch installieren oder inoffizielle Installationsmedien verwenden. Debian 12 ist die erste stabile Version, bei der diese Entscheidung umgesetzt wurde. Darüber hinaus erhält Debian 12 über 11.000 neue Pakete in den offiziellen Paketquellen. 6.000 Pakete wurden aus unterschiedlichen Gründen entfernt. Insgesamt bietet die Distribution mit insgesamt mehr als 64.000 Paketen ein umfangreicheres Softwareangebot als der Vorgänger. 67 % der bereits vorhandenen Pakete haben zudem eine Aktualisierung auf neuere Versionen erhalten. Die Version des Linux-Kernels springt von 5.10 auf 6.1. Organisation Das Debian-Projekt konstituiert sich durch die Debian-Verfassung. Sie regelt die demokratische Organisationsstruktur mit regelmäßigen Wahlen. Darüber hinaus verpflichtet sich das Projekt mit dem Gesellschaftsvertrag Debian Social Contract zu freier Software. Seit dem 26. April 2004 ist die Version 1.1 des Gesellschaftsvertrages gültig. Die eigentliche inhaltliche Änderung besagt, dass alle Komponenten des Debian-Systems (im Hauptzweig main) frei sein müssen, nicht mehr nur die Software. Die Debian-Richtlinien für freie Software beziehen sich also nicht mehr nur auf freie Software, sondern allgemein auf freie Werke. Da diese Auswirkungen einer als „editoriell“ bezeichneten Änderung für viele Entwickler überraschend war, wurde in einer zusätzlichen Abstimmung im Juli 2004 beschlossen, dass diese Änderung erst nach dem Release von Sarge im Juni 2005 wirksam wird. Aktueller Leiter des Debian-Projekts ist Jonathan Carter. Der Posten wird einmal im Jahr per Wahl neu vergeben. Alle Wahlen und Abstimmungen erfolgen elektronisch (mit Hilfe einer digitalen Signatur) nach der Schulze-Methode. Als eine Dachorganisation für Debian und weitere Freie-Software-Projekte wurde 1997 Software in the Public Interest gegründet. Debian-Gesellschaftsvertrag Der Debian-Gesellschaftsvertrag () ist eine vom Debian-Projekt beschlossene öffentliche Richtlinie, die Grundlagen regelt, wie die freie Software Debian hergestellt, verteilt und betreut wird. Der Gesellschaftsvertrag geht auf einen Vorschlag von Ean Schuessler zurück. Bruce Perens entwarf eine erste Version des Dokumentes, das dann mit anderen Debian-Entwicklern im Juni 1997 verfeinert wurde, bevor es als öffentliche Richtlinie akzeptiert wurde. Version 1.0 wurde am 5. Juli 1997 ratifiziert. Am 26. April 2004 wurde die überarbeitete Version 1.1 ratifiziert. Sie ersetzt seitdem ihren Vorgänger. Ein besonders bedeutender, auch über das Debian-Projekt hinaus genutzter Teil des Vertrages sind die Debian-Richtlinien für freie Software (DFSG). Die Gemeinschaft um die Etablierung des Begriffes Open Source in der Öffentlichkeit verwendete diese als Grundlage, um ihre Definition von Open Source zu verfassen. Bruce Perens verallgemeinerte die Richtlinien, indem er Debian aus dem Text strich, um The Open Source Definition (dt. Die Open Source Definition) zu schaffen. Sie wird seitdem von der Open Source Initiative (OSI) verwendet. Mit der Zeit haben sich hier allerdings einige Unterschiede ergeben. Die im Vertrag festgehaltene Verpflichtung zur Bereitstellung von freier Software wird vom Debian-Projekt sehr ernst genommen. Zentrale Diskussionen im Linux-Umfeld werden maßgeblich vom Projekt bestimmt, wie die konsequent freie Dokumentation der Programme (Diskussion über die GFDL) oder die Vermeidung von Markennamen, weil ein Hersteller darüber das Projekt beeinflussen kann. Eine Auswirkung dieser Politik war der Namensstreit zwischen Debian und Mozilla, der zu einer Umbenennung der Anwendung Firefox in Iceweasel innerhalb von Debian führte. Software-Sicherheit Softwareprobleme werden öffentlich behandelt, so auch sämtliche Sicherheitsprobleme. Aspekte der Sicherheit werden öffentlich auf der debian-security-announce-Mailingliste diskutiert. Debians Sicherheitsgutachten werden über eine öffentliche Mailingliste gesendet (sowohl innerhalb als auch außerhalb) und auf einem öffentlichen Server bekanntgegeben. Von dieser Verfahrensweise verspricht man sich ein schnelleres Auffinden von Sicherheitslücken und damit die Möglichkeit, diese eher beheben zu können. Die entgegengesetzte Herangehensweise des Security through obscurity wird dagegen als unpraktikabel angesehen. Die Tatsache, dass die Weiterentwicklung der Distribution öffentlich sichtbar unter Beteiligung einer Vielzahl von Personen geschieht, erfordert besondere Sicherheitsmaßnahmen. Beispielsweise werden Änderungen an Paketen grundsätzlich mit einem verifizierbaren Schlüssel digital signiert. Beim Anwender wird dann vor der Installation die Gültigkeit der Signatur überprüft. Diese Maßnahme soll es Dritten erschweren, schädliche Software in Debian-Pakete einzuschleusen. Die Paketbetreuer passen die Sicherheitsaspekte ihrer jeweiligen Software an die allgemeinen Grundsätze von Debian an. Daher sind Dienste nach der Installation oft „sicher“ voreingestellt, was von einem Benutzer als „Einschränkung“ empfunden werden kann. Dennoch versucht Debian, Sicherheitsaspekte und einfache Administration abzuwägen. Zum Beispiel werden Dienste wie ssh und ntp nicht inaktiv installiert, wie es bei den Distributionen der BSD-Familie üblich ist. Wenn ein Sicherheitsproblem in einem Debian-Paket entdeckt wurde, wird es zusammen mit einer Einschätzung der dadurch entstehenden Gefahr direkt veröffentlicht. Parallel wird so schnell wie möglich ein Sicherheitsupdate dieses Pakets vorbereitet und auf speziellen Servern veröffentlicht. Kritische Sicherheitslücken werden auf diese Weise häufig innerhalb von Stunden geschlossen. Die von Debian angepasste Implementierung des für die Schlüsselerstellung zuständigen Zufallsgenerators der OpenSSL-Bibliothek arbeitete von September 2006 bis 13. Mai 2008 mit einer erheblichen Sicherheitslücke. Die generierten geheimen Schlüssel konnten abgeschätzt und damit in kurzer Zeit (vor-)berechnet werden (1024- und 2048-Bit-Schlüssel in ungefähr zwei Stunden). Insbesondere OpenSSH und die sichere Kommunikation in Webbrowsern waren davon betroffen – GnuPG hingegen nicht. Das Sicherheitsrisiko besteht weiterhin für alle RSA-Schlüssel, die in diesem Zeitraum auf betroffenen Systemen erstellt wurden und seit der Aktualisierung der Bibliothek nicht neu erstellt wurden. Auch alle DSA-Schlüssel, die jemals von einem Rechner (Client) mit fehlerhaftem Zufallszahlengenerator verwendet wurden, sind seitdem unsicher, selbst wenn diese ursprünglich auf einem Rechner mit korrekt arbeitendem Zufallszahlengenerator erstellt wurden. Im Januar 2019 wurde in dem Paketmanagertool von Debian („apt“ bzw. „apt-get“) eine Sicherheitslücke entdeckt, die es einem Man-in-the-Middle-Angreifer ermöglichte, Code bei einem Update auszuführen. Der Entdecker dieser Sicherheitslücke plädierte, auch vor dem Hintergrund, dass dies nicht die einzige Sicherheitslücke mit diesen Auswirkungen in apt war, und solche Lücken immer passieren können, dafür, dass Debian in Zukunft standardmäßig HTTPS für Updates mit apt statt HTTP nutzt, da HTTPS die Integrität der gesamten Kommunikation mit dem Update-Server absichert. Dies wurde in der Vergangenheit mit dem Hinweis abgelehnt, dass apt selbst eine Verifizierung der Pakete vornimmt was soweit auch korrekt ist, allerdings würde es bei Sicherheitslücken wie dieser dennoch zu einem Sicherheitsgewinn kommen, da die Sicherheitslücke dann nicht mehr von allen Man-in-the-Middle-Angreifern, die in die Verbindung eingreifen können, ausnutzbar ist, sondern nur noch von den jeweils gewählten Debian-Update-Mirrors des Gerätes. Veröffentlichungszyklus Flussdiagramm des Lebenszyklus eines Paketes von Debian Von Debian werden zu jedem Zeitpunkt mehrere Varianten (Releases) parallel angeboten: (‚stabil‘), (‚Erprobung‘) und (‚instabil‘). Nach der Veröffentlichung jeder stable-Version wird die vorige stable-Version als (‚alt-stabil‘) für mindestens ein Jahr weitergeführt. Experimental experimental ist eine Vorstufe zu unstable. In experimental werden Änderungen ausprobiert, die umfangreiche Auswirkungen auf das gesamte System haben können. So wurde der Übergang des X Window Systems von XFree86 auf X.Org in experimental erprobt. experimental ist keine vollständige Sammlung von Paketen. Es enthält nur, was gerade einer besonderen Untersuchung bedarf. Unstable unstable ist der erste Anlaufpunkt für neue Versionen von Paketen und Programmen, bevor sie in testing integriert werden. Dort werden sie auf Fehler geprüft. unstable ist weniger für den produktiven Einsatz gedacht als für das Testen neuer Paketversionen. Wer unstable verwendet, muss damit rechnen, mit Programmfehlern konfrontiert zu werden, die aus mangelndem Zusammenspiel mit anderen Softwarekomponenten resultieren. Wurden innerhalb der Testzeit (meistens zehn, gelegentlich fünf, bei dringenden Paketen zwei oder sogar null Tage) keine schweren, für das Release entscheidenden Fehler („release-critical bugs“, „RC-Bugs“) gefunden und sprechen keine anderen Gründe wie das Zurückhalten einzelner Pakete durch das Release-Team oder nichterfüllte Abhängigkeiten dagegen, wird das Paket in testing aufgenommen. Testing testing ist der Kandidat für die nächste stable. Direkt nach der Veröffentlichung einer neuen stable sind testing und stable identisch. In testing werden nach und nach Aktualisierungen und neue Anwendungspakete eingebunden. testing entwickelt sich also ständig weiter. Dabei bleibt das System im Normalfall voll einsatzfähig. Die installierten Pakete können täglich auf Aktualisierungen geprüft und diese gegebenenfalls aufgespielt werden. Dieses Verfahren wird häufig für Arbeitsplatzrechner genutzt. Einige Monate vor der Veröffentlichung einer neuen stable-Version wird testing in Bezug auf neue Programme und Programmversionen eingefroren („freeze“). Änderungen beziehen sich dann in der Regel nur noch auf die Beseitigung von beim Test aufgetretenen Fehlern. Die Veröffentlichung eines neuen stable erfolgt erst dann, wenn alle als „schwer“ eingestuften Fehler behoben sind. Der aktuelle Stand und der zeitliche Verlauf der Anzahl dieser Fehler lässt sich in einer automatisch aktuell gehaltenen Webseite ablesen. Die ständigen Änderungen an testing bergen das Risiko von Installationsfehlern, die das laufende System beeinträchtigen können. Wie dieses Risiko im Vergleich zu den ebenfalls nicht fehlerfreien statischen Veröffentlichungen anderer Distributionen einzuschätzen ist, ist Gegenstand emotionaler Diskussionen. Stable stable ist die jeweils aktuelle offizielle Version. Debian veröffentlichte seit 2000 etwa alle zwei Jahre eine neue stable. Mit Ausnahme von Sicherheitsaktualisierungen wird an den in ihr enthaltenen Paketen nichts mehr verändert. stable gilt daher als geeigneter Kandidat für Server-Systeme, die lange Zeit zuverlässig laufen müssen. Vor der Veröffentlichung werden für einige Monate mit hoher Priorität die als schwerwiegend eingestuften Fehlfunktionen beseitigt. In dieser Zeit werden keine großen Versionssprünge in Paketen oder neue Pakete akzeptiert. Kurz vor einer Debian-Veröffentlichung repräsentiert stable in Bezug auf Software-Versionen daher den Stand von vor etwa einem halben Jahr. Oldstable oldstable ist der Vorgänger der jeweils aktuellen stable, solange Sicherheitsupdates zur Verfügung gestellt werden. Debian empfiehlt zwar, mit der jeweils aktuellen stable zu arbeiten, unterstützt oldstable aber noch mindestens ein weiteres Jahr mit Sicherheitsaktualisierungen. Ausgenommen davon sind Browser wie Mozilla Firefox oder Chromium, die nur für 6 Monate mit Sicherheitsupdates versorgt werden. Langzeitunterstützung (engl.: long-term support, kurz: LTS) Als im Frühjahr 2014 die reguläre Unterstützung der Version 6.x Squeeze endete, folgte erstmals Langzeitunterstützung, englisch long term support (LTS), für die meisten Pakete auf den Architekturen i386 und amd64 bis Februar 2016 durch das neu gegründete Projekt Debian Long Term Support (debian-lts). Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, zukünftig alle Versionen für mindestens 5 Jahre mit Sicherheitsupdates zu versorgen. Seit Ende Mai 2018 und dem Ende der Unterstützung von Debian 7 Wheezy bietet das Unternehmen Freexian eine erweiterte Langzeitunterstützung, englisch Extended Long Term Support (ELTS), für ausgewählte Pakete an. Dieses kommerzielle Angebot soll mindestens 1 Jahr aktiv sein, es handelt sich dabei um kein offizielles Debianprojekt, Debians Infrastruktur ist nicht involviert. Zeitabstand zwischen den Releases Zeitweise lagen große Zeiträume zwischen den Debian-Veröffentlichungen. Darauf gab es verschiedene Reaktionen, etwa wurden Pakete verschiedener Veröffentlichungen gemischt. Dies wird jedoch unmöglich, wenn sich zentrale Teile des Systems zu stark unterscheiden. So gab es zwischen Sarge und Etch eine Änderung der glibc-ABI, die für die meisten Pakete eine Aktualisierung nötig machte. Für einige Aufgaben wie Spam- und Virenerkennung bot Debian zeitweise eine Paketquelle namens „volatile“ (unbeständig) an, die mit Squeeze durch eine neue Paket-Quelle „updates“ ersetzt wurde. Für einige Programme kann man sich auch mit sogenannten Backports behelfen. Das sind Pakete von neueren Programmversionen, die für eine alte Debian-Veröffentlichung kompiliert wurden. Dadurch werden nur die Programme aktualisiert, auf die die jeweiligen Backports ausgelegt sind. Eine weitere Alternative bieten Container-Umgebungen wie Flatpak. Codenamen und deren Herkunft Jede Version hat einen Codenamen, der von Charakteren des Films Toy Story oder seinen Fortsetzungen stammt. Derzeit ist „Bookworm“ (Debian 12) der Name des stable-Zweigs. Der Codename von unstable ist seit Dezember 2000 gleichbleibend „Sid“. Dies ist eine Anspielung auf den Jungen, der im Film Toy Story mehrfach Spielzeuge kaputtgemacht hat. Erstmals erhielt Debian mit Veröffentlichung der Version 1.1 (17. Juni 1996) einen Codenamen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bruce Perens die Leitung des Projekts von Ian Murdock übernommen. Perens arbeitete beim Filmstudio Pixar, das die Toy-Story-Filme produziert. Softwarekategorien Innerhalb eines Releases enthält die Abteilung main das eigentliche Debian-System. main besteht komplett aus freier Software und sonstigen Werken gemäß DFSG. Es ist möglich, allein mit Paketen aus main ein funktionstüchtiges System zu installieren. non-free enthält Software, die proprietär ist, und contrib beherbergt Software, die selbst frei ist, jedoch ohne Software aus non-free nicht lauffähig ist, wie früher Java-Programme, die die Java-Laufzeitumgebung von Sun Microsystems benötigten. contrib und non-free sind kein offizieller Teil von Debian, werden jedoch unter anderem durch Bereitstellung der für main üblichen Infrastruktur unterstützt. Unterstützte Architekturen Debian unterstützt eine Anzahl verschiedener Hardware-Architekturen. Dabei wird zwischen offiziellen Release-Architekturen und Ports unterschieden. Um als Release-Architektur offiziell unterstützt zu werden, muss eine Anzahl Bedingungen erfüllt sein. So ist ein ausreichend großes Team nötig, eine ausreichende Anzahl entsprechender Rechner muss dem Debian-Projekt zum Erstellen von Paketen zur Verfügung stehen, und fast alle Pakete müssen auf der Architektur gebaut werden können und die Software benutzbar sein. Jede Architektur wird zunächst als Port unterstützt und kann zu einer offiziell unterstützten Architektur aufgewertet werden. Umgekehrt kann eine offizielle Release-Architektur zum Port abgewertet werden, wenn die Anforderungen an Release-Architekturen nicht mehr erfüllt sind. Für Ports gibt es keine stable-Veröffentlichungen, sondern es existiert nur die unstable-Variante. Versionsgeschichte Verbreitung Laut einer Online-Umfrage von Heise online im Februar 2009 war Debian Linux zu dieser Zeit mit 47 % (Mehrfachnennung möglich) das am meisten verwendete freie Server-Betriebssystem in deutschen Unternehmen. Bei den freien Desktop-Betriebssystemen belegte Debian Linux mit einer Verbreitung von 29,9 % den zweiten Platz hinter Ubuntu (60,8 %), das auch von Debian abstammt – dicht gefolgt von openSUSE (28,8 %, Stand Februar 2009). Debian ist eine der häufigsten Linux-Distributionen auf Webservern. Debian wird neben Scientific Linux, Red Hat Enterprise Linux und Windows auf der Internationalen Raumstation (ISS) eingesetzt. Nutzung durch öffentliche Einrichtungen Die Regierung der spanischen Region Extremadura hat von 2002 bis 2011 die Debian-basierte Distribution GNU/LinEx entwickelt und in den Schulen und im öffentlichen Gesundheitssystem eingeführt. Anfang 2012 gab die Regionalverwaltung bekannt, dass LinEx eingestellt werde, kurz darauf kündigte sie an, dass nun 40.000 Arbeitsplätze der Verwaltung auf Debian umgestellt würden. Die Stadt München ist mit ihren Debian-basierten Betriebssystemen LiMux zwischen 2006 und 2013 auf freie Software umgestiegen, plant jedoch eine Rückkehr zu Windows-Systemen bis 2020. Das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik setzte ab 2008 unter anderem Debian auf Desktopsystemen ein. Auch Wien bot von 2004 bis 2009 mit Wienux der Stadtverwaltung eine Debian-basierte freie Alternative an. 2009 wurde eine angepasste Version von DebianEdu (auch bekannt als Skolelinux) in einer Pilotphase an elf Schulen im Land Rheinland-Pfalz getestet, nachdem das System bereits in Hamburg in etlichen Schulen eingeführt worden war. Kernel Das Debian-Projekt beabsichtigt, neben der Linux-Distribution Debian GNU/Linux mit Linux-Kernel auch Varianten des GNU-Systems mit anderen Kernen zu unterstützen. Mit Squeeze und Debian GNU/kFreeBSD wurde 2011 die erste Portierung auf den Kernel des FreeBSD-Betriebssystems veröffentlicht. Diese stand zunächst nur für x86-Architekturen (32-Bit: IA-32 bzw. „i386“, und 64-Bit: x64 bzw. „amd64“) zur Verfügung. Die Namensgebung Debian GNU/kFreeBSD sollte betonen, dass es sich lediglich um den Kernel von FreeBSD handelt, während die Systemwerkzeuge weiterhin denen des GNU-Projekts entsprachen, nicht den Varianten der BSD-Familie. Aus Anwendersicht blieb es daher bei einer größeren Ähnlichkeit mit anderen Linux-Distributionen als mit FreeBSD. Jessie enthielt den GNU/kFreeBSD-Port aufgrund anhaltender Probleme und enttäuschender Entwicklungsfortschritte jedoch nicht mehr. In Zukunft soll auch die Variante Debian GNU/Hurd mit dem Kernel GNU Hurd veröffentlicht werden. Konkrete Veröffentlichungspläne gibt es allerdings noch nicht. Eine Variante Debian GNU/NetBSD mit dem Kernel von NetBSD wurde 2002 aufgegeben. Debian Pure Blends Unter einem Debian Pure Blend (Debian-intern auch kurz Blend) versteht man eine interne Anpassung von Debian GNU/Linux, die einem speziellen Anwendungszweck dient. Blends bilden thematische Substrukturen innerhalb des unstrukturierten Paketpools von etwa 30.000 Binärpaketen von Debian und erlauben daher einen einfachen Zugriff auf die relevanten Pakete für spezifische Fachgebiete. Darüber hinaus steht hinter einem Blend auch ein für das Fachgebiet kompetentes Entwicklerteam, das als Ansprechpartner für bestimmte Fachgebiete dient und sich mit der Paketierung der zu diesem Fachgebiet gehörenden Software beschäftigt. Die stabilen Blends sind: Debian Accessibility Debian Astro DebiChem DebianEdu (früher: Skolelinux) Debian Games Debian GIS Debian Junior Debian Med Debian Multimedia Debian Science FreedomBox Hamradio Debian-Derivate Die große Auswahl an Paketen und das zuverlässige System der Paketverwaltung machen Debian attraktiv, um davon weitere eigenständige Distributionen abzuleiten. Rechtlich wird dies durch die für alle Komponenten geltende, weitgehende Freiheit gewährende Lizenz möglich. Daher gibt es eine große Anzahl von Distributionen, die hauptsächlich oder ausschließlich Pakete aus Debian verwenden. Einige weitverbreitete Distributionen nutzen Debian als Grundlage. Beispiele dafür sind Ubuntu, Knoppix und Linux Mint. Laut GNU/Linux Distribution Timeline gehen aus Debian und den daraus abgeleiteten Derivaten über 480 auf Debian basierende Distributionen hervor. (Stand Oktober 2012) Viele dieser Distributionen sind für einen speziellen Zweck, wie zum Beispiel den Einsatz als Server oder in der Schule, ausgerichtet. Trivia Nach einer vagen Schätzung des Debian-Entwicklers James Bromberger ist der Quellcode aller in Debian 7.0 enthaltenen Programme etwa 14 Milliarden Euro wert. Der Schätzung liegen Annahmen über das Jahresgehalt und die Programmierleistung eines durchschnittlichen Programmierers zugrunde. Debian wird mit dem m68k-Port benutzt, um alte Systeme wie Atari ST, Amiga oder Macintosh mit aktueller Linux-Software zu betreiben. Etwa 20 aktive Entwickler arbeiten an diesem Port, der von etwa 150–200 Nutzern weltweit verwendet wird. Literatur Eric Amberg: Linux-Server mit Debian 7 GNU/Linux: Das umfassende Praxis-Handbuch. mitp 2014, ISBN 978-3-8266-8200-1. Peter H. Ganten, Wulf Alex: Debian GNU/Linux – Grundlagen, Einrichtung und Betrieb. 3., überarb. Auflage. Springer 2007, ISBN 978-3-540-73338-6. Heike Jurzik: Debian GNU/Linux – Das umfassende Handbuch. 6., aktualisierte Auflage. Rheinwerk Computing 2015, ISBN 978-3-8362-3762-8. Michael Kofler: Linux 2013 – Debian, Fedora, openSUSE, Ubuntu. Addison-Wesley 2012, ISBN 978-3-8273-3208-0. Martin F. Krafft: Das Debian-System – Konzepte und Methoden. Open Source Press 2005, ISBN 3-937514-17-1. Rich Pollei: Debian 7: System Administration Best Practices. Packt Publishing 2013, ISBN 978-1-78328-311-8. Frank Ronneburg: Debian GNU/Linux 4 Anwenderhandbuch. Addison-Wesley 2008, ISBN 978-3-8273-2794-9. Weblinks Website des Projekts Debian Wiki Das Debian-Administrationshandbuch Einzelnachweise Linux-Distribution Gegründet 1993 Tor hidden service
1080
https://de.wikipedia.org/wiki/Dynamisches%20HTML
Dynamisches HTML
Die Begriffe DHTML, dynamisches HTML () oder auch DOM-Scripting bezeichnen bestimmte Webdesign-Methoden, bei denen während der Anzeige einer Webseite diese selbst, ausgelöst durch Benutzereingaben, verändert wird. Der Begriff „dynamisch“ bezieht sich dabei auf die Idee, dass diese Änderungen von Ereignissen bedingt werden, die auch mehrfach beim Anzeigen einer Seite auftreten können. Beispiele für dynamische Anzeigeeffekte sind: das Erscheinen („Aufklappen“) eines Menüs die Hervorhebung eines Textes die Möglichkeit, Objekte durch Drag & Drop auf dem Bildschirm zu verschieben Formularfelder automatisch in Abhängigkeit von anderen Feldern zu belegen Webseiten, die sich wie clientseitige Anwendungsprogramme bedienen lassen. Geschichte Die Skriptsprachen JavaScript im Netscape Navigator und JScript im Microsoft Internet Explorer ermöglichten schon Mitte der 1990er Jahre die ereignisbasierte Veränderung von Webseiten. Damals wurde der Begriff DHTML benutzt, um auf diese Fähigkeiten der damaligen Programmversionen hinzuweisen. Durch die Standardisierung des Document Object Model und das Platzen der damaligen Dotcom-Blase geriet der Begriff aus der Mode. Techniken Dynamisches HTML umfasst die folgenden Techniken: HTML zum Verfassen von Dokumenten eine clientseitige Skriptsprache, meistens JavaScript eine Schnittstelle zur Änderung und Erweiterung des HTML-Dokuments, heute wird vor allem das Document Object Model (DOM) verwendet XMLHttpRequest, um Daten zwischen dem Browser und einem entfernten HTTP-Server auszutauschen (siehe auch Ajax). Fetch API, um Daten zwischen dem Browser und einem entfernten HTTP-Server auszutauschen. ein Format zur Übertragung strukturierter Daten, etwa XML oder auch JSON Dabei müssen nicht unbedingt alle Techniken dieser Liste in einem Dokument verwendet werden (insbesondere die zur Datenübertragung nach dem ersten Laden nicht), um es als Anwendung von dynamischem HTML bezeichnen zu können. Beispiele Ein einfaches Beispiel eines dynamischen HTML Abschnitts, bei dem sich der dargestellte Text beim Anklicken verändert: ... <p onclick="this.firstChild.nodeValue = 'Danke'">Klick mich</p> ... Kritik und Nachteile Oft wird dynamisches HTML für effekt-orientierte Funktionen verwendet, bei denen der Nutzen nicht klar erkennbar ist und die eher stören. In der Anfangszeit konnte DHTML nur über Browser-spezifische sogenannte DHTML-Modelle realisiert werden, die nicht zueinander kompatibel waren. Daher führten einige DHTML-Seiten unter bestimmten Browsern zu Fehlern. Dieser Ruf hängt dynamischem HTML bis heute an. Daher wird heute auch der Begriff DOM Scripting verwendet, mit dem man standardkonformes DHTML von Browser-spezifischen Varianten abgrenzen möchte. Dynamisches HTML stellt teils hohe Anforderungen an die JavaScript-Fähigkeiten des Browsers, die nur von den neueren Browsergenerationen erfüllt werden. Wenn die Verwendung von JavaScript, z. B. aus Sicherheitsgründen, deaktiviert wird, kann dynamisches HTML nicht verwendet werden. Darüber hinaus kann sich die Zugänglichkeit für Anwender verschlechtern, die wegen körperlichen Einschränkungen auf alternative Eingabe- bzw. Ausgabemethoden zurückgreifen müssen (siehe Barrierefreies Internet). Es ist aber möglich, dynamisches HTML so zu verwenden, dass es nur bei Browsern verwendet wird, die damit auch umgehen können. Die übrigen Anwender können die Website dann verwenden, als ob diese gar kein dynamisches HTML einsetzen würde. Weblinks Tutorials für Anfänger und Schritt-für-Schritt-Anleitungen für konkrete Problemstellungen im SELFHTML-Wiki World Wide Web HTML
1081
https://de.wikipedia.org/wiki/Darwin%20%28Begriffskl%C3%A4rung%29
Darwin (Begriffsklärung)
Darwin steht für: Darwin (Familienname) – zu Namensträgern siehe dort Darwin (Familie), die Familie des Naturforschers Charles Darwin Darwin (Einheit), eine in der Evolutionsbiologie gebräuchliche Einheit Darwin (Betriebssystem), ein freies Unix-Betriebssystem von Apple Darwin (Weltraumteleskop), eingestelltes Projekt, das erdähnliche Planeten finden sollte Darwin (Programmierspiel), Computerspiel aus dem Jahr 1961 (1991) Darwin, Asteroid des Hauptgürtels Isla Darwin (Galápagos), Insel der Galápagosinseln Darwin ist der Name folgender Orte: Darwin (Northern Territory), Stadt im Norden Australiens Darwin (Río Negro), Ort in Argentinien Darwin (Falklandinseln), Ort auf den Falklandinseln in den Vereinigten Staaten: Darwin (Illinois) Darwin (Inyo County, Kalifornien) Darwin (Fresno County, Kalifornien) Darwin (Minnesota) Darwin (Nevada) Darwin (Ohio) Darwin (Oklahoma) Darwin (Virginia) Darwin Downs, Alabama Darwin Township (Illinois) Darwin Township (Minnesota) Berge: Cordillera Darwin, Gebirge in Chile Monte Darwin, Berg (2488 m) in Chile Darwin Mountains, Gebirge in der Antarktis Mount Darwin (Antarktika), Berg in der Antarktis Mount Darwin (Tasmanien), Berg (1031 m) im westlichen Tasmanien Darwin Peak, Berg im US-Bundesstaat Wyoming Krater: Darwin (Mondkrater) Darwin (Marskrater) Siehe auch: Darwin-Firnfeld Darwin-Gletscher Darwin-Medaille Darwin Award
1082
https://de.wikipedia.org/wiki/Document%20Object%20Model
Document Object Model
Das Document Object Model (DOM, engl. für Dokumenten-Objekt-Modell) ist eine Spezifikation einer Programmierschnittstelle, welche HTML- oder XML-Dokumente als eine Baumstruktur darstellt, in der jeder Knoten ein Objekt ist, welches einen Teil des Dokumentes repräsentiert, z. B. einen Absatz, eine Überschrift, ein Video oder etwa eine Tabellenzelle. Die Schnittstelle ist plattform- und programmiersprachenunabhängig und erlaubt damit standardisiert, die Struktur und das Layout eines Dokumentes zu verändern. Im Webbrowser bildet dies einen wichtigen Baustein für dynamische Webseiten. Das DOM wird vom World Wide Web Consortium definiert. Eine Implementierung, die der DOM-Spezifikation genügt, besteht im Sinne der objektorientierten Programmierung aus einem Satz von Klassen zusammen mit deren Methoden und Attributen. Benennung Bei der Bezeichnung „Document Object Model“ handelt es sich eigentlich um eine Fehlbenennung, da DOM nicht als Modell, sondern als Schnittstelle (Interface) für den Datenzugriff definiert ist und vom W3C auch so bezeichnet wird. Die Bezeichnung als Modell betont hingegen das der Schnittstelle zugrundeliegende, wohldefinierte Objektmodell, dessen Gültigkeit Voraussetzung für die Gültigkeit der darauf aufgebauten Schnittstelle ist. Auf einer höheren Abstraktionsebene ist auch eine Schnittstelle ein Modell, nämlich für die Art und Weise, auf Objekte oder Daten zuzugreifen. Geschichte DOM ist ursprünglich unter dem Einfluss von mindestens zwei Entwicklungen entstanden, die die Computerwelt in der jüngsten Vergangenheit maßgeblich prägten. Beiden liegt die Notwendigkeit zugrunde, auf die strukturierten Daten in HTML- und XML-Dokumenten einfach und einheitlich zugreifen zu können. Mitte der 1990er Jahre, als das World Wide Web an Popularität zunahm, wurde die Skriptsprache JavaScript erfunden und gängige Webbrowser enthielten seitdem Interpreter, die solche Scripte ausführen. JavaScript definierte rudimentäre Möglichkeiten zum Zugriff auf das HTML-Dokument und zur Ereignisbehandlung. Später erfanden verschiedene Browserhersteller unterschiedliche Modelle für dynamisches HTML (DHTML), die eine umfassendere Änderung der Struktur und des Aussehens des Dokuments ermöglichten, während das Dokument im Browser angezeigt wird. Diese Unterschiede machten allerdings die Arbeit für Webentwickler, welche dynamisches HTML nutzen wollten, zu einer äußerst mühsamen Angelegenheit, da sie oft praktisch gezwungen waren, für jeden zu unterstützenden Browser eine eigene Version zu schreiben. Die ersten DOM-Standards des W3C sind daher Versuche, die verschiedenen proprietären JavaScript- und DHTML-Techniken, die während der Zeit der Browserkriege entstanden, zusammenzuführen, zu standardisieren und letztlich abzulösen. Dies ist so weit gelungen, dass DOM heutzutage eine zentrale Bedeutung bei der JavaScript-Programmierung einnimmt. Gleichzeitig entstand XML als allgemeines Austauschformat zur menschenlesbaren Darstellung von strukturierten Daten, das an den Erfolg von HTML anknüpfte. Zur Verarbeitung von XML-Dokumenten war eine verständliche, leistungsfähige und programmiersprachenübergreifende Schnittstelle nötig. DOM bietet eine solche und definiert darüber hinaus zusätzliche Schnittstellen für einen komfortablen Umgang mit XML-Dokumenten. Grundlagen anhand eines Beispiels Folgender HTML-Code definiert eine Tabelle mit dem Element table und verschiedenen Unterelementen: <table> <thead> <tr> <th>Vorname</th> <th>Name</th> </tr> </thead> <tbody> <tr> <td>Donald</td> <td>Duck</td> </tr> </tbody> </table> So sieht es im Browser aus: Das DOM repräsentiert das table-Element und dessen Unterelemente in der folgenden Baumstruktur: An diesem Beispiel lässt sich der prinzipielle Aufbau des Objektmodells diskutieren: Dokumente werden logisch wie ein Stammbaum dargestellt. Knoten (nodes) stehen über „Verwandtschaftsbeziehungen“ zueinander in Verbindung. Arten von Beziehungen Die vorliegende Struktur wird im Objektmodell durch die folgenden Beziehungen charakterisiert: Der Wurzelknoten (root) table hat als Kinder (children) die Elementknoten thead und tbody. Der table-Elementknoten ist umgekehrt ein Elternteil (parent) von thead und tbody. Knoten mit gemeinsamem Elternteil (zum Beispiel die beiden th-Elementknoten) werden Geschwister (siblings) genannt. Ausgehend von einem beliebigen Knoten ist jeder andere Knoten über diese Verwandtschaftsbeziehungen erreichbar. Arten von Knoten Die wichtigsten Knotentypen in DOM sind: Ein Dokumentknoten stellt die gesamte Baumstruktur dar. Ein Dokumentfragmentknoten stellt einen Teil der Baumstruktur dar. Ein Elementknoten entspricht exakt einem Element in HTML oder XML. Ein Attributknoten entspricht exakt einem Attribut in HTML oder XML. Ein Textknoten stellt den Textinhalt eines Elements dar. Attributknoten sind eine besondere Knotenart, denn sie kommen nicht als Knoten in der Baumstruktur vor, die vor allem durch Elementknoten gebildet wird. Attributknoten sind demnach keine „Kinder“ von Elementknoten, sondern Eigenschaften von ihnen. Verarbeitung eines Dokuments Im ersten Schritt wird ein bestehendes Dokument durch das Programm eingelesen und ein Dokument-Objekt erzeugt. Anhand dieses Objekts kann mittels der Methoden des API auf die Inhalte, Struktur und Darstellung zugegriffen werden. Insbesondere erlaubt DOM die Navigation zwischen den einzelnen Knoten eines Dokuments, das Erzeugen, Verschieben und Löschen von Knoten sowie das Auslesen, Ändern und Löschen von Textinhalten. Am Ende der Verarbeitung kann aus dem Dokument-Objekt durch so genannte Serialisierung ein neues XML- oder HTML-Dokument generiert werden. Standardisierung DOM ist seit 1998 ein Standard des W3C und wurde seitdem mehrfach aktualisiert und erweitert. Es existieren mehrere Versionen (Levels) jeweils mit verschiedenen Modulen: DOM Level 0 Dieses Level wurde nie formal spezifiziert. Level 0 bezeichnet die mittels JavaScript nutzbaren Techniken zum Zugriff auf HTML-Dokumente. Diese wurden von Webbrowsern wie Internet Explorer und Netscape Navigator vor der Standardisierung von DOM eingeführt. DOM Level 1 Veröffentlicht Ende 1998. DOM Core (DOM-Kern) definiert das Bewegen im DOM-Baum, die Manipulation der Knoten, inklusive des Einfügens neuer Elemente und des Setzens von Attributen. DOM HTML ist die Erweiterung zum Zugriff auf HTML-Dokumente. Es standardisiert und vervollständigt die bereits verbreitete Praxis, die auf den JavaScript-Spezifikationen von Netscape bzw. Microsoft JScript basiert. DOM Level 2 Veröffentlicht Ende 2000. DOM Core: u. a. Erweiterung um XML-Namensraum-Unterstützung DOM HTML: u. a. Ausweitung auf XHTML-Dokumente, Anpassung an DOM 2 Core DOM Style und DOM CSS ermöglichen das dynamische Auslesen, Hinzufügen und Ändern der Formatierung bzw. des Layouts des Dokuments über Stylesheets, insbesondere Cascading Style Sheets (CSS). DOM Views erlaubt den Zugriff auf Informationen konkreter Wiedergabearten des Dokuments (zum Beispiel der grafischen Darstellung im Webbrowser). Das wird vor allem zusammen mit DOM CSS benutzt, um die tatsächlichen CSS-Eigenschaftswerte von gewissen Elementen in Erfahrung zu bringen (z. B. „Welche Hintergrundfarbe hat diese Überschrift?“). DOM Events standardisiert die Verarbeitung von Ereignissen im Dokument, zum Beispiel Benutzeraktionen. Wird vor allem im Zusammenhang mit JavaScript bei der Darstellung von HTML-Dokumenten in Webbrowsern verwendet. Angelehnt an die Modelle der Ereignis-Behandlung des Netscape Navigators und des Internet Explorers für HTML-Dokumente. DOM Traversal und DOM Range: Durchlaufen des Knotenbaums anhand von bestimmten Auswahlkriterien, Arbeiten mit Bereichen im Dokument, die bestimmte Elemente und Textknoten umfassen DOM Level 3 Veröffentlicht April 2004. DOM 3 Core: umfassende Erweiterung, u. a. verbesserte Ausnahmebehandlung und Umgang mit Zeichenkodierungen DOM 3 Load and Save ermöglicht die Serialisierung von Dokumenten oder Dokumentteilen sowie das Parsen von XML-Dokumenten in Zeichenketten in Dokument-Objekte. Zudem können XML-Dokumente über HTTP versendet und abgerufen werden, wie es mit der bekannteren XMLHttpRequest-Technik möglich ist. DOM 3 XPath erlaubt das Auswählen von Knoten anhand von XPath-Ausdrücken. DOM 3 Events erweitert DOM 2 Events u. a. um Tastatur-Ereignisse. DOM 3 Validation erlaubt das Prüfen, ob nach einer dynamischen Änderung (Hinzufügen oder Entfernen von Knoten) das DOM-Dokument valide bleibt. DOM 3 Views and Formatting erlaubt es, dynamisch auf den Inhalt, Struktur und Style zuzugreifen und diese zu ändern. DOM 3 Abstract Schemas Siehe auch Simple API for XML (SAX) Xerces, JDOM, dom4j Weblinks Website beim W3C (englisch) W3C-Übersetzung zu Testsuiten (deutsch) Mario Jeckle: Skript zur Vorlesung XML: DOM DOM Einführung bei data2type (deutsch) DOM-Referenz bei data2type (deutsch) Folienvortrag Sammlung von Links zu Fachartikeln (englisch) Praktisches Anwendungsbeispiel DOM mit PHP – Erstellung eines validen RSS-Feed mit DOM und PHP Einzelnachweise Beschreibungssprache JavaScript-Programmierschnittstelle XML
1083
https://de.wikipedia.org/wiki/Domain%20Name%20System
Domain Name System
Das Domain Name System, deutsch Domain-Namen-System, (DNS) ist ein hierarchisch unterteiltes Bezeichnungssystem in einem meist IP-basierten Netz zur Beantwortung von Anfragen zu Domain-Namen (Namensauflösung). Das DNS funktioniert ähnlich wie eine Telefonauskunft. Der Benutzer kennt die Domain (den für Menschen merkbaren Namen eines Rechners im Internet) – zum Beispiel example.org. Diese sendet er als Anfrage in das Internet. Die Domain wird dann dort vom DNS in die zugehörige IP-Adresse (die „Anschlussnummer“ im Internet) umgewandelt – zum Beispiel eine IPv4-Adresse der Form 192.0.2.42 oder eine IPv6-Adresse wie 2001:db8:85a3:8d3:1319:8a2e:370:7347 – und führt so zum richtigen Rechner. Überblick Das DNS ist ein weltweit auf Tausenden von Servern verteilter hierarchischer Verzeichnisdienst, der den Namensraum des Internets verwaltet. Dieser Namensraum ist in sogenannte Zonen unterteilt, für die jeweils unabhängige Administratoren zuständig sind. Für lokale Anforderungen – etwa innerhalb eines Firmennetzes – ist es auch möglich, ein vom Internet unabhängiges DNS zu betreiben. Hauptsächlich wird das DNS zur Umsetzung von Domainnamen in IP-Adressen () benutzt. Dies ist vergleichbar mit einem Telefonbuch, das die Namen der Teilnehmer in ihre Telefonnummer auflöst. Das DNS bietet somit eine Vereinfachung, weil Menschen sich Namen weitaus besser merken können als Zahlenketten. So kann man sich einen Domainnamen wie example.org in der Regel leichter merken als die dazugehörende IP-Adresse 192.0.32.10. Dieser Punkt gewinnt im Zuge der Einführung von IPv6 noch mehr an Bedeutung, denn dann werden einem Namen jeweils IPv4- und IPv6-Adressen zugeordnet. So löst sich beispielsweise der Name www.kame.net in die IPv4-Adresse 203.178.141.194 und die IPv6-Adresse 2001:200:dff:fff1:216:3eff:feb1:44d7 auf. Ein weiterer Vorteil ist, dass IP-Adressen – etwa von Web-Servern – relativ risikolos geändert werden können. Da Internetteilnehmer nur den (unveränderten) DNS-Namen ansprechen, bleiben ihnen Änderungen der untergeordneten IP-Ebene weitestgehend verborgen. Da einem Namen auch mehrere IP-Adressen zugeordnet werden können, kann sogar eine einfache Lastverteilung per DNS () realisiert werden. Mit dem DNS ist auch eine umgekehrte Auflösung von IP-Adressen in Namen () möglich. In Analogie zum Telefonbuch entspricht dies einer Suche nach dem Namen eines Teilnehmers zu einer bekannten Rufnummer, was innerhalb der Telekommunikationsbranche unter dem Namen Inverssuche bekannt ist. Das DNS wurde 1983 von Paul Mockapetris entworfen und in RFC 882 und RFC 883 beschrieben. Beide wurden inzwischen von RFC 1034 und RFC 1035 abgelöst und durch zahlreiche weitere Standards ergänzt. Ursprüngliche Aufgabe war es, die lokalen hosts-Dateien abzulösen, die bis dahin für die Namensauflösung zuständig waren und der enorm zunehmenden Zahl von Neueinträgen nicht mehr gewachsen waren. Aufgrund der erwiesenermaßen hohen Zuverlässigkeit und Flexibilität wurden nach und nach weitere Datenbestände in das DNS integriert und so den Internetnutzern zur Verfügung gestellt (siehe unten: Erweiterung des DNS). DNS zeichnet sich aus durch: dezentrale Verwaltung, hierarchische Strukturierung des Namensraums in Baumform, Eindeutigkeit der Namen, Erweiterbarkeit. Domain-Namensraum Der Domain-Namensraum hat eine baumförmige Struktur. Die Blätter und Knoten des Baumes werden als Labels ( für Aufschrift) bezeichnet. Ein kompletter Domainname eines Objektes besteht aus der Verkettung aller Labels eines Pfades. Labels sind Zeichenketten, die jeweils mindestens ein Byte und maximal 63 Bytes lang sind.RFC 2181 Einzelne Labels werden durch Punkte voneinander getrennt. Ein Domainname wird mit einem Punkt abgeschlossen (der letzte Punkt wird meist weggelassen, gehört rein formal aber zu einem vollständigen Domainnamen dazu). Somit lautet ein korrekter, vollständiger Domainname (auch genannt) zum Beispiel www.example.com. und darf inklusive aller Punkte maximal 255 Bytes lang sein. Ein Domainname wird immer von rechts nach links delegiert und aufgelöst, das heißt je weiter rechts ein Label steht, umso höher steht es im Baum. Der Punkt am rechten Ende eines Domainnamens trennt das Label für die erste Hierarchieebene von der Wurzel (englisch ). Die erste Ebene (beispielsweise com.) wird als Top-Level-Domain (TLD) bezeichnet, die zweite (beispielsweise example.com.) als Second-Level-Domains, usw. Zone Die Daten des Domain Name Systems sind über eine Vielzahl von Nameservern weltweit verteilt, die durch Verweise untereinander lose gekoppelt sind. Die Verweise werden Delegierungen () genannt und folgen der hierarchischen Struktur des Domain-Baums. Durch die Delegierungen wird der Domain-Namensraum in überschneidungsfreie Bereiche unterteilt, die Zonen genannt werden. Ein oder mehrere autoritative Nameserver sind für die Auslieferung der Daten einer Zone zuständig. So sind beispielsweise die Root-Nameserver für die Beantwortung von Anfragen an die Wurzel-Zone zuständig und die Nameserver von Verisign für die Zone der Top-Level-Domain .com. Eine Zone besteht aus einer Liste von Resource Records. Der BIND-Nameserver sowie dazu kompatible Nameserver-Software speichert die Resource Records in einer Zonendatei. Resource Record Ein Resource Record ist ein Datensatz im Domain Name System. Er besteht aus fünf Datenfeldern. Beispiel: www.example.com. 86400 IN A 93.184.216.34 Name Der Domainname, unter dem der Resource Record abgelegt ist (beispielsweise www.example.com.). Time to Live Maximale Zeit, für die dieser Record in einem DNS-Cache zwischengespeichert werden kann (beispielsweise 86400 Sekunden = 1 Tag). Klasse Fast ausschließlich „IN“ für Internet. Typ Datentyp der Nutzdaten (beispielsweise A Resource Record: eine IPv4-Adresse). Daten Die eigentlichen Nutzdaten (beispielsweise 93.184.216.34). Der Abruf eines Resource Records erfolgt unter Angabe von Domainname, Klasse und Typ. Da als Klasse nahezu ausschließlich „IN“ verwendet wird, sind in der Praxis lediglich der Domainname und Record-Typ relevant. Es sind mehrere Dutzend Record-Typen spezifiziert, die unterschiedlichen Anwendungszwecken dienen. Im Laufe der Zeit wurden neue Typen definiert, mit denen Erweiterungen des DNS realisiert wurden. Zu den am häufigsten verwendeten gehören die folgenden Record-Typen: Mit dem SOA Resource Record werden Parameter der Zone, wie z. B. Gültigkeitsdauer oder Seriennummer, festgelegt. Mit dem NS Resource Record werden die Verknüpfungen (Delegierungen) der Server untereinander realisiert. Mit folgenden Record-Typen werden die eigentlichen Daten definiert: Ein A Resource Record weist einem Namen eine IPv4-Adresse zu. Ein AAAA Resource Record weist einem Namen eine IPv6-Adresse zu. Ein CNAME Resource Record verweist von einem Namen auf einen anderen Namen. Ein MX Resource Record weist einem Namen einen Mail Transfer Agent zum E-Mail-Empfang zu. Einem ähnlichen Zweck dient der SRV Resource Record, der jedoch durch die Angabe eines Dienstebezeichners flexibel für verschiedene Anwendungen verwendet werden kann, während der MX Resource Record auf einen bestimmten Anwendungszweck festgelegt ist. Ein PTR Resource Record weist einer IPv4- oder einer IPv6-Adresse einen Namen zu (Reverse DNS). Ein TXT Resource Record weist einem Namen einen frei definierbaren Text zu. Dies wird für verschiedene Anwendungszwecke verwendet, beispielsweise zur E-Mail-Authentifizierung mit Sender Policy Framework oder DomainKeys Identified Mail. Komponenten Nameserver Ein Nameserver ist ein Server, der Namensauflösung anbietet. Namensauflösung ist das Verfahren, das es ermöglicht, Namen von Rechnern bzw. Diensten in eine vom Computer bearbeitbare Adresse aufzulösen (z. B. www.wikipedia.org in 91.198.174.192). Die meisten Nameserver sind Teil des Domain Systems, das auch im Internet benutzt wird. Nameserver sind zum einen Programme, die auf Basis einer DNS-Datenbank Anfragen zum Domain-Namensraum beantworten. Im Sprachgebrauch werden allerdings auch die Rechner, auf denen diese Programme zum Einsatz kommen, als Nameserver bezeichnet. Man unterscheidet zwischen autoritativen und nicht-autoritativen Nameservern. Ein autoritativer Nameserver ist verantwortlich für eine Zone. Seine Informationen über diese Zone werden deshalb als gesichert angesehen. Für jede Zone existiert mindestens ein autoritativer Server, der Primary Nameserver. Dieser wird im SOA Resource Record einer Zonendatei aufgeführt. Aus Redundanz- und Lastverteilungsgründen werden autoritative Nameserver fast immer als Server-Cluster realisiert, wobei die Zonendaten identisch auf einem oder mehreren Secondary Nameservern liegen. Die Synchronisation zwischen Primary und Secondary Nameservern erfolgt per Zonentransfer. Ein nicht-autoritativer Nameserver bezieht seine Informationen über eine Zone von anderen Nameservern sozusagen aus zweiter oder dritter Hand. Seine Informationen werden als nicht gesichert angesehen. Da sich DNS-Daten normalerweise nur sehr selten ändern, speichern nicht-autoritative Nameserver die einmal von einem Resolver angefragten Informationen im lokalen RAM ab, damit diese bei einer erneuten Anfrage schneller vorliegen. Diese Technik wird als Caching bezeichnet. Jeder dieser Einträge besitzt ein eigenes Verfallsdatum (TTL time to live), nach dessen Ablauf der Eintrag aus dem Cache gelöscht wird. Die TTL wird dabei durch einen autoritativen Nameserver für diesen Eintrag festgelegt und wird nach der Änderungswahrscheinlichkeit des Eintrages bestimmt (sich häufig ändernde DNS-Daten erhalten eine niedrige TTL). Das kann unter Umständen bedeuten, dass der Nameserver in dieser Zeit falsche Informationen liefert, wenn sich die Daten zwischenzeitlich geändert haben. Ein Spezialfall ist der Caching Only Nameserver. In diesem Fall ist der Nameserver für keine Zone verantwortlich und muss alle eintreffenden Anfragen über weitere Nameserver (Forwarder) auflösen. Dafür stehen verschiedene Strategien zur Verfügung: Zusammenarbeit der einzelnen Nameserver Damit ein nicht-autoritativer Nameserver Informationen über andere Teile des Namensraumes finden kann, bedient er sich folgender Strategien: Delegierung Teile des Namensraumes einer Domain werden oft an Subdomains mit dann eigens zuständigen Nameservern ausgelagert. Ein Nameserver einer Domäne kennt die zuständigen Nameserver für diese Subdomains aus seiner Zonendatei und delegiert Anfragen zu diesem untergeordneten Namensraum an einen dieser Nameserver. Weiterleitung (forwarding) Falls der angefragte Namensraum außerhalb der eigenen Domäne liegt, wird die Anfrage an einen fest konfigurierten Nameserver weitergeleitet. Auflösung über die Root-Nameserver Falls kein Weiterleitungsserver konfiguriert wurde oder dieser nicht antwortet, werden die Root-Nameserver befragt. Dazu werden in Form einer statischen Datei die Namen und IP-Adressen der Root-Server hinterlegt. Es gibt 13 Root-Server (Server A bis M). Die Root-Server beantworten ausschließlich iterative Anfragen. Sie wären sonst mit der Anzahl der Anfragen schlicht überlastet. Anders konzipierte Namensauflösungen durch Server, wie der NetWare Name Service oder der Windows Internet Naming Service, sind meistens auf Local Area Networks beschränkt und werden zunehmend von der Internetprotokollfamilie verdrängt. Resolver Ein Resolver ist eine Software-Komponente, die per DNS-Protokoll Informationen von einem Nameserver abruft. Die Anwendung, zum Beispiel ein Webbrowser, fordert per Programmierschnittstelle vom Resolver die Auflösung eines Domainnamens an. Der Resolver führt entweder eine rekursive oder iterative Namensauflösung durch und gibt die Antwort an die Anwendung zurück. Im rekursiven Modus schickt der Resolver eine rekursive Anfrage an den ihm zugeordneten Nameserver. Hat dieser die gewünschte Information nicht im eigenen Datenbestand, so kontaktiert der Nameserver weitere Server – und zwar solange, bis er eine positive oder negative Antwort erhält. Der Nameserver, der die rekursive Anfrage bearbeitet, verwendet selbst einen eigenen Resolver zur Abfrage anderer Nameserver. Ein Nameserver, der rekursive Namensauflösung anbietet, wird als rekursiver Nameserver oder teilweise auch als rekursiver Resolver bezeichnet. Im iterativen Modus bekommt der Resolver entweder den gewünschten Resource Record oder einen Verweis auf weitere Nameserver, die er selbst als nächstes fragt. Der Resolver hangelt sich so von Nameserver zu Nameserver, bis er von dem autoritativen Nameserver eine verbindliche Antwort erhält. Während beim rekursiven Modus dem angefragten Nameserver die vollständige Auflösung überlassen wird, muss beim iterativen Modus der Resolver selbst durch wiederholte (iterative) Anfragen die Auflösung übernehmen. Jedes Betriebssystem mit TCP/IP-Netzwerkfunktionalität enthält einen Resolver. Üblicherweise handelt es sich dabei um einen simplen Resolver, der ausschließlich rekursive Anfragen an einen konfigurierbaren Nameserver stellen kann. Ein solcher Resolver wird als Stub-Resolver (von : Stumpf oder Stummel) bezeichnet. Bekannte Kommandozeilen-Programme zur Namensauflösung sind nslookup, host und dig. Protokoll DNS-Anfragen werden normalerweise per UDP Port 53 zum Namensserver gesendet. Der DNS-Standard fordert aber auch die Unterstützung von TCP für Fragen, deren Antworten zu groß für UDP-Übertragungen sind. Ursprünglich betrug die maximal zulässige Länge einer DNS-Nachricht über UDP 512 Bytes. Mit Extended DNS (EDNS) wurde diese Größenbeschränkung aufgehoben und kann variabel zwischen Client und Server gewählt werden. Beim DNS Flag Day 2020, einer Informationsinitiative von DNS-Software- und DNS-Service-Anbietern, wurde eine standardmäßige Maximallänge von 1232 Bytes empfohlen. Die maximal mögliche Nachrichtenlänge wird durch die Maximum Transmission Unit begrenzt. Der Einsatz von IP-Fragmentierung ist zwar möglich, wird aber nicht empfohlen. Überlange Antworten werden abgeschnitten übertragen, sodass sie die maximal mögliche Nachrichtenlänge des Antwortenden nicht übersteigen, und mit dem Header-Flag Truncated (TC) als solches markiert. Der Anfragende kann daraufhin die Anfrage über TCP wiederholen. Bei TCP beträgt die maximale Nachrichtenlänge 65.535 Bytes. Die Verwendung von persistenten Verbindungen und Pipelining ist möglich. Zonentransfers werden stets über TCP durchgeführt, wobei die Nachrichtenlängenbeschränkung dafür nicht relevant ist. Auflösung eines DNS-Requests Angenommen, ein Rechner X will eine Verbindung zu „de.wikipedia.org.“ (Rechner Y) aufbauen. Dazu braucht er dessen IP-Adresse. In den folgenden Schritten wird beschrieben, wie dies ablaufen könnte. Falls der Rechner X IPv6-fähig ist, läuft der Vorgang zunächst für IPv6 (Abfrage von AAAA Resource Record) und sofort danach für IPv4 (Abfrage von A Resource Record) ab. Dabei kann eine Anfrage nach einer IPv6-Adresse mittels IPv4-Übertragung an einen IPv4-DNS-Server gerichtet werden. Falls am Ende eine IPv6- und eine IPv4-Adresse für Rechner Y ermittelt werden, wird in der Regel laut der Default Policy Table in RFC 6724 die Kommunikation zwischen X und Y über IPv6 bevorzugt, es sei denn im Betriebssystem oder in den benutzten Anwendungen, wie zum Beispiel dem Webbrowser, wurde dieses Verhalten anders eingestellt. Der Rechner X sucht in seiner Hosts-Datei, ob die IP-Adresse für „de.wikipedia.org“ dort hinterlegt ist. Falls dem nicht so ist, fragt er beim DNS-Server nach. Dieser ist entweder fest eingetragen oder wurde per DHCP bzw. DHCPv6 automatisch zugewiesen und hat die Form nameserver 192.0.2.23 oder nameserver 2001:db8::23:cafe:affe:42. Hat der DNS-Server von Rechner X eine IP-Adresse für den angefragten Namen zwischengespeichert, antwortet er damit und die Anfrage kommt zum Ende (siehe letzter Punkt). Andernfalls fragt er einen der 13 Root-Nameserver nach „de.wikipedia.org.“. Der Root-Nameserver findet heraus, dass die Auflösung dieses Namens in der „org.“-Zone weitergeht und sendet die Namen und die IP-Adressen der „org.“-Nameserver (NS Resource Records und deren AAAA bzw. A Resource Records) zum DNS-Server von Rechner X. Nun fragt der DNS-Server von Rechner X einen der Nameserver für „org.“-Domains nach „de.wikipedia.org.“. Der „org.“-Nameserver sendet ihm die Namen der Nameserver (und deren IP-Adressen, sofern sie zur selben Top-Level-Domain gehören) für die Zone „wikipedia.org.“. Anschließend fragt der DNS-Server von Rechner X einen „wikipedia.org.“-Nameserver wie die IP-Adresse des Namens „de.wikipedia.org.“ ist. Mit dieser Adresse wird an den DNS-Server von Rechner X geantwortet und der … … sendet sie an den Rechner X, welcher nun zum Beispiel seine HTTP-Anfragen an die IP-Adresse von „de.wikipedia.org.“ senden kann. Beispiel Namensauflösung Im folgenden, kommentierten Beispiel wird zum Namen „www.heise.de.“ die IPv4-Adresse mit Hilfe des Resolver-Tools dig bestimmt. „+trace“ bedeutet, dass die einzelnen Antworten auf iterative Anfragen an die Nameserver-Hierarchie angegeben werden, „+additional“ sorgt dafür, dass zusätzlich dargestellt wird, dass die Nameserver für Delegierungen nicht nur NS Resource Records verwalten, sondern teilweise auch deren IP-Adressen in Form von A oder AAAA Resource Records kennen und mit ausliefern, „-t A“ schließlich verlangt nach dem A Resource Record, also der IPv4-Adresse. Es zeigt sich, dass nacheinander vier Nameserver befragt werden müssen, um zur Antwort zu gelangen: $ dig +trace +additional -t A www.heise.de. ; <<>> DiG 9.5.1-P3 <<>> +trace +additional -t A www.heise.de. ;; global options: printcmd . 6086 IN NS B.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS D.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS J.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS G.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS K.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS C.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS M.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS I.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS H.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS E.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS F.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS A.ROOT-SERVERS.NET. . 6086 IN NS L.ROOT-SERVERS.NET. D.ROOT-SERVERS.NET. 6644 IN A 128.8.10.90 J.ROOT-SERVERS.NET. 10421 IN A 192.58.128.30 J.ROOT-SERVERS.NET. 1289 IN AAAA 2001:503:c27::2:30 G.ROOT-SERVERS.NET. 10940 IN A 192.112.36.4 K.ROOT-SERVERS.NET. 4208 IN A 193.0.14.129 K.ROOT-SERVERS.NET. 7277 IN AAAA 2001:7fd::1 C.ROOT-SERVERS.NET. 6126 IN A 192.33.4.12 M.ROOT-SERVERS.NET. 3274 IN A 202.12.27.33 M.ROOT-SERVERS.NET. 7183 IN AAAA 2001:dc3::35 I.ROOT-SERVERS.NET. 9788 IN A 192.36.148.17 H.ROOT-SERVERS.NET. 10421 IN A 128.63.2.53 H.ROOT-SERVERS.NET. 13739 IN AAAA 2001:500:1::803f:235 E.ROOT-SERVERS.NET. 11125 IN A 192.203.230.10 F.ROOT-SERVERS.NET. 9973 IN A 192.5.5.241 ;; Received 500 bytes from 192.168.2.1#53(192.168.2.1) in 50 ms 192.168.2.1 (siehe letzte Zeile) ist der eingetragene Nameserver des abfragenden Rechners, welcher auf die Root-Nameserver verweist, die alle weiter via IPv4 befragt werden können, einige zusätzlich auch mittels IPv6. Die Root-Nameserver verwalten die Wurzel-Zone (Zone, die die Nameserver für .org, .de, .com und andere Top Level Domains enthält) der Namensauflösung, dargestellt durch einen Punkt. Die IP-Adressen der Root-Nameserver ändern sich sehr selten und müssen allen Nameservern bekannt sein, sofern sie das Internet betreffende Anfragen beantworten. (Diese IP-Adressen können beispielsweise in einer als „Root Hints“ bezeichneten Textdatei mitgeliefert werden.) de. 172800 IN NS F.NIC.de. de. 172800 IN NS L.DE.NET. de. 172800 IN NS S.DE.NET. de. 172800 IN NS Z.NIC.de. de. 172800 IN NS A.NIC.de. de. 172800 IN NS C.DE.NET. A.NIC.de. 172800 IN A 194.0.0.53 C.DE.NET. 172800 IN A 208.48.81.43 F.NIC.de. 172800 IN A 81.91.164.5 F.NIC.de. 172800 IN AAAA 2001:608:6:6::10 L.DE.NET. 172800 IN A 89.213.253.189 S.DE.NET. 172800 IN A 195.243.137.26 Z.NIC.de. 172800 IN A 194.246.96.1 Z.NIC.de. 172800 IN AAAA 2001:628:453:4905::53 ;; Received 288 bytes from 192.36.148.17#53(I.ROOT-SERVERS.NET) in 58 ms Aus den 13 genannten Root-Nameservern wurde zufällig „I.ROOT-SERVERS.NET.“ ausgewählt, um ihm die Frage nach „www.heise.de.“ zu stellen. Er antwortete mit sechs Nameservern zur Auswahl, die für die Zone „de.“ verantwortlich sind. Auch hier ist bei zwei Servern die Abfrage mittels IPv6 möglich. heise.de. 86400 IN NS ns.plusline.de. heise.de. 86400 IN NS ns.heise.de. heise.de. 86400 IN NS ns2.pop-hannover.net. heise.de. 86400 IN NS ns.pop-hannover.de. heise.de. 86400 IN NS ns.s.plusline.de. ns.s.plusline.de. 86400 IN A 212.19.40.14 ns.heise.de. 86400 IN A 193.99.145.37 ns.plusline.de. 86400 IN A 212.19.48.14 ns.pop-hannover.de. 86400 IN A 193.98.1.200 ;; Received 220 bytes from 81.91.164.5#53(F.NIC.de) in 52 ms Aus den sechs genannten Nameservern wurde zufällig „F.NIC.de.“ ausgewählt, um Näheres über „www.heise.de.“ zu erfahren. Er beantwortet die Anfrage mit fünf möglichen Delegierungen. Unter anderem mit einer Delegierung auf den Server „ns.heise.de.“. Diese Information würde ohne den dazugehörigen A Resource Record, auf 193.99.145.37 zeigend, auf demselben Server nichts helfen, denn der Name liegt in der Zone „heise.de.“, die er selbst verwaltet. Man spricht bei dieser Art von Information auch von Glue Records (von engl. glue, kleben). Sollte der Server „ns2.pop-hannover.net.“ für den nächsten Schritt ausgewählt werden, so wäre in einer gesonderten Namensauflösung zunächst dessen IP-Adresse zu bestimmen, da diese hier nicht mitgesendet wurde. www.heise.de. 86400 IN A 193.99.144.85 heise.de. 86400 IN NS ns.pop-hannover.de. heise.de. 86400 IN NS ns.plusline.de. heise.de. 86400 IN NS ns2.pop-hannover.net. heise.de. 86400 IN NS ns.s.plusline.de. heise.de. 86400 IN NS ns.heise.de. ns.heise.de. 86400 IN A 193.99.145.37 ns.pop-hannover.de. 10800 IN A 193.98.1.200 ns2.pop-hannover.net. 86400 IN A 62.48.67.66 ;; Received 220 bytes from 193.98.1.200#53(ns.pop-hannover.de) in 4457 ms Aus den fünf genannten Nameservern wurde zufällig „ns.pop-hannover.de.“ herangezogen, um die Frage nach „www.heise.de.“ zu beantworten. Die Antwort lautet 193.99.144.85. Damit ist die Anfrage am Ziel angelangt. Es werden auch wieder dieselben Nameserver als verantwortlich für „heise.de.“ genannt, ohne also auf andere Nameserver zu verweisen. Beispiel Reverse Lookup Für den Reverse Lookup, also das Auffinden eines Namens zu einer IP-Adresse, wandelt man die IP-Adresse zunächst formal in einen Namen um, für den man dann das DNS nach einem PTR Resource Record befragt. Da die Hierarchie bei IP-Adressen von links nach rechts spezieller wird (siehe Subnetz), beim DNS aber von rechts nach links, dreht man beim ersten Schritt die Reihenfolge der Zahlen um und aus der IPv4-Adresse 193.99.144.85 wird z. B. der Name „85.144.99.193.in-addr.arpa.“ sowie aus der IPv6-Adresse 2a02:2e0:3fe:100::6 der Name „6.0.0.0.0.0.0.0.0.0.0.0.0.0.0.0.0.0.1.0.e.f.3.0.0.e.2.0.2.0.a.2.ip6.arpa.“ erzeugt. (Dieser Name ist lang, da die implizit enthaltenen Nullen nun wieder explizit genannt werden müssen.) Der PTR Resource Record für die so umgeformte IPv4-Adresse lässt sich analog zum vorigen Beispiel bestimmen: $ dig +trace +additional -t PTR 85.144.99.193.in-addr.arpa. ; <<>> DiG 9.5.1-P3 <<>> +trace +additional -t ptr 85.144.99.193.in-addr.arpa. ;; global options: printcmd . 2643 IN NS M.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS A.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS B.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS C.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS D.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS E.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS F.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS G.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS H.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS I.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS J.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS K.ROOT-SERVERS.NET. . 2643 IN NS L.ROOT-SERVERS.NET. A.ROOT-SERVERS.NET. 10978 IN A 198.41.0.4 A.ROOT-SERVERS.NET. 2470 IN AAAA 2001:503:ba3e::2:30 C.ROOT-SERVERS.NET. 387 IN A 192.33.4.12 D.ROOT-SERVERS.NET. 2747 IN A 128.8.10.90 E.ROOT-SERVERS.NET. 7183 IN A 192.203.230.10 F.ROOT-SERVERS.NET. 14225 IN AAAA 2001:500:2f::f H.ROOT-SERVERS.NET. 7950 IN A 128.63.2.53 H.ROOT-SERVERS.NET. 13245 IN AAAA 2001:500:1::803f:235 I.ROOT-SERVERS.NET. 6172 IN A 192.36.148.17 J.ROOT-SERVERS.NET. 7168 IN A 192.58.128.30 J.ROOT-SERVERS.NET. 13860 IN AAAA 2001:503:c27::2:30 K.ROOT-SERVERS.NET. 3541 IN A 193.0.14.129 K.ROOT-SERVERS.NET. 9369 IN AAAA 2001:7fd::1 L.ROOT-SERVERS.NET. 3523 IN A 199.7.83.42 ;; Received 512 bytes from 192.168.2.1#53(192.168.2.1) in 50 ms 193.in-addr.arpa. 86400 IN NS ns3.nic.fr. 193.in-addr.arpa. 86400 IN NS sec1.apnic.net. 193.in-addr.arpa. 86400 IN NS sec3.apnic.net. 193.in-addr.arpa. 86400 IN NS sunic.sunet.se. 193.in-addr.arpa. 86400 IN NS ns-pri.ripe.net. 193.in-addr.arpa. 86400 IN NS sns-pb.isc.org. 193.in-addr.arpa. 86400 IN NS tinnie.arin.net. ;; Received 239 bytes from 199.7.83.42#53(L.ROOT-SERVERS.NET) in 170 ms 99.193.in-addr.arpa. 172800 IN NS auth50.ns.de.uu.net. 99.193.in-addr.arpa. 172800 IN NS ns.ripe.net. 99.193.in-addr.arpa. 172800 IN NS auth00.ns.de.uu.net. ;; Received 120 bytes from 202.12.28.140#53(sec3.apnic.net) in 339 ms 144.99.193.in-addr.arpa. 86400 IN NS ns.heise.de. 144.99.193.in-addr.arpa. 86400 IN NS ns.s.plusline.de. 144.99.193.in-addr.arpa. 86400 IN NS ns.plusline.de. ;; Received 114 bytes from 194.128.171.99#53(auth50.ns.de.uu.net) in 2456 ms 85.144.99.193.in-addr.arpa. 86400 IN PTR www.heise.de. 144.99.193.in-addr.arpa. 86400 IN NS ns.heise.de. 144.99.193.in-addr.arpa. 86400 IN NS ns.s.plusline.de. 144.99.193.in-addr.arpa. 86400 IN NS ns.plusline.de. ns.heise.de. 86400 IN A 193.99.145.37 ;; Received 148 bytes from 193.99.145.37#53(ns.heise.de) in 4482 ms Die Antwort lautet also „www.heise.de.“. Es ist jedoch weder notwendig, dass jeder IP-Adresse ein Name zugeordnet ist, noch müssen Hin- und Rückauflösung einander entsprechen. Die Auflösung beginnt wieder mit dem Verweis auf die Root-Nameserver und die Delegierungen finden offensichtlich an den durch Punkte markierten Grenzen zwischen den Zahlen statt. Man sieht in dem Beispiel jedoch auch, dass nicht an jedem Punkt in einem Namen delegiert werden muss. Erweiterungen Da sich das DNS als zuverlässig und flexibel erwiesen hat, wurden im Laufe der Jahre mehrere größere Erweiterungen eingeführt. Ein Ende dieses Trends ist nicht absehbar. Dynamisches DNS Die manuelle Änderung von DNS-Einträgen ist mit Aufwand verbunden. Durch DNS-Caching kann es zudem mehrere Stunden oder sogar Tage dauern, bis sich eine Änderung im Netz verbreitet hat. Dynamisches DNS ermöglicht die automatisierte Aktualisierung von DNS-Einträgen. In Kombination mit der Verwendung eines niedrigen Time-to-Live-Werts können Resource Records mit geringem Aufwand und geringer Zeitverzögerung aktualisiert werden. Ein typischer Einsatzzweck ist die automatische Aktualisierung von A oder AAAA Resource Records bei der Verwendung von dynamischen IP-Adressen. Dynamisches DNS kann ein Sicherheitsrisiko darstellen, falls die Schnittstelle zur Aktualisierung von DNS-Einträgen nicht gegen unautorisierte Zugriffe abgesichert ist. Bei einer REST API kann die Absicherung durch den Einsatz von HTTPS und einer Authentifizierung des Clients erfolgen. Bei DNS-Update kann die Absicherung per TSIG erfolgen. Internationalisierung Bisher waren die Labels auf alphanumerische Zeichen und das Zeichen ‚-‘ eingeschränkt. Möglich, aber nicht standardkonform, ist bei Subdomains zudem ‚_‘. Dieser begrenzte Zeichenvorrat hängt vor allem damit zusammen, dass das DNS (wie auch das Internet ursprünglich) in den USA entwickelt wurde. Damit waren in vielen Ländern gebräuchliche Schriftzeichen (im deutschen Sprachraum zum Beispiel die Umlaute ä, ö und ü sowie ß) oder Zeichen aus komplett anderen Schriftsystemen (zum Beispiel Chinesisch) ursprünglich nicht in Domainnamen möglich. Ein mittlerweile etablierter Ansatz zur Vergrößerung des Zeichenvorrats ist die 2003 in RFC 3490 eingeführte und 2010 mit RFC 5890 aktualisierte Internationalisierung von Domainnamen (IDNA). Um das neue System mit dem bisherigen kompatibel zu halten, werden die erweiterten Zeichensätze mit den bislang zulässigen Zeichen kodiert. Die erweiterten Zeichensätze werden dabei zunächst normalisiert, um unter anderem Großbuchstaben auf Kleinbuchstaben abzubilden, und anschließend per Punycode auf einen ASCII-kompatiblen String abgebildet. IDNA erfordert eine Anpassung der Netzwerkanwendungen (zum Beispiel Webbrowser), die Nameserver-Infrastruktur (Server, Resolver) braucht jedoch nicht verändert zu werden. Im deutschsprachigen Raum können seit März 2004 deutsche, liechtensteinische, österreichische und schweizerische Domains (.de, .li, .at und .ch) mit Umlauten registriert und verwendet werden. Auch bei anderen Top-Level-Domains, insbesondere im asiatischen Raum, ist die Verwendung von internationalisierten Domainnamen möglich. Extended DNS 1999 beschrieb Paul Vixie im RFC 2671 einige kleinere, abwärtskompatible Erweiterungen am Domain Name System, die als Extended DNS Version 0 bezeichnet werden. Durch Einsatz eines Pseudo-Records als Header-Erweiterung kann der Anfragende zusätzliche Optionen setzen. Insbesondere kann er übermitteln, dass er UDP-Antworten größer als 512 Bytes entgegennehmen kann. DNSSEC-fähige Server und Resolver müssen EDNS beherrschen. Verwaltung von Telefonnummern Eine weitere aktuelle Erweiterung des DNS stellt ENUM (RFC 2916) dar. Diese Anwendung ermöglicht die Adressierung von Internet-Diensten über Telefonnummern, also das „Anwählen“ von per Internet erreichbaren Geräten mit dem aus dem Telefonnetz bekannten Nummerierungsschema. Aus dem breiten Spektrum der Einsatzmöglichkeiten bietet sich insbesondere die Verwendung für Voice over IP Services an. RFID-Unterstützung Mit der RFID können auf speziellen RFID-Etiketten abgelegte IDs – sogenannte elektronische Produktcodes oder EPCs – berührungslos gelesen werden. Das DNS kann dazu verwendet werden, zu einer ID den Server zu ermitteln, der Daten über das zugehörige Objekt enthält. Der Object Name Service ONS wandelt dazu den EPC in einen DNS-Namen um und erfragt per Standard-DNS einen oder mehrere Naming Authority Pointer NAPTR. Spam-Abwehr Zur Filterung von Spam-Mails überprüfen viele Mailserver den DNS-Eintrag des sendenden Mailservers routinemäßig mit Hilfe des Reverse DNS Lookup. Dieser muss nicht nur auch vorwärts wieder korrekt auflösen und auf die IP-Adresse des sendenden Systems zeigen (Forward-confirmed reverse DNS), sondern muss auch dem im SMTP-Protokoll genannten HELO-Hostnamen des sendenden Systems entsprechen. Mittels Sender Policy Framework wird versucht, den Versand von gefälschten Absendern durch Dritte möglichst zu unterbinden. Zu jeder Mail-Domain wird dabei über einen speziellen SPF Resource Record explizit aufgelistet, von welchen Servern und IP-Netzen mit E-Mails dieser Domain zu rechnen ist. SPF steht jedoch wegen zahlreicher technischer Schwierigkeiten, beispielsweise bei Weiterleitungen, in der Kritik. Auch der Anti-Spam-Mechanismus DKIM greift auf Einträge im DNS zurück, indem sendende Mailserver in DNS-TXT-Records ihren Public-Key veröffentlichen, mit dem die Signatur ihrer ausgehenden E-Mails verifiziert werden kann. Sonstiges Neben den IP-Adressen können DNS-Namen auch ISDN-Nummern, X.25-Adressen, ATM-Adressen, öffentliche Schlüssel, Text-Zeilen usw. zugeordnet werden. In der Praxis sind derartige Anwendungsfälle aber die Ausnahme. DNS im lokalen Netz DNS ist nicht auf das Internet beschränkt. Es ist ohne weiteres möglich und mit der Definition verträglich, für die Auflösung lokaler Namen eigene Zonen im Nameserver einzurichten und dort die entsprechenden Adressen einzutragen. Der einmalige Aufwand zur Installation lohnt sich auch bei relativ kleinen Netzen, da dann alle Adressen im Netz zentral verwaltet werden können. Bei größeren Firmen oder Organisationen ist häufig ein aus lokalem und Internet-DNS bestehendes Mischsystem (Split-DNS) anzutreffen. Die internen Nutzer greifen auf das lokale und die externen auf das Internet-DNS zu. In der Praxis können dadurch sehr komplizierte Konstellationen entstehen. Der DNS-Server BIND kann auch mit DHCP zusammenarbeiten und damit für jeden Client im Netz eine Namensauflösung ermöglichen. Unter Windows gibt es noch einen anderen Dienst zur Namensauflösung – WINS, der eine ähnliche Funktion zur Verfügung stellt, allerdings ein anderes Protokoll verwendet. DNS-Serververbund Es ist möglich, mehrere DNS-Server zu verbinden. Die als Master bezeichneten Server sind für eine oder mehrere Domains verantwortlich. Die Slaves aktualisieren nach einer Änderung selbst die Daten, der Master verteilt diese Daten nicht automatisiert. Die Abholung der Daten wird über einen Zonentransfer realisiert. Beispielsweise kann eine Firma mit mehreren Standorten an einem Platz einen Master für ihr internes DNS betreiben, der die Server in den Außenstellen versorgt. Der Zonentransfer geht bei BIND über TCP (per Default Port 53) und erfordert empfohlenerweise Authentifizierung. Die Slaves aktualisieren sich, wenn sich die Seriennummer für eine Zonendatei ändert oder sie eine entsprechende Nachricht vom Master erhalten. Die Freigabe für den Transferport sollte man per Firewall an die IP-Adresse des Masters binden. Bei anderen Softwarepaketen werden die Daten unter Umständen auf anderen Wegen abgeglichen, beispielsweise durch LDAP-Replikation, rsync, oder noch andere Mechanismen. Sicherheit Das DNS ist ein zentraler Bestandteil einer vernetzten IT-Infrastruktur. Eine Störung kann erhebliche Kosten nach sich ziehen und eine Verfälschung von DNS-Daten Ausgangspunkt von Angriffen sein. Angriffsformen Hauptziel von DNS-Angriffen ist es, durch Manipulation DNS-Teilnehmer auf falsche Webseiten zu lenken, um anschließend Passwörter, PINs, Kreditkartennummern usw. zu erhalten. In seltenen Fällen wird versucht, den Internet-DNS durch Denial-of-Service-Attacken komplett auszuschalten und so das Internet lahmzulegen. Außerdem kann das DNS dazu verwendet werden, gezielte Angriffe auf Einzelpersonen oder Unternehmen zu intensivieren. DDoS-Angriff auf Nameserver Bei einem Distributed-Denial-of-Service-Angriff werden Nameserver durch einen hohen Datenstrom von DNS-Anfragen überlastet, so dass legitime Anfragen nicht mehr beantwortet werden können. Gegen DDoS-Angriffe auf Nameserver gibt es zurzeit keine Abwehrmöglichkeit. Als vorbeugende Maßnahme kann lediglich versucht werden, die Nameserver entsprechend zu dimensionieren bzw. ein verteiltes Netz mit möglichst vielen Servern zu installieren. Um eine große Anzahl DNS-Anfragen zu erzeugen, werden bei solchen Angriffen Botnetze eingesetzt. Ein DDoS-Angriff kann unbeabsichtigt einen DNS-Server betreffen und zum Ausfall bringen, wenn der Domainname des Angriffsziels wiederholt aufgelöst wird ohne zwischengespeichert zu werden. Der Effekt auf DNS-Server wird verhindert, wenn das DDoS-Schadprogramm DNS-Caching verwendet. DNS-Amplification-Angriff Die DNS Amplification Attack ist ein Denial-of-Service-Angriff, bei der nicht der DNS-Server selbst das eigentliche Angriffsziel ist, sondern ein Dritter. Ausgenutzt wird, dass ein DNS-Server in manchen Fällen auf kurze Anfragen sehr lange Antworten zurücksendet. Durch eine gefälschte Absenderadresse werden diese an die IP-Adresse des Opfers gesendet. Ein Angreifer kann damit den von ihm ausgehenden Datenstrom substanziell verstärken und so den Internet-Zugang seines Angriffsziels stören. DNS-Spoofing Beim DNS-Spoofing handelt es sich um eine Angriffsklasse von Maskierungsangriffen, die das Ziel haben eine falsche Identität vorzugeben. Dafür wird die DNS-Antwort an einen Client verändert um ihn auf einen anderen, meist vom Angreifer kontrollierten Dienst fehlzuleiten. Cache Poisoning Cache Poisoning bezeichnet ein Angriffsszenario, welches in die Angriffsklasse des DNS-Spoofing fällt. Dabei werden einem anfragenden Client zusätzlich zu der korrekten Antwort, manipulierte Daten übermittelt, die dieser in seinen Cache übernimmt und später, möglicherweise ungeprüft, verwendet. Offener DNS-Server Wer einen autoritativen DNS-Server für seine eigenen Domains betreibt, muss natürlich für Anfragen von beliebigen IP-Adressen offen sein. Um zu verhindern, dass Internetteilnehmer diesen Server als allgemeinen Nameserver verwenden (z. B. für Angriffe auf Root-Server), erlaubt BIND es, die Antworten auf die eigenen Domains einzuschränken. Beispielsweise bewirkt die Option allow-recursion {127.0.0.1; 172.16.1.4;};, dass rekursive Anfragen, d. h. Anfragen auf andere Domains, ausschließlich für den lokalen Host (localhost) sowie 172.16.1.4 beantwortet werden. Alle anderen IP-Adressen bekommen nur auf Anfragen auf eigene Domains eine Antwort. Ein offener DNS-Server kann auch eine Falle sein, wenn er gefälschte IP-Adressen zurückgibt, siehe Pharming. Sicherheitserweiterungen Mehr als zehn Jahre nach der ursprünglichen Spezifikation wurde DNS um Security-Funktionen ergänzt. Folgende Verfahren sind verfügbar: TSIG Bei TSIG (Transaction Signatures) handelt es sich um ein einfaches, auf symmetrischen Schlüsseln beruhendes Verfahren, mit dem der Datenverkehr zwischen DNS-Servern und Updates von Clients gesichert werden kann. DNSSEC Bei DNSSEC (Domain Name System Security Extensions) wird von einem asymmetrischen Kryptosystem Gebrauch gemacht. Neben der Server-Server-Kommunikation kann auch die Client-Server-Kommunikation gesichert werden. Dies soll die Manipulation der Antworten erschweren. DNS over TLS (DoT) Bei DNS over TLS sollen sowohl DDoS-Angriffe, die Manipulation der Antworten als auch das Ausspähen der gesendeten Daten verhindert werden. Dazu werden die DNS-Abfragen per Transport Layer Security (TLS) abgesichert. DNS over HTTPS (DoH) DNS over HTTPS ändert das DNS-System grundlegend. Anfragen finden hier auf Anwendungsebene statt. Anwendungen wie beispielsweise der Webbrowser fragen direkt beim DNS-Server an, anstatt die Anfrage an das Betriebssystem weiterzuleiten. Dadurch sehen DNS-Anfragen aus wie normaler Internetverkehr und können somit nicht gezielt abgefangen bzw. blockiert werden. Cloudflare und Google bieten öffentliche DoH-Webserver an. Mozilla Firefox unterstützt DoH seit Version 60 als experimentelle Funktion. Mozilla stellt in Zusammenarbeit mit Cloudflare einen DoH-Server bereit, der strenge Privatsphäre-Anforderungen erfüllen muss. DNS over QUIC (DoQ) DNS over QUIC soll die Vorteile von DoT und DoH kombinieren. DoQ soll gute Privatsphäre und Sicherheit bieten, eine geringe Latenz aufweisen und nicht blockierbar sein. RFC 9250 der Internet Engineering Task Force beschreibt DoQ. Domain-Registrierung Um DNS-Namen im Internet bekannt machen zu können, muss der Besitzer die Domain, die diesen Namen enthält, registrieren. Durch eine Registrierung wird sichergestellt, dass bestimmte formale Regeln eingehalten werden und dass Domain-Namen weltweit eindeutig sind. Domain-Registrierungen werden von Organisationen (Registries, z. B. Verisign oder Afilias) vorgenommen, die dazu von der IANA bzw. ICANN autorisiert wurden. Registrierungen sind (von wenigen Ausnahmen abgesehen) gebührenpflichtig. Für Domains unter .de ist die DENIC zuständig. In den allermeisten Fällen können Domains bei den Registries nur über Zwischenhändler, sogenannte Registrare wie Godaddy oder 1&1 Internet SE registriert werden, die mit den Registries entsprechende Verträge abgeschlossen haben. Bonjour bzw. Zeroconf Apple hat bei der Entwicklung von macOS mehrere Erweiterungen am DNS vorgenommen, welche die umfassende Selbstkonfiguration von Diensten in LANs ermöglichen soll. Zum einen wurde Multicast DNS („mDNS“) eingeführt, das die Namensauflösungen in einem LAN ohne einen dedizierten Namensserver erlaubt. Zusätzlich wurde noch DNS-SD (für „DNS Service Discovery“) eingeführt, die die Suche („Browsing“) nach Netzwerkdiensten in das DNS beziehungsweise mDNS ermöglicht. mDNS und DNS-SD sind bisher keine offiziellen RFCs des IETF, sind aber trotzdem bereits in verschiedenen (auch freien) Implementierungen verfügbar. Zusammen mit einer Reihe von anderen Techniken fasst Apple DNS-SD und mDNS unter dem Namen „Zeroconf“ zusammen, als Bestandteil von OS X auch als „Rendezvous“ bzw. „Bonjour“. Die meisten Linux-Distributionen unterstützen diese Erweiterung z. B. mit der avahi-Implementierung von Zeroconf. Zensur und alternative DNS Standardmäßig wird der DNS-Servern durch den Mobilfunkanbieter ausgewählt, oder durch die Anwendung die gerade genutzt wird. Mozilla Firefox verwendet bspw. Cloudflare um DNS-Anfragen aufzulösen. Innerhalb eines Netzwerkes, oder lokal auf einem Gerät, kann jedoch nach eigener Präferenz ein DNS-Server eingestellt werden. Unzensierte DNS-Server Seit der Debatte um das Zugangserschwerungsgesetz (2008) und Zensur im Internet im Allgemeinen gibt es eine Reihe von alternativen DNS-Anbietern, die Domains nach eigener Aussage nicht zensieren. Beispiele sind Organisationen wie Digitalcourage, Freifunk München oder Digitale Gesellschaft. Auch von Privatpersonen werden alternative DNS-Server bereitgestellt. Der alternative DNS-Server des Chaos Computer Club wird, aufgrund von fehlenden Sicherheitsaspekten, kritisiert. Dienste mit Filterlisten Es kann unterschiedliche Gründe geben einen DNS-Server zu nutzen, der mit Schwarzen Listen arbeitet, also bestimmte Anfragen an Webseiten nicht auflöst. So können gezielt Werbetreibende blockiert werden (siehe auch: Werbeblocker), auch gibt es Anbieter die versprechen die Cybersicherheit oder die Privatsphäre zu verbessern. Das Blockieren von nicht jugendfreien Inhalten ist ein weiterer Einsatzzweck. Technisch betrachtet handelt es sich bei der Verwendung von Filterlisten um eine Zensur von Inhalten. Die Grenzen zur Meinungszensur sind jedoch unscharf und werden subjektiv empfunden. Einige Anbieter führen Blocklisten über Fake-News-Websiten, die Kriterien nach denen die Einordnung erfolgt sind hierbei teilweise nicht offengelegt. Große Anbieter, die blockierende DNS-Server betreiben sind unter anderen: Quad9, Mullvad und Adguard. Die EU kündigte 2022 an, einen eigenen DNS-Server etablieren zu wollen (DNS4EU), dieser soll ebenfalls mit Filterlisten arbeiten und Netzsperren umsetzen. Namecoin Namecoin ist der erste Fork von Bitcoin aus dem Jahr 2011 und findet Anwendung als Kryptowährung sowie als Key-Value Store für Domainnamen und Identitäten. Als alternatives verteiltes Domain Name System (DNS) außerhalb des ICANN-Namensraumes werden Transaktionen zum Registrieren, Aktualisieren und Übertragen von Domains auf der Blockchain aufgezeichnet. Zur Auflösung der .bit Adressen werden ein Browserplugin oder ein lokaler Namecoin DNS-Server benötigt. Ebenso wie Bitcoin ist Namecoin ein dezentrales Peer-to-Peer-System, das keiner Zensur unterliegt. Die Software ist Open Source und wird auf GitHub gehostet. Einem Bericht von Trend Micro zufolge wurden .bit-Domains seit 2013 vermehrt auch von Cyberkriminellen genutzt. Vornehmlich aus diesem Grund hat das OpenNIC-Projekt im Sommer 2019 seine DNS-Auflösung von .bit Domains eingestellt. Nameserversoftware Auswahl bekannter Software für Namensauflösung. BIND (Berkeley Internet Name Domain) ist die meistgebrauchte Nameserversoftware und gilt als Referenzimplementierung der meisten RFCs zu DNS. Die erste Version von BIND war die erste öffentlich verfügbare Nameserver-Implementierung. CoreDNS ist ein in Go geschriebener DNS-Server der Cloud Native Computing Foundation. Bei djbdns hat der Autor Daniel J. Bernstein eine Prämie für das Finden von Sicherheitsproblemen ausgeschrieben. Djbdns wird von Bernstein nicht mehr weiterentwickelt, weil er es als fertig ansieht. Dnsmasq ist ein Nameserver und DHCP-Server mit eingeschränkter Funktionalität. Es werden die Namen aus dem lokalen Netz entsprechend /etc/hosts aufgelöst. Dnsmasq verfügt über keinen vollständigen Resolver: unbekannte Namensanfragen werden weitergeleitet und im Cache gespeichert. Knot DNS ist ein autoritativer Nameserver, der von CZ.NIC entwickelt wird, dem Betreiber von .cz. Microsoft Windows DNS ist eine der wenigen kommerziellen Nameserver-Implementierungen als Teil der Produktreihe Microsoft Windows Server. Der Nameserver unterstützt dynamische Updates, Zonentransfers und Notification. Zonendaten können in den aktuellen Versionen im Active Directory oder in Zonendateien gespeichert und repliziert werden. Name Server Daemon ist ein autoritativer Nameserver, der zum Einsatz als Top-Level-Domain- und Root-Nameserver entwickelt wurde. NSD kompiliert Antworten statisch vor, um die Server-Performance zu optimieren. Dynamische Zoneninhalte oder Round Robin werden nicht unterstützt. PowerDNS ist ein Nameserver, der Zonen aus SQL-Datenbanken, LDAP-Verzeichnissen und anderen Backends lesen kann. PowerDNS begann als kommerzielle Implementierung und ist seit 2002 unter der GPL lizenziert. Unbound ist ein DNS-Resolver, der DNSSEC-Validierung und Caching unterstützt. Unbound kann als Softwarebibliothek in Anwendungen eingebunden werden. Weblinks RFCs Multicast DNS Funktionsweise und Verwaltung des DNS als Poster Beiträge des Chaos Computer Clubs Zensur durch DNS-Server: DNS Howto Podcast zum Thema DNS: Chaosradio Express 099 – Domain Name System Julia Evans: Life of a DNS query. Wizard Zines (DNS-Abfrage als Comic) Einzelnachweise Internet-Anwendungsprotokoll Internetstandard
1084
https://de.wikipedia.org/wiki/Dresden
Dresden
Dresden (; ; abgeleitet aus dem altsorbischen Drežďany für Sumpf- oder Auwaldbewohner) ist die Landeshauptstadt des Freistaates Sachsen und östlichste Großstadt Deutschlands. Mit Einwohnern () bzw. 569.173 (laut Melderegister am 31. Dezember 2022) ist Dresden, nach Leipzig, die zweitgrößte sächsische Kommune und der Einwohnerzahl nach zwölftgrößte Stadt Deutschlands. Als Sitz der Sächsischen Staatsregierung und des Sächsischen Landtags sowie zahlreicher Landesbehörden ist die Großstadt das politische Zentrum Sachsens. Außerdem sind bedeutende Bildungs- und Kultureinrichtungen des Freistaates hier konzentriert, darunter die renommierte Technische Universität, die Hochschule für Technik und Wirtschaft, die Hochschule für Bildende Künste Dresden und die Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden. Die an der Elbe gelegene kreisfreie Stadt ist sowohl eines der sechs Oberzentren Sachsens als auch wirtschaftliches Zentrum des Ballungsraumes Dresden, einer der ökonomisch dynamischsten Regionen in Deutschland mit über 780.000 Einwohnern. Innovationen und Spitzentechnologien spielen im Raum Dresden eine herausragende Rolle; wirtschaftlich bedeutend sind etwa die Informationstechnik und Nanoelektronik, weshalb es sich auch als Zentrum von „Silicon Saxony“ positioniert. Ebenfalls große Wertschöpfung im Raum Dresden erbringen die Branchen Pharmazie, Kosmetik, Maschinen-, Fahrzeug- und Anlagenbau, Lebensmittel, optische Industrie, Dienstleistungen, Handel, sowie der Tourismus. Mit drei Autobahnen, zwei Fernbahnhöfen, einem Binnenhafen sowie einem internationalen Flughafen bildet Dresden außerdem einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Archäologische Spuren auf dem späteren Stadtgebiet deuten auf eine Besiedlung schon in der Steinzeit hin. In erhaltenen Urkunden wurde Dresden 1206 erstmals erwähnt und entwickelte sich zur kurfürstlichen, später königlichen Residenz, 1918 bis 1933 sowie ab 1990 Hauptstadt des Freistaates Sachsen, in der DDR von 1952 bis 1990 Bezirkshauptstadt. International bekannt ist Dresden als Kulturstadt mit zahlreichen bedeutenden Bauwerken, wie dem barocken Zwinger, herausragenden Museen, wie der Gemäldegalerie Alter Meister, berühmten Klangkörpern, wie der Sächsischen Staatskapelle oder dem Kreuzchor und als Wirkungsstätte weithin bekannter Kulturschaffender, zum Beispiel Richard Wagner. Die Dresdner Altstadt wurde in großen Teilen rekonstruiert und durch verschiedene architektonische Epochen geprägt, neben dem Zwinger beispielsweise mit der Frauenkirche am Neumarkt, der Semperoper und der Hofkirche sowie dem Residenzschloss. Der 1434 begründete Striezelmarkt ist einer der ältesten (ältester mit einer Urkunde bestätigter Weihnachtsmarkt) und bekanntesten Weihnachtsmärkte Deutschlands. Dresden wird auch Elbflorenz genannt, ursprünglich vor allem wegen seiner Kunstsammlungen; maßgeblich trug dazu sowohl seine barocke und mediterran geprägte Architektur als auch seine malerische und klimatisch begünstigte Lage im Elbtal bei. Geographie Lage und Fläche Die Stadt liegt beiderseits der Elbe zu großen Teilen im Elbtalkessel, eingebettet zwischen den Ausläufern des Osterzgebirges, dem Steilabfall der Lausitzer Granitplatte und dem Elbsandsteingebirge am Übergang vom Nordostdeutschen Tiefland zu den östlichen Mittelgebirgen im Süden Ostdeutschlands. Das nördliche und nordöstliche Stadtgebiet gehört naturräumlich daher zum Westlausitzer Hügel- und Bergland (Dresdner Heide und Schönfelder Hochland). Im Süden kennzeichnen die Talausgänge der Erzgebirgsabflüsse und Hochlagen den Übergang zum Östlichen Erzgebirgsvorland (eingegrenzter als Dresdner Erzgebirgsvorland und Meißner Hochland bezeichnet). Die Dresdner Elbtalweitung ist eine Untereinheit des Sächsischen Elblands. Vom Bundesamt für Naturschutz wurde Dresden vollständig der naturräumlichen Großlandschaft „D19 Sächsisches Hügelland und Erzgebirgsvorland“ zugeordnet. Als Höhenreferenz für Dresden gilt der Altmarkt als zentraler Platz der Stadt mit einer Höhe von , der Nullpunkt des Elbpegels liegt bei 102,73 m. Die höchste Erhebung im Stadtgebiet ist der rechts der Elbe gelegene 383 m hohe Triebenberg, der tiefste Punkt liegt am Elbufer in Niederwartha mit 101 m. Die Stadt ist nach teils großflächigen Eingemeindungen hinter Berlin, Hamburg und Köln und vor Bremen und München ihrer Fläche nach die viertgrößte Großstadt Deutschlands und steht in der Liste der flächengrößten Gemeinden Deutschlands an 14. Stelle. Die Länge der Stadtgrenze beträgt 139,65 km. Die Ausdehnung des Stadtgebiets beläuft sich in Nord-Süd-Richtung auf 22,6, in Ost-West-Richtung auf 27,1 km. Durch das Stadtgebiet fließen außer der schiffbaren Elbe (Länge im Stadtgebiet: 30 km) die beiden im Osterzgebirge entspringenden linken Nebenflüsse Lockwitzbach und Weißeritz sowie die rechts zufließende Prießnitz. Daneben fließen auf dem Stadtgebiet noch kleinere Flüsse wie der Kaitzbach, der Landgraben und der Lausenbach. Natur Dresden gehört nach großflächigen Eingemeindungen mit 63 % Grün- und Waldflächen zu den Großstädten in Europa mit dem höchsten Anteil an Vegetationsfläche, wovon die Dresdner Heide mit 5876 ha die größte geschlossene Waldfläche bildet. Insgesamt liegen in Dresden 7341 ha Waldflächen und 676 ha Wasserflächen. Im Stadtgebiet gibt es vier Naturschutzgebiete mit 265 ha und zehn Landschaftsschutzgebiete mit 12.340 ha Fläche, teilweise deckungsgleich mit zehn FFH-Gebieten mit 1901 ha Fläche. Zahlreiche denkmalgeschützte Gärten, Alleen und Parkanlagen sowie Friedhöfe bilden 138 Naturdenkmäler mit 134 ha oder 15 geschützte Landschaftsbestandteile mit 71 ha. Im Stadtgebiet liegen zudem drei Vogelschutzgebiete mit 1612 ha. Die Natur- und Kulturlandschaft Dresdner Elbtal mit den Elbwiesen ziehen sich fast 20 km durch das Stadtgebiet, ist aber in der Innenstadt unterbrochen. An einer besonders breiten zentrumsnahen Stelle wird es durch die von 2007 bis 2013 errichtete Waldschlößchenbrücke durchschnitten, weshalb die UNESCO das Elbtal 2009 nach jahrelanger Kontroverse von seiner Welterbeliste strich. In Dresden gibt es ca. 54.000 Straßenbäume. Geologie Den überwiegenden Anteil der oberflächennah anstehenden Gesteine im Stadtgebiet von Dresden prägen kaltzeitliche Ablagerungen pleistozänen Alters. Im Elbtal dominieren fluviatile Ablagerungen, während im Bereich des südlichen Talhanges meist äolische Sedimente in Form von Löss und Lösslehm vorkommen. Im Süden und Südwesten werden diese Sedimente von Aufragungen des Grund- und Übergangsstockwerkes durchbrochen. Hierbei handelt es sich um eine vielfältige Abfolge von Gesteinen unterschiedlicher Ausbildungen und verschiedenen Alters, zum Beispiel kreidezeitlichen Pläner, permische (rotliegende) Sedimentite und Vulkanite sowie variszische Intrusiva. In den morphologisch höher gelegenen nördlichen Stadtteilen stehen außerdem proterozoische Granitoide oberflächennah an. Das dominierende tektonische Element ist die Lausitzer Verwerfung (auch „Lausitzer Überschiebung“). Sie verläuft etwa parallel zur Elbe und prägt das Landschaftsbild von Dresden in typischer Weise. Klima Dresden liegt mit seinem humiden Klima in der kühl-gemäßigten Klimazone, jedoch ist ein Übergang zum Kontinentalklima spürbar. Der größte Teil des bewohnten Stadtgebietes liegt im Elbtal. Dort herrscht ein milderes Mikroklima als in den Stadtteilen auf den Hängen und im Hügelland der näheren Umgebung. Die Wetterwarte am Flughafen Dresden-Klotzsche befindet sich am nördlichen Stadtrand oberhalb des Elbkessels. An ihrem Standort auf ist es das ganze Jahr über etwa 1–2 Grad kälter als in der Innenstadt. In der Periode 1981 bis 2010 betrug die mittlere Temperatur in Klotzsche im Januar 0,1 °C und im Juli 19,0 °C. Die Monatstemperaturen in der Innenstadt weisen etwa ähnliche Werte auf wie die in südwestdeutschen Städten. Mit einer Jahresmitteltemperatur im Innenstadtbereich von 10,4 °C gehört Dresden zu den wärmsten Städten in Deutschland. Vor allem im Sommer ist die Lage zwischen der warmen Lausitz und dem kühleren Erzgebirge bemerkenswert. Zwischen diesen beiden Regionen können an einzelnen Tagen Temperaturunterschiede von bis zu 10 Grad herrschen. Die Stadtgrenze ist dann in gewisser Weise zugleich eine Isotherme. Das Erzgebirge kann durch Föhnwetterlagen auf Sachsen wärmend einwirken. Dresden hat durchschnittlich 1641 Sonnenscheinstunden im Jahr. Der Februar ist mit im Mittel unter 40 mm Niederschlagshöhe der niederschlagsärmste Monat im langjährigen Mittel 1981 bis 2010, der Juli der niederschlagsreichste; dabei fallen in den westlichen Stadtteilen (Station Dresden-Gohlis, 591 mm) im Mittel rund 10 % weniger Niederschläge als in den östlichen Stadtteilen (Station Dresden-Hosterwitz, 670 mm). Die höchste Regenmenge innerhalb von 24 Stunden fiel am 12. August 2002 mit 158 mm. Die sogenannte Vb-Wetterlage, die zu diesem Niederschlagsereignis führte und den gesamten sächsischen und böhmischen Raum betraf, hatte ein starkes Elbhochwasser zur Folge. Der Kälterekord in Dresden beträgt minus 30,5 Grad Celsius, gemessen am 11. Februar 1929 in der Innenstadt. Hochwasserschutz Aufgrund der Lage Dresdens an der Elbe und an Nebengewässern aus dem Osterzgebirge musste der Hochwasserschutz in der Entwicklung der Stadt berücksichtigt werden. Dazu wurden Freiräume belassen und Altarme weitestgehend baufrei gehalten. Zusätzlich zu dieser Retention gibt es Flutrinnen, die Wasser schneller abführen sollen. Systeme zur Hochwasserregulierung befinden sich dagegen kaum in der Stadt, sondern im südlich gelegenen Erzgebirge und am Oberlauf der Elbe. Umgebung Nahe gelegene Großstädte sind Chemnitz (80 km südwestlich), Leipzig (100 km nordwestlich) und die tschechische Hauptstadt Prag (150 km südlich). Berlin befindet sich 200 km nördlich; 230 km östlich liegt Breslau (Wrocław), die nächstgelegene Partnerstadt Dresdens. In der Nachbarschaft liegen der Landkreis Bautzen mit der Stadt Radeberg, der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit den Städten Pirna, Heidenau und Freital und der Landkreis Meißen mit Moritzburg und der Stadt Radebeul. Alle erwähnten Städte grenzen direkt an Dresden und bilden den Kernraum des Ballungsraumes Dresden. Etwas weiter entfernt liegen Meißen, Riesa und die Bergstadt Freiberg. Weitere angrenzende Gemeinden sind die Stadt Wilsdruff und Klipphausen im Westen, Radeburg, Ottendorf-Okrilla und Wachau im Norden sowie Arnsdorf und Dürrröhrsdorf-Dittersbach im Osten. Südlich benachbart liegen Dohna, Kreischa und Bannewitz. Dresden gehört zur Euroregion Elbe/Labe. Bevölkerung Am Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte Dresden zu den fünf bevölkerungsreichsten Städten in Deutschland. 1933 wurde mit 642.143 Einwohnern der höchste Wert in der Geschichte der Stadt erreicht. Die Volkszählung am 17. Mai 1939 ergab 629.713 Einwohner, davon 281.379 Männer und 348.334 Frauen. Durch den Zweiten Weltkrieg verringerte sich die Stadtbevölkerung auf etwa 468.000 (Zählung von 1946). Bis Mitte der 1980er Jahre nahm die Bevölkerung bis auf etwa 520.000 Einwohner zu. Danach sank die Anzahl an wohnberechtigter Bevölkerung mit Erstwohnsitz durch Abwanderung und Suburbanisierung bis 1998 auf etwa 453.000 Einwohner und lag damit trotz der Eingemeindungen der 1950er Jahre unter der Zahl von 1946, die eine kleinere Fläche betraf. Danach wurde sie durch Eingemeindungen erhöht und steigt mittlerweile dauerhaft durch einen leichten Wanderungs- und Geburtenüberschuss an. Die Einwohnerzahl betrug am 30. Juni 2006 genau 500.068 (nur Hauptwohnsitze). Am 12. August 2006 wurde deshalb nach umfangreichen Ermittlungen ein Neugeborener symbolisch als der 500.000. Einwohner der Stadt nachträglich vom Oberbürgermeister begrüßt. Mit mehr als 6000 Geburten (im Jahr 2012) galt Dresden bis 2014 als „Geburtenhauptstadt“ unter deutschen Großstädten. Am 31. Dezember 2017 lebten in Dresden laut Melderegister 557.098 Einwohner bei einer Bevölkerungsdichte von 1.696 Einwohnern je Quadratkilometer. Am 31. Dezember 2018 hatten laut Melderegister 560.641 Einwohner den Hauptwohnsitz in Dresden. Am 31. Dezember 2019 hatten laut Melderegister 563.011 Einwohner den Hauptwohnsitz in Dresden bei einer Bevölkerungsdichte von 1.715 Einwohnern je Quadratkilometer. Am 31. März 2020 waren es noch 562.132 Einwohner. 2021 hatten 561.942 Menschen ihren Hauptwohnsitz in Dresden. Dresden steht bei den größten Städten der Europäischen Union an 44. Stelle. Migration Am 31. Dezember 2018 lebten etwa 23.176 Deutsche mit Migrationshintergrund in Dresden (Wohnbevölkerung mit ausländischer Herkunft und deutscher Staatsangehörigkeit), das entspricht 4,1 Prozent aller Einwohner Dresdens. Der Ausländeranteil (Wohnbevölkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit) in Dresden bezifferte sich am 31. Dezember 2018 auf 8,0 Prozent. Von 2010 bis 2018 stieg der Ausländeranteil von 4,7 auf 8,0 Prozent bzw. von 24.692 auf 44.665 Personen. Siedlungsraum Im Stadtgebiet entfallen 8087 Hektar auf Gebäude- und Freiflächen, im Jahr 2011 gab es in Dresden 292.740 Wohnungen mit 286.889 Haushalten. Wie feinstrukturiert und unterschiedlich die urbanen Räume besiedelt sind, zeigt sich beim Vergleich von Äußerer und Innerer Neustadt. Die Äußere Neustadt ist mit mehr als 15.000 Bewohnern pro Quadratkilometer der am dichtesten besiedelte Stadtteil Dresdens, während die Innere (historische) Neustadt mit etwa 4.000 Einwohnern pro Quadratkilometer eine weit geringere Bevölkerungsdichte aufweist, die jedoch weit über anderen Stadtteilen liegt. Der Bereich mit der dichtesten Besiedlung ist der Stadtbezirk Blasewitz: Dies ist vor allem mit dem Stadtteil Striesen verbunden, weniger mit dem früheren Gemeindegebiet von Blasewitz. Dichte Besiedlung ist hier nicht Anzeichen für schlechteren Wohnraum, wie es zu Zeiten enger Hinterhofbebauung noch gelten konnte, im Gegenteil: Die Grundsätze für die Bebauung haben schon in den 1880er Jahren einerseits zu den Dresdner Villen als Typus eines Mehrfamilienhauses geführt, andererseits führte dies trotz dichter Bebauung zu einem durchgrünten Stadtteil. Die Elbe mit ihren Auen wirkt im Bereich von Blasewitz überdies als Grenze des urbanen Raums, weshalb die linkselbischen dicht besiedelten und die rechtselbisch quasi unbewohnten Flächen der Dresdner Heide sehr nahe beieinander liegen. Blasewitz selbst wurde erst 1921 an Dresden angegliedert, wobei zu jener Zeit schon weite Teile des heutigen Stadtbezirks (Striesen seit 1892) zur Stadt gehörten. Die Dresdner Heide wiederum liegt im Stadtbezirk Loschwitz, der mit 268 Einwohnern je Quadratkilometer der am dünnsten besiedelte Stadtbezirk ist. Religionen Die Reformation setzte sich in Dresden 1539 durch. Ab etwa 1571 vertrat die Stadt ein strenges Luthertum. Im Jahre 1661 gab es in Dresden erstmals wieder katholische Gottesdienste. Kurfürst Friedrich August I. veranlasste 1697 den Wechsel des Hofstaates zum katholischen Glauben, um zum polnischen König gekrönt werden zu können. Die katholischen Gemeinden wurden erst 1807 den evangelischen gleichgestellt und blieben nach Mitgliederzahl eine kleine Minderheit. Von den am 1. Dezember 1900 gezählten 396.146 Einwohnern Dresdens (ohne die später einverleibten Vorstädte, jedoch einschließlich des Gutsbezirks Albertstadt, inkl. 11.962 Mann Militär) waren 349.145 Lutheraner, 3340 Reformierte, 36.910 Römisch-Katholische und 3029 Juden. Das Ende der Monarchie führte nach dem Ersten Weltkrieg zur Trennung von Kirche und Staat und 1922 zur Wahl des ersten evangelischen Landesbischofs. Von im Jahr 1939 gezählten 629.713 Einwohnern waren 513.301 Evangelische, 40.951 Katholiken, 3052 sonstige Christen und 1459 Juden. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging während der DDR-Zeit der Anteil der evangelischen Kirchenmitglieder von etwa 85 % (1949) auf 22 % (1989) zurück. 1980 wurde Dresden Sitz eines katholischen Bischofs, wobei die Katholische Hofkirche zur Kathedrale des Bistums Dresden-Meißen erhoben wurde. Der Volkszählung 2011 zufolge waren 15,3 % der Einwohner evangelisch und 4,3 % römisch-katholisch. 80,4 % waren konfessionslos, gehörten einer anderen Glaubensgemeinschaft an oder machten keine Angabe. Ende 2021 gehörten von den 561.002 Einwohnern 12,9 % einer der Evangelisch-lutherische Kirchen und 4,6 % der katholischen Kirche an. Fast 83 % waren konfessionslos, gehörten einer anderen Glaubensgemeinschaft an oder machten keine Angabe. 2021 erklärten 2068 Dresdner (zirka 0,4 %) ihren Kirchenaustritt. Die Stadtverwaltung schätzte die Anzahl der Mitglieder von weiteren christlichen Glaubensgemeinschaften, wie zum Beispiel der russisch-orthodoxen Kirche, rumänisch-orthodoxen Kirche, Freikirchen und nicht-christlichen Gemeinden auf etwa 5000 Menschen. In Dresden lebten 2011 etwa 760 Juden. Weitere registrierte Religionsgemeinschaften sind muslimische, buddhistische und hinduistische Glaubensgemeinschaften und die Glaubensgemeinschaft der Bahá'í. Geschichte Erste Besiedlung, Stadtgründung und Mittelalter Bereits in der Jungsteinzeit bestanden erste Siedlungen im Raum Dresden. Die Kreisgrabenanlagen in Nickern aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. waren die ersten Monumentalbauten im heutigen Stadtgebiet. Die Furt durch die Elbe in Höhe der heutigen Altstadt bestand wahrscheinlich schon im frühen Mittelalter. Eine Besiedlung blieb aber trotz der lukrativen Lage an der Elbe und seiner fruchtbaren Böden aufgrund der starken Bewaldung problematisch. Dresdens vom altsorbischen (= „Sumpf-“ oder „Auwald-Bewohner“, Mehrzahlform) abgeleiteter Name deutet auf eine ursprünglich slawische Siedlung. Dresdene lag im damaligen Gau Nisan, der 1142 von Böhmen an den deutschen König Konrad III. kam. Das nahe Meißen war ab 968 der Sitz der Markgrafen von Meißen und entwickelte sich so zum zentralen Ort der Markgrafschaft Meißen, die im Zuge der Expansion und Eingliederung der sorbischen Siedlungsgebiete östlich von Elbe und Saale errichtet wurde. Südöstlich von Dresden befand sich ab 1156 die reichsunmittelbare Burggrafschaft Dohna. Am 31. März 1206 wird Dresden erstmals in einer erhaltenen Urkunde genannt: Acta sunt hec Dresdene. Das in Dresden ausgestellte Schriftstück befasst sich mit einer Gerichtsverhandlung wegen Schleifung der Burg Thorun auf dem Burgwartsberg, der im Gebiet der heutigen Stadt Freital südlich von Dresden zwischen Potschappel und Pesterwitz liegt. In einer Urkunde vom 21. Januar 1216 wird Dresden bereits als Stadt erwähnt: . 1350 wird das rechtselbisch gelegene Dresden (Altendresden), die heutige Innere Neustadt, als selbstständige Ansiedlung „Antiqua Dressdin“ erstmals erwähnt. Eine Verleihung des Stadtrechts an Altendresden ist urkundlich bisher nicht belegt, aber sie soll am 21. Dezember 1403 durch Wilhelm I. erfolgt sein. Erst ab 29. März 1549 bildeten unter Kurfürst Moritz die rechts- und linkselbischen Teile der Stadt eine Einheit. Frühe Neuzeit Bei der Erlangung des Stapelrechts am 17. September 1455 war Dresden noch eine recht unbedeutende Stadt, wurde jedoch nach der Leipziger Teilung der wettinischen Länder 1485 für Jahrhunderte herzogliche Residenzstadt der sächsischen Herrscher und erfuhr mit der Erhebung des wettinischen Herrschaftsbesitzes zum Kurfürstentum und Königreich eine Aufwertung als politisches und kulturelles Zentrum. Durch den Übergang der kurfürstlichen Würde innerhalb des Hauses Wettin (Wittenberger Kapitulation) wurde die Stadt zur Hauptstadt des wichtigsten protestantischen Landes innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. In dieser Zeit wurden wichtige kulturelle Einrichtungen begründet, die bis in die Gegenwart die besondere Geltung der Stadt ausmachen. Die von Kurfürst August 1556 zunächst in unmittelbarer Nähe des Residenzschlosses errichtete Münzstätte Dresden wurde nach Schließung sämtlicher Landesmünzstätten einzige Münzstätte im Kurfürstentum. Im Dreißigjährigen Krieg wurde Dresden nie geplündert oder zerstört, aber um 1632 durch Pest und Hungersnot sowie die allgemeine wirtschaftliche Stagnation in seiner Entwicklung gestört. Die Geschichte seit dem Dreißigjährigen Krieg ist sehr wechselvoll: Zum einen entstanden die weltbekannten Bauwerke und Parkanlagen; auf der anderen Seite war die Stadt in fast alle großen europäischen Kriege verwickelt und wurde dabei mehrfach in Mitleidenschaft gezogen. Im Jahr 1685 brannte Altendresden komplett ab. Es wurde hernach über mehrere Jahrzehnte wiederaufgebaut und 1732 als „Neue Königliche Stadt“ vollendet. Der Stadtteil wird deshalb als Neustadt bezeichnet. Unter August dem Starken errang Dresden durch den Dresdner Barock und den opulenten Hoffesten des Dresdner Hofes die kulturelle Bedeutung, die es bis in die Moderne hat. Im Dezember 1745 wurde die Stadt im Österreichischen Erbfolgekrieg zum ersten Mal durch Preußen erobert. Erneut wurde es im Siebenjährigen Krieg 1756 durch Preußen erfolglos besetzt. Als sich die österreichische Armee der Stadt näherte, rief der preußische Gouverneur zu Vergeltungsaktionen auf und ließ die Stadt teilweise abbrennen. 1760 belagerte Preußen Dresden erfolglos und beschoss dabei die Innenstadt. 1785 schrieb Friedrich Schiller für die Tafel der Freimaurerloge „Zu den drei Schwertern“ in Dresden das Gedicht An die Freude. Dieses Gedicht wurde von Ludwig van Beethoven für seine 9. Sinfonie vertont. Die Melodie des Themas dieser Vertonung ist die Europahymne. Im Frühjahr des Jahres 1791 wurde im nahe gelegenen Ort Pillnitz mit der Pillnitzer Deklaration ein Initial für die mehr als 150 Jahre währende Feindseligkeit zwischen Deutschland und Frankreich gelegt. Darin riefen die vornehmlich deutschen Monarchen die europäischen Mächte zur Zerschlagung der Französischen Revolution auf. 19. und frühes 20. Jahrhundert Im Großraum Dresden fanden 1813 in den Befreiungskriegen gegen Napoleon vorentscheidende Schlachten der Völkerschlacht bei Leipzig statt. Sachsen, und damit Dresden, kämpfte auf der Seite von Frankreich; die Stadt wurde durch die Franzosen weiter befestigt und durch deren Truppen geschützt. Napoleon errang am 27. August 1813 in der Schlacht um Dresden einen seiner letzten Siege auf deutschem Boden. Die südlichen Vororte von Dresden wurden teilweise schwer zerstört, und die Stadt Dresden glich durch die hohe Anzahl von Verwundeten einem großen Feldlazarett. Der auf die Märzrevolutionen folgende Dresdner Maiaufstand vom 3. bis 9. Mai 1849 zwang den sächsischen König Friedrich August II., die Stadt zu verlassen. Er konnte sie erst durch preußische Unterstützung wiedergewinnen. Bekannte Teilnehmer des Aufstandes waren Richard Wagner und Gottfried Semper; beide verließen daraufhin Sachsen. Nach Niederschlagung der Revolution fanden hier 1850/1851 die Dresdner Konferenzen statt, die einzigen in der Zeit des Deutschen Bundes, auf der alle Staaten vertreten waren. Vom 17. bis 19. Juli 1880 fand in Dresden der 11. Deutsche Feuerwehrtag statt. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts blieb Dresden von Kriegen verschont und wurde Hauptstadt eines der wohlhabendsten Bundesstaaten im Deutschen Reich. Am 7. Juni 1905 wurde in Dresden die Künstlergruppe Brücke von den vier Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff gegründet. Weitere Mitglieder waren Max Pechstein, Otto Mueller und Cuno Amiet, kurzzeitig auch Emil Nolde und Kees van Dongen. Nicht abschließend geklärt ist, ob die Bezeichnung der Künstlergruppe sich auf die vielen Brücken Dresdens bezog oder ob es sich um eine Metapher für den Willen zum Aufbruch in der Kunst und die Überwindung alter Konventionen handeln sollte. Im Ersten Weltkrieg blieb die Stadt zwar von direkten Kampfhandlungen unberührt, aber die Einwohnerzahl ging zwischen 1910 und dem ersten Nachkriegsjahr 1919 um fast 20.000 Menschen zurück. Weimarer Republik Nach der Novemberrevolution 1918 wurde Dresden Hauptstadt des (ersten) Freistaates Sachsen. Es gehörte zu den zehn größten Städten in Deutschland und war ein kulturelles und wirtschaftliches Zentrum der Weimarer Republik. 1919 gründete sich die Dresdner Sezession, deren bekanntestes Mitglied Otto Dix war. Dieser Gruppe ging schon vor dem Ersten Weltkrieg die Vereinigung Brücke voraus. 1925 wurde mit der Palucca-Schule Dresden neben der bestehenden Hochschule für Bildende Künste eine bedeutende Schule der Darstellenden Kunst gegründet. Die Sächsische Staatsoper war eine bedeutende Bühne für Uraufführungen. Bis 1913 entstand das Schauspielhaus des Staatstheaters. Zwar verlegte die 1872 gegründete Dresdner Bank ihre Hauptverwaltung noch im 19. Jahrhundert nach Berlin, Dresden blieb aber bedeutender Bankenstandort vor allem kleinerer familiengeführter Privatbanken bis in die 1920er Jahre. Führende Unternehmen bestanden hier zwischen 1918 und 1933 im (Elektro-)Maschinenbau, der Pharmazie und Kosmetik sowie in der Tabakverarbeitung und Lebens- und Genussmittelindustrie. Teilweise haben sich diese Unternehmen (häufig in neu gegründeter Form) bis in die Gegenwart erhalten. Die durch die Stadt 1909 übernommenen Straßenbahnbetriebe wurden 1930 als Dresdner Straßenbahn AG wieder privatisiert. Zeit des Nationalsozialismus Die etwa 5000 jüdischen Dresdner, die noch 1933 Gemeindemitglieder waren, wurden vertrieben oder später in Konzentrationslager deportiert. Der Antisemitismus in Dresden ist vor allem durch die Tagebücher Victor Klemperers („Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“) dokumentiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten nur noch 41 Juden in der Stadt. Bei den Bücherverbrennungen am 8. März und 10. Mai 1933 sollte unter anderem das Werk des Dresdners Erich Kästner „symbolisch für immer ausgetilgt werden“. Das vor allem expressionistische Kulturleben Dresdens aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts endete 1933. Die Werke von Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein, Karl Schmidt-Rottluff oder Otto Dix dieser Zeit waren Teil der Ausstellung Entartete „Kunst“. 56 Werke der Galerie Neue Meister wurden beschlagnahmt. Auch die Staatsoper, geprägt von Werken von Richard Strauss, geriet in Bedrängnis. Schon im März 1933 wurde durch einen von der SA inszenierten Theater-Skandal bei einer „Rigoletto“-Aufführung ihr berühmter langjähriger Generalmusikdirektor Fritz Busch aus Dresden vertrieben; die einst von Busch entdeckte Erna Berger, inzwischen an der Berliner Staatsoper engagiert und an diesem Abend als Gilda gastierend, wurde Zeugin dieser Barbarei. Die Strauss-Oper „Die schweigsame Frau“ konnte dort 1935 wegen ihres jüdischen Librettisten Stefan Zweig überhaupt nur dank der Prominenz ihres Komponisten uraufgeführt werden, musste aber nach nur drei Wiederholungen vom Spielplan genommen werden und verschwand in Deutschland von der Bildfläche. Während der Novemberpogrome 1938 wurde die Alte Synagoge (Sempersynagoge) niedergebrannt. Zahlreiche Geschäfte und Wohnungen wurden vor den Augen der Polizei verwüstet und geplündert, jüdische Bürger misshandelt. Die männlichen wohlhabenden jüdischen Bürger wurden anschließend in Konzentrationslager verschleppt, um sie zur Emigration zu nötigen und ihr Vermögen zu arisieren. Zwischen 1939 und 1945 befanden sich KZ-Häftlinge, vor allem aus den Lagern in Auschwitz und Flossenbürg, in der Stadt in KZ-Außenlagern. Mehrere hundert Frauen mussten Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie bei Zeiss Ikon (685 Frauen im Goehle-Werk und 400 Frauen in Dresden-Reick) und in der Universelle-Maschinenfabrik (685 Frauen) leisten. Außerdem gab es ein KZ-Außenlager in der Schandauer Straße 68 in Dresden-Striesen für den Berliner Rüstungsbetrieb Bernsdorf & Co. 500 Juden mussten hier im Metallwerk Striesen Zwangsarbeit leisten und wurden nach der Bombardierung Dresdens zu großen Teilen provisorisch nach Pirna, und später nach Zwodau und Theresienstadt evakuiert. In der Ausländerkinder-Pflegestätte „Kiesgrube Dresden“ wurden 497 Kinder geboren, 225 Säuglinge und Kleinkinder verstarben dort. Die noch erhaltenen Privatbanken im jüdischen Familienbesitz wurden unter Zwang der Dresdner Bank angeschlossen. Dresden war seit Jahrhunderten ein militärisches Zentrum und diente bis 1945 zur Aufstellung militärischer Großverbände. Die Albertstadt nördlich des Stadtzentrums war als autarke Militärstadt angelegt und wurde in der Zeit des Nationalsozialismus weiter ausgebaut. Im Zweiten Weltkrieg wurden bereits im August 1944 erste Luftangriffe auf den Großraum Dresden geflogen, woraufhin sich die Stadt auf Bombardierungen vorbereitete. Bei den Luftangriffen auf Dresden wurden in vier aufeinanderfolgenden nächtlichen Angriffswellen vom 13. bis 15. Februar 1945 weite Teile des Stadtgebietes durch britische und US-amerikanische Bomber schwer beschädigt. Die genaue Zahl der Opfer ist ungewiss. Früher fand sich in einzelnen – und weiter unbeirrt in vielen geschichtsrevisionistischen und rechtsradikalen – Publikationen die falsche Angabe von rund 350.000 Toten. Der Report of the Joint Relief 1941–1946 des Internationalen Roten Kreuzes kolportiert eine ebenfalls falsche Opferzahl von 275.000. In jüngerer Zeit sind die Opferzahlen auf 22.700, höchstens 25.000 korrigiert worden. Dem Historiker Frederick Taylor zufolge gehe die falsche Opferzahl auf eine Fälschung der Nazis selber zurück: ihr sei einfach eine Null hinzugefügt worden, um in neutralen Medien und Ländern Stimmung gegen die Alliierten zu machen. Der Schaden an Gebäuden wird ebenfalls häufig zu hoch angegeben. 60 Prozent des Stadtgebietes waren von den Angriffen schwer betroffen, 15 km² ausgehend von der Innenstadt wurden gar total zerstört; Stadtteile im Norden und Nordwesten waren dagegen wenig zerstört. Vorwiegend vom nördlich der damaligen Stadtgrenze gelegenen Flughafen Dresden-Klotzsche aus wurde das ab Mitte Februar 1945 bis zum 6. Mai eingekesselte Breslau versorgt, ehe Dresden selbst am 8. Mai, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, von der Roten Armee besetzt wurde. Zuvor wurde in einer verdeckten Aktion ohne Wissen der jeweils anderen von fünf Personen, unter anderem von den auf einer Gedenktafel genannten Paul Zickler und Erich Stöckel, die von der SS geplante Sprengung des Blauen Wunders vereitelt. Zeit der Deutschen Demokratischen Republik Von 1952 bis 1990 war Dresden Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks Dresden. Während der Zeit des Sozialismus wurden viele Reste der stark zerstörten Stadt beseitigt. Viele Ruinen Dresdens, darunter auch die Überreste der Sophienkirche, vor allem aber die historische Wohnbebauung, wurden abgetragen oder gesprengt. Das historische Stadtzentrum wurde dabei entkernt und fortlaufend wieder bebaut. Die Umgebung der einst so belebten Prager Straße glich einer Brachlandschaft, ehe sie Anfang der 1960er Jahre im sozialistischen Stil wieder bebaut wurde. Erneuert bzw. vollständig rekonstruiert wurden vor allem die historischen Monumentalbauwerke, so das Ständehaus (1946), die Augustusbrücke (1949), die Kreuzkirche (bis 1955), der Zwinger (bis 1963), die Katholische Hofkirche (bis 1965), die Semperoper (bis 1985), das Japanische Palais (bis 1987) und die beiden größten Bahnhöfe (teilweise fortlaufend). Einige dieser Arbeiten zogen sich, geprägt von der wirtschaftlichen Gesamtlage der DDR, über Jahrzehnte hin und waren mitunter für längere Zeit unterbrochen worden. Das Schloss wurde über viele Jahre gesichert und Teile rekonstruiert (so der Stallhof). Erst ab 1986 begann der Wiederaufbau, der bis in die Gegenwart dauert. Die Ruine der Frauenkirche sollte als Mahnmal gegen den Krieg auf dem Neumarkt verbleiben. Während so Theater- und Schloßplatz 1990 zumindest nach historischem Vorbild bebaut waren, blieb der Neumarkt völlig unbebaut. Der Altmarkt dagegen ist geprägt von Bauten des Sozialistischen Klassizismus und einer Raumgestaltung und -ausrichtung nach sozialistischen Idealen (zum Beispiel Kulturpalast). Von 1955 bis 1958 wurde ein großer Teil der von der Sowjetunion erbeuteten Kunstschätze zurückgegeben, so dass ab 1960 viele Museen der Staatlichen Kunstsammlungen in wiedererbauten Einrichtungen oder Interimsausstellungen eröffnet werden konnten. Die wichtigen Klangkörper wie die Staatskapelle traten in Ausweichspielstätten auf (zum Beispiel im Kulturpalast ab 1969). Teile der Kultureinrichtungen wurden aus der Innenstadt herausverlegt (so die Landesbibliothek in die Albertstadt). Die im Krieg nahezu unzerstörte Äußere Neustadt blieb aufgrund von Bürgerprotesten erhalten. Ihr drohte in den 1980er Jahren der Abriss, da ihre Bebauung stark vernachlässigt wurde und deshalb in schlechtem Zustand war. In Prohlis und Gorbitz entstanden Großwohnsiedlungen in Plattenbauweise auf zuvor unbebautem Land. Die Johannstadt und andere Gebiete im Stadtzentrum wurden ebenso in Großblockbauweise überbaut. Weitestgehend erhalten wurden die Villenviertel in Blasewitz, Striesen, Kleinzschachwitz, Loschwitz und am Weißen Hirsch. Bis zum Ende des Kalten Krieges waren in und um Dresden die 1. Gardepanzerarmee der Sowjetarmee sowie die 7. Panzerdivision der Nationalen Volksarmee stationiert. Nach der Wende in der DDR ab 1989 wurden gemäß den Bestimmungen des Zwei-plus-Vier-Vertrags von 1990 die sowjetischen/russischen Truppen Anfang der 1990er Jahre aus Deutschland abgezogen und die NVA aufgelöst. Zwischen dem 30. September und dem 5. Oktober 1989 fuhren Sonderzüge mit den Flüchtlingen aus der bundesdeutschen Prager Botschaft über Dresden und Plauen in die Bundesrepublik. Besonders in der Nacht vom 4. zum 5. Oktober versammelten sich tausende Menschen am Hauptbahnhof. Dabei kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Bürgern, die teils demonstrierten, teils die Züge zur Flucht erreichen wollten. Am 8. Oktober zogen rund 20.000 Menschen durch Dresden und demonstrierten unter anderem für Reise- und Meinungsfreiheit. Ein großer Teil von ihnen wurde von der Polizei auf der Prager Straße eingekesselt. Es bildete sich spontan die „Gruppe der 20“, die am nächsten Tag dem SED-Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer die Forderungen der Demonstranten vorbrachte. Am Tag darauf fand in Leipzig die erste große Montagsdemonstration statt, wie sie in den folgenden Wochen in Dresden ebenfalls stattfanden. Seit 1990 Nach der politischen Wende 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 wurde Dresden wieder die Hauptstadt des wieder errichteten Landes Sachsen. In der Stadt wurden nochmals einige alte Gebäude abgerissen. Viele andere wurden jedoch mit Hilfe steuerlicher Subventionen wieder restauriert. Viele Gebiete Dresdens gelten daher als Beispiele für die gelungene Restaurierung von Baudenkmälern und stehen als Gesamtensembles unter Denkmalschutz. Im August 2002 wurde die Stadt von der „Jahrhundertflut“ getroffen. Dabei überschwemmten die Weißeritz und die Elbe nebst mehrerer ihrer Nebengewässer die Stadt. Die Elbe erreichte einen Pegelstand, der das bis dato schwerste Hochwasser von 1845 übertraf. Das Reparieren der Infrastruktur dauert nach dem Hochwasser bis in die Gegenwart an; betroffene Bauwerke waren wesentlich schneller wieder hergerichtet. Am 30. Oktober 2005 wurde die Frauenkirche nach einem zehnjährigen Wiederaufbau, der weitgehend durch Spendengelder finanziert wurde, geweiht („Wunder von Dresden“). 2006 feierte die Stadt ihr 800-jähriges Bestehen (formal am Tag ihrer ersten urkundlichen Erwähnung am 31. März). Höhepunkt war dabei im Rahmen des Festumzuges im August eine Nachstellung des kompletten Fürstenzuges durch Reiter in historischen Kostümen. Am 5. Juni 2009 besuchte mit Barack Obama erstmals ein Präsident der Vereinigten Staaten die Stadt und traf sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Residenzschloss. Er besichtigte anschließend die Frauenkirche. Die Technische Universität Dresden wurde 2012 in den Kreis der „Elite-Hochschulen“ Deutschlands aufgenommen. Mit dem Bau der Waldschlößchenbrücke erhielt Dresden 2013 eine weitere innenstadtnahe Elbquerung für den Straßenverkehr, nachdem 2011 bereits eine neue Straßenbrücke nach Radebeul eröffnet worden war. Im Oktober 2014 nahm die islam- und fremdenfeindliche Bewegung Pegida, die durch Demonstrationen in Dresden und anschließend in anderen Städten im Jahr 2015 viel Aufmerksamkeit erreichte, ihren Anfang. Die Stadt erhielt am 21. April 2015 zusammen mit der schwedischen Stadt Vara den Europapreis, der jährlich vom Ministerkomitee des Europarats an Gemeinden verliehen wird, die sich um den europäischen Gedanken verdient gemacht haben. Stadtgebietsentwicklung und Stadtgliederung Geschichtliches Zu Eingemeindungen siehe auch Liste der Gemarkungen von Dresden. Ursprünglich lag der älteste Teil der Stadt rechtselbisch, also nördlich der Elbe. Den Stadtteil Altendresden gibt es nicht mehr. Nachdem er abgebrannt war, wurde er 1732 als Neue Königliche Stadt, später vereinfacht Neustadt, neu angelegt und ist mit der heutigen Inneren Neustadt deckungsgleich. Der Stadtteil südlich der Elbe wird daher mittlerweile als die historische Altstadt bezeichnet. Die flachere südliche Tallage hat eine stärkere Entwicklung begünstigt, so dass sich damit die gesamte Stadt nach Süden verlagert hat. Die Stadt dehnt sich nicht gleichmäßig aus, sondern folgt dem Elbtal in südöstlicher beziehungsweise nordwestlicher Richtung. Überall wuchs Dresden zunächst durch Vorstädte, die anfangs der Stadtbefestigung vorgelagert waren. Eingemeindungen von umliegenden Gemeinden gab es seit 1835, als Dresden sich nach Norden und Westen ausdehnte. Seitdem wurden 65 Landgemeinden, die vier Gutsbezirke Albertstadt, Wilder Mann, das Gorbitzer und das Pillnitzer Kammergut sowie die Stadt Klotzsche nach Dresden eingemeindet. Landgemeinden, die nach 1990 eingemeindet wurden, erhielten innerhalb der kommunalen Struktur kraft Gesetzes den Sonderstatus „Ortschaft“. Die größte Eingemeindung war die von Schönfeld-Weißig im Osten des Stadtgebietes. Dresden ist nicht nur durch die Eingemeindungen in den 1990er Jahren eine weitläufige Stadt mit unterschiedlichen Strukturen in den einzelnen Stadtteilen. Viele Stadtteile besitzen einen erhaltenen Dorfkern; einige sind vollständig dörflich erhalten. Andere prägende Strukturen sind die der Vorstädte und der Einzelbebauung durch Stadtvillen sowie die Plattenbauviertel. Es gibt Stadtteile, die teilweise in enger Nachbarschaft verschiedene Strukturmerkmale aufweisen. Zur ursprünglichen Stadt gehörten Stadtteile, die in der gegenwärtigen Struktur fast alle zu den Stadtbezirken Altstadt und Neustadt gehören. Neben diesen innerhalb der Stadtfestung liegenden Teilen entstanden außerhalb der Stadtmauern, jedoch meist auf Dresdner Flur, Vorstädte, die zum Teil auf Anweisung sächsischer Herrscher angelegt worden waren und zum Teil nach diesen benannt wurden (Friedrichstadt, Albertstadt, Johannstadt). Weitere Dresdner Vorstädte wurden nach Stadttoren bzw. Ausfallstraßen (Wilsdruffer Vorstadt, Pirnaische Vorstadt) oder nach – nicht mehr vorhandenen – Naturmerkmalen (Seevorstadt) benannt. Die Antonstadt ist mittlerweile weitgehend unter dem Begriff Äußere Neustadt bekannt. Die anderen, nach Königen benannten Vorstädte blieben ihrerseits als Begriff erhalten. Später wuchs die Stadt vor allem im 19. Jahrhundert, als weitere Dörfer dichter bebaut wurden. Der Begriff Vorstadt wurde nach dem Ersten Weltkrieg für weitere Stadtteile nicht mehr verwendet. Von 1957 bis 1991 war das Stadtgebiet in die fünf Stadtbezirke Dresden-Mitte, -Ost, -West, -Süd und -Nord eingeteilt. Stadtbezirke und Ortschaften seit 1990 Seit 1991 gab es die Gliederung in zehn Ortsämter (für das Stadtgebiet vor 1990) und neun Ortschaften (nach 1990 eingemeindete Flächen). Mit der Einführung der Ortschaftsverfassung und die Wahl 2019 wurde die Bezeichnung „Ortsamt“ rückgängig gemacht und nunmehr Stadtbezirke eingerichtet, die ihrerseits ebenfalls den eingemeindeten „Ortschaften“ entsprechen. Sie sind Stadt- beziehungsweise Ortsteile des Stadtgebietes mit Flächenstand vom 31. Dezember 1990 und haben jeweils ein Stadtbezirksamt, das heißt ein Rathaus vor Ort, sowie einen Stadtbezirksrat im Sinne des von der Sächsischen Gemeindeordnung, der zu allen wichtigen Angelegenheiten, die den Stadtbezirk betreffen, vom Stadtrat und seinen Ausschüssen anzuhören ist. Vorsitzender des Stadtbezirksbeirats ist der Oberbürgermeister oder eine von ihm beauftragte Person. Diese beauftragte Person ist in der Regel die Leiterin oder der Leiter der Verwaltung des Stadtbezirks (Stadtbezirksamtsleiter). Die ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Stadtbezirksbeiräte werden direkt gewählt. Die Stadtbezirksbeiräte (als Personen) müssen ihren Hauptwohnsitz im jeweiligen Stadtbezirk haben. Der Stadtbezirk mit der größten Bevölkerung ist der von Blasewitz, der flächengrößte der von Loschwitz. Die Dresdner Innenstadt liegt in den Stadtbezirken Altstadt und Neustadt. Bis zu einer Änderung der Hauptsatzung im September 2018 wurden die Stadtbezirke als Ortsamtsbereiche bezeichnet. Entsprechend hießen Stadtbezirksräte, Stadtbezirksämter und Stadtbezirksamtsleiter bis dahin Ortsbeiräte, Ortsämter und Ortsamtsleiter. Bei den neun Ortschaften, die zum Teil ihrerseits aus mehreren Ortsteilen bestehen, handelt es sich – mit Ausnahme der Ortschaften Oberwartha und Schönborn – um erst Ende der 1990er Jahre eingegliederte und bis dahin selbständige Gemeinden. Eine weitere Ausnahme ist der Ortsteil Kauscha, der, bis 1999 zu Bannewitz gehörig, dem Stadtbezirk Prohlis angegliedert wurde. Für die Ortschaften wurden insgesamt fünf Verwaltungsstellen eingerichtet, lediglich die Ortschaft Altfranken wird vom Stadtbezirksamt Cotta mitverwaltet. Je Ortschaft existiert ein Ortschaftsrat, der – im Gegensatz zu den Stadtbezirksbeiräten der Stadtbezirke – direkt von den Bürgern der Ortschaft zeitgleich mit dem Stadtrat gewählt wird. Jeder Ortschaftsrat wählt für seine Ortschaft einen Ortsvorsteher. Im Gegensatz zu den Ortsbeiräten haben die Ortschaftsräte eigene Entscheidungskompetenzen und dafür eigene Budgets innerhalb des Stadthaushaltes, über das sie selbst verfügen. Soweit sich ihre Entscheidungsbefugnisse nicht aus der Sächsischen Gemeindeordnung ergeben, regeln die jeweiligen Eingemeindungsverträge im Detail ihre Kompetenzen. Die größte und bevölkerungsreichste Ortschaft ist Schönfeld-Weißig, die sich im Schönfelder Hochland erstreckt. Sie entstand ihrerseits aus mehreren ehemaligen Gemeinden, die sich in den 1990er Jahren zunächst als Gemeinde Schönfeld-Weißig vereinigt hatten. Die jahrelang nur inoffiziell diskutierte „Einführung der Ortschaftsverfassung für das gesamte Stadtgebiet Dresdens“ war 2014 ein Wahlkampfthema und sollte zur darauffolgenden Stadtratswahl 2019 eingeführt werden. Die Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung im Jahr 2018, durch die die Rechte der Ortsbeiräte gestärkt werden, verhinderte letztlich die Einführung der Ortschaftsverfassung. Dresdner Stadtbezirke, Ortschaften und Stadtteile im Detail Namensherkunft der Ortsteile Viele Stadtteilnamen sind wie der Stadtname Dresden sorbischer Herkunft. Typische Endungen der Namen sind „-itz“ und – ursprünglich eine Suffixverbindung mit dem Vorigen – „-witz“. Beide Endungen haben adjektivische Funktion; erstere sind Ableitungen von Appellativen, letztere von Personennamen und sind damit Patronyme. -nitz ist etymologisch keine eigene Endung, sondern eine Verbindung von stammauslautendem -n mit der Endung -itz. Die im Gefolge der Ostsiedlung eingedeutschten Endungen gehen somit häufig auf ursprüngliche (mittelalterliche) Besitzverhältnisse zurück. Leutewitz zum Beispiel wurde erstmals als Ludiwice „bei den Ludischen, das heißt bei den Leuten des Lud, Dorf des Lud“ erwähnt. Pillnitz hieß ursprünglich Belenewitz „Dorf des Belan“. Andere Stadtteilnamen sind aus geografischen Merkmalen gebildet worden; so bedeutet Klotzsche „gerodeter Wald“. Sehr wenige Ortsbezeichnungen wie Langebrück haben ihren Ursprung tatsächlich in der deutschen Sprache. Die (neueren) Ortsbezeichnungen „Weißer Hirsch“ und „Wilder Mann“ gehen beide auf Gastwirtschaften zurück, die sich in diesen Randlagen der Stadt befanden. Die Stadtteilbezeichnung Gittersee ist eine Volksetymologie und entwickelte sich aus dem slawischen „Geterssin“. Politik und Verwaltung Grundlagen Die insgesamt 70 Stadträte Dresdens werden nach dem in Sachsen auf kommunaler Ebene üblichen Personen-Mehrstimmenwahlsystem mit drei Stimmen – wobei Kumulieren und Panaschieren möglich ist – für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Die Stadt selbst wird dabei vor jeder Kommunalwahl in Wahlkreise aufgeteilt, die sich an einer annähernden Gleichzahl der Stimmberechtigten orientieren, womit sich allerdings ihre Grenzen von Wahl zu Wahl verschieben. Die Sitzverteilung im Stadtrat wird nach dem D’Hondt-Verfahren berechnet ( KomWG) und auf dieser Grundlage, zunächst über die jeweilig höchste Stimmzahl der Wahlliste in den Wahlkreisen und anschließend die persönlich erreichte Stimmzahl auf der Wahlliste innerhalb des Wahlkreises, wiederum die gewählte Person oder die gewählten Personen bestimmt. Hauptorgan der Stadt ist der Stadtrat; er nimmt satzungsgebende Kompetenzen wahr und erlässt allgemein geltende Verordnungen, definiert die Grundlagen und fasst die Beschlüsse, nach denen die Stadtverwaltung (einschließlich Oberbürgermeister) zu handeln hat. Als Organ bestimmt er direkt über solche Angelegenheiten, die nicht im Kompetenzbereich des Oberbürgermeisters liegen. Die Mitglieder der einzelnen Parteien im Stadtrat bilden Fraktionen. Die Stadträte arbeiten in elf beschließenden Ausschüssen und einem beratenden Ausschuss und wirken außerdem in sieben Beiräten mit. Dem einzelnen Mitglied stehen umfangreiche Frage- und Auskunftsrechte zu sowie mit weiteren gemeinsam ein Akteneinsichtsrecht. Der Oberbürgermeister wiederum ist allein für die Weisungsaufgaben nach Bundes- und Landesrecht zuständig. Er leitet die Stadtverwaltung, verantwortet laufende Tagesgeschäfte und repräsentiert die Stadt. Entsprechend den Regelungen der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) wird er für eine Amtszeit von sieben Jahren direkt von den Bürgern gewählt. Ihm zur Seite gestellt sind sieben Beigeordnete, die für einzelne Geschäftskreise zuständig sind und diese eigenverantwortlich leiten. Sie führen den Titel „Bürgermeister“, wobei der „Erste Bürgermeister“ den Oberbürgermeister ständig vertritt. Dies kam Ende 2014 bis Mitte 2015 voll zum Tragen, da die Oberbürgermeisterin Helma Orosz aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gegangen war. Ihr Stellvertreter, der seit 2008 Erste Bürgermeister Dirk Hilbert (FDP), wurde im zweiten Wahlgang am 5. Juli 2015 mit 54,2 % der Stimmen zum neuen Oberbürgermeister gewählt. Für Senioren, Ausländer und Behinderte sowie für geheimzuhaltende Angelegenheiten hat der Stadtrat Beiräte berufen, letzterer hat jedoch seit 1994 bis heute kein einziges Mal getagt. Die Stadtverwaltung Dresden zählte im Jahr 2021 ca. 7.400 Mitarbeiter, 2010 waren es noch etwa 6.200. Sie sind auf mehr als 50 Standorte in der Stadt verteilt. Historische Entwicklung der städtischen Verwaltung An der Spitze der Stadt gab es seit dem 13. Jahrhundert (1292) einen Rat mit einem Bürgermeister. Dieser wurde vom Rat gewählt und wechselte jährlich. Er war ehrenamtlich tätig. Besonderen Einfluss auf das Umland konnte die Stadt über das Dresdner Brückenamt der Kreuzkirchgemeinde ausbauen, das in Konkurrenz zum Kloster Altzella Güter und Dörfer insbesondere auf dem späteren Stadtgebiet erwarb. Nach Einführung der Allgemeinen Städteordnung des Königreichs Sachsen im Jahr 1832 gab es neben dem Bürgermeister noch gewählte Stadträte. Wie Köln und München überschritt Dresden 1852 als vierte deutsche Stadt nach Berlin, Hamburg und Breslau die 100.000-Einwohner-Grenze, wodurch die Stadt zur Großstadt wurde. 1853 wurde Bürgermeister Friedrich Wilhelm Pfotenhauer erstmals der damals den Großstädten vorbehaltene Titel Oberbürgermeister verliehen. 1874 schied die Stadt aus der Amtshauptmannschaft aus und wurde eine „exemte Stadt“ (kreisfreie Stadt). Sie blieb weiterhin Sitz der Amtshauptmannschaft Dresden (bzw. beider Amtshauptmannschaften Dresden-Altstadt und -Neustadt) sowie der Kreishauptmannschaft Dresden. Mit der DDR-Kreisreform wurde Dresden 1952 als Stadtkreis definiert; der Kreis Dresden-Land erhielt einen neuen Zuschnitt, mit dem er bis zu seiner Auflösung Anfang 1996 fortbestand. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden Oberbürgermeister und Ratsherren entsprechend der Deutschen Gemeindeordnung von der NSDAP eingesetzt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte die sowjetische Stadtkommandantur 1945 zunächst eine Verwaltung ein. Im September 1946 wurde als Stadtvertretung eine Stadtverordnetenversammlung gewählt. Bei späteren Wahlen bis 1989 traten alle Parteien und Organisationen auf einer gemeinsamen Liste der Nationalen Front auf. Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde das zunächst weiterhin als Stadtverordnetenversammlung, seit 1994 als Stadtrat bezeichnete Gremium wieder frei gewählt. Vorsitzender dieses Gremiums war von 1990 bis 1994 ein besonderer Präsident (beziehungsweise eine Präsidentin: Evelyn Müller, CDU). Die Wahl des Oberbürgermeisters war Sache der Stadtverordnetenversammlung. Nach Einführung der Süddeutschen Ratsverfassung in Sachsen ist seit 1994 der nunmehr direkt vom Volk gewählte Oberbürgermeister zugleich Vorsitzender des Stadtrates. Amtsinhaber ist seit 2015 Dirk Hilbert von der FDP, der sich 2015 im zweiten Wahlgang mit 54,2 % der Stimmen gegen Eva-Maria Stange (SPD) durchsetzte. Im Jahr 2022 konnte sich Dirk Hilbert im zweiten Wahlgang erneut gegen seine vier Mitbewerber durchsetzen. Die beiden Wahlgänge der Oberbürgermeisterwahl 2022 ergaben folgende Ergebnisse: Stadtrat Bei der letzten Kommunalwahl am 26. Mai 2019 wurde folgender Stadtrat gewählt: Im Stadtrat haben sich folgende Fraktionen gebildet: CDU (einschließlich Freie Bürger, 14 Mitglieder), Grüne (13 Mitglieder), AfD (12 Mitglieder), Linke (12 Mitglieder), SPD (6 Mitglieder), FDP (5 Mitglieder), FW (4 Mitglieder). Das Ratsmitglied der Piraten und das Ratsmitglied der Partei waren bis 18. Mai 2021 fraktionslos. Danach folgte der Zusammenschluss mit zwei Stadträten der Grünen zur Dissidenten-Fraktion. Fortan war die Fraktion aus CDU und Freien Bürgern größte Fraktion. Nach zwei Fraktionsaustritten aus der CDU-Fraktion ist die offizielle Sitzverteilung erneut verändert. Polizei und Justiz Die Polizeidirektion Dresden sitzt im Polizeipräsidium nahe dem Pirnaischen Platz. Das Amtsgericht Dresden befindet sich im Bezirk des Landgerichts Dresden; übergeordnet ist das Oberlandesgericht Dresden. Weitere Gerichte sind das Verwaltungsgericht Dresden, das Arbeitsgericht Dresden und das Sozialgericht Dresden. Seit 1559 bestand das Sächsische Appellationsgericht in Dresden. Ab 1835 wurde es durch das Oberappellationsgericht Dresden abgelöst, dem das Appellationsgericht Dresden und das Bezirksgericht Dresden nachgeordnet waren. Zu DDR-Zeiten gab es das Bezirksgericht Dresden sowie das Landesverwaltungsgericht Sachsen mit Sitz in Dresden. Die Justizvollzugsanstalt Dresden befindet sich der Dresdner Albertstadt. Stadtwappen und -flagge Die Flagge der Stadt zeigt das Stadtwappen auf einem schwarz-goldenen Flaggentuch. Kommunalpolitische Themen mit überregionaler Resonanz Jüngere Vergangenheit Waldschlößchenbrücke Über den Bau einer neuen Elbquerung, der Waldschlößchenbrücke entbrannte eine heftige Diskussion, als die UNESCO den Brückenbau als so wesentlich ansah, dass sie die 2004 aufgenommene Weltkulturerbestätte nur zwei Jahre später auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes setzte. Im November 2007 war Baubeginn, im August 2013 erfolgte dann die Eröffnung der neuen Elbbrücke. Dresden verlor als einzige Stätte weltweit den Titel als Weltkulturerbe 2009. Schuldenfreie Stadt durch WOBA-Verkauf Im März 2006 wurde der, auf Initiative des damaligen Oberbürgermeisters Ingolf Roßberg gestarteten und nach einem umfangreichen Verfahren 2005 durch den Stadtrat beschlossenen Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft Woba Dresden mit 47.000 Wohnungen an die US-amerikanische Investmentgesellschaft Fortress Investment Group durch die Aufsichtsbehörde genehmigt. Mit einem erzielten Netto-Erlös von ca. 988 Mio. Euro wurde Dresden zur ersten faktisch schuldenfreien Großstadt Deutschlands. Der Verkauf war umstritten und löste ein breites Medienecho aus. Abgesichert wurde er mit einer umfangreichen Sozialcharta, unter anderem einem kostenfreien Belegungsrecht für 8000 Wohnungen für insgesamt 20 Jahre, sowie, um die Mieter zu schützen, zahlreichen Einschränkungen hinsichtlich Kündigungen und Mietpreiserhöhungen. Am 21. Juni 2007 nahm der Stadtrat mit 37 zu 12 Stimmen (bei 9 Enthaltungen) ein Verschuldungsverbot in die Hauptsatzung auf. Während 2006, zum Zeitpunkt des Verkaufs, der Dresdner Immobilienmarkt durch einen hohen Leerstand gekennzeichnet war, haben in den letzten Jahren Investoren wie Capital Holding S.A., Intershop Holding (MiKa-Quartier), Adler Real Estate (Hufewiesen Alttrachau) oder die Immokles AG (Lingner Altstadtgarten Dresden) den Wohnungsmarkt in Dresden als renditeträchtige Anlageform entdeckt. Mittlerweile lag zwischenzeitlich 2018 die durchschnittliche Dresdner Wohnkostenquote mit 32 % des Gesamteinkommens für Familien höher als in Stuttgart und auf dem geteilten Rang vier gleichauf mit Nürnberg, gleichwohl wurden daraus politische Lösungen, wie der Rückkauf von ehemaligen städtischen Wohnungen oder die (Wieder-)Gründung einer städtischen Wohnungsgesellschaft zwar diskutiert und seitdem zum Teil realisiert: Eine gewisse Zögerlichkeit resultiert daraus, dass etwa 22 % des Wohnungsbestandes der Stadt sich ohnehin im Besitz von Wohnungsgenossenschaften befindet (Stand 2022, prozentual gegenüber 2006 nahezu unverändert), die ihrerseits bereits von ihrem genossenschaftlichen Auftrag her preisgünstige Wohnungen anbieten. Das seit 2007, also nunmehr fast 16 Jahren (Stand: Ende 2022) geltende Verschuldungsverbot der Stadt Dresden ist dabei nach wie vor fraktionsübergreifender Konsens bei den politischen Mandatsträgern im Stadtrat. Gegenwart Neumarkt Die Wiederbebauung des Neumarktes – in welcher Verdichtung und ob modern oder historisiert – steht exemplarisch für das internationale Interesse an der Dresdner Architektur. Die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden ist wegen dieser Auseinandersetzung gegründet worden. Grundsatzerklärung gegen Rechtsextremismus Der Stadtrat Dresdens verabschiedete am 30. Oktober 2019 eine Grundsatzerklärung gegen Rechtsextremismus. Diese fand in der internationalen wie auch nationalen Berichterstattung unter dem Begriff Ausrufung des Nazi-Notstandes Beachtung. Oberbürgermeister Hilbert distanzierte sich nur wenige Stunden später von diesem Begriff. Die Grundsatzerklärung wurde fraktionsübergreifend mit den Stimmen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, FDP und Fraktionslosen beschlossen und sieht vor, „demokratische Alltagsstrukturen zu stärken“, „Bürgerschaft und zivilgesellschaftliche Bündnisse, die sich für aktiv für Menschenrechte einsetzen“, zu unterstützen, Opfern rechter Gewalt zu helfen, Täter konsequent zu verfolgen und die Verbreitung menschenfeindlicher und extrem rechter Einstellungen auf öffentlichen Plätzen nicht unwidersprochen zuzulassen. Bundestagsabgeordnete Der Wahlkreis 159 (Dresden I) umfasst die Stadtteile südlich der Elbe mit Ausnahme einiger westlicher Bereiche. In diesem Wahlkreis ist Markus Reichel von der CDU gewählter Abgeordneter. Der Wahlkreis 160 (Dresden II - Bautzen II) schließt alle Stadtteile nördlich der Elbe und einige westliche südlich der Elbe ein und umfasst zusätzlich einige Gemeinden im westlichen Landkreis Bautzen. Abgeordneter dieses Wahlkreises ist Lars Rohwer von der CDU. Weiterhin vertreten von den Landeslisten der jeweiligen Parteien Torsten Herbst (FDP), Rasha Nasr (SPD), Kassem Taher Saleh und Merle Spellerberg (beide Grüne) sowie bis zur Niederlegung ihres Mandats auch Katja Kipping (Linke) die Stadt. Städtepartnerschaften Städtepartnerschaften bestehen mit folgenden Städten: Eine Städtefreundschaft besteht außerdem seit 1976 mit der polnischen Stadt Gostyń in Zusammenhang mit der von dort stammenden Widerstandsgruppe Schwarze Legion. Weitere Städtefreundschaften bestehen zu Daejeon in Südkorea und zu Schiras im Iran. Konsulate und Auslandsvertretungen Neben einem tschechischen Generalkonsulat befinden sich in Dresden die Honorarkonsulate von Dänemark, Ecuador, Finnland, Italien, Kap Verde, Kasachstan, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Panama, den Philippinen, der Schweiz, Slowenien, Spanien, Südafrika, Südkorea und Ungarn. Außerdem befindet sich in Dresden ein Institut français. Kultur und Sehenswürdigkeiten Dresden war in den Jahren 2004 bis 2009 Weltkulturerbestätte der UNESCO. Die Stadt beherbergt über 50 Museen, mehr als 35 Theater und Kleinkunstbühnen, herausragende Klangkörper und bekannte Bauwerke verschiedener Kunststile. Großveranstaltungen ziehen jedes Jahr Gäste aus dem In- und Ausland an. Jährlich wird der Kunstpreis der Landeshauptstadt Dresden verliehen. Theater und Bühnen Die Sächsische Staatsoper Dresden im Bauwerk der Semperoper wurde 1841 am jetzigen Standort, dem Theaterplatz, gegründet. Das Gebäude wurde in seiner Geschichte zweimal zerstört. Insgesamt war die Staatsoper in mehr als 50 Jahren ihrer etwa 160-jährigen Geschichte gezwungen, an einem anderen Ort als der Semperoper zu spielen. In der Semperoper und ihren Vorgängerbauten wurden Opern unter anderem von Richard Wagner und Richard Strauss uraufgeführt. Das Orchester der Oper ist die Sächsische Staatskapelle (siehe Abschnitt Musik). Die Semperoper verfügt außerdem über eine Kammerbühne, „Semper Zwei“. Das Staatsschauspiel Dresden betreibt das „Schauspielhaus“ – allgemein als das „Große Haus“ bekannt – und damit das größte Theater der Stadt sowie das „Kleine Haus“ in der Glacisstraße. Am Theaterplatz befindet sich der Theaterkahn, eine Bühne auf einem Elbschiff. Die Staatsoperette Dresden hat seit Dezember 2016 ihr Haus im Kraftwerk Mitte. Entgegen ihrer Bezeichnung ist die Stadt Besitzer und Betreiber der Operette. Die bedeutenden Kabaretttheater der Stadt sind „Die Herkuleskeule“, „Dresdner Friedrichstatt Palast“, die „Comödie Dresden“ und das „Boulevardtheater Dresden“. Theater für moderne Formen von Aufführungen sind das Theater Junge Generation, zu dem auch ein Puppentheater gehört, das neubauLABOR im Kleinen Haus des Staatsschauspiels und insbesondere das Festspielhaus Hellerau, in dem sich das Europäische Zentrum der Künste befindet. Weitere Theater und Aufführungsstätten sind das Societaetstheater, das Studententheater Die Bühne, „Das Projekttheater“ sowie die „Theaterruine St. Pauli“ in der Neustadt und das „Boulevardtheater Dresden“. Die Kulturvereine „Mimenstudio Dresden e. V.“, „Kulturverein riesa efau“ und die „Motorenhalle – Projektzentrum für zeitgenössische Kunst“ zeigen ebenfalls Aufführungen; auch das Tanztheater Derewo ist in Dresden beheimatet. Musik In Dresden sind mehrere Orchester und Chöre zu Hause. Die Sächsische Staatskapelle Dresden geht auf die Königliche Hofcantorey zurück. Diese wurde von Moritz von Sachsen bereits 1548 gegründet. Anfang des 17. Jahrhunderts begann die Dresdner Hofkapelle Opernaufführungen zu begleiten, ihr Kapellmeister Heinrich Schütz komponierte und führte mit ihr 1627 in Torgau die erste deutschsprachige Oper Daphne auf. Das Textbuch schrieb Martin Opitz nach der italienischen Oper des Jacopo Peri. Johann Georg Pisendel, seit 1728 Konzertmeister, führte eine „neuzeitliche Orchesterleitung“ ein, wodurch das Orchester in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Europa führend wurde. Musikdirektoren im 19. Jahrhundert wurden unter anderen Carl Maria von Weber, Heinrich Marschner sowie als Assistent Richard Wagner. Seit September 2012 ist Christian Thielemann Chefdirigent. Die Dresdner Philharmonie, das Konzertorchester der Stadt, wurde 1871 gegründet. Bis 1915 trug das Orchester den Namen „Gewerbehaus-Kapelle“, bis 1923 „Dresdner Philharmonisches Orchester“. Chefdirigenten in jüngerer Zeit waren unter anderen Kurt Masur und Marek Janowski. Derzeitiger Chefdirigent ist Michael Sanderling. Die Dresdner Sinfoniker wurden 1996 von Sven Helbig und Markus Rindt gegründet. Das Orchester widmet sich der zeitgenössischen Musik sowie dem Crossoverbereich. 2004 wurde es mit dem Echo Klassik ausgezeichnet und vertonte zusammen mit den Pet Shop Boys den Film Panzerkreuzer Potemkin neu. Weitere Orchester sind das „ensemble courage“, ein Ensemble für zeitgenössische (Kammer-)Musik, 2004 mit dem Förderpreis der Stadt Dresden ausgezeichnet, Sinfonietta Dresden, ein Kammerorchester mit vielfältigen Aufgaben im städtischen Musikleben und einer eigenen Konzertreihe, das Dresdner Barockorchester, die Dresdner Kapellsolisten sowie die Virtuosi Saxoniae. Das Dresdner Festspielorchester ist ein 2012 für die Dresdner Musikfestspiele gegründetes, international besetztes Ensemble unter der Leitung von Ivor Bolton, es hat 2016 seine erste eigene CD veröffentlicht. In Dresden haben zwei berühmte Chöre mit langer Geschichte ihre Heimat: Der Dresdner Kreuzchor (Capella sanctae crucis) ist zwar Knabenchor der Kreuzkirche und wird mit dieser identifiziert, ist jedoch seit seiner Gründung bis heute ein städtischer Chor. Nach dessen eigener Darstellung sei er so alt wie die Stadt selbst und im 13. Jahrhundert gegründet worden (was allerdings so nicht zutrifft). Der Knabenchor der Kathedrale (ehemalige Hofkirche) wiederum sind die Dresdner Kapellknaben, der jedoch im Gegensatz zum Kreuzchor ein kirchlicher Chor ist. Weitere Chöre in Dresden sind: Dresdner Kammerchor – international renommierter Chor mit einem breiten Repertoire (Alte Musik über Romantik bis zu Uraufführungen), gegründet (1985) und geleitet von Hans-Christoph Rademann Das Sächsische Vocalensemble – 1996 gegründet mit dem Schwerpunkt Alte Musik und geleitet von Matthias Jung. Philharmonische Chöre Dresden – 1967 gegründet, arbeiten hauptsächlich mit der Philharmonie zusammen, derzeitiger Leiter ist Gunter Berger Knabenchor Dresden – gegründet im Jahr 1971 durch Studienrat Manfred Winter, geleitet von Matthias Jung Singakademie Dresden – einer der bedeutendsten Laienchöre Mitteldeutschlands, hervorgegangen aus dem 1884 gegründeten Dresdner Lehrergesangverein, bestehend aus Kinder-, Kammer-, Oratorien- und Seniorenchor, geleitet von Ekkehard Klemm Chorus 116 Sven Helbig ist zugleich Produzent der Band Polarkreis 18, der 2008 als erster Dresdner Band mit Allein Allein ein Nummer-eins-Hit in den deutschen Singlecharts gelang. In den 1970er Jahren war Dresden mit Bands wie electra und Lift ein Zentrum der Rockmusik in der DDR. Die Mitglieder dieser Bands waren vorrangig Studenten der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber. Hier begann unter anderem Veronika Fischer ihre musikalische Karriere. Anfang der 1990er Jahre galten die Freunde der italienischen Oper unter vielen Journalisten als beste und innovativste Band der neuen Länder. Ray & the Rockets veröffentlichten im Jahre 1998, 44 Jahre nach der „Erfindung“ des Rock ’n’ Roll den ersten Rock-’n’-Roll-Tonträger Dresdens. Bekannte Komponisten, die in Dresden wirkten, sind zum Beispiel Fritz Geißler, Jörg Herchet, Heinrich Schütz, Richard Wagner, Carl Maria von Weber und Jan Dismas Zelenka. Einige Komponisten haben in Dresden ihren Wohnsitz, darunter Thuon Burtevitz, Alexander Keuk, Wilfried Krätzschmar, Karoline Schulz, Jorge García del Valle Méndez und Udo Zimmermann. Museen und Galerien Dresden hat eine vielseitige Museumslandschaft – eine Komposition von historisch gewachsenen und wertvollen jüngeren Einrichtungen. Der über Jahrhunderte anhaltende kulturelle Beitrag Dresdens wird mit etwa 50 Museen repräsentiert, darunter viele halbstaatliche und private Institutionen. Landesmuseen Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) enthalten die bekanntesten Museen der Stadt. Die zentralen Einrichtungen der Kunstsammlungen sind das Residenzschloss und der Zwinger. Die Gemäldegalerie Alte Meister befindet sich seit 1855 im Semperbau des Zwingers. Das berühmteste Exponat ist die Sixtinische Madonna von Raffael, die ursprünglich 1512/13 als Altarbild gemalt wurde. Mit weiteren Werken unter anderen von Rembrandt, Rubens und Canaletto führt die Galerie Bilder der Renaissance und des Barock. Der Begriff „Alte Meister“ soll dabei die epochale Abgrenzung zu den Malern der Galerie Neue Meister späterer Epochen schaffen. Zu den Neuen Meistern zählen Maler wie Caspar David Friedrich, Max Liebermann, Max Slevogt, Otto Dix und Künstler der Gruppe Brücke. Damit führt die Galerie Werke der Romantik, des Impressionismus und des Expressionismus. Im Gegensatz zu den Alten Meistern hatten bei den Künstlern dieser Galerie sehr viele einen persönlichen Bezug zu Dresden, indem sie an der Kunstakademie studierten, lehrten oder hier lebten. Eine weitere Einrichtung der SKD ist das Grüne Gewölbe. Es beherbergt die Sammlung der sächsischen Kurfürsten und Könige. Der Schatz in Form von Schmuck und repräsentativen Ausstellungsstücken ist eine Sammlung europäischer Goldschmiedekunst und des Feinhandwerks. Die wohl bekanntesten Werke entstanden durch den Hofgoldschmied Johann Melchior Dinglinger und seine Söhne. Der Hofstaat zu Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aurang-Zeb zählt zu den herausragenden Stücken der Sammlung. Besonders bekannt ist der mit 185 menschlichen Köpfen beschnitzte Kirschkern. Ein besonderes Museum der SKD ist der Mathematisch-Physikalische Salon, der sich ebenfalls im Zwinger befindet. Er enthält mathematische und physikalische Instrumente aus der Zeit des Barock und der Aufklärung sowie Globen und astronomische Kartografien. Er ist eines der frühesten Zeugnisse für die Verbindung von Kultur und Wissenschaft in Dresden und wurde 1728 aus der allgemeinen Kunstsammlung ausgegründet. Die Grundlagen dieser Sammlung wurden dort schon Jahrhunderte vorher gelegt. Weitere Einrichtungen der Kunstsammlungen sind das Kunstgewerbemuseum im Schloss Pillnitz, das Kupferstichkabinett mit dem Josef-Hegenbarth-Archiv, das Museum für Sächsische Volkskunst, die Porzellansammlung – eine Sammlung von Meissener Porzellan –, die Puppentheatersammlung, die Skulpturensammlung und die Kunsthalle im Lipsius-Bau. Nationale Museen Das Deutsche Hygiene-Museum dient seit seiner Gründung 1912 der gesundheitlichen, humanbiologischen und medizinischen Aufklärung der breiten Bevölkerung. Bekanntestes Exponat ist die Gläserne Frau, die einen plastischen Einblick auf alle inneren Organe zulässt. Im Norden der Stadt, in der ehemaligen Kasernenvorstadt Albertstadt, liegt das Militärhistorische Museum der Bundeswehr. Es wurde von 2006 bis 2011 nach Plänen von Daniel Libeskind umgebaut (siehe Moderne Bauwerke). 10.000 Objekte bezeugen Kulturgeschichten der Gewalt. Die Sammlung umfasst Waffen und Kriegsgeräte aus mehreren Jahrhunderten. Städtische Museen Das Stadtmuseum Dresden und die Städtische Galerie Dresden sind im Landhaus (dem ersten Tagungsgebäude für die Landstände) am Pirnaischen Platz untergebracht. Weitere Museen in städtischer Verantwortung sind die Technischen Sammlungen, das Carl-Maria-von-Weber-Museum, das Kraszewski-Museum, das Kügelgenhaus – Museum der Dresdner Romantik, das Schillerhäuschen, das Palitzsch-Museum, Leonhardi-Museum und das Kunsthaus Dresden. Literatur Besonders erwähnenswert unter den Autorinnen und Autoren, die zumindest einen Teil ihres Lebens in Dresden verbracht haben, sind Volker Braun, Heinz Czechowski, Durs Grünbein, Ralf Günther, Erich Kästner, Victor Klemperer, Theodor Körner, Karl Mickel, Ludwig Renn, Friedrich Schiller, Ingo Schulze, Ludwig Tieck und Józef Ignacy Kraszewski. Bekannte Autoren, die zurzeit in Dresden ihren Wohnsitz haben, sind zum Beispiel Marcel Beyer, Undine Materni, Thomas Rosenlöcher, Volker Sielaff, Uwe Tellkamp, Jens Wonneberger und Michael Wüstefeld. Einmal im Jahr schreibt Dresden den Dresdner Stadtschreiber aus. Der ausgewählte Schriftsteller lebt jeweils für sechs Monate in der Stadt. Alle zwei Jahre wird der Dresdner Lyrikpreis ausgelobt. Darüber hinaus widmen sich in Dresden ansässige Vereine der Förderung der zeitgenössischen Literatur, so die Literarische Arena, das Literaturbüro und das Literaturforum Dresden. Bibliotheken Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden befindet sich im Süden der Stadt auf dem Campus der Technischen Universität. Sie entstand 1996 aus dem Zusammenschluss der Dresdner Universitätsbibliothek mit der Sächsischen Landesbibliothek, die 1556 als Hofbibliothek gegründet wurde. Sie gehört mit etwa neun Millionen Bestandseinheiten zu den größten Bibliotheken in Deutschland und hat das Pflichtexemplarrecht für in Sachsen erschienene und erscheinende Bücher. In der Bibliothek befindet sich die Deutsche Fotothek. Hochschulbibliotheken bestehen an der Hochschule für Wirtschaft und Technik, an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber, an der Hochschule für Bildende Künste sowie am gemeinsamen Campus der Berufsakademie Dresden und der Evangelischen Hochschule Dresden. Die Stadt verfügt mit den Städtischen Bibliotheken über eine der am intensivsten genutzten Bibliotheken in Deutschland. Jährlich verleiht sie 5,4 Millionen Medien. Neben der Zentralbibliothek bestehen 19 Stadtteilbibliotheken und eine Fahrbibliothek. Bedeutende Archive in Dresden sind das Stadtarchiv und das Hauptstaatsarchiv. Kinos In Dresden gibt es 18 Kinos mit rund 10.700 Sitzplätzen. Mit dem CinemaxX in Blasewitz (2000 eröffnet), dem UCI im Elbe-Park (1997 eröffnet) und dem Ufa-Kristallpalast an der Prager Straße (1998 eröffnet) existieren insgesamt drei Multiplex-Kinos. Nach deren Eröffnung war Dresden mit über 12.000 Kinositzen in den Jahren 2001 und 2002 die deutsche Stadt mit über 200.000 Einwohnern mit den meisten Plätzen pro Einwohner. Nach einem Bevölkerungswachstum lag Dresden im Jahr 2010 in dieser Statistik auf Platz drei hinter Augsburg und Magdeburg. Besonders der UFA-Palast ist architektonisch interessant; der vom Architekturbüro Coop Himmelb(l)au entworfene auffällige „Glaskristall“ (siehe Abschnitt Bauwerke) steht direkt neben dem ebenso markanten Rundkino aus DDR-Zeiten. Trotz der Häufung von Multiplex-Kinos bestehen weiterhin verschiedene Programmkinos und mit der Schauburg in der Neustadt ein großes „klassisches“ Kino. Trotz der Konkurrenz wurde beispielsweise die Schauburg wiederholt bei Umfragen eines Stadtmagazins zum beliebtesten Kino gewählt. Unter den Programmkinos sind vor allem das Programmkino Ost, das Kino im Dach, das Kino im Kasten und das Thalia zu nennen. Im Jahr 2006 wiedereröffnet wurde das Kino in der Fabrik (kurz KIF), das jedoch kein reines Programmkino ist. Erwähnenswert ist dessen ungewöhnliches Ambiente in einer ehemaligen Fabrik, das unter anderem durch eine ausgefallene Farbgebung besticht. Bauwerke Dresden ist bekannt als Stadt des Barock, wobei Dresden mit Ausnahme der Inneren Neustadt keine Barockstadt im eigentlichen fachlichen Sinne ist. Im Bereich der Architektur hat sich der Dresdner Barock entwickelt, wobei die erhaltenen Bauwerke meist für sächsische Monarchen errichtet worden und teilweise dem Neobarock zuzuordnen sind. Für den originalen bürgerlichen Barock gibt es einige erhaltene Beispiele. Auf der anderen Seite werden viele Gebäude irrtümlich dem Barock zugeordnet: So sind weite Bereiche der Stadt entweder im Stil der Renaissance oder des Klassizismus, vor allem aber im Neobaustil des Historismus nach der Barockzeit errichtet worden. Der eigentlichen barocken Zielsetzung einer Einordnung in klare symmetrische Formen entgegengestellt, achtete man bei der Stadtplanung auf Freiräume für die Elbe. Kulturelles Erbe Die Stadt wurde neben gotischen Bauten (Ursprungsbau der Kreuzkirche, abgerissene Sophienkirche) und Renaissancebauten (Residenzschloss Dresden) sowie Bauten des 19. Jahrhunderts vor allem vom Dresdner Barock und seinen großartigen Bauwerken geprägt. Ein Wahrzeichen der Stadt ist die Frauenkirche. Nach der Zerstörung Dresdens am 13./14. Februar 1945 standen nur zwei Seitenmauern um ihren Trümmerberg. Ihre Stätte wird seither als Mahnmal des Krieges wahrgenommen, insbesondere beim alljährlichen Gedenken an den 13. Februar 1945. Seit dem 2005 beendeten Wiederaufbau versteht sich die Frauenkirche zudem als „internationale[s] Symbol für Frieden und Versöhnung“. In den ersten zweieinhalb Jahren nach der Neueröffnung wurde sie von fünf Millionen Menschen besucht, nach sieben Jahren waren es 14,5 Millionen. Kulturelle Wahrzeichen der Stadt sind die Semperoper und der Zwinger. Die Semperoper wurde von 1977 bis 1985 wieder errichtet nach Originalplänen des zweiten Opernbaus (1878 bis 1945) von Gottfried Semper. Sie ist ein Bauwerk des Historismus und trägt vor allem Elemente des Klassizismus. Mit Ausnahme der von 1847 bis 1854 errichteten Sempergalerie wurde der Zwinger von 1711 bis 1728 im barocken Baustil als Ort für königliche Feste sowie Kunstausstellungen auf einer ehemaligen Bastion der Stadtfestung errichtet. Auf der Südseite blieben dabei die Reste der Stadtmauer erhalten. Hier steht das Kronentor, das der königlichen Krone nachempfunden ist. Als eines der ersten Gebäude wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut und restauriert. Zusammen mit dem Italienischen Dörfchen, der Altstädtischen Hauptwache und der Hofkirche bilden der Zwinger und die Semperoper die architektonische Einheit des Theaterplatzes. Die Brühlsche Terrasse erstreckt sich in der Innenstadt entlang des Elbufers. Sie ist eine Zusammenstellung aus mehreren Bauwerken und befindet sich auf der alten Stadtbefestigung etwa zehn Meter über der Elbe. Die Kasematten, die ehemaligen unzugänglichen Wehranlagen der Stadt, unter der Terrasse sind in Form eines Museums begehbar. Gebäude, die zur Brühlschen Terrasse gezählt werden, sind zum Beispiel das Albertinum, die Kunstakademie und die Sekundogenitur. Am östlichen Ende befinden sich die Jungfernbastei und der Brühlsche Garten. Das Residenzschloss Dresden war Wohnsitz der sächsischen Kurfürsten und später Könige. Es ist im Verlauf seiner Geschichte häufig erweitert und verändert worden. Es weist daher sehr viele Baustile in verschiedenen Flügeln und Teilen des Gesamtbauwerks auf. Die ältesten Strukturen lassen sich auf Stichen des 15. Jahrhunderts erkennen. Der Georgenbau ist dabei einer der wenigen erhaltenen Renaissancebauten in Dresden. Der Wiederaufbau des Schlosses begann 1986 und ist im Jahre 2015 weit fortgeschritten und es wird umfangreich durch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden genutzt. Als erstes eigenständiges Element der Schlossanlagen konnte der Stallhof fertiggestellt werden. Zur architektonischen Einheit des Schlossplatzes zählen noch die Hofkirche (siehe unten), der Fürstenzug und das erst Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Ständehaus. Am Rand der Innenstadt befindet sich der Große Garten, ein Park mit Merkmalen barocker Gartenbauweise und symmetrischer Wegführung, allerdings mit freien Verläufen von Bewaldung. Dort befindet sich das Sommerpalais. Der Große Garten gehörte nicht zum Weltkulturerbe. Am Rande von Dresden, direkt an der Elbe, liegt das Schloss Pillnitz. Dieses besteht aus drei Palais im barocken und chinamodischen Baustil und wurde als Sommerresidenz genutzt. Am Palais an der Elbseite liegt die berühmte Treppe zur Elbe, über die es möglich war, aus der Innenstadt per Gondel an diesem Schloss zu landen. In die europäische Geschichte ging es über die Pillnitzer Deklaration ein. Weltkulturerbe Die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal mit einer Ausdehnung von Schloss Pillnitz bis Schloss Übigau wurde im Jahr 2004 durch die UNESCO in deren Liste der Welterbestätten aufgenommenen, 2009 mit dem Bau der Waldschlößchenbrücke jedoch wieder daraus gestrichen. Die UNESCO sah in der Brücke eine Gefährdung der Landschaft als Welterbe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden im Dresdner Raum bedeutende Bauwerke der Reformbaukunst. Für die daraus besonders hervorzuhebende 1909 gegründete erste deutsche Gartenstadt Dresden-Hellerau laufen seit ca. 2011 Bemühungen, für diesen Dresdner Stadtteil die Aufnahme in das UNESCO-Welterbe zu beantragen. Namhafte Künstler und Architekten wie Richard Riemerschmid, Hermann Muthesius, Theodor Fischer, Kurt Frick und Heinrich Tessenow waren an der Gestaltung der von Karl Schmidt-Hellerau gegründeten Reformsiedlung beteiligt. Sakralbauten Das berühmteste Wahrzeichen der Stadt ist die evangelische Frauenkirche. Sie ist international bekannt als Mahnmal gegen Krieg und als Zeugnis von Versöhnung. Die Frauenkirche wurde nach ihrer Zerstörung am 14. Februar 1945 infolge der Luftangriffe auf Dresden und langjährigem Wiederaufbau, der sich wesentlich über Spendengelder aus der ganzen Welt finanzierte, am 30. Oktober 2005 geweiht. Mit ihrer hohen und breiten Kuppel beherrscht sie das Stadtbild, auf das man von der begehbaren Laterne an der Spitze einen Rundblick werfen kann. Das Original von George Bähr war eines der wenigen hervorragenden Beispiele für bürgerlichen Barock. Die Kirche wurde von 1723 bis 1743 erbaut und ersetzte einen gotischen Vorläufer. Die Bauzeit von 17 Jahren war für damalige Zeiten sicher sehr schnell, wenn man bedenkt, dass der Wiederaufbau mit wesentlich besseren Kränen und Baugeräten etwa zehn Jahre dauerte. Die Kirche in ihrer alten Form wie in ihrem Neubau ist etwas mehr als 91 Meter hoch. Durch den Wiederaufbau der Frauenkirche ist die Katholische Hofkirche wieder das zweithöchste Kirchengebäude der Stadt. Sie wurde zwischen 1739 und 1751 erbaut und im selben Jahr der Heiligsten Dreifaltigkeit („Sanctissimae Trinitatis“) geweiht. Ebenfalls am 13. Februar 1945 zerstört, wurde sie dennoch ab Juni 1945 weiter zur Feier von Gottesdiensten benutzt. 1962 konnte auch das Hauptschiff wieder genutzt werden. 1964 wurde die Hofkirche zur Kon-Kathedrale (so viel wie Mit-Kathedrale) erhoben. Durch den Umzug des Bischofs von Bautzen nach Dresden ist sie seit 1980 Kathedrale des Bistums Dresden-Meißen. Evangelische Hauptkirche ist allerdings die am Südost-Rand des Altmarkts gelegene Kreuzkirche. Sie ist der größte Kirchenbau Sachsens und, durch Zerstörungen oder Brände mit anschließenden Wiederaufbauten in veränderter Form, seit dem 13. Jahrhundert überliefert. Die Sophienkirche, die am Postplatz in unmittelbarer Nähe des Zwingers stand, war eines der wenigen Bauwerke der Gotik in der Stadt. Die Ruine dieser Kirche wurde trotz eines guten Erhaltungszustandes im Rahmen einer sozialistisch-antikirchlichen Einstellung abgetragen und musste der HO-Gaststätte „Am Zwinger“ weichen (von den Dresdnern Fresswürfel genannt), die ihrerseits den Start in die Marktwirtschaft nicht überlebte. Heute geben einerseits der Cholerabrunnen, andererseits durch die Bemühungen bürgerschaftlichen Engagements, Elemente der Busmannkapelle der früheren Sophienkirche Auskunft über den vormaligen Standort. Mit ihr verbunden ist der Sophienschatz im Stadtmuseum Dresden. Auch die in der Südvorstadt gelegene Zionskirche fiel – als damals eine der jüngsten Kirchen in der Stadt – dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Nach der Grundsteinlegung im Jahr 1901 wurde die im Jugendstil errichtete Kirche schließlich im September 1912 geweiht. In der Bombennacht vom 13. Februar 1945 brannte das Gotteshaus völlig aus. In einer Baracke in unmittelbarer Nähe der Ruine fanden ab 1949 Aktivitäten der evangelischen Studentengemeinde statt, die die Räumlichkeiten ab 1956 mit der Zionsgemeinde teilte. Im Juni 1981 wurde mit dem Bau der neuen Zionskirche in der Bayreuther Straße begonnen, der durch die Unterstützung der schwedischen Kirche möglich wurde. Deren feierliche Weihe fand am 31. Oktober 1982 statt. Die kirchenfeindliche Haltung der sozialistischen Zeit hat dazu geführt, dass mehrere Ruinen Dresdner Kirchen in den fünfziger Jahren endgültig beräumt wurden, davon wären einige wiederaufbaufähig gewesen: Neben der Sophienkirche waren dies die Johanneskirche, die Jakobikirche, die anglikanische und die amerikanische Kirche, die Kirche des Ehrlich’schen Gestifts und die Erlöser-Andreas-Kirche, die Reformierte Kirche, die schottische Kirche und in den sechziger Jahren die katholische Kirche des hl. Franziskus-Xaverius in der Inneren Neustadt. Andere Kirchenruinen konnten vor einem Abriss bewahrt und zum Teil wieder aufgebaut werden. Von der im Neorenaissancestil errichteten Trinitatiskirche in Johannstadt wurden der Turm und Mauerreste erhalten und einzelne Räume in den 1990er Jahren, nach Enttrümmerung und Sicherung der Ruine, wieder ausgebaut. Heute dient sie der evangelisch-lutherischen Johanneskirchgemeinde Dresden-Johannstadt-Striesen wieder als Kirchenraum, dem Förderverein als Veranstaltungsort, unter anderem für Konzerte, der Offenen Sozialen Jugendarbeit der Gemeinde als Anlaufpunkt für Kinder und Jugendliche aus dem Stadtteil und fungiert als Ausgabestelle der Dresdner Tafel. Die St.-Pauli-Kirche im Hechtviertel wird von einem gemeinnützigen Verein intensiv als Sommertheater genutzt. Am südlichen Rand der Innenstadt, ebenfalls in der Südvorstadt, liegen die Russisch-Orthodoxe Kirche und die Lukaskirche. In der Inneren Neustadt befindet sich die Dreikönigskirche mit ihrem Totentanzrelief. Ihre Kriegsruine wurde im Zusammenhang mit der Fertigstellung der Neustädter Hauptstraße wieder aufgebaut. Von 1990 bis 1993 war sie Sitz des sächsischen Landtags. Die im Stadtteil Strehlen auf einer Anhöhe am Kaitzbach gelegene Christuskirche entstand in den Jahren 1902–1905. Erbaut von den Dresdner Architekten Schilling & Graebner, stellt sie eine der modernsten und kühnsten Kirchenbauten ihrer Zeit in Deutschland dar und wird der Reformarchitektur zugeordnet. Die Alte Synagoge wurde während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 zerstört. Der Architekt des von 1838 bis 1840 erbauten Sakralgebäudes war Gottfried Semper. Aus dem alten Gebäude konnte nur einer der beiden Davidsterne gerettet werden. Fast exakt am selben Ort entstand der Bau der Neuen Synagoge, die am 9. November 2001 eingeweiht wurde. Moderne Bauwerke In Dresden befinden sich viele Baudenkmäler des 19. und 20. Jahrhunderts. Die neudeutsche Romantik ist ebenso vertreten wie neoklassizistische Bauten und Gebäude der Gründerzeit, des Jugendstils und der Moderne wie Postmoderne. Teilweise bauen diese neuen Bauwerke auf Vorgängern auf beziehungsweise dienen der Erneuerung dieser Bauwerke. In der Gegenwart werden in Dresden wieder Projekte von international bedeutsamen Architekten durchgeführt. Das Gebäude des Sächsischen Landtags besteht aus mehreren Flügeln. Der alte südliche, 1928 bis 1931 errichtete Teil gehört dem Bauhaus-Stil an und beherbergt jetzt die Büros der Abgeordneten. Ursprünglich wurde das Gebäude als Landesfinanzamt errichtet und nach 1945 bis 1990 durch die SED-Bezirksleitung genutzt. Neu errichtet wurden der Glasflügel im Norden und die davorliegende „Neue Terrasse“ an der Elbe. Der Plenarsaal und die Räume für die Sitzung befinden sich entlang des Flusses in diesem Glasanbau. Ein weiteres Gebäude, das der Architektur der Weimarer Republik angehört, ist das 1930 eröffnete Deutsche Hygiene-Museum. Es befindet sich in Verlängerung der Hauptachse des Großen Gartens zwischen diesem und der Innenstadt. Der mehrflügelige Bau nimmt die Symmetrie des barocken Parks auf, ist also bewusst als modernes Bauwerk in die bestehende Stadtlandschaft integriert worden. Er trägt vor allem Stilelemente des späten Historismus und bedient sich als solches bei verschiedenen europäischen Baustilen. Direkt gegenüber dem Landtag befindet sich das Kongresszentrum der Stadt. Es soll die Innenstadt nach Westen hin abschließen, besteht zu großen Teilen aus Glas und nimmt in seiner Form der Fassade die Kurven des Flusses auf. Eine weitere Einrichtung für große Veranstaltungen ist der Kulturpalast, der von 1962 bis 1969 errichtet und 2013 bis 2017 umgebaut wurde. Er schließt den Altmarkt in Richtung der wiedererrichteten Frauenkirche ab und brach vor deren Rekonstruktion die Leere in der entkernten Stadt. Das sonstige Umfeld am Altmarkt wurde durch Gebäude im Stil des Neoklassizismus errichtet. In der nördlichen Albertstadt, dem ehemaligen Garnisonskomplex, befindet sich das Militärhistorische Museum der Bundeswehr. Dessen Bauwerk (das Arsenal), das 1875 das Albertinum in der Altstadt als Zeughaus ersetzte, wurde nach Plänen von Daniel Libeskind erneuert, umgebaut und 2011 wiedereröffnet. Libeskind ist zudem der Architekt des Imperial War Museum North in Trafford bei Manchester. Am 10. November 2006 wurde der nach Plänen von Norman Foster umgebaute und modernisierte Dresdner Hauptbahnhof wiedereröffnet. Wie schon beim Reichstag in Berlin oder dem British Museum wird dabei die alte Struktur und Beschaffenheit des Gebäudes mit neuen Materialien und Formen kombiniert. Das Hauptaugenmerk beim Hauptbahnhof lag auf der Erneuerung des Daches, das mit einem lichtdurchlässigen Teflon-Glasfaser-Gewebe belegt wurde. Dabei heben sich die filigrane Stahlkonstruktion der Bahnhofshalle und der schlicht fallende Stoff gegenseitig hervor. Durch die Dachform des reißfesten Stoffes ergeben sich weitere Einblicke in die Struktur der Stahlträger. Ebenfalls nach Bestrebungen von Foster wurde die lange Zeit mit einem festen Dachbelag überbaute Glaskuppel der Empfangshalle wieder lichtdurchlässig gestaltet. Das Gebäude ist dadurch insgesamt heller und transparenter geworden. Direkt am Hauptbahnhof befindet sich das neuerrichtete Glaskugelhaus. Der Gedanke eines Hauses in Kugelform wurde erstmals 1928 in Dresden verwirklicht. Das für Ausstellungszwecke errichtete Kugelhaus befand sich bis 1938 auf dem Messe- und Ausstellungsgelände, dem heutigen Gelände der Gläsernen Manufaktur. Das neue Kugelhaus, das eine reine Glasfassade hat, soll das Motiv der Kugel wieder aufnehmen. Eines der Gebäude der Moderne ist der Ufa-Kristallpalast des Architekturbüros Coop Himmelb(l)au. Dieses mittlerweile bekannte Büro baute mit diesem Gebäude sein erstes großes Projekt. Es gehört trotz nutzungsbedingter Kompromisse zum Dekonstruktivismus, was vor allem am großen Glaskubus des Baus zu erkennen ist. Weitere bekannte glasbetonende Bauwerke sind zum Beispiel das World Trade Center und die Gläserne Manufaktur von VW, beide am sogenannten „26er Ring“ (Straßenzug um die Altstadt aus Ammonstraße, Wiener Straße, Lennéstraße und Güntzstraße) gelegen. Zu den der Überbetonung des Glases entgegengestellten Bauwerken gehört die Synagoge, ein auch wegen der markanten Lage am alten Standort der 1938 in der Reichspogromnacht zerstörten Synagoge von Gottfried Semper direkt an der Elbe in seiner Gestaltung umstrittenes Gebäude. Sie besteht aus zwei Flügeln, dem Gebets- und Gemeinderaum. Der Gebetsraum ist nach außen fast völlig fensterlos. Auffällig an dem Gebäude sind die verdrehten senkrechten Kanten. Das Gebäude wurde 2001 zum Europäischen Gebäude des Jahres ernannt. In der Auffassung von Glas sehr ähnlich ist die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Die Auslage- und Lesebereiche der Bibliothek liegen größtenteils unter der Erde. Die einzige echte Fassade des Bauwerks besitzen die beiden aufragenden Riegel, die wenig Fensterfläche aufweisen. Eine natürliche Beleuchtung der Bibliothek wird über Lichtschächte und das große Glasdach des zentralen Lesesaals erreicht. Die Innenarchitektur wirkt ruhig und gleicht der einer Klosterbibliothek mit sehr vielen Nischen, Galerien und Säulen. Am Rande der Innenstadt befindet sich das St. Benno-Gymnasium, einer der ersten Schulneubauten nach 1989. Das von Behnisch Architekten entworfene Gebäude fällt durch seine aufgelockerte und farbige Gestaltung auf. Ein repräsentativer Bau der 1990er ist das Gebäude der sächsischen Landesärztekammer auf der Schützenhöhe. In den Jahren 2016 bis 2019 wurde das Gebäude der ehemaligen Oberpostdirektion saniert. Dabei wurden die Altbauten durch zwei Neubauten ergänzt. Brücken Dresden, beiderseits der Elbe gelegen, weist mehrere Elbbrücken auf. Die berühmteste ist das 1893 fertiggestellte Blaue Wunder (eigentlich Loschwitzer Brücke). Die Stahlfachwerkbrücke gehört zu den technischen Sehenswürdigkeiten und liegt etwa acht Kilometer stromaufwärts der Innenstadt zwischen Loschwitz und Blasewitz. Sie überspannt die Elbe über eine Länge von 141,5 m. Nach jahrelangem politischen und juristischen Tauziehen (siehe Dresdner Brückenstreit) wurde am 24. August 2013 östlich der Innenstadt die neue Waldschlößchenbrücke eröffnet. In der Innenstadt befinden sich vier Straßenbrücken und eine Eisenbahnbrücke: Die Albertbrücke folgt in der Brückenfolge auf die Waldschlößchenbrücke und wurde als letzte der Steinbrücken angelegt. Im Rahmen der spätestens seit 2008 notwendigen Sanierung, die letztlich 2014–2016 erfolgte, wurde die Brücke verbreitert und der ihr nördlich vorgelagerte Rosa-Luxemburg-Platz umgestaltet. Die Carolabrücke folgt etwa 640 Meter weiter. Sie war ursprünglich eine auf steinernen Pfeilern ruhende Bogenbrücke mit Bögen aus Stahlfachwerk, wurde aber nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg durch eine Spannbetonbrücke ersetzt. Diese trägt mit der vierspurigen B 170 eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen der Stadt und zudem einen separaten Gleiskörper der Straßenbahn. Zu DDR-Zeiten trug sie den Namen Dr.-Rudolf-Friedrichs-Brücke. Weitere 600 Meter flussabwärts folgt die Augustusbrücke. Sie ist ebenfalls seit ihrem Neubau, eingeweiht 1910 als Friedrich-August-Brücke, eine Stahlbetonbrücke, allerdings historisierend in Bogenbauweise und von außen mit Sandstein verkleidet. An dieser Stelle befand sich im Strom die mittelalterliche steinerne Dresdner Elbbrücke, die 1727–1731 unter August dem Starken aufwendig umgebaut und dann nach ihm benannt wurde. Die Reste der mittelalterlichen Brücke, wie auch der von Pöppelmann umgestalteten Brücke sind teilweise an beiden Elbufern erhalten geblieben. Die Brücke selbst liegt direkt im alten Stadtkern. Die stromabwärts letzte Brücke im Stadtzentrum ist die Marienbrücke, die zunächst eine kombinierte Eisenbahn-Straßenbrücke war. Im Zuge der Neugestaltung der Dresdner Eisenbahnanlagen des auslaufenden 19. Jahrhunderts besteht sie nunmehr aus zwei Brücken: flussaufwärts die eigentliche Marienbrücke, seit 1900 eine reine Straßenbrücke und flussabwärts eine seit ihrer Sanierung (und teilweisem Neubau) fünf- (vorher vier-)gleisige Eisenbahnbrücke. Um beide Brücken zu unterscheiden, meint der heutige Sprachgebrauch mit „Marienbrücke“ die Straßenbrücke, die zweite wird korrekt als „Marien-Eisenbahnbrücke“ bezeichnet. Weiter flussabwärts liegt die zwischen den beiden Weltkriegen errichtete Flügelwegbrücke, die die Stadtteile Kaditz und Cotta verbindet. Der Brückenüberbau wurde 2004 komplett ausgetauscht und trägt nun sechs Fahrstreifen der Westumfahrung Dresdens. Weitere Brücken auf dem Stadtgebiet sind die ebenfalls erneuerte Autobahnbrücke der A 4 sowie die Niederwarthaer Eisenbahnbrücke der Berlin-Dresdner Eisenbahn im äußersten Westen. Beide Brücken haben zusätzlich gesonderte Fuß- und Radwege. Dazu kommt die 2008 fertiggestellte Straßenbrücke zwischen dem Ortsteil Niederwartha und Radebeul, die direkt neben der dortigen Eisenbahnbrücke entstanden ist. Die Fertigstellung einer Vorlandbrücke und die Anbindung der Straßen verzögerte sich bis 12. Dezember 2011, da aus Gründen des Hochwasserschutzes umfangreiche Umplanungen (Verlängerung von ursprünglich geplanten 68 m auf 112 m) an der Vorlandbrücke vorgenommen wurden. Für weitere Elbbrücken gab es seit 1867 teilweise recht detaillierte Planungen, die zugunsten der Waldschlößchenbrücke jedoch immer wieder aufgegeben wurden. Technische Bauwerke An den Elbhängen im Stadtteil Loschwitz befinden sich die beiden Dresdner Bergbahnen. Die Standseilbahn verbindet Loschwitz über eine 547 Meter lange Strecke mit dem 95 Meter höher gelegenen Stadtteil Weißer Hirsch. Auf gegenüberliegender Seite des Nebentals des Loschwitzbachs verbindet die Schwebebahn die Stadtteile Loschwitz und Oberloschwitz. Sie überwindet auf 274 Metern Länge 84 Höhenmeter. Beide Einrichtungen zählen weltweit zu den ersten ihrer Art; die Standseilbahn wurde 1895, die Schwebebahn 1901, als erste Bergschwebebahn der Welt, eröffnet. Die Berghänge machen eine Fahrt mit diesen zu den Dresdner Verkehrsbetrieben gehörenden Fortbewegungsmitteln sehr reizvoll. Die Hänge von Loschwitz gehörten vor 100 Jahren zu den teuersten Wohnflächen in Europa. Nach 1905 entstanden unter dem Stadtbaurat Hans Erlwein zahlreiche Industriebauten, die bewusst so gestaltet waren, dass sie das Stadtbild in der Innenstadt so wenig wie möglich stören. Markantestes Beispiel dafür ist der unter Denkmalschutz stehende Erlweinspeicher, der wenige Meter hinter der Semperoper liegt. Er gehört zu den ersten in Stahlbetonbauweise errichteten Gebäuden. Damit das zehngeschossige Gebäude nicht zu grob wirkt, hat Erlwein das Dach und die Fassade in kleinen Strukturen gebrochen. Im Frühjahr 2006 wurde der Umbau des Speichers in ein Hotel abgeschlossen. Weitere bedeutende Gebäude von Erlwein sind der Gasometer in Reick und der (neue) Schlachthof im Ostragehege, in dem sich seit 1999 die Messe Dresden befindet. Der Alte Schlachthof liegt auf der anderen Elbseite in der Leipziger Vorstadt und wird als Veranstaltungsort für Konzerte genutzt. In Sichtweite des Erlweinspeichers wurde von 1908 bis 1909 die Tabakwarenfabrik Yenidze im Stil einer Moschee erbaut, die ebenfalls unter Denkmalschutz steht. Sie wird immer wieder für einen Sakralbau gehalten. Der Baustil war damals insbesondere wegen der Distanz zur orientalischen Kultur äußerst umstritten. Seit seiner Restaurierung 1996 dient das Gebäude als Bürokomplex. An der Yenidze vorbei führt die Bahnstrecke zwischen Hauptbahnhof und dem Bahnhof Dresden-Neustadt. Sie wurde ähnlich wie die Berliner Stadtbahn auf Viadukten durch die enge Innenstadt gebaut. Bis zur Fertigstellung des durchgängigen Bahnsystems gab es Stichbahnhöfe: den Leipziger Bahnhof und den Schlesischen Bahnhof auf Neustädter Elbseite sowie den Berliner Bahnhof, den Böhmischen Bahnhof und den Albertsbahnhof linkselbisch, die mittels ebenerdiger Bahngleise lose verbunden gewesen waren. Einmalig in seinem Aufbau ist der Hauptbahnhof: Der mittlere Teil ist als ebenerdiger Kopfbahnhof für Züge aus Richtung Leipzig, Nürnberg oder Berlin errichtet. Auf beiden Seiten gibt es aber durchgängige Hochbahnsteige Richtung Prag, mit jeweils zusätzlicher Bahnhofshalle. Das Empfangsgebäude befindet sich auf der Stirnseite des Kopfbahnhofteils zwischen den Durchgangsgleisen. Der Fernsehturm befindet sich am Rand des östlichen Hochlands und ist 252 Meter hoch. Er überragt die Stadt aufgrund der Berglage um etwa 370 Meter und wurde 1969 eröffnet. Bis 1991 befand sich eine gastronomische Einrichtung auf knapp 150 Metern Höhe, also etwa 268 Meter über der Stadt. Ebenfalls am Elbhang, wenngleich am südlichen in der nordwestlich gelegenen Ortschaft Cossebaude, liegt das Pumpspeicherwerk Niederwartha. Es wurde 1930 erbaut und hat eine Leistung von 120 Megawatt. Aus dem oberen Becken strömt das Wasser 143 Meter in das untere, das an der Elbe liegt. Weitere nennenswerte technische Bauwerke sind das Krematorium Tolkewitz, das Wasserwerk Saloppe und das Automatische Parkhaus Dresden-Neustadt, das im Rahmen der zur Fußball-WM 2006 gestarteten Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ als einer von 365 repräsentativen Orten ausgezeichnet wurde. Brunnen, Denkmäler und Skulpturen Die bekannteste Skulptur in Dresden ist der Goldene Reiter, ein Abbild Augusts des Starken im römischen Schuppenpanzer hoch zu Ross. Er scheint als König von Polen in Richtung Warschau zu reiten. Das Denkmal befindet sich auf der Hauptstraße in der historischen Neustadt. Das Modell stammt vermutlich von Hofbildhauer Jean Joseph Vinache. Der Kanonenschmied Ludwig Wiedemann (1690–1754) trieb die Figuren 1733 in Kupfer. Im selben Jahr starb August der Starke und erlebte die Aufstellung seines Denkmals nicht mehr. 1735 wurde die erste Feuervergoldung aufgebracht, die Denkmalweihe fand am 26. November 1736 statt. Die Figuren sind heute mit Blattgold beschichtet. Ganz in der Nähe des Goldenen Reiters befindet sich ein Denkmal für Augusts Hofnarren Joseph Fröhlich, und zwar an der Stelle, wo bis 1945 dessen Wohnhaus stand, das sogenannte Narrenhäusel. Aus Dankbarkeit, dass die Stadt von der Cholera verschont blieb, wurde der Cholerabrunnen 1846 auf dem Postplatz errichtet. Aus Platzgründen (der Postplatz war bereits um 1920 das Drehkreuz des Dresdner Straßenbahnnetzes) wurde er später etwas abseits des Platzes in die Nähe der Hofkirche verlegt. Er ist eines der wenigen Bauwerke der Neugotik in Dresden. Am Albertplatz befindet sich ein 240 Meter tiefer artesischer Brunnen, der ursprünglich der Trinkwasserversorgung in der damals stark wachsenden Antonstadt dienen sollte, dies aber nie erreichen konnte. Auf dem Albertplatz befinden sich zwei Zierbrunnen, stadteinwärts links „Stille Wasser“ und „Stürmische Wogen“ stadteinwärts rechts, auf dem parkähnlichen und kreisrunden Albertplatz, zwischen denen sich die Straßenbahnhaltestellen befinden. Eine historische und ebenfalls sehr berühmte Brunnenanlage ist das Nymphenbad im Zwinger. Zur Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus wurden seit 2009 über 100 Stolpersteine verlegt. Die Leistung der Dresdner Frauen bei der Enttrümmerung nach dem Zweiten Weltkrieg wird durch das Denkmal der Trümmerfrau von Walter Reinhold von 1952 gewürdigt. Es steht, nach 1990 in Bronze neu gegossen, in einer Grünanlage vor dem Neuen Rathaus. Dieses Denkmal war das erste seiner Art in der DDR. In Dresden befinden sich etwa 300 Brunnen, Wasserspiele und Fontänen. Darunter sind auch moderne Anlagen wie die „Pusteblumen“ auf der Prager Straße (diese sind den Springbrunnen aus sozialistischen Zeiten nachempfunden, die sich am selben Ort befanden) oder die Brunnen vor dem Hauptbahnhof, in denen sich das Glasdach der darunterliegenden Tiefgarage befindet. Sonstige Alter Jüdischer Friedhof Japanisches Palais Gartenstadt Hellerau mit Festspielhaus Luisenhof in Loschwitz Pfunds Molkerei Königstraße Kunsthofpassage Messe Dresden Sarrasani (zerstört) Schillerhäuschen Städtischer Heidefriedhof Nachbildungen der Kursächsischen Postdistanzsäule aus dem Jahr 1722/32 vom ehemaligen Wilsdruffer Tor (Postplatz) in Zschertnitz und an der Freiberger Straße/Hertha-Lindner-Straße (Telekom) sowie des Kursächsischen Viertelmeilensteins Nr. 1 von der Obergebirgischen Poststraße als Denkmal für den Stadtteil Zschertnitz am Ausgang der Paradiesstraße Ausflugsziele/Erholung Dresden hat sowohl auf eigenem Stadtgebiet als auch im Umland zahlreiche Ausflugsziele. Gerade der touristische Wert der Stadt ergibt sich aus der Nähe zu einigen für sich schon bekannten Regionen oder Bauwerken, wie zum Beispiel Schloss Moritzburg, Meißen, dem Erzgebirge sowie der Sächsischen Schweiz. Dorthin bieten sich vor allem Fahrten mit den neun historischen Raddampfern der Sächsischen Dampfschiffahrtsgesellschaft an – jeder für sich ein Technikdenkmal. Der Schillergarten, eine alte Gaststätte in Blasewitz, liegt direkt neben dem Blauen Wunder. Bekannt ist Friedrich Schillers Verewigung der Tochter des damaligen Wirts als Gustel von Blasewitz in Wallensteins Lager. Der unmittelbar an das Blaue Wunder anschließende Schillerplatz ist eines der bedeutendsten Stadtzentren außerhalb der Innenstadt. Weite Teile des Stadtgebietes dienen der Naherholung; einige Stadtteile sind ehemalige Kurorte. Die Gesamtgröße der Erholungsflächen in Dresden beläuft sich auf 1561 Hektar (30,5 m² je Einwohner). Davon sind 890 Hektar öffentliche Grünflächen und Erholungsanlagen. Des Weiteren existieren in Dresden 369 Kleingartenanlagen auf einer Fläche von 792 Hektar. Ungefähr 50.000 Dresdnerinnen und Dresdner sind aktive Kleingärtner (Stand: Ende 2009). Außerdem gibt es in der Stadt 58 Friedhöfe mit einer Gesamtfläche von 196 Hektar, mehr als 50.000 Straßenbäume sowie etwa 900 öffentlich zugängliche Spielplätze. Im Nordosten der Stadt liegt die Dresdner Heide. Sie bedeckt mit 58 Quadratkilometern etwa 15 % der heutigen Stadtfläche. Sie wird von den Stadtteilen und Ortschaften Klotzsche, Weixdorf und Langebrück umfasst. Südlich schließen direkt an die Dresdner Heide die Elbwiesen an. Diese landwirtschaftlich genutzten, flussnahen Grünflächen durchziehen die gesamte Stadt und bilden damit etwa 5 % des Stadtgebiets. Direkt an die Elbwiesen schließen dabei verlandete Altarme der Elbe an, die ebenfalls weitestgehend Weideflächen, Feucht- oder Trockenwiesen geblieben sind. Etwa einen Kilometer flussaufwärts der Altstadt befinden sich die drei Dresdner Elbschlösser mit ihren Parkanlagen: Schloss Albrechtsberg, Lingnerschloss (Villa Stockhausen) und Schloss Eckberg. Sie bilden den Anfang des Dresdner Elbhangs, der ab dort bis zur Stadtgrenze im Osten verläuft. An diesen Hängen, die teilweise an die Dresdner Heide grenzen, befinden sich 24 Hektar Weinanbauflächen. Zentral auf Altstädter Elbseite liegt der Große Garten, in dem der Zoologische Garten Dresden, die Parkeisenbahn (ehemalige Pioniereisenbahn), der Botanische Garten der TU Dresden und der Carolasee liegen. Der Große Garten ist im Grundriss rechteckig, 1,9 Kilometer lang und knapp 2 Quadratkilometer groß. An den Großen Garten schließen sich weitere Parkanlagen wie die Bürgerwiese und der Blüherpark an, weitere kleine Parks wie der Rothermundt- und der Beutlerpark befinden sich unweit davon in angrenzenden Stadtteilen. Auf der Neustädter Elbseite liegen an der Albertbrücke der Stauden- und der Rosengarten, beide in den 1930er Jahren angelegt. Mit dem Alaunpark und dem Albertpark gibt es auch in der Neustadt zwei große Parkanlagen. Weitere große Parks sind der Waldpark Blasewitz und der Schlosspark Pillnitz, in dem die Pillnitzer Kamelie steht. Der etwa 200 Jahre alte Baum gilt als älteste Kamelie in Europa. Besonders die Zeit der reichen Blüte des Baums zwischen Februar und April zieht viele Besucher an. Freizeit Musische Aktivitäten Das Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden ist die Musikschule der Stadt. Es werden über 7.000 Schüler unterrichtet. Sport Vereinssport in Dresden Ein früher Fußballverein war der Dresden English Football Club. In den Kriegsjahren des Zweiten Weltkriegs konnte der Dresdner Sportclub (DSC) um den Nationalspieler und späteren Bundestrainer Helmut Schön jeweils zweimal den deutschen Pokal (Tschammerpokal) und die deutsche Meisterschaft erringen. Der Dresdner SC spielt mittlerweile nur noch im Amateurbereich. Wesentlich erfolgreicher als die Herrenfußball-Abteilung des DSC ist heute die Damenabteilung des DSC im Volleyball, die seit ihrem Aufstieg in die Bundesliga sechsmal Deutscher Meister und 2010 Sieger des Challenge Cup (Europapokal) wurde. Der heute höchstklassierte Fußballverein SG Dynamo Dresden spielte ab 1968 bis 1991 ununterbrochen in der Oberliga, der höchsten Spielklasse im DDR-Fußball. Insgesamt achtmal gelang der Mannschaft der Gewinn der Meisterschaft. Unter den 98 Europapokal-Spielen war der größte Erfolg das Erreichen des UEFA-Pokal-Halbfinales 1989. Als Vizemeister in der letzten Saison der Oberliga qualifizierte sich Dynamo für die Fußball-Bundesliga, in der der Verein bis 1995 spielte. Dann musste er wegen Lizenzentzugs in die Regionalliga absteigen. Später wurde bei der Reform der Regionalligen der qualifizierende Platz verpasst, wodurch der Verein gezwungen war, in der Oberliga zu spielen. Nachdem Dynamo Dresden zwischenzeitlich in der Regionalliga spielte, pendelt der Verein in den letzten Jahren zwischen der 3. Fußball-Liga und der 2. Bundesliga. Die hohe Schuldenlage aus der Erstligazeit und die geringeren Einnahmen in den unteren Spielklassen führten beinahe zum Konkurs des Vereins, seit 2016 ist er jedoch wieder schuldenfrei. Die Heimspielstätte, das Rudolf-Harbig-Stadion, wurde komplett abgerissen und durch einen 2009 eröffneten Stadionneubau ersetzt. Das neue Stadion war ein Schauplatz der Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland. Erfolgreiche Sportvereine in anderen Sportarten sind die Dresden Monarchs, die in der GFL, der ersten Bundesliga des American Football spielen, der HC Elbflorenz, der in der 2. Handballbundesliga spielt und die Dresdner Eislöwen, die in der DEL2 spielen. Die Abteilung Para-Eishockey (Dresden Cardinals) spielt in der ersten Liga. Dresden ist zudem ein historisches Schachzentrum in Deutschland. Dem Dresdner Schachbund gehören mehr als zehn Schachvereine, teils mit langer Tradition, an; im Jahr 2008 wurde hier die Schacholympiade ausgetragen. Der Snooker-Verein SAX-MAX Dresden spielte von 2013 bis 2016 in der 1. Snooker-Bundesliga. Im Breitensport sehr erfolgreich ist das Dresdner Nachtskaten, das als erste Veranstaltung dieser Art nächtliches Skaten auf verschiedenen Routen durch die Stadt ermöglicht. Diese Veranstaltungen finden den ganzen Sommer über statt. Der älteste Mannschaftsduathlon Deutschlands – der 100km-Duathlon – findet seit 1996 jedes Frühjahr statt und verläuft auf einer 100 km langen Wettkampfstrecke rund um Dresden. Eine Abteilung Rollstuhltanz (Breitensport) gibt es im Tanzclub Saxonia e. V. Dresden (in Kooperation mit dem Verein Eureha e. V.). Darüber hinaus wird im Rollstuhl-Turniertanz trainiert, um an die Erfolge der vergangenen Jahre anzuknüpfen, wo ein Paar mehrfacher Deutscher Meister war und 2004 einen 3. Platz bei der WM in Tokio erreichte. Weitere Vereine sind: FV Dresden 06 Laubegast e. V., Fußball SG Dresden Striesen, Fußball SSV Turbine Dresden e. V., Fußball Dresden Titans, Basketball USV TU Dresden, Mehrspartenverein Alpinsport Sächsischer Bergsteigerbund mit 16.984 Mitgliedern (Stand: 31. Dezember 2021); zweitgrößter Verein in Dresden, größte DAV-Sektion in Sachsen, gegründet am 1. März 1911 Sektion Dresden des Deutschen Alpenvereins mit 6.673 Mitgliedern (Stand: 31. Dezember 2021); zweitgrößte DAV-Sektion in Sachsen, zweitälteste Sektion in Ostdeutschland nach der Sektion Leipzig, gegründet am 9. April 1873 Akademische Sektion Dresden mit 589 Mitgliedern (Stand: 31. Dezember 2021); gegründet am 10. Juni 1901 Sportanlagen Jahrelang wurde die Modernisierung von Sportstätten vernachlässigt. Am 19. November 2007 begann der Abriss des alten Rudolf-Harbig-Stadions. Die zuletzt max. für 23.000 Zuschauer zugelassene Arena wurde durch einen Stadionneubau an gleicher Stelle ersetzt, der am 15. September 2009 fertiggestellt wurde. Das neue Stadion, das als reine Fußballarena konzipiert wurde und in der Regel somit als Fußballstadion, aber teilweise auch für American Football, Konzerte und als Kongressstätte der Zeugen Jehovas genutzt wird, bietet Platz für maximal 32.249 Zuschauer und war Austragungsort von drei Vorrunden- sowie einem Viertelfinalspiel der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011. Das zweite große Stadion ist das Heinz-Steyer-Stadion, das derzeit komplett umgebaut wird. Bis Ende 2023 entsteht eine Multifunktions-Sportstätte, die dann 5.000 überdachte Sitzplätze bietet und mit mobilen Tribünen für große Sportveranstaltungen auf bis auf 15.000 Zuschauerplätze erweiterbar ist. Es liegt im Sportpark Ostra in der Friedrichstadt direkt an der Marienbrücke. Die ohnehin marode Eissporthalle Pieschener Allee wurde durch das Elbhochwasser 2002 in Mitleidenschaft gezogen und durch einen Neubau ersetzt. Der Nachfolgebau, die heutige Joynext-Arena, konnte 2007 eingeweiht werden. Weitere Sportstätten sind die Margon Arena, die BallsportArena sowie weitere Anlagen im Ostragehege, in denen eine Leichtathletikhalle errichtet und einige Tennisplätze hochwassersicher verlegt wurden, außerdem die Schwimmhallen und die Wasserspringhalle am Freiberger Platz. Im Stadtteil Seidnitz gibt es eine Pferderennbahn. Inklusion 2021 bewarb sich die Stadt als Host Town für die Gestaltung eines viertägigen Programms für eine internationale Delegation der Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin. 2022 wurde sie als Gastgeberin für Special Olympics Puerto Rico ausgewählt. Damit wurde sie Teil des größten kommunalen Inklusionsprojekts in der Geschichte der Bundesrepublik mit mehr als 200 Host Towns. Nachtleben Die Äußere Neustadt ist eines der größten erhaltenen Stadtgebiete der Gründerzeit in Deutschland. Gleichzeitig befindet sich dort das mit etwa 175 gastronomischen Einrichtungen größte Szene- und Kneipenviertel der Stadt. Hervorgegangen aus dem schlechten Zustand der Bausubstanz entwickelte sich dort eine alternative Kulturszene in der Stadt. 1989 bildeten einige Bewohner aus Protest eine Interessengemeinschaft gegen die schlechte Wohnraumsituation und Abrisspläne, riefen 1990 die Bunte Republik Neustadt aus und begründeten damit den Charakter eines Szeneviertels. Dort ist die höchste Konzentration an Clubs, Bars und Kneipen in der Stadt. Der Zustand des Viertels hat sich in den letzten Jahren stark verbessert, weshalb es durch sein vielseitiges Kulturangebot zu den beliebtesten Wohngegenden junger Menschen in Dresden zählt. Das Spektrum der Lokale ist sehr vielseitig und reicht von Jazzbar, Indie- und Elektroclubs bis Kleinraumdisko. Auf südlicher Elbseite, in der Nähe der Hochschulen, befinden sich die dreizehn Studentenclubs der Stadt. Die meisten werden vom Studentenwerk Dresden unterstützt, sind aber in der Regel selbständige Vereine. Bereits in den 1960er Jahren ins Leben gerufen, ist der „Bärenzwinger“ im Gewölbe der ehemaligen Kasematten unter der Brühlschen Terrasse einer der ältesten und der einst bekannteste Studentenclub in Dresden. Die anderen Klubs liegen meist an, teilweise in den Wohnheimen sowie in den Mensen der Technischen Universität und der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Seit der Verkleinerung des Bärenzwingers im Jahre 2000 zählt heute unter anderem der „Club Mensa“ (CM) zu den bekanntesten Studentenclubs in Dresden. Sehr bekannt ist der 1977 gegründete Jazzclub Tonne, der von 1979 bis 1997 im Tonnengewölbe der Ruine des Kurländer Palais residierte. Danach befand er sich in Gewölbekellern im Waldschlösschen-Areal und in der Inneren Neustadt, wurde nach einer Insolvenz neu gegründet und befindet sich seit 2015 wieder im zwischenzeitlich wiederaufgebauten Kurländer Palais. Große Bekanntheit erreichte ebenfalls der Techno-Club Triebwerk, der sich von 2002 bis 2013 im Felsenkellergelände befand. Im als „Industriegelände“ bekannten Industriegebiet nördlich der Innenstadt in Richtung Klotzsche haben nicht wenige Industriegebäude eine Umnutzung zu Diskothek- und Konzertsälen erfahren (Kulturzentrum Strasse E), so dass sich in dem Gebiet mittlerweile an Wochenend-Nächten mehr Menschen aufhalten als an Arbeitstagen. Zu den bekannten Clubs im Industriegelände gehören unter anderem Sektor Evolution, Objekt klein a und Club Paula. Weitere Clubs und Veranstaltungsorte für Konzerte befinden sich im Areal des Alten Schlachthofs, einem Industriedenkmal in der Leipziger Vorstadt, unter anderem Klub Neu, Alter Schlachthof und Club Puschkin. Weiterhin gehören zum Nachtleben Konzertsäle und -häuser, die dauerhaft oder vorübergehend für Veranstaltungen mit Bühnen genutzt werden. Dauerhafte Konzerteinrichtungen sind der Alte Schlachthof, der bis zu 1800 Besucher fasst, der „Beatpol“ (bis 2007: „Starclub“) in Briesnitz und die Freilichtbühne „Junge Garde“ im Großen Garten. Gelegentlich werden für Konzerte die Messe im Neuen Schlachthof, das Kongresszentrum sowie Teile des Campus der Technischen Universität und der Elbwiesen genutzt. Bei den Filmnächten am Elbufer finden ebenfalls Konzerte statt. Regelmäßige Veranstaltungen In Dresden gibt es das ganze Jahr über verschiedene Festivals und Großveranstaltungen. Insbesondere die musikalischen Veranstaltungen genießen internationale Bedeutung. Stadtteilfeste mit verschiedenem Hintergrund ergänzen dieses Angebot. Frühjahr Im April findet das Filmfest Dresden statt. Es ist ein bedeutendes Festival für Animations- und Kurzfilm. Viel weiter reichende Tradition haben die Dresdner Musikfestspiele, deren ursprüngliche Vorläufer die Musikfeste des barocken Hofs waren. Sie sind als Veranstaltung klassischer Musik deutschlandweit bekannt. 1971 wurde das erste Internationale Dixieland-Festival ausgetragen. Mittlerweile gehört es zu den weltweit bedeutendsten Jazz- und Bluesveranstaltungen. Mit jährlich etwa 500.000 Besuchern ist es außerdem die größte Kulturveranstaltung in Sachsen. Elemente des Festivals wie die Jazzmeile, die sich quer durch die Stadt zieht, sind ohne Eintritt erreichbar. Der Hauptteil des Festivals findet aber auf viele Clubs und Bars verteilt statt. Jedes Jahr im Frühjahr findet die Internationale Tanzwoche Dresden statt. Sie präsentiert seit 1992 Ensembles von internationalem Rang vom Ballett, Tanztheater bis zum zeitgenössischen Tanz an mehreren Spielstätten in Dresden. Sommer Gegenüber der Altstadtsilhouette finden seit 1990 jedes Jahr die Filmnächte am Elbufer statt. Schon beim ersten Mal dauerte die Veranstaltung zehn Tage. Mittlerweile ziehen Filme, Veranstaltungen und Konzerte in rund 60 Tagen 150.000 Zuschauer an, wodurch die Veranstaltung als die größte ihrer Art in Deutschland gilt. Eine Veranstaltung mit politischem Ursprung ist die Bunte Republik Neustadt. Von 1990 bis 1993 bestand im Stadtteil Äußere Neustadt aus Protest gegen die maroden Wohnbedingungen die gleichnamige Mikronation. Bereits 1990 gab es ein entsprechendes Stadtteilfest, das weiterhin veranstaltet wird. 2001 und 2002 kam es während des Festes zu Ausschreitungen, während die letzten Jahre friedlich verliefen. Das Fest ist eines der alternativen Szenekultur geblieben. Am rechten Elbufer entlang findet am Dresdner Elbhang alljährlich das Elbhangfest statt. Es erstreckt sich vom Stadtteil Loschwitz bis Pillnitz. Höhepunkt ist unter anderem eine Drachenboot-Regatta. Nach der Elbflut 2002, die neben dem Stadtteil Kleinzschachwitz Laubegast mit einschloss, findet dort auf der anderen Elbseite das Inselfest statt. Im Sommer finden Veranstaltungen in den Abend- und Nachtstunden statt. Ende Juni oder Anfang Juli laden die Forschungseinrichtungen und Hochschulen zur Langen Nacht der Wissenschaften ein. Für die Hochschulen, Institute und die kooperierenden Technologieunternehmen bietet die Veranstaltung die Möglichkeit, Arbeiten einem großen Publikum vorzustellen. Seit 1999 findet Anfang Juli die Museumssommernacht statt. 2015 wurde diese in Museumsnacht umbenannt und fand 2016 und 2017 aufgrund eines Besucherrückgangs in den Vorjahren (durch oftmals am selben Tag stattfindende Spiele von Fußball-Welt- und Europameisterschaften) am dritten Septembersonnabend statt, seit 2018 wird sie ohne Nennung von Gründen wieder im Juli veranstaltet. Einem ähnlichen Konzept folgt seit 2003 die Nacht der Kirchen, bei der etwa sechzig Kirchen und Gemeindehäuser christlicher Konfession ihre Türen öffnen. Sie findet seit einiger Zeit alle 2 Jahre statt, 2016 fiel sie wegen des Deutschen Evangelischen Posaunentages aus und pausiert seitdem. Im August findet das Dresdner Stadtfest statt. Es erstreckt sich über die gesamte Innenstadt. Neben Live-Musik bietet es ein auf Familien zugeschnittenes Programm, das jährlich etwa 500.000 Gäste zählt. Weitere Festivals und Veranstaltungen im Sommer sind das Dresdner Kunstfest, die Kulturnacht und das Nachtskaten, das vielfach im Sommer freitags stattfindet. Dabei rollen mehrere tausend Inlineskater einen Parcours auf gesperrten Straßen durch die Stadt. Herbst Im Herbst findet das Volkstanzfest und Drehorgeltreffen statt. Weitere Veranstaltungen im Herbst sind die Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik, das Literaturfestival Bardinale und das Festival der Zauberkunst sowie alle zwei Jahre der Tag der Dorfkirchen. 1997 fand als Höhepunkt der Zauberkunstaktivitäten in Dresden die jeweils dreijährlich stattfindende Weltmeisterschaft des internationalen Dachverbands Fédération Internationale des Sociétés Magiques statt. Seit 2004 findet jährlich an einem Wochenende im Herbst die CCC-Veranstaltung „Datenspuren“ statt. Winter Während der Adventszeit findet der Dresdner Striezelmarkt statt. Dieser seit 1434 bestehende Weihnachtsmarkt ist einer der ältesten in Deutschland. Er wird in der Regel auf dem Altmarkt errichtet und gehört zu den größten Touristenattraktionen in der Weihnachtszeit. Der Name des Marktes leitet sich von seinem Hauptprodukt, dem Dresdner Stollen („Striezel“), ab. Ein Höhepunkt des Marktes ist das Dresdner Stollenfest. Die Frage, ob der Bautzener Wenzelsmarkt oder der Striezelmarkt der älteste Weihnachtsmarkt Deutschlands sei, klärte das Rekord-Institut Hamburg im Dezember 2015. Der Wenzelsmarkt ist Deutschlands ältester in einer Chronik erwähnte Weihnachtsmarkt, der Striezelmarkt der älteste mit einer Urkunde bestätigte Weihnachtsmarkt Deutschlands. Gleichzeitig mit dem Striezelmarkt findet jährlich ein mittelalterlicher Weihnachtsmarkt im Stallhof des Residenzschlosses statt, an einigen weiteren Orten in der Stadt wie Prager Straße, Neumarkt oder Hauptstraße gibt es parallel dazu weitere Weihnachtsmärkte. Am 13. Januar 2006 fand erstmals seit 67 Jahren wieder der Dresdner Opernball in der Semperoper statt. Mittlerweile findet der Opernball regelmäßig jedes Jahr statt und erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Stargast des Opernballs 2009 war der russische Ministerpräsident Wladimir Putin. Im Februar findet das Fest sächsischer Puppen- und Marionettenspieler statt. Kulinarische Spezialitäten Dresdner Stollen Russisch Brot Dominosteine Eierschecke Pflaumentoffel Quarkkäulchen Wirtschaft und Infrastruktur Kennzahlen Dresden bildet das Zentrum des gegenwärtig wirtschaftsstärksten Raums der neuen Bundesländer und gehört zu den wirtschaftlich stärksten Räumen in Deutschland. Im Jahre 2016 erbrachte Dresden, innerhalb der Stadtgrenzen, ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 20,725 Milliarden Euro und belegte damit Platz 15 innerhalb der Rangliste der deutschen Städte nach Wirtschaftsleistung. Das BIP pro Kopf lag im Jahr 2017 bei 39.134 Euro (Sachsen: 31.453 Euro, Deutschland 41.358 Euro). In der Stadt gab es 2020 ca. 341.000 erwerbstätige Personen. Der Kaufkraftindex pro Einwohner lag 2013 bei 90,1 (Deutschland: 100). Es ist zu beobachten, dass der Kaufkraftindex pro Einwohner jährlich abnimmt. Im europäischen Vergleich erhielte Dresden einen Index von etwa 121 (EU-27: 100) im Vergleich zum ehemaligen Direktionsbezirk Dresden 87,7, Sachsen 86,1 und Deutschland 115,1. Besonders hohen Anteil an der gesamten wirtschaftlichen Leistung hat das verarbeitende Gewerbe. Allein die Unternehmen der Mikroelektronik erreichten mehr als drei Milliarden Euro Umsatz. Im sogenannten Zukunftsatlas 2016 belegte die Stadt Dresden Platz 28 von 402 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland und zählt damit zu den Orten mit „sehr hohen Zukunftschancen“. Laut der Studie belegt Dresden damit den ersten Platz unter allen Städten und Landkreisen in Ostdeutschland. Im Zukunftsatlas 2019 wird Dresden auf Rang 41 gelistet, der Stadt werden dennoch „sehr hohe Zukunftschancen“ zugesprochen. Die Gewerbesteuereinnahmen der Stadt betrugen 2018 305 Millionen Euro. 41.625 Personen über 18 Jahren waren 2019 überschuldet (9,25 Prozent). Arbeitsmarkt Ende 2019 waren in Dresden 15.700 Menschen (5,3 Prozent) arbeitslos, der niedrigste Stand seit 1990. Im März 2020 lag der Anteil der Arbeitslosen in Dresden im Vergleich zu allen zivilen Erwerbspersonen bei 5,5 Prozent. Als absolute Zahl wurden 16.410 Personen angegeben. Rund ein Drittel der Arbeitslosen sind langzeitarbeitslos, im Oktober 2018 waren das 5.470. Die Arbeitslosenquote in Dresden lag 2019 durchschnittlich bei 5,3 Prozent. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wuchs im April 2020 die Arbeitslosenquote auf 6,2 Prozent (18.426 Arbeitslose), im Mai 2020 auf 6,4 Prozent (19.254 Personen), im Juni 2020 auf 6,5 Prozent (19.479), im Juli 2020 auf 6,7 Prozent (19.950) und im August 2020 auf 6,8 Prozent (20.419). Im Mai 2023 gab es 18.100 Arbeitslose (Quote von 5,9 Prozent), davon durch Flucht vor dem russischen Überfall auf die Ukraine etwa 5.000 ausländische Arbeitslose. Etwa 276.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte arbeiteten 2022 in der Stadt. 40.000 arbeiten im Einzelhandel. 14.000 sind vom Tourismus abhängig. Es gibt ca. 98.000 Einpendler, der höchste Wert seit Jahren, vor allem aus Freital, Radebeul, Pirna, Heidenau und Radeberg. In der Stadt haben etwa 225.000 Arbeitnehmer ihren Erstwohnsitz, von ihnen sind ca. 58.000 Auspendler. Durch den Saldo der Aus- und Einpendler von 40.000 Personen ist Dresden eine Einpendlerstadt. Im Stadtgebiet entfällt eine Fläche von 307 Hektar auf Betriebsflächen, 10.885 Hektar werden landwirtschaftlich genutzt. Tourismus Im Rekordjahr 2019 gab es 2,3 Millionen Übernachtungsgäste, darunter etwa 20 Prozent aus dem Ausland. 2020 sank die Zahl auf 1,2 Millionen Übernachtungsgäste. 163 Hotels und Beherbergungsstätten mit jeweils mehr als 10 Betten boten im Jahr 2021 zusammen über 22.000 Betten an. Dabei gibt es 26 Hotels der Ober- und Luxusklasse. Zusammen mit der Messe Dresden und dem Kongresszentrum versucht sich die Stadt als Kongress- und Tagungsort zu profilieren. Die Sächsischen Spielbanken betreiben in Dresden die Spielbank Dresden im Café Prag, eine von drei Spielbanken in Sachsen. Ansässige Unternehmen In der Stadt sind vor allem Unternehmen aus dem Bereich Mikroelektronik, Informations- und Biotechnologie sowie Elektrotechnik tätig, die die Nähe der Universität und zahlreicher Forschungsinstitute nutzen. Die Kompetenzfelder der Stadt liegen in den Bereichen Mikroelektronik, Informations- und Kommunikationstechnologie Neue Werkstoffe und Nanotechnologie Maschinen- und Anlagenbau/Fahrzeug-, Luft- und Raumfahrttechnik, Solartechnik Biotechnologie, Pharmazie und Impfstoffe Tourismus, Handel und Märkte Bildung, Kunst-, Geistes- und Sozialwissenschaften Viele der Kompetenzfelder entstanden nicht erst in den letzten Jahren. Einige, wie zum Beispiel die Mikroelektronik, die schon vor 1989 in Dresden ein Zentrum besaß, wurden aber erfolgreich ausgebaut. Durch die Möglichkeiten der engen Zusammenarbeit der Industrie mit den hier ansässigen Universitäten und Forschungseinrichtungen entwickelt sich die Stadt immer mehr zu einem der führenden Zentren der Halbleiterfertigung in Europa. So entstanden in den vergangenen Jahren neue Fertigungsstätten führender Unternehmen wie Globalfoundries und Infineon. Ein neues Halbleiterwerk der Robert Bosch GmbH wurde 2021 eröffnet. Der taiwanesische Chip-Hersteller TSMC will 2027 mt 2000 Arbeitsplätzen mit der Produktion in Dresden beginnen. Viele Bereiche der Zulieferindustrie (Reinraumtechnik, Spezialmaschinenbau, Siliziumwafer) lassen sich in und um Dresden nieder, sodass in Anlehnung an das Silicon Valley in Kalifornien oft vom Silicon Saxony gesprochen wird. Durch Forschungsarbeit im Bereich der Nanotechnologie und Werkstoffe erhofft man sich, führender Wirtschaftsstandort der aufkommenden Nanoelektronik, die einen Quantensprung für die elektronische Datenverarbeitung darstellen wird, zu werden. An der wirtschaftlichen Nutzung von besonderen elektromagnetischen Eigenschaften von Supraleitern (Meißner-Ochsenfeld-Effekt) wird ebenfalls gearbeitet. Neben der Mikroelektronik- und Halbleiterindustrie ist auch die Softwareindustrie vertreten, etwa durch das T-Systems-Tochterunternehmen T-Systems MMS sowie die Niederlassungen der Softwarehersteller SAP Deutschland AG & Co. KG, Amazon, GoTo und der polnischen Comarch. Ebenfalls findet man drei der Big-Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Dresden vor: EY, KPMG und Deloitte. Es sind auch zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen sowie Startups im Bereich Softwareentwicklung vorhanden, wie Lovoo. Nach der Wende hat Siemens in Dresden einen Standort errichtet. Der Konzern kaufte 1991 von der Treuhandanstalt das Transformatoren- und Röntgenwerk „Hermann Matern“, das auf die Koch & Sterzel AG zurückgeht. Um dieses Werk herum im Stadtteil Übigau übernahm der Konzern eine Grundstücksfläche von rund 350.000 Quadratmetern. Volkswagen ließ in der Gläsernen Manufaktur das Luxusfahrzeug (VW Phaeton) der Muttermarke des Volkswagen-Konzerns herstellen. Im März 2016 wurde im 15. Jahr nach Inbetriebnahme die Fertigung eingestellt und nach einem Umbau der Anlagen zwischenzeitlich im April 2017 die nichtexklusive Fertigung des e-Golf aufgenommen. Seit 2021 wird der Nachfolger VW ID.3 gefertigt. Die Airbus-Gruppe (bis 2013 EADS) hat in Dresden mit den Elbe Flugzeugwerken ein Tochterunternehmen insbesondere zum Umbau von Airbus-Flugzeugen. Der Standort ist auch an der Entwicklung des Airbus A380 beteiligt. Zum einen stammen Teile der Innenausstattung aus den Werken, zum anderen wird eine der beiden Materialtestprozeduren bei IABG/IMA durchgeführt. Viele Zulieferer der Automobilindustrie für elektronische Komponenten produzieren in Dresden. Ein Tochterunternehmen der Linde plc konzipiert und plant Anlagen der Pharmazie- und Chemieindustrie. Im Bereich Pharma und Arzneimittel spielt Dresden seit mehr als hundert Jahren eine bedeutende Rolle. Viele Verfahren zur industriellen Produktion von Arzneimitteln wurden hier entwickelt und angewandt. Das ehemalige Sächsische Serumwerk Dresden (heute Teil des GlaxoSmithKline-Konzerns) ist ein international bedeutsamer Lieferant für Grippeimpfstoffe. Die im benachbarten Radebeul ansässige und auf eine lange Tradition (als Chemische Fabrik v. Heyden und Arzneimittelwerk Dresden) zurückblickende Arzneimittelproduktion, gehört jetzt zur italienischen Menarini-Gruppe. Des Weiteren ist der Zigarettenhersteller Philip Morris (Marke f6) in Dresden ansässig, der als VEB Vereinigte Zigarettenfabriken Dresden (VEZIFA) zu DDR-Zeiten Stammbetrieb des VEB Kombinat Tabak war. Die Feldschlößchen AG braut ihre Biere in Dresden-Coschütz. Einzelhandel Vor der Zerstörung durch den Luftangriff befand sich das repräsentative Einkaufszentrum der Stadt mit zahlreichen Fachgeschäften in der Prager Straße, während die großen Kaufhäuser den Bereich des Altmarktes prägten. Den Wiederbeginn 1952 markierte der Bau des Warenhauses an der Wilsdruffer Straße nahe dem Postplatz. Stand damals dieser Bau für das erwachende Dresden, so ist heute dessen Bedeutung für die Stadt zu Beginn der 1950er Jahre durch die neueren umliegenden Bauten kaum noch nachzuvollziehen. Die größte Konzentration von Warenhäusern und Geschäften befindet sich heute im Dresdner Stadtzentrum an der nördlichen Prager Straße und am Altmarkt. Dort haben sich Filialen der großen Warenhausketten angesiedelt und bilden mit der Altmarkt-Galerie und der Centrum-Galerie eines der großen Einkaufszentren der Stadt. Die Altmarkt-Galerie wurde bis 2011 zum Postplatz hin erweitert und hat seitdem mehr als 200 Geschäfte, darunter viele einmalige Markenstores in Ostdeutschland wie Hollister, Apple und O’Neill. Das Gebiet ist durch mehrere Straßenbahnhaltestellen erschlossen. Auch der Hauptbahnhof, am südlichen Ende der Prager Straße, ist seit seiner Fertigstellung und der Bebauung des Wiener Platzes ein bedeutendes Zentrum des Einzelhandels. Als Einkaufsstraße für hochwertige Güter und Luxusartikel – früher das Privileg der Prager Straße – hat sich dagegen die Königstraße in Dresden-Neustadt etabliert. Geschäfte dieser Preisklasse sind stark mit dem Tourismus der Stadt verwoben. Eine ähnliche Struktur hat sich am Neumarkt rund um die Frauenkirche entwickelt. Die zur Fußgängerzone umgebaute Neustädter Hauptstraße hatte „ihre beste Zeit“ in den 1980er Jahren. In deren Nähe liegt die Neustädter Markthalle, ein kleines Einkaufszentrum mit 20 Händlern in einem rekonstruierten Jugendstilgebäude. Auch in alten Stadtteilzentren wie am Schillerplatz in Blasewitz wurden wieder bedeutende Einkaufszentren geschaffen. Andere Anlagen wie der Elbepark konzentrieren sich außerhalb der Innenstadt an Autobahnausfahrten und haben so einen deutlich überregionalen Einfluss. Der Preisdruck auf die Handelsflächen im Stadtzentrum durch große Einkaufszentren der Peripherie ist auch in Dresden spürbar und wird häufig kritisiert. In der Innenstadt werden gerade einmal 22 Prozent des Umsatzes des Einzelhandels erzielt. Das ist vergleichsweise wenig, wenngleich mehrere Nebenzentren existieren. Traditions- und ehemalige Unternehmen Eines der bekanntesten Unternehmen war die am 12. November 1872 gegründete Dresdner Bank. Bereits 1885 wurde die operative Geschäftsführung nach Berlin verlegt, bis 1950 blieb die Bank aber im Handelsregister der Stadt Dresden eingetragen. Die Raddampferflotte, die von der Sächsischen Dampfschiffahrtsgesellschaft betrieben wird, gilt als die größte und älteste der Welt. Der 1879 gebaute Raddampfer Stadt Wehlen, benannt nach dem Ort Wehlen in der Sächsischen Schweiz, ist das älteste Schiff der Flotte. Im Jahr fahren etwa 500.000 Passagiere auf den 13 Schiffen. Nur wenig jünger ist die Genossenschaft Konsum Dresden, ein Handelsunternehmen, das im Jahr 1888 als „Konsumverein Vorwärts“ gegründet wurde. Verunreinigte und überteuerte Lebensmittel führten damals dazu, dass mehrere Dresdner Familien selbst einkaufen und miteinander handeln wollten. Mit eigenen Produktions- und Logistikstrukturen wurde ein Ladennetz aufgebaut und bereits 1931 die erste konsumeigene Fleischfabrik in Dresden eröffnet. Heute betreibt das Unternehmen noch über 40 Filialen und hat rund 25.600 Mitglieder. Das im Jahr 1892 vom Dresdner Unternehmer Karl August Lingner herausgebrachte Mundwasser Odol wurde in den 1945 zerstörten Dresdner Lingner-Werken hergestellt. Die „Sachsenwerk, Licht- und Kraft AG“ wurde 1903 gegründet und baute vor allem Transformatoren und Schaltgeräte für elektrische Beleuchtungen sowie große elektrische Maschinen. Seit den 1920er Jahren ist das Werk ein bedeutender Hersteller von Straßenbahn- und Lokomotivmotoren. Heute gehört die VEM Sachsenwerk GmbH zur VEM Gruppe. 1907 begann auf dem Dachboden der Löwenapotheke die Produktion der Zahncreme Chlorodont, die ab 1917 in den neu gegründeten Leowerken in immer größerem Stil erzeugt und vermarktet wurde. Das Nachfolgeunternehmen nutzt die Räume noch heute. Das seit Jahrzehnten international tätige Unternehmen Melitta wurde am 15. Dezember 1908 mit 73 Pfennigen Eigenkapital von Melitta Bentz ins Dresdner Handelsregister eingetragen. Mit dem Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) und dem Kombinat Robotron begann 1961 die Zeit der Mikroelektronik und Computerfertigung in Dresden. 1989 waren etwa 4000 Angestellte beim Zentrum Mikroelektronik, im Kombinat Robotron wurden bis zu 68.000 Mitarbeiter beschäftigt. Das ZMD firmierte von 1961 bis 1976 als Arbeitsstelle für Molekularelektronik Dresden (zunächst AME, ab 1969 AMD). Nach weiteren Umbenennungen und der Privatisierung in den 1990er Jahren arbeiteten 2011 in dem nun „ZMD AG“ genannten Unternehmen ca. 300 Ingenieure, Techniker und Facharbeiter. Das Kombinat Robotron wurde 1990 aufgelöst und dessen Teilbetriebe wurden privatisiert. Von diesen Nachfolgeunternehmen existiert in Dresden nur noch die Robotron Datenbank-Software GmbH mit 442 Mitarbeitern (Geschäftsjahr 2017/2018). Der Dresdner Maschinenbau hat eine Tradition als direkter Zulieferer der ansässigen Industrien der Pharmazeutik, Optik und Lebensmittelherstellung. Wettbewerbsvorteile konnte die Sächsische Industrie vor allem durch die Anwendung der Feinmechanik im Großmaschinenbau erlangen. Die Historie setzte sich zuletzt bei den Spezialmaschinenbauern für Reinraumtechnik fort. Dresden und Umland war bis in die Nachkriegszeit hinein ein Schwerpunkt der deutschen optisch-feinmechanischen Industrie, insbesondere im Bereich des Kamerabaus. Die Ernemann-Werke, Zeiss Ikon, die Ihagee (Erfindung der einäugigen Kleinbild-Spiegelreflexkamera), die Kamera-Werke Niedersedlitz sowie das Kombinat VEB Pentacon (Praktica-Kameras) hatten hier ihren Sitz. Ebenfalls in Dresden wurde 1923 von dem 18-jährigen gelernten Fotografen Martin Hanke Hama gegründet. Die Elbe Flugzeugwerft, die heute als Elbe Flugzeugwerke firmiert und zu Airbus gehört, war schon sehr früh nach dem Zweiten Weltkrieg ein bedeutendes Werk des Flugzeugbaus, das am Nordostrand des Flughafens Dresden-Klotzsche auf einem Teil des Geländes der vormaligen Luftkriegsschule 1 errichtet wurde. Mit der Baade 152 entstand dort in den 1950er Jahren das erste deutsche Verkehrsflugzeug mit Strahltriebwerken. Auf Beschluss des Politbüros der SED musste 1961 aufgrund mangelnder Absatzmöglichkeiten der Flugzeugbau in der DDR und damit auch dieses Projekt eingestellt werden. Verkehr Dresden ist einer der wichtigsten Knotenpunkte im Straßen- und Schienenverkehr Ostdeutschlands und hat einen Flughafen. Etwa 3335 Hektar des Stadtgebiets entfallen auf Verkehrsflächen. Verkehrsmittelwahl Die folgende Tabelle zeigt die Aufteilung der in Dresden zurückgelegten Wege nach Verkehrsmitteln (verkehrstechnisch als bezeichnet) und deren Änderung seit 1991. Schienenverkehr Der Eisenbahnknoten Dresden verbindet fünf Haupt- und Fernstrecken. Dresden Hauptbahnhof ist einer von 20 Fernverkehrsknoten in Deutschland und neben dem Bahnhof Dresden-Neustadt der wichtigste Bahnhof der Stadt. Direkte Fernverkehrsverbindungen im Tagesverkehr besitzt Dresden unter anderem mit Leipzig, Chemnitz, Berlin, Prag, Erfurt, Magdeburg, Rostock, Warnemünde, Frankfurt am Main, Wiesbaden, Hamburg, Hannover, Brünn, Bratislava und Budapest. Im Nachtverkehr bestehen Verbindungen nach Zürich. Bis zum Fahrplanwechsel im Dezember 2017 bestanden Nachtzugverbindungen nach Budapest und Wien, seitdem ist für diese Ziele ein Umstieg in Prag notwendig. Die S-Bahn Dresden verbindet die Stadt mit dem Umland und dem Flughafen. Im Regionalverkehr ist Dresden mit der Lausitz, Chemnitz, Zwickau sowie Leipzig und Hof verbunden. Größter Güterbahnhof der Stadt ist der Bahnhof Dresden-Friedrichstadt mit einem Güterverkehrszentrum und Containerterminal für den kombinierten Verkehr. Straßenverkehr Im Ballungsraum Dresden gibt es vier Bundesautobahnen. Durch das nordwestliche Stadtgebiet führt die A 4 in Richtung Görlitz beziehungsweise Chemnitz und Erfurt mit fünf Anschlussstellen. Von der A 4 zweigen im äußersten Norden der Stadt die A 13 in Richtung Berlin und westlich von Dresden die A14 nach Leipzig ab. Die 2006 fertiggestellte A 17 beginnt im Dresdner Westen und tangiert die Stadt südlich mit drei Anschlussstellen. Sie ist gleichzeitig die Europastraße E 55 und führt durch das Erzgebirge nach Prag. Unter zwei Dresdner Stadtteilen verläuft die A 17 in Tunneln. Die Autobahn ist besonders bedeutend für den LKW-Fernverkehr in Nord-Süd-Richtung und entlastet die Hauptstraßen der Stadt im Berufsverkehr, da sie parallel und nah zum Verdichtungsraum um Dresden verläuft und dadurch Pendlern aus Pirna und Heidenau nutzt. Kritisiert wurden die hohen Kosten der neuen Strecke sowie die damit verbundene Förderung der Zersiedelung. Durch die neu erschlossenen Wohnungsstandorte würden langfristig neuer Pendlerverkehr erzeugt und Entlastungen wieder wettgemacht. Der Einfluss auf die Luftzufuhr der Stadt wurde ebenfalls kritisch gesehen. Ferner führen folgende Bundesstraßen durch die Stadt: Die B 6, die B 97, die B 170 und die B 173. Die Stadt Dresden galt mit vielen vierspurigen Straßen und stark gestiegenen, vergleichsweise hohen Reisegeschwindigkeiten zwar als autofreundlich, wobei allerdings das parallel sehr hohe Niveau des öffentlichen Verkehrs nicht geleugnet wurde bzw. wird. Der Elberadweg (D10), der im Jahr 2015 zum elften Mal in Folge von Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) zum beliebtesten Radwanderweg Deutschlands gewählt wurde, führt innerhalb der Stadt mit wenigen Ausnahmen durchgehend an der Elbe entlang. In den deutschlandweiten Umfragen zur Radfahrfreundlichkeit (Fahrradklimatest) belegt Dresden einen Platz im Mittelfeld hinter Chemnitz und Leipzig (beim Test im Jahr 2014 war es Platz 21 unter den insgesamt 38 beurteilten Großstädten über 200.000 Einwohner). In der kommunalen Bürgerumfrage 2014 gaben 71 % der Befragten an, dass die Stadtverwaltung sich mehr für den Radverkehr engagieren müsse. Dennoch begeistern sich die Dresdner für das Fahrrad: Schon bei der ersten Teilnahme am Wettbewerb Stadtradeln 2011 Sieger in der Kategorie Fahrradaktivste Stadt mit den meisten Radkilometern. Seit 2020 gibt es das Fahrradverleihsystem MietOn. Insgesamt umfasst das Straßennetz in kommunaler Verwaltung 1.400 km Straßen (3.200 Straßennamen), 1.908 km Fußwege und 370 km Radwege. Öffentlicher Personennahverkehr Den öffentlichen Personennahverkehr bedienen neben der S-Bahn zwölf Straßenbahn- und über 30 Buslinien der Dresdner Verkehrsbetriebe sowie einiger Busunternehmen (vgl. Busverkehr in Dresden). Bedeutende Überlandlinien mit Verbindung nach Dresden betreibt die Regionalverkehr Sächsische Schweiz-Osterzgebirge GmbH. Straßenbahnen verkehren in der ehemaligen sächsischen Residenzstadt seit 1872, zunächst als Pferdebahnen, ab 1893 zunehmend elektrisch. Dabei bestanden zeitweise zwei konkurrierende private Unternehmen, deren äußeres Erkennungszeichen die unterschiedlichen Wagenfarben waren (daher wurden sie in der Bevölkerung als „gelbe“ bzw. „rote“ Gesellschaft bezeichnet). Diese wurden 1905 in der Städtischen Straßenbahn Dresden vereinigt. Seitdem wird das Straßenbahnnetz unter einheitlicher Regie betrieben, zunächst von der Stadt selbst, im Laufe der Zeit von unterschiedlichen mehr oder weniger von der Stadt abhängigen Trägern. Bekannt ist die Dresdner Straßenbahn für den zwischen 1931 und 1972 eingesetzten großen Hechtwagen. Schon in der Weimarer Republik gab es teilweise einen Dreiminutentakt. Seit der letzten Linienumstellung verkehren zwölf Straßenbahnlinien auf einem etwa 204 km langen Liniennetz, das bis zu den benachbarten Städten Radebeul, Coswig und Weinböhla reicht; diese Überlandbahn wird touristisch als Kultourlinie vermarktet. siehe auch: Meines Vaters Straßenbahn, Filmbiografie Die Dresdner Verkehrsbetriebe modernisieren seit Jahren ihr Netz und ihren Fuhrpark. Seit Juni 2010 sind im Normalfall ausschließlich Niederflurbahnen von Bombardier Transportation aus Bautzen mit bequemen stufenlosen Einstiegen im Einsatz. Lediglich für Sonderleistungen kommen gelegentlich noch die Tatra-Wagen des Typs T4D zum Einsatz, außerdem zur regulären Taktverdichtung der Linie 3 in der Vorlesungszeit. Drei Elbfähren ermöglichen neben den Brücken (jeweils mit öffentlichem Nahverkehr per Eisenbahn, Bus oder Straßenbahn) den Übergang über die Elbe: von der Johannstadt zur Neustadt, von Niederpoyritz nach Alttolkewitz sowie von Kleinzschachwitz nach Pillnitz. Im Stadtteil Loschwitz gibt es außerdem die historischen Bergbahnen: eine Standseilbahn zum Nobelviertel Weißer Hirsch sowie eine Schwebebahn nach Oberloschwitz, an deren Bergstation sich eine hervorragende Aussicht auf die Stadt und das südwestliche Umland bietet. Auf der Elbe fahren die Raddampfer der Weißen Flotte und stellen ausschließlich touristisch genutzte Verbindungen elbaufwärts in die Sächsische Schweiz und elbabwärts nach Meißen bereit. Dresden ist auch Haltepunkt für Passagierschiffe der Flusskreuzfahrt-Veranstalter. Flugverkehr Im Norden von Dresden, in Klotzsche, liegt seit 1935 der Flughafen Dresden mit nationalen und internationalen Fluglinien. Er wurde nach der Wiedervereinigung saniert und hat daher ein gut ausgebautes Terminal sowie eine gute Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr. Der Flughafen Dresden hat eine eingeschränkte Nachtruhe zwischen 0 und 5 Uhr, die darüber hinaus in den weiteren Randzeiten davor und danach nur eingeschränkt Flugverkehr zulässt. Fernbusverkehr Dresden hat kein eigenes Fernbusterminal. Genutzt werden die Bushaltestellen in der Bayrischen Straße am Dresdner Hauptbahnhof oder die Haltestelle am Bahnhof Dresden-Neustadt. Insbesondere die Bushaltestelle südlich des Hauptbahnhofs ist jedoch nicht für den expandierenden Fernbusverkehr ausgelegt. Vor allem fehlt es an Unterständen und Sitzbänken. So existieren Überlegungen, einen zentralen Omnibusbahnhof nördlich des Hauptbahnhofs am westlichen Ende des Wiener Platzes zu errichten. Der Busbahnhof soll neben einem 43 Meter hohen neuen Hochhaus mit zehn Steigen bis 2025 fertig sein. Neben einer Vielzahl nationaler, bedienen auch einige internationale Linien Dresden. So können unter anderem die Städte Amsterdam, Budapest, Brüssel, London, Kopenhagen, Paris, Prag, Stockholm, Wien oder Zürich umstiegsfrei erreicht werden. Güterverkehr Dresden war und ist ein wichtiger Eisenbahnknoten im Güterverkehr, zu dessen Eisenbahnanlagen der Rangierbahnhof Dresden-Friedrichstadt gehört. Durch die Automobilwerke des Volkswagen-Konzerns in Chemnitz, Zwickau, bei der tschechischen Tochter Škoda in Mladá Boleslav und in Dresden selbst kommt dem Güterbahnhof als Logistikzentrum eine wichtige Funktion zu. Täglich rollen etwa 200 Güterzüge über die Elbtalbahn von und nach Tschechien. Eine Besonderheit stellte bis 2020 die Güterstraßenbahn CarGoTram dar, die die Gläserne Manufaktur von Volkswagen am Großen Garten bediente. Die Bahn wurde eingerichtet, um die Innenstadt zwischen Logistikzentrum am Güterbahnhof in der Friedrichstadt und Manufaktur keiner zusätzlichen Belastung durch LKW auszusetzen. Dresdens Hafen liegt linkselbisch in Dresden-Friedrichstadt und dient der Elbe-Containerlinie und der Binnenschiffslinie ETS-Elbe. Er erhielt 2007 zusätzlich eine RoRo-Anlage mit einer zulässigen Höchstlast von 500 Tonnen. Dresden liegt am Kreuzungspunkt der E 40 und E 55, zweier wichtiger Europastraßen. Über die A 17 ist es gelungen, den Güterfernverkehr aus der Stadt zu verlagern. Alleine die E55 nutzen täglich mehr als 2000 LKW. Medien Tageszeitungen Mit der Sächsischen Zeitung (SZ) und den Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN) erscheinen zwei traditionelle Tageszeitungen. Die Sächsische Zeitung war ab 1946 und zu DDR-Zeiten Organ der SED. Heute gehört sie mehrheitlich zum Verlagshaus Gruner + Jahr. Die Vorläufer der DNN waren Zeitungen der NDPD (Sächsische Neueste Nachrichten), LDPD (Sächsisches Tageblatt) beziehungsweise CDU (Die Union). Die Dresdner Neuesten Nachrichten gehören heute zur Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft, die zudem Gesellschafterin der Leipziger Volkszeitung (LVZ) ist. An der Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft ist zu 100 % die Verlagsgesellschaft Madsack beteiligt, an welcher wiederum zu über 20 % die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (dd_vg) beteiligt ist, das Medienbeteiligungsunternehmen der SPD. Weitere Zeitungen sind die Dresdner Morgenpost (mit dem Online-Ableger Tag24) und die Lokalausgabe der Bild. Sonstige Zeitungen und Zeitschriften Das kostenlose Dresdner Amtsblatt (DDA) erscheint als Veröffentlichungsorgan der Stadtverwaltung wöchentlich. Dresdner Kulturmagazin (kostenlos) und Sax sind monatlich erscheinende Stadtmagazine mit Veranstaltungskalender. Das Gastronomiemagazin Augusto erscheint jährlich. Weitere Magazine sind Frizz, Spot, DD-INside, Skunk, SPIESSER, Urania, caz, Prinz und port01, die teilweise werbefinanziert sind. Einige dieser Blätter sind auch in anderen deutschen Städten vertreten. Weiterhin werden in Dresden noch die kostenlosen Anzeigenblätter Wochenkurier, freitagSZ und Dresden am Wochenende verteilt, die beiden letzteren als Portfolioergänzung des Verlags der Sächsischen Zeitung (DDV Mediengruppe). Des Weiteren gibt es Anzeigenblätter für die jeweiligen Stadtteile, beispielsweise die Leubener Zeitung für den Stadtbezirk Leuben. Darüber hinaus erscheinen in Dresden die Literaturzeitschriften Ostragehege und Signum. Hörfunk und Fernsehen Da in der Tallage nur an wenigen Orten im Stadtgebiet überregional ausgestrahlte Rundfunkprogramme zu empfangen waren, wurde 1969 der 252 Meter hohe Fernsehturm eröffnet, der heute noch in Betrieb ist. In Dresden befinden sich neben dem Landesfunkhaus des MDR zahlreiche Produktions- und Dienstleistungsunternehmen. Private Radiosender wie Hitradio RTL, Radio PSR, Energy Sachsen, Radio Dresden und R.SA sind mit ihren Programmen in Dresden vertreten. Neben Fernsehsendern in einzelnen Stadtteilen, die von Antennengemeinschaften betrieben werden, gibt es Dresden Fernsehen als privatrechtlichen Sender für das gesamte Stadtgebiet. Außerdem sendet rund um die Uhr über das Vodafone-Kabelnetz der Lokalfernsehsender tvM (Meissen Fernsehen). Über Primacom wird der regionale Sportsender 8Sport in Dresden verbreitet. In Dresden beheimatet sind zwei Sächsische Ausbildungs- und Erprobungskanäle (SAEK) – ein schulisch spezialisierter SAEK im St. Benno-Gymnasium und einer im Medienkulturzentrum Pentacon. Hier findet der interessierte Bürger offene Studios und kann das Produzieren sowie Senden erlernen und auf Sendung gehen (eigener Radiosender NEON 425 auf 104,25 MHz im Dresdner Kabel). Neben den öffentlichen und privaten Radiosendern besteht in Dresden das Freie Radio coloRadio, das wochentags von 18 bis 24 Uhr sowie am Wochenende von 12 bis 24 Uhr auf den Frequenzen 98,4 und 99,3 MHz zu hören ist. Diese Frequenzen teilt sich coloRadio mit apollo radio. Sonstiges Während der DDR-Zeit konnten in Dresden größtenteils keine westlichen Fernsehsender empfangen werden, weshalb Dresden den Namen Tal der Ahnungslosen bekam. Im Volksmund wurde der Name der ARD als Außer Raum Dresden gedeutet. Um dennoch westdeutsche Fernsehsender empfangen zu können, gründeten sich ab 1987 mehrere Bürgerinitiativen, die staatlich toleriert über Satelliten empfangene Signale westdeutscher Fernsehprogramme in kleinen Kabelnetzen verbreiteten. Teils wurden in diesen Kabelnetzen schon vorher terrestrisch schwach empfangbare westdeutsche Programme mit hohem Aufwand aufbereitet und in schwankender, aber nur an wenigen Tagen wirklich guter Qualität angeboten. Zusätzlich wurden tschechische Fernsehprogramme mit aufbereitet, in denen manchmal deutschsprachige Filme mit tschechischen Untertiteln liefen. Öffentliche Einrichtungen von überregionaler Bedeutung Aufgrund ihres Status als Landeshauptstadt haben in Dresden zahlreiche öffentliche Einrichtungen und Institutionen beziehungsweise Körperschaften des öffentlichen Rechts der Landesebene ihren Sitz, so der Sächsische Landtag, die Sächsische Staatskanzlei, alle Ministerien der Sächsischen Staatsregierung, der Sächsische Datenschutzbeauftragte, das Landeskriminalamt Sachsen und weitere Landesbehörden. Das Prinzip der räumlichen Trennung der Legislative und Exekutive von der Judikative wurde in Sachsen in der Weise eingehalten, dass sich außer dem Oberlandesgericht für die ordentliche Gerichtsbarkeit alle weiteren oberen Landesgerichte in Leipzig, Chemnitz und Bautzen befinden. Das aus der 1954 gegründeten Medizinischen Akademie Dresden entstandene Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden ist das Krankenhaus der Maximalversorgung für Ostsachsen mit etwa 1300 Betten. Das Städtische Klinikum Dresden ist ein Krankenhaus zur Schwerpunktversorgung. Des Weiteren gibt es eine Handwerkskammer und eine Industrie- und Handelskammer. Das Wasser- und Schifffahrtsamt Dresden ist der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Ost untergeordnet und hauptsächlich für die Elbe auf einer Länge von 290 km verantwortlich. Zur Bundeszollverwaltung gehören ein Zollfahndungsamt und ein Hauptzollamt mit Sitz in Dresden. Letzteres und das dazugehörige Zollamt sind der Bundesfinanzdirektion Mitte in Potsdam unterstellt. Bis zum 31. Dezember 2007 war es der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung (ZuVA) der Oberfinanzdirektion Chemnitz nachgeordnet. Mit Ablauf dieses Datums wurde die ZuVA aufgelöst. Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk hat in Dresden eine Regionalstelle und einen Ortsverband. Diese sind dem THW Länderverband Sachsen, Thüringen mit Sitz in Altenburg unterstellt. Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen ist in Dresden mit einer Außenstelle vertreten. Darüber hinaus haben die Sächsische Akademie der Künste, die Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt, die Bürgerstiftung, die Brücke/Most-Stiftung und seit 2006 das Gerhard Richter Archiv ihren Sitz in Dresden. Garnison Dresden kann auf eine lange Geschichte als Garnisonsstadt zurückblicken. Heute ist in der Albertstadt neben der Offizierschule des Heeres samt Verwaltung sowie des Militärhistorischen Museums auch das Landeskommando Sachsen angesiedelt. Sonstiges In Dresden gibt es 18 genehmigte Prostitutionsstätten. Bildung und Forschung Dresden wurde vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft für das Jahr 2006 zur „Stadt der Wissenschaft“ ernannt. Die Verankerung von Wissenschaft und Bildung in der Bevölkerung zeigt sich besonders in der jährlich stattfindenden, gut besuchten Langen Nacht der Wissenschaften. Hochschulbildung und universitäre Forschung In der Stadt existieren neun Hochschulen. Traditionell liegen deren Stärken und Bedeutungen einerseits in der Technik und Wirtschaft, andererseits in Kunst und Kultur. Insgesamt studieren hier etwa 40.000 Menschen. Die Studenten der Hochschulen werden durch das Studentenwerk Dresden betreut. Die Technische Universität Dresden (TUD) liegt mit ihren über 31.000 Studenten auf Platz 19 unter den größten Universitäten Deutschlands. Ihr Campus liegt südlich der Innenstadt in der Nähe des Hauptbahnhofs, einen Großteil beherbergt die Südvorstadt. Eine Ausgründung der TU Dresden ist die Dresden International University (DIU), an der nur postgraduale Abschlüsse erworben werden können. Außerdem wird an der TUD in jedem Semester eine Kinderuniversität in der Art einer Ringvorlesung zu verschiedensten Themen veranstaltet. Die größte Fachhochschule Dresdens ist die Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTW Dresden). Die Hauptgebäude der HTW Dresden liegen direkt am Hauptbahnhof. Sie beherbergten bis 1992 die Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“, die seit 1992 die gleichnamige Fakultät für Verkehrswissenschaften in der TU Dresden bildet. Derzeit studieren etwa 5000 Menschen an der HTW Dresden. Bedeutung im Bereich der Bildenden Künste besitzt die Hochschule für Bildende Künste (HfBK), die sich direkt in der Innenstadt an der Brühlschen Terrasse befindet. Ebenfalls in ihren Bereichen bedeutend sind die Palucca Hochschule für Tanz Dresden und die Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ (HfM). Seit Dezember 2012 ist zudem die Universität der Vereinten Nationen (United Nations University, UNU) mit dem Institute for Integrated Management of Material Fluxes and of Resources (UNU-FLORES) in Dresden vertreten. UNU-FLORES wird sich mit dem Fokus des Globalen Wandels sowie der Ressourcensteuerung zur Green Economy beschäftigen. Weitere Hochschulen sind die Evangelische Hochschule Dresden und die Hochschule für Kirchenmusik Dresden. Daneben existieren als weitere wichtige Bildungsanstalten die Staatliche Studienakademie Dresden, eine Zweigstelle der Berufsakademie Sachsen, sowie die Sächsische Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie e. V. als reine Fortbildungseinrichtung. Ebenfalls den höheren Bildungseinrichtungen kann die Offizierschule des Heeres zugeordnet werden, die traditionell die Offiziere des deutschen Heeres ausbildet. Außeruniversitäre Wissenschaftseinrichtungen Fraunhofer-Gesellschaft Derzeit baut die Fraunhofer-Gesellschaft in Dresden mit ihren elf Einrichtungen und dem Institutszentrum ihren deutschlandweit größten Standort auf. Als führende Trägerorganisation der angewandten Forschung in Deutschland betreibt sie in ihren Instituten Vertragsforschung. Die Forschung der Fraunhofer-Einrichtungen ist für viele hoch technologisierte Unternehmen ein bedeutsamer Standortfaktor geworden. So betreibt die Gesellschaft – in die Anlagen des ehemaligen Qimonda-Werks integriert – das Fraunhofer-Center Nanoelektronische Technologien (CNT) in Zusammenarbeit in Form einer Public Private Partnership mit AMD Saxony und Qimonda. Weitere Fraunhofer-Institute in Dresden sind: Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme (IPMS) Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI) Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) Fraunhofer-Institutsteile und -Zentren in Dresden sind: Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) – Institutsteil Dresden Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) – Institutsteil Dresden Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) – Institutsteil Dresden Fraunhofer IVV, Außenstelle für Verarbeitungsmaschinen und Verpackungstechnik (IVV Dresden) Mit dem Standort Dresden verbunden wird zudem das Zentrum All Silicon System Integration Dresden (IZM-ASSID), das direkt an der Stadtgrenze in Boxdorf steht. Max-Planck-Gesellschaft Die Max-Planck-Gesellschaft betreibt in Dresden seit 2001 das Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI CBG). Seitdem hat es sich über Forschungsprogramme wie Molecular Bioengineering Dresden zu einem wichtigen Institut im Bereich der funktionellen Genomik entwickelt. Etwa 300 Mitarbeiter arbeiten in diesem Institut. Weitere Institute der Gesellschaft sind das Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe (MPI CPfS) und Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (MPI PKS). Helmholtz-Gemeinschaft Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf e. V. (HZDR) gehörte bis 2011 zur Leibniz-Gemeinschaft und hat Forschungsschwerpunkte in den Lebenswissenschaften (insbesondere Krebsforschung), der Energieforschung und in der Materialforschung. Seit 2009 hat das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) einen Standort in Dresden. Wissenschaftsgemeinschaft „Gottfried Wilhelm Leibniz“ Die als Leibniz-Gemeinschaft bekannte Wissenschaftsgemeinschaft betreibt hier schon seit einigen Jahren Forschungsinstitute verschiedener Disziplinen: Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden Institut für Polymerforschung Dresden e. V. (IPF) Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. (IÖR) ifo Institut für Wirtschaftsforschung (Einzige Niederlassung mit Fokus der Wirtschaft in den Neuen Bundesländern) Gymnasien Dresden verfügt über 31 Gymnasien, darunter neun in freier und eins in Landesträgerschaft. Das Martin-Andersen-Nexö-Gymnasium vermittelt eine vertiefte mathematisch-naturwissenschaftliche, das Romain-Rolland-Gymnasium eine vertiefte sprachliche Ausbildung und das Semper-Gymnasium eine vertiefte künstlerische Ausbildung. Dresdens altsprachliches Gymnasium und zugleich die älteste Schule der Stadt ist das Evangelische Kreuzgymnasium, dessen Geschichte bis in das 13. Jahrhundert zurückreicht. Das Sächsische Landesgymnasium für Musik „Carl Maria von Weber“ bildet musikalisch besonders begabte Schüler aus. Weiterhin gibt es eine Eliteschule des Sports, das Sportgymnasium. Persönlichkeiten Ehrenbürger Zu den Ehrenbürgern der Stadt zählen neben Monarchen und Politikern insbesondere Wissenschaftler und Künstler, die in Dresden wirkten – beispielsweise der Wissenschaftler Manfred von Ardenne, die Tanzpädagogin Gret Palucca und der Musiker Richard Strauss. Adolf Hitler war während der Zeit des Nationalsozialismus, wie damals üblich, ebenfalls Ehrenbürger der Stadt. Dieser Status wurde ihm aber nach Mai 1945 wieder aberkannt. Söhne und Töchter der Stadt Der weltweit bekannte Autor Erich Kästner wurde in Dresden geboren und wuchs im Stadtteil Neustadt auf. Zu den bekannten Menschen, die in Dresden geboren wurden, zählt der Maler Gerhard Richter. Er studierte an der Kunstakademie und zählt zu den bedeutendsten deutschen Malern der Nachkriegszeit. Ebenfalls aus Dresden stammen der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner und sein FDP-Kollege Wolfgang Mischnick sowie der Fußballtrainer Helmut Schön, der die Auswahl der Bundesrepublik 1972 zur Europa- und 1974 zur Weltmeisterschaft führte. Weitere Erfolge sind zwei Pokalsiege und eine deutsche Meisterschaft. Auch Matthias Sammer (1995 Ballon d’Or, 1996 Fußball-Europameister) wurde in der sächsischen Landeshauptstadt geboren. Die ehemalige Bundesministerin für Familie, Christine Bergmann, wurde in Dresden geboren. So auch Peter Scholze, der erst zweite deutsche Träger der Fields-Medaille, des „Nobelpreises“ für Mathematik. Weitere Personen, die längere Zeit in Dresden lebten und wirkten, waren unter anderem Hans Georg von Arnim-Boitzenburg, Berthold Auerbach, Carl Gustav Carus, Johan Christian Clausen Dahl, Otto Dix, Felix Draeseke, Günter Ehrlich, Hans Erlwein, Caspar David Friedrich, Karl Gutzkow, Heinrich von Kleist, Victor Klemperer, Charlotte Meentzen, Pierre I Mercier, Matthäus Daniel Pöppelmann, Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow, Wilhelm Rudolph, Wolf Curt von Schierbrand, Gertrude Seltmann-Meentzen, Richard Wagner, Carl Maria von Weber, Maria Reiche, Mary Wigman, Erhard Ludewig Winterstein, Nicolaus Ludwig Graf von Zinzendorf und Otto Zirnbauer. Siehe auch Literatur Chronologisch sortiert: Beschreibung der Königlich-Sächsischen Residenzstadt Dresden und der umliegenden Gegend für Fremde bearbeitet. Erster Teil und zweiter Teil in einem Band. Neudruck [der Ausg.] Dresden, Walthersche Hofbuchhandlung 1807. Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2010, ISBN 978-3-940494-43-6. Fritz Löffler: Das alte Dresden. Geschichte seiner Bauten. Seemann, Leipzig 1999, (Erstausgabe 1955, 16. Auflage 2006), ISBN 3-363-00007-3. Alexander McKee: Dresden 1945 – Das deutsche Hiroshima. Paul Zsolnay Verlag, Hamburg/Wien 1983, ISBN 3-552-03529-X. Heinz Quinger: Dresden. (Kunstgeschichtliche Städtebücher). Leipzig 1991. Folke Stimmel, Reinhardt Eigenwill, Heinz Glodschei u. a.: Stadtlexikon Dresden. A–Z. Verlag der Kunst, Dresden 1994, ISBN 3-364-00300-9 (2. Aufl. 1998). Landeshauptstadt Dresden: Flächennutzungsplan. Stadtplanungsamt, Dresden 1998. Landeshauptstadt Dresden: Integriertes Stadtentwicklungskonzept Dresden. Teil I. Analyse und Handlungsfelder. Stadtplanungsamt, Dresden 2001. Ingeborg Flagge: Dresden (FSB Architekturführer. Stadtführer zeitgenössischer Architektur). Verlag Das Beispiel, Darmstadt 2004, ISBN 3-935243-48-0. Thomas Widera: Dresden 1945–1948. Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 25). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-36901-8. Ulrich Hübner, Ulrike Grötzsch u. a.: Symbol und Wahrhaftigkeit. Reformbaukunst in Dresden. Verlag der Kunst, Dresden 2005, ISBN 3-86530-068-5. Eckhart Leisering: Acta sunt hec Dresdene – die Ersterwähnung Dresdens in der Urkunde vom 31. März 1206, Sächsisches Staatsarchiv, Mitteldeutscher Verlag (mdv), Halle/Saale und Dresden 2005, ISBN 3-89812-320-0 (), S. 5/40/35-41/94. Karlheinz Blaschke, Reiner Groß, Holger Starke (Hrsg.): Geschichte der Stadt Dresden. Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. ISBN 978-3-8062-1906-7; Band 2: Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Reichsgründung. ISBN 978-3-8062-1927-2; Band 3: Von der Reichsgründung bis zur Gegenwart. Theiss, Stuttgart 2005–2006, ISBN 3-8062-1928-1. Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler – Dresden. Bearbeitet von Barbara Bechter, Wiebke Fastenrath, Heinrich Magirius u. a., 1996/2005 aktualisiert von Friedrich Kobler, Heinrich Magirius, Mathis Nitzsche und Hartmut Ritschel. Deutscher Kunstverlag, Berlin, ISBN 3-422-03110-3. (mit 40 Plänen und Grundrissen). Thorsten Pietschmann: Dresden. Architektur und Kunst (= Cybela Bildhandbuch Architektur und Kunst. Band 2). Cybela Verlag, Oybin-Lückendorf 2013, ISBN 978-3-944470-00-9. Jürgen Helfricht: Kleines Dresden-ABC. Husum, Husum 2014, ISBN 978-3-89876-719-4. Claudia Quiring, Hans-Georg Lippert (Hrsg.): Dresdner Moderne 1919–1933. Neue Ideen für Stadt, Architektur und Menschen. Sandstein Verlag, Dresden 2019, ISBN 978-3-95498-464-0. Steffen Raßloff: Kleine Geschichte der Stadt Dresden. Rhino Verlag, Ilmenau 2019, ISBN 978-3-95560-072-3. Andreas Krase (Hrsg.): Dresden in Photographien des 19. Jahrhunderts. Schirmer Mosel, München 2020, ISBN 978-3-8296-0777-3 (Bildband mit 250 historischen Aufnahmen). Steffen Raßloff: Dresden. 55 Highlights aus der Geschichte. Sutton Verlag, Erfurt 2021, ISBN 978-3-96303-297-4. Zeitungsartikel: Andreas Ruby: Stadtplanung. Las Vegas an der Elbe. In: Die Zeit. 9. November 2000 und 2. Januar 2014, abgerufen am 25. Dezember 2020. Belletristik Mit Themen aus Dresden: Oliver Bendel: Verlorene Schwestern. Leipziger Literaturverlag, Leipzig 2009, ISBN 978-3-86660-079-9. Renatus Deckert (Hrsg.): Die wüste Stadt. Sieben Dichter über Dresden. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-458-34849-2. Wilhelm von Kügelgen: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. u. a. hrsg. von Philipp von Nathusius. W. Hertz, Berlin 1870. Eberhard Panitz: Dresdner Novelle 1989. Verlag am Park, Berlin 2009, ISBN 978-3-89793-232-6. Detlev Schöttker (Hrsg.): Dresden. Eine literarische Einladung. Wagenbach Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-8031-1239-7. Uwe Tellkamp: Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land. Roman. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-518-42020-1. Mathias Ullmann: Ohne Engel. VAT, Mainz 2009, ISBN 978-3-940884-20-6. Marcus Wächtler: Grüner Dresdner. SWB Media Publishing, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-945769-10-2. Frank Goldammer: Max Heller, Band 1 Der Angstmann. dtv Verlagsgesellschaft, München 2017, ISBN 978-3-423-21696-8. Michael Göring: Dresden. Roman einer Familie. 2. Auflage. Osburg Verlag, Hamburg 2021, ISBN 978-3-95510-243-2. Industrie Tilo Richter (Text), Hans-Christian Schink (Fotos): Industriearchitektur in Dresden. Kiepenheuer, Leipzig 1997, ISBN 3-378-01019-3. Reinhardt Balzk, Jürgen Leibiger (Hrsg.): Industriegeschichte der Stadt Dresden 1945–1990. Beiträge zum 800. Stadtjubiläum. Schkeuditz 2007. Musik Musik in Dresden. Schriften der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ Dresden. Laaber-Verlag, Laaber 1995–2005. Band I: Die Dresdner Oper im 19. Jahrhundert. Hrsg. von Michael Heinemann und Hans John, ISBN 3-89007-310-7. Band II: Die Dresdner Stadtmusik, Militärmusikkorps und Zivilkapellen im 19. Jahrhundert. Hrsg. von Anneliese Zänsler, ISBN 3-89007-319-0. Band III: Die Dresdner Kirchenmusik im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Matthias Herrmann, ISBN 3-89007-331-X. Band IV: Dresden und die avancierte Musik im 20. Jahrhundert. Teil I: 1900–1933. Hrsg. von Matthias Herrmann und Hanns-Werner Heister, ISBN 3-89007-346-8. Band V: Dresden und die avancierte Musik im 20. Jahrhundert. Teil II: 1933–1966. Hrsg. von Matthias Herrmann und Hanns-Werner Heister, ISBN 3-89007-510-X. Band VI: Dresden und die avancierte Musik im 20. Jahrhundert. Teil III: 1966–1999. Hrsg. von Matthias Herrmann und Stefan Weiss, ISBN 3-89007-511-8. Band VII: Die Dresdner Oper im 20. Jahrhundert. Hrsg. von Michael Heinemann und Hans John, ISBN 3-89007-651-3. Weblinks Internetauftritt der Landeshauptstadt Dresden Dresden in Zahlen – II. Quartal 2022 (PDF; 9,3 MB) Dresden auf stadtpanoramen.de Liniennetzpläne des öffentlichen Nahverkehrs www.bausituation-dresden.de Blog mit Fotos Historische Fotografien 1900/1914 (Sammlung Bernd Nasner) Einzelnachweise Kreisfreie Stadt in Sachsen Deutsche Landeshauptstadt Ort mit Binnenhafen Ehemalige Herzogsresidenz Deutsche Universitätsstadt Ort an der Elbe Ehemalige Kreisstadt in Sachsen Weinort im Weinanbaugebiet Sachsen Ehemalige Hauptstadt (Deutschland) Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden Träger des Europapreises Deutscher Ortsname slawischer Herkunft Weinort in Sachsen Ersterwähnung 1206
1085
https://de.wikipedia.org/wiki/Dermatologie
Dermatologie
Die Dermatologie (von und „-logie“, von ) ist ein Teilgebiet der Medizin, das sich mit dem Aufbau und den Funktionen der Haut sowie der Diagnostik und Behandlung von Erkrankungen der Haut befasst. Ein Mediziner, der sich mit Hauterkrankungen befasst, ist ein Dermatologe. Geschichte Dermatologische Kenntnisse sind bei den Sumerern 2000 v. Chr. vorhanden gewesen. Schriftliche Zeugnisse der antiken Hautheilkunde liefern Texte der Babylonier, Assyrer, Ägypter sowie biblische Texte. Im 14. Jahrhundert befasste sich der byzantinischen Mediziner Johannes Aktuarios mit dermatologischen Themen. Fortschritte bei Erforschung der Hautkrankheiten im 19. Jahrhundert beruhen insbesondere auf der als Zellularpathologie bezeichneten Lehre Rudolf Virchows. Spezialgebiete der modernen Dermatologie, die 1777 erstmals im Werk De morbis cutaneis des Pariser Arztes Anne Charles Lorry (1726–1783) umfangreich und präzise dargestellt wurde und als deren Begründer der Engländer Robert Willan (1757–1812) und der Österreicher Joseph Jakob Plenck (1735–1807) gelten, umfassen unter anderem Hauttumore (Dermatoonkologie), insbesondere das maligne Melanom, Basalzellkarzinom sowie das Spinozelluläre Karzinom, Erkrankungen der Übergangsschleimhäute und Hautanhangsgebilde (z. B. Trichologie), die Dermatoallergologie, die Dermatochirurgie, Andrologie, physikalische Therapien wie Ultraviolett-Bestrahlung z. B. PUVA, Photodynamische Therapie und Lasertherapie, die Dermatohistologie, die Phlebologie, Venerologie, Proktologie, Psychosomatische Dermatologie und die kosmetische Dermatotherapie. Durch Ferdinand Hebra wurde 1845 die pathologisch-anatomische Erfassung der Dermatologie begründet. Das erste amerikanische Lehrbuch der Dermatologie (Practical treatise on diseases of the skin) verfasste Louis Adolphe Duhring aus Philadelphia 1877. Mit der Venerologie, mit deren Geschichte sich zum Beispiel Ende des 19. Jahrhunderts der Wiener Chirurg Johann Karl Proksch beschäftigte, deckt die Dermatologie bzw. Dermato-Venerologie die sexuell übertragbaren Krankheiten ab inklusive der eigentlichen Geschlechtskrankheiten (Venerea). Im Jahr 1899 fand in Brüssel der erste Internationale Kongress zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten statt. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die dermatologische Therapie durch die Lichtbehandlung (etwa durch Joakim Nikolai Lindholm (1832–1907), Johan Christoffer Svendsen (1865–1899) und Niels Ryberg Finsen) grundlegend erweitert. Auch Röntgenstrahlen kamen zur Anwendung, erstmals durch Leopold Freund, des Weiteren durch Tage Sjögren (1859–1939) und Thor Steinbeck (1864–1914). Weiterbildungscurriculum Die Weiterbildung zum Facharzt dauert 60 Monate. Das Weiterbildungscurriculum zum Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten umfasst nachfolgende Teilgebiete: Allgemeine Dermatologie, operative Chirurgie, Dermato-Onkologie Stationäre Behandlung von Patienten auf dem Gebiet der allgemeinen Dermatologie, der operativen Chirurgie sowie der Dermato-Onkologie: Bösartige Melanome der Haut Mikrographisch, histologisch kontrollierte Exzision und plastische Defektrekonstruktion Sentinel-Lymphknotenbiopsie mit Farbstoff- und Radionuklidmarkierung Lymphknotensonographie Chemo- und Immuntherapie Nicht-Melanozytäre bösartige Hauttumoren Mikrographisch, histologisch kontrollierte Exzision und plastische Defektrekonstruktion Operative Dermatologie Chirurgie gutartiger und bösartiger Hauttumoren Oberflächenchirurgie (Dermabrasion, Shaving, Laser) Feigwarzen (Condylomata acuminata) Plastische und korrektive Chirurgie (z. B. Axillenabsaugung, Liposuktion) Ulcuschirurgie Dermatologische Phlebologie Stripping und Crossektomie der V. saphena magna, parva Endoluminale Varizenchirurgie mit Radiofrequenz Seitenastexhairesen Perforanschirurgie Spalthauttransplantation bei Ulcus cruris Allgemeine Dermatologie, Allergologie, Autoimmundermatosen Stationäre Behandlung von Patienten aus allen Gebieten der allgemeinen Dermatologie, Allergologie sowie Autoimmundermatosen. Schwere allergische und pseudoallergische Reaktionen der Haut und Schleimhaut Arzneimittelallergie Nahrungsmittelallergie Allergische und toxische Kontaktekzeme Akute und chronische Urtikaria Quincke-Ödem, Angioödem Spezifische Immuntherapie unter Herz-, Kreislaufüberwachung Ultra-Rush-Hyposensibilisierung bei Hymenopterenallergie Diagnostische Provokationstestung unter Herz-, Kreislaufüberwachung Unverträglichkeit gegen Medikamente Unverträglichkeit gegen Nahrungsmittel Unverträglichkeit gegen Nahrungsmittelzusatzstoffe Unverträglichkeit gegen sonstige Agenzien Blasenbildende Hautkrankheiten/Autoimmunerkrankungen Progressiv-systemische Sklerodermie Kutaner/Systemischer Lupus erythematodes, Dermatomyositis Pemphigus-, Pemphigoidkrankheiten Vasculitiden Schwerpunkte der allgemeinen Dermatologie: Psoriasis Atopische Dermatitis Infektionserkrankungen, wie Herpes Zoster, Erysipel, Phlegmone Chronische Ulzerationen der Haut, u. a. bei venöser Insuffizienz Graft-versus-Host-Reaktion Untersuchungsverfahren Zur optischen Untersuchung wird gelegentlich die Diaskopie mit Glasspatel zur Beurteilung extravasaler Infiltrate bei Entzündungen verwendet. Ein anderes optisches Verfahren, das häufig u. a. für Hautkrebsvorsorgeuntersuchungen eingesetzt wird, ist die Dermatoskopie bzw. Auflichtmikroskopie zur detaillierteren Untersuchung insbesondere oberflächlicher Neubildungen der Haut. Ein einfacher klinischer Test bei Verdacht auf Mastozytose, Urticaria factitia und Atopie ist die Prüfung des Dermographismus. Infolge etablierter serologischer Verfahren sind die Prüfung des Nikolski-Phänomens und der Tzanck-Test nur noch selten eingesetzte klinische Untersuchungsverfahren. Anzahl der Hautärzte Im Jahre 2010 gab es nach Angaben der Bundesärztekammer 5.314 Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Deutschland. Berufsvertretung Die Deutsche Dermatologische Gesellschaft e. V. (DDG) ist eine wissenschaftliche Fachgesellschaft für Dermatologie in Deutschland. Sie ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Die 1998 gegründete Deutsche Dermatologische Akademie (DDA) ermöglicht und überwacht die qualitätsgesicherte und effektive wissenschaftliche Weiterbildung der Hautärzte. Der Berufsverband der Deutschen Dermatologen e. V. (BVDD) ist der Zusammenschluss der deutschen niedergelassenen Hautärzte zur Vertretung ihrer wirtschaftlichen und sozialpolitischen Interessen. Mit seiner „AG JuDerm“ – Junge Dermatologen hat der BVDD Anfang 2013 eine eigene Interessenvertretung der Studenten und Weiterbildungsassistenten zur Nachwuchsförderung und Unterstützung der niedergelassenen Dermatologen ins Leben gerufen. Siehe auch International Society for Dermatologic Surgery Literatur Aktuelle Leitlinien der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) Peter Altmeyer, Thomas Dirschka, Roland Hartwig: Klinikleitfaden Dermatologie. Urban & Fischer bei Elsevier, 2002, ISBN 3-437-22300-3. Peter Altmeyer, Klaus Hoffmann: Basiswissen Dermatologie – Eine vorlesungsorientierte Darstellung. W3L Verlag, Herdecke/Bochum 2006, ISBN 3-937137-95-5. André Basset, René Burgun: Geschichte der Dermatologie. In: Illustrierte Geschichte der Medizin. Deutsche Bearbeitung von Richard Toellner u. a., Sonderauflage in sechs Bänden, 1986, Band III, S. 1512–1539. Otto Braun-Falco, Gerd Plewig, Helmut H. Wolff: Dermatologie und Venerologie. Springer Verlag, Berlin/Heidelberg 2005, ISBN 3-540-40525-9. Peter Fritsch: Dermatologie und Venerologie. 2. Auflage. Springer Verlag, 2004, ISBN 3-540-00332-0. Beate M. Henz, Helmut Kerl, Thomas Rosenbach: Dermatologie und Venerologie (De Gruyter Lehrbuch). 2. Auflage. De Gruyter, 2007, ISBN 3-11-015123-5. Jean Hewitt, Pierre Huard, Michael Jänner: Dermatologie gestern und heute, mit Abbildungen aus der Zeit von Jean-Louise Alibert (1768–1837). Bad Oldesloe 1979. Günter W. Korting: Praxis der Dermatologie. Ein Lehrbuch für die Aus- und Weiterbildung. Stuttgart 1982. Roland Niedner, Yael Adler: Hautkrankheiten im Blick für die Kitteltasche. Wissenschaftliche Verlagsges., 2004, ISBN 3-8047-2045-5. Albin Proppe: Die geschichtliche Entwicklung der Dermatologie im Spiegel der Universitäts-Hautklinik Kiel (= Schriftenreihe der Nordwestdeutschen Dermatologischen Gesellschaft. Heft 2). Lipsius und Tischer, Kiel 1951.´ Paul Richter: Geschichte der Dermatologie. In: Josef Jadassohn: Handbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten. Band XIV, 2. Teil, Berlin 1928, S. 1–252. Walther Schönfeld: Zur Geschichte der Dermatologie. In: Heinrich Adolf Gottron, W. Schönfeld (Hrsg.): Dermatologie und Venerologie. I, 1. Stuttgart 1961, S. 1–41. Josef Smolle, Frank Mader: Beratungsproblematik Haut. Diagnostik, Therapie und Pflege im Praxisalltag. Springer Verlag, 2002, ISBN 3-540-41706-0. Gustav Wagner: Der Beitrag der Königlich-Hannoverschen Hof- u. Leibärzte zur Entwicklung der Dermatologie im 18. und 19. Jahrhundert (= Schriftenreihe der Nordwestdeutschen Dermatologischen Gesellschaft. Heft 5). Klaus Wolff: Synopsis und Atlas der Klinischen Dermatologie. 1. Auflage (1993), McGraw-Hill, Stuttgart, 2. Auflage (1994), 3. Auflage (1997), McGraw-Hill International (UK), ISBN 3-89028-411-6, ISBN 978-3-89028-411-8. Weblinks DermIS.net umfangreicher Dermatologie-Informationsdienst in Kooperation der Abteilung für Klinische Sozialmedizin (Universität Heidelberg) und der Hautklinik Erlangen (Universität Erlangen-Nürnberg) Helmut Schöfer, Susan Baur-Beger (Hrsg.): Derma-Net-Online 2007. Aktuelle Dermatologie für Dermatologen und dermatologisch Interessierte; jährlich aktualisiertes Online-Lehrbuch Einzelnachweise Medizinisches Fachgebiet
1087
https://de.wikipedia.org/wiki/Dungeons%20%26%20Dragons
Dungeons & Dragons
Dungeons & Dragons (englisch für Verliese und Drachen, kurz D&D oder DnD) von Gary Gygax und Dave Arneson gilt als erstes Pen-&-Paper-Rollenspiel. 1974 wurde D&D in den Vereinigten Staaten erstmals von der dazu gegründeten Firma Tactical Studies Rules erfolgreich vertrieben. Im November 1983 brachte die Fantasy Spiele Verlags-GmbH die erste deutsche Übersetzung auf den Markt. Das Spiel wird nunmehr von der Firma Wizards of the Coast hergestellt und vertrieben. Die deutsche Version, die nicht sämtliche Produkte des Originals umfasst, wurde zunächst von TSR selbst, dann bis zum 1. Juli 2004 von Amigo Spiele und schließlich bis Ende 2008 von Feder & Schwert produziert. Bis September 2021 vertrieb Ulisses Spiele die 5. Edition von Dungeons & Dragons über eine Lizenz von Gale Force Nine in Deutschland. Derzeit kümmert sich Wizards of the Coast selbst um den Vertrieb der 5. Edition von Dungeons & Dragons in Deutschland. Sie kündigten an, viele der bisher nur auf Englisch erschienenen Produkte nun auf Deutsch zu übersetzen. Bisher belief sich dieser Aufwand auf das Spielerhandbuch, Spielleiterhandbuch und Monsterhandbuch, sowie das Basisset. Ab 2022 sollen vierteljährlich neue Übersetzungen in den Sprachen Französisch, Deutsch, Spanisch und Italienisch erscheinen. Eine Weiterentwicklung von D&D stellt das Regelwerk Advanced Dungeons & Dragons (englisch für Fortgeschrittenes Verliese und Drachen, kurz AD&D oder ADnD) dar, welches ebenfalls von Gary Gygax entwickelt wurde und in Komplexität seinen Vorgänger übertraf. Im Jahr 1977 erschien eine erste Edition, eine zweite folgte im Jahr 1989. Die Regelwerke D&D und AD&D existierten jahrzehntelang parallel nebeneinander, wobei letzteres die Urversion zunehmend in den Schatten stellte. Schließlich wurde im Jahr 2000 der Vertrieb von D&D gänzlich eingestellt. AD&D wurde neu überarbeitet und unter dem marktgängigeren Namen D&D Version 3.0 sowie dessen Überarbeitung 3.5 weitergeführt. Im Juni 2008 erschien mit der Version 4.0 eine tiefgreifende Weiterentwicklung des Regelsystems. 2014 erschien die Version 5. Zu Beginn spielte D&D ausschließlich in großen unterirdischen Labyrinthen, den namengebenden Dungeons. Später wurden auch Regeln für Wildnisabenteuer entworfen, die schließlich auf die Einführung neuer Spielwelten hinausliefen. Regelwerk Mit Version 3.0 von D&D wurden die vormals sehr strengen Lizenzbedingungen stark gelockert. Unter der so genannten Open Game License ist das Grundregelwerk frei verfügbar. Dies ermöglichte zahlreichen Herstellern, Zusatzprodukte (Spielwelten, Ergänzungsregeln etc.) zu veröffentlichen, die vollkommen kompatibel zu D&D 3.0 bzw. D&D 3.5 waren. Viele von Wizards of the Coast selbst nicht mehr weitergepflegte Spielwelt-Linien werden nun von anderen Anbietern mit D&D-kompatiblen Neuprodukten weiterversorgt (zum Beispiel Ravenloft und Dragonlance). Solche D&D-kompatiblen Produkte von Fremdherstellern sind meist mit einem d20-Logo gekennzeichnet (d20 = dice 20 = der zwanzigseitige Spielwürfel, der Name des Spielsystems der D&D-Spiele). Einige dieser Produkte werden auch in deutscher Version vertrieben. Das Grundregelwerk besteht aus Spielerhandbuch (Player’s Handbook), Spielleiterhandbuch (Dungeon Master’s Guide) und Monsterhandbuch (Monster Manual). Gelegentlich wird Dungeons & Dragons nachgesagt, es handle sich um ein reines Hack-&-Slay-Spielsystem. Und tatsächlich sind die Abläufe während eines Kampfes sehr detailliert ausgearbeitet. Andererseits bietet das Regelwerk dem unerfahrenen Spielleiter praktisch für alles eine per Würfel nutzbare Zufallstabelle. So kann vom Wetter über Häufigkeit und Stärke von Zufallsbegegnungen bis zur Beschaffenheit der Tür vor den Spielern alles per Zufall bestimmt werden. Der Spielleiter muss sich praktisch „nur“ über die Handlung Gedanken machen. Dies bietet gerade Einsteigern viel Unterstützung. Nutzt man diese Tabellen aber zu intensiv, wird das Spiel in der Tat sehr schnell zu einem Hack-and-Slay-Erlebnis. Spieler können zwischen verschiedenen Völkern (im Grundspiel Mensch, Halbelf, Elf, Halbork, Zwerg, Halbling und Gnom) und Charakterklassen (Kämpfer, Magier, Schurke, Kleriker, Waldläufer, Mönch, Zauberer, Hexenmeister, Barbar, Druide, Barde und Paladin) wählen. Unterschiedliche Fertigkeiten und Talente sowie im fortgeschrittenen Spiel eine weitere Klassenspezialisierung (so genannte Prestigeklassen) erlauben es, Spielercharaktere ganz nach eigenem Geschmack auszugestalten. Des Weiteren besitzen alle Charaktere eine Gesinnung in einer Kombination der Ausrichtungen rechtschaffen, neutral und chaotisch und gut, neutral, böse. Hier ist anzumerken, dass diese Gesinnungen bei D&D nicht nur philosophische Wertvorstellungen sind, sondern in den meisten Welten auch von Göttern und Urkräften vertreten werden. Zum Beispiel existiert in den Vergessenen Reichen ein Gleichgewicht zwischen den guten und bösen Göttern, das von Ao, dem „Übergott“, aufrechterhalten wird. Charaktere beginnen das Spiel für gewöhnlich auf der ersten Stufe (Level) und steigen mit der Zeit durch Ansammlung von Erfahrungspunkten auf, wodurch ihre Macht extrem stark zunimmt. Im Grundregelwerk sind 20 Stufen vorgesehen, es gibt weiterhin eine Erweiterung für „epische“ Charaktere jenseits der 20. Stufe, die hierdurch nahezu gottgleiche Eigenschaften erhalten. Die Spielercharaktere müssen nicht in einer vorgegebenen Fantasy-Spielwelt gespielt werden: neben vom Spielleiter selbst erschaffenen Spielwelten wurden von den D&D-Herstellern zahlreiche sehr detaillierte Spielwelten veröffentlicht. Seit Juni 2008 ist die Version 4.0 des Dungeons & Dragons Regelwerkes erhältlich, das sich in vielen Punkten von der Version 3.0 unterscheidet. Zum Beispiel wurde der Levelbereich auf 30 Stufen erweitert. Die gravierendste Änderung jedoch betrifft bestimmte Fertigkeiten. Diese werden klassifiziert als At-Will-, Encounter-, Daily- oder Utilityfertigkeiten. Über diesen Mechanismus werden nun die Zauber realisiert, aber auch spezielle Angriffe für Kämpfer und so weiter. In der 2014 erschienenen fünften Edition wurden viele dieser Änderungen jedoch wieder rückgängig gemacht: das Höchstlevel liegt nun wieder bei 20 und die Zauber werden über das ältere Zauberslot-System abgehandelt. Die bis Edition 3.5 verwendeten Prestigeklassen wurden jedoch nicht wieder hergestellt, sondern durch andere Mechaniken ersetzt. Mechanik Generell fallen für alle wahrscheinlichkeitsabhängigen Handlungen zur Feststellung des Erfolgs „Würfe“ an, die ausschließlich mit einem d20 gewürfelt werden. Dies sind z. B. Angriffswürfe, Rettungswürfe (gegen Zauber und andere schädliche Effekte), und Fertigkeitsproben. Das Würfelergebnis kann noch durch Modifikatoren (Boni und Mali) erhöht oder verringert werden. Diese ergeben sich u. a. aus Eigenschaften und Fertigkeiten des Charakters sowie den äußeren Umständen; oft fallen mehrere Modifikatoren gleichzeitig an. Von besonderer Wichtigkeit sind in D&D „Buffs“, womit Zaubersprüche gemeint sind, die die Werte eines Charakters kurzzeitig verbessern. Das Gesamtergebnis aus Wurf und Modifikatoren wird mit einem situationsabhängigen Zielwert (Schwierigkeitsgrad, SG) verglichen, der mindestens erreicht werden muss. Während der Angriffsbonus kontinuierlich über die Level steigt, ändert sich der für die Verteidigung relevante Wert, die Rüstungsklasse (engl. Armour Class) prinzipiell nicht. Lediglich die Wahl bestimmter Charakterklassen sowie Steigerung bestimmter Attribute kann inhärente Rüstungsklassenboni mit sich bringen, die aber meistens eher gering ausfallen. Zum Ausgleich benötigen die Charaktere magische Gegenstände wie Rüstungen, Amulette und dergleichen, die die Rüstungsklasse über das weltliche Maß hinaus anheben. Diese Eigenart ist typisch für D&D und tritt bei kaum einem anderen Rollenspiel auf. Damit geht natürlich eine extrem starke Abhängigkeit von magischen Gegenständen einher. Diese Besonderheit sorgt andererseits dafür, dass Kämpfe auch in höheren Levels nicht zur abendfüllenden Beschäftigung werden. Denn auch die Monster haben (in der Regel) nur eine Rüstungsklasse und einen Angriffsbonus im Bereich der Spielercharaktere. Der stetig ansteigende Angriffsbonus führt damit auch in anderer Richtung zu mehr Treffern. Auf der anderen Seite werden auch die Trefferpunkte für die Spielercharaktere mit jeder Stufe erhöht, ebenso wie stärkere Monster auch mehr Trefferpunkte haben. Insgesamt führen der höhere Angriffsbonus und das Mehr an Trefferpunkten auch auf höheren Stufen so zu einem gleichmäßigen Spielablauf, wo sich in anderen Systemen Kämpfe auf hohen Stufen tatsächlich über Stunden ziehen können. Völker In D&D-Spielen können die Spieler, von der verwendeten Kampagnenwelt abhängig, unter einer Vielzahl von Völkern wählen. Grundsätzlich teilt das Regelwerk diese in vom Spieler spielbare und nicht spielbare ein, doch kann der jeweilige Spielleiter diese Begrenzungen auch aufheben. Bei AD&D konnte man zwischen Humanoiden (Menschen), Zwergen, Elfen, Gnomen und Halblingen wählen, deren Hintergrund dann auch in Spielhilfen erläutert wurde. Die Völker aus dem Standard-Regelwerk 3.5 umfassen Menschen, Elfen, Halbelfen, Gnome, Halblinge, Zwerge und Halborks. In der 4. Edition sind Gnome und Halborks keine spielbaren Völker im Standard-Regelwerk mehr, dafür kommen Tieflinge, Eladrin (feenartige Ur-Elfen) und Drachengeborene hinzu. In der 5. Edition gibt es als spielbare Völker Elfen, Halblinge, Menschen, Zwerge, Drachenblütige, Gnome, Halbelfen, Halborks und Tieflinge. Zu den Völkern der Elfen, Zwergen und Halblinge gibt es jeweils noch Volksunterarten wie z. B. Hochelfen, Waldelfen und Drow für die Elfen. In den Monsterhandbüchern und anderen Regelerweiterungen sind in beiden Editionen weitere spielbare Völker beschrieben, die der Spielleiter in seinem Spiel zulassen kann oder auch nicht. Monster In den Veröffentlichungen finden sich passende Beschreibungen und Statistik-Blöcke zu praktisch allen Kreaturen aus Mythologien der ganzen Welt; von denen viele nur vom Namen her an die Vorbilder angelehnt, andere vollkommen neu erdacht sind. Im Juli 2006 erschien das fünfte Buch, das sich ausschließlich mit neuen Kreaturen auseinandersetzt. Jeder Band umfasst etwa 300 Seiten. In Dungeons & Dragons sind Drachen riesige geflügelte Reptilien. Geflügelte Drachen können fliegen, und die meisten Drachenarten sind intelligenter als Menschen. Außerdem besitzt jede Drachenart einen speziellen Odem. Dungeons & Dragons unterteilt Drachen in die Gruppe der chromatischen, bösen Drachen und in die Gruppe der metallischen, guten Drachen. Weiterhin ist jede Drachenart einem der fünf Elemente zugeordnet (Kälte, Feuer, Erde, Wasser und Luft). Diesen zehn ursprünglichen Drachenarten wurden über die Jahre noch viele weitere Drachenarten hinzugefügt. Aufgrund ihrer magischen Natur können sich Drachen mit nahezu jedem anderen Wesen paaren, daher existieren auch viele Halbdrachen. Der Beholder, auch Betrachter oder Augentyrann genannt, ist ein bekanntes Monster aus der AD&D-Welt. Er ist kugelförmig, schwebt in der Luft und ist mit einem großen, zahnbewehrten Mund und einem großen Hauptauge ausgestattet. Dieses Hauptauge dient als magischer Schutzschild, da es in einem kegelförmigen Bereich vor sich Magie außer Kraft setzt. Typische magische Angriffe wie Feuerball und dergleichen haben daher gegen einen Beholder keinerlei Wirkung, wenn sie von vorne gewirkt werden, auch magische Gegenstände versagen. Außerdem besitzt das Wesen zehn kleinere Augen, die an beweglichen Stielen oben am Körper befestigt und für unterschiedliche magische Angriffsformen zuständig sind. Die Kreatur lebt in unterirdischen Gewölben und Höhlen und tritt für gewöhnlich als Einzelgänger auf. Sie versteht sich selbst als das schönste aller Geschöpfe und hasst alles andere – einschließlich anderer Beholder. Der Beholder stellt selbst für eine erfahrene Abenteuergruppe eine große Gefahr dar, da er neben seinem magie-auflösenden Schutzschild auch über eine Vielzahl von simultan ausführbaren Angriffen verfügt, von denen einige tödliche Wirkung besitzen. Es gibt mehrere Varianten, z. B. untote Betrachter. Als Erfinder des Monsters wird Terry Kuntz genannt. Weitere wichtige Monster, die, wie der Beholder, als Aushängeschild des Unternehmens gelten und nicht unter der Open Game License stehen, sind: Gedankenschinder (Mind Flayer), Gauth, Aaskriecher, Versetzerbiest, Githyanki, Githzerai, Kuo-Toa, Slaad, Erdkoloss und Yuan-Ti. Spielwelten Über die Jahre wurden zahlreiche Spielwelten veröffentlicht, die eine unterschiedliche Art von Rollenspiel ermöglichen. Greyhawk Die Original-Kampagne von Gary Gygax spielt auf der Welt Oerde (engl.: Oerth) und startete schon vor der ersten Veröffentlichung der D&D-Regeln. Diese wurde mit dem Erscheinen der ersten Auflagen von Advanced Dungeons & Dragons 1980 zur Standardhintergrund-Welt dieses Regelwerks, geriet allerdings ab Mitte der 1990er ein wenig in Vergessenheit. Greyhawk besitzt eine besonders treue Anhängerschaft, was sicherlich auch daran liegt, dass einige der bekanntesten Abenteuer-Klassiker der goldenen D&D-Frühperiode in Greyhawk spielen. Die Original-Kampagne nannte sich World of Greyhawk (WoG) und beschrieb nur einen kleinen Teil der Welt. Diese wurde nur mit einer bestimmten Detailtiefe beschrieben, um Spielleitern zu ermöglichen, Anpassungen an ihre eigene Kampagne vorzunehmen und weitere Kampagnen auf dieser Welt zu starten, die ein anderes Flair haben konnten (wie zum Beispiel fernöstliche Abenteuer). Ursprünglich waren einige der heute anderen Welten zugerechneten Dinge und Kampagnen für die Greyhawk-Kampagne entwickelt worden oder auch mit ihr verbunden, so zum Beispiel für Ravenloft, Spelljammer, Planescape oder Oriental Adventures. Mit Erscheinen der dritten Auflage im Jahr 2000 wurde Greyhawk wieder zur Standardspielwelt von D&D, das heißt, dass mit dem Grundregelwerk erstellte Spielercharaktere sofort in Greyhawk einsetzbar sind – andere Spielwelten weisen oft so genannte Kampagnenbände mit zusätzlichen Regeln auf, die bei der Erstellung von spielweltgeeigneten Charakteren zu berücksichtigen sind. In einem weiteren Schritt wurde Greyhawk an die RPGA (kurz für Role Playing Gamers’ Association Network) übergeben, und diese startete damit die Living-Greyhawk-Kampagne. Auf Rollenspielturnieren, Spielemessen oder im privaten Kreis können seitdem neue Abenteuer in Greyhawk erlebt werden. Da die Ergebnisse der Abenteuer von RPGA-Spielern zentral ausgewertet werden, kann ein RPGA-Mitglied weltweit mit seinem Charakter immer neue Abenteuer erleben. In der fünften Edition wurde bisher eine Veröffentlichung primär mit der Greyhawk-Welt verknüpft. Forgotten Realms Die Vergessenen Reiche (Forgotten Realms) sind eine der bedeutendsten D&D-Welten und besitzen zurzeit die meisten Anhänger. Diverse PC-Spiele, wie Neverwinter Nights und Baldur’s Gate, handeln in dieser Welt. Zusätzliche Bekanntheit hat sie durch die Romanreihe Die Saga vom Dunkelelf von R. A. Salvatore erlangt. Mit dem Erscheinen der fünften Edition von Dungeons & Dragons im Jahr 2014 wurde Greyhawk als Standardwelt durch die Vergessenen Reiche abgelöst. Dragonlance Die Spielwelt der Drachenlanze (im Original Dragonlance) entstand zusammen mit der Romanserie von Margaret Weis und Tracy Hickman, die Anfang der 1980er auf den Bestsellerlisten der New York Times zu finden war. Dragonlance ist epische Fantasy, das heißt die Spieler sind Helden, von deren Erfolg das Schicksal der ganzen Welt Krynn abhängt. Eine besondere, zentrale Rolle spielen Drachen, die übermächtige Wesen darstellen und in grauer Vorzeit nur mithilfe der namensgebenden Drachenlanzen besiegt werden konnten. Die Gesinnungen (gut, neutral oder böse) spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, da in dieser Welt sehr klar umrissene Fraktionen in einem ständigen Streit um die Vorherrschaft sind: an ihrer Spitze die jeweiligen guten, neutralen und bösen Götterpantheone Krynns. Seit der Erstveröffentlichung der Spielwelt in den 1980er Jahren fanden einige welterschütternde Ereignisse statt, so dass inzwischen nach dem Krieg der Drachenlanze das Zeitalter der Sterblichen (Age of Mortals) eingetreten ist. Von Wizards of the Coast ist der Kampagnenstartband erschienen, ein Monsterbestiarum und Zusatzbände für das Age of Mortals sowie den Krieg der Drachenlanze wurden von Sovereign Press veröffentlicht. Die aus den Romanen bekannten Hauptcharaktere sind Tanis Halb-Elf (Half-Elven), Raistlin Majere, Caramon Majere, Tika Waylan, Tolpan Barfuß (Tasselhoff Burrfoot), Flint Feuerschmied (Fireforge), Sturm Feuerklinge (Brightblade), Flusswind (Riverwind), Goldmond (Goldmoon), Laurana (Lauralanthalasa), Gilthanas, Lord Soth und Kitiara. Beschriebene Orte sind Solace, Neraka, Treibgut und Tarsis. Ravenloft Ravenloft (zu deutsch: Rabenhorst) ist eine Dark-Fantasy- und Horror-Spielwelt. Sie beinhaltet verschiedene Länder (Domains) mit unterschiedlichen Kulturstufen, von der Steinzeit bis zur Renaissance. Die Spielwelt ist Grundlage für eine Reihe von Romanen, insbesondere P. N. Elrods I, Strahd: The Memoirs of a Vampire. Sie entstand zur Zeit von AD&D und wurde 2001 von Sword & Sorcery für D&D 3 und 3.5 neu aufgelegt. Sword & Sorcery hat jedoch inzwischen die Lizenz an Wizards of the Coast zurückgegeben. Eine intensive Weiterführung der Welt ist unwahrscheinlich, wenn sich kein neuer Lizenznehmer findet, auch wenn ein einzelnes Ravenloft-Abenteuer durch Wizards of the Coast veröffentlicht wurde, welches aber nicht in der Kontinuität der vorherigen Spielwelt steht. Die Besonderheit an Ravenloft ist, dass die Welt von Ravenloft quasi ein Eigenleben führt bzw. einen eigenen Willen besitzt, kollektiv bezeichnet als die Nebel von Ravenloft oder Die Dunklen Mächte. Ravenloft sucht sich aus allen AD&D-Welten die interessantesten Bösewichter heraus, stellt ihnen ein Reich/Domäne zur Verfügung, gibt ihnen fast gottähnliche Macht und konfrontiert sie auf ewig mit ihrer eigenen Nemesis; gleichwohl können sie diese Domäne auch niemals wieder verlassen. Doch allein böse zu sein reicht meist nicht, denn oft müssen große Gefühle, Wünsche und Dramen im Hintergrund abgelaufen sein, damit Ravenloft jemanden für „würdig“ hält, ihm eine Domäne anzubieten. Eine weitere Eigenart von Ravenloft ist es, dass es versucht, gute Charaktere nach und nach von dem Bösen zu überzeugen. Durch Träume, Angebote, Schicksalsschläge und weitere Manipulationen sollen sie von der anderen Seite überzeugt werden. Nach und nach sollen sie Fähigkeiten erhalten, und am Ende schließlich eine eigene Domäne – sofern sie dann eine entsprechend schreckliche Tat (oder mehrere) vollbracht haben. Im Jahr 2021 erschien mit Van Richten´s Guide to Ravenloft ein Settingband für die 5. Edition von Dungeons & Dragons auf Englisch. Birthright Die Kampagne Birthright (Rich Baker und Colin McComb) handelt von der Spielwelt Cerilia, in der die Spieler die Rolle von mächtigen Herrschern übernehmen. Die Kampagne erschien 1995 und beinhaltete ein Regelsystem für ein politisches Rollenspiel. Die Spieler sind Inhaber einer Blutlinie, wodurch sie das Geburtsrecht (Birthright) zum Herrschen eines Königreichs oder Leiten einer überregionalen Gilde oder Kirche erhalten. Es wurde 1995 mit einem Origins Award für die beste Rollenspielerweiterung ausgezeichnet. Ein zusätzliches Regelwerk ergänzt die AD&D-Standardregeln um Regeln, die den Haushalt eines Königreichs betreffen, Diplomatie oder Sabotage regeln oder militärische Auseinandersetzungen auf hoher Abstraktionsebene ermöglichen. Die Landkarte von Cerilia ist dafür in hunderte kleine politische Einheiten aufgeteilt und jede mit Spielstatistiken versehen. Ende der 1990er wurde die Serie eingestellt, da die Nachfrage an klassischen Rollenspielen nach dem Aufkommen von Fantasy-Sammelkartenspielen stark nachgelassen hatte und TSR sich auf die ertragreichsten Spielwelten konzentrieren wollte. Zu dieser Spielwelt erschien das PC-Spiel Birthright: The Gorgon’s Alliance. Eberron Die Spielwelt Eberron basiert auf einem Kampagnen-Konzept von Keith Baker, der bei einem Wettbewerb bei Wizards of the Coast aus über 11.000 Einsendungen ausgewählt wurde. Durch verschiedene neue Elemente wie beispielsweise der Spielerrasse Kriegsgeschmiedete, einem insgesamt hohen technologischen Fortschritt der arkanen Künste und den Drachenmalhäusern ist die Spielwelt mit ihren Möglichkeiten eine sehr moderne Welt mit vielen Möglichkeiten für politische oder auch wirtschaftliche Kampagnenhintergründe. Diese Spielwelt wird unter anderem in dem Computerspiel Dungeons & Dragons Online verwendet. Eberron ist eine der drei Welten, für die Hintergrundwissen in eigenen Bänden veröffentlicht wurde. Dark Sun In den 1990ern kam der Wunsch nach einem nicht klassischen Fantasy-Setting auf. Das Ergebnis war Dark Sun (dt. Unter der dunklen Sonne), eine der härtesten Spielwelten, die bis dato erschienen sind: Diese Spielwelt unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von den übrigen Spielwelten, da sie episches Rollenspiel so gut wie nicht vorsieht. Dark Sun spielt auf Athas, einer Welt, die durch die Benutzung von Magie zur Wüste geworden ist. Grausame Hexerkönige haben die Macht seit Jahrtausenden an sich gerissen und regieren mit eiserner Hand. Abenteuer auf Athas drehen sich häufig um das nackte Überleben. Der Reiz der Welt liegt in ihrer Fremdartigkeit und Brutalität. Die gewohnten Spielerrassen sind stark verändert, auch gibt es neue Rassen: Mule, eine Kreuzung aus Mensch und Zwerg; Halbriesen, eine magische Rasse aus Riesen und Menschen, und Thri-Kreen, halbhumanoide Gottesanbeterinnen (welche auch aus den Vergessenen Reichen bekannt sind). Die bekannten Rassen Mensch, Elf und Halbling sind so stark verändert, dass sie nur noch den Namen gemein haben; Gnome gibt es auf Athas nicht. Des Weiteren ist das Magiesystem stark verändert und mit den Psi-Kräften vereinigt worden. Sämtliche magische Fähigkeiten richten außerdem, unabhängig von ihrem Effekt, schwere Schäden an der Umwelt an, was ihre Benutzung einschränkt. Diese Spielwelt ist allerdings nur etwas für erfahrene Spielleiter und Gruppen. Da die Spieler sehr früh sehr mächtig sind, muss der Spielleiter einiges an Fantasie aufwenden, um das Spiel interessant zu halten – vorausgesetzt, die Charaktere überleben lange genug, da Athas zudem von vornherein als eine extrem tödliche Spielwelt ausgelegt ist und die (A)D&D-typischen Methoden zur Wiederbelebung gefallener Gefährten weniger zuverlässig bzw. verfügbar sind. Im Sommer 2010 sind das Kampagnenset und weitere Veröffentlichungen erschienen, so dass Dark Sun eine der offiziellen Kampagnenwelten der 4. Edition wurde. Für Dark-Sun-Computerspiele, siehe auch Dark Sun: Shattered Lands, Dark Sun: Wake of the Ravager, Dark Sun Online: Crimson Sands. Planescape Bereits das von Gary Gygax erfundene Ur-D&D versuchte, rund um die (damals noch einzige) Spielwelt eine eigene Kosmologie zu erfinden. Das Ergebnis war das so genannte Multiversum, die Gesamtheit der möglichen Existenzebenen, die parallel zur Spielwelt (der so genannten Hauptebene) existieren und von denen aus Götter, Dämonen und Elementarherrscher ihren Einfluss auf die Welt der Menschen ausüben. Anfang der 1990er entstand daraus für die zweite Auflage von (A)D&D eine ganz eigene Spielwelt, die die existierenden Kampagnen nicht ersetzte, sondern in den größeren Zusammenhang des Multiversums einordnete: Planescape. Alle Ebenen des Multiversums – von der Hölle über Arborea (die Welt der olympischen Götter) bis hin zum Elysium – kreisen in einem Ring um die Außenländer, die Welt der Neutralität. In deren Zentrum: Sigil, die Stadt der Tore, die von keinem Gott betreten werden kann – denn dort regiert die „Dame der Schmerzen“, eine Wesenheit von großer Macht und unbekannten Absichten. Hier gehört es zum Alltag, dass man auf der Straße mit einem Dämon zusammenrempelt, von einem Teufel auf ein Würfelspiel eingeladen wird oder sich in angeregter Unterhaltung mit einem Elementarwesen wiederfindet. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt – denn alles, was auf den Existenzebenen kreucht und fleucht, sammelt sich in Sigil. Die Planescape-Kampagnenwelt wurde vom Hersteller für das D&D 3-Regelwerk offiziell eingestellt, lediglich das „Manual of the Planes“ bietet eine kurze Zusammenfassung über das „Multiversum“ nach D&D 3-Regeln. Allerdings bemüht sich mit „Planewalker“ (s. Links weiter unten) eine aktive Community um das Fortbestehen der Kampagne und ihre Anpassung an die D&D 3-Regeln. Auch das Hausmagazin Dragon greift bisweilen Details aus dem Setting auf und passt sie den aktuellen Regeln an: Dragon 287, 315 und 339 aktualisieren die Factions, 351 die Gatetown Ecstasy usw. Die für dieses System veröffentlichten Quellenbücher waren meist nur in englischer Sprache erhältlich, auch wenn einige wenige der regeltechnisch „AD&D“ zugeordneten Bücher auch auf Deutsch erschienen sind. Planescape spielt also in einer äußerst komplexen und vielschichtigen Welt voller offensichtlich philosophischer Aspekte, erfreut sich allerdings trotz oder gerade wegen seines hohen Schwierigkeitsgrades und der nicht gerade für Rollenspielanfänger geeigneten Spielwelt bei etwas älteren und erfahreneren Spielern einer dauerhaften Beliebtheit. Das PC-Rollenspiel Planescape: Torment basiert gleichfalls auf dieser Spielwelt. Ravnica Ravnica ist eine beliebte Welt des Kartenspiels Magic: The Gathering, welches auch von den Wizards of the Coast vertrieben wird. Es ist die zweite Welt, die in der fünften Edition unterstützt wurde. Weitere Spielwelten Seit der Erfindung von D&D in den 1970er Jahren wurden zahlreiche weitere Spielwelten geschaffen, die nicht alle bis heute fortentwickelt wurden: Die in der zweiten Auflage von (A)D&D vorgestellten Erweiterungsregionen der Vergessenen Reiche: Maztica (angelehnt an die mittel- und südamerikanischen Reiche der Inkas und Azteken) Kara-Tur (fernöstlich) Al-Qadim (arabisch) The Horde (mongolisch) Arcane Age (Die gleiche Gegend wie die Vergessenen Reiche, nur ein paar tausend Jahre früher) Spelljammer: Eine der ersten Möglichkeiten zum Weltenwechsel, wobei mit magiebetriebenen Schiffen (den Spelljammern) zwischen Planeten gereist werden konnte, insbesondere zwischen den Vergessenen Reichen, Greyhawk und Drachenlanze. Mystara (Die AD&D-Umsetzung der alten Spielwelt von D&D) Hohlwelt (Die Welt von Mystara ist hohl und es gibt auch im Innern Bewohner. Diese Erweiterungen gab es nur für D&D.) Red Steel Lankhmar (Die Stadt ist eine Erfindung des Autors Fritz Leiber und wurde von TSR lizenziert.) Council of Wyrms (Eine Region namens Io’s Blood Iles, die von Drachen beherrscht wird.) Ghostwalk (Im Zentrum des Settings steht die ‚City of Manifest‘, die am Zugang zur Unterwelt, dem Land der Toten, liegt. In Manifest pflegen Lebende und Tote einen alltäglichen Umgang.) Rokugan (fernöstlich, das Land wurde entwickelt für Legend of the 5 Rings und ist enthalten in der D&D 3 Version der Oriental Adventures) D20 Modern (Hierzu gibt es einige Settings, doch von größtem Interesse dürft das „Urban Arcana“ Setting sein; dort sickern in den modernen Alltag immer mehr Schattenwesen ein. Schattenwesen sind vielfach aus den D&D Werken bekannt: Elfen, Zwerge etc., aber auch Drow, Tieflinge und Yuan-Ti.) D20 Cthulhu (D20 Umsetzung des Cthulhu-Mythos von Lovecraft) In verschiedenen Ausgaben des Dragon-Magazins werden bestehende literarische Fantasy-Welten für D&D adaptiert (Dragon 286: Terry Brooks’ „Shannara“; Dragon 307: George R. R. Martins „Westeros“; Dragon 352: China Miévilles „Bas-Lag“). Geschichte Dungeons & Dragons 1 Gary Gygax, ein Amerikaner schweizerischer Abstammung, gründete 1965 in Lake Geneva (Wisconsin) einen Club namens Tactical Studies Association, der sich mit Konfliktsimulationsspielen beschäftigte. 1970 entwickelte Dave Wesely aus einem KoSim zur Ausbildung amerikanischer Offiziere die Idee des strategischen Rollenspiels, das sich nach seiner Version Braunstein nannte. Dave Arneson entwickelte 1971 den mittelalterlichen Hintergrund Blackmoor zu dem Spiel Twin City Wargame von Dave Wesely. Er ging dazu über, Karten der gewaltigen unterirdischen Labyrinthe, die sich unter dem Schloss von Blackmoor befinden, als Spielpläne zu zeichnen. Auf diese Weise entstanden die ersten Dungeons (Verliese). 1972 schrieb Gary Gygax das erste mittelalterliche Regelwerk Chainmail für Tabletop-Spiele, übernommen aus Dave Arnesons Blackmoor-Hintergrund. Eine überarbeitete Version von Chainmail wurde 1974 in dem nur für diesen Zweck von Gary Gygax gegründeten Verlag Tactical Studies Rules (TSR) unter dem Namen Dungeons & Dragons (D&D) veröffentlicht. 1975 fiel Gygax eine kleine britische Zeitschrift namens Owl and Weasel in die Hände und er nahm mit den Herausgebern Kontakt auf. Er schickte ihnen eine Version seines Spiels und zwei der britischen Autoren (Ian Livingstone und Steve Jackson) waren sofort begeistert. Sie begannen, D&D in England mit ihrer neu gegründeten Firma Games Workshop mit großem Erfolg zu verkaufen. Im November 1983 brachte die Fantasy Spiele Verlags-GmbH die erste deutsche Übersetzung von D&D unter dem gleichnamigen Titel auf den Markt. Advanced Dungeons & Dragons Inzwischen hatte TSR D&D überarbeitet und erstellte 1980 das Fantasy-Rollenspiel Advanced Dungeons & Dragons (AD&D). AD&D war ursprünglich als ein Regelwerk für fortgeschrittene Spieler von D&D gedacht. Da der Zuspruch zu AD&D jedoch sehr groß war, erschienen bald die ersten Quellenbücher exklusiv für AD&D und auch die ersten kompletten Spielwelten wurden für AD&D entwickelt. Eine Zeit lang trat D&D klar hinter den Verkaufszahlen von AD&D zurück, weshalb der Hersteller TSR D&D immer mehr vernachlässigte. Dungeons & Dragons 3 Wizards of the Coast erwarb 1997 TSR, die Herstellerfirma von AD&D. Da der Markenname Dungeons & Dragons jedoch weit bekannter war als die Wortschöpfung AD&D, entschloss sich Wizards of the Coast nach der Übernahme, die Neuauflage des Spiels unter dem Titel Dungeons & Dragons (3rd edition) (D&D 3.0) zu veröffentlichen. Dungeons & Dragons 3.5 Eine nach zahlreichem Feedback aus der Rollenspielgemeinde leicht überarbeitete Fassung des Spiels erschien 2003 als Dungeons & Dragons 3.5, um zu dokumentieren, dass es sich lediglich um eine optimierte Fassung des sehr erfolgreichen D&D 3.0 handelt. Die Amigo Spiel + Freizeit GmbH übernahm 1999 die Lizenz und den Vertrieb von TSR-Produkten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Amigo veröffentlichte dort 2001 unter Lizenz die Neuauflage von D&D. Zum 1. Juli 2004 ging die Lizenz mit Erscheinen der deutschsprachigen Version von Dungeons & Dragons 3.5 an Feder & Schwert über. Basierend auf dem Regelwerk von Dungeons & Dragons 3.5 wurde das Pen and Paper Rollenspiel Pathfinder entwickelt. Dungeons & Dragons 4 Im August 2007 kündigte Wizards of the Coast die vierte Edition des Rollenspiels an. Anfang Juli 2008 begann die Auslieferung der ersten Regelbücher. Mittlerweile sind sowohl das Spielerhandbuch, das Monsterhandbuch als auch das Spielleiterhandbuch für die vierte Edition auf Deutsch erschienen (das Spiel ist mit den drei Grundbüchern Spielerhandbuch, Monsterhandbuch und Spielleiterhandbuch vollständig spielbar). Allerdings hat der deutsche Verlag Feder und Schwert die Übersetzungen zum 1. Januar 2009 eingestellt, da es nicht zu einer Einigung mit Hasbro über eine Verlängerung der Lizenz kam. Das Monsterhandbuch ist das letzte von Feder und Schwert realisierte deutsche D&D Buch der vierten Edition und Hasbro ist es nicht gelungen, einen neuen Lizenzpartner für die vierte Edition von Dungeons & Dragons in Deutschland zu finden. Dungeons & Dragons 5 Am 9. Januar 2012 kündigte Wizards of the Coast die fünfte Edition von Dungeons & Dragons an, in der erstmals auch die Spieler in die Konzeption einbezogen werden. Am 19. August 2014 wurde das Player’s Handbook veröffentlicht, es folgte die fünfte Version von Monster Manual am 30. September 2014, am 9. Dezember 2014 wurde schließlich das Dungeon Master’s Guide veröffentlicht. Eine deutsche Übersetzung des Spielerhandbuchs ist am 13. April 2017 erschienen. Die Lizenz für die deutsche Übersetzung erhielt Gale Force Nine, die auch die Lizenz für andere Sprachen haben, ins Deutsche wurde das Spielerhandbuch von Ulisses Spiele übersetzt. Wie Wizards of the Coast am 10. Juni 2021 im Unternehmensblog bekanntgab, wird sich das Unternehmen in Zukunft selbst um die Vermarktung der Marke Dungeons & Dragons auf dem internationalen Markt kümmern, darunter Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Hierdurch entfällt der Vertriebsweg über den Lizenznehmer Gale Force Nine sowie Ulisses Spiele als Übersetzer. Am 8. Oktober 2021 erschienen die drei Grundregelbücher - das Spielerhandbuch, das Monster Manual und der Dungeons Masters Guide sowie das Basisset u. a. auf deutsch direkt von Wizards of the Coast. Übrige – teilweise bereits Jahre auf dem deutschen Markt verfügbare – Erweiterungsbände sind u. U. nicht mehr erwerblich, da Wizards of the Coast nicht den gesamten Katalog an bisher erschienenen, z. T. auch bereits übersetzten, Büchern veröffentlicht hat (etwa Xanathars Ratgeber für Alles). Spielbücher: D&D – Abenteuer ohne Ende 1983 erschienen bei TSR eine Serie von Abenteuer-Spielbüchern für einzelne Leser, die 1984 bis 1985 im Deutschen durch den Bertelsmann-Verlag veröffentlicht wurden. Die Bücher sind einfach gehalten, es wird kein Protokoll für Notizen benötigt und es gibt auch keine direkten Kämpfe. 01 Der Kampf der Zwerge, Bertelsmann-Verlag, 1984, ISBN 3-570-08301-2. 02 Die Rache der Regenbogendrachen, Bertelsmann-Verlag, 1984, ISBN 3-570-08302-0 03 Die Säulen von Pentegarn, Bertelsmann-Verlag, 1984, ISBN 3-570-08303-9. 04 Der Berg der Spiegel, Bertelsmann-Verlag, 1984, ISBN 3-570-08304-7. 05 Der Fluch des Winterzauberers, Bertelsmann-Verlag, 1984, ISBN 3-570-08305-5. 06 Die Burg des schwarzen Drachen, Bertelsmann-Verlag, 1984, ISBN 3-570-08306-3. 07 Das Schloss des Wahnsinns, Bertelsmann-Verlag, 1984, ISBN 3-570-08307-1. 08 Die Höhle des Ungeheuers, Bertelsmann-Verlag, 1984, ISBN 3-570-08308-X. 09 Das singende Amulett, Bertelsmann-Verlag, 1985, ISBN 3-570-08309-8. 10 Die Welt von Greyhawk, Bertelsmann-Verlag, 1985, ISBN 3-570-08310-1. Verfilmungen Mazes and Monsters (engl. maze „Labyrinth, Irrgarten“), der Originaltitel des Spielfilms Labyrinth der Monster von 1982, ist eine direkte Anspielung auf das Pen-&-Paper-Rollenspiel Dungeons and Dragons. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Rona Jaffe. Thematisiert werden unter Bezugnahme auf den Fall James Dallas Egbert III unter anderem LARP-Aspekte von D&D sowie Gefahren des Realitätsverlusts und Eskapismus. In einer Reihe seither publizierter Forschungsarbeiten wurden keine gefährdenden Auswirkungen des Spielens D&D festgestellt. Labyrinth der Monster ist einer der ersten Filme mit dem später berühmt gewordenen Schauspieler Tom Hanks, der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 26 Jahre alt war. Im Jahr 1983 wurde auf Grundlage des Spiels die Zeichentrickserie Dungeons and Dragons – Im Land der fantastischen Drachen produziert. Die Serie umfasst drei Staffeln und wurde bis 1985 gesendet. 2000 entstand die Realverfilmung Dungeons & Dragons. In den Hauptrollen waren u. a. Justin Whalin, Thora Birch und Jeremy Irons zu sehen. 2005 folgte Dungeons & Dragons – Die Macht der Elemente, eine von Gerry Lively inszenierte Direct-to-DVD-Produktion. Mit Dungeons & Dragons 3: Das Buch der Dunklen Schatten entstand 2012 eine Fernsehfortsetzung der Reihe, bei der erneut Gerry Lively die Regie übernahm. 2021 wurde ein neuer Kinofilm angekündigt, der im März 2023 unter dem Titel Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben in den Kinos startete. Teil der schauspielerischen Besetzung sind u. a. Michelle Rodriguez, Chris Pine, Regé-Jean Page und Justice Smith. Über einen Kickstarter von Critical Role finanziert und von Amazon Prime produziert läuft eben dort seit dem 28. Januar 2022 die Adult-Zeichentrickserie Vox Machina, in welcher die D&D-Kampagne der Gruppe Critical Role verfilmt wird. Computerspiele D&D inspirierte bereits kurz nach seinem Erscheinen Hobbyprogrammierer im universitären Umfeld zur Entwicklung von Computerspielvarianten. Zu den frühesten noch bekannten Titeln zählten etwa dnd (1974 für PLATO) und Dungeon (1975 für PDP-10). Die ersten offiziell lizenzierten Spiele kamen zwischen 1980 und 1982 von der Firma Mattel. Mit dem 1987 geschlossenen exklusiven Lizenzabkommen zwischen TSR und Spielepublisher SSI erschienen mehrere erfolgreiche und zum Teil prägende Titel, beginnend mit der Gold-Box-Reihe (u. a. Pool of Radiance) und zwischenzeitlichen Höhenpunkten wie der mit Echtzeit-Spielmechanik entwickelten Trilogie Eye of the Beholder oder dem ersten grafischen MMORPG Neverwinter Nights. Mit zunehmender Dauer blieben die Veröffentlichungen jedoch sowohl beim Umsatz als auch den Kritiken hinter den Erwartungen zurück. Als der Vertrag mit SSI Mitte 1995 auslief, teilte TSR die Rechte für die verschiedenen Kampagnenwelten auf mehrere Hersteller auf. Größere Verkaufs- und Wertungserfolge konnte jedoch nur Interplay Entertainment erzielen, das sich die Lizenzen für die Vergessenen Reiche und Planescape gesichert hatte. Mit Hilfe der von BioWare entwickelten Infinity-Engine entstanden PC-Spiele wie Baldur’s Gate sowie das von den Black Isle Studios entwickelte Planescape: Torment und Icewind Dale. Vor allem Baldur’s Gate wurde ein großer Anteil am Wiedererstarken des Rollenspiel-Genres im Computerspielbereich bescheinigt. Auch das auf die Spielkonsole PlayStation 2 zugeschnittene Action-Rollenspiel Dark Alliance konnte sowohl bei Kritikern als auch im Verkauf überzeugen. Mit dem allmählichen Auslaufen der Einzellizenzen und der Reduzierung der Kampagnenwelten unter Wizards of the Coast wurde auch die Computerspiellizenz wieder vollständig und exklusiv an den französischen Publisher Atari vergeben. Sämtliche von Atari veröffentlichten Spiele basierten auf der neuen Edition 3 bzw. 3.5 von D&D. Mit dem von BioWare entwickelten und ebenfalls Neverwinter Nights benannten PC-Spiel erschien 2003 ein erfolgreich auf Modding und Multiplayer-Spielweise ausgelegter Titel. Andere Veröffentlichungen, etwa das in der neuen Kampagnenwelt Eberron angesiedelte Echtzeit-Strategiespiel Dragonshard oder das MMORPG Dungeons & Dragons Online (Stormreach), blieben dagegen hinter den Erwartungen zurück. Lediglich BioWare konnte mit dem Star-Wars-Rollenspiel Knights of the Old Republic an seine Erfolge mit Baldur’s Gate und Neverwinter Nights anschließen, verwendete dafür aber keine D&D-Lizenz, sondern die offenen, auf dem D&D-System basierenden d20-Regeln. Das noch unter Atari angestoßene MMORPG Neverwinter wechselte 2011 mit dem Verkauf des Entwicklers Cryptic Studios zu Perfect World Entertainment, der es mit einem Free-to-play-Geschäftsmodell betrieb und später auch auf Konsolen portieren ließ. Ebenfalls 2011 endete Ataris Lizenz und Rechteinhaber Wizards of the Coast / Hasbro vergab mehrfach Rechte an verschiedene kleinere Entwickler. Das von ehemaligen Bioware-Mitarbeitern gegründete Beamdog brachte zwischen 2012 und 2018 überarbeitete und erweiterte Versionen der Infinity-Spiele und Neverwinter Nights für PC, Smartphones und Tablets auf den Markt, während n-Space erfolglos versuchte mit Sword Coast Legends an das Prinzip von Neverwinter Nights anzuschließen. Es folgten kleinere Produktionen für Smartphone/Tablet und Portierungen von Brettspielen, darunter das von Playdek portierte Lords of Waterdeep und Tales from Candlekeep: Tomb of Annihilation von BKOM Studios. Ehrung 2017: Aufnahme in die Science Fiction Hall of Fame Weblinks Offizielle Website (englisch) Website des Herausgebers deutschsprachiger D&D und 5e Werke DnD Deutsch Die deutsche Dungeons & Dragons Rollenspiel Fanseite Dungeons and Dragons Wiki Das englischsprachige Wiki zu Dungeons & Dragons Rollenspiel-Info Umfangreiche deutschsprachige Website mit Infos und Rezensionen, insbesondere AD&D Einzelnachweise Pen-&-Paper-Rollenspiel Fantasy-Welt Science Fiction and Fantasy Hall of Fame Fantasy-Spiel
1090
https://de.wikipedia.org/wiki/Das%20Schwarze%20Auge
Das Schwarze Auge
Das Schwarze Auge (DSA) ist ein deutsches Pen-&-Paper-Rollenspiel, das von Ulrich Kiesow 1984 für Schmidt Spiele in Kooperation mit Droemer Knaur herausgegeben wurde. Es basiert auf der Fantasy-Spielwelt Aventurien, die von Hans Joachim Alpers, Werner Fuchs und Ulrich Kiesow entworfen wurde. Spielmechanismus Das Spiel ist ein klassisches Pen-&-Paper-Rollenspiel und wurde seit der ersten Ausgabe 1984 stark verändert. Derzeit aktuell ist die 5. Edition der Regeln. Die Spielercharaktere werden zufallsunabhängig nach einem Punktesystem generiert, wobei es Spezies, Kulturen, Berufe sowie Vor- und Nachteile gibt. Starre Charakterklassen existieren nicht mehr; die Charaktererschaffung ähnelt in vielen Elementen dem Rollenspiel-System GURPS. Die Eigenschaften sind Mut, Klugheit, Intuition, Charisma, Fingerfertigkeit, Gewandtheit, Konstitution und Körperkraft. Diese können Werte von 1 bis über 21 haben und liegen bei neu erschaffenen Helden in der Regel von 8 bis 14. Erfolgsproben werden mit dem zwanzigseitigen Würfel abgelegt, wobei im Regelfall 1 das beste und 20 das schlechteste Ergebnis ist. Verfeinert wird die Spielmechanik durch Talente (z. B. Verbergen oder Menschenkenntnis), die der Spielfigur eine besondere Ausrichtung geben. Eine Talentprobe setzt sich aus drei Eigenschaftsproben zusammen, sodass stets drei Würfe erforderlich sind. Die Talentfähigkeit (Fertigkeitspunkte) kann zum Ausgleich überwürfelter Ergebnisse verwendet werden. Bei geglückten Proben entscheiden die verbliebenen, nicht zum Ausgleich eingesetzten Fertigkeitspunkte über die Qualität des Erfolgs. Das Kampfsystem baut auf Attacken und Paraden auf. Gelingt es, einen Gegner anzugreifen, hat dieser die Chance, mit einem Paradewurf den Treffer zu vereiteln. Ergänzt wird dies durch sogenannte Kampfmanöver, welche es zum Beispiel durch eine selbst auferlegte Erschwernis auf die Attacke ermöglichen, den Schaden zu verstärken oder die Abwehr des Gegners zu schwächen. Noch komplexere Manöver machen Kämpfe interessanter und spannender. Das Magiesystem basiert auf einzeln festgelegten Sprüchen, die wie Talente gehandhabt werden. Über die Astralenergie werden die Fähigkeiten von Zauberern begrenzt. Wie in vielen anderen Rollenspielen auch erhalten Charaktere Erfahrungspunkte, mit denen ihre Werte verbessert werden können. Es gibt verschiedene Kriterien, um diese Punkte zu bestimmen; dazu zählen beispielsweise authentisches Rollenspiel, das Erreichen von Zielen, Erfolg im Kampf oder das Lösen von Rätseln. Spielwelten und Kontinente Auf der fiktiven Welt Dere befindet sich der Hauptkontinent Aventurien, der mit dem Spiel seit 1984 entwickelt wird. Andere Kontinente wie Myranor oder die Hohlwelt Tharun wurden erst später oder nur inoffiziell ausgearbeitet. Für gewöhnlich spielt eine Spielfigur nur auf einer dieser Spielwelten, da Reisen zwischen diesen Kontinenten äußerst selten und schwierig sind. Aventurien Aventurien ist ein fiktiver Kontinent und die Fantasy-Spielwelt von DSA. Der Kontinent liegt auf der Spielwelt Dere und hat etwa ein Viertel der Fläche Europas. Dennoch befinden sich dort sämtliche von der Erde bekannten Klimazonen sowie viele verschiedene Rassen und Kulturen. Neben Menschen gibt es Elfen, Halbelfen, Zwerge, Orks, Oger, Goblins, Yetis, Zyklopen, Kobolde, Feen, Riesen, Trolle, Drachen und Achaz (Echsenmenschen). Das kulturelle Niveau variiert zwischen Jungsteinzeit und Renaissance, angereichert durch fantastische Elemente. Als größtes Land ist das Mittelreich mit der Hauptstadt Gareth zu nennen, das feudal in Lehen aufgeteilt ist. Bei fast allen Rassen gibt es magiebegabte Individuen wie Magier, Druiden, Hexen, Schamanen oder Geoden, mit einer ausgefeilten Spruchmagie, der jedoch deutliche Grenzen gesetzt sind. Die Geschichte Aventuriens ist detailliert ausgearbeitet und wird durch epische Kampagnen wie die „Phileasson-Saga“, die „Borbarad-Kampagne“ und die „Splitterdämmerung“ gestaltet. Einen entscheidenden geschichtlichen Wendepunkt stellt die Rückkehr des Zauberers Borbarad dar, wodurch High-Fantasy-Elemente einbezogen wurden. Die vorherrschende Religion ist der Zwölfgötterglaube mit den Göttern Praios, Efferd, Boron, Firun, Phex und Ingerimm sowie den Göttinnen Rondra, Travia, Hesinde, Tsa, Peraine und Rahja. Es gibt noch einige Neben- und Halbgötter sowie andere Religionen, z. B. den Glauben an Eingott Rastullah, die Zwillingsgötter Rur und Gror und verschiedene Naturreligionen. Der göttliche Antagonist der Zwölfgötter ist der Namenlose. Zudem gibt es zwölf Erz- und diverse andere Dämonen. Myranor Myranor ist eine im Vergleich zu Aventurien exotischere Spielwelt. Der Kontinent ist wesentlich größer als Aventurien, klimatisch reicht er von der Arktis im Norden bis zur Antarktis im Süden, und besitzt eine außergewöhnliche Fauna und Flora (z. B. Riesenbäume). Die Hauptbevölkerung sind Menschen, weiter leben dort zahlreiche Mischrassen, wie Katzen-, Löwen- oder Fischmenschen. Kulturell ist das Imperium hervorzuheben, ein zerfallendes, mehrere tausend Jahre altes Reich. Es existieren abenteuerliche Konstrukte wie Flugschiffe oder fliegende Städte. Ein Pantheon von acht Staatsgöttern herrscht vor, wobei Brajan Gott der Sonne und der Ordnung ist. Als sagenumwobener Kontinent jenseits des westlich von Aventurien gelegenen Meeres der sieben Winde war Myranor bereits in der Anfangszeit von DSA als „das Güldenland“ bekannt. Den aventurischen Geschichten zufolge begann ein wesentlicher Teil der menschlichen Besiedelung Aventuriens als Kolonisation aus dem Güldenland. Tharun Tharun ist eine von Hadmar von Wieser erfundene Hohlwelt. Die Bewohner leben an den Innenwänden einer kugelförmigen Welt, die Sonne schwebt im Zentrum und ändert im Verlauf des Tages ihre Farbe. Menschen leben in Inselreichen, von denen sich einige um das im Zentrum liegende Reich des Herrschers anordnen. Die Bewohner werden mit unbezähmbaren Gefahren konfrontiert (zum Beispiel Riesen, Seeungeheuern und Giganten). Diese Gefahren können ganze Siedlungen auslöschen und machen Reisen gefährlich. Es hat sich eine nach der Vervollkommnung ihrer persönlichen Fähigkeiten strebende Kriegerkultur als herrschende Kaste herausgebildet, die „Schwertmeister“. Die Spielwelt wurde 1987 mit der Erweiterung DSA Professional als exotischeres Gegenstück zu Aventurien für sehr erfahrene Spielercharaktere entworfen. Das eigenständige Regelwerk wurde von Ulrich Kiesow geschrieben, hervorzuheben sind die – für das damalige DSA völlig untypischen – freien Magieregeln. Nach der Veröffentlichung von zwei Boxen wurde das System eingestellt und nur inoffiziell fortgeführt. 2010 kündigte Ulisses die Veröffentlichung einer Fortsetzung an. 2011 wurde bekannt, dass der Uhrwerk Verlag als Lizenznehmer diese Spielwelt bearbeiten werde. 2013 erschien mit der Weltenbeschreibung Tharun – Die Welt der Schwertmeister nach 25 Jahren der erste neue Band zur Spielwelt. Sonstige Kontinente Rakshazar (das Riesland) ist von Aventurien durch das Eherne Schwert, ein unüberwindbares Gebirge, und durch das Perlenmeer östlich von Aventurien getrennt und fast vollständig unbekannt. Es existiert keine offizielle Ausarbeitung, Fans haben jedoch eine umfassende Beschreibung entworfen. Der wenig bekannte Kontinent Uthuria liegt im Süden von Dere und ist von Aventurien durch das Südmeer getrennt. Spieler entwarfen hierzu eine Beschreibung. 2013 erschienen die drei Bände „Porto Velvenya“, „Der Fluch des Blutsteins“ und „Der Gott der Xo'Artal“ der Abenteuer-Trilogie „Grüne Hölle“, die auf Uthuria spielt. Publikationen Die Regeln werden in Spielboxen und in Buchform veröffentlicht. Daneben existieren Regionalbeschreibungen und Abenteuerbände. Die Hauptregeln der aktuellen fünften Regelauflage bilden die Bände Regelwerk, Aventurisches Kompendium (I–II), Aventurische Magie (I–III) und Aventurisches Götterwirken (I–II). Weiterhin existiert eine Einsteigerbox, die ohne die anderen Regelbände verwendet werden kann. Der Band Aventurisches Kompendium erweitert das Basis-Regelsystem um Optional- und Expertenregeln sowie um ausführliche Generierungsmöglichkeiten für nicht magiebegabte Helden. Aventurische Magie vertieft die Regeln für die Magie und erlaubt es, eine Vielzahl zauberkundiger Charaktere zu erstellen. Aventurisches Götterwirken widmet sich religiös motivierten Charakteren und behandelt die Mythologie und Kosmologie der Hintergrundwelt Aventurien. Im Laufe von mehr als 20 Jahren wurden insgesamt fünf Regelauflagen, knapp zwei Dutzend Regionalbeschreibungen, über 240 Abenteuerbände und mehr als 160 Romane offiziell publiziert. Außerdem erscheint alle zwei Monate das Magazin Aventurischer Bote. Geschichte Zur Geschichte der Spielwelt siehe: Aventurien: Geschichte. Die deutschen Buch- und Spieleverlage und die deutsche Fantasy-Szene waren nach dem Erfolg von Dungeons and Dragons über den Boom für Fantasy-Pen-&-Paper-Rollenspiele zu Beginn der 1980er Jahre beeindruckt. 1981 erschien mit Midgard das erste deutsche Spiel dieser Art. Die Interessensgebiete Fantasy-Literatur, Strategiespiele und Spiele mit Zinnfiguren, aus denen schon Dungeons and Dragons entstanden war, vereinten auch Werner Fuchs, Ulrich Kiesow und Hans-Joachim Alpers, die bereits in den 1970er Jahren als Übersetzer und mit dem 1977 gegründeten Fantastic Shop in der Spielebranche tätig gewesen waren. Diese Hobbys und beruflichen Orientierungen enthielten für Kiesow, Fuchs und Alpers auch eskapistische Elemente: Die verschwägerten Kiesow und Fuchs spielten unter anderem mit Ina Kramer seit 1978 Fantasy-Rollenspiele, zunächst Tunnels & Trolls. Sie , Dungeons and Dragons zu spielen. Fuchs empfahl dem Verlag Droemer Knaur den Einstieg in den Rollenspiele-Markt, und gemeinsam mit Kiesow und Alpers erhielt er Ende 1982 den Auftrag, für den US-Verlag Tactical Studies Rules (TSR) Dungeons and Dragons ins Deutsche zu übersetzen. Während der von Kiesow, Fuchs und Alpers gegründete Verlag Fantasy Productions 1983 Kiesows Übersetzung von Tunnels & Trolls als Schwerter & Dämonen veröffentlichte, erschien im selben Jahr im Verlag ASS die von Kiesow verantwortete Übersetzung von Dungeons and Dragons. Schmidt Spiele und Droemer Knaur hatten das TSR-Angebot zur Veröffentlichung von Dungeons and Dragons aufgrund der hohen finanziellen Forderungen zur Lizenzierung abgelehnt. Die beiden Verlage suchten nach einer Möglichkeit, doch in den Rollenspiel-Bereich einzusteigen: Die von Kiesow mit Kramer, Alpers und Fuchs für die Ansprüche ihrer privaten Spielrunde entwickelte stimmungsvolle Hintergrundwelt mit zugehörigen Spielregeln musste daher rasch zu einem präsentationsfähigen Konzept ausgearbeitet werden. Das Marketing von Schmidt Spiele erfand den Titel Das Schwarze Auge und riet von Aventuria ab. Ein Schwarzes Auge gab es in der Spielwelt noch nicht, so dass die Autoren zur Erläuterung des Titels auf J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe zurückgriffen, in dem „Palantíri“ genannte Orakelsteine eine ähnliche Funktion besaßen. Vor allem die Marktstellung des damals zweitgrößten deutschen Spieleherstellers Schmidt verhalf DSA mit 100.000 verkauften Basisboxen bereits 1984 zum : Fernsehwerbung – in Deutschland einzigartig für Pen-&-Paper-Rollenspiele – warb zur Einführung Mitte der 1980er für die zu DSA gehörigen Produkte. DSA war, anders als alle anderen Rollenspiele, Droemer Knaur und Schmidt Spiele präsentierten Das Schwarze Auge Anfang 1984 auf der Nürnberger Spielwarenmesse. Die Vermarktung durch einen Spielwarenhersteller sorgte für die Beigabe von Spielmaterial, das Rollenspielprodukten sonst fremd ist. So lag der ersten Ausgabe der Werkzeuge des Meisters, einer Zusatzbox zum damaligen Basisspiel, eine Maske des Meisters bei: Es war eine dünne Plastikmaske mit schrägen Sehschlitzen in Form einer Fledermaus für Kinderköpfe. Um das Spiel bekannt zu machen, wurden zudem Schokoladenstücke in Maskenform an die Presse verteilt. Später wurde die Maske als sogenanntes Easter Egg im PC-Spiel Drakensang eingebaut. Die erste Version des Basisspiels wurde nach zwei Wochen vom Markt genommen und in Text und Bild entschärft, da Kritiker dem Spiel zu große Gewalttätigkeit vorwarfen. Droemer Knaur zog sich bald aus dem Projekt zurück, und Schmidt Spiele setzte es allein fort. In den Folgejahren erschienen viele Spielemodule, Abenteuerbücher, Soloabenteuerbücher und Computerspiele. Auch der Aventurische Bote, eine zweimonatlich erscheinende Rollenspielzeitung, die über die aktuelle politische Lage in Aventurien informiert, etablierte sich. Nach der Insolvenz von Schmidt Spiele im Jahr 1997 wurde das Spiel von Fantasy Productions übernommen, 2001 erschienen die Basisregeln der vierten Edition. 2004 feierte DSA seinen 20. Geburtstag. Nachdem Anfang 2007 die Lizenz für Myranor zu Ulisses Spiele gewechselt war, wurde im April des gleichen Jahres der Übergang auf das ganze Spielsystem ausgedehnt. Lediglich die Romane wurden bis Juli 2011 weiterhin von Fantasy Productions verlegt. Die Rechte an der Marke „Das Schwarze Auge“ liegen seit 2007 bei der Significant Fantasy GbR, deren Gesellschafter Werner Fuchs, Ina Kramer, Britta Neigel sowie der im Februar 2011 verstorbene Hans Joachim Alpers sind bzw. waren. Bei der im Jahr 2003 veröffentlichten englischen Übersetzung wurde auf die wörtliche Übersetzung „black eye“ verzichtet, da dies im Englischen „Veilchen“ beziehungsweise „blaues Auge“ bedeutet. Stattdessen wurde der Titel „The Dark Eye“ gewählt. Das Spiel wurde Mitte der 1980er Jahre ins Französische (L’Œil noir), Italienische (Uno Sguardo nel Buio) und Niederländische (Het Oog des Meesters) übersetzt, aber nach der Einführung bald wieder eingestellt; alle internationalen Ausgaben sind seit 2008 eingestellt. Für die fünfte Auflage des Spiels wurde mittels eines Crowdfundings eine Übersetzung des Grundregelwerkes ins Englische finanziert. Seither sind auch Ergänzungsbände auf Englisch erschienen. Im März 2011 wurde die vielköpfige und seit den 1980er Jahren dezentral und freiberuflich bzw. ehrenamtlich arbeitende DSA-Redaktion durch eine kleine, festangestellt am Firmensitz von Ulisses Spiele in Waldems im Rheingau-Taunus-Kreis arbeitende Redaktion ersetzt. Besonderen Einfluss auf die Entwicklung und Ausgestaltung des Rollenspiels DSA und seiner Spielwelt Aventurien hatten bis dahin neben dem Begründer Ulrich Kiesow vor allem die Autoren Hadmar von Wieser, Thomas Römer, Bernhard Hennen, Jörg Raddatz, Thomas Finn, Karl-Heinz Witzko, Lena Falkenhagen, Peter Diehn, Florian Don-Schauen, Stefan Küppers, Anton Weste, Ralf Hlawatsch, Michelle Melchers, Werner Fuchs, Daniel Simon Richter und Ina Kramer. Im Mai 2011 verkündete der Verlag Ulisses Spiele im Rahmen eines Workshops auf der RPC, dass er sämtliche Lizenzen für Veröffentlichungen rund um das Thema Das Schwarze Auge erworben habe und damit die weitere Koordination über Filme und Computerspiele ebenfalls gezielt von jetzt an mitbestimmen könne. Im August 2013 kündigte Ulisses Spiele auf der Rollenspiel-Messe RatCon in Unna die Entwicklung der 5. Regeledition für DSA an. Der Verlag setzt dabei auf die rege Mithilfe der Spielerschaft. Über Umfragen, Forenbeiträge sowie Twitter und Facebook sollen das Feedback der Fans aufgenommen und Entwürfe zur Diskussion gestellt werden. Im Mai 2014 erschien eine vorläufige Version der neuen Spielregeln, die intensiv probegespielt wurde. Diese Version bezeichnet der Verlag als „Beta-Regelwerk“, in Anlehnung an die Beta-Versionen von Computerprogrammen. Im August 2015 erschien dann zur Rollenspiel-Messe RatCon endgültig das neue „Das Schwarze Auge 5 Regelwerk“. 2016 erschien mit The Dark Eye die englische Übersetzung des DSA-5-Hauptregelwerks. Weitere DSA-Produkte Belletristik 1985 gab es erste Romane zum Spiel, seit 1995 erscheinen diese regelmäßig. Bis 2014 wurden über 150 DSA-Romane in verschiedenen Verlagen veröffentlicht. Im Horchposten-Verlag erscheint seit 2005 eine Reihe von DSA-Hörbüchern mit unterschiedlichen Sprechern wie z. B. Axel Ludwig und Sabine Brandauer, vielfach auf Basis dieser Romane. Unabhängig von der Romanreihe erschienen 2008 drei DSA-Hörspiele beim Hörspiellabel Europa. Ferner erschien 2007 ein DSA-Comic mit den Helden Nibor und Salkin bei Tigerpress. Gesellschaftsspiele Schmidt Spiele verwendete 1990 die Zeichnungen, die für DSA-Publikationen entstanden waren, um ein Quartett namens Das Schwarze Auge zu bebildern. Anschließend vermarktete Schmidt von 1992 bis 1994 vier Brettspiele zu Das Schwarze Auge, die im Stil von HeroQuest ausgestattet waren: Die Burg des Schreckens und die Nachfolgeprodukte Dorf des Grauens und Tal des Drachens, außerdem das eigenständige Spiel Die Schlacht der Dinosaurier. In den Jahren 2005 und 2006 brachte Fanpro zwei weitere Brettspiele auf dem Markt, Der Weg nach Drakonia und Drachenjäger von Xorlosch von Folker Jung. Außerdem gab es ein Sammelkartenspiel namens Dark Force: Duell um Aventurien. Nach der Veröffentlichung einzelner Zinnfiguren zu DSA wurden diese schließlich in das inzwischen eingestellte Tabletop Armalion integriert. Seit 2012 veröffentlicht Ulisses Spiele ein neues Tabletop-Spiel namens Schicksalspfade. Im September 2015 erschien das Brettspiel Orkensturm und 2019 das Spiel Schatten der Macht mit bislang zwei Erweiterungen, das Ähnlichkeiten zu Risiko aufweist. Computerspiele Weiterhin gibt es die dreiteilige Computerspielreihe Nordland-Trilogie (bestehend aus: Die Schicksalsklinge, Sternenschweif und Schatten über Riva) sowie eine Serie von Spielen für Mobiltelefone. Im August 2008 wurde das Computerspiel Drakensang veröffentlicht. Am 12. Februar 2010 wurde die Fortsetzung von Drakensang, Drakensang: Am Fluss der Zeit veröffentlicht, dem noch das Add-on Phileassons Geheimnis folgte. Die Silver Style Studios entwickelten ab Ende 2010 Herokon Online, ein Browser-MMORPG im DSA-Universum, das 2015 abgeschaltet wurde. 2012 veröffentlichte Daedalic Entertainment das klassische Point-and-Click-Adventure Satinavs Ketten. Am 30. August 2013 erschien der Nachfolger namens Memoria. Im Oktober 2013 erschien das story-lastige Action-Rollenspiel Demonicon. Unter dem Titel Blackguards erschien am 24. Januar 2014 ein Strategie-Rollenspiel. Ein Hack-’n’-Slay-Spiel namens Das Schwarze Auge: Skilltree Saga kam am 4. Dezember 2014 auf den Markt. Am 20. Januar 2015 veröffentlichte Daedalic Entertainment mit Blackguards 2 den zweiten Teil von Blackguards. Die Veröffentlichung des Computerrollenspiels Das Schwarze Auge: Book of Heroes – stilistisch ein Dungeon-Crawler – erfolgte am 9. Juni 2020. Literatur Christiane Mühlenhoff-Simon: Das Schwarze Auge. Geschichte und Interpretation eines Fantasy-Rollenspiels. In: Fantasia – Magazin für Phantastik. Band 95/96, EDFC, Passau 1995, ISBN 978-3-924443-79-5. Weblinks DSA-Seiten von Ulisses Spiele DSA-5-Regeln, online abrufbar Konrad Lischka/Thomas Hillenbrand: 25 Jahre „Das Schwarze Auge“. Rollenspiel mit Meister-Maske. Spiegel Online, 6. November 2009. Wiki Aventurica – Wiki über DSA Einzelnachweise Pen-&-Paper-Rollenspiel Serie (Literatur) Literatur (Deutsch) Fantasy-Welt Fantasy-Spiel
1092
https://de.wikipedia.org/wiki/Dezember
Dezember
Der Dezember ist der zwölfte und letzte Monat des Jahres des gregorianischen Kalenders und hat 31 Tage. Geschichte Im römischen Kalender war der December der zehnte Monat ( = zehn) des 354-tägigen Mondkalenders. Im Jahr 153 v. Chr. wurde der Jahresbeginn um zwei Monate vorverlegt, sodass die direkte Beziehung zwischen Namen und Monatszählung verloren ging. Dies wird manchmal bei der Übertragung früher verwendeter lateinischer Datumsangaben faktisch übersehen. Unter Kaiser Commodus wurde der Monat in Exsuperatorius umbenannt, nach dem Tod des Kaisers erhielt er allerdings wieder seinen alten Namen zurück. Am 21. oder 22. Dezember ist der Tag der Sonnenwende. Die Sonne steht genau über dem Wendekreis des Steinbocks am südlichen Breitengrad von 23° 26,3′. Dieser Tag ist auf der Nordhalbkugel der kürzeste im Jahr, die Nacht ist die längste, auf der Südhalbkugel ist es umgekehrt. Ein alter deutscher Name des Dezembers ist Julmond. Der Name kommt vom Julfest, der germanischen Feier der Wintersonnenwende. Andere Namen für Dezember sind Christmonat, da Weihnachten – das Christfest – im Dezember gefeiert wird, oder auch Heilmond, da „Christus das Heil bringt“. Letztere Namen kamen erst nach der Umwidmung des Julfestes im Zuge der Christianisierung auf. Das christliche Kirchenjahr beginnt abweichend von der normalen Kalenderzählung mit dem ersten Adventsonntag. Dieser kann Ende November oder Anfang Dezember sein, je nachdem, auf welchen Wochentag Weihnachten fällt. Der Dezember beginnt immer mit demselben Wochentag wie der September. Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr werden umgangssprachlich oft als „zwischen den Jahren“ bezeichnet. Ist der 29., 30. oder 31. Dezember ein Montag, werden die Tage ab Montag der ersten Kalenderwoche des Folgejahres zugerechnet. In diesem Fall endet die letzte Kalenderwoche des Jahres nach der DIN-Norm mit dem letzten Sonntag des Dezembers. Ein solches Jahr hat dann immer 52 Kalenderwochen. Gedichte Dezember Gedichte, ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 19122, Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-15-019122-4 Galerie Siehe auch Liste von Gedenk- und Aktionstagen#Dezember Liste von Bauernregeln#Dezember Weblinks Dezember (VfcG) Einzelnachweise Monat des gregorianischen und julianischen Kalenders
1096
https://de.wikipedia.org/wiki/Br%C3%BCcke%20%28K%C3%BCnstlergruppe%29
Brücke (Künstlergruppe)
Die Brücke war eine Künstlergruppe (auch „KG Brücke“), die heute als wichtiger Vertreter des Expressionismus und als Wegbereiter der klassischen Moderne gilt. Sie wurde am 7. Juni 1905 in Dresden von den vier Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff gegründet und im Mai 1913 in Berlin aufgelöst. Weitere Mitglieder waren Max Pechstein, Otto Mueller und Cuno Amiet, kurzzeitig auch Emil Nolde und Kees van Dongen. Name Der Name „Brücke“ geht auf Schmidt-Rottluff zurück. Nicht abschließend geklärt ist, ob er sich damit auf die vielen Brücken Dresdens bezog, die den Künstlern häufig als Motiv dienten, oder ob es sich um eine Metapher für den Willen zum Aufbruch in der Kunst und die Überwindung alter Konventionen handeln sollte. Heckel schrieb über die Namengebung in sein Tagebuch: „Wir haben natürlich überlegt, wie wir an die Öffentlichkeit treten könnten. Eines Abends sprachen wir auf dem Nachhauseweg wieder davon. Schmidt-Rottluff sagte, wir könnten das Brücke nennen – das sei ein vielschichtiges Wort, würde kein Programm bedeuten, aber gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führen.“ Charakterisierung und Ziele Die Ziele der Künstlergruppe standen im Gründungsjahr noch nicht fest. „Wovon wir weg mussten, war uns klar – wohin wir kommen würden, stand allerdings weniger fest“, erinnerte sich Heckel später. Das von Kirchner verfasste Programm wurde am 9. Oktober 1906 in der Elbtal-Abendpost der Öffentlichkeit präsentiert. Kirchner fertigte einen Holzschnitt an, auf dem er das Programm wiedergab. Ein zur gleichen Zeit in Dresden herausgegebener Handzettel enthielt den Programmtext in folgender Form: „Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen. Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“ Zu den erklärten Zielen der „Brücke“ gehörte ein einheitlicher Gruppenstil. Wesentliche malerische Merkmale sind eine kontrastreiche, intensive Benutzung von Farbe, die Veränderung der Form durch bewusste Vergröberung und Verzicht auf Details, ein holzschnittartiger Charakter mit kantigen Formen und eine kühne Raumgestaltung. Weitere Techniken umfassen den Holzschnitt, die Lithografie und das Aquarell. Die Farbe wurde teilweise sehr pastos aufgetragen, manchmal aber auch mit Benzin verdünnt, um ein schnelleres Arbeiten zu ermöglichen. Im Gegensatz zum französischen Fauvismus waren für die Brücke-Maler neben der malerischen Form und Bildkomposition auch die seelisch-psychischen Momente und die damit in ihren Augen verbundene Erkenntnis oder Vermutung über den Kern der Dinge bedeutsam. Dabei wandten sie sich vom Menschenbild des 19. Jahrhunderts ab und stellten bisherige Tabuthemen in ihren Malereien dar. Sie wollten ihre Mitmenschen aufrütteln und beunruhigen. Zu den bevorzugten Motiven der Brücke-Maler zählten der Mensch in Bewegung, Zirkus und Varieté, die Nacht, das Hintergründige, Mensch und Natur, Tanz, Leben in der Großstadt, Akte und Badende. Geschichte Gründung in Dresden, Juni 1905 Im Jahr 1902 lernten sich die Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bleyl an der Technischen Hochschule Dresden kennen. Zur gleichen Zeit schlossen die Gymnasiasten Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel Bekanntschaft. Zwei Jahre später gingen auch sie nach Dresden, um dort Architektur zu studieren. Über Heckels Bruder, der mit Kirchner befreundet war, kamen Schmidt-Rottluff und Heckel mit diesem in Kontakt. Schon bald entdeckten die vier Kommilitonen ihr gemeinsames Interesse an der Kunst und beschlossen, eine Künstlergruppe zu gründen, obwohl keiner von ihnen eine malerische Ausbildung besaß. Ihnen war jedoch der Wunsch gemein, die akademische Malweise hinter sich zu lassen und der Kunst eine völlig neue Richtung zu geben. Schmidt-Rottluff und Heckel brachen ihr Studium ab, um sich vollends der Malerei widmen zu können. Das genaue Gründungsdatum der Künstlergruppe war lange Zeit umstritten. Kunstkritiker wie Karl Scheffler, Carl Einstein, Will Grohmann und Franz Roh schwankten in ihren Angaben zwischen den Jahren 1900 und 1906. Erst 1973 offenbarte die Entdeckung einer Kirchner-Skizze den 7. Juni 1905 als Gründungstag. Unmittelbar nach ihrem Zusammenschluss legte die Gruppe das Stammbuch Odi profanum an, in dem jedes Mitglied seine Ideen und Vorstellungen notierte. Das Motto leiteten sie in Anspielung auf eine Ode des Horaz ab – Odi profanum vulgus („Hinweg, unheil’ger Pöbel“). Kirchners Wohnung und Bleyls Atelier im Dachgeschoss des Hauses auf der Berliner Straße 65 in der Dresdner Friedrichstadt wurden als gemeinschaftliche Arbeitsräume bald zu eng. Auf der Berliner Straße 60 mietete Heckel daher einen leerstehenden Fleischerladen an, der für die Künstler als Lager und später von Kirchner als Wohn-, Schlaf- und Arbeitsstätte genutzt wurde. Als Atelier diente ein ehemaliger Schusterladen, der über gutes Licht verfügte. Die Räume wurden mit Batiken und Bildern geschmückt und mit selbst angefertigten und bemalten Möbeln eingerichtet. In dieser Umgebung gingen die Künstler ans Werk. In ihren Freundinnen fanden sie die ersten Aktmodelle und widmeten sich nebenbei der Lektüre von Nietzsche, Arno Holz und Walt Whitman. Die Anfangszeit der Brücke war sehr produktiv. Heckel sagte später: „Hier [im Atelier] waren wir jede freie Stunde.“ Da Heckel seine Bilder teilweise übermalte und Schmidt-Rottluff die meisten seiner frühen Arbeiten vernichtete, sind aus dieser Phase nur wenige Werke erhalten. Werbung weiterer Mitglieder, ab 1906 Früh begann das Werben um weitere sowohl aktive als auch passive Mitglieder. Den Passivmitgliedern wurden – gegen einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 12 und später 25 Mark – eine Jahresmappe mit Originalgraphiken der Künstler sowie ein Jahresbericht mit Informationen über die Arbeit der Brücke angeboten. 1906 trat neben Max Pechstein auch Emil Nolde der Gruppe bei. Schmidt-Rottluff schrieb dem 17 Jahre älteren und fortgeschritteneren Nolde im Frühjahr 1906, „die hiesige Künstlergruppe Brücke würde es sich zur hohen Ehre anrechnen, Sie als Mitglied begrüßen zu können.“ Der Appell zum Anschluss fand Gehör. Nolde hatte der Künstlergruppe nicht nur kunsthistorisch folgenreiche Kontakte vermittelt, sondern auch die Kunst der Radierung. Nolde verließ die Gruppe 1907. Er fühlte sich von dem Trend zum Einheitsstil künstlerisch „gestört“ und äußerte: „Ihr solltet euch nicht Brücke, sondern van Goghiana nennen“. Auch Bleyl schied aus der Gruppe aus, um einen Lehrauftrag als Architekt in Freiberg zu übernehmen. Die Werbung weiterer aktiver Mitglieder war nicht ohne Erfolg, jedoch blieben sie meist ferne, gelegentlich hilfreiche „Trabanten“. Am stärksten traten der Schweizer Cuno Amiet und der Niederländer Kees van Dongen aus dem Kreis der Fauves in Erscheinung. Amiet wurde von Heckel 1906 postalisch und van Dongen 1908 von Pechstein persönlich in Paris angesprochen. Van Dongen, die international bedeutendste Anwerbung der Brücke, beteiligte sich 1908 an der Parallelausstellung französischer Künstler im Kunstsalon Emil Richter und wird ein Jahr als Mitglied geführt. Mit Edvard Munch und Henri Matisse forderte die Brücke zudem die Überväter der eigenen Rebellion zum Beitritt auf – vergeblich. Von Noldes geschäftstüchtigen Frau Ada Nolde kam der Vorschlag, auch passive Mitglieder aufzunehmen. Bis zum Zeitpunkt ihrer Auflösung hatte die Gruppe 68 Passivmitglieder, vorwiegend Intellektuelle und Angehörige des Bürgertums. In Hamburg waren es zuerst der Jurist und Graphiksammler Gustav Schiefler mit seiner Frau Luise, die im Herbst 1905 von der Gründung der Brücke hörten und nach Dresden reisten. Schiefler erstellte Werkverzeichnisse von vielen Künstlern und begann 1917, Kirchners Druckgraphik zu katalogisieren. Im Jahr 1907 bat die Hamburger Kunsthistorikerin Rosa Schapire um Aufnahme als passives Mitglied. Sie widmete ihr Leben alsdann den Werken der Brücke-Künstler, hielt Vorträge, erstellte Werkverzeichnisse und stand in regem Postkarten- und Briefwechsel mit den Malern. Der von ihr am höchsten geschätzte Karl Schmidt-Rottluff malte 1911 das Bildnis Rosa Schapire. Ebenfalls 1907 wurde Martha Rauert, Ehefrau des Hamburger Rechtsanwalts und bekannten Kunstmäzens Paul Rauert, Schwager und enger Freund Albert Ballins, in die Reihen der passiven Mitglieder der Brücke aufgenommen. Karl Schmidt-Rottluff malte Paul Rauert 1911. Emil Nolde malte ihn 1910 und 1915. Ein weiteres passives Mitglied war der Kunsthistoriker Wilhelm Niemeyer. Pechsteins Umzug nach Berlin, 1908 1908 zog Pechstein nach Berlin. Er sollte ein Haus des Architekten Bruno Schneidereit am Kurfürstendamm ausmalen und richtete sich dort ein Atelier ein. Heckel und Kirchner besuchten ihn mehrmals. Pechstein berichtete später: „Als wir in Berlin beisammen waren, vereinbarte ich mit Heckel und Kirchner, dass wir zu dritt an den Seen um Moritzburg nahe Dresden arbeiten wollten.“ Das Ziel dieser Ausflüge war die Darstellung der Harmonie von Mensch und Landschaft. Die Künstler wollten den Menschen in seiner wahren Natur darstellen. Ein sehr beliebtes Motiv waren Badende. Als Aktmodelle dienten neben Freunden der Künstler auch Kinder. Besonders die neunjährige Fränzi wurde von den Brücke-Malern gern und häufig porträtiert. Pechstein war der Meinung, dass die Arbeit an den Moritzburger Seen das Wirken der Gemeinschaft „abermals ein großes Stück vorwärts gebracht“ habe. Um diese Zeit war erstmals ein einheitlicher Gruppenstil erkennbar. Gründung der „Neuen Secession“, 1910 1910 wurden unter anderem Pechsteins Bilder von der Berliner Secession abgelehnt. Dies hatte die Gründung der Neuen Secession unter Pechsteins Leitung zur Folge, der aus Solidarität auch die übrigen Brücke-Mitglieder beitraten. Im Mai 1910 fand im Kunstsalon Macht an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche die Protestausstellung Zurückgewiesener der Secession Berlin statt. Die Kritiken fielen vernichtend aus. Max Osborn schrieb, wenn die Gruppe auf diesem Weg blind weitertappe, werde das Ende ein großes Fiasko und ein ungeheurer Katzenjammer sein. Pechstein notierte in seinen Erinnerungen: „Man bespie unsere Bilder, auf die Rahmen wurden Schimpfworte gekritzelt und ein Gemälde von mir (…) von einem Missetäter mit einem Nagel oder Bleistift durchbohrt.“ Infolge dieser Ausstellung trat Otto Mueller als letztes Mitglied der Gruppe bei. Umzug nach Berlin – Ende 1911 Ende des Jahres 1911 folgten die anderen Mitglieder Pechstein und siedelten ebenfalls in die Hauptstadt über. Heckel übernahm das Atelier von Mueller in Steglitz. Kirchner zog nach Wilmersdorf, wo auch Pechstein arbeitete, und gründete mit diesem die Malschule MUIM-Institut (Moderner Unterricht im Malen), die wenig später wegen Schülermangels wieder schließen musste. In Berlin erhofften sich die Brücke-Maler einen besseren Kontakt zu Sammlern und Händlern sowie ein aufgeschlossenes Publikum. Doch das Leben war hart, und die Künstler hatten mit schwerer finanzieller Not zu kämpfen. Sie nahmen Kontakt zu den Verlegern Herwarth Walden und Franz Pfemfert auf und veröffentlichten ihre Arbeiten in deren Zeitschriften Der Sturm und Die Aktion. Das Leben in der Großstadt beeinflusste die Künstler nachhaltig. Hier kamen sie erstmals mit den Werken des Kubismus und des Futurismus in Berührung, deren Stilelemente in ihre eigenen Bilder einflossen. Auch wenn die Brücke-Mitglieder nach wie vor zusammenarbeiteten, löste sich der Gruppenstil langsam auf, und mehrere Individualstile nahmen seinen Platz ein. Sie stellten im Februar 1912 in der Galerie Goltz in München gemeinsam in der zweiten Ausstellung des Blauen Reiters aus, der dort ein Jahr zuvor gegründet worden war, und beteiligten sich im Sommer an der bedeutenden Sonderbundausstellung in Köln. Kurz darauf wurde Pechstein als „Verräter“ aus der Brücke ausgeschlossen, da er ohne Erlaubnis der anderen in der Berliner Secession ausgestellt hatte. Kirchner sprach später von einem „Vertrauensbruch“. Die bereits fertiggestellte Jahresmappe über Pechstein wurde daraufhin nicht mehr veröffentlicht, und die Gruppe trat geschlossen aus der Neuen Secession aus. Auflösung, Mai 1913 Im Jahresbericht 1912 kündigte Kirchner an, dass noch im Frühjahr eine Chronik von Brücke erscheinen werde. Diese von Kirchner verfasste Schrift entstand zwar im Einvernehmen mit den anderen Gruppenmitgliedern, doch der Text war ihnen zu einseitig und wurde abgelehnt. Kirchner stellte sich in der Chronik selbst als wahres Genie der Gruppe dar und hob seinen Einfluss hervor. Er schrieb außerdem unter einem Pseudonym Kritiken über die Werke der Brücke-Maler, in denen er die anderen Mitglieder beschuldigte, von ihm abgeschaut zu haben. Um seinen Führungsanspruch zu untermauern, datierte er sogar einige seiner Bilder vor. Heckel sagte später über die Chronik: „Der Text hat uns vor den Kopf gestoßen.“ Kirchner empfand die Ablehnung durch seine Kameraden wiederum als Undankbarkeit und zog sich in der Folgezeit immer mehr zurück. Im Mai 1913 beschlossen daraufhin die übrigen Mitglieder die Auflösung der Gruppe. In einem Brief, der von Kirchner nicht mehr unterzeichnet wurde, setzten Heckel und Schmidt-Rottluff die Passivmitglieder davon in Kenntnis. Die Chronik, die letztlich zum Ende der Gemeinschaft geführt hatte, wurde von Kirchner einige Jahre später doch noch veröffentlicht. Später distanzierte er sich von der Brücke und wollte nicht mehr in Zusammenhang mit dieser genannt werden. Bildthemen Die ersten Themen der Brücke waren das Stadtleben, Zirkus und Varieté, der Mensch in Bewegung, Tanz, Aktdarstellungen und Landschaften. Sie veranstalteten schon bald Exkursionen aufs Land und in die freie Natur, zum Beispiel nach Goppeln. 1907 entdeckte Heckel durch Zufall die Ortschaft Dangast im Atlas, die von den Künstlern in den darauf folgenden Jahren häufig besucht und in zahlreichen Bildern festgehalten wurde. Auch andere Ausflüge, etwa nach Fehmarn, die Flensburger Förde oder Nidden auf der Kurischen Nehrung wurden unternommen, häufig jedoch nicht geschlossen, sondern in Kleingruppen oder alleine. Ausstellungen 1905 fand im Durchgangsraum der Leipziger Kunsthalle von Beyer und Sohn erstmals eine Ausstellung von Brücke-Bildern statt. Im Juli 1906 wurden weitere Werke in Braunschweig gezeigt. Die erste Brücke-Ausstellung in Dresden wurde am 24. September 1906 im Mustersaal der Lampenfabrik der Dresdner Kunstwerkstätten Karl Max Seifert (Dresden-Löbtau, Gröbelstraße 17) eröffnet. Ein von Bleyl gefertigtes Plakat, das einen Frauenakt zeigte, war von der Polizei im Vorfeld verboten worden. Die Veranstaltung war kein Erfolg. Die Zuschauer blieben fern und auch die Kritiken waren gemischt. Das konservative, monarchisch geprägte Dresdner Publikum reagierte größtenteils ablehnend und schockiert auf die Werke der Maler, ebenso wie auf deren unkonventionelle Lebens- und Arbeitsweise. Von ihren Kritikern wurden sie als „Hottentotten im Frack“ bezeichnet. In den Folgejahren wurden Wanderausstellungen der Brücke-Künstler in ganz Deutschland gezeigt. Mitglieder Ernst Ludwig Kirchner, 1905–1913 Karl Schmidt-Rottluff, 1905–1913 Fritz Bleyl, 1905–1907 Erich Heckel, 1905–1913 Max Pechstein, 1906–1912 Emil Nolde, 1906–1907 Otto Mueller, 1910–1913 Folgende Künstler wurden zwar in die Gruppe aufgenommen, werden jedoch bis heute nicht zum engeren Kreis der Brücke-Mitglieder gezählt, da sie eher selten mit den anderen Mitgliedern zusammenarbeiteten und nur an wenigen Ausstellungen beteiligt waren. Cuno Amiet, 1906–1913 Akseli Gallen-Kallela, 1907–1908 Kees van Dongen, 1908–1909 Franz Nölken, 1908–1912 Bohumil Kubišta, 1911–1913 Rezeption Vorbilder Ein großes Vorbild der Brücke war Vincent van Gogh, von dem bereits 1905 in der Dresdner Galerie Arnold 50 Gemälde ausgestellt waren. Fritz Schumacher, ein ehemaliger Lehrer der Brücke-Mitglieder sagte, die Künstler seien angesichts der Bilder „außer Rand und Band“ geraten. Van Goghs Einfluss wird vor allem hinsichtlich der Pinselführung und der Farbgebung deutlich. Auch Paul Gauguin beeinflusste die Kunst der Brücke nachhaltig. Seine Bilder wurden 1906 in Dresden gezeigt. Gauguins Reisen nach Tahiti veranlassten Nolde und Pechstein später zu Aufenthalten in der Südsee und auf Palau. Zahlreiche Anregungen holten sich die Brücke-Maler bei Besuchen im Dresdner Kupferstichkabinett und den dort ausgestellten Werken der Renaissance und des Barock. Kirchner war ein großer Bewunderer Albrecht Dürers, den er in der Chronik als „Pfadfinder der Gestaltung“ bezeichnete. Die Künstler beschäftigten sich eingehend mit den Holzschnitten des 15. und 16. Jahrhunderts und dem Flächenholzschnitt des 19. Jahrhunderts. Im Dresdner Völkerkundemuseum lernten sie die afrikanische Primitivkunst (Art primitif) kennen, deren Holzplastiken und Masken sie in ihrem gestalterischen Ausdruck beeinflussten. Entsprechende Studienobjekte erstand man bei seinerzeit in Deutschland noch seltenen Händlern exotischer Kunst, wie dem Volkskundler Julius Konietzko. Während ihrer Zeit in Dresden bezog die Gruppe mehrere Kunstzeitschriften, darunter die englische Studio und die Münchner Jugend. In Publikationen wie Ver Sacrum entdeckten sie den Symbolismus und den Jugendstil. Einmal brachte Kirchner aus einer Bibliothek einen Band von Julius Meier-Graefe über moderne französische Kunst mit. Bleyl sagte dazu: „Wir waren begeistert (…) Wir suchten Weiterbildung, fortschrittliche Entwicklung und Lösung von Herkömmlichen.“ 1907 reiste Pechstein im Anschluss an einen Italienaufenthalt nach Paris und lernte dort die Arbeiten der Fauves kennen. 1908 stellten die beiden Gruppen gemeinsam in Dresden aus. In den Berliner Jahren der Brücke finden sich kubistische und futuristische Elemente in den Bildern der Künstler. Nicht eindeutig belegt ist der Einfluss Edvard Munchs auf die Künstlergruppe. 1906 waren im Sächsischen Kunstverein 20 Werke des Malers zu sehen, um dessen Mitgliedschaft sich die Brücke vergeblich bemühte. Später bestritten jedoch alle Mitglieder, von Munch beeinflusst worden zu sein. Nachwirkung In den Jahren der Weimarer Republik erlangten vor allem die ehemaligen Brücke-Mitglieder Emil Nolde, Max Pechstein und Ernst Ludwig Kirchner große Popularität. Die stimmungsvollen Bilder der Künstlergruppe hatten darüber hinaus einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Films der 1920er und 1930er Jahre. Regisseure wie Fritz Lang (Metropolis), Friedrich Wilhelm Murnau (Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens) oder Robert Wiene (Das Cabinet des Dr. Caligari) zitierten in ihren Werken Stilmittel der Expressionisten. 1926 malte Kirchner das Gruppenbild Eine Künstlergemeinschaft, auf dem neben ihm selbst Schmidt-Rottluff, Heckel und Mueller zu sehen sind. Während der Zeit des Nationalsozialismus galten expressionistische Bilder als „Entartete Kunst“. Die Ausstellung „Entartete Kunst“, die insgesamt etwa 650 Bilder zeigte, bestand annähernd zur Hälfte aus Werken der Brücke-Maler. 1957 veranstaltete der Oldenburger Kunstverein die bahnbrechende Ausstellung „Maler der Brücke in Dangast von 1907 bis 1912“, die vom damaligen Kustos am Niedersächsischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Gerhard Wietek, kuratiert wurde. Die Ausstellung, mit der auch die kunstgeschichtliche Bedeutung des Nordseebades Dangast gezeigt werden konnte, trug wesentlich zur nachfolgenden Forschung über die Künstlergruppe bei. 1967 wurde in Berlin das Brücke-Museum eröffnet, dessen Bau von Schmidt-Rottluff angeregt worden war. Das Museum zählt etwa 400 Gemälde und Plastiken und einige Tausend Zeichnungen, Aquarelle und Graphiken und ist damit die weltweit größte zusammenhängende Sammlung von Werken dieser expressionistischen Künstler. 2001 wurde das Museum der Phantasie in Bernried eröffnet, das die von Lothar-Günther Buchheim zusammengetragene umfangreiche Sammlung von namhaften Werken der Brücke-Maler ausstellt. Die Künstlergruppe Brücke und ihre Werke genießen neben dem Blauen Reiter bei vielen Kunstkennern den Ruf, sie seien der bedeutendste Beitrag der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts an der „Weltkunst“. Sonderausstellungen 2005 fanden anlässlich des 100. Gründungsjubiläums der Brücke zahlreiche Sonderausstellungen statt. Das Bundesministerium der Finanzen gab eine 55-Cent-Sonderbriefmarke heraus. 29. August 2010 bis 9. Januar 2011: Der Blick auf Fränzi und Marcella. Zwei Modelle der Brücke-Künstler im Sprengel Museum Hannover, 8. Juni 2018 bis 15. September 2018: Kirchner und die »Künstlergemeinschaft Brücke« in der Staatsgalerie Stuttgart 17. November 2018 bis 24. März 2019: Die Brücke im Museum Frieder Burda in Baden-Baden 21. November 2021 bis 27. Februar 2022: Brücke und Blauer Reiter, Von der Heydt-Museum, Wuppertal Galerie Literatur Birgit Dalbajewa, Ulrich Bischoff (Hrsg.): Die BRÜCKE in Dresden 1905–1911. Katalog zur Sonderausstellung Oktober 2001 bis Januar 2002 im Dresdner Schloss. König, Köln 2001, ISBN 3-88375-516-8. Horst Jähner: Künstlergruppe Brücke. Geschichte einer Gemeinschaft und das Lebenswerk ihrer Repräsentanten. Seemann, Leipzig 2005, ISBN 3-86502-123-9. Christian Saehrendt: Die Kunst der „Brücke“ zwischen Staatskunst und Verfemung. Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im „Dritten Reich“ und im Kalten Krieg. Reihe Pallas Athene (= Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. Band 13). Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08614-5. Meike Hoffmann: Leben und Schaffen der Künstlergruppe „Brücke“ 1905 bis 1913: Mit einem kommentierten Werkverzeichnis der Geschäfts- und Ausstellungsgrafik. Reimer, Berlin 2005 (zugl. Dissertation. Freie Universität Berlin), ISBN 3-496-01331-1. Gerd Presler: Die Brücke. Rowohlt, Reinbek 2007, ISBN 978-3-499-50642-0. Ulrike Lorenz: Brücke. Taschen, Köln 2016, ISBN 978-3-8365-3698-1. Einzelnachweise Weblinks Brücke Museum in Berlin-Dahlem Die Brücke – Erklärung und Werke bei Ketterer Kunst Expressionismus Künstlergruppe (Bildende Kunst, Dresden) Gegründet 1905 Aufgelöst 1913 Künstlergruppe (Moderne)
1097
https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin-Dahlem
Berlin-Dahlem
Dahlem ist ein Ortsteil im Bezirk Steglitz-Zehlendorf in Berlin. Er befindet sich im Südwesten der Stadt zwischen den Ortsteilen Zehlendorf und Steglitz, der Ortslage Lichterfelde West und dem Forst Grunewald. Viele Villen und kleine Parkanlagen prägen das Bild des Ortsteils. Zahlreiche Wissenschaftseinrichtungen sind in Dahlem angesiedelt, darunter auch die Freie Universität Berlin mit mehreren Instituten. Zudem befindet sich hier mit dem Museumszentrum Berlin-Dahlem ein Museumsstandort der Staatlichen Museen zu Berlin mit einer der weltweit bedeutendsten ethnologischen Sammlungen. Seit 2021 werden diese Sammlungen im Humboldt Forum ausgestellt. In Dahlem verblieben ist das Museum Europäischer Kulturen. Geschichte Dahlem im Mittelalter Das Dorf Dahlem entstand Anfang des 13. Jahrhunderts etwa zwischen 1200 und 1220 „aus wilder Wurzel“, also ohne slawische Vorbesiedlung. Allerdings sind offenbar Slawen aus kleinen benachbarten Siedlungen, die aufgegeben wurden, in das neu gegründete Dorf als Kossäten umgesiedelt worden. Die erste Dorfkirche aus Stein entstand vermutlich um 1300. Die erste urkundliche Erwähnung Dahlems stammt aus dem Jahr 1275 (Dalm). Im Schossregister, einem Steuerverzeichnis der damaligen Zeit, findet sich bereits 1450 eine Erwähnung des Ritterhofes des Otto von Milow. Der Ort Dalem, wie er im Schossregister bezeichnet wurde, war zu dieser Zeit 40 Hufe groß, davon standen dem Pfarrer zwei abgabenfreie Hufen zu. Es gab weiterhin eine Kirchhufe sowie zehn freie Hufen, die Otto von Milow zustanden. Drei Hufen waren wüst, also nicht belegt. Nach dem Tod des letzten Milow ging das Dorf Dahlem und der Ritterhof vor 1480 an die Brüder Heinrich und Peter von Spiel, die schon 1480 über 20 der 52 Hufe Dahlems verfügten. Die übrigen Hufe waren abgabenpflichtig; es gab einen Kossätenhof. Die von Spiel erhielten das Dorf mit Ober- und Untergerichtsbarkeit, hinzu einen See und das Recht, dort zu fischen (1483). Ein Wohnhof der von Spiel mit einer Größe von 14 Hufen wurde schon 1518 erwähnt. Zu dieser Zeit gab es weiterhin einen Krug. Das repräsentative Gutshaus wurde 1560 von den Spiels erbaut und ist heute das älteste Profangebäude von Berlin. Im Jahr 1608 erschien erstmals ein Rittergut. Im Jahr 1624 lebten sechs Hufner, vier Kossäten, ein Hirte und ein Paar Hausleute in Dahlem. Im Dreißigjährigen Krieg wurde Dahlem schwer verwüstet; im Jahr 1652 lebten noch „ein Mann von 36 Jahren“, alle anderen Bauern- und Kossätenhöfe waren zerstört. 1655 wurde das wüst liegende Dahlem und das Rittergut an Georg Adam von Pfuel verkauft, der es sechzehn Jahre später an seinen Neffen Cuno Hans von Wilmerstorff veräußerte. Letzterer begann intensive Baumaßnahmen in dem vom Dreißigjährigen Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogenen Dorf. Seine Bemühungen waren teilweise erfolgreich: Im Jahr 1688 lebte im Dorf wieder ein Schulze mit sechs Hufen. Hinzu kamen 28 wüste Bauernhufen der Familie von Wilmersdorf, zwei Kossätenhöfe mit je einem wüsten Hufen und ein Schäfer. Die Statistik verzeichnete für Dahlem „17 Personen“. Seit 1700 besaßen die von Wilmersdorf den Ort erblich und lehnsrechtlich. Sie verfügten über einen freien Rittersitz und Wohnhof sowie 14 freie Ritterhufe, Gärten und einem Weinberg. Außerdem besaßen sie die Ober- und Untergerichtsbarkeit, das Kirchenpatronat sowie die Windmühlengerechtigkeit (1715). Der Schulzenhof war mittlerweile wieder wüst gefallen (1707), ebenso ein Meierhof mit sechs Hufen und zwei Sechshufnerhöfe. Besetzt waren nur zwei Vierhufnerhöfe, zwei der drei Kossätenhöfe sowie die Schmiede, die 1707 erstmals erschien. Ein Jahr später gab es im Dorf eine Windmühle. Im Jahr 1711 gab es im Dorf zwei Hufner, vier Kossäten, einen Schmied, einen Hirten, einen Schäfer, einen Großknecht und einen Jungen. Sie zahlten für die nur noch 36 Hufe große Gemarkung je vier Groschen an Abgaben. Aus dem Jahr 1745 wurde lediglich von zwei Bauern, vier Kossäten, der Windmühle und dem Rittergut berichtet. 1771 standen im Dorf sechs Giebel (= Wohnhäuser), in denen unter anderem der Schmied, der Hirte, der Schäfer, der Großknecht und der Kleinknecht wohnten. 1799 verkaufte der letzte Wilmerstorff Dahlem und Schmargendorf an den Grafen Friedrich Heinrich von Podewils, der aber bereits 1804 starb. In seiner Zeit als Gutsherr wurden die letzten Bauern umgesiedelt und durch Landarbeiter ersetzt. Dahlem bestand in dieser Zeit im Jahr 1800 aus dem Dorf und Gut mit 14 Feuerstellen (= Haushalte). Es gab zwei Ganzbauern, drei Ganzkossäten, eine Schmiede, einen Krug, eine Windmühle und eine Schäferei. Im gleichen Jahr erschien erstmals das Forsthaus Hundekehle. Für 80.000 Taler erwarb Carl Friedrich von Beyme das Gut. Dahlem kam im Jahr 1804 an die Kinder der Fürsten von Schönburg und von dort an die Familie von Beyme. Im Jahr 1817 bestand Dahlem mit dem Vorwerk Ruhleben, dem Forsthaus Hundekehle und Wirtshaus Paulsborn. Nach dem Tod Beymes im Jahr 1838 verkaufte seine Tochter Charlotte von Gerlach 1841 das Dorf an den preußischen Domänenfiskus. Ab 1901 erfolgt die Aufteilung der Königlichen Domäne Dahlem mit dem Ziel, dort einen vornehmen Villenort mit angegliederten wissenschaftlichen Einrichtungen („Deutsches Oxford“) zu bauen. Die angrenzenden Gründerzeit-Villenkolonien in Lichterfelde West und Grunewald waren bereits eine begehrte und teure Wohnlage. In der Domäne lebte der Pächter mit 16 Jungen und Mägden sowie 35 Tagelöhnern. Es gab vier Arbeiter und drei Bediente. Die Domäne war 1935 Morgen groß; hinzu kamen zwei kleinere Besitzungen, die zusammen jedoch nur fünf Morgen Fläche belegten. Die Statistik verzeichnete weiterhin einen Grobschmiedemeister, einen Schankwirt und drei Arme. Im Jahr 1860 standen in der Domäne ein öffentliches, sowie 12 Wohn- und 14 Wirtschaftsgebäude, darunter eine Brennerei und eine Getreidemühle. Entwicklung ab 1901 Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Dahlem lediglich die traditionelle Verbindung zwischen Steglitz und dem Jagdschloss Grunewald, aus der die heutige Königin-Luise-Straße hervorging und den Dahlemer Weg, die Verbindung nach Schmargendorf und Zehlendorf. Die Pläne des preußischen Kulturpolitikers Friedrich Althoff zur Verlegung des Botanischen Gartens von Schöneberg nach Dahlem und für einen Wissenschaftsstandort („Deutsches Oxford“) führten ab 1897 zu ersten Veränderungen. Mit dem Ende des letzten Pachtvertrages der Domäne Dahlem, 1901, begann die Entwicklung zur heutigen Form. Am 25. März 1901 trat das Gesetz zur Aufteilung des Domänengeländes in Kraft, für dessen Umsetzung die Königliche Kommission zur Aufteilung der Domäne Dahlem zuständig war. Die ersten Mitglieder der Kommission waren Hugo Thiel, Ministerialdirektor im preußischen Landwirtschaftsministerium, Eberhard Ramm, Oberregierungsrat im preußischen Landwirtschaftsministerium und bis 1920 Amtsvorsteher der Domäne Dahlem, Rudolf Zarnack, Gutsverwalter, Nathan Dorn, für den Verkauf der Grundstücke zuständig, drei Beamte der beteiligten Ministerien sowie der Architekt Walter Kyllmann. Ab 1910 gehörten auch der erste Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Adolf von Harnack, und Hofbaumeister Ernst von Ihne der Kommission an. 1919 wurde sie in Staatliche Kommission zur Aufteilung der Domäne Dahlem umbenannt. Sie wurde erst 1933 im Rahmen von Verwaltungsreformen aufgelöst. Die Kommission war dem preußischen Finanz- und Landwirtschaftsministerium direkt unterstellt. Die Kommission entschied sich, das Gelände für die Villenkolonie selber zu vermarkten um einen höheren Gewinn für den Staat zu erzielen und gleichzeitig die Bodenspekulation einzudämmen. Sie traf sich viele Jahre im Alten Krug in der Königin-Luise-Straße. Bereits 1898 gab es einen Plan von Walter Kyllmann zur Entwicklung der Villenkolonie, der einen Verbund mit den bereits bestehenden Villenkolonien in Grunewald, Steglitz und Lichterfelde in gleichförmiger Parzellierung vorsah. Aufgrund dieses Planes entstanden bis 1907 die Rheinbaben- und Podbielskiallee mitsamt den Nebenstraßen und die Altensteinstraße, ab 1902 die Habelschwerdter Allee, Goßlerstraße, Rudeloffweg, Von-Laue- und Boetticherstraße. Die Habelschwerdter Allee, Schorlemer-, Lentze-, Engler-, Thiel- und Pacelliallee wurden auf Wunsch Wilhelm II. mit breitem Mittelstreifen für Reitwege 1904 angelegt. Die als Anmarschweg des Garde-Schützen-Bataillon zu den Schießplätzen im Grunewald dienende Fabeckstraße wurde auf einer Hälfte gepflastert und auf der anderen Hälfte mit einem Marsch- und Reitweg versehen. 1908 erhielt auch der westliche Teil der Königin-Luise-Straße, der zu den Schießständen führte, eine Pflasterung. Bereits 1905 verkehrte hier die Straßenbahn der Gemeinde Steglitz. Kyllmans Plan, der im Laufe der Zeit viele Veränderungen erfuhr, rief viel Kritik hervor, weil er wenig Rücksicht auf die landschaftlichen Gegebenheiten Dahlems nahm. Hugo Thiel zog deshalb 1907 für die weitere Planung, die unter anderem wegen der geplanten Einschnittbahn notwendig geworden war, den jungen Architekten Heinrich Schweitzer hinzu, der gemeinsam mit dem Stadtplaner Hermann Jansen einen neuen Bebauungsplan nach den Gesichtspunkten eines landschaftsbezogenen Städtebaus entwickelte. Die neu entstandene Einschnittbahn führte deshalb in einem weiten Bogen mit begrünten Böschungen bis zur damaligen Endhaltestelle U-Bahnhof Thielplatz. Die neugeplanten Straßen entstanden in einem geschwungenen, den natürlichen Höhenlinien folgenden Netz, das für eine optimale Besonnung der Grundstücke sorgen sollte. Die langen Grünzüge Messel- und Finkenpark sowie Thielpark und Schwarzer Grund bieten vielen Grundstücken eine Parklage. Zwischen 1901 und 1915 entstanden so 539 Grundstücke für 27 Millionen Mark (kaufkraftbereinigt in heutiger Währung: rund  Millionen Euro) mit 384 privaten Neubauten. Die Anzahl der Bewohner wuchs von 194 auf 5500. Der Käufer war verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren ein villenartiges Haus zu errichten und musste bei Überschreitung des Termins eine Vertragsstrafe von 1000 Mark pro Jahr zahlen. Die Besiedlung Dahlems blieb aufgrund der hohen Grundstückspreise nur wohlhabenderen Schichten vorbehalten, hierfür sorgte nicht zuletzt die Aufteilungskommission mit ihrem Verkaufsleiter Nathan Dorn. Trotzdem entstanden in Dahlem im Zuge der Ansiedlung von Behörden und Forschungsinstituten Mietwohnungen für mittlere Beamte und Wissenschaftler, wie in der Ladenbergstraße, in der Umgebung der Habelschwerdter Allee und am Corrensplatz. Bei der Umsetzung der Pläne für eine Villenkolonie kam es zu Interessenkollisionen mit dem von Friedrich Althoff entwickelten Konzept für ein „Deutsches Oxford“. Die beiden Bebauungspläne von Kyllmann (1899) und Schweitzer/Jansen (1911) versuchten die unterschiedlichen Interessen zu berücksichtigen. Auf persönliche Intervention Kaiser Wilhelms II. wurden deshalb große Flächen für Staatsbauten reserviert. Eingemeindung nach Berlin Am 1. Oktober 1920 wurde der Gutsbezirk Berlin-Dahlem mit 6244 Einwohnern zusammen mit den Landgemeinden Zehlendorf, Wannsee und Nikolassee sowie den Gutsbezirken Kleinglienicke, Pfaueninsel und dem nördlichen Teil von Potsdam (Forst) im Bezirk Zehlendorf nach Groß-Berlin eingemeindet. Dies geschah trotz heftiger Proteste der Anwohner, die den Ort als „Domäne und Villenort Dahlem“ selbstständig belassen wollten. Die Aufteilungskommission blieb zwar erhalten, benötigte aber nun die Zustimmung des Magistrats von Berlin. Bei der Eingemeindung erhielt Dahlem die Gebiete bis zum heutigen Waldfriedhof sowie bis zum heutigen Goldfinkweg westlich der heutigen Clayallee. In die Jahre der Weimarer Republik fällt die Errichtung zahlreicher neuer Wohnbauten, die Fertigstellung des Geheimen Staatsarchivs, der Bau der St. Bernhard und der Jesus-Christus-Kirche, die Anlage des Waldfriedhofs und die Verlängerung der U-Bahn-Linie. Ebenfalls wurden die Wissenschaftsbauten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft erweitert und der Umzug der Landwirtschaftlichen Hochschule realisiert. In dieser Zeit entstanden in Dahlem eine Reihe von Bauten der Moderne, für die die Bauten von Hans und Wassili Luckhardt mit Alfons Anker in der Schorlemerallee beispielhaft sind. Zeit des Nationalsozialismus Eine einschneidende Veränderung in der Zeit des Nationalsozialismus war die Verdrängung und Emigration der jüdischen und oppositionellen Wissenschaftler und Bewohner Dahlems. Ein großer Teil der Bevölkerung des Ortsteils gehörte nach 1933 zur Führungsriege der NSDAP, wie Außenminister Joachim von Ribbentrop, Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und Konstantin von Neurath, um nur einige zu nennen. In die Villen der Vertriebenen oder Enteigneten zog die nationalsozialistische Elite, wie Martin Bormann, Heinrich Himmler, SA-Stabschef Viktor Lutze und Reichsbauernführer Walther Darré. Viele namhafte Militärs wohnten ebenfalls in Dahlem, darunter Wilhelm Keitel, Walther von Brauchitsch, Friedrich Paulus, Albert Kesselring, Erich von Manstein, Alfred Jodl, Heinz Guderian und Karl Dönitz. Neue Grenzen durch die Gebietsreform 1938 Die Berliner Gebietsreform mit Wirkung zum 1. April 1938 hatte zahlreiche Begradigungen der Bezirksgrenzen sowie einige größere Gebietsänderungen zur Folge, von denen auch Dahlem betroffen war. Die Nordgrenze verlief von nun ab entlang der Lentzeallee und der Pücklerstraße. Die Ostgrenze zu Steglitz, die bisher mitten durch die Häuserblöcke verlief, bildete nun die Englerallee und die Altensteinstraße die Grenze zu Lichterfelde. Im Süden wurde das Gebiet südlich der Berliner Straße – mit dem Staatlichen Materialprüfungsamt – Lichterfelde zugeordnet und die Schützallee wurde zur Südgrenze. Im Westen ging ein Stück vom Grunewald von Wilmersdorf an Dahlem, sodass das Jagdschloss Grunewald heute in Dahlem liegt. Durch die geänderten Grenzen kam nun der Botanische Garten, der bei seiner Gründung auch nur teilweise in Dahlem lag, vollständig zu Lichterfelde. Die wichtigste Änderung war aber der Verlust des Villengebietes um die Rheinbabenallee, das im Rahmen der ersten Bebauungsphase ab 1901 entstand und in seinem städtebaulichen Bezug noch immer zu Dahlem gehört. Dieses Gebiet umfasste die Linie vom Wilden Eber entlang der Warnemünder Straße, Hundekehlestraße, Hagenstraße bis zur Höhmannstraße, dann entlang der Linie Regerstraße, Wildpfad, Waldmeisterstraße, Goldfinkweg bis zur Pücklerstraße, die ab jetzt die Nordgrenze bildete. Bebauung in den 1930er Jahren Von 1936 bis 1938 entstand auf dem damals noch ungenutzten Gelände an der Kronprinzenallee (heute: Clayallee) das Luftgaukommando III Berlin (später: US-Hauptquartier). Zusammen mit den Dienstwohngebäuden in der Saargemünder Straße gehört diese von Fritz Fuß errichtete Anlage zu den ersten monumentalen Bauten, die vom neuen Baustil der Nationalsozialisten zeugen. Ein weiteres Gebäude aus dieser Zeit ist das Ateliergebäude für Arno Breker von Hans Freese, das zwischen 1939 und 1942 errichtet wurde. Im Jahr 1938 wurde die Familie Wertheim gezwungen, nicht nur ihre Kaufhäuser, sondern auch ihr Grundstück an der Messel- und Max-Eyth-Straße (heute in Schmargendorf) zu verkaufen. Das Grundstück wurde parzelliert und die darauf befindliche, von Max Landsberg entworfene Villa Wertheim aus dem Jahr 1910 abgerissen. Es entstanden mehrere Wohnhäuser wie auch die Villa Riefenstahl für die Regisseurin Leni Riefenstahl. Gleichschaltung und Widerstand Nach der „Machtergreifung“ hatten die Nationalsozialisten in den Forschungseinrichtungen und Behörden die administrative und ideologische Führung übernommen. Die Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft stellten sich mehr oder weniger freiwillig in die Dienste der Nationalsozialisten. Dies hatte zur Folge, dass jüdische Wissenschaftler ihre Anstellung verloren oder von ihren Ämtern zurücktraten und ins Ausland flohen. Hierzu gehörten Albert Einstein, der Deutschland bereits im Dezember 1932 verlassen hatte und nicht mehr zurückkehrte. Sein Nachfolger als Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik, der Niederländer Peter Debye verließ Deutschland 1939. Danach wurde das Institut dem Heereswaffenamt unterstellt um die Nutzung der Kernspaltung zu erforschen. Nach Entzug ihrer Lehrbefugnis 1933 konnte Lise Meitner als österreichische Staatsbürgerin ihre Arbeit zunächst am privaten Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie fortsetzen. Nach dem Anschluss Österreichs war sie nun aber als gebürtige Jüdin in besonderer Weise gefährdet und konnte dank Otto Hahns Hilfe im Juli 1938 nach Schweden emigrieren. Am Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie waren bereits im April 1933 auf der Grundlage der Arierparagraphen alle jüdischen Mitarbeiter entlassen worden. Der Institutsleiter, Nobelpreisträger Fritz Haber, ließ sich im Mai 1933 in den Ruhestand versetzen und verließ Deutschland im Herbst 1933, um nach Cambridge zu gehen. Das Institut wurde der Heeresverwaltung unterstellt und die militärische Forschung wieder aufgenommen. Weitere Institute, die sich in den Dienst der nationalsozialistischen Sache stellten, waren das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, das Reichsgesundheitsamt, das unter seinem neuen systemtreuen Präsidenten Hans Reiter die Abteilung „Menschliche Erblehre und Rassenpflege zur Förderung der erbgesunden, kinderreichen Familie deutschen Blutes“ einrichtete. Die Materialprüfungsanstalt und das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene erfüllten ebenfalls kriegsbedingte Aufgaben. Martin Niemöller war von 1931 bis zu seiner Inhaftierung 1937 Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Dahlem, die sich unter seiner Führung zu einem Zentrum des kirchlichen Widerstands entwickelte. Sein Vertreter bis 1940 wurde Helmut Gollwitzer. Die zweite Bekenntnissynode der Bekennenden Kirche wurde 1934 in Dahlem abgehalten, die das kirchliche Notrecht ausrief. Bevölkerung Quelle: Statistischer Bericht A I 5. Einwohnerregisterstatistik Berlin. Bestand – Grunddaten. 31. Dezember. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (jeweilige Jahre) Sehenswürdigkeiten Bauten Jagdschloss Grunewald mit Gemäldesammlung und Ausflugslokal Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin von Architekt Lord Norman Foster St.-Annen-Kirche Der dem Ortsteil Dahlem oftmals zugeschriebene Botanische Garten liegt allerdings nicht in Dahlem, sondern seit der Gründung von Groß-Berlin im Jahr 1920 in Lichterfelde. Ursprünglich (1895) gehörte rund ein Viertel der Fläche zur Gemarkung Dahlem (siehe Grafik im Artikel Botanischer Garten Berlin). Museen Museumszentrum Berlin-Dahlem mit dem Museum Europäischer Kulturen Domäne Dahlem – agrarhistorisches Freilichtmuseum Brücke-Museum Alliiertenmuseum zur Geschichte des Kalten Krieges in Berlin Ruine der Künste Kunsthaus Dahlem Wissenschaftsstandort Dahlem Freie Universität Berlin, beispielsweise mit dem Dahlem Centre of Plant Sciences Max-Planck-Gesellschaft, hervorgegangen aus den Kaiser-Wilhelm-Instituten, die in Dahlem gegründet wurden. Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Max-Planck-Institut für molekulare Genetik Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Harnack-Haus, Tagungszentrum der Max-Planck-Gesellschaft Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Deutsches Archäologisches Institut Deutsche Universität für Weiterbildung Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin Geheimes Preußisches Staatsarchiv Institut für Museumsforschung Institut für Arbeitsmedizin der Charité Julius Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (JKI) Umweltbundesamt (Standort Berlin), bis 1994 Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene (Eingliederung in das Umweltbundesamt) Verkehr Dahlem wird im Südosten von der Bundesstraße 1 und im Nordosten vom Abzweig Steglitz der Berliner Stadtautobahn tangiert. Die Linie U3 der Berliner U-Bahn verläuft mit fünf Haltestellen (Oskar-Helene-Heim, Freie Universität [Thielplatz], Dahlem Dorf, Podbielskiallee und Breitenbachplatz) durch den Ortsteil. Der U-Bahnhof Dahlem-Dorf wurde 1987 in Japan zum schönsten U-Bahnhof Europas gekürt. Die Raumskulpturen Liebespaare auf dem Bahnsteig schuf der in Berlin lebende und 2012 verstorbene Bildhauer Wolf van Roy. Persönlichkeiten Söhne und Töchter Dahlems Brigitte Horney (1911–1988), Schauspielerin Richard Kirsch (1915–1971), Chirurg und Hochschullehrer Wilhelm Anhalt (1917–1979), Fregattenkapitän der Bundesmarine und Politiker Karl-Eduard von Schnitzler (1918–2001), Chefkommentator des Fernsehens der DDR, Autor und Moderator der Sendung Der schwarze Kanal Hanno Hahn (1922–1960), Kunsthistoriker, Architekturforscher; einziger Sohn von Otto Hahn Peter Kraske (1923–2019), Theologe, Superintendent in West-Berlin und Leiter der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union Konrad Kraske (1926–2016), Politiker (CDU) Maurus Berve OSB (1927–1986), Benediktinermönch und Abt der Abtei Neuburg bei Heidelberg Götz von Boehmer (1929–2019), Rechtswissenschaftler und Botschafter a. D. Paul Mersmann der Jüngere (1929–2017), Bildhauer, Maler und Schriftsteller Edgar Ott (1929–1994), Schauspieler und Synchronsprecher (z. B. für Benjamin Blümchen) Wolfgang Döring (1934–2020), Architekt und Hochschulprofessor Karin von Wangenheim (1937–2019), Schauspielerin, Malerin und Zeichnerin Nora von Collande (* 1958), Schauspielerin und Autorin Weitere mit Dahlem verbundene Personen Georg Adam von Pfuhl (1618–1672), kurbrandenburgischer General, Herr auf Dahlem Adolf Jandorf (1870–1932), Unternehmer, Gründer des KaDeWe; lebte mit seiner Familie in der Villa Gelfertstraße 32–34 Otto Hahn (1879–1968), Chemiker, und seine Frau Edith Junghans (1887–1968), Malerin, lebten bis 1945 in der Altensteinstraße 48. Ludwig Fulda (1862–1939), Bühnenautor und Übersetzer sowie Verfolgter das Nationalsozialismus; lebte in Dahlem. Arthur Zarden (1885–1944), Finanzexperte und in der Weimarer Republik Staatssekretär im Reichsfinanzministerium sowie Verfolgter des Nationalsozialismus; lebte in Dahlem. Max Baldner (1887–1946), Cellist, Musiklehrer und Verfolgter des Nationalsozialismus; lebte in Dahlem. Gustav Stolper (1888–1947), Nationalökonom, Wirtschaftsjournalist und liberaler Politiker sowie Verfolgter des Nationalsozialismus; lebte in Dahlem. Bruno Asch (1890–1940), Kommunalpolitiker der SPD und Verfolgte des Nationalsozialismus; lebte in Dahlem. Kurt Hueck (1897–1965), Botaniker und Verfolgter des Nationalsozialismus; war Direktor des Instituts für Landwirtschaftliche Botanik, das sich in Dahlem befand. Fritz Lang (1890–1976), Regisseur und Drehbuchautor; lebte in der Schorlemerallee 7a. Toni Stolper (1890–1988), Wirtschaftswissenschaftlerin und Journalistin sowie Verfolgter des Nationalsozialismus; lebte in Dahlem. Camilla Spira (1906–1997), Schauspielerin und Verfolgte des Nationalsozialismus; lebte in Dahlem. Brigitte Helm (1908–1998), Filmschauspielerin, bis heute vor allem bekannt für ihre Rolle in Metropolis; lebte in der Schorlemerallee 12. Hildegard Knef (1925–2002), Schauspielerin, Chansonsängerin und Autorin; überlebte als junge Schauspielschülerin die letzten Kriegswochen in der Villa Gelfertstraße 37, wo sie als Geliebte des damaligen Bewohners, dem Reichsfilmdramaturg Ewald von Demandowsky (1906–1946), untergekommen war. Dieser hatte die Villa 1939 nach Zwangsenteignung der jüdischen Besitzer erstanden. Siehe auch Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Dahlem Liste der Kulturdenkmale in Berlin-Dahlem Liste der Gedenktafeln in Berlin-Dahlem Liste der Stolpersteine in Berlin-Dahlem Liste der Kinos in Berlin-Dahlem Literatur Michael Engel: Geschichte Dahlems. Berlin-Verlag, Berlin 1984, ISBN 3-87061-155-3. Wolfgang H. Fritze: Dahlem St. Annen. Zeiten eines Dorfes und seiner Kirche. Berlin 1989. Harry Balkow-Gölitzer: Eine noble Adresse: Prominente in Berlin-Dahlem und ihre Geschichten. Berlin-Edition, Berlin 2005, ISBN 3-8148-0136-9. Dietrich Hahn: Otto Hahn – Leben und Werk in Texten und Bildern. Vorwort von Carl Friedrich von Weizsäcker. Suhrkamp-Insel, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-458-32789-4. Eckart Henning, Marion Kazemi: Dahlem – Domäne der Wissenschaft. Ein Spaziergang zu den Berliner Instituten der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft im „deutschen Oxford“. Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin 2002, ISBN 3-927579-16-5. Domäne Dahlem: Dahlem – St. Annen: Zeiten eines Dorfes und seiner Kirche. Domäne Dahlem, Berlin 1989, ISBN 3-9802192-1-6. Carl-Philipp Melms: Chronik von Dahlem, 1217 bis 1945: Vom Rittergut zur städtischen Domäne. arani, Berlin 1957 und 1982, ISBN 3-7605-8528-0. Lieselott Enders: Historisches Ortslexikon für Brandenburg: Teltow (= Historisches Ortslexikon für Brandenburg. Band 4). Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1976. Weblinks Information zum Ortsteil Dahlem. Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin Sebastian Wandersee: Draußen in Dahlem. Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf auf Berlin.de. Einzelnachweise Dahlem Ersterwähnung 1275 Gutsbezirk (Preußen)
1098
https://de.wikipedia.org/wiki/Definitionsmenge
Definitionsmenge
In der Mathematik versteht man unter Definitionsmenge oder Definitionsbereich die Menge mit genau den Elementen, unter denen (je nach Zusammenhang) die Funktion definiert bzw. die Aussage erfüllbar ist. In der Schulmathematik wird die Definitionsmenge oft mit abgekürzt, manchmal wird das auch mit einem Doppelstrich geschrieben. Definitionsbereich einer Funktion Eine Funktion ist eine spezielle Relation, die jedem Element der Definitionsmenge genau ein Element der Zielmenge zuweist. Die Definitionsmenge wird mit bezeichnet. Hat die Funktion einen anderen Namen als wie z. B. oder , dann wird der Definitionsbereich entsprechend mit oder bezeichnet. Die Menge aller Funktionswerte von heißt Bild- oder Wertemenge von und ist eine Teilmenge der Zielmenge. Die Grundmenge und die Zielmenge einer Funktion sind wesentliche Teile ihrer Definition. Häufig werden aber die Grundmenge und die Zielmenge einer Funktion nicht mit angegeben, wenn die Funktion auf der maximal möglichen Definitionsmenge gemeint ist (die dann meist eine Teilmenge der reellen Zahlen oder komplexen Zahlen ist). Zwei Funktionen mit gleicher funktionaler Abhängigkeit, aber verschiedenen Grundmengen oder verschiedenen Zielmengen, sind jedoch unterschiedliche Funktionen und können unterschiedliche Eigenschaften haben. Beispiele Gegeben sei die Abbildung mit der Grundmenge und der Zielmenge . Dann gilt: ist eine Funktion mit und . Als Funktion (also mit Definitionsmenge und Zielmenge ) ist bijektiv, also sowohl surjektiv als auch injektiv. Als Funktion (also mit Definitionsmenge und Zielmenge ) ist injektiv, aber nicht surjektiv. Als Funktion (also mit Definitionsmenge und Zielmenge ) ist surjektiv, aber nicht injektiv. Als Funktion (also mit Definitionsmenge und Zielmenge ) ist weder surjektiv noch injektiv. Einschränkung und Fortsetzung einer Funktion Sei eine Funktion und , . Die Funktion heißt Einschränkung von , wenn für alle gilt. heißt in dieser Situation Erweiterung oder Fortsetzung von . Die Einschränkung wird oft als geschrieben. Diese Notation ist nicht völlig exakt, da die Menge nicht mit angegeben wird; in den interessanten Fällen wird aber meist gewählt. Für eine Funktion und zwei gegebene Mengen , gibt es höchstens eine Einschränkung von ; diese existiert genau dann, wenn die Bildmenge von Teilmenge von ist. Im Gegensatz zur Einschränkung einer Funktion ist die Fortsetzung nicht eindeutig. Beispiel Gegeben sei die Funktion Mögliche Fortsetzungen auf den Definitionsbereich , also als Funktionen , sind beispielsweise sowohl als auch ist insofern eine „schönere“ Fortsetzung, als stetig ist, hingegen nicht. Dies ändert aber nichts daran, dass beide Funktionen korrekte Fortsetzungen sind, da eine eindeutige Fortsetzung in der Funktionsdefinition selbst nicht erhalten ist. Eindeutigkeit ergibt sich erst aus zusätzlichen Forderungen, wie eben Stetigkeit in diesem Beispiel, oder beispielsweise in der Forderung nach einer holomorphen Fortsetzung auf die komplexen Zahlen von einer Funktion, die zunächst nur auf einer Teilmenge der reellen Zahlen definiert ist. Definitionsbereich einer Relation Unter dem Definitionsbereich der Relation mit versteht man die Projektion von auf , also jene Teilmenge von Elementen der Quelle , die als erste Komponenten in Elementen vorkommen: Beispiel Gegeben sei die Relation mit . Da für reelle das Quadrat immer nichtnegativ (größer oder gleich null) ist und umgekehrt für jedes nichtnegative reelle mindestens eine reelle Zahl mit existiert, ist für diese Relation der Definitionsbereich die Menge der nichtnegativen reellen Zahlen: . Definitionsbereich eines Terms Der Definitionsbereich eines Terms mit Variablen und den dazugehörigen Grundmengen ist die Menge aller n-Tupel , für , für die der Term in sinnvolle Werte übergeht. Beispiele Der Definitionsbereich des Terms in einer Variablen mit der Grundmenge ist , da der Bruch nur für einen von Null verschiedenen Wert des Nenners sinnvoll definiert ist. Der Definitionsbereich des Terms in zwei Variablen mit der Grundmenge ist , da im reellen Fall die Wurzel nur für nichtnegative Werte sinnvoll definiert ist. Definitionsbereich von Gleichungen und Ungleichungen Sind und Terme, so nennt man eine Gleichung, und und ähnliche Ausdrücke nennt man Ungleichungen. Beim Lösen einer Gleichung bzw. Ungleichung sucht man jene Werte aus dem Grundbereich, für welche die Gleichung bzw. Ungleichung in eine wahre Aussage übergeht. Als Definitionsbereich bezeichnet man jene Teilmenge des Grundbereiches, für die alle in der Gleichung bzw. Ungleichung auftretenden Terme sinnvoll definiert sind, also die Durchschnittsmenge der Definitionsmenge von und . Insbesondere bei komplizierteren Gleichungen kann es vorkommen, dass beim Lösen der Ausgangsgleichung auf eine Gleichung umgeformt wird, die auch Lösungen enthält, die nicht im Definitionsbereich der Ausgangsgleichung enthalten sind. In einem solchen Fall muss also nach dem Lösen der Gleichung überprüft werden, ob die erhaltenen Lösungswerte tatsächlich im Definitionsbereich enthalten sind und gegebenenfalls einige Werte ausgeschieden werden. Beispiel Es sind die reellen Lösungen der Gleichung gesucht. Da unter der Wurzel nur nichtnegative Werte stehen dürfen, ist der Definitionsbereich der Gleichung . Quadrieren der Gleichung liefert bzw. . Quadrieren ist keine Äquivalenzumformung, es gilt zwar , aber nicht , die umgeformte Gleichung kann also mehr Lösungen als die Ausgangsgleichung enthalten. Nochmaliges Quadrieren ergibt bzw. . Diese Gleichung hat die beiden Lösungen und . Der Wert ist nicht im Definitionsbereich der Gleichung enthalten und ist somit keine Lösung; der Wert ergibt in die Ausgangsgleichung eingesetzt eine wahre Aussage und ist somit die einzige Lösung der Gleichung. Einzelnachweise Mathematischer Grundbegriff
1099
https://de.wikipedia.org/wiki/Dampf
Dampf
Dampf bezeichnet in Naturwissenschaft und Technik einen chemisch reinen, gasförmigen Stoff, wenn man ihn in Bezug zu seinem flüssigen oder festen Aggregatzustand betrachtet, wie zum Beispiel Wasserdampf. Dampf kann durch Verdampfung der Flüssigkeit oder Sublimation des Feststoffs entstehen und sich durch Kondensation wieder in diese oder durch Resublimieren in diesen umwandeln. Dampf bezeichnet in der Umgangssprache meist eine Beimischung der Luft, die dadurch sichtbar ist, dass der Stoff zum Teil in Gestalt kleinster Tröpfchen, also in flüssiger Form vorliegt; der Dampf ist also eigentlich der Ursprung des sichtbaren Nebels. Dampf-Flüssig-Gleichgewicht Mit der Zeit und sofern keine Störung auftritt, stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht ein, bei dem genauso viele Teilchen der flüssigen bzw. festen Phase in die gasförmige Phase übertreten, wie umgekehrt aus dem Gas zurückwechseln. Der Dampf ist dann gesättigt und wird auch als Brüden, Brodem oder Wrasen bezeichnet. Wie viele Teilchen von einer in die andere Phase wechseln, hängt unter anderem stark von Druck und Temperatur des betrachteten Systems ab. In der Technik spielt das Gleichgewicht zwischen flüssiger und gasförmiger Phase bei thermischen Trennverfahren eine große Rolle. Überhitzter Dampf Steht die Gasphase nicht mehr mit der zugehörigen flüssigen oder festen Phase in Kontakt und wird dem Dampf weiter Wärme zugeführt, wird er überhitzt und liegt als überhitzter Dampf vor. Je stärker diese Erwärmung ist, desto weiter entfernt man sich von dem Bereich, in dem man noch von Dampf spricht, und nähert sich einem Verhalten, das man dann als gasartig bezeichnet. Kondensation Kühlt man überhitzten Dampf langsam ab, wird irgendwann der so genannte Taupunkt erreicht, an dem der Dampf wieder gesättigt ist und bei weiterer Kühlung erneut zu einer Flüssigkeit kondensiert. Im Falle des direkten Überganges vom gasförmigen zum festen Zustand, also bei einer Resublimation, nennt man diesen Punkt Frostpunkt. Kritische Temperatur Oberhalb der kritischen Temperatur ist ein Gas durch Erhöhung des Drucks nicht mehr kondensierbar. Daher wird ein überkritischer Stoff nicht mehr als Dampf, sondern nur noch als Gas bezeichnet. Gebräuchlich ist außerdem der Begriff Fluid für einen überkritischen Stoff. Bedeutungen von Dampf in der Sprache Während Dampf (von mittelhochdeutsch tampf/dampf „Dampf, Wasserdampf“) als ein aus einer Flüssigkeit gebildetes Gas – abgesehen von stoffeigenen Färbungen – unsichtbar ist, spricht man im Alltag bei Dampf meist von einer sichtbaren Mischung aus Luft und feinsten Flüssigkeitstropfen, wie er sich beispielsweise bei der Kondensation von Wasserdampf bildet und beispielsweise aus vielen Schornsteinen entweichend gesehen werden kann. Für dieselbe Form fein verteilter, kleiner Wassertropfen in Luft werden in der Alltagssprache zusätzlich auch die Ausdrücke Kondensstreifen (am Ausgang einer Flugzeugturbine) oder bei großflächigen Wetterphänomenen Nebel (in Bodennähe) bzw. Wolke (am Himmel) verwendet. Der korrekte naturwissenschaftliche Fachausdruck für ein Gemisch aus fein verteilten Flüssigkeitstropfen in einem Gas lautet Nebel. Bei extrem kleinen Flüssigkeitstropfen (und/oder Feststoffpartikeln) bezeichnet man diese Mischung auch als Aerosol. Im Spezialfall des Wassers spricht man in der Technik von Nassdampf. Literatur Burkhard Lohrengel:Einführung in die thermischen Trennverfahren. Trennung von Gas-, Dampf- und Flüssigkeitsvermischen, 2. überarbeitete Auflage, Oldenbourg Verlag, München 2012, ISBN 978-3-486-70889-9. Raimund Schenkel: Der überhitzte Dampf. Spielhagen & Schurich, Wien 1897. Weblinks Der Phasenübergang zwischen Wasser und Dampf (abgerufen am 12. November 2015) Dampfversorgung zur Sterilisation von Medizinprodukten (abgerufen am 12. November 2015) Thermodynamik Gas
1100
https://de.wikipedia.org/wiki/Dampfmaschine
Dampfmaschine
Eine Dampfmaschine ist (im engeren Sinne) eine Kolben-Wärmekraftmaschine. In einem beheizten Dampferzeuger, der als Bestandteil der Maschine gilt, wird Wasser verdampft. Der unter Druck gesetzte Dampf wandelt die in ihm enthaltene Wärmeenergie (auch Druckenergie) durch Verschieben eines in einem Zylinder beweglichen Kolbens in Bewegungsenergie um. Üblicherweise ist der Kolben Teil eines Schubkurbelgetriebes, mit dem die hin- und hergehende Bewegung des Kolbens in Rotation eines Schwungrades, das die Arbeitsmaschine antreibt, umgewandelt wird. Zur Bewegungsumkehr des Kolbens wird der Druck jeweils auf dessen andere zylindrische Seite umgelenkt. Eine andere mit Dampf betriebene Wärmekraftmaschine ist die Dampfturbine, die schon ohne einen die Bewegungsart ändernden Folgemechanismus (Getriebe) die Wärmeenergie des Dampfs in Rotationsenergie umwandelt. Dampfmaschinen sind Wärmekraftmaschinen mit „äußerer Verbrennung“, was sie von Verbrennungsmotoren unterscheidet. Die Anwendungen der ersten funktionsfähigen Dampfmaschine von Thomas Newcomen fanden sich ab Anfang des 18. Jahrhunderts im Steinkohlebergbau zur Wasserhaltung, wo sie zunächst ältere mechanische Kraftquellen wie z. B. Wasserräder ergänzten und später auch ersetzten. Nach allmählichen Verbesserungen des Wirkungsgrades lohnte es sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts, sie ebenfalls in der wachsenden Textilindustrie zum Antrieb von Textilmaschinen einzusetzen und sie verbreiteten sich schließlich auch in weiteren Industriebranchen, wo sie ebenfalls Wasser- und Windmühlen ergänzten. Eine entscheidende Verbesserung gelang James Watt, der 1769 darauf ein Patent erhielt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erlangten sie eine wichtige Rolle im Verkehrswesen, insbesondere zum Antrieb von Dampfschiffen und Dampflokomotiven. Ebenfalls nicht unbedeutend war zudem der Einsatz als Lokomobile. Nach anfänglichen Erfolgen verlor ihre Anwendung in Dampfautomobilen und -lastwagen an Bedeutung und existiert heute praktisch nicht mehr. Ähnliches gilt für den Bereich der Dampftraktoren und Lokomobile, wo der Dampfantrieb vor 1900 dominierte. Auch das erste Luftschiff wurde 1852 von einer Dampfmaschine angetrieben. Abgelöst wurden die Dampfmaschinen in der Wende zum 20. Jahrhundert allgemein durch den Elektromotor und als Fahrzeugantrieb durch den Verbrennungsmotor. In Kraftwerken werden bis heute Dampfturbinen genutzt, um elektrische Energie zu erzeugen. Der folgende Artikel behandelt nur Kolbenkraftmaschinen (Dampfmaschinen „im engeren Sinne“). Wirkungsweise einer Kolbendampfmaschine Die Kolbendampfmaschine setzt thermodynamische Energie (Dampfdruck) aus Dampferzeugern in mechanische Rotationsenergie um. Dabei bewegt sich ein Kolben in dem zugehörigen Zylinder hin und her, er führt eine oszillierende Bewegung aus. Benötigt wird für die mechanische Nutzenergie jedoch zumeist eine Rotationsbewegung. Die Hinbewegung des Kolbens wird mit Druck des Dampfes als Arbeitstakt ausgeführt. Die Rückbewegung wird bei einseitig beaufschlagtem Kolben (einfachwirkende Dampfmaschine) aus gespeicherter Rotations-Schwungenergie ausgeführt. Bei zweiseitig beaufschlagtem Kolben (doppeltwirkende Dampfmaschine) hingegen wird die Rückbewegung des Kolbens ebenfalls als Arbeitstakt verrichtet, per Dampfdruck-Ansteuerung nunmehr auf die Unterseite des Kolbens. Die Steuerung der Dampfzufuhr in den Zylinder erfolgt über einen Schieber oder über Ventile. Der Kolben wird mit dem Druck erst nach unten bzw. in Richtung der Kurbelwelle verschoben. Die Linearbewegung des Kolbens wird mittels Kreuzkopf und Pleuel als Koppelglied am Kurbelzapfen der Kurbelwelle in eine Rotationsbewegung umgesetzt. Das Pleuel schiebt anschließend (bei einfachwirkenden Maschinen) mit der im Schwungrad und in der Kurbelwelle gespeicherten Rotationsenergie den Kolben wieder aus der unteren Lage linear zurück in seine obere Ausgangsposition. Das Arbeitsverfahren einer Dampfmaschine ist somit in zwei Takte gegliedert und ist daher ein Zweitaktverfahren. Atmosphärische Dampfmaschine In einer atmosphärischen Dampfmaschine wurde die Kraft durch ein Vakuum erzeugt. Dazu wurde der Zylinderraum unter dem Kolben mit Wasserdampf gefüllt. Im nächsten Arbeitstakt wurde Wasser in den Zylinder eingedüst, so dass der Wasserdampf abkühlte und dabei kondensierte. Es entstand ein Unterdruck, so dass der Kolben durch den äußeren Atmosphärendruck in den Zylinder gedrückt wurde. Die ausfahrende Bewegung des Kolbens erfolgte bei geöffnetem Dampfventil durch das Gewicht des Pumpengestänges, das an einem Hebelarm, dem sogenannten Balancier, angebracht war. Eine Drehbewegung war, schon wegen der zunächst händischen Steuerung der Ventile, nicht vorgesehen. Zu dieser Zeit standen noch keine druckfesten Kesselanlagen zur Verfügung, mit denen eine Dampfspannung oberhalb des atmosphärischen Druckes hätte erreicht werden können. Der bekannteste Vertreter dieser Bauart war die atmosphärische Dampfmaschine von Thomas Newcomen ab 1712. Die Dampfmaschine wurde vorwiegend für die Wasserhaltung in Kohlenzechen eingesetzt. Der energetische Wirkungsgrad dieser Maschine lag bis zur Weiterentwicklung durch James Watt unter 1 %. Watt verlegte die Kondensation des Dampfs aus dem Arbeitszylinder in einen nachgeschalteten wassergekühlten Behälter, den Kondensator. Dadurch entfiel die dauernde Abkühlung und erneute Erwärmung des Arbeitszylinders in jedem Arbeitstakt, eine Ursache erheblicher Energieverluste. Die Abbildung rechts stellt dar, wie der Unterdruck bzw. der atmosphärische Druck bei der atmosphärischen Dampfmaschine die Arbeit verrichtet, wenn der heiße Dampf kondensiert und sich dabei stark zusammenzieht. Aus dem Zylinder tritt überwiegend flüssiges Wasser. Diese Arbeitsweise ist nicht sehr wirtschaftlich, da viel Energie dafür verwendet wird, Zylinder und Kolben bei jedem Takt zu erhitzen und wieder abzukühlen. Um den Dampf schnell genug kondensieren zu lassen, wurde nahe dem oberen Totpunkt kaltes Wasser in den Zylinder eingespritzt (hier nicht dargestellt). Bei der Expansionsdampfmaschine öffnet das Füllventil zu Beginn des Arbeitstakts nur kurz. Im Gegensatz zur Volldruckmaschine verliert der unter hohem Druck eingeströmte Dampf einen Teil seines Drucks während des Arbeitstakts. Auch dies führt zwar zu einer Abkühlung des Zylinders, es wird jedoch deutlich weniger Dampf verbraucht, als bei der Volldruckmaschine. Um die Abkühlung zu begrenzen, wird der Dampf nicht komplett bis zum Atmosphärendruck entspannt. Verbunddampfmaschinen nutzen auch den bei Austritt des Dampfs verbleibenden Druck, indem der Dampf in einen weiteren Zylinder mit größerem Durchmesser geleitet wird. (Anmerkung: Entgegen der Darstellung hier kühlt der Dampf während der Abwärtsbewegung des Kolbens kaum noch weiter ab.) Niederdruckdampfmaschine Bei der Niederdruckdampfmaschine wird der Dampf mit einem leichten Überdruck von einigen 100 mbar aufgegeben. Getrennter Kondensator Im Gegensatz zur Newcomen-Dampfmaschine wird nicht nur bei der Kondensation, sondern auch bei der Befüllung des Zylinders Arbeit verrichtet. Dies führt zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und war Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Dampfmaschine zu höheren Dampfdrücken. Dabei wurde für die Kondensation durch eingespritztes Kühlwasser ein eigener Behälter vorgesehen, um die Abkühlung des Arbeitszylinders zu vermeiden. Die bekanntesten Vertreter dieser Bauart waren die Dampfmaschinen von James Watt ab etwa 1769 (siehe unten). Doppeltwirkende Maschine Watt entwickelte die einfachwirkende Dampfmaschine, die den Kolben nur von einer Seite beaufschlagt, zur doppeltwirkenden weiter, bei der der Kolben abwechselnd von beiden Seiten beaufschlagt wird. Dies erbrachte eine Steigerung von Wirkungsgrad und Leistung, da der Leerhub entfiel. Man ging dann dazu über, das Schwungrad über einen Kurbeltrieb direkt anzutreiben, womit eine Senkung der Masse verbunden war, weil dar Balancier entfiel. Hochdruckdampfmaschine Bei Hochdruckdampfmaschinen wird der Dampf weit über 100 °C erwärmt, so dass sich ein höherer Druck aufbaut. Auf eine Abkühlung des aus dem Zylinder austretenden Wasserdampfes kann verzichtet werden, da der Atmosphärendruck im Vergleich zum deutlich höheren Betriebsdruck nicht mehr ins Gewicht fällt (Auspuffbetrieb). Der Kondensator kann damit entfallen, was diesen Maschinentyp in Verbindung mit der höheren Energiedichte des unter Druck stehenden Dampfes erheblich leichter macht und damit den Einsatz von Dampfmaschinen in Dampflokomotiven erst ermöglichte. Vertreter dieser Bauart sind praktisch alle Kolbendampfmaschinen in Fahrzeugen seit Oliver Evans und Richard Trevithick ab etwa 1802 (s. u.). Hochdruckdampfmaschinen ermöglichten auch die Nutzung der Dampfexpansion. Während atmosphärische und Niederdruckdampfmaschinen in der Regel Volldruckmaschinen sind, bei denen in die Zylinder während des gesamten Kolbenhubes Dampf einströmt, werden die Zylinder einer Expansionsmaschine nur zu Beginn jedes Kolbenhubes mit Dampf beaufschlagt. Die weitere Bewegung wird durch die Ausdehnung des Dampfes bei fallendem Druck bewirkt. Die im Dampf gespeicherte Energie wird dadurch deutlich besser ausgenutzt. Verbunddampfmaschine Eine Verbunddampfmaschine oder Mehrfachexpansionsmaschine ist eine Dampfmaschine mit mindestens zwei in Dampfrichtung nacheinander geschalteten Arbeitseinheiten. Gleichstromdampfmaschine Diese Bauart wurde um 1908 vom Geheimen Regierungsrat und Professor an der Technischen Hochschule J. Stumpf vorgestellt. Bei einer Gleichstromdampfmaschine findet beim Ausstoßen des entspannten Dampfes kein Wechsel der Strömungsrichtung statt. Ein- und Ausströmung sind voneinander getrennt, die Ausströmung erfolgt durch Ausströmschlitze in der Mitte der Zylinder, die Einströmung wie gehabt von den Zylinderenden her. Durch diese Bauweise konnten die Abkühlungsverluste deutlich gesenkt werden, allerdings wird das mit erheblich längeren Zylindern erkauft. Die Einführung dieser Maschinen scheiterte am seinerzeit zu geringen üblichen Dampfdruck von 12 bis 14 bar, erst bei Drücken ab 20 bar hätte sich diese Konstruktion bewährt. Geschichte der Dampfmaschine Die ersten Anfänge Die Geschichte der Dampfmaschine reicht zurück bis ins erste nachchristliche Jahrhundert – der erste Bericht über eine technische, rudimentär als „Dampfmaschine“ zu bezeichnende Apparatur, den Heronsball (auch Aeolipile oder Äolsball genannt), stammt aus der Feder des griechischen Mathematikers Heron von Alexandria. In den Jahrhunderten, die den ersten neuzeitlichen Dampfmaschinen vorangingen, wurden dampfgetriebene „Maschinen“ hauptsächlich zu Demonstrationszwecken gebaut, um das Prinzip der Dampfkraft zu illustrieren. Die ersten konkreten Versuche kamen unter anderem im Jahr 1543 von Blasco de Garay, 1615 von Salomon de Caus und 1629 von Giovanni Branca. Der Ingenieur Jerónimo de Ayanz y Beaumont ließ 1606 als erster eine Dampfmaschine patentieren. Die von ihm konstruierte Maschine kam bei der Entwässerung von Bergwerksstollen auch zur praktischen Anwendung, indem der Dampfdruck dazu diente, einen kontinuierlichen Wasserfluss in Rohrleitungen anzutreiben. Weitere Fortschritte wurden dann unter anderem durch Denis Papin 1690 durch die Erfindung des Sicherheitsventils und den Papinschen Topf erzielt. Thomas Saverys Dampfpumpe von 1698 stellte einen bedeutenden Schritt in der praktischen Anwendung von Dampf dar. 1707 baute Papin ein durch einen Dampfzylinder und Muskelkraft angetriebenes Schaufelradboot, mit dem er auf der Fulda von Kassel bis nach Münden fuhr. Dieses Schiff fand nach der Ankunft jedoch ein unrühmliches Ende. Die erste verwendbare Dampfmaschine wurde 1712 von Thomas Newcomen konstruiert und diente zur Wasserhaltung in Bergwerken. Diese sogenannte atmosphärische Dampfmaschine erzeugte durch Einspritzen von Wasser in einen mit Dampf gefüllten Zylinder einen Unterdruck gegenüber der Atmosphäre. Mit diesem Druckunterschied wurde der Kolben im Arbeitstakt vom atmosphärischen Luftdruck nach unten gedrückt und anschließend durch das Eigengewicht der anzutreibenden Pumpenstange wieder nach oben in die Ausgangsposition gezogen. Die Kraftübertragung zwischen Kolbenstange und Balancier erfolgte mittels einer Kette. Der Wirkungsgrad dieser newcomenschen Maschine lag bei 0,5 Prozent und begrenzte ihre Anwendung auf diesen Pumpvorgang. 1720 beschrieb Jacob Leupold, Mathematico und Mechanico in Preußen und Sachsen, eine Hochdruckdampfmaschine mit zwei Zylindern. Die Erfindung wurde in seinem Hauptwerk Theatri Machinarum Hydraulicarum Tomus II veröffentlicht. Die Maschine verwendete zwei mit Blei belastete Kolben, die ihre kontinuierliche Bewegung einer Wasserpumpe zur Verfügung stellten. Jeder Kolben wurde durch den Dampfdruck gehoben und kehrte durch sein Eigengewicht in die ursprüngliche Stellung zurück. Die zwei Kolben teilten sich ein gemeinsames Vierwegeventil, welches direkt mit dem Dampfkessel verbunden war. Die Maschine von Newcomen wurde weiterentwickelt, um 1770 waren in England rund 100 davon im Einsatz, vor allem im Bergbau. Wattsche Dampfmaschine James Watt, dem oft fälschlicherweise die Erfindung der Dampfmaschine zugeschrieben wird, verbesserte den Wirkungsgrad der Newcomenschen Dampfmaschine erheblich. Er verlagerte mit seiner 1769 patentierten und sechs Jahre später von John Wilkinson gebauten Konstruktion den Abkühlvorgang aus dem Zylinder heraus in einen separaten Kondensator. So konnte Watt auf das atmosphärische Rückführen des Kolbens verzichten und die Maschine bei beiden Kolbenhüben Arbeit verrichten lassen. Das von ihm erfundene Wattsche Parallelogramm sorgte für die geradlinige Auf- und Abbewegung der Kolbenstange bei diesen einfachwirkenden Dampfmaschinen. Sowohl Newcomens als auch Watts Dampfmaschinen hatten ursprünglich nur stehende Zylinder, die die Auf- und Abbewegung des Kolbens über einen Balancier lediglich umlenkten, um sie in den Schacht auf das Pumpengestänge zu übertragen. 1781 patentierte Watt ein Planetengetriebe auf seinen Namen, das der leitende Ingenieur von Boulton & Watt, William Murdoch konstruiert hatte, um die Kolbenbewegung umzuformen und so die Maschine ein Schwungrad drehen zu lassen. Die Verwendung eines Kurbeltriebes war ihm in England durch ein von James Pickard gehaltenes Patent nicht möglich. Das Planetengetriebe ist eine wesentlich aufwendigere Lösung des Problems, eine geradlinige in eine rotierende Bewegung umzuformen, hatte andererseits aber den Vorteil, dass damit gleichzeitig eine Über- oder Untersetzung möglich war. Damit konnten zum Beispiel auch Fördermaschinen für den Steinkohlenbergbau konstruiert werden. Solche Maschinen waren bis ins 19. Jahrhundert hinein im Einsatz. James Watt gilt als Entdecker des Nutzens der Dampfexpansion. Bei der Dampfmaschine wird dieser Effekt durch ein vorzeitiges Schließen der Ventile erreicht; dadurch wird die Zuführung von Dampf in den Zylinder unterbrochen, während der darin eingeschlossene Dampf weiter Arbeit leistet. Spätere Watt’sche Dampfmaschinen waren doppeltwirkend, der Kolben wurde abwechselnd von der einen und der anderen Seite mit Dampf beaufschlagt. Auf der jeweils gegenüberliegenden Seite befand sich der Auslass zum Kondensator. Weiterhin führte James Watt 1788 den Fliehkraftregler zur Geschwindigkeitsregulierung seiner Maschine ein. Vorher war dieses Maschinenelement bereits beim Betrieb von Mühlen eingesetzt worden. Die wattsche Dampfmaschine ersparte durch diese Verbesserungen gegenüber ihren Vorgängern ein Vielfaches der Wärmeenergie, die zum Betrieb der Maschine notwendig war. Der Wirkungsgrad der wattschen Maschine erreichte schließlich 3 Prozent. Um die Fähigkeit seiner Dampfmaschinen zu demonstrieren, erfand Watt die Leistungseinheit Pferdestärke. Mit seinem kaufmännischen Teilhaber Matthew Boulton verkaufte er seine Maschinen jedoch nicht, sondern stellte sie seinen Kunden zur Verfügung, um sich einen Teil der eingesparten Brennstoffkosten auszahlen zu lassen. Damit war eine frühe Form des Contractings geboren. Die Patente von Watt liefen jedoch im Jahr 1800 ab. Weitere Entwicklungen Mit diesen Entwicklungen sowie weiteren technischen Verbesserungen wurden Dampfmaschinen ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – zumindest im Kohlebergbau – nun auch wirtschaftlich. Das erste funktionsfähige Dampfschiff konstruierte 1783 der Franzose Claude François Jouffroy d’Abbans. 1804 baute Richard Trevithick die erste auf Schienen fahrende Dampflokomotive. Wenn auch allmählich weitere Anwendungsgebiete in der Industrie erschlossen wurden, dauerte es bis in die 1860er Jahre, bis Dampfmaschinen in England massenhaft verwendet wurden. Ein Grund war die notwendige Verwendung von Eisen als Werkstoff für die entsprechenden Maschinen. Dies war eine neue Technologie, da vorher viele Maschinenteile noch aus Holz gefertigt wurden. In anderen Staaten wie beispielsweise Frankreich und den USA, wo die Wasserkraft ein starker Konkurrent war, erfolgte der endgültige Durchbruch der Dampfmaschine noch etwas später. Auch der technische Übergang vom Segel- zum Dampfschiff dauerte einige Jahrzehnte. Erst 1889 wurde mit dem von Alexander Carlisle (dem späteren Chefdesigner der Olympic-Klasse) konstruierten, 20 Knoten schnellen White-Star-Liner Teutonic der erste Hochsee-Dampfer ohne Segeleinrichtung in Dienst gestellt. Hochdruck und Heißdampf Eine Hochdruckdampfmaschine wurde 1784 von Oliver Evans konstruiert. Das erste Exemplar wurde von ihm jedoch erst 1812 gebaut. Ihm zuvor kam Richard Trevithick, der 1801 die erste Hochdruckdampfmaschine in ein Straßenfahrzeug einbaute. Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Hochdruckdampfmaschinen war der Fortschritt in der Metallherstellung und -bearbeitung zu dieser Zeit, denn in Hochdruckmaschinen müssen die Maschinenteile sehr passgenau sitzen. Außerdem bestand die Gefahr der Explosion des Kessels. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der druckbetriebenen Dampfmaschine, die zuerst mit so genanntem Sattdampf arbeitete, führte über die Heißdampf-Maschine mit einfacher Dampfdehnung zur Verbund- oder Compound-Maschine mit Zwei- und Dreifachexpansion und zuletzt zur mehrzylindrigen Heißdampf-Hochdruck-Dampfmaschine, wie sie von Kemna angeboten wurde. Bei einer Sattdampfmaschine befinden sich im Kessel alle Siederohre für die Dampferzeugung im Wasserbett, ein Heißdampfkessel besitzt mit dem Überhitzer ein zweites Röhrensystem, das vom Feuer oder den heißen Rauchgasen bestrichen wird. Dadurch erreicht der Dampf Temperaturen um 350 Grad Celsius. Eine Compound- oder Verbundmaschine besitzt einen Hochdruckzylinder mit kleiner Bohrung und einen oder mehrere in Serie geschaltete Niederdruckzylinder. Der als Heißdampf in den Hochdruckzylinder eingespeiste, nunmehr teilentspannte und kühlere entweichende Dampf hat immer noch genug Arbeitsvermögen, um den mit einer wesentlich größeren Bohrung versehenen Niederdruckzylinder zu bewegen. Dabei wird versucht, die Zylinderbohrungen so abzustimmen, dass das erzeugte Drehmoment beider Zylinder auf die Kurbelwelle etwa gleich ist. Auch muss das Volumen beider Zylinder auf die Drehzahl der Dampfmaschine abgestimmt sein, damit die Entspannung des Dampfes auf beide Zylinder verteilt wird. Kemna baute ab 1908 Dampfmaschinen mit zwei Hochdruckzylindern. Bei ortsfesten und Schiffsmaschinen wurde Dreifachexpansion üblich. Hochdruckmaschinen erreichten im Jahre 1910 beispielsweise einen Steinkohlenverbrauch von 0,5 kg pro PS-Stunde mit „mittlerer Steinkohlenqualität“. Das entspricht einem Wirkungsgrad von über 18 %. Deutschland Preußen In Preußen war man bereits 1769 auf die „Feuermaschinen“ aus England aufmerksam geworden. Besonders der Oberkonsistorialrat Johann Esaias Silberschlag, der sich auch als Naturwissenschaftler einen Namen gemacht hatte, erkannte frühzeitig den Nutzen dieser Maschine und fertigte bis 1771 mehrere umfangreiche Gutachten darüber an. 1785 wurde dann die erste, in Preußen nachgebaute Dampfmaschine wattscher Bauart bei Burgörner in Betrieb genommen. Bereits 1778 hatte sich James Watt bereiterklärt, der preußischen Bergverwaltung seine verbesserte Dampfmaschine zur Wasserhaltung unter fachmännischer Anleitung zu überlassen. Seine Firma Boulton & Watt forderte jedoch ein 14-jähriges Liefermonopol, eine Bedingung, auf die man im merkantilistischen Preußen nicht eingehen wollte. Unter dem Vorwand einer Erwerbsabsicht wurden der Oberbergrat Waitz von Eschen und der Assessor Carl Friedrich Bückling (1756–1812) vom preußischen Minister Friedrich Anton von Heynitz nach England geschickt. Waitz sollte sich speziell mit der Funktionsweise der Maschine vertraut machen und Bückling entsprechende Baupläne anfertigen. Lediglich eine englische Dampfmaschine wurde erworben und 1779 auf einer Braunkohlengrube bei Altenweddingen eingesetzt. Nachdem Bückling noch ein zweites Mal nach England geschickt worden war, war er in der Lage, exakte Baupläne für eine eigene Dampfmaschine nach dem Vorbild der wattschen unter Mitwirkung der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu entwerfen. Bis 1783 wurde ein verkleinertes, funktionsfähiges Modell gebaut, von da an wurden die Teile in Originalgröße hergestellt und zusammengesetzt. Am 23. August 1785 wurde die erste deutsche Dampfmaschine wattscher Bauart auf dem König-Friedrich-Schacht bei Hettstedt offiziell in Betrieb genommen. Ihre Störanfälligkeit brachte der Maschine anfangs viel Spott ein. Durch die Abwerbung des britischen Dampfmaschinen-Mechanikers William Richards konnten die Probleme in Hettstedt bis 1787 beseitigt werden. Die Maschine wurde zu einem ökonomischen Erfolg. 1794 wurde sie durch eine stärkere ersetzt und nun auf einem Steinkohlenschacht bei Löbejün aufgestellt, wo sie noch bis 1848 arbeitete. Im Mansfeld-Museum in Hettstedt steht seit 1985 ein 1:1-Nachbau dieser Dampfmaschine, der in Bewegung vorgeführt werden kann. Im oberschlesischen Tarnowitz wurde am 19. Januar 1788 eine Dampfmaschine in Betrieb genommen, die zur Entwässerung der Tarnowitzer Bergwerke diente. Von dieser Dampfmaschine wird fälschlicherweise behauptet, sie sei die erste auf dem europäischen Festland gewesen. Die erste Dampfmaschine des Aachener Reviers stand 1793 in Eschweiler und wurde dort ebenfalls für die Wasserhaltung im Bergbau eingesetzt. 1803 baute Franz Dinnendahl in Essen die erste Dampfmaschine im Ruhrgebiet. Bereits zwei Jahre zuvor hatte Dinnendahl den Einsatz der ersten Dampfmaschine zur Wasserhaltung im Ruhrbergbau betreut. Hergestellt in England, wurde diese auf der Zeche Vollmond in Bochum-Langendreer in Betrieb genommen. Andere deutsche Staaten Etwa zeitgleich wurde im Herzogtum Sachsen-Gotha in einem kleinen Vitriol-Bergwerk bei Mühlberg (Thüringen) vom späteren Ingenieur-Leutnant Carl Christoph Besser, der von 1763 bis 1774 bei dem Bergwerk tätig war, die erste funktionsfähige Dampfmaschine Thüringens aufgebaut und über Wochen in Betrieb gehalten, sie diente zum permanenten Fördern des Grubenwassers und wurde von zwei Heizern bzw. Maschinisten Tag und Nacht am Laufen gehalten. Der vielseits talentierte Besser wurde später vom Herzog Ernst als Ingenieur und Architekt beim Bau der Seeberg-Sternwarte und anderer Projekte in Gotha eingesetzt und verlor so das Interesse am Maschinenbau. Von diesen frühen Anfängen bis zur weiten Verbreitung der Dampfmaschine in der Wirtschaft vergingen jedoch einige Jahrzehnte. So errichtete man 1811 die erste Dampfmaschine in Sachsen (Saline Bad Dürrenberg). 1836 erstellte man die erste deutsche Dampfmaschinenstatistik, und zwar für den Regierungsbezirk Düsseldorf. Durch technische Verbesserungen, der beginnenden Konzentration der sich formierenden Industrie, zunehmend ausgeschöpfter Wasserkraftpotentiale sowie der massiven Verbilligung des Kohletransportes durch die Eisenbahn wurden Dampfmaschinen wirtschaftlich immer rentabler. Nach einer nicht ganz vollständigen Statistik des Jahres 1846 gab es im Zollverein 1518 Dampfmaschinen. 1861 war die Zahl bereits auf 8695 Stück gestiegen. In der Stahlindustrie wurden Dampfmaschinen unter anderem zum Antrieb von Gebläsen, Pumpen und Walzstraßen eingesetzt. Zwei Walzenzugmaschinen mit Leistungen von 10 000 PS, Baujahr 1913, und 15 000 PS, Baujahr 1911, arbeiteten zuverlässig in der Maxhütte (Sulzbach-Rosenberg) bis zu deren Stilllegung im Jahr 2002. Sie gehörten zu den leistungsfähigsten Kolbendampfmaschinen weltweit. Dampfmaschinen heute Als Fahrzeugantrieb sind Dampfmaschinen weitgehend durch Verbrennungsmotoren abgelöst worden, die ohne Aufwärmzeit starten, einen höheren Wirkungsgrad haben, größere Leistung bei geringerem Gewicht bieten und komfortabler zu bedienen sind. Weiterhin hat die Dampfmaschine durch die flächendeckende Versorgung mit elektrischer Energie ihre Funktion als zentrale Energiequelle eines Industrieunternehmens verloren, die sie lange Zeit innehatte. Im Steinkohlenbergbau wurden und werden noch Dampfmaschinen in Förderanlagen eingesetzt, denn dort kann die Dampfmaschine sowohl als Fördermaschine zum Heben von Kohle als auch als Bremse zum Herablassen von Versatzmaterial dienen. Beim Bremsen wird die Energie zur Erhitzung des Dampfes verwendet. Obwohl die Zeit der Kolbendampfmaschine schon lange vorbei zu sein scheint, ist eine Renaissance nicht ausgeschlossen. Einer ihrer Vorteile gegenüber Verbrennungsmotoren ist der kontinuierlicher Verbrennungsvorgang, der sich emissionsärmer gestalten lässt. Durch den heute üblichen geschlossenen Kreislauf von Dampf und Speisewasser ergibt sich eine emissionsarme Schmierung von Zylinder und Kolben der Maschine. In diesem Sinne ist als modernisierte Dampfmaschine der Dampfmotor entwickelt worden. Eine Kolbendampfmaschine arbeitet (wie ein Elektromotor) drehzahlelastisch und kann unter Last anlaufen, somit können Direktantriebe konstruiert werden, wobei im Vergleich zu Verbrennungsmotoren Rutschkupplungen entfallen und Getriebe vereinfacht werden. Im Auftrag der Volkswagen AG entwickelte die IAV GmbH in den späten 1990er Jahren eine solche moderne „Dampfmaschine“, die über eine extrem emissionsarme externe Verbrennung einen gewissen Vorrat an hochgespanntem Dampf erzeugt, der dann wie beim Dieselmotor über Düsen je nach Energiebedarf eingespritzt wird. Ende 2000 ging daraus die Firma Enginion hervor, die aus dem ZEE-Prototypen (Zero Emission Engine), der einen Wirkungsgrad von 23,7 % erreichte, die heutige SteamCell weiterentwickelte. Diese Maschine arbeitete im Zweitaktverfahren und kam außerdem ohne übliche Schmiermittel aus, weil die Verschleißteile aus modernen Kohlenstoffkomponenten gefertigt waren. Enginion musste jedoch 2005 Insolvenz anmelden. Während die Kolbendampfmaschinen an Bedeutung verloren, bilden nunmehr die eingangs erwähnten Dampfturbinen als Bestandteil moderner Dampfkraftwerke, z. B. Kohle-, Gas-, Kernkraft- und Solarthermiekraftwerke, ein Rückgrat der heutigen Stromproduktion und anderer industrieller Prozesse. Siehe auch Modelldampfmaschine Geschichte der Produktionstechnik Technik in der Industrialisierung Technik in der Renaissance Literatur Gustav Schmidt: Theorie der Dampfmaschinen. Freiberg 1861; . Heinrich Dubbel: Entwerfen und Berechnen der Dampfmaschinen. 2. Auflage. Springer, Berlin 1907. F. Fröhlich: Kolbendampfmaschinen. In: Dubbels Taschenbuch für den Maschinenbau. 11. Auflage. Zweiter Band. 1953, S. 93 ff. Conrad Matschoss: Geschichte der Dampfmaschine: ihre kulturelle Bedeutung, technische Entwicklung und ihre großen Männer. 3. Auflage. Berlin 1901. Reprint: Gerstenberg, Hildesheim, ISBN 3-8067-0720-0. Technik leicht verständlich. Fachredaktion Technik des Bibliographischen Instituts unter Leitung von Johannes Kunsemüller, Fackel-Buchklub. Otfried Wagenbreth, Helmut Düntzsch, Albert Gieseler: Die Geschichte der Dampfmaschine. Historische Entwicklung – Industriegeschichte – Technische Denkmale. Aschendorff Verlag, Münster 2002, ISBN 3-402-05264-4, mit CD. Hebestedt: Die Geschichte der Hettstedter Dampfmaschine von 1785. In: 200 Jahre erste deutsche Dampfmaschine. Hrsg. vom Mansfeld Kombinat Wilhelm Pieck, Eisleben 1985. Christoph Bernoulli: Handbuch der Dampfmaschinen-Lehre (PDF, 14 MB) Basel 1833 Hans Otto Gericke: Die erste Dampfmaschine Preußens in der Braunkohlengrube Altenweddingen (1779-1828). In: Technikgeschichte, 1998, Band 65, Heft 2, S. 97–119. Weblinks Interaktives FlashLet der Wattschen Niederdruckdampfmaschine Dampfmaschinen und Lokomotiven – Ihre Entwicklung, ihr Einsatz und erhaltene Objekte – Umfangreiches Verzeichnis von Dampfmaschinen Sächsischer Dampfmaschinenverein e. V. Einzelnachweise Dampfmaschine Dampfmaschine Technikgeschichte Technikgeschichte der Frühen Neuzeit Wikipedia:Artikel mit Video
1101
https://de.wikipedia.org/wiki/Der%20fliegende%20Holl%C3%A4nder
Der fliegende Holländer
Der fliegende Holländer, „Romantische Oper in drei Aufzügen“ (so die Originalbezeichnung), ist eine Oper von Richard Wagner, die 1843 uraufgeführt wurde. Den Stoff für die Handlung lieferte die Geschichte des niederländischen Kapitäns Bernard Fokke (siehe die Sage vom Fliegenden Holländer). Diesem gelang es – anders als vielen anderen Seefahrern – nicht, das Kap der Guten Hoffnung zu umfahren. Er versuchte, Gott und den Kräften der Natur zu trotzen, rang sie aber nicht nieder, weil er sie verfluchte, und war seither dazu verdammt, für immer mit seinem Geisterschiff auf den Weltmeeren zu kreuzen. Jedem, dem dieses Schiff mit schwarzem Mast und blutroten Segeln begegnete, war Unglück vorbestimmt. Richard Wagner schrieb die Oper unter dem Eindruck einer stürmischen Schiffsreise und verlegte die Handlung vom Kap der Guten Hoffnung in der Urfassung von 1841 nach Schottland, später dann nach Norwegen. Oft wird das Stück als sein Durchbruch zum eigenen Stil angesehen. Die Oper wurde in ihrer Urfassung 1841 vollendet und am 2. Januar 1843 mit mäßigem Erfolg am Königlichen Hoftheater Dresden uraufgeführt. Bereits nach vier Aufführungen wurde sie abgesetzt. Im Jahr 1860 überarbeitete Wagner dann die Urfassung, musikalisch wurden insbesondere die Ouvertüre und der Schluss verändert. Hintergrund Richard Wagner trat im August 1837 am Theater in Riga die Stelle des Musikdirektors an. Dort wurde er 1837/38 durch die Memoiren des Herren von Schnabelewopski von Heinrich Heine erstmals auf die Sage vom Fliegenden Holländer aufmerksam. 1839 verlor er seine Anstellung und sah sich aus Furcht vor seinen Gläubigern, die er nicht bezahlen konnte, dazu gezwungen, die russisch-ostpreußische Grenze zu überschreiten und zu fliehen. Er buchte eine Passage auf dem Schoner / Galeasse Thetis nach London. Die länger als drei Wochen dauernde Reise war durch stürmische See verzögert worden, das Schiff geriet fast in Seenot. Wagner lernte sowohl im Hafen von Pillau als auch bei der Überfahrt nach England durch die Matrosen einige charakteristische Motive und Seemannsbräuche kennen. Unterwegs lief das Schiff wegen des tobenden Sturmes zweimal norwegische Häfen an, von denen einer, Sandvika bei Tvedestrand, namentlich im Werk zitiert wird. Alles Erlebte war für Wagner lebendiges Kolorit für das spätere Werk. Richard Wagner beschrieb in seiner Autobiografie Mein Leben, wie nachhaltig diese zwei Wochen auf See ihm Stimmung und Charakter der Sage vor Augen führten und ihm zur Inspiration wurden. Er stützte sich zunächst auf Heines Erzählung, brachte aber eine entscheidende und wesentliche Änderung an: Er fügte die zusätzliche Figur des Erik ein, so dass seine weibliche Hauptfigur, die er dann Senta nannte, zwischen diesem tatsächlichen Geliebten und der erträumten mystischen Figur des Holländers hin- und hergerissen ist. Die Sehnsucht nach der ewigen Treue einer geliebten Frau ist das zentrale Thema dieses Werkes. Nach kurzem Aufenthalt in London reiste Wagner nach Paris, seinem eigentlichen Ziel, weiter. Im damaligen Zentrum der Musikwelt konnte er sich nur mit Mühe und durch schlecht bezahlte schriftstellerische und übersetzerische Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt verdienen. In dieser Notsituation musste er auch seinen Entwurf für den Fliegenden Holländer an die Pariser Oper verkaufen (er wurde unter dem Titel Le vaisseau fantôme – „Das Geisterschiff“ von Pierre-Louis Dietsch vertont), da es ihm nicht gelang, selbst einen Kompositionsauftrag dafür zu bekommen. Er machte sich ab Anfang 1841 allerdings selbst an die Komposition des Werks, dessen Orchesterskizze er im August mit der Bemerkung „In Noth und Sorgen“ beendete; im November war mit der Partitur auch das Werk vollendet. Versuche, es in Berlin zur Uraufführung bringen zu lassen, blieben erfolglos. Richard Wagner verließ im April 1842 Paris Richtung Dresden, wo man sein Werk Rienzi zur Uraufführung angenommen hatte. Nach dem glänzenden Erfolg dieses Werks stand auch der Uraufführung seines Fliegenden Holländers nichts mehr im Wege, die dann bereits am 2. Januar 1843 ebenfalls am Dresdner Hoftheater stattfand. Orchesterbesetzung Piccoloflöte, 2 Flöten, 2 Oboen, davon ein Englischhorn, 2 Klarinetten, 2 Fagotte 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Ophikleide Pauken Harfe Erste und Zweite Violinen, Bratschen, Violoncelli und Kontrabässe Auf der Bühne: 3 Piccoloflöten, 6 Hörner, ein Tamtam, eine Windmaschine Handlung Erster Aufzug Das Schiff des Daland gerät in einen schweren Sturm und geht unweit des Heimathafens in einer geschützten Bucht vor Anker. Während die Mannschaft ruht, taucht dort auch gespenstisch wie aus dem Nichts das Schiff des Holländers auf, der einst gotteslästerlich geschworen hatte, er werde in Ewigkeit nicht ablassen, das Kap der Guten Hoffnung zu umrunden, und der deswegen tatsächlich dazu verdammt worden ist, für ewig auf See zu sein. Nur alle sieben Jahre ist ihm vergönnt, an Land zu gehen. Fände er dort eine Frau, die ihm treu bliebe, so wären er und seine Mannschaft erlöst. Gerade sind wieder einmal sieben Jahre vergangen (Die Frist ist um – und abermals verstrichen sind sieben Jahr. Voll Überdruß wirft mich das Meer an Land …); der Holländer hofft verzweifelt auf die uneingeschränkte Liebe einer Frau, damit er seine Sterblichkeit zurückerlangt und endlich sterben kann: Trotzdem wirbt er bei Daland um die Hand von dessen Tochter Senta. Daland, beeindruckt von den reichen Schätzen, die der Holländer auf seiner Fahrt gesammelt hat, stimmt zu. Nachdem der Sturm nachgelassen hat, segeln die beiden Schiffe in Richtung Dalands Heimat. Zweiter Aufzug In einer Stube erwarten die Mädchen singend und spinnend die Rückkehr ihrer zur See fahrenden Liebsten. Nur Senta verweigert sich und trägt stattdessen die Ballade vom „Fliegenden Holländer“ vor, dessen Schicksal sie rührt. Senta wird vom jungen Jäger Erik umworben, der besorgt die Träumereien seiner Liebsten wahrnimmt, die immer vor dem düsteren Bild des Seefahrers alles Andere zu vergessen scheint. Senta fühlt sich berufen, den „armen Mann“ zu erlösen. Verzweifelt verlässt Erik das Mädchen, als Sentas Vater mit dem Holländer das Zimmer betritt. Senta weiß nun, dass ihr beschieden ist, das Erlösungswerk zu vollbringen. Zwischen ihr und dem Holländer entsteht ein inniges Einverständnis, und die Verbindung wird vorbereitet. Dritter Aufzug Im dritten Aufzug rüsten die Seeleute zum Fest (Steuermann lass die Wacht). Verwegen versuchen sie auch die Mannschaft des Holländer-Schiffes einzuladen, doch aus dem Schiff schallt ihnen nur beängstigendes geisterhaftes Dröhnen entgegen, so dass sie entsetzt und verängstigt fliehen. Erik bittet Senta noch einmal, sich ihrer früheren Vertrautheit und Liebe zu entsinnen, und erinnert sie daran, dass sie ihm ewige Treue gelobt habe, was Senta erschrocken leugnet. Der eintretende Holländer hat das Gespräch mitgehört und ist sich sicher, dass auch Senta ihm nicht die erhoffte Treue halten kann und wird. Um sie vor der Verdammnis zu bewahren, erzählt er ihr (was sie längst weiß) von seinem Fluch (Erfahre das Geschick, vor dem ich Dich bewahr). Er eilt zu seinem Schiff, um auf ewig unerlöst zu bleiben. Doch Senta setzt ihm nach, verkündet nochmals laut, ihm treu […] bis zum Tod zu sein, und stürzt sich von dem Felsen ins Meer. Augenblicklich versinkt das Schiff des Holländers in den Fluten. Der Holländer ist erlöst. – In einer späteren Korrektur des Schlusses (1860) sieht man zur Musik mit dem „Erlösungsmotiv“ den Holländer und Senta aus dem Meer zum Himmel aufsteigen. Musik Wagners Holländer, seine vierte vollendete Oper, steht an der Schwelle zum durchkomponierten Musikdrama. Während man ab Lohengrin von einer „unendlichen Melodie“ sprechen kann, herrscht im Holländer noch der „Nummernoper-Charakter“ vor. Rezitative, Balladen, Arien, Duette und Chornummern sind noch deutlich zu erkennen. Um den „Balladencharakter“ des Werkes zu unterstreichen, sollte es nach der Intention Wagners ohne Pausen durchgespielt werden, was jedoch nicht immer praktiziert wird. Im Zentrum des Werks steht die Ballade der Senta, die den eher schroffen Charakter des gesamten Werks gut zusammenfasst. Der düstere und impulsive Ton wird aber bereits durch die stürmische Ouvertüre des Werks angeschlagen. In diesem Ton ist auch die Arie des Holländers bei seinem Auftritt im ersten Aufzug gehalten. Die Vorherrschaft geschlossener Liedformen zieht sich über die ersten beiden Bilder. Charakteristisch für die gesamte Oper ist die musikalisch eindrückliche Darstellung der Naturgewalten. Streicher lassen hohe Wogen an die zerklüftete norwegische Küste donnern, Unwetter und Blitze werden durch Blechbläser, vor allem Posaunen und Trompeten, und prägnante musikalische Motive bezeichnet. Fast schaurig wirkt das „Johohoe“ der Matrosen des Geisterschiffs, während die Welt Dalands und seiner Männer eher biedermeierlich gemütlich gezeichnet ist. Als einer der berühmtesten Opernchöre zeigt der Matrosenchor zu Beginn des dritten Bildes die Unvereinbarkeit von Wirklichkeit und Vision: das scheinbar so kräftige Lied der Matrosen Dalands wird langsam überlagert und geradezu aufgesogen von den unwirklichen Klängen aus dem Holländerschiff. Bemerkenswert erscheint, dass der Komponist noch 1880, drei Jahre vor seinem Tod (1883), an eine Umarbeitung und Verbesserung seines längst überall erfolgreich gespielten Werks von 1841 dachte. Bei den Bayreuther Festspielen wurde Der fliegende Holländer erstmals 1901 in einer Inszenierung von Siegfried Wagner und unter der musikalischen Leitung von Felix Mottl aufgeführt. Damit war der „Kanon“ der bis heute in Bayreuth zur Aufführung kommenden Werke Wagners vollständig. Spieldauer (Bayreuther Festspiele) Bei den Bayreuther Festspielen war es üblich, die Länge der einzelnen Aufzüge zu dokumentieren, jedoch wurden dort nicht alle Jahre erfasst. Die Dauer unterschied sich auch beim gleichen Dirigenten von Jahr zu Jahr und Aufführung zu Aufführung. Einfluss auf die Dauer hatten auch die Art der Stimme und das Temperament der Sänger. Übersicht (1901 bis 1971) Kürzeste Dauer: 2:06 Std., Wolfgang Sawallisch (1959), Otmar Suitner (1965) Längste Dauer: 2:33 Std., Hans Knappertsbusch (1955) Spannweite: 27 Min. (21 %, bezogen auf die kürzeste Dauer) Spieldauer bei einzelnen Dirigenten Ur- und Erstaufführungen Originalsprache Bereits ein halbes Jahr nach der Uraufführung am 2. Januar 1843 in Dresden brachten zwei weitere Bühnen das Werk zur Aufführung: Riga (3. Juni 1843) und Kassel (5. Juni 1843). Es folgten Inszenierungen in Berlin (1844), Zürich (1852), Prag (1856), Wien (1860), München (1864), sogenannte Münchener Mustervorstellungen Rotterdam (1869) und vielen anderen Orten. Übersetzungen Ab 1870 wurde die Oper auch in Übersetzungen gespielt: Italienisch: London (1870), Dublin (1877), Bologna (1877), Barcelona (1885), Turin (1885), Rom (1887), Florenz (1887), Buenos Aires (1887), New York Met (1892), Mailand (1893), Lissabon (1893), Moskau (1894), Madrid (1896) Englisch: London, (1870), New York (1877), Edinburgh (1877), Mexiko (1891), Montreal (1895) Schwedisch: Stockholm (1872) Französisch: Brüssel (1872), New Orleans (1877), Lille (1893), Genf (1893), Rouen (1896), Paris (1897) Ungarisch: Budapest (1873) Dänisch: Kopenhagen (1884) Niederländisch: Antwerpen (1895) Kroatisch: Zagreb (1896) Slowenisch: Ljubljana (1900) Siehe auch Zur Aufführungsgeschichte: Wiener Premierenbesetzungen des Fliegenden Holländers Bayreuther Premierenbesetzungen des Fliegenden Holländers Rezeption Paul Hindemith parodierte um 1925 die Ouvertüre in einer Fassung für Streichquartett unter dem Titel Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt. Paul Schallweg parodierte eine größere Zahl Opern unter dem Titel Opern auf Bayrisch, darunter auch den Holländer, der zum leichteren Verständnis in den Starnberger See bei München verlegt wird. Diese komprimierte Oper wurde zuletzt anlässlich Wagners 200. Geburtstag bei den Luisenburg-Festspielen aufgeführt. Helmut Oehring komponierte 2012/13 die Oper SehnSuchtMEER oder Vom Fliegenden Holländer unter Verwendung von Musiken Richard Wagners auf ein Libretto von Stefanie Wördemann mit Texten von Heinrich Heine, Richard Wagner, Mathilde Wesendonck und Hans Christian Andersen als Auftragswerk zum Wagner-Jahr der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf (UA: März 2013) Literatur Attila Csampai, Dietmar Holland (Hrsg.): Der fliegende Holländer. Hamburg 1982 Heinz Gelking: „Der fliegende Holländer“ von Richard Wagner. In: platte11 vom 29. Dezember 2009, online. (Einführung und vergleichende Diskographie historischer Aufnahmen) Sven Friedrich: Der Klassik(ver)führer, Sonderband Wagner: Der fliegende Holländer. Auricula, Berlin 2012 Udo Bermbach: Der fliegende Holländer – Erlösung durch Selbstvernichtung. In Blühendes Leid. Politik und Gesellschaft in Richard Wagners Musikdramen, Metzler, Stuttgart 2003. Bernd Laroche: Der fliegende Holländer – Wirkung und Wandlung eines Motivs: Heinrich Heine – Richard Wagner – Edward Filzball – Paul Voucher und Henry Revoil/Pierre-Louis Dietsch. Verlag Peter Lang, Frankfurt/M. – Berlin – Bern – New York – Paris – Wien 1993, ISBN 3-631-45891-6 Aufnahmen George London (Holländer), Leonie Rysanek (Senta), Giorgio Tozzi (Daland), Karl Liebl (Erik), Rosalind Elias (Mary), Richard Lewis (Steuermann), Orchestra and Chorus of the Royal Opera House Covent Garden, Dirigent: Antal Doráti (Decca 1962) Theo Adam (Holländer), Anja Silja (Senta), Martti Talvela (Daland), Ernst Kozub (Erik), Annelies Burmeister (Mary), Gerhard Unger (Steuermann), BBC Chorus, New Philharmonia Orchestra London, Dirigent: Otto Klemperer (EMI 1968) Thomas Stewart (Holländer), Gwyneth Jones (Senta), Karl Ridderbusch (Daland), Hermin Esser (Erik), Sieglinde Wagner (Mary), Harald Ek (Steuermann), Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele 1971, Dirigent: Karl Böhm (DGG) Alfred Muff (Holländer), Ingrid Haubold (Senta), Erich Knodt (Daland), Peter Seiffert (Erik), Jörg Hering (Steuermann), Marga Schiml (Mary), Budapest Radio Chorus, ORF-Sinfonieorchester, Dirigent: Pinchas Steinberg (Naxos 1993) Pariser Urfassung von 1841: Terje Stensvold (Holländer), Astrid Weber (Senta), Franz-Josef Selig (Donald), Jörg Dürmüller (Georg), Simone Schröder (Mary), Kobie van Rensburg (Steuermann), WDR Rundfunkchor Köln, Prager Kammerchor, Cappella Coloniensis, Dirigent: Bruno Weil (DHM 2004) Harry Kupfer (Inszenierung und Regie), Simon Estes (Holländer), Lisbeth Balslev (Senta), Matti Salminen (Daland), Robert Schunk (Erik), Anny Schlemm (Mary), Graham Clark (Steuermann Dalands), Orchester, Chor und Sonderchor der Bayreuther Festspiele 1978, Dirigent: Woldemar Nelsson. Veröffentlicht auf CD Video/Laserdisc und DVD, auf CD „Highlights“ als „Philips Laserline Classics“ bei Polygram. Weblinks Visualisierte Handlung bei How To Opera (zweisprachig deutsch/englisch) Libretto bei Opera Stanford Textbuch und Szenenübersicht zum Holländer Einzelnachweise Operntitel Oper in deutscher Sprache Oper von Richard Wagner Musik 1843 Oper aus dem 19. Jahrhundert Sagenrezeption Maritime Kultur
1102
https://de.wikipedia.org/wiki/Digitaldruck
Digitaldruck
Digitaldruck (oder kurz „Digidruck“, im internationalen Sprachgebrauch auch Direct Digital Printing (DDP) oder Computer-to-Print) bezeichnet eine Gruppe von Druckverfahren, bei denen das Druckbild direkt aus einer Datei oder einem Datenstrom von einem Computer in eine Druckmaschine übertragen wird, ohne dass eine statische Druckform benutzt wird. Die am weitesten verbreiteten Verfahren sind die Elektrofotografie, der Laserdruck, und der Tintenstrahldruck. Der Digitaldruck ergänzt die klassischen Druckverfahren wie Offsetdruck, Tiefdruck, Flexodruck oder Siebdruck in all ihren Anwendungsbereichen dort, wo die gewünschte niedrige Auflagenhöhe bis hinunter zum Unikat (Auflage 1) nicht mehr wirtschaftlich gedruckt werden könnte, und eröffnet mit seiner dynamischen Druckbilderzeugung die Möglichkeit zu verschiedenen Arten des Customizing, z. B. Personalisierung und Individualisierung zu einem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis. Seit Anfang der 2000er Jahre erreichen die Elektrofotografie- und Tintenstrahldruckverfahren Druckgeschwindigkeiten, die für den bebilderten Non-stop-Produktionsdruck bei offsetähnlicher Druckqualität nutzbar sind. Gemeinsamkeiten der digitalen Druckverfahren Verfahrensübergreifende technische Merkmale Anders als bei den klassischen Druckverfahren wird bei den Digitaldruckverfahren keine statische, d. h. unveränderliche Druckform benötigt. Stattdessen wird dynamisch für jeden einzelnen Druckvorgang eine Bildpunktadressierung innerhalb des Druckformats generiert, so dass bei Bedarf jedes Druckexemplar ein anderes Druckbild aufweisen kann. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise die Einzelseiten von Büchern und Broschüren bereits in ihrer numerischen Reihenfolge drucken und zusammentragen, ohne nach einem für Falzbogen typischen Mehr-Seiten-Schema ausschießen zu müssen. Da keine Druckform im eigentlichen Sinne existiert und somit das Druckbild – zumindest bei den direkt auf den Bedruckstoff druckenden Verfahren – mit geringem mechanischem Druck bzw. sogar kontaktlos (Tintenstrahldruck) übertragen wird, werden die digitalen Druckverfahren auch unter dem Begriff NIP (Non Impact Printing) zusammengefasst. Bei den indirekt druckenden Verfahren, die wie der Offsetdruck einen Zwischenträger (Gummituchzylinder oder Gummilaufband) benutzen, der die Farbe auf den Bedruckstoff überträgt, ist je nach Farbkonsistenz dennoch eine mehr oder weniger hohe Druckspannung nötig. Die für bestimmte Anwendungen nach wie vor unverzichtbaren Nadeldrucker üben ebenfalls einen mechanischen Druck aus, und zwar nach dem Prinzip Schreibmaschine von hinten auf ein Farbband. Verfahrensübergreifende Anwendungsgebiete Pauschal lassen sich die verschiedenen digitalen Druckverfahren zunächst drei großen Anwendungsgebieten zuordnen, in denen sie die konventionellen Druckverfahren ergänzen oder ersetzen: Grafischer Digitaldruck Dieser Bereich umfasst alle Anwendungen, in denen Seitendokumente und andere typografisch gestaltete Dateien mit Pixelbildern, Vektorgrafiken und Text gedruckt werden: Desktop- und Netzwerkdruck in Büros und Unternehmen Transaktionsdruck und Transpromo in Hausdruckereien von Behörden, Finanzinstituten und Unternehmen Zeitungs-, Fach- und Publikumszeitschriftendruck in gewerblichen Druckdienstleistungsbetrieben und Verlagsdruckereien Außen- und Innenwerbungsdruck (Plakate, Schilder, Paneele, Messestände) – als Ergänzung der konventionellen Verfahren Offset- und Siebdruck in gewerblichen Druckdienstleistungsbetrieben fotorealistische Bildwiedergaben (Fotobücher und -kalender, Poster und Kunstreproduktionen) – als Ergänzung des konventionellen Offsetdrucks in gewerblichen Druckdienstleistungsbetrieben „digitaler Verpackungsdruck“, vor allem Faltschachteln und Folienbeutel sowie Etiketten – als Ergänzung der konventionellen Massendruckverfahren Offset-, Flexo- und Tiefdruck in spezialisierten Verpackungsdruckereien Funktionaler Digitaldruck In diesem Bereich dient das digitale Druckbild nicht der visuellen Kommunikation des Inhalts, sondern es erfüllt rein technische Aufgaben. gedruckte organische Elektronik, z. B. OLED, leitfähige Antennen für Transponder und MICR-Eindrucke – als Alternative zum Siebdruck Funktionslackierungen mit lackartigen farblosen Tonern oder Tinten als Alternative zu verschiedenen Veredelungstechnologien, die z. B. das Druckbild schützen oder die Gleitfähigkeit des Druckprodukts erhöhen oder verringern oder die unbeschadete Benetzbarkeit des Druckbildes mit Wasser oder Schweiß ermöglichen zum Tampondruck sowie zu Klebeapplikationen auf Formteile und Hohlkörper, wobei der robotergestützte Digitaldruck auch unregelmäßige Oberflächenformen, vor allem sogenannte Freiformflächen, problemlos bedrucken kann. Industrieller Digitaldruck Wie schon einige konventionelle Druckverfahren kann auch der Digitaldruck in die industrielle Fertigung von Gütern und Bauteilen aller Art integriert werden. Bedruckung von geformten Objekten und Hohlkörpern im Tintenstrahldruck – als Alternative zum Sieb- und Tampondruck, neuerdings auch mit Hilfe von Druckköpfen an Roboterarmen mit allen nötigen Freiheitsgraden Dekordruck (Tapeten, Furniere) im Tintenstrahldruck – als Ergänzung zum Tief- und Flexodruck Textildruck (sowohl Bedruckung von Stoffbahnen als auch einzelnen Bekleidungsstücken) im Tintenstrahl- und Thermosublimationsdruck – als Alternative zum Sieb- und Flexodruck Druckformherstellung für andere Druckverfahren: Tintenstrahlbedruckung mit den farbführenden Kopierschichtpartien auf Offsetdruckplatten (Computer-to-Plate-Positivbebilderung) und mit den deckenden Schablonenpartien auf Siebgewebe (Computer-to-Screen) Bei eher handwerklichen Aufgaben, z. B. in den Bereichen Fahrzeugdekoration und Innenarchitektur, werden Objektflächen direkt bedruckt, u. a. in den Verfahren Digital Airbrush und Frescografie. Unterscheidungsmerkmale der digitalen Druckverfahren und daraus resultierende Anwendungsgebiete Die Spezifizierung der verschiedenen digitalen Druckverfahren erfolgt nach technischen Kriterien, aus denen typische Anwendungsgebiete resultieren. Zur sinnvollen systematischen Unterscheidung bietet sich die Kategorisierung nach den Prozesskomponenten an, weil danach in der Praxis kundenseitig die Auswahl des Druckverfahrens und dienstleisterseitig die Investition in bestimmte Verfahrensgruppen erfolgt. Prozesskomponente Medium: Bedruckstoffe und Objektoberflächen Konfektionierung der Medien Anlieferung als Rollenware für den digitalen Rollendruck: für Bedruckung Rolle-zu-Rolle (reel-to-reel), d. h. die bedruckte Bahn wird wiederaufgewickelt, wobei die Wiederaufrollung (winder) arbeitsorganisatorisch als Puffer fungiert für Bedruckung Rolle-zu-Bogen (reel-to-sheet), d. h. die bedruckte Bahn wird in Einzelexemplare geschnitten, um diese auf einem Bogenstapel abzulegen für Bedruckung Bahnrolle-zu-Exemplarrolle (aufgewickelte Exemplare im großformatigen Großformatdruck) für Bedruckung und Inline-Weiterverarbeitung Rolle-zu-Endprodukt (reel-to-product) Anlieferung als Bogenware für den digitalen Bogendruck: für Bedruckung Stapel-zu-Stapel (pile-to-pile) für Bedruckung und Inline-Weiterverarbeitung Bogen-zu-Endprodukt (sheet-to-product) Anlieferung als zickzackgefaltete Materialbahn mit abtrennbarer Traktor-Randperforation für die digitale Bedruckung Endlosstapel-zu-Endlosstapel (continuous stationary); vorwiegend für Formularsätze mit Selbstdurchschreibefunktion und Haftetiketten Flexibilität und Oberflächenform digitale Bedruckung flexibler Materialien: Papier, Folien und Textilbahnen Kuverts und Packstoffe (inkl. Wellpappe) digitale Direktbedruckung starrer Objekte: flache Oberflächen (dabei können mit Printtexturen auch Materialanmutungen wie Stein, Leder, Holz und Textilien simuliert werden) Plastikkarten und Datenträger (CDs, DVDs) Fenster- und Vitrinenglas, Schilder und Paneele aus Kunststoff, Metall und Holz Keramik (Fliesen, Kacheln) Warendisplays, Transport- und Versandverpackungen (meistens aus Wellpappe) straff eingespannte Textilien (T-Shirts, Kleider) gewölbte Oberflächen, auch mit roboterintegrierten Druckkopf-Anwendungen Körperdruck Behältnisse, Verschlüsse, Gläser, Tassen und sonstige Hohlkörper Gebrauchs- und Werbeartikel aller Art Sportartikel (Bälle, Schläger, Helme) und Spielzeug drehbar fixierte Bekleidungsstücke (Schirmmützen, Schuhe) Komponentendruck Armaturenbretter, Ziffernblätter mit Piktogrammen und Text beschriftete Bedienelemente, z. B. Computer-Tastaturen digitale Direktbedruckung von Wänden unter Verwendung portabler Druckgestelle, in denen ein Druckkopf bei zeilenweisem Vorschub hin und her fährt Bogenformat, Rollen- bzw. Maschinenbreite digitaler Bogendruck in den Formaten A4, A3, A3+ und B3: im Desktop-, Büro- und Netzwerkdruck im Broschürendruck (oft mit Inline-Verarbeitung mittels Sorter, Heft- oder Bindeeinrichtung) digitaler Bogendruck in den Formaten B2 und B1 (entspricht ungefähr dem Druckmaschinenformat 3b): für hochqualitative Produkte Fotobücher und Fotokalender, Bildbände und Illustrierte farbverbindliche Prüfdrucke Vorabexemplare, Muster- und Modellunikate (Mock-ups) Hybrid- und Komplementärdrucke im Poster-, Publikations- und Verpackungsdruck für layoutverbindliche Prüfdrucke digitaler Schmalbahndruck: für Transaktions- und Formulardruck für flexible Verpackungen und Etiketten (Haft-, Nassklebe- und In-Mould-Etiketten) digitaler Normalbahndruck: für den Zeitschriften- und Zeitungsdruck für den Bücherdruck mit geschlitzten Strängen (Umschläge werden oft separat gedruckt) Großformatdruck (Large/Wide Format Printing, LFP, WFP) bis zu 5 m Bahnbreite: für Poster, Kunstdrucke und Plakate, auch auf Leinen (Canvas) für Fahnen, Textil- und PVC-Banner, netzartigen Geweben (Mesh), Gerüstverhüllungen und Ballonhüllen für Groß- und endlose Rapportdekore (Furniere, Tapeten) für Translights – in Film- und TV-Studios verwendete Hintergründe, die meist durch Fenster betrachtete Stadt- und Straßenkulissen darstellen und mit Be- und Durchleuchtungseffekten die Tages- oder Jahreszeiten simulieren digitaler Direktdruck auf Objekte je nach deren Größenordnung (siehe digitale Direktbedruckung starrer Objekte), in der Regel im Tintenstrahldruckverfahren Bedruckbarkeit Nicht alle Bedruckstoffe lassen sich in allen Digitaldruckverfahren problemlos bedrucken. Die Bedruckbarkeit des Mediums hängt einerseits von seinen Oberflächeneigenschaften und andererseits vom Druckverfahren und der dabei verwendbaren Druckfarbe ab. Grundsätzlich kommt es darauf an, dass die Druckfarbe gut auf der Oberfläche haftet, also weder abgestoßen noch komplett aufgesogen wird, und das Papier kaum Staubpartikel freisetzt, die die Fotoleitertrommeln und Tintenstrahldüsen verschmutzen. Oftmals zertifizieren oder empfehlen deshalb die Drucksystemanbieter konkrete Papierprodukte. Das ist vor allem bei Tintenstrahldruckmedien der Fall, wenn der Papierhersteller eine notwendige Konditionierung der Papieroberfläche durchführt, indem er einen sogenannten Primer, also eine Haftgrundierung aufbringt. Um von den entsprechend teureren Medien unabhängig zu sein und außerdem das Bedruckstoffspektrum deutlich zu erweitern, haben einige Drucksysteme den Primer-Auftrag in den Druckprozess integriert. So trägt die Fujifilm Jet Press den Primer vollflächig vor der ersten Druckeinheit auf, und die HP Web Press hat eine zusätzliche Druckeinheit vorgeschaltet, die auf das Papier rasterpunktgenau einen bonding agent vordruckt; mittlerweile bietet aber auch HP den vollflächigen Auftrag mit einem priming agent. Die Bedruckbarkeit ist möglich bei staubarmen ungestrichenen Papieren („Naturpapiere“) mit Toner unproblematisch mit Tinten oft erst nach Oberflächenkonditionierung bei matt und glänzend gestrichenen Papieren und Kartons mit geringem Saugvermögen mit Toner eingeschränkt, meistens gibt es speziell gefertigte Papiere mit Tinten oft erst nach Oberflächenkonditionierung mit UV-härtenden Tinten unproblematisch bei Kunststoff-, Metall-, Glas-, Stein- und Holzoberflächen: mit UV-härtenden Tinten unproblematisch bei Textilien, Canvas und Kunstfasergeweben: mit UV-härtenden Tinten und Thermosublimationsfarben unproblematisch Es gibt nur ein einziges Verfahren, das alle Oberflächen gleichermaßen gut bedrucken kann: die Nanografie. Das liegt an der geringen Größe der Pigmente, die als bereits getrockneter Farbfilm indirekt auf den Bedruckstoff übertragen werden und in jeder mikrorauen Oberflächentopografie haften bleiben. Prozesskomponente Druckfarbe Toner Toner sind elektrostatisch aufladbare oder magnetisierbarer Farbmittel und verlangen in der Regel eine thermische Fixierung des Druckbildes. Die spezielle Verwendung des Toners erlaubt die Unterscheidung der „Tonerdruckverfahren“. digitale Druckverfahren mit pulverförmigem Toner: Elektrofotografie mit Zweikomponententoner (Laserdruck, LED-Druck, einfarbige MICR-Eindrucke von magnetisierbaren alphanumerischen Zeichen in Scheckvordrucke) Magnetografie mit Einkomponententoner (nur für den einfarbigen Druck geeignet) Ionografie mit Zweikomponententoner Elektrofotografie mit flüssigem Dreikomponententoner (pastöser Zweikomponententoner plus Transferflüssigkeit), z. B. sogenannte Electro-Ink für hp-Indigo-Druckmaschinen Elcografie mit flüssiger elektrolytischer Druckfarbe (nach dem Prinzip der Toner-Koagulation) Meilensteine: Die Elektrofotografie wurde 1938 von Chester F. Carlson entwickelt und 1942 zum Patent angemeldet. In den Markt wurde sie 1950 durch die Haloid Corp. (ab 1961 Xerox) zunächst als Kopierverfahren eingeführt, ab 1973 verkaufte Canon auch Farbkopier. 1976 darf man vom ersten Digitaldrucker sprechen, dem Laserdrucker IBM 3800. 1993 realisierte der israelische Erfinder Benny Landa erstmals den vierfarbigen Digitaldruck mit offsetähnlicher indirekter Druckbildübertragung (Indigo e-Print). Tinte Tinten für den Digitaldruck sind dünnflüssig oder als Gel (Canon-Patent) aufgebrachte Druckfarben auf der Basis von Wachs, Wasser oder Lösemitteln, die u. a. Öle, Prepolymere und Latexdispersionen enthalten können. Je nach der Aufbereitung der Tintenstrahlen, -tropfen oder -filme werden die „Tintendruckverfahren“ unterschieden. kontinuierlicher Tintenstrahldruck (continuous ink-jet, CIJ): Ablenkung eines kontinuierlich abgegebenen, elektrostatisch aufgeladenen Tintenstrahls in einem punktuell adressierbaren elektrischen Feld diskontinuierlicher Tintenstrahldruck (drop-on-demand ink-jet, DOD): Abschießen einzelner Tintentropfen, auch unterschiedlichen Volumens, durch punktuell adressierbare Düsendruckköpfe mit thermaler Tropfenbildung durch Verflüssigen eines festen Wachsstiftes (Festtintendrucker, ausschließlich realisiert als Tektronix/Xerox-Phaser-Technologie) durch Dampfblasenbildung (erstmals realisiert als Canon-BubbleJet-Technologie) mit elektromechanischer Tropfenbildung (pulsierende Kammern) durch piezoelektrische Aktoren (erstmals marktreif realisiert als Epson-Micro-Piezo-Technologie) durch sogenannte Ink Ejectors (von Landa für die Nanografie modifizierte Piezo-Tintenstrahldruckköpfe) Sprühventildruck: Digital Airbrush Schreibstiftdruck: Verfahrweg-Beschrieb des Mediums (Plotter) Elektrografie (hier wird die Tinte auch „Flüssigtoner“ genannt, weil ihre elektrostatische Affinität genutzt wird): Einfärben der aufgeladenen dielektrischen Papierbeschichtung (Direktdruck) Einfärben der aufgeladenen dielektrischen Transfertrommelschicht (indirekter Druck) elektrostatische Tintentropfenablagerung (electrostatic drop-on-demand deposition): Herauslösen elektrostatisch aufladbarer Pigmentpartikel mitsamt einem nicht aufladbaren Flüssigkeitsfilm aus der offenliegenden Oberfläche einer Tintenflüssigkeit, die in einem düsenlosen Druckkopf vorgehalten wird, und Anlagerung dieser Tropfen auf entgegengesetzt aufgeladenen Metalloberflächen; für dieses bereits 1993 patentierte Verfahren werden erst seit 2017 marktreife Lösungen für den Industrie- und Verpackungsdruck, insbesondere die Bedruckung metallischer Getränkedosen, angeboten; einziger Patentanwender ist die Tonejet Ltd in Melbourn, Hertfordshire, UK Meilensteine: 1948 setzt Siemens Elema einen Tintenstrahl zur Aufzeichnung der Kurve eines galvanischen Messgeräts ein, was bereits 1858 William Thomson Lord Kelvin mit einzelnen Tropfen versucht hatte. 1976 stellte IBM den ersten Tintenstrahldrucker vor, der das Prinzip des ablenkbaren Strahls (Continuous Inkjet) nutzte. 1977 beginnt mit Siemens die Historie des Drop-on-demand-Drucks (DoD) unter Anwendung der piezoelektronischen Tropfenbildung, die später von Seiko Epson marktreif vervollkommnet wurde. 1979 gingen HP und Canon gleichzeitig mit ihrem thermischen Tropfenbildung auf den Markt, was zu größeren Patentstreitigkeiten führte. 2012 erzielte Landa große Aufmerksamkeit für sein Nanographic printing, das nach wie vor in der Pionieranwenderphase steckt, weil außer Entwicklungspartner Komori die Lizenznehmer nicht, wie im zeitlichen Umfeld der drupa 2012 erhofft, die Maschinentechnik dazu vervollkommneten, so dass Landa als Technologieentwickler gezwungen ist, nun auch die Druckmaschinen zu entwickeln und zu bauen. Im Bilderdruck eingesetzte Tintenstrahldrucksysteme verfügen über teilredundante Düsenarrays, um eine Streifenbildung im Bereich aneinandergrenzender Druckköpfe zu vermeiden (Weaving) und durch verstopfte Düsen zu kompensieren. In den verschiedenen Druckverfahren werden die Tinten selbst gemäß ihrer Anwendungsbestimmung ausgewählt, wonach sich die Auswahl der in Frage kommenden Digitaldrucksysteme richtet. Lichtechte Tinten, also Tinten mit UV-Strahlen-beständigen Pigmentfarbmitteln, werden für den Innen- und Außenbereich verwendet: Normal- und Effektpigmente Nanopigmente (Nanografie) leitfähige Pigmente für organische Elektronik (OLED-Strukturen), Magnetpigmente (MICR) Lösliche Farbmittel für den Innenbereich: wasserlösliche Farbstoffe, darunter auch Lebensmittelfarben für das Bedrucken von Konditorei- und Chocolatierprodukten in einem Lösemittel gelöste Farbstoffe Die Ausstattung des Digitaldrucksystems muss außerdem dem Trocknungsprinzip der Tinten gerecht werden: Verhalten der Trägerflüssigkeit: Lösemittel verdunstet Wasser verdunstet und penetriert in das Medium, wenn möglich Wasser verdunstet aus der Latex-in-Wasser-Dispersion (ausschließlich in großformatigen Latexdruckern) Verhalten des Bindemittels: Monomere und Präpolymere härten mittels UV-Strahlung („UV-Digitaldruck“) Polymerisierung unter Einsatz von UV-Strahlern (verursachen die Bildung von Ozon, das eine Absaugvorrichtung an der Druckmaschine verlangt) Polymerisierung unter Einsatz von LED-UV-Arrays (ozonfreie Härtung, geringerer Energieeinsatz, weniger Wärmeeintrag) Phasenwechsel von flüssig geschmolzenem zu starr wiedererkaltetem „Festtinten“-Wachs Wachs- und Harzfarbe Farbmittel lassen sich auch mitsamt dem Wachs- oder Harzbindemittel, in das sie eingebettet sind, übertragen. Bei den entsprechenden Digitaldruckverfahren kommt ein Trägermaterial (Farbfolie, Farbband) zum Einsatz, das mit jedem Druckvorgang einem schrittweisen Vorschub unterliegt, um immer ein maximales Farbangebot zu gewährleisten. Nadeldruck: einfarbiger mechanischer Druck einer grob auflösenden Nadelpunkte-Matrix von hinten auf ein Farbband (Prinzip Schreibmaschine); wie bei einigen Speicherschreibmaschinen werden die alphanumerischen Zeichen mit dem vor- und rücklaufenden Druckkopf nicht zeichenweise, sondern matrixzeilenweise gedruckt, wobei je nach Druckkopfgröße oder Druckmodus (Auflösung) 12 oder 24 Matrixzeilen zu einer Schreibzeile in einem oder zwei Druckkopfläufen zusammengefasst werden können für Eindrucke in Formularsätze mit Selbstdurchschreibefunktion und in einfache Formulare (z. B. Arztrezepte) für Ticketautomaten (auf Bahnhöfen und an Haltestellen) für das Eindrucken laufender Nummern in vorgedruckte Dokumente für das Drucken von Begleitzetteln bei logistischen Aufgaben Thermotransferdruck: punktuelle Verflüssigung der Farbe auf dem Farbband, z. B. für den einfarbigen Druck von selbstklebenden Kennzeichnungsetiketten Thermosublimationsdruck: mikropunktuelle Verdampfung der Wachsfarbe auf der Trägerfolie, wobei die Temperatur die Farbstoffmenge bestimmt Einsatz in hochwertigen Fotodruckern Bedrucken von Textilobjekten Druck von höherwertigen ID- und Kundenkarten Farbkupplerreaktion Beim Digitaldruck mit Farbkupplerreaktion befinden sich die farbgebenden Substanzen (Kuppler) in farblosem Zustand in der Papierbeschichtung. Durch Energieeinwirkung reagieren diese Substanzen mit einem Farbumschlag. Thermodruck: eine punktuelle Erhitzung der wärmeempfindlichen Papierschicht löst eine Schwärzung aus; seinerzeit für Faxgeräte entwickelt, findet Thermopapier heute nur noch bei Kassenzetteln und Quittungen Anwendungen Lume Jet: ein Laser-Schreibkopf belichtet Direktpositiv-Fotopapier mit roten, grünen und blauen Laserstrahlen und erzeugt hochaufgelöste Drucke in fotorealistischer Wiedergabequalität; trotz mancher Vorteile gegenüber dem Tintenstrahldruck und der beachtlichen Druckgeschwindigkeit von 1,3 m/s (305 mm × 1000 mm von der Rolle) ist die Anwendung der Technologie zu speziell auf den Bildband- und Kleinposterdruck beschränkt, so dass 2018 der Hersteller in Liquidation gehen musste und jetzt mit dem vorhandenen Equipment unter der Bezeichnung L-Type als Bilderdruckdienstleister in Erscheinung tritt Prozesskomponente Druckeinheit(en) Druckbildübertragung auf den Bedruckstoff Ein weiteres Unterscheidungskriterium der Digitaldruckverfahren ergibt sich durch das Prinzip der Druckbildübertragung. direkte Übertragung: kontaktlos von einer Druckkopfmatrix im Kontakt mit einer Ladungsprofiltrommel oder ähnlichen Transfertrommel indirekte Übertragung: alle Farben einzeln über einen Gummituchzylinder (Prinzip Offsetdruck, z. B. bei hp Indigo und Miyakoshi) alle Farben gesammelt über ein Registertransferband (umlaufendes Gummiband, z. B. bei den elektrofotografischen Systemen von Konica Minolta, Ricoh/Heidelberg und Xerox iGen sowie im Tintenstrahldruck bei den Landa-Nanografie-Maschinen) Seitenbedruckung Ein wesentliches Kriterium ist, ob und nach welcher technischen Lösung auch die Rückseite bedruckt werden kann. So werden Simplex- und Duplexmaschinen bzw. Simplex- und Duplexmodus unterschieden, sowohl bei Rollen- als auch bei Bogendrucksystemen. Die Begriffe „simplex“ und „duplex“ wurden ursprünglich für die Kopierer und Bürodrucker eingeführt und stehen heute im Digitaldruck für die in den konventionellen Druckverfahren üblichen Begriffe „Schöndruck“ und „Schön- und Widerdruck“. simplex: einseitige Bedruckung (Schöndruck) bei Drucksystemen, die ausschließlich einseitig bedrucken bei duplexfähigen Drucksystemen, die auch im Simplexmodus drucken können duplex: beidseitige Bedruckung (Schön- und Widerdruck) nacheinander in derselben Druckeinheit mittels Wende- oder Wiedereinzugsvorrichtung (Bogendruck) in einer nachfolgenden Druckeinheit (Rollendruck) Mehrfarbiger Druckvorgang Digitale Drucksysteme, die nicht nur einfarbig (monochrom), sondern mehrfarbig (Schwarz + Schmuckfarbe, vierfarbig CMYK oder CMYK + Schmuckfarben) arbeiten, weisen verfahrensbedingte Unterschiede bei der Anzahl der Mediendurchläufe auf. Single Pass: Übertragung aller Farben in einem Durchlauf die Farben werden gemeinsam mit einer einzigen Zylinderumdrehung (Zentralzylinderkonstruktion) oder einem einzigen Registertransferbandumlauf der Druckeinheit übertragen die Farben werden einzeln in mehreren hintereinander geschalteter Druckeinheiten übertragen Multi[ple] Pass: die Farben werden einzeln in jeweils einem Durchlauf durch die einzige Druckeinheit übertragen (in Bogendrucksystemen passiert der Bogen z. B. bei CMYK-Drucken viermal die Druckeinheit, bevor er ausgestoßen wird) Einige Digitaldrucksysteme, vor allem aus dem unteren Preissegment ihrer jeweiligen Technologie, weisen die Schwäche auf, dass die Passgenauigkeit der einzelnen Farben im Mehrfarbendruck und die Registergenauigkeit von Vorder- und Rückseitenbedruckung im Duplexdruck mangelhaft sind. Konstruktionsbedingte Ursache ist in diesen Fällen, dass die Konzeption der Bogenführungsorgane noch aus der Kopierertechnik stammt und nicht den hohen und erfahrungsreichen Anforderungen des Präzisionsmaschinenbaus konventioneller Druckmaschinen genügt. Im Tintenstrahldruck kann dieser Effekt unter Umständen noch verstärkt werden, weil beim kontaktlosen Bedrucken die Tinte aus einer bestimmten Höhe aufgebracht wird, erst recht mit traversierenden Druckköpfen. Dass digital auch hochpräzise gedruckt werden kann, beweisen die höherpreisigen Lösungen, sowohl die Toner- als auch die Tintendruckverfahren. Dies gelingt vor allem dann, wenn die Bahn- oder Bogenführungsorgane konzeptionell aus dem konventionellen Druckmaschinenbau stammen und mit schwingungsarm konstruierten, weil massereichen Druckeinheiten kombiniert werden. Prozesskomponente Software zur Arbeitsvorbereitung und Datenaufbereitung Nutzungsregime: Funktionalität vs. Auslastung Digitaldrucksysteme unterscheiden sich sehr stark nach ihrer Auslastung und der entsprechenden Funktionalität. Dort, wo permanent gedruckt wird, ist die Druckgeschwindigkeit ein wesentliches Auswahlkriterium. sporadische Nutzung, aber reich an Funktionen – typisch für den „Bürodruck“: Standby-Zeiten zwischen den Druckjobs; demzufolge wird man bei der Anschaffung eher Wert legen auf Multifunktionalität (Netzwerkfähigkeit, Kopieren und Faxen, Scannen und Speichern in PDF-Dateien und Versenden als E-Mails) anstatt auf Druckgeschwindigkeit permanente Auslastung – typisch für den „Produktionsdruck“: möglichst nahtlose Abarbeitung von Druckjob-Warteschlangen; maßgeblich ist daher die Druckgeschwindigkeit, die bei Bogendrucksystemen üblicherweise in A4-Seiten pro Minute und bei Rollendrucksystemen in Laufmeter pro Minute angegeben und dann weiter nach Farbbelegung (ein-, mehrfarbig), wählbarer Druckauflösung (Dots per inch, dpi – Punkte pro Zoll), simplex/duplex und maximalem Bogenformat bzw. maximaler Bahnbreite spezifiziert wird; leistungsmäßig beginnen die digitalen Bogenproduktionsdrucksystemen im allgemeinen Praxisverständnis ab vier Farben (CMYK), Format A3+ und 60 A4-Farbseiten/min Workflow-Konzept Drei digitaldrucktypische Geschäftsmodelle beruhen auf den folgenden organisatorisch-wirtschaftliches Konzepten der Druckdatenorganisation: bedarfsabhängiger Druck, Print(ing)-on-Demand (PoD): bestellmengengenaues Drucken geringer Exemplarzahlen (typisch: 1 bis 500 Exemplare) anstelle des Druckens auf Vorrat (Vermeiden von „totem Kapital“ und Lagerkosten); neben spezialisierten Dienstleistern, die die PoD-Aufträge über eine Internet-Schnittstelle akquirieren, wird PoD oft auch in Copyshops angeboten, wohin der Kunde seine Datei auf Datenträger mitbringt und auf die Ausgabe seiner Kleinauflage „zum Mitnehmen“ wartet ortsabhängiger Druck, Distribute-and-Print, First distribute, then print: Verteilen der Druckdateien an beliebige Ausgabeorte weltweit, wo jeweils eine bedarfsorientierte Anzahl an Exemplaren gedruckt und dadurch der Kosten verursachende Versand einer zentral gedruckten Auflage vermieden wird; Tageszeitungen bieten z. B. gern den Wirtschaftsteil als digital gedruckten Auszug für Flugpassagiere an, mittlerweile wird dieses Konzept jedoch durch den Download von E-Papers verdrängt, die auch nach Verlassen der Internetverbindung auf dem digitalen Endgerät gelesen werden können Druck variabler Daten, Variable Data Printing: dieses Konzept spielt das Alleinstellungsmerkmal des Digitaldrucks aus, jedes Druckexemplar mit verschiedenem Inhalt ausgeben zu können (siehe Customizing) Druckauflösung vs. Produktivität Bei der Datenstromaufbereitung am Steuerungscomputer, dem Digital Front-End (DFE), wird das Verhältnis von der Druckauflösung zur Produktivität eingestellt. Aufgrund der Abhängigkeit von der Prozessorgeschwindigkeit für die Neuberechnung des Druckbildes muss in Kauf genommen werden, dass die Druckgeschwindigkeit nur auf Kosten der Druckauflösung (niedrigere Qualitätsstufe) gesteigert werden kann, bzw. umgekehrt eine hohe Auslösung auf Kosten der Produktivität geht. Eventuell ist eine Anpassung der Rasterungsmethode erforderlich. Die Druckauflösung wird normalerweise in Längs- und Querrichtung angegeben, z. B. 600 dpi × 600 dpi, zumal die Zahlen verfahrensbedingt nicht identisch sein müssen. Zwar ist die Druckauflösung durch die Anzahl der adressierbaren Bildpunkte bzw. Tintenstahldüsen physikalisch vorgegeben, es besteht aber technisch die Möglichkeit, die native Auflösung scheinbar zu steigern: durch Graustufen-Interpolation (scheinbare Verdopplung der Auflösung, z. B. von „600 dpi × 600 dpi nativ“ auf „1200 dpi × 1200 dpi interpoliert“) im Tintenstrahldruck außerdem durch Variation der (bis zu 7 über den Tonwertbereich verteilten) vordefinierten Tropfenvolumina (angegeben in Picoliter) oder der Punktgröße bei konstantem Tropfenvolumen (variable dot); es besteht in bestimmten Grenzen die Möglichkeit, die Geschwindigkeit durch Erhöhen der Ausstoßfrequenz (firing frequency, bis zu 50 kHz) ohne Qualitätsverlust zu steigern Customizing Die Möglichkeiten der teilauflagen- oder exemplarweisen Anpassung zu günstigen Druckkosten stellen das herausragende Alleinstellungsmerkmal aller Digitaldruckverfahren dar. Den größten Anteil bei derartigen Anwendungen machen kunden- bzw. zielgruppenbezogene inhaltliche Anpassungen aus. Selbst hohe Druckauflagen können kostengünstig inhaltlich individuell variiert werden – das Paradebeispiel für die hoch bewertete Mass Customization. Produktbeispiele sind werbewirksame Verpackungen mit dem individuellen Vornamen, das Buch mit persönlicher Widmungsseite oder die im Internet-Dialog erstellbaren Fotobücher, Fotokalender und Grußkarten, die dank der weitverbreiteten Digitalfotografie und den immer verfügbaren Smartphones ein Millionengeschäft generieren. Transaktionsdruck: permanenter Druck von Rechnungen, Mahnungen, Kreditkartenabrechnungen, Konto- und Depotauszügen, Policen, Lieferscheinen, Belegen usw. in standardisiertem (briefartigen) Layout, je nach Informationsmenge mit unterschiedlichen Seitenumfängen, oft ergänzt mit Werbedrucken – in dieser Kombination als Transpromo bezeichnet versionierter Druck: Druck mit zielgruppenspezifischen Inhalten, z. B. in verschiedenen Sprachen oder mit unterschiedlichen Preisauszeichnungen personalisierter Druck: Druckprodukt mit einem über die gesamte Auflage verwendeten Standard-Layout und eingefügtem personalisierten Text (Adresse, Anrede, Code, Losnummer etc.), z. B. in serienbriefartigen Werbepostsendungen (Direct Mailings), also gezielt auf den Empfänger abgestimmte Werbung (Direktmarketing). auf Verpackungen (personalisierte Werbung auf der Oberfläche von Versandkartons) und Etiketten (im Rahmen von Werbeaktionen, vor allem Vornamen) individualisierter Druck: komplett individuell zusammengestellte Bild-, Grafik- und Textinhalte, z. B. individuelle Reiseführer Automatisches Ausschießen Aus fortlaufenden Seiten bestehende PDF-Druckdokumente müssen für die Digitaldruckausgabe in numerischer Seitenreihenfolge angeliefert werden. Die in der Workflow- oder DFE-Software implementierte Lösung zur Dokument- und Datenstromaufbereitung passt in der Regel vollautomatisch die Anordnung und Reihenfolge der Seiten gemäß dem Druckformat und der Weiterverarbeitungsaufgabe an (Ausschießen). zusammengetragener Druck: Drucken der Endformatseiten eines Dokuments in numerischer Reihenfolge, auch im Duplexmodus, meist in Kombination mit einer Inline-Verarbeitung (Heften, Binden) Drucken in Strängen: Sonderform des zusammengetragenen Drucks auf digitalen Rollendruckmaschinen, wobei die bedruckte Bahn in Stränge längsgeschlitzt, die Stränge zu Blättern quergeschnitten und die Blätter zu Buchblöcken zusammengetragen und mit einer Vorderseiten-Hilfsleimung fixiert werden Drucken nach Ausschießschema: Drucken größerformatiger Exemplare, d. h. mit 4, 8 oder 16 Duplexseiten im Druckformat, unter Berücksichtigung einer späteren Weiterverarbeitung in einer Falz- und/oder Zusammentragmaschine Kombination mit anderen Druckverfahren oder Prozessen Digitale und konventionelle Druckprozesse zeitlich und räumlich getrennt Die organisatorischen und technischen Alleinstellungsmerkmale des Digitaldrucks ermöglichen wirtschaftlich interessante und zweckmäßige Anwendungsszenarien, z. B. als Prüfverfahren und als Ergänzung zu hochqualitativen Massendruckverfahren. Muster- und Modellproduktion, Mock-ups: Unikatdrucke, vor allem von Faltschachteln und Warendisplays, deren Anmutung in bedrucktem und fertig montiertem Zustand demonstriert wird, wobei das (in der Regel nicht digitale) Zieldruckverfahren simuliert wird Prüfdruck: Unikatdrucke, die das (in der Regel nicht digitale) Zieldruckverfahren simulieren in seiner erwarteten Farbwiedergabe (farbverbindlicher Prüfdruck, Digitalproof), gegebenenfalls in Kombination mit dem Rastermodell des Zieldruckverfahrens in Form des ausgeschossenen Druckbogens mit Vorder- und/oder Rückseitenbedruckung Hybridproduktion: digitale Realisierung von Druckjobs im unteren Auflagenbereich (typisch: 1 bis 500 Exemplare), wenn die übliche wirtschaftliche Auflagenhöhe des ursprünglichen Massendruckverfahrens nicht verlangt wird; maßgeblich ist die maximal erzielbare Wiedergabequalität des zu simulierenden Massendruckverfahrens (z. B. Offsetdruck) Komplementärproduktion: digital gedruckte Ergänzung und Vervollkommnung, z. B. komplett personalisiert gedruckte Umschläge für konventionell gedruckte Zeitschrifteninhalte, z. B. „Dieses Exemplar gehört unserem treuen Leser [Vorname Name]“ bei Jubiläumsausgaben digitales Eindrucken von Seitenelementen in freigehaltene Flächen in konventionell vorgedruckten Exemplaren, z. B. personalisierte Informationen unter dem Briefkopf oder in Werbedrucksachen Offline-Weiterverarbeitung: zeitlich gepufferte und räumlich getrennte Weiterverarbeitung der digitalen Druckexemplare auf den bereits vorhandenen Anlagen für die konventionelle Druckproduktion (Zwischenlagerung und Transport auf Paletten zur ersten Weiterverarbeitungsstation) auf speziellem Veredelungsequipment für typische Digitaldruckprodukte, z. B. zum Laminieren mit Klarsichtfolie oder zum Kaschieren auf rahmenlose Bildunterlagen für den digitalen Schilderdruck (Digital Signage Printing), z. B. das Eloxal-Versiegeln der aufgedruckten Tinten unter einer glasklaren schützenden Eloxalschicht, die fest im Aluminiumschild eingebettet wird, wodurch die Drucke widerstandsfähiger gegen mechanische, thermische und chemische Einflüsse sind Nearline-Weiterverarbeitung: modular organisierte Offline-Weiterverarbeitung im unmittelbaren Umfeld der Digitaldruckmaschinen Prozessintegrierter Digitaldruck Der prozessintegrierte Digitaldruck reicht vom Kennzeichnen über das Eindrucken bis hin zur vollautomatischen Inline-Herstellung kompletter Druckprodukte. Simple Kennzeichnungs- und Kodierungsaufgaben werden mit niedrigauflösenden Matrixdruckköpfen im Nadeldruck- oder Tintenstrahldruckverfahren oder alternativ mittels Laserablation realisiert. Anspruchsvolle Eindrucke mit Bild- und Textinhalten müssen mit hochauflösenden Verfahren wie Tintenstrahldruck oder der Elektrofotografie durchgeführt werden. digitales Eindrucken von Seitenelementen in freigehaltene Flächen während des Druckens in der konventionellen Druckmaschine, z. B. Artikel oder Anzeigen mit regionalem oder zielgruppenbezogenem Inhalt in Zeitungen digitale Kennzeichnung: Chargennummer und Mindesthaltbarkeitsdatum auf Verpackungen, Verschlüssen und Etiketten laufende Nummern auf Tickets, Losnummern (oft digital überdruckt mit Rubbellack) auf Gewinnscheinen und in Werbedrucksachen Codes auf Druckbogen zwecks Rückverfolgbarkeit oder Organisation der Endfertigung Inline-Weiterverarbeitung: nahtlose Weiterverarbeitung der digitalen Druckexemplare, z. B. zu Broschüren oder zu gefalzten und kuvertierten Mailings, auf speziell für Digitaldruckproduktion konzipierten Anlagen Abgrenzung des Digitaldrucks zu anderen Verfahren oder Szenarien „Computer-to-…“ Nicht zum Digitaldruck gezählt werden gemäß der oben gegebenen Definition alle Technologien, bei denen Druckformen in der Druckmaschine bebildert werden. Anstatt von „Computer-to-Print“ spricht man in diesen Fällen von „Computer-to-Press“ oder „integriertem Computer-to-Plate“. Demzufolge lässt sich auch die Risografie zumindest technisch nicht in den Digitaldruck einordnen, denn hierbei wird eine siebartige Papier- oder Folienschablone, also eine statische Durchdruckform digital gesteuert erzeugt. Aufgrund ihres geringen Materialwerts rechtfertigt die Schablone jedoch durchaus digitaldrucktypische Auflagenhöhen ab 10 Exemplare. Kopierer und Multifunktionssysteme Der Übergang zwischen einem leistungsfähigen Fotokopierer und einem Digitaldrucksystem ist fließend. Kopierer weisen oft noch Möglichkeiten zum Speichern und Versenden (Fax, E-Mail) der Druckvorlage auf und werden demnach auch als Multifunktionsgeräte bezeichnet. Hauptsächlich die höhere Druckgeschwindigkeit und die Beschränkung auf die Scan- und Druckfunktion zeichnen Digitaldrucksysteme gegenüber Kopierern aus. Je nach Anwendung verfügen Digitaldrucksysteme auch über eine höhere Auflösung. Bei Farbdrucksystemen kommt noch die Stabilisierung der wunschgemäßen Farbwiedergabequalität hinzu, weshalb Digitaldrucksysteme über ein Farbmanagementsystem verfügen. Ungeachtet dessen betreiben viele Copyshops als Angebotsergänzung den Digitaldruck auf ein und demselben Multifunktionsgerät, das in der Regel im vierfarbigen Laserdruckverfahren arbeitet. 3D-Druck Der Begriff 3D-Druck an sich ist irreführend, handelt es sich doch nicht um das Beschichten von Oberflächen mit Farbe, was das Drucken schlechthin ausmacht, sondern – präziser ausgedrückt – um eine additive Fertigung, also den schichtweisen Aufbau dreidimensionaler Objekte. Daran ändert die Tatsache, dass sich einige additive Fertigungsverfahren der digitalen Drucktechnologie des Tintenstrahldrucks bedienen, z. B. Binder Jetting (3DP) und Multi Jet Modeling (MJM), nichts. Gleichwohl ist das additive Aufbringen leitfähiger Struktur mit dem Fused Deposition Modeling (FDM) bzw. Fused Filament Fabrication (FFF) nur eine Brückentechnologie. Sinnvoller erscheint der robotergestützte funktionale Digitaldruck leitfähiger Tinten auf beliebigen Oberflächenformen. Wachstumsprognose für den Digitaldruck In anfänglicher visionärer Euphorie überschätzt, kristallisieren sich nunmehr nachvollziehbare Wachstumsprognosen für die Marktanteile des Digitaldrucks heraus. Der von der Druckfachmesse drupa 2016 veröffentlichte „Global Trends Report“ hat in einer Unternehmensbefragung festgestellt, dass „digitale Technologien am schnellsten zulegen (durchschnittlich um 28% jährlich)“. (…) „Funktionsdruck ist eine Wachstumsbranche für den Siebdruck (+11%), wobei auch hier digitale Technologien sehr wichtig sind.“ (…) „Obwohl der größte Teil des Umsatzes noch immer von konventionellen Druckverfahren generiert wird, legt der Digitaldruck mengen- und wertmäßig stetig zu. Eine Ausnahme ist der Verpackungsdruck, wo nur 13% der Befragten berichteten, dass dieser über 2% des Umsatzes ausmache (im Vergleich zu 35% für Akzidenz, 24% für Verlagswesen und 59% für Funktionsdruck). Digitaldruck kann seine Vorteile vor allem dann ausspielen, wenn es darum geht, variable Inhalte zu drucken: 59% der Funktionsdruckbetriebe und 35% der Akzidenzdrucker berichten, dass über 25% ihrer Digitalumsätze auf variable Inhalte entfallen.“ Verlegerische Alternativen Der Digitaldruck ermöglicht die preiswerte Herstellung von Klein- und Kleinstauflagen aller Art. Damit eröffnen sich auch Alternativen zum klassischen Verlagsgeschäft, das, wörtlich genommen, das Auslegen einer Geldsumme im Auftrag eines Autors für die Herstellung von Büchern bedeutet. Indem ein Buch in seiner Auflagenhöhe nicht auf Verdacht produziert wird, sondern vom Buchhandel oder über Internetplattformen exemplargenau bestellt und also jederzeit bedarfsgerecht nachbestellt und nachproduziert werden kann, steht den etwas höheren Exemplarkosten die Minimierung des verlegerischen Risikos der Kapitalbindung gegenüber, auf einer größeren gedruckten Auflage sitzen zu bleiben und dafür auch noch Gebühren für Lagerhaltung und Auslieferung bezahlen zu müssen. Nicht zuletzt besteht auch die Möglichkeit, bei Nachbestellungen um Druckfehler bereinigte oder anderweitig überarbeitete Versionen zu drucken oder erforderlichenfalls ein Korrigenda einzuarbeiten. Unter diesen Voraussetzungen ist es üblich geworden, dass Bücher von (noch) unbekannten Autoren in zunächst geringer Stückzahl hergestellt werden. Dies geschieht teilweise auch auf eigenes Risiko im Selbstverlag oder über kleine spezialisierte Verlage – zu marktfähigen Preisen und in handelsüblicher Qualität. So kann z. B. ein 200-seitiges Taschenbuch (mit 4-farbigem Softcover-Einband) bereits als Einzelexemplar für ca. 20 Euro hergestellt werden; bei einer Auflage von 20 Exemplaren kann der Stückpreis unter 2,50 Euro sinken, andererseits aber selbst bei einer Auflage von über hundert auch die 2-Euro-Grenze i. d. R. kaum noch unterschreiten (Stand April 2017). Den Buch- und Zeitschriftenmarkt analysierende Marktstudien von Interquest im Spiegel der Fachpresse können in einer umfangreichen Artikelsammlung eingesehen werden. Richtlinien, Standards und Qualitätszertifikate Richtlinien Systemprüfung Digitaldruck Im Dezember 2018 veröffentlichten der Bundesverband Druck und Medien und das Fogra Forschungsinstitut für Medientechnologien die gemeinsam erarbeitete Richtlinie „Technische Prüfung von Bogendrucksystemen mit elektrofotografischer Druckbildübertragung“. Dieses Regelwerk ermöglicht eine objektive Bewertung der Leistungsfähigkeit von Tonerdrucksystemen anhand standardisierter Qualitätskriterien und Prüfverfahren. Sowohl die Anbieter als auch die Anwender können damit wichtige Qualitätseigenschaften der Drucksysteme ermitteln, vereinbaren und überprüfen, was vor allem bei Investitionsentscheidungen und Vertragsabschlüssen eine Rolle spielt. Im Fokus der 15 Prüfkriterien stehen Bild- und Farbwiedergabe sowie Passer- bzw. Registerprüfungen und gelten für elektrofotografische Bogendrucksysteme bis Format SRA3 (320 mm × 450 mm). Da sich die angebotenen Digitaldrucksysteme im Hinblick auf Preis und Leistungsfähigkeit stark unterscheiden, enthält die Richtlinie zu jedem Prüfkriterium anstelle konkreter Grenzwerte eine Werteskala, die das Qualitätsspektrum marktüblicher Drucksysteme zeigt. Zur besseren Orientierung sind dort außerdem die für den Offsetdruck typischen Qualitätswerte markiert. Auf diese Weise können die Vertragspartner die Systemeigenschaften mit den jeweiligen Anforderungen abgleichen. Die Richtlinie wird durch die benötigten Testdruckdateien im Bogenformat SRA3 ergänzt. Da sich die damit erzeugten Drucke teilweise nur mit speziellen Messsystemen bzw. Softwarelösungen zuverlässig auswerten lassen, ist für die Systemprüfung eventuell externe Unterstützung erforderlich. Arbeitsblätter der Berufsgenossenschaft ETEM Im Digitaldruck stehen Vorsichtsmaßnahmen und Handlungshilfen zu Arbeitssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz im Mittelpunkt der Berufsgenossenschaft Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse (BG ETEM): „Gefährdungsbeurteilung – Praxishilfe für den Digitaldruck (04/18)“ mit Checklisten Brancheninformation „Tonerbasierte Digitaldrucksysteme“ (Freisetzung von Ozon, VOCs, Chemikalien und Staub; Absaugung und Schutzkleidung) „Tonerstäube“: Handlungshilfen und Fachveröffentlichungen „InkJet-Digitaldruck“: Sicherheitstechnik, Arbeitsstoffe und Gesundheitsschutz (Freisetzung von Ozon und VOCs, Hazard-Bewertung von Lösemitteln; Arbeitsplatzgestaltung, Absaugung und Schutzkleidung) Broschüre „Sicheres Arbeiten im Inkjet-Digitaldruck“: Die Broschüre informiert über Gefährdungen und Schutzmaßnahmen beim Umgang mit großformatigen Digitaldruckmaschinen (wesentliche Aspekte der Sicherheitstechnik, z. B. im Hinblick auf bewegte Maschinenteile, chemische Gefährdungen durch Farben, Tinten und Lösemittel, sowie der Arbeitsplatzgestaltung, z. B. beim Schneiden, Lagern und Transportieren, und organisatorische Aspekte). Standards Weil der Digitaldruck eine heterogene Verfahrensgruppe repräsentiert, existieren nur wenige verfahrensübergreifende Standards. Meistens spiegeln sich normungswürdige Kriterien in verschiedenen Standards wider, die weitgehend der Systematik der Prozesskomponenten folgt. Die englischen Originaltitel der Standards und ihre deutsche Übersetzung des Beuth Verlags können abweichende Begrifflichkeiten aufweisen. Mit TS gekennzeichnete ISO-Dokumente haben lediglich den informativen Status einer Technischen Spezifikation. Verfahrensübergreifend ISO 12647: Graphic technology – Process control for the production of half-tone colour separations, proofs and production prints (Prozesskontrolle für die Herstellung von autotypischen Farbauszügen, Prüfdrucken und Auflagendrucken) – Teil 7: Proofing processes working directly from digital data; Teil 8: Validation print processes working directly from digital data ISO 15311: Graphic technology – Requirements for printed matter for commercial and industrial production (Anforderungen an Digitaldruckerzeugnisse für die kommerzielle und industrielle Produktion) – Teil 1/TS: Measurement methods and reporting schema (Parameter und Messmethoden); Teil 2/TS: Commercial printing (Drucken zur kommerziellen Produktion); Teil 3/FograSpec: Großformatiger Digitaldruck ISO/IEC 24712, ISO/IEC 19798 und ISO/IEC 2471: Testbilder für Farbdrucker Medienstandard Druck 2018: Systematik typischer Anwendungsfälle für digitale Druckverfahren und die dazugehörigen Arbeitsfarbräume, ISO-Papierkategorien, technischen Kriterien und Austauschdatenformate Medien und Druckfarben ISO 2836 (DIN ISO 2836): Graphic technology – Prints and printing inks – Assessment of resistance of prints to various agents (Bestimmung der Beständigkeit gegenüber verschiedenen Agenzien): chemische Beständigkeiten von Drucken und Druckfarben inkl. Toner und Tinten ISO 21139-21/TS (Entwurf): Permanence and durability performance in commercial applications – Part 21: Display window – Light and ozone stability: Licht- und Ozonbeständigkeit von Digitaldrucken und Fotoabzügen in Schaufenstern und hinterleuchteten Plakatwänden ISO 18055-1: Photography and imaging – Inkjet media: Classification, nomenclature and dimensions – Part 1: Photo-grade media (paper and film) DIN 53131: Prüfung von Papier – Inkjet-Medien Teil 1: Cockle-Test, Teil 2: Trocknungszeit, Inkjet-Testform; Teil 3: Druckbildqualität – optische Auflösung, optische Dichte, Farbwerte, Druckbildstörungen VDP, Customizing Für den Druck variabler Daten (VDP) anwendbare Seitenbeschreibungssprachen (Auswahl) und ihre Adaption in ISO-Standards und Richtlinien: APS, IPDS: IBM Advanced Function Presentation mit variabler Aufbereitung des Datenstroms Intelligent Printer Data Stream wird herstellerübergreifend unterstützt FreeForm: ohne spezifische Software für die VDP-Dokumentgestaltung anwendbar, wird in allen EFI-Fiery-RIPs unterstützt PCL: Hewlett-Packard Printer Command Language, wird herstellerübergreifend unterstützt PDF: Adobe PDF kann in nahezu allen VDP-Workflows zu softwarespezifischem Optimized PDF konvertiert werden PDF/VT: Druck personalisierter Transaktionsdokumente, oft mit Werbung kombiniert (variable transactional and transpromotional work) auf Basis von PDF-Dokumentseiten; wird als eines der Zielformate von Optimized-PDF-Algorithmen herstellerübergreifend unterstützt ISO 16612: Graphic technology – Variable printing data exchange (Variabler Druckdatenaustausch); Teil 2: Using PDF/X-4 and PDF/X-5 (PDF/VT-1 and PDF/VT-2); Teil 3 (Entwurf): Using PDF/X-6 (PDF/VT-3) PDF/VT Application notes (Anwendungshinweise) PostScript: Adobe-PostScript-Dateien unterschiedlicher Levels (1, 2, 3) werden in VDP-Workflows verschiedener Lösungsanbieter zu einem softwarespezifischen Optimized PostScript umgewandelt, das nicht mit anderen Lösungen kompatibel ist und deshalb bei Bedarf zu PDF/VT konvertiert wird VIPP: das durch die Xerox Variable-data Intelligent PostScript Printware optimierte PostScript wird auch auf Xerox-fremden Systemen unterstützt PPML: Personalized Print Markup Language; PPML und das dazugehörige Template-Format PPMLT werden herstellerübergreifend unterstützt Printing On Demand initiative (PODi) – The Digital Printing Initiative: PPML-Spezifikation und -Werkzeuge PPML/VDX: The Committee for Graphic Arts Technologies Standards (CGATS) gibt eine eigene, erweiterte PPML-Spezifikation heraus: Personalized Print Markup Language/Variable Data Exchange (PPML/VDX) ISO 16612-1: Variable printing data exchange – Part 1: Using PPML 2.1 and PDF 1.4 (PPML/VDX-2005) JLYT, SNAP: J-Layout und seltener Swift Native Accelerated Personalization sind native Dokumentformate, die im HP SmartStream Designer für die HP-Maschinenreihe indigo Press erzeugt werden und Elemente von PPML verwenden PDF/VCR: ISO 16613-1: Graphic technology – Variable content replacement – Part 1: Using PDF/X for variable content replacement (PDF/VCR-1); wird herstellerübergreifend unterstützt XMP: die Microsoft XML Paper Specification wurde als Alternative zu Adobe PDF entwickelt; Dokumente in XMP und dem nicht kompatiblen Open XMP von ECMA International werden in Windows 10 unterstützt, spielen aber bestenfalls im Netzwerkdruck von Unternehmen eine Rolle Ferner können Grafikdateiformate wie DCS, EPS, GIF, JPEG und TIFF (anstelle von PostScript oder PDF/X) direkt und mit variablem Text kombiniert gedruckt werden. Energieverbrauch entsprechend dem Nutzungsregime ISO 20690: Graphic technology – Determination of the operating power consumption of digital printing devices (Bestimmung des Energieverbrauchs von Digitaldruckgeräten im Betriebszustand); vorzugsweise anzuwenden auf den permanenten digitalen Produktionsdruck mit Bogen- und Rollendrucksystemen, jedoch nicht für den Großformatdruck (LFP/WFP) ISO 21632: Graphic technology – Guidelines to determine the energy consumption of digital printing devices including transitional and related modes (Leitfaden für die Kalkulation des Energieverbrauchs von Digitaldruckmaschinen für den Kleinauflagendruck im Übergangsmodus und den dazugehörigen Modi); vorzugsweise anzuwenden auf sporadisch genutzte Drucksysteme mit höherem Stand-by-Anteil Qualitätszertifikate Qualitätszertifikate für den Digitaldruck dokumentieren eine standardisierte Datenaufbereitung und die im jeweiligen Digitaldruckverfahren erreichbare Druck- und Farbwiedergabequalität. Sie sind das abschließende Ergebnis von beauftragten Beratungsleistungen, in deren Rahmen der Ist-Zustand erfasst, analysiert und optimiert wird, bis die Digitaldruckerei schließlich selbständig in der Lage ist, die geforderte Qualität zu erzielen. Die Bewertungen erfolgen verfahrensübergreifend und für verschiedene Produktionsszenarien des Digitaldrucks, wobei auch die sehr hohe Qualität des Offsetdrucks zum Maßstab genommen werden kann, nämlich wenn eine Hybrid- und Komplementärproduktion umgesetzt werden soll. Die Optimierung berücksichtigt mehrere relevante ISO-Standards über die eigentlichen Digitaldrucknormen hinaus, d. h. Standards zur Datenaufbereitung und Messtechnik. QualitätsSiegel Digitaldruck (QSD): Das geprüfte Unternehmen muss nachweisen, dass es über eine hohe Beratungs- und Medienkompetenz verfügt, professionell und standardisiert arbeiten kann, eine verlässliche Druckqualität auf höchstem Niveau (über die gesamte Auflage und homogen im Druckformat) liefert, eine einheitliche Farbwiedergabe bei unterschiedlichen Produkten und Druckverfahren garantieren kann und sicher im Umgang mit variablen Daten agiert. ProzessStandard Digitaldruck (PSD): baut im Wesentlichen auf ISO 15311 auf und prüft auch die Umsetzung damit verknüpfter ISO-Normen Aus- und Weiterbildung Aufgrund der Verfahrens- und Anwendungsvielfalt des Digitaldrucks gibt es kein einheitliches Berufsbild „Digitaldrucker“. Da sich generell die Berufsinhalte des Druckers und anderer Tätigkeiten in der Druckindustrie gewandelt haben, nicht zuletzt, um der Verknüpfung mit den digitalen Medien sowie der digitalen Transformation allgemein Rechnung zu tragen, fand der Digitaldruck in den letzten Jahren besondere Berücksichtigung bei der Überarbeitung der offiziellen Bildungsangebote. In der Praxis ist aber auch eine betriebsinterne Zusatzqualifizierung nicht unüblich. Wird eine Digitaldruckmaschine angeschafft, werden die in Frage kommenden Beschäftigten (oftmals Offsetdrucker, aber auch Mitarbeiter aus wegrationalisierten Abteilungen oder gänzlich ungelernte Arbeitskräfte) einfach angelernt und eingearbeitet, wofür die Maschinenlieferanten Instruktoren entsenden und Lernkurse vor Ort anbieten. Die Besonderheiten eines Digitaldruck-Workflows werden den Anwendern auch durch spezialisierte Technikberater in Schulungen nähergebracht. Dies sind in Deutschland und Österreich einige Berater in den Druck- und Medienverbänden und der Fogra sowie in der Schweiz die Berater in der PDFX-ready-Initiative. Darüber hinaus sind freiberufliche Berater unterwegs. Deutschland Die offiziellen Wege zum Digitaldrucker sind in der BVDM-Broschüre Qualifizierung nach Maß im Digitaldruck zusammengefasst. Bei drei Berufsausbildungsangeboten mit Abschlussprüfung durch den Zentralen Fachausschuss Medien kann eine Digitaldruck-Spezialisierung erfolgen, nämlich in den Ausbildungsberufen „Medientechnologe Druck“, „Medientechnologe Siebdruck“, „Mediengestalter Digital und Print“. Hierzu stehen die Qualifikationsprofile „Digitaldruck“ (Schwerpunkt Personalisierung/Individualisierung) bzw. „Großformatiger Digitaldruck“ (Schwerpunkte typisch für Siebdruckbetriebe) zur Verfügung. Die Auszubildenden stellen sich ihre Profile aus obligatorischen und fakultativen (den betrieblich konkreten Anforderungen folgend) Modulen sinnvoll zusammen: Datenbankanwendung, virtuelle Druckform, digitale Bildbearbeitung, Datenvorbereitung, Datenausgabeprozesse, Digitaldruckprozess, Mailing-Produktion, Produktbe-/-verarbeitung, Hard- und Software. Mittlerweile gibt es auch Weiterbildungsangebote mit Prüfung, nämlich das dreiteilige Seminar „Geprüfter Digitaldruck Professional nach VDM“ für Beschäftigte in Druck- und Mediendienstleistungsbetrieben; der Digitaldruck Professional ist eine gemeinsame Initiative der Landesverbände Druck und Medien Baden-Württemberg, NordWest und Bayern den Expertenkurs Digitaldruck zum „Geprüften Medienproduktioner/f:mp.“ für Beschäftigte in Werbe- und Produktionsagenturen Schweiz Die paritätische Berufsbildungsstelle (PBS) – getragen u. a. von der viscom – swiss print & communication association und auch unterstützt vom Verband der Schweizer Druckindustrie (VSD) – betreut und prüft verschiedene Medien-Berufsbilder. Als Abschluss wird das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) ausgestellt. Die Ausbildungsberufe mit Digitaldruck-Spezialisierung sind vergleichbar denen in Deutschland strukturiert und heißen hier „Medientechnologe Print“ „Medientechnologe Siebdruck“ „Medientechnologe Printmediatechnik“ Bei der Weiterbildung gibt es neben der Möglichkeit, den aus Deutschland angebotenen Expertenkurs Digitaldruck „Geprüfter Medienproduktioner/f:mp“ zu belegen, teilweise privat organisierte und nicht regelmäßig durchgeführte Seminare: Weiterbildung Medientechnologe in der Fachrichtung Digitaldruck, durchgeführt durch die Beratungsgesellschaft Digital Print Innovations AG Lehrgang „Variabler Data Operator“ der VSD-Fachgruppe Vereinigung Druck Schweiz (VDS) Österreich In Österreich gibt es nur einen Ausbildungsberuf mit Spezialisierung im Digitaldruck, und zwar den des Druckers mit Lehrabschlussprüfung (LAP): „Lehrberuf DrucktechnikerIn – Schwerpunkt Digitaldruck“. Das Berufsförderungsinstitut (BFI) und das Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) bieten zur Weiterbildung verschiedene Kurse und Kollegs an, die allerdings auf den bereits vermittelten Ausbildungsspezialisierungen aufbauen. Messen und Veranstaltungen Der Digitaldruck nimmt seit vielen Jahren einen wachsenden Platz auf den Fachmessen der Druckindustrie ein und präsentiert sich dort mit Live-Demonstrationen. Ausgewählte Beispiele: drupa: alle vier Jahre in Düsseldorf stattfindende Weltleitmesse für die Druck- und Medienindustrie Print (Schreibung PRINT): jährlich in Chicago, USA, von der Association for Print Technologies (APTech) durchgeführte Fachmesse für die Druck- und Medienindustrie mit internationalen Ausstellern und Fokus auf den amerikanischen Markt International Graphic Arts Show (IGAS): mit meist vierjährigem Abstand in Tokio veranstaltete Fachmesse für die Druck- und Medienindustrie mit internationalen Ausstellern und Fokus auf den japanischen und südostasiatischen Markt FESPA: jährlich stattfindende Welt- und Kontinentalmessen der Siebdruckbranche mit hohem Anteil im digitalen Großformat- und Textildruck Labelexpo Europe: jährlich in Brüssel durchgeführte Fachmesse für Etikettendruck- und Kennzeichnungslösungen Viscom: jährlich in Düsseldorf parallel zur PSI (Leitmesse der Werbeartikelwirtschaft) veranstaltete europäische Fachmesse für visuelle Kommunikation, darunter digitaler Schilder-, Plakat- und Bannerdruck InPrint: von Mack Brooks Exhibitions Ltd, St Albans (UK), reihum in Deutschland, Italien und den USA veranstalte Fachmesse für industrielle Druckanwendungen, darunter auch Digitaldrucklösungen Mittlerweile haben sich auch exklusive Digitaldruck-Events etabliert: hunkeler innovationdays: in allen ungeraden Jahren in Luzern veranstaltete Hausmesse des schweizerischen Maschinen- und Moduleherstellers Hunkeler AG, der sich überdies als Integrator für vernetzte Digitaldrucklösungen zahlreicher Hersteller von Druck- und Weiterverarbeitungsmaschinen versteht; internationale Beteiligung und Resonanz sowie innovative Konzepte verleihen der Veranstaltung mittlerweile den Charakter einer Leitmesse für Digitaldrucklösungen Digitaldruck-Kongress (ddk): seit 2015 in Düsseldorf stattfindende lösungs- und strategieorientierte Veranstaltung des Bundesverbands Druck und Medien mit Best-Practice-Beispielen innovativer Digitaldruck-Anwender und -Auftraggeber FESPA digital: gelegentlich veranstaltetes Digitaldruck-Spin-off der FESPA Mailingtage: jährlich veranstalteter, nach längerer Unterbrechung seit 2018 wiederaufgenommener Kongress mit Expo über Crossmedia und Dialogmarketing Darüber hinaus haben einige Organisationen internationale Diskussionsplattformen und Informationsangebote für den Digitaldruck geschaffen: Digital Printing Working Group (dpwg): von der Fogra betreuter Arbeitskreis Digitaldruck Information Management Institute (IMI): weltweit durchgeführte Entwicklerkonferenzen und Seminare zum Inkjet-Druck Einzelnachweise Druckverfahren
1103
https://de.wikipedia.org/wiki/DVCAM
DVCAM
DVCAM ist ein digitales Videoformat, das 1996 eingeführt wurde. Es handelt sich um die von Sony hergestellte professionelle Variante von Consumer DV (Digital Video). Die einzigen veränderten Merkmale sind eine von 10 µm auf 15 µm vergrößerte Spurbreite und eine schnellere Bandgeschwindigkeit (2,8 cm/s gegenüber Consumer DV mit 1,9 cm/s), woraus eine verkürzte Kassettenlaufzeit resultiert, aber auch eine geringere Fehlerquote auf den Bändern: Die gleichen Informationen werden auf „mehr“ Band geschrieben. Als Bandmaterial wird wie bei DV bedampftes Metallband verwendet. Es existieren Standard- und Kompakt-Kassetten wie auch bei Consumer DV, mit Laufzeiten von bis zu 184 bzw. 40 Minuten. Ein erwähnenswerter Unterschied zu DV ist noch die 4-fache Abspielgeschwindigkeit. Beispielsweise kann man über die SDTI-Schnittstelle Bandmaterial in 4-facher Geschwindigkeit über ein Schnittprogramm auf eine Festplatte kopieren. DVCAM-Player und Rekorder sind DV- (bzw. mini-DV-) kompatibel. Des Weiteren arbeitet DVCAM im Locked Audio-format (die Audio- und Video-Informationen sind gekoppelt). Im Gegensatz dazu ist bei Consumer DV eine maximale Abweichung zwischen Bild und Ton von ±⅓ Vollbild (frame) erlaubt. Einzelnachweise Videobandformat Digitales Magnetband Sony DVCAM en:DV#DVCAM
1105
https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A4nische%20Sprache
Dänische Sprache
Die dänische Sprache (dänisch det danske sprog), kurz Dänisch (dansk), gehört zu den germanischen Sprachen und dort zur Gruppe der skandinavischen (nordgermanischen) Sprachen. Zusammen mit Schwedisch bildet es den ostskandinavischen Zweig. Dänisch ist die alleinige Landessprache von Dänemark und als Reichsdänisch (rigsdansk) standardisiert. Verbreitung In Dänemark wird das Dänische von ca. 5 Millionen Muttersprachlern gesprochen. Weitere Muttersprachler verteilen sich vor allem auf Grönland und die Färöer (beide politisch zu Dänemark gehörend), Südschleswig (Deutschland), Island, Norwegen und Schweden, daneben auf Argentinien, Kanada und die USA, z. B. im kalifornischen Solvang. In den früheren dänischen Kolonien in West- und Ostindien sowie an der Goldküste hatte Dänisch nie mehr als einen marginalen Status; erhalten haben sich dort bis heute gewisse Orts- und Festungsnamen in dänischer Sprache. Status Dänisch ist de facto die Amtssprache in Dänemark, ohne dass dies rechtlich irgendwo festgehalten wäre. Es ist zweite Amtssprache in Grönland (neben Grönländisch) und auf den Färöern (neben Färöisch). Auf Island wird es als Pflichtfach unterrichtet, hat aber 1990 den Status als erste Fremdsprache an das Englische verloren. In Südschleswig hat es den Status einer Regional- und Minderheitensprache. Seit 1973, als Dänemark der EU beitrat, ist Dänisch offizielle EU-Sprache. Im Norden Deutschlands unmittelbar an der deutsch-dänischen Grenze liegt Südschleswig. Die Region nördlich der Linie Eckernförde-Husum wurde nach der Völkerwanderung (und dem Wegzug eines Großteils der dort zuvor siedelnden Angeln) dänisch besiedelt. Bis zum Sprachwechsel im 19. Jh. waren dort noch dänische Varietäten wie das Angeldänische verbreitet. Politisch gehörte die Region zunächst unmittelbar, mit der Etablierung des Herzogtums Schleswig dann als Lehen zu Dänemark, nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 kam Südschleswig schließlich zu Preußen/Deutschland. Heute leben etwa 50.000 dänische Südschleswiger als anerkannte nationale Minderheit in der Region. Von ihnen sprechen etwa 8.000–10.000 Dänisch im Alltag bzw. 20.000 Dänisch als Muttersprache. Viele dänische Südschleswiger sprechen heute ein norddeutsch eingefärbtes Standarddänisch (Rigsdansk), das als Südschleswigdänisch (Sydslesvigdansk) bezeichnet wird. In Grenznähe wird zum Teil auch noch der Dialekt Sønderjysk (Südjütländisch) gesprochen. Im Raum Flensburg entwickelte sich mit dem Petuh auch eine deutsch-dänische Mischsprache. Das in der Region gesprochene schleswigsche Niederdeutsch hat bis heute dänische Substrateinwirkungen. Auch die an der Nordseeküste Südschleswigs verbreiteten nordfriesischen Dialekte sind zum Teil durch das Dänische beeinflusst. Analog zur dänischen Volksgruppe in Südschleswig leben nördlich der Grenze etwa 12.000–20.000 deutsche Nordschleswiger, die entsprechend als nationale Minderheit in Dänemark anerkannt sind. Von ihnen sprechen etwa zwei Drittel Dänisch als Alltagssprache, Deutsch ist jedoch weiter Kultursprache. Analog zum Südschleswigschdänischen hat sich in der deutschen Minderheit eine von der dänischen Umgebungssprache beeinflusste deutsche Varietät entwickelt, die als Nordschleswigdeutsch bezeichnet wird. Dänisch ist in Schleswig-Holstein durch dessen Landesverfassung besonders geschützt. Dänischunterricht gibt es sowohl an dänischen als auch vereinzelt an öffentlichen deutschen Schulen, vor allem im Landesteil Schleswig. Seit 2008 gibt es in Flensburg und seit 2016 in Glücksburg zweisprachige Ortsschilder (dänisch Flensborg und Lyksborg). Obwohl es vom Wortschatz her stark vom Niederdeutschen beeinflusst ist, ist die Sprachgrenze zu den deutschen Dialekten in linguistischer Hinsicht keine fließende, sondern eine harte (vgl. hingegen die Sprachgrenze zwischen dem Deutschen und dem Niederländischen). Sie verlief historisch auf einer Linie Eider – Treene – Eckernförde. Seit dem Hochmittelalter (ca. 1050 bis 1250) setzte sich jedoch auch nördlich der Eider die deutsche Sprache immer stärker durch. Das in Skåne verbreitete Schonische entwickelte sich aus einem dänischen Dialekt heraus und kann heute aus linguistischer Sicht sowohl als südschwedischer wie auch als ostdänischer Dialekt eingestuft werden. Das auf der Insel Gotland noch verbreitete Gotländische (Gutamål) weist (bedingt durch die lange Zugehörigkeit der Insel zu Dänemark) ebenfalls noch dänische Einflüsse auf: So lassen sich neben archaischen nordischen Formen auch gewisse Lehnwörter aus der dänischen Zeit nachweisen wie beispielsweise någle (dän. nogle versus schwed. några, dt. einige), saktens (dän. sagtens, schwed. nog visst, dt. leicht) oder um en trent (dän. omtrent, schwed. ungefär, dt. ungefähr, etwa). Skandinavische Sprachgemeinschaft Zum Teil stehen die heutigen skandinavischen Schriftsprachen einander näher als die am stärksten abweichenden Dialekte des jeweiligen Landes; andererseits gibt es auch spezifische dänische, schwedische bzw. norwegische Sprachcharakteristika. Die Dialektgrenzen zwischen den Sprachen stellen weiche Übergänge dar, man spricht von einem Dialektkontinuum Dänisch-Norwegisch-Schwedisch. Aus politischer und kultureller Tradition wurde jedoch an drei eigenständigen Sprachen festgehalten. Entscheidend dafür ist, dass in Dänemark und Schweden spätestens im 16. Jahrhundert eigene normierte Schriftsprachen entwickelt wurden. In Norwegen geschah dies erst mit der Selbständigkeit im 19. Jahrhundert und führte zu zwei Schriftsprachen, weil die gebildete Schicht bis dahin Dänisch als Hochsprache beibehielt. Dänisch, Norwegisch und Schwedisch Die Bokmål-Variante des Norwegischen ist linguistisch gesehen ein dänischer Dialekt mit norwegischen Einflüssen. Kulturhistorisch wird es aber als eine der zwei offiziellen norwegischen Schriftsprachen angesehen und auch von seinen Anwendern deutlich als norwegisch empfunden. Die Anhänger des Nynorsk, das auf den Dialekten basiert, haben dagegen oft gegen diese „dänische“ Sprache der Stadtbevölkerung und Oberschicht polemisiert. Vom Linguisten Max Weinreich wird der Ausspruch „Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine“ überliefert, der auch auf Skandinavien zutrifft. Linguistisch gesehen könnten Dänisch, Schwedisch und Norwegisch als Dialekte derselben Sprache angesehen werden, da die Sprachen noch immer gegenseitig verständlich sind. Freilich gibt es keine offizielle Dachsprache, die den Platz des Standardskandinavischen einnehmen könnte. Man bedient sich zur interskandinavischen Kommunikation immer einer der drei Einzelsprachen. So spricht jeder „Skandinavisch“ auf seine Art. Dänisch, Schwedisch und Norwegisch bilden die Gruppe der festlandskandinavischen Sprachen. Norwegisch ist im Gegensatz zu Dänisch und Schwedisch eine westnordische Sprache. Alle drei entwickelten sich aus der gemeinsamen urnordischen Sprache; bedeutend war zudem, dass die skandinavischen Länder durch die Jahrhunderte immer in enger politischer, kultureller und wirtschaftlicher Verbindung standen und auch in großem Umfang die gleichen Lehnwörter insbesondere aus dem Niederdeutschen und später Hochdeutschen übernahmen. Dabei stand das „kontinentale“ Skandinavien im Gegensatz zum Inselskandinavischen auf den Färöern und Island, das ein altertümliches (altnordisches) Gepräge behalten hat. Die Übereinstimmungen im Wortschatz liegen im Falle von Dänisch und Norwegisch (Bokmål) bei schätzungsweise über 95 %, bei Dänisch und Schwedisch um 85–90 %. Dabei kann die faktische Verständigung in der gesprochenen Sprache durchaus von der Angewöhnung abhängen. In neuester Zeit kommt es auch vor, dass sich Skandinavier auf Englisch unterhalten. In der Schriftsprache besteht weitgehende gegenseitige Verständlichkeit, sodass auch Nichtskandinavier mit dänischen Sprachkenntnissen norwegische und schwedische Texte lesen können (und umgekehrt). Von Ostskandinavisch zu Südskandinavisch Der ostskandinavische oder schwedisch-dänische Zweig wird hauptsächlich durch die sog. ostskandinavische Monophthongierung (ab 800) von den westskandinavischen Sprachen (Isländisch, Färöisch, Norwegisch) unterschieden. urnordisch /ai/ wird zu altnordisch /ei/ und weiter zu ostskandinavisch /eː/ altnordisch/isländisch steinn, norwegisch stein → dänisch und schwedisch sten ‚Stein‘ altnordisch breiðr, isländisch breiður, norwegisch brei → dänisch und schwedisch bred ‚breit‘ /au/ wird zu /øː/ altnordisch rauðr, isländisch rauður, norwegisch raud → schwedisch röd bzw. dänisch rød ‚rot‘ urnordisch /au/ mit i-Umlaut wird zu altnordisch /ey/, norwegisch /øy/ und weiter zu ostskandinavisch /ø/ altnordisch/isländisch ey, norwegisch øy → schwedisch ö bzw. dänisch ø ‚Insel‘ Um 1200 hat sich Dänisch sowohl vom Verband des Ostskandinavischen als auch von demjenigen des Westnordischen entfernt, indem die Verschlusslaute /p,t,k/ nach einem Vokal zu /b,d,g/ lenisiert und die in unbetonter Position stehenden Vokale /a,i,o~u/ zum Murmellaut /ǝ/ abgeschwächt wurden. Die bisherige Ost-West-Scheidung Skandinaviens wurde damit von einer neuen Nord-Süd-Gruppierung überlagert. Der Vergleich von Schwedisch und Dänisch zeigt diesen Unterschied bis heute: schwedisch köpa versus dänisch købe ‚kaufen‘, schwedisch bita versus dänisch bide ‚beißen‘, schwedisch ryka versus dänische ryge ‚rauchen‘. Dialekte, Soziolekte und Mischsprachen Dialekte Dänisch zerfällt in drei Hauptdialekte: Jütisch (jysk) oder Westdänisch (vestdansk) oder Festlandsdänisch in Jütland Südjütisch (sønderjysk) in Sønderjylland (Nordschleswig und Teilen Südschleswigs) Westjütisch (vestjysk) an der Westküste (z. B. Esbjerg) Ostjütisch (østjysk) an der Ostküste (z. B. Aarhus) Inseldänisch (ødansk) auf Fünen, Seeland (mit dem Kopenhagener Dialekt Københavnsk), Ærø, Langeland, Lolland, Falster und Møn Ostdänisch (østdansk) auf Bornholm (Bornholmisch) und in Schonen, Halland und Blekinge (Schonisch hat sich seit 1658 zunehmend dem Schwedischen angepasst) Die auf der Ostseeinsel Bornholm und in Jütland gesprochenen Dialekte sind für Nichtmuttersprachler nur schwer verständlich. Das Schonische wird aus dänischer Sicht als ostdänischer, in schwedischer Sicht als südschwedischer Dialekt aufgefasst. Das von vielen dänischen Südschleswigern gesprochene Südschleswigdänische ist eine stark norddeutsch beeinflusste Variante des Reichsdänischen, deren linguistische Eingruppierung als bloße Varietät, Dialekt oder Kontaktsprache noch nicht abgeschlossen ist. Soziolekte Die traditionellen Dialekte wurden in den letzten Jahrzehnten zunehmend von der Standardsprache verdrängt. In den größeren Städten sind urbane Soziolekte entstanden (z. B. vulgärkopenhagenerisch), die sich auch auf das Land ausbreiten. Die soziale Ausdifferenzierung des Dänischen findet besonders seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts statt. Die Aussprachevarietäten verschiedener sozialer Schichten und Generationen sind im Dänischen ausgeprägter als in den meisten anderen germanischen Sprachen; nur Englisch ist hier vergleichbar. Mischsprachen Verwandt mit dem Dänischen ist das Petuh in Flensburg. Das Petuh, auch als Petuh-Tanten-Deutsch bekannt, beruht teilweise auf dänischer Grammatik (Satzbau) und beherbergt eine Reihe von Danismen, ist aber vom Wortschatz her dem Hoch- und Niederdeutschen sehr ähnlich, so dass es eher dem letzteren zugeordnet wird. Es stammt aus dem 19. Jahrhundert und kann verstanden werden als der Versuch von Dänen, Deutsch zu sprechen. Das Schleswigsche in Angeln, das dort das einstige Angeldänisch verdrängt hat, ist ebenfalls von Danismen geprägt und weicht von den südlicheren niederdeutschen Dialekten ab; der Sprachenwechsel fand hier erst im 19. Jahrhundert statt. Schriftsprache Die dänische Orthographie beruht auf dem mittelalterlichen seeländischen Dialekt. Damals war es der zentrale Dialekt Dänemarks, da Schonen ebenfalls zum Reich gehörte. Die Aussprache der Oberschicht in Kopenhagen ist heute tonangebend. Dabei ist die dänische Rechtschreibung relativ konservativ; das heißt, viele ehemalige Laute, die im Laufe der Sprachgeschichte stumm geworden sind, werden nach wie vor geschrieben – oder sogar auf analogischem Wege eingefügt, wo sie historisch ohne Berechtigung sind. Beispiele sind: das <h> vor <v> und <j>, welches nur noch im nordjütischen Dialekt zu hören ist und ein Überbleibsel aus der altnordischen Sprachstufe darstellt, etwa hvid [viðˀ] ‚weiß‘ (altnordisch hvít), hjul [juːˀl] ‚Rad‘ (altostnordisch hjúl). das <d> in Verbindungen wie <ld>, <nd>, <rd>, das ebenfalls eine historische Lautung widerspiegelt, darüber hinaus allerdings teilweise auch nur eine analogische Schreibung ist, etwa (etymologisch basiert) in land [lænˀ] ‚Land‘ (altnordisch land), (analogisch eingeführt) in fuld [fʊlˀ] ‚voll‘ (altnordisch fullr). Auch einige Charakteristika im Vokalismus werden in der Schrift nicht zum Ausdruck gebracht: das gesenkte kurze /e/ in Wörtern wie fisk [fesg] ‚Fisch‘ und til [te(l)] ‚zu‘ das gesenkte kurze /o/ in hugge [hogə] ‚hauen, hacken‘, tung [toŋ] ‚schwer‘ Die erste dänische Übersetzung des Neuen Testaments, die sogenannte Christian II’s Bibel, erschien im Jahr 1524. Sie litt noch an zahlreichen orthographischen Problemen. Die erste dänische Vollbibel erschien erst im Jahr 1550. Danistik und Dänischunterricht in Deutschland Danistik ist die dänische Philologie. In der Praxis wird sie immer in Zusammenhang mit den anderen skandinavischen Sprachen als Skandinavistik (auch: Nordistik) ausgeübt. Größere Institute für Skandinavistik befinden sich in Berlin, Greifswald und Kiel. In Südschleswig gibt es eine Reihe dänischer Schulen, die für die dänische Minderheit gedacht sind. Da sie seit mittlerweile über 60 Jahren auch von Kindern deutscher Muttersprachler besucht werden – was möglich ist, wenn sich die Eltern ebenfalls Dänisch aneignen (Elternabende finden in der Regel auf Dänisch statt) –, sind die dänischen Muttersprachler hier inzwischen in der Minderheit. Innerhalb der Minderheit ist deswegen die Frage strittig, ob der Erfolg des dänischen Schulwesens über die Kerngruppe hinaus erwünscht sei oder ob er eher zu einer Verdünnung der Identität führe. Da jedoch das Prinzip des freien Bekenntnisses für die Zugehörigkeit zur Minderheit gilt, lassen sich keine ethnischen Kriterien aufstellen. Bekannteste und traditionsreichste dänische Schule in Deutschland ist die Duborg-Skolen in Flensburg, die bis 2008 das einzige dänische Gymnasium in Deutschland war. Mit der A. P. Møller-Skolen wurde am 1. September 2008 in Schleswig ein weiteres dänisches Gymnasium eröffnet; es ist ein Geschenk im Wert von 40 Mio. € des Kopenhagener Schiffsreeders Mærsk Mc-Kinney Møller an die dänische Minderheit in Deutschland. In Schleswig-Holstein gibt es darüber hinaus einzelne öffentliche deutsche Schulen, an denen Dänischunterricht als Fremdsprache angeboten wird. Danismen Als Danismus wird eine dänische Ausdrucksweise oder Bedeutung bezeichnet, die in eine andere Sprache eingeflossen ist. Einen starken Einfluss übte das Dänische im Mittelalter auf das Altenglische und damit auf die moderne englische Sprache aus, da Teile des angelsächsischen Ostenglands (Danelag) vom unter anderem aus Dänemark stammenden Großen Heidnischen Heer besetzt worden waren und in der Folge dauerhaft besiedelt wurden; genetisch sind sie kaum von den norwegischen Lehnwörtern zu unterscheiden. Oft stehen im heutigen Englisch das skandinavische Lehnwort und das aus dem Altenglischen ererbte Erbwort nebeneinander, wobei das Erbwort bedeutungsmäßig eingeschränkt oder sonst wie spezialisiert ist. Beispiele sind: dän. dø ‚sterben‘ → engl. die (daneben noch: starve ‚hungers sterben, verhungern‘), altdän. take (bzw. neudän. tage) ‚nehmen‘ → engl. take (daneben noch: nim ‚stibitzen, klauen‘; numb ‚benommen, taub, vom Finger‘), dän. kaste ‚werfen‘ → engl. cast (daneben noch: warp ‚werfen, verziehen, vom Holz‘), dän. sky ‚Wolke‘ → engl. sky ‚Himmel‘, veraltet ‚Wolke‘ (daneben noch: heaven ‚Himmel im religiösen Sinn‘). Weitere Beispiele sind they, them, their ‚sie (Plural), ihnen/sie (Objekt), ihr (Possessiv)‘, das während der mittelenglischen Epoche von Norden nach Süden vorgedrungen ist (das heutige umgangssprachliche ’em setzt das auf das Altenglische zurückgehende autochthone hem fort), are ‚[wir, sie] sind, [ihr] seid‘, anger ‚Ärger‘, bark ‚Rinde‘, call ‚rufen‘, egg ‚Ei‘, get ‚bekommen‘ (die westgermanischen Sprachen kennen sonst nur das Gegenteil forget ‚vergessen‘), gosling ‚junge Gans‘, ill ‚krank‘, knife ‚Messer‘, leg ‚Bein‘, root ‚Wurzel‘, rotten ‚faul‘, skin ‚Haut‘, ugly ‚hässlich‘, until, till ‚bis‘, wing ‚Flügel‘. Die skandinavischen Lehnwörter finden sich am stärksten in den Dialekten Nordenglands und der East Midlands, und über die Standardisierung des East Midland Dialect haben sie den Weg in die heutige Standardsprache gefunden. Eine nennenswert von Danismen beeinflusste Sprache ist im Weiteren das Färöische, wobei viele als Danismen empfundene Wörter ihrerseits Lehnwörter aus dem Deutschen bzw. Niederdeutschen sind (siehe Färöische Sprachpolitik). Norwegisch wurde aufgrund der Jahrhunderte anhaltenden politischen Verbindung des Landes mit Dänemark stark dänisch beeinflusst. Die Variante Bokmål ist deshalb eine Standardvariante, die das norwegische und das dänische Erbe zu verbinden versucht, wogegen Nynorsk auf den autochthonen norwegischen Dialekten aufbaut. Fremdsprachliche Einflüsse auf das Dänische Besonders bedeutend ist der Einfluss des Deutschen, speziell (und über Vermittlung durch die geographische Nähe und den Handel) des Niederdeutschen im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit. So besteht ein großer Teil des dänischen Vokabulars (25 %) aus niederdeutschen Lehnwörtern und Lehnübersetzungen. Überdies war Hochdeutsch bis ins 19. Jahrhundert Sprache am dänischen Hof und galt damit als vornehm, ähnlich wie Französisch am preußischen Hof, was die Übernahme deutscher Begriffe ebenfalls förderte. Im heutigen Dänisch gibt es sodann – wie im Deutschen auch – eine große Anzahl sogenannter Internationalismen (in den letzten Jahrzehnten verstärkt Anglizismen). Dennoch ist Dänisch eine skandinavische Sprache, es existiert also eine harte Sprachgrenze zum Hochdeutschen. Diese andere Herkunft unterscheidet es in Genese und Struktur der Sprache mehr vom Deutschen als etwa das Englische, das wie das Deutsche westgermanischer Herkunft ist. Wenn dennoch des Öfteren besonders im Bereich des Wortschatzes eine größere Ähnlichkeit des Deutschen mit dem Dänischen als mit dem Englischen festzustellen ist, dann beruht das allein auf sekundären Gründen, nämlich einerseits auf der erwähnten nieder- und hochdeutschen Beeinflussung des Dänischen und andererseits auf der starken Beeinflussung des Englischen während des Mittelalters durch das Französische. Das dänische Alphabet Das dänische Alphabet enthält unter anderem alle 26 Standardbuchstaben des lateinischen Alphabets. Die Buchstaben C, Q, W, X, und Z kommen nur in Fremdwörtern vor, wiewohl sie teilweise ersetzt worden sind: center ‚Zentrum‘, censur ‚Zensur‘, charmerende ‚charmant‘, chokolade ‚Schokolade‘, computer ‚Computer‘, cølibat ‚Zölibat‘. quasi, quiz, aber: kvalitet ‚Qualität‘, kvotient ‚Quotient‘ walisisk ‚walisisch‘, whisky, Wikipedia xylofon ‚Xylophon‘, saxofon ‚Saxophon‘, aber: sakser ‚Sachse‘ zar, zebra, zenit, zone, zulu, aber: dominans, konsekvens. Dazu gibt es drei Sonderzeichen: Æ, æ: Typographisch gesehen ist das Æ eine Ligatur aus A und E. Es entspricht dem deutschen Ä. Ø, ø: Graphiegeschichtlich handelte es sich beim Ø ursprünglich um eine Ligatur von O und E. Es entspricht dem deutschen Ö. Å, å: Das Å (auch „bolle-Å“ genannt, was so viel bedeutet wie „Kringel-Å“) ist mit der dänischen Rechtschreibreform von 1948 eingeführt worden. Es ersetzt das ältere Doppel-A (Aa, aa), das nur noch für Eigennamen und auf „antiken“ Beschriftungen, aber nicht mehr in der sonstigen Schriftsprache verwendet wird. Seit 1984 ist bei Ortsnamen jedoch wieder die Schreibung mit Aa zulässig, und einige Orte wünschen diese alte Schreibweise ausdrücklich (siehe hierzu Aabenraa). Der Kringel auf dem Å ist graphiegeschichtlich ein kleines O, womit angedeutet wird, dass es sich um einen ursprünglich (langen) A-Laut gehandelt hat, der im Laufe der Sprachgeschichte – wie in vielen germanischen Sprachen und den meisten deutschen Dialekten – in Richtung O verdumpft wurde. Die Stadt Ålborg z. B. wird somit wie „Ollbor“ ausgesprochen. Im Übrigen kennt das Dänische keine Vokalverdopplungen in der Schrift, wohl aber bei Konsonanten. Diese drei Sonderbuchstaben stehen am Ende des Alphabets: A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, X, Y, Z, Æ, Ø, Å (Aa). Im deutschen Schriftsatz gilt, dass diese drei Buchstaben in dänischen Namen, Stichwörtern und Zitaten oder gar im Gebrauch des Dänischen selbst niemals mit Ä, Ö, und Aa umschrieben werden sollen (obwohl Dänen das dennoch entziffern könnten). Dies gilt analog für das Internet, mit Ausnahme von Domains, wobei im letzteren Fall die Umschrift nicht immer eindeutig ist: beispielsweise ist der Sänger Stig Møller unter stigmoeller.dk im WWW vertreten, während die Sängerin Lis Sørensen unter der Adresse lissorensen.dk zu finden ist. Weitere Ausnahmen außerhalb des Internets bilden nur Personennamen wie z. B. Kierkegaard, hierbei handelt es sich um die Erhaltung der alten Rechtschreibung. Früher wurde in der Handschrift Ø und ø oft durch Ó und ó ersetzt. Heute sieht man das etwas seltener, aber es dreht sich da nur um die verwendete Schreibschrift. Bis 1875 wurde die Frakturschrift, genannt gotisk skrift ‚gotische Schrift‘ verwendet, danach die skråskrift, bis diese am Ende des 20. Jahrhunderts allmählich von der formskrift (1952 nach norwegischer Vorlage von Alvhild Bjerkenes von Christian Clemens Hansen in Dänemark eingeführt) fast ersetzt wurde. Als Schreibschrift wurde im 19. Jahrhundert eine dänische Variante der deutschen Kurrentschrift verwendet, später dann die lateinische Schreibschrift. Für Computerbenutzer gibt es zahlreiche Hilfsmittel, die die Verwendung dänischer und anderer Buchstaben und Akzente erleichtern. Beispielsweise kann auf Zeichentabellen (z. B. kcharselect, charmap.exe) zurückgegriffen werden. Für diese Buchstaben existieren auch Entitäten in Auszeichnungssprachen zum Umschreiben in sprachfremden Zeichensätzen. Unter Windows können die Zeichen durch Halten der Alt-Taste und Tippen der Ziffern des Zeichencodes auf dem Ziffernblock der Tastatur eingegeben werden. Unter macOS kann mit Halten der Wahltaste (entspricht der Alt-Taste auf PC-Tastaturen) in die dritte Belegungsebene der Tastatur gewechselt werden – hier finden sich dänische Kleinbuchstaben. Wird zusätzlich die Umschalttaste gehalten, wird in die vierte Belegungsebene mit dänischen Großbuchstaben gewechselt. Bei Unix-, Linux- und ähnlichen Systemen können diese Buchstaben eingegeben werden, indem zuerst die Compose-Taste und danach mehrere andere Tasten getippt werden. Auf deutschen Tastaturen ist zudem die Erstellung mittels Taste möglich. Phonologie Vokale Das Dänische besitzt 15 kurze und 12 lange Monophthonge. Das Schwa ist der unbetonte Vokal. Beispiel: mile . Der fast offene Vokal ist das lange Gegenstück zum offenen Vokal . Zuordnung Buchstabe – Laut: a ; e ; ; ; i ; o ; u ; y ; æ ; ; ; ø ; ; ; ; ; å ; ; ; Das Dänische besitzt 25 Diphthonge: (eg, Stege), (læge), (bag, hage), (leg, maj), (huje), (løg, øje) (liv, blive), (blev, leve), (bæve, hævne), (lav), (hav, brage), (lyve), (løve), (neutrum), (lov, sove), (låge, love) (Birte, fire), (flertal, mere), (lærte, lære), (verden, værre), (hyrde, hyre), (hørte, høre), (gørtler, gøre), (urmager, ure), (spurgte, bore) Alternativ können sie analysiert werden als bestehend aus Vokal und . Konsonanten Das Dänische hat 17 Konsonanten. Zuordnung Buchstabe - Laut: b d f ; im Auslaut: g h j k l m n ; vor g und k: p r s ; im Auslaut: t ; im Anlaut: v Folgende Zeichenfolgen haben eine eigene Aussprache: id ud yd Quelle: Hans Basbøll, The phonology of Danish, Oxford 2005. Aussprache Der Stoßlaut (Stød) Der Stød ist eine Laryngalisierung, die lange Vokale und gewisse Konsonanten begleitet. Es gibt heute keine einheitlichen Regeln mehr dafür, wo und wann der Stød Anwendung findet; ursprünglich war der Stød ein Merkmal im Satz betonter einsilbiger Wörter mit langem Vokal oder mit stimmhaften Konsonanten im Auslaut. Dies ist nicht nur eine Frage des Dialekts, sondern auch des Soziolekts, wobei gilt, dass gehobenere Schichten den Stød öfter verwenden und dass er im Süden des gesamten Sprachgebiets fehlt. Zudem gibt es einige Fälle, in denen gleichgeschriebene Wörter durch den Stød einen Bedeutungsunterschied erfahren, z. B. ‚anderer‘ ~ ‚die Ente‘, ‚das Atmen‘ ~ ‚der Geist‘, ['hεnɐ] ‚geschieht‘ ~ ['hɛnˀɐ] ‚Hände‘. Der dänische Stød hat in seinen skandinavischen Verwandten, dem Schwedischen und dem Norwegischen, seine Entsprechung im „einfachen“ musikalischen Akzent 1, der ursprünglich auch nur in einsilbigen Wörtern vorkam. Siehe auch: Akzente in den skandinavischen Sprachen. Vokalqualitäten Die dänischen Vokale ähneln den deutschen, doch sind manche nicht identisch. Grundsätzlich sind alle Vokale vor oder nach dem /r/ (das uvular gesprochen oder vokalisiert wird) offener. Das /a/ wird heller ausgesprochen (ähnlich dem Englischen). Das Å wird kurz und in der Stellung nach r ausgesprochen wie das deutsche o in Torte; sonst ungefähr wie im französischen chose. Stumme Konsonanten Wenn beklagt wird, dass das Dänische bei weitem nicht so gesprochen werde, wie man es schreibe, so liegt das zum großen Teil nicht nur am weichen D (das weicher ist als das englische th in that), sondern auch daran, dass diverse historische Konsonanten stumm geworden sind bzw. umgekehrt gesagt: dass längst nicht mehr gesprochene Konsonanten immer noch geschrieben werden. Betroffen hiervon sind meist im Auslaut oder im Wortinneren befindliche /d/, /g/, /t/ und andere Konsonanten. Zum Beispiel wird det ‚das‘ nicht etwa [det] ausgesprochen, sondern immer [de]. Auch z. B. die Pronomen mig ‚mich‘ und dig ‚dich‘ werden anders gesprochen als geschrieben: ['mai] bzw. ['dai]. Nicht alle dieser stummen Konsonanten, die die Schrift kennt, sind etymologisch gerechtfertigt; so wurde das /d/ etwa in finde ursprünglich gesprochen (vgl. deutsch finden), wogegen es etwa in mand eine rein analogische Schreibung repräsentiert (vgl. deutsch Mann). -er im Auslaut verfärbt sich wie im Deutschen zu einem Vokal, etwa hammer = (ähnlich dem deutschen Hammer). Ein bekannter Liedrefrain findet zur Veranschaulichung der Diphthongbildung von [ei] Verwendung: En snegl på vejen er tegn på regn i SpanienEine Schnecke auf dem Weg ist ein Zeichen für Regen in Spanien (Aus: My Fair Lady, die dänische Version von: Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen) Lautentsprechungen Einige Regeln kann man (bei einigen Ausnahmen) aufstellen. Moderne Standard-Grammatik Das Substantiv Grammatische Geschlechter Die dänische Standardsprache kennt zwei grammatikalische Geschlechter, das Neutrum und das Utrum. Im Utrum sind die ursprünglichen indogermanischen Genera Maskulinum und Femininum zusammengefallen. Flexion Das Dänische kennt mit Ausnahme des Genitivs keine Kasusbeugung der Substantive. Der Genitiv wird einheitlich durch Anhängen der Endung -s gebildet: Fars/mors/barnets hat ‚der Hut des Vaters, der Mutter, des Kindes‘ Zur Bildung des Plurals gibt es mehrere Möglichkeiten: Der Plural wird in den meisten Fällen durch Anhängen von -er bzw. (wenn der Singular auf Vokal endet) -r gebildet, z. B.: køkken ‚Küche‘ → køkkener ‚Küchen‘; værelse ‚Zimmer‘ → værelser ‚Zimmer, Pl.‘ 15 Wörter haben im Plural Umlaut; die drei Typen sind nat ‚Nacht‘ → nætter ‚Nächte‘; hånd ‚Hand‘ → hænder ‚Hände‘, bog ‚Buch‘ → bøger ‚Bücher‘ Die zweithäufigste Pluralbildung ist das Anhängen von -e: bord ‚Tisch‘ → borde Vier Wörter haben im Plural Umlaut: fa(de)r ‚Vater‘ → fædre ‚Väter‘; bro(de)r ‚Bruder‘ → brødre ‚Brüder‘; mo(de)r ‚Mutter‘ → mødre ‚Mütter‘; datter ‚Tochter‘ → døtre ‚Töchter‘ Eine kleine Gruppe von Substantiven hat im Plural keine Endung: tog ‚Zug‘ → tog ‚Züge‘ Drei Wörter haben im Plural Umlaut: mand ‚Mann‘ → mænd ‚Männer‘; gås ‚Gans‘ → gæs ‚Gänse‘; barn ‚Kind‘ → børn ‚Kinder‘ Eine heute nur mehr lexikalisiert vorkommende Pluralbildung kennt øje ‚Auge‘ → øjne ‚Augen‘ Gewisse Fremdwörter behalten den Plural aus der Originalsprache bei: check ‚Check‘ → checks ‚Checks‘; faktum ‚Fakt‘ → fakta ‚Fakten‘ Bestimmtheit Das Dänische kennt zwei unbestimmte Artikel: en für das Utrum (fælleskøn) und et für das Neutrum (intetkøn) Beispiele: mand ‚Mann‘ → en mand ‚ein Mann‘ kvinde ‚Frau‘ → en kvinde ‚eine Frau‘ barn ‚Kind‘ → et barn ‚ein Kind‘ Um zu unterscheiden, dass es sich um ein Kind handelt, und nicht zwei, kann man einen Akzent setzen: ét barn – to børn ‚ein Kind‘ – ‚zwei Kinder‘. Einfache Bestimmtheit wird durch einen suffigierten (angehängten, also nicht wie im Deutschen vorangestellten) Artikel ausgedrückt. Das hat Dänisch mit allen skandinavischen Sprachen gemein: -(e)n für Utrum Singular -(e)t für Neutrum Singular -(e)ne für den Plural Beispiele: mand ‚Mann‘ → manden ‚der Mann‘; kvinde ‚Frau‘ → kvinden ‚die Frau‘; opera ‚Oper‘ → operaen ‚die Oper‘; hus ‚Haus‘ → huset ‚das Haus‘, værelse ‚Zimmer‘ → værelset ‚das Zimmer‘ mænd ‚Männer‘ → mændene ‚die Männer‘; kvinder ‚Frauen‘ → kvinderne ‚die Frauen‘; huse ‚Häuser‘ → husene ‚die Häuser‘; tog ‚Züge‘ → togene ‚die Züge‘; værelser ‚Zimmer (Pl.)‘ → værelserne ‚die Zimmer‘ Ist der Stammvokal kurz, so muss der auslautende Konsonant verdoppelt werden: rum ‚Raum‘ → rummet ‚der Raum‘ bzw. rummene ‚die Räume‘. Tritt ein Adjektiv hinzu, wird die Bestimmtheit wie im Deutschen durch einen vorangestellten bestimmten Artikel ausgedrückt: de im Plural den im Utrum Singular det im Neutrum Singular Anders als im Schwedischen und Norwegischen findet keine doppelte Artikelsetzung statt – die Anhängung des Artikels unterbleibt also bei Voranstellung: de to brødre ‚die beiden Brüder‘ den store kunstner ‚der große Künstler‘ det røde billede ‚das rote Bild‘ Daneben gibt es einige Sonderfälle wie hele dagen ‚den ganzen Tag‘ Das Adjektiv Flexion des Positivs Wie alle germanischen Sprachen außer dem Englischen kennt auch das Dänische eine bestimmte und eine unbestimmte Flexion. Die bestimmte Form lautet unabhängig von Genus und Numerus -e, die unbestimmte Form ist im Singular Utrum Nullendung, im Neutrum -t und im Plural -e: bestimmt: den store mand ‚der große Mann‘, det store barn ‚das große Kind‘, de store mænd, børn ‚die großen Männer, Kinder‘ unbestimmt: en stor mand ‚ein großer Mann‘, et stort barn ‚ein großes Kind‘, store mænd, børn ‚große Männer, Kinder‘ Bei mehrsilbigen Adjektiven fällt vor -l, -n, -r unbetontes -e- weg: en gammel mand ‚ein alter Mann‘, gamle mænd ‚alte Männer‘ Ausnahmen: Adjektive, die auf unbetontes -e (dazu zählen auch der Komparativ und das Partizip Präsens) und unbetontes -a enden, werden nicht flektiert: ægte ‚echt‘ → ægte, ægte. Weitere Beispiele im unbestimmten Neutrum: et lille barn ‚ein kleines Kind‘, et moderne hus ‚ein modernes Haus‘; et lilla tørklæde ‚ein lila Kopftuch‘ Adjektive, die auf betontes -u und -y sowie unbetontes -es enden, werden nicht flektiert: snu ‚schlau‘ → snu, snu; sky ‚scheu‘ → sky, sky; fælles ‚gemeinsam‘ → fælles, fælles. Beispiele: et snu barn ‚ein schlaues Kind‘; et fælles anliggende ‚ein gemeinsames Anliegen‘; sky fugle ‚scheue Vögel‘. Adjektive, die auf betontes -å enden, haben zwar eine Neutrumform, aber keine spezifische Pluralendung: blå ‚blau‘ → blåt, blå. Beispiel: et blåt øje ‚ein blaues Auge‘, blå øjne ‚blaue Augen‘ zweisilbige Adjektive, die auf unbetontes -ed enden, haben zwar die e-Form, aber keine unbestimmte Neutrumsform: fremmed ‚fremd‘ → fremmed, fremmede. Beispiel: et fremmed menneske ‚ein fremder Mensch‘, fremmede mennesker ‚fremde Menschen‘ Adjektive auf -sk haben keine unbestimmte Neutrumform, wenn es sich um ein Adjektiv zu einem geografischen Gebiet handelt: dansk ‚dänisch‘ → dansk, danske; andere Adjektive auf -sk können optional ein -t im Neutrum haben. ny ‚neu‘ und fri ‚frei‘ kennen Formen mit und ohne -e: ny → nyt, nye/ny; fri → frit, frie/fri der Plural von lille ‚klein‘ ist små: et lille barn ‚ein kleines Kind‘ → små børn ‚kleine Kinder‘ Anders als im Deutschen, aber wie in allen skandinavischen Sprachen, wird das Adjektiv auch in prädikativer Stellung flektiert: Manden er stor, barnet er stort, børn er store ‚der Mann ist groß, das Kind ist groß, die Kinder sind groß‘ Steigerung Der Komparativ wird gewöhnlich durch -ere, der Superlativ durch -est zum Ausdruck gebracht: ny ‚neu‘ → nyere ‚neuer‘, nyest ‚neu(e)st‘ Der Komparativ zeigt keine weiteren Flexionsformen, der Superlativ kennt Nullendung und -e. Eine kleine Zahl Adjektive kennt in Komparativ und Superlativ Umlaut plus Endung -re: få ‚wenig‘ → færre, færrest lang ‚lang‘ → længre, længst stor ‚groß‘ → større, størst ung ‚jung‘ → yngre, yngst Einige Adjektive wechseln den Wortstamm, wobei auch hier Umlaut auftreten kann: dårlig ‚schlecht‘, ond ‚böse‘ → værre, værst gammel ‚alt‘ → ældre, ældst god ‚gut‘ → bedre, bedst lille/lidt ‚klein‘ → mindre, mindst mange ‚viel‘ → flere, flest Unregelmäßig sind sodann megen/meget ‚viel‘ → mere, mest nær ‚nahe‘ → nærmere, nærmest Bei den meisten drei- und mehrsilbigen Adjektiven sowie bei Fremdwörtern und Partizipien ist die Steigerung auch mit mere und mest möglich: intelligent → mere intelligent, mest intelligent. Die Pronomen Personalpronomen Die Personalpronomen kennen fast alle eine eigene Objektsform: jeg ‚ich‘ → mig ‚mich, mir‘ du ‚du‘ → dig ‚dich, dir‘ han ‚er‘ (persönlich) → ham ‚ihn, ihm‘ hun ‚sie‘ (persönlich) → hende ‚ihr, sie‘ den ‚er, sie, es‘ (unpersönlich) → den ‚ihm, ihn, es, ihr, sie‘ det ‚es‘ (persönlich); ‚er, sie, es‘ (unpersönlich) → det ‚ihm, es‘; ‚ihm, ihn, es, ihr, sie‘ vi ‚wir‘ → os ‚uns‘ I ‚ihr‘ → jer ‚euch‘ de ‚sie‘ → dem ‚sie, ihnen‘ Die 2. Personen Plural I wird im Nominativ immer groß geschrieben, die 3. Person Plural in Nominativ und Objektiv dann, wenn sie als Höflichkeitsform De, Dem fungiert. Possessivpronomen Die Possessivpronomen kennen teilweise eine Flexion nach Genus (utrum, neutrum) und Numerus (Singular, Plural): jeg → min (utrum Sg.), mit (neutrum Sg.), mine (Pl.) du → din, dit, dine han → hans (wenn auf eine andere Person bezogen) bzw. sin, sit, sine (wenn reflexiv) hun → hendes bzw. sin, sit, sine den → dens bzw. sin, sit, sine det → dets bzw. sin, sit, sine vi → vores oder (förmlicher) vor, vort, vore I → jeres de → deres In der 3. Person Plural wird De, Deres mit Großbuchstaben geschrieben, wenn sie als Höflichkeitsformen fungieren. Die Zahlwörter Grundzahlen Die Zahlen werden von 0 bis 12 mittels eigenständiger Wörter wiedergegeben, diejenigen von 13 bis 19 als Kombination aus der teilweise abgeänderten Einerstelle und -ten für 10: 0 nul, 1 en (utrum), et (neutrum), 2 to, 3 tre, 4 fire, 5 fem, 6 seks, 7 syv, 8 otte, 9 ni, 10 ti, 11 elleve, 12 tolv 13 treten, 14 fjorten, 15 femten, 16 seksten, 17 sytten, 18 atten, 19 nitten Die Dezimalzahlen sind Vielfache von 10: 20 tyve, 30 tredive (oder tredve), 40 fyrre. Neben fyrre gibt es die ältere, manchmal noch in Emphase verwendete Langform fyrretyve, eigentlich ‚vier Zehner‘. Ab der Zahl 50 folgen die Dezimalzahlen dem Vigesimalsystem, d. h., sie basieren auf dem Vielfachen von 20: 50 = halvtreds, verkürzte Form von halvtredsindstyve, bedeutet halvtredje sinde tyve ‚halb-dritt mal 20‘ 60 = tres, verkürzte Form von tresindstyve, bedeutet tre sinde tyve ‚3 mal 20‘ 70 = halvfjerds, verkürzte Form von halvfjerdsindstyve, bedeutet halvfjerde sinde tyve ‚halb-viert mal 20‘ 80 = firs, verkürzte Form von firsindstyve, bedeutet fire sinde tyve ‚4 mal 20‘ 90 = halvfems, verkürzte Form von halvfemsindstyve, bedeutet halvfemte sinde tyve ‚halb-fünft mal 20‘ Neben dieser spezifisch dänischen Zählweise ist im Bankwesen auch der gemeinnordische Typus „einfache Zahl + Zehner“ vertreten: 20 toti (wörtlich: ‚zwei Zehner‘), 30 treti, 40 firti, 50 femti, 60 seksti, 70 syvti, 80 otti, 90 niti Dieses Zahlensystem ist keine Entlehnung aus dem Schwedischen, wie vielfach angenommen wird, sondern war schon im Altdänischen bekannt. Mit der Einführung der Dezimalwährung in Dänemark 1875 wurde es für den Handel wiederbelebt, gewann aber keine breite Anwendung mehr. Das auf dem 50-Kronen-Schein stehende „FEMTI KRONER“ wurde deshalb 2009 wieder aufgegeben. Selbständige Wörter sind schließlich wieder: 100 hundrede, 1000 tusinde (oder tusind), 1.000.000 en million, 1.000.000.000 en milliard, 1.000.000.000.000 en billion Eine Gemeinsamkeit mit dem Deutschen ist, dass die Einerstelle vor der Zehnerstelle ausgesprochen wird. So wird etwa die Zahl 21 als enogtyve ausgesprochen (en ‚ein‘, og ‚und‘, tyve ‚zwanzig‘), die Zahl 32 als toogtredive (to ‚zwei‘, og ‚und‘, tredive ‚dreißig‘), die Zahl 53 als treoghalvtreds, 67 als syvogtres, 89 als niogfirs, 95 als femoghalvfems. Wendet man hingegen die Zahlen des Bankwesens an, gilt die englische oder schwedische Wortfolge; 21 heißt dann totien. Die Hunderterstellen werden durch das entsprechende Zahlwort von 1 bis 9 plus hundrede gebildet: 100 et hundrede, 300 tre hundrede. Werden Zehner und/oder Einerstellen benutzt, wird das Zahlwort zusammengeschrieben: 754 syvhundredefireoghalvtreds. Ordnungszahlen Die Ordinalzahlen von 1 und 2 sind ganz unregelmäßig: første ‚erste(r/s)‘, anden ‚zweite(r/s)‘. Die weiteren werden, wie in allen germanischen Sprachen, durch das Anhängen eines Dentalsuffixes (im Dänischen -t, -d; gefolgt von der Endung -e) gebildet, wobei zahlreiche kleinere und größere Irregularitäten auftreten: 1. første, 2. anden (utrum), andet (neutrum), 3. tredje, 4. fjerde, 5. femte, 6. sjette, 7. syvende, 8. ottende, 9. niende, 10. tiende, 11. ellevte oder elvte, 12. tolvte, 13. trettende, 14. fjortende, 15. femtende, 16. sekstende, 17. syttende, 18. attende, 19. nittende, 20. tyvende, 30. trevide oder trevde. Die Ordinalzahl von 40 wird von der Langform fyrretyve (vgl. oben) gebildet und lautet fyrretyvende. Zu 50 bis 90 wird die Ordinalzahl von der Langform des Vigesimalsystems gebildet; vgl. oben: 50. halvtredsindstyvende, 60. tresindstyvende, 70. halvfjerdsindstyvende, 80. firsindstyvende, 90. halvfemsindstyvende. Unverändert bleiben die Ordinalzahlen von hundrede und tusinde: 100. hundrede, 1000. tusinde. Die (selten gebrauchten) Ordinalzahlen von million, milliard, billion werden mit -te gebildet: millionte, milliardte, billionte. Stückzahlen et dusin ‚ein Dutzend, 12 Stück‘ en snes ‚20 Stück‘ et gros ‚ein Gros, 144 Stück‘ Das Verb Infinitiv Das dänische Verb endet im Infinitiv auf -e, das bei stammschließendem Vokal entfällt: komme ‚kommen‘, tro ‚glauben‘. Person Anders als im Deutschen gibt es im Dänischen keine Flexion nach Personen, sondern nur eine einheitliche Form. Die Präsensendung lautet durchgängig -er (bzw. bei den auf stammschließenden Vokal endenden Verben -r), die Präteritumendung bei den schwachen Verben -ede oder -te, bei den starken Verben gilt Nullendung: jeg kommer, du kommer, han/hun/det kommer, vi kommer, I kommer, de kommer ‚ich komme, du kommst, er/sie/es kommt, wir kommen, ihr kommt, sie kommen‘ bzw. jeg tror ‚ich glaube‘ usw. jeg lavede, du lavede, han/hun/det lavede, vi lavede, I lavede, de lavede ‚ich machte‘ usw. jeg sang, du sang, han/hun/det sang, vi sang, I sang, de sang ‚ich sang‘ usw. Einige wenige Verben zeigen im Präsens eine unregelmäßige Endung, siehe unten. In der älteren Literatur kommen noch Pluralformen vor, die auf -e enden; ihre Anwendung war bis 1900 in der Schriftsprache obligatorisch: (Singular:) jeg/du/han synger → (Plural:) vi/I/de synge. Konjugationsklassen Dänisch kennt zwei schwache Konjugationsklassen (mit den Dentalendungen -ede, -et versus -te, -t), die starke Konjugation (mit Ablaut, im Partizip zudem Dentalendung) sowie verschiedene Typen ganz unregelmäßiger Verben: lave → jeg lavede ‚ich machte‘, jeg har lavet ‚ich habe gemacht‘, jeg tro → troede ‚ich glaubte‘, jeg har troet ‚ich habe geglaubt‘ rejse → jeg rejste ‚ich reiste‘, jeg har rejst ‚ich bin gereist‘ synge → jeg sang ‚ich sang‘, jeg har sunget ‚ich habe gesungen‘, weitere ablautende Hauptgruppen repräsentieren: drive ‚treiben‘ → drev, drevet; bide ‚beißen‘ → bed, bidt; krybe ‚kriechen‘ → krøb, krøbet; bryde ‚brechen‘ → brød, brudt; gyde ‚gießen‘ → gød, gydt; drikke ‚trinken‘ → drakk, drukket; sprække ‚zerspringen‘ → sprak, sprukket; bære ‚tragen‘ → bar, båret; være ‚sein‘ → var, været; give ‚geben‘ → gav, givet; fare ‚fahren‘ → for, faret; gå ‚gehen‘ → gikk, gået; mit Einheitsablaut: falde ‚fallen‘ → faldt, faldet; græde ‚weinen‘ → græd, grædt, hedde ‚heißen‘ → hed, heddet; komme ‚kommen‘ → kom, kommet; løbe ‚laufen‘ → løb, løbet Eine gewisse Anzahl Verben gehören den rückumlautenden Verben an, die Vokalwechsel und Dentalendung verbinden; die verschiedenen Typen sind: lægge ‚legen‘ → lagde, lagt; tælle ‚zählen‘ → talte, talt; kvæle ‚ersticken‘ → kvalte, kvalt; træde ‚treten‘ → trådte, trådt; sælge ‚verkaufen‘ → solgte, solgt; sige ‚sagen‘ → sagde, sagt; bringe ‚bringen‘ → bragte, bragt; gjørde ‚machen‘ → gjorde, gjort; følge ‚folgen‘ → fulgte, fulgt. Größere und kleinere (weitere) flexivische Unregelmäßigkeiten zeigen das Verbum substantivum, die Verben have, gøre, vide und ville sowie die Präteritopräsentia (aufgeführt werden Infinitiv, Präsens, Präteritum und Perfekt): burde ‚sollen‘ → jeg bør, jeg burde, jeg har burdet gøre ‚machen‘ → jeg gør (im Übrigen rückumlautendes Verb, siehe oben) have ‚haben‘ → jeg har, jeg havde, jeg har haft kunne ‚können‘ → jeg kan, jeg kunne, jeg har kunnet måtte ‚müssen; dürfen‘ → jeg må, jeg måtte, jeg har måttet skulle ‚sollen; werden‘ → jeg skal, jeg skulle, jeg har skullet turde ‚wagen‘ → jeg tør, jeg turde, jeg har turdet være ‚sein‘ → jeg er (im Übrigen ablautendes starkes Verb, siehe oben) vide ‚wissen‘ → jeg ved, jeg vidste, jeg har vidst ville ‚wollen; werden‘ → jeg vil, jeg ville, jeg har villet Passiv Das Passiv wird entweder durch Anhängen eines -s gebildet oder aber mit dem Hilfsverb blive (wörtlich: ‚bleiben‘) plus Partizip Perfekt gebildet: Zebraen jages / bliver jaget af løven ‚das Zebra wurde vom Löwen gejagt‘ De ventes på søndag ‚sie werden am Sonntag erwartet‘ Das s-Passiv wird häufiger verwendet, um einen Zustand oder eine Regelmäßigkeit auszudrücken, das umschriebene Passiv häufiger, wenn es um eine Handlung geht, man vergleiche etwa: Slottet ejes af staten ‚Das Schloss ist im Besitz des Staates‘ (wörtlich: ‚wird vom Staat besessen‘) Dørene lukkes kl. 7 ‚die Türen schließen um sieben Uhr; die Türen werden um 7 Uhr geschlossen‘, aber gewöhnlich: Dørene bliver lukket nu ‚die Türen werden jetzt geschlossen‘. Das s-Passiv kommt sodann besonders im Infinitiv und im Präsens vor; im Perfekt und im Präteritum ist es nicht bei allen Verben möglich: Hun sås ofte i teatret ‚sie wurde oft im Theater gesehen; man sah sie oft im Theater‘ aber: Hun blev væltet af cyklen ‚sie wurde vom Rad geworfen‘ Das s-Passiv wird im Dänischen auch zur Bildung unpersönlicher Konstruktionen verwendet: Der må ikke spises i bussen ‚man darf im Bus nicht essen; Essen im Bus verboten‘ (wörtlich: ‚es darf nicht gegessen werden‘) Das s-Passiv kommt sodann bei reziproken Verben vor; hier kann man noch nachvollziehen, dass die Endung -s aus einem suffigierten sig ‚sich‘ entstanden ist: Vi mødes i morgen aften ‚wir treffen uns morgen abend‘ Vi skiltes som gode venner ‚wir trennten uns (schieden) als gute Freunde‘ Schließlich kommen eine Reihe Verben als sog. Deponentia im s-Passiv vor; auch hier ist die Herkunft aus sig ‚sich‘ oft noch deutlich. Es handelt sich dabei um Verben, die formal passiv sind, aber eine aktive Bedeutung haben: findes ‚sich finden, vorkommen, geben‘: Der findes mange dyrearter ‚Es gibt viele Tierarten‘ mindes ‚sich erinnern‘: Jeg mindes ikke hans tale ‚ich erinnere mich nicht an seine Rede‘ synes ‚scheinen‘: Jeg synes, at det er en god idé ‚mir scheint, dass das eine gute Idee ist‘ Modus Der Imperativ endet auf den Wortstamm und kennt nur eine einzige Form: kom! ‚komm[e]! kommt!‘. Alte Texte kennen eine besondere Pluralendung -er: Kommer hid, I Pige smaa! ‚Kommet her, ihr kleinen Mädchen!‘ (N. F. S. Grundtvig). Ein morphologisch selbständiger Konjunktiv existiert nur noch in feststehenden Wendungen, er endet auf -e bzw. bei auf Vokal schließenden Verben auf Nullendung, ist also formal mit dem Infinitiv identisch. Beispiele sind etwa: leve Dronningen ‚es lebe die Königin‘, Herren være med jer ‚der Herr sei mit euch‘, Gud ske lov ‚Gott sei Dank‘ (wörtlich: ‚Gott geschehe Lob‘). Im Übrigen ist er entweder vom Indikativ verdrängt worden oder aber, im Irrealis, mit dem Indikativ des Präteritums zusammengefallen: hvis jeg var rig … ‚wenn ich reich wäre‘. Satzbau (Syntax) Hauptsatz Dem dänischen Satzbau liegt das Schema Subjekt + Prädikat + Objekt zugrunde, er ist im Hauptsatz jedoch durch eine Verbzweit-Regel erweitert, wie sie auch im Deutschen vorliegt. Das heißt, der Hauptsatz besitzt ein sogenanntes Vorfeld und anschließend eine vorgezogene Position für das finite Verb. Im Vorfeld stehen können außer dem finiten Verb prinzipiell alle Satzteile, am häufigsten allerdings das Subjekt. Wenn ein Satzteil ins Vorfeld gestellt wird, so bleibt dessen Platz im Satzinneren unbesetzt (dies gilt auch für das Subjekt). Das folgende Feldschema, das auf den dänischen Linguisten Paul Diderichsen zurückgeht, zeigt die Struktur des dänischen Hauptsatzes an einigen Beispielen. Nebensatz Im Nebensatz steht das finite Verb in der Regel weiter innen im Satz, nämlich zusammen mit der Position, in der im Hauptsatz infinite Verbformen vorkommen. Es folgt dann, anders als im Hauptsatz, nach dem Subjekt und nach dem Satzadverbial: (Christian svarede, …) In wenigen Fällen kann allerdings auch die Hauptsatzform, also ein Verbzweit-Satz, nach der Konjunktion at folgen. Näheres siehe unter V2-Stellung#Verbzweitsätze als Nebensätze. Fragen Bei Fragen hat der Satz folgenden Aufbau: Prädikat + Subjekt + Objekt Bei Fragen, die nicht mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, wird ein Fragewort vorangestellt. Der Satz hat in diesem Fall folgenden Aufbau: Fragewort + Prädikat + Subjekt (+ Objekt) Sprachbeispiel Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen. Siehe auch Dänische Rechtschreibreform von 1948 (mit den Rechtschreibregeln zur Kleinschreibung) Dansk Sprognævn (dänische Sprachkommission) Liste dänischsprachiger Schriftsteller Literatur Die Dänische Zentralbibliothek für Südschleswig enthält die größte Sammlung dänischer Titel in Deutschland. Linguistische Einführung Kurt Braunmüller: Die skandinavischen Sprachen im Überblick. Francke, Tübingen. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage 2007 (UTB 1635), ISBN 978-3-8252-1635-1, S. 86–133. Hartmut Haberland: Danish. In: Ekkehard König, Johan van der Auwera (Hrsg.): The Germanic Languages. Routledge, London / New York 1994, S. 1994, ISBN 978-0-415-05768-4, S. 313–348. Hartmut Haberland: Dänisch. In: Ulrich Ammon, Harald Haarmann (Hrsg.): Wieser Enzyklopädie der Sprachen des europäischen Westens, Band 1. Wieser, Klagenfurt 2008, ISBN 978-3-85129-795-9, S. 131–153. Geschichte der dänischen Sprache Peter Skautrup: Det danske sprogs historie. Bd. 1–4, Kopenhagen 1944–1968 (unveränderter Nachdruck 1968) und 1 Registerband, Kopenhagen 1970. Johannes Brøndum-Nielsen: Gammeldansk Grammatik i sproghistorisk Fremstilling. Bände I–VIII Kopenhagen 1928–1973; Bände I–II 2., überarbeitete Auflage 1950/57. Lehrbücher Marlene Hastenplug: Langenscheidts Praktischer Sprachlehrgang Dänisch. Langenscheidt Verlag, München/Berlin 2009. ISBN 978-3-468-80361-1. Vi snakkes ved. Dänischlehrwerk für Erwachsene. Hueber, Ismaning 2007. Grammatiken Robin Allan, Philip Holmes, Tom Lundskær-Nielsen: Danish. A Comprehensive Grammar. London / New York 1995, ISBN 0-415-08206-4. Åge Hansen: Moderne Dansk. Bde. 1–3 Kopenhagen 1967. Basisgrammatiken: Christian Becker-Christensen, Peter Widell: Politikens Nudansk Grammatik. Gyldendal, Kopenhagen 4. Aufl. 2003, ISBN 87-567-7152-5. (Wichtige Abschnitte wie Wortstellung fehlen.) Barbara Fischer-Hansen, Ann Kledal: Grammatikken. Håndbog i dansk grammatik for udlændinge. Special-pædagogisk forlag, Kopenhagen 1998. Syntax: Kristian Mikkelsen: Dansk Ordföjningslære. Kopenhagen 1911 (Nachdruck Kopenhagen 1975). Wörterbücher Dänisch–Dänisch Det Danske Sprog- og Litteraturselskab (Hrsg.): Ordbog over det danske Sprog. Bd. 1–28. Gyldendal, Kopenhagen 1918–1956, Supplementbind 1–5. Gyldendal, Kopenhagen 1992–2005, ISBN 87-00-23301-3. Etwa 200.000 Stichwörter mit Stellennachweisen. Der Wortschatz umfasst die Zeit von 1700 bis 1950. Im Internet unter http://www.ordnet.dk/ods oder http://www.dsl.dk/ verfügbar. Det Danske Sprog- og Litteraturselskab (Hrsg.): Den Danske Ordbog. 6 Bände, Gyldendal, Kopenhagen 2003–2005, ISBN 87-02-02401-2. Versteht sich als Fortsetzung des vorgenannten ODS. Im Internet unter http://ordnet.dk/ddo verfügbar. Christian Becker-Christensen u. a.: Politikens nudansk ordbog. Politikens Forlag, Kopenhagen, 19. Aufl. 2005, (ca. 60.000 Stichwörter mit CD-ROM für Windows 2000 und Windows XP), ISBN 87-567-6504-5. Gilt als Standardwerk. Christian Becker-Christensen u. a.: Politikens nudansk ordbog med etymologi. Politikens Forlag, Kopenhagen 3. Aufl. 2005, 2 Bd. (ca. 60.000 Stichwörter mit Etymologie; Rechtschreibregeln (Dansk Sprognævn). CD-ROM für Windows 2000 und XP, ISBN 87-567-6505-3. Im Wortschatz identisch mit Politikens nudansk ordbog). Politikens Retskrivningsordbog + CD-ROM. Politikens Forlag, Kopenhagen 1. Aufl. 2001, ISBN 978-87-567-6455-1. (Rechtschreibwörterbuch, 80.000 Stichwörter + CD-ROM für Windows 98/2000, ME, NT). Offizielles Rechtschreibwörterbuch, das von „Dansk Sprognævn“ festgesetzt wird („Der dänische Duden“). Dansk Sprognævn (Hrsg.): Retskrivningsordbogen. Alinea Aschehoug, Kopenhagen 3. Aufl. 2006 + CD-ROM. ISBN 87-23-01047-9. Das offizielle Buch der dänischen Rechtschreibung („Der dänische Duden“), weitgehend identisch mit den im Politiken-, Gad- und Gyldendal-Verlag erschienenen Rechtschreibbüchern. Etwa 85.000 Stichwörter. Internetversion unter http://www.dsn.dk/. Dänisch–Deutsch Henrik Bergstrøm-Nielsen u. a.: Dansk-tysk ordbog. Munksgaard, Kopenhagen, 2. Aufl. 1996, ISBN 87-16-10845-0. Zurzeit größtes und umfassendstes Dänisch-Deutsches Wörterbuch mit ca. 100.000 Stichwörtern. Wie in der dänisch-deutschen Lexikographie üblich werden die dänischen Stichwörter ohne Genus, Konjugation oder Deklination angegeben. Keine Ausspracheangaben. Jens Erik Mogensen u. a.: Dansk-Tysk Ordbog. Gyldendal, Kopenhagen, 11. Aufl. 1999, ISBN 87-00-31758-6. Etwa 73.000 Stichwörter. (Siehe Bemerkung zu vorhergehendem Werk). Deutsch–Dänisch Bergstrøm-Nielsen u. a.: Tysk-Dansk Ordbog – Stor. Gyldendal, Kopenhagen 2005, ISBN 87-00-40058-0. Zurzeit mit ca. 153.000 Stichwörtern umfangreichstes Deutsch-Dänisches Wörterbuch, das das geplante, aber nie erschienene Wörterbuch Tysk-Dansk desselben Verfassers (Munksgaard, s. o.) ersetzt. Dänisch–Deutsch/Deutsch–Dänisch Langenscheidt-Redaktion (Hrsg.): Taschenwörterbuch Dänisch. Dänisch-Deutsch. Deutsch-Dänisch. Langenscheidt, Berlin 2007, ISBN 978-3-468-11103-7. Jeweils etwa 40.000 Stichwörter mit grammatikalischen Angaben. Ausspracheangaben. Sehr gutes Hilfsmittel für Anfänger und Fortgeschrittene. Dansk-Tysk / Tysk-Dansk Ordbog, CD-ROM. Ab Windows 98 und Microsoft Word 95. Gyldendal, Kopenhagen 2003, ISBN 87-02-01495-5. Spezialwörterbücher Niels Åge Nielsen: Dansk Etymologisk Ordbog. Ordenes Historie. Gyldendal, Kopenhagen 5. Aufl. 2004, ISBN 87-02-03554-5. 13.000 Stichwörter. Ole Lauridsen u. a.: Dansk-Tysk Erhvervsordbog. Gyldendal, Kopenhagen 2. Aufl. 2005, ISBN 87-02-03718-1. 8300 Stichwörter. Wilhelm Gubba: Dansk-Tysk Juridisk Ordbog. Gyldendal, Kopenhagen 4. Aufl. 2005, ISBN 87-02-03986-9. Aage Hansen u. a. (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab Hrsg.): Holberg-ordbog. Ordbog over Ludvig Holbergs sprog. 5 Bände, Reitzel, Kopenhagen 1981–1988, ISBN 87-7421-278-8. (Das Spezialwörterbuch über die Sprache Ludvig Holbergs sowie über das Dänische des 18. Jahrhunderts.) Aussprachewörterbücher Lars Brink, Jørn Lund u. a.: Den Store Danske Udtaleordbog. Munksgaard, Kopenhagen 1991, ISBN 87-16-06649-9. Ca. 45.000 Stichwörter. Nur noch antiquarisch erhältlich. Führendes wissenschaftliches Werk. Peter Molbæk Hansen: Udtaleordbog. Dansk udtale. Gyldendal, Kopenhagen 1990, ISBN 87-00-77942-3. Ca. 41.000 Stichwörter. Weblinks Wörterbücher Den Danske Ordbog Wörterbuch der dänischen Sprache nach 1950 Retskrivningsordbogen Dänische Rechtschreibung sproget.dk Metasuche über Retskrivningsordbogen, Den Danske Ordbog und Ordbog over det danske Sprog sowie weitere Definitionen Den Danske Online Ordbog Sprachhistorische Wörterbücher Ordbog over det Danske Sprog Wörterbuch der dänischen Sprache 1700–1950 Renæssancens sprog i Danmark Die dänische Sprache der Renaissance Korpora KorpusDK Leipziger Korpus Dänisch corpuseye Links zum Dänischlernen Podcast-Feed der wöchentlichen Sendung Sproghjørnet über die dänische Sprache Fächerportal Dänisch des Institut für Qualitätssicherung an Schulen Schleswig-Holstein Deutsch-Dänischer Lehrerverein/Dansk-Tysk Lærerforening GrammarExplorer Dänisch (deutsch und englisch) dansk.nu danskopgaver.dk Dänisch als Fremdsprache – Linksammlung Einzelnachweise Amtssprache der Europäischen Union Einzelsprache
1107
https://de.wikipedia.org/wiki/Dinkel
Dinkel
Dinkel (Triticum aestivum subsp. spelta) oder Spelz (auch: Spelt, Fesen, Vesen oder Schwabenkorn), auch Dinkel-Weizen genannt, ist eine Getreideart aus der Gattung des Weizens und ein enger Verwandter des heutigen Weichweizens. Es gibt viele Mischformen und Übergänge zwischen modernem Weizen und Dinkel, weil beide in manchen Regionen gemeinsam angebaut und auch miteinander gekreuzt wurden. In der frühen Neuzeit war Dinkel das wichtigste Brotgetreide Mitteleuropas. Beschreibung Vegetative Merkmale Der Dinkel ist eine einjährige Pflanze, die 60 bis 120 Zentimeter hoch wird. Seine Halme sind dünnwandig und hohl mit kahlen Knoten. Die Blattspreiten sind graugrün und 12 bis 18 Millimeter breit. Generative Merkmale Blütezeit ist Juni bis Juli. An der Spitze der Halme stehen Ähren, die ohne ihre Grannen 10 bis 15 Zentimeter lang sind. Die Ähre ist sehr locker, schlank und seitlich zusammengedrückt. Die Ährenspindel ist gegliedert und zerfällt zur Reifezeit so, dass jeweils das Spindelglied oberhalb der Abbruchstelle mit dem Ährchen verbunden bleibt. Die Ährchen sind (3-) 4- bis 5-blütig; ihre zwei bis 3 untersten Blüten sind unfruchtbar. Die Hüllspelzen sind 6 bis 10 Millimeter lang und haben einen in der ganzen Länge stark hervortretenden Kiel. Sie laufen in einen kurzen Zahn aus und haben daneben beiderseits einen weiteren sehr kurzen und dicken Zahn. Die Deckspelzen sind 9-nervig und enden in einem kurzen Zahn oder mit einer bis 10 Zentimeter langen, starren Granne. Die Frucht ist 6 bis 8 Millimeter lang, eiförmig bis breit länglich und zur Reifezeit von der Deckspelze und der Vorspelze fest eingeschlossen. Genetik Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 42. Dinkel ist – wie auch der Weichweizen (Triticum aestivum) – mit einem hexaploiden (sechsfachen) Chromosomensatz ausgestattet. Wildformen von Dinkel und Weichweizen sind nicht bekannt, weshalb man annimmt, dass er durch Mutation aus älteren Weizenarten wie dem Hartweizen (Triticum durum) mit vierfachem Chromosomensatz, dem Emmer (Triticum dicoccum) oder dem Einkorn (Triticum monococcum), einer steinzeitlichen Form, entstanden ist. Taxonomie Der Dinkel wurde 1753 von Carl von Linné in Species Plantarum. Tomus 1, S. 86 als Triticum spelta erstbeschrieben. Die Art wurde 1918 von Albert Thellung in Naturwissenschaftliche Wochenschrift, ser.2, Band 17, S. 471 als Triticum aestivum subsp. spelta als Unterart zu Triticum aestivum gestellt. Synonyme sind Triticum sativum subsp. spelta , Triticum aestivum var. spelta , Triticum vulgare subsp. spelta . Geschichte Die ältesten Funde von Dinkel stammen aus Westarmenien und den Tälern des Ararat-Gebirges (6. bis 5. Jahrtausend v. Chr.). Weitere Funde stammen aus Bulgarien (3700 v. Chr.), Rumänien (Hărman, Körös-Kultur), Polen und Südschweden (2500 bis 1700 v. Chr.) sowie Dänemark (1900 bis 1600 v. Chr.) In der Jungsteinzeit wurde Dinkel in Mittel- und Nordeuropa (vor allem im Alpenraum) angebaut, was archäologische Funde beweisen. Ab 1700 v. Chr. kam er in der heutigen Deutschschweiz vor. Im 18. Jahrhundert war Dinkel ein wichtiges Handelsgetreide. Das Wort Dinkel erscheint in den Ortsnamen Dinkelsbühl und Dinkelscherben sowie deren Wappen (jeweils drei Ähren). Daran kann abgelesen werden, wie hoch dieses Getreide geschätzt wurde. Die Tradition, dass ein Teil des Dinkels schon vor der Reife, also noch grün geerntet wird, stammt aus dem Bedarf an nährstoffreichen Grundnahrungsmitteln für die Feldarbeit im Sommer. Das unreife Getreide, Grünkern genannt, ist nicht lagerfähig, weshalb es gedarrt, d. h. getrocknet wird. Grünkern ist nicht backbar, es kann zu Suppen oder Grünkernküchle verarbeitet werden. Im 20. Jahrhundert verringerte sich der Anbau wegen der gegenüber anderen Getreidearten schlechteren Ernteerträge. Außerdem ist das Spelzgetreide schlecht zu verarbeiten und backtechnisch kompliziert. In neuerer Zeit erlebt dieses Getreide wieder eine gewisse Renaissance, insbesondere im Biobereich. Gerade bei Baby- und Kindernahrung bildet Dinkel mittlerweile eine beliebte Alternative zu anderen Weizenarten. Dinkel ist außerdem fester Bestandteil der Hildegard-Medizin, die sich auf die mittelalterliche Mystikerin Hildegard von Bingen beruft. Vorkommen In Südwestdeutschland sowie stellenweise in der deutschsprachigen Schweiz war der Dinkel seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Hauptgetreide. Württemberg war als der Mittelpunkt des ganzen deutschen Anbaus zu bezeichnen. Östlich reichte der Anbau bis an den Lech. Dinkel wurde auch in Westdeutschland bis zum Hunsrück und der Eifel angebaut, außerdem im Luxemburg und Belgien sowie in Vorarlberg, Kärnten und Oberösterreich. Die ökologischen Zeigerwerte nach Landolt u. a. 2010 sind in der Schweiz: Feuchtezahl F = 2 (mäßig trocken), Lichtzahl L = 4 (hell), Reaktionszahl R = 3 (schwach sauer bis neutral), Temperaturzahl T = 4 (kollin), Nährstoffzahl N = 3 (mäßig nährstoffarm bis mäßig nährstoffreich), Kontinentalitätszahl K = 4 (subkontinental). Anbau Dinkel wird in jüngerer Zeit wieder verstärkt angebaut. Die Anbaufläche in Deutschland wurde auf über 50.000 ha ausgeweitet. Die Anbaufläche in der Schweiz (5000 ha) wuchs zwischen 2014 und 2017 um 41 %. Typische Anbaugebiete sind Baden-Württemberg (Sorten: Bauländer Spelz, Schwabenkorn), die Schweiz (Sorten: Oberkulmer Rotkorn, Ostro), Belgien (Spelt, Rouquin), Finnland (Speltti) und Asturien, Nordspanien (Escanda). Auch im Mittelburgenland zählt Dinkel zu den früher stark vertretenen Getreidesorten. Wegen der aufwendigen Kultivierung ging zwar der Anbau zurück, ist aber seit den 1980er Jahren wieder verstärkt vertreten. Aus diesem Grund wurde die Kultivierung als Mittelburgenland Dinkel in das österreichische Register der Traditionellen Lebensmittel aufgenommen sowie die Gegend in die Genuss Region Österreich aufgenommen. Die Sorte Franckenkorn wurde von Peter Franck gezüchtet, der Name hat mit der Region Franken nichts zu tun. Im Moment werden nur Winterdinkelsorten angebaut. Es gibt in Deutschland keine zugelassene Sommerdinkelsorte. Das wichtigste Züchtungsziel ist momentan die Standfestigkeit der Ähren. Daher haben die kurzen Dinkelsorten (Franckenkorn und Zollernspelz) Vorteile gegenüber den langen Dinkelsorten (Oberkulmer Rotkorn und Bauländer Spelz). Dinkel verträgt nicht so viel Stickstoff in der Düngung wie Weizen. Im Ertrag bleibt der Dinkel zwar hinter dem Weizen zurück, er verträgt jedoch ein raueres Klima als dieser. Seine früher behauptete bessere Resistenz gegen Krankheiten als beim Weichweizen trifft auf die heutigen Sorten nicht mehr zu. Der größte Teil der Dinkelsorten ist anfällig bis hochgradig anfällig für Echten Mehltau (Blumeria graminis) und Braunrost (Puccinia triticina). Mutterkorn stellt hingegen eine geringere Gefahr dar. Drei Dinkelsorten sind von wirtschaftlicher Bedeutung (nach Frank 2006): Oberkulmer Rotkorn – eine Auslese einer alten Schweizer Landsorte Schwabenkorn – eine Rückzüchtung der Universität Hohenheim auf die Sorte Roter Tiroler Franckenkorn – je nach Quelle eine Kreuzung aus ((EL 3.8 x Altgold) x Altgold) x Rouquin eine Rückkreuzung aus alten Sorten mit Weizenanteil Bei den Sorten Oberkulmer Rotkorn und Schwabenkorn handelt es sich um typisch „reine“ Dinkelsorten. Dagegen konnte beim Franckenkorn die Weizeneinkreuzung durch Nachweis der für Weizen typischen ω-Gliadine gezeigt werden. Andere Quellen postulieren dennoch auch beim Franckenkorn eine typische „reine“ Dinkelsorte. UrDinkel ist eine in der Schweiz gebräuchliche Marke für Dinkel aus vorgegebenem Anbau. Sie garantiert die ausschliessliche Verwendung von alten Schweizer Dinkelsorten, die nicht mit modernem Weizen gekreuzt wurden. In den Ardennen gab es ein Gras, das ausschließlich als Unkraut in Dinkelfeldern wuchs, die Ardennen-Trespe (Bromus bromoideus , Syn.: Bromus arduennensis ); dies ist ein Zeichen uralten Anbaus. Heute ist diese Art überall ausgestorben. Verarbeitung Die Frucht des Dinkels wird auch Grünkern genannt. Anders als beim Weizen und wie auch bei der Gerste ist das Korn des Dinkels fest mit den Spelzen verwachsen. Dadurch ist es zwar besser geschützt, die Verarbeitung erfordert aber einen zusätzlichen Verarbeitungsschritt – es wurde früher auf einem „Gerbgang“ entspelzt (gegerbt oder geröllt). Dies ist ein Mahlgang („Unterläuferschälgang“), bei dem der Abstand zwischen den Mahlsteinen größer gewählt wurde, damit das Korn von den Spelzen befreit, aber nicht schon zerkleinert wurde. In modernen Getreidemühlen wird Dinkel mit Hilfe von Gummiwalzenschälern oder Vertikalschleifern entspelzt. Dinkel spielt im Bereich der Nutztierfütterung lediglich bei der Pferdezucht eine gewisse Rolle, dort erlebt er seit einigen Jahren eine Renaissance. Man verwendet dabei entweder den vollständigen Dinkel (also inklusive Spelz) oder nur dessen Spelz. Als „Dinkelreis“ werden entspelzte und geschliffene Dinkelkörner bezeichnet. Durch diese spezielle Vorbehandlung erhält das Korn reisähnliche Eigenschaften und kann auch in gleicher Weise weiterverarbeitet werden. Dinkelmehl Typische Produkte aus Dinkelmehl sind Dinkelnudeln und Dinkelbrote wie Schwäbische Seelen und Knauzenwecken. Backtechnische Eigenschaften Dinkel hat zwar einen relativ hohen Proteingehalt, Teige aus Dinkelmehl sind im Vergleich zu Weizenteig jedoch schwieriger zu handhaben. Die backtechnischen Eigenschaften von Dinkel- und Weizenteigen werden vor allem durch die Proteine Gliadin und Glutenin bestimmt. Dinkel enthält im Verhältnis mehr Gliadin, das den Teig geschmeidig macht, jedoch weniger Glutenin, das für ein stabiles Klebergerüst im Teig sorgt. Der Kleberanteil beim Dinkel ist am höchsten im Vergleich zu Weizen, Gerste, Roggen und Hafer. Außerdem weist Dinkelteig meist einen höheren Wassergehalt auf (29,2 bis 31,7 %) als Weizenteig (etwa 23,4 %). Daher sind Dinkelteige geschmeidig und gut dehnbar, aber weniger formstabil und dazu reißempfindlich, weshalb die Gefahr einer Überknetung besteht. Das Gluteningerüst kann durch Zugabe geringer Mengen (etwa 0,008 %) Ascorbinsäure stabilisiert werden, welche durch eine Reihe chemischer Reaktionen die Bildung von dreidimensional vernetzenden Disulfidbrücken begünstigt. Im Biobereich kann ersatzweise 0,1 % Acerolakirschpulver verwendet werden, das als wirksamen Bestandteil ebenfalls Ascorbinsäure enthält. Dinkelkaffee Gerösteter Dinkel wird auch zur Herstellung von Dinkelkaffee verwendet, ähnlich wie andere Getreidesorten beim Malzkaffee. Dinkelbier Weitere Verwendungen Weitere Verarbeitungsformen sind unter anderem Dinkelkleie, Dinkelflocken und gepuffter Dinkel. Ernährungsphysiologische Eigenschaften Dinkel werden mitunter besondere gesundheitliche Vorteile im Vergleich zu allen anderen Getreidesorten zugeschrieben. Dabei wird oft auf die Beschreibungen der Hildegard von Bingen in ihrem Buch Physica verwiesen. Allerdings gibt es bis heute keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über eine bessere Verträglichkeit des Dinkels. So zeigten sich auch bei Menschen, die angaben, Dinkel besser zu vertragen als Weizen, unter kontrollierten Bedingungen keine Unterschiede zwischen den beiden Getreidesorten. Zudem kann Dinkel (wie anderer handelsüblicher Weizen) Allergien auslösen. Es gibt keine aussagekräftigen klinischen Daten darüber, wonach Dinkel weniger allergen sei als Weizen, zumal es sich um eine Weizenart handelt. Das BfR empfiehlt daher aus Transparenzgründen eine Pflicht-Allergenkennzeichnung bei Dinkel. Die weit verbreitete Behauptung, dass Dinkel kein ω-5-Gliadin enthält und daher für Menschen mit Weizenunverträglichkeit geeignet ist, entspricht ebenso nicht den Tatsachen. Dinkel wird auch bei Zöliakie nicht vertragen, da er nicht glutenfrei ist. Inhaltsstoffe Sofern auch gewisse Unterschiede zwischen Dinkel und Weizen hinsichtlich des Gehaltes an Fett und Fettsäuren, Aminosäuren, Vitaminen und Mineralstoffen bestehen, ist fraglich, ob diese Unterschiede über die natürliche Schwankungsbreite hinausgehen und ob diese Unterschiede bei den heute üblichen Verzehrgewohnheiten überhaupt zum Tragen kommen. Jedoch ist der Kieselsäuregehalt des Dinkels deutlich höher als der des Weizens. Zudem bestehen kleinere Unterschiede in der Gluten-Zusammensetzung. Dieser Unterschied kann auch zur analytischen Unterscheidung von Dinkel und Weizen verwendet werden. Zum Nachweis von Mischungen aus Weizen und Dinkel sind jedoch PCR-Techniken oder die Analyse charakteristischer Peptide besser geeignet. Durchschnittliche Zusammensetzung Die Zusammensetzung von Dinkel schwankt naturgemäß sowohl in Abhängigkeit von der Sorte, den Umweltbedingungen wie Boden und Klima als auch von der Anbautechnik je nach Düngung und Pflanzenschutz. Angaben je 100 Gramm essbarem Anteil: *) Differenzberechnung Der physiologische Brennwert beträgt 1420 kJ (338 kcal) je 100 Gramm essbarem Anteil. Zum Vergleich siehe Inhaltsstoffe von Roggen und Weichweizen. Sonstiges In verschiedenen Ortsnamen besonders in Baden und Württemberg tritt der Dinkel auf. So im Fluss Speltach, in Fessenbach, Fessenheim, Dinkelsbühl, Dinkelscherben, Dinkelhausen und Dinkelshausen. Weblinks Einzelnachweise Weizen Getreideart Nutzpflanze
1108
https://de.wikipedia.org/wiki/Desoxyribonukleins%C3%A4ure
Desoxyribonukleinsäure
Desoxyribonukleinsäure (; abgekürzt DNS), meist kurz als DNA (Abkürzung für ) bezeichnet, ist eine aus unterschiedlichen Desoxyribonukleotiden aufgebaute Nukleinsäure. Sie trägt die Erbinformation bei allen Lebewesen und den DNA-Viren. Das langkettige Polynukleotid enthält in Abschnitten von Genen besondere Abfolgen seiner Nukleotide. Diese DNA-Abschnitte dienen als Matrizen für den Aufbau entsprechender Ribonukleinsäuren (RNA), wenn genetische Information von DNA in RNA umgeschrieben wird (siehe Transkription). Die hierbei an der DNA-Vorlage aufgebauten RNA-Stränge erfüllen unterschiedliche Aufgaben; sie sind als rRNA (), als tRNA () und als mRNA () an der Biosynthese von Proteinen beteiligt (siehe Proteinbiosynthese). Im Falle einer messenger- oder Boten-RNA (mRNA) stellt die Abfolge von Nukleinbasen die Bauanleitung für ein Protein dar. Die Grundbausteine von DNA-Strängen sind vier verschiedene Nukleotide, die jeweils aus einem Phosphatrest, dem Zucker Desoxyribose sowie einer von vier Nukleinbasen (Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin; oft mit A, T, G und C abgekürzt) bestehen. Die Abfolge von Basen (Nukleotidsequenz) in bestimmten DNA-Strangabschnitten enthält Information. Umgeschrieben in den Einzelstrang einer mRNA gibt deren Basensequenz bei der Proteinbiosynthese die Abfolge von Aminosäuren (Aminosäuresequenz) im zu bildenden Protein vor. Hierbei wird drei aufeinanderfolgenden Basen – je einem Basentriplett als Codon – jeweils eine bestimmte Aminosäure zugeordnet und diese mit der vorigen verknüpft, sodass ein Polypeptid entsteht. So werden an einem Ribosom mithilfe von tRNA entsprechend dem genetischen Code Bereiche der Basensequenz in eine Aminosäurensequenz übersetzt (siehe Translation). Das Genom einer Zelle liegt zumeist als DNA-Doppelstrang vor, bei dem die beiden basenpaarend einander komplementären Stränge räumlich die Form einer Doppelhelix bilden (siehe Abbildung). Bei der Replikation werden sie entwunden und getrennt jeweils durch Basenpaarung wieder komplementär ergänzt, sodass anschließend zwei (nahezu) identische doppelsträngige DNA-Moleküle vorliegen. Fehler beim Replikationsvorgang sind eine Quelle von Mutationen, die nach Kernteilung und Zellteilung in entstandenen Zellen als Veränderung genetischer Information vorliegen und weitergegeben werden können. In den Zellen von Eukaryoten, zu denen Pflanzen, Tiere und Pilze gehören, ist der Großteil der DNA im Zellkern (, daher nukleäre DNA oder nDNA) als Chromosomen organisiert. Ein kleiner Teil befindet sich in den Mitochondrien und wird dementsprechend mitochondriale DNA (mtDNA) genannt. Pflanzen und Algen haben außerdem DNA in Photosynthese betreibenden Organellen, den Chloroplasten bzw. Plastiden (cpDNA). Bei Bakterien und Archaeen – den Prokaryoten, die keinen Zellkern besitzen – liegt die DNA im Cytoplasma meist zirkulär vor (siehe Bakterienchromosom). Manche Viren speichern ihre genetische Information in RNA statt in DNA (siehe RNA-Virus). Bezeichnung Die Bezeichnung Desoxyribonukleinsäure ist ein Wort, das sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt: des (von des-), oxy (von den ersten beiden Silben von Oxygenium für Sauerstoff), ribo (von den ersten beiden Silben von Ribose) – somit Desoxyribo (für Desoxyribose) – und nukleinsäure (von Nuklein und Säure). Im deutschen Sprachgebrauch wird die Desoxyribonukleinsäure inzwischen überwiegend mit der englischen Abkürzung für deoxyribonucleic acid als DNA bezeichnet, während die Abkürzung DNS nach dem Duden als „veraltend“ gilt. Entdeckungsgeschichte 1869 entdeckte der Schweizer Arzt Friedrich Miescher in einem Extrakt aus Eiter eine durch milde Säurebehandlung aus den Zellkernen der Leukozyten gewonnene Substanz, die er Nuklein nannte. Miescher arbeitete damals im Labor von Felix Hoppe-Seyler im Tübinger Schloss. 1892 (bzw. 1897 posthum, nachdem der zu Grunde liegende Brief veröffentlicht wurde) führte der „späte“ Miescher auf Basis seiner biochemischen Erkenntnisse hinsichtlich der Komplexität von Nukleinen und Proteinen als erster den Schrift- oder Code-Vergleich für den noch zu entdeckenden Träger der Erbinformation als Forschungshypothese in die Genetik ein. 1889 isoliert der Deutsche Richard Altmann aus dem Nuklein Proteine und die Nukleinsäure. Weitere Erkenntnisse zur Nukleinsäure gehen auf die Arbeiten von Albrecht Kossel (siehe „Die Entdeckung der Nukleinbasen“) zurück, für die er 1910 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet wurde. Im Jahr 1885 teilte er mit, dass aus einer größeren Menge Rinder-Bauchspeicheldrüse eine stickstoffreiche Base mit der Summenformel C5H5N5 isoliert wurde, für die er, abgeleitet von dem griechischen Wort „aden“ für Drüse, den Namen Adenin vorschlug. 1891 konnte Kossel (nach Altmanns Verfahren) Hefe-Nukleinsäure herstellen und Adenin und Guanin als Spaltprodukte nachweisen. Es stellte sich heraus, dass auch ein Kohlenhydrat Bestandteil der Nukleinsäure sein musste. Kossel wählte für die basischen Substanzen Guanin und Adenin sowie seine Derivate den Namen Nucleinbasen. 1893 berichtete Kossel, dass er aus den Thymusdrüsen des Kalbes Nukleinsäure gewonnen und ein gut kristallisiertes Spaltprodukt erhalten hatte, für das er den Namen Thymin vorschlug. 1894 isolierte er aus den Thymusdrüsen eine weitere (basische) Substanz. Kossel gab ihr den Namen Cytosin. Nachdem am Ende des 19. Jahrhunderts – im Wesentlichen durch die Synthesen Emil Fischers – die Strukturformeln des Guanins und Adenins als Purinkörper und des Thymins als Pyrimidinkörper endgültig aufgeklärt worden waren, konnte Kossel mit Hermann Steudel (1871–1967) auch die Strukturformel der Nukleinbase Cytosin als Pyrimidinkörper zweifelsfrei ermitteln. Es hatte sich inzwischen erwiesen, dass Guanin, Adenin sowie Thymin und Cytosin in allen entwicklungsfähigen Zellen zu finden sind. Die Erkenntnisse über diese vier Nukleinbasen sollten für die spätere Strukturaufklärung der DNA von wesentlicher Bedeutung sein. Es war Albrecht Kossel, der sie – zusammen mit einem Kohlenhydrat und der Phosphorsäure – eindeutig als Bausteine der Nukleinsäure charakterisierte: „Es gelang mir, eine Reihe von Bruchstücken zu erhalten … welche durch eine ganz eigentümliche Ansammlung von Stickstoffatomen gekennzeichnet sind. Es sind hier nebeneinander … das Cytosin, das Thymin, das Adenin und das Guanin.“ (Nobelvortrag am 12. Dezember 1910). Der aus Litauen stammende Biochemiker Phoebus Levene schlug eine kettenartige Struktur der Nukleinsäure vor, in welcher die Nukleotide durch die Phosphatreste zusammengefügt sind und sich wiederholen. 1929 konnte er in Zusammenarbeit mit dem russischen Physiologen Efim London (1869–1932) den Zuckeranteil der „tierische Nukleinsäure“ als Desoxyribose identifizieren (J. Biol. Chem.1929, 83. Seiten 793-802). [5a] Erst nachfolgend wurde sie als Desoxyribonukleinsäure bezeichnet. Es wurde erkannt, dass sie auch in pflanzlichen Zellkernen vorkommt. Als wirksamer Bestandteil der Chromosomen bzw. des Kernchromatins wurde die DNA bereits 1932 von K. Voit und Hartwig Kuhlenbeck angesehen. 1937 publizierte William Astbury erstmals Röntgenbeugungsmuster, die auf eine repetitive Struktur der DNA hinwiesen. 1943 wies Oswald Avery nach, dass die Transformation von Bakterien, das heißt die Weitergabe erblicher Information von einem Bakterien-Stamm auf einen anderen (heute horizontaler Gentransfer genannt), auf der Übertragung von DNA beruht. Dies widersprach der damals noch allgemein favorisierten Annahme, dass nicht die DNA, sondern Proteine die Träger der Erbinformation seien. Unterstützung in seiner Interpretation erhielt Avery 1952, als Alfred Day Hershey und Martha Chase nachwiesen, dass DNA die Erbinformation des T2-Phagen enthält. Den strukturellen Aufbau der DNA zu entschlüsseln und im Modell nachzubilden gelang dem US-Amerikaner James Watson und dem Briten Francis Crick am 28. Februar 1953. Ihre Entdeckung publizierten sie in der April-Ausgabe 1953 des Magazins Nature in ihrem berühmten Artikel Molecular Structure of Nucleic Acids: A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid. Watson kam 1951 nach England, nachdem er ein Jahr zuvor an der Indiana University Bloomington in den USA promoviert hatte. Er hatte zwar ein Stipendium für Molekularbiologie bekommen, beschäftigte sich aber vermehrt mit der Frage des menschlichen Erbguts. Crick widmete sich in Cambridge gerade erfolglos seiner Promotion über die Kristallstruktur des Hämoglobinmoleküls, als er 1951 Watson traf. Zu dieser Zeit war bereits ein erbitterter Wettlauf um die Struktur der DNA entbrannt, an dem sich neben anderen auch Linus Pauling am California Institute of Technology (Caltech) beteiligte. Watson und Crick waren eigentlich anderen Projekten zugeteilt worden und besaßen kein bedeutendes Fachwissen in Chemie. Sie bauten ihre Überlegungen auf den Forschungsergebnissen der anderen Wissenschaftler auf. Watson sagte, er wolle das Erbgut entschlüsseln, ohne Chemie lernen zu müssen. In einem Gespräch mit dem renommierten Chemiker und Ersteller der Chargaff-Regeln, Erwin Chargaff, vergaß Crick wichtige Molekülstrukturen, und Watson machte im selben Gespräch unpassende Anmerkungen, die seine Unkenntnis auf dem Gebiet der Chemie verrieten. Chargaff nannte die jungen Kollegen im Anschluss „wissenschaftliche Clowns“. Watson besuchte Ende 1952 am King’s College in London Maurice Wilkins, der ihm DNA-Röntgenaufnahmen von Rosalind Franklin zeigte. Das geschah ohne Wissen und gegen den Willen von R. Franklin. Watson sah sofort, dass es sich bei dem Molekül um eine Doppel-Helix handeln musste; Franklin hatte dies natürlich ebenfalls erkannt und eine mathematische Analyse der Beugungsdaten durchgeführt. Auch der Bericht mit den Berechnungsergebnissen von Franklins Analyse wurde heimlich an Watson und Crick weitergegeben. Damit gelang es Watson und Crick in kürzester Zeit, die Molekularstruktur am Cavendish-Laboratorium der Universität von Cambridge korrekt herzuleiten. Ihr Doppelhelix-Modell der DNA mit den Basenpaaren in der Mitte wurde am 25. April 1953 in der Zeitschrift Nature publiziert. Diese denkwürdige Veröffentlichung enthält gegen Ende den Satz „It has not escaped our notice that the specific pairing we have postulated immediately suggests a possible copying mechanism for the genetic material“. („Es ist unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass die spezifische Paarung, die wir als gegeben voraussetzen, unmittelbar auf einen möglichen Vervielfältigungsmechanismus für das genetische Material schließen lässt.“) „Für ihre Entdeckungen über die Molekularstruktur der Nukleinsäuren und ihre Bedeutung für die Informationsübertragung in lebender Substanz“ erhielten Watson und Crick zusammen mit Maurice Wilkins 1962 den Nobelpreis für Medizin. Rosalind Franklin, deren Röntgenbeugungsdiagramme wesentlich zur Entschlüsselung der DNA-Struktur beigetragen hatten, war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben und konnte daher nicht mehr nominiert werden. Ihr Anteil an der Entdeckung wurde vom Nobelkomitee nicht erwähnt. Für weitere geschichtliche Informationen zur Entschlüsselung der Vererbungsvorgänge siehe „Forschungsgeschichte des Zellkerns“ sowie „Forschungsgeschichte der Chromosomen“ und „Chromosomentheorie der Vererbung“. Aufbau und Organisation Bausteine Die Desoxyribonukleinsäure ist ein langes Kettenmolekül (Polymer) aus vielen Bausteinen, die man Desoxyribonukleotide oder kurz Nukleotide nennt. Jedes Nukleotid hat drei Bestandteile: Phosphorsäure bzw. Phosphat, den Zucker Desoxyribose sowie eine heterozyklische Nukleobase oder kurz Base. Die Desoxyribose- und Phosphorsäure-Untereinheiten sind bei jedem Nukleotid gleich. Sie bilden das Rückgrat des Moleküls. Einheiten aus Base und Zucker (ohne Phosphat) werden als Nukleoside bezeichnet. Die Phosphatreste sind aufgrund ihrer negativen Ladung hydrophil, sie geben DNA in wässriger Lösung insgesamt eine negative Ladung. Da diese negativ geladene, in Wasser gelöste DNA keine weiteren Protonen abgeben kann, handelt es sich streng genommen nicht (mehr) um eine Säure. Der Begriff Desoxyribonukleinsäure bezieht sich auf einen ungeladenen Zustand, in dem Protonen an die Phosphatreste angelagert sind. Bei der Base kann es sich um ein Purin, nämlich Adenin (A) oder Guanin (G), oder um ein Pyrimidin, nämlich Thymin (T) oder Cytosin (C), handeln. Da sich die vier verschiedenen Nukleotide nur durch ihre Base unterscheiden, werden die Abkürzungen A, G, T und C auch für die entsprechenden Nukleotide verwendet. Die fünf Kohlenstoffatome einer Desoxyribose sind von 1' (sprich Eins Strich) bis 5' nummeriert. Am 1'-Ende dieses Zuckers ist die Base gebunden. Am 5'-Ende hängt der Phosphatrest. Genau genommen handelt es sich bei der Desoxyribose um die 2-Desoxyribose; der Name kommt daher, dass im Vergleich zu einem Ribose-Molekül eine alkoholische Hydroxygruppe (OH-Gruppe) an der 2'-Position fehlt (d. h. durch ein Wasserstoffatom ersetzt wurde). An der 3'-Position ist eine OH-Gruppe vorhanden, welche die Desoxyribose über eine sogenannte Phosphodiester-Bindung mit dem 5'-Kohlenstoffatom des Zuckers des nächsten Nukleotids verknüpft (siehe Abbildung). Dadurch besitzt jeder sogenannte Einzelstrang zwei verschiedene Enden: ein 5'- und ein 3'-Ende. DNA-Polymerasen, die in der belebten Welt die Synthese von DNA-Strängen durchführen, können neue Nukleotide nur an die OH-Gruppe am 3'-Ende anfügen, nicht aber am 5'-Ende. Der Einzelstrang wächst also immer von 5' nach 3' (siehe auch DNA-Replikation weiter unten). Dabei wird ein Nukleosidtriphosphat (mit drei Phosphatresten) als neuer Baustein angeliefert, von dem zwei Phosphate in Form von Pyrophosphat abgespalten werden. Der verbleibende Phosphatrest des jeweils neu hinzukommenden Nukleotids wird mit der OH-Gruppe am 3'-Ende des letzten im Strang vorhandenen Nukleotids unter Wasserabspaltung verbunden. Die Abfolge der Basen im Strang codiert die genetische Information. Die Doppelhelix DNA kommt normalerweise als schraubenförmige Doppelhelix in einer Konformation vor, die B-DNA genannt wird. Zwei der oben beschriebenen Einzelstränge sind dabei aneinandergelagert, und zwar in entgegengesetzter Richtung: An jedem Ende der Doppelhelix hat einer der beiden Einzelstränge sein 3'-Ende, der andere sein 5'-Ende. Durch die Aneinanderlagerung stehen sich in der Mitte der Doppelhelix immer zwei bestimmte Basen gegenüber, sie sind „gepaart“. Die Doppelhelix wird hauptsächlich durch Stapelwechselwirkungen zwischen aufeinanderfolgenden Basen desselben Stranges stabilisiert (und nicht, wie oft behauptet, durch Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Strängen). Es paaren sich immer Adenin und Thymin, die dabei zwei Wasserstoffbrücken ausbilden, oder Cytosin mit Guanin, die über drei Wasserstoffbrücken miteinander verbunden sind. Eine Brückenbildung erfolgt zwischen den Molekülpositionen 1═1 sowie 6═6, bei Guanin-Cytosin-Paarungen zusätzlich zwischen 2═2. Da sich immer die gleichen Basen paaren, lässt sich aus der Sequenz der Basen in einem Strang die des anderen Strangs ableiten, die Sequenzen sind komplementär (siehe auch: Basenpaar). Dabei sind die Wasserstoffbrücken fast ausschließlich für die Spezifität der Paarung verantwortlich, nicht aber für die Stabilität der Doppelhelix. Da stets ein Purin mit einem Pyrimidin kombiniert wird, ist der Abstand zwischen den Strängen überall gleich, es entsteht eine regelmäßige Struktur. Die ganze Helix hat einen Durchmesser von ungefähr 2 nm und windet sich mit jedem Zuckermolekül um 0,34 nm weiter. Die Ebenen der Zuckermoleküle stehen in einem Winkel von 36° zueinander, und eine vollständige Drehung wird folglich nach 10 Basen (360°) und 3,4 nm erreicht. DNA-Moleküle können sehr groß werden. Beispielsweise enthält das größte menschliche Chromosom 247 Millionen Basenpaare. Beim Umeinanderwinden der beiden Einzelstränge verbleiben seitliche Lücken, sodass hier die Basen direkt an der Oberfläche liegen. Von diesen Furchen gibt es zwei, die sich um die Doppelhelix herumwinden (siehe Abbildungen und Animation am Artikelanfang). Die „große Furche“ ist 2,2 nm breit, die „kleine Furche“ nur 1,2 nm. Entsprechend sind die Basen in der großen Furche besser zugänglich. Proteine, die sequenzspezifisch an die DNA binden, wie zum Beispiel Transkriptionsfaktoren, binden daher meist an der großen Furche. Auch manche DNA-Farbstoffe, wie zum Beispiel DAPI, lagern sich an einer Furche an. Die kumulierte Bindungsenergie zwischen den beiden Einzelsträngen hält diese zusammen. Kovalente Bindungen sind hier nicht vorhanden, die DNA-Doppelhelix besteht also nicht aus einem Molekül, sondern aus zweien. Dadurch können die beiden Stränge in biologischen Prozessen zeitweise getrennt werden. Neben der eben beschriebenen B-DNA existieren auch A-DNA sowie eine 1979 von Alexander Rich und seinen Kollegen am MIT erstmals auch untersuchte, linkshändige, sogenannte Z-DNA. Diese tritt besonders in G-C-reichen Abschnitten auf. Erst 2005 wurde über eine Kristallstruktur berichtet, welche Z-DNA direkt in einer Verbindung mit B-DNA zeigt und so Hinweise auf eine biologische Aktivität von Z-DNA liefert. Die folgende Tabelle und die daneben stehende Abbildung zeigen die Unterschiede der drei Formen im direkten Vergleich. Die Stapel der Basenpaare () liegen nicht wie Bücher exakt parallel aufeinander, sondern bilden Keile, die die Helix in die eine oder andere Richtung neigen. Den größten Keil bilden Adenosine, die mit Thymidinen des anderen Stranges gepaart sind. Folglich bildet eine Serie von AT-Paaren einen Bogen in der Helix. Wenn solche Serien in kurzen Abständen aufeinander folgen, nimmt das DNA-Molekül eine gebogene bzw. eine gekrümmte Struktur an, welche stabil ist. Dies wird auch Sequenz-induzierte Beugung genannt, da die Beugung auch von Proteinen hervorgerufen werden kann (die sogenannte Protein-induzierte Beugung). Sequenzinduzierte Beugung findet man häufig an wichtigen Stellen im Genom. Chromatin und Chromosomen Organisiert ist die DNA in der eukaryotischen Zelle in Form von Chromatinfäden, genannt Chromosomen, die im Zellkern liegen. Ein einzelnes Chromosom enthält von der Anaphase bis zum Beginn der S-Phase einen langen, durchgehenden DNA-Doppelstrang (in einem Chromatid). Am Ende der S-Phase besteht das Chromosom aus zwei identischen DNA-Fäden (in zwei Chromatiden). Da ein solcher DNA-Faden mehrere Zentimeter lang sein kann, ein Zellkern aber nur wenige Mikrometer Durchmesser hat, muss die DNA zusätzlich komprimiert bzw. „gepackt“ werden. Dies geschieht bei Eukaryoten mit sogenannten Chromatinproteinen, von denen besonders die basischen Histone zu erwähnen sind. Sie bilden die Nukleosomen, um die die DNA auf der niedrigsten Verpackungsebene herumgewickelt wird. Während der Kernteilung (Mitose) wird jedes Chromosom zu seiner maximal kompakten Form kondensiert. Dadurch können sie mit dem Lichtmikroskop besonders gut in der Metaphase identifiziert werden. Bakterielle und virale DNA In prokaryotischen Zellen liegt die doppelsträngige DNA in den bisher dokumentierten Fällen mehrheitlich nicht als lineare Stränge mit jeweils einem Anfang und einem Ende vor, sondern als zirkuläre Moleküle – jedes Molekül (d. h. jeder DNA-Strang) schließt sich mit seinem 3'- und seinem 5'-Ende zum Kreis. Diese zwei ringförmigen, geschlossenen DNA-Moleküle werden je nach Länge der Sequenz als Bakterienchromosom oder Plasmid bezeichnet. Sie befinden sich bei Bakterien auch nicht in einem Zellkern, sondern liegen frei im Plasma vor. Die Prokaryoten-DNA wird mit Hilfe von Enzymen (zum Beispiel Topoisomerasen und Gyrasen) zu einfachen „Supercoils“ aufgewickelt, die einer geringelten Telefonschnur ähneln. Indem die Helices noch um sich selbst gedreht werden, sinkt der Platzbedarf für die Erbinformation. In den Bakterien sorgen Topoisomerasen dafür, dass durch ständiges Schneiden und Wiederverknüpfen der DNA der verdrillte Doppelstrang an einer gewünschten Stelle entwunden wird (Voraussetzung für Transkription und Replikation). Viren enthalten je nach Typ als Erbinformation entweder DNA oder RNA. Sowohl bei den DNA- wie den RNA-Viren wird die Nukleinsäure durch eine Protein-Hülle geschützt. Chemische und physikalische Eigenschaften der DNA-Doppelhelix Die DNA ist bei neutralem pH-Wert ein negativ geladenes Molekül, wobei die negativen Ladungen auf den Phosphaten im Rückgrat der Stränge sitzen. Zwar sind zwei der drei sauren OH-Gruppen der Phosphate mit den jeweils benachbarten Desoxyribosen verestert, die dritte ist jedoch noch vorhanden und gibt bei neutralem pH-Wert ein Proton ab, was die negative Ladung bewirkt. Diese Eigenschaft macht man sich bei der Agarose-Gelelektrophorese zu Nutze, um verschiedene DNA-Stränge nach ihrer Länge aufzutrennen. Einige physikalische Eigenschaften wie die freie Energie und der Schmelzpunkt der DNA hängen direkt mit dem GC-Gehalt zusammen, sind also sequenzabhängig. Stapelwechselwirkungen Für die Stabilität der Doppelhelix sind hauptsächlich zwei Faktoren verantwortlich: die Basenpaarung zwischen komplementären Basen sowie Stapelwechselwirkungen (stacking interactions) zwischen aufeinanderfolgenden Basen. Anders als zunächst angenommen, ist der Energiegewinn durch Wasserstoffbrückenbindungen vernachlässigbar, da die Basen mit dem umgebenden Wasser ähnlich gute Wasserstoffbrückenbindungen eingehen können. Die Wasserstoffbrücken eines GC-Basenpaares tragen nur minimal zur Stabilität der Doppelhelix bei, während diejenigen eines AT-Basenpaares sogar destabilisierend wirken. Stapelwechselwirkungen hingegen wirken nur in der Doppelhelix zwischen aufeinanderfolgenden Basenpaaren: Zwischen den aromatischen Ringsystemen der heterozyklischen Basen entsteht eine dipol-induzierte Dipol-Wechselwirkung, welche energetisch günstig ist. Somit ist die Bildung des ersten Basenpaares aufgrund des geringen Energiegewinnes und des -verlustes recht ungünstig, jedoch die Elongation (Verlängerung) der Helix ist energetisch günstig, da die Basenpaarstapelung unter Energiegewinn verläuft. Die Stapelwechselwirkungen sind jedoch sequenzabhängig und energetisch am günstigsten für gestapelte GC-GC, weniger günstig für gestapelte AT-AT. Die Unterschiede in den Stapelwechselwirkungen erklären hauptsächlich, warum GC-reiche DNA-Abschnitte thermodynamisch stabiler sind als AT-reiche, während Wasserstoffbrückenbildung eine untergeordnete Rolle spielt. Schmelzpunkt Der Schmelzpunkt der DNA ist die Temperatur, bei der die Bindungskräfte zwischen den beiden Einzelsträngen überwunden werden und diese sich voneinander trennen. Dies wird auch als Denaturierung bezeichnet. Solange die DNA in einem kooperativen Übergang denaturiert (der sich in einem enggefassten Temperaturbereich vollzieht), bezeichnet der Schmelzpunkt die Temperatur, bei der die Hälfte der Doppelstränge in Einzelstränge denaturiert ist. Von dieser Definition sind die korrekten Bezeichnungen „midpoint of transition temperature“ bzw. Mittelpunktstemperatur Tm abgeleitet. Der Schmelzpunkt hängt von der jeweiligen Basensequenz in der Helix ab. Er steigt, wenn in ihr mehr GC-Basenpaare liegen, da diese entropisch günstiger sind als AT-Basenpaare. Das liegt nicht so sehr an der unterschiedlichen Zahl der Wasserstoffbrücken, welche die beiden Paare ausbilden, sondern viel mehr an den unterschiedlichen Stapelwechselwirkungen (stacking interactions). Die stacking-Energie zweier Basenpaare ist viel kleiner, wenn eines der beiden Paare ein AT-Basenpaar ist. GC-Stapel dagegen sind energetisch günstiger und stabilisieren die Doppelhelix stärker. Das Verhältnis der GC-Basenpaare zur Gesamtzahl aller Basenpaare wird durch den GC-Gehalt angegeben. Da einzelsträngige DNA UV-Licht etwa 40 Prozent stärker absorbiert als doppelsträngige, lässt sich die Übergangstemperatur in einem Photometer gut bestimmen. Wenn die Temperatur der Lösung unter Tm zurückfällt, können sich die Einzelstränge wieder aneinanderlagern. Dieser Vorgang heißt Renaturierung oder Hybridisierung. Das Wechselspiel von De- und Renaturierung wird bei vielen biotechnologischen Verfahren ausgenutzt, zum Beispiel bei der Polymerase-Kettenreaktion (PCR), bei Southern Blots und der In-situ-Hybridisierung. Kreuzförmige DNA an Palindromen Ein Palindrom ist eine Folge von Nukleotiden, bei denen sich die beiden komplementären Stränge jeweils von rechts genauso lesen lassen wie von links. Unter natürlichen Bedingungen (bei hoher Drehspannung der DNA) oder künstlich im Reagenzglas kann sich diese lineare Helix als Kreuzform (cruciform) herausbilden, indem zwei Zweige entstehen, die aus dem linearen Doppelstrang herausragen. Die Zweige stellen jeweils für sich eine Helix dar, allerdings bleiben am Ende eines Zweiges mindestens drei Nukleotide ungepaart. Beim Übergang von der Kreuzform in die lineare Helix bleibt die Basenpaarung wegen der Biegungsfähigkeit des Phosphodiester-Zucker-Rückgrates erhalten. Die spontane Zusammenlagerung von komplementären Basen zu sog. Stamm-Schleifen-Strukturen wird häufig auch bei Einzelstrang-DNA oder -RNA beobachtet. Nicht-Standard-Basen Gelegentlich werden in Viren und zellulären Organismen Abweichungen von den oben genannten vier kanonischen Basen (Standard-Basen) Adenin (A), Guanin (G), Thymin (T) und Cytosin (C) beobachtet; weitere Abweichungen können künstlich erzeugt werden. Natürliche Nichtstandard-Basen Uracil (U) wird normalerweise nicht in der DNA gefunden, es tritt lediglich als Abbauprodukt von Cytosin auf. In mehreren Bakteriophagen (bakteriellen Viren) wird Thymin jedoch durch Uracil ersetzt: Bacillus-subtilis-Bakteriophage PBS1 (Spezies Bacillus-Virus PBS1, wissenschaftlich Takahashivirus PBS1) und „PBS2“ (vorgeschlagene Spezies „Bacillus-Phage PBS2“) – beide Spezies sind vom Morphotyp der Myoviren. Yersinia-Phage phiR1-RT (Spezies Yersinia-Virus R1RT, wiss. Tegunavirus r1rt), Morphotyp Myoviren „Staphylococcus-Phage S6“ (alias , ebenfalls Morphotyp Myovirien) Uracil wird auch in der DNA von Eukaryoten wie Plasmodium falciparum (Apicomplexa) gefunden. Es ist dort in relativ geringen Mengen vorhanden (7–10 Uracileinheiten pro Million Basen). 5-Hydroxymethyldesoxyuridin (hm5dU) ersetzt Thymidin im Genom verschiedener Bacillus-Phagen der Spezies Bacillus-Virus SPO1 (wiss. Okubovirus SPO1, Familie Herelleviridae und Morphotyp Siphoviren. Es sind dies die Phagen SPO1, SP8, SP82, „Phi-E“ alias „ϕe“ und „2C“) 5-Dihydroxypentauracil (DHPU, mit Nukleotid 5-dihydroxypentyl-dUMP, DHPdUMP) wurde als Ersatz für Thymidin im Bacillus-Phagen SP15 (auch SP-15, Spezies Thornevirus SP15, Morphotyp Myoviren) beschrieben. Beta-d-glucopyranosyloxymethyluracil (Base J), ebenfalls eine modifizierte Form von Uracil, wurde in verschiedenen Organismen gefunden: Den Flagellaten Diplonema und Euglena (beide Excavata: Euglenozoa) sowie allen Gattungen der Kinetoplastiden. Die Biosynthese von J erfolgt in zwei Schritten: Im ersten Schritt wird ein spezifisches Thymidin in DNA in Hydroxymethyldesoxyuridin (HOMedU) umgewandelt, im zweiten wird HOMedU zu J glykosyliert. Es gibt einige Proteine, die spezifisch an diese Base binden. Diese Proteine scheinen entfernte Verwandte des Tet1-Onkogens zu sein, das an der Pathogenese der akuten myeloischen Leukämie beteiligt ist. J scheint als Terminationssignal für RNA-Polymerase II zu wirken. 2,6-Diaminopurin (alias 2-Aminoadenin, Base D oder X, DAP): 1976 wurde festgestellt, dass der „Cyanobacteria-Phage S-2L“ („Cyanophage S-2L“, informelle Gattung „Cyanostylovirus“, evtl. Familie „Cyanostyloviridae“ oder „Styloviridae“, Morphotyp Siphoviren), dessen Wirte Spezies der Gattung Synechocystis sind, alle Adenosinbasen in seinem Genom durch 2,6-Diaminopurin ersetzt. Drei weitere Untersuchungen folgten im Jahr 2021, eine Zusammenfassung findet sich auf sciencealert (Mai 2021). Ähnliches gilt für „Acinetobacter-Phage SH-Ab 15497“ (en. „“), ebenfalls Morphotyp Siphoviren, und weitere Vertreter dieses Morphotyps sowie dem der Podoviren. Wie 2016 herausgefunden wurde, ist 2'-Desoxyarchaeosin (dG+) im Genom mehrerer Bakterien und im Escherichia-Phagen 9g (alias Enterobacteria-Phage 9g, Spezies Escherichia-Virus 9g, wiss. Nonagvirus nv9g, Unterfamilie Queuovirinae, Morphotyp Siphoviren) vorhanden. 6-Methylisoxanthopterin 5-Hydroxyuracil Natürliche modifizierte Basen (Methylierungen u. a.) In natürlicher DNA kommen auch modifizierte Basen vor. Insbesondere werden Methylierungen der kanonischen Basen im Rahmen der Epigenetik untersucht: Zunächst wurde im Jahr 1925 5-Methylcytosin (m5C) im Genom von Mycobacterium tuberculosis gefunden. Im Genom des Xanthomonas oryzae-Bakteriophagen Xp12 („“), Gattung Pamexvirus, Morphotyp Siphoviren) und des Halovirus ΦH (Spezies Halobacterium-Virus phiH, wiss. Myohalovirus phiH, Familie Vertoviridae, Morphotyp Myoviren) ist das gesamte Cystosin-Kontingent durch 5-Methylcytosin ersetzt. Einen kompletten Ersatz von Cytosin durch 5-Glycosylhydroxymethylcytosin (syn. Glycosyl-5-hydroxymethylcytosin) in den Phagen T2, T4 und T6 der Spezies Escherichia-Virus T4 (Gattung Tequatrovirus, Unterfamilie Tevenvirinae, Morphotyp Myoviren) wurde 1953 beobachtet. Wie 1955 entdeckt wurde, ist N6-Methyladenin (6mA, m6A) in der DNA von Colibakterien vorhanden. N6-Carbamoylmethyladenin wurde 1975 in den Bakteriophagen Mu (Spezies Escherichia-Virus Mu, wiss. Muvirus mu, mit Enterobacteria-Phage Mu, Morphotyp Myovirien) und Lambda-Mu beschrieben. 7-Methylguanin (m7G) wurde 1976 im Phagen DDVI („Enterobacteria phage DdVI“ alias „DdV1“, Gattung Tequatrovirus , früher T4virus) von Shigella disenteriae beschrieben. N4-Methylcytosin (m4C) in DNA wurde 1983 beschrieben (in Bacillus centrosporus). 1985 wurde 5-Hydroxycytosin im Genom des Rhizobium-Phagen RL38JI gefunden. α-Putrescinylthymin (Alpha-Putrescinylthymin, putT) und α-Glutamylthymidin (Alpha-Glutamylthymidin) kommt im Genom sowohl des Delftia-Phagen ΦW-14 (Phi W-14, Spezies ‚Dellftia virus PhiW14‘, Gattung Ionavirus, Familie Myovrirdae) als auch des Bacillus-Phagen SP10 (Spezies “, Familie Herelleviridae, Morphotyp Siphoviren) vor. 5-Dihydroxypentyluracil wurde im Bacillus-Phagen SP15 (auch SP-15, Spezies Bacillus-Virus SP15, wiss. Thornevirus SP15, Morphotyp Myoviren) gefunden. Die Funktion dieser nicht-kanonischen Basen in der DNA ist nicht bekannt. Sie wirken zumindest teilweise als molekulares Immunsystem und helfen, die Bakterien vor einer Infektion durch Viren zu schützen. Nicht-Standard und modifizierte Basen bei Mikroben sind aber noch nicht alles: Es wurde auch über vier Modifikationen der Cytosinreste in humaner DNA berichtet. Diese Modifikationen bestehen aus dem Zusatz folgender Gruppen: Methyl (–CH3) Hydroxymethyl (–CH2OH) Formyl (–CHO) Carboxyl (–COOH) Es wird angenommen, dass diese Modifikationen regulatorische Funktionen haben, Stichwort Epigenetik. Uracil ist in den Centromer-Regionen von mindestens zwei menschlichen Chromosomen (6 und 11) zu finden. Synthetische Basen Im Labor wurde DNA (und auch RNA) mit weiteren künstlichen Basen versehen. Ziel ist es meist, damit unnatürliche Basenpaarungen (, UBP) zu erzeugen: Im Jahr 2004 wurde DNA erzeugt, die statt der vier Standardnukleobasen (A, T, G und C) ein erweitertes Alphabet mit sechs Nukleobasen (A, T, G, C, dP und dZ) enthielt. Dabei steht bei diesen zwei neuen Basen dP für -8---- und dZ für 6-Amino-5-nitro-3-(1′-β-D-2′-desoxyribofuranosyl)-2(1H)-pyridon. Im Jahr 2006 wurden erstmals eine DNA mit um eine Benzolgruppe bzw. eine Naphthylgruppe erweiterten Basen untersucht (je nach Stellung der Erweiterungsgruppen entweder xDNA bzw. xxDNA oder yDNA bzw. yyDNA genannt). Yorke Zhang et al. berichteten zur Jahreswende 2016/2017 über halbsynthetische Organismen mit einer DNA, die um die Basen X (alias NaM) und Y' (alias TPT3) bzw. die (Desoxyribo-)Nukleotide dX (dNaM) und dY' (dTPT3) erweitert wurde, die miteinander paaren. Vorausgegangen waren Versuche mit Paarungen auf Basis der Basen X und Y (alias 5SICS), d. h. der Nukleotiden dX und dY (alias d5SICS). Weitere Basen, die mit 5SICS paaren können, sind FEMO und MMO2. Anfangs 2019 wurde über DNA und RNA mit jeweils acht Basen (vier natürliche und vier synthetische) berichtet, die sich alle paarweise einander zuordnen (Hachimoji-DNA). Enantiomere DNA tritt in Lebewesen als D-DNA auf; L-DNA als Enantiomer (Spiegelmer) kann allerdings synthetisiert werden (gleiches gilt analog für RNA). L-DNA wird langsamer von Enzymen abgebaut als die natürliche Form, was sie für die Pharmaforschung interessant macht. Genetischer Informationsgehalt und Transkription DNA-Moleküle spielen als Informationsträger und „Andockstelle“ eine wichtige Rolle für Enzyme, die für die Transkription zuständig sind. Weiterhin ist die Information bestimmter DNA-Abschnitte, wie sie etwa in operativen Einheiten wie dem Operon vorliegt, wichtig für Regulationsprozesse innerhalb der Zelle. Bestimmte Abschnitte der DNA, die sogenannten Gene, codieren genetische Informationen, die Aufbau und Organisation des Organismus beeinflussen. Gene enthalten „Baupläne“ für Proteine oder Moleküle, die bei der Proteinsynthese oder der Regulation des Stoffwechsels einer Zelle beteiligt sind. Die Reihenfolge der Basen bestimmt dabei die genetische Information. Diese Basensequenz kann mittels Sequenzierung zum Beispiel über die Sanger-Methode ermittelt werden. Die Basenabfolge (Basensequenz) eines Genabschnitts der DNA wird zunächst durch die Transkription in die komplementäre Basensequenz eines sogenannten Ribonukleinsäure-Moleküls überschrieben (abgekürzt RNA). RNA enthält im Unterschied zu DNA den Zucker Ribose anstelle von Desoxyribose und die Base Uracil anstelle von Thymin, der Informationsgehalt ist aber derselbe. Für die Proteinsynthese werden sogenannte mRNAs verwendet, einsträngige RNA-Moleküle, die aus dem Zellkern ins Cytoplasma hinaustransportiert werden, wo die Proteinsynthese stattfindet (siehe Proteinbiosynthese). Nach der sog. „Ein-Gen-Ein-Protein-Hypothese“ wird von einem codierenden Abschnitt auf der DNA die Sequenz jeweils eines Proteinmoleküls abgelesen. Es gibt aber Regionen der DNA, die durch Verwendung unterschiedlicher Leseraster bei der Transkription jeweils mehrere Proteine codieren. Außerdem können durch alternatives Spleißen (nachträgliches Schneiden der mRNA) verschiedene Isoformen eines Proteins hergestellt werden. Neben der codierenden DNA (den Genen) gibt es nichtcodierende DNA, die etwa beim Menschen über 90 Prozent der gesamten DNA einer Zelle ausmacht. Die Speicherkapazität der DNA ist extrem hoch und konnte bisher nicht technisch nachgebildet werden. Die in einem Teelöffel getrockneter DNA enthaltene Information entspricht einer Größenordnung von einer Billion Compact Discs zu je 650 Megabyte. DNA-Replikation Die DNA kann sich nach dem sog. semikonservativen Prinzip mit Hilfe von Enzymen selbst verdoppeln (replizieren). Die doppelsträngige Helix wird durch das Enzym Helikase aufgetrennt, nachdem sie von der Topoisomerase entspiralisiert wurde. Die entstehenden Einzelstränge dienen als Matrize (Vorlage) für den jeweils zu synthetisierenden komplementären Gegenstrang, der sich an sie anlagert. Die DNA-Synthese, d. h. die Bindung der zu verknüpfenden Nukleotide, wird durch Enzyme aus der Gruppe der DNA-Polymerasen vollzogen. Ein zu verknüpfendes Nukleotid muss in der Triphosphat-Verbindung – also als Desoxyribonukleosidtriphosphat – vorliegen. Durch Abspaltung zweier Phosphatteile wird die für den Bindungsvorgang benötigte Energie frei. Das Enzym Helikase bildet eine Replikationsgabel, zwei auseinander laufende DNA-Einzelstränge. In ihrem Bereich markiert ein RNA-Primer, der durch das Enzym Primase synthetisiert wird, den Startpunkt der DNA-Neusynthese. An dieses RNA-Molekül hängt die DNA-Polymerase nacheinander Nukleotide, die denen der DNA-Einzelstränge komplementär sind. Die Verknüpfung der neuen Nukleotide zu einem komplementären DNA-Einzelstrang kann an den beiden alten Strängen nur in 5'→3'-Richtung verlaufen und tut das demzufolge ohne Unterbrechung den alten 3'→5'-Strang entlang in Richtung der sich immer weiter öffnenden Replikationsgabel. Die Synthese des neuen Stranges am alten 5'→3'-Strang dagegen kann nicht kontinuierlich auf die Replikationsgabel zu, sondern nur von dieser weg ebenfalls in 5'→3'-Richtung erfolgen. Der alte Doppelstrang ist aber zu Beginn der Replikation nur ein Stück weit geöffnet, so dass an dem zweiten Strang – in „unpassender“ Gegenrichtung – immer nur ein kurzes Stück neuer komplementärer DNA entstehen kann. Da dabei eine DNA-Polymerase jeweils nur etwa 1000 Nukleotide verknüpft, ist es nötig, den gesamten komplementären Strang in einzelnen Stücken zu synthetisieren. Wenn sich die Replikationsgabel etwas weiter geöffnet hat, lagert sich daher ein neuer RNA-Primer wieder direkt an der Gabelungsstelle an den zweiten Einzelstrang an und initiiert die nächste DNA-Polymerase. Bei der Synthese des 3'→5'-Stranges wird deshalb pro DNA-Syntheseeinheit jeweils ein neuer RNA-Primer benötigt. Primer und zugehörige Syntheseeinheit bezeichnet man als Okazaki-Fragment. Die für den Replikations-Start benötigten RNA-Primer werden anschließend enzymatisch abgebaut. Dadurch entstehen Lücken im neuen DNA-Strang, die durch spezielle DNA-Polymerasen mit DNA-Nukleotiden aufgefüllt werden. Zum Abschluss verknüpft das Enzym Ligase die noch nicht miteinander verbundenen neuen DNA-Abschnitte zu einem einzigen Strang. Mutationen und andere DNA-Schäden Mutationen von DNA-Abschnitten – zum Beispiel Austausch von Basen gegen andere oder Änderungen in der Basensequenz – führen zu Veränderungen des Erbgutes, die zum Teil tödlich (letal) für den betroffenen Organismus sein können. In seltenen Fällen sind solche Mutationen aber auch von Vorteil; sie bilden dann den Ausgangspunkt für die Veränderung von Lebewesen im Rahmen der Evolution. Mittels der Rekombination bei der geschlechtlichen Fortpflanzung wird diese Veränderung der DNA sogar zu einem entscheidenden Faktor bei der Evolution: Die eukaryotische Zelle besitzt in der Regel mehrere Chromosomensätze, d. h., ein DNA-Doppelstrang liegt mindestens zweimal vor. Durch wechselseitigen Austausch von Teilen dieser DNA-Stränge, das Crossing-over bei der Meiose, können so neue Eigenschaften entstehen. DNA-Moleküle können durch verschiedene Einflüsse beschädigt werden. Ionisierende Strahlung, wie zum Beispiel UV- oder γ-Strahlung, Alkylierung sowie Oxidation können die DNA-Basen chemisch verändern oder zum Strangbruch führen. Diese chemischen Änderungen beeinträchtigen unter Umständen die Paarungseigenschaften der betroffenen Basen. Viele der Mutationen während der Replikation kommen so zustande. Einige häufige DNA-Schäden sind: die Bildung von Uracil aus Cytosin unter spontanem Verlust einer Aminogruppe durch Hydrolyse: Uracil ist wie Thymin komplementär zu Adenin. Thymin-Thymin-Dimerschäden verursacht durch photochemische Reaktion zweier aufeinander folgender Thyminbasen im DNA-Strang durch UV-Strahlung, zum Beispiel aus Sonnenlicht. Diese Schäden sind wahrscheinlich eine wesentliche Ursache für die Entstehung von Hautkrebs. die Entstehung von 8-Oxoguanin durch Oxidation von Guanin: 8-Oxoguanin ist sowohl zu Cytosin als auch zu Adenin komplementär. Während der Replikation können beide Basen gegenüber 8-Oxoguanin eingebaut werden. Aufgrund ihrer mutagenen Eigenschaften und ihres häufigen Auftretens (Schätzungen belaufen sich auf 104 bis 106 neue Schäden pro Zelle und Tag) müssen DNA-Schäden rechtzeitig aus dem Genom entfernt werden. Zellen verfügen dafür über ein effizientes DNA-Reparatursystem. Es beseitigt Schäden mit Hilfe folgender Strategien: Direkte Schadensreversion: Ein Enzym macht die chemische Änderung an der DNA-Base rückgängig. Basenexcisionsreparatur: Die fehlerhafte Base, zum Beispiel 8-Oxoguanin, wird aus dem Genom ausgeschnitten. Die entstandene freie Stelle wird anhand der Information im Gegenstrang neu synthetisiert. Nukleotidexcisionsreparatur: Ein größerer Teilstrang, der den Schaden enthält, wird aus dem Genom ausgeschnitten. Dieser wird anhand der Information im Gegenstrang neu synthetisiert. Homologe Rekombination: Sind beide DNA-Stränge beschädigt, wird die genetische Information aus dem zweiten Chromosom des homologen Chromosomenpaars für die Reparatur verwendet. Replikation mit speziellen Polymerasen: DNA-Polymerase η kann zum Beispiel fehlerfrei über einen TT-Dimerschaden replizieren. Menschen, bei denen Polymerase η nicht oder nur eingeschränkt funktioniert, leiden häufig an Xeroderma pigmentosum, einer Erbkrankheit, die zu extremer Sonnenlichtempfindlichkeit führt. Denaturierung Die Basenpaarung von DNA wird bei verschiedenen zellulären Vorgängen denaturiert. Die Basenpaarung wird dabei durch verschiedene DNA-bindende Proteine abschnittsweise aufgehoben, z. B. bei der Replikation oder der Transkription. Der Ort des Denaturierungsbeginns wird als Denaturierungsblase bezeichnet und im Poland-Scheraga-Modell beschrieben. Jedoch wird die DNA-Sequenz, die Steifigkeit und die Torsion nicht miteinbezogen. Die Lebensdauer einer Denaturierungsblase beträgt zwischen einer Mikrosekunde und einer Millisekunde. Im Labor kann DNA durch physikalische und chemische Methoden denaturiert werden. DNA wird durch Formamid, Dimethylformamid, Guanidiniumsalze, Natriumsalicylat, Sulfoxid, Dimethylsulfoxid (DMSO), verschiedene Alkohole, Propylenglykol und Harnstoff denaturiert, meist in Kombination mit Wärme. Auch konzentrierte Lösungen von Natriumhydroxid denaturieren DNA. Bei den chemischen Methoden erfolgt eine Absenkung der Schmelztemperatur der doppelsträngigen DNA. DNA-Reinigung und Nachweis DNA kann durch eine DNA-Reinigung, z. B. per DNA-Extraktion, von anderen Biomolekülen getrennt werden. Der qualitative Nachweis von DNA (welche DNA vorliegt) erfolgt meistens durch eine Polymerase-Kettenreaktion, eine isotherme DNA-Amplifikation, eine DNA-Sequenzierung, einen Southern Blot oder durch eine In-situ-Hybridisierung. Der quantitative Nachweis (wie viel DNA vorliegt) erfolgt meistens durch eine qPCR, bei gereinigten Proben mit nur einer DNA-Sequenz kann eine Konzentration auch durch Photometrie bei einer Wellenlänge von 260 nm gemessen werden. Eine Extinktion von 1 einer gereinigten DNA-Lösung entspricht bei doppelsträngiger DNA einer Konzentration von 50 µg/mL, bei einzelsträngiger DNA entspricht dies 33 µg/mL und bei einzelsträngigen Oligonukleotiden liegt die Konzentration darunter, abhängig von der Zusammensetzung an Nukleinbasen (siehe DNA-Extraktion#Quantifizierung). Durch interkalierende Farbstoffe wie Ethidiumbromid, Propidiumiodid oder SYBR Green I sowie durch furchenbindende Farbstoffe wie DAPI, Pentamidine, Lexitropsine, Netropsin, Distamycin, Hoechst 33342 oder Hoechst 33258 kann DNA angefärbt werden. Weniger spezifisch gebundene DNA-Farbstoffe und Färbemethoden sind z. B. Methylenblau, der Carbocyanin-Farbstoff Stains-all oder die Silberfärbung. Durch Molecular Combing kann die DNA gestreckt und ausgerichtet werden. „Alte“ DNA Als aDNA („ancient DNA“; alte DNA) werden Reste von Erbgutmolekülen in toten Organismen bezeichnet, wenn keine direkten Verwandten des beprobten Organismus mehr leben. Auch wird die DNA des Menschen dann als aDNA bezeichnet, wenn das Individuum mindestens 75 Jahre vor der Probenuntersuchung verstorben ist. Siehe auch Xenonukleinsäure, XNA, dazu: LNA Peptid-Nukleinsäure (PNA) Morpholino Didesoxyribonukleosid-Triphosphate (ddNTPs): Artifizielle Zwischenstufen bei der DNA-Sequenzierung nach Sanger Desoxyadenosinmonoarsenat (dAMAs) siehe GFAJ-1 §Diskussion um den Einbau von Arsen in Biomoleküle (fraglicher Einbau in DNA bei Halomonas-Spezies GFAJ-1, siehe auch Halomonas titanicae) Literatur Chris R. Calladine und andere: DNA – Das Molekül und seine Funktionsweise. 3. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2005, ISBN 3-8274-1605-1. Ernst Peter Fischer: Am Anfang war die Doppelhelix. James D. Watson und die neue Wissenschaft vom Leben. Ullstein, Berlin 2004, ISBN 3-548-36673-2. Ernst Peter Fischer: Das Genom. Eine Einführung. Fischer, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-15362-X. James D. Watson: Die Doppelhelix. Rowohlt, Reinbek 1997, ISBN 3-499-60255-5. James D. Watson: Gene, Girls und Gamow. Erinnerungen eines Genies. Piper, München 2003, ISBN 3-492-04428-X. James D. Watson: Am Anfang war die Doppelhelix. Ullstein, Berlin 2003, ISBN 3-550-07566-9. James D. Watson, M. Gilman, J. Witkowski, M. Zoller: Rekombinierte DNA. 2. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1993, ISBN 3-86025-072-8. Tomas Lindahl: Instability and decay of the primary structure of DNA. In: Nature. Band 362, 1993, S. 709–715. doi:10.1038/362709a0. W. Wayt Gibbs: Preziosen im DNA-Schrott. In: Spektrum der Wissenschaft. Nr. 2, 2004, S. 68–75. (online) W. Wayt Gibbs: DNA ist nicht alles. In: Spektrum der Wissenschaft. Nr. 3, 2004, S. 68–75. (online) Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger: Die Struktur der DNA – ein Modell-Projekt. In: Chemie in unserer Zeit. Band 42, 2008, S. 292–294. doi:10.1002/ciuz.200890046. Weblinks Video: DNA-Isolierung aus Tomaten DNA Interactive – Seite des Cold Spring Harbor Institute und des Howard Hughes Medical Institute (eine exzellente Einführung in die Thematik, engl.) DNA from the Beginning des Dolan DNA Learning Center „DNA from the Beginning“ (deutsch) „Übersetzer“ zum Finden der codierten Aminosäure zum codierenden Basentriplett oder umgekehrt „Übersetzer“ eines ganzen DNA-Abschnittes in die codierten Aminosäuren Harvard cracks DNA storage, crams 700 terabytes of data into a single gram Anmerkungen und Einzelnachweise
1109
https://de.wikipedia.org/wiki/DNS
DNS
DNS steht für: Dachverband der Nationalen Sammlung, rechtsextremes Parteienbündnis für die Bundestagswahl 1953 Dänische Sprache, historischer Ethnologue-Code Flughafen Denison Municipal, Flughafen in Denison (US-Bundesstaat Iowa) nach dem IATA-Code Desoxyribonukleinsäure, ein in allen Lebewesen und DNS-Viren vorkommendes Biomolekül und Träger der Erbinformation, also der Gene Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie Deutsche Normungsstrategie, strategische Ausrichtung der Normungsarbeit Did not start (englisch für „Nicht angetreten“), wird im Sport für angemeldete bzw. qualifizierte Teilnehmer verwendet, die jedoch nicht am Wettkampf teilgenommen haben 3,5-Dinitrosalicylsäure, chemische Verbindung Direkte Numerische Simulation, Verfahren zur Berechnung instationärer Strömungsprozesse Domain Name System, weltweiter Verzeichnisdienst, der den Namensraum des Internets verwaltet Syndrom der dysplastischen Nävi, dermatologische Erkrankung Dysplastischer Nävus Der ursprüngliche Firmenname der SCREEN Holding, gegründet 1943 unter dem Namen: Dai Nippon Screen Seizō (大日本スクリーン製造株式会社; DNS) Siehe auch: D.N.S. DNS
1111
https://de.wikipedia.org/wiki/Das%20Abendmahl%20%28Leonardo%20da%20Vinci%29
Das Abendmahl (Leonardo da Vinci)
Das letzte Abendmahl (italienisch: L’Ultima Cena) des italienischen Malers Leonardo da Vinci, im deutschen Sprachraum meist nur verkürzt Das Abendmahl genannt, ist eines der berühmtesten Wandgemälde der Welt. Das in der Seccotechnik ausgeführte Werk wurde in den Jahren 1494 bis 1497 im Auftrag des Mailänder Herzogs Ludovico Sforza geschaffen. Es schmückt die Nordwand des Refektoriums (Speisesaal) des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in Mailand und gilt als Höhepunkt in Leonardos malerischem Schaffen. Allgemeines Das Bild misst 422 cm × 904 cm und zeigt Jesus mit den zwölf Aposteln, unmittelbar nachdem dieser ihnen beim letzten gemeinsamen Essen am Vorabend seiner Kreuzigung gesagt hatte: „Einer von euch wird mich verraten“ . Dieses Thema wurde in der Kunst sehr häufig dargestellt. Leonardo kannte aus Florenz das Fresko Das letzte Abendmahl von Domenico Ghirlandaio, das als unmittelbarer Vorläufer angesehen wird. Das Bild Leonardos gilt als Meilenstein der Renaissance, denn es nahm wegen seiner korrekt wiedergegebenen perspektivischen Tiefe bahnbrechenden Einfluss auf die Malerei des Abendlandes. Der Tisch und die Apostel sind an der vorderen Begrenzung des Raums angeordnet, in dem das Mahl stattfindet. Dahinter verengt sich der Raum, und die dargestellten Personen scheinen in den Raum des Refektoriums zu blicken. Das Licht, das die Szene ausleuchtet, kommt jedoch nicht aus dem dreiteiligen gemalten Fenster, sondern schräg von links wie das wirkliche Licht, das durch Fenster an der linken Wand einfällt. In diesem Bild findet man an vielen Stellen den goldenen Schnitt, zum Beispiel dort, wo die Hände Jesu und Jakobus’ des Älteren (rechts neben Jesus) auf dem Tisch liegen, wird das Bild in diesem Verhältnis geteilt. Aus konservatorischen Gründen ist eine Besichtigung nur in kleinen Gruppen von maximal 25 Teilnehmern für jeweils 15 Minuten möglich. Das Buchen von Eintrittskarten zu festen Terminen (Zeitfenster-Tickets) ist obligatorisch und spätestens eine Woche vor dem Besuch anzumelden, um Wartezeiten zu vermeiden. Geschichte Nachdem Leonardo die Arbeit am Tonmodell des Sforza-Denkmals beendet hatte, begann er – ebenfalls im Auftrage des Herzogs Ludovico Sforza – 1495 das Abendmahl im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie. Erste Ideen hatte er bereits auf einer Studie zu einer Anbetung der Könige skizziert, die eine Gruppe von Männern aus dem Gefolge der Könige an einer Tafel zeigt. In einer Rötelzeichnung ordnete er die Jünger in Zweiergruppen und zeigte dabei noch Anlehnungen an die Abendmahlsdarstellungen Domenico Ghirlandaios und Andrea del Castagnos. Johannes ruht ebenfalls zur Linken Christi mit dem Oberkörper auf dem Tisch, und Judas sitzt von den übrigen Aposteln isoliert vor der Tafel. In einer Notiz beschrieb Leonardo die unterschiedliche Haltung der Jünger: In sorgfältigen Einzelstudien, die sich heute in Schloss Windsor befinden, bereitete Leonardo die Apostelköpfe vor und suchte nach einem geeigneten Modell für Jesus. Der Dichter Matteo Bandello, dessen Onkel der Prior des Klosters war, beobachtete Leonardo häufig beim Malen des Abendmahls und berichtet darüber Folgendes: Von der Ungeduld des Priors erzählt Vasari folgende Anekdote: Bei der Ausführung versuchte Leonardo, die Öltechnik für die Wandmalerei zu nutzen. Wegen der Feuchtigkeit der Mauer und des Gebrauchs experimenteller organischer Farben, die sich bald als Fehlgriff erwiesen, erlitt das Gemälde jedoch noch zu Lebzeiten Leonardos schwere Schäden durch feine Risse. Im Laufe der Zeit blätterte auch die Farbe über weite Flächen ab. Einer später in die Wand eingezogenen Tür fielen Jesu Füße zum Opfer, die Leonardo ursprünglich abgebildet hatte. Der französische König Franz I. war so angetan von dem Bild, dass er es von der Wand ablösen lassen und nach Frankreich mitnehmen wollte. Doch die damit verbundenen Schwierigkeiten hatten laut Giorgio Vasari „zur Folge, daß seine Majestät die Lust verlor und es [das Bild] den Mailändern blieb“. Während der folgenden zwanzig oder dreißig Jahre wurden in Italien und Flandern zahlreiche Kopien angefertigt, die zum Teil noch erhalten sind und einen Eindruck davon geben, wie das Abendmahl ursprünglich ausgesehen haben mag. Als der Dauphin von Frankreich, der spätere Heinrich II., im Jahr 1533 Caterina de’ Medici heiratete, sandte König Franz I. einen großen Gobelin mit einer Kopie von Leonardos Abendmahl, der heute im Vatikan zu sehen ist. Der Gobelin ist reichhaltig verziert und zeigt im Hintergrund eine komplizierte Architektur im italienisierenden Stil, wie er in Frankreich damals üblich war. Napoleons Besatzungstruppen machten das Refektorium dann zu einem Pferdestall. Napoléon ließ auch eine Mosaikkopie in Auftrag geben, die jedoch erst nach seinem Sturz beendet wurde und von seinem Schwiegervater Kaiser Franz I. gekauft wurde. Für ihren ursprünglich vorgesehenen Aufstellungsort im Belvedere erwies sie sich als zu groß, so dass sie letztlich in die Wiener Minoritenkirche kam. Im Jahr 1943 überstand das Gemälde Leonardos einen Bombenangriff, der die Südwand des Refektoriums in Mailand zum Einsturz brachte. Das Abendmahl blieb unversehrt, da es von den Brüdern des Klosters mit Sandsäcken geschützt worden war. Restaurierungen Das Abendmahl wurde mehrfach restauriert, vor allem durch Bellotti (1726), Mazza (1770) und Berezzi (1819). Erst im 20. Jahrhundert gelang es, mit modernen Techniken den Verfall des Bildes aufzuhalten. Die Restauratorin Giuseppina (genannt Pinin) Barcilon Brambilla arbeitete an der Restaurierung zwanzig Jahre bis zum Abschluss 1999, unterstützt und kritisch begleitet vom zuständigen Mailänder Soprintendenten Carlo Bertelli und dem Kunsthistoriker Renzo Zorzi. Der Kunsthistoriker James Beck äußerte sich negativ, ohne die Restaurierung gesehen zu haben, und auch der Kunsthistoriker Cesare Brandi, in Italien als Autorität angesehen, gehörte anfangs zu vielen Skeptikern und Gegnern der Restaurierung, ließ sich dann aber nach einem Besuch auf der Baustelle von der Arbeit Brambillas überzeugen. 1980 wurde die Kirche gemeinsam mit dem Gemälde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Dargestellte Leonardos Komposition dieses traditionellen kirchlichen Themas ist lebhafter oder bewegter als frühere Werke. Er verzichtet auf Heiligenscheine und die bildhafte Isolierung des Verräters Judas. Er gruppiert die Apostel in vier Teileinheiten, die auf unterschiedliche Weise auf seine Enthüllung „Einer von euch wird mich verraten“ reagieren. Bartholomäus, Jakobus der Jüngere und Andreas Bartholomäus, Jakobus der Jüngere und Andreas bilden am linken Rand eine Dreiergruppe, die die Überraschung des Moments ausdrückt. Bartholomäus (wahrscheinlich identisch mit „Nathanael“ aus dem Johannesevangelium) – blaues Gewand (ganz links). Er soll der Legende nach in Indien, Mesopotamien und Armenien gepredigt haben, wo er auch das Martyrium erlitten haben soll. Astyages soll den Befehl gegeben haben, ihm bei lebendigem Leibe die Haut abzuziehen und ihn anschließend kopfunter zu kreuzigen. Bartholomäus stützt sich auf den Tisch und ist empört. Jakobus, der Sohn des Alphäus, Bruder des Thaddäus, auch „Jakobus der Jüngere“ – rotes Gewand (2. v. L). In der Kirchengeschichte wurde Jakobus, der Sohn des Alphäus, auch mit Jakobus dem Kleinen und mit Jakobus, dem Bruder Jesu gleichgesetzt. Jakobus der Kleine wird in der Bibel nur einmal erwähnt (Mt 27,56), und zwar als Sohn einer Jüngerin Jesu namens Maria und Bruder eines Joses. Jacobus bleibt scheinbar gelassen, doch ist er starr vor Schreck. Andreas, Bruder des Simon Petrus – gelbes Gewand (3. v. l.). Andreas sei zuerst ein Jünger Johannes des Täufers gewesen, der ihn dann an Jesus wies, worauf er auch seinen Bruder Simon zu Jesus führte mit der Botschaft „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1,35-42). Daher kommt sein traditioneller Beiname „der Erstberufene“. In den Apostellisten erscheint Andreas immer unter den ersten vier Aposteln. Andreas zieht auf diesem Bild seine Schultern hoch und wehrt mit den Händen ab, die besagen: „Aber ich doch nicht!“ Judas, Petrus und Johannes Petrus beugt sich zu Jesu Lieblingsjünger Johannes, der den Kopf beugt, während sich der Verräter Judas von beiden distanzierend abwendet. Judas Iskariot sitzt im Halbschatten – erkennbar am Geldsäckchen. Vielleicht drückt die angedeutete Drehung Distanzierung aus. Nach allen vier Evangelien soll er in Jerusalem Jesu Festnahme im Garten Getsemani durch die im Sanhedrin führenden Gruppen ermöglicht haben mit der Folge, dass Jesus von diesen an die Römer ausgeliefert und gekreuzigt wurde. Er galt den Urchristen daher als derjenige, der Jesus verriet (Mk 3,19 EU). Judas sitzt im Unterschied zu konventionellen Darstellungen an derselben Tischseite wie die übrigen Jünger. Während die Jünger bestürzt diskutieren, verharrt er unbeweglich. Judas ist platziert zwischen dem aufbrausenden Petrus und dem sanften Johannes. Sein Blick geht über das Haupt Jesu hinweg. Über das Modell für den Judas hat der österreichische Schriftsteller Leo Perutz den Roman Der Judas des Leonardo (postum, 1959) geschrieben: Leonardo da Vinci möchte nach vierzehn Jahren endlich sein Gemälde vollenden, doch es fehlt ihm das Modell für den Kopf des Judas, denn er sucht nach „dem allerschlechtesten Menschen in ganz Mailand“. Er findet schließlich den böhmischen Kaufmann Joachim Behaim, der nach acht Jahren noch einmal nach Mailand zurückkehrt und sich wundert, dass die Leute über ihn lästern, bis er das Abendmahl ansieht und feststellt, dass Judas sein Gesicht hat. Simon Petrus (4. v. links; spricht zu Johannes). Nach allen Evangelien lautete sein Name Simon. Paulus von Tarsus dagegen nannte ihn stets Kephas ohne Vornamen. Dieser Ausdruck ist eine Gräzisierung des aramäischen Wortes kefa כיפא, griechisch übersetzt πετρος (petros), latinisiert Petrus. Es bedeutet in beiden Sprachen gewöhnlich „Stein“. Diesen Beinamen soll Jesus persönlich Simon verliehen haben; wo und wann er dies tat, überliefern die Evangelien unterschiedlich. Mt 16,18 EU erklärt den Beinamen mit Jesu Zusage an Petrus: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Petrus ist begierig zu erfahren, wer der Verräter sein wird. Johannes (6. v. l.) sitzt an Jesu rechter Seite. Johannes wird in der kirchlichen Tradition mit dem „Lieblingsjünger“ Jesu aus dem Johannesevangelium identifiziert. Er stand als einziger Jünger unter dem Kreuz. Johannes ist mit sich im Reinen, denn er weiß, dass niemand ihn verdächtigen wird. So sitzt er still da und betrauert das Geschehen. Allerdings gibt es auch Interpretationen, die besagen, dass es sich bei der Darstellung des Johannes um Maria Magdalena handle. Diese Interpretation fußt auf dem Argument, dass man den Brustansatz erkennen könne, wenn man das Bild vergrößere. Jesus Jesus (mit rotem Gewand und blauem Überwurf) scheint in Richtung seiner nach oben gedrehten linken Handfläche zu blicken. Die rechte Hand liegt auf dem Tisch. Durch die Zentralperspektive und den Lichteinfall wird Jesu Bedeutung klar hervorgehoben. Thomas, Jakobus der Ältere und Philippus Thomas, Jakobus der Ältere und Philippus drücken mehr Zorn und Fragen aus. Jakobus breitet seine Arme aus und bildet dadurch eine Barriere, die den fragenden Gesten von Thomas (mit erhobenen Zeigefinger) und Philippus (beide Hände zeigen auf seine Brust) Einhalt gebietet. Thomas, auch „Didymos Judas Thomas“. Der Name Thomas stammt aus dem Aramäischen und bedeutet „Zwilling“. Deshalb wird Thomas in der Bibel auch „Didymus“ (griechisch didymos, δίδυμος) genannt. Nach der Überlieferung ist er der „ungläubige Thomas“, weil er an der Auferstehung Jesu zunächst zweifelte, bis er selbst die Wundmale des Auferstandenen sehen und berühren durfte. Thomas zeigt zum Himmel, als wollte er sagen: „Wehe dem Verräter!“ Jakobus, der Sohn des Zebedäus, oder Jakobus der Ältere (sitzt von Jesu aus betrachtet direkt an seiner linken Seite). Er soll der Apostel gewesen sein, der nach der Himmelfahrt Jesu auf der Iberischen Halbinsel predigte. Er breitet seine Arme aus und bildet dadurch eine Barriere zu Jesus. Philippus – rotes Gewand (4. v. r., gerade aufgesprungen). Philippus wurde von Jesus direkt berufen, ihm nachzufolgen (Johannes 1,43). Er ist es, der das Erlebte dem Nathanael weitererzählte. Philippus ist tief betroffen und kann nicht glauben, dass das Prophezeite wirklich geschieht. Matthäus, Thaddäus und Simon Zelotes Matthäus und Thaddäus wenden sich fragend zu dem ganz rechts sitzenden Simon aus Kanaan. Sie debattieren die Enthüllung Jesu, wobei ihre Gesten die Erschütterung verstärken. Matthäus, der (ehemalige) Steuerpächter und spätere Evangelist (Identität mit dem Evangelisten Matthäus ist aber nicht nachweisbar) – (3. v. R). Nach alter kirchlicher Überlieferung soll Matthäus als erster sein Evangelium in hebräischer Sprache verfasst haben. In seinem Katalog der Kirchenschriftsteller sagt Hieronymus (347–419 n. Chr.) dazu: „Matthäus, der auch Levi ist und der von einem Zöllner zu einem Apostel wurde, und zwar als erster aller Evangelisten, verfasste ein Evangelium von Christus in Judäa in der hebräischen Sprache und in hebräischen Schriftzeichen zum Nutzen derjenigen aus der Beschneidung, die geglaubt hatten“ … Matthäus fragt Simon: „Kann es stimmen, was uns Jesus gerade gesagt hat?“ Thaddäus, dessen Bruder, auch Judas Thaddäus – (2. v. R.). Die Person Thaddäus ist im Zwölferkreis nach den Quellen nicht eindeutig zu identifizieren und hat zu Spekulationen Anlass gegeben. Er wird auch mit Simon Zelotes identifiziert. Als Kirchenpatrone tauchen beide oft gemeinsam als „Sankt Simon und Judas“ auf. Thaddäus traut seinen Ohren nicht und fragt Simon, was es mit der Prophezeiung wohl auf sich habe. Simon Zelotes Kanaanäus – weißes Gewand (ganz rechts). Seinen Beinamen Zelotes, im aramäischen „Kananäu“, im Deutschen „der Eiferer“, erhielt er wohl aufgrund seiner ursprünglichen Zugehörigkeit zur radikalen Zelotenpartei, die sich zum Ziel setzten, die Römer gewaltsam aus Israel zu vertreiben. Im Neuen Testament der Bibel erscheint nur sein Name und Beiname, und das auch nur in den Apostellisten; sonstige Details über ihn fehlen vollständig. Nach der Kreuzigung Christi verkündete Simon der Überlieferung nach das Evangelium in Babylonien und Persien, wo er auch zusammen mit Judas Thaddäus den Märtyrertod erlitten haben soll. Simon versucht das Unfassbare zu begreifen. Die Perspektive Leonardo da Vinci äußerte sich im Codex Madrid folgendermaßen zur Perspektive: In der Geschichte perspektivischer Darstellungsweisen vollzog sich im 15. Jahrhundert der Sprung vom Gebrauch handwerklicher Regeln und Erfahrungen zur Anwendung mathematisch fundierter Konstruktionssysteme – das Abendmahl Leonardos ist das Paradebeispiel. Leonardo schreibt selbst über die Perspektive des Abendmahls: Es handelt sich bei der im Abendmahl angewendeten Perspektive um eine Zentralperspektive, wie sie heute noch verwendet wird. Wie der Name bereits andeutet, definiert sich diese Abbildungsart einer dreidimensionalen Welt auf eine Fläche durch das Vorhandensein eines Projektionszentrums, auch Augpunkt genannt. Bei dem Augpunkt handelt es sich um den Standpunkt des Betrachters. Dieser Augpunkt befindet sich beim Abendmahl nachweislich in der Schläfe der Christusfigur (das ist bei den letzten Restaurierungsarbeiten festgestellt worden – man hat das Loch eines Nagels gefunden,) das heißt, das von Leonardo da Vinci festgelegte Zentrum des Bildes ist die Schläfe der Christusfigur und gleichzeitig der Punkt, in dem sich alle (perspektivischen) Strahlen treffen. Da Vinci hat die Strahlen mittels eines Nagels und gespannter Schnüre ermittelt. Ladwein formuliert die These, dass die Gesamtkomposition des Bildes mit den Linien der Zentralachse einen kreuzförmigen Heiligenschein um das Haupt Jesu andeute. Die Computerkünstlerin Lillian Schwartz nahm Ende der 1980er Jahre eine Analyse der Perspektive des Letzten Abendmahls mithilfe eines dreidimensionalen Computermodells vor. Dieses ermöglicht die Betrachtung des Wandgemäldes von allen möglichen Positionen im Raum aus. Basierend auf der Analyse findet Schwartz heraus, dass die zentralperspektivische Bildkonstruktion kleine Fehler aufweist und die Betrachtungsposition für eine optimale zentralperspektivische Betrachtung auf einer Höhe von 4,5 Metern über dem Boden liegt. Sie kann im Raum also praktisch unmöglich eingenommen werden. Schwartz geht daher von einer prospettiva accelerata („beschleunigte Perspektive“) aus, wie sie im Theater und der Bühnenbildnerei ihre Anwendung findet. Dafür spricht die längliche und hohe Form des Raumes. Mithilfe des Computermodells ermittelt sie ausgehend von dieser Annahme die optimale Betrachtungsposition direkt rechts vorne an der Eingangstüre des Refektoriums. Von dort aus wird der Blick auf das Wandgemälde von den Händen Christi über seinen Kopf zu den gemalten Wänden geleitet, die den Bildraum in den Raum des Refektoriums übergehen lassen. Auch die weiteren dargestellten Gesten der Figuren lassen den Blick umherschweifen, wodurch Umrandungen verschwimmen und der Eindruck entsteht, als sei das Wandgemälde ein dreidimensionaler Raum und Teil des Refektoriums selbst. Zur Perspektive des Abendmahls gab es 2006 anlässlich einer Ausstellung in der Wiener Minoritenkirche einen „Versuchsaufbau“. Dieser sollte auf spektakuläre Weise demonstrieren, dass die Perspektive des Abendmahls eine Zentralperspektive ist, bei der sich der Augpunkt auf Höhe der Schläfe der Christusfigur befindet. Vor der hochgehängten Gemäldekopie wurde eine Treppe aufgestellt, um auf Augenhöhe diesen Betrachtungspunkt einnehmen zu können. Der optimale Abstand des Betrachters zum Bild war zuvor von David Sayn durch ein Computermodell errechnet worden. Rezeption Während die zentrale Gestalt Jesu nie in Frage gestellt wurde, fand die Darstellung der Jünger nicht immer Bewunderung. Im Jahr 1916 entrüstete sich der Kunsthistoriker Bernard Berenson: Was ist das aber für ein Haufen von aufgeregten, gestikulierenden, vorlauten Menschen, deren Gesichter alles andere als angenehm zu empfinden sind. (…) Die sind mir keine gute Gesellschaft! Das Gemälde in der modernen Kunst Die Künstlerin Mary Beth Edelson eignete sich in ihrer Collage Some Living American Women Artists / Last Supper (1972) Da Vincis Wandgemälde an. Sie ersetzte die Köpfe der dargestellten Gruppe mit den Köpfen berühmter Künstlerinnen darunter zum Beispiel Georgia O’Keeffe, Lynda Benglis, Louise Bourgeois, Elaine de Kooning, Helen Frankenthaler, Nancy Graves, Lila Katzen, Lee Krasner, Louise Nevelson, Yoko Ono, M. C. Richards, Alma Thomas, Agnes Martin, Faith Ringgold und June Wayne. Lediglich O’Keeffe wurde von Edelson als Jesus platziert. Die weiteren Künstlerinnen wies Edelson zufällig eine Position zu und keine nimmt den Platz des Judas ein. Die dargestellte Szene wird außerdem von Bildern weiterer Künstlerinnen gerahmt. Insgesamt sind 82 Künstlerinnen in der Collage abgebildet. Edelson thematisiert in ihrem Werk u. a. männliche Exklusivität sowie die Rolle von religiöser und kunsthistorischer Ikonographie im Zusammenhang mit der Unterdrückung von Frauen. Andy Warhols letzte großformatige Arbeit sollte die Auseinandersetzung mit Leonardo da Vincis Abendmahl werden. Das Gemälde entstand für die neuerstellten Ausstellungsräume der Bank Credito Valtellinese, unmittelbar gegenüber der Heimstatt des Originals des Abendmahls in der Dominikanerkirche Santa Maria delle Grazie in Mailand. Die Bank – der Palast und Tempel des Kapitals – verbindet sich geschickt mit der religiösen Ikone und konterkariert sie zugleich. Warhol aber neutralisierte die dem Auftrag inneliegende Nobilitierung des Kapitals. Er machte sich nicht zu einem schnöden Lieferanten eines Dekors. Er beschäftigte sich nicht mit dem Original, sondern legte das Foto einer billigen Reproduktion des Originalgemäldes von Leonardo zugrunde, die er zusammen mit einer Gipsplastik in einem Ramschladen in Little Italy fand. Daraus entstand ein riesiger Gemäldezyklus, über 100 meist traditionell mit dem Pinsel gemalter Bilder, teilweise über 4 × 10 Meter groß. Er wählte aber für die Ausstellung nicht die handgemalten Arbeiten aus, sondern insgesamt 22 im Siebdruck umgesetzte druckgraphische Versionen. Kopien in Originalgröße in Haigerloch und in Voigtholz (Deutschland) In der evangelischen Abendmahlskirche in Haigerloch befindet sich eine Nachbildung des Bildes. Das Werk ist als Wandgemälde in Originalgröße ausgeführt. Geschaffen hat es 1952/53 in einem Zeitraum von circa 22 Monaten der Düsseldorfer Kunstmaler Friedrich Schüz, unterstützt durch den Tübinger Grafiker Gerhard Halbritter und den Gießener Kunstmaler Walter Kröll. Es wurde am Gründonnerstag 1954 der Öffentlichkeit übergeben. In der evangelisch-lutherischen Lukas-Kapelle In Voigtholz auf dem Malerhof hat der Künstler Hans Nowak in den Originalabmessungen eine Neuschöpfung des Gemäldes erschaffen. Dabei dienen 2 cm dicke Holztafeln als Bildträger für den Malgrund. Das Kunstwerk ist zwischen 1982 und 1984 entstanden. Die Kapelle nutzt der ev.-luth. Kirchenkreis Peine für Zusammenkünfte und steht der Öffentlichkeit tagsüber zur Verfügung. Nachahmungen und Verfremdungen in der Werbung und der Kunst Auf Grund seines hohen Bekanntheitsgrades gibt es zahlreiche Parodien und Verfremdungen des Abendmahls: Kunst Salvador Dalí adaptierte das Bild 1955. Yo Mama’s Last Supper der US-amerikanischen Fotografin Renée Cox wurde im Jahr 2001 im Rahmen einer Ausstellung von 94 „Schwarzen Fotografen“ im Brooklyn Museum ausgestellt und löste eine lebhafte Auseinandersetzung mit dem New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani aus. Jesus ist auf diesem Bild weiblich und nackt. Filme und Serien In seinem Film Viridiana (1961) arrangiert Luis Buñuel die Szene eines Fressgelages nach dem Muster von Leonardos Abendmahl. In Robert Altmans Filmkomödie M*A*S*H (1970) wird die Bildkomposition des Abendmahls in einer Szene nachempfunden, in der der Zahnarzt des Lazaretts (genannt: der schmerzlose Bohrer) seinen Abschied feiert, bevor er sich aus Gründen sexueller Unzulänglichkeiten umbringen will. Dabei nimmt er selbst die Rolle Jesu ein, während seine Kollegen die Posen der Jünger einnehmen. In dem Episodenfilm Mel Brooks – Die verrückte Geschichte der Welt (1981) bedient der Aushilfskellner Comicus (Mel Brooks) Jesus und die Jünger. Leonardo da Vinci soll ein Gruppenporträt anfertigen und gruppiert die Tischordnung in der Weise um, wie auf seinem Bild zu sehen. Comicus stellt sich mit einem silbernen Tablett hinter Jesus, das den Heiligenschein parodiert. In dem Film Biker Boyz (2003) zeigt das Gemälde die Mitglieder des Clubs. Im Spielfilm Mord im Orient-Express (Originaltitel: Murder on the Orient Express) aus dem Jahr 2017 ist die Abschlussszene optisch sehr stark an das Abendmahlgemälde von Leonardo da Vinci angelehnt. Regisseur Kenneth Branagh erklärte diesen Bezug auf das Gemälde ausdrücklich als von ihm beabsichtigt. In der Animeserie Golden Kamuy wird in einer Szene das Gemälde mit den Charakteren der Serie dargestellt. Mode, Werbung, Plattenhüllen 1993 erschien ein Werbemotiv der Modemarke Otto Kern, das Leonardos Abendmahl zu Werbezwecken nutzte und in Deutschland Kontroversen auslöste: Statt der Jünger saßen barbusige Models um einen Jesus-Darsteller. Das Plakat wurde vom deutschen Werberat gerügt und musste zurückgezogen werden. Das spätere Motiv, in dem zwölf Männer um eine Jesus-Darstellerin formiert waren, blieb dagegen weitgehend unbeachtet. Das französische Modehaus Girbaud warb Ende April 2005 in Frankreich mit einer Anzeige, die nur in formaler Hinsicht das Abendmahl zitierte. Zu sehen waren zwölf weibliche Mannequins, von denen eine offensichtlich Christus darstellte. Zwei andere umarmten einen Mann mit nacktem Oberkörper in Jeans. Die katholische Kirche reichte wegen Blasphemie eine Klage ein. Am 10. März gab Richter Jean-Claude Magendie dieser statt und forderte Girbaud gegen Androhung einer Geldstrafe auf, in ganz Frankreich die Plakate binnen drei Tagen entfernen zu lassen. Eine französische Werbung für den VW Golf zeigte unter dem Motto „Freuen wir uns, Freunde, denn der neue Volkswagen ist geboren“ Jünger hinter einer langen Tafel, in Posen, die an die der Figuren in da Vincis Abendmahl erinnern. In der Werbekampagne für die US-Serie Battlestar Galactica wird die vierte Staffel (2008–2009) mit einem Bild beworben, in dem die Darsteller das Gemälde nachstellen. Das CD-Titelbild des Steel-Panther-Albums All You Can Eat aus dem Jahr 2014 zeigt die Bandmitglieder mit Frauen am und auf dem Tisch. Literatur Georg Eichholz: Das Abendmahl Leonardo da Vincis: Eine systematische Bildmonographie. scaneg, München 1998, ISBN 978-3-89235-222-8. Georg Eichholz: Tema con variazioni: Briefe rund um Leonardos Mailänder Abendmahl. scaneg, München 2009, ISBN 978-3-89235-122-1. Willi Finkenrath: Das Zeugnis des Wortes: Das Abendmahl des Lionardo da Vinci. edition lionardo, Wuppertal 2003, ISBN 3-9808672-9-3. Michael Ladwein: Leonardo. Das Abendmahl. Weltendrama und Erlösungstat. Pforte Verlag, Dornach 2004, ISBN 3-85636-153-7. Leonhard Salleck: Der Schlüssel: Geheime Botschaften in Leonardo da Vincis Abendmahl. Kastner, Wolnzach 2004, ISBN 3-937082-11-5. Leo Steinberg: Leonardo’s Incessant Last Supper. Zone Books, New York 2001, ISBN 978-1-890951-18-4. Christoph Wetzel: Reclams Buch der Kunst. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2001, ISBN 3-15-010476-9. Manfred Wundram: Die berühmtesten Gemälde der Welt. Imprimatur Druck- und Verlagsgesellschaft, Bergisch Gladbach 1976. Belletristik Leo Perutz: Der Judas des Leonardo. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, ISBN 3-423-13304-X. Javier Sierra: Das geheime Abendmahl. Roman. Limes, München 2006, ISBN 978-3-8090-2526-9. Film Das Geheimnis des letzten Abendmahls. (OT: The search for the Last Supper.) Dokumentarfilm, Großbritannien, 2017, 42:36 Min., Buch und Moderation: Jean-Pierre Isbouts, Kamera: Aj Martinson, Produktion: Pantheon Studios, deutsche Erstsendung: 18. April 2019 bei Deutsche Welle, Reihe: DokFilm, online-Video und von Deutsche Welle; englische Fassung. – . Radio Abtei Tongerlo besitzt wohl echtes Werk von Leonardo da Vinci. Radio-Beitrag, Belgien, 2019, 4:07 Min., Skript: Kay Wagner, Produktion: BRF, Internetpublikation: 2. Mai 2019, Manuskript und Audio-Datei. Weblinks Leonardo da Vinci – Das Letzte Abendmahl (zoombar, 16 Gigapixel, nach kostenloser Registrierung) Kurzer Videoguide zum Gemälde bei artinspector (englisch) Leonardo da Vinci – Bilder und Zeichnungen Besichtigung des Gemäldes (ital., englisch) Die Restaurierung des Gemäldes. In: das-letzte-abendmahl.de Mimik und Gestik der zwölf Apostel. In: das-letzte-abendmahl.de Einzelnachweise Gemälde von Leonardo da Vinci Wandmalerei Abendmahl (Bildende Kunst) Personendarstellung (Jesus von Nazareth) Gruppenbildnis Santa Maria delle Grazie (Mailand) Italienische Renaissance (Malerei) Gemälde (15. Jahrhundert) Gemälde (Neues Testament)
1112
https://de.wikipedia.org/wiki/Dreiperiodensystem
Dreiperiodensystem
Das Dreiperiodensystem ist eine wissenschaftliche Systematik der Archäologie, das die europäische Urgeschichte anhand charakteristischer Materialien zur Werkzeug-, Waffen- und Schmuckherstellung in die drei Perioden Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit gliedert. Die Erkenntnis einer solchen Gliederung verhalf der Prähistorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer wissenschaftlichen Struktur. Grundsätzlich ist diese Gliederung bis heute beibehalten worden, auch wenn mit der Steinzeit damals lediglich die Jungsteinzeit im Fokus der Forscher stand. Eine Definition der Altsteinzeit erfolgte erst 1865 durch John Lubbock, der die Steinzeit damit in die „Periode des geschlagenen Steins“ (Old Stone Age ,Altsteinzeit‘) sowie die „Periode des geschliffenen Steins“ (New Stone Age ,Jungsteinzeit‘) teilte. Das Dreiperiodensystem von Thomsen Das System wurde maßgeblich vom dänischen Archäologen Christian Jürgensen Thomsen entwickelt. 1807 stieß Thomsen zu der im selben Jahr gegründeten „Kommission zur Erhaltung von Altertümern“ unter Leitung von Professor Rasmus Nyerup (1759–1829). 1816 legte Nyerup sein Amt als Leiter der Kommission nieder und Thomsen übernahm diesen Posten. Im Jahre 1819 wurde aus der Altertümersammlung das Dänische Nationalmuseum zu Kopenhagen und Thomsen wurde der erste Kustos der so genannten „Altnordischen Sammlung“. Bei der Neuordnung dieser Sammlung in den Jahren 1821 bis 1825 erkannte er, dass sich der Fundstoff chronologisch in Gebrauchsgegenstände und Waffen aus Stein, Bronze und Eisen gliedern lässt. Die Einengung der Phase, in der Thomsen die neue Zeiteinteilung vornahm, geht aus dem posthum veröffentlichten Briefwechsel zwischen Thomsen und Johann Gustav Gottlieb Büsching aus den Jahren 1823–1825 hervor. Da es zur Zeit Thomsens keinerlei radiometrische Datierungen gab, halfen ihm lediglich stilistische Beobachtungen bei dieser Sortierung, deren Fundkontext meist nicht überliefert war. Infolge der in Dänemark vergleichsweise wenigen Funde des Spätglazials (Hamburger Kultur, Bromme-Kultur) sowie des Mesolithikums, hatte Thomsen bei Funden aus Stein hauptsächlich als Grabbeigaben überlieferte Objekte aus der Jungsteinzeit im Blick. Als Beispiele der von ihm „heidnischen Zeit“ genannten frühesten Phase (heute Jungsteinzeit) werden „Schleifsteine“, „Keile“, „Meißel“, „Messer“ und „Lanzenspitzen“ genannt, die zum Teil aus Feuerstein bestehen und den Abbildungen zufolge der Trichterbecherkultur zuzuordnen sind. Hammeräxte mit rundem oder kantigem Schaftloch deuten auf die Einbeziehung endneolithischer Formen hin, wie sie in der Dolchzeit bzw. Einzelgrabkultur vorkommen. Auch hier handelte es sich überwiegend um Funde aus Gräbern. Die insgesamt aus der Ordnung der Bestände abgeleitete Dreiteilung der dänischen Vorgeschichte wurde von ihm schließlich 1836 (anonym) im Museumsführer Ledetraad til nordisk Oldkyndighed veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung Leitfaden zur nordischen Alterthumskunde erschien im Jahre 1837 ebenfalls in Kopenhagen. Andere Entdecker des Dreiperiodensystems Bereits 1835 hatte der deutsche Johann Friedrich Danneil einen Bericht über eine Ausgrabung bei Salzwedel verfasst, in welchem er aufgrund von Beobachtungen an Grabhügeln ebenfalls die Dreiteilung der Vorgeschichte postulierte. Ein Jahr später veröffentlichte Georg Christian Friedrich Lisch eine Studie zur chronologischen und ethnologischen Einteilung der Vorgeschichte, die er schließlich 1839 – unter Einfluss von Thomsens Erkenntnissen – zu einem Dreiperiodensystem erweiterte. Es ist davon auszugehen, dass zumindest Thomsen und Danneil unabhängig voneinander das Dreiperiodensystem entwickelt haben. Dennoch entbrannte um die Frage, wer von beiden zuerst jene Idee hatte, eine heftige Debatte zwischen deutschen und dänischen Archäologen, die hauptsächlich politische Motive hatte, und die deshalb nicht zufällig ihren Höhepunkt während des Deutsch-Dänischen Krieges von 1864 fand. Die deutschen Archäologen Hugo Mötefindt (1893–1932) und Gustaf Kossinna verwiesen beispielsweise darauf, dass Danneil selbst ausgrub, während Thomsen als Museumsdirektor lediglich die Funde von Kollegen auswertete. Dennoch war die Wirkung des Kopenhagener Museumsführers, die auf einer großen Materialbasis beruhte, international weit größer als die regionale Grabungsbeobachtung Danneils. Kritik Erste zeitgenössische Kritik an Thomsens Dreiperiodensystem kam vom deutschen Archäologen Ludwig Lindenschmit, der auf die zeitlichen Unterschiede von Stein- und Bronzeverwendung in Nord- und Süddeutschland verwies. Des Weiteren setzte sich – allerdings erst später – die Vorstellung durch, dass die Übergänge zwischen den Perioden fließend verlaufen; insbesondere zwischen Stein- und Bronzezeit, wozwischen heute eine Übergangsperiode, die Kupfersteinzeit eingefügt wird. Bereits im 19. Jahrhundert erwies sich das Dreiperiodensystem in seiner Einteilung als zu grob und wurde schon 1859–61 von Thomsens Schüler Jens Jacob Asmussen Worsaae weiter unterteilt. Bis heute unterteilten Generationen von Vor- und Frühgeschichtlern das Dreiperiodensystem in mehrere dutzend Abschnitte. Das Dreiperiodensystem wurde ursprünglich für Mitteleuropa entwickelt, lässt sich aber auf ganz Europa und weite Teile Asiens anwenden. In Afrika dagegen gibt es keine Bronzezeit, sondern einen direkten Übergang von der Stein- zur Eisenzeit; und auch auf beiden amerikanischen Kontinenten ist das System nicht anwendbar. Literatur Manfred K. H. Eggert: Prähistorische Archäologie. Konzepte und Methoden. Tübingen 2001, ISBN 3-8252-2092-3, S. 31–45. Svend Hansen: Von den Anfängen der prähistorischen Archäologie. Christian Jürgensen Thomsen und das Dreiperiodensystem. In: Prähistorische Zeitschrift 76 (2001), S. 10–23. Jørn Street-Jensen (Hrsg.): Christian Jürgensen Thomsen und Ludwig Lindenschmit, eine Gelehrtenkorrespondenz aus der Frühzeit der Altertumskunde. Mainz 1985, ISBN 3-88467-014-X. Osmund Menghin: Dreiperiodensysteme – Dreistufentheorien. In: O. Menghin/H.M. Ölberg (Hrsg.): Festschrift Leonhard C. Franz zum 70. Geburtstag. Innsbruck 1965, S. 289–296. Undine Stabrey: Archäologische Untersuchungen. Über Temporalität und Dinge. transcript Verlag, Bielefeld 2017, ISBN 978-3-839-4358-61. Einzelnachweise ! Archäologischer Fachbegriff
1113
https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer%20Brand%20von%20London
Großer Brand von London
Der Große Brand von London ( war eine Feuersbrunst, die vom Sonntag, 2. September 1666, bis Mittwoch, 5. September 1666, vier Fünftel der City of London zerstörte, darunter die meisten mittelalterlichen Bauten. Das Feuer machte etwa 100.000 Einwohner obdachlos, kostete aber nach offiziellen Zahlen nur wenige das Leben. Einige Monate zuvor war London von einer anderen Katastrophe heimgesucht worden, der letzten Großen Pest. Verlauf Entstehung und Ausbreitung des Feuers Der Sommer des Jahres 1666 war heiß und trocken. Ab Ende August blies ein warmer Südwestwind durch London, der von vielen als Pestbringer gefürchtet wurde. Die Feuergefahr hingegen war für die Londoner Teil des täglichen Lebens – Streichhölzer wurden erst 1820 erfunden, Feuer wurden mit Zunder oder mit glühenden Kohlen entfacht, die in Eimern von Haus zu Haus transportiert wurden. Oft ließ man das Herdfeuer aus Bequemlichkeit auch über Nacht weiterglimmen, Brände waren keine Seltenheit. Der Große Brand brach am frühen Sonntagmorgen des 2. September in der Backstube eines königlichen Bäckers in der Pudding Lane nahe dem Themseufer aus. Der Bäcker Thomas Farynor (oder Farrinor, Farryner oder Faryner) hatte wohl die Glut im Backofen übersehen, als er am Abend seine Backstube abschloss. Der Bäcker wurde in der Nacht durch das Feuer geweckt und konnte mit seiner Familie fliehen; seine Hausmagd wurde zum ersten Opfer. Damals war es üblich, jedes Stockwerk überkragend auf das darunter liegende zu bauen (Rähmbauweise). Diese Bauart führte dazu, dass die ohnehin schmalen Gassen nach oben immer enger wurden und die Häuser auf Höhe eines zweiten Stockwerks fast zusammenstießen. Obwohl sowohl das Fachwerk als auch die Gefachung aus Lehmbau schwer entflammbar sind, begünstigten schadhafte Stellen an den Häusern im Armenviertel die Ausbreitung durch Funkenflug. So sprang das Feuer leicht über Straßen und Gassen hinweg; es konnte sich durch den starken Wind und die leicht entflammbaren Baumaterialien der meist aus Holzfachwerk erbauten Häuser schnell ausbreiten. Innerhalb weniger Stunden zerstörte das Feuer die aus Holz gebauten Häuser der Pudding Lane. Das Star Inn, ein Gasthaus an der London Bridge, brannte ab, und das Feuer griff auf die Thames Street über. In den dortigen Lagerhäusern befindliche Rohstoffe wie Öl, Hanf, Flachs, Pech, Teer, Seile, Hopfen und Weinbrand fachten das Feuer weiter an, das auf die angrenzenden Werften, wo Holz und Kohle gelagert wurden, übergriff. Sir Thomas Bludworth, der Bürgermeister Londons, der aus dem Schlaf geholt wurde, meinte jedoch: „Pish! A woman might piss it out!“ (etwa: „Pah, eine Frau könnte es auspinkeln“) und ging wieder zu Bett. Bekämpfung Löschversuche mit Wasser aus Ledereimern waren praktisch wirkungslos, auch weil die Wasserrohre Londons damals aus Holz und damit oftmals undicht und unzuverlässig waren – nun zerstörte das Feuer auch noch Teile der Zuleitungen. Im Regelfall wurden bei Feuer an bestimmten Punkten der Wasserleitungen Pumpen angeschlossen – eine frühe Form des Hydranten. Im Chaos des Großbrandes jedoch wurden Straßen aufgerissen, um an die Wasserleitungen zu kommen, was den Wasserdruck gegen Null sinken ließ. Samuel Pepys, der das Feuer schon in der Nacht beobachtet hatte, fuhr am Sonntagvormittag zum Palast von Whitehall, um Karl II. zu sprechen. Die Hofgesellschaft hatte noch nicht vom Brand gehört. Pepys berichtete vom Stand der Dinge und bat im Gespräch mit dem König und dessen Bruder Jakob, dem Herzog von York, die Sprengung von Häuserzeilen anzuordnen, da dies die einzige Möglichkeit sei, das Feuer aufzuhalten. Danach eilte Pepys zum Bürgermeister, der in der Canning (Cannon) Street Löscharbeiten befehligte und sich beklagte, dass man seinen Anordnungen nicht Folge leistete. Hausbesitzer, deren Güter nicht unmittelbar bedroht schienen, weigerten sich, ihre Häuser einreißen zu lassen. Das Feuer sprang inzwischen schneller von Haus zu Haus als die Retter diese abreißen konnten. Am Sonntagabend beobachtete Pepys „one entire arch of fire from this to the other side of the bridge, and in a bow up the hill, for an arch of above a mile long: it made me weep to see it.“ („ein einziger Bogen von Feuer von hier bis ans andere Ende der Brücke und in einem Bogen den Hügel hinauf, einen Bogen von mehr als einer Meile formend: der Anblick ließ mich weinen.“). Am Montag wurde klar, dass nur noch die Flucht übrig blieb; die Straßen waren verstopft mit Wagen und Menschen mit ihren Habseligkeiten, der Fluss voll mit Booten. Das Feuer übersprang Cornhill und verschlang das kommerzielle Zentrum Londons, die Royal Exchange, wo sich dieser Zweig des Brandes mit einem östlichen und einem südlichen vereinigte und Cheapside vernichtete. Dienstag war der schlimmste Tag des Feuers; die eingerüstete St Paul’s Cathedral fing Feuer, was auch die in der St Faith’s Chapel gelagerten Vorräte der Londoner Buchhändler komplett vernichtete. Der Schriftsteller und Tagebuchautor John Evelyn schrieb, das geschmolzene Blei sei vom Dach von St Paul’s in Bächen über die rotglühenden Pflastersteine gelaufen und die Steinquader des Gebäudes seien ringsum wie Granaten eingeschlagen. Eines der wenigen Gebäude, die der Hitze widerstanden, war die mittelalterliche Guildhall, in deren Krypta auch die Papiere der Stadt das Feuer überstanden. Während im Westen der Stadt der König und sein Bruder, dem das Kommando über die Stadt übertragen worden war, relativ erfolglos Löschmaßnahmen koordinierten, vor allem weil der Wind gegen sie arbeitete, war im Nordosten, der windabgewandten Seite, die Chance höher, Objekte zu sichern. Als Beamter der Royal Navy organisierte Pepys gemeinsam mit Admiral William Penn die Sprengung von Häusern rund um das Navy Office am Tower of London. Auf dieselbe Art wurde auch der Tower selbst gerettet. Die dort gelagerten großen Mengen an Schwarzpulver hätten die Katastrophe vergrößert. Am Abend schrieb Pepys seinem Vater einen Brief über die Ereignisse, aber da das Postamt abgebrannt war, konnte der Brief nicht abgeschickt werden („the posthouse being burnt, the letter could not go“). Als am Mittwoch die Flammen den Palast von Whitehall bedrohten, folgte man den Empfehlungen der Royal Navy und sprengte eine Feuerbresche, die das Feuer aufhielt. Der Wind ließ gegen Mittwochabend nach, so dass nach und nach der Brand unter Kontrolle gebracht und schließlich gelöscht werden konnte. Schäden Der Brand von London im Jahr 1666 zerstörte rund 400 Straßen, 13.200 Häuser und 87 Kirchen, darunter auch die alte St Paul’s Cathedral, das Christ’s Hospital, das Gefängnis von Newgate, das Zollhaus, die Royal Exchange, drei der Stadttore und auch den deutschen Stalhof. Der Tower of London konnte nur gerettet werden, weil man die Häuser ringsherum sprengte. 80 % der Häuser innerhalb der Stadtmauern auf einer Fläche von 1,3 Quadratkilometern brannten nieder und rund 100.000 Einwohner wurden obdachlos. Obwohl nur 4–9 Todesfälle offiziell gemeldet wurden, geht man davon aus, dass es weitaus mehr Opfer gab. Der materielle Schaden wurde auf 10 Millionen Pfund geschätzt, was heute einem Wert von 1,7 Milliarden Pfund entspricht. John Evelyn beschrieb seinen Besuch der schwelenden City am Donnerstag nach dem Brand als „einen Marsch über Berge von rauchenden Trümmern“ und berichtete, dass der Boden so heiß war, dass selbst seine Schuhsohlen versengt wurden. Suche nach einem Schuldigen Obwohl der Brand offenkundig in der Bäckerei entstanden war, verbreitete sich rasch die Verschwörungstheorie, die Jesuiten hätten ihn gelegt. Der französische Uhrmacher Robert „Lucky“ Hubert gestand – wahrscheinlich unter der Folter – er sei ein Agent des Papstes und habe das Feuer in Westminster gelegt. Später veränderte er seine Aussage dahingehend, er habe es in der Bäckerei in der Pudding Lane entfacht. Trotz überwältigender Beweise für seine Unschuld wurde er verurteilt und am 27. Oktober 1666 gehängt. Erst nachträglich stellte sich heraus, dass er erst zwei Tage nach dem Brand nach London gekommen war. Virulent wurde der Irrglaube an eine katholische Verschwörung noch einmal zwölf Jahre später in der sogenannten Papisten-Verschwörung. Eine Tafel an dem an das Feuer erinnernden Monument, die die Schuld an dem Feuer den Katholiken zuwies, wurde erst im 19. Jahrhundert entfernt. Wiederaufbau Die Aufräumungsarbeiten wurden zunächst den jeweiligen Grundeigentümern überlassen, im November gab der König jedoch hundert Pfund aus, um die immer noch herumliegenden Trümmer wegräumen zu lassen. Der Wiederaufbau der zerstörten Flächen war für Gelehrte wie den Astronomen und Architekten Christopher Wren, den Geometrieprofessor Robert Hooke, John Evelyn, Peter Mills (1598–1670) und Richard Newcourt (um 1610–1679) die Gelegenheit, ihre Pläne für eine Stadt mit weiten Straßenachsen und geometrischen Schmuckplätzen vorzulegen. Wie man an Wenzel Hollars Plan der Stadt nach dem Brand sieht, waren jedoch vielfach Grundmauern erhalten und Straßenzüge erkennbar geblieben. Schon Mitte September hatten sich König, Parlament und die Corporation of London als Vertreter Londons geeinigt, dass ein Plan, der auf bestehende Grundbesitzverhältnisse keine Rücksicht nahm, zu teuer und daher undurchführbar war. Die Stadt als Körperschaft war in finanziellen Schwierigkeiten – ihre Einkünfte kamen bis zum Ausbruch des Feuers aus Erträgen aus Besitz, der verbrannt war und den Abgaben der Einwohner, die geflohen und in vielen Fällen ruiniert waren. Die Finanzen des Königs waren desolat, und das Parlament war nicht gewillt, die Kosten Londons zu tragen. Da der Staatshaushalt nicht zuletzt von den Steuereinnahmen Londons abhing, war ein schneller Wiederaufbau zwingend. Am 13. September 1666 proklamierte der König neue Bauvorschriften, in denen Stein und Ziegel als einzige erlaubte Baumaterialien für neue Häuser die Feuergefahr eindämmen sollten. Das Überhängen von Stockwerken wurde verboten, Hauptstraßen mussten eine Mindestbreite haben und am Flussufer sollte ein breiter Kai gebaut werden. Die genaue Ausarbeitung der Vorschriften wurde einer Kommission aus sechs Personen übertragen. Drei wurden vom König nominiert: Christopher Wren, Hugh May – ein Beamter mit Erfahrungen im Bereich Architektur – und der Architekt Roger Pratt. Die drei weiteren wurden von der Stadt bestellt: Robert Hooke, Kurator der Royal Society, und zwei Männer mit Lokalkenntnissen, Edward Jerman (um 1605–1668) und Peter Mills, der Stadtvermesser. Am 8. Februar 1667 wurde der First Rebuilding Act vom Parlament beschlossen. Er legte drei Arten von Standardhäusern fest, mit geregelten Stockwerkshöhen und Wandstärken und einem Maximum von vier Etagen. Er beinhaltete auch Vorgaben, wie Streitigkeiten zwischen Nachbarn um Grundstücksverläufe zu regeln seien, und schrieb vor, dass einzeln neuerbaute Häuser auf beiden Seiten Ziegel vorstehen lassen mussten, um später daneben gebauten Häusern „Anschluss“ zu geben. Handwerkern, die sich am Wiederaufbau beteiligten, wurde die Bürgerschaft für sieben Jahre angeboten. Eine Steuer auf Kohle, die in London gelöscht wurde, glich einen Teil des enormen Verlustes aus. Ein Teil dieser Steuer wurde auch für den Wiederaufbau der St Paul’s Cathedral verwendet, die Christopher Wren neben vielen anderen Kirchen und Gebäuden errichtete. Gemeinsam mit Hooke baute er zudem auch das Monument, das als Erinnerung an das Große Feuer entstand. Die Höhe des Monuments (62,15 m) entspricht der Distanz zwischen seinem Standort und der ehemaligen Bäckerei Thomas Faryners in der Pudding Lane, wo das Feuer ausbrach. Erinnerung, Wiederverwendung des Begriffs An der Ecke Pudding Lane und Monument Street befindet sich heute eine Gedenktafel am Gebäude der Lloyds Banking Group, um an den Ausbruch des Brandes in Faryners Backstube zu erinnern. Das Gebäude der Lloyds Banking Group trägt den offiziellen Namen Faryners House, der neben dem Eingang auf einem großen Stein zu sehen ist. Die Straße Pudding Lane hat ihren Namen vom altenglischen Wort Puddings für Schlachtabfälle und Innereien, die von den nördlich gelegenen Schlachterläden in Eastcheap auf Karren entlang dieser Straße zur Themse transportiert wurden und dabei gelegentlich herunterfielen. Dort wurden sie auf Boote verladen und abtransportiert. Bei den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg (The Blitz) seit September 1940, vor allem auf London, wurden die Schäden vom 29. auf den 30. Dezember 1940 ein Zweiter Brand genannt. Die deutschen Angriffsserien galten bald nicht mehr nur den Häfen am East End und führten immer wieder zu Flächenbränden. Durch die Veröffentlichung eines Fotos der intakten Kuppel der St.-Paul’s-Kathedrale von diesem Tag am 31. Dezember 1940 wurden der Überlebenswille und die Kampfmoral der Stadtbevölkerung trotz der verheerenden Schäden gestärkt. Die Schlagzeile im Daily Mail lautete: „War's Greatest Picture: St Paul's Stands Unharmed in the Midst of the Burning City“ (Auf deutsch etwa: Das größte Bild dieses Krieges – St. Paul’s steht unbeschädigt in der Mitte der brennenden Stadt). Literatur Stephen Inwood: A History Of London, Macmillan Publishers, London 2000, ISBN 0-333-67154-6. The Concise Pepys, Wordsworth Edition, Hertfordshire 1997, ISBN 1-85326-478-4. Liza Picard: Restoration London, Orion Publishing Group, London 2001, ISBN 1-84212-467-6. Simon Schama: A History Of Britain 1603–1776, BBC Worldwide, London 2001, ISBN 0-563-53747-7. Claire Tomalin: Samuel Pepys. The Unequalled Self, Penguin Books, London 2003, ISBN 0-14-028234-3. Simon Turner: Der grosse Brand von London in Farbe und Linien in: Entfesselte Natur: Das Bild der Katastrophe seit 1600, Hrsg. von Markus Bertsch und Jörg Trempler, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2018, S. 34–43, ISBN 978-3-7319-0705-3. Mary Hooper: Aschenblüten, Bloomsbury Taschenbuchverlag, London 2004, ISBN 3-8333-5017-2. Weblinks Kalenderblatt „Eine schreckliche, böse, blutrote Flamme“, Deutschlandfunk, 7. September 2006. Ausgabe der London Gazette vom 3. September 1666 über den Großen Brand von London (englisch) ZDF History, London in Flammen – Das große Feuer von 1666 – TV-Dokumentation zum Großbrand Einzelnachweise Grosser Brand Stadtbrand Katastrophe (17. Jahrhundert) Feuerwehreinsatz im Vereinigten Königreich Grosser Brand von London
1118
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches%20Reich
Deutsches Reich
Deutsches Reich ist der Name des deutschen Nationalstaates zwischen 1871 und 1945. Anfangs nicht deckungsgleich, wurde der Name zugleich auch die staatsrechtliche Bezeichnung Deutschlands. Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 kam die Bezeichnung „Großdeutsches Reich“ in den propagandistischen und amtlichen Gebrauch. Ein Führererlass wies die Institutionen des Staates im Juni 1943 an, zukünftig diese Benennung zu verwenden. Der Ausdruck Deutsches Reich wird gelegentlich auch gebraucht, um den deutschen Reichsteil des Heiligen Römischen Reiches (962–1806) zu bezeichnen: ein übernationales, letztlich überstaatliches Herrschaftsgebilde, das ab dem 15./16. Jahrhundert mit dem Zusatz „Deutscher Nation“ versehen worden war und in dem sich keine dauerhafte monarchische Zentralgewalt etablieren konnte, das aber von einem erwählten Kaiser repräsentiert wurde. Im Jahr 1848 entstand während der Märzrevolution ein „Deutsches Reich“ als deutscher Bundesstaat. Dessen Reichsregierung und damit die provisorische Verfassung wurde vom Bundestag des Deutschen Bundes anerkannt. Im Frühjahr 1849 jedoch ließ der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die Revolution niederschlagen, und die ausgearbeitete Verfassung konnte sich nicht durchsetzen. Beim Deutschen Reich des 19. und 20. Jahrhunderts unterscheidet man allgemein mehrere Perioden: die Monarchie des Deutschen Kaiserreichs (1871–1918), die pluralistische, semipräsidentielle Demokratie der Weimarer Republik (1918/19–1933) und die Diktatur des NS-Staates in der Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945). In der folgenden Übergangsperiode des besetzten Deutschland bis 1949 kam die Bezeichnung bereits weitgehend außer Gebrauch. In der zunächst umstrittenen Frage, ob das Deutsche Reich nach 1945 fortbestanden habe, setzte sich ab Ende der 1940er Jahre und schließlich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 die These durch, dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch von 1945 überdauert habe. Die Bundesrepublik sei nicht dessen „Rechtsnachfolger“, vielmehr als Staat mit dem Staat „Deutsches Reich“ identisch; hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung war die Alt-Bundesrepublik Deutschland bis 1990 „teilidentisch“ (teilkongruent). Aus der Formel von der räumlichen Teilidentität folgte: „Die DDR gehört zu Deutschland“ (BVerfGE 36, 17), aber nicht zur Bundesrepublik. Reichsgründung 1871 Das Deutsche Reich entstand formell zum 1. Januar 1871 durch das Inkrafttreten einer gemeinsamen Verfassung. Der Verfassungstext entsprach dem Text der Norddeutschen Bundesverfassung in der Fassung nach dem badisch-hessischen Vertrag. Nachdem die deutschen Südstaaten – Bayern, Württemberg, Baden und Hessen – mit den Novemberverträgen 1870 beschlossen hatten, durch ihren Beitritt zum Norddeutschen Bund einen Deutschen Bund zu gründen, war am 10. Dezember noch vereinbart worden, die Bezeichnung „Deutscher Bund“ durch „Deutsches Reich“ zu ersetzen und dem „Bundespräsidium“ den Titel „Deutscher Kaiser“ zu geben. Als Nationalstaat fasste das Reich alle Deutschen zusammen, ausgenommen Deutsch-Österreicher, Luxemburger und Liechtensteiner. Österreich hatte der Ausdehnung des Norddeutschen Bundes über die Mainlinie am 25. Dezember 1870 ausdrücklich zugestimmt und das Reich damit völkerrechtlich anerkannt. Der Kaisertitel für den preußischen König und auch die Reichsgründung wurden als Angelegenheit der Fürsten inszeniert. So ist auch die Kaiserproklamation des preußischen Königs am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles zu verstehen. Dieses Datum wurde als Reichsgründungstag begangen, aber nicht zum gesetzlichen Feiertag erhoben, da am 18. Januar bereits an die Krönung Friedrichs I. zum preußischen König erinnert wurde. Die wichtigen Feiertage des deutschen Kaiserreichs waren vielmehr Kaisers Geburtstag und Sedantag. Nach den ersten gesamtdeutschen Reichstagswahlen eröffnete Kaiser Wilhelm I. am 21. März 1871 den Reichstag. Der Reichstag redigierte die unvollständig gebliebene Verfassung, deren Entwurf am 16. April vorlag, am 20. April verkündet wurde und am 4. Mai 1871 in Kraft trat. Verfassungsgeschichte Der 1866 als Militärbündnis gegründete Norddeutsche Bund hatte zum 1. Juli 1867 ein Verfassungsgesetz erhalten. Diese Verfassung des Norddeutschen Bundes hatte ihn zu einem monarchischen Bundesstaat unter preußischer Führung geformt. Durch den Beitritt der Süddeutschen Staaten entstand Ende 1870 im staats- und verfassungsrechtlichen Sinne kein neuer Staat, sondern es wurde lediglich eine Verfassung des Deutschen Bundes (Novemberverfassung vom 31. Dezember 1870) verabschiedet. Es wurden Sonderregeln für bestimmte Staaten (Reservatrechte, wie ein eigenes Heer für Bayern in Friedenszeiten) festgelegt. Hinzu kam die Entscheidung von Bundesrat und Reichstag im Dezember 1870, den Bund Deutsches Reich und das Bundespräsidium zusätzlich Deutscher Kaiser zu nennen. Die Verfassung vom 31. Dezember 1870 erklärte in Art. 80 eine große Anzahl norddeutscher Bundesgesetze für Gesetze des Deutschen Bundes. Auf dieser (neuen) Verfassung beruhte die nachfolgende Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871. Verändert waren vor allem einige Bezeichnungen, meist von Bund zu Reich. Es gab zudem keinen Art. 80 mehr, der die Bundesgesetze noch einmal erwähnt hätte. Formell war das Reich ein Fürstenbund, weshalb der Bundesrat, die Vertretung der Gliedstaaten, sein höchstes Staatsorgan darstellte. Tatsächlich lagen die wesentlichen Machtbefugnisse beim Präsidium des Bundes, das der König von Preußen unter dem Titel ‚Deutscher Kaiser‘ innehatte. Der Kaiser setzte den Reichskanzler ein, der den Vorsitz im Bundesrat führte, seine Geschäfte leitete und einziger verantwortlicher Reichsminister war. Diese Verfassung galt dann fast fünfzig Jahre lang ohne wesentliche Änderungen. Dass der Kaiser im August 1914 seine Befugnis zur Erteilung von Befehlen an die obersten Kommandobehörden des Feldheeres auf den Generalstab übertrug, führte zu einer zentralistischen Bürokratie zu Lasten der Reichsleitung und der Bundesstaaten, die einer Militärregierung gleichkam. Erst mit der Oktoberreform 1918 erhielt der Reichstag das Recht zur Abwahl des Reichskanzlers und die Zuständigkeit für Akte der kaiserlichen Befehls- und Kommandogewalt von politischer Bedeutung. Am 9. November 1918 übergab der letzte kaiserliche Reichskanzler, Max von Baden, die Kanzlerschaft dem SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert. Dies war nicht verfassungsgemäß, aber Ebert galt als Garant für eine friedliche Entwicklung bis zur Neuordnung des Staates. Am 10. November 1918 trat eine revolutionäre Regierung unter der Bezeichnung Rat der Volksbeauftragten an, mit Ebert und dem USPD-Politiker Hugo Haase als Vorsitzendem. Das am 10. Februar 1919 erlassene Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt regelte die wichtigsten künftigen Verfassungsorgane und beschrieb ihre Zuständigkeiten in der Übergangsphase vom Deutschen Kaiserreich zur Weimarer Republik. Die am 14. August 1919 verkündete Weimarer Verfassung löste dann das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt ab. Mit ihr wurde das Deutsche Reich zu einer föderativen Republik mit einem gemischt präsidialen und parlamentarischen Regierungssystem. Das Deutsche Reich hatte nach der Weimarer Verfassung als Staatsorgane den Reichstag, den Reichspräsidenten, die Reichsregierung, den Reichsrat und den Staatsgerichtshof. Das Amt des Reichspräsidenten war mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. Er war in seiner Position mit dem starken Staatsoberhaupt der konstitutionellen Monarchie vergleichbar („Ersatzkaiser“). Der Reichspräsident ernannte und entließ die Mitglieder der Reichsregierung, repräsentierte das Volk, ernannte (auf Vorschlag des Reichsrates) Richter und hatte den Oberbefehl über die Reichswehr. Besonders die Artikel 25 (Auflösung des Reichstags) und 48 (Recht, bei Gefährdung der Ordnung Grundrechte außer Kraft zu setzen) zeigten sehr deutlich seine starke Machtposition. Die Weimarer Verfassung galt auch nach der Machtergreifung der NSDAP am 30. Januar 1933 formell fort. Sie wurde jedoch bald durch verfassungsdurchbrechende Gesetze und Verordnungen weitgehend außer Kraft gesetzt, zunächst durch die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, besser bekannt als „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar 1933. Faktisch bedeutungslos machte die Verfassung das von der Reichsregierung Hitler am 1. August 1934 erlassene Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, dessen § 1 „das Amt des Reichspräsidenten […] mit dem des Reichskanzlers“ vereinigte und festhielt, dass mit dem Ableben Paul von Hindenburgs alle „bisherigen Befugnisse des Reichspräsidenten auf den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler“ übergegangen wären. Den Übergang der verfassungsgebenden Gewalt auf die Reichsregierung (und damit die Beseitigung dessen Vorbehaltes, dass Reichsrat und Reichstag unangetastet bleiben) regelte dann Artikel 4 des Gesetzes über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934. Auch nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 7. und 8. Mai 1945 und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt in Deutschland durch den Alliierten Kontrollrat am 5. Juni 1945 blieb die Weimarer Verfassung zwar formal bestehen, war aber weiterhin außer Funktion. Geschichte Die Geschichte des Deutschen Reiches gliedert sich in drei beziehungsweise, wenn man die Besatzungszeit mitrechnet, konkret vier Abschnitte: 1871–1918 Deutsches Kaiserreich unter der Bismarckschen Reichsverfassung 1871–1890 Zeit des Reichskanzlers Otto von Bismarck 1890–1918 Wilhelminische Epoche und Erster Weltkrieg 1919–1933 Weimarer Republik unter der Weimarer Reichsverfassung 1933–1945 Zeit des Nationalsozialismus mit dem NS-Staat als Herrschaftssystem; propagandistische Eigenbezeichnung bis 1939: „Drittes Reich“; offizielle Staatsbezeichnung ab 1943: „Großdeutsches Reich“ 1945–1949 von den Hauptsiegermächten des Zweiten Weltkrieges in Besatzungszonen aufgeteilt, fortan als „Deutschland als Ganzes“ (“Germany as a whole”) bezeichnet und dem Alliierten Kontrollrat, der höchsten Regierungsgewalt, im Ganzen und den Militärgouverneuren in den einzelnen Zonen als Treuhänderschaft unterstellt (→ Nachkriegsdeutschland, Deutschland 1945 bis 1949). Als im Jahre 1868 die spanische Königin Isabella II. gestürzt wurde, bot der Erbprinz Leopold des katholischen Fürstenhauses Hohenzollern-Sigmaringen auf Veranlassung Bismarcks in der spanischen Thronfolgefrage seine Dienste als zukünftiger König an. Wegen der heftigen Reaktion in Frankreich zog er die Kandidatur sogleich zurück. Dennoch eskalierte der diplomatische Konflikt zu einer nationalen Frage, da beide Seiten keinen Ansehensverlust ertragen wollten oder konnten. Frankreich fühlte sich in seinem Prestige oder sogar in seiner Sicherheit bedroht und versuchte, die Königswahl militärisch zu unterbinden. Durch die Emser Depesche fühlte sich Frankreich herausgefordert und erklärte Preußen im Juli 1870 den Krieg. Der Deutsch-Französische Krieg verlief für die deutschen Armeen erfolgreich, sie besetzten im Januar 1871 die französische Hauptstadt Paris. Bismarck nutzte den Krieg, um sein Ziel, die Einigung der deutschen Staaten, durch einen gemeinsamen Feind durchzusetzen. Ab 1884 erwarb das Deutsche Reich mehrere Kolonien in Afrika, China und Ozeanien, die als „Schutzgebiete“ bezeichnet wurden. Die Frage nach deren staatsrechtlicher Zugehörigkeit konnte nicht widerspruchsfrei beantwortet werden: Die deutschen Kolonien galten nicht als Teile des Reiches, ihren nicht-europäischstämmigen Bewohnern wurde die deutsche Staatsangehörigkeit verwehrt; selbst Kinder aus Mischehen wurde sie häufig verwehrt. Dennoch waren die sogenannten Eingeborenen der deutschen Staatsgewalt unterworfen. Die herrschende Meinung ging dahin, dass die deutschen Kolonien für alle Drittstaaten Ausland waren, auf das sie keine Herrschaftsansprüche richten konnten. Für das Reich waren sie aber nicht Inland, sondern „Objekte der Reichsherrschaft“. Nach der militärischen Niederlage des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland 1945 unter Besatzung durch britische, französische, amerikanische und sowjetische Truppen gestellt. Die Gebiete östlich von Oder und Neiße und die westlich dieser Linie gelegenen Städte Swinemünde (entsprechend den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens) und Stettin mit einem Teil seines Hinterlandes (insgesamt etwa ein Viertel der Fläche von 1937) wurden faktisch vom Reich abgetrennt und, laut Potsdamer Abkommen, „vorläufig“ unter polnische bzw. sowjetische Verwaltung gestellt – letztendlich aber de facto annektiert. Die in den Ostgebieten ansässige deutsche Bevölkerung wurde, soweit sie nicht bereits im Zuge des Kriegsgeschehens in Richtung Westen geflüchtet war, in den folgenden Jahren weitestgehend und völkerrechtswidrig vertrieben. Mit der Wiederherstellung der Republik Österreich ab 27. April 1945 (Unabhängigkeitserklärung) – bis 1955 unter den vier Besatzungsmächten, dann als souveräner Staat –, der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1949 hörte das Deutsche Reich zwar unter historischen Gesichtspunkten faktisch (infolge völliger kriegerischer Niederkämpfung und militärischer Besetzung), aber keineswegs de jure auf zu existieren: Die Weimarer Verfassung wurde auch nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945, die als militärischer Akt die rechtliche Substanz der deutschen Staatsgewalt nicht entscheidend treffen konnte, und der Übernahme der Hoheitsgewalt über Deutschland durch die vier Besatzungsmächte nicht offiziell aufgehoben und das Deutsche Reich nicht aufgelöst. Die sich aus dieser De-jure-Fortexistenz ergebenden Folgen sind im Abschnitt Völkerrechtliche und staatsrechtliche Fragen nach 1945 erläutert. Staatsoberhäupter und Regierungschefs Entstehung des Begriffs Die Verwendung des Begriffs Deutsches Reich knüpfte an das Heilige Römisches Reich an. Dieses hatte sich 1806 unter dem erheblichen Druck Napoleons und gemäß dem Wunsch der Rheinbundstaaten, ihre volle Souveränität zu erlangen, aufgelöst. Der Habsburger Kaiser Franz II., der sich 1804 nach Napoleons Vorbild zum Kaiser von Österreich proklamiert hatte, legte nach dessen Ultimatum den Titel des Römischen Kaisers nieder und entließ alle Reichsbeamten und -organe aus ihren Verpflichtungen gegenüber Teutschland bzw. dem „deutschen Reich“. Mit dem Akt der Niederlegung der Reichskrone endete das Heilige Römische Reich. Die spätere Epoche des wilhelminischen Kaiserreiches wurde im Nachhinein als Zweites Reich bezeichnet. Diese Wortwahl deutete eine Nachfolgerschaft zum „ersten deutschen Reich“ an, ohne sie explizit auszusprechen. Der Begriff „Zweites Reich“ wurde 1923 von Arthur Moeller van den Bruck geprägt; in seinem Buch Das dritte Reich nannte er das römisch-deutsche Reich ein „Erstes Reich“ und das deutsche Kaiserreich von 1871 bis 1918 das „Zweite Reich“. Er erwartete, dass diesem ein „Drittes Reich“ folgen würde. Van den Bruck verstarb 1925, erlebte es also nicht. Die Vorstellung eines Dritten Reiches wurde rasch in die Propaganda der NSDAP übernommen, die damit ihre Ablehnung der Weimarer Republik ausdrückte (→ „Drittes Reich“ im Nationalsozialismus). Allerdings sah der Nationalsozialismus bald wieder vom Begriff „Drittes Reich“ ab. „Reich“ hingegen blieb in Verwendung, überspannt und pseudoreligiös, dadurch wurde der Begriff im Laufe der Nachkriegszeit vermehrt mit dem Nationalsozialismus selbst in Verbindung gebracht. Im angelsächsischen Raum spricht man noch heute von the Third Reich oder the German Reich. Das englische Wort Empire wird bei einer Republik als ungeeignet empfunden. Darum vermeidet man den Ausdruck German Empire für die Zeit nach 1918, obwohl die Weimarer Verfassung in Art. 1 Abs. 1 ausdrücklich verfügt: „Das Deutsche Reich ist eine Republik“. Begriff nach 1945 Auch in den ersten Jahren nach 1945 war Deutsches Reich und Reich eine verbreitete Bezeichnung für den wiederherzustellenden beziehungsweise neu zu organisierenden Staat. Das Subjekt des Staats- und Völkerrechts selbst blieb unangetastet; als solches wurde Deutschland bis 1948 durch den Kontrollrat vertreten, während die höchste Regierungsgewalt in der jeweiligen Besatzungszone von den Oberbefehlshabern der alliierten Streitkräfte und für Berlin von der Alliierten Kommandantur ausgeübt wurde. Die Alliierten selbst sprachen vor und während der Besetzung Deutschlands in ihren Erklärungen nie vom Deutschen Reich, sondern nur von Deutschland oder Nazi-Deutschland. In vielen Entwürfen für eine neue Verfassung der Jahre 1946/1947, beispielsweise der CDU, FDP und DP bzw. deren Politikern, findet sich der Ausdruck „Deutsches Reich“ wieder. Auch die unter alliierter Herrschaft ausgegebenen Pfennigmünzen der Jahrgänge 1945 bis 1948 trugen weiterhin die Bezeichnungen Reichspfennig und Deutsches Reich. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates über das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, den in den westlichen Besatzungszonen geplanten deutschen Teilstaat, wurde im Oktober 1948 darüber diskutiert, ob dieser die Bezeichnung Deutsches Reich weiterführen sollte. Man entschied sich aus „Gründe[n] psychologischer Art“ dagegen: Das Reich habe „bei den Völkern um uns herum einen aggressiven Akzent“ und werde „als ein Anspruch auf Beherrschung“ verstanden, so Carlo Schmid während der Beratung; Theodor Heuss sprach von einem „aggressiven Ton“, den das Wort bekommen habe. Schmid führte im Mai 1949 aus: „So ehrwürdig auch die Tradition des Namens ‚Deutsches Reich‘ ist – die Erinnerung an die Untaten, die während der nationalsozialistischen Zwingherrschaft in diesem Namen begangen worden sind, ist noch zu frisch“. Völkerrechtliche und staatsrechtliche Fragen nach 1945 Die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht und die anschließenden Gründungen von Bundesrepublik und DDR warfen die Frage auf, ob der deutsche Staat überhaupt noch existierte. Diese Frage war keineswegs nur akademisch, da bei einem Fortbestand des Deutschen Reichs von einer Okkupation auszugehen war, was bedeutete, dass die Besatzungsmächte in ihrem Handeln den Beschränkungen unterworfen waren, die die Haager Landkriegsordnung für den Fall einer Besetzung feindlichen Territoriums vorsah. Existierte das Reich nicht mehr, waren sie gegenüber den Deutschen dieser Bindungen ledig. Der österreichisch-amerikanische Rechtswissenschaftler Hans Kelsen vertrat bereits 1944 und 1945 die These, das Deutsche Reich sei durch Debellatio untergegangen. Mit der Übernahme der Regierungsgewalt („supreme authority“) in der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 gebe es keine deutsche Staatsgewalt mehr, die eines der drei konstitutiven Elemente eines Staates sei. Annahmen, der deutsche Staat existiere gleichwohl fort, seien nur Rechtsfiktionen. In dem Diskussionsprozess, der sich ab 1945 in Deutschland entspann, herrschte dagegen bald das Kontinuitätstheorem vor, das den Deutschen einen besseren Rechtsschutz zu gewährleisten schien. Kurz nach Bekanntwerden von Kelsens Argumentation in Deutschland widersprach etwa der deutsch-österreichische Rechtswissenschaftler Rudolf Laun 1947 in der Zeit: Jedes Volk habe das Recht auf völkerrechtliche Vertretung, mithin auch auf Staatsorgane, die diese Vertretung wahrnehmen könnten. Laun organisierte eine Tagung an der Universität Hamburg, auf der der Fortbestand des Deutschen Reiches argumentativ unterfüttert wurde. Auch in viel beachteten rechtswissenschaftlichen Veröffentlichungen von Erich Kaufmann, Wilhelm Grewe und Rolf Stödter aus dem Jahr 1948 wurde die Fortbestandsthese vertreten. Der weitere deutsche völkerrechtliche Diskurs fand in Gutachten der Verwaltungsbürokratie der Länder statt sowie in den rechtswissenschaftlichen Fachzeitschriften, die ab Frühjahr 1946 wieder zu erscheinen begannen. Eine große Rolle spielte das Deutsche Büro für Friedensfragen, eine Behörde mehrerer deutscher Länder, in der, wie der Rechtshistoriker Bernhard Diestelkamp formuliert, Rechtswissenschaftler von der Politik „in den Dienst der nationalen Sache gestellt“ wurden. Die Abhängigkeit politischer Nützlichkeitserwägungen bei der Beantwortung völkerrechtlicher Fragen zeigt sich deutlich auch beim späteren Bundesaußenminister Heinrich von Brentano (CDU). Dieser vertrat bei einer Sitzung des Ellwanger Kreises am 22. November 1947 die Ansicht, wenn man die Dinge „real, wie sie nun einmal sind“, betrachte, könne man „staatsrechtlich erhebliche Zweifel“ am Fortbestand des Deutschen Reiches nach 1945 haben. „Doch schon aus politischen Gründen glaube ich, dass wir diese Frage unbedingt bejahen müssen.“ Es gab aber auch Gegenstimmen. Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher erklärte auf einer Sitzung des Parteivorstands am 22. August 1946, das Deutsche Reich bestehe nicht mehr, „denn die Reichsgewalt geht zur Zeit nicht von einem Reichsvolk aus.“ Auch in der CSU hing man noch der Untergangsthese an: Die führenden bayerischen Politiker vertraten nachdrücklich die These, das Deutsche Reich sei untergegangen, die ihren föderalistischen Überzeugungen entgegenkam. Beim Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, wo im August 1948 fünfzehn Sachverständige im Auftrag der damals elf westdeutschen Länder einen Verfassungsentwurf für einen zu schaffenden westdeutschen Staat erarbeiteten, argumentierte der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei Anton Pfeiffer, das Reich habe in einer debellatio mit der Kapitulation vom 8. Mai aufgehört zu existieren. Daher müsse sich der neue Staat als Bundesstaat der bereits gegründeten Länder, als „Bund Deutscher Länder“ konstituieren, ohne seine Souveränität aus der Vergangenheit herzuleiten. In dieser Rechtsmeinung wurde er von dem Münchner Völkerrechtler Hans Nawiasky unterstützt, der Mitglied seiner Delegation war. Die Mehrheit der Teilnehmer sah die konstituierende Gewalt dagegen nicht in den Ländern, sondern im weiterexistierenden Staatsvolk, dem nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker das Recht zustehe, in den Teilen des Staatsgebietes, wo eine freie Äußerung seines Willens möglich sei, Inhalte und Formen seiner politischen Existenz zu gestalten. Dieses Recht sei durch die Kapitulation nicht aufgehoben, sondern nur zeitweise „suspendiert“ gewesen. Diese Haltung setzte sich im Ergebnis nicht nur in der Völkerrechtsdebatte, sondern auch im Parlamentarischen Rat durch, der von September 1948 bis Mai 1949 das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland erarbeitete. Der Grundsatzausschuss betonte „die Kontinuität des neuen Bundesstaates im Verhältnis […] zum Deutschen Reich sowohl hinsichtlich der Staatsgewalt als auch hinsichtlich des Gebietes“. Diese werde in der Argumentation des Staatsrechtlers und SPD-Vertreters Carlo Schmid treuhänderisch durch den Alliierten Kontrollrat und durch die deutschen Länder und Kommunen wahrgenommen. Schmid trug entscheidend dazu bei, dass die These vom Fortbestand des Deutschen Reichs Eingang in die Präambel des Grundgesetzes fand und so von einer juristischen These zu einem Verfassungsgrundsatz wurde. Die Siegermächte selbst nahmen zu dieser Kontroverse offiziell zwar nicht Stellung und beschränkten sich auf die symbolische Aufhebung weniger zentraler NS-Gesetze und entsprechender Verordnungen. Viele der nach 1933 verabschiedeten Gesetze blieben daher von einer Revision verschont, für sie wurden generalklauselartige Anwendungs- und Auslegungsprinzipien festgelegt. Die alliierten Befehle verboten die Anwendung und Auslegung des fortbestehenden deutschen Rechts nach den nationalsozialistischen Wertungen. Aber vor allem mit der Staatenpraxis der Siegermächte nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches lässt sich nach Ansicht des Staatsrechtslehrers Dieter Blumenwitz der Fortbestand des Deutschen Reiches unter der Bezeichnung ‚Deutschland als Ganzes‘ („Germany as a whole“) belegen. Ihnen sei es 1945 nicht zuletzt politisch auch darum gegangen, „endgültige Entscheidungen aufzuschieben, sich einen Schuldner für alle Kriegsforderungen zu erhalten und sich in allen Status- und Sicherheitsfragen in Mitteleuropa ein Mitspracherecht zu sichern“. Ebenso folgert die Politikwissenschaftlerin Margit Roth aus der Tatsache, dass keine Annexion stattfand und das Potsdamer Abkommen von Deutschland als Ganzem ausging, sie seien von einem Fortbestand des Deutschen Reiches ausgegangen. Bernhard Diestelkamp und Manfred Görtemaker argumentieren dagegen, Frankreich habe den Standpunkt vertreten, das Deutsche Reich sei untergegangen. Nach Joachim Rückert und Thomas Olechowski kam es den USA, Großbritannien und der Sowjetunion darauf an, bei ihrem Handeln möglichst freie Hand zu haben. Daher seien sie daran interessiert gewesen, ihre Rechte stärker auszudehnen, als dies bei einer Okkupation völkerrechtlich üblich war. Andererseits aber hätten sie ihre Pflichten gegenüber der deutschen Bevölkerung gering halten wollen und die Frage des Fortbestands daher in der Schwebe gelassen. Seit 1946 erklärten ihre Militärregierungen, es handle sich um eine occupatio sui generis, auf die die Beschränkungen des Kriegsvölkerrechts keine Anwendung fänden. Nach Gründung der Bundesrepublik legten die Westmächte auf einer Tagung der Außenminister fest, welchen völkerrechtlichen Status die Bundesrepublik besäße. In einem Kommuniqué, das am 19. September 1950 in New York City bekannt gegeben worden war, anerkannten die Außenminister „die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige frei und gesetzlich konstituierte deutsche Regierung“, die daher befugt sei, „in internationalen Angelegenheiten als Vertreter des deutschen Volkes für Deutschland zu sprechen.“ In einer 30 Jahre lang geheimgehaltenen Mitteilung an die Bundesregierung, die eine „Formel zur Definition des rechtlichen Status der Bundesrepublik“ und ein Interpretativprotokoll („Interpretative Minute“) mit dem Datum desselben Tages enthielt, bestätigten die Außenminister einerseits, dass die Bundesregierung die einzige sei, die „legitimiert ist, für das frühere deutsche Reich zu sprechen“. Im Interpretationsprotokoll behielten sie den Besatzungsmächten die „oberste Gewalt“ vor und sprachen von dem „Fortbestehen des deutschen Staates“. Die „Herrschaftsgewalt“ der Bundesregierung sei auf das „Bundesgebiet“ beschränkt. Die Westmächte gingen in dieser Erklärung vom Weiterbestehen des deutschen Staates aus. Dabei unterschieden sie zwischen dem Gesamtstaat (Deutsches Reich) und der Bundesrepublik. Die Außenminister gestanden der Bundesrepublik mit Einschränkungen „das Recht zu, das deutsche Volk auf internationaler Ebene zu vertreten und Rechte und Pflichten des Reiches zu übernehmen“ – Letzteres nur in dem Umfang, „wie die Bundesorgane de facto Rechte ausüben und Pflichten nachkommen konnten.“ Die drei Mächte hatten „wohl bis zur Wiedervereinigung“ eine andere Auffassung von der Rechtslage Deutschlands als die Bundesregierung. Obwohl Einigkeit über das „Fortleben des deutschen Reiches als Staat und Völkerrechtssubjekt“ bestand, teilten die drei Mächte nicht die deutsche These von „der rechtlichen Identität zwischen Bundesrepublik und Reich“. Jochen Abraham Frowein weist dagegen auf die beschränkte Bedeutung der Erklärung hin: Zum einen gehe aus ihrem Text gerade nicht hervor, dass die Bundesregierung damit berechtigt gewesen wäre, als Vertreterin für das Deutsche Reich völkerrechtlich aufzutreten. Es sei vielmehr lediglich um ein Mitspracherecht gegangen. Zudem übermittelten die Siegermächte gleichzeitig ein Auslegungsprotokoll, das nicht veröffentlicht wurde. Darin hieß es, dass die Bundesregierung nicht als de jure-Regierung Gesamtdeutschlands anerkannt werde, auch wenn die Fortbestandsthese bekräftigt wurde. Die Anerkennung der Bundesrepublik gelte aber nur vorläufig bis zu einer Wiedervereinigung Deutschlands. Die Diskussion wurde gleichwohl fortgesetzt. Die immer deutlicher dominierenden Anhänger der Fortbestandsthese argumentierten, dass die Siegermächte in der Berliner Erklärung explizit erklärten, Deutschland nicht annektieren zu wollen, das Deutsche Reich sei mithin nicht aufgelöst worden. Die Masse der deutschen Gesetze nach 1945 blieb in Kraft, neu ernannte Beamte wurden als deutsche, nicht als alliierte Beamte eingesetzt. Eine Annexion deutschen Staatsgebietes fand ausdrücklich nicht statt. Das Land Preußen wurde aufgelöst, die Republik Österreich „wiederhergestellt“ in ihren Grenzen vor dem „Anschluss“ 1938; die historischen deutschen Länder blieben, wurden nur teils mit veränderten Grenzen neugegründet. Die Bundesrepublik ist demnach als Völkerrechtssubjekt identisch mit dem Deutschen Reich, das als Gesamtstaat in Ermangelung staatlicher Organe nach 1945 nicht mehr handlungsfähig war. Dieser Auffassung entsprach, dass die Bundesrepublik alle Verträge und sonstige Rechte und Pflichten des Deutschen Reichs übernahm, insbesondere die, welche die Wiedergutmachung betrafen. Am 7. April 1954 erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer in einer Regierungserklärung, „daß es nur einen deutschen Staat gibt, gegeben hat und geben wird und daß es einzig und allein die Organe der Bundesrepublik Deutschland sind, die heute diesen niemals untergegangenen deutschen Staat vertreten“. Bis etwa 1969 vertrat die Bundesrepublik Deutschland die Auffassung, nur einer der beiden deutschen Staaten, nämlich sie selbst, repräsentiere den Gesamtstaat Deutsches Reich, nehme in treuhänderischer Weise seine Rechte und Aufgaben wahr und sei in rechtlicher Hinsicht mit diesem identisch. Mit dem Hinweis darauf, dass den Deutschen in der DDR freie Wahlen verwehrt waren und ihnen das Selbstbestimmungsrecht fehlte, erhoben die Regierungen der Bundesrepublik in den ersten zwei Jahrzehnten einen Alleinvertretungsanspruch auch für die Bürger der DDR. Die DDR galt als bloßes De-facto-Regime, als von einem Fremdstaat besetztes Territorium oder als ein neuer Staat, der durch Sezession entstanden sei. Nach dieser Schrumpfstaats- oder Kernstaatstheorie war das deutsche Staatsgebiet auf das Gebiet der Bundesrepublik eingeschrumpft worden. Die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt wich nur insofern von der bis dahin vertretenen Rechtsauffassung ab, als sie keine Identität zwischen der Bundesrepublik und dem fortbestehenden Deutschen Reich annahm. Dies entsprach auch der Ansicht der Westalliierten. Auch nach Gründung der Bundesrepublik erhoben sich noch lange juristische Stimmen gegen die These vom Fortbestand des Deutschen Reiches: Bei einer Tagung 1954 vertraten die prominenten Staatsrechtler Wolfgang Abendroth, Willibalt Apelt und Hans Nawiasky in einer Mindermeinung die Untergangstheorie. Noch 1977 verfocht der deutsche Staatsrechtler Helmut Ridder in scharfer Form die Debellationsthese. In den 1970er Jahren wurde auch die Dismembrationsthese vertreten, wonach das Deutsche Reich 1949 oder bei Inkrafttreten des Grundlagenvertrages mit der DDR in seine beiden Nachfolgestaaten zerfallen sei. Diese These ist aber schwer mit der Berliner Erklärung oder dem Potsdamer Abkommen von 1945 zu vereinbaren, wo von Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 die Rede ist. Die Fortbestandstheorie wurde durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag mit der DDR vom 31. Juli 1973 zur höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Bundesrepublik. Die Bayerische Staatsregierung hatte ein Normenkontrollverfahren angestrengt, da ihr der Vertrag gegen das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes zu verstoßen schien. Die Klage wurde abschlägig beschieden. In der Begründung stellte das Verfassungsgericht fest: „Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält. Das Deutsche Reich existiert fort (BVerfGE 2, 266 [277]; 3, 288 [319 f.]; 5, 85 [126]; 6, 309 [336, 363]), besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. Im Grundgesetz ist auch die Auffassung vom gesamtdeutschen Staatsvolk und von der gesamtdeutschen Staatsgewalt ‚verankert‘ (BVerfGE 2, 266 [277]). Verantwortung für ‚Deutschland als Ganzes‘ tragen – auch – die vier Mächte (BVerfGE 1, 351 [362 f., 367]). Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert […]. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‚Rechtsnachfolger‘ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich‘, – in bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings ‚teilidentisch‘, so daß insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht. […] Sie beschränkt staatsrechtlich ihre Hoheitsgewalt auf den ‚Geltungsbereich des Grundgesetzes‘. Die Bundesrepublik […] fühlt sich aber auch verantwortlich für das ganze Deutschland […]. Die Deutsche Demokratische Republik gehört zu Deutschland und kann im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden.“ Bundesrepublik und DDR seien Teilordnungen unter einem gemeinsamen Dach, weswegen diese Rechtsauffassung als Dachstaattheorie oder Teilordnungslehre bezeichnet wird. Die faktische Anerkennung der DDR, die der Grundlagenvertrag mit sich bringe, sei „besonderer Art“. Unbeschadet des Wiedervereinigungsgebots, das alle Verfassungsorgane binde, sei es zulässig, dass „eine zusätzliche neue Rechtsgrundlage […] die beiden Staaten in Deutschland enger als normale völkerrechtliche Verträge zwischen zwei Staaten aneinander“ binde. Bestätigt wurde diese Position mit Bezug auf die Identität des deutschen Staatsvolks im sogenannten Teso-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1987. Darin ging es darum, ob der 1940 in Meißen geborene DDR-Bürger Marco Teso, der aus der DDR in den Westen übersiedelt war, die deutsche Staatsangehörigkeit zugesprochen werden dürfe, die ihm bei Geburt wegen seines italienischen Vaters vom NS-Staat verweigert worden war. Das Bundesverfassungsgericht entschied im Sinne Tesos und bekräftigte, es gebe nur eine einzige deutsche Staatsangehörigkeit. Indes wich das Gericht hinsichtlich der Begriffswahl von 1973 ab: Nun war nicht mehr von dem „handlungsunfähigen Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich“ die Rede, sondern von einer „Subjektsidentität“ der Bundesrepublik mit dem „Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich“. Diese Rechtsposition ist heute herrschende Meinung in den Rechtswissenschaften und in der Staatenpraxis international anerkannt; als Lehrmeinung hat sie sich vollständig durchgesetzt. Der vormalige NS-Staat gliederte sich 1949 zu einem Bundesstaat auf. Die juristische Debatte über die Fortbestandsthese ist zum Erliegen gekommen, da sie nunmehr auf die Ebene des Verfassungsrechts gehoben und rechtsverbindlich entschieden wurde. In der Sowjetunion, der DDR und den Ostblockstaaten sah man das anders. Zunächst erhob die DDR in ihrer ersten Verfassung von 1949 noch den Anspruch, der Staat aller Deutschen und mithin mit dem Deutschen Reich identisch zu sein. Dieser Kontinuitätsanspruch lässt sich etwa am Görlitzer Abkommen vom 6. Juli 1950 erkennen, in dem die DDR die Oder-Neiße-Linie als „Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen“ anerkannte. Auch am DDR-Staatsbürgerrecht, das bis zum Gesetz über die Staatsbürgerschaft der DDR vom 20. Februar 1967 das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 mit einigen Änderungen fortschrieb, lässt sich diese Rechtsauffassung ablesen. Von 1951 an setzte sich aber die Rechtsauffassung durch, die DDR sei als ein neuer Staat anzusehen, dessen Staatsgewalt in den Händen nicht mehr des Monopolkapitals liege, sondern aller Werktätigen. Das Deutsche Reich sei 1945 in einer debellatio untergegangen, es gebe nunmehr zwei deutsche Staaten. Dies zeigte sich in der DDR-Verfassung von 1968, in der die Wiedervereinigung als Staatsziel aufgegeben war. Die Sowjetunion scheint noch länger von einem Fortbestand des Deutschen Reichs ausgegangen zu sein, hielt sich mit entsprechenden Äußerungen aus Rücksicht auf ihren Bündnispartner DDR jedoch zurück. Weblinks BVerfGE 36, 1 – Grundlagenvertrag BVerfGE 77, 137 – Teso Anmerkungen Deutsche Geschichte (19. Jahrhundert) Deutsche Geschichte (20. Jahrhundert)
1119
https://de.wikipedia.org/wiki/Druck
Druck
Druck steht für: Druck (Physik), eine physikalische Größe eine geistige Belastung, siehe Stress eine Taste auf Computertastaturen, siehe Druck-Taste Druck (Webserie), deutsche Jugend-Webserie in der Reproduktionstechnik: ein Produkt der Reproduktionstechnik, siehe Druckerzeugnis ein Reproduktionsverfahren, siehe Drucktechnik eine Reproduktion eines Gemäldes, siehe Kunstdruck ein gedrucktes Buch, siehe Buchdruck die deutsche Version des Liedes Surface Pressure Druck ist der Familienname folgender Personen: Charles Druck (1900–?), französischer Autorennfahrer argentinischer Abstammung Wilhelm Druck (1916–1974), niedersächsischer Landtagsabgeordneter Siehe auch: Drucker Druk Gruppendruck oder Gruppenzwang
1120
https://de.wikipedia.org/wiki/Ackerbohne
Ackerbohne
Die Ackerbohne (Vicia faba), auch Puffbohne, Feldbohne, Saubohne, Schweinsbohne, Pferdebohne, Fababohne, Faberbohne, Favabohne, Viehbohne und Dicke Bohne genannt, ist eine Pflanzenart in der Unterfamilie Schmetterlingsblütler (Faboideae) innerhalb der Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae oder Leguminosae). Diese Nutzpflanze gehört zur Gattung der Wicken (Vicia), im Gegensatz zur Gartenbohne, die der Gattung Phaseolus angehört. Die Ackerbohne wurde durch den Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. (VEN) zum Gemüse des Jahres 1998/1999 gewählt. Kulturgeschichte Die Wildform, von der die Ackerbohne abstammt, ist nicht bekannt. Heute kommt die Ackerbohne nur als Kulturpflanze vor. Als Kandidaten genannte Wildpflanzen (Vicia narbonensis , Vicia galilaea ) sind heutigen Erkenntnissen nach zwar nahe Verwandte, aber keine Stammformen. Vicia faba und Vicia narbonensis sind nach neueren Erkenntnissen Geschwister und entstammen einer Elternform, die heute ausgestorben ist. Am nächsten zur vermuteten Wildform wird die in Indien, am Himalaja und in Südostspanien angebaute Unterart Vicia faba subsp. paucijuga (Syn.: Vicia paucijuga ) angesehen, eine stark verzweigte Wuchsform ohne Haupttrieb und ohne Samen. Als Verwandte, die Ausgangsformen für Vicia faba sein könnten, werden genannt: Vicia galilaea, die im Vorderen Orient beheimatet ist, und Vicia pliniana aus Algerien, die wahrscheinlich nur eine kleinsamige Form von Vicia faba ist. Frühe Formen der „Dicken Bohne“ waren nicht sehr dick. Diese kleineren Samen wurden erstmals in archäologischen Ausgrabungen in einer Steinzeitsiedlung bei Nazaret in Israel gefunden, die zwischen 6800 v. Chr. und 6500 v. Chr., eventuell auch um 6000 v. Chr. datiert ist. Es ist nicht klar, ob es sich bei diesen Samen um gesammelte Wildsamen oder angebaute Bohnen handelt. Seit dem 3. vorchristlichen Jahrtausend findet sich die Dicke Bohne in vielen Ausgrabungen im Mittelmeerraum. Seitdem hat sich die Ackerbohne bis nach Mitteleuropa ausgebreitet. In den ersten Jahrhunderten nach Christus entwickelte sich ein Anbauschwerpunkt an der Nordseeküste, weil sie als einzige Hülsenfrucht auf salzigen Böden in Küstennähe gedeiht. Bei archäologischen Ausgrabungen auf der Feddersen Wierde, welche in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. besiedelt wurde, fanden sich neben Samen von Gerste und Hafer auch die von Ackerbohne, Lein und Leindotter. Im Mittelalter war sie, meist nur bone genannt, eines der wichtigsten Nahrungsmittel, auch bedingt durch die hohen Erträge. In dieser Zeit tauchte erstmals die großsamige Varietät auf, die heute verbreitet ist. Seit dem 17. Jahrhundert ging der Anbau in Europa zurück. Die aus Amerika eingeführte Gartenbohne und die Feuerbohne wurden zur menschlichen Ernährung vorgezogen. Die Dicke Bohne dient heute hauptsächlich als Viehfutter. In Westfalen und im Rheinland werden Dicke Bohnen mit Speck heute noch gerne genossen. Beschreibung Vegetative Merkmale Die Dicke Bohne ist eine einjährige krautige Pflanze, die Wuchshöhen von 0,3 bis zu 2 Metern erreicht. Die bis zu 1 Meter tiefgehende Pfahlwurzel ist im oberen Bereich stark verzweigt. Der aufrechte, unverzweigte Stängel ist vierkantig, hohl und kahl. Die paarig gefiederten Laubblätter besitzen meist zwei bis drei Paare Fiederblättchen und eine grannenartige Spitze ohne Ranke. Die breiten und ovalen Fiederblättchen sind 3 bis 10 Zentimeter lang, 1 bis 4 Zentimeter breit, blaugrün, etwas fleischig und unbehaart. Die großen Nebenblätter sind 10 bis 17 Millimeter lang, ganzrandig oder an der Spitze leicht gezähnt und besitzen oft violettbraune Nektarien. Generative Merkmale Die Blütezeit reicht von Mai bis Juni. Ein bis sechs Blüten stehen an kurzen Stielen in den Blattachseln. Die relativ großen, duftenden Schmetterlingsblüten sind zygomorph und fünfzählig mit doppelter Blütenhülle. Die fünf 12 bis 15 Millimeter langen Kelchblätter sind röhrig verwachsen; die unteren lanzettlichen Kelchzähne sind mit 5 Millimetern länger als die anderen. Die fünf Kronblätter sind weiß oder rot. Die Flügel sind in der Grundfarbe auch weiß oder rot mit jeweils einem dunkel-purpurfarbenen Flecken. Der fast rechtwinklig abgebogene Griffel ist oben flaumig und an den Seiten bärtig behaart; er endet mit einer zweiteiligen Narbe. Neun der zehn Staubblätter sind zu einer Röhre verwachsen. Die abstehenden, 8 bis 20 Zentimeter langen und 1 bis 3 Zentimeter dicken Hülsenfrüchte sind unbehaart, anfangs grünlich, bei Vollreife braun bis schwarz und enthalten zwei bis sechs Samen. Je nach Sorte sind die glatten Samen verschieden geformt, 1 bis 2,5 Zentimeter lang, und 4,5 bis 9 Millimeter dick. Die Farben der Samen reichen von hell rötlich-braun bis hell bis dunkel grünlich-braun oder hell bis dunkel purpurfarben, oft mit Flecken oder Punkten in ähnlichen oder stärker abweichenden Farben. Die Chromosomengrundzahl beträgt x = meist 6, selten 7; es liegt Diploidie vor mit Chromosomenzahlen von 2n = meist 12, selten 14. Ökologie Die Ackerbohne ist ein einjähriger, sommerannueller Therophyt. An der Haupt- und den Seitenwurzeln bilden sich zahlreiche Rhizobium-Wurzelknöllchen mit dem symbiontischen, stickstoffbindenden Bakterium Rhizobium leguminosarum aus. Die Blüten sind weiß, aber ihre Flügel haben ein dunkles Flecksaftmal, hervorgerufen durch Anthophäin aus der bei Pflanzen sonst seltenen Farbstoffgruppe der Melanine. Während der Dämmerung schließt sich die Fahne um die anderen Blütenteile und hüllt sie während der Nacht ein. Die von Juni bis Juli reifenden Früchte sind durch sekundäre Gewebswucherungen quergefächert. Anbau und Ernte Die Ackerbohne benötigt einen Standort, an dem ihr hoher Wasserbedarf entweder durch tiefgründigen Boden mit hohem Wasserhaltevermögen oder durch einen hohen Grundwasserstand, gleichmäßige Niederschläge bzw. künstliche Bewässerung gedeckt werden kann. Sie wird daher oft in Marschland und auf schwerem Lehm angebaut. Da sie nicht frostempfindlich ist, kann die Ackerbohne in Gebieten angebaut werden, die für andere Bohnen nicht geeignet sind. Da die Bohnen zur Entwicklung eines gewissen Vernalisationsreizes bedürfen und über eine gute Resistenz gegen Frost verfügen, kann die Aussaat der bereits bei Bodentemperaturen von 2 bis 3 °C keimenden Bohnensamen bei offenem (frostfreiem) Boden bereits im Februar stattfinden, die Ernte erfolgt dann ab Juni. In besonders wintermilden (maritimen) Klimaten wie in England werden Ackerbohnen auch als Winterfrucht bereits im vorausgehenden Herbst ausgesät. Die Aussaat erfolgt zwecks besserer und tieferer Bewurzelung und höherer Standfestigkeit recht tief mit einer Saattiefe zwischen 6 und 10 Zentimeter, bei Herbstaussaat gar bis 15 Zentimeter. Die Ernte der Bohnen erfolgt in der Landwirtschaft mittels Mähdrescher im Mähdruschverfahren, das erhebliche Nährstoffmengen enthaltende Bohnenstroh verbleibt kleingehäckselt auf dem Acker. 2019 wurden laut FAO weltweit rund 5,4 Millionen Tonnen Ackerbohnen geerntet. Die größten Produzenten waren China, Äthiopien und Großbritannien. Im Jahr 2021 wuchs in Deutschland die Ackerbohne auf fast 60.000 Hektar Land. Beim Anbau liegt sie nach der Erbse auf Platz zwei unter den Hülsenfrüchten, belegt allerdings nicht einmal ein Viertelprozent aller Agrarflächen. Jedoch erlebt die Ackerbohne in den letzten Jahren in Europa eine Renaissance und gewinnt wieder an Bedeutung, gilt sie doch als ökologische Alternative zu umstrittenem Importsoja aus Südamerika, für welches häufig tropischer Regenwald abgeholzt wird. Auch fügt sich die Ackerbohne gut in die Fruchtfolge mit anderen Nutzpflanzen ein. Durch die stickstoffbindende Eigenschaft der Leguminose bleiben nach der Ernte bis zu 125 kg Stickstoff pro Hektar im Boden, was den zusätzlichen Düngerbedarf für die Folgefrucht erheblich verringert. Nutzung Die Ackerbohne wird sowohl als Futtermittel für Tiere als auch zur menschlichen Ernährung genutzt. Zur Verfütterung kommen sowohl die Samen als auch der ganze Spross. Für den menschlichen Genuss wird die Hülse meist nur bei sehr jung geernteten Bohnen verwendet. Bei ausgewachsenen Bohnen enthält die Hülse zähe Fasern. Die Samen können sowohl frisch als auch getrocknet verwendet werden; getrocknet sind sie ohne weitere Konservierung lagerfähig. Auch wird das Protein aus der Ackerbohne vermehrt für die Produktion vegetarischer Fleischersatzprodukte verwendet, ein Bereich der lange Zeit von Soja dominiert wurde. Im Mittelmeerraum wird die Ackerbohne als Delikatesse genutzt, so zum Beispiel in Spanien geröstet als Habas Tostadas oder in dem italienischen Salat Vignarola. Im arabischen Raum werden unter anderem Falafeln und Ful aus Ackerbohnen zubereitet. Der Samenertrag beträgt zwischen 15 und 70 dt pro Hektar Anbaufläche. Daneben werden Ackerbohnen auch zur Gründüngung angebaut. Die Samen enthalten etwa 25 bis 30 % Protein, 1 bis 2 % Fett, 40 bis 50 % Kohlenhydrate, daneben Ballaststoffe und Wasser. Es gibt umfangreiche Untersuchungen zur Gewinnung, Modifizierung und zum Einsatz der Hauptinhaltsstoffe, wie Protein und Stärke, aus den getrockneten Samen. Krankheiten Uromyces viciae-fabae ist ein bedeutender Schädling der Ackerbohne. Eine Bodenbearbeitung vermindert den Befall, da dieser Pilz in befallenen Pflanzenteilen überwintert. Zugelassen ist eine chemische Bekämpfung mit Folicur und pyrethroidhaltigen Insektiziden. Botrytis fabae löst die Schokoladenfleckenkrankheit aus. Bedeutend ist zudem die Brennfleckenkrankheit, die durch Ascochyta fabae ausgelöst wird. Verschiedene bodenbürtige Pilze können Auflauf- und Fußkrankheiten auslösen. Schädlinge Bekannte Schädlinge sind der Ackerbohnenkäfer, mindestens eine Art aus der Gattung der Blattrandkäfer und die Schwarze Bohnenlaus. Während die Blattläuse Saft aus der Pflanze saugen und beispielsweise der Gestreifter Blattrandkäfer halbkreisförmige Löcher in die Blattränder frisst, legen weibliche Ackerbohnenkäfer ihre Eier in die einzelnen Samen der heranwachsenden Bohnenhülsen. Ein Befall durch den Ackerbohnenkäfer, der als Agrarschädling gilt, wird daher meist erst nach der Ernte durch einen kleinen schwarzen Punkt auf den Bohnensamen sichtbar. Systematik Die Erstveröffentlichung von Vicia faba erfolgte 1753 durch Carl von Linné in Species Plantarum, Band 2, S. 737. Synonyme für Vicia faba sind: Faba bona , Faba equina , Faba faba , Faba major , Faba minor , Faba sativa , Faba vulgaris , Orobus faba , Vicia esculenta , Vicia vulgaris . Vicia faba gehört zur Sektion Faba der Untergattung Vicia aus der Gattung Vicia in der Tribus Fabeae in der Unterfamilie Schmetterlingsblütler (Faboideae) innerhalb der Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae oder Leguminosae). Die Art Vicia faba wird in zwei Unterarten gegliedert: Vicia faba subsp. paucijuga () Vicia faba subsp. faba: Sie enthält drei Varietäten: Pferdebohne (Vicia faba subsp. faba var. equina ): Als Viehfutter angebaut. Dicke Bohne oder Puffbohne (Vicia faba subsp. faba var. faba , Syn.: Faba vulgaris var. major , Vicia faba var. major () ): Eigentliche „Dicke Bohne“, zum menschlichen Verzehr angebaut. Ackerbohne (Vicia faba subsp. faba var. minuta (hort. ex ) , Syn.: Faba vulgaris var. minor , Faba vulgaris var. minuta hort. ex , Vicia faba var. minor () ): Kleinsamige Varietät. Toxikologie Ackerbohnen enthalten Phytohämagglutinin, sodass sie nur gekocht verzehrt werden sollten. Ackerbohnen können für Menschen mit der Erbkrankheit G6PD-Mangel zu einem verstärkten Zerfall roter Blutkörperchen führen, zum Favismus. In Mitteleuropa weisen etwa 1 % der Bevölkerung den G6PD-Mangel auf, der zum Favismus führen kann, aber nicht muss. Die Bevölkerung in Malaria-Gebieten – im Mittelmeerraum, in Afrika und Asien – ist zu einem größeren Prozentsatz von dem Gendefekt betroffen. Zum Krankheitsbild des Favismus kann es nach dem Einatmen des Blütenstaubes und nach dem Verzehr der rohen, seltener auch der gekochten Bohnen kommen. 5 bis 48 Stunden nach dem Essen können Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, Bauchschmerzen und Schwindelgefühl auftreten. In leichten Fällen verschwinden die Symptome nach einigen Tagen. In schweren Fällen entsteht eine akute hämolytische Anämie. Die Krankheit verläuft nach dem Einatmen des Blütenstaubs oft schwerwiegender. Diese Krankheit kann in seltenen und besonders schweren Fällen zum Tod führen. Beim Favismus wirken die Glucoside Vicin (0,6–0,8 % im Samen der Pflanze) und Convicin (0,1–0,3 %), als Begleitstoffe wirken Lektine und L-Dopa. Vicin und Convicin oxidieren Glutathion. Bei Fehlen des reduzierenden Enzyms Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase (G6PD) treten die Symptome des Favismus auf. Auch bei Tieren kommen Vergiftungserscheinungen durch Vicia-Arten vor, besonders bei Pferden, Rindern und Schweinen. Das Krankheitsbild bei Pferden zeigt sich in einer schweren Leberdegeneration mit Koliken. Auf eine ausschließliche Verfütterung von Wicken sollte daher verzichtet werden. Seit einiger Zeit gibt es Sorten, bei denen der Gehalt an Vicin und Convicin auf etwa ein Fünftel reduziert ist. Es ist noch unklar, ob damit Favismus unterbleibt. Diese Züchtung wurde vor allem zur Verbesserung der Qualität als Tierfutter durchgeführt. Siehe auch Liste der Gemüse Quellen Syed Irtifaq Ali: Flora of West Pakistan 100: Papilionaceae. Stewart Herbarium, Rawalpindi 1977: Vicia faba – textgleich online wie gedrucktes Werk Walter H. Schuster, Joachim Alkämper, Richard Marquard & Adolf Stählin: Leguminosen zur Kornnutzung : Kornleguminosen der Welt, Justus-Liebig-Universität Gießen, 1998.: Walter H. Schuster: Informationen zu Vicia faba. (deutsch) James A. Duke: Handbook of Energy Crops., 1983: Vicia faba L. bei Center for New Crops & Plant Products der Purdue University. Gerald Muschiolik und Horst Schmandke: Funktionelle Eigenschaften von Ackerbohnenprodukten (Vicia faba), Shaker Verlag, 2000, ISBN 3-8265-7568-7. Klaus-Ulrich Heyland (Herausgeber): Spezieller Pflanzenbau, 7. Auflage, Ulmer, Stuttgart, 1952, 1996, ISBN 3-8001-1080-6, S. 119 ff., 257 f. Edgar Peiter: Metabolitentransport im indeterminierten Leguminosenknöllchen: Untersuchungen zu Struktur und Funktion der Transportwege im Knöllchen von Vicia faba L., [Gießen], 17. November 2002, (Dissertation Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Pflanzenernährung, 13. November 2002, online, PDF, kostenfrei, 200 Seiten, 5,491 MB). Einzelnachweise Weblinks Thomas Meyer: Datenblatt mit Bestimmungsschlüssel und Fotos bei Flora-de: Flora von Deutschland (alter Name der Webseite: Blumen in Schwaben) Namen in der Gattung Vicia. Nährwert-Informationen. Zur Giftigkeit der Ackerbohne. Informationen zur Bestäubung der Art von USDA: Chapter 4: Legumes and Some Relatives; BROAD BEAN AND FELD BEAN, Seite 241. Edgar Peiter: Metabolitentransport im indeterminierten Leguminosenknöllchen: Untersuchungen zu Struktur und Funktion der Transportwege im Knöllchen von Vicia faba L., Dissertationsschrift, Justus-Liebig-Universität Gießen 2002 (pdf). Wicken Fruchtgemüse Bohne
1123
https://de.wikipedia.org/wiki/Donau
Donau
Die Donau ist mit einer mittleren Wasserführung von rund 6855 m³/s und einer Gesamtlänge von 2857 Kilometern nach der Wolga der zweitgrößte und zweitlängste Fluss in Europa. Der Strom entwässert weite Teile Mittel- und Südosteuropas. Er durchfließt bzw. berührt dabei zehn Länder (Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Republik Moldau und die Ukraine) – so viele wie kein anderer Fluss auf der Erde. Die Donau führt ihren Namen ab der Vereinigung zweier Quellflüsse, der Brigach und der größeren Breg, die beide im Mittleren Schwarzwald entspringen. Sie durchquert drei große Beckenlandschaften: das nördliche Alpenvorland und das Wiener Becken (Oberlauf), die Pannonische Tiefebene (Mittellauf) und das Walachische Tiefland (Unterlauf). Die trennenden Gebirge durchschneidet sie in Engtälern, deren bekannteste Abschnitte der Donaudurchbruch bei Beuron, der Donaudurchbruch bei Weltenburg, die Wachau, die Hainburger Pforte (auch Preßburger Pforte) und das Eiserne Tor sind. Der Strom mündet über das ausgedehnte Donaudelta ins Schwarze Meer. Die Donau ist eine der ältesten und bedeutendsten europäischen Handelsrouten und verbindet dabei unterschiedliche Kulturkreise. Politische Spannungen und Kriege bewirkten immer wieder Sperren und Behinderungen der Wasserstraße. Seit dem Fall des Eisernen Vorhanges hat die Donau wieder ihre wirtschaftliche Bedeutung erhalten. Der Fluss verbindet viele artenreiche und unverbaute Naturräume und ist ein wichtiger Standort für Wasserkraftwerke. Bedeutung Die Donau hat eine hohe geografische, historische und kulturelle Bedeutung in Europa und ist im deutschen Sprachraum in ihrer Bedeutung dem Rhein vergleichbar. Hinsichtlich des Einzugsgebietes steht sie mit 796.000 km² (8 % der Fläche Europas; nach anderen Quellen 817.000 km²) hinter der Wolga (1.360.000 km²) und vor dem Dnepr (531.817 km²) an zweiter Stelle. Namen und Etymologie Die Donau hat einen weiblichen Namen. Im Mittelhochdeutschen wurde sie diu Tuonowe (frühneuhochdeutsch Tonaw, Donaw) genannt. Das Grundwort (‚Flussaue, -landschaft‘) ihres althochdeutsch zusammengesetzten Namens kann zum weiblichen Geschlecht beigetragen haben. Alle modernen Namen des Flusses – darunter rumänisch Dunărea, bulgarisch, serbisch und kroatisch Dunav, slowenisch Donava, ungarisch Duna, sowie slowakisch, russisch, polnisch, tschechisch, und ukrainisch Dunaj – leiten sich zunächst vom Namen Dānuvius der Römerzeit (mit gleichnamigem Flussgott) ab, gehen aber auf ältere Wurzeln zurück. Donau ist wie auch die Flussnamen Dnepr, Dnister, Donez und Don möglicherweise iranischen oder keltischen Ursprungs. Die Namen könnten ebenso von den iranischsprachigen Skythen und Sarmaten wie auch von den Kelten Osteuropas herrühren. Eine genaue sprachliche Zuordnung ist schwierig, da beide Volksstämme bis an den Don und die Donau vordrangen, weiters sowohl das Keltische als auch das Iranische indogermanische Sprachen sind und daher das Wort „Fluss“ im Altiranischen (vgl. avestisch dānu, ossetisch don) und Keltischen (vgl. walisisch Donwy) auf dieselbe indogermanische Wurzel *dʰenh₂- ‚fließen‘ zurückgeht. In der keltischen Sprachfamilie soll dies auf die Göttin Danu (auch Danann) zurückgehen. In der Antike hatte die Donau lange zwei Namen: Ister oder Hister, zu altgriechisch Ístros (), war eine Bezeichnung für den Unterlauf, Donau hieß nur der Oberlauf. Einige römische Städte am Unterlauf der Donau trugen den Zusatz ad Istrum – so beispielsweise Nicopolis ad Istrum. Dieses Wort steht zu einem allgemein indogermanischen Hydronym * ‚schnell, hurtig‘ und wird auch auf die keltischen Worte ys ‚schnell, reißend‘ und ura ‚Wasser, Fluss‘ zurückgeführt. Nach einer anderen Interpretation steht ys zugleich für ‚hoch, tief‘ und bezeichnet damit, gleich dem lateinischen altus, beide Aspekte der Vertikale. Im Bereich des früheren keltischen Siedlungsgebietes leiten sich, neben den alten Namen der Donau, eine Reihe von weiteren Namen für andere Flüsse von diesem Stamm ab: Hans Bahlow stellte den Wurzelanlaut *is- mit den Wurzeln *es-, *as-, *os, *us- oder *aus- (alle angeblich ‚Sumpf-/Moorwasser‘) zurück. Eine andere Interpretation geht von einer hypothetischen indogermanischen Wurzel *es oder *is aus, die als generische Bezeichnung für ‚(fließendes) Wasser‘ interpretiert wird. Erst um die Zeitenwende, als das Römische Reich sich über den ganzen Donaulauf ausgedehnt hatte und die kartographischen Zusammenhänge erschlossen wurden, wurde die Einheit beider Flussabschnitte erkannt. Noch bis zum Ende der Antike war Ister ein gebräuchlicher Name des Flusses, während sich Dānuvius eher nur auf den Oberlauf bezog. Da die Donau im Schwarzwald entspringt und im Schwarzen Meer mündet, wird sie mitunter scherzhaft als Schwarzer Fluss bezeichnet. Einzugsgebiet Geografie und Wasserführung Das Einzugsgebiet der Donau umfasst etwa 817.000 Quadratkilometer. Es ist etwas asymmetrisch; links (nördlich) der Donau liegen 56 Prozent der Fläche, rechts 44 Prozent. Dennoch steuern die Nebenflüsse der kleineren rechten Seite rund zwei Drittel des Wasservolumens bei, was vom hier größeren Flächenanteil hoher Gebirge herrührt, die zudem einen großen Teil der von West- und Südwestwinden herangeführten Feuchte abfangen. Dies spiegelt sich darin wider, dass im südlichen pannonischen Becken von rechts mit der Save der mit Abstand wasserreichste Nebenfluss mündet und von links mit der kaum halb so großen Theiß der deutlich längste Nebenfluss der Donau. Weiter unterhalb übertrifft die Wasserführung der von rechts kommenden Morava die des am Donaudelta von links kommenden, etwa fünfmal so langen Pruth um gut das Doppelte. Und auch im deutschen Donaugebiet führen die drei größten linken Nebenflüsse (Altmühl, Naab und Regen) zusammen weniger Wasser als der in diesem Teil nur drittgrößte rechte Nebenfluss Lech. Der weitaus wasserreichste Nebenfluss der oberen Donau, der Inn, ist der Donau am Zusammenfluss in Passau in der Wasserführung mindestens ebenbürtig, und bei Ulm wird die Donau in der Wasserführung von der Iller sogar um gut ein Drittel übertroffen. Die meisten der größeren Nebenflüsse entspringen in den Ostalpen und Karpaten sowie in den Gebirgen der Balkanhalbinsel. Die Karpaten sind kein Randgebirge des Donaueinzugsgebiets, sondern ragen in es hinein, weil sie ostseitig vom Siret/Prut-System entwässert werden. Sie trennen den unteren Donauraum vom mittleren. Die Alpen springen mit ihren Nordostausläufern ebenfalls ein und gliedern in mittlere und obere Donau. Quellflüsse Bei Donaueschingen fließen Brigach und Breg zur Donau zusammen. Von den beiden Quellflüssen ist die etwas südlicher und höher entspringende Breg nach allen gewässerkundlichen Merkmalen der etwas größere Fluss. Daneben gilt sinnbildlich der Quelltopf des Donaubachs in der Nähe der Vereinigung beider Quellflüsse traditionell als Donauquelle. Ab hier hat die Donau eine Länge von gut 2810 Kilometern. Nebenflüsse Die Flüsse Theiß, Pruth, Save, Drau, Olt, Sereth und Inn haben je eine Länge von über 500 Kilometern. Flüsse mit einer Wasserführung von über 500 m³/s sind Save, Theiß, Inn und Drau. Inseln Die Donau hat zahlreiche größere und kleinere Inseln. Zu den bekanntesten gehören der Obere und der Untere Wöhrd in Regensburg, der Jochenstein, die Donauinsel in Wien, die Große Schüttinsel, die Margareteninsel in Budapest, die Große Kriegsinsel bei Belgrad und die Balta Ialomiței in Rumänien. Die Donaustaaten Anliegende Staaten Die Donau hat (Stand im Jahr 2013) zehn Anrainerstaaten (in Fließrichtung, mit Anteil am Einzugsgebiet): auf beiden Ufern Deutschland 7,3 % Österreich 9,9 % Slowakei 5,9 % Ungarn 11,4 % Serbien 9,5 % Rumänien 28,4 % einseitig Kroatien 4,3 % Bulgarien 5,9 % Republik Moldau 1,5 % Ukraine 4,0 % Insgesamt bilden 1071 Kilometer (37 %) des Donaulaufs eine Staatsgrenze. Weitere Länder haben Anteile am Einzugsgebiet des Flusses. In absteigender Reihenfolge der Flächenanteile sind dies: Bosnien-Herzegowina 4,7 % Tschechien 3,0 % Slowenien 2,2 % Montenegro 0,9 % Kosovo 0,7 % Schweiz 0,2 % sowie mit je unter 0,1 % Italien, Nordmazedonien, Polen und Albanien. Das Flusssystem der Donau ist über zahlreiche Kanäle erschlossen, im Besonderen durch den Main-Donau-Kanal und die Kanäle zum nordöstlichen Nachbarfluss Dnjestr, so dass auch Länder wie Frankreich und die Beneluxstaaten oder Russland, Belarus und das Baltikum indirekten Binnenschifffahrts-Zugang zur Donau haben. Städte an der Donau An der Donau liegen folgende Städte (* = Hauptstadt): in Deutschland Donaueschingen Geisingen Tuttlingen Mühlheim an der Donau Fridingen Sigmaringen Mengen Riedlingen Munderkingen Ehingen an der Donau Erbach Ulm Neu-Ulm Leipheim Günzburg Lauingen an der Donau Dillingen an der Donau Donauwörth Neuburg an der Donau Ingolstadt Vohburg an der Donau Neustadt an der Donau Kelheim Regensburg Wörth an der Donau Straubing Bogen Deggendorf Vilshofen an der Donau Passau in Österreich Linz Steyregg Grein Ybbs an der Donau Melk Mautern an der Donau Krems an der Donau Tulln Stockerau Korneuburg Klosterneuburg Wien* Hainburg an der Donau in der Slowakei Bratislava* Komárno Štúrovo in Ungarn Győr Komárom Esztergom Visegrád Vác Budapest* Dunaújváros Paks Kalocsa Baja Mohács in Kroatien Batina Vukovar Ilok in Serbien Apatin Bačka Palanka Futog Kladovo Novi Sad Sremski Karlovci Belgrad* Pančevo Smederevo Veliko Gradište Prahovo in Rumänien Drobeta Turnu Severin Calafat Corabia Turnu Măgurele Zimnicea Giurgiu Oltenița Cernavodă Hârșova Brăila Măcin Galați Isaccea Tulcea Sulina in der Ukraine Reni Ismajil Kilija Wylkowe in Bulgarien Widin Lom Kosloduj Orjachowo Nikopol Swischtow Russe Silistra Tutrakan Verlauf Deutschland Namentlich entsteht die Donau 1,4 Kilometer östlich von Donaueschingen durch den Zusammenfluss der beiden Quellflüsse Brigach und Breg („Brigach und Breg bringen die Donau zuweg“). Als Donauquelle wird nicht nur die Quelle des größeren der beiden Quellflüsse, der Breg bei Furtwangen, bezeichnet, sondern auch der gefasste Ursprung des in Donaueschingen entspringenden Donaubaches. Von der Bregquelle bis zur österreichischen Grenze legt die Donau ihre ersten 618 Kilometer zurück; sie bildet damit die viertlängste Flussstrecke in Deutschland. Jedoch verliert sie etwa 75 Kilometer unterhalb des Bregursprungs den größten Teil ihres Wassers in der Donauversinkung, die meiste Zeit des Jahres sogar vollständig; es tritt größtenteils in der Aachquelle wieder zutage und fließt von dort über den Bodensee zum Rhein. Die größten Städte des Laufabschnitts sind nacheinander Tuttlingen, Ulm, Neu-Ulm, Neuburg an der Donau, Ingolstadt, Regensburg, Straubing und Passau. Von Ulm bis Kelheim ist die Donau Landeswasserstraße; von Kelheim bis zur Staatsgrenze Bundeswasserstraße mit 203 km Schifffahrtsweg (bei 9,8 km negativen Fehlstrecken, besonders durch die Abkürzungen in Bad Abbach und Straubing, gegenüber der Differenz der Donaukilometerstationen). In diesem Abschnitt sind die wichtigsten rechtsseitigen Nebenflüsse die Iller in Neu-Ulm, der Lech bei Marxheim (östlich von Donauwörth), die Isar bei Deggendorf und in Passau schließlich der Inn. Linksseitig sind es in Donauwörth die Wörnitz, hinter Kelheim die Altmühl und schließlich bei Regensburg die Naab und der Regen („Iller, Lech, Isar, Inn fließen rechts zur Donau hin; Wörnitz, Altmühl, Naab und Regen kommen ihr von links entgegen.“). Innerhalb des Stadtgebiets von Regensburg befindet sich im Bezirk Ober-/Niederwinzer-Kager der nördlichste Punkt der Donau. Kleinere Nebenflüsse sind Bära, Riß, Roth, Lauchert, Große Lauter, Blau, Nau, Günz, Brenz, Mindel, Zusam, Schmutter, Paar, Abens, Große Laber, Vils, Ilz oder Erlau. Die in Deutschland entspringende Ranna mündet in Österreich. In Passau fließen zunächst die Ilz mit moorbraunem Wasser von links in die dunkelblaue Donau und gleich danach von rechts der grüngraue Inn. Die Donau hat diese drei Farben noch ein längeres Stück nach dem Zusammenfluss. Das Wasser des Inn dominiert hier das Bild; dies rührt weniger von seiner im Mittel größeren Wasserführung her als von seiner geringeren Tiefe (Inn: 1,90 Meter, Donau: 6,80 Meter – „der Inn überströmt die Donau“). Die im Jahresmittel etwa sieben Prozent größere Wasserführung des Inn (738 m³/s gegenüber 690 m³/s) fließt vor allem während seiner stärkeren Hochwasser zur Schneeschmelze ab. Mehr Wasser als der Inn führt die Donau mit ihrer ausgeglicheneren Wasserführung über die sieben Monate von Oktober bis April. Bedeutende Bauwerke am Fluss sind die Erzabtei Beuron, das Fürstenschloss der Hohenzollern in Sigmaringen, das gotische Münster zu Ulm mit dem höchsten Kirchturm der Welt (161,53 m), die am Eingang zur klammartigen Weltenburger Enge errichtete Abtei Weltenburg und die Befreiungshalle bei Kelheim an deren Ende. Es folgen die Steinerne Brücke und der Dom St. Peter in Regensburg sowie die Walhalla bei Donaustauf etwa zehn Kilometer weiter östlich. Das Stadtbild von Passau wird vom Dom St. Stephan beherrscht, in dem die größte Domorgel der Welt steht. Österreich Das Donautal und seine Nebenlandschaften bilden den Kernraum Österreichs: Es umfasst zwar nur etwa 15 Prozent des Staatsgebietes, aber ungefähr die Hälfte der acht Millionen Einwohner leben hier, davon mehr als zwei Millionen in der Metropolregion Wien. In diesem Raum konzentriert sich die Wirtschaftsleistung des Landes, mit gewerblichen Kernzonen in Oberösterreich und im Wiener Verdichtungsraum. Das Donautal ist mit den Alpentransitrouten (Brenner, Tauern und Pyhrn) eine wichtige Transitachse Österreichs (West Autobahn, Westbahn). Von der deutschen bis an die slowakische Grenze durchfließt die Donau Österreich auf rund 349 Kilometer. Die Donau durchbricht in Österreich mehrmals das Granit- und Gneishochland (Böhmische Masse), dazwischen durchfließt sie den Nordrand des Alpenvorlands. Nach der Staatsgrenze – zwischen Passau und Jochenstein in der Flussmitte – folgt das mit etwa 50 km längste dieser Engtäler, das Oberösterreichische Obere Donautal mit der Schlögener Schlinge. Dann durchquert der Strom das fruchtbare Eferdinger Becken und Linz, die drittgrößte Stadt Österreichs. Im Auengebiet des Machlands fließt sie vorbei an Mauthausen, nimmt bei Enns den gleichnamigen Nebenfluss auf und quert die Landesgrenze zu Niederösterreich. Bei der alten Schifferstadt Grein und Schloss Greinburg hat die Donau mit circa 20 m ihre tiefste Stelle in Österreich. Es folgen mit Strudengau und Nibelungengau zwei weitere Engtäler und rund 90 Kilometer hinter Linz erreicht der Strom Melk mit seinem gewaltigen Barockstift. Den Dunkelsteiner Wald abschneidend, durchfließt der Strom auf den folgenden knapp 35 Kilometern eine der schönsten Donaulandschaften, die Wachau, die an Dürnstein vorüber bis nach Krems reicht; anschließend durchquert sie das Tullnerfeld, eine weitere landwirtschaftlich geprägte Niederungslandschaft. An der Korneuburger Pforte knickt sie um den Wienerwald herum, den letzten Nordost-Ausläufer der Alpen, und erreicht dann durch die Wiener Pforte das weiträumige Wiener Becken. Hier liegt mit Österreichs Bundeshauptstadt Wien die über den Zeitraum mehrerer Jahrhunderte bedeutendste und mit 1,9 Millionen Einwohnern (Stand 2020) auch größte aller Donaustädte, gefolgt von Budapest (1,7 Mio. Einwohner, Stand 2016) und Belgrad (1,4 Mio. Einwohner, Stand 2016). Bis kurz hinter Wien hat der Strom eher Gebirgsflusscharakter, erst danach wandelt er sich allmählich zu einem Tieflandfluss. Durch die Donau-Auen nähert sich die Donau der Staatsgrenze zur Slowakei und bei der Thebener Pforte erreicht sie das Pannonische Becken, womit ihr Oberlauf im eigentlichen Sinne zu Ende geht. Sie verlässt Österreich bei Bratislava. Beinahe das gesamte Staatsgebiet Österreichs entwässert in die Donau und damit zum Schwarzen Meer. Wichtige Zuflüsse der Donau in Österreich sind der Inn (rechts; mündet in Deutschland), die Aist (links), die Traun (re.), die Enns (re.), die Ybbs (re.), die Traisen (re.), der Kamp (li.), die Wien (re.), die Schwechat (re.), die March (li.) und die Leitha (re.), die in Ungarn die Moson-Donau erreicht. Hydrographisch gliedert sich der Donaueinzugsbereich in Österreich in die Flussgebiete Donau bis Jochenstein (DBJ) und Donau unterhalb Jochenstein (DUJ). Der zweite umfasst den Hauptteil des Donaulaufs und der Donauzubringer in Österreich. Auf österreichischem Staatsgebiet liegen elf Donaukraftwerke, sie bilden die Basis der österreichischen Stromversorgung. Slowakei Nur knapp 45 Kilometer von Wien entfernt, unmittelbar hinter der österreichisch-slowakischen Grenze, passiert die Donau die slowakische Hauptstadt Bratislava. Weiter flussabwärts bildet sie die Grenze zu Ungarn. In der Nähe von Bratislava zweigt am linken Ufer ein Seitenarm, die Kleine Donau, von der Donau ab und bildet mit der Großen Schüttinsel die größte Flussinsel Europas. Die Kleine Donau verläuft in zahlreichen Mäandern und mündet bei Kolárovo in die Waag, den größten slowakischen Nebenfluss der Donau. Diese wird daher ab diesem Punkt auch Waager Donau genannt und fließt selbst bei Komárno wiederum in die Donau zurück. Auf der Elisabethinsel vor Komárno hat Kaiserin Elisabeth (Sisi) das erste Mal den Boden ihres Königreiches Ungarn betreten. Kurz vor der Staatsgrenze zu Ungarn mündet die Hron bei Štúrovo in die Donau. Ungarn In Čunovo, dem südlichsten Stadtteil Bratislavas an der ungarischen Grenze, teilt sich die Donau erneut. Nur der nördliche Donauarm bildet die weitere slowakisch-ungarische Staatsgrenze. Der südliche Arm namens Mosoni Duna (Moson-Donau oder Kleine Donau) durchfließt kurz nach seiner Abtrennung vom Hauptarm ausschließlich ungarisches Territorium. An seinen Ufern liegt die Industrie-, Handels- und Universitätsstadt Győr. Hier mündet die Raab ein. Östlich von Győr fließt die Mosoni Duna wieder in den Hauptarm. Mit der Donau bildet die Moson-Donau die Kleine Schüttinsel, die teilweise unter Naturschutz steht. Die für Ungarn historisch wohl bedeutendste Stadt am weiteren gemeinsamen Flusslauf noch vor dem Donauknie ist die ehemalige Hauptstadt Esztergom. Nahe der Einmündung des Ipeľ (Ipoly) verlässt die Donau bei Szob die Staatsgrenze und ist nun an beiden Ufern ungarisch. Kurz darauf wird sie vom Börzsöny-Gebirge nach Süden abgedrängt und verläuft zwischen Gerecse- und Pilisgebirge. Ab dem eindrucksvollen, um rund 90 Grad abknickenden Donauknie bei Visegrád strebt die Donau für rund 500 Kilometer strikt südwärts. Nach ungefähr 40 Kilometern durchfließt die Donau Budapest, die Hauptstadt Ungarns, die mit etwas mehr als 1,7 Millionen Einwohnern (Stand 2016) die zweitgrößte Stadt an der Donau nach Wien ist. Hier erreicht der Fluss eine Breite von 400 bis 500 Metern. Budapest ist flussabwärts die letzte Stadt, die beidseitig der Donau liegt. Zugleich verlässt die Donau an dieser Stelle das ungarische Mittelgebirge und markiert ab hier die westliche Grenze der Großen Ungarischen Tiefebene. Nachdem sie zahlreiche kleinere Städte wie Dunaújváros, Paks, Kalocsa und Baja passiert hat, verlässt sie kurz hinter Mohács das ungarische Staatsgebiet. Kroatien Mit 137 Kilometern Gesamtlänge hat Kroatien den nach der Republik Moldau und der Ukraine kürzesten Anteil am Dunav (wie der Fluss hier genannt wird), der im Dreiländereck mit Ungarn und Serbien bei Batina beginnt. Der Fluss bildet die natürliche Grenze zwischen Kroatien und Serbien. Infolge von Flussregulierungen liegen allerdings auf zwei kurzen Abschnitten bei Batina beide Ufer in Kroatien. Die größte Entfernung östlich beziehungsweise jenseits der Donau reicht bis zum Dreiländereck Hármashatár und misst ca. 15 km. Die bedeutendste kroatische Stadt an der Donau ist Vukovar, das im Krieg mit Serbien schwere Schäden davontrug, aber auch Osijek liegt in Donaunähe, lediglich 20 Kilometer entfernt von der Mündung der Drau in die Donau. Serbien Anfangs teilen sich Kroatien (rechtes Ufer) und Serbien (linkes Ufer) die Donau. Unweit Batina zweigt der Große Batschka-Kanal nach links ab, der Teil des serbischen Donau-Theiß-Kanalsystems ist. Bei Bačka Palanka macht die Donau einen Knick und durchquert dann Serbien in südöstlicher Richtung, von der kroatischen hin zur rumänischen Grenze. Nur 25 Kilometer, nachdem die Donau von Ungarn her die Grenze und den Grenzrevisionspunkt Bezdan gegenüber von Batina passiert hat, liegt die bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges fast nur von Donauschwaben bewohnte Hafenstadt Apatin, die erste größere serbische Stadt an der Donau. Weiter stromabwärts passiert der Strom die Stadt Novi Sad, deren Brücken 1999 im Kosovo-Krieg schwer beschädigt wurden. Über sechs Jahre lief der Verkehr zwischen den beiden Stadthälften über eine provisorische Pontonbrücke. Da diese nur dreimal pro Woche geöffnet wurde, stellte sie das bedeutendste Hindernis für den Schiffsverkehr entlang der Donau dar. Seit der Wiedereröffnung der Freiheitsbrücke am 11. Oktober 2005 ist die Donau wieder ungehindert befahrbar. Nach noch einmal 75 Kilometern erreicht die Donau Belgrad, die mit 1,4 Millionen Einwohnern (Stand 2016) drittgrößte Stadt an der Donau und mit einer etwa 7000 Jahre zurückreichenden Besiedlung einer der ältesten ständig bewohnten Orte an ihren Ufern. Die Siedlung wurde um die Mündung der Save errichtet, ihren Kern bildet die Festung Kalemegdan auf einer Anhöhe über der Mündung. Auf ihrem weiteren Weg durch Serbien fließt die Donau an den Industriestädten Pančevo, an der Mündung des Temesch, und Smederevo vorüber, wo die Morava in die Donau mündet. Bei Stari Slankamen mündet die Theiß von links, der größte Nebenfluss der Donau. Unterhalb der Ruine der serbischen Festung Golubac tritt sie in die beeindruckende Donauschlucht am Eisernen Tor ein. Die Donau bildet hier die Grenze zwischen Serbien und Rumänien bis zu den beiden Staudämmen Đerdap 1 und 2. Auf serbischer Seite befindet sich der Nationalpark Đerdap. Rumänien Auf 1075 Kilometern, über ein Drittel ihrer Gesamtlänge, passiert die Donau (rumänisch: Dunărea) Rumänien. Das ist der längste Abschnitt aller Anrainerstaaten. Die Donau ist für das Land anfangs Grenzfluss zu Serbien, dann zu Bulgarien. Nach einer Richtungsänderung nordwärts ist sie rumänischer Binnenfluss im Bereich der Regionen Bărăgan und Dobrudscha, um später Grenzfluss zu Moldau und zur Ukraine zu werden und schließlich ins Schwarze Meer über das Donaudelta zu münden. Auf rumänischem Boden wird die Donau über den Donau-Schwarzmeer-Kanal schneller mit dem Schwarzen Meer verbunden. Noch vor dem spektakulären Eisernen Tor, für die Schifffahrt vor der Entschärfung zu Beginn der 1970er-Jahre der gefährlichste Stromabschnitt, beginnt der rumänische Donaulauf südwestlich des Banater Gebirges. Nahe Orșova passiert sie den engsten Teil und erreicht Drobeta Turnu Severin, wo bei Islaz der Olt in die Donau mündet. Nun macht der Fluss einen Knick nach Süden vorbei an Gruia, Pristol, Cetate und Calafat. Dann beginnt die Donau ihre 400 Kilometer lange Reise gen Osten als Grenze zu Bulgarien. Dabei fließt sie an den Städten Dăbuleni, Corabia, Turnu Măgurele, Zimnicea, Giurgiu (direkt gegenüber auf bulgarischer Seite liegt die Stadt Russe), Oltenița, wo der Argeș in die Donau mündet, und Călărași vorbei. Nun begrenzen sie die Anhöhen der Dobrudscha nach Westen hin, sie fließt vorbei an Cernavodă, Topalu, Hârșova, Giurgeni und Gropeni und erreicht die beiden größeren Städte Brăila und Galați. Kurz dahinter wird sie wieder Grenzfluss zur Ukraine, um in Richtung Osten bald das Donaudelta zu erreichen. Zuvor berührt sie Tulcea und Pardina. Bulgarien Im Norden Bulgariens wird die Grenze nach Rumänien fast auf ganzer Länge von der Donau gebildet. Die Donau ist zwar der einzige schiffbare Fluss Bulgariens, hat aber verkehrstechnisch nur regionale Bedeutung für diesen dünn besiedelten Landesteil. Entlang des fast 500 Kilometer langen bulgarischen Streckenabschnittes existieren nur zwei Brücken: Die ältere, die Giurgiu-Russe-Freundschaftsbrücke, verbindet seit 1954 die größte bulgarische Donaustadt Russe mit dem rumänischen Giurgiu. Die neue Brücke (auch Donaubrücke 2 genannt und im Jahr 2013 eröffnet) verbindet das bulgarische Widin mit dem rumänischen Calafat. Es gibt zwölf bulgarische Donauhäfen mit einer kleinen Handelsflotte, darunter Swischtow, Russe, Widin, Nikopol, Lom und Silistra. Als Grenzrevisionspunkt im Nordwesten ist darüber hinaus noch Orjachowo von Bedeutung. In der Stadt Swischtow erreicht die Donau auch ihren südlichsten Punkt, von hier an fließt sie allmählich nordwärts und verlässt dann hinter Silistra das bulgarische Territorium. Republik Moldau Der Anteil Moldaus an der Donau ist der kleinste aller Anrainerstaaten. Nur auf einer Länge von 340 Metern berührte ursprünglich der südlichste Zipfel des Landes die Donau zwischen Rumänien und der Ukraine kurz hinter Galați bei Giurgiulești an der Mündung des Pruth. Im Jahr 1999 überließ die Ukraine Moldau in einem Gebietstausch weitere 230 Meter, so dass die Gesamtlänge des moldauischen Ufers 570 Meter beträgt. Moldau beabsichtigt, den Zugang zur Donau für den Bau des umstrittenen Hafens in Giurgiulești zu verwenden. Ukraine Kurz hinter der Mündung des Pruth bildet der Fluss die Grenze zwischen Rumänien auf dem rechten Ufer und der Ukraine. Die bedeutendsten ukrainischen Städte an der Donau sind Ismajil, Kilija sowie Wylkowe, wo der Bystre-Kanal beginnt. Hinter dem ukrainischen Abschnitt wird die Donau in den beiden südlich gelegenen Mündungsarmen wieder auf beiden Ufern rumänisch, während der nördliche Kilijaarm weiterhin die Grenze zur Ukraine bildet. Sie formt bei ihrer Mündung in das Schwarze Meer das Donaudelta mit rund 800.000 Hektar Fläche (davon rund 680.000 Hektar in Rumänien). Geologische Entwicklung Erdgeschichtlich markiert die Donau die Linien, an denen sich im Miozän ab etwa vor zwölf Millionen Jahren im Zuge der noch andauernden Kollision der afrikanischen und eurasischen Kontinentalplatten das schmale Randmeer der Paratethys von Westen nach Osten schloss und trocken fiel. Die Auffaltungen der Alpen und Karpaten waren bereits im Gange und schlossen zeitweise große brackige Seen ein, in der heutigen ungarischen Tiefebene der Pannonsee und ebenso in der südlichen Randsenke der Karpaten, der heutigen Walachischen Tiefebene. Nördlich der Alpen, im heutigen Alpenvorland, entwässerten Vorläufer der Donau auch nach Westen, bevor sich im älteren Pliozän, vor etwa sieben Millionen Jahren, die Urdonau zu formieren begann. Ihr Oberlauf umfasste zeitweilig sogar das alpine Rhonetal, aber schon bei Wien mündete sie in die Restgewässer der Paratethys. Mit der folgenden weiteren Gebirgsbildung und der Landhebung im Donauraum wurden die Seen im heutigen Mittel- und Unterlauf zusedimentiert und das große Flusssystem des Donau-Oberlaufes wurde von den gefälle- und erosionsstärkeren Nachbar-Flusssystemen der Rhone und besonders des Rheins angeschnitten und aufgerieben. Das Donausystem verlagerte sich so ostwärts bis zur heutigen Lage. Dieser Vorgang setzt sich noch immer fort, indem sich das Donaudelta weiter nach Osten ins Schwarze Meer schiebt, vor allem aber im Westen das Einzugsgebiet von den Nebenflüssen des Rheins verkleinert wird. Nachdem zunächst im jüngeren Pliozän die Aare und zu Beginn des mittleren Pleistozän der Alpenrhein zum Rheingraben hin ausbrachen, ging in der Würmkaltzeit der Hauptquellast aus dem Schwarzwald an die Wutach verloren und mit der Donauversinkung in der Schwäbischen Alb ist der Verlust des gesamten Schwarzwälder Einzugsgebietes eingeleitet. Nach einer Strecke von 14 Kilometern durch Klüfte und Höhlen verkarsteten Kalksteins tritt das Donauwasser im Aachtopf aus, von wo es über den Bodensee in den Rhein gelangt. Bei geringer Wasserführung kann es inzwischen über Monate zum völligen Trockenfallen der oberen Donau kommen und damit zu einem Verlust an das Flusssystem des Rheins. Geschichte der Nutzung Im siebten Jahrhundert vor Christus segelten Griechen, die vom Schwarzen Meer her über die Stadt Tomis, das heutige Constanța, kamen, flussaufwärts. Ihre Erkundungsreise endete am Eisernen Tor, einer felsigen Kataraktstrecke voller Untiefen, deren gefährlicher Verlauf den griechischen Schiffen die Weiterreise über die Linie Südkarpaten und Serbisches Erzgebirge (an der heutigen Grenze von Rumänien zu Serbien) unmöglich machte. Den Unterlauf nannten die Griechen Istros, der Oberlauf war ihnen nicht bekannt. Dieser Name für den Unterlauf war zunächst bei den Römern in Gebrauch; den Oberlauf nannten sie nach dem keltischen Namen Danuvius, der in der Antike als Gott verehrt wurde. Unter den Römern bildete die Donau fast von der Quelle bis zur Mündung die Grenze zu den Völkern im Norden und war zugleich Route für Truppentransporte sowie für die Versorgung der stromabwärts gelegenen Siedlungen. Vom Jahr 37 an bis zur Regierungszeit des Kaisers Valentinian I. (364–375) war der Donaulimes mit gelegentlichen Unterbrechungen, etwa dem Fall des Donaulimes 259, die nordöstliche Grenze des Reiches. Die Überschreitung der Donau nach Dakien hinein gelang dem Imperium Romanum erst in zwei Schlachten 102 und 106 nach dem Bau einer Brücke 101 bei der Garnisonsstadt Drobeta am Eisernen Tor. Dieser Sieg über die Daker unter Decebalus ließ die Provinz Dacia entstehen; 271 ging sie wieder verloren. Im neunten Jahrhundert war die Donau Wanderweg für das osteuropäische Hirtenvolk der Magyaren, die donauaufwärts über die Zwischenstation des Chasarenreichs bis in das Gebiet des heutigen Ungarn vordrangen und dort gemeinsam mit der slawischen Vorbevölkerung in den kommenden 150 bis 200 Jahren unter Stephan I. die heutige ungarische Nation begründeten. Auch die bereits zwischen 1096 und 1099 beim ersten Kreuzzug vom Heer Gottfried von Bouillons genutzte Route Charlemagne führte von Regensburg bis Belgrad entlang der Donau. Rund 340 Jahre später kehrte sich die Richtung um, denn für das osmanische Heer war die Donau auf ihrem Feldzug durch Südosteuropa die zentrale Route für den Transport von Truppen und Nachschub. Der Fluss ermöglichte ein rasches Vorrücken, bereits im Jahr 1440 führten sie die ersten Schlachten um Belgrad. Dessen Eroberung gelang 1521. 1526 zerschlug das osmanische Heer in der ersten Schlacht bei Mohács (1526) das ungarische Königreich. Da König Ludwig II. dabei zu Tode kam, fiel Ungarn an das habsburgische Österreich. Dies gilt als der Keim der Donaumonarchie. Im Jahr 1529 erreichten die Türken Wien (damals das Zentrum Mitteleuropas) und belagerten es, wurden aber geschlagen. So war die Expansion der Osmanen entlang der Donau gestoppt und ab der zweiten Schlacht bei Mohács (1687) verloren sie wieder Land und Macht. Das allmähliche Zurückdrängen der Türken ging im Wesentlichen auf die Initiative Österreich-Ungarns zurück, das daran erstarkte, zumal es gleichzeitig aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verdrängt wurde. Neben den Österreichern blieb das Osmanische Reich aber weiterhin bis zum endgültigen Verlust seiner Balkangebiete durch die russisch-türkischen Kriege (1768–1774) und die Balkankriege 1912/13 der bedeutendste politische Faktor Südosteuropas. Die Donau war dabei nicht nur militärische und kommerzielle Hauptschlagader, sondern auch politische, kulturelle und religiöse Grenze zwischen Morgen- und Abendland. Im Friedensvertrag von Versailles nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Donau 1919 zusammen mit Elbe, Memel und Oder zum Internationalen Fluss erklärt. Diese Internationalisierung der Wasserstraße hatte zur Folge, dass 1925 in der Donaustadt Regensburg die Hoffnung aufkam, die Stadt könne Anschluss finden an den sich rasant entwickelnden internationalen Luftverkehr. Die Flughafen GmbH Regensburg verfügte über einen Wasserlandeplatz auf der Donau bei Winzer. Wasserflugzeuge galten zu dieser Zeit kurzfristig als zukunftsträchtige Technologie und die königlich-britische Regierung plante eine Luftpostlinie mit Wasserflugzeugen quer über Europa nach Indien mit Zwischenlandungen auf der Donau. Die Pläne zerschlugen sich bereits 1926 / 27 nach rasanter Entwicklung der Flugtechnik. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Sowjetunion auch Ungarn und Teile Österreichs besetzt und es wurde 1946 eine neue Regelung des Flussverkehrs ins Auge gefasst, die das Pariser Abkommen von 1921 ablösen sollte. Zur Belgrader Konferenz 1948 waren alle Anrainerstaaten bis auf Deutschland und Österreich zugelassen. Mit Unterzeichnung des fertigen Übereinkommens wurde zugleich ein Anhang signiert, der Österreich anschließend in die Donaukommission aufnahm. Die Bundesrepublik Deutschland konnte dem Übereinkommen und der Donaukommission aufgrund sowjetischer bzw. russischer Vorbehalte gegen eine deutsche Mitbestimmung erst im März 1998 beitreten, fast 50 Jahre nach der Belgrader Konferenz. Bis zum Fall des Eisernen Vorhanges im Jahr 1989 durchfloss die Donau die Trennlinie des Kalten Krieges östlich von Hainburg. Durch diese Grenze war die seit jeher wichtige Verkehrsachse Donau, welche quer durch den Kontinent verschiedene Wirtschaftsräume verbindet, weitgehend blockiert. Aufgrund der eigenständigen Politik Titos wurde auch die jugoslawische Donaugrenze zu Ungarn und Rumänien stark bewacht. Erst mit der Öffnung des Eisernen Vorhanges und der dann folgenden Auflösung des Ostblockes wurde auf der Donau wieder ein normaler Personen- und Güterverkehr zwischen West und Ost möglich. Die Donauschifffahrt war aber südlich von Ungarn nach dem Zerfall Jugoslawiens ab 1991 infolge des Krieges einige Jahre unterbrochen. Erst im Oktober 2005 wurde die Schifffahrt wegen der Bauarbeiten bei der Brücke von Novi Sad wieder uneingeschränkt freigegeben und dadurch erlebten der Warentransport und der Kreuzfahrttourismus auch in diesem Teil der Donau einen starken Aufschwung. 1977 wurde der ungarisch-tschechoslowakische Staatsvertrag zur gemeinsamen Nutzung der Donau-Energie besiegelt, in dem unter anderem das Staustufenprojekt Gabčikovo-Nagymaros geplant war. Zwischen dem slowakischen Ort Gabčíkovo und dem ungarischen Nagymaros am Donauknie sollte ein 200 Kilometer umfassendes Staustufensystem aus verschiedenen Stauseen entstehen und ein Teil des Donauhauptarms sollte verlegt werden. Ab 1983 verschleppte die ungarische Seite das Projekt aus finanziellen Gründen. Im Frühjahr 1984 bekräftigten ungarische Umweltschützer durch eine Unterschriftenaktion ihre Bedenken gegen das Mammutprojekt. Aus dem Protest entstand der Unabhängige Donau-Kreis (Független Duna Kör). Der Kreis erhielt 1985 den Right Livelihood Award. Nach dem Rücktritt des langjährigen Präsidenten János Kádár im Mai 1988 lebte der Protest neu auf. Kritische Berichte erschienen nun in der Presse und Demonstrationen fanden statt. Im März 1989 wurden dem ungarischen Parlament 140.000 Unterschriften gegen das Projekt vorgelegt. Noch bevor es zu einer Entscheidung kam, verkündete Ministerpräsident Miklós Németh die Einstellung der Bauarbeiten. Die einseitige Kündigung der Verträge von 1977 führte zu einem offenen Konflikt, der 1993 vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag kam. In den 1980er Jahren wurden die vier Druckwasserreaktoren des Kernkraftwerk Paks fertiggestellt und ans Stromnetz genommen. Sie nutzen Donauwasser als Kühlwasser, ebenso wie das Kernkraftwerk Kosloduj, das einzige Kernkraftwerk Bulgariens. Dort sind vier alte Kernreaktoren russischer Bauweise (WWER-440/230) stillgelegt; zwei neuere Blöcke (WWER-1000/320) sind (Stand 2013) in Betrieb. Auch das Kernkraftwerk Cernavodă, das einzige Kernkraftwerk Rumäniens, verwendet Kühlwasser aus der Donau. 1996 wurde (nach einer Bauzeit von 14 Jahren) der erste Block fertiggestellt, 2007 der zweite (nach 25-jähriger Bauzeit). Eine Besonderheit aus der Geschichte der Nutzung war die Gewinnung von Gold aus dem Sand der Donau zur Prägung von Flussgolddukaten. Sie sind durch die Umschrift EX AURO DANVBII (= aus dem Gold der Donau) erkennbar. Kulturelle Rezeption Als zweitgrößter europäischer Fluss hat die Donau in den Kulturen ihrer Anrainerländer und darüber hinaus viele Spuren hinterlassen. Die Donau wird mit ihrer griechischen Bezeichnung bei Hesiod als Sohn des Okeanos und der Tethys bezeichnet (Theogonie 339). Neben zahlreichen Sagen und Legenden haben sich auch Schriftsteller mit ihr auseinandergesetzt, von Ovid, der in den Tristia (Buch 3, Gedicht 10) den starken Eindruck der zugefrorenen Donau besang, bis zu Claudio Magris, Ernst Trost und Péter Esterházy, die sich am Ende des 20. Jahrhunderts mit dem Thema beschäftigten. Die Donau gilt in Osteuropa seit dem Mittelalter als Archetyp eines Flusses. So ist sie in Konstantin Kostenezkis Lobpreisung Belgrads einer der vier Paradiesflüsse. Die Gleichstellung der Donau mit dem Pischon geht auf ältere antike Anschauungen bei Severian von Gabala zurück und wurde von byzantinischen Schriftstellern durch Michael Psellos wieder aufgegriffen. In den älteren apokryphischen Chroniken, einer anonymen Chronikensammlung in Bulgarien, wird die Donau ebenso mit biblischen Archetypen geographischer Objekte gleichgestellt, indem die Überquerung der Donau den Einzug der Bulgaren ins „gelobte Land“ begleitet. In Russland wurden so alle größeren Flüsse, Don, Dnepr oder Moskwa symbolisch als Donau bezeichnet. Ihren verbreitetsten kulturellen Widerhall fand die Donau in der Musik, im (ursprünglich mit einem anderen Text komponierten und uraufgeführten) Donauwalzer aus der Feder von Johann Strauss. Österreich hat ein besonders eng mit der Donau verbundenes Image, das an die einstige Donaumonarchie (mit etwa 1300 Donaukilometern; seit 1945 nur noch etwa 350 km) anknüpft und unter anderem seinen Ausdruck in der Phrase Land am Strome der Österreichischen Bundeshymne findet. Auch in den Nationalhymnen der Anrainerstaaten Bulgarien (Mila Rodino), Kroatien (Lijepa naša domovino) und Ungarn (Himnusz) wird der Fluss erwähnt. Lebensraum Donau Die Donau passiert viele Landschaften und Klimazonen, entsprechend vielfältig ist ihre Flora und Fauna. Trotz zahlreicher, teils schwerer, menschlicher Eingriffe ist die Flusslandschaft in vielen Abschnitten noch immer außerordentlich artenreich, auch weil einige besonders sensible Lebensräume unter Schutz gestellt wurden. Ein sehr großes Problem ist die ständige Erosion des Flussgrunds, der verschiedene staatliche Maßnahmen entgegenwirken sollen, unter anderem regelmäßiges Ausbaggern. Trotzdem erreichen jährlich noch rund 70 Millionen Kubikmeter Sediment das Schwarze Meer, was zu stetigen Veränderungen im Deltabereich führt. Fauna Vögel Insgesamt sind über 300 Vogelarten an der Donau beheimatet. Die Donau ist eine der bedeutendsten europäischen Vogelzugstraßen und die an ihr gelegenen noch naturnahen Gebiete bilden oftmals wichtige Areale für Überwinterung, Brut und Rast, darunter auch für seltene Arten wie Uhu, Eisvogel, Seeadler, Schwarzstorch, Schwarzmilan und Würgfalke. Herausragend sind dabei die Schutzgebiete Donauauen, Kopački rit und vor allem das Donaudelta. Die Donauauen sind verbindendes Glied der Lebensräume um Neusiedlersee, Donau und March. Sie beherbergen vor allem im Winter sowohl große Mengen an Gänsen, Seeschwalben, Gänsesäger, Schellenten, Limikolen, Stockenten, aber auch viele eher seltene Arten wie Schelladler, Fischadler oder Singschwäne. Auch Kopački rit, ein noch unberührtes Sumpfgebiet an der Draumündung in die Donau im Nordosten Kroatiens, ist ein wichtiges Überwinterungsgebiet; über 260 Vogelarten nisten hier, darunter auch so seltene wie der Seeadler. Zahllose weitere Arten nutzen es als Rast- und Überwinterungsgebiet. Am wichtigsten für die Vogelwelt an der Donau ist das Donaudelta, ein zentraler Punkt der europäischen Vogelzugstraße und zugleich Übergangszone von europäischer und asiatischer Fauna. Weit über 300 Vogelarten rasten, überwintern oder brüten hier, darunter zum Beispiel Pelikane, Reiher, Löffler, Greifvögel oder auch die seltene Rothalsgans. Fische Typische Donaufische sind Barbe, Nase, Blaunase, Aitel, Hasel, Brachse, Karpfen, Güster, Hecht, Zander, Barsch, Aal, Schied, Huchen, Sterlet und Welse sowie Bitterling, Gründling, Schlammpeitzger, Schrätzer, Zingel und Streber, wobei die Störartigen anders als früher durch den Bau der Staustufe am Eisernen Tor nicht mehr bis Wien gelangen können. Einige Arten sind gar in der Donau oder ihren Nebenflüssen endemisch, so zum Beispiel das Donauneunauge. Begünstigt durch verstärkten Landschaftsschutz und Renaturierungen von Donaueinzugsgebieten konnten seltenere Fischarten vor allem in Deutschland und Österreich wieder etabliert werden. So wurde der eigentlich seit 1975 ausgestorben geglaubte Hundsfisch (Umbra krameri), ein Hechtverwandter, 1992 wiederentdeckt und konnte im Rahmen von Nachzuchtprogrammen wieder angesiedelt werden. Im Donaudelta finden sich über 150 Fischarten, etwa Stör, europäischer Hausen, Karpfen, Wels, Zander, Hecht und Barsch. Um die Fischwanderung an Kraftwerken flussaufwärts zu ermöglichen sollen bis 2027 durchgehend vom Schwarzen Meer bis hinauf nach Rosenheim am Inn Fischwanderhilfen errichtet werden. Säugetiere Aber auch Säugetierarten wie Steinmarder, Edelmarder, Wiesel, Dachs oder gar Europäische Wildkatze, Biber und Otter sind hier heimisch, im Delta finden sich unter anderem Europäischer Nerz, Fischotter, Steppeniltis und Ziesel. Reptilien und Amphibien Ebenso bietet die Donau zahlreichen Amphibien und Reptilien Raum, darunter Äskulapnatter, Östliche Smaragdeidechse, Mauereidechse, Ringelnatter, Glattnatter und Zauneidechse, Griechische Landschildkröte, Maurische Landschildkröte und Europäische Sumpfschildkröte sowie Endemiten wie dem Donau-Kammmolch. Eine besonders hohe Artendichte weist auch hier wiederum das Delta auf. Flora Wichtige Baumarten der Weichholz-Auen sind die Silber-Pappel (Populus alba), am Oberlauf auch die Grau-Erle (Alnus incana) sowie die Silberweide (Salix alba). Für die Hartholz-Aue ist die Schmalblättrige Esche (Fraxinus angustifolia) erwähnenswert, die von Wien abwärts vorkommt, des Weiteren sind noch Feld- (Ulmus campestris) und Flatter-Ulme (Ulmus laevis) und Stieleiche (Quercus robur) belegt. In der Donau selbst finden sich seltene Wasserpflanzen wie die Wasserfalle (Aldrovanda vesiculosa) oder Wasserschläuche (Utricularia spp.). Bedeutende Nationalparks und Reservate Natura 2000 Die Donau fließt auf fast der gesamten Länge durch Natura-2000-Gebiete und ist somit ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Schutzgebietsnetzwerks. Lediglich der Streckenabschnitt im Nicht-EU-Land Serbien und wenige Zwischenstrecken, etwa innerhalb größerer Städte, liegen nicht in europäischen Schutzgebieten. Liste der Natura-2000-Gebiete entlang der Donau Im Folgenden sind alle Natura-2000-Gebiete, die die Donau durchfließt, aufgelistet. Flora-Fauna-Habitat-Gebiete sind mit „FFH“, europäische Vogelschutzgebiete mit „VSG“ gekennzeichnet. Die beiden Gebietskategorien überschneiden sich großflächig. {| width="100%" | width="50%" valign="top" | Deutschland Baar, Eschach und Südostschwarzwald (FFH) Baar (VSG) Nördliche Baaralb und Donau bei Immendingen (FFH) Großer Heuberg und Donautal (FFH) Südwestalb und Oberes Donautal (VSG) Oberes Donautal zwischen Beuron und Sigmaringen (FFH) Donau zwischen Riedlingen und Sigmaringen (FFH) Donau zwischen Munderkingen und Riedlingen (FFH) Täler der Mittleren Flächenalb (VSG) Donau zwischen Munderkingen und Ulm und nördliche Iller (FFH) Untere Illerauen (FFH) Donau-Auen zwischen Thalfingen und Höchstädt (FFH) Donauauen (VSG) Donauauen Blindheim-Donaumünster (FFH) Donauauen zwischen Lechmündung und Ingolstadt (VSG) Donau mit Jura-Hängen zwischen Leitheim und Neuburg (FFH) Donauauen mit Gerolfinger Eichenwald (FFH) Donauauen zwischen Ingolstadt und Weltenburg (FFH) 'Weltenburger Enge' und 'Hirschberg und Altmühlleiten' (FFH) Felsen und Hangwälder im Altmühl-, Naab-, Laber- und Donautal (VSG) Naab unterhalb Schwarzenfeld und Donau von Poikam bis Regensburg (FFH) Donau zwischen Regensburg und Straubing (VSG) Donau und Altwässer zwischen Regensburg und Straubing (FFH) Donau zwischen Straubing und Vilshofen (VSG) Donauauen zwischen Straubing und Vilshofen (FFH) Donau von Kachlet bis Jochenstein mit Inn- und Ilzmündung (FFH) Österreich Oberes Donau- und Aschachtal (FFH) Oberes Donautal (VSG) Eferdinger Becken (FFH) Machland Nord (FFH) Machland Süd (VSG + FFH) Strudengau - Nibelungengau (FFH) Niederösterreichische Alpenvorlandflüsse (FFH) Prielachtal (VSG) Wachau - Jauerling (VSG) Wachau (FFH) Tullnerfelder Donau-Auen (VSG + FFH) Nationalpark Donau-Auen (Wiener Teil) (VSG + FFH) Donau-Auen östlich von Wien (VSG + FFH) Slowakei Bratislavske luhy (FFH) Dunajske luhy (VSG) Hrusov (FFH) Dunajske luhy (FFH) Dunaj (FFH) Ungarn Szigetköz (VSG + FFH) Duna és ártere (FFH) Börzsöny és Visegrádi-hegység (VSG) Tolnai Duna (FFH) Gemenc (VSG + FFH) Béda-Karapancsa (VSG + FFH) Kroatien Dunav S od Kopačkog rita (FFH) Podunavlje i donje Podravlje (VSG) Kopački rit (FFH) Dunav - Vukovar (FFH) | width="50%" valign="top" | Rumänien Porțile de Fier (FFH) Cursul Dunării - Baziaș - Porțile de Fier (VSG) Blahnița (VSG) Dunărea la Gârla Mare - Maglavit (FFH) Maglavit (VSG) Ciuperceni - Desa (FFH) Calafat - Ciuperceni - Dunăre (VSG) Coridorul Jiului (FFH) Confluența Jiu - Dunăre (VSG) Nisipurile de la Dăbuleni (VSG) Corabia - Turnu Măgurele (FFH) Confluența Olt - Dunăre (VSG) Suhaia (VSG) Gura Vedei - Șaica - Slobozia (FFH) Vedea - Dunăre (VSG) Ostrovu Lung - Gostinu (VSG) Dunăre - Oltenița (VSG) Oltenița - Mostiștea - Chiciu (FFH) Oltenița - Ulmeni (SPA) Ciocănești - Dunăre (VSG) Dunăre - Ostroave (VSG) Canaralele Dunării (FFH) Brațul Borcea (VDG) Mlaștina de la Fetești (FFH) Bordușani - Borcea (FFH) Canaralele de la Hârșova (VSG) Balta Mică a Brăilei (FFH) Balta Mică a Brăilei (VSG) Brațul Măcin (FFH) Dunărea Veche - Brațul Măcin (VSG) Lacul Brateș(VSG) Lunca Joasă a Prutului (FFH) Delta Dunării și Complexul Razim - Sinoie (VSG) Delta Dunării (FFH) Bulgarien Timok (FFH) Novo selo (FFH) Ostrov Golya (VSG) Ostrov Kutovo (FFH) Vidbol (FFH) Ostrov Bliznatsi (FFH) Archar (FFH) Orsoya (FFH) Tsibar (FFH) Ostrov Ibisha (VSG) Ostrov do Gorni Tsibar (VSG) Ostrovi Kozloduy (FFH) Reka Ogosta (FFH) Ostrov (FFH) Karaboaz (FFH) Persina (FFH) Nikopolsko plato (VSG) Ostrov Lakat (VSG) Kompleks Belenski ostrovi (VSG) Ostrov Vardim (VSG + FFH) Reka Yantra (FFH) Batin (FFH) Ribarnitsi Mechka (VSG) Marten - Ryahovo (FFH) Kalimok - Brashlen (FFH) Kompleks Kalimok (VSG) Ostrov Pozharevo (VSG) Pozharevo - Garvan (FFH) Srebarna (VSG + FFH) Ostrov Chayka (FFH) |} Naturpark Obere Donau Zwischen Immendingen und Ertingen durchquert der Fluss den Naturpark Obere Donau. Die landschaftlich attraktiven Felsen im Donaudurchbruch Schwäbische Alb gehören zu den wenigen, natürlich unbewaldeten Pflanzenstandorten in Deutschland. Da dieser Untergrund sehr trocken ist und die Temperaturen stark schwanken, konnten sich viele sehr lichthungrige Pflanzen, teils als eiszeitliche Relikte, hier erhalten. So kommt es im Naturpark zur ungewöhnlichen Kombination von mediterraner, alpiner und tundrischer Flora. Mit fast 750 Pflanzenarten, darunter einigen bedrohten oder vom Aussterben bedrohten, ist die Region, die von menschlichen Einflüssen weitgehend verschont blieb, eine der artenreichsten Baden-Württembergs. Naturschutzgebiet Donauleiten Das Naturschutzgebiet Donauleiten (NSG-00277.01) liegt donauabwärts zwischen Passau und Jochenstein auf der linken, nördlichen Donauseite und umfasst 401 Hektar. Es ist Teil des 68 km langen Donauengtals zwischen Vilshofen (Deutschland) und Aschach (Österreich) im Südosten des Böhmischen Grundgebirges. Es handelt sich um ein epigenetisches Durchbruchstal aus dem Jungtertiär. Durch die zentrale Stromtallage in Mitteleuropa finden sich Tier- und Pflanzenarten aus vier arealgeografischen Regionen: präalpine/ montane, subatlantische, kontinentale und submediterrane Arten. Durch die Exponierung gegen Süden wärmen sich Granit und Gneis der Donauhänge auf und sorgen für ein mildes Klima. Dementsprechend beheimaten die Donauleiten viele wärmeliebende Arten aus Fauna und Flora. So gelten die Donauleiten in Deutschland als bedeutendstes Vorkommen der bis zu zwei Meter langen schwärzlich-grünen Äskulapnatter. Weitere sechs Reptilienarten, wie die Östliche Smaragdeidechse, die Mauereidechse, die Zauneidechse und die Schlingnatter, sind hier beheimatet. Beim Vorkommen der Mauereidechse handelt es sich um das größte allochthone Vorkommen in Deutschland. Es ging aus Aussetzungen von Mauereidechse der Unterart maculiventris ab 1932 in den Donauleiten hervor, welches sich mit 4.000 bis 6.000 Eidechsen inzwischen auf 25 km entlang der Donau und in Nebentäler ausbreitete. Die Vielfalt an Insekten ist bemerkenswert: Fetthennen-Bläuling, Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling, Heller Wiesenknopf-Ameisenbläuling, Segelfalter, großer Schillerfalter und Hirschkäfer können häufig beobachtet werden. Aufgrund des Mosaiks unterschiedlicher Lebensraumtypen, wie extrem trockenen Standorten auf waldfreien Blockhalden und Fels, mageren, eher bodensauren Eichen-Hainbuchenwäldern, feuchteren Buchenwäldern auf humosen Böden und kühlen, feuchten Bachschluchten, existiert eine abwechslungsreiche Flora, zu nennen sind etwa Alpenveilchen, Schneeglöckchen, Frühlingsknotenblume, Michelis-Segge, Besen-Beifuß, Ästige Graslilie, Türkenbund-Lilie, Großblütiger Fingerhut, Seidelbast und Orchideen wie das Männliche Knabenkraut und das Waldvögelein. Nationalpark Donau-Auen Eines der größten Auengebiete in Mitteleuropa sind die Donauauen nahe Wien bei Hainburg, dort erstreckt sich von der Lobau (noch auf Wiener Stadtgebiet) bis zur Einmündung der March der Nationalpark Donau-Auen, in dem rund 70 Fisch-, 30 Säugetier- und 100 Vogelarten leben. Der Nationalpark Donau-Auen wurde nicht durch die Regierung Österreichs initiiert, sondern 1983/84 durch Bürgerproteste vor dem beabsichtigten Bau eines Donaukraftwerks gerettet, der die Auen zerstört hätte. Dabei kam es im Dezember 1984 zur spektakulären Besetzung der Hainburger Au durch mehrere tausend Menschen und einem von über 350.000 Menschen unterzeichneten Volksbegehren. Diese Bürgerbewegung gilt als die Geburtsstunde der österreichischen Grünen. 1996 wurden die Auen zum Nationalpark erklärt. Im 21. Jahrhundert ist dieser Nationalpark durch die geplante Lobauautobahn bedroht. Sie soll großteils unter dem Nationalpark als Tunnel verlaufen, müsste aber zahlreiche Oberbauten aufweisen. Das für die Donau-Auen wichtige, heikle Grundwassersystem könnte durch den Bau gestört werden. Nationalpark Donau-Eipel in Ungarn Der Nationalpark Donau-Eipel, ungarisch Duna-Ipoly Nemzeti Park, umfasst das Börzsöny-Gebirge, das Pilis-Gebirge, das Visegráder Gebirge, das linke Ufer der Eipel, die Szentendre-Insel und das linke Ufer der Donau in diesem Bereich mit dem Zentrum des Donauknies. Zweitausend verschiedene Pflanzenarten und einige tausend Tiergattungen leben im Nationalpark, darunter auch der endemische Piliser Lein. Naturpark Kopački rit Der Naturpark Kopački rit liegt am Zusammenfluss der Drau in die Donau in Kroatien. Die unberührten Sumpf, Moor- und Auengebiete sind Heimstätte vieler Tier- und Pflanzenarten, darunter 260 Vogelarten. In den zahlreichen Seitenarmen leben 40 Fischarten. Der Naturpark Kopački rit ist nominiert für die Liste des UNESCO-Weltnaturerbes. Biosphärenreservat Srebarna Das Biosphärenreservat Srebarna befindet sich an der Donau, im Nordosten Bulgariens, ca. 17 km westlich von Silistra entfernt. Es erstreckt sich über 900 Hektar, auf denen 99 Vogelarten brüten und 80 Zugvogelarten überwintern und gehört zum UNESCO-Weltnaturerbe. Spezial-Naturreservat Deliblatska peščara Das Spezial-Naturreservat Deliblatska Peščara liegt im Bezirk Južni Banat in der Autonomen Provinz Vojvodina in Serbien. Es erstreckt sich zwischen der Donau, den Südkarpaten und dem Fluss Tamiš über 354 km und über eine Fläche von 30.000 Hektar. Das Reservat stellt ein wüstenartiges Phänomen dar, eine Sanddünenlandschaft mitten im Balkan, mit einer einzigartigen Orografie, Flora und Fauna in Europa. Daher wird es in Serbien auch umgangssprachlich Evropska Sahara (Europäische Sahara) genannt. Am Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Sanddüne mit Akazien und anderen Bäumen befestigt. Inzwischen ist mehr als die Hälfte der Sandlandschaft bepflanzt und manche Teile sind reiche Saisonjagdorte. Die imposante Größe der Sandberge mit über 200 m über NN, ihre Schönheit, das ständige Wechseln der Blütenfarben der verschiedensten Pflanzenarten machen diese Düne für Besucher attraktiv. Nationalpark Đerdap und weitere Gebiete Der Nationalpark Đerdap erstreckt sich entlang der Donau, von der Stadt Golubac bis zur Kleingemeinde Tekija, über eine Länge von 100 km und über eine Fläche von 63.680 Hektar. Das Einzigartige an diesem Park sind die riesigen Schluchten und Pässe, die die Donau durchquert. Đerdapska klisura wird der größte Pass bezeichnet, der zugleich der größte Europas ist. Die tertiäre Flora, Vegetation und Fauna machen ihn zu einem einzigartigen Naturreservat. Die über 1100 hier vorkommenden Pflanzenarten und auch Bären, Luchse, Wölfe, Goldschakale, Schwarzstörche, einige Eulenarten und andere seltene Tiere bestätigen dies ebenfalls. Trotz dieses Naturreichtums war der Mensch in diesem Gebiet stets präsent, was die zahlreichen Funde bezeugen. Lepenski Vir, Tabula Traiana und die Trajansbrücke sind nur einige der bedeutenden archäologischen Funde in diesem Nationalpark. Bisher unerschlossene Funde befinden sich auf dem Grund des riesigen Stausees des Eisernen Tores. Viele geborgene Funde sind in das Museum Lepenski Vir gebracht worden. Weitere serbische Nationalparks entlang der Donau sind das Spezial-Naturreservat Gornje Podunavlje und der Nationalpark Fruška Gora. Naturpark Eisernes Tor Der Naturpark Eisernes Tor ist ein Naturschutzgebiet am Donaudurchbruchstal Eisernes Tor im Südwesten Rumäniens. Der Naturpark Eisernes Tor erstreckt sich auf einem Areal von 115.655 Hektar und dehnt sich über die südlichen Ausläufer des Banater Gebirges aus. Der Naturpark Eisernes Tor wurde im Jahr 2000 von der rumänischen Regierung als Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung gegründet und 2007 durch die Weltnaturschutzunion IUCN als Schutzgebiet der Kategorie V (Naturpark) anerkannt. Im Jahr 2011 erfolgte die Eintragung des Naturparks Eisernes Tor in die Liste der Schutzgebiete von internationaler Bedeutung der Ramsar-Konvention. Langfristig ist vorgesehen, die Schutzgebiete auf beiden Seiten der Donau – den Nationalpark Đerdap auf serbischer Seite und den Naturpark Eisernes Tor auf rumänischer Seite – zu einem grenzüberschreitenden Biosphärenreservat als Teil der künftigen Euroregion Donauraum zu vereinen. Biosphärenreservat Donaudelta Das Donaudelta in Rumänien ist das Mündungsgebiet der Donau am Schwarzen Meer und – nach dem Wolgadelta – das zweitgrößte Flussdelta Europas. Es besteht aus drei Hauptarmen sowie unzähligen Seitenarmen, Röhrichten, schwimmenden Inseln, Altarmen und Seen, aber auch Auwäldern sowie extremen Trockenbiotopen auf Dünen. Kurz vor Tulcea teilt sich der Strom in zwei Arme nach Chilia und Tulcea, kurz hinter Tulcea teilt er sich erneut in zwei Arme nach Sulina und Sfântu Gheorghe. Das 5000 km² große, weltweit einmalige Ökosystem ist Europas größtes Feuchtgebiet, es gilt als größtes zusammenhängendes Schilfrohrgebiet der Erde und ist der Lebensraum von über 4000 Tier- und über 1000 Pflanzenarten. Urtümliche Galeriewälder aus Eichen, Weiden und Pappeln säumen die Ufer des Donaudeltas. Im Jahr 1991 erklärte die UNESCO das Delta zu einem Teil des Weltnaturerbes, seitdem ist es Biosphärenreservat. Am 5. Juni 2000 verpflichteten sich die Regierungen Rumäniens, Bulgariens, der Republik Moldau und der Ukraine zum Schutz und zur Renaturierung der Feuchtgebiete entlang der etwa 1000 Kilometer langen unteren Donau. Dieser Grüne Korridor wurde damit zum größten grenzüberschreitenden Schutzgebiet Europas. Nach der Jahrtausendwende entwickelte sich das Gebiet zunehmend zum Touristenziel. Allein zwischen Mai und Juli 2004 kamen fast 54.000 Gäste, was eine Steigerung von fast 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Von den Naturfreunden International wurde das Donaudelta zur Landschaft des Jahres 2007/08 gewählt. Fischfauna im Donaudelta Das Donaudelta besteht aus einem dichten Gewässernetz von Seen, Altarmen, Flüssen und Kanälen, welche die Hälfte der rumänischen Binnenfischproduktion liefern. Zu den häufigsten Fischarten gehören Störe, Wildkarpfen, Karauschen, Brassen, Rotaugen, Rotfeder, Schleien sowie Raubfische wie Flussbarsche, Zander, Rapfen, Hechte und Welse. Das Donaudelta gehörte aufgrund seiner Größe und Naturbelassenheit mit zu den weltbesten Fischrevieren für Wildkarpfen und Großwelse, Letztere angeblich bis zwei Meter lang und 100 Kilogramm schwer. Berufsfischer erbeuteten einen Wels von 162 Kilogramm. Durch jahrelangen Raubbau sind die Durchschnittsgewichte bei Hechten und Karpfen stark gesunken. Geplante Schutzmaßnahmen im 21. Jahrhundert Als gemeinsames Projekt der Staaten Slowenien, Serbien, Ungarn, Kroatien und Österreich soll ein UNESCO-Biosphärenpark im Ausmaß von 630.000 Hektar im Gebiet der Donau-Drau-Mur entstehen. Ein entsprechendes Abkommen wurde im September 2009 in Barcs unterzeichnet. Dieses Naturschutzgebiet hätte eine Kernzone, die größer als alle österreichischen Nationalparks gemeinsam wäre. Schwerere ökologische Eingriffe und Zwischenfälle Erste Flussverlegungen und wirtschaftliche Interessen Wie viele andere Flüsse hat die Donau seit dem Beginn der Industrialisierung zahlreiche schwere Eingriffe durch Menschenhand (vgl. Flussbau) erfahren. Nur 20 Prozent der Überschwemmungsgebiete, die im 19. Jahrhundert existierten, sind noch vorhanden und nur noch die Hälfte des Flusslaufs kann als zumindest „naturnah“ bezeichnet werden. Die Internationale Kommission zum Schutz der Donau (IKSD) mit Sitz in Wien hat 2008 mit dem Joint Danube Survey 2, Final Scientific Report einen umfangreichen Bericht über die Wasserqualität des Flusses vorgelegt. Um beispielsweise die Auswirkungen der Donau-Überschwemmungen in Wien zu vermindern, wurde ab 1870 der Fluss durch massive Eingriffe wie die Wiener Donauregulierung verändert. Dadurch entstanden der Donaukanal und die Alte Donau, die ehemalige Flussarme waren, und in jüngerer Zeit Stadtviertel wie die Donaucity und die als Erholungs- und Überschwemmungsgebiet genutzte Donauinsel. Teil der östlich von der heutigen Donau gelegenen Bezirke wie Floridsdorf und Donaustadt waren einst ausgedehnte Donauauen. Durch die zeitlich schon länger zurückliegenden starken Eingriffe werden diese Vorgänge subjektiv nicht so stark wahrgenommen, wie Eingriffe in den Donauraum in jüngerer Vergangenheit. Neben der zunehmenden Verschmutzung durch Industrie, Landwirtschaft, Tourismus und der Zuleitung von Abwässern sowie der Regulierung durch Staustufen und Schleusenkanäle, Letzteres vor allem in Deutschland und Österreich, setzen vor allem Großprojekte dem Lebensraum Donau stark zu. Da gleich zehn Staaten, darunter einige der ärmsten Länder Europas wie Rumänien, Moldau oder die Ukraine vor allem ihre wirtschaftlichen Interessen am Fluss wahrnehmen und von seiner Lage profitieren wollen, ist ein grenzüberschreitender Schutz schwierig. Kraftwerke Eisernes Tor Im Jahr 1964 begannen das damalige Jugoslawien und Rumänien zwischen den Südkarpaten und dem Serbischen Erzgebirge an der Grenze von Rumänien zu Serbien mit dem gemeinsamen Bau des Wasserkraftwerks Kraftwerk Eisernes Tor 1, das 1972 eröffnet wurde. Der Staudamm mit zwei Schleusen ließ einen 150 Kilometer langen Stausee entstehen, der Wasserspiegel wurde um 35 Meter gehoben. Neben der Energiegewinnung wurde auch die Wasserstraße Donau ausgebaut und die Schiffsdurchfahrt durch die Sprengung der Katarakte im Fluss erleichtert. Im Jahr 1977 begannen Planungen für das Kraftwerk Eisernes Tor 2, das 1984 fertig gestellt wurde. Für den Stausee, dessen Ausläufer bis Belgrad reichen, mussten unter anderem die Stadt Orșova und fünf Dörfer weichen und die seit 1669 von Türken bewohnte Insel Ada Kaleh wurde überflutet. Die meisten Türken verließen Rumänien und gingen in die Türkei. Insgesamt mussten 17.000 Menschen umgesiedelt werden, ihre angestammten und teils kulturell bedeutenden Wohnorte wurden vom Wasser begraben. Auch für die Umwelt hat die Errichtung des Damms Folgen gehabt, so können seither Störe nicht mehr zum Ablaichen die Donau hinaufschwimmen. Um den kulturellen und ökologischen Schaden zu begrenzen, sind Objekte der Flora und Fauna, ebenso wie geomorphologische, archäologische und kulturhistorische Artefakte in zwei Nationalparks und Museen bewahrt worden, in Serbien im Nationalpark Đerdap, der seit 1974 besteht und 63.608 Hektar umfasst, und in Rumänien im Naturpark Eisernes Tor, der 2001 eingerichtet wurde und eine Fläche von 115.655 Hektar besitzt. Gabčíkovo-Nagymaros Im Budapester Vertrag vom 16. September 1977 vereinbarten die damalige Tschechoslowakei und Ungarn in Budapest den Bau des riesigen Staustufenverbunds Gabčíkovo zwischen Gabčíkovo nahe Bratislava und Nagymaros in Ungarn zur Energiegewinnung, erste Planungen für das Projekt reichten zurück bis in das Jahr 1946. Durch den Bau befürchteten ungarische und teilweise auch österreichische Experten zerstörerische Auswirkungen auf die nahen österreichischen Donauauen, die Landschafts- und Siedlungsräume entlang der slowakisch-ungarischen Grenze sowie die Budapester Wasserversorgung. Nachdem bereits seit 1983 die Arbeiten daran verlangsamt wurden, gründete sich 1984 in Budapest Duna Kör, der „Donau-Kreis“. Diese Umweltbewegung, die vielfach als Keim der „samtenen Revolution“ in Ungarn angesehen wird, fand starken Rückhalt in der Bevölkerung. 140.000 Menschen unterzeichneten ihre Petition gegen den Staudamm und 1988 kam es zu einer Demonstration mit rund 40.000 Teilnehmern vor dem ungarischen Parlament. Im Rahmen der politischen Erschütterungen des Ostblocks 1989 zog sich die damalige ungarische Regierung (Ministerpräsident: Miklós Németh) im Mai 1989 unter dem Druck der Bevölkerung von dem Projekt zurück. Die Tschechoslowakei und seit 1993 die Slowakei betrieb den Weiterbau des Kraftwerks Gabčíkovo an einer anderen Stelle und verklagte Ungarn 1993 und erneut 1997 beim Internationalen Gerichtshof (IGH) auch auf die Erfüllung des Budapester Vertrages von 1977. Ungarn warf nun der Slowakei zusätzlich vor, teilweise Wasser aus dem Grenzfluss in den neu gebildeten künstlichen Gabčíkovo-Kanal entzogen zu haben. Der IGH hat im Prinzip entschieden, dass der Vertrag von 1977 gilt und die beiden Länder vereinbaren sollen, wie sie ihn erfüllen. Eine Einigung ist noch nicht zustande gekommen. Der Streit belastet die Beziehungen zwischen Ungarn und der Slowakei bis in die Gegenwart. Hafen Giurgiulești Im Jahr 1995 gründete die moldauische Regierung Terminal S. A., ein Joint-Venture mit griechischer Beteiligung zur Errichtung eines Hafens mit angeschlossener Ölraffinerie an ihrem Uferstück bei Giurgiulești. 1996 gewährte die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung einen Kredit über 19 Millionen Dollar und erhielt damit einen Anteil von 20 Prozent. 41 Prozent hält die moldauische Tirex-Petrol und 39 Prozent die griechische Technovax. Der Grundstein für den Bau wurde im November 1998 gelegt, seither kommt das Projekt allerdings nur sehr mäßig voran. Im 21. Jahrhundert versucht die moldauische Regierung ihren Anteil zu verkaufen, seit 2003 werden vor allem Interessenten aus Russland und Aserbaidschan genannt. Da das Donaudelta sehr nahe ist, würden Einträge belastenden Materials insbesondere im Falle von Havarien schnell und unverdünnt dort hinein gelangen und das Schutzgebiet stark gefährden. Deshalb führten diese Pläne zu Protesten durch Umweltschutzverbände. Von der moldauischen Regierung werden die Pläne aber konsequent weiterverfolgt. Baia-Mare-Dammbruch Am 30. Januar 2000 ereignete sich in dem rumänischen Ort Baia Mare ein Dammbruch in einer Golderz-Aufbereitungsanlage, infolge dessen über 100.000 m³ Natriumcyanidlauge über Nebenflüsse in die Theiß gelangten. Zwei Wochen später erreichte die Schadstoffwelle die Donau, in der – wie auch in der Theiß – ein Fischsterben die Folge war. Darüber hinaus wurden bis zur Donaumündung ins Schwarze Meer die Zyanid-Grenzwerte überschritten. Bystre-Kanal Am 27. August 2004 wurde in der ukrainischen Kleinstadt Wylkowe der Bau des 9 km langen Bystre-Kanal begonnen. 2022 wurde er von 3,90 m auf 6,50 m vertieft. Er verkürzt den Wasserweg zwischen Donauhäfen wie Reni und Kilija und der ukrainischen Schwarzmeerküste um über 20 km. Gefährdung und Verschmutzung Der WWF zählt die Donau aufgrund der massiven Ausbaubestrebungen für die Schifffahrt und die noch geplanten Wasserkraftnutzungen zu den zehn gefährdetsten Flüssen der Welt. Unter anderem sieht ein EU-Programm zum Ausbau der Infrastruktur zwischen West- und Osteuropa (Transeuropäische Netze, TEN-T) vor, auf einer Länge von etwa 1.000 Flusskilometern Hindernisse und Engstellen an der Donau zu beseitigen. Von diesen Baumaßnahmen wären Schutzgebiete und Naturräume betroffen. Donauausbau in Niederbayern Der etwa 70 km lange Donauabschnitt zwischen Straubing und Vilshofen gehört zu den letzten frei fließenden, nicht durch Staubauwerke zerteilten Donauabschnitten in Europa. Für diesen Bereich bestehen Pläne, die als Bundeswasserstraße ausgewiesene Donau für die Schifffahrt weiter auszubauen, da es derzeit nur 144 Tage im Jahr möglich ist diese Strecke mit voller Abladetiefe (also 2,5 m) zu befahren, im Gegensatz zu anderen frei fließenden Strecken wie der Mittelrhein (310 Tage/Jahr) und Wachau (300 Tage/Jahr). Zwei Ausbauvarianten (die Variante A und die Variante C 2,80) und ein optimierter Ist-Zustand wurden miteinander verglichen. 2002 regierte das rot-grüne Kabinett Schröder I. SPD und Grüne beantragten im März 2002 Variante A. Die mit Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 2002 vom Bund gewünschte Variante A beschränkt sich auf flussbauliche Maßnahmen und erhält das für das ökologische Gleichgewicht notwendige Fließen. Sie ermöglicht an 200 Tage im Jahr eine Abladetiefe von 2,5 m. Variante C 2,80 sieht das Abschneiden der Donauschlinge „Mühlhamer Schleife“ bei Aicha mit einem Durchstichkanal (Schleusenkanal mit Schleuse für die Schifffahrt) und einer Staustufe in der Mühlhamer Schleife vor. Sie ermöglicht an 301 Tage im Jahr eine Abladetiefe von 2,5 m. Diese Variante wird vom Freistaat Bayern gefordert. Vier Binnenschifffahrtsverbände (Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt, Europäische Binnenschifffahrtsunion, Verband für europäische Binnenschifffahrt und Wasserstraßen, Deutscher Wasserstraßen- und Schiffahrtsverein Rhein-Main-Donau e. V. (DWSV)) legten am 5. Oktober 2006 dem damaligen Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee eine gemeinsame Resolution vor, in der sie die Entscheidungsträger auf Bundesebene und Landesebene auffordern, unverzüglich den Ausbau der Donau voranzutreiben. Der Bund und der Freistaat Bayern vereinbarten 2009 „variantenunabhängige Untersuchungen zum Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen“; diese begannen Ende 2009. Die Abschlussberichte wurden bis Ende 2012 fertiggestellt. Die Ausbauvariante A ist derzeit (2023) in Ausführung. Die erste Teilabschnitt von Straubing bis Hafen Straubing-Sand ist seit August 2023 fertig. In diesem Abschnitt ist die Donau um 65 cm vertieft, damit der Hafen 300 Tage im Jahr mit 2,5 m Tiefgang vom Westen erreicht werden kann, was mit der Variante C 2,80 für die ganze Strecke vorgesehen war. Derzeit wird die Strecke bis Deggendorf weiter ausgebaut und so um 20 cm vertieft. Planungen für die Strecke Deggendorf-Vilshofen laufen noch (2023). Plastikmüll Bei einer Untersuchung der Uferbereiche der Donau zwischen Wien und Bratislava von Forschern der Universität Wien zwischen den Jahren 2010 und 2012 stellte sich der zweitgrößte Fluss Europas „sehr überraschend“ als wesentlich stärker mit Plastik verschmutzt als bisher angenommen dar: Es wurden pro 1000 Kubikmeter Wasser im Schnitt 317 Plastikteilchen, aber lediglich 275 Fischlarven gefunden. Dies ergibt einen geschätzten Eintrag von 4,2 Tonnen Plastikmüll pro Tag von der Donau ins Schwarze Meer. Bei 79 Prozent der in den Proben entdeckten Plastikpartikel handelt es sich um industrielles Rohmaterial wie Pellets oder Flakes. Die restlichen Kunststoffteilchen sind nach der Meinung der Forscher auf kommunalen Abfall zurückzuführen. Das Risiko für die Fische bestehe darin, dass sie das Mikroplastik mit ihrer üblichen Nahrung wie Insektenlarven oder Fischeiern verwechselten. Wasserqualität 2015 veröffentlichte die IKSD Ergebnisse einer Studie, der Joint Danube Survey 3. Mittels Wasseranalysen konnten im Donauwasser hohe Konzentrationen von Drogenrückständen und antibiotikaresistenten Keimen gemessen werden, auch wurde Fischarmut und ein hoher Verbauungsgrad der Donauufer festgestellt. Renaturierungen von Flussauen verbessern die Wasserqualität, indem Nitrate durch Denitrifikation abgebaut werden. Wirtschaftsraum Donau Wassernutzung Trinkwasser Die Donau ist entlang ihres Laufes für rund zehn Millionen Menschen eine bedeutende Trinkwasserquelle. In Baden-Württemberg beliefert der Zweckverband Wasserversorgung den gesamten Raum zwischen Stuttgart, Bad Mergentheim, Aalen und dem Alb-Donau-Kreis mit Trinkwasser, von dem gut 30 Prozent (2004: 30 Millionen Kubikmeter) aufbereitetes Donauwasser sind. Auch Städte wie Ulm oder Passau verwenden großteils noch Donauwasser als Trinkwasser. Österreich dagegen bezieht zu 99 Prozent sein Trinkwasser aus Grund- und Quellwasser, nur sehr selten, zum Beispiel während Hitzeperioden, wird Wasser der Donau entnommen, um daraus Trinkwasser zu gewinnen. Dasselbe gilt in Ungarn, das zu 91 Prozent Grundwasser verwendet. Auch die anderen Staaten entlang des Mittellaufs verzichten aufgrund der starken Verschmutzung auf die Verwendung von Donauwasser als Trinkwasser. Nur Orte an der Donau in Rumänien, wo der Strom wieder sauberer ist, versorgen sich noch weitgehend mit dem Wasser aus der Donau (Drobeta Turnu Severin, Donaudelta). Wasserkraft Fünf Anrainerstaaten der Donau beziehen nennenswerte Anteile ihrer Energie aus Wasserkraftwerken an der Donau, nämlich Deutschland, Österreich, die Slowakei, Serbien und Rumänien. Anderen Staaten fehlt zum Bau entsprechender Wasserkraftwerke entweder die partielle territoriale Kontrolle über die Donau (Kroatien, Bulgarien und Moldau verfügen jeweils nur über ein Ufer des Flusses), oder sie sind politisch nicht durchsetzbar wie in Ungarn oder aber der Lauf der Donau gibt eine solche Verwendung schlicht nicht her wie in der Ukraine. In Deutschland wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts erste Wasserkraftwerke gebaut, insbesondere in der Region der Oberen Donau, aber auch bei Ulm. Allerdings erlangte die Donau als Energielieferant niemals die Bedeutung wie weiter flussabwärts, da sie vergleichsweise schwach und energiearm ist. In Österreich ist die Situation bereits gänzlich anders, wenn auch der Bau des ersten Donaukraftwerkes Ybbs-Persenbeug erst relativ spät begann, nämlich 1953. Die Fertigstellung erfolgte 1957. Österreich hat in Europa nach Island und Norwegen den höchsten Anteil an Flussstauen (zumal das Gefälle der Donau hier stark ist): insgesamt werden rund 20 Prozent des öffentlichen Energiebedarfs durch die Donaukraftwerke gedeckt. Diese Entwicklung gilt allerdings nicht durchweg als positiv: Die Wasserkraft-Monokultur, die sich in Österreich insbesondere an der Donau konzentriert, die von der deutschen Grenze an, mit Ausnahme der Wachau, bis nach Wien mit Laufkraftwerken besetzt ist, verändert den Lauf und die Fließgeschwindigkeit des Gewässers und beeinträchtigt die reguläre Überflutung der ökologisch wertvollen Auwälder. Daneben bilden die Staustufen Barrieren für Fische und andere Lebewesen, die sich nicht mehr frei im Fluss bewegen können. Oder erfordern den gesonderten Bau von Fischtreppen. In der Slowakei ist die Wasserkraft mit gut 16 Prozent Anteil am Energiemix die zweitwichtigste Energiequelle nach der Braunkohle. Der größte Anteil davon, nämlich 11 Prozent der Gesamtproduktion der elektrischen Energie entstammt dem Wasserkraftwerk Gabčíkovo, das ursprünglich als Teil der Doppelstaustufe Gabčíkovo-Nagymaros in Kooperation mit Ungarn geplant war, aus dessen Bau sich Ungarn allerdings später zurückzog und das daraufhin von der Slowakei allein vollendet wurde. Das größte Wasserkraftwerk Europas am Eisernen Tor wurde 1972 nach achtjähriger Bauzeit gemeinsam von Jugoslawien (heute Serbien) und Rumänien in Betrieb genommen. Dadurch stellt die Wasserkraft mit 37,1 Prozent in Serbien und 27,6 Prozent in Rumänien eine der bedeutendsten Energiequellen der beiden Länder dar. Donauschleusen (Auswahl) Die oben genannten Wasserkraftwerke erforderten allesamt die Anlage von Schleusen für den ungestörten Schiffsverkehr. In Deutschland: Jochenstein, Kachlet, Straubing, Geisling, Regensburg, Bad Abbach In Österreich: Aschach, Ottensheim, Abwinden, Wallsee, Ybbs-Persenbeug, Melk, Altenwörth, Greifenstein, Freudenau In der Slowakei: Gabčíkovo In Serbien: Djerdap 1, Eisernes Tor In Rumänien: Djerdap 2 Schifffahrt Die Donau ist für die Donauschifffahrt mit Fahrzeugen unterhalb der Größe der klassischen Ulmer Schachtel bereits ab Ulm schiffbar. Darauf sind die 22 m × 4 m großen Schleusen sämtlicher Staustufen zwischen Ulm und Kelheim ausgelegt. Dieser Flussabschnitt ist Landeswasserstraße und mit motorisierten Fahrzeugen nur mit Sondergenehmigung zu befahren. Für die Großschifffahrt ist die Donau erst ab km 2415 bei Kelheim (etwa 440 Kilometer unterhalb der Quelle) befahrbar. Die 203 km lange deutsche Strecke von Kelheim bis zur österreichischen Grenze ist eine Bundeswasserstraße, zuständig ist das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Donau MDK. Von Kelheim bis zum Schwarzen Meer gibt es insgesamt 20 Staustufen mit Schleusen, davon sechs in Deutschland. Die Donau ist mit dem Main-Donau-Kanal, der bei Kelheim in die Donau mündet, von der Nordsee über den Rhein und den Main bis ins Schwarze Meer auch eine durchgehende internationale Wasserstraße. Verschiedene Schifffahrtskanalprojekte in den Alpen, welche die Donau an den Alpenraum angeschlossen hätten, blieben unverwirklicht: So z. B. der Maloja-Inn-Kanal, der von Wien die Donau, über den Inn und weiter über den Malojapass hinweg mit dem Comer See verbunden hätte. Ebenso unverwirklicht blieb der Splügenkanal über den Splügenpass mit Genua und dem Mittelmeer als Endziel – die Donau wäre durch u. a. Donauseitenkanal, Bodensee und Rhein angebunden worden. Die Donauschifffahrt unterscheidet auf dem schiffbaren Teil des Donaulaufs drei Abschnitte: Obere Donau, von Kelheim bis Komárom/Komárno Mittlere Donau, von Komárom/Komárno bis Drobeta Turnu Severin Untere Donau, von Drobeta Turnu Severin bis zur Mündung Historische Schifffahrt an der oberen Donau Die Donau ist eine der ältesten und bedeutendsten europäischen Handelsrouten. Bereits in frühgeschichtlicher Zeit diente sie als Transportweg für Handelswaren wie zum Beispiel Pelze, die meist noch mit einfachen Flößen den Fluss entlang transportiert wurden. Bereits zur Römerzeit wurde Schifffahrt betrieben, wenn auch bis in die Neuzeit Boote, die nach dem langen und damals noch sehr gefährlichen Weg ihren Zielhafen erreicht hatten, häufig demontiert und als Bauholz verkauft wurden. Wenn mit dem beschwerlichen und langsamen Rückweg auf Schiffen nicht genug verdient werden konnte, wurde dieser vermieden. Typisch für die Donauschifffahrt waren deshalb einfache Schiffskonstruktionen wie Zillen (siehe auch Ulmer Schachteln) und Plätten, die am Oberlauf ab Ulm (am Inn ab Hall in Tirol) verkehrten und den Holzverbrauch im Vergleich zum Bau von Flößen reduzierten. Größere Zillen mit Längen bis etwa 30 Metern und zwei Tonnen Zuladung, die sog. Kelheimer oder Ulmer Ordinarischiffe, wurden gelegentlich mit lohnender Ladung wie Wein, Salz stromaufwärts zurückgezogen. In der Regel zog man jedoch nur kleinere Zillen mit den Habseligkeiten der Schiffer stromaufwärts. Über die Jahrtausende konnten Boote stromaufwärts nur durch Treideln entlang der hier Treppelpfade genannten Leinpfade vorankommen. Dabei wurden die Boote zuerst von Menschen, ab dem 15. Jahrhundert zunehmend von Zugtieren stromaufwärts gezogen. Diese späteren Schiffszüge waren streng organisiert und umfassten bis zu 60 Pferde und ebenso viel Mannschaft, als Schiffe einen Kelheimer (Hohenau genannt) oder deren mehrere (Nebenbei) und stets mehrere Zillen und Plätten als Funktionsschiffe für Tauwerk, Pferde und Vorräte. Wegen des weit verästelten Flusssystems mit wechselnden Untiefen war ein solcher Schiffszug sehr langsam unterwegs. Oft kam man an einem Tag nur wenige Kilometer voran. Häufig musste mitsamt Pferden die Flussseite gewechselt werden, Wetter und Wasserführung behinderten das Vorankommen. Dampfschifffahrt auf der Donau Mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt und später der Lokomotiven begann der Niedergang der historischen Donauschifffahrt. Die letzten Schiffszüge wurden um 1900 stromaufwärts gezogen. Im Jahr 1812 wurde in Wien das erste Donaudampfschiff in Betrieb genommen. Kurze Zeit später, im Jahre 1829, gründete sich die erste Donaudampfschifffahrtsgesellschaft (DDSG). Dadurch wurden die Schiffe schneller, zum Beispiel fuhr das erste Dampfschiff Franz I im Jahre 1830 die Talfahrt von Wien nach Budapest in 14 Stunden 15 Minuten. Für die Bergfahrt von Budapest nach Wien benötigte es 48 Stunden 20 Minuten. Im September 1837 fuhr das erste Schiff, die Maria Anna, von Wien nach Linz. In der Folge sollte die DDSG zur bedeutendsten Schifffahrtsgesellschaft auf der Donau werden, ihr Werbeslogan entsprach dem von ihr befahrenen Gebiet „von Passau bis zum Schwarzen Meer“. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die DDSG zur größten Binnenreederei der Welt geworden, erhielt aber nach und nach ernstzunehmende Konkurrenz durch nationale Gesellschaften wie der ungarischen MFTR. Nach dem Ersten Weltkrieg sank ihr Stern aufgrund der entstandenen nationalen Donaureedereien der Nachfolgestaaten der Donaumonarchie. Bis in die 1930er Jahre war das Dampfschiff das dominierende Verkehrsmittel auf dem Fluss, man unterschied in Passagier- und Zugdampfer. Eines der letzten Exemplare dieses Schiffstyps ist in Regensburg als Museumsschiff zu besichtigen. In Österreich ist mit der Schönbrunn der letzte erhaltene DDSG-Schaufelraddampfer in Fahrt. Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts war auch die Blüte der Kettenschleppschiffe, die sich an einer zuvor fest in der Fahrrinne des Flusses verlegten Kette mit Dampfmaschinenkraft den Fluss hinaufzogen. Solche Ketten wurden zuerst für die Strecke Wien–Pressburg verlegt, 1891 aber auch bei Ybbs und Regensburg. Im Eisernen Tor (Djerdap) wurde im 20. Jahrhundert bis zum Bau des Staudamms mit Lokomotiven getreidelt. Wasserstraßenbau Durch die Mittelwasserkorrektion mit Durchstichen, Buhnen und Parallelwerken wurde seit Mitte des 19. Jahrhunderts versucht, die Donauschifffahrt zu fördern. Um das bayerische Kachlet, eine Kette von Felsriffen, oberhalb Passau zu überstauen, wurde 1928 die Staustufe Kachlet mit dem damals größten Wasserkraftwerk fertiggestellt. Gleichzeitig begann flussabwärts von Regensburg eine Niederwasserregulierung mit dem Ziel einer Fahrwassertiefe von mindestens 1,40 m. Vier nur einschiffig zu befahrende Engstellen unterhalb Passaus wurden durch die 1956 in Betrieb genommene Staustufe Jochenstein an der deutsch-österreichischen Grenze beseitigt. Fahrzeit und Energiebedarf der Schiffe wurden dadurch fühlbar verbessert. Der erste nachweisbare Plan einer Verbindung zwischen Rhein und Donau geht auf Karl den Großen im Jahr 793 zurück. Er ordnete den Bau der Fossa Carolina (Karlsgraben) an. Zwischen 1836 und 1846 wurde im Zuge der Industrialisierung der Ludwig-Donau-Main-Kanal zwischen Kelheim und Bamberg mit einer Länge von 172,4 km verwirklicht. Die Idee einer Wasserstraßenverbindung wurde erst mit dem 1992 fertiggestellten 171 km langen Main-Donau-Kanal (MDK) effektiv umgesetzt. Zwischen der Einmündung des MDK in Kelheim und Regensburg wurden parallel zum Bau des MDK zur Anpassung für die Großschifffahrt 1978 die Staustufen Bad Abbach und Regensburg fertiggestellt. Bis dahin war Regensburg Endstation der Donauschifffahrt. Unterhalb Regensburg folgten 1985 die Staustufe Geisling und 1995 Straubing. Der Donaukanal in Wien ist kein künstliches Gewässer, sondern ein historischer Seitenarm der Donau. Der Wiener Neustädter Kanal ist ein historischer künstlicher Wasserlauf von lokaler Bedeutung (1803 in Betrieb genommen, maximale Länge 63 km) für Wirtschaftstransporte nach Wien, der mit der Donau allerdings nie verbunden war. Seit dem Mittelalter gab es immer wieder Bestrebungen, die Donau mit Oder (Donau-Oder-Kanal) bzw. Elbe (Donau-Oder-Elbe-Kanal) zu verbinden. Bis auf wenige kurze Abschnitte wurde dieses Projekt jedoch nicht realisiert. Im letzten Flussabschnitt verkürzt der Donau-Schwarzmeer-Kanal mit seiner Länge von 64,4 km den Weg ins Schwarze Meer durch die Umfahrung des Deltas um etwa 240 km. Donauschifffahrt Neben der Frachtschifffahrt gibt es knapp 100 Flusskreuzfahrtschiffe, die zu Mehrtages-Kreuzfahrten vorwiegend zwischen Passau, Budapest und dem Schwarzen Meer ablegen, und viele Tagesausflugsschiffe, die in Deutschland vor allem in Passau (Wurm & Köck) und in Österreich vor allem in der Wachau (DDSG Blue Danube) unterwegs sind. Außerdem sind unzählige kleine, private Sportmotorboote auf dem Fluss unterwegs. Zwischen Widin und Passau verkehrt die Khan Asparu, ein Schwerlastkatamaran. Rechtliche Regelungen Ursprünglich war die Donau ein offener Handelsfluss, nutzbar für jedermann, trotzdem nahm jedes Uferland Handelszölle. Im Pariser Frieden 1856 wurde das Recht des freien Handels auf der Donau erstmals kodifiziert und eine Europäische Donaukommission gegründet, angelehnt an die Bestimmungen der Wiener Kongressakte von 1815 zur freien Schifffahrt. 120 Jahre später, am 18. August 1948, wurde auf der Belgrader Konferenz in der Konvention über die Regelung der Schifffahrt auf der Donau dieses Recht erneut festgeschrieben: das Befahren der Donau ist Schiffen aller Flaggen erlaubt, nur Kriegsschiffen fremder Flagge ist das Befahren der Donau untersagt. Für den Bereich des Eisernen Tores und der unteren Donau wurden internationale Stromsonderverwaltungen geschaffen. Die Einhaltung der Regelungen des Vertrages und die Erhaltung der Schifffahrtstauglichkeit wird durch die Donaukommission überwacht. Sie beschließt auch die Grundsätzlichen Bestimmungen für die Schifffahrt auf der Donau, die zum Bestandteil der Vorschriften der Anrainerstaaten und der Stromsonderverwaltungen zu machen sind. Weiterer Bestandteil der Vorschriften sind die jeweiligen besonderen Bestimmungen, die von den lokal zuständigen Behörden verantwortet werden. In Deutschland gilt die Donauschifffahrtspolizeiverordnung, in Österreich die Wasserstraßen-Verkehrsordnung. Brücken Mehr als 300 Brücken überqueren zwischen der Quelle und der Mündung die Donau. Zwei der bekanntesten Brücken sind die mittelalterliche Steinerne Brücke in Regensburg und die Kettenbrücke in Budapest. Kilometrierung Die Kilometer der Donau und ihres gesamten Flusssystems werden flussaufwärts gezählt. Offizieller Nullpunkt der Kilometrierung ist der alte Leuchtturm von Sulina am Schwarzen Meer. Von Kilometer 0 bis 150 erfolgt die Streckenangabe in nautischen Meilen (0–81 sm). Auch alle Nebengewässer haben ihren Nullpunkt an ihrer Mündung. Mit einer Ausnahme: Der Donaukanal in Wien bei Stkm 1933–1919,3 wird – 17 km lang – in Stromrichtung kilometriert. Holzschwemme Im 18. und 19. Jahrhundert diente die Donau als Transportweg für Holz unter anderem aus dem Böhmerwald. Holzscheiter wurden vom Böhmerwald aus über den Schwarzenbergschen Schwemmkanal in die Große Mühl geschwemmt, dort aus dem Wasser gezogen, in Schiffe verladen und anschließend bis nach Wien transportiert, wo sie als Brennholz verkauft wurden. Weitere größere Holzschwemmen gab es von der Naarn, dem Weitenbach und der Traisen. Fischerei Die Bedeutung der Fischerei, von der an manchen Orten im Mittelalter die ganze Bevölkerung lebte, ist im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts stark zurückgegangen. In Deutschland sind nur noch wenige Donaufischer aktiv. In Österreich wird in bescheidenem Maße noch um Linz und Wien gefischt. Im Donaudelta hat die Fischerei eine gewisse Bedeutung. Weinbau In einigen Staaten erstrecken sich entlang der Donau Weinanbaugebiete. In der Wachau in Österreich werden hauptsächlich Grüner Veltliner und Riesling angebaut. In Ungarn wird Wein fast überall entlang der Donau zwischen Visegrád und der Südgrenze des Landes kultiviert, die Hauptstadt des ungarischen Weins war Vác. In der sozialistischen Ära verloren die früher berühmten ungarischen Weine stark an Qualität, seit den 1990er-Jahren erlebt der ungarische Weinbau eine Renaissance. Das Weinbaugebiet erstreckt sich nach Norden in die Slowakei hinein mit Schwerpunkten um Devín (deutsch: Theben) bei Bratislava und Štúrovo. In der Gegend um Ilok in Kroatien und in der Fruška Gora bei Ruma in Serbien werden vor allem die Rebsorten Traminer, Riesling, Burgunder und Graševina angebaut. Eine wirtschaftlich unbedeutende Kuriosität und zugleich das letzte Relikt der bis auf die Römer zurückgehenden, ursprünglich lebendigen Kultur des Baierweins ist das deutsche Weinbaugebiet bei Bach zwischen Regensburg und Straubing (Regensburger Landwein). Tourismus Neben vielen berühmten und sehenswerten Einzelzielen entlang der Donau sind zahlreiche Donaulandschaften und Nationalparks von touristischer Bedeutung, so zum Beispiel der Naturpark Obere Donau in Deutschland, die Wachau sowie der Nationalpark Donau-Auen in Österreich, das Eiserne Tor zwischen Serbien und Rumänien und das transnationale Donaudelta. Auch der Flusskreuzfahrttourismus ist bedeutend, neben der vielbefahrenen Strecke von Wien nach Budapest fahren einzelne Schiffe auch von Passau bis in das Donaudelta und zurück. Zur Hochsaison sind über 70 Kreuzfahrtschiffe im Einsatz. Insbesondere auf der nicht schiffbaren und daher verkehrsfreien oberen Donau gibt es die Möglichkeit zu Kanu-, Paddel- und Bootstouren. Der Donauraum ist nicht nur hinsichtlich seiner historischen und kulturellen Bedeutung und seiner landschaftlichen Faszination von hoher touristischer Bedeutung, auch gute Infrastruktur und die Rad-, Wander- und Reisemöglichkeiten entlang des Flusses ziehen internationales Publikum an. Allein der österreichische Donauraum kann rund 14 Millionen Nächtigungen und rund 6,5 Millionen Ankünfte im Jahr verzeichnen. Der Donauradweg, der Donausteig und die Straße der Kaiser und Könige tragen weitestgehend zum touristischen Erfolg des Donauraums bei. Donauradweg Entlang der Donau führt der Donauradweg, ein internationaler Fernradweg, der besonders in Deutschland und Österreich stark frequentiert ist. Dieser verläuft vom Donauursprung bis zu deren Mündung ins Schwarze Meer und zählt zu den zehn beliebtesten deutschen Fernradwegen. Donausteig Im Jahr 2010 wurde der Donausteig eröffnet – ein Fernwanderweg von Passau nach Grein. Der Weitwanderweg ist etwa 450 Kilometer lang und gliedert sich in 23 Etappen. Das Gebiet fünf bayrischer und 40 österreichischer Gemeinden wird durchquert. Beliebte Landschafts- und Aussichtspunkte zählen zu den Höhepunkten des Donausteigs, der größtenteils entlang beider Donauufer verläuft. Insgesamt sind 41 offizielle Donausteigrunden beschildert. Die Straße der Kaiser und Könige Als die Straße der Kaiser und Könige wird eine internationale touristische Straße, die von Regensburg über Passau, Linz und Wien bis nach Budapest führt, bezeichnet. Eine Internationale Arbeitsgemeinschaft, kurz ARGE „Die Donau-Straße der Kaiser und Könige“, bestehend aus zehn Tourismusorganisationen und Schifffahrtsunternehmen sowie Städte, beteiligt sich an der Erhaltung dieses gemeinsamen europäischen Erbes. Ziel dieser Organisation ist die touristische Erhaltung, Belebung und historische Hinterlegung der Flusslandschaft und des Kulturraums nahe der Donau. Im mittelalterlichen Regensburg mit seiner erhaltenen Altstadt, der steinernen Brücke und dem Dom beginnt die sogenannte Straße der Kaiser und Könige. Der weitere Verlauf führt nach Österreich, nach Engelhartszell. Dort befindet sich Österreichs einziges Trappistenkloster. Die Schlögener Schlinge, Linz, die Kulturhauptstadt Europas 2009 mit seinem zeitgenössischen Kulturangebot, das Stift Melk, die Donau- und Universitätsstadt Krems und die Weltstadt Wien, zählen zu den weiteren Höhepunkten entlang der Donau. Bevor die Straße der Kaiser und Könige endet, führt diese weiter in die Kulturmetropole Bratislava und nach Budapest, das in Zeiten der Donaumonarchie als Schwesterstadt Wiens galt. Auf und entlang der Donau reisten seit der Römerzeit schon etliche berühmte Herrscher mit ihrem Gefolge und nutzten den Fluss als Reise- und Transportweg. Der Transport auf dem Land galt mangels gepflegter Straßen als sehr beschwerlich, weshalb sich die Donau als idealer Reiseweg auf dem Wasser entwickelt hat. Der Straße der Kaiser und Könige sind demzufolge auch zahlreiche geschichtliche Höhepunkte zuzuschreiben, die die Donau geprägt haben. Die Touristenstraße verdankt ihren Namen unter anderem dem Kaiser Friedrich I. von Barbarossa und den Kreuzrittern sowie dem englischen König Richard Löwenherz, der oberhalb der Donau in der Burg Dürnstein inhaftiert war. Den Höhepunkt imperialer Reisen erfuhr der Donauraum durch die Habsburger, diese ließen sich in Frankfurt am Main krönen, verweilten in Wien und hielten in Regensburg den Immerwährenden Reichstag ab. Viele berühmte Burgen, Schlösser, Residenzen und stattliche Klöster wurden von den Herrschern erbaut und bilden den von Formen und Farben inspirierte Architektur, den Donaubarock. Mittlerweile können Reisende nicht mehr nur zu Wasser, sondern auch mit der Bahn, mit dem Rad entlang des Donauradwegs oder zu Fuß über den Donausteig, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Städte Regensburg und Wien sowie die Wachau besichtigen. Literatur Amt der OÖ. Landesregierung. Kulturreferat: Die Donau: Facetten eines europäischen Stromes. Katalog zur oberösterreichischen Landesausstellung 1994 in Engelhartszell, Landesverlag, 1. Januar 1994. Franz X. Bogner: Die Donau aus der Luft. Von der Quelle bis Passau. Rosenheimer, Rosenheim 2008, ISBN 978-3-475-53877-3. Christian Fridrich: Donau. Wieser, Klagenfurt 2012, ISBN 978-3-99029-014-9. Melanie Haselhorst, Kenneth Dittmann: Die Donau. Von Kelheim zum Schwarzen Meer. 2. Auflage. Delius Klasing, Edition Maritim, Hamburg 2013, ISBN 978-3-89225-586-4. Melanie Haselhorst, Kenneth Dittmann: Kreuzfahrt-Guide Donau – Passau bis Schwarzes Meer. Edition Maritim/ Delius Klasing, Hamburg 2011, ISBN 978-3-89225-642-7. Claudio Magris: Donau. Biographie eines Flusses. Hanser, München/ Wien 1988, ISBN 3-446-14970-8. Bernhard Schütz, Achim Bunz: Die Donau: Kulturschätze an einem europäischen Strom. Hirmer, München 2012, ISBN 978-3-7774-2331-9. Nick Thorpe: Die Donau, Eine Reise gegen den Strom, Zsolnay Verlag, 2017, ISBN 978-3-552-05861-3. Ernst Trost: Die Donau – Lebenslauf eines Stromes. Goldmann, München 1980, ISBN 978-3-217-05036-5. Michael Weithmann: Die Donau. Ein europäischer Fluss und seine dreitausendjährige Geschichte. Pustet, Regensburg 2000, ISBN 3-7917-1722-7 und Styria, Graz 2000, ISBN 3-222-12819-7. E. Klaghofer, K. Hintersteiner, W. Summer: Trends in soil erosion and sediment yield in the alpine basin of the Austrian Danube. In: Modelling erosion, sediment transport and sediment yield (PDF; 3,62 MB). Technical Documents in Hydrology, No. 60, S. 195–203, UNESCO, Paris, 2002. Michael W. Weithmann: Die Donau. Geschichte eines europäische Flusses. Böhlau, Wien 2012, ISBN 978-3-7917-2443-0. Rolf-Peter Rolef: 68 Schleusen bis zum Schwarzen Meer. epubli 2020, ISBN 978-3-7531-3044-6. Historisch (nach Datum): Wasserreise von Augsburg bis Wien : nebst Beschreibung der unter Weges befindlichen Merkwürdigkeiten ; mit 1 Chärtchen. Frankfurt und Leipzig 1822. (Digitalisat) Ernst Neuffer: Neuester illustrierter Donau-Führer von Passau bis Sulina: ein Handbuch für Touristen nebst vollständigem Fremdenführer von Wien und Budapest, sowie 6 Karten des Donau-Gebietes. Wien 1886. (Digitalisat) Panorama der Donau von Ulm bis Wien. Aufgenommen und gezeichnet von Bernard Grueber, Gestochen von Henry Winkles. Regensburg, Manz um 1870 (Neuauflage: Mit einer Einführung von Robert Wagner, (=Topographia Austriaca. Bd. 5). Akademische Druck- und Verlags-Anstalt, Graz 1988, ISBN 3-201-01431-1, ISBN 3-201-01430-3). Albrecht Penck: Thalgeschichte der obersten Donau. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. 28. Jg. 1899, S. 117–130. (Digitalisat) Weblinks Hochwassernachrichtendienst Bayern Daten über die bayerischen Flüsse wie aktuelle Pegelstände, Meldestufen bei Hochwasser, langjährige Abflussdaten, Einzugsgebiet via donau Österreichische Wasserstraßen-Gesellschaft mbH aktuelle Pegelstände der Donau in Österreich Amt der OÖ Landesregierung Wasserstandsbericht für Oberösterreich Amt der NÖ Landesregierung Wasserstände und Durchflüsse inkl. Prognosen für Niederösterreich DanubeCat Suchkatalog mit Informationen über Firmen, Institutionen, Initiativen und Projekten mit Bezug zur Donau und zum Donauraum ARGE Deutsche Donau Touristische Arbeitsgemeinschaft von Städten und Landkreisen ARGE Donau Österreich Touristische Arbeitsgemeinschaft Donau Österreich Donau-was nicht jeder über Europas zweitlängsten Strom weiß Erlebnis Erde: Flussgiganten (2) Die Donau Einzelnachweise Fluss in Europa Fluss in Baden-Württemberg Fluss in Bayern Fluss in Oberösterreich Fluss in Niederösterreich Fluss in Wien Fluss in der Slowakei Fluss in Ungarn Fluss in Kroatien Fluss in Serbien Fluss in Rumänien Fluss in Bulgarien Fluss in der Republik Moldau Fluss in der Ukraine Bundeswasserstraße Gewässer im Bezirk Perg Wikipedia:Artikel mit Video Gewässer als Namensgeber für einen Asteroiden Grenze zwischen Deutschland und Österreich Fließgewässer im Landkreis Passau Gewässer im Landkreis Deggendorf Gewässer im Landkreis Straubing-Bogen Gewässer im Landkreis Regensburg Gewässer im Landkreis Kelheim Gewässer im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm Gewässer im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen Gewässer im Landkreis Donau-Ries Gewässer im Landkreis Dillingen an der Donau Gewässer im Landkreis Günzburg Gewässer im Landkreis Neu-Ulm Gewässer im Alb-Donau-Kreis Fließgewässer im Landkreis Biberach Fließgewässer im Landkreis Sigmaringen Gewässer im Landkreis Tuttlingen Fließgewässer im Schwarzwald-Baar-Kreis Grenzfluss Geographie (Kreis Caraș-Severin) Geographie (Kreis Mehedinți) Geographie (Kreis Dolj) Geographie (Kreis Olt) Geographie (Kreis Teleorman) Geographie (Kreis Giurgiu) Geographie (Kreis Călărași) Geographie (Kreis Ialomița) Geographie (Kreis Brăila) Geographie (Kreis Galați) Geographie (Kreis Constanța) Geographie (Kreis Tulcea) Fluss in der Oblast Odessa
1124
https://de.wikipedia.org/wiki/Darmstadt
Darmstadt
Darmstadt () ist eine kreisfreie Großstadt mit Einwohnern () im Süden Hessens, Verwaltungssitz des Regierungsbezirks Darmstadt und des Landkreises Darmstadt-Dieburg. Die Stadt gehört zum Rhein-Main-Gebiet und ist eines der zehn Oberzentren des Landes Hessen. Darmstadt ist nach Frankfurt am Main, Wiesbaden und Kassel die viertgrößte Stadt des Landes. Sie trägt seit dem 13. August 1997 die amtliche Zusatzbezeichnung Wissenschaftsstadt, mit der sie sich bereits seit der Nachkriegszeit profiliert. Darmstadt war von 1567 bis 1945 Landeshaupt- und Residenzstadt der Landgrafschaft, des Großherzogtums und des Volksstaats Hessen. Der Ruf als „Zentrum des Jugendstils“ geht unmittelbar auf die 1899 von Großherzog Ernst Ludwig eingerichtete Darmstädter Künstlerkolonie Mathildenhöhe zurück, welche seit 2021 UNESCO-Weltkulturerbe ist. Nach dem Luftangriff während des Zweiten Weltkriegs war ein Großteil der Alt- und Innenstadt zerstört. In der Stadt befinden sich eine Reihe von Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die circa 50.000 Studierenden verteilen sich auf die 1877 gegründete Technische Universität, die Hochschule Darmstadt, die Evangelische Hochschule und die Wilhelm Büchner Hochschule. Zu den über 30 weiteren Forschungseinrichtungen gehören das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, das Europäische Raumflugkontrollzentrum (ESA/ESOC), die Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT) und drei Institute der Fraunhofer-Gesellschaft. Hinzu kommen zahlreiche Unternehmen und Einrichtungen der Kommunikations- und IT-Branche, die angewandte Forschung und Entwicklung betreiben. Dazu zählen unter anderem der zweitgrößte Standort der Deutschen Telekom, die Software AG und mit der Merck KGaA auch ein DAX-Konzern. Die Stadt ist Heimat des Fußball-Erstligisten SV Darmstadt 98. Darmstadt steht auf Platz 51 der größten Städte Deutschlands. Geografie Geografische Lage Darmstadt liegt am Übergang verschiedener Naturräume. Westlich der Stadt beginnt das Hessische Ried als Teil der Oberrheinischen Tiefebene. Dieser Bereich ist eben und durch ein Wechselspiel vernässter und trockener Flächen sowie fruchtbarer Auen- und unfruchtbarer Sandböden geprägt. Wo es die Bodengüte erlaubt, wird intensiver Ackerbau betrieben, der zunehmend künstliche Bewässerung benötigt und auch großflächig Sonderkulturen wie Erdbeeren oder Spargel umfasst. Die unfruchtbaren Flächen sind meist mit Kiefernmischwald bestanden oder Binnendünen bzw. offene Heideflächen. Im Stadtgebiet liegen hier die Täubcheshöhle, der Westwald sowie die Düne am Ulvenberg bei Eberstadt, die Pfungstädter Düne und die Griesheimer Düne. Der Nordosten des Stadtgebiets gehört zum Messeler Hügelland als Übergangslandschaft zwischen Untermainebene und Odenwald. Es ist überwiegend von unfruchtbaren Sandböden geprägt und wurde deshalb nie gerodet. Hier befinden sich mit der Koberstadt (nördlich der Silz) und dem Oberwald (südlich der Silz) Buchenmischwälder mit den vormaligen Jagdrevieren der Darmstädter Landgrafen und Großherzöge (Jagdschloss Kranichstein, Dianaburg, Alexanderburg und Fasanerie), weiterhin diente und dient das Gebiet der Rohstoffgewinnung (ehemaliger Braunkohletagebau Grube Prinz von Hessen, ehemaliger Ölschiefertagebau Grube Messel sowie Steinbrüche Mainzer Berg und Messel). Südlich davon bildet die Linie Darmstadt–Roßdorf (etwa entlang der Bundesstraße 26) die Grenze zum Odenwald und dessen Teilgebiet Vorderer Odenwald, der als Mischwald Bessunger Forst den Südosten der Stadtfläche einnimmt. Dieser Bereich ist vergleichsweise bergig, besonders nach Westen und zum Tal der Modau hin. Höchste Erhebung dieses Gebiets ist der 281 m hohe Kirchberg, der außerhalb der Stadtgrenze liegt und die Ebene um knapp 150 Höhenmeter überragt. Der höchste Berg innerhalb der Stadtgrenzen ist der etwas nördlich gelegene Dommerberg (264 m) mit dem Bismarckturm, während die noch weiter nordwestlich gelegene Ludwigshöhe (242 m) mit dem Ludwigsturm der bekannteste Berg der Stadt ist und als Aussichtspunkt über das Rhein-Main-Gebiet besucht wird. Auch das bebaute Stadtgebiet ist im südlichen und östlichen Teil hügelig und die Topografie wurde zur Stadtgestaltung aufgegriffen (Mathildenhöhe mit Hochzeitsturm, Rosenhöhe mit Spanischem Turm und Steinberg/Kraftsruhe im Paulusviertel). Ferner beginnt südlich der Stadt der Naturraum Bergstraße als Übergang zwischen dem Odenwald im Osten und der Rheinebene im Westen, wobei das Relief am Fuß der Ludwigshöhe hervortritt und sich knapp 70 Kilometer in südlicher Richtung, unterbrochen durch zahlreiche Durchbruchstäler, fortsetzt. In diesem Gebiet spielen Weinbau und Naherholung eine große Rolle. Markante Berge des Darmstädter Umlands sind der Melibokus (517 m, 16 km südlich der Stadt) als höchster Berg an der hessischen Bergstraße und die Neunkircher Höhe (605 m, 19 km südöstlich der Stadt) als höchster Berg des vorderen Odenwalds. Darmstadt ist eine der wenigen Großstädte in Deutschland, die an keinem Fluss liegen. Entwässert wird ihre Fläche über mehrere kleine Bäche, die in Ost-West-Richtung dem knapp 20 km westlich verlaufenden Rhein zufließen, wobei der Stadtteil Eberstadt im Süden an der Modau liegt und die Kernstadt sowie alle übrigen Stadtteile innerhalb des Einzugsgebiets des Schwarzbachs. Hier bilden Herrgottsbergbach und Saubach in Bessungen den südlichsten der Darmstädter Bäche. Es folgt der Darmbach, der von Ost nach Nordwest durch die Innenstadt verläuft, wobei er größtenteils verrohrt ist und den Meiereibach aufnimmt. Nördlich parallel dazu fließt der nicht ganzjährig wasserführende Molkenbach vom Oberfeld bis zur Nachtweide. Dort befindet sich die Zentralkläranlage, die beide Bäche vereint unter dem Namen Landwehr/Landgraben nach Westen verlassen. Die nördlichen Stadtteile Kranichstein und Arheilgen werden vom Ruthsenbach durchflossen, der sich zwischen Arheilgen und Wixhausen mit der Silz zum Mühlbach vereint und das Stadtgebiet ebenfalls in westlicher Richtung verlässt. Nördlich von Wixhausen folgt der Hahnwiesenbach/Mörsbach in Ost-West-Richtung und schließlich bildet ganz im Norden der Hegbach die Gemarkungsgrenze zwischen Darmstadt und dem Landkreis Offenbach. Die Wasserscheide zwischen Rhein und Main verläuft etwa sieben Kilometer östlich der Stadt durch den Nachbarort Roßdorf. Im Stadtgebiet befinden sich einige kleinere Teiche, so etwa der Große Woog in Innenstadtnähe. Als Oberzentrum ist Darmstadt der zentrale Ort auch für die Landkreise Darmstadt-Dieburg und Odenwaldkreis sowie die Gemeinden des südlichen Landkreises Groß-Gerau, einen Bereich mit insgesamt rund 650.000 Einwohnern. Benachbarte Zentren sind Frankfurt am Main im Norden; Aschaffenburg im Osten; Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen am Rhein im Süden sowie Mainz und Wiesbaden im Nordwesten. Nachbargemeinden Darmstadt grenzt im Norden an den Landkreis Offenbach und im Osten, Süden und Westen an den Landkreis Darmstadt-Dieburg. Es grenzt (von Norden im Uhrzeigersinn) an die Gemeinde Egelsbach, die Städte Langen und Dreieich (alle drei Landkreis Offenbach), die Gemeinden Messel, Groß-Zimmern und Roßdorf, die Stadt Ober-Ramstadt, die Gemeinden Mühltal und Seeheim-Jugenheim, die Städte Pfungstadt, Griesheim und Weiterstadt sowie die Gemeinde Erzhausen (alle Landkreis Darmstadt-Dieburg). Stadtgliederung und Stadtteile Das Stadtgebiet von Darmstadt ist in neun Stadtteile gegliedert. Diese sind wiederum in Statistische Bezirke unterteilt, welche zum Teil im Alltag gebräuchlichen Stadtvierteln entsprechen, zum Teil aber auch rein statistischer Natur und nicht allgemein geläufig sind. Gleiches gilt für die Stadtteile Mitte, Nord, Ost und West, die ebenfalls eher administrativer Natur sind als topografisch ablesbar, in sich zusammenhängend oder sprachlich gebräuchlich. Sie bilden gemeinsam mit Bessungen (Bezirke 100 bis 500) die Kernstadt mit rund zwei Dritteln der Stadtbevölkerung, während Wixhausen, Arheilgen, Kranichstein und Eberstadt (Bezirke 600 bis 900) die äußeren Stadtteile bilden, in denen rund ein Drittel aller Darmstädter lebt. Sie entwickelten sich aus ehemals eigenständigen Dörfern, die im 20. Jahrhundert eingemeindet wurden und räumlich etwas separat von der Kernstadt liegen. Kranichstein ist eine Neugründung der 1960er-Jahre, das seine Bezeichnung von einem benachbarten Jagdschloss übernommen hat. (*) Durch die Eingemeindungen von Arheilgen und Eberstadt am 1. April 1937 wurde Darmstadt zur Großstadt. Die Sozialgeografie Darmstadts weist ein relativ starkes Gefälle zwischen wohlhabenden und sozial schwächeren Stadtvierteln auf, das schon seit dem 19. Jahrhundert besteht. In der Kernstadt (ohne äußere Stadtteile) gibt es ein deutliches Ost-West-Gefälle mit den wohlhabendsten Wohnvierteln am östlichen Stadtrand vom Komponistenviertel im Norden über Rosen- und Mathildenhöhe, Lichtwiese und Paulusviertel bis zur Ludwigshöhe im Süden. Das Stadtzentrum mit seiner wiederaufgebauten Nachkriegsbausubstanz liegt im Durchschnitt, während Johannesviertel und Martinsviertel im Norden sowie Alt-Bessungen im Süden aufgrund ihrer in Teilen erhaltenen Altbausubstanz zu den begehrteren Wohnvierteln zählen in denen seit etwa 1975 Gentrifizierungsprozesse stattfinden. Demgegenüber ist der Westen Darmstadts durch eine starke Funktionsmischung von Gewerbe, Wohnen und ehemals militärischer Nutzung geprägt, sodass hier viele Konversionsflächen liegen und die hohen Immissionsbelastungen von Industrie und Verkehr sowie die teilweise fehlende soziale Infrastruktur für städtebauliche Problemlagen sorgen. Andererseits ist der Westen die einzige Innenstadtfläche, auf der noch in nennenswertem Umfang neuer Wohnraum geschaffen werden kann, um den allgemeinen Mangel in Darmstadt zu lindern. So ist dieses Gebiet entlang der Bahnstrecke Frankfurt am Main–Heidelberg als Weststadt in der Zeit seit der Jahrtausendwende im Fokus der Darmstädter Stadtplanung und in einem starken Wandel begriffen. Klima Darmstadt liegt in der gemäßigten Klimazone. Die Durchschnittstemperatur beträgt 10,1 °C. Der wärmste Monat ist der Juli mit 19,3 °C im Durchschnitt. Der kälteste Monat ist der Januar mit durchschnittlich 0,9 °C. Darmstadt und das Rhein-Main-Gebiet liegen am nördlichen Ende der Oberrheinischen Tiefebene, die klimatisch zu den wärmsten Regionen in Deutschland zählt. Die Jahresmitteltemperatur liegt mit 10,1 °C (langjähriges Mittel für den Referenzzeitraum 1981–2010) über der anderer deutscher Metropolen (Berlin 9,0 °C, Hamburg 9,1 °C, München 7,7 °C). Die Sonne scheint im Juli mit durchschnittlich 7,5 Stunden am Tag am längsten. Im Dezember scheint die Sonne mit durchschnittlich 1,2 Stunden am Tag am kürzesten. Das Klima ist deshalb insgesamt recht mild. In der Zeit von November bis Januar gibt es tagsüber im Mittel nur ein bis zwei Sonnenstunden. Der durchschnittliche Niederschlag beträgt 765 mm im Jahr. Schnee liegt im Winter im Mittel an etwa fünfzehn Tagen. Die Schneehöhe liegt nur selten über zehn Zentimeter und der Schnee bleibt meist nicht lange liegen. Weiße Weihnachten gibt es im Schnitt alle 10 Jahre. Der Sommer ist mit Höchstwerten um 25 °C (an durchschnittlich elf Tagen im Jahr auch über 30 °C) recht warm; dazu ist es leicht wechselhaft mit gelegentlichen Schauern oder Gewittern, allerdings ist dies mit täglich sieben bis acht Stunden auch die sonnenreichste Zeit. Die Extremwerte liegen bei ca. −21 °C im Winter und ca. +39 °C im Sommer. Die höchste je in Darmstadt gemessene Temperatur betrug 39,5 °C, gemessen am 7. August 2015. Die niedrigste je in Darmstadt gemessene Temperatur betrug −26,9 °C, gemessen am 19. Januar 1940. Die durchschnittliche Jahrestemperatur stieg im Mittel der Jahre 1981 bis 2010 um ca. 0,4 auf 10,1 °C. Die mittlere jährliche Niederschlagsmenge betrug ca. 600–700 mm. Der meiste Niederschlag fällt im Juli, der geringste im April im Mittel der Jahre 1981 bis 2010. Die durchschnittliche Luftfeuchtigkeit beträgt ca. 76 %. Die vorherrschende Windrichtung ist West. Klimadiagramm von 1981 bis 2010, für die Stadt Darmstadt Geschichte Der Name „Darmstadt“ Der Ursprung des Namens Darmstadt ist ungeklärt. Die älteste erhaltene Erwähnung der Ansiedlung unter der Bezeichnung Darmundestat stammt aus dem 11. Jahrhundert, mehrere Jahrhunderte nach Gründung der Siedlung. Die Erklärungsversuche zum Ursprung des Namens sind sehr unterschiedlich: Die Lokalpresse bevorzugt die Erklärung, dass Darmstadt die befestigte Siedlung eines königlichen Wildhübners mit Namen Darimund war. Eine andere Deutung sieht den Namen als Ableitung der Begriffe darre für Tor oder Hindernis und mund für Schutz, somit wäre Darmundestat also eine Siedlung an einem befestigten Durchgang. Eine weitere Herleitung will die keltischen Wortstämme dar für Eiche oder Baum und mont für Berg erkennen. Ferner wird auch versucht, in dem Darmbach den Ursprung des Namens zu sehen. Dieser Theorie folgend wäre Darmstadt entweder die Stätte am Wildbach (Dam-unda-stat) oder die Stätte am Moorbach (Darm-unda-stat). Gegen diese These spricht aber, dass der Darmbach nach aktuellen Erkenntnissen erst später so genannt wurde. Darmstadt ist die einzige deutsche Stadt, nach der ein chemisches Element, nämlich Darmstadtium benannt wurde. → Weitere ausführliche Erklärungen zur Namensherleitung im Parallelartikel: Geschichte der Stadt Darmstadt Historische Namensformen Historisch dokumentierte Erwähnungen des Ortes sind (in Klammern das Jahr der Erwähnung): Darmundestat (2. Hälfte 11. Jahrhundert) Darmistat (1234) Darmstat Darmestat (1315) Darmstad (1377) Darmbstadt (1451) Darmstatt (1477) Darmstait (1479) Darmstadt (1488) Darmbstadt (1555) Darmstatt (1586) Darmbstatt (1600) Eingemeindungen Die Gemeinde Bessungen wurde am 1. April 1888 eingegliedert. Am 1. April 1937 kamen Arheilgen und Eberstadt sowie ca. 25 % Griesheims, darunter der Truppenübungsplatz mit dem August-Euler-Flugplatz, die Siedlung Tann und das heutige Sankt Stephan, hinzu. Wixhausen folgte am 1. Januar 1977. Ausgliederungen Am 1. Januar 1977 wurde die Sankt Stephans-Siedlung mit damals etwa 2.000 Einwohnern an die Nachbarstadt Griesheim zurückgegeben. Wüstungen Klappach war vom 13. bis zum 15. Jahrhundert ein Weiler, gelegen südlich des Dorfes Bessungen bei Darmstadt. Einwohnerentwicklung Am 1. April 1937 überschritt die Einwohnerzahl der Stadt auf Grund der Eingemeindungen von Arheilgen und Eberstadt die Grenze von 100.000. Im Zweiten Weltkrieg verlor die Stadt zwischen 1939 (115.000 Einwohner) und 1945 (70.000 Einwohner) rund 40 Prozent (45.000) ihrer Bewohner. 1953 hatte die Bevölkerungszahl wieder den Vorkriegsstand erreicht. Während sie etwa zwischen 1965 und 2005 bei rund 140.000 stagnierte, ist seitdem wieder ein kontinuierliches Wachstum zu verzeichnen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigten insbesondere die Umlandgemeinden ein starkes, durch Suburbanisierung getriebenes Bevölkerungswachstum (Griesheim von 9.000 Einwohnern 1950 auf 24.400 im Jahr 2000, Weiterstadt mit Stadtteilen von 8.000 auf 23.900, Pfungstadt von 11.000 auf 25.000 und Roßdorf von 5.300 auf 11.900). Die folgende Übersicht zeigt die Einwohnerzahlen nach dem jeweiligen Gebietsstand. Bis 1833 sind es meist Schätzungen, danach Volkszählungsergebnisse (farbig hinterlegt) oder amtliche Fortschreibungen der jeweiligen Statistischen Ämter beziehungsweise der Stadtverwaltung selbst. Die Angaben beziehen sich ab 1843 auf die „Ortsanwesende Bevölkerung“, ab 1925 auf die Wohnbevölkerung und seit 1987 auf die „Bevölkerung am Ort der Hauptwohnung“. Vor 1843 wurde die Einwohnerzahl uneinheitlich erhoben. Volkszählungsergebnisse farbig hinterlegt. Religionen Konfessionsstatistik Laut dem Zensus 2011 waren 33,1 % der Einwohner evangelisch, 19,3 % römisch-katholisch und 47,6 % waren konfessionslos, gehörten einer anderen Glaubensgemeinschaft an oder machten keine Angabe. Nach einer Berechnung aus den Zensuszahlen für die Personen mit Migrationshintergrund lag der Bevölkerungsanteil der Muslime in Darmstadt 2011 bei 9,4 % (rund 13.500 Personen). Die Zahl der Katholiken und der Protestanten ist seitdem gesunken. Wie überall in Deutschland gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die sich keiner oder anderen Religionen (z. B. Islam) zugehörig fühlen. Ende 2022 waren von den Einwohnern 22,3 % evangelisch, 14,7 % katholisch und 63,0 % waren konfessionslos oder gehörten einer anderen Glaubensgemeinschaft an. Christentum 1526 führte Landgraf Philipp der Großmütige die Reformation nach lutherischem Bekenntnis ein, so dass Darmstadt lange Zeit eine lutherische Stadt blieb. Die Christen reformierten Bekenntnisses erhielten erst 1770/71 das Recht, Gottesdienste abzuhalten. Da Darmstadt Residenzstadt war, befand sich hier das Konsistorium (Kirchenverwaltung) der Evangelischen Landeskirche in Hessen, die 1934 bzw. 1947 mit den Landeskirchen von Frankfurt und Nassau vereinigt wurde zur Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Ferner befindet sich in Darmstadt der Sitz der Superintendentur beziehungsweise Propstei Starkenburg. Heute sind alle evangelischen Gemeindeglieder Darmstadts – sofern sie nicht zu einer evangelischen Freikirche oder einer Gemeinde der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche gehören – dem Dekanat Darmstadt-Stadt innerhalb der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zugeordnet. Römisch-katholische Gemeindeglieder zogen spätestens im 18. Jahrhundert wieder in die Stadt. Ihnen wurde es ab 1790 gestattet, wieder Gottesdienste abzuhalten. 1827 wurde die kuppelüberdachte Ludwigskirche fertiggestellt. Darmstadt ist Hauptstadt des Dekanats Darmstadt im Bistum Mainz. Des Weiteren finden sich in Darmstadt verschiedene christliche Freikirchen, von denen einige der Evangelischen Allianz angeschlossen sind. Hierzu gehören beispielsweise das Christliche Zentrum Darmstadt (CZD), die Freie Evangelische Gemeinde Darmstadt (FeG), die Freie Christengemeinde (FCG), die Gemeinde der Christen Ecclesia, die Christliche Gemeinde (Brüderbewegung) sowie zahlreiche andere christliche Gemeinschaften. Auch die Orthodoxie ist in Darmstadt vertreten. Die russisch-orthodoxe Gemeinde feiert Gottesdienste in der Russischen Kapelle (Kirche der Hl. Maria Magdalena) auf der Mathildenhöhe, die griechisch-orthodoxe Gemeinde in der Kirche des Hl. Nikolaos in Eberstadt. Judentum Auch ein aktives jüdisches Gemeindeleben gibt es in Darmstadt. 1988 wurde die neue Synagoge eingeweiht. Im Oktober 2003 wurden während der Bauarbeiten auf dem Gelände der Klinikum Darmstadt GmbH Reste der am 9. November 1938 zerstörten Liberalen Synagoge freigelegt. Ein Teil dieser einstigen Synagoge wurde 1940 bei der Anlage eines Löschwasserbeckens zerstört. 1970 wurden aufgrund neuerlicher Erweiterungsbauten der Klinik weitere Fundamente beseitigt. Die Liberale Synagoge wurde 1873 bis 1876 erbaut. Neben den Fundamentresten wurden im Keller nicht nur Reste einer Umluftheizung gefunden, sondern auch zahllose Metall- und Glasfragmente. Das konservatorische Konzept des Landesamtes für Denkmalpflege, das die Sicherung der Funde übernommen hat, verfolgt eine „ungeschönte und möglichst unveränderte Darstellung des geschichtlichen Momentes der Zerstörung“. Der Besucher kann seit November 2009 das Fundareal in einem Erinnerungsort Liberale Synagoge besichtigen. Ein Mitarbeiter des Instituts Mathildenhöhe stellte bis zum Jahre 2006 ein Modell der Liberalen Synagoge im Maßstab 1:50 fertig. Es befindet sich seit 2010 im Gemeindezentrum der jüdischen Gemeinde. Die Orthodoxe Synagoge Darmstadts an der Bleichstraße wurde ebenfalls am 9. November 1938 zerstört. 2010 erinnerte ein Gedenkstein an den Standort des Gotteshauses. Seit einigen Jahren sind im Darmstädter Stadtgebiet symbolische „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig zu finden. Diese sollen, im Boden vor Gebäuden eingelassen, an deren ehemalige jüdische Bewohner und andere wie Zeugen Jehovas, Kommunisten oder Zigane, sowie Widerstandskämpfer, erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus vertrieben oder ermordet wurden. Hier geht es zur Liste der Stolpersteine in Darmstadt. Islam In Darmstadt gibt es mehrere muslimische Gemeinden unterschiedlicher religiöser oder ethnischer Gruppen. Die größten Moscheen sind die Emir-Sultan-Moschee der ATIB-Gemeinde, IRD (Islamische Religionsgemeinschaft Darmstadt e. V.), die arabischsprachige Salam Moschee (Mesjid Issalaam) und, unter anderem, auch die Ahmadiyya Muslim Gemeinschaft Nuur-ud-Din-Moschee. Daneben gibt es mehrere andere Gebetsräume, insbesondere der vom türkischen Staat kontrollierten DİTİB-Gemeinden. Politik Stadtverordnetenversammlung Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Darmstadt besteht aus 71 gewählten Stadtverordneten. Die Kommunalwahl am 14. März 2021 lieferte folgendes Ergebnis, in Vergleich gesetzt zu früheren Kommunalwahlen: Magistrat Diese Personen sind aktuell hauptamtliche Mitglieder des Magistrates der Stadt Darmstadt (zusätzlich gehören dem Magistrat zehn ehrenamtliche Mitglieder an): Bürgermeister An der Spitze der Stadtverwaltung stand im Mittelalter ein Schultheiß. Spätestens ab Mitte des 15. Jahrhunderts gibt es zudem das Amt des Bürgermeisters, der zunächst jedoch nur die Aufgaben eines Stadtkämmerers hatte. Erst nach und nach gingen die Aufgaben der Stadtverwaltung vom Schultheiß auf den Bürgermeister über. Vermutlich schon im 15., spätestens aber im frühen 16. Jahrhundert wurde das Bürgermeisteramt doppelt vergeben, so dass es sowohl einen „Ratsbürgermeister“ gab (später Oberbürgermeister genannt), der vom Stadtrat für ein Jahr gewählt wurde, als auch einen „jüngeren Bürgermeister“ (später Unterbürgermeister, heute schlicht Bürgermeister), der von der Bürgerschaft gewählt wurde. Ab 1874 waren die Oberbürgermeister hauptamtlich tätig. Seit 1993 wird das Stadtoberhaupt direkt vom Volk gewählt. Vorher wählte die Stadtverordnetenversammlung den Oberbürgermeister. Darmstadt gilt als rot-grüne Hochburg, die SPD stellte bis 2011 alle Nachkriegs-Oberbürgermeister. 2011 wurde Jochen Partsch (Grüne) als Nachfolger von Walter Hoffmann in dieses Amt gewählt, seine Vereidigung fand am 21. Juni 2011 statt; der Amtsantritt war der 25. Juni 2011. Er führte einen grün-schwarzen Magistrat an und wurde am 2017 für eine weitere sechsjährige Amtszeit gewählt. Anfang Mai 2022 gab Partsch bekannt, nicht für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Bei den nachfolgenden Wahlen am 2. April 2023 entschied der SPD-Kandidat Hanno Benz mit 54,7 % die Stichwahl für sich. Sein Gegenkandidat von den Grünen, Michael Kolmer, erhielt 45,3 %. Oberbürgermeister Ortsbeirat Im Stadtteil Wixhausen wurde gemäß § 8 der Hauptsatzung der Stadt ein Ortsbeirat mit einem Ortsvorsteher als Vorsitzenden gebildet. Der Ortsbeirat besteht aus neun Mitgliedern und ist zu wichtigen, den Stadtteil Wixhausen betreffenden Angelegenheiten zu hören. Die endgültige Entscheidung über eine Maßnahme obliegt dann allerdings der Stadtverordnetenversammlung der Gesamtstadt. Finanzen Darmstadt gehört zu den am höchsten verschuldeten Städten Hessens. Mit Offenbach am Main und Kassel gehört Darmstadt zu den kreisfreien Städten in Hessen, die aufgrund ihrer schlechten Finanzlage berechtigt sind, am Kommunalen Schutzschirm des Landes Hessen teilzunehmen. Die Stadt hatte 2010 rund 300 Millionen Euro Schulden. Zum Jahresende 2016 führte Darmstadt die Platzierungsliste der 103 kreisfreien Städte Deutschlands mit einer Gesamtschuld von rund 2,3 Milliarden Euro im öffentlichen Bereich an. Auf jeden Einwohner kamen somit rund 15.000 Euro Schulden. Etwas mehr als drei Viertel der Schulden fallen nicht auf die Stadtverwaltung, sondern auf die städtischen Unternehmen. Sortiert nach der Schuldenhöhe der städtischen Unternehmen pro Einwohner liegt Darmstadt (11.597 Euro) mit weitem Abstand auf Platz eins, gefolgt von Mannheim (Baden-Württemberg) mit 6.541 Euro pro Einwohner. Hoheitssymbole Die Stadt Darmstadt führt ein Dienstsiegel, ein großes und ein kleines Wappen sowie eine Hiss- und eine Bannerflagge. Das Wappen wird oft auch ohne Krone dargestellt. Außerdem führt Darmstadt ein kleines Stadtwappen. Das kleine Wappen der Stadt Darmstadt zeigt im geteilten Schild, oben in Gold einen blau bewehrten und bezungten, wachsenden roten Löwen, unten in Blau eine silberne Lilie. Die Flagge und das Banner der Stadt sind geteilt in die Stadtfarben blau und weiß, in der Mitte liegt das große Stadtwappen auf. Städtepartnerschaften Darmstadt unterhält mit folgenden Städten Partnerschaften: „Ort der Vielfalt“ Am 23. September 2008 erhielt Darmstadt den von der Bundesregierung verliehenen Titel „Ort der Vielfalt“. Kultur und Sehenswürdigkeiten Theater Das halbNeun-Theater in Darmstadt, Sandstraße 32, wurde am 29. Februar 1980 von den Brüdern Jürgen und Heinz Keller gegründet und wird aktuell von Jürgen Keller durch Unterstützung eines Fördervereins mit dem Namen entsprechenden Vorstellungsbeginn um 20:30 Uhr (sonntags um 19:30 Uhr) als größte Kleinkunstbühne in Hessen mit zweihundert Sitzplätzen an Bistrotischen mit Getränkeausschank betrieben. Im Laufe der Jahrzehnte traten im reinen Gastspielbetrieb ohne eigenes Ensemble zahlreiche national und international bekannte Künstler im Schwerpunkt Kabarett, aber auch Chanson, Comedy, Folk, Kleinkunst und Zauberei auf. Neben 150 jährlichen Abendveranstaltungen wird sonntags Kindertheater angeboten. Das HoffART Theater in Darmstadt, Lauteschlägerstraße 28a, wurde im Juli 1995 von Klaus Lavis als eingetragener Verein gegründet und startete mit einem gemischten Programm mir Liedermachern, Jazz- und Pantomime-Abenden in einer ehemaligen Kfz-Werkstatt mit zwanzig Aktiven. Seit einer umfassenden Renovierung im Jahre 2004 verfügt das Theater über eine Sitztribüne und erweiterte das Repertoire mit vielfältigen Darbietungen, z. B. Bühnenstücken der ESOC Theatre Group in englische Sprache. 2009 wurden die HarfART-Konzerte mit dem vielfältigen Spektrum von Klassik bis Hardrock der Harfenmusik begründet. Das Kikeriki Theater ist ein komödiantisches Theater in Darmstadt, Heidelberger Straße 131, das 1979 von Roland Hotz gegründet wurde. Ab dem 7. September 1980 wurden zunächst Kindervorstellungen präsentiert, seit 1984 abendfüllende Veranstaltungen für Erwachsene. Wegen großen Publikumsandrang wurden die erst 1993 bezogenen Theaterräume in der Bessunger Straße zu klein, im März 1996 wurde die Turnhalle der TGB 1865 Darmstadt als Comedy Hall als Verschenk- und Verzehrtheater im Stil der alten Varietés eingerichtet mit 220 Tischplatzsitzen eröffnet. In den ersten vierzig Jahren wurden von dem zwölfköpfigen Ensemble rund 10.000 Vorstellungen vor ca. 2.000.000 Zuschauern aufgeführt. Das derbe ironisch satirische Repertoire in Darmstädter Mundart besteht aus aktuell aus zwölf Erwachsenenstücken, wie dem Klassiker Erwin – Ein Schweineleben, der auch als Hörspiel auf Audio-CD, vertrieben wird, und acht Werken für Kinder. Die Musische Gruppe Auerbach in Darmstadt, Riedlingerstraße 3, ist unter Leitung von Marius Tritschler nach eigener Darstellung eine bunt zusammengewürfelte Verbindung Schauspielsüchtigen, Vollblutmusikern und Gesangswütigen mit großer Begeisterung für kreative und künstlerische Aktivitäten. Im täglichen Wechsel treffen sich Gruppen von Studierenden zumeist der TU Darmstadt für Band, Bigband, Musical, Theater und Trommeln. Gleichzeitig wird monatlich zu Haus- und Veranstaltungsabend, aber auch unregelmäßig Lan-Partys, Karaoke-Abende, Koch-Duelle und anderen Events eingeladen. Das Staatstheater Darmstadt geht auf eine dreihundertjährige Theatertradition zurück, die mit der Zerstörung beim Bombardement vom 11. September 1944 des Mollerbaus ein vorläufiges Ende fand. Nach Kriegsende fanden bis 1972 die Vorführungen in der Orangerie statt. Heute werden im Großen Haus mit 956 Sitzplätzen vorzugsweise Konzert- und Opernvorstellungen, im Kleinen Haus mit 482 Sitzplätzen insbesondere Schauspiel- und Tanzvorstellungen aufgeführt. Das TIP – Theater im Pädagog in Darmstadt, Pädagogstraße 5, wurde 2013 von dem Begründer des HoffArt-Theaters Klaus Lavies, in dem 114 m² großen Gewölbekeller des Pädagog für wechselnde eigenwillige und originelle Veranstaltungen für Erwachsene und Kinder in breiter kultureller Vielfalt begründet. Ferner wurden unterschiedliche Flamenco-Konzerte, griechische Abende, Konzertprogramme, Krimi-Dinner, Lesungen und Vorträge inszeniert. Das Theater Moller Haus wird in Darmstadt, Sandstraße 10, in der sogenannten Mollerhaus-Loge seit Oktober 2018 vom Verein Freie Szene Darmstadt e. V. als Interessensvertretung und Zusammenschluss von 38 freien Darmstädter Theatergruppen und Einzelkünstler unter Leitung von Iris Daßler und Björn Lehn betrieben. Sowohl im Saale wie auf der Freiluftbühne im Theatergarten, die von Juli bis September bespielt wird, kommt ein anspruchsvolles, oft sozialkritisches und theaterpädagogisches Programm, für Erwachsene und Kinder zur Aufführung. Das TU Darmstadt Schauspielstudio e. V. ist eine Hochschulgruppe und ein Amateurtheaterverein, welcher bereits seit den 1950er Jahren aktiv ist. Als Mitglied der Freien Szene Darmstadt e. V. führt die Theatergruppe regelmäßig Bühnenproduktionen im Theater Moller Haus, aber auch in den eigenen Räumlichkeiten der TU Darmstadt auf. Des Weiteren werden wöchentlich für alle zugängliche offene Theaterübung abgehalten, welche aus Stimmübungen, Körpertraining und Improvisationsübungen bestehen. Das West Side Theater unter Leitung von Peter und Marijke Härling bietet im Ernst Ludwig Saal – Schwanensaal, Schwanenstraße 42, in Darmstadt-Eberstadt, anspruchsvolle Werke dar, wie im Spielplan 2002 eine die Komödie Shakespeares sämtliche Werke, leicht gekürzt mit rasanten Rollenwechseln. Museen Das Hessische Landesmuseum ist ein Universalmuseum mit zahlreichen und umfangreichen Dauerausstellungen, u. a. zu Funden aus der Grube Messel und dem Werkkomplex Joseph Beuys. Das wichtigste Museum zum Jugendstil ist das Museum Künstlerkolonie Darmstadt im Ernst-Ludwig-Haus auf der Mathildenhöhe. Es zeigt die Geschichte der Darmstädter Künstlergemeinschaft von 1899 bis 1914 und das künstlerische Schaffen ihrer Mitglieder. Werke sind die von ihnen entworfenen Gegenstände des täglichen Gebrauchs, aber auch anderes aus der Kunst des Jugendstils. Daneben befinden sich auch im Hessischen Landesmuseum im Untergeschoss Schmuck, Gerät und Möbel des Jugendstils u. a. von Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens und Henry van de Velde. Auf der Mathildenhöhe geht es aber nicht nur um die Vergangenheit der Gestaltung: Im Designhaus Darmstadt werden abwechselnd von den dort ansässigen Instituten Design Zentrum Hessen e. V. und dem Institut für Neue Technische Form – INTEF Ausstellungen gezeigt. Darmstadt wurde in den vergangenen Jahrhunderten geprägt durch seine Funktion als Residenzstadt. Dazu bietet das Schlossmuseum im Glockenbau des Schlosses einen Überblick über 250 Jahre höfischen Lebens. Das berühmteste Exponat war die „Darmstädter Madonna“ von Hans Holbein, die sich seit 2012 in der Johanniterkirche in Schwäbisch Hall befindet. Am Rande des Herrngartens liegt das barocke Prinz-Georg-Palais mit der Großherzoglich-Hessischen Porzellansammlung. Teil der umfangreichen dort ausgestellten Bestände ist auch die weltweit größte Sammlung an Kelsterbacher Porzellan. Im Jagdschloss Kranichstein, einem der wenigen noch erhaltenen Renaissance-Jagdschlösser in Deutschland, befindet sich heute ein Jagdmuseum mit Jagdwaffen und -geräten, Einrichtungsgegenständen und Gemälden mit Jagddarstellungen. Die Kunsthalle Darmstadt präsentiert im Jahr vier bis fünf Ausstellungen von nationalem und internationalem Rang. Schwerpunkt sind die Klassische Moderne und zeitgenössische Kunst. Ebenso bietet das neben dem Hochzeitsturm gelegene Ausstellungsgebäude Mathildenhöhe wechselnde Ausstellungen. Auch Technikgeschichte ist in Darmstadt in verschiedensten Formen zu besichtigen: Das Eisenbahnmuseum Darmstadt-Kranichstein zeigt Lokomotiven, Wagen und anderes historisches Eisenbahnmaterial in originalgetreuer Umgebung. Im Haus für Industriekultur sind eine Ausstellung von Maschinen aus der Druckindustrie, Schriftgießerei und alte Techniken des Buchdrucks zu finden. Auf der Mathildenhöhe wird im „Institut für Neue Technische Form – Braun Design Sammlung“ Industriedesign seit 1955 gezeigt. Der Stadtgeschichte widmen sich weitere kleinere Museen: Das Altstadtmuseum im Hinkelsturm, dem letzten Wehrturm der Stadt, erinnert u. a. mit einem Modell der Altstadt von 1930 an die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Altstadt Darmstadts. Dort befinden sich zudem Überreste der mittelalterlichen doppelten Stadtmauer. Das Wixhäuser Dorfmuseum ist ein Heimatmuseum in einem fränkischen Fachwerkbauernhaus mit alten Möbeln und Hausrat aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Ferner finden sich folgende Museen in Darmstadt: Darmstädter Papiertheatersammlung Kunst Archiv Darmstadt Kunstfabrik Kunstpunkt Ziegelhütte Musik Die Stadt Darmstadt beherbergt die Akademie für Tonkunst, das Internationale Musikinstitut Darmstadt (IMD) und das Jazzinstitut Darmstadt. Veranstaltungen wie die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik und das Darmstädter Jazzforum haben über die Jahrzehnte dazu beigetragen, dass die Stadt ein wichtiger internationaler Begegnungsort für Musiker und Musikwissenschaftler geworden ist. In Darmstadt gibt es verschiedene bekannte Chöre, darunter den Bach-Chor Darmstadt e. V., die Darmstädter Kantorei, den Konzertchor Darmstadt e. V., die Kirchenmusik in der Pauluskirche Darmstadt, den SurpriSing Chor 2002 Darmstadt e. V. und das Vocalensemble Darmstadt e. V. Weiterhin sind zu nennen die Darmstädter Residenzfestspiele e. V., die Darmstädter Hofkapelle, Marching Devils e. V., Chor und Orchester der TU Darmstadt und der Musikzug Darmstadt e. V. Seit 1999 findet jährlich an vier Tagen Ende Mai das Schlossgrabenfest statt. Darüber hinaus gilt Darmstadt als Hochburg der klassischen Gitarre. Davon zeugen unter anderem die seit 1998 jährlich stattfindenden Darmstädter Gitarrentage, die stets im Dezember internationale Größen der Gitarrenszene in die Stadt locken. Die Stadt Darmstadt organisiert außerdem das „Internationale Jugendorchester Darmstadt“, das von Jugendlichen ab 14 Jahren aus Darmstadt und seinen Partnerstädten besetzt wird. Das Orchester gibt nach einigen Tage Probe jeweils ein Konzert in Darmstadt und einer der Partnerstädte, zuletzt 2022 in Saanen/Gstaad. Ab den 1950er Jahren hatte der amerikanische Rainbow Club Einfluss auf das Darmstädter Musikleben. Ursprünglich für die US-amerikanischen Streitkräfte eröffnet, war er auch für Deutsche zugänglich. Viele Live-Konzerte mit Jazz, Rock ’n’ Roll, Country und später Pop Bands brachten eine neue Art von Musik nach Darmstadt. Literarisches Leben Die Kultur- und Wissenschaftsstadt Darmstadt strahlt außergewöhnlich stark auf das Gebiet der Literatur aus, was an ansässigen Literaturinstituten und -vereinigungen wie auch den zahlreichen hier vergebenen Literaturpreisen deutlich wird. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit Sitz auf der Mathildenhöhe ist hier zur Pflege und Förderung der deutschen Literatur und Sprache aktiv. Sie vergibt alljährlich den Georg-Büchner-Preis, den Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung, den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay sowie den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa. Die Stadt Darmstadt veranstaltet mit dem Literarischen März einen Literaturwettbewerb für Nachwuchsautoren im Bereich der Lyrik mit Vergabe der Leonce-und-Lena-Preise und Wolfgang-Weyrauch-Förderpreise. Alle drei Jahre vergibt die Stadt außerdem den Ricarda-Huch-Preis. Das Darmstädter Literaturhaus ist als Zentrum der zahlreichen Literaturgesellschaften und -initiativen anzusehen; regelmäßig werden hier Lesungen angeboten. Der Deutsche Literaturfonds fördert die deutschsprachige Gegenwartsliteratur durch Vergabe des Kranichsteiner Literaturpreises sowie weiterer Preise und Stipendien. Auch die Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland hat ihren Sitz in Darmstadt, wie auch die Martin-Behaim-Gesellschaft zur Verbreitung des deutschen Buchs im Ausland. Die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt ist heute in ihrer Funktion als zentrale Universitätsbibliothek organisatorisch in die Technische Universität Darmstadt eingebunden. Weiterhin ist sie als Landesbibliothek zuständig für die wissenschaftliche Literatur- und Informationsversorgung der Region Darmstadt und Südhessen. Daneben unterhält die Stadt die Stadtbibliothek Darmstadt als Bildungs- und Kultureinrichtung für alle Bevölkerungsgruppen. Film So war das alte Hessen – Darmstadt. Dokumentarfilm, Deutschland, 43, 2013, S. 40 Min., Buch und Regie: Jörg Adrian Huber, Produktion: Hessischer Rundfunk, Reihe: So war das alte Hessen, Erstsendung: 19. Mai 2013 im HR-Fernsehen, Inhaltsangabe von ARD. Bauwerke Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Bausubstanz durch Kriegshandlungen sehr stark beschädigt und in der Innenstadt fast vollständig zerstört. Nach Kriegsende wurden die meisten Ruinen abgebrochen, wodurch bis auf wenige Ausnahmen praktisch alle historischen Bauwerke von kunstgeschichtlichem Wert – darunter sämtliche Adels- und Bürgerhäuser, das Kasino, das Kleine Theater, das Ständehaus, die Kasernen, der Neue Fürstenhof, das Alte und das Neue Palais – verloren gingen. Die Wiederherrichtung der übrigen Gebäude fand meist in vereinfachter Form mit moderner Innengestaltung statt. Innenstadt In der Innenstadt befinden sich das Alte Rathaus, der Luisenplatz mit dem „Langen Ludwig“, das Schloss am Marktplatz, der Karolinenplatz und Friedensplatz, der Mollerbau, die Ludwigskirche (die katholische Hauptkirche der Stadt), die Pauluskirche, die Stadtkirche Darmstadt (evangelische Hauptkirche der Stadt), der Weiße Turm, das alte Pädagog (ehemalige Lateinschule), das Kongresszentrum „darmstadtium“, der Alte Friedhof und die Ehemalige Großherzogliche Landwirtschaftskammer. Darmstadt-Ost Mathildenhöhe mit Hochzeitsturm (Wahrzeichen der Stadt und UNESCO-Welterbe), einem Bauwerk des Jugendstil-Architekten Joseph Maria Olbrich, Alice-Hospital, Russischer Kapelle und Künstlerkolonie Bismarckturm, ehemaliger Aussichtsturm mit Festplatz auf dem Dommerberg Bessungen Orangerie Prinz-Emil-Schlösschen im Prinz-Emil-Garten Wolfskehl’scher Park Ludwigshöhe, Berg im Süden der Stadt () mit dem Ludwigsturm, einem 28 m hohen Aussichtsturm; in unmittelbarer Nähe befindet sich die Volkssternwarte Darmstadt Bessunger Friedhof Jüdischer Friedhof Sonstiges Waldspirale, ein Wohnkomplex, der von Friedensreich Hundertwasser gestaltet wurde Waldfriedhof im Westen der Stadt Hofgut Oberfeld vormals Hofmeierei, Großherzogliche Hofdomäne in Hessen-Darmstadt und Staatsdomäne des Landes Hessen steht unter Ensemble- bzw. Denkmalschutz. Seit 2006 ist die gemeinnützige Stiftung Hofgut Oberfeld Eigentümerin des Hofgutes und Pächterin des Domänenlandes. Eine ökologische Landwirtschaft wird aufgebaut. Eine Initiative „Lernort Bauernhof“ hat ihre Arbeit aufgenommen. Der Verein Lebensweg e. V. will Wohn- und Arbeitsplätzen für behinderte Menschen auf dem Hofgut schaffen. Jugendstilbad, 1909 als „Volksbad“ eröffnet, später „Zentralbad“ genannt, 2005–2008 Sanierung und denkmalgerechte Restaurierung, 2008 als „Jugendstilbad“ wiedereröffnet Die ehemalige Kyritzschule dient heute als Frauenzentrum und Kinderhort. Parks Bürgerpark Nord Herrngarten Kapellplatz Landgraf-Philipps-Anlage Mathildenplatz Orangerie-Garten Platz der Deutschen Einheit Prinz-Emil-Garten Prinz-Georg-Garten Park Rosenhöhe Wolfskehl’scher Park Schlossgarten Natur und Schutzgebiete Auf dem Gebiet der Stadt Darmstadt gibt es 13 Naturschutzgebiete mit einer Fläche von 823 Hektar. Davon sind 9 gleichzeitig Natura-2000-Gebiete. Die meisten von ihnen liegen im Osten des Stadtgebietes. Außerdem gibt es ein Landschaftsschutzgebiet „Stadt Darmstadt“ mit einer Fläche von 7.121,5 Hektar. Darunter auch das Naturdenkmal Klipsteineiche mit einem Brusthöhenumfang von 6,82 m (2015). Siehe auch Liste der Naturschutzgebiete in Darmstadt Siehe auch Liste der Naturdenkmale in Darmstadt Regelmäßige Veranstaltungen Januar: Rhein-Mainische-Gardetreffen April: Frühjahrsmesse auf dem Messplatz (ab 2023 Stadtmitte) April: Gartenlust in der Orangerie Mai: Darmstädter Jugendstiltage Mai: WingsForLife World Run Mai: Schlossgrabenfest, größtes Innenstadt-Open-Air Hessens rund um das Darmstädter Schloss mit über 400.000 Besuchern Juni: Darmstädter Stadtlauf; eine Sportveranstaltung in der Darmstädter Innenstadt Juni: Fête de la Musique Juni: Schultheatertage Juni: Nach(t)klänge, Lange Nacht der Neuen Musik Juni: Sport- und Spielfest, eine Sport- und Spielveranstaltung im Herrngarten Juni–Juli: Kampagne Stadtradeln Juli: „Heinerfest“, größtes Volksfest Südhessens und zweitgrößtes Innenstadtfest Deutschlands mit etwa 700.000 Besuchern Juli–August alle zwei Jahre: Darmstädter Ferienkurse, auch bekannt als Internationale Ferienkurse für Neue Musik Juli–August: Darmstädter Residenzfestspiele August: Darmstädter Kunsthandwerkermarkt (3. August-Wochenende) August: Christopher Street Day Darmstadt August: Darmstädter Lange Nacht (alle 2 Jahre) August: Just for Fun, Straßentheaterfestival mit internationalen Künstlern und Artisten auf Darmstadts Straßen und Plätzen September: Darmstädter Weinfest in der Wilhelminenstraße September: Darmstädter Bauernmarkt in der Wilhelminenstraße September: Lappingskerb in Bessungen und Martinskerb am Riegerplatz September: Herbstmesse auf dem Messplatz (bis 2022) November, Dezember: Darmstädter Weihnachtsmarkt rund um das Schloss Dezember: Darmstädter Gitarrentage Sommer: Künstlerpicknick im Platanenhain Sport Fußball Sportliches Aushängeschild der Stadt Darmstadt ist der SV Darmstadt 98. Mit 14.000 Mitgliedern und einem Einzugsgebiet, das sich über den gesamten Süden Hessens erstreckt, zählt dieser zu den größten Sportvereinen Deutschlands. Von besonderer Bedeutung ist seine Fußball-Abteilung, die zur Spielzeit 2023/24 abermals in der Bundesliga antritt und ihre Heimspiele im Stadion am Böllenfalltor austrägt, das 17.810 Zuschauer fasst. Gefolgt wird der SV 98 vom SKV Rot-Weiß Darmstadt, der 2023 in der hessischen Verbandsliga Süd antritt. Auch die Stadtteil-Vereine FC Arheilgen und Germania Eberstadt machen mit sportlichem Erfolg auf regionaler Ebene auf sich aufmerksam. Das erfolgreichste Darmstädter Frauenteam entstammt der DJK/SSG Darmstadt und tritt 2023/24 in der Verbandsliga Hessen Süd an. Laufen Der Darmstädter Lauf-Treff ist mit über 60 Betreuern nicht nur der größte, sondern mit Gründungsjahr 1974 auch einer der ältesten Deutschlands. Der Lauftreff ist ehrenamtlich organisiert und kein Verein, jeder kann kostenlos mitlaufen. Der Knastmarathon Darmstadt wird seit 2007 auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Darmstadt als Marathonlauf für Inhaftierte und externe Freizeitsportler mit über 100 Teilnehmern ausgetragen. Der Datterich Ultra – benannt nach dem Mundartstück von Ernst Elias Niebergall – ist ein Volkstriathlon mit hohem Unterhaltungswert, bei dem jedes Mitglied der je elfköpfigen Mannschaften ein Zehntel der Ultra-Triathlon-Strecken 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,195 km Laufen leisten muss. Wegen des großen Andrangs ist der Datterich inzwischen in zwei Sportereignisse aufgeteilt worden, zunächst die Veranstaltung für Hobby-Mannschaften aller Art, einige Wochen später dann die für Firmen-Mannschaften. Radsport Am 28. Juni 1980 verlief die 2. Etappe der Tour de France 1980 (Radrennen) durch Darmstadt. Jene Etappe war in Frankfurt am Main gestartet worden und verlief über 276 km bis nach Metz. Schwimmen Mit dem DSW 1912 Darmstadt ist einer der erfolgreichsten Schwimm- und Triathlon-Vereine Deutschlands in Darmstadt ansässig. Die Mitglieder Marco Koch und Yannick Lebherz nahmen 2012 an den Olympischen Spielen teil. Der Verein betreibt das Schwimmleistungszentrum Darmstadt. Tennis Die Darmstädterin Andrea Petković nahm erfolgreich an internationalen Tennis-Turnieren teil. Wandern/Klettern Die Sektion Darmstadt-Starkenburg des Deutschen Alpenvereins gehört mit 12.955 Mitgliedern (Stand: 31. Dezember 2021) zu den größten Sport- und Kulturvereinen in Darmstadt. Sie entstand am 1. Januar 2013 aus den Sektionen Darmstadt (gegründet 1870) und Starkenburg (gegründet 1884). Sie bietet ein großes Angebot an Ausbildungsveranstaltungen mit über 60 Fachübungsleitern. Zu den vereinseigenen Sportstätten gehören eine Kletterhalle und ein Steinbruch in Heubach (Odenwald). Daneben wird ein gepachteter Steinbruch bei Hainstadt (Breuberg) für den Klettersport unterhalten. Die Sektion betreibt zwei alpine Schutzhütten in Tirol, Österreich: Darmstädter Hütte in der Verwallgruppe auf dem Gebiet von St. Anton am Arlberg und Starkenburger Hütte in den Stubaier Alpen bei Neustift im Stubaital. Weitere Mannschaftssportarten American Football Die Darmstadt Diamonds zählen zu den ältesten American-Football-Teams in Hessen, tragen ihre Spiele im Bürgerpark Nord aus. Baseball Mit den Darmstadt Rockets und den Darmstadt Whippets sind in der Stadt zwei ehemalige Bundesliga-Teilnehmer des Baseballs beheimatet. Die Darmstadt Rockets sind die älteste Baseballorganisation in Hessen. Basketball Der 1947 gegründete Basketballverein BC Darmstadt war Gründungsmitglied der Basketball-Bundesliga und trägt seine Heimspiele seit 1977 im Sportzentrum Orpheum aus. Cricket Auf Initiative von Studierenden der Hochschule Darmstadt und TU Darmstadt entstand 1999 ein Cricket-Team, das in der hessischen Liga antritt. Hockey In Darmstadt wird in den Vereinen TEC Darmstadt (Feldhockey), RSC Darmstadt (Rollhockey) und ESC Darmstadt (Eishockey) hochklassig Hockey gespielt. Das Eishockey-Team heißt Darmstadt Dukes. Wasserball Sowohl das Herren als auch das Damen-Team des WV Darmstadt tritt in der zweiten Liga des Wasserballs an. Dieser entstand 1970 durch den Zusammenschluss von drei Mannschaften lokaler Schwimmvereine. Wissenswertes Zwei Spitzenverbände des Deutschen Sportbundes haben ihren Sitz in Darmstadt, nämlich der Deutsche Leichtathletik-Verband und der Deutsche Verband für Modernen Fünfkampf. Breit gefächert sind die vom Hochschulsportzentrum der TU Darmstadt angebotenen Sportarten. Neben Studierenden und Angestellten der TU steht das Programm auch Interessierten über eine Mitgliedschaft im Verein zur Förderung des Darmstädter Hochschulsports e. V. offen. Die Stadt Darmstadt ist auch regelmäßig bei den Internationalen Schülerspielen vertreten. Des Weiteren kommt der Präsident dieser Organisation, Torsten Rasch, aus Darmstadt, ebenso wie der Generalsekretär, Richard Smith. 2021 bewarb sich die Stadt als Host Town für die Gestaltung eines viertägigen Programms für eine internationale Delegation der Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin. 2022 wurde sie als Gastgeberin für Special Olympics Nicaragua ausgewählt. Die Delegation bestand aus etwa 30 Personen. Das Programm bestand aus den vier Bausteinen Kennenlernen der Stadt, Wettbewerbsvorbereitung, Sozialer Austausch und einem Sportaktionstag. Damit wurde Darmstadt Teil des größten kommunalen Inklusionsprojekts in der Geschichte der Bundesrepublik mit mehr als 200 Host Towns. Wirtschaft und Infrastruktur Im Jahre 2016 erwirtschaftete Darmstadt, innerhalb seiner Stadtgrenzen, ein Bruttoinlandsprodukt von 11,742 Milliarden € und belegte damit Rang 29 in der Rangliste der deutschen Städte nach Wirtschaftsleistung. Das BIP pro Kopf lag im selben Jahr bei 75.085 € pro Kopf (Hessen: 43.496 €, Deutschland 38.180 €) und liegt damit weit über dem regionalen und nationalen Durchschnitt. Das BIP je Erwerbsperson beträgt 89.585 € und gehört zu den höchsten in Deutschland. In der Stadt waren 2016 ca. 131.100 Erwerbstätige beschäftigt. Die Arbeitslosenquote lag im Dezember 2018 bei 4,7 % (im angrenzenden Landkreis Darmstadt-Dieburg betrug sie 4,3 %). Darmstadt ist Teil der Metropolregion Rhein-Main-Gebiet, die zu den wirtschaftlich leistungsstärksten Regionen des Landes gehört und ein BIP von mehr als 250 Milliarden € erwirtschaftet. Im Zukunftsatlas 2016 belegt die kreisfreie Stadt Darmstadt Platz 9 von 402 Landkreisen, Kommunalverbänden und kreisfreien Städten in Deutschland und zählt damit zu den Regionen mit „sehr hohen Zukunftschancen“. Als besondere Stärke gelten, laut der Studie, die Demographie und der starke Arbeitsmarkt. In der Ausgabe von 2019 lag sie auf Platz 4 von 401. Nach dem Städte-Ranking 2018 der Wirtschaftswoche belegt Darmstadt den 1. Platz unter allen deutschen Städten in der Kategorie Städte der Zukunft. Diesen Platz erlangte Darmstadt zum vierten Mal in Folge. Ansässige Unternehmen Die Kernbranchen des Darmstädter Wirtschaftslebens sind: der IT-Sektor, Chemie/Pharma, Maschinenbau/Mechatronik, Haarkosmetik sowie die Weltraum- und Satellitentechnik. Ihre Technologie- und Forschungsorientierung charakterisiert die Wirtschaft der Stadt. Die Nähe zu den zahlreichen Forschungs- und Entwicklungsinstituten ist ein zentraler Standortfaktor, neben der Nähe zum Weltflughafen Frankfurt. Insgesamt gibt es in Darmstadt fast 130.000 Arbeitsplätze, von denen 80.000 bis 100.000 Einpendler sind. Das größte Unternehmen der Stadt ist der Chemie- und Pharmakonzern Merck KGaA mit mehr als 53.000 Beschäftigten weltweit, davon etwa 10.000 Arbeitnehmer und über 500 Auszubildende am Stammsitz in Darmstadt. Die Merck KGaA ist das älteste chemisch-pharmazeutische Unternehmen der Welt. Weitere bedeutende Industrieunternehmen sind die Röhm GmbH (Teil der Degussa GmbH bzw. jetzt Evonik Industries), Carl Schenck AG, Wella (heute Teil des Coty-Konzerns), Döhler GmbH und die Goldwell GmbH (Teil der KAO Corporation, Tokio, Japan). Alle diese Firmen haben in Darmstadt ausgeprägte Forschungs- oder Entwicklungsabteilungen. Eine eigene Erfolgsgeschichte schrieb die Software AG, welche 1969 mit Sitz in Darmstadt gegründet wurde und inzwischen nach der SAP das zweitgrößte deutsche Software-Unternehmen ist. Auf dem Gelände des ehemaligen Fernmeldetechnischen Zentralamtes (FTZ) „Am Kavalleriesand“ sind heute mehrere Unternehmensteile der Deutschen Telekom angesiedelt. Hier ist ein großer Gebäudekomplex der T-Systems entstanden, und 2005 wurde der Firmensitz von T-Online nach Darmstadt verlegt und 2006 die Tochtergesellschaft T-Online International AG wieder in den Mutterkonzern Deutsche Telekom integriert. 2015 gliederte die Telekom den Unternehmensbereich aus und veräußerte ihn 2016 an den Außenvermarkter Ströer. In der Folge wurden das Management nach Frankfurt und die Redaktion nach Berlin verlegt, über 100 Beschäftigte verloren am Standort Darmstadt ihren Job. Die Telekom und ihre Tochtergesellschaften sind zweitgrößter Arbeitgeber in der Stadt. Die Deutsche Post AG unterhält in Darmstadt ihr Trustcenter, zuständig für die Elektronische Signatur, sowie das Briefzentrum 64. Die HEAG AG ist bekannt als das lokale Verkehrsunternehmen (Straßenbahnen und Busse der HEAG mobilo GmbH) und als regionaler Südhessischer Energieversorger (Elektrizität, Wasser und Gas der Entega). Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft ist ein Verlag mit Sitz in Darmstadt. Der TÜV Hessen hat seine Zentrale im Darmstädter Europaviertel. Darmstadt besitzt ein leistungsstarkes Müllheizkraftwerk sowie ein Gasturbinenkraftwerk. In Darmstadt sind drei Brauereien ansässig; die Ratskeller Hausbrauerei (seit 1989), die Brauerei Grohe (seit 1838) und die Darmstädter Privatbrauerei (seit 1847). Der Ratskeller ist hierbei die einzige Hausbrauerei, deren Bier man ausschließlich vor Ort konsumieren und kaufen kann. Die Brauerei Grohe ist traditioneller und vertreibt ihr Bier auch in ausgewählten Getränkemärkten. Die wirtschaftlich erfolgreichste Brauerei ist jedoch die Darmstädter Privatbrauerei, deren Bier regional bezogen werden kann. Ein weiteres Unternehmen der Pharmabranche ist die Steigerwald Arzneimittelwerk GmbH. Darmstadt ist Sitz der Volksbank Darmstadt-Südhessen eG sowie der Sparkasse Darmstadt. Das Technologie- und Innovationszentrum Darmstadt (oder TIZ Darmstadt) ist ein Gründerzentrum im Darmstädter Europaviertel, 111 Firmen haben dort momentan einen Sitz. Dazu gehört auch die cesah GmbH – „Centrum für Satellitennavigation Hessen“ mit über 30 Startups. Nach Umwandlung im Jahr 2009 ist die Technische Universität Darmstadt seit Anfang 2012 die alleinige Gesellschafterin der TIZ Darmstadt GmbH. Im Jahr 1998 haben sich die Stadt Darmstadt, die Technische Universität Darmstadt, die Industrie- und Handelskammer und die Sparkasse Darmstadt zur Innovationsgesellschaft Darmstadt mbH zusammengeschlossen. Medien Seit den 1950er- und 60er-Jahren sind in Darmstadt im so genannten Verlagsviertel, welches mit der Idee der Mischung von rauchloser Industrie und Wohnen neu gegründet wurde, eine Großzahl an Verlagen und Druckereien vertreten. Unter den mehr als 50 Betrieben finden sich unter anderem Firmen wie die A. Springer-Tiefdruck (aufgelöst), der Verlag Hoppenstedt (2013 aufgelöst) und die ABC der deutschen Wirtschaft–Verlagsgesellschaft mbH. Von 1951 bis 1989 hatte die Deutsche Buch-Gemeinschaft ihren Sitz in Darmstadt. Aktuelle Berichterstattung in Darmstadt findet hauptsächlich in der in Darmstadt ansässigen Tageszeitung Darmstädter Echo, daneben auch in den Regionalausgaben der Frankfurter Rundschau und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung statt. Seit 2013 erscheint unter dem Titel Darmstädter Tagblatt eine neue kostenlose Darmstädter Zeitung als Wochenblatt. Darüber hinaus erscheinen in einigen Stadtvierteln Wochen- und Monatszeitungen wie die „Bessunger Neue Nachrichten“ in Bessungen, dem Woogsviertel und der Heimstättensiedlung, der „Lokalanzeiger“ in Eberstadt und Mühltal, die Arheilger Post sowie Die Lokale Zeitung in Bessungen, dem Woogs- und Komponistenviertel und Eberstadt sowie Mühltal. Als kostenlose, monatlich erscheinende Stadtillustrierte gibt es Frizz – Das Magazin, Vorhang Auf, die kulturnachrichten sowie das Stadtkulturmagazin P. Zweimonatlich erscheint das Frauenmagazin Mathilde. Aus Darmstadt sendet das nichtkommerzielle Lokalradio Radio Darmstadt (Radar). Der Hessische Rundfunk und Hit Radio FFH sind jeweils mit einem Regionalstudio in Darmstadt vertreten. Der Kinobetreiber Kinopolis mit deutschlandweit 17 Kinocentern hat seinen Stammsitz in Darmstadt und betreibt vor Ort selbst 3 Kinos. Bildung Ehrung Die Johann-Heinrich-Merck-Ehrung ist eine undotierte regional bezogene Ehrung der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Die Ehrung, erstmals 1955 vergeben, kann an Persönlichkeiten verliehen werden, die in ihrem Beruf einmalige oder wiederkehrende hervorragende wissenschaftliche, künstlerische oder wirtschaftliche Leistungen zur Förderung des Wohls der Stadt und der Mehrung ihres Ansehens erbracht haben. Unregelmäßig wird sie vom Stifter und Träger der Auszeichnung, dem Magistrat der Stadt, vergeben. Hochschulen Nicht zuletzt wegen seiner Hochschulen konnte die Stadt Darmstadt den Titel „Wissenschaftsstadt“ erlangen. In Darmstadt sind Hochschulen mit insgesamt rund 41.000 Studierenden angesiedelt. Die prominenteste darunter ist die 1877 gegründete Technische Universität Darmstadt mit etwa 26.000 Studierenden. Mit circa 13.000 in Darmstadt ansässigen Studierenden zweitgrößte Hochschule ist die Hochschule Darmstadt (h_da). Sie hieß bis 2006 Fachhochschule Darmstadt und ging aus der ehemaligen, 1876 gegründeten Landesbaugewerkschule, der Werkkunstschule und der Städtischen Maschinenbauschule hervor. Neben den Darmstädter Standorten ist die h_da auch mit dem „Campus Dieburg“ im Landkreis mit weiteren circa 3000 Studierenden vertreten. Neben den beiden großen Darmstädter Hochschulen existieren die 1971 gegründete und in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau befindliche Evangelische Hochschule Darmstadt (EHD), die 1997 gegründete Wilhelm Büchner Hochschule und die 1851 als private Musikschule gegründete Akademie für Tonkunst, welche den eher technischen Schwerpunkt der großen Hochschulen flankieren. An der EHD lernen etwa 1700 Studierende. Duale Studiengänge mit hochschulrechtlich gleichgestellten Abschlüssen führt die Iba – Internationale Berufsakademie durch. Darmstadt ist zudem „Korporativ Förderndes Mitglied“ der Max-Planck-Gesellschaft. Erwachsenenbildung Das Katholische Bildungswerk Darmstadt/Dieburg ist Träger der Katholischen Erwachsenenbildung im Diözesanbildungswerk Mainz in den Kreisen Darmstadt und Dieburg. Schulen In Darmstadt findet man viele Schulen und Gymnasien. Dies hängt auch damit zusammen, dass viele Schüler täglich aus dem Landkreis Darmstadt-Dieburg nach Darmstadt zur Schule gehen. Es kommt aber auch immer wieder zu Konflikten, wenn am Anfang des Schuljahres die Darmstädter Gymnasien nicht alle Schüler aus dem Landkreis aufnehmen können. Berufsbildende Schulen Berufliche Schulen Alice-Eleonoren-Schule Erasmus-Kittler-Schule Friedrich-List-Schule Heinrich-Emanuel-Merck-Schule Martin-Behaim-Schule Peter-Behrens-Schule Private Berufliche Schule Dr. Engel Darmstadt Progenius Berufsschule Gymnasien Abendgymnasium Darmstadt Diesterwegschule Kooperative Gesamtschulen Gutenbergschule Stadtteilschule Arheilgen Integrierte Gesamtschulen Bernhard-Adelung-Schule Erich-Kästner-Schule Mornewegschule Freie und private Schulen Förderschulen Christoph-Graupner-Schule Ernst-Elias-Niebergall-Schule Herderschule Institute und Forschungseinrichtungen (alphabetisch sortiert) Akademie für Tonkunst Amt für Straßen- und Verkehrswesen (ASV) Athene (Forschungszentrum) (ehemals Center for Research in Security and Privacy (CRISP)) Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz Deutsches Kunststoff-Institut (DKI), im Fraunhofer LBf aufgegangen Deutsches Polen-Institut Europäisches Raumflugkontrollzentrum (ESA/ESOC) Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT) FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research), internationale Teilchenbeschleunigeranlage (im Bau) Fraunhofer-Gesellschaft mit folgenden Instituten: Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF) Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD) Fraunhofer-Institut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme (IPSI), August 2006 geschlossen. Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung Hessen Design e. V. Hessisches Staatsarchiv Hessisches Zentrum für Künstliche Intelligenz IFRA – Verband für Zeitungs- und Medientechnik Institut für Biologisch-Dynamische Forschung (IBDF) Institut für Neue Technische Form (INTEF) Institut Mathildenhöhe Institut Wohnen und Umwelt (IWU) Internationales Musikinstitut Darmstadt (IMD), mit den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Jazzinstitut Darmstadt Mozart-Archiv im Turm e. V. Öko-Institut – Institut für angewandte Ökologie Passivhaus Institut (PHI) Schader-Stiftung Volkssternwarte Darmstadt Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt Zentrum für Graphische Datenverarbeitung e. V. Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung Gerichte Darmstadt ist Sitz von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten. Als Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind das Amtsgericht Darmstadt, dessen Bezirk die Stadt Darmstadt und umliegende Gemeinden umfasst, und das Landgericht Darmstadt, dem die Amtsgerichtsbezirke südlich des Mains, einschließlich der Stadt Offenbach am Main zugeordnet sind, im Justizzentrum am Mathildenplatz ansässig. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist mit dem Arbeitsgericht Darmstadt vertreten, aus der Sozialgerichtsbarkeit sind das Sozialgericht Darmstadt und das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt ansässig. Mit dem Verwaltungsgericht Darmstadt ist schließlich auch eines der fünf hessischen Verwaltungsgerichte hier ansässig. In Darmstadt befinden sich auch noch ausgelagerte Zivilsenate des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Gesundheitswesen Agaplesion Elisabethenstift gGmbH Alice-Hospital Darmstadt Kinderkliniken Prinzessin Margaret Klinikum Darmstadt GmbH Marienhospital Darmstadt Rosenparkklinik Darmstadt GmbH Polizei Feuerwehr und Technisches Hilfswerk Die Feuerwehr Darmstadt besteht aus der Wache der Berufsfeuerwehr in der Bismarckstraße 86, bei der rund 160 Mitarbeiter, davon etwa 110 Beamte im Einsatzdienst, verteilt auf drei Wachabteilungen, beschäftigt sind. Unterstützt wird die Berufsfeuerwehr durch die vier Freiwilligen Feuerwehren Arheilgen, Eberstadt, Innenstadt und Wixhausen. Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) ist in Darmstadt mit zwei Einrichtungen vertreten, einer hauptamtlich besetzten, mit Verwaltungsaufgaben betrauten Regionalstelle und einem ehrenamtlich getragenen Ortsverband mit Einsatzkräften. Militärische Einrichtungen Die Darmstädter Garnison des Großherzogtums Hessen beherbergte, unter anderem in mehreren Kasernen in Bessungen, Anfang des 20. Jahrhunderts rund 5000 Soldaten. Sie umfasste das Leibgarde-Infanterie-Regiment (1. Großherzoglich Hessisches) Nr. 115, das Garde-Dragoner-Regiment (1. Großherzoglich Hessisches) Nr. 23, das Leib-Dragoner-Regiment (2. Großherzoglich Hessisches) Nr. 24, das 1. Großherzoglich Hessische Feldartillerie-Regiment Nr. 25, eine Abteilung des 2. Großherzoglich Hessischen Feldartillerie-Regiments Nr. 61 und das Trainbataillon Nr. 18. Die alten Kasernengelände wurden nach dem Zweiten Weltkrieg überbaut. Daneben existierte im Westen von Darmstadt – damals auf Griesheimer Gemarkung – der Truppenübungsplatz Griesheim. Das Gelände wurde 1937 Darmstädter Stadtgebiet. Die Bundeswehr unterhält in Darmstadt zwei Kasernen: die Major-Karl-Plagge-Kaserne, die vor 2006 Frankenstein-Kaserne hieß und größtenteils auf Pfungstädter Gemarkung liegt die Starkenburg-Kaserne, die in den 1950er Jahren auf dem Gelände der ehemaligen Lokomotivenreparaturwerkstätten errichtet wurde, wird seit einer Privatisierung durch die HIL Heeresinstandsetzungslogistik als Systeminstandsetzungszentrum genutzt. Das Kreiswehrersatzamt mit 38 Mitarbeitern wurde im Zuge der Bundeswehrreform 2011 aufgelöst. Die US-Streitkräfte haben 2008 den Standort Darmstadt offiziell aufgelöst. Bis zu 10.000 GIs waren hier stationiert. Eine Reihe von Einrichtungen wurden in Darmstadt unterhalten, insbesondere in Kasernen aus den 1930er Jahren. Cambrai-Fritsch-Kaserne (Cambrai-Kaserne und Freiherr-von-Fritsch-Kaserne) Kelley Barracks (Leibgarde-Kaserne) Nathan Hale QM Area (Heeresverpflegungslager) Lincoln-Siedlung St.-Barbara-Siedlung Darmstadt Army Airfield (August-Euler-Flugplatz) Ein Trainingskomplex in der Nähe des Flugplatzes wurde nicht aufgegeben, sondern zum Dagger Complex ausgebaut. Die frühere Ernst-Ludwig-Kaserne wurde in den 1990er Jahren geräumt und 2003 abgerissen. Das Gelände ist im Rahmen des Projekt Eigenheim 2004 in ein Wohngebiet, den Ernst-Ludwig-Park, umgestaltet worden. Die St.-Barbara-Siedlung sanierte man zwischenzeitlich und wird bereits zivil genutzt. Die Lincoln-Siedlung, Cambrai-Fritsch-Kaserne und Jefferson-Siedlung in Bessungen sind Konversionsflächen und sollen zu zivilen Wohngebieten umgebaut werden. Sonstige Behörden Darmstadt ist der Sitz des Hessischen Rechnungshofs, des Regierungspräsidiums Darmstadt, der Hessischen Eichdirektion und einer Geschäftsstelle der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). Verkehr Gemäß des Forschungsprojekts „Mobilität in Städten“ der TU Dresden wurden 2018 für Darmstadt folgende Werte ermittelt. 22 % der Haushalte besitzen kein Auto, 59 % ein Auto und 19 % zwei und mehr Autos, 76 % der Einwohner haben ein Fahrrad, 8 % ein Elektrofahrrad und 44 % eine Zeitkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel. 25 % aller Wege wurden zu Fuß zurückgelegt, 22 % mit dem Fahrrad, 35 % mit dem Auto und 18 % mit öffentlichen Verkehrsmitteln. In Relation zur Größe der Stadt existieren in Darmstadt enorme Pendlerströme, so kommen täglich etwa 75.000 Erwerbstätige von außerhalb zum Arbeiten, während etwa 32.000 Darmstädter ihren Arbeitsplatz in einer anderen Kommune haben. Straßenverkehr Durch das westliche Stadtgebiet führen die Bundesautobahnen 5 (Karlsruhe–Frankfurt) und 67 (Mannheim–Rüsselsheim). Beide treffen sich am Darmstädter Kreuz. Als Zubringer zur Stadt fungiert die kurze A 672. Im Netz der Bundesstraßen bildet die B 3 die Verbindung nach Frankfurt am Main im Norden und entlang der Bergstraße nach Heidelberg im Süden. Sie hat für Arheilgen im Norden und Eberstadt im Süden Ortsumgehungen erhalten, wobei die Verbindung nach und um Eberstadt (Karlsruher Straße) vierspurig, aber nicht kreuzungsfrei ausgebaut wurde. Die B 26 bildet die wichtigste West-Ost-Verbindung und führt nach Griesheim und Riedstadt im Westen sowie – autobahnähnlich ausgebaut und ursprünglich als A 680 errichtet – nach Dieburg im Osten, wo Anschluss in Richtung Hanau, Aschaffenburg und in den Odenwald (Michelstadt/Erbach, Groß-Umstadt) besteht. Etwas östlich von Darmstadt beginnt die B 38 als Verbindung ins Gersprenztal im Odenwald nach Reinheim und Reichelsheim. Die B 42 als alte Verbindung nach Mainz im Nordwesten ist nur noch bis Büttelborn als solche gewidmet, da sie parallel zur A 67 verläuft. Im Zuge der Erweiterungen des Bundesstraßennetzes nach dem Zweiten Weltkrieg kamen noch die B 426 und die B 449 hinzu. Erstere bindet Eberstadt an Pfungstadt und Gernsheim im Westen sowie Mühltal und Reinheim im Osten an; letztere ist eine kurze Verbindung von Darmstadt ins südöstlich gelegene Mühltal. Ergänzt wird das Netz durch Landesstraßen nach Mörfelden im Nordwesten (L 3113), Messel und Rödermark im Nordosten (L 3097), Dieburg im Osten (L 3094) sowie Eschollbrücken und Gernsheim im Südwesten (L 3097). In Eberstadt beginnen die Landesstraßen L 3098 ins Beerbach-Tal und L 3100 nach Seeheim-Jugenheim („Alte Bergstraße“). Die Stadt wird durch FlixBus DACH, Ecolines und Eurolines an das innerdeutsche und internationale Fernbusnetz angeschlossen. Als Teil des Luftreinhalteplans führte Darmstadt zum 1. November 2015 eine Umweltzone ein und weitete das Durchfahrtsverbot für Lkw aus. Demnach dürfen nur noch PKW mit einer grünen Schadstoffplakette oder einer Sondergenehmigung in das Stadtgebiet einfahren. Ausgenommen hiervon sind die Abschnitt der B 3 ab Wixhausen zur B 42 in Richtung Autobahnauffahrt A 5 in Weiterstadt, die A 672, die Abschnitte der A 5 im Stadtgebiet und die B 426 als südliche Umfahrung. Seit Juni 2019 gelten auf der Hügelstraße am Citytunnel sowie der Heinrichstraße Dieselfahrverbote. Zudem wurden Fahrspuren reduziert und die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt. Darmstadt ist aufgrund der engen Pendlerverflechtungen im Rhein-Main-Gebiet in hohem Maße von Stau betroffen. Nachteilig wirkt sich hierbei auch das Fehlen einer Ortsumgehung für den Durchgangsverkehr aus östlicher Richtung aus, der aus dem Odenwald und von Dieburg kommend die Innenstadt durchqueren muss, um die westlich von Darmstadt verlaufenden Autobahnen zu erreichen. Um hierfür Abhilfe zu schaffen, gab es in der Vergangenheit diverse Planungen, so etwa den Bau einer zweiten Autobahn entlang des Ostrands von Darmstadt (Bundesautobahn 49) zwischen der A 5 bei Eberstadt und der heutigen A 661 bei Egelsbach in den 1970er-Jahren, später dann den Bau einer Nordostumgehung entlang der Odenwaldbahn vom Ostbahnhof nach Kranichstein. Beide Projekte werden nicht mehr verfolgt. Im Flächennutzungsplan ist eine Trassenfreihaltung für den Ausbau des Eifelrings zur Westtangente eingetragen, um die Gräfenhäuser Straße über die Mainzer Straße, den Dornheimer Weg, die Rheinstraße und die Hilpertstraße mit der Eschollbrücker Straße zu verbinden und die B 3 westlich aus der Stadt zu verlegen. Konkrete Baupläne hierfür bestehen jedoch nicht. Bahnverkehr Darmstadt entwickelte sich als damalige Hauptstadt des Großherzogtums Hessen bereits früh zum Eisenbahnknotenpunkt. Als erste Strecke eröffnete 1846 die Main-Neckar-Eisenbahn-Gesellschaft die Bahnstrecke Frankfurt am Main–Heidelberg. Es folgte 1858 die Rhein-Main-Bahn nach Mainz und Aschaffenburg. Beide Strecken nutzten zunächst separate, benachbarte Bahnhöfe im Bereich des heutigen Steubenplatzes, nämlich den Main-Neckar-Bahnhof für die Nord-Süd-Strecke und den Ludwigsbahnhof für die Ost-West-Verbindung. Es folgten 1869 die Eröffnung der Riedbahn nach Worms, 1870 die Odenwaldbahn nach Eberbach, 1886 die Pfungstadtbahn nach Pfungstadt und 1897 die Strecke nach Groß-Zimmern. Im Jahr 1912 wurden die Bahnanlagen in der Stadt großräumig neu geordnet und der Hauptbahnhof im Westen der Stadt angelegt, ebenso entstanden der Nordbahnhof an der Strecke nach Aschaffenburg und Eberbach sowie der Südbahnhof an der Strecke nach Heidelberg neu. Die beiden alten Bahnhöfe am Steubenplatz und der alte Bessunger Bahnhof am heutigen Donnersbergring wurden geschlossen und die Bahnanlagen abgebaut. Weitere Bahnhöfe im Stadtgebiet sind der Ostbahnhof und der Haltepunkt TU-Lichtwiese an der Odenwaldbahn, der Bahnhof Kranichstein an der Strecke nach Aschaffenburg, die Bahnhöfe Arheilgen und Wixhausen an der S-Bahn nach Frankfurt und der Bahnhof Eberstadt an der Strecke nach Heidelberg. 1955 wurde der Personenverkehr auf der Pfungstadtbahn eingestellt, es folgten die Strecke nach Groß-Zimmern 1966 und die Riedbahn nach Goddelau/Worms im Jahr 1970. Die Pfungstadtbahn wurde 2011 reaktiviert, während die beiden anderen Strecken inzwischen überbaut wurden. Fernverkehrsverbindungen bestehen stündlich mit IC-Linien zwischen Frankfurt und Heidelberg, die darüber hinaus zu verschiedenen Zielen in Nord- und Süddeutschland und teilweise nach Österreich verkehren. Dazu kommen einzelne ICE-Verbindungen sowie Fernverkehrszüge des Anbieters Flixtrain. Sämtliche Fernverkehrsverbindungen nutzen die Strecke Frankfurt–Heidelberg/Mannheim, während alle übrigen Strecken lediglich im Regionalverkehr bedient werden. Regionalzüge nach Frankfurt fahren halbstündlich, dazu kommt noch die Linie S3 der S-Bahn Rhein-Main, die ebenfalls halbstündlich über Frankfurt nach Bad Soden verkehrt. Nach Süden bestehen stündliche Verbindungen nach Heidelberg (teilweise durchgebunden bis Wiesloch-Walldorf oder Schwetzingen) und Mannheim, die sich entlang der Bergstraße bis zum Bahnhof Neu-Edingen/Mannheim-Friedrichsfeld ebenfalls zu einem Halbstundentakt überlagern. Die Regionalzüge nach Mainz/Wiesbaden und Aschaffenburg verkehren je nach Tageszeit halbstündlich oder stündlich (Betreiber: Hessische Landesbahn), jene nach Pfungstadt und Erbach/Eberbach stündlich (Betreiber: Vias). Einige Züge der Odenwaldbahn fahren statt zum Darmstädter Hauptbahnhof ab Darmstadt Nord weiter nach Frankfurt. Im Eisenbahngüterverkehr ist Darmstadt seit der Stilllegung des Rangierbahnhofes Darmstadt-Kranichstein kein Eisenbahnknoten mehr. In Planung befindet sich die Neubaustrecke Frankfurt–Mannheim, die westlich an Darmstadt vorbei entlang der A 5/A 67 verlaufen und über Verbindungskurven mit dem Darmstädter Hauptbahnhof verknüpft werden soll. Mit ihrer Fertigstellung wird der gesamte Eisenbahnverkehr in Südhessen neu geordnet werden, allerdings ist der Zeitplan hierzu noch offen. Öffentlicher Personennahverkehr Der öffentliche Nahverkehr in Darmstadt wird durch ein Straßenbahn- und ein Busnetz abgedeckt. Betreiber ist die HEAG mobilo, Besteller die DADINA, in der die Stadt und der Landkreis Darmstadt-Dieburg gemeinsam organisiert sind. Darmstadt gehört zum Tarifgebiet des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV). Die Straßenbahn Darmstadt wurde 1886 eröffnet und verbindet die Kernstadt mit den Stadtteilen Arheilgen und Kranichstein im Norden sowie Eberstadt im Süden und mit den Nachbargemeinden Griesheim im Westen sowie Seeheim-Jugenheim und Alsbach-Hähnlein im Süden. Innerstädtische Verbindungen bestehen darüber hinaus zum Hauptbahnhof, nach Bessungen, zum TU-Campus Lichtwiese und zum Böllenfalltor am südöstlichen Stadtrand. Das Streckennetz der Straßenbahn ist 43 Kilometer lang. Ergänzt wird es von einem Busnetz, das auch jene Gebiete anbindet, die nicht von der Straßenbahn oder Eisenbahnlinien erreicht werden, was insbesondere die Stadtteile im Osten, Nordwesten und Südwesten von Darmstadt betrifft sowie die Nachbargemeinden Weiterstadt im Nordwesten und Roßdorf sowie Groß-Zimmern im Osten. Bahnnetzerweiterungen in diese Gebiete werden diskutiert, jedoch bestehen dafür keine konkreten Planungen. Zentrale Knotenpunkte des ÖPNV-Netzes sind der Luisenplatz in der Stadtmitte und der Hauptbahnhof im Westen, daneben bestehen kleinere Busbahnhöfe in Arheilgen (Dreieichweg; nach Wixhausen und Langen), am Böllenfalltor (nach Mühltal und Ober-Ramstadt), in Eberstadt (Wartehalle; in Richtung Pfungstadt und westlicher Odenwald) und Griesheim (Platz Bar-le-Duc; nach Riedstadt). Zwischen 1944 und 1963 gab es in Darmstadt auch ein kleines Oberleitungsbusnetz mit Strecken vom Böllenfalltor nach Ober-Ramstadt (Linien N und O) und von Eberstadt nach Pfungstadt (Linie P). Fahrradverkehr Der Radverkehrsanteil in Darmstadt ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen, von etwa 15 % im Jahr 1999 auf etwa 22 % im Jahr 2018. Die Stadtverwaltung hat es sich zum Ziel gesetzt, den Anteil bis 2030 auf 30 % zu steigern. Im Zuge von Straßensanierungen wird versucht, für den Radverkehr attraktive Lösungen zu implementieren, etwa durch die Anlage breiter und gut markierter Fahrradspuren. Da solche Sanierungen jedoch nur im Abstand von mehreren Jahrzehnten durchgeführt werden, ist der Fortschritt entsprechend langsam bzw. punktuell und das Radwegenetz zeigt sich auch 2023 noch als lückenhaftes Wechselspiel gut ausgebauter Infrastruktur, auf die im nächsten Straßenzug die Abwesenheit jeglicher Radinfrastruktur folgt. Ziel der Stadtverwaltung ist es, die Strecken nach und nach zu vervollständigen. 2020 entstanden einige Pop-up-Radwege, etwa auf der Neckarstraße und der Zeughausstraße in der Innenstadt. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Verknüpfung von Fahrradverkehr und ÖPNV gelegt, so finden sich an vielen größeren Haltestellen in den äußeren Stadtteilen Fahrrad-Abstellanlagen. Am Hauptbahnhof gibt es eine Fahrradstation (Fahrrad-Parkhaus) mit 540 Plätzen. Im regionalen Radverkehr stellt sich die Situation ähnlich vielfältig wie im innerstädtischen Bereich dar. So gibt es in einige Nachbarorte gut nutzbare Radwegeverbindungen, etwa nach Griesheim/Riedstadt im Westen, Dieburg im Osten oder Mühltal im Südosten, während in andere Richtungen wie etwa nach Weiterstadt/Groß-Gerau keine sinnvolle Verbindung vorhanden ist. Zur Erleichterung der Orientierung im regionalen Radverkehr haben die südhessischen Kommunen einige Radverbindungen nummeriert, wobei durch Darmstadt die Routen 13 bis 24 verlaufen und in die benachbarten Gemeinden führen. Ein Pilotprojekt in diesem Bereich ist die Anlage eines Radschnellwegs von Frankfurt nach Darmstadt, der auch für Pendler attraktiv sein soll. Die Planungen für die 30 km lange Verbindung begannen 2013 und 2019 wurde ein erster Abschnitt zwischen Wixhausen und Egelsbach eröffnet. Die Fertigstellung der Gesamtstrecke ist 2023 nicht absehbar. Dem touristischen Radverkehr dienen der Radweg Bergstraße von Darmstadt nach Heidelberg, der Hessische Radfernweg R8 von Frankenberg (Eder) nach Heppenheim (Bergstraße), die Modau-Radroute und die Radroute Rund um Darmstadt, die etwa 60 km rings um die Stadt führt. Flugverkehr Der Flughafen Frankfurt Main befindet sich etwa 20 Kilometern nördlich von Darmstadt. Vom Hauptbahnhof zum Flughafen Frankfurt gibt es eine Busverbindung, den Airliner. Außerdem gibt es noch als Verkehrslandeplatz für kleinere Flugzeuge in rund 15 Kilometern Entfernung den Flugplatz Frankfurt-Egelsbach. Nördliche Stadtteile werden regelmäßig von startenden Flugzeugen überflogen. Persönlichkeiten Verschiedenes Darmstädter werden auch „Heiner“ genannt (daher auch der Name „Heinerfest“). Ebenso wird ein Bessunger „Lapping“ genannt; eine Verballhornung des französischen lapin, also Kaninchen. Ein Eberstädter (Bewohner von Eberstadt) ist ein „Gaasehenker“ (Ziegenhenker) und ein Arheilger (Bewohner von Arheilgen) ein „Mucker“ – abgeleitet von dem Verb „aufmucken“. Das Theaterspiel „Datterich“, eine Lokalposse von Ernst Elias Niebergall in Darmstädter Mundart, ist die Geschichte des „genialen Schnorrers“ Datterich, eines versoffenen entlassenen Finanzbeamten, und unbestritten das wichtigste Stück Darmstädter Lokalkultur. Das chemische Element Darmstadtium mit der Ordnungszahl 110 ist nach der Stadt benannt, da es im Darmstädter GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung entdeckt wurde. Darmstadt ist damit die einzige deutsche Stadt, nach der ein Element benannt wurde. Das dort zuvor entdeckte Hassium mit der Ordnungszahl 108 wurde nach dem Bundesland Hessen benannt. Das neue Wissenschafts- und Kongresszentrum (eröffnet im Dezember 2007) wurde nach dem Element ebenfalls „darmstadtium“ benannt. Ein Meteorit mit einem Gewicht von 100 g ist „vor 1804“ in Darmstadt niedergegangen (→Liste der Meteoriten Deutschlands); er erhielt den Namen „Darmstadt“. Von 1872 bis 1882 wurden in der Großherzoglich Hessischen Münze zu Darmstadt die Münzen des Kaiserreiches (1871–1918) mit dem Münzzeichen H geprägt. Die Darmstädter Münzprägeanstalt stand damals an der Stelle des heutigen Amtsgerichtsgebäudes am Mathildenplatz. Mit zumeist niedrigen Prägezahlen sind die seltenen Darmstädter Kaiserreich-Münzen bei Münzsammlern und Numismatikern sehr gefragt. Das Abendlied („Der Mond ist aufgegangen“) von Matthias Claudius soll möglicherweise 1776 in Darmstadt am Schnampelweg (in der Nähe des Botanischen Gartens) entstanden sein, dies ist aber nicht belegt. Die weltberühmte Stute Halla wurde 1945 auf dem Darmstädter Hofgut Oberfeld geboren und erhielt dort nach ihrer Karriere als Springpferd bis zu ihrem Tod 1979 das Gnadenbrot. Darmstadt ist eine der wenigen deutschen Großstädte ohne direkten Zugang zu einem Fluss. Seit Juli 2010 trägt der am 31. Oktober 2008 entdeckte Kleinplanet (241418) 2008 UX201 den offiziellen Namen Darmstadt. Die Darmstadt war das fünfte gebaute Dampfschiff der Städte-Klasse und wurde 1890 in Dienst gestellt. Die Alte Seegasse in Bessungen ist mit knapp 100 m die kürzeste Straße Darmstadts. Obwohl sie mitten in einem Wohnbezirk liegt, hat sie keine Anwohner. Literatur Heinz Biehn: Darmstadt. (= Deutsche Lande Deutsche Kunst). München/ Berlin 1970, . Erco von Dietze: Schillerverehrung und Schillerstiftung zu Darmstadt. In: Michael Krejci (Hrsg.): Deutsche Schillerstiftung von 1859 – Ehrungen, Berichte, Dokumentationen 1999. Kester-Haeusler-Stiftung, Fürstenfeldbruck 2000, . Roland Dotzert (Red.): Stadtlexikon Darmstadt. Hrsg. vom Historischen Verein für Hessen im Auftrag des Magistrats der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-8062-1930-3. Ingeborg Flagge: Darmstadt Starkenburg (FSB Architekturführer. Stadtführer zeitgenössischer Architektur). Verlag Das Beispiel, Darmstadt 2004, ISBN 3-935243-50-2. Karl-Eugen Schlapp (Hrsg.): Das große Buch vom Darmstädter Humor. 1978 und 1979, . Hessisches Städtebuch; Band IV 1. Teilband aus „Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte“ – Im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft der historischen Kommissionen und mit Unterstützung des Deutschen Städtetages, des Deutschen Städtebundes und des Deutschen Gemeindetages, hrsg. von Erich Keyser, Stuttgart 1957. Eberhard Jaekel: Chronik der Darmstädter kirchlichen Ereignisse. Ein Rückblick auf die letzten 90 Jahre Darmstädter Kirchengeschichte 1900–1989. Evangelischer Gemeinde- und Dekanatsverband Darmstadt, Darmstadt 1992, . Manfred Knodt: Das evangelische Darmstadt in Geschichte und Gegenwart: Zum 625jährigen Stadtjubiläum Darmstadts. Waitz, Darmstadt 1955, . Wolfgang Löckel: Darmstadt und seine Eisenbahnen. EK-Verlag, Freiburg 2014, ISBN 978-3-88255-232-4. Rainer Hoffschildt: Darmstadt unter dem Rosa Winkel. Materialien zur Geschichte der Emanzipation und Verfolgung homosexueller Männer in Darmstadt. Ergänzt um die Dokumentationen der Stolpersteine für Konrad Jakobi und Heinrich Orlemann, Hrsg.: Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e. V. Regionalgruppe Darmstadt, Darmstadt 2021, . Weblinks Webauftritt der Stadt Darmstadt Darmstadt auf stadtpanoramen.de Lexikon „Von Adelung bis Zwangsarbeit – Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt“ Einzelnachweise Kreisfreie Stadt in Hessen Gemeinde in Hessen Ort in Hessen Odenwald Bergstraße Ehemalige deutsche Landeshauptstadt Ehemaliger Residenzort in Hessen Träger des Europapreises Deutsche Universitätsstadt Kreisstadt in Hessen Wikipedia:Artikel mit Video Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden Ersterwähnung im 11. Jahrhundert Namensgeber für ein chemisches Element
1125
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher%20Tanzsportverband
Deutscher Tanzsportverband
Der Deutsche Tanzsportverband e. V. (DTV) betreut den Tanzsport in Deutschland. Er hat seinen Sitz in Frankfurt am Main. Geschichte Der Verband wurde im Jahr 1920 informell gegründet und rechtlich als Reichsverband für Tanzsport RfT am 4. November 1921 in das Vereinsregister in Berlin eingetragen. Seit dem Jahr 1965 repräsentiert der Verband als Spitzenfachverband im Deutschen Olympischen Sportbund (früher Deutschen Sportbund) die Sportart Tanzen, zudem ist er Mitglied des Tanzsport-Weltverbands World Dance Sport Federation (WDSF). Der Verband firmiert auch unter Tanzsport Deutschland. Präsidenten Struktur Der DTV ist ein Verband von Mitgliedsverbänden und Vereinen. Derzeit betreiben rund 200.000 Mitglieder in über 2.000 Vereinen des DTV ihren Sport. Angeschlossen an den DTV sind die 16 Landestanzsportverbände: Die Mitglieder des DTV-Präsidiums bilden gemeinsam mit den Präsidenten der Landestanzsportverbände den Länderrat. Zusätzlich finden sich unter dem Dach des DTV folgende Fachverbände mit besonderer Aufgabenstellung (mit eigener Sporthoheit): Das DTV-Präsidium, die Präsidenten der Landestanzsportverbände und die Präsidenten der Fachverbände mit besonderer Aufgabenstellung bilden den Verbandsrat. Das Fachorgan des DTV ist der monatlich erscheinende Tanzspiegel. Philatelistisches Mit dem Erstausgabetag 2. November 2021 gab die Deutsche Post AG ein Postwertzeichen im Nennwert von 80 Eurocent anlässlich des 100-jährigen Bestehens des DTV heraus. Der Entwurf stammt von der Grafikerin Katrin Stangl aus Köln. Siehe auch Deutsches Tanzsportabzeichen Breitensportwettbewerb (Tanzen) Weblinks Offizielle Website Deutscher Tanzsportverband Einzelnachweise Tanzsport (Deutschland) Sportverband (Frankfurt am Main) Tanzorganisation Tanzsport Gegründet 1921 Künstlerische Organisation (Deutschland)
1126
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher%20Sportbund
Deutscher Sportbund
Der Deutsche Sportbund (DSB) war die Dachorganisation der Landessportbünde und Sportfachverbände in Deutschland in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins (e. V.). Am 20. Mai 2006 ist der Deutsche Sportbund mit dem Nationalen Olympischen Komitee für Deutschland zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) verschmolzen. Geschichte Der DSB wurde am 10. Dezember 1950 in Hannover als erster demokratischer und den ganzen Sport umfassender Zusammenschluss in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) gegründet. Der Gründung war eine fast fünfjährige Diskussion vorausgegangen, in der die Interessen des Spitzen- und des Breitensports, des bürgerlichen und des Arbeitersports sowie von Turnen und vom Sport auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden mussten. Erster Präsident des DSB wurde Willi Daume (bürgerlicher Sport), seine Stellvertreter wurden Heinrich Hünecke (Arbeitersport) und Oscar Drees (Arbeitersport). Weitere Mitglieder des ersten Präsidiums waren Max Danz, Bernhard Baier, Gerhard Schlegel, Walter Wülfing, Paul Reinberg, Johannes Stoll, August Zeuner, Ottoheinz Ertl, Ludwig Wolker, Herbert Kunze, Heinz Lindner und Grete Nordhoff (1899–1976). Hauptgeschäftsführer (dann umbenannt in Generalsekretär) des DSB waren von 1954 bis 31. Dezember 1963 Guido von Mengden, von 1964 bis 1989 Karlheinz Gieseler und von 1990 bis 1994 Norbert Wolf. 1990 traten die meisten der im Deutschen Turn- und Sportbund der DDR vertretenen Sportverbände dem DSB bei. Mit 27 Millionen Mitgliedern war der DSB die größte Personenorganisation Deutschlands. Mitgliedsorganisationen des DSB waren die 16 Landessportbünde, 55 Spitzenverbände sowie elf Sportverbände mit besonderer Aufgabenstellung, sechs Verbände für Wissenschaft und Bildung und zwei Förderverbände. Sitz der Geschäftsstelle war in Frankfurt am Main. Präsidenten Willi Daume (1950–1970) Wilhelm Kregel (1970–1974) Willi Weyer (1974–1986) Hans Hansen (1986–1994) Manfred von Richthofen (1994–2006) Landessportbünde Folgende 16 Landessportbünde waren Mitglied des DSB: Landessportverband Baden-Württemberg Bayerischer Landes-Sportverband Landessportbund Berlin Landessportbund Brandenburg Landessportbund Bremen Hamburger Sportbund Landessportbund Hessen Landessportbund Mecklenburg-Vorpommern Landessportbund Niedersachsen Landessportbund Nordrhein-Westfalen Landessportbund Rheinland-Pfalz Landessportverband für das Saarland Landessportbund Sachsen Landessportbund Sachsen-Anhalt Landessportverband Schleswig-Holstein Landessportbund Thüringen Spitzenverbände Folgende Fachverbände waren Mitglied im Deutschen Sportbund: American Football Verband Deutschland Bob- und Schlittenverband für Deutschland Bund Deutscher Radfahrer Bundesverband Deutscher Gewichtheber Bundesverband Deutscher Kraftdreikämpfer Deutsche Billard-Union Deutsche Eislauf-Union Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft Deutsche Reiterliche Vereinigung Deutsche Taekwondo Union Deutsche Triathlon Union Deutscher Aero Club Deutscher Alpenverein Deutscher Athletenbund Deutscher Badminton-Verband Deutscher Baseball und Softball Verband Deutscher Basketball Bund Deutscher Behindertensportverband Deutscher Boccia-, Boule- und Pétanque-Verband Deutscher Boxsport-Verband Deutscher Curling-Verband Deutscher Eishockey-Bund Deutscher Eissport-Verband Deutscher Eisstock-Verband Deutscher Fechter-Bund Deutscher Fußball-Bund Deutscher Gehörlosen-Sportverband Deutscher Golf Verband Deutscher Handballbund Deutscher Hockey-Bund Deutscher Ju-Jutsu-Verband Deutscher Judo-Bund Deutscher Kanu-Verband Deutscher Karate Verband Deutscher Kegler- und Bowlingbund Deutscher Leichtathletik-Verband Deutscher Minigolfsport Verband Deutscher Motor Sport Bund Deutscher Motorsport Verband Deutscher Motoryachtverband Deutscher Rasenkraftsport- und Tauzieh-Verband Deutscher Ringer-Bund Deutscher Rollsport und Inline-Verband Deutscher Ruderverband Deutscher Rugby-Verband Deutscher Schachbund Deutscher Schwimm-Verband Deutscher Schützenbund Deutscher Segler-Verband Deutscher Skibob Verband Deutscher Skiverband Deutscher Sportakrobatik Bund Deutscher Squash und Rackets Verband Deutscher Tanzsportverband Deutscher Tennis Bund Deutscher Tischtennis-Bund Deutscher Turner-Bund Deutscher Verband für Modernen Fünfkampf Deutscher Volleyball-Verband Deutscher Wasserski-Verband Deutscher Angelfischerverband Verband Deutscher Sporttaucher Mitglieder mit besonderer Aufgabenstellung Allgemeiner Deutscher Hochschulsportverband Deutscher Aikido-Bund Deutscher Betriebssportverband Deutscher Verband für Freikörperkultur DJK-Sportverband Deutsches Polizeisportkuratorium Eichenkreuzsport im CVJM Deutschland Kneipp-Bund Makkabi Deutschland Rad- und Kraftfahrerbund „Solidarität“ Deutschland 1896 Verband Deutscher Eisenbahner-Sportvereine Deutsche Olympische Gesellschaft Trivia Das letzte Gründungsmitglied war Fredy Stober, der am 18. Dezember 2010 im Alter von 100 Jahren starb. Einzelnachweise Sportbund Ehemaliger Sportverband (Deutschland) Sportverband (Frankfurt am Main) Historische Organisation (Frankfurt am Main) Gegründet 1950 Aufgelöst 2006
1127
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche%20Mark
Deutsche Mark
Die Deutsche Mark (abgekürzt DM und im internationalen Bankenverkehr DEM, umgangssprachlich auch D-Mark oder kurz Mark, im englischsprachigen Raum meist Deutschmark) war von 1948 bis 1998 als Buchgeld, bis 2001 nur noch als Bargeld die offizielle Währung in der Bundesrepublik Deutschland und vor deren Gründung in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands und den westlichen Sektoren Berlins. Eine Deutsche Mark war unterteilt in einhundert Pfennig. Die Währung wurde in Münzen und Scheinen ausgegeben. Es gab vier Serien von Banknoten. Die Deutsche Mark wurde am 21. Juni 1948 in der Trizone und drei Tage später in den drei Westsektoren Berlins durch die Währungsreform 1948 als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt und löste die Reichsmark als gesetzliche Währungseinheit ab. Auch nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 blieb die Deutsche Mark die Währungseinheit in der Bundesrepublik einschließlich West-Berlin. Mit Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 löste sie die Mark der DDR ab. Die D-Mark blieb im wiedervereinigten Deutschland das gesetzliche Zahlungsmittel. Nach Errichtung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wurde die Deutsche Mark schließlich am 1. Januar 1999 als Buchgeld und am 1. Januar 2002 als Bargeld durch den Euro ersetzt. Bereits vorher war sie aber von 1949 bis 1973 durch das Bretton-Woods-System sowie ab 1972 durch den Europäischen Wechselkursverbund und das Europäische Währungssystem an andere Währungen gekoppelt und ihr Wechselkurs somit nie ganz frei. Am 31. Dezember 2021 waren nach Angaben der Deutschen Bundesbank noch DM-Banknoten im Nennwert von 5,75 Mrd. DM und Münzen im Wert von 6,6 Mrd. DM (Summe: 12,35 Mrd. DM) nicht umgetauscht. Das waren 5,0 % der Umlaufmenge des Jahres 2000 von 244,8 Mrd. DM. Benennung Die Bezeichnung „Deutsche Mark“ für die neue Währung der Trizone knüpfte an die traditionelle deutsche Währungseinheit Mark an. Sie wurde auf Vorschlag des amerikanischen Offiziers Edward A. Tenenbaum, der als Assistent des Finanzberaters von Militärgouverneur Lucius D. Clay fungierte, auf Konferenzen der Besatzungsmächte einstimmig akzeptiert. Tenenbaum, der einer polnisch-jüdischen Familie entstammte und 1942 in Yale über Nationalsozialismus und internationaler Kapitalismus promoviert hatte, war überdies einer der führenden theoretischen Köpfe und Vorbereiter der Währungsreform von 1948. Seine Bedeutung als „Vater der D-Mark“ ist in der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt und wurde erst relativ spät in den Geschichtswissenschaften gewürdigt, so zum Beispiel bei Wolfgang Benz, Hans-Ulrich Wehler und Werner Abelshauser. Bargeld Münzen Von 1948 bis 1950 hatte die Bank deutscher Länder das Münzausgaberecht inne. Daher trugen die ersten DM-Münzen die Umschrift „BANK DEUTSCHER LÄNDER“. Durch das Gesetz über die Ausprägung von Scheidemünzen vom 8. Juli 1950 ging dieses Recht auf den Bund über. Seitdem wurden alle DM-Münzen mit der Umschrift „BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND“ geprägt. Die Münzen wurden nach festgelegtem Prägeschlüssel in den vier bestehenden Münzprägeanstalten der Bundesrepublik hergestellt: Hamburg (Münzzeichen J), Karlsruhe (G), München (D) und Stuttgart (F). Kurz vor Einführung der Währungsunion am 1. Juli 1990 wurde auch in Berlin (Münzzeichen A) damit begonnen, D-Mark-Münzen zu prägen. Zuvor waren dort die Münzen für die Mark der DDR geprägt worden. Das Erscheinungsbild der Münzen blieb während der 53 Jahre, in denen die D-Mark herausgegeben wurde, weitgehend unverändert. Es gab zunächst Münzen zu 1, 2, 5 und 10 Pfennig, die aus einem Stahlkern bestanden und nur dünn mit Kupfer oder Messing plattiert waren, sowie Münzen aus einer Kupfer-Nickel-Legierung zu 50 Pfennig, 1 und 2 D-Mark. Die 2-Pfennig-Münze bestand bis 1967 aus einer 95-prozentigen Kupferlegierung. Die 5-DM-Münze bestand anfangs aus einer Silber-Kupfer-Legierung. Wegen häufiger Verwechselungen mit der 1-DM-Münze wurde das 2-DM-Stück 1958 durch eine etwas größere Münze mit dem Bildnis von Max Planck ersetzt. Da Automaten Schwierigkeiten hatten, diese Münze von manchen ausländischen Münzen, vor allem solchen mit niedrigerem Wert, zu unterscheiden, wurde das 2-DM-Stück in den 1970er Jahren erneut ausgetauscht und die bis zum Ende der D-Mark gültige „Politiker-Serie“ aus dem Dreischichtenwerkstoff Magnimat eingeführt. Aus Anlass der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 1972 und ab 1987 wurden 10-D-Mark-Gedenkmünzen ausgegeben. Auch bei der 5-DM-Münze wurden 1975 das Motiv und das Material geändert. Weil der Silberpreis so stark gestiegen war, dass der Materialwert der Münze den Nennwert zu übersteigen drohte, wurde auch die 5-Mark-Münze nun aus Magnimat gefertigt. Sämtliche DM-Münzen sind inzwischen „aufgerufen“, das heißt außer Kurs gesetzt, werden aber weiterhin (mit Ausnahme der 2-DM-Münze der ersten Ausgabe) von der Bundesbank in Euro umgetauscht. Banknoten Bei den Banknoten gab es vier offiziell herausgegebene Serien. Daneben ist die Existenz von zwei Ersatzserien bekannt, die im Bundesbankbunker Cochem gelagert waren, aber nie in den Verkehr gebracht wurden. Zusätzlich gab es noch Bundeskassenscheine, eine Ersatzbanknotenserie, die in Krisenzeiten die Münzen ersetzen sollte, aber ebenfalls nie ausgegeben wurde. Die Banknoten der ersten Serie (etwa sechs Milliarden Mark) wurden in den USA gedruckt und in der streng geheimgehaltenen Operation „Bird Dog“ über Bremerhaven nach Deutschland transportiert. Die Geldscheine trugen noch keinen Namen der ausgebenden Bank und enthielten keine Angaben über den Ausgabeort und das genaue Ausgabedatum. Diese optisch stark an den US-Dollar erinnernden Banknoten wurden dann mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 durch die Bank deutscher Länder unter der Hoheit der westlichen Alliierten herausgegeben. Vier Tage später wurde die Deutsche Mark in den West-Sektoren Berlins eingeführt, jedoch waren diese Banknoten mit einem Stempel und/oder einer Perforation „B“ gekennzeichnet. Die Nennwerte dieser Serie waren ½, 1, 2, 5, 10, 20, 50 und 100 Mark, wobei es zwei verschiedene Motive für die 20- und 50-Mark-Banknote gab. Da noch ein Mangel an Münzen herrschte, konnten bestimmte Reichsmarkmünzen zu einem Zehntel ihres Nennwerts vorübergehend weiterverwendet werden. Auf der zweiten Serie war nun der Name der ausgebenden Bank „Bank deutscher Länder“ gedruckt. Sie ersetzte nach und nach die erste Ausgabe. Zudem wurden drei Banknotenwerte von Max Bittrof gestaltet, bei denen Kopfporträts oder Gestalten der Mythologie die Banknote dominierten. Diese Serie bestand aus den Nominalen 5 und 10 Pfennig sowie 5, 10, 20, 50 und 100 Mark. Die dritte Banknotenserie wurde von 1961 bis Anfang der 1990er Jahre ausgegeben und zum 30. Juni 1995 außer Kurs gesetzt. Die Pläne für die neue Banknotenserie wurden bereits 1957 bei der Umwandlung der Bank deutscher Länder zur Deutschen Bundesbank gefasst, da die auf der Vorgängerserie gedruckte Angabe „Bank deutscher Länder“ nun nicht mehr korrekt war. Als erste Serie, die von der Bundesbank herausgegeben wurde, trägt sie die interne Bezeichnung „BBk I“. Aus einem Gestaltungswettbewerb ging der Schweizer Hermann Eidenbenz als Sieger hervor, jedoch waren Kopfbildnisse, Inschriften und Format der Banknoten von der Bundesbank vorher festgelegt worden. Diese Serie umfasste die Nominale 5, 10, 20, 50 und 100 Mark. Zudem wurden die Werte 500 und 1000 Mark neu eingeführt. 1981 beschloss der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank, eine neue Banknotenserie auszugeben. Sie war aufgrund des technischen Fortschritts notwendig geworden, durch den die Fälschung der alten Banknoten immer leichter wurde. Die neue Serie sollte für den automatischen Zahlungsverkehr besser geeignet sein. Fast zehn Jahre später, am 1. Oktober 1990, wurden die ersten beiden Banknotenwerte der von Reinhold Gerstetter entworfenen Serie in Umlauf gebracht, die durch den neuen 200-DM-Schein auf acht Nennwerte erweitert wurde. Die Banknoten trugen die interne Bezeichnung „BBk III“, da „BBk II“ bereits für die oben genannte Ersatzserie verwendet wurde. In den Jahren 1997 und 1998 wurden die Banknoten im Wert von 50, 100 und 200 Mark mit überarbeiteten Sicherheitsmerkmalen herausgegeben, da sie am häufigsten gefälscht wurden. Die auffälligsten Veränderungen sind dabei das Kinegramm auf der linken und der Perlglanzstreifen auf der rechten Seite der Vorderseite. Diese Banknoten erhielten die interne Serienbezeichnung „BBk IIIa“. Geschichte Einführung der Deutschen Mark Infolge des Zweiten Weltkriegs war das bisherige Zahlungsmittel, die Reichsmark (RM), zur weiteren Verwendung kaum noch geeignet, da keine volkswirtschaftliche Deckung mehr bestand und das Vertrauen in die Währung zerrüttet war. Neben der Reichsmark hatte sich in den Nachkriegsjahren eine „Zigarettenwährung“ etabliert, das heißt, viele Menschen bevorzugten einen direkten Warentausch. Da sich die Interessen der alliierten Besatzungsmächte bezüglich der weiteren Entwicklung ihrer Besatzungszonen zunehmend unterschieden, verfolgten die westlichen Besatzungsmächte (USA, Großbritannien und Frankreich) eigene Ziele, unter anderem die Einführung einer stabilen Währung, was durch eine Währungsreform geschehen sollte. Dieser Plan unterlag strengster Geheimhaltung; wesentliche Teile wurden im sogenannten „Währungskonklave“ erarbeitet. Dazu wurden im Haus Posen in Rothwesten (Fuldatal) vom 21. April bis 8. Juni 1948 elf deutsche Vertreter von Banken sowie Wirtschaftswissenschaftler versammelt und interniert, erarbeiteten dann mit vier Vertretern der Militärregierungen, unter der Leitung von Edward A. Tenenbaum, die vier Gesetze zur Neuordnung des Geldwesens, die die Einführung der neuen Währung regelten. Im März 1948 war diesen schon das Gesetz zur Errichtung der Bank deutscher Länder vorausgegangen. Die neue Währung war von Anfang an als reine Papierwährung geplant; eine Gold- oder Devisendeckung war nicht vorgesehen. Heute erinnert ein Museum in Rothwesten an diese Vorgänge. Die Bevölkerung wurde über die bevorstehende Einführung erstmals am 18. Juni 1948 – drei Tage vor der Einführung – durch eine Rundfunkmeldung informiert. Die entsprechenden Gesetze traten am 20. Juni 1948 in Kraft. Die Deutsche Mark wurde am Montag, dem 21. Juni 1948, in den westlichen Besatzungszonen, also in den Ländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Bayern eingeführt und war dort von da an alleiniges Zahlungsmittel. Die neue Währung wurde an den Ausgabestellen für die Lebensmittelmarken ausgegeben. Pro Person wurde nur ein so genanntes „Kopfgeld“ von 60 DM ausgezahlt; 40 DM sofort und weitere 20 DM zwei Monate später. Ferner erhielten Unternehmen auf Antrag bei ihrer Bank pro Angestellten einen so genannten „Geschäftsbetrag“ von 60 DM. Der „Geschäftsbetrag“ und das „Kopfgeld“ wurden später bei der Umstellung des Barvermögens angerechnet. Altes Reichsmark-Barvermögen musste zur Umstellung bis zum 26. Juni 1948 bei einer Hauptumtauschstelle abgeliefert und angemeldet werden. Dort wurde nach Genehmigung durch das Finanzamt das Gesamtgeld über ein „Reichsbank-Abwicklungskonto“ umgestellt. Bei den natürlichen Personen wurde vom Gesamtaltgeld zunächst der neunfache Kopfbetrag abgezogen. Der Rest wurde zu je 50 % auf ein Freikonto und 50 % auf ein Festkonto umgestellt. Kurze Zeit später wurde das Festkonto aufgelöst, indem 70 % seines Betrages vernichtet, 20 % auf das Freikonto und 10 % auf das Anlagekonto übertragen wurden. Dadurch sollte der Gefahr einer erneuten Inflation durch eine zu große Geldmenge vorgebeugt werden. Letztlich ergab sich so ein faktisches Umstellungsverhältnis von 10:0,65, das heißt, je 100 RM erhielt man 6,50 DM. Bei den Wirtschaftsunternehmen wurde vom Altgeld der zehnfache Geschäftsbetrag abgezogen und die Umstellung danach wie bei den natürlichen Personen vorgenommen. Die Altgeldguthaben der Banken sowie der öffentlichen Hand erloschen. Löhne und Gehälter, Mieten und Steuern und ähnliche wiederkehrende Zahlungen wurden mit dem Umstellungstag im Verhältnis 1:1 in DM fällig. Berlin In den drei Westsektoren von Berlin erfolgte die Einführung der neuen Währung mit einer Verzögerung von drei Tagen am 24. Juni 1948 und löste die sowjetische Berlin-Blockade aus. Alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel wurde die „Westmark“ hier erst am 20. März 1949. Für Grenzgänger zwischen Ost- und West-Berlin wurde eine Lohnausgleichskasse eingerichtet. Die in West-Berlin ausgegebenen Geldscheine wurden mit einem aufgedruckten oder perforierten B gekennzeichnet und werden von Sammlern aufgrund dessen geschätzt. Auswirkungen auf die Sowjetische Besatzungszone Die neue Währung verursachte in der Sowjetischen Besatzungszone (später DDR) eine Inflation, da die Reichsmark (RM) dort weiterhin gültiges Zahlungsmittel war. Als Notmaßnahme wurden am 23. Juni 1948 Reichsmarknoten im Wert von maximal 70 RM umgetauscht, die von den sowjetischen Behörden einfach mit Wertmarken, sogenannten „Kupons“, beklebt wurden, wenn der Besitzer der Geldscheine deren rechtmäßige Herkunft nachweisen konnte. Im Volksmund hießen die Geldscheine daher „Klebemark“ oder „Tapetenmark“. Kurz darauf wurde am 24. Juli in der Sowjetischen Besatzungszone eine neue Währung eingeführt, die ebenfalls „Deutsche Mark“ hieß. Diese blieb bis zum 31. Juli 1964 die Währung der DDR; ersetzt wurde sie durch die Mark der Deutschen Notenbank (MDN). Saarland Im Saarland (Saarprotektorat) wurde die Reichsmark bereits im Juni 1947 durch die Saar-Mark abgelöst; noch im selben Jahr erfolgte die Umstellung auf den Saar-Franken. Nach dem Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1957 dauerte es noch bis zum Ablauf der Währungsvereinbarungen mit Frankreich am 7. Juli 1959, bis die D-Mark die offizielle Währung wurde. Die Deutsche Mark unter der Bank deutscher Länder Die Bank deutscher Länder, die in Vorbereitung der Währungsreform gegründet wurde, hatte die Aufgabe, die Währungspolitik der amerikanischen und britischen, später auch der französischen Zone umzusetzen. Außerdem war sie befugt, Banknoten und Münzen herauszugeben. Das Münzrecht wurde nach der Gründung der Bundesrepublik an den Bund abgegeben. Die Unabhängigkeit erreichte sie 1951; zuvor war sie an Weisungen der Alliierten gebunden. Gleichzeitig mit der Währungsreform hob Ludwig Erhard, zu diesem Zeitpunkt gewählter Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, die bislang bestehende Preisbindung fast vollständig auf. Dies ermöglichte eine nahezu freie Marktwirtschaft, in der Angebot und Nachfrage den Preis bestimmten, und führte zu einer starken Inflation. So hatte die Deutsche Mark nach einem halben Jahr schon 11 % ihres Wertes verloren. In den westlichen Besatzungszonen hatte die neue Währung erhebliche Preissteigerungen zur Folge, was einen Generalstreik am 12. November 1948 verursachte. An diesem bisher einzigen Generalstreik in der deutschen Nachkriegsgeschichte nahmen ungefähr 9 Millionen Menschen teil. Als im Juni 1950 der Koreakrieg ausbrach, verlagerten amerikanische Industrieunternehmen ihre Produktion auf Rüstungsgüter. Die aufstrebenden Firmen der jungen Bundesrepublik nutzten das Angebotsminus und konnten ihre Produkte auf dem Weltmarkt anbieten. Der von den Alliierten festgelegte Kurs von 4,20 DM je US-Dollar sorgte für hohe Gewinne der deutschen Unternehmen und für einen hohen Exportüberschuss. Vom 1. April 1954 an war es Devisenausländern gestattet, „beschränkt konvertierbare“ Konten in DM (der sogenannten Beko-Mark) zu eröffnen, auf die Deviseninländer Bareinzahlungen vornehmen durften. Die Konten wurden unverzinslich geführt und konnten zu Zahlungen in Drittländern verwendet werden. Bis zu 1500 DM pro Jahr durfte jeder Bundesbürger in ausländische Währungen umtauschen; somit wurden Urlaubsreisen im Ausland bezahlbar. Zum 15. Oktober 1956 wurden auf deutscher Seite alle Beschränkungen hinsichtlich der grenzüberschreitenden Mitnahme von Banknoten und Münzen in Deutscher Mark aufgehoben. Die Deutsche Mark unter der Deutschen Bundesbank Mit der Gründung der Deutschen Bundesbank im Jahr 1957 wurde die Deutsche Mark von ihr herausgegeben. Sie hatte nach dem Bundesbankgesetz die Hoheit über die Banknoten und die Festlegung der Umlaufmenge (das Notenprivileg). Neben der offiziellen Ausgabe hielt die Deutsche Bundesbank von 1960 bis 1988 mit den Bundeskassenscheinen und einer Ersatzbanknoten-Serie ein geheimes Ersatzgeld für Krisenzeiten bereit (siehe Ersatzserie). Seit dem 30. Juni 1958 waren die Deutsche Mark und die Guthaben der Beko-Konten frei konvertierbar. Wiedervereinigung Im Zuge der Währungsunion mit der DDR wurde die D-Mark am 1. Juli 1990 in der DDR eingeführt. Dies war für die Bürger im Osten wohl eine der größten Umstellungen während des Prozesses der Wiedervereinigung, da die D-Mark in der DDR ein Symbol für das Wirtschaftswunder und den Wohlstand in der Bundesrepublik war. Gleichzeitig wurde damit nicht nur eine wesentliche Forderung der DDR-Bürger erfüllt (während der Demonstrationen wurde skandiert: „Kommt die D-Mark, bleiben wir; kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr.“), sondern auch die massenhafte Übersiedlung aus der DDR in die Alt-Bundesrepublik deutlich verlangsamt, was in Anbetracht der Eingliederungsmöglichkeiten sowohl bezüglich Arbeitsplätzen als auch Wohnraum politisch dringend erforderlich war. Diese politische Notwendigkeit erklärt den Umtauschkurs von DDR-Mark zu D-Mark. Er variierte für DDR-Bürger je nach Alter: Personen ab 60 Jahren durften bis zu 6000, unter 60 Jahren bis zu 4000, Kinder unter 14 Jahren bis zu 2000 „Ost-Mark“ jeweils im Verhältnis 1:1 umtauschen. Löhne, Gehälter, Stipendien, Renten, Mieten und Pachten sowie weitere wiederkehrende Zahlungen wurden zu diesem Kurs umgestellt. Für über den angegebenen Obergrenzen liegende Guthaben sowie Schulden erfolgte eine Umstellung im Verhältnis 2:1. Für Nicht-DDR-Bürger galt einheitlich ein Wechselkurs von 3:1. Bei der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurde aus innenpolitischen Gründen der Fehler gemacht, einen viel zu hohen Umtauschkurs der Ostmark zur D-Mark festzusetzen. Die Umstellung der Bestandsgrößen (Bargeld, Forderungen und Verbindlichkeiten) führte zu einer Geldmenge in der DDR, die um 50 % über den Empfehlungen der Bundesbank lag. Hieraus ergab sich aber kein inflatorischer Impuls, weil der größte Teil gespart wurde und sich somit nicht auf die Preise auswirkte. Die Umstellung führte jedoch zu einer Aufblähung der Bilanzen, insbesondere der Verbindlichkeiten. In der DDR war es üblich gewesen, Anlagevermögen zu überhöhten Werten anzuschaffen und dabei überhöhte Verbindlichkeiten einzugehen. Dadurch waren die DDR-Bilanzen dramatisch aufgebläht. Nach Umstellung auf DM-Bilanzen waren fast alle ostdeutschen Betriebe überschuldet, weil das Anlagevermögen auf realistische Werte abgeschrieben werden musste, die Verbindlichkeiten aber mit dem Nennwert bestehen blieben. Die Umstellung der volkswirtschaftlichen Stromgrößen und insbesondere der Löhne im Verhältnis 1:1 bereitete Probleme, weil sie die Lohnstückkosten auf ein Niveau erhöhte, das dasjenige bei Konkurrenzunternehmen im Ausland und den alten Bundesländern deutlich übertraf. Diese Faktoren beseitigten die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit der meisten ostdeutschen Unternehmen. Deutlich wird dies am Wechselkurs auf dem grauen Markt (einen offiziellen Wechselkurs gab es nicht, dennoch handelten Wechselstuben und Banken mit der Ostmark), der vor der Maueröffnung bei 10:1 (Ost- zu Westmark) gelegen hatte. Nach dem Ansturm in den ersten Wochen sackte er aber auf 20:1 ab, um sich dann im Bereich 7:1 bis 6:1 zu etablieren, was wohl dem wirtschaftlich korrekten Wert entsprochen haben dürfte. Nach Bekanntgabe der Konditionen der Währungsumstellung stieg der Kurs auf 3:1. Mit Auslaufen der Transferrubel-Verrechnung am 31. Dezember 1990 brach der ostdeutsche Export schlagartig zusammen. Die Deutsche Mark nach der Einführung des Euro Durch die Errichtung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und die Einführung des Euro am 1. Januar 1999 wurde die D-Mark als eigenständige Währungseinheit abgelöst. Sie war danach ein festgesetzter Bruchteil (1/1,95583) der neuen Währungseinheit Euro. Die DM-Münzen und -Banknoten waren noch bis einschließlich 31. Dezember 2001 gesetzliches Zahlungsmittel. Seither können sie bei der Bundesbank und ihren Niederlassungen zeitlich unbegrenzt und gebührenfrei in Euro umgetauscht werden. Von großen Teilen des Handels und Banken wurde das alte Zahlungsmittel nach Einführung des Euro-Bargelds im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung noch bis zum 28. Februar 2002 angenommen. Einzelne Geschäfte boten Jahre nach der Euro-Einführung noch gelegentlich die Möglichkeit, Waren mit DM zu bezahlen. Eine Besonderheit stellte die Kontoführung dar. Wurden die Kurse von Aktien und ähnlichen Wertpapieren bereits ab 2. Januar 1999 in Euro notiert (Anleihen lauten auf „Prozent“ und sind bei der Kursnotation daher nicht betroffen), so boten die meisten Geldinstitute ihren Kunden die Wahl an, das Konto entweder weiterhin in DM zu führen oder schon auf Euro umzustellen (letzteres nutzten nur wenige). Die Umstellung aller noch in DM geführten Konten erfolgte dann mit Wirkung zum 31. Dezember 2001, teilweise etwas früher: Einige Geldinstitute stellten zur Vermeidung der Überlappung mit dem Jahresendgeschäft (Zinsberechnung) im Laufe des letzten Quartals 2001 die bei ihnen geführten Konten durchgängig auf Euro um. In einigen Bereichen gibt es die DM weiterhin – nicht nur in Form von Bargeld-Restbeständen. Telefonzellen akzeptieren noch Münzen der früheren Währung zum Kurs 2:1. Ferner sind sämtliche vor 1999 ausgegebenen Anleihen nicht umgestellt worden, sondern werden bei Kauf, Verkauf, Zinszahlung und Tilgung weiterhin in DM berechnet und erhalten erst nach Umrechnung mit dem amtlichen Kurs den heutigen Wert in Euro. Bei Kapitalgesellschaften können die Anteile nach wie vor auf DM lauten, obwohl die meisten Gesellschaften hier auf Euro oder Stück umgestellt haben. Grundpfandrechte, die vor der Euro-Einführung bestellt wurden, lauten bis zu ihrer Löschung weiterhin auf DM. Wechselkurs und Geldwert Außenwert der Deutschen Mark Die Wechselkurse von der DM zum US-Dollar und zu anderen Währungen wurden bis etwa 1971 im Rahmen des Bretton-Woods-Systems festgelegt. In dieser Zeit wurde die Mark gesteuert allmählich aufgewertet. Später erreichte sie ihren historischen Höchststand zum US-Dollar am 19. April 1995, als 1 US-Dollar nur noch 1,3620 DM wert war (umgerechnet 1 € = 1,4360 $). Ihren Tiefststand zum Dollar hatte die D-Mark vom 3. bis zum 9. April 1956, als 1 US-Dollar 4,2161 DM kostete (umgerechnet 1 € = 0,4639 $). Auch gegenüber dem Britischen Pfund gewann die D-Mark deutlich an Wert. Wurde das Pfund am 1. März 1955 noch für 11,881 DM gehandelt, so wurden am 17. November 1995 nur noch 2,1845 DM für 1 Pfund gezahlt. Anders hingegen die Situation beim Schweizer Franken und dem Japanischen Yen: Lange Zeit war eine D-Mark mehr wert als ein Schweizer Franken; den Höchstwert erreichte die Mark am 31. Oktober 1973, als für 100 Schweizer Franken lediglich 79 DM gezahlt wurden. Am 16. Dezember 1975 fiel der Wert einer D-Mark erstmals unter den des Schweizer Frankens. Nach einer kurzen Erholung der Mark sackte diese im zweiten Halbjahr 1977 erneut ab und notierte am 17. Oktober 1977 zuletzt höher als der Schweizer Franken (100 CHF = 99,97 DM). Schon kurze Zeit später, am 26. September 1978, notierte der Schweizer Franken bei 132,70 DM für 100 CHF, dem historischen Höchststand gegenüber der D-Mark. Zum Vergleich: am 9. August 2011 erreichte der Schweizer Franken mit 1,0070 fast die Parität zum Euro. In D-Mark umgerechnet, entspräche das einem Kurs von 194,22 DM für 100 Schweizer Franken. Nachdem die Kursbindung zwischen US-Dollar und Japanischem Yen aufgehoben wurde, blieb das Kursverhältnis zwischen DM und Yen ein paar Jahre bei ungefähr 100 Yen zu 1 DM. Im Jahr 1974 setzte die DM jedoch zum Höhenflug an und erreichte am 3. Dezember 1979 den Höchststand bei 100 YEN = 0,6875 DM. Danach ging es stetig bergab. Der Tiefststand zum Yen wurde am 10. April 1995 bei 100 YEN = 1,6909 DM erreicht. Auswirkung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit Die im Wesentlichen in den Vereinigten Staaten geplante Währungsreform von 1948 hatte zu einer künstlichen Unterbewertung der D-Mark geführt, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit der jungen Bundesrepublik steigerte. Das Bundesbankgesetz von 1957 gab der Deutschen Bundesbank zwar Preisniveaustabilität als wichtigstes Ziel vor; allerdings führte die Teilnahme am Bretton-Woods-System von 1949 bis 1973 dazu, dass die Deutsche Bundesbank häufig zur Stützung der darin vereinbarten festen Wechselkurse Devisenankäufe tätigen musste, was die Geldmenge erhöhte, gleichzeitig aber zu einer Stabilisierung der Unterbewertung der DM und damit zu günstigen Exportbedingungen für Deutschland führte. So trug die chronische Unterbewertung der D-Mark bis 1973 etwa stark zum Aufstieg der deutschen Automobilindustrie bei. Nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems Anfang der 1970er Jahre wurde weltweit grundsätzlich ein Regime flexibler Wechselkurse eingeführt. Es kam zu starken Aufwertungstendenzen der DM und somit zu einer Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Dabei zeigte sich, dass die Kostenvorteile durch die im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche Lohnentwicklung in Deutschland durch die Wechselkursaufwertungen der DM aufgezehrt wurden. Die deutschen Hersteller antworteten darauf mit einer Erhöhung der Qualität; dennoch verringerte sich das Wachstum. Ökonomen sehen eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nach der Deutschen Wiedervereinigung, da sich die Deutsche Bundesbank aufgrund vermuteten Inflationsdrucks und steigender Staatsverschuldung zu einer restriktiven Geldpolitik veranlasst sah, was den Wechselkurs der DM steigen ließ. Um das Preisniveau zu korrigieren, sei eine innere Abwertung insbesondere durch Reallohnverluste erforderlich gewesen. Insgesamt kann man sagen, dass die Auf- und Abwertungen der DM mit einem time lag von etwa einem Jahr zu einer Verringerung oder Erhöhung der deutschen Exporte führten. 1972 trat Deutschland anstelle des Bretton-Woods-Systems dem Europäischen Wechselkursverbund bei, der die Kursschwankungen innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf ±2,25 % begrenzte. 1979 wurde dieser durch das Europäische Währungssystem ersetzt. Geldwert Die DM hatte einen Ruf als „harte“ Währung. Dieser begründet sich aus Vergleichen des „verbliebenen Geldwerts“ der DM mit anderen Währungen. Das beschreibt eine Statistik, die im Jahr 1977 die Binnenkaufkraft gegenüber 1950 in folgenden Ländern verglich (nebenstehende Tabelle): Danach hatte sich zwar der Geldwert der D-Mark – um mehr als die Hälfte – verringert; dies war jedoch weniger als bei wichtigen Referenzwährungen. In den rund 50 Jahren von ihrer Einführung 1948 bis zur Einführung des Euro Anfang 1999 sank der Geldwert der D-Mark auf etwa ein Viertel. Die Inflationsrate betrug in diesem Zeitraum durchschnittlich knapp drei Prozent pro Jahr; das ist höher als bisher (Stand 2012) beim als eher „weich“ empfundenen Euro. Bedeutung der Deutschen Mark In anderen Staaten Bereits in den 1960er Jahren etablierte sich die D-Mark in den Ländern des Balkans als Parallelwährung. Gastarbeiter aus dem damaligen Jugoslawien brachten das Geld zurück in ihre alte Heimat. Nach dem Ausbruch der gewaltsamen Konflikte in dieser Region verlor der Jugoslawische Dinar stark an Wert. War nach der Währungsreform im Jahr 1994 ein Dinar genau eine Mark wert, lag der offizielle Kurs 1999 schon bei 6:1 (auf dem Schwarzmarkt und in den Wechselstuben wurden zwischen 10 und 16 Dinar für eine D-Mark gezahlt). In Bosnien und Herzegowina war die D-Mark eine Parallelwährung, die gleichzeitig mit der 1:1 gekoppelten lokalen Währung, der Konvertiblen Mark, zirkulierte. Auch Montenegro führte am 2. November 1999 die D-Mark als Parallelwährung ein. Nur ein Jahr später, am 13. November 2000, wurde die D-Mark sogar zur alleinigen Währung des Landes erklärt. Im Kosovo war die D-Mark zeitweise als offizielle Währung im Umlauf. Im Jahr 1997 wurde der Bulgarische Lew zum Kurs von 1:1 an die D-Mark gekoppelt. In anderen europäischen Ländern, wie Polen, Tschechien, Serbien und Kroatien, sogar in der Türkei wurde die D-Mark als stabile Währung angesehen und von der Bevölkerung gehortet. Gerne wurde dazu der 1000-D-Mark-Schein verwendet. In der DDR wurde die D-Mark als inoffizielle Parallelwährung genutzt. Mit „blauen Fliesen“ konnte in Kleinanzeigen angedeutet werden, dass man bereit war, mit den blauen 100-D-Mark-Scheinen oder allgemein mit Westgeld zu zahlen. Die D-Mark galt neben dem Schweizer Franken als stabilste Währung in Europa. Die durchschnittliche Inflationsrate zwischen 1970 und 1980 lag in der Schweiz bei nur 3,39 % (Deutschland: 5,1 %). In Frankreich und Großbritannien lag die durchschnittliche Inflationsrate im selben Zeitraum bei 14,2 % bzw. 8,08 %. Die zunehmende Funktion als Reservewährung zeigt folgende Grafik: Deshalb war die DM lange Zeit inoffizielle Leitwährung in vielen Ländern, vor allem innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. In Deutschland nach der Euro-Einführung Umrechnungswährung Nach der Euro-Einführung dient die D-Mark den Deutschen vor allem als Vergleichswährung zum Einschätzen von Preisen. Allerdings kann das einen falschen Eindruck von den Preisen vermitteln, da die meisten Menschen dabei die Inflation nicht berücksichtigen und die Preise mit denen von 2001 vergleichen. Dem kommt entgegen, dass die Deutschen mit einem Umrechnungskurs von 1 € = 1,95583 DM, also annähernd 1 € ≈ 2 DM (mit einem Fehler von 2,2 %), einen bei überschlägiger Rechnung sehr leichten Umrechnungskurs haben – ähnlich wie die Portugiesen (1 € = 200,482 Escudos, so dass bei der Näherungsannahme 1 € ≈ 200 Escudos der Fehler sogar nur 0,2 % beträgt) – zum Vergleich: 1 € = 13,7603 österreichische Schilling = 6,55957 französische Francs = 2,20371 niederländische Gulden. Eine im November 2004 veröffentlichte TNS-Emnid-Studie kam zu dem Ergebnis, dass 66 % aller Bürger in der Bundesrepublik die Euro-Beträge noch in D-Mark umrechneten. Bei den Männern waren es 54 %, bei den Frauen 74 %. Bezogen auf das Alter rechneten jüngere Leute im Jahre 2004 noch zu 41 % in D-Mark um, die über 50-Jährigen zu 71 %. Wahrnehmung der Deutschen Mark als stärkeres Geld als der Euro Die Deutsche Mark wird von vielen Deutschen im Vergleich zum Euro nach wie vor als „stärkere“ Währung angesehen. Dies hängt damit zusammen, dass die Mark als Symbol für das Wirtschaftswunder in Deutschland steht. Diese Einstellung hat den Begriff „Teuro“ entstehen lassen. In diesem Zusammenhang wird häufig angeführt, dass viele Waren mittlerweile in Euro einen ähnlich hohen Betrag kosten wie seinerzeit in D-Mark. Dies liegt daran, dass die jährliche Teuerungsrate nicht einbezogen wird. Tatsächlich war dieser Effekt auch zu DM-Zeiten zu beobachten; jedoch gab es keinen Fixpunkt durch ein Basisjahr. Dennoch sehen laut einer Umfrage des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) aus dem Jahr 2008 etwa die Hälfte der Befragten (53 %) die Einführung des Euro als Hauptgrund für die Preissteigerungen der letzten Jahre. Tatsächlich gab es unmittelbar nach der Euro-Einführung in vielen für den Verbraucher alltäglichen Sparten drastische Preissteigerungen: So verteuerten sich etwa Bienenhonig von 2001 bis 2003 um 39 %, Eier um 15 % und Kinobesuche um 8 %. Preise, mit denen man im Alltag seltener direkt zu tun hat, veränderten sich nicht oder sanken sogar. Die Wohnungsmieten oder Versicherungsbeiträge etwa (die in der Berechnung der Inflationsrate zudem eine höhere Gewichtung haben) haben sich nach der Euro-Einführung kaum verändert; sinkende Preise gab es beim Gas (−2,7 %), Heizöl (−16 %) und Telefonieren (−1,6 %). Dinge, die man seltener kauft, wurden häufig günstiger, wie Computer, die etwa 17 % billiger wurden. Durch die unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Faktoren (siehe Warenkorb) und die gegenläufige Entwicklung der Preise in verschiedenen Bereichen ist die gesamte Inflationsrate mit durchschnittlich unter 2 % seit der Währungsunion relativ gering; der Euro gehört somit zu den stabilsten Währungen und ist der D-Mark in dieser Hinsicht überlegen. Aus nebenstehendem Diagramm lässt sich außerdem entnehmen, dass es unmittelbar nach der Einführung des Euro keinen Zuwachs der Verteuerungsrate gab; eher das Gegenteil ist der Fall. Dennoch wünschen sich 34 % der Befragten oben erwähnter Umfrage eine Abschaffung des Euro und eine Wiedereinführung der D-Mark. Im Zuge der Eurokrise ist in Deutschland eine wachsende Skepsis gegenüber der gemeinsamen Währung zu verzeichnen; in verschiedenen Medien wird diskutiert, ob eine Rückkehr zur Deutschen Mark möglich oder sinnvoll sei. Nach einer Umfrage von Infratest dimap aus dem Dezember 2010 sind über die Hälfte der Befragten der Auffassung, dass Deutschland die Deutsche Mark besser behalten hätte, anstatt den Euro einzuführen. Allerdings ist eine Abschaffung des Euro eher unwahrscheinlich, da damit ein Austritt Deutschlands aus der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) verbunden wäre und die mit dem Euro eingetretene Wechselkurssicherheit aufgehoben würde, was nach Meinung einiger Ökonomen negative Folgen für die Wirtschaft haben würde. Neue Deutsche Mark Seit der Finanzkrise 2007, vermehrt dann im Zuge des Euro-Rettungsschirms, wird die Wiedereinführung der D-Mark als so genannte Neue D-Mark (NDM, auch DM 2.0, DM II) von Teilen der Öffentlichkeit in Deutschland diskutiert. Im Jahr 2011 kam es zu Gerüchten, dass die Bundesbank heimlich neue DM-Banknoten drucke. Als Belege dieser Theorie werden etwa Aussagen von angeblichen Deutsche-Bank-Mitarbeitern in Foren angeführt, die von bereits gedruckten NDM berichteten. Siehe auch Deutsche Währungsgeschichte Bargeld der Deutschen Mark Literatur Erik Hahn, Marcus Reif: Sie lebt noch, stirbt nicht – Die D-Mark ist noch immer als Gegenleistung geeignet. JURA 2008, S. 569–573. Jens Peter Paul: Zwangsumtausch. Wie Kohl und Lafontaine die D-Mark abschafften, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-631-57658-8. Holger Rosenberg: Die deutschen Banknoten ab 1871. ISBN 3-924861-73-0. („Rosenberg-Katalog“, Standardwerk für Sammler deutscher Banknoten, alle Banknoten abgebildet, einschließlich Probedrucke und nicht ausgegebenem Militärgeld der DDR). Bundeswirtschaftsministerium: Zehn Jahre Deutsche Mark – Berichte, Reden, Kommentare, Bonn 1958, . Nur 500 Exemplare gedruckt. Helmut Kahnt et al.: Die Geschichte der Deutschen Mark in Ost und West. Gietl, Regenstauf 2003, ISBN 3-924861-68-4. Chronik von den 1940er Jahren bis zur Euro-Bargeldeinführung, volkswirtschaftliche und währungspolitische Aspekte, Details zur Produktion der Münzen und Banknoten. Weblinks Bildarchiv deutscher Zahlungsmittel auf den Seiten der Bundesbank Die deutsche Währungsgeschichte auf einer privaten Internetseite Ausführlicher Katalog der DM-Münzen bei Münztreff.de Euro–DM Währungsrechner, der die Inflationsrate berücksichtigt bei altersvorsorge und inflation.de Einzelnachweise Historische Währungseinheit (Deutschland) Deutsche Münze Deutsche Bundesbank Wirtschaft (deutsche Nachkriegszeit) Nationales Symbol (Deutschland)
1128
https://de.wikipedia.org/wiki/Discounter
Discounter
Als Discounter (von ‚Preisnachlass‘, ‚Rabatt‘), in Österreich auch Diskonter, bezeichnet man Unternehmen des Einzelhandels, die sich durch günstige Verkaufspreise, Selbstbedienung und reduziertes Warensortiment auszeichnen. Mit dem Begriff Discounter sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass gleichsam ein Rabatt – insbesondere unter Umgehung der in der Bundesrepublik Deutschland bis 1974 üblichen Preisbindung auf Markenartikel – in den Verkaufspreis eingerechnet wird, statt ihn – wie früher üblich – nur Stammkunden oder über Rabattmarken zu gewähren. Im Verlaufe des „Siegeszugs von Selbstbedienung und Discounting“ beruhte die erfolgreiche Niedrigpreispolitik der Discounter, vor allem im Lebensmitteleinzelhandel, jedoch immer mehr auf Eigenmarken und auf dem Finanzierungsvorteil, der aus einem über 52-maligen Lagerumschlag (Lagerumschlagshäufigkeit) des gesamten Sortiments pro Jahr resultiert. Bei den Energieversorgungsunternehmen hat sich der Name Energiediscounter für vergleichsweise günstige Anbieter etabliert, ebenso gibt es so genannte Mobilfunkdiscounter. Merkmale Im Gegensatz zum traditionellen Einzelhandel beschränken sich Discounter auf Schnelldreher und erheblich weniger Alternativprodukte innerhalb einer Warengruppe. So sinken die Kosten der Lagerhaltung und der Sortimentspflege. Zudem entfallen Rohertragseinbußen durch schlecht verkäufliche Artikel. Unterschieden wird zwischen einem normalen Discounter und einem Harddiscounter. Letzterer Geschäftstyp zeichnet sich durch besonders starke Einschränkungen bezüglich Warensortiment (weniger als 1.500 Produkte im Sortiment) und Verkaufsfläche (max. 1.000 m²) aus. Discountmärkte, insbesondere die Harddiscounter, verzichteten in der Vergangenheit weitgehend auf Herstellermarken zugunsten von eigenen Handelsmarken. Um neue Käuferkreise zu erschließen, nehmen jedoch auch die Harddiscounter mehr und mehr Herstellermarken („Markenartikel“) in das Sortiment auf. Sie zielen damit auf preissensible aber doch „markenbewusste“ Kunden. Ähnliches zeigt sich bei der Gestaltung der Verkaufsflächen, wo lange Zeit im Bereich der Harddiscounter eine rein pragmatische Warenpräsentation in Kartons und auf Europaletten dominierte, mittlerweile findet sich auch dort eine aufwändigere Gestaltung der Verkaufsräume. Jüngere Entwicklung Im Gefolge der rasanten Discount-Entwicklung im Lebensmitteleinzelhandel, die dort auch eine Ausweitung sowohl des Sortiments als auch der Verkaufsflächen gestattete, wurde die Discount-Idee auch in anderen Branchen aufgegriffen (z. B. Möbel-Discount, Foto-Discount, Schuh-Discount), wobei ihre Abgrenzung von der eigenständigen Betriebsform des Fachmarkts durch die hier geleistete persönliche Beratung bestimmt wird. Wie andere stationäre Einzelhändler, nutzen inzwischen auch die meisten Lebensmittel-Discounter das Internet, um Artikel zu präsentieren und darüber zu informieren. Vor allem Elektroartikel, Kleinmöbel, Kinderkleidung und Spielsachen (Non-Food-Artikel) können in den Online-Shops sehr gut abgesetzt werden. Nur wenige bieten auch Lebensmittel online zum Kauf an. Um mit dem wachsenden Druck der Supermärkte mitzuhalten, passten verschiedene Discounter, allen voran Aldi und Lidl, Sortimente und Erscheinungsbilder der Märkte an. So nahm Aldi mehr Markenartikel ins Sortiment auf, beide genannten Discounter erneuerten Filialen und glichen das Erscheinungsbild an Supermärkte an. Discounter international Deutschland Discounter In Deutschland tätige Discounter sind Aldi (unterteilt in Aldi Süd und Aldi Nord), KiK (zu Tengelmann gehörend), Lidl (Schwarz-Gruppe), Netto Marken-Discount (Edeka), Netto Supermarkt (Salling Group), NKD, Norma, NP-Markt (Edeka), Penny (Rewe Group), Takko und TEDi sowie KODi. Der nach Umsatz größte Discounter in Deutschland war 2007 Aldi mit etwa 27 Milliarden Euro und 4.200 Filialen. Die 2.900 zur Schwarz-Gruppe gehörenden Lidl-Märkte setzten circa 13,3 Milliarden Euro um. Die Plus Warenhandelsgesellschaft erwirtschaftete einen Umsatz von 6,7 Milliarden Euro in 2.900 Filialen; Netto Marken-Discount 3,7 Milliarden Euro in 1.200 Filialen. Beide Unternehmen gaben Ende 2007 bekannt, zukünftig zusammen aufzutreten. Durch die darauf folgende Fusion wurde der drittgrößte Discounter gebildet. Der zur Rewe Group gehörende Discounter Penny erwirtschaftete 2008 einen Umsatz von 9,5 Milliarden Euro in etwa 3.200 Filialen. Norma mit seinen 1.200 Filialen setzte etwa 3,1 Milliarden Euro um. Entwicklung Als Vorboten des Discounthandels sind die Ende der 1950er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland wiederauflebenden Erscheinungsformen des Beziehungs-, Betriebs- und Belegschaftshandels anzusehen. Diesmal entstanden solche Schattenformen des (Lebensmittel-)Einzelhandels nicht aus einer Warenknappheit heraus, sondern um die damalige rigide Preisbindung für fast alle Markenwaren zu unterlaufen. Als „Preisbrecher“ auftretende Existenzen, die solche (zum Teil gesetzeswidrige) Geschäfte betrieben, siedelten ihre kleinen Betriebe nicht selten in Hinterhöfen und Garagen an. Ihre Bedeutung war anfänglich gering. Jedoch war die erste Discountwelle „ein Symptom für ein sich abzeichnendes höheres Preisbewusstsein“. Die ersten nachhaltigen Erfolge mit dem Discount-Prinzip erzielten Großhändler wie Hugo Mann (Wertkauf), Gerhard Ackermans (Allkauf) oder Erivan Haub (Plus), vor allem die Firma Terfloth & Snoek, die 1957 in Bochum mit ihrem Ratio-Großmarkt dem neuen Geschäftsprinzip des Abholgroßmarkt-Handels (Selbstbedienung, Barzahlung, Selbstabholung) zum Durchbruch verhalf. Das Jahr 1962 war ein Meilenstein für die bald folgende rasante Discount-Entwicklung im deutschen Einzelhandel. In diesem Jahr stellten die Brüder Karl und Theo Albrecht die erste Filiale des ererbten Essener Lebensmittelfilialunternehmens nach den strengen Regeln des Discountprinzips um. Diesem Konzept ihres ersten Aldi-Ladens – nur etwa 300 Artikel im Sortiment, bescheidene Ladenausstattung, Verkauf von der Palette oder aus Kartons, Dauerniedrigpreise – sollten bald noch viele weitere folgen; auch von Mitbewerbern. Auch wurde im November 1962 unter fachlicher Betreuung durch die Rewe-Genossenschaft eine eigene Einkaufsgenossenschaft für die von Industrie und Wirtschaftspolitik argwöhnisch betrachteten kleinen „Discounthäuser“ gegründet, die Für sie Handelsgenossenschaft eG – „eine Verbindung, die in Deutschland bis dahin noch ohne Vorbild war: die Verbindung der altbewährten Genossenschaftsidee mit der jugendfrischen, beinahe ungestümen Idee des Discounthandels.“ Versuche mit einem Discount-Warenhaus WDW im Jahre 1966 verliefen weniger erfolgreich, aber der Weg für neue Discount-Typen war bereitet, wie ihn bald die großräumigen, auf einer Geschäftsebene tätigen „Verbrauchermärkte“ beschritten, die heutigen SB-Warenhäuser. Der Anteil der Discounter in Deutschland am Lebensmitteleinzelhandel ist stetig gewachsen. Im Jahre 2006 betrug er 39,7 % am gesamten Lebensmitteleinzelhandel. Seit Ende des Jahres 2010 ist jedoch zu verzeichnen, dass der Marktanteil der Discounter am Lebensmitteleinzelhandel stagniert. Frankreich Lidl, Leader Price, Aldi Nord, Netto, Norma Italien Dico, DPiù Discount, EuroSpin, LD Discount, Lidl Österreich Hofer (gehört zu Aldi Süd), KiK-Textil-Diskont, Lidl, NKD-Vertriebs-GmbH, Norma, Penny (gehört seit 1989 vollständig zur Rewe Group), Primark, Takko, TEDi. Russland Kopeika, Magnit, Pjatjorotschka Schweiz Denner, Aldi Suisse, Lidl Schweiz Migros startete am 25. August 1925 mit fünf Ford-T-Verkaufswagen in Zürich. Minimale Infrastruktur, kleinstes Sortiment (6 Artikel), keine Rabattmarken, hoher Produktumschlag, sowie Ausschaltung des Zwischenhandels ermöglichten Migros sehr niedrige Preise. Polen Biedronka, Lidl, Netto (Handelskette), Globi (2008 umgeflaggt auf Carrefour Express), Aldi Nord USA Aldi Süd, Lidl Literatur Franz Kotteder: Die Billig-Lüge. Die Tricks und Machenschaften der Discounter. Droemer, München 2005, ISBN 3-426-77925-0. (2006 mit dem Journalistenpreis des Deutschen Mittelstands ausgezeichnet) David Bosshart: Billig. Wie die Lust am Discount Wirtschaft und Gesellschaft verändert. 2. Auflage, Redline Wirtschaftsverlag, Heidelberg 2004, ISBN 3-636-01508-7. Dieter Brandes: Konsequent einfach. Die ALDI-Erfolgsstory. 4. Aufl., Frankfurt/New York 1999, ISBN 3-593-35904-9. Andreas Straub: ALDI einfach billig, ein ehemaliger Manager packt aus. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2012, ISBN 978-3-499-62959-4. Weblinks Einzelnachweise Einzelhandelsunternehmen Unternehmensart (Handel)
1129
https://de.wikipedia.org/wiki/Dialekt
Dialekt
Ein Dialekt ( und griechisch-, , ‚Redeweise‘, ‚Dialekt/Mundart‘, ‚Sprache‘, von ) oder eine Mundart (eine barockzeitliche Eindeutschung von Philipp von Zesen, Christian Gueintz und Justus Georg Schottelius) ist eine lokale oder regionale Sprachvarietät. Er kann sich von anderen Dialekten wie auch von der Standardsprache (ursprünglich Schriftsprache) in allen Sprachbereichen, wie Phonologie (Lautsystem), Grammatik – (Morphologie) (Formenlehre), Syntax (Satzlehre) – Lexik (Wortschatz) und Idiomatik unterscheiden. Vom Begriff „Dialekt“ ist der Begriff Akzent deutlich abzugrenzen, da dieser sich nur auf die Aussprache und die Betonung bezieht. Derjenige Teil der Sprachwissenschaft, der sich mit der Beschreibung der Dialekte befasst, heißt Dialektologie. In der neueren Linguistik befasst sich auch die Soziolinguistik mit Dialekten. Soweit literarische Werke in einem Dialekt verfasst sind, spricht man von Dialektliteratur. Abgrenzungen Sprache und Dialekt Grundsätzlich ist jede Lautäußerung, die der Kommunikation dient, eine Form von Sprache. Hinzu kommt die Gebärdensprache. Dialekte sind örtliche Ausprägungen einer Sprache (siehe Dialektkontinuum). Ansonsten ist es schwierig, Sprache und Dialekt voneinander abzugrenzen, da es hierfür keine standardisierten Kriterien gibt. Es ist fraglich, ob eine Unterscheidung überhaupt wissenschaftlich begründbar ist, da sie, zumindest innerhalb des mitteleuropäischen deutschen Sprachraums, teilweise eine wertende Unterscheidung ist. In Deutschland gilt im unreflektierten Alltagsgebrauch der beiden Wörter „Sprache“ als höherwertig, „Dialekt“ als weniger wertig. So wird bisweilen „Hochdeutsch“ als Qualitätsbegriff für die Sprache Standarddeutsch verstanden, auch wenn dieses Wort ursprünglich nur die Herkunft (Sprache im geografisch höher gelegenen Land) verschiedener dialektaler Sprachvarietäten bezeichnete. Völlig anders verhält es sich bei Berichten über indigene Volksstämme, Siedlungen und deren Sprachen, z. B. aus Afrika, Asien oder Südamerika. Man spricht fast immer von „Sprachen“ und so gut wie nie von „Dialekten“, auch wenn keinerlei Verschriftlichung vorliegt, und die Zahl der Sprecher verschwindend gering ist oder nur ein einzelnes Dorf umfasst. In der Sprachwissenschaft unterscheidet man heute meistens nach Kriterien, die auf Heinz Kloss zurückgehen. Nach seiner Definition muss eine Sprache, um als Sprache zu gelten, Dachsprache, Ausbausprache und Abstandsprache sein. Eine weitere Sicht brachte Eugenio Coseriu ein, der die Unterscheidung in primäre, sekundäre und tertiäre Dialekte traf. Außerdem ist die Anerkennung eines Dialektes als Sprache in vielen Fällen mit Interessenskonflikten verbunden, da eine eigene Sprache eher als ein Dialekt als Legitimation für die Gründung eines Staatsgebiets dienen kann. Dieser Konflikt ließ sich in Europa beispielsweise beim Korsischen, Valencianischen, Katalanischen oder Okzitanischen (Provenzalischen) beobachten. Ein großer Anteil der Sprecher der jeweiligen Varietäten forderte deren Anerkennung als Sprache, was von den zentralstaatlichen Regierungen aber regelmäßig verweigert wird. Es spielen jedoch auch Faktoren wie das Bewusstsein der Sprecher, eigene Literatur, gegenseitige Verständlichkeit oder der Status einer Amtssprache eine Rolle für den Unterschied zwischen Dialekt und Sprache. Eine Unterteilung muss daher individuell getroffen werden. Die politische Seite der Abgrenzung Dialekt – Sprache wird deutlich in Max Weinreichs Der yivo un di problemen fun undzer tsayt („Das Jiddische Wissenschaftliche Institut und die Probleme unserer Zeit“): Standardsprache als Dachsprache Eine Standardsprache überdacht (beim Vorhandensein einer Standardvarietät ist diese die Überdachung) die Dialekte der Regionen eines Sprach-/Dialektkontinuums und wird daher als Dachsprache bezeichnet. Während sich die Dialekte benachbarter Orte zumeist nur geringfügig unterscheiden und sich deren Sprecher problemlos gegenseitig verstehen, wird die Verständigung schwieriger, je weiter die Dialekte voneinander entfernt sind. Erst die überdachende Standardsprache bzw. Standardvarietät ermöglicht eine gegenseitige Kommunikation auch zwischen Dialektsprechern derselben Sprache bzw. innerhalb des Sprachsystems, die weit voneinander entfernt wohnen. Ähnlich wie man sich einer Lingua Franca wie Englisch bedient, um über unterschiedliche Sprachräume hinweg, oft international, zu kommunizieren, bedient man sich einer Standardsprache zur Kommunikation im eigenen Sprachraum (oft national), also über alle Dialekte einer Sprache hinweg. So kann ein Dialekt durchaus eine Ausprägung als regionale Standardsprache im überregionalen Sprachraum haben oder sich zu einer solchen entwickeln, wenn er als Dach-, Verkehrs- und/oder Handelssprache unterschiedliche Dialektregionen miteinander verbindet. So überdachte z. B. das Luxemburgische im Standarddeutsch als Standardvarietät einen kleinen Sprachraum mit regionalen Dialektvarietäten. Die Muttersprachler sprechen hier neben ihren jeweiligen moselfränkischen Ortsdialekten eine Varietät einer Standardsprache, die inzwischen dem deutschsprachigen nicht mehr ähnelnde Standardvarietät des Standardluxemburgisch. Bei den Mundarten handelt bzw. handelte es sich um Variationen der deutschländischen Standardvarietät, innerhalb der indoeuropäischen Sprachfamilie der westgermanischen Sprachgruppe. In diesem speziellen luxemburgischen Fall, der sich im Laufe des 20. und 21. Jahrhundert veränderte, heißt dies Diglossie in Bezug zur Angehörigkeit zum Standardluxemburgisch und Standardfranzösisch bzw. hieß in der Vergangenheit „Triglossie“ zusätzlich zum Standarddeutsch. Ein Dialekt ist die örtliche regionale Ausprägung einer Sprache, die Standardsprache bzw. Standardvarietät eine überörtliche, überregionale Dachsprache mit einem kleineren oder größeren Einzugsgebiet. „Man kann Dialekte daran erkennen, daß man sie vor allem spricht und selten schreibt.“ Standardsprachen bzw. ihre Standardvarietät(en) sind im Vergleich zur Dauer der bisherigen Geschichte von Sprachen relativ junge Sprachausprägungen. In der historisch und volkskundlich ausgerichteten deutschen Dialektologie seit der Romantik war die Unterscheidung von Dialekt und standardisierter Sprache daher relativ unproblematisch. Die Dialekte führten auf das Alt- und Mittelhochdeutsche zurück, womit sich anhand von deren diachronischer Darstellung die Gesetze des Sprachwandels besonders im phonologischen und morphologischen Bereich erkennen und darstellen ließen. Ausbausprache, Abstandsprache, dachloser Dialekt Die Bezeichnungen „Abstandsprache“, „Ausbausprache“ und „dachloser Dialekt“ gehen auf den Soziolinguisten Heinz Kloss zurück und stellen Kriterien für die Abgrenzung einer Varietät zu einer Sprache dar. Eine Varietät ist dann eine Abstandsprache, wenn sie linguistisch sehr deutlich von einer anderen abweicht. So hat beispielsweise das deutsche Wort „Haus“ gegenüber dem französischen maison einen großen Abstand, zum englischen house aufgrund der ähnlichen Aussprache einen geringen. Als typisches Beispiel hierfür gilt das Baskische, das als isolierte Sprache unbestreitbar eine Abstandsprache zum Spanischen, Französischen und den in der Umgebung gesprochenen romanischen Dialekten ist. Nach ebendiesem Kriterium gilt auch die sorbische (= slawische) Sprache als Abstandsprache zum (westgermanischen) Deutschen. Aber auch näher verwandte westgermanische Sprachen, wie das Deutsche zum Englischen, verhalten sich wie Abstandsprachen zueinander. Die objektive Messung des linguistischen Abstandes ist jedoch aufgrund der Vielzahl an Kriterien und Wörtern extrem schwierig. Eine Varietät ist dann eine Ausbausprache, wenn sie zwar keine Abstandsprache ist (da zu nahe mit einer anderen Varietät verwandt), aber trotzdem eine autonome, auf der Basis der eigenen Dialekte standardisierte schriftliche Form kennt (Standardsprache) und diese sowohl in der Belletristik als auch z. B. in der wissenschaftlichen Fachliteratur verwendet wird. Ausbausprachen sind zum Beispiel das Jiddische oder das Mazedonische, die linguistisch zwar dem Deutschen bzw. dem Bulgarischen nahestehen, aber gleichwohl in ihrer eigenen Standardvarietät über einen so breiten auch schriftlichen Anwendungsbereich verfügen, dass dieser weit über denjenigen eines Dialekts hinausgeht. Keine Ausbausprachen sind beispielsweise das Bairische, das Meißenische oder die schweizerdeutschen Dialekte, da ihnen sowohl eine überregionale, im eigenen Sprachgebiet allgemein anerkannte Schriftvarietät als auch eine schriftliche Verwendung, die über Mundartliteratur und Gelegenheitsverwendungen hinausgeht, fehlt. Auch keine Ausbausprache ist etwa das Schweizer Hochdeutsch, denn dieses baut nicht etwa auf den schweizerdeutschen Dialekten auf, sondern ist vielmehr eine sich in einer überschaubaren Anzahl Punkte manifestierende Variante der allgemeinen deutschen Standardsprache. Das Luxemburgische hingegen wird oft als Ausbausprache angesehen, auch wenn ihm in der Luxemburger Administration, im Hochschulwesen oder in den Printmedien, wo das Französische und Hochdeutsche dominant sind, nur ein geringer Platz eingeräumt wird. Auch das Begriffspaar „Abstandsprache – Ausbausprache“ kann die Unterscheidung von Dialekt und Standardsprache nicht in allen Fällen klarstellen. Deshalb hat Kloss den Begriff dachloser Dialekt eingeführt. Als solchen bezeichnet man eine Sprachvarietät, die zwar linguistisch als eigene Sprache bezeichnet werden kann, deren Sprecher jedoch keinen Bezug (mehr) zu der entsprechenden Standardvarietät haben bzw. die Standardvarietät einer anderen Sprache anwenden, also etwa im Falle des Niederdeutschen diejenige des Hochdeutschen (in Norddeutschland) bzw. des Niederländischen (in den nordöstlichen Niederlanden). Ein wichtiges Kriterium ist, dass sie nicht als Standardsprache ausgebaut wurde, sondern aus einem niederdeutschen Dialektkontinuum besteht, das allerdings übergangslos in das hochdeutsche Dialektkontinuum wechselt. Freilich ist es oft umstritten, ob in solchen Fällen wirklich „Einzelsprachen“ vorliegen oder nicht. Für das Niederdeutsche wurde dies aber insofern bestätigt, als es von den nördlichen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden als eigenständige Regionalsprache im Sinne der EU-Charta der Minderheitssprachen anerkannt worden ist. Gegenseitige Verständlichkeit Oft wird die gegenseitige Verständlichkeit als Kriterium zur Abgrenzung von Dialekt und Sprache genannt. Die genaue Bestimmung der gegenseitigen Verständlichkeit ist jedoch auch in der Linguistik umstritten. Die gegenseitige Verständlichkeit ist nur ein graduelles Kriterium, da es zwischen vollständiger gegenseitiger Verständlichkeit und Unverständlichkeit eine große Bandbreite von teilweiser Verständlichkeit gibt. So ist beispielsweise eine insbesondere schriftliche Verständigung von Nutzern des Dänischen und Norwegischen problemarm möglich, wenngleich es sich doch um zwei Sprachen handelt. Auch hängt die gegenseitige Verständlichkeit nicht nur vom persönlichen Hintergrund (z. B. Fremdsprachenkenntnisse oder Ferienaufenthalte) und der Begabung einzelner Sprecher ab, sondern auch von der Bereitschaft, einander verstehen zu wollen. Oft ist keine gegenseitige Verständigung möglich; beispielsweise versteht ein Sprecher des Walliserdeutschen oder eines andern deutschen Dialekts ein standarddeutsches Gespräch viel besser als umgekehrt ein Sprecher des Standarddeutschen ein rein walliserdeutsches Gespräch oder das anderer Dialektsprecher. Im deutschen Sprachgebiet erwirbt ein Dialektsprecher ab seinem Eintritt in die Grundschule eine zusätzliche normierte Standardsprache (Standarddeutsch). Daher sind heute, auch aufgrund der modernen Kommunikationstechnologien, Rundfunk und Fernsehen sowie der überregionalen Printmedien, die allermeisten Dialektsprecher je nach Lebenssituation, beruflicher Herausforderung, Mobilität und Kommunikationserfordernis mindestens zweisprachig, was namentlich im beruflichen Alltag für die Kommunikation innerhalb eines großen Sprachraumes von Vorteil ist. Primäre, sekundäre und tertiäre Dialekte Eugenio Coseriu unterscheidet am Beispiel des spanischen Sprachraums drei Arten von Dialekten: Der „primäre“ Dialekt besteht mindestens schon so lange wie die vorherrschende Standardsprache. z. B. im Spanischen: Asturleonesisch; Kastilisch, das sich im Lauf der Zeit zum Standardspanisch entwickelte. Der „sekundäre“ Dialekt entsteht durch örtlich begrenzte Entwicklung (diatopische Differenzierung) aus der Standardsprache. z. B. im Spanischen: Andalusisch; lateinamerikanische Varietäten Der „tertiäre“ Dialekt stellt eine örtlich begrenzte Beeinflussung der Standardsprache dar. z. B. im Spanischen: Standardspanisch mit andalusischer Färbung Dialekte im deutschsprachigen Raum Unterteilung Die Dialekte im deutschsprachigen Raum werden traditionell in hochdeutsche und niederdeutsche Mundarten unterteilt, also in die Dialekte der „höheren“ und der „niederen“ Lande. Die Dialekte der höheren Lande wurden in größerem oder geringerem Ausmaß von der sogenannten hochdeutschen Lautverschiebung betroffen, von der die Mundarten in den niederen Landen unberührt blieben. Die hochdeutschen Mundarten ihrerseits werden in mitteldeutsche und oberdeutsche Dialekte gegliedert. Gegenwart Innerhalb einzelner Regionen des deutschen Sprachraumes bestehen deutliche Unterschiede im Stellenwert der Dialekte: Während der Ortsdialekt in vielen Gegenden nur mit Sprechern desselben Dialekts oder innerhalb der Familie noch gesprochen wird und Nichtdialektsprecher diesen oft als ländlich oder bildungsfern empfinden, verwendet man den Dialekt in manchen Sprachregionen, wie zum Beispiel in der Deutschschweiz oder manchen Gegenden Ostfrieslands, in nahezu allen Alltagssituationen unabhängig vom sozialen Status und Bildungsniveau. Der Rückzug der Dialekte aus dem Alltagsleben der Menschen verläuft regional unterschiedlich schnell. Die „deutsche Standardsprache“ wurde noch in den 1950er Jahren von den meisten Bewohnern des deutschen Sprachraumes eher als fremde Sprache empfunden, insbesondere im niederdeutschen Sprachraum, heute vielleicht nur noch von vielen Deutschschweizern, Süddeutschen, Westösterreichern und Südtirolern. Die Bestimmung in Artikel 3 des Grundgesetzes (Anti-Diskriminierungsparagraph) der Bundesrepublik Deutschland wird oft nicht auf Dialektsprecher angewendet. Dadurch wird der Rückgang der Dialekte faktisch begünstigt. Die Zukunft der Dialekte Die Basisdialekte sind rückläufig und verlieren in der Bundesrepublik Deutschland zunehmend an Sprechern und damit an Bedeutung. In seinem Buch Pfälzisch aus dem Jahr 1990 meint Rudolf Post, dass das Pfälzische mit jeder neuen Generation neun Prozent seines Wortschatzes verliere. Dialekte seien heute kaum mehr fähig, eigenständige Neologismen gegenüber dem Hochdeutschen zu entwickeln, es werde fast stets der hochdeutsche Ausdruck verwendet. Außerhalb der Bundesrepublik stellt sich die Situation anders dar. Im Gegensatz zu dieser Entwicklung ist z. B. für die Luxemburgische Sprache, eine moselfränkischen Sprachvarietät des Westmitteldeutschen, die Entwicklung zu einer eigenständigen Ausbausprache mit einheitlicher und verbindlicher Rechtschreibung zu verzeichnen. Im Jahr 2014 sprachen in der Schweiz noch 87 % der Deutschschweizer Bevölkerung Schweizerdeutsch (nicht Schweizer Hochdeutsch) im Alltag. Verwendung im Rundfunk Innerhalb des ARD-Hörfunks wird seit Mitte der neunziger Jahre darüber diskutiert, ob Sprecher mit erkennbarer Mundart oder gar Dialekt abzulehnen sind, ob sie als „regionale Farbtupfer“ toleriert oder als Profilmerkmal der Anstalten – und zur Pflege des Kulturgutes – gefördert werden sollen. Generell ist seitdem ein Rückgang des Dialektes im ARD-Hörfunk zu beobachten, auch wenn dies von Presse und Kulturkreisen überwiegend negativ aufgenommen wird. Andererseits ist es problematisch, in Dialekt zu senden, da sich die Sendegebiete besonders der größeren Anstalten über mehrere Dialekträume verteilen. Gerade im Fernsehen machen sich inzwischen viele Sendungen das aus Sicht der Produzenten „Unverwechselbare, nicht selten auch Kauzige der Regionen“ zunutze. Dabei wird häufig aber zugunsten der breiten Verständlichkeit auf Authentizität verzichtet. Dialekte bei Programmiersprachen Die Situation bei Programmiersprachen ist in mehreren Aspekten ähnlich derjenigen bei natürlichen Sprachen. Den Hochsprachen entsprechen oft die von Konsortien (z. B. ANSI) genormten Varianten, während deren Implementierungen mehr oder weniger davon abweichen. Die Unterschiede beziehen sich auf Grammatik und Semantik, manchmal aber auch auf den Vorrat unterschiedlicher Programmierkonzepte. Eine Programmiersprache mit sehr vielen Dialekten ist BASIC. Ebenso wie bei natürlichen Sprachen wird die Dialektvarietät durch historische Veränderungen überlagert. So gibt es praktisch keine Perl-Dialekte, wohl aber z. B. Perl 4, welches man als „Alt“-Perl bezeichnen könnte, während heute fast ausschließlich Perl 5 verwendet wird. Dialekte im Tierreich Vogelgesang Der Begriff „Dialekt“ hat auch in der Ornithologie, der Vogelkunde, Bedeutung: Als Dialekte werden in der ornithologischen Fachliteratur regionaltypisch unterschiedliche Gesänge und Rufe sehr vieler Singvögel bezeichnet. Diese Unterschiede sind bei manchen Arten, wie zum Beispiel Goldammer, Ortolan oder Buchfink, sehr auffällig und können von geübten Bestimmern deutlich herausgehört und zugeordnet werden; bei anderen Arten sind sie weniger hörbar und nur im Sonagramm zu differenzieren. In der europäischen Avifauna ist der Gesang des Ortolan eines der besten Beispiele und auch das am besten untersuchte Beispiel der Dialektausprägung bei Vögeln. Orcas Auch bei Orcas wurden verschiedene Dialekte beobachtet. Siehe auch Dialektgruppe Dialekt-Standard-Kontinuum Kolonialdialekt Lekt Ortsgrammatik Regiolekt / Metrolekt / Urbanolekt Soziolekt Substandard Mehrteilige mundartliche Werke: einige Comics, die in Mundarten übersetzt wurden: Asterix, Simpsons, Lustiges Taschenbuch Betthupferl (Hörfunksendung) Literatur Wiktor M. Schirmunski: Deutsche Mundartkunde. Vergleichende Laut- und Formenlehre der deutschen Mundarten. Hrsg. und kommentiert von Larissa Naiditsch, unter Mitarbeit von Peter Wiesinger. Aus dem Russischen übersetzt von Wolfgang Fleischer. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2010, ISBN 978-3-631-59973-0. Joachim Göschel, Norbert Nail, Gaston Van der Elst (Hrsg.): Zur Theorie des Dialekts. Aufsätze aus 100 Jahren Forschung. Mit biographischen Anmerkungen zu den Autoren (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte, Neue Folge Nr. 16). Franz Steiner, Wiesbaden 1976, ISBN 3-515-03498-6. Alfred Lameli: Strukturen im Sprachraum. Analysen zur arealtypologischen Komplexität der Dialekte in Deutschland. De Gruyter, Berlin 2013, ISBN 978-3-11-033123-3. Karl-Heinz Göttert: Alles außer Hochdeutsch. Ein Streifzug durch unsere Dialekte. Ullstein, Berlin 2011, ISBN 978-3-550-08877-3. Weblinks Diskussion Dialekt vs. Sprache Regionalsprache.de Dialektometrie.com Verwendungskarte der Begriffe „Dialekt“ – „Mundart“ – „Platt“ Einzelnachweise Soziolinguistik Linguistische Varietät Sprachtyp
1130
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche%20Eurom%C3%BCnzen
Deutsche Euromünzen
Die deutschen Euromünzen sind die in Deutschland in Umlauf gebrachten Euromünzen der gemeinsamen europäischen Währung Euro. Am 1. Januar 1999 trat Deutschland der Eurozone bei, womit die Einführung des Euros als zukünftiges Zahlungsmittel gültig wurde. Die ersten Münzen wurden ab dem 17. Dezember 2001 in „Starter-Kits“ an das Publikum abgegeben, Handel und Banken konnten diese im Rahmen des sogenannten „Frontloading“ bereits früher erhalten. Geltung als Zahlungsmittel erhielten sie, wie alle anderen Euromünzen und -scheine auch, am 1. Januar 2002. Umlaufmünzen Die Umlaufmünzen haben für jede der drei Münzreihen ein eigenes Motiv der nationalen Seite. Die kleinste Reihe der 1-, 2- und 5-Cent-Münzen wurde von Rolf Lederbogen entworfen und weist Eichenlaub auf. Die mittlere Reihe mit den 10-, 20- und 50-Cent-Münzen zeigt das Brandenburger Tor und wurde von Reinhart Heinsdorff gestaltet. Das Design der beiden größten Münzen stammt von Heinz Hoyer und Sneschana Russewa-Hoyer und bildet den Bundesadler ab. Die Gestaltung der 1-, 2- und 5-Cent- sowie der 1- und 2-Euro-Münzen erinnert an Motive der alten DM-Münzen. Im Gegensatz zu den anderen Euroländern werden die deutschen Münzen in fünf verschiedenen Prägestätten hergestellt. Diese sind auf den Münzen durch einen Buchstaben in der Nähe der Jahreszahl gekennzeichnet. Die nachfolgende Tabelle listet alle deutschen Prägestätten und ihre jeweiligen Anteil an der Gesamtauflage der deutschen Euromünzen auf. In der Anfangszeit der Euromünzproduktion kam es zu einem schwerwiegenden Fehler. Die Sterne auf den ersten Münzen waren nicht wie auf der Europaflagge nach oben ausgerichtet, sondern radial. Nachdem dies bemerkt wurde, wurden die bis dahin produzierten Münzen wieder vernichtet. Einige wenige Exemplare gelangten jedoch in den Umlauf. Diese sogenannten drehenden Sterne werden von Sammlern gesucht. Wie die meisten Euroländer prägt Deutschland bereits seit 2007 seine Euromünzen mit der neu gestalteten Vorderseite (neue Europakarte). Durch die Vermischung der nationalen Euromünzen nahm der Anteil der deutschen Euromünzen in Deutschland seit Einführung des Euros langsam aber kontinuierlich ab. Gemäß den Erhebungen der niederländischen Website Eurodiffusie.nl lag so der Anteil deutscher Euromünzen in der Bundesrepublik im Jahr 2006 schon bei nur noch knapp 86 %, im Jahr 2009 war er weiter auf ca. 80 % abgesunken. Eichenlaub Das Eichenlaub ist ein Symbol mit Geschichte: Im Deutschen Bund von 1815 hatten noch alle seine Mitglieder die Zoll- und auch die Münzhoheit. Die deutsche Zolleinigung und die Münzeinigung gingen Hand in Hand. Die Symbolkraft des Eichenbaums als Sinnbild des gemeinsamen Deutschtums für die deutschen Münzen zu nutzen, geht auf den Münchner Münzvertrag von 1837 zurück. Dieses Abkommen machte Deutschland zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet. Für die kleinsten unter den deutschen Euromünzen wurde als vertrautes Symbol das Eichenlaub gewählt, das auch schon den deutschen Pfennig zierte. Das Motiv stammt aus einem Entwurf des Karlsruher Professors Rolf Lederbogen. Das Münzbild wurde bei der 2-Cent-Münze der Prägestätte „G“ (Karlsruhe) 2016 verkleinert, 2017 folgten dem die anderen Prägestätten. Seit 2018 werden auch die 1- und 5-Cent-Münzen mit dem verkleinerten Münzbild geprägt. Brandenburger Tor Das Brandenburger Tor, ein im klassizistischen Stil von Carl Gotthard Langhans erbautes und mit einer Quadriga gekröntes auffälliges Bauwerk, ist ein Wahrzeichen der deutschen Hauptstadt Berlin. Dieses Gebäude spiegelt die deutsche Geschichte wider. Im Deutschen Reich wurde es für Paraden benutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Brandenburger Tor zum Symbol der Teilung Deutschlands. Als im November 1989 die Mauer fiel, trafen sich die Deutschen aus Ost und West am Brandenburger Tor. Seitdem steht das geöffnete Brandenburger Tor für ein vereinigtes Deutschland und ist zugleich ein Symbol für den europäischen Einigungsprozess. Das Brandenburger Tor wurde seit den 1930er Jahren immer wieder als Motiv auf deutschen Münzen verwendet. Bei der originalen Quadriga heben die beiden mittleren Pferde jeweils ihr inneres Bein, auf dem Entwurf des Künstlers Reinhart Heinsdorff jedoch ihre äußeren. Die Erstauflage mit drehenden Sternen entspricht in diesem Detail dem Entwurf, die tatsächlich ausgegebenen Münzen dagegen dem Original. Erst seit 2007 werden die 10- und 20-Cent-Münzen nach Heinsdorffs Entwurf geprägt. Bundesadler Der Bundesadler ist seit dem Jahre 1950 das Staatswappen der Bundesrepublik Deutschland. Damit wurde in beinahe identischer Form das Wappen der Weimarer Republik von 1919 übernommen. Der Adler war auch das Wappen des Heiligen Römischen Reiches bis 1806, des Deutschen Bundes ab 1815 und des Kaiserreiches von 1871. Der Adler als kaiserliches Wappentier geht bereits auf die römischen Kaiser der Antike zurück. Der Bundesadler ist heute in zahlreichen Umgebungen zu finden. Er hängt im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Zu finden ist er in den deutschen Reisepässen und Ausweisen als grafisches Symbol und als Behördenstempel. Der Entwurf stammt von Sneschana Russewa-Hoyer und Heinz Hoyer aus Berlin. Alle Designs enthalten die zwölf Sterne der EU, das Prägejahr und einen Buchstaben, der die Prägestätte bezeichnet (siehe Tabelle). Gestaltungsrichtlinien von 2008 Ein Großteil der deutschen Euromünzen entspricht nicht vollständig den Gestaltungsrichtlinien der Europäischen Kommission. In diesen sind Empfehlungen für die Gestaltung der nationalen Seiten der Kursmünzen festgelegt. Unter anderem soll auf der nationalen Seite der volle oder abgekürzte Name des Ausgabestaats angegeben sein. Dies wird insbesondere von den deutschen Kursmünzen nicht eingehalten. Dort wird nur die Prägestätte angegeben. Weiter sollen die europäischen Sterne wie auf der europäischen Flagge angeordnet sein – also insbesondere gleichmäßig im Kreis verteilt sein. Dies ist bei den Münzen der Bundesländerserie bis einschließlich 2009 nicht erfüllt. Daher erklärt sich auch der Designunterschied zwischen den ersten vier und den restlichen Münzen der Bundesländer-Serie. Die Länder, deren Münzen den oben beschriebenen Empfehlungen noch nicht entsprechen, können die notwendigen Anpassungen jederzeit vornehmen; bis spätestens zum 20. Juni 2062 müssen sie diese vollziehen. 2-Euro-Gedenkmünzen 2006 begann Deutschland mit der Ausgabe von 2-Euro-Gedenkmünzen, die jeweils dem Bundesland gewidmet sind, das zum Beginn des Ausgabejahres die Bundesratspräsidentschaft innehat. Auf den Münzen der Bundesländer-Serie wird jeweils ein bekanntes Bauwerk des entsprechenden Bundeslandes abgebildet. Die Abfolge der Präsidentschaften des Bundesrates wurde aufgrund der veränderten Bevölkerungszahlen ab dem Geschäftsjahr 2017/18 geändert. Schleswig-Holstein, dem bereits die erste Gedenkmünze 2006 gewidmet war, übernahm am 1. November 2018 für 12 Monate den Vorsitz – deshalb wurde die Serie 2019 für ein Jahr ausgesetzt. Bis 2022 wird so für jedes Bundesland eine Gedenkmünze geprägt. Sammlermünzen Seit 2002 wurden jährlich in den verschiedenen Prägestätten auch 10-Euro-Gedenkmünzen aus Silber geprägt. Diese erinnern an bestimmte Personen, Ereignisse oder Sehenswürdigkeiten. Als Besonderheit stellen sich hier die Gedenkmünzen anlässlich diverser Sportereignisse (z. B. Fußball-Weltmeisterschaft 2006) dar. Diese Münzen wurden zu gleichen Anteilen in allen fünf deutschen Prägestätten hergestellt. Sie besitzen keinen Prägebuchstaben, sondern lassen sich ihrer Prägeanstalt nur durch minimale Unterschiede zuordnen. Ab 2011 wurde das Gewicht und der Edelmetallgehalt aufgrund des gestiegenen Silberpreises reduziert, außerdem werden die Münzen (mit Ausnahme der ersten 2011er-Münze) auch in einer Kupfer-Nickel-Legierung geprägt. Ab 2016 wurden die 10-Euro-Gedenkmünzen durch solche mit 20 Euro Nennwert ersetzt. Zusätzlich wird pro Jahr eine 100-Euro-Goldmünze herausgegeben. 2002 wurde die Euroeinführung neben der 10-Euro-Münze aus 925er Silber und der 100-Euro-Goldmünze noch mit einer 200-Euro-Goldmünze gewürdigt. Anfang 2010 gab das Bundesfinanzministerium in Berlin bekannt, dass ab Juni 2010 befristet auf 6 Jahre eine weitere jährliche Goldmünze mit Nennwert 20 Euro erscheint. Während die 100-Euro-Goldmünzen aus einer halben Unze Feingold gefertigt werden (die 200-Euro-Münze 2002 aus einer Unze), werden die 20-Euro-Münzen aus 1/8 Unze Feingold geprägt. Die 100-Euro-Münzen würdigen derzeit die Unesco-Weltkulturstätten in Deutschland. Die 20-Euro-Münzen sind dem Thema „deutscher Wald“ gewidmet. Ab 2016 wurde die Serie „deutscher Wald“ mit „Heimischen Vögeln“ fortgesetzt. Zusätzlich wurde 2017 anlässlich des 500. Jahrestages der Reformation erstmals eine Goldmünze mit dem Nennwert von 50 Euro herausgegeben, ab 2018 folgt eine Serie mit gleichem Nennwert unter dem Titel „Musikinstrumente“. Seit dem Jahr 2016 wird jährlich eine 5-Euro-Gedenkmünze ausgegeben. Die Münzen setzen sich aus drei Komponenten zusammen: einem äußeren Ring, dem inneren Kern sowie einem dazwischenliegenden farbigen Polymerring, der teilweise lichtdurchlässig ist. Als Metall wird eine Kupfer-Nickel-Legierung verwendet. Das Gewicht beträgt 9,0 Gramm und der Durchmesser 27,25 mm. Siehe auch Euro-Umlaufmünzen-Motivliste Auflagen der deutschen Euromünzen Gedenkmünzen der Bundesrepublik Deutschland Liste der Numisblätter aus Deutschland Weblinks Europäische Zentralbank Deutsche Bundesbank Bundeswertpapierverwaltung Einzelnachweise Euromunzen Deutschland und die Europäische Union Brandenburger Tor
1131
https://de.wikipedia.org/wiki/Die%20Welt
Die Welt
Die Welt ist eine überregionale deutsche Tageszeitung der Axel Springer SE. In der britischen Besatzungszone in Hamburg gegründet, erschien sie erstmals am 2. April 1946 und wurde 1953 vom Verleger Axel Springer übernommen. Das Blatt wird dem bürgerlich-konservativen Spektrum zugerechnet und gilt als „deutlich marktliberal eingestellt“. Der Redaktionssitz von Welt und Welt am Sonntag befindet sich in Berlin. Die Welt erscheint im Nordischen Format. Ihre Hauptkonkurrenten sind die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Süddeutsche Zeitung. Die verkaufte Auflage beträgt Das Medienmagazin DWDL bezifferte die harte Auflage aus Abonnements und Einzelverkäufen zum regulären Preis im 2. Quartal 2023 auf 36,230 und somit 7,4 Prozent niedriger als noch 2022. Geschichte Die Welt war eine Gründung der britischen Militärregierung und erschien zum ersten Mal am 2. April 1946 zum Preis von 20 Pfennig. Das Konzept der Zeitung war, Fakten scharf von Kommentaren zu trennen, in den Leitartikeln kamen gegensätzliche Standpunkte zur Sprache. Unter dem seit Frühjahr 1946 amtierenden Chefredakteur, dem SPD-Mitglied und ehemaligen Insassen des KZs Bergen-Belsen Rudolf Küstermeier, kollidierte das Blatt mehrmals mit den britischen Besatzungsbehörden, die die Welt als PR-Organ nutzen wollten. Die Auflage stieg bis auf eine Million Exemplare, so dass beim anstehenden Verkauf 1952 an Interessenten kein Mangel herrschte. Für zwei Millionen DM erhielt Axel Springer den Zuschlag. Unter dem ersten Springer-Chefredakteur, dem rechtskonservativen Hans Zehrer (der bereits 1946 kurzzeitig das Blatt geleitet hatte, aufgrund seiner Vergangenheit aber von den Briten abgesetzt worden war), wandelte sich das einst liberale Blatt zur „großen nationalen Zeitung“, wie sie 1965 offiziell tituliert wurde. Autoren wie Ilse Elsner, Sebastian Haffner und Erich Kuby beendeten allmählich die Mitarbeit. Für die Welt arbeiteten Journalisten wie Winfried Martini, Friedrich Zimmermann oder der ehemalige Pressechef im NS-Außenministerium Paul Karl Schmidt alias Paul Carell, der von 1958 bis 1979 für die Welt schrieb. Dessen damaliger Mitarbeiter Hans Georg von Studnitz sowie konservative Schreiber wie Matthias Walden und William S. Schlamm prägten kurzfristig den Charakter der Zeitung. Während der Springer-Kampagne während der Studentenproteste in den 1960er Jahren gegen Axel Springer wurde auch Die Welt Zielscheibe von Kritik. Laut Hans-Peter Schwarz verhandelte Axel Springer Mitte der 1970er Jahre mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über den Verkauf der defizitären Welt, bei dem die Welt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aufgehen sollte. Springer soll sich jedoch kurz vor Vertragsabschluss gegen den Verkauf entschieden haben. Die Zentralredaktion der Welt zog 1975 von Hamburg nach Bonn und 1993 nach Berlin, die der Welt am Sonntag folgte 2001 von Hamburg nach Berlin. 2002 wurden die Redaktionen von Welt und Berliner Morgenpost fusioniert. 2006 wurde diese Redaktion mit der Redaktion der Welt am Sonntag und den Online-Redaktionen der drei Zeitungen zusammengelegt. Ab dem 24. Mai 2004 erschien neben der herkömmlichen Welt auch Die Welt Kompakt, in der Inhalte der großen Ausgabe auf 32 Seiten im kleineren Format zusammengestellt wurden. Im Jahr 2007 schrieb Die Welt erstmals schwarze Zahlen. Am 15. Februar 2010 übernahm der bisherige Chefredakteur Thomas Schmid die Position des Herausgebers und Jan-Eric Peters wurde Chefredakteur aller Welt-Publikationen. Im Oktober 2012 gab die Axel Springer AG bekannt, dass die Redaktion der Welt noch vor dem Jahresende mit der des Hamburger Abendblattes zusammengelegt wird. Die neue Zentralredaktion wurde in Berlin angesiedelt. In Hamburg blieb nur noch eine Abendblatt-Lokalredaktion bestehen. Seit 2010 lässt die Kulturredaktion einmal jährlich sogenannte Künstlerausgaben der Zeitung durch namhafte Bildende Künstler nach deren Vorstellung gestalten, beispielsweise 2010 Georg Baselitz und 2011 Ellsworth Kelly. Mit dieser neuen Strategie scheint die weitere Existenz der Welt als Printversion zur Disposition zu stehen. Der Verlag wolle, so hieß es, im Falle neuer Einbrüche „keine lebensrettenden Maßnahmen“ für die gedruckte Ausgabe mehr ergreifen. Von Bedeutung seien allein noch die Online-Redaktion und die Welt am Sonntag. Deshalb wurde die gesamte Redaktion auf die Online-Ausgabe ausgerichtet. Alle Inhalte werden online first veröffentlicht, weshalb die Redaktion auch durchgehend von frühmorgens bis zum späten Abend thematisch vollständig besetzt sein muss. Die Medienseite der tageszeitung fasste den Wandel so zusammen: Im Dezember 2012 führte Welt Online ein Bezahlmodell ein: Kostenlos waren nur noch 20 Online-Artikel pro Monat abrufbar, für darüber hinausgehende Abrufe musste ein kostenpflichtiges Abonnement abgeschlossen werden. Am 9. Dezember 2013 gab die Axel Springer SE den Kauf des Fernsehsenders N24 bekannt. Der bisherige N24-Gesellschafter Stefan Aust wurde am 1. Januar 2014 Herausgeber der Welt. Nach der Genehmigung durch das Bundeskartellamt im Februar 2014 wurden die Redaktionen von Welt und N24 zusammengelegt, um multimediale Nachrichten produzieren zu können. Zum 1. Januar 2015 wurden die gemeinsamen Aktivitäten in der WeltN24 GmbH gebündelt. Im 2. Quartal 2014 gingen 41,5 Prozent der gemeldeten verkauften Auflage nicht an Abonnenten oder in den Straßenverkauf, sondern wurden als Bordexemplar oder per Sonderverkauf abgesetzt. Der Verlag erhält dafür keine oder wesentlich geringere Erlöse. Axel-Springer-Zeitungsvorstand Jan Bayer gab im April 2015 ein klares Bekenntnis zur Zukunft der gedruckten Welt ab: Sie solle „intellektuelles Leitmedium“ werden und man investiere „sehr konsequent in Qualität“. Die Berliner Lokalausgabe wurde zum 1. September 2015 eingestellt. Zum 29. November 2015 wurde die WeLT am Sonntag und ab dem 30. November 2015 DIE WeLT auf ein neues Logo in einem Entwurf von Erik Spiekermann samt Markenauftritt umgestellt. Am 1. Januar 2016 übernahm Stefan Aust zusätzlich zur Herausgeberschaft auch den Posten des Chefredakteurs von Jan-Eric Peters. Im Februar 2016 wurde ein neues Redaktionskonzept vorgestellt, nach dem es statt vierzehn acht Ressorts geben soll. Auch das Bezahlmodell änderte sich von dem Metered Model auf ein Freemium Model. Aktuelle und schnell erstellte Artikel sind danach weiterhin frei verfügbar, Hintergrundberichte und ausführliche Reportagen oder Analysen sind kostenpflichtig. Zum 70-jährigen Jubiläum erschien am 2. April 2016 eine von Udo Lindenberg illustrierte Sonderausgabe. Am 6. September 2016 wurde Ulf Poschardt neuer Chefredakteur. Im September 2019 gab die Axel Springer SE bekannt, dass am 31. Dezember 2019 Die Welt Kompakt und die Hamburger Lokalausgabe eingestellt werden und die Sportredaktion aufgelöst wird. Die Berichterstattung in diesem Bereich wird vom Kompetenzcenter Sport der Axel Springer SE übernommen. In dem am 6. Oktober 2020 eröffneten Axel-Springer-Neubau in Berlin verfügen die Bereiche Print, Digital und Fernsehen erstmals über gemeinsame Räumlichkeiten. Ab dem 6. September 2021 wurde die Print-Ausgabe der Welt von Montag bis Freitag von bislang 24 auf 16 Seiten gekürzt. Die Samstagsausgabe der Welt erschien am 4. September 2021 zum letzten Mal. Dafür erscheint die Welt am Sonntag seit dem 11./12. September 2021 in zwei Ausgaben, von denen eine bereits am Samstag verfügbar ist. Das Projekt „5+2“ wird als „Tageszeitung fürs Wesentliche“ bezeichnet und als Anpassung an gewandelte Anforderungen von Lesern und Inserenten verkauft. Das Medienmagazin DWDL bezeichnet die Kürzung als Reaktion auf gesunkene Auflagenzahlen und Verkäufe. Beim Einstieg des Finanzinvestors KKR in die Axel Springer SE wurde ein Passus im Angebot bekannt, wonach vereinbart wurde, „den Geschäftsbereich der Welt-Gruppe fortzuführen“ – dies jedoch „unter der Voraussetzung einer angemessenen Steuerung der jährlichen Ergebnissituation“. Auflage Die Auflage der Welt wurde von 2005 bis 2019 gemeinsam mit der Welt Kompakt ausgewiesen. In den vergangenen Jahren hat die Zeitung erheblich an Auflage eingebüßt. Die harte Auflage aus Abonnements und Einzelverkauf lag im 2. Quartal 2023 bei 36.230 Exemplaren, darunter 31.171 Abonnements, darin 2287 ePapers, und 5059 Exemplare im Einzelverkauf, darin 42 ePapers. Zehn Jahre zuvor, im 2. Quartal 2013, lag die harte Auflage noch bei 137.690 Exemplaren. Online-Ausgabe Unter dem Namen Welt Online wurde das Nachrichtenportal der Welt-Gruppe im Internet entwickelt. Die Website der Zeitung wurde 1995 gestartet und bietet ein elektronisches Zeitungsarchiv aller Artikel seit der Digitalisierung ab Mai 1995. Ein PDF-Ganzseitenarchiv erlaubt ferner das Herunterladen von einzelnen Seiten, ausgewählten Rubriken (z. B. Titel, Deutschland, Ausland) oder einer kompletten Ausgabe der seit dem 9. Januar 2001 erschienenen Nummern. In einem vergleichenden Beitrag zur redaktionellen Behandlung und Moderation von Leserkommentaren beschäftigte sich der Journalist Stefan Niggemeier im März 2008 angesichts der zunehmenden Welle an Hasskommentaren mit den Leser-Kommentarbereichen mehrerer im Netz verfügbarer Medien. Welt Online zählte er zusammen mit Stern zu den Portalen, die „am weitestgehenden der Idee des barrierelosen Meinungsaustausches treu geblieben“ seien. Dies habe jedoch auch zur Folge, dass viele Hasskommentare auf der Seite sichtbar seien. Über Welt Online schrieb er: „Auch die Kommentarbereiche auf Welt Online sind ein unwirtlicher Ort – und gelten teilweise als Spielwiese für Rechtsradikale, Spinner und Hetzer aller Art.“ Seit 2020 ist das Kommentieren von Artikeln nur noch mit einem Abo möglich. 2012 wurde der Internetauftritt in Die Welt umbenannt und zum einheitlichen Namensauftritt aller Medien der Welt-Gruppe gemacht; ausgenommen davon die Welt am Sonntag. Im gleichen Jahr führte Die Welt als erste überregionale Tageszeitung in Deutschland für ihren Internetauftritt ein Bezahlsystem ein. Nutzer können seitdem pro Kalendermonat 20 Artikel kostenlos abrufen, danach wird beim Abruf eines weiteren Artikels der Abschluss eines Abonnements verlangt. Nach dem ersten halben Jahr mit einer Paywall zog der General Manager der digitalen Welt-Produkte (Welt Digital) bei einer Tagung des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger eine erste Zwischenbilanz. Die konkrete Zahl der Zahler nannte er nicht; er bezeichnete sie als „ermutigend“. Nach eigenen Angaben betrug die Zahl der digitalen Abonnenten der Welt zum 30. Juni 2013 mehr als 47.000. Diskutiert wird allerdings die Aussagekraft der Zahlen hinsichtlich der Bereitschaft für Inhalte im Internet zu zahlen, da das Abo unter anderem in Kombination mit einem iPad mini beworben und verkauft wurde. Im Juni 2016 hatte Die Welt mehr als 75.000 digitale Abonnenten. Bis April 2022 stieg die Zahl auf über 200.000. Am 15. September 2015 wurde die digitale Zeitung Welt Edition eingeführt. Sie ist die weiterentwickelte Version der bisherigen iPad-App Welt HD und das erste Angebot, das unter dem neuen Markendach Welt erschienen ist. Mit der Zusammenlegung von Die Welt und N24 unter dem Dach von WeltN24 hat sich welt.de zum gemeinsamen Nachrichtenportal gewandelt. In Russland wird welt.de seit dem 10. Juli 2022 blockiert, weil angeblich Nachrichten verbreitet werden, die gesetzlich verboten sind, womit Nachrichten über den Ukraine-Krieg gemeint sein dürften. Chefredakteure Hans Zehrer (1946) Rudolf Küstermeier (1946–1953) Bernhard Menne (1950) Paul Bourdin (1950) Adolf Helbig, Hans Scherer, Adalbert Worliczek (September 1950–Oktober 1951) Adolf Helbig (November 1951–Januar 1952) Albert Komma (1952–1953) Hans Zehrer (1953–1966) H. F. G. Starke (1966–1969) Herbert Kremp (1969–1985, mit zwei Unterbrechungen) Wolf Schneider (1973–1974) Peter Boenisch (1978–1981) Manfred Schell (1985–1992) Peter Gillies (1985–1988 und 1992–1995) Claus Jacobi (1993–1995) Thomas Löffelholz (1995–1998) Mathias Döpfner (1. Mai 1998 bis 31. Oktober 2000) Wolfram Weimer (1. November 2000 bis 31. Dezember 2002) Jan-Eric Peters (1. Januar 2003 bis 6. Juni 2004) Roger Köppel (7. Juni 2004 bis 31. Dezember 2006) Thomas Schmid (1. Januar 2007 bis 14. Februar 2010) Jan-Eric Peters (15. Februar 2010 bis 31. Dezember 2015) Stefan Aust (1. Januar 2016 bis 5. September 2016) Ulf Poschardt (6. September 2016 bis 28. Februar 2019) Dagmar Rosenfeld (1. März 2019 bis 31. Dezember 2021) Jennifer Wilton (seit 1. Januar 2022) Kooperationen Die Welt ist Gründungsmitglied der Leading European Newspaper Alliance (LENA), in der sie seit 2015 mit sieben ausländischen Tageszeitungen in der internationalen Berichterstattung zusammenarbeitet. Die Welt veranstaltet in Kooperation mit der Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Diskussionsveranstaltungen zu Bundestagswahlen. Rezeption Rügen und Missbilligungen des Deutschen Presserates Seit 2002 hat die Welt sechs Rügen und eine Anzahl von Missbilligungen des Deutschen Presserates wegen Verstoßes gegen den Pressekodex erhalten. 2019 kritisiert Niggemeier die enge Kooperation der Welt mit Volkswagen zur Ausgabe vom 7. Mai 2019, welche unter anderem den VW-Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess zum „Co-Chefredakteur“ machte. Als Folge von drei Beschwerden über diese Ausgabe (eine davon mit Beteiligung Niggemeiers) sprach der Deutsche Presserat eine Missbilligung wegen Verstoßes gegen den Pressekodex aus. Umgang mit COVID-19-Pandemie Die Welt stand während der COVID-19-Pandemie in der Kritik, Falschinformationen zur Pandemie unkritisch zu übernehmen. So sorgte etwa ein Interview mit Matthias Schrappe für heftige Kritik unter dem Schlagwort „Weltgate“, da Schrappe irreführende Aussagen über Statistiken zur Intensivbettenkapazität vorgeworfen wurden. Mittlerweile hat jedoch auch der Bundesrechnungshof am 9. Juni 2021 berichtet, dass es Unregelmäßigkeiten bei der Intensivbetten-Statistik gab, wodurch sich Schrappe entlastet sieht. Das Watchblog Volksverpetzer schrieb: „Es ist in letzter Zeit relativ deutlich geworden, dass in der WELT-Redaktion entweder Personal sitzt, das derartigem verschwörungsideologischen Denken anhängt oder zynisch die teilungsfreudige Blase von Rechtsextremist:innen, Pandemie-Leugner:innen und Co. mit vermeintlicher Bestätigung ihrer wissenschaftsfeindlichen Weltanschauung bedienen will. Oder beides.“ Das Magazin Medieninsider warf der Zeitung vor, „mit verschwörungstheoretischen Ansätzen auf Abonnentenfang am rechten Rand zu gehen“. Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft sah in der Berichterstattung der Welt Parallelen zu rechtspopulistischen Narrativen, in denen Corona-Maßnahmen eine „Generalprobe für die Klimadiktatur“ darstellten (etwa durch den Chefredakteur Ulf Poschardt und den Publizisten Jörg Phil Friedrich 2021). Diese „populistische Generalkritik an der Krisenintervention“ fände sich auch bei Werte-Union und der AfD. Gunnar Hamann argumentierte in einem Artikel im Volksverpetzer, dass neben Journalisten, die Querdenkern nahestehende Meinungen verbreiten, auch Querdenker selbst Beiträge in der Welt schreiben können. Berichterstattung zur Klimakrise Wiederholt kamen Wissenschaftler zum Ergebnis, dass die Welt zusammen mit der Welt am Sonntag von allen deutschen Zeitungen die meisten klimaskeptische Artikel publiziert. Eine 2017 erschienene Studie, die über ein Jahr die Publikationen verschiedene Zeitungen im Zeitraum Juni 2012 bis Mai 2013 untersuchte, fand heraus, dass 21 von 49 in der Stichprobe enthaltenen Welt-Artikel klimaskeptisch ausgerichtet waren. Dies entspricht einem Anteil von 43 % und war der höchste Wert aller deutschen Zeitungen. 11 dieser 21 Artikel gaben sogar ausschließlich klimaskeptische Ansichten wieder. Eine weitere Studie, die konkret die Berichterstattung zur UN-Klimakonferenz in Durban 2011 untersuchte, kam ebenfalls zum Ergebnis, dass in der Welt die meisten klimaskeptische Behauptungen in deutschen Zeitungen publiziert wurden. In dieser Berichterstattung enthielten mehr als 17 % der Welt-Artikel klimaskeptische Elemente. Die Welt war dabei nicht nur vergleichsweise skeptisch bezüglich der Klimaforschung selbst, sondern insbesondere in Bezug auf die Existenz der globalen Erwärmung und ihrer Ursachen. Insgesamt ermittelten die Forscher in den Welt-Artikeln 40 verschiedene klimaskeptische Erzählungen, von denen die Welt 36 positiv darstellte, vier neutral und keine einzige negativ. Daraus schlossen die Forscher, die Welt könne „als Unterstützer [klima]-skeptischer Ideen interpretiert werden.“ Die Welt wurde 2023 dafür kritisiert, den „besonders bösartigen Fake-News-Artikel“ aus dem Jahr 2011 mit dem Titel „Die CO2-Theorie ist nur geniale Propaganda“ von Günter Ederer nicht gelöscht oder mit einem Warnhinweis versehen zu haben. Ederer trat noch im Jahr 2022 bei der AfD-nahen Lobbyorganisation EIKE auf, welche als Zentrum der politisch aktiven und organisierten Klimaleugnerszene in Deutschland beschrieben wird. Zusätzlich warf das Portal Volksverpetzer 2021 und 2023 der Welt hinsichtlich weiterer Artikel vor, unwissenschaftliche Behauptungen über den Klimawandel zu verbreiten. Befragungen zu Antisemitismus Das Magazin Übermedien kritisierte die Zeitung im Jahr 2023 für ihren Umgang mit einer Befragung von Prominenten zum Antisemitismus in Deutschland. Die Welt hatte dabei verschiedene Persönlichkeiten gebeten, eine Stellungnahme abzugeben. Personen, die absagten oder keine Rückmeldung abgaben, wurde vorgeworfen, hier zu schweigen während sie sich aber vorgeblich für andere soziale Themen engagieren. Die Welt nahm kurz darauf Korrekturen in ihrer Darstellung vor, da Stellungnahmen von Prominenten vorlagen, denen sie zuvor Schweigen vorgeworfen hatte. Welt-Literaturpreis Von 1999 bis 2019 verlieh Die Welt den internationalen WELT-Literaturpreis, mit dem sie an den Publizisten Willy Haas erinnerte. Der jährlich vergebene Preis war zunächst mit 10.000 Euro, seit 2018 mit 12.000 Euro dotiert. Die Preisträger waren: 1999: Bernhard Schlink 2000: Imre Kertész 2001: Pat Barker 2002: Leon de Winter 2003: Jeffrey Eugenides 2004: Amos Oz 2005: Yasmina Reza 2006: Rüdiger Safranski 2007: Daniel Kehlmann 2008: Hans Keilson 2009: Philip Roth 2010: Claude Lanzmann 2011: Albert Ostermaier 2012: Zeruya Shalev 2013: Jonathan Franzen 2014: Haruki Murakami 2015: Karl Ove Knausgård 2016: Zadie Smith 2017: – 2018: Virginie Despentes 2019: Salman Rushdie Weblinks Eigene Webpräsenz – gemeinsame Website mit dem gleichnamigen Fernsehsender Einzelnachweise Axel Springer SE Zeitung (Berlin) Lizenzzeitung Deutschsprachige Tageszeitung Überregionale Tageszeitung Ersterscheinung 1946
1132
https://de.wikipedia.org/wiki/Diamant
Diamant
Diamant ist die kubische Modifikation des Kohlenstoffs und als natürlich vorkommender Feststoff ein Mineral aus der Mineralklasse der Elemente. Diamant bildet meist oktaederförmige Kristalle, oft mit gebogenen und streifigen Flächen. Weitere beobachtete Formen sind das Tetraeder, Dodekaeder und der Würfel. Die Kristalle sind transparent, farblos oder durch Verunreinigungen (z. B. Stickstoff oder Bor) oder Kristallgitterdefekte grün, gelb, braun und seltener auch orange, blau, rosa, rot oder grau bis schwarz gefärbt. Diamant ist der härteste natürliche Stoff. In der Härteskala nach Mohs hat er die Härte 10. Seine Schleifhärte nach Rosiwal (auch absolute Härte) ist 140-mal größer als die des Korunds. Die Härte des Diamanten ist allerdings in verschiedenen Kristallrichtungen unterschiedlich (Anisotropie). Dadurch ist es möglich, Diamant mit Diamant zu schleifen. In dem dazu verwendeten Diamantpulver liegen die Kristalle in jeder Orientierung vor (statistische Isotropie), damit wirken immer auch die härtesten unter ihnen auf den zu schleifenden Körper. Diamant ist optisch isotrop mit hoher Lichtbrechung und hoher Dispersion. Er zeigt Fluoreszenz und Phosphoreszenz und ist triboelektrisch. Er verfügt über die höchste Wärmeleitfähigkeit aller bekannten Minerale. Das Gewicht einzelner Diamanten wird traditionell in Karat angegeben, einer Einheit, die exakt 0,2 Gramm entspricht (siehe Abschnitt „Gewicht in Karat“). Ein unbehandelter, d. h. insbesondere ungeschliffener Diamant wird Rohdiamant genannt. Etymologie und Geschichte Der Name Diamant leitet sich aus dem spätlateinischen diamantem, Akkusativ von diamas ab, einer gräzisierenden Abwandlung von adamas, akk. adamanta, zu griechisch ἀδάμας, adámas, „unbezwingbar“. Im klassischen Latein wurden wie bereits im Griechischen als adamas besonders harte Materialien bezeichnet, so etwa von Hesiod der Stahl, von Platon und Theophrast wohl der Diamant und von Plinius der Saphir. Die ältesten Diamantenfunde werden aus Indien, angeblich bereits im 4. Jahrtausend vor Christus, berichtet. Bereits damals sagte man Diamanten magische Wirkungen nach, weshalb man sie auch als Talismane nutzte. Diamanten waren auch bei den alten Römern bekannt und wurden sehr geschätzt. Die Verwendung von Diamanten als Werkzeug beschreibt schon Plinius der Ältere in seinem Werk Naturalis historia, XXXVII 60. Um 600 n. Chr. wurde der erste Diamant auf der indonesischen Insel Borneo gemeldet, doch obwohl Indien nun nicht mehr die einzige Quelle war, blieben die indonesischen Funde unbedeutend, da die Anzahl zu gering und der Transport zu den Handelsstädten zu weit war. Erst im 13. Jahrhundert entdeckte man, dass sich Diamanten bearbeiten lassen, was jedoch in Indien abgelehnt wurde, da die Steine so angeblich ihre magischen Kräfte verlieren könnten. Der heutige typische Brillant­schliff wurde erst um 1910 entwickelt. Im 18. Jahrhundert erschöpften sich allmählich die indischen und indonesischen Minen. Als ein Portugiese auf der Suche nach Gold in Brasilien war, entdeckte er den ersten Diamanten außerhalb Asiens. Dieser Fund verursachte einen „Diamantrausch“. Den ersten Diamant im Muttergestein Kimberlit fand man 1869 in Kimberley in Südafrika. Ein Jahr später übernahm Südafrika die Rolle des Hauptlieferanten, da auch Funde in Brasilien seltener wurden. Auf der Weltausstellung in Philadelphia 1876 wurde erstmals eine mit Diamanten besetzte Steinkreissäge einer breiten Öffentlichkeit gezeigt. 1908 entdeckte man auch an der Diamantenküste Deutsch-Südwestafrikas Diamanten, und 1955 wurde schließlich der erste Diamant künstlich hergestellt. Den ersten Diamanten auf dem Meeresgrund fand man erst 1961. Heute ist Russland Hauptlieferant für Diamanten. Klassifikation In der mittlerweile veralteten, aber noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Diamant zur Mineralklasse der „Elemente“ und dort zur Abteilung der „Halbmetalle und Nichtmetalle“, wo er zusammen mit Chaoit, Fullerit, Graphit, Lonsdaleit und Moissanit eine eigenständige Gruppe bildete. Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Diamanten ebenfalls in die Klasse der „Elemente“ und dort in die Abteilung der „Halbmetalle (Metalloide) und Nichtmetalle“ ein. Diese Abteilung ist allerdings weiter unterteilt nach den verwandten, chemischen Elementen, sodass das Mineral entsprechend in der Unterabteilung „Kohlenstoff-Silicium-Familie“ zu finden ist, wo es nur noch zusammen mit Lonsdaleit die unbenannte Gruppe 1.CB.10 bildet. Auch die Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Diamanten in die Klasse und gleichnamige Abteilung der „Elemente“ ein. Hier ist er zusammen mit Graphit, Lonsdaleit, Chaoit und Fullerit in der „Kohlenstoffpolymorphe“ mit der System-Nr. 01.03.06 innerhalb der Unterabteilung „Elemente: Halbmetalle und Nichtmetalle“ zu finden. Kristallstruktur Diamant kristallisiert in der kubischen mit dem Gitterparameter a = 3,567 Å sowie 8 Formeleinheiten pro Elementarzelle. Diamant besteht ausschließlich aus reinem, kubisch kristallisiertem Kohlenstoff. Wenn auch der innere Aufbau theoretisch aus reinem Kohlenstoff besteht, so sind die freien Atombindungen an den Grenzflächen des Kristalls doch mit Sauerstoff oder Wasserstoff gesättigt. Im Diamanten sind die Kohlenstoffatome tetraedrisch gebunden; das bedeutet, jedes Atom hat vier symmetrisch ausgerichtete Bindungen zu seinen nächsten Nachbarn. Die große Härte resultiert aus der sehr hohen Bindungsenergie der vollständig in sp3-Hybridisierung vorliegenden chemischen Bindungen. Eigenschaften Diamant oxidiert in reinem Sauerstoff bei ca. 720 °C, in Luft ebenfalls ab 720 °C in langsamerer Reaktionsgeschwindigkeit zu (gasförmigem) Kohlendioxid. Wird ein auf Gelbglut erhitzter Diamant von einigen Millimetern Durchmesser in flüssigen, also tiefkalten, Sauerstoff gegeben, sinkt er ab und verbrennt unter Glüherscheinung zu Kohlendioxid, das fest ausfällt. Die Reaktionsenthalpie ist mit 395,7 kJ/mol um 1,89 kJ/mol größer als die von Graphit. Um Diamant in einer Gasflamme zu verbrennen, braucht es Sauerstoffüberschuss. Diamantpulver einer geeigneten Korngröße um 50 Mikrometer verbrennt nach Kontakt mit einer Flamme in einem Funkenregen, ähnlich wie Kohlepulver. Dementsprechend können auch pyrotechnische Sätze auf Basis von Diamantpulver gefertigt werden. Während die Funkenfarbe vergleichbar zu Kohlepulver ist, wird aufgrund der ca. zweifach höheren Dichte eine sehr lineare Flugbahn beobachtet. Mit Wasserstoff reagiert er bei hohen Temperaturen zu Kohlenwasserstoffen. Diamant löst sich in Schmelzen von kohlenstofflösenden Metallen wie Eisen, Nickel, Cobalt, Chrom, Titan, Platin, Palladium und deren Legierungen. Je größer das Korn oder der Kristall ist, umso kleiner ist gemäß dem Verhältnis reaktiver Oberfläche zu Volumen – in allen Fällen – die Umsetzungsgeschwindigkeit. Altersbestimmung Das Alter der Diamanten kann anhand ihrer Einschlüsse bestimmt werden. Diese Einschlüsse entstehen gleichzeitig mit dem Diamanten, der sie umschließt, und bestehen oft aus Silikatmineralen der Umgebung. Das Alter der Silikatminerale kann mit der Geochronologie anhand ihrer isotopischen Zusammensetzung bestimmt werden; dazu werden hauptsächlich die Zerfallssystematik von 147Sm zu 143Nd und 187Re zu 187Os verwendet. Anhand der inzwischen großen Datenbank an Isotopendaten lässt sich feststellen, dass die Diamantbildung immer wieder zu verschiedenen Zeiten über alle Erdzeitalter hinweg stattfand, und es nicht nur sehr alte Diamanten gibt, die älter als drei Milliarden Jahre sind, sondern auch jüngere, die allerdings immer noch ein Alter von mehreren hundert Millionen Jahren erreichen. Der älteste bekannte Diamant wurde auf ein Alter von 4,25 Mrd. Jahren datiert. Modifikationen und Varietäten Neben kubisch kristallisierendem Diamant sind noch folgende Kohlenstoffmodifikationen bekannt: Graphit (hexagonal), Lonsdaleit (hexagonal), Chaoit (hexagonal), Fullerene (mit wenigen Ausnahmen nur synthetisch), Graphen (synthetisch). Diamant ist bei Raumtemperatur und Normaldruck metastabil. Die Aktivierungsenergie für den Phasenübergang in die stabile Modifikation (Graphit) ist jedoch so hoch, dass eine Umwandlung in Graphit bei Raumtemperatur praktisch nicht stattfindet. Ballas (radialstrahlig, faserig) und Carbonado (schwarzer poröser polykristalliner Diamant, der bislang ausschließlich in Zentralafrika und in Südamerika gefunden wurde) sind besondere Diamant-Varietäten, deren Kristallstrukturen durch ungünstige Wachstumsbedingungen vermehrt Gitterfehler aufweisen. Bildung und Fundorte Diamanten, die groß genug für die Schmuckproduktion sind, bilden sich nur im Erdmantel unter hohen Drücken und Temperaturen, typischerweise in Tiefen zwischen 250 und 800 Kilometern und bei Temperaturen von 1200 bis 1400 °C. Bei der Tiefe gelten als primäre Herkunftsorte der Diamanten zum einen die (1) untere Asthenosphäre und die Mantelübergangszone im oberen Mantel und zum anderen (2) die Grenzregion oberer/unterer Mantel, sowie der oberste untere Mantel. Einschlüsse aus den Diamanten des Typ (1) weisen auf eklogitisches Muttergestein im Erdmantel hin, während das Muttergestein des Typ (2) wahrscheinlich meta-peridotitisches Material ist. Man vermutet, dass Diamanten in der Natur in einer Schmelze kristallisieren, was mit dem Vorkommen von partiellen Gesteinsschmelzen in den beiden oben genannten Bereichen des Erdmantels nicht nur übereinstimmen würde, sondern vermutlich dann auch hiervon abhängig wäre. Nicht nur die beiden Muttergesteinstypen im Erdmantel weisen auf einen Zusammenhang mit subduziertem Ozeanboden hin, dieser Umstand würde auch das Vorhandensein der Gesteinsschmelzen aufgrund von Entwässerungsreaktionen bei Mineral-Phasenübergängen erklären. Gasreiche vulkanische Magmen, Kimberlitischer und im Einzelfall auch Lamproitischer Zusammensetzung (Argyle Minen in Kimberley (Australien) sind der einzige bekannte Diamantführende Lamproit-Diatrem), transportieren Bruchstücke des Erdmantels mit den enthaltenen Diamanten bei ihrer Eruption in relativ hoher Geschwindigkeit (ca. 70 km/h) an die Erdoberfläche, wo sie in den Diatremen (engl. Pipes), den vulkanischen Eruptivschloten, gefunden werden. Entsprechende Bedingungen, also das Vorhandensein von Kohlenstoff und entsprechender Druck und Temperatur sind meist nur im oberen Erdmantel aus dem Archaikum und Hadaikum gegeben, weswegen sich die Exploration meist auf die entsprechend alten Krustenabschnitte beschränkt. Die jeweilige Transportdauer aus der Tiefe wird auf wenige Stunden geschätzt, so dass aufgrund der Schnelligkeit keine Phasenumwandlung zu Graphit stattfindet. Die letzte Phase der Eruption erfolgt mit Überschallgeschwindigkeit. Diamanten sind Fremd- oder Xenokristalle in Kimberlit und Lamproit und in diesen Magmen chemisch nicht stabil (metastabil). So kann man an natürlichen Diamanten immer Auflösungserscheinungen beobachten. Von ihren Vorkommen in Diatremen können die Diamantkristalle durch natürliche Verwitterungsprozesse, bei denen sie aufgrund ihrer Härte intakt bleiben, abtransportiert und in Sedimentgesteinen angereichert werden, die heute eine der Hauptquellen dieses Minerals darstellen. Solche Vorkommen nennt man alluvial. Insbesondere die besten, einschlussarmen Diamanten überstehen den Transport unbeschädigt, sodass alluviale Vorkommen besonders viele Diamanten von Edelsteinqualität enthalten. Metamorphe sogenannte UHP-Mikrodiamanten (engl. Ultra-High-Pressure) wurden zum Beispiel im Erzgebirge, in Griechenland und in Kasachstan gefunden. Die Vorkommen sind an Abschnitte der Erdkruste gebunden, die während einer Gebirgsbildung und Metamorphose hohen Drücken und Temperaturen ausgesetzt wurden. In einer reduzierenden Umgebung, wie bei der Serpentinisierung am Ozeanboden, können Diamanten auch unter deutlich niedrigeren Drücken entstehen. Herkunft des Kohlenstoffes Kohlenstoff kommt im Erdmantel relativ selten vor, entweder stellt er einen Restbestand des Kohlenstoffes dar, der während der Differentiation des Erdkörpers nicht in die Kruste ging, oder er wurde durch die Überschiebung oder Subduktion von ozeanischer Kruste wieder in diese Tiefen gebracht. Mitunter haben daher Diamanten Isotopenzusammensetzungen, die auf einen biogenen Ursprung des Kohlenstoffs hinweisen und salzige Einschlüsse. Irdische Vorkommen Die größten Diamantvorkommen befinden sich in Russland, Afrika, insbesondere in Südafrika, Namibia, Angola, Botswana, der Demokratischen Republik Kongo und Sierra Leone, in Australien, Kanada und in Brasilien. Inzwischen wurden auf allen Kontinenten Diamanten gefunden. Insgesamt kennt man bisher (Stand: 2015) rund 700 Fundorte für Diamanten. In Deutschland fand man Diamanten unter anderem am Nördlinger Ries und in der Nähe der Talsperre Saidenbach bei Pockau-Lengefeld (Sachsen). Da Diamanten auf der Erde erst ab ca. 140 km Tiefe stabil sind, findet man die größten Exemplare dann, wenn sie besonders schnell (in der Regel mit Magmen) aus mindestens dieser Tiefe nach oben kamen, es konnten sogar Diamanten aus dem unteren Erdmantel nachgewiesen werden. Durch rein tektonische Prozesse (durch Exhumierung) an die Erdoberfläche gelangte Diamanten sind meist relativ klein (Durchmesser meist kleiner als 1 mm). Abbau Diamanten werden meist aus Schloten (engl. pipes) von erloschenen Vulkanen gewonnen, die in ihrer Schlotfüllung meist senkrecht nach unten, zuerst im Tagebau, dann unter Tage, abgebaut werden. Das Muttergestein wird dabei zermahlen, um die Diamantkristalle aus dem Gesteinsverbund zu trennen. Umfänglicher Tagebau dieser Art wird in Botswana, Russland und Angola betrieben. In Namibia und Südafrika kommen darüber hinaus Diamanten im Binnenland in den Schotterterrassen einiger Flusstäler und in den teilweise wüstenartigen Küstenstreifen am Atlantik in Alluvialböden sowie untermeerisch auf dem Festlandsockel vor, wo sie nach Erosion ihrer Primärlagerstätte durch äußere natürliche Einwirkungen, mit anderen Flussgeröllbestandteilen, hingelangten. Der Bergbau in diesen Lagerstätten ist sehr flächenintensiv und erfolgt durch mechanisches Selektieren aus den geförderten Lockersedimenten. Er bewirkt einen starken Eingriff in die betroffenen Ökosysteme. Für den Abbau unter Wasser werden speziell konstruierte Schiffe eingesetzt, auf denen die Diamanten aus dem angesaugten Sand gewaschen werden. Wirtschaftlich abbaubare Diamantvorkommen treten meist in Kimberlitgestein auf, die mindestens 2,5 Milliarden Jahre alte Gesteinskomplexe durchschlagen haben. Diese Gesteinskomplexe sind Teil der geologisch ältesten Bereiche der heutigen Kontinente, der sogenannten Festlandskerne oder Kratone, die sich durch eine enorm hohe Lithosphärendicke (300 km) auszeichnen. Die Entstehung der diamanthaltigen Kimberlite und damit auch der wesentlichen Diamantvorkommen ist an sogenannte Plumes gebunden; in diesen Bereichen steigt Material aus dem Erdmantel auf, erwärmt die darüberliegende Lithosphäre stark und führt zu Vulkanismus (siehe auch Hotspot). Die Weltproduktion an Naturdiamant (etwa durch Rio Tinto Group) liegt heute bei etwa zwanzig Tonnen pro Jahr, womit derzeit nur noch etwa 20 % des industriellen Bedarfs gedeckt werden können. Daher füllen in steigendem Maße synthetisch erzeugte Diamanten, deren Eigenschaften wie Zähigkeit, Kristallhabitus, Leitfähigkeit und Reinheit genau beeinflusst werden können, diese Nachfragelücke. Extraterrestrische Entstehung und Vorkommen Mikrodiamanten entstehen vor allem bei Meteoriteneinschlägen: Bei den dabei auftretenden hohen Temperaturen und Druckverhältnissen wird irdischer Kohlenstoff so stark komprimiert, dass sich kleine Diamantkristalle und auch Lonsdaleite bilden, die sich aus der Explosionswolke ablagern und noch heute in der Umgebung von Meteoritenkratern wie dem Barringer-Krater nachgewiesen werden können. Mikrodiamanten kommen auch in Fundstücken von Eisenmeteoriten und ureilitischen Achondriten vor, wo sie vermutlich durch Schockereignisse aus Graphit gebildet wurden. Winzige Diamanten, wegen ihrer typischen Größe von nur einigen Nanometern oft Nanodiamanten genannt, kommen zudem in Form von präsolaren Mineralen in primitiven Meteoriten vor. Kohlige Chondriten Kohlige Chondrite sind Steinmeteorite mit einem vergleichsweise hohen (bis zu 3 %) Anteil an Kohlenstoff. Diese enthalten manchmal winzige, nanometergroße Diamanten, die außerhalb unseres Sonnensystems entstanden. Synthetische Herstellung Die Herstellung synthetischer Diamanten gelang erstmals am 15. Februar 1953 dem Physiker Erik Lundblad bei dem schwedischen Elektrotechnik-Konzern ASEA. Bei der Diamantbestattung wird Kohlenstoff aus der Asche von Verstorbenen zu Diamanten gepresst. Herstellungsverfahren Hochdruck-Hochtemperatur-Verfahren Seit 1955 ist es mit Hilfe des sogenannten Hochdruck-Hochtemperatur-Verfahrens (HPHT – englisch: high-pressure high-temperature) möglich, künstliche Diamanten herzustellen. Bei diesem Verfahren wird Graphit in einer hydraulischen Presse bei Drücken von bis zu 6 Gigapascal (60.000 bar) und Temperaturen von über 1500 °C zusammengepresst. Unter diesen Bedingungen ist Diamant die thermodynamisch stabilere Form von Kohlenstoff, so dass sich der Graphit zu Diamant umwandelt. Dieser Umwandlungsprozess kann unter Beigabe eines Katalysators beschleunigt werden (meist Eisencarbonyl). Auch mit Katalysator dauert der Umwandlungsprozess immer noch einige Wochen. Analog zum Diamant lässt sich aus der hexagonalen Modifikation des Bornitrids ebenfalls unter Verwendung der Hochdruck-Hochtemperatur-Synthese kubisches Bornitrid (CBN) herstellen. CBN erreicht nicht ganz die Härte von Diamant bis Temperaturen von ca. 700 °C, ist aber zum Beispiel bei hohen Temperaturen gegen Sauerstoff beständig. Detonationssynthese Weitere Verfahren zur Erzeugung hoher Temperaturen und Drücke sind die sogenannte Detonationssynthese und die Schockwellensynthese. Bei der Detonationssynthese unterscheidet man zwischen der Detonation eines Gemischs aus Graphit und Explosionsstoff oder ausschließlich die Detonation von Explosionsstoffen. Beim Letztgenannten wird hierzu ein Sprengstoffgemisch aus TNT (Trinitrotoluol) und RDX (Hexogen) in einem abgeschlossenen Behälter gezündet. Der Sprengstoff liefert die benötigte Energie und ist gleichzeitig Kohlenstoffträger. Der nötige Druck zur Umwandlung von Kohlenstoffmaterial in Diamant wird bei der Schockwellensynthese durch das Einwirken einer externen Schockwelle, ebenfalls ausgelöst durch eine Explosion, herbeigeführt. Durch die Explosion wird eine mit Kohlenstoffmaterial gefüllte Kapsel komprimiert. Diese Kraft bewirkt eine Umwandlung des innen liegenden Kohlenstoffmaterials in Diamant. Industriediamant ist ebenso hart wie natürlicher Diamant. Schichten Eine Alternative zur Herstellung künstlicher Diamanten ist die Beschichtung von Substraten mit Hilfe der chemischen Gasphasenabscheidung (engl. , CVD). Dabei wird in einer Vakuumkammer eine einige Mikrometer dicke CVD-Diamantschicht auf den Substraten, zum Beispiel Hartmetallwerkzeugen, abgeschieden. Ausgangsstoff dabei ist typischerweise ein Gasgemisch aus Methan und Wasserstoff, wobei ersteres als Kohlenstoffquelle dient. Gemäß der Ostwaldschen Stufenregel sollte sich hauptsächlich metastabiler Diamant abscheiden; nach der Ostwald-Volmer-Regel bildet sich wegen seiner geringeren Dichte vorwiegend Graphit. Mit atomarem Wasserstoff gelingt es, Graphit selektiv zu zersetzen und die Bildung von Diamant zu begünstigen. Atomarer Wasserstoff (H) entsteht in einem thermisch oder elektrisch aufgeheizten Plasma aus molekularem Wasserstoffgas (H2). Die Substrattemperatur muss unterhalb von 1000 °C liegen, um die Umwandlung in das stabile Graphit zu unterbinden. Es lassen sich dann Wachstumsraten von mehreren Mikrometern pro Stunde erreichen. Als weitere Entwicklung können mit Hilfe der Technik der Plasmabeschichtung zum Beispiel mit PECVD nur wenige Nanometer bis Mikrometer dünne Schichten aus sogenanntem diamantartigem Kohlenstoff (DLC: diamond-like carbon) hergestellt werden. Diese Schichten vereinigen gleichzeitig eine sehr hohe Härte und sehr gute Gleitreibungseigenschaften. In ihnen liegt, je nach Beschichtungsparametern, eine Mischung von sp2- und sp3-hybridisierten Kohlenstoffatomen vor. Es handelt sich daher bei diesen Schichten nicht um Diamant. Diese Schichten haben jedoch bestimmte Eigenschaften des Diamanten und werden daher als „diamantähnlich“ oder „diamantartig“ bezeichnet. Über die Steuerung des Prozesses und der Wahl des Precursormaterials können viele Arten von harten wasserstofffreien bis hin zu sehr elastischen wasserstoffhaltigen Kohlenstoffschichten erzeugt werden. Homo- und Heteroepitaxie Mittels durch ein Mikrowellen-Plasma unterstützter Chemischer Gasphasenabscheidung (MWPCVD) gelingt es, auf dünnen Diamantsubstraten oder auch auf gitterangepassten Fremdsubstraten (Heteroepitaxie) dicke Diamantkörper herzustellen. Auf letzterem Verfahren beruhte die im Jahr 2016 gelungene Herstellung eines scheibenförmigen Diamanten von 155 Karat Gewicht und 92 mm Durchmesser. Das Verfahren besteht darin, dass einerseits aus Kohlenwasserstoffen (z. B. Methan) im Plasma Kohlenstoff frei wird und sich abscheidet, andererseits sorgt ein hoher Anteil atomaren Wasserstoffs im Plasma dafür, dass alle nicht diamantartig abgeschiedenen Strukturen wieder abgetragen werden. Das 2008 vielversprechendste Substrat zur heteroepitaktischen Herstellung von Diamantscheiben ist eine Mehrschichtstruktur aus einer Iridiumschicht auf Yttrium-stabilisiertem Zirconium(IV)-oxid (YSZ), das auf einem einkristallinen Silicium-Wafer abgeschieden wurde. Weiterverarbeitung Dieser kommerziell erfolgreiche Weg liefert Diamantpulver in verschiedenen Feinheiten. Die synthetisch hergestellten Rohdiamanten werden zunächst mechanisch zerkleinert (Mahlen in Kugelmühlen). Verunreinigungen aus Rückständen der Edukte auf der Oberfläche der Diamantpartikel, wie nicht brennbare Verunreinigungen oder nicht umgewandelte Graphitreste, werden chemisch entfernt. Die Klassierung erfolgt bei gröberen Körnungen durch Siebung. Mikrokörnungen hingegen müssen sedimentiert werden. Hierzu wird das Diamantpulver in ein Wasserbecken gegeben. Mit Hilfe des Stokesschen Gesetzes kann die Sedimentationsgeschwindigkeit eines sphärischen Partikels berechnet werden. Die oberen Schichten des Wasser-Diamantpulver-Gemischs werden nach einer jeweiligen Sedimentationsdauer vorsichtig abgesaugt und physikalisch getrocknet. Magnetischer Diamant Am Rensselaer Polytechnic Institute in Troy (New York) gelang es, magnetische Diamanten herzustellen. Sie sind nur fünf Nanometer groß und besitzen ein eigenes Magnetfeld. Der Effekt beruht auf einem Defekt im Kristallgitter. Anwendungen des gesundheitsverträglichen Kohlenstoffs werden vor allem in der Medizin prognostiziert. Monokristallines Diamantpulver Monokristalliner Industriediamant (Einkristall) ist relativ kostengünstig und in großen Mengen herstellbar. In der industriellen Technik ist er deshalb weit verbreitet in Schleif-, Läpp- und Polier-Prozessen. Der Diamant weist eine monokristalline Gitterstruktur auf, die Gleitebenen sind parallel zur optischen Achse (111-Ebene) orientiert. Bei Belastung bricht das monokristalline Diamantkorn entlang der parallelen Spaltebenen. Hierdurch entstehen Körner in blockiger Form mit scharfen Schneidkanten. Sinnbildlich ausgedrückt bricht ein monokristallines Diamantkorn wie eine Salami, die in Scheiben geschnitten wird („Salamischeibenmodell“). Polykristallines Diamantpulver Ein polykristalliner (Industrie-)Diamant (Vielkristall) ist aus einer Vielzahl winziger Diamantkörner zusammengesetzt. Bei Belastung brechen kleine Ecken und Kanten aus dem Diamantkorn heraus, so dass immer wieder neue, scharfe Schneidkanten entstehen (Selbstschärfungseffekt). Durch diese Charakteristik werden hohe Abtragsraten und zugleich feinste Oberflächen erreicht. Er eignet sich für das Läppen und Polieren extrem harter Materialien, wie beispielsweise Keramik oder Saphirglas. Nanodiamant Nanodiamantpulver findet in verschiedenen Anwendungen und Forschungsgebieten Verwendung. Durch das große Volumen-Oberflächenverhältnis entstehen neue physikalische und chemische Eigenschaften. Nanodiamanten haben beispielsweise perfekte Schmiereigenschaften und werden daher Schmierölen zugesetzt. Ein weiteres Einsatzgebiet für Nanodiamanten soll die Krebstherapie sein. Naturdiamantpulver Das monokristalline Naturdiamantpulver wird bevorzugt für die Herstellung galvanisch gebundener Diamantwerkzeuge verwendet. Als Abfallprodukt der Schmuckindustrie ist es sehr selten und entsprechend hochpreisig. Beschichtetes Diamantpulver Mit Nickel, Kupfer oder Titan beschichtetes monokristallines Industriediamantpulver findet unter anderem Anwendung zur Herstellung galvanisch gebundener Diamantwerkzeuge. Verwendung als Schmuckstein Ein Diamant hat eine sehr hohe Lichtbrechung und einen starken Glanz, gepaart mit einer auffallenden Dispersion, weshalb er bis heute vorwiegend als Schmuckstein genutzt wird. Seine Brillanz beruht auf zahllosen inneren Lichtreflexionen, die durch den sorgfältigen Schliff der einzelnen Facetten hervorgerufen werden, welche in speziell gewählten Winkelverhältnissen zueinander stehen müssen. Das Ziel ist es, einen hohen Prozentsatz des einfallenden Lichtes durch Reflexionen im Inneren des Steines wieder in Richtung des Betrachters aus dem Stein austreten zu lassen. Mittlerweile werden Schliffe und deren Wirkung auf Rechnern simuliert und die Steine auf Automaten geschliffen, um über eine exakte Ausführung optimale Ergebnisse zu erreichen. Nur ein Viertel aller Diamanten ist qualitativ als Schmuckstein geeignet. Davon erfüllt nur ein kleiner Bruchteil die Kriterien, die heute an Edelsteine gestellt werden: Ausreichende Größe, geeignete Form, hohe Reinheit, Fehlerfreiheit, Schliffgüte, Brillanzwirkung, Farbenzerstreuung, Härte, Seltenheit und je nach Wunsch Farbigkeit oder Farblosigkeit. Im frühen Mittelalter hatte der Diamant mangels Bearbeitungsmöglichkeiten noch keinen besonderen Wert, und meist wurden nur die farbigen Steine als Edelsteine bezeichnet. Beginnend vermutlich im 14. Jahrhundert und bis zum 16. Jahrhundert wurden Diamanten mit einer glatten Spaltfläche nach unten und oben in gewölbter Form in Facetten geschliffen. Diesen Schliff nannte man Rosenschliff, spätere Varianten mit mehreren Facettenebenen die „Antwerpener Rose“. Diese Diamanten wurden dann zur Erhöhung der Reflexion in Silber über einer folierten Vertiefung gefasst, die poliert war und manchmal ebenfalls Abdrücke der Facetten des Rosenschliffes hatte. Mit Erfindung besserer Schleifscheiben im 17. Jahrhundert konnte man Diamanten mit spitzem Unterteil schleifen, die erstmals durch Totalreflexion von oben einfallendes Licht wieder zum Betrachter reflektieren konnten. Solche Diamanten wurden dann unten offen gefasst, und viele Diamantrosen sollen dann auch umgeschliffen worden sein. Diese Schliffform zeigte, wie die unten folierten Diamantrosen, eine gute Brillanz und das Feuer des Diamanten. Bis zum 19. Jahrhundert bestand die Bearbeitung nur in zwei Techniken, dem Spalten entlang der Spaltebenen (Oktaederflächen) und dem Schleifen/Polieren. Durch die Erfindung des Sägens konnten Diamanten im modernen Schliff und mit geringerem Verarbeitungsverlust entwickelt werden. Der moderne Schliff entstand so im 20. Jahrhundert, mit einer deutlich höheren Lichtausbeute, die das Feuer in den Hintergrund drängt. Seit den 1980er Jahren werden Diamanten unter anderem mit Lasern bearbeitet, um dunkle Einschlüsse zu entfernen und Steine zu kennzeichnen. Die Eigenfarbe von Diamant lässt sich nicht so einfach wie bei anderen Schmucksteinen beeinflussen. Unansehnliche Steine gibt man zur Farbveränderung seit den 1960er Jahren in Kernreaktoren zur Bestrahlung. Das Resultat sind dauerhafte Farbveränderungen. Schmutzig graue, weiße und gelbliche Steine erhalten ein leuchtendes Blau oder Grün. Daran kann sich noch eine Wärmebehandlung anschließen, wobei die durch Strahlung erzeugten Kristallveränderungen zum Teil wieder „ausheilen“ und als weitere Farbveränderung sichtbar werden. Die Resultate sind nicht immer eindeutig vorhersehbar. Diamantbestimmung Kriterien zur Erkennung eines Diamanten sind u. a. seine Dichte, Härte, Wärmeleitfähigkeit, Glanz, Lichtstreuung oder Dispersion, Lichtbrechung oder Refraktion sowie Art und Ausbildung vorhandener Einschlüsse. Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsinstrument zwischen naturfarbenen und künstlich gefärbten Diamanten liegt in der Absorptions-Spektroskopie. Diamanten kommen in verschiedenen Farben und Schattierungen vor, unter anderem Gelb, Braun, Rot und Blau. Die Farben beruhen hauptsächlich auf Einbau von Fremdelementen (z. B. Stickstoff oder Bor) im Kohlenstoffgitter des natürlichen Diamanten. Brillanten Eine besonders charakteristische – und für Diamanten die mit Abstand häufigste – Schliffform ist der Brillantschliff. Seine Merkmale sind mindestens 32 Facetten und die Tafel im Oberteil, eine kreisrunde Rundiste, sowie mindestens 24 Facetten im Unterteil. Nur derartig geschliffene Diamanten dürfen als Brillanten bezeichnet werden. Zusätzliche Angaben wie echt oder ähnliche sind dabei nicht erlaubt, da irreführend. Die Bezeichnung Brillant bezieht sich stets auf Diamanten. Zwar ist es möglich – und auch nicht unüblich –, andere Edelsteine oder Imitate im Brillantschliff zu verarbeiten, diese müssen dann aber eindeutig bezeichnet sein, zum Beispiel als Zirkonia in Brillantschliff. Bewertung von geschliffenen Diamanten Zur Bewertung der Qualität und damit auch des Preises eines geschliffenen Diamanten werden als Kriterien die sogenannten vier C: Carat (Karat), Color (Farbe), Clarity (Klarheit), Cut (Schliff) herangezogen. Der Preis pro Karat liegt 2010 laut dem Kimberley Process Certification Scheme zwischen 342,92 US$ (bei Diamanten aus Namibia) und 67,34 US$ (aus Russland). Besonders seltene und hochkarätige Exemplare erzielen jedoch meist auf Auktionen extrem höhere Preise. So wurde am 13. November 2018 bei einer Versteigerung im Auktionshaus Christie’s für einen rosa Diamanten namens Pink Legacy 39,1 Millionen Euro erzielt, was mit 2,6 Millionen Dollar pro Karat einen neuen Weltrekord aufstellte. Am 4. April 2017 erzielte der 59,6 Karat schwere Pink Star bei Sotheby’s Hong Kong 71,2 Millionen Dollar (ca. 67 Millionen Euro). Für den berühmten Oppenheimer Blue, einen blauen Diamanten mit 14,62 Karat und dem Prädikat „Fancy Vivid Blue“ für die seltenste und gefragteste Farbausprägung bei blauen Diamanten, waren bei Christie’s Genf am 19. Mai 2016 57 Millionen Dollar (ca. 51 Millionen Euro) das höchste Gebot. Diamantpreis je Karat Der Preis für geschliffene Diamanten steigt nicht linear zum Diamantgewicht, sondern exponentiell. Als Beispiel dienen gemittelte Preise je Karat für drei beliebte Diamantgrößen. Ein Einkaräter ist im Handel demnach pro Karat etwa 400 % teurer als ein Diamant mit 0,25 ct. Für einen Halbkaräter ist ein Aufschlag von 83,3 % zu bezahlen. Gewicht in Karat (carat weight) Die Gewichtseinheit für Edelsteine ist das Karat, Abkürzung ct. Der Name dieser Einheit leitet sich von der arabischen bzw. griechischen Bezeichnung für die Samen des Johannisbrotbaums (lat. Ceratonia siliqua) ab. Diese wurden früher als Gewichte verwendet. Ein metrisches Karat entspricht exakt 0,2 Gramm. Reinheit (clarity) Zur Beschreibung der Reinheit werden folgende Abkürzungen und Fachbegriffe verwendet (Rangfolge), wobei sich die Kriterien auf die Begutachtung durch einen geübten Fachmann beziehen: Farbe (colour) Diamanten, die für das ungeübte Auge farblos zu sein scheinen, können vom Fachmann in verschiedene Farbklassen eingeteilt werden – die sogenannte Weißreihe, die von D (farblos) bis Z (hellbraun oder gelb) reicht: Schliff (cut) Der Schliff ist für das Feuer eines Diamanten maßgeblich. So kann der eine geradezu leblos wirken, während aus dem anderen scheinbar Funken sprühen. Nachfolgende Übersicht nach RAL 560 A5E unterscheidet folgende vier Qualitätsstufen: Fluoreszenz Die Fluoreszenz beschreibt ein Bewertungskriterium bei geschliffenen Diamanten. Ein Diamant mit niedriger Fluoreszenz leuchtet unter UV-Licht leicht, bei höherer Fluoreszenz stark bläulich. Starke Fluoreszenzen können den Wert weißer Diamanten herabsetzen. Die Fluoreszenz eines Diamanten wird in einer Skala gemessen: Konflikte (conflicts) Rohdiamanten zur Finanzierung von Bürgerkriegen (siehe Abschnitt Soziale Einflüsse) sind geächtet und treten zunehmend als „fünftes C“ in das Bewusstsein der Bevölkerung. Rohdiamanten ohne Herkunftsangabe und Kimberly-Zertifikat werden von Händlern weitgehend geächtet. Für geschliffene Diamanten gibt es in der Regel keinen Herkunftsnachweis. Fancy Diamonds Der Name Fancy Diamonds ( fancy „schick“), auch kurz Fancys genannt, bezeichnet farbige Diamanten. Zwar sind die meisten Diamanten farbig, viele sind jedoch unattraktiv. So kann die Eigenfarbe des Diamanten von allen Tönungen im Bereich Grau, Gelb, Grün, Braun dominiert werden; gelegentlich wechselt sie auch innerhalb eines Steines. Reine intensive Farben sind selten und wertvoll; entsprechend werden bessere Preise dafür bezahlt, die zum Teil beträchtlich über dem Standard für farblose Diamanten liegen können. So werden pinkfarbene Diamanten um den Faktor 50 höher bewertet als weiße. Statistisch gesehen ist bei 100.000 Diamanten durchschnittlich nur ein „Fancy“-Diamant dabei. Gelb- und Brauntöne, die mehr als 80 Prozent aller farbigen Diamanten ausmachen, sind im engeren Sinne keine Fancys. Kanariengelb oder Cognacgoldbraun sind hingegen Fancy-Farben. Eine große Sammlung farbiger Diamanten ist die Aurora Collection. Ein Diamant kann durch radioaktive Bestrahlung seine Farbe verändern. Nach einer künstlichen Bestrahlung folgt oft eine Temperaturbehandlung, die die Farbe ebenfalls beeinflusst. Bei künstlich bestrahlten Diamanten muss die Farbbehandlung im Zertifikat angegeben werden, da sie deutlich geringwertiger sind. Die Farbbezeichnungen werden zu Verkaufszwecken gewählt: Goldorange, Lemon, Schoko, Noir/Black, Electric-Blue. Die erste große Fancy-Quelle wurde 1867 in Südafrika gefunden. Seit den 1980er Jahren ist die Argyle Mine in Australien die wichtigste Fundstätte für pinkfarbene bis rote Fancy-Diamanten. Man unterscheidet sieben Fancy-Farben, neben denen noch viele weitere Zwischenfarben wie Gold, Grau oder Gelbgrün existieren. Für die Färbung ist je ein anderer Stoff verantwortlich: Kanariengelb: Für die Gelbtöne ist Stickstoff verantwortlich. Je größer der Stickstoffgehalt, desto intensiver der Gelb- oder auch Grünton. Der berühmteste und wahrscheinlich größte gelbe Diamant ist der Tiffany-Diamant von 128,51 Karat, sein Rohgewicht betrug 287,42 Karat. Gelb ist nach Weiß und zusammen mit Braun die häufigste Farbe von Diamanten. Ein weiterer berühmter gelber Diamant ist der Golden Jubilee. Braun: Für die Brauntöne sind Defekte im Kristallgitter verantwortlich. Der größte braune geschliffene Diamant ist der Earth Star mit 111,6 Karat. Der größte je gefundene braune Diamant ist wahrscheinlich der Lesotho Brown mit 601 Karat. Blau: Das Element Bor ist für die blaue Färbung von Diamanten verantwortlich. Der größte und berühmteste blaue Diamant ist der angeblich verfluchte Hope-Diamant, der ungeschliffen 112,5 Karat wog und in geschliffenem Zustand heute 45,52 Karat wiegt. Aus der Sammlung Rachel Lambert Mellon wurde 2014 von Sotheby’s in New York ein tropfenförmiger blauer Diamant mit „nur“ 9,75 Karat (1,95 Gramm) für 32,6 Millionen Dollar (26,3 Millionen Euro) versteigert, es ist damit der bisher höchste Karatwert für einen Diamant in Höhe von 3,35 Millionen Dollar erzielt worden. Der Oppenheimer Blue mit 14,62 Karat, vom Gemological Institute of America als größter blauer Diamant klassifiziert, wurde bei einer Auktion im Mai 2016 für eine Rekordsumme von 57,5 Millionen Dollar (51,3 Millionen Euro) versteigert. Grün: Der bekannteste und vielleicht auch größte Diamant dieser Farbe ist der Dresdner Grüne Diamant mit einem Gewicht von 41,0 Karat (ungeschliffen 119,5 Karat) (ausgestellt im Grünen Gewölbe). Grüne Diamanten sind sehr selten. Die grüne Farbe kann von Strahlungsdefekten verursacht werden. Rot: Vermutlich sind Kristalldefekte verantwortlich für diese Färbung. Der größte je gefundene rote Diamant ist der australische Red Diamond mit einem Rohgewicht von 35 Karat. Der größte geschliffene rote Diamant ist der ebenfalls australische Red Shield mit 5,11 Karat. Reine rote Diamanten sind die seltensten unter allen Diamanten. 90 Prozent der roten Diamanten stammen von der Argyle Mine in Australien. Von den purpurnen Diamanten existieren nur zehn Exemplare, wovon der größte 3 Karat wiegt. Alle kamen ebenfalls aus der Argyle Mine. Rote Diamanten sind die teuersten aller Diamanten. Pink oder Rosa: Oft werden pinkfarbene Diamanten zu den roten Diamanten gezählt. Auch hier sind Kristallunreinheiten für die Farbe verantwortlich. Der größte Rohdiamant dieser Farbe ist der Darya-i-Nur mit einem Gewicht von 182 Karat und einer Größe von 41,40 × 29,50 × 12,15 mm, der größte geschliffene Diamant der Steinmetz Pink, nunmehr Pink Star mit 59,6 Karat, der am 13. November 2013 in Genf zur Versteigerung kam und den bisher höchsten Preis (52 Millionen Pfund Sterling) für einen Stein erzielte. Der Stein wurde nach dem Kauf in The Pink Dream umbenannt. Im Februar 2014 teilte Sotheby’s in Genf mit, dass der Erwerber, der Steinschneider Isaac Wolf, den Kaufpreis nicht aufbringen könne. Aufgrund der Vereinbarungen mit dem Einlieferer musste das Auktionshaus den Stein für ca. 72 Millionen US-Dollar in Eigenbesitz nehmen. Von den 66 größten Diamanten ist nur einer rosa gefärbt. Orange Ein seltener orangefarbener Diamant mit 14,82 Karat aus dem Besitz des Gemological Institute of America erzielte bei seiner Versteigerung am 12. November 2013 in Genf bei Christie’s eine Rekordsumme von 35,5 Millionen Dollar. Für die orange Färbung ist wie bei den gelben Diamanten Stickstoff verantwortlich. Schwarze Diamanten Schwarze Diamanten sind in den 1990er Jahren als Modeschmuck beliebt geworden. Neben dem seltenen, natürlich vorkommenden Carbonado, der wahrscheinlich durch Meteoriten auf die Erde gekommen ist, gibt es alleine aus der Erde heraus entstandene schwarze Diamanten. Der bekannteste ist der 67,5 Karat schwere Schwarze Orlov. Der größte bisher gefundene schwarze Diamant ist The Enigma, in geschliffenem Zustand mit exakt 555,55 Karat und 55 Facetten, der bei Sotheby’s im Februar 2022 für 3,75 Millionen Euro versteigert wurde. Schwarze Diamanten werden häufig aus (minderwertigen) hellen Exemplaren durch intensive Neutronenbestrahlung erzeugt und als Schmucksteine angeboten. Große und berühmte Diamanten In der folgenden Tabelle sind einige besonders berühmte Diamanten zusammen mit ihrem Fundgewicht sowie Fundort und -jahr aufgeführt. Den absoluten Größenrekord für dokumentierte Diamantenfunde hält allerdings eine als Carbonado bekannte Varietät, der 1895 in Brasilien entdeckte Carbonado do Sérgio mit einem Gewicht von 3.167 Karat. Handel Ein Großteil der ungeschliffenen und geschliffenen Diamanten wird über Diamantbörsen gehandelt, von denen es weltweit 30 gibt. Eine der bedeutendsten hat ihren Sitz in Antwerpen. Auch der Weltverband der Diamantbörsen residiert dort. Unter den Produzenten und Händlern ist De Beers der bedeutendste und hatte lange Zeit eine Monopolstellung inne. Umstritten war der Konzern vor allem wegen seiner Vorgehensweise, überschüssige Diamanten aufzukaufen und somit den Preis für Diamanten stabil zu halten. Die Deutsche Diamant- und Edelsteinbörse ist eine kombinierte Börse sowohl für Diamanten als auch für Schmucksteine. Industriediamanten bilden den mit Abstand größten Teil der gehandelten Diamant-Menge – nur 3 % der Industriediamanten sind natürlichen Ursprungs. Es handelt sich bei diesen 3 % um diejenigen 70 % der geförderten Naturdiamanten, die nicht den Ansprüchen der Schmuckherstellung genügen. Weitere Verwendung Die prestigeträchtigste Anwendung finden Diamanten zwar als hochwertige Edelsteine. Unedle, nicht als Schmuckstein zu verwendende Diamanten, feiner Diamantstaub bzw. Industriediamanten werden als „Bort“ bezeichnet, die allerdings eine weit höhere wirtschaftliche Bedeutung haben als Schmuckdiamanten. Werkzeuge Bort wird aufgrund seiner großen Härte, Verschleißfestigkeit und Wärmeleitvermögen in der industriellen Fertigung vor allem als Schneidstoff genutzt, also für Bohrer, Fräswerkzeuge, Bohrmeißel und Drehmeißel, sowie als Schleifmittel für Schleifscheiben oder als Zugabe in Polierpasten. Als Schneidstoff kann Diamant als monokristalliner Diamant genutzt werden, der aus einem einzigen Stück besteht. Häufiger sind Werkzeuge aus polykristallinem Diamant, bei denen kleine Diamantkörner mit einem Bindemittel zu einem größeren Werkzeug gesintert wurden. Das Bindemittel dient dazu, die Lücken zwischen den Körnern zu füllen. Bei Diamantschleifmitteln werden nur körnige Mittel genutzt. Es ist in manchen Bereichen ausgesprochen wirtschaftlich, Diamantwerkzeuge einzusetzen, wodurch Ausfallkosten und Umrüstzeiten für Werkzeuge minimiert werden können. Die geforderte Oberflächenqualität lässt sich oft mit Hilfe von Diamantwerkzeugen ohne zusätzliche Bearbeitung in einem Arbeitsschritt erreichen. Sie werden häufig genutzt für die Präzisionsbearbeitung von Aluminium und Kupfer. Für die Bearbeitung von Stahl sind Diamantwerkzeuge nicht geeignet, da sie sich bei den dort auftretenden hohen Temperaturen in Graphit umwandeln und die Kohlenstoffatome in den Stahl diffundieren. Bekannt sind auch Diamantspitzen für Glasschneider und Impeder für Härteprüfgeräte. Diamantähnliche Schichten Dünne CVD-Schichten aus diamantartigem Kohlenstoff dienen als Verschleißschutz. Durch Zusatz von Bor, Phosphor oder Stickstoff kann Diamant leitfähig gemacht werden und als Halbleiter oder sogar als Supraleiter fungieren. Ein Einsatz in elektronischen Schaltungen könnte wegen der hohen Beweglichkeit der Ladungsträger im Diamant-Einkristall und der guten Temperaturverträglichkeit zu höheren Schaltgeschwindigkeiten führen. Mit elektrisch leitfähiger Diamantbeschichtung können Elektroden für den Einsatz in chemischen Reaktionen hergestellt werden, die sehr reaktiven Radikalen standhalten müssen. Großtechnisch kommt hier die Abwasserbehandlung und -reinigung ins Blickfeld, wo CVD-Diamantelektroden zur Oxidation und Desinfektion von z. B. Abwässern und Prozesswässern eingesetzt werden. Bereits verwirklicht wurde die Beschichtung von Silizium-Wafern mit künstlichem Diamant, die von der Halbleiterindustrie eingesetzt werden kann, um eine bessere Kühlung elektronischer Schaltungen zu bewerkstelligen. Optik Ein Anwendungsfeld reiner Diamanten ist die Infrarot-Spektroskopie und die Herstellung von Linsen und Fenstern. Sonstiges Die Abtastnadeln von hochwertigeren Tonabnehmern für das Abspielen von Schallplatten bestehen aus Diamant. Diese Diamanten haben eine spezielle Form und sitzen im Nadelträger aus Aluminium oder Bor. Eine Vielzahl winziger Diamanten in rieselfähiger Form kamen in einer Sanduhr zum Einsatz. Diamantstempelzellen werden in der Materialforschung zum Erzielen sehr hoher Drücke im Gigapascal-Bereich eingesetzt. Soziale Einflüsse Während der Großteil der heutigen Diamanten mit modernen Mitteln von sehr wenigen international operierenden Konzernen wie der Firma De Beers abgebaut wird, kommt es durch den exorbitanten Preis, der für Diamanten gezahlt wird, vor allem in den unterentwickelten Regionen und Krisengebieten der Welt zu Grabungen unter erbärmlichen und zum Teil lebensgefährlichen Bedingungen. Selbst wenn einzeln schürfende Arbeiter fündig werden, werden die Rohdiamanten zumeist billig an die lokalen Machthaber verkauft, sodass nur ein Bruchteil der Gewinne bei den eigentlichen Schürfern verbleibt. Mit den Gewinnen aus dem Diamantenhandel werden auf dem afrikanischen Kontinent auch mehrere Bürgerkriege finanziert, so in der Demokratischen Republik Kongo. Auch aus diesem Grunde wird versucht, den Handel mit diesen Blutdiamanten beziehungsweise Konfliktdiamanten zu unterbinden. Allerdings ist es nicht ganz leicht, einem Diamanten seine Herkunft anzusehen, und Zertifikate, die einen Herkunftsnachweis geben sollen, werden häufig gefälscht. Es ist möglich, Diamanten mit Lasern individuell zu markieren. Die Herkunft kann dann aufgrund dieser Identifikationsnummer überprüft werden. Im illegalen Waffenhandel, besonders in Westafrika, ist die Bezahlung mit Diamanten nicht selten. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Sie sind klein (daher leicht zu transportieren und zu verbergen), wertvoll, und ihr Wert schwankt kaum. Bei den örtlichen Währungen ist all dies meist nicht gegeben. Sonstiges Im Jahr 2019 wurde zum ersten Mal ein Diamant innerhalb eines anderen Diamanten entdeckt. Der 5 mm große und 0,6 Karat schwere Diamant enthält einen 6 mm³ großen Hohlraum, in dem ein 2 mm großer und 0,02 Karat schwerer Diamant eingeschlossen ist. Er wird deshalb auch „Matrjoschka-Diamant“ genannt und wurde durch das russische Unternehmen Alrosa in Jakutien gefördert. Das Alter des Diamanten wird auf rund 800 Millionen Jahre geschätzt. Siehe auch Liste der Minerale Liste mineralischer Schmuck- und Edelsteine Adamantan Diamantoide Aggregierte Diamant-Nanostäbchen (nach umstrittener Auffassung härterer Stoff) Rheniumdiborid (ein weiterer kristalliner Feststoff mit einer extremen Härte) Q-Carbon Literatur Weblinks Einzelnachweise Grandfathered Mineral Schmuckstein Schneidstoff Kubisches Kristallsystem Elemente (Mineralklasse) Kohlenstoffmineral Kohlenstoffmodifikation Optischer Funktionswerkstoff Wikipedia:Artikel mit Video Beschichtungswerkstoff
1133
https://de.wikipedia.org/wiki/Definition
Definition
Unter einer Definition (, „Abgrenzung“, aus , „(von etwas) herab/weg“ und , „Grenze“) versteht man in Logik und Wissenschaftstheorie die Bestimmung eines Begriffs (Begriffsbestimmung) oder die Erklärung des Wesens einer Sache. Eine lexikalische Definition muss gemäß George A. Miller eine verbale Beschreibung sein, in der semantische Relationen angegeben sind. Mit der Normierung von Definitionen beschäftigt sich u. a. auch die Terminologielehre. Etymologie Die älteste nachgewiesene Verwendung des Wortes im Deutschen findet sich bei Martin Luther. In seiner „Disputation über den Menschen“ () vom 14. Januar 1536 setzte er sich ausführlich mit der philosophischen Definition des Menschen als „vernunftbegabtes, mit Sinnen und Körperlichkeit ausgestattetes Lebewesen“ auseinander. Johann Gottfried Kiesewetter sprach 1802 davon, „den ausführlichen Begriff eines Dinges innerhalb seiner Grenzen ursprünglich darstellen“. Erst durch Grenzen kann etwas genau bestimmt (definiert) und abgegrenzt werden, durch Grenzen entsteht die Territorialisierung (wie im Plural für „Land“ erkennbar ist). Allgemeines Für den Philosophen Christoph von Sigwart wird ein Wort durch Definition zum Begriff, so dass es sich bei der Definition um eine Worterklärung und nicht um eine Begriffserklärung handele. Sein Kollege Heinrich Rickert stellte 1888 heraus, dass mit der Definition einerseits der Prozess des Definierens gemeint sei und andererseits das Ergebnis, der Begriff. Die Definition eines Begriffs soll diesen von anderen Begriffen abgrenzen. Begriffsinhalt und Begriffsumfang müssen so exakt bestimmt werden, dass eine klare Abgrenzung ohne Redundanzen möglich ist. Begriffsinhalt ist die Gesamtheit aller Merkmale eines Begriffs, Begriffsumfang ist die „Gesamtheit der einem Begriff auf derselben Hierarchiestufe untergeordneten Begriffe“. Der Begriffsumfang des Begriffs Fahrzeug beispielsweise besteht aus den Unterbegriffen Landfahrzeug, Wasserfahrzeug, Luftfahrzeug und Raumfahrzeug. Der Begriffsinhalt des Luftfahrzeuges umfasst dessen Merkmale, innerhalb der Erdatmosphäre zu fliegen (Flugzeuge, Hubschrauber oder Luftschiffe) oder zu fahren (Ballonfahren). Hierdurch grenzt sich das Luftfahrzeug vom Raumfahrzeug ab, das im Weltraum unterwegs ist. Je größer der Begriffsinhalt ist, desto kleiner wird – bei gleichem Diskursuniversum – der Begriffsumfang. Mit einer Definition wird die Bedeutung eines Begriffswortes, also der durch das Begriffswort ausgedrückte Begriff, bestimmt. Die Bestandteile und die logische Struktur sind stets gleich. Eine Definition ist gleichzeitig auch die Feststellung eines tatsächlich geübten Sprachgebrauchs sowie die Festsetzung oder Vereinbarung eines solchen in der Sprachwissenschaft. Definitionsregeln Der zu definierende Begriff einer Definition ist das Definiendum, die Menge der definierenden Merkmale ist das Definiens. Soll beispielsweise „Junggeselle“ definiert werden, so ist dieses Wort das Definiendum und „männlicher, lediger Erwachsener“ das Definiens. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Bedeutung des Definiens bekannt ist; das Definiendum wird als synonym festgelegt. Wissenschaftliche Definitionen müssen zudem seit Aristoteles () einheitlich zunächst den nächsthöheren Gattungsbegriff () und dann den Artunterschied () enthalten, um vollständig zu sein. Diese klassische Definitionsregel ist trotz einiger Kritikpunkte als Grundmodell weiterhin „für sehr viele Fälle […] brauchbar“. Beim Junggesellen ist der Gattungsbegriff „Erwachsener“, der Artunterschied „männlich und ledig“. Die abundante Definition gibt außer den wesentlichen auch unwesentliche Merkmale an, die zu weite Definition gibt zu viele, die zu enge Definition zu wenig wesentliche Merkmale an. Unzulässig als Definitionsfehler sind Zirkeldefinitionen, wenn in der Definition eines Begriffs auf diesen zu definierenden Begriff selbst zurückgegriffen wird, also das Definiendum als Bestandteil des Definiens auftaucht. Empfindungen als „Elemente des bewussten Erlebens“ zu definieren, ist eine Zirkeldefinition, denn das „bewusste Erleben“ ist die „Gesamtheit aller Empfindungen“. Welche Regeln des Definierens man einhält, ist grundsätzlich abhängig davon, welcher Definitionslehre zu folgen man sich entschieden hat. Auch die klassischen Definitionsregeln lassen sich auf Aristoteles zurückführen; sie werden heute weiterhin verbreitet angewandt, gelten teilweise jedoch auch als veraltet und werden in der modernen Wissenschaft oft als nicht sehr hilfreich angesehen. Ein Begriff wird durch seine nächsthöhere Gattung und den Artunterschied definiert (). Der Artunterschied muss ein Merkmal oder eine Gruppe von Merkmalen sein, die nur dem vorliegenden Begriff zukommen und bei anderen Begriffen fehlen, die zur selben Gattung gehören. Eine Definition muss angemessen sein, d. h., weder zu weit noch zu eng gefasst sein. Eine Definition darf keinen Zirkelschluss enthalten. Eine Definition darf keine logischen Widersprüche enthalten. Eine Definition darf nicht nur negativ bestimmt sein. Eine Definition darf keine Mehrdeutigkeiten enthalten. Nichtkreativität Von einigen Autoren wird die Nichtkreativität von Definitionen gefordert. Damit ist gemeint, dass unter Hinzunahme der Definition zu einer Theorie nichts erschlossen werden kann, was nicht bereits ohne jene Definition erschließbar wäre. Eliminierbarkeit Wenn eine Äquivalenzdefinition korrekt gebildet ist, kann in allen Sätzen das Definiendum durch das Definiens oder das Definiens durch das Definiendum ersetzt werden, ohne dass sich der Wahrheitswert der Aussage ändert. Diese Eigenschaft gilt aber nicht für alle Definitionsarten, z. B. nicht für partielle oder rekursive Definitionen. Die Eliminierbarkeit gilt auch nicht, wenn man sich auf der Metaebene befindet. Zum Beispiel folgt aus der Definition „Ein Schimmel ist ein weißes Pferd“ und dem Satz „Der Ausdruck ‚Schimmel‘ hat acht Buchstaben“ nicht „‚Weißes Pferd‘ hat acht Buchstaben“. Zirkelfreiheit Karl Christian Friedrich Krause formuliert als erstes „Grundgesetz der Definition“: Und Krause liefert auch gleich zwei Beispiele: Bei einer mittelbaren – und zulässigen – Zirkeldefinition werden im Definiens Begriffe verwendet, bei deren Definition wiederum mittelbar oder unmittelbar auf das ursprünglich zu definierende Wort zurückgegriffen wird. So wird in der Medizin „Gesundheit“ definiert als „Abwesenheit von Krankheit“, die „Krankheit“ entsprechend eine „Beeinträchtigung der Gesundheit.“ Es ist weit verbreitet, das Definiendum durch die Negation seines Gegensatzes zu definieren, in der Physik beispielsweise „Kälte als Entzug von Wärme“ zu erklären oder in der Volkswirtschaftslehre das „Sparen“ als „Verzicht auf Konsum“. Dies gelingt nicht immer, denn der „Tag“ kann nicht durch die „Abwesenheit von der Nacht“ definiert werden, weil zu einem Kalendertag sowohl der Tag als auch die Nacht gehören (disjunktive Definition). Vielmehr ist der Tag „der Zeitraum zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang“ (operationale Definition). Angemessenheit Als drittes Grundgesetz der Definition bezeichnet Krause die Regel, dass eine Definition weder zu eng noch zu weit sein darf: Eine zu weite Definition wäre „Ein Vogel ist ein eierlegendes Tier“, da auch Krokodile Eier legen. Kürze Aristoteles und Cicero haben gefordert, dass eine Definition kurz sein soll. Dem steht entgegen, dass Definitionen mitunter sehr lang sind. Häufig deuten aber lange Definitionen darauf hin, dass sie Bestandteile enthalten, die nicht die Verwendung eines Ausdrucks erläutern, sondern zur Untersuchung des mit dem Ausdruck Bezeichneten gehören. Redundanzfreiheit Eng verwandt mit der Forderung nach Kürze ist die Forderung nach Redundanzfreiheit. Nach dieser Forderung darf eine Definition keine Bestandteile enthalten, die aus dem Rest der Definition logisch folgen. Beispiel: „Ein Parallelogramm ist ein Viereck, bei dem die Gegenseiten jeweils parallel und gleich lang sind sowie die Diagonalen sich gegenseitig halbieren“ ist redundant, da dieser Satz bereits aus dem Satz „Ein Parallelogramm ist ein Viereck, bei dem die Gegenseiten jeweils parallel sind“ folgt. Ist eine Definition nicht redundanzfrei, spricht man von einer Definition mit Pleonasmus (definitio abundans). Arten Allgemein wird unterschieden: Realdefinitionen: Sollen das Wesen einer in der Realität vorhandenen Sache erfassen. Eine Realdefinition ist der Versuch, alles, was jemand von einem Prädikator stets als dessen Bedeutung unausgesprochen geläufig ist, ausdrücklich zu beschreiben. Ein Messer „ist ein Schneidewerkzeug, bei dem eine geschärfte, längliche Klinge an einem Ende einen Griff besitzt, der normalerweise in seiner Länge der Breite der Hand entspricht“. In Mathematik und Logik haben Realdefinitionen eine große Bedeutung, in den Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften werden sie dagegen nicht verwendet. Nominaldefinitionen führen neue Begriffe ein und legen deren Bedeutung durch Definitionen fest. In den Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften besitzen Nominaldefinitionen keinen allgemein gültigen und zeitlos geltenden Wahrheitsanspruch. Ihre Aufgabe ist es nicht, das Wesen von Objekten zu bestimmen, sondern den wissenschaftlichen Sprachgebrauch festzulegen. Eine Definition kommt zustande, indem bereits bekannten Worten ein neues, bisher unbekanntes Wort gleichgesetzt wird (auch tautologische Definition genannt). So ist der Schimmel die Nominaldefinition für „weißes Pferd“. Auch „Unter ‚AWT‘ wird im nachfolgenden Text 'Arbeitswerttheorie' verstanden“ ist eine Nominaldefinition. Begriffsexplikationen sollen den allgemein üblichen Gebrauch eines Ausdrucks erläutern. Sie überführen vage und wenig exakte Begriffe der Umgangssprache in einen exakt bestimmten wissenschaftlichen Begriff. Es wird ein inexakter Ausdruck (oder Begriff) einem exakten gegenübergestellt und durch diesen ersetzt. Beispielsweise ist die zoologische Definition der Fische () „ein im Wasser lebendes Wirbeltier, das ein Kaltblüter ist und während des Lebens durch Kiemen atmet“ (Begriffsexplikation). Die in der Umgangssprache vorhandene Definition als „im Wasser lebendes Tier“ ist unpräzise und umfasst auch Wale, Seehunde und Delphine, die zoologisch nicht zu den Fischen gehören. Mathematische Definitionen sind diejenigen, die für ein komplexes Zeichen nach bestimmten Regeln neue Zeichen setzen, etwa . Das neue Zeichen ist identisch mit dem komplexen Zeichen und wird durch es mathematisch definiert. Operationale Definitionen ordnen einen Begriff einer messbaren Größe zu. Operationale Definitionen des Alltags sind unter anderem Bauanleitungen, Gebrauchsanleitungen oder Kochrezepte. Im Alltag wird beispielsweise das Alter definiert als „Zeitraum zwischen der Geburt und dem Tag der Datenerhebung“. Legaldefinitionen legen einen Rechtsbegriff in einer Rechtsnorm fest. Der Gesetzgeber kann mit ihrer Hilfe regeln, wie ein unbestimmtes Tatbestandsmerkmal zu verstehen ist. So werden in BGB Sachen als „körperliche Gegenstände“ definiert, was unter anderem im Eigentumsherausgabeanspruch des BGB von Bedeutung ist. Disjunktive Definitionen bestehen in der Aufzählung ihrer Merkmale, die durch das eine Alternative ausdrückende Wort „oder“ miteinander verbunden sind: „Eine Zueignung begeht, wer eine Sache ihrer Substanz nach oder ihrem Wert nach seinem Vermögen einverleibt.“ Eine konjunktive Definition besteht in der Aufzählung ihrer Merkmale, die durch das einen Sachzusammenhang kennzeichnende Wort „und“ miteinander verbunden sind, z. B.: „Skandinavien besteht aus den Staaten Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden.“ Es gibt mithin nicht lediglich eine einheitliche Definition, sondern es kommt auf den Zweck an, für den eine Definition gelten soll. So muss die Legaldefinition lediglich dem Gesetzeszweck dienen, und wenn zu befürchten ist, dass der Gesetzgeber einen Begriff anders versteht als der Normadressat. Dadurch ist der lebensmittelrechtliche Begriff „Lebensmittel“ zum Zwecke der Lebensmittelüberwachung weiter gefasst als der biologische. Klassifikation von Definitionen Konnotative und denotative Definitionen Intension und Extension In der Definitionstheorie unterscheidet man zwischen der Extension und Intension eines Ausdruckes. Die Intension (Begriffsinhalt, Sinn, Konnotation) umfasst die Menge der Merkmale (Attribute, Eigenschaften), die gegeben sein müssen, damit Objekte (Personen, Gegenstände) mit dem Ausdruck bezeichnet werden. Die Extension (Begriffsumfang, Bedeutung, Denotation) umfasst die Menge aller Objekte, die mit dem Ausdruck bezeichnet werden. Zwischen Intension und Extension gibt es eine reziproke Relation: Die Extension kann leer sein („der gegenwärtige König von Frankreich“). Konnotative Definitionen Eine Definition, die die Intension eines Wortes angibt, nennt man intensionale bzw. konnotative Definition. Äquivalenzdefinition In der Äquivalenzdefinition wird der zu definierende Ausdruck (Definiendum) und der definierende Ausdruck (Definiens, Plural: Definientia) mit Hilfe einer Kopula verbunden, die ausdrückt, dass zwischen Definiendum und Definiens eine Äquivalenz besteht, d. h., dass der erste Ausdruck dem zweiten intensionsgleich ist. Das klassisch-griechische Begriffsgefüge () wurde bei der Übersetzung in das Lateinische aufgespalten in definire / definitio und determinare / determinatio. Dabei ist die definitio (Begriffs-Erklärung) vom zu definierenden „Objekt“ her, die determinatio (begriffliche Festlegung) vom definierenden „Subjekt“ her bestimmt. Für die klassisch-griechische Denkform war beides noch in einem einzigen Begriff zusammengefallen. Beispiele für solche Kopulae sind „… nennen wir …“, „… heißt soviel wie …“, „unter … soll man … verstehen“, „ist … genau dann, wenn …“. Definition über die Gattung und den Artunterschied Noch im 19. Jahrhundert war die aristotelische Lehre geläufig, wonach der nächsthöhere Gattungsbegriff (genus proximum) und der artbildende Unterschied (differentia specifica) anzugeben sei. Sie ist aber im Grunde nur für Klassifikationen brauchbar und steht zudem bei Aristoteles mit seiner besonderen Metaphysik in engem Zusammenhang. Aristoteles hat für eine solche Definition folgendes Schema aufgestellt: Jeder Begriff kann als Art () definiert werden durch den darüber stehenden Begriff (Gattung, ) und den kennzeichnenden (Art bildenden) Unterschied (), das sind die spezifischen Merkmale. Die klassische Form der Definition ist demnach die unter Angabe eines genus proximum (Gattung) und einer differentia specifica (spezifisches Abgrenzungskriterium). Auch die Definition „Ein Skandinavier ist ein Mensch, der aus Dänemark, Finnland, Norwegen oder Schweden kommt“, erfüllt aristotelische Voraussetzungen, da der „Mensch“ als Gattungsbegriff fungiert. Definitionen über die Gattung und den Artunterschied () bilden die wichtigste Gruppe der Äquivalenzdefinitionen. Der Ausdruck wird mit Hilfe eines umfangreicheren Ausdrucks bestimmt und ein Unterschied angegeben, der nur bei der jeweiligen Art von Gegenständen vorkommt und bei allen anderen Arten der Gattung fehlt. Es scheint zunächst sinnvoll zu sein, eine möglichst große Anzahl von Eigenschaften zu wählen. Eine solche Aufzählung könnte jedoch nicht vollständig sein. Deshalb versucht man ein Merkmal zu finden, das genügt, die Gegenstände der Art von anderen Gegenständen der Gattung zu unterscheiden. In Definitionen über die Gattung und den Artunterschied, insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften, findet man häufig den Fehler, dass sich mehrere Gattungen finden. Man nennt Definitionen mit diesem Definitionsfehler Definition mit mehreren Gattungen. Synonymdefinition Man kann ein Wort definieren, indem man ein Synonym zu dem Wort angibt. Das Problem dieser Methode ist, dass selten tatsächliche vollständige Synonyme vorhanden sind. John Stuart Mill verweist 1843 darauf, dass diese Form der Definition nicht allgemein anerkannt ist: “This may be done eight by predicating of the name intended to be defined, another connotative name exactly synonymous, as, ‘Man is a human being’, which is not commonly accounted a definition at all […].” Denotative Definition Eine Definition, die die Extension eines Wortes angibt, wird als extensionale oder denotative Definition bezeichnet. Deiktische Definition Eine „deiktische“ (oder „epideiktische“) Definition ist eine Begriffsdefinition, sagen wir eines „Elefanten“, die im hinweisenden Zeigen auf ein Exemplar der durch den betreffenden Begriff bezeichneten Klasse besteht (siehe Deixis). Beispiel: Dies hier ist rot: rot Deskriptive, festsetzende und stipulative Definition Deskriptive Definition Als deskriptive Definition (oder auch feststellende Definition) bezeichnet man eine Definition, die einen gewohnten Sprachgebrauch festhält. Festsetzende Definition Als festsetzende Definition bezeichnet man eine Definition, bei der ein neuer Ausdruck eingeführt wird. Thomas Hobbes war einer der ersten, der entschieden eine Definition als Festsetzung der Bedeutung aufgefasst hat. Doch waren für ihn wie für Spinoza „richtige“ Definitionen der Ausgangspunkt für jede echte Wissenschaft. Blaise Pascal (L’Esprit Géométrique, Logik von Port-Royal) war sodann der erste, der die Lehre vom Definieren als Begriffsfestsetzen logisch sauber durchgeführt hat. Christoph Sigwart Christoph von Sigwart (1830–1904) wollte „Definition“ nur den Satz nennen, der die Bedeutung zweier Ausdrücke gleichsetzt. Gottlob Frege Die „Fregesche Theorie“ – die Dubislav so nennt, weil Gottlob Frege es war, der die Unterscheidung von Zeichen und Bezeichnetem entwickelt hat – versteht Definitionen als Substitutionsregeln über Zeichen. Eine Definition gibt die Bedeutung eines Zeichens an, indem sie angibt, auf welche Weise ein Zeichen durch ein anderes in logisch äquivalenter Weise zu ersetzen ist. Karl R. Popper Nach herkömmlicher Auffassung bilden Definitionen die Grundbausteine einer jeden Wissenschaft. Für Karl Popper jedoch sind Definitionen gegenüber Problemen und Theorien eher unwichtig. Denn Begriffe sind in ihrer logischen Funktion den Aussagen und Theorien untergeordnet, in deren Zusammenhang sie verwendet werden. Die herkömmliche Auffassung, man müsse, bevor man eine Diskussion beginnt, erst einmal die Begriffe definieren, d. h., Übereinstimmung über das zu verwendende Vokabular erzielen, hält Popper für grundfalsch. Denn alle Definitionen, inkl. operationaler Definitionen, können nur das Problem von einer Seite der Definitionsrelation auf die andere Seite verschieben. Das führt zu einem infiniten Regress; letzten Endes bleiben immer undefinierte Ausdrücke übrig. Es sei aus logischen Gründen unmöglich, wissenschaftliche Begriffe empirisch zu definieren oder zu „konstituieren“. Doch ist es, um Verwirrung zu beseitigen, oftmals nötig, Begriffe (wie etwa „wahrheitsähnlich“ oder „wahrscheinlich“) zu unterscheiden. Die Begriffe der empirischen Wissenschaft sind stets nur implizit definiert, und zwar durch die Sätze, in denen sie auftreten. Diese implizite Definition ist als solche nur eine logisch-formale; sie gibt den implizit definierten Termen keine bestimmte Bedeutung (implizit definierte Terme sind Variable). Eine „bestimmte Bedeutung“, und zwar eine empirische „Bedeutung“, erhalten die implizit definierten Terme erst durch den empirischen Gebrauch der Sätze, in denen sie auftreten. Die irrtümliche Ansicht, dass es möglich ist, Begriffe entweder explizit (durch Konstitution) oder durch Hinweis (durch eine sog. „Zuordnungsdefinition“) empirisch zu definieren, kann durch den Hinweis auf die unüberbrückbare Kluft zwischen Universalien (Allgemeinbegriffen) und Individualien (Eigennamen) widerlegt werden. Es ist trivial, dass man weder durch eine Klasse von Eigennamen einen Universalbegriff definieren kann, noch einen Eigennamen durch Spezifikation von Universalbegriffen. Zwischen Individual- und Universalbegriffen gibt es also keinen Übergang in dem Sinn, dass Individualien durch Universalien oder Universalien durch Individualien definierbar sind; es gibt zwischen ihnen nur eine Substitutionsbeziehung: Jeder Individualbegriff kann nicht nur als Element einer individualen, sondern auch als Element einer universalen Klasse auftreten (aber nicht umgekehrt). Ein analoges Verhältnis wie zwischen Begriff und Gegenstand besteht zwischen Satz und Tatsache. Der Satz stellt einen Sachverhalt dar. Diesen Sachverhalt kann man von der Tatsache (einem irrationalen Stück Wirklichkeit), die der Satz bezeichnet und von welcher der Sachverhalt ein „rationales Teilmoment“ bildet, unterscheiden. Von jedem Gegenstand kann man seine Merkmale aussagen. Jeder Satz, der ein Merkmal aussagt, stellt einen Sachverhalt dar. Dass ein Gegenstand unendlich viele Merkmale hat, entspricht also dem Umstand, dass eine Tatsache unendlich viele Sachverhalte als rationale Teilmomente hat. Diese zweite Ausdrucksweise, die sich auf Tatsachen, Sachverhalte und Sätze bezieht, ist zweifellos wichtiger als die Ausdrucksweise, die von Gegenständen, Merkmalen und Begriffen redet. Aber ebenso, wie ein Gegenstand nicht aus Merkmalen besteht, und wie die Merkmale sich schon dadurch als von uns an den Gegenstand herangebracht erweisen, dass sie sich – rein logisch – immer als willkürlich herausgegriffen erweisen (herausgegriffen aus einer unendlichen Menge möglicher Merkmale), ebenso erweisen sich die Sachverhalte als rationale, von uns in die nicht-rationalisierte Wirklichkeit hineingetragene Koordinaten. Der naive induktivistische Empirismus hält die Sätze für Abbildungen der Wirklichkeit. Er glaubt also, dass die Sätze das darstellen, was hier als „Tatsachen“ bezeichnet wird; und er übersieht also den Unterschied zwischen „Sachverhalt“ und „Tatsache“. Er hält nicht die Tatsachen, sondern die Sachverhalte für in irgendeinem Sinne „gegeben“ oder „beobachtbar“. Ein weniger naiver Standpunkt, der Sachverhalt und Tatsache unterscheidet, steht, wenn er induktivistisch vorgeht, vor dem Rätsel, wie sich aus den irrationalen Tatsachen die rationalen Sachverhalte abheben. Für den Deduktivismus besteht hier keine grundsätzliche Schwierigkeit. Seine Theorieansätze sind durchweg rationale Konstruktionen. Dass ein Sachverhalt sich als rationales Teilmoment einer Tatsache erweist, bedeutet für ihn nichts anderes als die Möglichkeit, dass die Tatsachen rationalen Sachverhalten widersprechen können – anders ausgedrückt, und zwar biologisch-pragmatisch: dass Reaktionen sich als zweckmäßig und unzweckmäßig erweisen können. Während die Logik der Forschung eine Methodologie im Sinne des Empirismus vorschlägt, grenzt Popper letztere ab von einer anderen, für die ein jedes wissenschaftliches System maßgeblich aus Definitionen besteht. Der Konventionalismus ist nach Popper zwar ebenfalls eine deduktivistische Methodologie; aber für diese sind Gesetzesaussagen keine Aussagen, die sich auf die Wirklichkeit oder die Erfahrung beziehen, sondern analytische Urteile, die auf Definitionen gründen. In einem umfassenderen Sinne können an Stelle von expliziten Definitionen auch „implizite Definitionen“ durch die Interpretation und die begriffliche Vernetzung innerhalb eines axiomatischen Systems treten. Hierbei werden die Begriffe also nicht explizit, sondern durch die axiomatische Theorie definiert. Der grundsätzliche Unterschied aber zwischen Konventionalismus und dem von Popper vertretenen Empirismus ist nicht erkenntnislogisch festzumachen, sondern beruht auf einem Unterschied der Entscheidung für eine bestimmte methodologische Ausrichtung: Während der Empirismus wissenschaftliche Aussagen an der Erfahrung scheitern lassen will, kann der Konventionalist durch eine „konventionalistische Wendung“ in der unterschiedlichsten Art und Weise seine bevorzugte Theorie stets aufrechterhalten. Denn diese ist schon aufgrund definitorischer Setzung (logisch) wahr; sie legt dann ihrerseits fest, etwa durch Messverfahren, was relevante Daten für sie sind. Stipulative Definition und ihre Explikation Als stipulative Definition (oder auch regulierende, regelgebende bzw. vorschreibende Definition) bezeichnet man eine Definition, die einen gewohnten Sprachgebrauch zur Grundlage nimmt, aber den Gebrauch neu regelt. Die Analyse des Sprachgebrauchs mit dem Ziel einer stipulativen Definition bezeichnet man als Explikation. C. G. Hempel Carl Gustav Hempel empfiehlt, Realdefinitionen ebenso wie der natürlichen oder Alltags-Sprache entnommene Ausdrücke und Begriffe dem Verfahren der Explikation oder Begriffsanalyse zu unterziehen. Erst damit können sie zweckgemäß in wissenschaftlichen Aussagenzusammenhängen eingesetzt werden. Es wird hier eine Parallele zu Karl Poppers „diakritischer Analyse/Dialysis“ deutlich. Explikationsverfahren Als Explikation bezeichnet man den Vorgang, in dem von einem Ausdruck, dessen Bedeutung noch nicht klar ist, zu einem wissenschaftlich fundierten Ausdruck gekommen wird. Häufig wird das Ergebnis eine stipulative, d. h. regulierende, Definition sein. Es haben sich verschiedene Explikationsverfahren etabliert. Etymologische Methode Ausgangspunkt dieser Methode bildet die Wortherkunft. Der Verweis kann auf die Herkunft in derselben Sprache oder die Herkunft in einer anderen Sprache erfolgen. Die Wortherkunft ist häufig nur ein Element beim Explizieren und unzuverlässig, aber es kann durchaus überraschende Ergebnisse und Perspektivenwechsel liefern. Insbesondere kann sie helfen Entwicklungstrends bei der Verwendung des Ausdrucks zu erkennen. Die etymologische Methode „[…] empfiehlt nämlich folgendes Vorgehen: 1. Der definierte Ausdruck soll in seine Bestandteile zerlegt werden. 2. Feststellung des Sinns der einzelnen Bestandteile, den sie in der Herkunftssprache hatten. 3. Aus den Sinnen der Bestandteile soll schließlich der Sinn des ganzen definierten Ausdrucks konstruiert werden.“ Induktive Methode Eine weitere Methode ist die Analyse (insbesondere der Vergleich) vieler Anwendungsfälle des untersuchten Ausdrucks. Die Methode trägt auch den Namen sokratische Methode, weil Sokrates sie angeblich als erster in seinen Überlegungen über den Sinn verschiedener Wörter systematisch anwendete. Die Bezeichnung sokratische Methode ist allerdings problematisch, da dieser Begriff in der philosophiegeschichtlichen Terminologie nicht nur die Induktion beinhaltet. Lexikonmethoden In der analytischen Philosophie wird häufig versucht, möglichst viel Sprachmaterial zu gewinnen, um in die Analyse eines Wortes einzusteigen. Es gibt verschiedene systematische Hilfsmittel für das Auffinden eines ausreichenden Sprachmaterials. Eine Gruppe dieser Methoden bilden die Lexikonmethoden. „Die eine ist, das ganze Lexikon durchzugehen, und sich alle relevant scheinenden Wörter zu notieren; das nimmt gar nicht so viel Zeit in Anspruch, wie vielleicht viele annehmen. Die andere ist, mit einer ziemlich weit gefaßten Auswahl von offensichtlich relevanten Wörtern anzufangen und im Lexikon jeden einzelnen nachzuschlagen. Es wird sich dabei herausstellen, daß in den Erklärungen der verschiedenen Bedeutungen eines jeden Ausdrucks eine überraschende Anzahl anderer, zwar verwandter, aber natürlich oft nicht synonymer Ausdrücke vorkommt. Dann schlagen wir wieder unter jedem dieser Ausdrücke nach und erweitern somit unseren Bestand durch die jeweils gegebenen »Definitionen«. Wenn wir so ein wenig weitergemacht haben, so wird sich im allgemeinen ergeben, daß sich der »Familienkreis« zu schließen beginnt, bis er zuletzt vollständig ist und wir nur noch auf Wiederholungen stoßen. Diese Methode hat den Vorteil, die Ausdrücke in geeignete Gruppen zusammenzufassen. Aber natürlich wird ein Gutteil davon abhängen, wie umfassend die anfängliche Auswahl gewesen ist.“ Übergang zu anderen Wortarten In der analytischen Philosophie hat sich ein weiteres Explikationsverfahren etabliert, der Übergang zu anderen Wortarten. Ein typischer Fall ist der Übergang von einem Substantiv zum dazugehörigen Verb. In vielen Fällen, z. B. wenn man statt der Sprache das Sprechen oder statt der Feststellung das Feststellen untersucht, erhöht man mit diesem Zugang die Betonung des Handlungscharakters des Untersuchungsgegenstandes. In anderen Fällen ändert sich zumindest die Perspektive auf den zu explizierenden Ausdruck. Aristoteles Die Logik von Aristoteles ist nie „formal“ in dem Sinne, dass sie von allen metaphysischen Annahmen oder anderen sachlichen Vorannahmen frei wäre. Methodologisch ist wichtig, dass nach Aristoteles die höchste Aufgabe der Definition darin besteht, die wissenschaftliche Untersuchung abzuschließen und dadurch das Wesen der untersuchten Objekte festzustellen. G. W. F. Hegel In der herkömmlichen Philosophie wird das Allgemeine Aristoteles folgend innerhalb der Logik von Begriff, Urteil und Schluss behandelt. Für Hegel (Jenenser Logik, Wissenschaft der Logik) aber nun reflektieren diese logischen Formen und Prozesse diejenigen der Wirklichkeit, d. h., sie werden von ihm ontologisch gedeutet. Herkömmlich erfasst durch die Definition das Denken die allgemeine Natur eines Objekts in ihrem wesentlichen Unterschied zu anderen Objekten. Nach Hegel kann die Definition dies nur leisten, weil sie den wirklichen Prozess widerspiegelt, in welchem sich das Objekt von andersartigen unterscheidet: Die Definition drückt die Bewegung aus, in der ein Sein seine Identität in der Bewegung bewahrt. Demnach kann eine wirkliche Definition nicht in einem einzelnen Satz gegeben werden, sondern eigentlich nur durch die wirkliche Geschichte des Objekts selbst, wie es sich gegen anderes Besonderes sowohl verteidigt wie auch erhält und erweitert. Das Allgemeine wird durch die Negation des Besonderen gestaltet, d. h., der Begriff wird dialektisch konstruiert. Der Prozess der Auflösung und Zerstörung der stabilen Welt des gemeinen Menschenverstandes resultiert in der Konstruktion eines Allgemeinen, das in sich konkret ist. Denn es verwirklicht sich im Besonderen und durch das Besondere, d. h. in der Totalität der besonderen Momente. Heinrich Rickert und Emil Lask Innerhalb des Badischen Neukantianismus haben sich insbesondere Heinrich Rickert und Emil Lask um die Ausarbeitung einer Definitionslehre bemüht. Definieren ist eine möglichst eindeutige Bestimmung eines Begriffes, wobei er gegenüber benachbarten anderen Begriffen abgegrenzt wird. Rickerts Zur Lehre von der Definition stellt dessen Dissertation dar. In Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung hat er sodann seine Theorie des Begriffs ohne Rücksicht auf die Definition weiter ausgearbeitet. Die allgemeine Verwirrung in der Definitionslehre beruht auf einer falschen Auffassung vom Begriff. Rickert will an „Definition“ als einer „Begriffsbestimmung“ festhalten. Zur Frage des Verhältnisses von Erfahrung und Denken bzw. von Anschauung und Begriff sagt Rickert unter Berufung auf den „Augenmenschen“ Goethe, der in seiner Farbenlehre sagt, dass wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren: Rickert behandelt Definieren als Begriffsbildung und Begriffszerlegung und sucht gegen den Intuitionismus etwa von Jakob Friedrich Fries, der glaube, dass es möglich sei, durch bloßes Sehen schon eine Wahrheit theoretisch zu erfassen, zu zeigen, dass der fertig definierte Begriff nicht etwa logisch früher als das Urteil ist, sondern seinem logischen Gehalt nach als ein Produkt des Urteilens verstanden werden muss. Das Urteil ist daher nicht bloße Verbindung von Begriffen als Vorstellungen, sondern ist Träger eines unentbehrlichen diskursiven Elements. Ernst Cassirer Ernst Cassirer erhebt gegenüber dem Nominalismus den Einwand, dieser könne nicht erklären, warum ein bestimmter Begriff (z. B. der Atom-Begriff) zur Entdeckung neuer, bislang unerforschter Tatsachen führen könne. Definitionen nach Explizitheit Kontextdefinition (implizite Definition) Während in expliziten Definitionen der definierte Ausdruck alleine auf der linken Seite vorkommt, gilt dies für Kontextdefinitionen (oder auch implizite Definitionen) nicht. In der Kontextdefinition tritt der definierte Begriff also nicht allein auf der linken Seite auf, sondern in einem für ihn charakteristischen Kontext. Die Verwendung in anderen Kontexten ist unzulässig. Fällt beispielsweise eine allgemeine Definition des Prädikates „adäquat“ schwer, so lässt sich leicht definieren, dass die Aussage „X ist ein adäquater Kalkül“ genau dann wahr ist, wenn X ein Kalkül ist, der vollständig und korrekt ist. Adäquatheit wurde damit nur im Kontext „Kalkül“ definiert, und die Frage, wann überhaupt etwas adäquat ist, bzw. welche Dinge unter diesen Begriff fallen, stellt sich nicht. Dieser ontologische Unterschied erspart etwa der modernen Mathematik die philosophische Frage nach dem Wesen der Zahl (empirisch, psychologistisch oder logisch). Denn die mathematischen Axiome sagen nicht, was eine Zahl ist, sondern wann sich etwas Zahl nennen darf und welche arithmetischen Eigenschaften sodann für diese gelten. Spinoza Baruch Spinoza verwechselt in seiner „Ethik“ Definitionen mit Axiomen. Als Beispiel: Er zieht aus folgenden beiden Aussagen, die er „Definitionen“ nennt, die Schlussfolgerung: Die Substanz ist von Natur früher als ihre Affektionen. „Unter der Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch sich (allein) begriffen wird; es ist derjenige Gegenstand, dessen Begriff nicht der Begriff eines anderen Gegenstandes voraussetzt, aus dem er zu bilden ist.“ „Unter einem Modus verstehe ich eine Affektion der Substanz; es ist etwas, das in anderem ist, durch welches es auch begriffen werden kann.“ Offenkundig handelt es sich bei (1) und (2) um Vereinbarungen über den Sprach- bzw. Zeichengebrauch. Aus solchen lässt sich noch nicht einmal die Existenz des so Bezeichneten schlussfolgern, geschweige denn eine weitere Existenzbehauptung logisch korrekt ableiten. Wenn es Spinoza gelingt, zu einer interessanten These zu kommen, dann nur darum, weil er seine Definitionen insgeheim als Existenzialaxiome verwendet. „“ (lat., zu dt.: Jede Bestimmung ist eine Verneinung. ) Partielle Definitionen Partielle Definitionen gelten nur für einen bestimmten Teilbereich. Sie sind anwendbar nur für den Fall, dass eine gewisse Vorbedingung erfüllt ist. Die wichtigste Gruppe der partiellen Definitionen bilden die Definitionen von „Dispositionsbegriffen“, wie zum Beispiel „wasserlöslich“. Solche Definitionen beschreiben nicht Eigenschaften, die direkt durch Beobachtung ablesbar sind, sondern solche, die an eine (Prüf-)Bedingung geknüpft sind. Operationale Definition Mitunter werden Ausdrücke durch eine Methode definiert, mit der man feststellen kann, ob in einem konkreten Fall der Ausdruck angewendet werden kann. In diesem Fall spricht man von operationalen Definitionen. Operationale Definitionen sind häufig partiell. Rekursive Definition In der rekursiven Definition – auch induktive Definition genannt – wird mit der Nennung der einfachsten Gegenstände begonnen, die dem Definiendum angehören. Dann wird ein Verfahren angegeben, mit dessen Hilfe man die weiteren Gegenstände erzeugen kann. Manchmal wird darauf hingewiesen, dass alles, was nicht durch wiederholte Anwendung des Verfahrens gewonnen werden kann, nicht zum Definiendum gehört, aber auch ohne diesen Hinweis werden rekursive Definitionen zumindest in der Mathematik immer so verstanden. Die Induktion kann strukturell oder vollständig sein. Rekursive Definitionen finden sich vor allem in der Mathematik und der mathematischen Logik. Beispiel: „Die Summe der natürlichen Zahlen bis einschließlich ist definiert als 0, falls , und sonst.“ Weitere Beispiele sind die rekursive Definition der Fibonacci-Folge oder die rekursive Definition eines Palindroms. Auch die Definition der Syntax einer Programmiersprache durch eine Grammatik in Backus-Naur-Form ist eine rekursive Definition. Persuasive Definitionen Persuasive Definitionen sind Definitionen, die neben ihrem beschreibenden Inhalt auch gefühlsmäßige Bedeutungen (engl. emotive meaning) haben. Charles L. Stevenson, der die Bezeichnung 1938 in einem Mind-Artikel eingeführt hat, schreibt: Persuasive Definitionen finden sich sehr häufig in der Philosophie und in den Sozialwissenschaften. Typenbegriffe Max Weber Für die Entwicklung der Theorie der Typenbegriffe waren die Überlegungen von Max Weber zum Idealtyp theoriebildend. C. G. Hempel Die logischen Untersuchungen von C. G. Hempel zum Typusbegriff sind nicht nur im Hinblick auf Max Webers Idealtypus interessant, sondern allgemein zur Frage, wie eine Taxonomie zu erstellen sei. Wissenschaftstheoretische Probleme von Definitionen Wissenschaftssystematische Einordnung Die Definitionslehre bildet einen Teil der Logik, sofern diese als Methodenlehre aufgefasst wird. Der logische Charakter von „Definition“ ergibt sich hierbei „teleologisch“ aus deren daraus bestimmbarer methodologischer Funktion. Funktionen von Definitionen Wissenschaftliche Definitionen werden in der Regel dann gefordert, wenn Hypothesen und Theorien aufgestellt oder Modelle konstruiert werden, die von anderen Wissenschaftlern nachvollzogen und diskutiert werden können sollen. Um den Kriterien der Intersubjektivität zu genügen, soll hierbei Einvernehmen über die Bedeutung der verwendeten Begriffe erzielt werden. Nach der Definitionslehre von Karl Popper hingegen wird die Definitionsfrage dadurch miterledigt, dass man die Theorie als Ganzes auf einen Objektbereich anwendet und einzelne Folgerungen daraus an Beobachtungssätzen überprüft. In den Sozialwissenschaften ist die Grenze zwischen Definitionen und Ausdrücken, die keine Definition sind, oft fließend. Wenn die äußere Form nicht eindeutig klarstellt, ob es sich um eine Definition handelt, d. h., wenn der Autor weder explizit noch implizit seine Absicht geäußert hat, hängt es von der Intention des Autors ab, die man in diesem Fall nicht klären kann. In diesem Fall kann es zu Verwechslungen von Definitionen und insbesondere empirischen Verallgemeinerungen kommen, die zu Missverständnissen des Textes führen können. Ähnliche Probleme können auftreten, wenn nicht klar ist, zu welcher Klasse von Definitionen eine vorlegte Definition gehören soll. Eine Definitionslehre ist je nach Auffassung von Wissenschaftstheorie und Logik ein methodologischer Entwurf davon, was eine „Definition“ und wonach sie zu beurteilen sei, also welchen Sinn und Zweck sie habe. Wie im Bereich einer Fachsprache Definitionen geschaffen und gehandhabt werden, wird durch die Terminologielehre untersucht und präzise festgelegt. Wenn durch Definitionen Objekte klassifiziert, also in eine bestimmte Klasse eingeordnet werden, ist eine Taxonomie geschaffen. Einer jeden besonderen Definitionslehre liegt eine bestimmte Auffassung von Begriffslehre bzw. eine Auffassung über die Beziehungen zwischen Begriff, Urteil und Theorie zugrunde; sie hat damit eine bestimmte Auffassung von Erkenntnistheorie und/oder Methodologie zur (mehr oder minder explizit gemachten) Voraussetzung. Daher gehen die Auffassungen über die Rolle von Definitionen in der Sprache und auch in wissenschaftlichen Zusammenhängen oft sehr stark auseinander. Nach Auffassung des Nominalismus ist eine Definition nichts weiter als eine Festlegung des betreffenden Ausdrucks bzw. der jeweiligen Zeichenverwendung und kann als Vereinbarungssache überhaupt nicht „wahr oder falsch“ sein, lediglich mehr oder weniger zweckmäßig. Definitionen in diesem Sinne stellen bloß ein technisches Hilfsmittel dar, indem sie erlauben, die Sprechweise abzukürzen. Wer hingegen meint, für jeden Begriff gebe es eine „richtige“ Definition, eine entsprechende Aussage könne also wahr oder falsch sein, stellt sich dadurch auf die Seite des Essentialismus als einem der möglichen Antwortversuche auf das Universalienproblem. Die wichtigsten Definitionslehren sind: A) Eine Definition bestimmt das Wesen (Sacherklärung). B) Eine Definition bestimmt den Begriff (Begriffskonstruktion oder -zergliederung). C) Eine Definition stellt fest, wie bzw. mit welcher Bedeutung ein Zeichen tatsächlich verwendet wird. Diese Auffassung ist in der älteren philosophischen Tradition selten ausdrücklich vertreten worden. Sie wird häufig nur implizit vertreten. Zum Beispiel können solche Autoren so interpretiert werden, die den Anspruch auf Wahrheit, den eine Realdefinition macht, auf eine Nominaldefinition zu übertragen suchen. Bisweilen, wie etwa von Christoph von Sigwart, wird unter „Definition“ lediglich die Angabe der Bedeutung eines Ausdrucks verstanden. D) Eine Definition setzt fest, wie bzw. mit welcher Bedeutung ein Zeichen verwendet werden soll. Beträchtliche Verwirrung ist dadurch entstanden, dass selbst Philosophen wie Aristoteles, Leibniz und Immanuel Kant diese vier Konzeptionen begrifflich nicht immer strikt auseinandergehalten haben und daher in ihren Argumentationen zu Inkonsistenzen gekommen sind. Arbeitsdefinition Unter einer Arbeitsdefinition versteht man die vorläufige Definition eines Sachverhaltes, die noch nicht den Anspruch erhebt, diesen Sachverhalt erschöpfend zu definieren. Sie dient in der Regel als Arbeitsgrundlage für bestimmte Fragestellungen und wird im Allgemeinen nach Abschluss einer Untersuchung im Sinne einer Präzisierung überarbeitet. Sie dient demnach nur zur Phänomenbeschreibung und groben Abgrenzung des Forschungsgebietes. Bedeutung Begriffe und deren Definition dienen zur Beschreibung des Erfahrungswissens und verkürzen die Kommunikation. Denn anstatt „eine chemische Verbindung, die aus den Elementen Wasserstoff (Elementsymbol ) und Sauerstoff (Elementsymbol ) im Verhältnis besteht“ (Definiendum), kann man einfach „Wasser“ (Definiens) sagen oder schreiben. Diese Definition enthält ebenfalls den erforderlichen Gattungsbegriff (chemische Verbindung) und das – nur für Wasser geltende – Spezifikum (Wasserstoff und Sauerstoff). Auch diese Definition kann präziser durch eine Formel (chemische Formel ) dargestellt werden als bei der verbalen Definition. Definitionen spielen in allen Wissenschaften eine große Rolle, um die Bedeutungen von verwendeten Fachtermini anzugeben und die Verständigung zu erleichtern. Das Kernstück aller Lexika ist die Definition des Lemmas. Nominaldefinitionen können mehr oder weniger zweckmäßig sein, nicht jedoch wahr oder falsch. Siehe auch Alltagsdefinition Definitio accidentalis Definitio essentialis Literatur Walter Dubislav: Die Definition. 4. Auflage. Meiner, Hamburg 1981 (Klassiker). Rudolf Eisler: Definition. In: Kant-Lexikon. Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften, Briefen und handschriftlichem Nachlass, Berlin 1930; Nachdrucke Hildesheim 1961 und 1972. W. K. Essler: Wissenschaftstheorie I (Definition und Reduktion). Alber, Freiburg/München 2. Aufl. 1982 (1. A. 1970). Gottfried Gabriel: Definition II. In: Joachim Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 2, Basel/Stuttgart 1972, Sp. 35–42. Gottfried Gabriel: Definition. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. 2. Auflage. Stuttgart/Weimar 2005, Band 2, S. 137–139. Michael Gal: Begriff, Definition, Begriffsanalyse. Grundzüge der Terminologie. In: ders., Internationale Politikgeschichte. Konzeption – Grundlagen – Aspekte. Thelem, Dresden/München 2. Aufl. 2021, ISBN 3-95908-446-3, S. 165–184. N. I. Kondakow: Wörterbuch der Logik. Bibliographisches Institut, Leipzig 2. Auflage 1983. Guy Longworth: Definitions, Uses and Varieties of. (PDF). In: Keith Brown (Hrsg.): Elsevier Encyclopedia of Language and Linguistics. Elsevier, Cambridge 2005, Band 3 (von 14), S. 409–412. Albert Menne: Definition. In: Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner, Christoph Wild (Hrsg.): Handbuch philosophischer Grundbegriffe. 3 Bände (Studienausgabe 6 Bände). Kösel, München 1973, Band 1, S. 268–274. Tadeusz Pawłowski: Begriffsbildung und Definition. Walter de Gruyter, Berlin/New York 1980. Richard Robinson: Definition. Oxford University Press, New York 1954; Nachdruck 2003, ISBN 985-441-327-6. Jürgen L. Rößler: Die operationale Definition. Peter Lang, Frankfurt am Main 1998. Eike von Savigny: Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1970. Wolfgang Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Band I: Wissenschaftliche Erklärung und Begründung. Verbesserter Nachdruck. Springer, Berlin u. a. 1974. Weblinks Publikationen zum Thema Definition, in: PhilPapers Einzelnachweise Abstraktum Logik Wissenschaft Wissenschaftstheorie
1137
https://de.wikipedia.org/wiki/Differenzmaschine
Differenzmaschine
Eine Differenzmaschine () ist ein Rechenwerk, mit dem polynomiale Funktionen ausgewertet werden können. Die ersten Differenzmaschinen waren rein mechanische Umsetzungen eines ansonsten von Menschen durchgeführten Algorithmus, der hauptsächlich in der Berechnung und Erweiterung bestehender Tabellenwerke Anwendung fand. Da jede stetig differenzierbare Funktion durch ein Polynom angenähert werden kann (Approximation), sind Differenzmaschinen vielseitig einsetzbar, sowohl zur Interpolation zwischen Tabelleneinträgen, als auch zur Neuberechnung von Funktionswerten. Trotz dieser allgemein anerkannten Nützlichkeit vergingen fast 80 Jahre von der ersten Maschine bis zum systematischen Einsatz bei der Tabellenerstellung. Erste Gedanken zu einer solchen Maschine fanden sich bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert. Unabhängig davon wurde die Idee der Mechanisierung der Erstellung von Tabellenwerken 1812 von Charles Babbage aufgegriffen und 1820–1822 erstmals umgesetzt. Die Versuche von Babbage, eine nutzbare Maschine zu bauen, scheiterten. Die Veröffentlichungen über seine Maschine, insbesondere die von Dionysius Lardner, erwiesen sich jedoch als sehr einflussreich und führten zu zahlreichen Maschinen (Scheutz, Wiberg, Deacon), die jeweils kurzzeitig eingesetzt wurden. Die 1910 von Julius Bauschinger und Johann Theodor Peters herausgegebenen achtstelligen Logarithmentafeln waren das erste bedeutende, mit einer Differenzmaschine erstellte Tabellenwerk. Die von Christel Hamann für die Erstellung des Tabellenwerkes konstruierte Differenzmaschine wurde gestohlen, und die Pläne galten bereits 1928 als untergegangen. Getragen von dem Erfolg dieser Maschine, wurden zahlreiche kommerzielle Rechenmaschinen so angepasst, dass sie auch als Differenzmaschinen nutzbar waren: 1912 entwickelte T. C. Hudson mit der Burroughs Adding Machine Company eine Maschine für zwei Differenzen. 1928 wurde die Brunsviga-Dupla vorgestellt, eine Rechenmaschine mit zwei Ergebnisregistern, die als Differenzmaschine genutzt werden konnte. 1931 stellte Leslie John Comrie bei der Inspektion einer National Accounting Machine Class 3000-Buchungsmaschine fest, dass diese auch als Differenzmaschine mit sechs Differenzen genutzt werden konnte. Für die Berechnung seiner 20-stelligen Logarithmentafel baute Alexander John Thompson 1950 eine Differenzmaschine, indem er vier Rechenmaschinen auf einem Holzträger fixierte und mechanisch koppelte. Mit dem Aufkommen der Computer verschwanden erst die Differenzmaschinen und später die Logarithmentafeln. Geschichte Johann Helfrich von Müller Nach Fertigstellung seiner Rechenmaschine verfasste Johann Helfrich Müller 1786 ein Benutzerhandbuch, in dessen Anhang er einen Ausblick für zukünftige Verbesserungen darstellte. Neben Andeutungen über die Nützlichkeit eines Druckwerks zur Dokumentation von Rechenergebnissen stellte er auch seine Gedanken über eine neuartige Maschine dar, die Zahlenreihen mittels der Methode der Differenzen berechnen können sollte. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es sich bei der Beschreibung von Müller um mehr als ein Konzept handelte. Vielmehr ist die Beschreibung als Angebot zu sehen, bei entsprechender Finanzierung eine solche Maschine einschließlich eines Druckers zu konstruieren und zu fertigen. Er stand deshalb unter anderem mit dem Göttinger Mathematiker Albrecht Ludwig Friedrich Meister im Briefkontakt. Die erste schriftliche Erwähnung der grundlegenden Prinzipien einer Differenzmaschine findet sich in einem Brief von Müller an Meister vom 10. September 1784. In der neueren Forschung wird hervorgehoben, dass der Gedanke an den Bau einer solchen Differenzmaschine von Meister ausgegangen sei: Die Ausführungen von Müller belegen, dass dieser von den Anwendungsmöglichkeiten einer solchen Maschine keine Vorstellung besaß. Charles Babbage Difference Engine No. 0 Die erste funktionsfähige Differenzmaschine wurde von Charles Babbage zwischen 1820 und 1822 gebaut. Babbage kannte zu diesem Zeitpunkt, nach heutiger Lehrmeinung, die Überlegungen von Johann Helfrich von Müller nicht, diese wurden ihm erst später von seinem Freund John Herschel ins Englische übersetzt. Diese erste Differenzmaschine konnte mit zwei Differenzen bei einer Genauigkeit von sechs Stellen rechnen. Babbage sah die Maschine als Teil-Modell einer noch zu bauenden, größeren Differenzmaschine an. Das Modell hatte die Funktion einer Machbarkeitsstudie, um finanzielle Unterstützung für eine größere Maschine zu erhalten. Das Modell wurde vielfach vorgeführt, seine Rechengeschwindigkeit wurde in einem Brief an den Präsidenten der Royal Society, Sir Humphry Davy, mit 44 Ergebnissen pro Minute angegeben. Auch wenn Babbage die Fertigung der Maschine als verbesserungswürdig beschrieb, so ist festzuhalten, dass die Maschine vor allem aufgrund ihrer konservativen Auslegung hervorragend funktionierte. Auch wenn es die einzige Rechenmaschine war, die Babbage zu Lebzeiten fertigstellte, so zeigt sie, dass er sehr wohl in der Lage war, die fertigungstechnischen Probleme und Ungenauigkeiten seiner Zeit durch ein entsprechendes Design zu kompensieren. Die Maschine verfehlte ihre Wirkung nicht, ein Jahr nach ihrer Vorstellung wurden Babbage von der Regierung 1500 £ für die Entwicklung und Herstellung einer Differenzmaschine zur Verfügung gestellt. In der Fachliteratur wird das Modell als Differenzmaschine No. 0 bezeichnet. Eine detaillierte Beschreibung einschließlich Funktionszeichnungen von Maschinenteilen finden sich in einem Manuskript von Babbage, das dieser zur Veröffentlichung seinem Freund H. W. Buxton gab. Das Modell, eine zeitgenössische Darstellung des Modells oder dessen Baupläne existieren heute nicht mehr. Es wird angenommen, dass Henry Prevost Babbage Teile der Differenzmaschine No. 0 für die Erstellung der Fragmente der Differenzmaschine No. 1 (siehe unten) nutzte. Difference machine No. 1 Mit der gesicherten finanziellen Unterstützung durch die Regierung beauftragte Babbage den Präzisions-Mechaniker Joseph Clement, ihn beim Bau der Differenzmaschine No. 1 zu unterstützen. Clement war zu dem Zeitpunkt der beste Metallbearbeiter Londons. Sein Perfektionismus erstreckte sich sowohl auf die Konstruktion, die Zeichnungen als auch die handwerkliche Ausführung. Mit Babbage und Clement trafen zwei Perfektionisten aus unterschiedlichen Gebieten aufeinander, die sich jedoch darin einig waren, dass die Maschine eher von hervorragender Qualität denn schnell fertiggestellt werden sollte. Babbages Auftraggeber in der Regierung hatten andere Ansichten, die im Jahr 1833 im Zerwürfnis von Babbage und Clement über die Bezahlung von dessen Diensten mündeten. Entsprechend der damaligen Rechtsprechung durfte Babbage nur die gefertigten Teile behalten, die Konstruktionspläne der Differenzmaschine und deren Einzelteile sowie die hergestellten Werkzeuge blieben bei Clement. Als Besonderheit war in der Difference Engine No. 1 ein Rekursionsmechanismus vorgesehen, durch den das Rechenergebnis, verschoben um beliebige Zehnerpotenzen, von der zweiten Differenz abgezogen werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt wurde aus den bis dahin von Clement gefertigten Teilen der Demonstrator der Differenzmaschine No. 1 zusammengesetzt. Dieser Demonstrator wurde nie zu einer vollständigen Differenzmaschine ausgebaut; er ist heute im Science Museum in London zu besichtigen. Als Clement die Konstruktionszeichnungen an Babbage aushändigte, war dessen Aufmerksamkeit ganz auf die Analytical Engine gerichtet, eine Maschine, die, wenn fertiggestellt, alle Differenzmaschinen hätte vollständig ersetzen können. Durch diesen Mechanismus konnten z. B. Trigonometrische Funktionen berechnet und nicht nur vorhandene Tabellenwerte interpoliert werden. Es handelt sich bei dieser Erweiterung um den ersten Rekursionsmechanismus überhaupt. Kurz nach dem Bau des Demonstrators veröffentlichte Dionysius Lardner 1834 in der Edinburgh Review einen Artikel über die Rechenmaschine von Charles Babbage. Babbage lieferte die Details für den Artikel, die Lardner jedoch fast nach Belieben ausschmückte und veränderte. Ziel des Artikels war es, die Regierung von der Nützlichkeit der Maschine zu überzeugen und die weitere Finanzierung zu garantieren. Auch wenn er dieses Ziel verfehlte, so inspirierte er sowohl George Scheutz als auch Alfred Deacon, eigene Differenzmaschinen zu konstruieren und auch zu bauen. Fragmente aus Originalteilen Auch wenn die Differenzmaschine No. 2 und die Originalteile von Babbage heute im Science Museum in London die zentralen Ausstellungsstücke in der Mathematik- und Computer-Abteilung sind, wollte das Museum zu seinen Lebzeiten die Differenzmaschine, die Demonstratoren späterer Differenzmaschinen oder Teile davon nicht aufnehmen. Im Jahre 1879, nach dem Tod von Babbage, setzte sein jüngster Sohn, Henry Prevost Babbage, aus den vorgefundenen Originalteilen, die allesamt vor 1834 hergestellt wurden, sechs eigenständige Differenzmaschinen-Fragmente zusammen und verschenkte sie. Difference Engine No. 2 Im Jahr 1849 besann sich Babbage wieder auf seine Verpflichtungen der Regierung gegenüber und wandte sich von der weiteren Entwicklung der Analytical Engine ab, um seine Difference Engine No. 2 zu konstruieren. Er wollte seine durch die Beschäftigung mit dem Entwurf seiner Analytical Engine gewonnenen konstruktiven Fortschritte auf die Differenzmaschinen übertragen. Es ging Babbage hierbei nur um die Anfertigung der Konstruktionszeichnungen, nicht um den eigentlichen Bau der Differenzmaschine. Er ging davon aus, dass die Regierung den Bau der Differenzmaschine No. 2 eigenverantwortlich durchführen würde. Durch die Erstellung der Konstruktionszeichnung wollte er seine Schuld gegenüber der Regierung für die Nichtfertigstellung der Differenzmaschine No. 1 begleichen. Der Satz der Konstruktionszeichnungen für die Differenzmaschine No. 2 ist der einzige vollständige Satz an Konstruktionszeichnungen für eine von Babbages Maschinen, alle anderen Maschinen wurden nur unvollständig dokumentiert. Die Konstruktion der Differenzmaschine No. 2 hatte eine Breite und Höhe von jeweils 3 Metern bei einer Tiefe von 1,5 Metern. Die Maschine konnte mit 7 Differenzen bei jeweils 31 Stellen rechnen. Ein angebauter Drucker sollte die Rechenergebnisse direkt in eine Druckmatrize übertragen. Bau der Differenzmaschine No. 2 im Science Museum, London Erst zwischen 1989 und 1991 wurde im Londoner Science Museum die Difference Engine No. 2 gebaut und ihre Funktionsfähigkeit nachgewiesen. 2000 wurde der ebenfalls von Babbage entworfene Drucker fertiggestellt. Die Kombination von Rechenmaschine und Drucker ist etwa fünf Tonnen schwer und wurde aus 8000 Bronze- und Gussteilen zusammengesetzt. 2008 wurde eine weitere, ebenfalls vom Science Museum in London gebaute Difference Engine No. 2 einschließlich Drucker im kalifornischen Computer History Museum vorgestellt und bis Januar 2016 ausgestellt. Der Bau der Difference Engine Nr. 2 am Science Museum in London geschah unter Leitung des Kurators Doron Swade und in Zusammenarbeit mit dem Computerhistoriker Allan G. Bromley. Das Science Museum legt Wert darauf, dass es sich bei den beiden Differenzmaschinen No. 2 nicht um Replikate handelt, da Charles Babbage niemals eine funktionsfähige ganze Differenzmaschine No. 2 baute. Die Maschinen von 1991 und 2008 werden deshalb als Originale bezeichnet. Georg und Edvard Scheutz Scheutz No. 0 Im Rahmen seiner verlegerischen Tätigkeit kam Scheutz 1830 mit den Ausführungen von Charles Babbage über dessen Differenzmaschine in Berührung. Er war von der Idee, eine Maschine zu bauen, die rechnen und das Ergebnis gleich auf Druckplatten festhalten konnte, fasziniert. Mit Hilfe einer detaillierten Funktionsbeschreibung in einer Übersichtsarbeit von Dionysius Lardner in der Edinburgh Review konstruierte Georg Scheutz ein Modell aus Holz, Draht und Pappe, um sich von der Funktionsfähigkeit des Prinzips zu überzeugen. Im Sommer 1837 erlaubte er seinem 16-jährigen Sohn, dem späteren Ingenieur Edvard Scheutz (1821–1881), ein größeres Modell aus Metall zu bauen. Georg Scheutz war von den Möglichkeiten dieses Modells derart begeistert, dass er es der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften vorstellte und um finanzielle Unterstützung für die Herstellung einer vollständigen Differenzmaschine bat. Die Unterstützung wurde nicht gewährt. Edvard Scheutz verfeinerte das Modell weiter: Eine Differenzmaschine mit fünf Stellen und einer Differenz war 1840 fertiggestellt, die Erweiterung auf drei Differenzen 1843. Das Modell von 1843 wurde nach dem Tod von Edvard Scheutz für 50 Kronen an das Nordiska Museet, Stockholm, verkauft. Das Modell wurde im Dezember 1979 von Michael Lindgren, im Rahmen der Recherche für seine Dissertation, im Fundus des Museums wiederentdeckt und zusammen mit Per Westberg, dem Möbel-Restaurator des Museums, so weit wie möglich restauriert. Da das Hauptantriebs-Zahnrad bereits vor Wiederentdeckung zahlreiche abgebrochene Zähne aufwies und dieses Zahnrad als zentrales Teil der Maschine im Rahmen der Restaurierung nicht ersetzt werden sollte, befindet sich die Maschine derzeit in einem nicht funktionsfähigen Zustand. Das Modell wird im Tekniska museet, Stockholm, ausgestellt. Scheutz No. 1 1844 suchte George Scheutz bei der schwedischen Krone um finanzielle Unterstützung für den Bau eines vollständigen Modells der Differenzmaschine nach. Erst 1851 wurde ihm ein Drittel des ursprünglichen Betrages für den Fall versprochen, dass er ein vollständig funktionierendes Modell vorführen könne. Mit technischer und logistischer Unterstützung durch Johan Wilhelm Bergström (1812–1881) konnten Georg und Edvard Scheutz im Oktober 1853 eine funktionsfähige 15-stellige Differenzmaschine mit einer Tiefe von vier Differenzen vorstellen, die ein achtstelliges Ergebnis drucken konnte. Die Maschine wird auch als Scheutz No. 1 bezeichnet: Die erste vollständige Differenzmaschine der Scheutzs. Manche Autoren bezeichnen die No. 1 auch als die zweite Maschine der Scheutzs, sie sehen den Demonstrator von 1843 als erste Differenzmaschine der Scheutzs an. Im Herbst 1854 starteten die Scheutzs auf eine Werbereise für die Differenzmaschine nach England. Hier wurde ihnen am 13. April 1855 ein Patent (No. 2216 aus 1854) erteilt. Die Maschine wurde u. a. in Somerset House der Royal Society ausgestellt, vorgeführt und begutachtet. Anschließend wurde die Maschine auf der Pariser Weltausstellung von 1855 gezeigt. Charles Babbage zeigte Interesse an der Maschine der Scheutzs und unterstützte diese sowohl in London als auch in Paris bei ihren Verkaufsbemühungen, jedoch nicht ohne seinen Beitrag herauszustellen. Er versuchte vergeblich, die Royal Society (London) davon zu überzeugen, Georg Scheutz zum Mitglied zu ernennen. 1856 veranlasste Benjamin A. Gould den Kauf der Differenzmaschine für 1000 £ für das Dudley Observatory in Schenectady, N. Y. Die Maschine wurde im April 1857 geliefert und im nachfolgenden Winter für zwei Monate in Betrieb genommen. Nach diesen zwei Monaten wurde Gould von seinen Aufgaben entbunden und die Maschine nicht weiter genutzt. Die Scheutz No. 1 wurde somit nie entsprechend ihrer eigentlichen Bestimmung, der direkten Erstellung von Druckvorlagen für Tabellenwerke, eingesetzt. 1963 wurde die Differenzmaschine der Smithsonian Institution übereignet. Scheutz No. 2 Eine zweite Differenzmaschine (Scheutz No. 2), praktisch eine Kopie der ersten Maschine, baute Edvard Scheutz im Auftrag des britischen Finanzministeriums zusammen mit Bryan Donkin in London, England, auf. Die Maschine wurde nach 19 Monaten Bauzeit am 5. Juli 1859 übergeben. Die ersten mit Druckvorlagen aus der Maschine gedruckte Tabellen waren die Barometertabellen von William Gravatt, 1859. In den folgenden Jahren wurden u. a. die Sterbetafeln (London, 1864) mit Hilfe der Differenzmaschine berechnet. Die Maschine wurde 1914 ausgemustert und dem Science Museum in London übereignet. Obwohl die Scheutzs nur zwei Differenzmaschinen bauten und diese Maschinen nicht fehlerfrei funktionierten, gelangt es ihnen, für diese beiden Maschinen ein öffentliches Interesse zu wecken. Neben den Ausstellungen führten die Scheutzs ihre Maschine immer wieder vor. 1857 druckten die Scheutzs eine 50-seitige Broschüre über die Möglichkeiten der Differenzmaschine, einschließlich einer 29-seitigen Logarithmentafel von 1 bis 10.000. Das Buch wurde an alle möglichen Kaufinteressenten einer Differenzmaschine verschickt. Eine französische Ausgabe wurde 1858 fertiggestellt. Alfred Deacon Die Übersichtsarbeit von Dionysius Lardner in der Edinburgh Review inspirierte nicht nur George Scheutz zur Konstruktion einer Differenzmaschine, sondern auch unabhängig davon Alfred Deacon aus London. Dessen Maschine konnte mit drei Differenzen und 20 Stellen rechnen. Die Maschine ist verlorengegangen, es ist aber möglich, dass sie sich zumindest zeitweise im Besitz von Charles Babbage befand, der für die Weltausstellung in London (1862) eine kleine Differenzmaschine aus London als Exponat anbot. Martin Wiberg und George Bernard Grant Der Erfolg von George und Edvard Scheutz in der Konstruktion einer Differenzmaschine führte Martin Wiberg (1826–1905) und George Bernard Grant (1849–1917) zu eigenen Konstruktionen. Martin Wiberg stellte seine Maschine mit vier Differenzen und einem Rechenwerk von 15 Stellen 1860 vor. Neben einer Würdigung durch den zukünftigen schwedischen König Oscar II. und zahlreichen Auszeichnungen wurde die Maschine auf Empfehlung von Charles Babbage in der Académie des sciences vorgestellt und wohlwollend beurteilt. Wibergs Ziel war nicht der Verkauf der Maschine, sondern die Erstellung von wissenschaftlichen Tabellen bzw. deren Druckvorlagen. Eine mit der Maschine berechnete Logarithmentafel konnte Wiberg erst 1875 in Schwedisch und 1876 in Deutsch und Englisch herausgeben. In der Einleitung seiner Tafeln machte Wiberg sein Bemühen um eine ansprechende Typographie für die Verzögerungen verantwortlich. Das Tafelwerk wurde 1876 auf der Weltausstellung in Philadelphia ausgestellt. Die Nachfrage war gering, das Tafelwerk ist heutzutage sehr selten. Die Differenzmaschine befindet sich im Tekniska museet in Stockholm. George Bernard Grant hörte 1870 noch als Student zum ersten Mal etwas von den Differenzmaschinen des Charles Babbage. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon zahlreiche Versuche unternommen, Rechenvorgänge zu mechanisieren. Seinen Demonstrator einer Differenzmaschine stellte er 1871 fertig und beschrieb ihn in einer Veröffentlichung. Nach seinem Abschluss arbeitete er weiter an der Differenzmaschine. Ziel war es, zur Weltausstellung in Philadelphia (1876) eine funktionsfähige Maschine auszustellen. Die Maschine wurde wenige Tage vorher fertig, jedoch war sie nicht vollständig einsetzbar. Die Maschine war 2,5 m lang und 1,5 m hoch und konnte mit einer Handkurbel betrieben werden. Wurde die Handkurbel durch einen Riementrieb ersetzt, so verdoppelte sich die Rechenleistung von 12 Termen pro Minute auf 24. Als Zugeständnis an seine Geldgeber wurde die Maschine an die University of Pennsylvania übereignet. Die Maschine ist untergegangen. Eine Differenzmaschine nach den Plänen von Grant wurde an die Provident Mutual Life Insurance Company, wo sie zur Berechnung von Sterbetafeln genutzt wurde, verkauft. Christel Hamann Als Julius Bauschinger und Johann Theodor Peters (1889–1941) ein Projekt zur Erstellung von achtstelligen statt der bisherigen siebenstelligen Logarithmentafeln für die natürlichen Zahlen und die trigonometrischen Funktionen begannen, wandten sie sich mit der Bitte um die Konstruktion einer Differenzmaschine an Christel Hamann (1870–1948). Hamann lieferte die Maschine 1909 aus. Eine detaillierte Beschreibung der Maschine findet sich im Vorwort des ersten Bandes der Tafeln. Es handelte sich um eine 16-stellige Maschine mit zwei Differenzen und eingebautem Papierdrucker. Die Differenzmaschine war sehr viel einfacher aufgebaut als die bisherigen Konstruktionen: Nicht nur arbeitete sie mit nur zwei Differenzen, auch hatte sie keine Art von Automatik, d. h. der Nutzer musste selbst erst die zweite Differenz durch das Betätigen der einen Kurbel zu der ersten addieren, um dann mit der zweiten Kurbel die erste Differenz zum Funktionswert zu addieren. Trotz dieser Einschränkung konnte ein geübter Benutzer 36 Tabelleneinträge in fünf Minuten berechnen. Bauschinger und Peters planten ihr Tabellenwerk um eine Differenzmaschine mit nur zwei Differenzen, indem sie die Maschine nur zur Interpolation über kleine Intervalle nutzten. Die Maschine selbst ist untergegangen, ein Abbild findet sich in der Umschlagseite der 1910 herausgegebenen Tafeln. Burroughs Adding Machine Company Um 1912 trat T. C. Hudson von der Nautical Almanac Office an die Burroughs Adding Machine Company mit der Bitte um die Konstruktion einer im Sechziger-Zahlensystem arbeitende Differenzmaschine heran. Die von Hudson zu berechnenden Tabellen listeten Winkel in Grad, Minuten und Sekunden. Schon die erste Maschine von Babbage konnte, durch einfachen Tausch der Zahlenwalzen, mit verschiedenen Zahlsystemen unterschiedlicher Basen umgehen, da die englische Währung zum damaligen Zeitpunkt aus Pence, Shilling und Pfund nicht auf der Basis gebildet war: 12 Pence = 1 Shilling, 20 Shilling = 1 Pfund. Hudson bekam für seine Arbeit eine tastaturbetriebene Buchhaltungsmaschine, die sowohl im Zehner- als auch im Sechzigersystem rechnen konnte und zusätzlich direkt subtrahieren konnte, also keine Komplementbildung vor der Addition benötigte. Die Maschine konnte jedoch nur eine Addition oder Subtraktion durchführen, weswegen der Ausdruck der ersten Differenz ein weiteres Mal durch die Maschine geführt wurde, um den eigentlichen Funktionswert zu berechnen. Durch geschicktes Einspannen des Ausdrucks wurde das Ergebnis der ersten Rechnung von der Eingabe der ersten Differenz im zweiten Berechnungsschritt überdruckt, wodurch Fehleingaben offensichtlich wurden. Die Maschine wurde 1914 auf der Napier Tercentenary Exhibition in Edinburgh ausgestellt. Für die tägliche Nutzung wurden zwei der Maschinen über ihren Ausdruck hintereinander gekoppelt, so dass die erste Maschine die zweiten Differenzen zu ersten addierte und die zweite Maschine die erste Differenz zum Ergebnis addierte. Später fügte Burroughs ein zusätzliches Register für die erste Differenz in die Maschinen hinzu, so dass eine Buchungsmaschine als Differenzmaschine mit zwei Differenzen genutzt werden konnte. Leslie John Comrie Leslie John Comrie führte die Idee von T. C. Hudson, aus Standard-Büromaschinen durch minimale Änderungen Differenzmaschinen zu bauen, weiter: Jede neue Maschine wurde von ihm detailliert untersucht und beschrieben. Comrie nutzte die Differenzmaschinen hauptsächlich zur Kontrolle von Tabellenwerken. Brunsviga Dupla 1928 stellte Comrie die Brunsviga-Dupla, eine Rechenmaschine mit Zwischenregister, als Differenzmaschine vor. Er schrieb praktisch eine Bedienungsanleitung für die Rechenmaschine als Differenzmaschine, indem er darlegte, wie man das der Maschine eigene Zwischenregister nutzen sollte. Die Maschine ist sehr selten, die Rechenwege können heutzutage am einfachsten durch Simulationen nachvollzogen werden. Hollerith Tabulationsmaschine Es war Comrie, der bei der begutachtenden Zerlegung einer neuen Buchungsmaschine, der Hollerith Tabulating Machine, die in der Maschine versteckten mechanischen Register für die Zwischensummen der Buchungskonten entdeckte und eine Nutzung der Maschine als Differenzmaschine beschrieb. Die Tabulationsmaschinen konnten ohne Umbauten als druckende Differenzmaschine genutzt werden. Alexander John Thompson Für die Berechnung seiner zwischen 1924 und 1952 herausgegebenen 20-stelligen Logarithmentafeln suchte Alexander John Thompson vergebens nach einer Maschine, die mit vier oder fünf Differenzen rechnen konnte. Er koppelte vier Triumphator Typ C-Rechenmaschinen (Sprossenradmaschinen, auch nach Willgodt Theophil Odhner als Odhner-Maschinen bezeichnet) mechanisch so hintereinander, dass der Inhalt des Ergebnisregisters der hinteren Maschine auf die Sprossenräder der vorderen Maschine übertragen werden konnte. Ebenso konnten die Einstellungen der Sprossenräder der vorderen Maschine auf das Ergebnisregister der hinteren Maschine übertragen werden. Weiterhin wurde die Zahl der Sprossenräder jeder Maschine von 9 auf 13 Stellen, die der Ergebnisregister von 13 auf 18 Stellen erweitert. Funktionsweise Differenzmaschinen dienen der Berechnung von Zahlenfolgen. Als Differenz wird der numerische Abstand zwischen zwei benachbarten Elementen der Folge bezeichnet. Diese Differenzen bilden ihrerseits wieder eine Folge. Berechnet man aus diesen ersten Differenzen erneut die Differenz, so spricht man von der zweiten Differenz. Allgemein gilt, dass bei einer auf einem Polynom n-ter Ordnung basierenden Folge die n-te Differenz konstant ist. Diese Eigenschaft kann man sich dahingehend zu Nutze machen, dass man für die Konstruktion der Folge erst die n-ten, dann die n-1-ten usw. Differenzen durch Addition bildet, bis man die eigentliche Folge berechnet hat. Natürlich muss man für dieses Vorgehen die Startwerte für die einzelnen Differenzen kennen. Die einmalige Bestimmung der Startwerte ist in der Regel aber wesentlich einfacher, als alle Elemente der Folge zu berechnen. Die häufigste Nutzung der Differenzmaschinen war die Interpolation von Werten zwischen bekannten Stützstellen: Man berechnete für eine Funktion die Funktionswerte mit der gesuchten Genauigkeit in einem weiteren Abstand als für die gewünschte Tabelle. Die Zwischenwerte wurden durch Berechnung eines Polynoms n-ter Ordnung durch die berechneten Stützstellen gewonnen. D. h. die Zwischenwerte wurden durch das Polynom nur angenähert. Bei entsprechender Wahl der Abstände zwischen der Stützstellung und einer ausreichenden Genauigkeit der Rechenschritte können die berechneten von den interpolierten Tabellenwerten nicht unterschieden werden. Die Interpolation wurde auch vor der Verfügbarkeit von Differenzmaschinen genutzt, nur dass die Berechnung dann von Menschen durchgeführt werden musste. Auch hier war der Rechenaufwand für die Interpolation deutlich geringer als für die Berechnung der Stützstellen. Früh zeigte sich, dass sich für die Differenzmaschine interessante Einsatzmöglichkeiten ergeben, wenn die n-te Differenz nicht konstant ist. Charles Babbage sah hierfür vor, dass der Bediener die höchste Differenz vor jedem Berechnungsschritt anpassen konnte. Besonders einfach ist dies in der Maschine von Thompson möglich. Da die Differenzmaschine eigentlich nur addieren kann, sah Charles Babbage in seiner Differenzmaschine No. 1 eine Rückkopplung der Folge auf die höchste Differenz vor. Hierbei ist zu beachten, dass er bei der Rückkopplung die Wertigkeit der Stellen um Potenzen von 10 variieren konnte. Durch diesen Trick konnte die Differenzmaschine multiplizieren und z. B. die Sinus-Funktion direkt berechnen. Der Legende nach hat Charles Babbage sich den druckenden Differenzmaschinen verschrieben, da in den verfügbaren Logarithmentafeln so viele Fehler waren. Mittlerweile ist die Fehlerzahl in den Logarithmentafeln objektiviert worden. Zwar konnte durch eine Verfolgung der Fehler nachgewiesen werden, welcher Tafelersteller bei wem abgeschrieben hat, insgesamt war die Zahl der Fehler, insbesondere bei Berücksichtigung der Korrekturnotizen, jedoch so gering, dass dies mehr als ein Verlegenheitsargument für die Konstruktion einer solch aufwendigen Maschine zu werten ist. Für die Scheutz No. 2-Maschine liegen umfangreiche Belege über die Funktionsgüte und Reparaturanfälligkeit vor: Die Maschine war weder ohne Fehler, noch war ihr Unterhalt preiswerter als ein menschlicher Berechner. Würdigung Zum Zeitpunkt der Erfindung der Differenzmaschine durch Charles Babbage bildete die Maschine einen Rechenvorgang, der bis zu dem Zeitpunkt manuell durchgeführt wurde, nach. Charles Babbage gelang es 1822, eine funktionierende Differenzmaschine (No. 0) für Differenzen zweiter Ordnung zu bauen und vorzuführen; leider ist die Maschine untergegangen. Höchstwahrscheinlich wurden Einzelteile im Demonstrator der Differenzmaschine No. 1, sicher jedoch in den Fragmenten der Differenzmaschine No. 1, verbaut. Die von Babbage entworfenen Maschinen waren zu seiner Zeit herstellbar und hätten funktioniert. Durch die zahlreichen Veröffentlichungen über seine Differenzmaschinen und Werbung für Differenzmaschinen, die anhand seiner Artikel konstruiert und gebaut wurden, inspirierte er Generationen von Mathematikern, Ingenieuren und Bastlern, sich an der Automatisierung der Berechnung zu versuchen. Der große Durchbruch der Differenzmaschinen erfolgte durch die Nutzung der Maschine von Christel Hamann für das Tabellenwerk von Bauschinger und Peters. Den Höhepunkt und Abschluss erreichte die Nutzung der Differenzmaschine jedoch in der Vier-Differenz-Maschine von Alexander John Thompson und seiner Berechnung der 20-stelligen Logarithmentafeln zwischen 1924 und 1952. Liste der Differenzmaschinen Literatur Allan G. Bromley: Difference and Analytical Engines, in William Aspray (Hrsg.), Computing Before Computers, Iowa State University Press 1990. Doron Swade: Redeeming Charles Babbage's Mechanical Computer, Scientific American, Februar 1993 Weblinks The London Science Museum exhibition on the Difference engine (englisch) Einzelnachweise Rechenmaschine Geschichte der Informatik Charles Babbage
1139
https://de.wikipedia.org/wiki/Dezimalsystem
Dezimalsystem
Das Dezimalsystem (von mittellateinisch decimalis, zu „Zehn“), auch Positionszahlensystem mit der Basis zehn (10) genannt, ist das Standardsystem zur Bezeichnung ganzer und nicht-ganzer Zahlen. Es ist die Erweiterung des hinduistisch-arabischen Zahlensystems auf nicht-ganze Zahlen. Die Art der Bezeichnung von Zahlen im Dezimalsystem wird oft als Dezimalschreibweise bezeichnet. Ein Zahlensystem, das als Basis die Zahl Zehn (10) verwendet, kann auch als Zehnersystem oder dekadisches System bezeichnet werden. In der Regel wird darunter speziell das Stellenwertsystem zur Basis 10 verstanden, das in der indischen Zahlschrift entwickelt, durch arabische Vermittlung an die europäischen Länder weitergegeben wurde und heute weltweit als ein internationaler Standard etabliert ist. Als Dezimalsysteme bezeichnet man jedoch auch Zahlensysteme auf der Basis 10 ohne Stellenwertsystem, die zum Teil in Verbindung mit quinären, vigesimalen oder anders basierten Zahlensystemen, den Zahlwörtern vieler natürlicher Sprachen und älteren Zahlschriften zugrunde liegen. Anthropologisch wird die Entstehung von Dezimalsystemen – und Quinärsystemen – mit den 5 Fingern der zwei menschlichen Hände in Verbindung gebracht. Diese dienten als Zähl- und Rechenhilfe (Fingerrechnen). Gestützt wird diese Erklärung durch Zahlwörter für 5 („Hand“) und 10 („zwei Hände“) in einigen Sprachen. Dezimales Stellenwertsystem Ziffern Im Dezimalsystem verwendet man die zehn arabischen Ziffern 0 (Null), 1 (Eins), 2 (Zwei), 3 (Drei), 4 (Vier), 5 (Fünf), 6 (Sechs), 7 (Sieben), 8 (Acht), 9 (Neun), die als Dezimalziffern bezeichnet werden. Die europäischen Zeichen für diese Ziffern stammen aus dem Maghreb und haben nicht die Form, die im Nahen Osten verwendet wird. Auch indische Schriften verwenden andere Zeichen. Definition Eine Dezimalzahl wird im deutschen Sprachraum meistens in der Form aufgeschrieben; daneben existieren je nach Verwendungszweck und Ort noch weitere Schreibweisen. Dabei ist jedes eine der oben genannten Ziffern. Jede Ziffer hat einen Ziffernwert und je nach Position einen Stellenwert. Der Ziffernwert liegt in der konventionellen Zählreihenfolge. Der Index legt den Stellenwert fest, dieser ist die Zehnerpotenz . Die Ziffern werden ohne Trennzeichen hintereinander geschrieben, wobei die höchstwertige Stelle mit der Ziffer ganz links und die niederwertigeren Stellen mit den Ziffern bis in absteigender Reihenfolge rechts davon stehen. Zur Darstellung von rationalen Zahlen mit endlicher Entwicklung folgen dann, nach einem trennenden Komma, die Ziffern bis . Im englischen Sprachraum wird statt des Kommas ein Punkt verwendet. Der Wert der Dezimalzahl ergibt sich also durch Summierung dieser Ziffern, welche vorher jeweils mit ihrem Stellenwert multipliziert werden; zusätzlich ist das Vorzeichen voranzustellen; ein fehlendes Vorzeichen bedeutet ein Plus: . Diese Darstellung nennt man auch Dezimalbruch-Entwicklung. Beispiel: Mit aufgelösten Potenzen ergibt sich: Dezimalbruchentwicklung (periodische Dezimalzahlen in Brüche umformen) Mit Hilfe der Dezimalbruchentwicklung kann man jeder reellen Zahl eine Folge von Ziffern zuordnen. Jeder endliche Teil dieser Folge definiert einen Dezimalbruch, der eine Näherung der reellen Zahl ist. Man erhält die reelle Zahl selbst, wenn man von den endlichen Summen der Teile zur unendlichen Reihe über alle Ziffern übergeht. Formal wird mit also der Wert der Reihe bezeichnet. Man sagt, dass die Dezimalbruchentwicklung abbricht, wenn die Ziffernfolge ab einer gewissen Stelle nur noch aus Nullen besteht, die dargestellte reelle Zahl also selbst schon ein Dezimalbruch ist. Insbesondere bei allen irrationalen Zahlen bricht die Ziffernfolge nicht ab; es liegt eine unendliche Dezimalbruchentwicklung vor. Zur Umformung periodischer Dezimalbruchentwicklungen verwendet man die Beziehungen: . Diese Identitäten ergeben sich aus den Rechenregeln für geometrische Reihen, wonach für gilt. Im ersten Beispiel wählt man und beginnt die Summation erst beim ersten Folgenglied. Beispiele: Die Periode wird jeweils in den Zähler übernommen. Im Nenner stehen so viele Neunen, wie die Periode Stellen hat. Gegebenenfalls sollte der entstandene Bruch noch gekürzt werden. Etwas komplizierter ist die Rechnung, wenn die Periode nicht unmittelbar auf das Komma folgt: Beispiele: 1. Schritt: man multipliziere die Ausgangszahl mit einer Zehnerpotenz so, dass genau eine Periode (im Beispiel die 32) vor dem Komma steht: 2. Schritt: dann multipliziert man die Ausgangszahl mit einer Zehnerpotenz so, dass die Perioden genau hinter dem Komma beginnen: 3. Schritt: man subtrahiere die beiden durch Schritt 1 und 2 entstandenen Zeilen voneinander: (die Perioden hinter dem Komma fallen dadurch weg) (Zeile 1) (Zeile 2) (Zeile 1 minus Zeile 2) 4. Schritt: umstellen Ergebnis: Doppeldeutigkeit der Darstellung Eine Eigenschaft der Dezimalbruchentwicklung (und allgemein jeder Entwicklung) ist, dass viele rationale Zahlen zwei unterschiedliche Dezimalbruchentwicklungen besitzen. Wie oben beschrieben, kann man umformen und zu der Aussage gelangen, siehe den Artikel 0,999…. Im dezimalen Fall spricht man von einem Neuner-Ende und im von einem Die Identität zeigt, dass viele rationale Zahlen (nämlich alle mit endlicher Dezimalbruchentwicklung mit Ausnahme der 0) auf zwei verschiedene Weisen darstellbar sind: entweder als endlicher Dezimalbruch mit Periode 0, oder als unendlicher mit Periode 9. Durch Verbieten einer der beiden Periodenarten kann man Eindeutigkeit der Darstellung erzwingen. Formel Für periodische Dezimalbrüche mit einer Null vor dem Komma lässt sich folgende Formel aufstellen: Dabei ist die rationale Zahl, ihr Zähler, ihr Nenner, die Zahl vor Beginn der Periode (als Ganzzahl), die Anzahl der Ziffern vor Beginn der Periode, die Ziffernfolge der Periode (als Ganzzahl) und die Länge der Periode. Die Anwendung dieser Formel soll anhand des letzten Beispiels demonstriert werden: Periode In der Mathematik bezeichnet man als Periode eines Dezimalbruchs eine Ziffernfolge, die sich nach dem Komma immer wieder wiederholt. Alle rationalen Zahlen, und nur diese, haben eine periodische Dezimalbruchentwicklung. Beispiele: Rein periodische: (nach dem Komma beginnt sofort die Periode) 1/3 = 0,33333... 1/7 = 0,142857142857... 1/9 = 0,11111... Gemischt periodische: (nach dem Komma kommt erst noch eine Vorperiode, bevor die Periode beginnt) 2/55 = 0,036363636... (Vorperiode 0; Periodenlänge 2) 1/30 = 0,03333... (Vorperiode 0; Periodenlänge 1) 1/6 = 0,16666... (Vorperiode 1; Periodenlänge 1) 134078/9900 = 13,543232... (die Vorperiode ist 54; Periodenlänge ist 2) Auch endliche Dezimalbrüche zählen zu den periodischen Dezimalbrüchen; nach Einfügung unendlich vieler Nullen ist zum Beispiel 0,12 = 0,12000... Echte (nicht-abbrechende) Perioden treten im Dezimalsystem genau dann auf, wenn sich der Nenner des zugrunde liegenden Bruches nicht ausschließlich durch die Primfaktoren 2 und 5 (die Primfaktoren der Zahl 10) erzeugen lässt. Ist der Nenner eine von 2 und 5 verschiedene Primzahl, so ist die Periodenlänge eines Bruches ein Teiler von da 10 dann eine prime Restklasse und damit ist. Die genaue Länge der Periode von (und von allen Brüchen mit ) ist die kleinste natürliche Zahl , bei der in der Primfaktorzerlegung von vorkommt. Beispiel zur Periodenlänge 6: (106 − 1) = 999.999: 999.999 = 3 · 3 · 3 · 7 · 11 · 13 · 37, 1/7 = 0,142857142857…, 2/7 = 0,285714285714…, 1/13 = 0,076923076923…, 3/13 = 0,230769230769…, 6/13 = 0,461538461538…, 7/13 = 0,538461538461…. Die Beispiele wurden gewählt, um aufzuzeigen, dass bei gleichem Primzahlnenner die Perioden (Ziffernfolgen) für verschiedene Zähler als reine Links-Rechts-Verschiebungen von wenigen Ziffernfolgen vorkommen können – beim Nenner 7 ist es wegen eine einzige, beim Nenner 13 sind es wegen deren zwei. Sowohl 1/7 als auch 1/13 haben eine Periodenlänge von 6, weil 7 und 13 in der Primfaktorzerlegung von erst ab vorkommen. 1/37 hat jedoch eine Periodenlänge von nur 3, weil bereits ein Vielfaches von 37 ist. Ist der Nenner keine Primzahl, so ergibt sich die Periodenlänge als die kleinste Zahl , für die der Nenner ein Teiler von ist; eventuelle Primfaktoren 2 und 5 des Nenners bleiben dabei unberücksichtigt. Beispiele: 1/185 = 1/(5·37) hat die gleiche Periodenlänge wie 1/37, nämlich 3. 1/143 = 1/(11·13) hat die Periodenlänge 6, weil 999.999 = 3 · 3 · 3 · 7 · 143 · 37 (siehe oben) 1/260 = 1/(2·2·5·13) hat die gleiche Periodenlänge wie 1/13, also 6. Um die Periodenlänge effizient zu bestimmen, kann die Bestimmung der Primfaktorzerlegungen der rasch wachsenden Zahlenfolge 9, 99, 999, 9999 usw. vermieden werden, indem die äquivalente Beziehung genutzt wird, also wiederholtes Multiplizieren (angefangen bei 1) mit 10 modulo des gegebenen Nenners , bis dies wieder 1 ergibt. Zum Beispiel für : also hat 1/91 im Dezimalsystem die Periodenlänge 6. Notation Für periodische Dezimalbruchentwicklungen ist eine Schreibweise üblich, bei der der sich periodisch wiederholende Teil der Nachkommastellen durch einen Überstrich markiert wird. Beispiele sind , . Aufgrund technischer Einschränkungen existieren auch andere Konventionen. So kann der Überstrich vorangestellt, eine typografische Hervorhebung (fett, kursiv, unterstrichen) des periodischen Teils gewählt oder dieser in Klammern gesetzt werden: 1/6 = 0,1¯6 = 0,16 = 0,16 = 0,16 = 0,1(6) 1/7 = 0,¯142857 = 0,142857 = 0,142857 = 0,142857 = 0,(142857) Nicht-periodische Ziffernfolge Wie im Artikel Stellenwertsystem erläutert, besitzen irrationale Zahlen (auch) im Dezimalsystem eine unendliche, nicht-periodische Nachkommaziffern-Folge. Irrationale Zahlen können also nicht durch eine endliche und nicht durch eine periodische Ziffernfolge dargestellt werden. Man kann sich zwar mit endlichen (oder periodischen) Dezimalbrüchen beliebig annähern, jedoch ist eine solche endliche Darstellung niemals exakt. Es ist also nur mithilfe zusätzlicher Symbole möglich, irrationale Zahlen durch endliche Darstellungen anzugeben. Beispiele solcher Symbole sind Wurzelzeichen, wie , Buchstaben wie für die Kreiszahl oder für die Eulersche Zahl, sowie mathematische Ausdrücke wie unendliche Reihen oder Grenzwerte. Umrechnung in andere Stellenwertsysteme Methoden zur Umrechnung von und in das Dezimalsystem werden im Artikel zum Stellenwertsystem und in Artikeln zu anderen Stellenwertsystemen beschrieben: Dualsystem, Ternärsystem, Oktalsystem, Duodezimalsystem, Hexadezimalsystem. Geschichte Einer der ältesten Hinweise auf das Dezimalsystem prähistorischer Kulturen findet sich in einem Hortfund von Oberding aus der frühen Bronzezeit (um 1650 v. Chr.) mit 791 weitgehend standardisierten Spangenbarren aus Kupfer aus dem Salzburger Land und der Slowakei. Die Mehrzahl dieser Barren war in Gruppen zu 10 mal 10 Bündeln abgelegt worden. Dezimale Zahlensysteme – noch ohne Stellenwertsystem und ohne Darstellung der Null – lagen im Altertum unter anderem den Zahlschriften der Ägypter, Minoer, Griechen und Römer zugrunde. Es handelte sich dabei um additive Zahlschriften, mit denen beim Rechnen Zahlen zwar als Gedächtnisstütze niedergeschrieben, aber arithmetische Operationen im Wesentlichen nicht schriftlich durchgeführt werden konnten: Diese waren vielmehr mit Kopfrechnen oder mit anderen Hilfsmitteln wie den Rechensteinen (griech. psephoi, lat. calculi, im Spätmittelalter auch Rechenpfennige oder franz. jetons genannt) auf dem Rechnen auf Linien und möglicherweise mit Fingerrechnen zu leisten. Den in römischer und mittelalterlicher Zeit verbreiteten, in etwas anderer Form auch in der arabischen Welt gebrauchten Fingerzahlen lag ein dezimales System für die Darstellung der Zahlen 1 bis 9999 zugrunde, ohne Zeichen für Null, und mit einem Positionssystem eigener Art. Hierbei wurden durch genau festgelegte Fingerstellungen auf der linken Hand mit kleinem, Ring- und Mittelfinger die Einer 1 bis 9 und mit Zeigefinger und Daumen die Zehner 10 bis 90 dargestellt, während auf der rechten Hand die Hunderter mit Daumen und Zeigefinger spiegelbildlich zu den Zehnern und die Tausender mit den drei übrigen Fingern spiegelbildlich zu den Einern dargestellt wurden. Diese Fingerzahlen sollen nicht nur zum Zählen und zum Merken von Zahlen, sondern auch zum Rechnen verwendet worden sein; die zeitgenössischen Schriftquellen beschränken sich jedoch auf die Beschreibung der Fingerhaltungen und geben keine nähere Auskunft über die damit durchführbaren rechnerischen Operationen. Auf den Rechenbrettern des griechisch-römischen Altertums und des christlichen Mittelalters stand (demgegenüber) für die Darstellung ganzer Zahlen ein vollwertiges dezimales Stellenwertsystem zur Verfügung, indem für eine gegebene Zahl die Anzahl ihrer Einer, Zehner, Hunderter usw. durch Rechensteine in entsprechenden vertikalen Dezimalspalten dargestellt wurde. Auf dem antiken Abakus geschah dies durch Ablegen oder Anschieben einer entsprechenden Anzahl von Calculi in der jeweiligen Dezimalspalte, wobei zusätzlich eine Fünferbündelung praktiziert wurde, indem je fünf Einheiten durch einen einzelnen Calculus in einem seitlichen oder oberen Sonderbereich der Dezimalspalte repräsentiert wurden. Auf dem Klosterabakus des Frühmittelalters, der häufig mit Gerbert von Aurillac verbunden wird und vom 10. bis 12. Jahrhundert in Gebrauch war, wurde stattdessen die Anzahl der Einheiten in der jeweiligen Dezimalspalte nur durch einen einzelnen Stein dargestellt, der mit einer Zahl von 1 bis 9 beziffert war. Obwohl ein Rechenstein mit einer aus dem Arabischen stammenden Ziffer für Null (mittellateinisch cifra) zur Verfügung stand, wurde er beim abazistischen Rechnen für einen anderen Zweck verwendet – das war eine im 10. bis 12. Jahrhundert auf dem Gerbertschen Abakus gebräuchliche Rechenmethode. Das spätere Mittelalter und die Frühe Neuzeit kehrte wieder zur Verwendung unbezifferter Rechensteine zurück, welche die Spalten – nunmehr horizontal gezogenen Linien – entweder für dezimales Rechnen mit ganzen Zahlen an der Basiszahl 10 (mit Fünferbündelung), oder für das Finanzrechnen an den aus dem karolingischen Münzwesen (1 Pfund = 20 Schilling = 240 Pfennig) ererbten monetären Grundeinheiten verwendete. Auf den antiken wie auf den mittelalterlichen Varianten dieses Hilfsmittels erfolgte die Darstellung des Wertes Null jeweils durch Freilassen der betreffenden Dezimalspalte bzw. Linie, so auch auf dem Abakus. Mithilfe der antiken und mittelalterlichen Rechenbretter ließen sich Addition und Subtraktion erheblich vereinfachen, während sie für Multiplikation und Division wenig geeignet waren oder verhältnismäßig komplizierte Operationen erforderten, die besonders für den Klosterabakus in mittelalterlichen Traktaten beschrieben wurden und in ihrer Schwierigkeit berüchtigt waren. Eine Zahlschrift mit vollwertigem Stellenwertsystem, bei dem auch die Position des Zahlzeichens dessen Wert bestimmt, entwickelten zuerst die Babylonier auf der Basis 60 und ergänzten es vermutlich schon vor dem 4. Jahrhundert vor Chr. auch um ein eigenes Zeichen für Null. Eine Zahlschrift mit Stellenwertsystem auf der Basis 10, aber noch ohne Zeichen für die Null, entstand in China vermutlich bereits einige Jahrhunderte vor der Zeitenwende (in Einzelheiten bezeugt seit dem 2. Jahrhundert vor Chr.), wahrscheinlich mithilfe von Rechenstäbchen auf einer schachbrettartig eingeteilten chinesischen Variante des Abakus, und wurde erst unter indischem Einfluss seit dem 8. Jahrhundert auch um ein Zeichen für Null ergänzt. In Indien selbst sind die Anfänge des positionellen Dezimalsystems mit Zeichen für die Null nicht sicher zu bestimmen. Die ältere Brahmi-Zahlschrift, die vom 3. bis zum 8. Jahrhundert in Gebrauch war, verwendete ein dezimales System mit Ansätzen zu positioneller Schreibung, aber noch ohne Zeichen für Null. Die älteste indische Form der heutigen indo-arabischen Ziffern, mit aus der Brahmi-Zahlschrift herzuleitenden Zeichen für 1 bis 9 und einem Punkt oder kleinen Kreis für Null, ist durch sicher datierbare epigraphische Zeugnisse zuerst außerhalb Indiens seit dem 7. Jh. in Südostasien als indischer Export und in Indien selbst seit dem 9. Jahrhundert zu belegen; man nimmt jedoch an, dass die Verwendung dieses Ziffernsystems in Indien bereits im 5. Jahrhundert begann. Das gleiche positionelle Dezimalsystem mit Zeichen für Null lag auch dem in etwa gleichzeitigen gelehrten Zahlwortsystem indischer Astronomen zugrunde, in dem umschreibende Ausdrücke wie „Anfang“ (1), „Augen“ (2), „die drei Zeitstufen“ (3) für die Zahlen 1 bis 9 und „Himmel“, „Leere“, „Punkt“ oder andere Wörter für Null gemäß ihrem dezimalen Stellenwert als sprachliche Umschreibung mehrstelliger Zahlen gereiht wurden. Als frühes Zeugnis einer solchen positionellen Setzung von in diesem Fall weitgehend unmetaphorischen sprachlichen Zahlenbezeichnungen gilt bereits das 458 in Prakrit verfasste Lokavibhaga, das allerdings nur in einer späteren Sanskritübersetzung erhalten ist. Voll ausgebildet findet sich das umschreibende Zahlwortsystem dann bei Bhaskara I. (7. Jh.). Von den Arabern und den von ihnen arabisierten Völkern wurde für die Schreibung von Zahlen zunächst das dezimale additive System der alphabetischen griechischen Zahlschrift, anfangs vermittelt durch hebräisches und syrisches Vorbild, übernommen und auf die 28 Buchstaben des arabischen Alphabets übertragen. Spätestens seit dem 8. Jahrhundert wurden jedoch zuerst im arabischen Orient und im Verlauf des 9. Jahrhunderts dann auch in Nordafrika und Al-Andalus die indischen Ziffern und darauf beruhenden Rechenmethoden bekannt. Die früheste Erwähnung findet sich im 7. Jahrhundert durch den syrischen Bischof Severus Sebokht, der das indische System ausdrücklich lobt. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung in der arabischen und der westlichen Welt spielte Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi, der die neuen Ziffern nicht nur in seinen mathematischen Werken verwendete, sondern um 825 auch eine nur in lateinischer Übertragung erhaltene Einführung Kitāb al-Dschamʿ wa-l-tafrīq bi-ḥisāb al-Hind („Über das Rechnen mit indischen Ziffern“) mit einer für den Anfänger geeigneten Beschreibung des Ziffernsystems und der darauf beruhenden schriftlichen Grundrechenarten verfasste. Im 10./11. Jahrhundert waren im lateinischen Westen bereits westarabische oder daraus abgeleitete Ziffern (apices genannt) auf den Rechensteinen des Klosterabacus aufgetaucht. Sie wurden aber nicht auch darüber hinaus als Zahlschrift oder sogar für schriftliches Rechnen verwendet. Zusammen mit dem Klosterabacus gerieten sie wieder in Vergessenheit. Al-Chwarizmi verhalf seit dem 12. Jahrhundert in lateinischen Bearbeitungen und daran anknüpfenden volkssprachlichen Traktaten dem indischen Ziffernrechnen zum Durchbruch. Deren Anfangsworte Dixit Algorismi bewirkten, dass „Algorismus“, die lateinische Wiedergabe seines Namens, sich weithin als Name dieser neuen Rechenkunst etablierte. Besonders in Italien, wo Leonardo Fibonacci es in seinem Liber abbaci auch aus eigener, in Nordafrika erworbener Kenntnis bekannt machte, konnte das indische Ziffernrechnen seit dem 13. Jahrhundert den Abacus (mit unbezifferten Rechensteinen) im Finanzwesen und kaufmännischen Bereich nahezu vollständig verdrängen und sogar dessen Namen (abbaco) annehmen. In übrigen Ländern wurde es zwar zum Gegenstand des wissenschaftlichen und kaufmännischen Unterrichts, besaß bis zur Frühen Neuzeit aber im Rechnen auf Linien einen übermächtigen Konkurrenten. Auch als einfache Zahlschrift für die praktischen Zwecke des Niederschreibens von Zahlen und des Nummerierens, für die kein Stellenwertsystem benötigt wird, konnten sich die indo-arabischen Ziffern erst seit der frühen Neuzeit allmählich gegen die römischen Zahlen durchsetzen. Siehe auch Zahlennamen Literatur Weblinks Dezimal-/Zehnersystem für Schüler erklärt auf mathematik-wissen.de Das dezimale Stellenwertsystem verstehen und metakognitiv denken lernen. Vorlagen mit flexiblen Interviews, es ist die Methode der kritischen Exploration, Piaget Einzelnachweise Zahlensystem
1140
https://de.wikipedia.org/wiki/Distributivgesetz
Distributivgesetz
Die Distributivgesetze/Verteilungsgesetze () sind mathematische Regeln, die angeben, wie sich zwei zweistellige Verknüpfungen bei der Auflösung von Klammern zueinander verhalten, nämlich dass die eine Verknüpfung in einer bestimmten Weise mit der anderen Verknüpfung verträglich ist. Insbesondere in der Schulmathematik bezeichnet man die Verwendung des Distributivgesetzes zur Umwandlung einer Summe in ein Produkt als Ausklammern, Herausheben oder Faktorisieren. Das Auflösen von Klammern durch Anwenden des Distributivgesetzes wird als Ausmultiplizieren bezeichnet. Das Distributivgesetz bildet mit dem Assoziativgesetz und dem Kommutativgesetz grundlegende Regeln der Algebra. Formale Definition Auf einer Menge seien zwei zweistellige Verknüpfungen und definiert. Die Verknüpfung heißt linksdistributiv über wenn für alle gilt rechtsdistributiv über wenn für alle gilt distributiv über wenn sie links- und rechtsdistributiv über ist. Wenn die Verknüpfung kommutativ ist, so sind diese drei Bedingungen äquivalent. Bedeutung Als Beispiel können die zweistelligen Verknüpfungen der Addition und der Multiplikation von Zahlen dienen. Man unterscheidet zwischen linksdistributiven und rechtsdistributiven Verknüpfungen:   (linksdistributiv)   (rechtsdistributiv) In Worten: Eine Summe (bzw. Differenz) wird mit einem Faktor multipliziert, indem man jeden Summand (bzw. Minuend und Subtrahend) mit diesem Faktor multipliziert und die Produktwerte addiert (bzw. subtrahiert). Ist die „übergeordnete“ Verknüpfung, in diesem Fall die Multiplikation, kommutativ, so kann man aus der Linksdistributivität auch die Rechtsdistributivität folgern und umgekehrt. Ein Beispiel für „nur“ Rechtsdistributivität ist die Division, die nicht kommutativ ist: Hier gilt in der Regel: In der Schulmathematik werden meistens nur die beidseitigen (kommutativen) Distributivgesetze als solche bezeichnet und das Divisionsgesetz umgangen. Es wird dann nur gerechnet: seien und Die Distributivgesetze gehören zu den Axiomen für Ringe und Körper. Beispiele für Strukturen, in denen zwei Funktionen sich gegenseitig zueinander distributiv verhalten, sind Boolesche Algebren, wie die Algebra der Mengen oder die Schaltalgebra. Es gibt aber auch Kombinationen von Verknüpfungen, die sich nicht distributiv zueinander verhalten; zum Beispiel ist die Addition nicht distributiv gegenüber der Multiplikation. Das Multiplizieren von Summen kann man auch folgendermaßen in Worte fassen: Eine Summe wird mit einer Summe multipliziert, indem man jeden Summanden der einen Summe mit jedem Summanden der anderen Summe – unter Beachtung der Vorzeichen – multipliziert und die entstehenden Produkte addiert. Beispiele Reelle Zahlen In den folgenden Beispielen wird die Verwendung des Distributivgesetzes auf der Menge der reellen Zahlen illustriert. In der Schulmathematik spricht man bei diesen Beispielen meist von Ausmultiplizieren. Aus der Sicht der Algebra bilden die reellen Zahlen einen Körper, was die Gültigkeit des Distributivgesetzes sichert. Erstes Beispiel Beim Kopfrechnen wird das Distributivgesetz oftmals unbewusst verwendet: Man will 6 · 16 im Kopf berechnen. Dazu multipliziert man 6 · 10 sowie 6 · 6 und addiert die Zwischenergebnisse. Auch das schriftliche Multiplizieren beruht auf dem Distributivgesetz. Zweites Beispiel Drittes Beispiel Hier wurde das Distributivgesetz zweimal angewandt und das Ergebnis zusammengefasst. Dabei ist es egal, welche Klammer zuerst ausmultipliziert wird oder ob in einem Schritt jeder Summand der ersten Klammer mit jedem Summanden der zweiten Klammer multipliziert wird. Es ergibt sich also die dritte Binomische Formel. Viertes Beispiel Hier wird das Distributivgesetz andersherum angewandt als in den Beispielen zuvor. Betrachte Da in allen Summanden der Faktor vorkommt, kann dieser ausgeklammert werden. Das heißt, aufgrund des Distributivgesetzes gilt Matrizen Auch für die Matrizenmultiplikation ist das Distributivgesetz gültig. Genauer gesagt gilt für alle -Matrizen und -Matrizen sowie für alle -Matrizen und -Matrizen . Da für die Matrizenmultiplikation das Kommutativgesetz nicht gilt, folgt aus dem ersten Gesetz nicht das zweite. Es handelt sich in diesem Fall also um zwei verschiedene Gesetze. Mengenlehre In der Mengenlehre gelten für die Schnittmenge, Vereinigungsmenge und Differenzmenge folgende Distributivgesetze: Aussagenlogik In der Aussagenlogik gelten für die Konjunktion und die Disjunktion folgende Distributivgesetze: Siehe auch Distributiver Verband Boolesche Algebra (klassische Aussagenlogik) Literatur Weblinks Algebra Arithmetik Mathematischer Grundbegriff
1141
https://de.wikipedia.org/wiki/Donnerstag
Donnerstag
Der Donnerstag, bairisch auch Pfinztag, ist gemäß mittelalterlicher Wochentagszählung der fünfte (kirchenlateinisch. quinta feria), nach international standardisierter Zählung gemäß ISO 8601, die Montag als Wochenbeginn festlegt, der vierte und damit mittlere Wochentag. Etymologie Der Donnerstag war bei den Babyloniern deren Hauptgott Marduk zugeordnet; bei der Übernahme der orientalischen Wochentagsnamen ins Griechische wurde er als ‚Tag des Zeus‘ und danach im Lateinischen als Jovis Dies ‚Tag des Jupiter‘ wiedergegeben, was sich in meisten romanischen Sprachen fortsetzt, so zum Beispiel in , , . Im Germanischen wurde Jupiter mit dem Donnergott Donar/Thor gleichgesetzt, wodurch sich , bei Notker toniristac, mittelniederländisch donresdach, altfriesisch Thunersdei, , , erklären. Ein anderes verbreitetes Benennungsmotiv ist die Stellung als fünfter Tag der Woche. Dementsprechend heißt der Tag zum Beispiel im Hebräischen , im Kirchenlatein quinta feria > portugiesisch quinta-feira, griechisch ‚fünfter Tag‘; diese griechische Namensform führt, möglicherweise über gotische Vermittlung, zu bairisch Pfinztag. Im Schweizer Kanton Wallis und in den vom Wallis aus besiedelten Ortschaften in den italienischen Alpen (Südwalser) wird der Donnerstag auch Frontag genannt. Im Vorderglied steckt althochdeutsch frôn ‚dem Herrn gehörig, den Herrn betreffend‘, wobei der konkrete Bezug unklar ist. Auf Hindi erscheint der Name als ‚Tag des Lehrers‘ oder ‚Tag des Brihaspati‘, einer Gottheit, die als Lehrer der Götter angesehen und mit dem Planeten Jupiter identifiziert wird. Besondere Donnerstage Es gibt mehrere bewegliche Feiertage, die immer auf einen Donnerstag fallen. Gründonnerstag ist der Gedenktag für das in der Bibel beschriebene letzte Abendmahl von Christus mit seinen Jüngern am Vorabend des Karfreitag. Auch der Bibel nach fand Christi Himmelfahrt am 40. Tag nach Ostern statt, also am vorletzten Donnerstag vor Pfingsten. Das katholische Fest Fronleichnam ist liturgisch mit dem Gründonnerstag verbunden und findet daher ebenfalls am Donnerstag statt, und zwar am zweiten nach Pfingsten. Regional unterschiedlich ist der Donnerstag vor dem Aschermittwoch als Weiberfastnacht, Fettdonnerstag oder Schmotziger Donnerstag ein wichtiger Einschnitt in der Karnevalszeit. Von 1989 bis 1996 war der Lange Donnerstag als Dienstleistungsabend an den Donnerstagen, die nicht auf Feiertage fielen, ein erster Vorstoß zur Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes. 1929 begann der Börsenkrach in New York am Schwarzen Donnerstag. In der Deutschen Marine und Handelsmarine gilt der Donnerstag als Seemannssonntag. Im ZDF lief von den 1970ern bis in die 1990er die Dauerwerbesendung Schaufenster am Donnerstag. Im Österreichischen Rundfunk lief von 2002 bis 2012 Donnerstag Nacht, seit der Verlegung auf den Dienstagabend heißt die Programmschiene DIE.NACHT. Von 2004 bis 2010 bzw. 2011 lief auf ORF eins und 3sat die satirische Late-Night-Show Dorfers Donnerstalk immer am Donnerstag. An Donnerstagen liefen in Deutschland auch gewöhnlich die neuen Kinofilme an (in den USA gewöhnlich an Dienstagen; auch Softwarehersteller veröffentlichen ihre Updates [z. B. für Windows] und neuen Programme oft an Dienstagen). Dies hat sich bezüglich der Filmstarts mittlerweile auf Freitage oder Samstage verschoben. Wonniger Donnerstag (1954) ist ein Roman von John Steinbeck. Der Donnerstag (1964) ist eine Commedia all’italiana von Dino Risi. Literatur Weblinks Einzelnachweise Thor
1142
https://de.wikipedia.org/wiki/Dienstag
Dienstag
Der Dienstag ist nach deutscher Zählung (überholt: DIN 1355-1) und nach internationaler Zählung (ISO 8601) der zweite Wochentag; nach jüdischer, christlicher und islamischer sowie mittelalterlicher Wochentagszählung der dritte. Etymologie Der Name „Dienstag“, mittelniederdeutsch dingesdach, geht auf den mit dem latinisierten Namen Mars Thingsus belegten nordisch-germanischen Gott Tyr, Beschützer des Things, zurück und ist eine Lehnübertragung von (vgl. ). Das Wort hat sich vom Niederrhein her im deutschen Sprachgebiet ausgebreitet und die ursprüngliche Form Ziestag verdrängt. Diese ist lediglich im alemannischen Zischtig/Zischdi noch erhalten und kommt über althochdeutsch ziestag/ziostag („Tag des Ziu“) vom selben Gott Tyr in der althochdeutschen Schreibform Ziu. Diese Schreibweise wiederum entspricht dem englischen Tuesday (altenglisch tiw „Ziu“, daher tiwesdæg „Dienstag“). Die nordgermanische Variante Tyr taucht zum Beispiel in dänisch tirsdag und norwegisch tirsdag/tysdag (auf Bokmål/ Nynorsk) auf und geht auf das altnordische tysdagr zurück, vermutlich unter Vermittlung gotischer Missionare, ähnlich wie bei Samstag und Pfinztag (Donnerstag). Im Schwäbischen, vor allem im Gebiet der Diözese Augsburg, wurde der Dienstag auch als Aftermontag (Nachmontag) bezeichnet. Das bairische Mundartwort Ertag (Erchtag, Irda) geht wohl über gotische Vermittlung auf den griechischen Tagesnamen Ἄρεως ἡμέρα (Áreôs hêméra) („Tag des Ares“ = Mars) zurück, wobei bei den durch Wulfila zum Arianismus bekehrten Goten der Name des Arius bei der Verbreitung mitgespielt haben dürfte. Symbol in mittelalterlichen und barocken Dokumenten (etwa Tagebüchern) findet sich als Zeichen für den Dienstag das Marssymbol ♂, mit Bezug auf die lateinische Bezeichnung dies Martis. Besondere Dienstage in den USA In den USA ist Dienstag Wahltag (der erste Dienstag nach dem ersten Montag im November, fällt zwischen den 2. und den 8. November) und oft auch Erscheinungstag für neue Kinofilme (in Deutschland gewöhnlich Donnerstag) und Updates (z. B. für Windows) oder neue Computer-Programme. Weblinks
1143
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches%20Technikmuseum
Deutsches Technikmuseum
Das Deutsche Technikmuseum wurde 1983 unter dem Namen Museum für Verkehr und Technik eröffnet, den es bis 1996 trug. Das Museum sieht sich als Nachfolgeinstitution verschiedener technischer Museen, die es in Berlin bis zum Zweiten Weltkrieg gab, wie etwa des Verkehrs- und Baumuseums (im Hamburger Bahnhof) und befindet sich im Berliner Ortsteil Kreuzberg des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Das DTM hat 26.500 m² Ausstellungsfläche auf dem Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerks und Güterbahnhofs des Anhalter Bahnhofs. Das Museum wurde 2019 von 635.382 Menschen besucht. Den thematischen Schwerpunkt bilden die drei großen Verkehrsbereiche (Schienenverkehr, Luft- und Schifffahrt mit je etwa 6000 m² Ausstellungsfläche), allerdings möchte das Museum möglichst alle Bereiche der Technik darstellen und verfügt deshalb auch über Ausstellungen z. B. zur Druck-, Nachrichten-, Produktions- und Filmtechnik. Das Museum versteht sich als ein kulturgeschichtliches Technikmuseum, das technische Entwicklungen in ihren Wechselwirkungen zur gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Geschichte darstellt. Geschichte des Museums Das Deutsche Technikmuseum wurde 1982 gegründet und 1983 eröffnet. In der Gründungsphase ist es nicht gelungen, das Verkehrs- und Baumuseum (VBM) im Hamburger Bahnhof als Standort für das Deutsche Technikmuseum zu erhalten. Die Objekte des VBM wurden 1984 nach Übernahme der S-Bahn in West-Berlin durch die BVG auf das Verkehrsmuseum Dresden und das Deutsche Technikmuseum verteilt. Das Museum liegt in der Nähe des Landwehrkanals in der Trebbiner Straße auf einem ehemaligen Gewerbe- und Bahngelände von 1874, auf dem sich das Bahnbetriebswerk des Anhalter Bahnhofs mit zwei Ringlokschuppen und die Verwaltungsgebäude der Markt- und Kühlhallengesellschaft befinden, neben dem ehemaligen Postbahnhof Luckenwalder Straße unweit des U-Bahnhofs Gleisdreieck. Dieses historische Bauensemble ist zugleich ein wichtiges Objekt des Museums. Im Inneren der historischen Gebäude sind zum Teil auch originale Details wie die Spillanlage in den Lokschuppen oder eine Pferdetreppe im Gebäude der Markt- und Kühlhallengesellschaft erhalten. Ein 1996 begonnener Neubau wurde dem Museum am 21. März 2001 übergeben, die offizielle Einweihung erfolgte am 14. Dezember 2003. Auf dem Dach des städtebaulich prominent zur Hochbahn gelegenen Gebäudes wurde am 8. Mai 1999 ein „Rosinenbomber“ vom Typ Douglas C-47 B Skytrain angebracht, der seitdem ein Wahrzeichen des Museums ist. Nach Abschluss der ersten Ausbauphasen mit der Errichtung des Neubaus verfügt das Haus seit dem 16. April 2005 über 25.000 m² Ausstellungsfläche. Zum 1. September 1996 erfolgte die Umbenennung in Deutsches Technikmuseum Berlin. Im Jahr 2002 wurde die Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin gegründet, zu der auch das Science Center Spectrum gehört, das ebenfalls auf dem ehemaligen Betriebsgelände des Anhalter Güterbahnhofs liegt. Von 2002 bis Juni 2016 gehörten auch die Archenhold-Sternwarte in Alt-Treptow und das Zeiss-Großplanetarium in Prenzlauer Berg der Stiftung an. Das ehemals eigenständig zur Stiftung gehörende Zucker-Museum im Wedding wurde 2015 als Abteilung im Haupthaus des Museums neu eröffnet. Der Gründungsdirektor war Günther Gottmann. Von 2003 bis 2020 stand es unter der Leitung von Dirk Böndel. Seit August 2020 leitet Joachim Breuninger das Technikmuseum. Seit 2011 ist das Technikmuseum gemeinsam mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin Träger des Berliner Zentrum Industriekultur (bzi). Das bzi beschäftigt sich mit dem industriellen Erbe in Berlin und macht mithilfe verschiedener Formate (Forschung, Veranstaltungen, Publikationen) die Industriegeschichte Berlins einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Die Verantwortung für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit lag von 1982 bis 2006 in den Händen von Maria Borgmann. Ständige Ausstellungen Luft- und Raumfahrt Die Luft- und Raumfahrtausstellung dokumentiert die Entwicklung auf diesen Gebieten während des 20. Jahrhunderts. Zu den zahlreichen Exponaten zählen die einzige erhaltene Jeannin-Stahltaube, Baujahr 1914, aus den Anfängen der militärischen Luftfahrt. Zentrales Objekt dieser Ausstellung ist das Verkehrsflugzeug Junkers Ju 52 (Spitzname „Tante Ju“), das den Namen Hans Kirschstein trägt. Seltene Erinnerungsstücke eines Flugkapitäns der Deutschen Lufthansa und eines bekannten Sportfliegers beleuchten ihren fliegerischen Alltag. Das zweisitzige kunstflugtaugliche Reise- und Schulflugzeug Arado Ar 79 zeigt den Stand der Entwicklung des Zivilflugzeugbaus bei den Arado Flugzeugwerken vor dem Zweiten Weltkrieg. Der Ausstellungsbereich zum Zweiten Weltkrieg thematisiert Aufbau und Untergang der deutschen Luftwaffe und zeigt, wie die Nationalsozialisten die Faszination des Fliegens für ihre Zwecke missbrauchten. Das Wrack eines Ju-87-Sturzkampfbombers lässt das Zerstörungspotential des Flugzeugs als Waffe erahnen. Seit 2003 lässt das Museum eine Focke-Wulf Fw 200 wiederaufbauen, der Typ, ab 1937 zivil und militärisch genutzt, soll ab 2025 ausgestellt werden. Die Medienstation Mensch und Krieg zeigt anhand von sechs Biografien die Lebenswege ehemaliger Luftwaffenangehöriger. Seit März 2008 befindet sich eine VFW-614 als Beispiel für eine deutsche Flugzeugentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg im Besitz des Museums. Eine Ausstellungseinheit zur Flugzeugtechnik veranschaulicht die Entwicklung und Funktionsweise von Einzelkomponenten wie Motor, Fahrwerk oder Propeller. Ein gläsernes Flugzeug, eine partiell geöffnete Arado Ar 96 aus dem Jahr 1943, gewährt einen Einblick in die komplexe Technik eines Luftfahrzeugs. Im Mittelpunkt des Raumfahrtbereichs steht der deutsche Beitrag zur Entwicklung der Raketentechnologie. Die Darstellung beginnt mit den Phantasien und Experimenten der frühen Enthusiasten und endet mit der Vereinnahmung dieser Technologie für die Rüstungspläne der Nationalsozialisten. Zeichnungen von Augenzeugen dokumentieren die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen der KZ-Häftlinge, die in der Raketenproduktion in Dora-Mittelbau eingesetzt wurden. Darüber hinaus befindet sich in der Abteilung das Schaumodell der Deutschen Luftfahrtsammlung Berlin, die in den 1930er und 1940er Jahren die umfangreichste Sammlung und Ausstellung zur Geschichte und Technik der Luftfahrt war. Holger Steinle war von 1985 bis zu seiner Pensionierung 2013 Leiter der Luft- und Raumfahrtabteilung. Seitdem wird die Abteilung von Heiko Triesch geleitet. Schifffahrt Die Ausstellung Lebenswelt Schiff dokumentiert 10.000 Jahre Schifffahrtsgeschichte mit rund 1100 Exponaten auf drei Etagen. Im Erdgeschoss wird die Binnenschifffahrt mit mehreren Großobjekten wie dem märkischen Schlepper Kurt Heinz von 1901 präsentiert. Als ein zentrales Objekt befindet sich hier auch der 33 Meter lange Kaffenkahn von 1840, der die Architektur dieses Museumsteils bestimmte. Technisch recht anspruchslos, versinnbildlicht der aus dem Schlick der Havel geborgene Kahn das Anliegen der Ausstellung, die enge Beziehung zwischen Mensch und Schiff, zwischen Kulturgeschichte und Schifffahrtsgeschichte aufzuzeigen: Eine große Anzahl von Schiffen dieser Art brachte im 19. Jahrhundert die Ziegel nach Berlin, mit denen die rasch wachsende Metropole ausgebaut wurde. Im ersten Obergeschoss wird die Theorie des Schiffs mit Fragen zur Strömungstechnik, zur Längsfestigkeit und zur Effektivität von Schrauben- und Radantrieb behandelt. Im zweiten Obergeschoss wird die internationale Hochseeschifffahrt in ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung gezeigt – sie ermöglichte die Entdeckung fremder Kontinente, den Kultur- und Warentransfer, aber auch Krieg und Kolonialisierung. Im Galeriegeschoss sind die Sportschifffahrt, etwa 50 Schiffsmodelle im Maßstab 1:50 und wissenschaftliche Versuche ausgestellt, die das Deutsche Technikmuseum in einem interdisziplinären Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Schiffs- und Meerestechnik sowie der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau an der Technischen Universität Berlin durchführte. Ein eigenes Kabinett ist dem ehemaligen Verkehrs- und Baumuseum und dem ehemaligen Institut und Museum für Meereskunde gewidmet, den beiden bedeutenden Vorgängerinstitutionen der Schifffahrtsabteilung. Schienenverkehr Die Eisenbahn-Ausstellung Züge, Loks und Leute wurde als eine der ersten des Museums bereits 1987/1988 eröffnet. Untergebracht ist sie im Doppel-Ringlokschuppen des ehemaligen Betriebswerks Anhalter Bahnhof von 1874. Hier sind 40 originale Schienenfahrzeuge aus der Zeit von 1843 bis 1960 zu sehen. Hinzu kommt eine Fülle von historischen Modellen im Großmaßstab 1:5, die aus den Beständen des früheren Verkehrs- und Baumuseums (im vormaligen Hamburger Bahnhof) stammen. Aus dieser Vorläuferinstitution stammen u. a. auch einmalige Objekte wie der offene Personenwagen von 1843 oder die preußische Schnellzugdampflok S 10 von 1911, die bereits 1934 einseitig aufgeschnitten wurde, um die Funktionsweise einer Dampflok zu veranschaulichen. Einige der in den 1980er Jahren erworbenen Fahrzeuge wurden im letzten Betriebszustand oder sogar beschädigt belassen, um Gebrauchsspuren und Veränderungen als Dokument der Nutzungsgeschichte zu erhalten. Am deutlichsten wird das bei der Dampflok der Baureihe preußische P 8, die seit 1945 bei der polnischen Staatsbahn PKP im Einsatz stand und nach ihrer Bahnnutzung noch als Heizlokomotive in einem Krankenhaus Verwendung fand. Die Ausstellung ist chronologisch in 33 Stationen der Eisenbahngeschichte gegliedert. Zum Zeitpunkt ihrer Einrichtung war sie im deutschsprachigen Raum die erste museale Präsentation, in der die Geschichte der Eisenbahn in das jeweilige kultur-, wirtschafts- und politikgeschichtliche Umfeld eingebettet wurde. Deshalb sind im Abschnitt zur Frühzeit der Eisenbahnen beispielsweise zeitgenössische Ölgemälde aus dem Zyklus Lebensgeschichte einer Lokomotive von Paul Friedrich Meyerheim zu sehen. Ebenfalls zum ersten Mal wurde die Rolle der Eisenbahn bei den Deportationen während der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Rund um einen Güterwagen wie er typischerweise in Zügen zu den Konzentrationslagern verwendet wurde, sind seit 1988 in der Ausstellungseinheit „Judendeportationen“ mit der Deutschen Reichsbahn 1941–1945 u. a. die Schicksale von zwölf in der NS-Zeit ermordeten Berlinerinnen und Berlinern dargestellt. Im historischen Lokschuppen befindet sich auch eine Modelleisenbahn-Anlage, die die Gleisanlagen und Gebäude des Anhalter Personenbahnhofs, des Güterbahnhofs und des Bahnbetriebswerks sowie einige umliegende Gebäude im Zustand von 1938 im Maßstab 1:87 (Modellgröße H0) zeigt. Sie soll die einstigen Betriebsabläufe- und Baustrukturen verdeutlichen und es Besuchern ermöglichen, die heutigen Bebauungsreste auf dem Gelände des Museums sowie im Stadtraum zu erkennen und einzuordnen. Ein Abschnitt von drei Gleisen im ersten Lokschuppen erinnert daran, dass das Gelände 30 Jahre lang brach lag. Hier wachsen die sonst im Mittelmeerraum übliche Steinweichsel und der aus Sibirien stammende Staudenknöterich hat sich ebenso verbreitet wie die beiden Heilkräuter Nachtkerze und Frauenmantel. Alfred Gottwaldt war von 1983 bis zu seiner Pensionierung 2014 Leiter der Abteilung Schienenverkehr. Seit 2016 ist die Abteilung Schienenverkehr Teil des Sammlungsbereichs Landverkehr, der von Lars Quadejacob geleitet wird. Die Ausstellung zum Schienenverkehr in den Lokschuppen wird bis voraussichtlich 2028 in mehreren Etappen überarbeitet. Straßenverkehr Die Sammlung zum Thema Straßenverkehr gehört zu den umfangreichsten des Deutschen Technikmuseums. Mehr als 270 Kraftfahrzeuge (vom De-Dion-Dampfwagen, Baujahr 1883, bis zum NSU Ro 80 mit Kreiskolbenmotor, Baujahr 1972) und ebenso viele Motorräder, über 400 Fahrräder und 20 Pferdekutschen und -schlitten gehören zum Bestand, der auch bedeutende Einzelsammlungen wie die Zündapp-Werkssammlung umfasst. Diese wurde nach dem Zündapp-Konkurs 1984 erworben, sie umfasst außer 80 Motorrädern das gesamte Werksarchiv, darunter die fotografische Dokumentation der Produktionsanlagen von 1930 durch Albert Renger-Patzsch. Im Stil der Neuen Sachlichkeit gehalten, wurden diese Bilder teilweise in dem stilbildenden Fotoband Eisen und Stahl (1930) publiziert. Seit 2011 werden 39 Fahrzeuge der Sammlung in der Ausstellung Mensch in Fahrt gezeigt. Diese ist an der Ladestraße des Museums in einem früheren Schuppen des Anhalter Güterbahnhofs untergebracht. Sie zeigt, wie Automobilität den Alltag veränderte und verändert und erinnert auch an Berlin als früheres Zentrum der Autoindustrie – anhand heute vergessener Automobilfirmen, deren Konstruktionen als Dreirad-, Kleinwagen-, Stromlinien- und Elektrofahrzeuge eine große Bandbreite aufwiesen, die aber auch beispielsweise mit Amphibienfahrzeugen in „genialen Sackgassen“ endeten. Im Jahr 2017 hat das Deutsche Technikmuseum begonnen, in seinen Sammlungen nach Objekten zu suchen, die eventuell während der NS-Zeit vor allem jüdischen Eigentümern zu Unrecht entzogen wurden. Die Sammlung historischer Kraftfahrzeuge ist die erste, die seitdem auf ihre Provenienz hin überprüft wird. Zahlreiche Automobile und Zweiräder der Sammlung befinden sich als Dauerleihgabe in in- und ausländischen Partnermuseen. Kommunalverkehr Die Sammlung Kommunalverkehr befindet sich im Depot für Schienenfahrzeuge des Museums, das in einer ehemaligen Schnelltriebwagen­halle der Deutschen Reichsbahn, etwa zwei Kilometer südlich des Museumsgeländes, untergebracht ist. Als eine Art Schaudepot war es ausschließlich alljährlich an den Septembersonntagen – bei freiem Eintritt – für die Öffentlichkeit zugänglich. An diesen Tagen der offenen Tür war das Depot über regelmäßige Fahrten auf der Anschlussbahn und mit historischen Bussen mit dem Haupthaus des Museums verbunden. Im Januar 2023 gab das DTM bekannt, dass aufgrund des schlechten baulichen Zustands der Monumentenhalle zukünftig keine Führungen mehr stattfinden können. Ein Teil der dort untergebrachten Fahrzeuge soll aber in die Ausstellung für Schienenverkehr überführt werden. Auf rund 4000 Quadratmetern werden mehr als 50 Fahrzeuge aus 150 Jahren öffentlichen Nahverkehrs gezeigt, darunter 14 Straßenbahnwagen, vier U-Bahn- (darunter der ersten Bauserie von 1908) und drei S-Bahn-Wagen (u. a. der legendären Bauart Stadtbahn) sowie 13 Busse, etwa die stadtbildprägenden Schnauzenbusse der 1920er und 1930er Jahre. Auch Fahrzeuge wie ein Elektro-Paketauslieferungswagen der Berliner Firma Bergmann, ein Ford-Holzvergaser-Lkw oder ein Stromlinienbus-Unikat der 1930er Jahre, damals von einem Busunternehmer selbst gebaut, sind zu sehen. Zu den hier untergebrachten Vollbahnfahrzeugen zählen u. a. eine Dampfschneeschleuder, die preußische E-Lok ES 2 und ein preußischer Abteilwagen, der 80 Jahre als Kindergarten genutzt wurde und zudem an den NS-Gegner Erich Klausener erinnert. Produktionstechniken Gezeigt wird manuelle und industrielle Produktionstechnik des 19. und 20. Jahrhunderts; beispielhaft die Herstellung eines Koffers. In der Ausstellung zur manufakturellen Schmuckproduktion werden Produktionstechniken wie Prägen-Pressen-Stanzen, Ziehen-Walzen, Gießen, Schleifen-Polieren, Guillochieren-Gravieren, die Kettenherstellung und die handwerklichen Techniken des Goldschmiedeberufs vorgestellt, mit denen Schmuckstücke wie Armreife, Ringe, Broschen, Creolen, Manschettenknöpfe, Serviettenringe hergestellt wurden. Es finden Vorführungen an historischen Maschinen wie einem Fallhammer zum Hohlprägen, der Schleudergussanlage zum Gießen von Schmuckteilen und der Guillochiermaschine zum Dekorieren von glatten Oberflächen mit geometrischen Mustern statt. In der Eingangshalle befindet sich eine historische Werkstatt mit typischen transmissionsangetriebenen Werkzeugmaschinen aus dem Bereich der Metallbearbeitung, die im Zuge der technisch-industriellen Entwicklung im 19. Jahrhundert zum Standard wurden und in kleineren Betrieben bis in die 1970er Jahre Verwendung fanden. Gabriele Wohlauf war von 1985 bis 2015 Leiterin der Abteilung. Heute wird sie von Nora Lackner geleitet. Textiltechnik Die Ausstellung Textiltechnik zeigt Textilien verschiedener Art und ihre Herstellung, wobei den Maschinen die damit hergestellten Erzeugnisse gegenübergestellt werden. Foto- und Diapräsentationen zeigen die Arbeit in den dokumentierten Betrieben. Die weltweite Arbeitsteilung mit ihrer Verlagerung der Industriearbeit in den Süden wird am Beispiel von Indien thematisiert. Dem gegenüber steht die Entwicklung von Hochtechnologien im Norden. Weltweite Zusammenhänge werden anhand des Einsatzes der Informationstechnologie aufgezeigt, die in der Textiltechnik schon seit 1805 eine herausragende Rolle spielt. Ein Bandwebstuhl ist das zentrale Exponat zur Verwandtschaft zwischen Textil- und Datentechnik. Die Geschichte der Filzherstellung, Hutmacherei und Seidenblumenmanufaktur wird ebenfalls dokumentiert. In das Thema Filz ist am Beispiel eines Teils einer Jurte das Thema Textiles Bauen integriert. Rechen- und Automationstechnik, Nachrichtentechnik Das Lebenswerk Konrad Zuses ist Thema einer Ausstellung des Museums zur Rechen- und Informationstechnik. Zu sehen sind fast alle von ihm gebauten Rechner – von der Z1 bis zur Z31 mit der Vielfalt ihrer Zusatzgeräte und Anwendungen – im Zusammenhang mit der Firmen- und Familiengeschichte sowie das Originalbuch mit der Programmiersprache Plankalkül zu sehen. Gezeigt wird auch die andere Seite des Technikers: seine abstrakten und expressiven Gemälde. Die Ausstellung zur Geschichte der Nachrichtentechnik gibt mit Themenschwerpunkten einen Querschnitt durch das Sammlungsgebiet. Sie zeigt unter anderem die Anfänge des deutschen Rundfunks in Berlin, einen Nachbau der ersten von Manfred von Ardenne 1931 präsentierten elektronischen Fernsehanlage der Welt sowie das einzige funktionsfähige Schwarzweiß-Fernsehstudio der Welt von 1958. Hadwig Dorsch war von 1983 bis zu ihrer Pensionierung Leiterin der Abteilung Rechen- und Automatisierungstechnik. Heute wird die Abteilung von Eva Kudraß geleitet. Schreib- und Drucktechnik, Papiertechnik Die Ausstellung zur Geschichte der Drucktechnik konzentriert sich auf das Verfahren des Hochdrucks. Besucher können unter Aufsicht der Vorführer auf einer hölzernen Presse aus dem 17. Jahrhundert oder auf gusseisernen Pressen aus dem 19. Jahrhundert drucken, zum Beispiel einer Stanhope-Presse aus dem Jahr 1835. Auf der Linotype können sie Zeilen für eine Visitenkarte setzen und diese auf einer Boston-Tiegeldruckpresse anschließend drucken. Der Bereich Bürotechnik zeigt eine Auswahl aus der umfangreichen Sammlung von Büromaschinen; einen Teil davon können Besucher selbst ausprobieren. Außerdem wird eine Schnellpresse und ein Heidelberger Tiegel ausgestellt. Neben der Abteilung Drucktechnik befindet sich im ehemaligen Pferdestall die Abteilung Papiertechnik. Die Tränken werden als Schöpfwannen für Workshops zur Papierherstellung verwendet. Außerdem kann eine Langsiebpapiermaschine für den Laborbetrieb der Bundesanstalt für Materialprüfung von 1960 besichtigt werden. Energietechnik Aufgenommen im April 2015 Zum Bereich Energietechnik gehören u. a. drei Dampfmaschinen. In der Eingangshalle des Museums befindet sich eine Dampfmaschine, die ein ganzes Ensemble von Werkzeugmaschinen antreibt. Sie steht für den Anfang einer eigenständigen Energietechnik. Zwei weitere Dampfmaschinen befinden sich im Lokschuppen 1 und im Innenhof zwischen diesem und dem Lokschuppen 2. Weitere Objekte dieses Bereichs sind im Freigelände des Museums zwei historische Windmühlen – eine Holländer- und eine Bockwindmühle – die vorindustrielle Energieumsetzung demonstrieren. Trotz ihrer ausgeklügelten Mechanik bilden sie einen Kontrast zur industriellen Maschinentechnik: Die Naturkraft Wind und die handwerkliche Bauweise prägen die Konstruktion. Als modernes Gegenstück dazu setzt eine Solaranlage mit Hilfe des Sonnenlichts ein Wasserspiel in Gang. Ebenfalls zum Themenfeld Energietechnik gehören die umfangreichen Beständes AEG-Archivs, die auch bedeutende Entwürfe des Industriedesign-Pioniers Peter Behrens enthalten. Verkehrs- und Ingenieurbau Das Museum besitzt die außerordentliche Sammlung zum Wasserbau des ehemaligen Verkehrs- und Baumuseums im Hamburger Bahnhof, die viele funktionsfähige, sehr großmaßstäbliche und technisch hochwertig gearbeitete Modelle sowie eine große Zahl von Plänen, Gemälden und Landkarten umfasst. Obwohl nur ein kleiner Teil davon gezeigt werden kann, vermittelt die Ausstellung ein intensives Bild der verschiedenen Brückenformen, Wasserregulierungs- und -hebebauten sowie Hafenanlagen und gibt einen Eindruck von der Ingenieurbaukunst des Kanal-, Schleusen-, Straßen- und Brückenbaus. Chemie und Pharmazie Die Dauerausstellung „Pillen und Pipetten“ stellt seit Juni 2010 historische und gegenwärtige Aspekte der chemischen und pharmazeutischen Industrie dar. Auf 400 m² vermittelt sie einen Einblick in die Branche am Beispiel des früheren Chemie- und Pharmakonzerns Schering. Erstmals wird damit in Deutschland dieser bedeutende Industriezweig in einem großen Museum präsentiert. Kurator und Leiter des Fachgebietes war bis 2017 Volker Koesling. Gezeigt werden unter anderem Arbeitstechniken eines Labors, Arbeitsmittel von der Glaspipette bis zum modernen Pipettierroboter, die chemische Produktvielfalt, die Grundlagen der pharmazeutischen Industrie und die Probleme der Arzneimittelsicherheit. Besucher können auch gleichsam zum Pyrotechniker werden und virtuell ein Feuerwerk zusammenbauen und zünden. Ein Themenschwerpunkt ist die Entdeckung der Sexualhormone und deren Anwendung als Verhütungsmittel in der von Schering entwickelten „Pille“ mit den Folgen für Sexualität und Familienplanung. Zur Ausstellung erschien der Begleitband Pillen und Pipetten: Wie Chemie und Pharmazie unser Leben bestimmen. Wissenschaftliche Instrumente Seit Eröffnung der Dauerausstellung Schifffahrt im Dezember 2003 ist der Bereich der Navigationsinstrumente wieder in erweiterter Form zu sehen. Andere Bereiche wie Mikroskopie, Spektroskopie, Zeitmessung oder die umfangreiche Sammlung von Waagen und Gewichten lagern zunächst im Depot. Sie sind der Grundstock für eine geplante größere Präsentation im Zuge des weiteren Museumsausbaus. Geschichte der Filmtechnik Dieser Bereich des Museums präsentiert Geschichte der Filmtechnik von der Laterna magica bis zum modernen Filmprojektor, vom mittelalterlichen Guckkasten über die optischen Spielereien des 19. Jahrhunderts wie die Wundertrommel, den Tätigkeits- oder den Schnellseher bis zum Kino- und Videofilm der 1980er Jahre. Zu den mehrere hundert Objekten gehören das Ochsenauge von 1750, Guckkästen und Finstere Kammern, Kine-Messter-Kameras und ein Panzerkino aus der Frühzeit der deutschen Filmindustrie, professionelle Aufnahmekameras aus allen Epochen, Amateuraufnahmegeräte von 1898 bis zu modernen Videokameras, ein Filmset-Diorama mit Originalgeräten und ein Schneideraum. Viele Geräte aus der Vor- und Kinogeschichte und funktionstüchtige Nachbauten früher Filmpioniere können die Besucher selbst ausprobieren. Historische Filmausschnitte wie die Kopie eines Original-Edison-Films über die Hinrichtung von Maria Stuart, Filme über die Berliner Pioniere Max Skladanowsky und Oskar Messter sowie frühe Amateurfilme können angesehen werden. Historische Brauerei Im Museumspark, in einem ehemaligen Lagerhaus der Nürnberger Tucher Bräu AG, wurde eine historische Brauerei eingerichtet, die den Übergang vom handwerklichen zum industriellen Bierbrauen zeigt. Der Schwerpunkt dieser Ausstellung liegt in der Erläuterung des klassischen Bierherstellungsprozesses, mit den technischen Ausrüstungen aus der Anfangszeit des 20. Jahrhunderts. Mittelpunkt der Brauerei ist das Sudhaus mit seinen Braugefäßen aus dem Jahr 1909. Es ist über historische, gusseiserne Treppen zu erreichen und stellt mit den kupfernen Behältern, seinen glänzenden Armaturen, Handrädern und Rohrleitungen ein besonderes technisches Denkmal dar. Freigelände/Museumspark Einige Anlagen des früheren Bahnbetriebswerks wurden in den 1980er Jahren rekonstruiert. Dazu zählen außer Teilen der Gleisanlage auch ein Kohlenschrägaufzug, zwei Wasserkräne und ein Kohlenkran, die zum Teil für die Bevorratung der Dampfloks von das Technikmuseum besuchenden historischen Sonderzügen genutzt werden. Der üppige Bewuchs des Geländes, der zwischen der Aufgabe des Bahnbetriebswerks 1952 und den 1980er Jahren entstanden war, wurde teilweise bewusst belassen, um diese Wiederaneignung durch die Natur zu dokumentieren, aber auch um die große Vielfalt an Pflanzen zu schützen. In diesem Biotop lassen sich noch Reste originaler Anlagen des Bahnbetriebswerks ausmachen, so z. B. des Kohlenbansens aus Beton, der parallel zum heute gepflasterten Bereich liegt. Der als ‚Museumspark‘ bezeichnete Außenbereich des Museums findet seit 2011 im umgebenden Park am Gleisdreieck seine Fortsetzung im Stadtraum. Historisches Archiv und Bibliothek Das Historische Archiv, die Bibliothek und die Bildstelle sind Serviceeinrichtungen für Museumsbesucher sowie für die Mitarbeiter des Hauses. In den reichhaltigen Beständen zur Technik- und Industriegeschichte mit dem Schwerpunkt Berlin finden sich unter anderem das AEG-, Borsig- oder Zündapp-Archiv, das Stiasny-, Feldhaus-Archiv sowie die VDI- und Kammer der Technik (KdT)-Bibliotheken sowie Teile der Bibliothek des ehemaligen Museums für Meereskunde. Kommunikations- und Informationsnetze Seit September 2015 gibt es in der Ladestraße die Dauerausstellung Das Netz. Menschen, Kabel, Datenströme. Im Gegensatz zu den traditionellen sammlungsbezogenen Ausstellungen des Museums verfolgt Das Netz einen themenbezogenen Ansatz. Die Dauerausstellung fragt danach, welchen Einfluss Kommunikations- und Informationsnetze auf Leben, Denken und Handeln der Menschen haben und hatten. Ausgehend vom Internet wird ein historischer Bogen bis ins 19. Jahrhundert zur Telegrafie geschlagen. Sonderausstellungen Das Technikmuseum zeigt regelmäßig Ausstellungen zu verschiedenen Themenbereichen. Sonderausstellungen 2009: Gleisdreieck 1978. Fotografische Spurensicherung im alten West-Berlin Der Auftrag der Kinder. Was wir heute gegen den Klimawandel tun können Eigensinn mit Luntenzündung, Sonderausstellung aus Anlass des Mauerfalls vor 20 Jahren mathema. Ist Mathematik die Sprache der Natur? VEB Pentacon Dresden – Der letzte Produktionstag der Praktica Helmholtz-Gemeinschaft: Wunderkammer Wissenschaft Speisen auf Reisen. Essen und Trinken im Umfeld der Eisenbahn (seit 2004) Sonderausstellungen 2010: Global Players – Spielzeug aus Afrika Gesichter Indiens – Menschen vor der Kamera IT und Medienkunst Art of Engineering, Finalistenbeiträge des interdisziplinären Wettbewerbs der Ferchau Engineering GmbH im Technikmuseum Max Krajewsky – Fotochronist der Berliner Baugeschichte, Fotoausstellung Der Flettner-Rotor – eine gescheiterte Innovation? Rostige Bilder? Industriefotografie in der DDR 1990/91 Bewahrung und Verfall, Gegenüberstellung zeitgenössischer Arbeiten mit ausgewählten Beständen aus dem Fotoarchiv der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin Sonderausstellungen 2011: Sie liegen uns zu Füßen – Straßendeckel in Berlin Unterwasserfotografie – mit der Kamera auf Tauchgang Alles ist Wasser – Kunstfotografien von Charlotte Sonntag, Fotoausstellung Edle Papiere aus Gmund – Eine Papierfabrik stellt sich vor Chausseen – Alleen – Meilensteine – Chausseehäuser. Zeitzeugen der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Brandenburgs und Berlins Sonderausstellungen 2012: Schiffspropeller: Monumentale Kunstwerke Die Zugezogenen – Neusiedler in der Uckermark Sonderausstellungen 2013: Zwischen Himmel und Hölle – Kinder fotografieren ihr Berlin Windstärken, Sonderausstellung zum Thema Wind in Museum und Museumspark Sonderausstellungen 2014: Gleisdreieck – Ein Bahngelände in Berlin, Fotoausstellung Orenstein & Loewe: 20 große Namen der Technikgeschichte Peter Behrens – Bauten für die AEG, Fotoausstellung Berliner Linse 2013, Fotoausstellung Sonderausstellungen 2015: Max de Esteban: Vom Vergehen, Fotoausstellung Hans Schaller, Luftfahrtfotograf, Fotoausstellung 30 Jahre in 30 Fotografien Bilder von morgen, interaktives Panorama Beyond the blinds, Fotoausstellung Sonderausstellungen 2016: ALL.täglich! – die INNOspaceExpo Fachwerk(e) – Renaissance edler Metalle Der Mensch bei der Arbeit, Fotoausstellung Technik für Hitlers Olympia, Fotoausstellung Sonderausstellungen 2017: Vom Kaufhaus zum Tacheles, Fotoausstellung Ozeane – Expedition in unerforschte Tiefen 100 Jahre Zündapp: Industriefotos von Albert Renger-Patzsch, Fotoausstellung Erich „Wüste“ Hoffmann und der Berliner Radsport, Fotoausstellung Sonderausstellungen 2018: Seezeichen! Mathematik des Planeten Erde Umgeparkt – Autos aus dem Museumsdepot Die Brieftaube als Fotograf, Fotoausstellung Notenstecherei Paris, Fotoausstellung 40 Jahre Deutsche im Weltall. Zwei Staaten, elf Raumfahrer, einhundert Objekte (20. September–30. Dezember) Architectura navalis – Schwimmender Barock Stürmische See und Brandung, Fotoausstellung Sonderausstellungen 2019: Verborgene Strukturen Gesichter der Arbeit Sonderausstellungen 2021: Cosmic Culture Berliner U-Bahn: gestern & morgen Sonderausstellungen 2022: Alltag an Schienen (21. Januar 2022 bis 19. Februar 2023) Zug zur Zukunft (12. Mai 2022 - 31. Mai 2023) Projekt Lightspeed (23. September 2022 - 29. Januar 2023) Reparieren (ab 7. Dezember 2022) Anschlussbahn Das Museum verfügt über eine eigene Anschlussbahn mit einer Länge von rund 1,8 Kilometern. Mit dieser wird das Museumsgelände mit den Depothallen an der Monumentenbrücke im Stadtteil Schöneberg verbunden. Auf diese Weise lassen sich historische Fahrzeuge zwischen dem Depot und der Schienenverkehrsausstellung in den historischen Lokschuppen des Museums austauschen. Am Depot „Monumentenbrücke“ gibt es zudem eine Übergabestelle zum Schienennetz der Deutschen Bahn AG, die direkt zur Nord-Süd-Fernbahn führt. Über diese Verbindung erhält das Museum Fahrzeug-Neuzugänge, und auch historische Sonderzüge können so direkt auf das Museumsgelände fahren, wo ein Bahnsteig besteht. Zwischen den beiden Haltepunkten Hauptgebäude und Depot finden zudem an September-Sonntagen kostenlose Pendelfahrten statt. Zum Einsatz kommt dabei die von Orenstein & Koppel 1967 gebaute Diesellokomotive des Typs MB 10 N und ein historischer Eilzugwagen von 1934 (Gattung C4i-34a). Die Strecke führt durch den im Jahr 2011 eröffneten Park am Gleisdreieck und über eine der historischen Yorckbrücken. Zur Anschlussbahn gehören auf dem Museumsgelände unter anderem auch ein funktionstüchtiger Wasserkran, eine Schlackegrube und die beiden Drehscheiben vor den Lokschuppen mit einem Durchmesser von je 23 Metern. Die Anschlussbahn wird von zwei hauptberuflichen Lokführern betrieben. Förderverein Berliner Bürger sowie Vertreter verkehrlicher und technischer Einrichtungen gründeten im Jahr 1960 die Gesellschaft für die Wiedererrichtung eines Verkehrsmuseums in Berlin e. V., da die entsprechenden Museen durch die Kriegsfolgen nicht verfügbar waren. Nachdem im Mai 1964 in den Räumen der Urania eine Schausammlung eröffnet worden war, erhielt der Förderverein einen neuen Namen: Verkehrsmuseum Berlin e. V. Im Jahr 1970 beauftragte der Berliner Senat den Förderverein mit der Projektleitung für die Errichtung eines staatlichen Museums für Verkehr und Technik. Nach der Berufung des Direktors, Günther Gottmann, im Jahr 1980 wurde die Gründung des Museums am 13. Mai 1982 im Ernst-Reuter-Haus gefeiert. Der Verein nennt sich seit dem 21. Jahrhundert Freunde und Förderer des Deutschen Technikmuseums Berlin e. V. (FDTM). Er unterstützt das Deutsche Technikmuseum durch Erwerbungen und vielseitige Aktivitäten museumsbezogener Art, z. B. durch den wöchentlich regelmäßigen einmaligen Fahrbetrieb des Bahnmodells „Anhalter Bahnhof“ (Lokschuppen 2) in der Nenngröße H0. Anmerkungen Weblinks und Literatur Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin Technikmuseum Fördervereine Ausstellungen Deutsches Technikmuseum Berlin. Info der Freunde und Förderer des Deutschen Technikmuseums Berlin e. V. Berlin 1984 ff (Zeitschrift des Fördervereins Deutsche Technikmuseum) Dirk Böndel: 25 Jahre Deutsches Technikmuseum Berlin. In: MuseumsJournal 4, 22. Jg., Oktober–Dezember 2008, S. 54–56. Gerhard Pichler, Roland Guggisberg: Deutsches Technikmuseum Berlin – Technik der Zukunft verbindet sich mit Geschichte der Technik. In: Stahlbau, 67. Jg., Heft 7/1998, S. 580–591. Einzelnachweise De Verkehrsmuseum in Berlin Technikmuseum in Deutschland Museum (Textiltechnik) Papiermuseum Eisenbahnmuseum in Deutschland Automuseum in Deutschland Schifffahrtsmuseum in Deutschland Berlin-Kreuzberg Museumsbau in Berlin Gegründet 1982 Erbaut in den 1980er Jahren Brauereimuseum Bier (Berlin) Förderverein Museumsbau in Europa Textilmuseum in Deutschland Technikgeschichte (Berlin) Museum in Berlin Museum (Essen und Trinken) in Deutschland
1146
https://de.wikipedia.org/wiki/Fundamentale%20Wechselwirkung
Fundamentale Wechselwirkung
Eine fundamentale Wechselwirkung ist einer der grundlegend verschiedenen Wege, auf denen physikalische Objekte (Körper, Felder, Teilchen, Systeme) einander beeinflussen können. Es gibt die vier fundamentalen Wechselwirkungen Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Wechselwirkung und starke Wechselwirkung. Sie werden auch als die vier Grundkräfte der Physik oder als Naturkräfte bezeichnet. Einzeln oder in Kombination bringen die vier fundamentalen Wechselwirkungen sämtliche bekannten physikalischen Prozesse hervor, seien es Prozesse zwischen Elementarteilchen oder zwischen Materie und Feldern in makroskopischen Ausmaßen, sei es auf der Erde, in Sternen oder im Weltraum. Weitere Arten von Wechselwirkungen scheinen zur Beschreibung der Natur nicht erforderlich; gelegentlich aufgestellte Hypothesen über eine „fünfte Kraft“, die zur Erklärung bestimmter Beobachtungen nötig wäre, konnten nicht bestätigt werden. Andererseits ist es bisher auch nicht gelungen, die Vielfalt der beobachteten Vorgänge mit weniger als vier fundamentalen Wechselwirkungen zu erklären. Allerdings ist anzumerken, dass dieses einfache Bild, das etwa um die Mitte des 20. Jahrhunderts herausgearbeitet wurde, nach neueren Entwicklungen zu modifizieren ist: Zwei der vier Wechselwirkungen (die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung) werden im heutigen Standardmodell der Elementarteilchenphysik aus einer gemeinsamen Grundlage hergeleitet, die den Namen elektroschwache Wechselwirkung trägt. Daher wird zuweilen von insgesamt nur drei fundamentalen Wechselwirkungen gesprochen. Andererseits enthält das Standardmodell das neuartige Higgs-Feld, das durch eine besondere Art der Wechselwirkung den zunächst als masselos angesetzten Fermionen, z. B. den Elektronen, ihre Masse verleiht. Diese Wechselwirkung wird jedoch bisher (Stand 2017) gewöhnlich nicht als fünfte fundamentale Wechselwirkung bezeichnet. Die vier Grundkräfte Gravitation Die Gravitation, auch Schwerkraft genannt, wurde im 17. Jahrhundert von Isaac Newton als Naturkraft identifiziert und mathematisch beschrieben. Sie geht von jedem Körper mit Masse aus und wirkt anziehend auf alle anderen Massen. Sie nimmt mit der Entfernung ab, lässt sich nicht abschirmen und hat eine unendliche Reichweite. Die von der Erde ausgehende Gravitation macht den Hauptanteil der Gewichtskraft aus, die unsere Lebenswelt entscheidend beeinflusst. Die Gravitation ist die vorherrschende Wechselwirkung zwischen den Planeten und der Sonne und somit die Ursache für die Gestalt des Sonnensystems. Sie hat maßgeblichen Einfluss auf den Zustand und die Entwicklung der Sterne, dominiert aber auch die großräumigen Strukturen des Universums. Die Gravitationskraft wirkt auch zwischen je zwei Gegenständen von der Größe, mit der wir täglich umgehen, ist dann aber so schwach, dass sie im Alltag praktisch vernachlässigbar ist und erst Ende des 18. Jahrhunderts von Henry Cavendish experimentell nachgewiesen werden konnte (Gravitationswaage). In Weiterentwicklung des newtonschen Gravitationsgesetzes ist die heute gültige Gravitationstheorie die allgemeine Relativitätstheorie, die Anfang des 20. Jahrhunderts von Albert Einstein aufgestellt wurde. Eine zugehörige Quantenfeldtheorie wurde bisher noch nicht gefunden. Elektromagnetische Wechselwirkung Die elektromagnetische Wechselwirkung wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts als eine Grundkraft der Natur identifiziert, nachdem James Clerk Maxwell die nach ihm benannten Maxwell-Gleichungen aufgestellt hatte, mit denen die Phänomene der Elektrizität, des Magnetismus und der Optik gleichermaßen beschrieben werden können. Die elektromagnetische Wechselwirkung geht von elektrischen Ladungen, magnetischen Dipolen und elektromagnetischen Feldern aus. Die Kräfte, die sie auf magnetische oder geladene Körper ausübt, können vom Menschen direkt wahrgenommen werden. Wie die Gravitation hat die elektromagnetische Wechselwirkung eine unendliche Reichweite. Sie wirkt aber je nach Vorzeichen der elektrischen Ladung anziehend oder abstoßend und lässt sich deshalb im Gegensatz zur Gravitation abschirmen oder gar eliminieren (positive und negative Ladungen kompensieren sich üblicherweise fast exakt). Auf die elektromagnetische Wechselwirkung können alltägliche Phänomene wie Licht, Elektrizität, Magnetismus, chemische Bindung, also auch chemische Reaktionen und unterschiedliche Materialeigenschaften in Natur und Technik zurückgeführt werden. Die quantenfeldtheoretische Weiterentwicklung der klassischen Maxwell-Gleichungen führte Mitte des 20. Jahrhunderts zur Quantenelektrodynamik. Darin ist das Photon das allen elektromagnetischen Effekten zugrunde liegende Austauschteilchen. Schwache Wechselwirkung Die auch als schwache Kernkraft bezeichnete schwache Wechselwirkung wurde 1934 von Enrico Fermi als die neue fundamentale Wechselwirkung entdeckt und beschrieben, die die Betaradioaktivität verursacht. Sie hat die extrem kurze Reichweite von etwa 10−17 m. Sie wirkt zwischen allen Teilchen vom Typ Lepton und Quark, wobei sie als einzige der Wechselwirkungen Umwandlungen von einer Teilchenart in eine andere bewirken kann (z. B. Elektron wird Neutrino, up-Quark wird down-Quark, aber nicht zwischen Leptonen und Quarks). Die schwache Wechselwirkung ist auch die einzige, die die Symmetrie der Naturvorgänge gegenüber einer Spiegelung des Raums (Parität, P-Symmetrie), einer Umkehrung der Ladungen (Teilchen-Antiteilchen-Symmetrie, C-Symmetrie) oder der Zeitrichtung (T-Symmetrie) verletzt (s. Paritätsverletzung, Ladungskonjugation, Zeitumkehrinvarianz). Die schwache Wechselwirkung kann vom Menschen nicht direkt wahrgenommen werden, bewirkt aber z. B. unverzichtbare Zwischenschritte bei der Kernfusion von Wasserstoff zu Helium, aus der die Sonne ihre Strahlungsenergie bezieht. (Die Energie selbst wird durch die Starke Wechselwirkung freigesetzt.) Die quantenfeldtheoretische Beschreibung der schwachen Wechselwirkung beruht auf der Zusammenfassung mit der elektromagnetischen zur elektroschwachen Wechselwirkung, die ein Grundpfeiler des Standardmodells der Elementarteilchenphysik ist. Ihre Austauschteilchen sind das Z0, W+ und W−, die durch ihre große Masse sowohl die kurze Reichweite als auch die verhältnismäßige Schwäche bei alltäglichen Vorgängen bewirken. Im Zusammenhang mit der Erklärung der Masse dieser Austauschteilchen sagt die Theorie ein weiteres Teilchen voraus, das Higgs-Boson. Im Juli 2012 hat das Forschungszentrum CERN den Nachweis eines Teilchens am Large Hadron Collider bekanntgegeben, bei dem es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um das Higgs-Boson handelt. Starke Wechselwirkung Die starke Wechselwirkung, auch starke Kernkraft genannt, bindet die Quarks aneinander. Sie bewirkt damit den inneren Zusammenhalt der Hadronen, z. B. des Protons und Neutrons. Sie ist darüber hinaus Ursache der gegenseitigen Anziehungskräfte kurzer Reichweite, die zwischen den Hadronen wirken. Diese werden als Kernkräfte im engeren Sinn bezeichnet, da sie den Zusammenhalt der Protonen und Neutronen zum Atomkern ermöglichen. Damit bestimmt die starke Wechselwirkung die Bindungsenergie der Atomkerne und die Energieumsätze bei Kernreaktionen. Diese Energieumsätze sind typischerweise millionenfach größer als in der Chemie, wo sie von der elektromagnetischen Wechselwirkung zwischen den Atomhüllen herrühren. Als stärkste Grundkraft der Natur wurde die starke Wechselwirkung seit den 1920er Jahren postuliert, konnte aber erst in den 1970er Jahren nach der Entdeckung, dass alle Hadronen aus zwei oder drei Quarks zusammengesetzt sind, zutreffend beschrieben werden. Die Quantenfeldtheorie der starken Wechselwirkung ist die Quantenchromodynamik (QCD). Sie stellt die Wechselwirkung zwischen zwei Quarks durch den Austausch eines Gluons dar. Die Teilchen tragen einen eigenen Typ Ladung, die im Unterschied zur elektrischen Ladung in acht Varianten auftritt. Eine Charakterisierung geschieht über drei gleichzeitig messbare Größen, die als Farbladungen der Objekte bezeichnet werden. Charakteristisch für die starke Wechselwirkung ist, dass die elementaren Teilchen, bei denen sie wirkt, nicht isoliert auftreten können. Versucht man etwa zwei Quarks voneinander zu trennen, muss so viel Energie aufgewendet werden, dass wegen der Äquivalenz von Masse und Energie weitere Quarks entstehen und sich mit den vorhandenen wieder zu vollständigen Hadronen verbinden. Dieses als Confinement (Einschließung) bezeichnete Phänomen hat zur Folge, dass die Reichweite der starken Wechselwirkung effektiv nicht über den Radius eines Hadrons (ca. 10−15 m) hinausgeht. Die genauen Mechanismen der starken Wechselwirkung sind Gegenstand aktueller Forschung. Tabellarische Auflistung Hinweis: Die typische relative Stärke ist so angegeben, wie sie bei Prozessen im Energiebereich bis zu einigen GeV beobachtet wird. Da die Werte stark von der Energie abhängen, ist die schwache Wechselwirkung in einigen Quellen auch mit der relativen Stärke 10−13 angegeben, die Gravitation mit 10−38 oder 10−39. Die wesentliche Feststellung ist die Winzigkeit der Stärke der Gravitation sowie der kleine Wert der schwachen Wechselwirkung bei niedrigen Energien. Hypothetische weitere Kräfte Obwohl bisher noch keine Nachweise geliefert werden konnten, wird in der theoretischen Physik vielfach über weitere mögliche Kräfte spekuliert. Darunter fallen beispielsweise Technicolor-Theorien, Theorien der Supersymmetrie oder Stringtheorien. Neue makroskopische Kräfte werden gelegentlich unter dem Begriff „Fünfte Kraft“ zusammengefasst. Alle diese Kräfte stellen hypothetische Erweiterungen des Standard-Modells der Elementarteilchenphysik dar. Vereinheitlichende Theorien Eines der Ziele der Physik ist es herauszufinden, ob alle Grundkräfte oder Wechselwirkungen in einem vereinheitlichten Gesamtkonzept zu beschreiben sind. Damit könnte es möglich sein, alle bekannten Kräfte auf eine einzige Grundkraft zurückzuführen. Man spricht hier von vereinheitlichten Theorien. Beispielsweise ist die elektromagnetische Wechselwirkung eine Vereinheitlichung der elektrischen und der magnetischen Wechselwirkung. Weiter haben die elektromagnetische Wechselwirkung und die schwache Wechselwirkung bei Energien ab etwa 102 GeV etwa gleiche Stärke und können als elektroschwache Wechselwirkung vereinheitlicht beschrieben werden. Jedoch steht im gegenwärtigen Standardmodell der Elementarteilchenphysik die starke Wechselwirkung unverbunden daneben. Eine Theorie, die diese drei Grundkräfte des gegenwärtigen Standardmodells der Elementarteilchenphysik vereinheitlichen würde, wird große vereinheitlichte Theorie (Grand Unification Theory GUT) genannt. Als zentraler Bestandteil gilt die Annäherung der Kopplungskonstanten der drei Wechselwirkungen an einen gemeinsamen Wert, wenn die Prozesse bei immer höherer Energie untersucht werden. Aktuelle Theorien nehmen eine solche Annäherung bei etwa 1016 GeV an, das liegt um einen unerreichbaren Faktor 1012 über der derzeit höchsten in einem Experiment erzielten Teilchenenergie. Eine Theorie, die alle vier Grundkräfte vereint, wird Weltformel oder Theory of Everything (TOE) genannt. Sie muss also über die noch hypothetische GUT hinaus eine bisher ebenfalls unbekannte Quantentheorie der Gravitation beinhalten. Stringtheorien oder Superstringtheorien gelten hier als aussichtsreiche Kandidaten, auch wenn sie bisher kein durch Experimente nachprüfbares Resultat ergeben haben. Die folgende Tabelle beschreibt schematisch das Verhältnis verschiedener Grundkräfte zueinander und die entsprechende Hierarchie der Theorien der Physik: Literatur Es gibt wohl wenige Bücher, die alle vier Grundkräfte gleich behandeln. Eine kurze Einführung findet sich jedoch z. B. in Gerthsen Physik. 23. Auflage. Springer Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-540-25421-8 (mit CD-ROM) Die drei fundamentalen Wechselwirkungen des Standardmodells der Elementarteilchen werden in den meisten einführenden Büchern zur Elementarteilchenphysik behandelt, z. B. in Klaus Bethge, Ulrich E. Schröder: Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen – eine Übersicht. Wiley-VCH, Weinheim 2006, ISBN 3-527-40587-9 Harald Fritzsch: Elementarteilchen. Bausteine der Materie. Beck, München 2004, ISBN 3-406-50846-4 Jörn Bleckneuhaus: Elementare Teilchen: Von den Atomen über das Standard-Modell bis zum Higgs-Boson. 2. Auflage. Springer Spectrum, 2012, ISBN 3-642-32578-5 Christoph Berger Elementarteilchenphysik: Von den Grundlagen zu den Modernen Experimenten. 2. Auflage. Springer Verlag, 2006, ISBN 3-540-23143-9 David Griffiths: Introduction to Elementary particles. Wiley-VCH, Weinheim 2008, ISBN 978-3-527-40601-2 Einführende Bücher zur Gravitation sind z. B. Charles W. Misner, Kip S. Thorne, John Archibald Wheeler: Gravitation. Freeman, 2000, ISBN 0-7167-0344-0 Claus Kiefer: Gravitation. Fischer, 2002, ISBN 3-596-15357-3 und zur Suche nach einer Theorie der Quantengravitation Claus Kiefer: Der Quantenkosmos. Fischer, 2008, ISBN 978-3-10-039506-1 Weblinks Die 4 Wechselwirkungen (Grundkräfte) gut erklärt Gravitation, Elektromagnetische-, starke und schwache Wechselwirkung: Grundlagen, Eigenschaften, Vermittlungsprozesse Einzelnachweise Physik
1147
https://de.wikipedia.org/wiki/Dimorphismus
Dimorphismus
Mit Dimorphismus (von altgriechisch dímorphos ‚zweigestaltig‘) bezeichnet man in der Biologie das Auftreten von zwei deutlich verschiedenen Erscheinungsvorkommen bei derselben Art. Sexualdimorphismus Die bekannteste Form des Dimorphismus ist der Sexual- oder Geschlechtsdimorphismus, bei dem sich männliche und weibliche Individuen deutlich voneinander unterscheiden. Der Unterschied kann, wie häufig bei Spinnen und bei einigen Fischen, in der Größe liegen. Die Geschlechter können aber auch unterschiedliche Färbungen aufweisen, wie bei vielen Vogelarten, bei denen das Weibchen zur Tarnung oft unscheinbar gefärbt ist, während das Männchen leuchtende Farben besitzt. Bei Walrossen ist der Sexualdimorphismus durch die Stoßzähne des Männchens gegeben, die den Weibchen fehlen. Bei Pflanzen die Zweihäusigkeit sowie einige Formen der Subdiözie und Gynodiözie sowie Pleogamie (Auftreten eingeschlechtlicher Blüten neben den Zwitterblüten in wechselnder Verteilung auf den Individuen derselben Art). Andere Formen des biologischen Dimorphismus Bei Honigbienen sind zwei verschiedene Dimorphismen zu beobachten: zum einen ein Sexualdimorphismus zwischen Männchen (Drohnen) und Weibchen, zum anderen gibt es einen durch Pheromone gesteuerten Dimorphismus bei den Weibchen in Königin und Arbeiterinnen. Saisondimorphismus, Beispiel: viele Zwergsträucher der Phrygana bilden in der niederschlagsreichen Jahreshälfte (Winter) größere Blätter, in der trockenen Jahreshälfte (Sommer) kleinere Blätter. Bestimmte Hefepilzarten können, abhängig vom pH-Wert, verschiedene Formen annehmen. Blattdimorphismus ist die Ausprägung unterschiedlich ausgeprägter Blätter bei ein und demselben Individuum. Er kann im Zusammenhang stehen mit dem Alter der Blätter (z. B. bei Sumpfkrügen) oder der Position an der Pflanze selbst (Kannendimorphismus bei Kannenpflanzen). Männliche Kuckucke treten in zwei Farbmorphen auf, ebenso Waldkäuze, unabhängig vom Geschlecht. Bei Pflanzen das Phänomen der Heteromesogamie, das Vorkommen von Blüten, die sich durch die Art der Bestäubung unterscheiden, bei verschiedenen Exemplaren derselben Art. Individuen derselben Art besitzen verschiedene Bestäubungseinrichtungen. Beim Kastendimorphismus unterscheiden sich Ameisen-Arbeiterinnen verschiedener Kasten in ihrer Morphologie. Bei der Stöpselkopfameise (Colobopsis truncata) besitzen major-Arbeiterinnen mit einer Türschließermorphe eine Kopfform, mit der sie den Nesteingang im Holz verschließen können. Außerbiologischer Gebrauch Der Begriff wurde inzwischen im allgemeinen Sinne von Zweigestaltigkeit bzw. Nebeneinander verschiedener Formen allerdings auch auf andere Wissenschaftsbereiche übertragen, wo er zwei verschiedene Erscheinungsformen einer Grundform bezeichnet, etwa in der Archäologie beim Siedlungsdimorphismus, der unterschiedliche Formen einer grundlegenden Siedlungsart (etwa beim Dorf) anzeigt. Auch urgeschichtliche Werkzeugkategorien werden so mitunter differenziert. Bei diesem eher unspezifischen Gebrauch ist die Grenze zum Polymorphismus jedoch mitunter fließend, da man vor allem ein Auseinanderdriften von zunächst zwei, später aber auch mehr, nicht immer genau abgrenzbaren Varianten beschreiben möchte, etwa in der Paläoanthropologie der umweltbedingte Dimorphismus beim Australopithecus in grazile und robuste Formen (A. robustus vs. A. africanus). In der Mineralogie bezeichnet Dimorphismus Minerale, wenn sie in zwei verschiedenen Kristallsystemen auftreten. Siehe auch Morphe Polymorphismus Einzelnachweise Genetik Morphologie (Biologie) uk:Диморфізм кристалів
1148
https://de.wikipedia.org/wiki/Deuterium
Deuterium
Deuterium (von deúteros, „der Zweite“) ist ein natürliches Isotop des Wasserstoffs. Sein Atomkern wird auch Deuteron genannt, er besteht aus einem Proton und einem Neutron. Deuterium (2H) wird aufgrund seiner Masse auch als „schwerer Wasserstoff“ bezeichnet. Es wurde 1931 von den US-amerikanischen Chemikern Harold C. Urey und Ferdinand Brickwedde sowie George Murphy entdeckt. Urey erhielt dafür 1934 den Nobelpreis für Chemie. Die beiden anderen natürlichen Isotope des Wasserstoffs sind Protium (1H) und Tritium (3H). Aufgrund der großen Bedeutung der Isotope und weil die Massen sich stark unterscheiden, verwendet man für die Isotope Deuterium und Tritium auch eigene Symbole: D und T. Der Name Deuterium stammt von Gilbert Newton Lewis (der Lehrer von Urey), der auch als erster schweren Wasserstoff herstellte. Hinweise auf das Isotop gab es schon mit der Entwicklung der Massenspektrometrie in den 1920ern. Beschreibung Symbol Das chemische Symbol ist 2H; aus Gründen der Vereinfachung in der Formelschreibweise wird häufig auch „D“ verwendet. Atomkern Im Gegensatz zum 1H-Wasserstoff, dessen Atomkern nur aus einem einzigen Proton besteht, enthält der Deuteriumkern außer diesem Proton ein Neutron. Er wird „Deuteron“ genannt. Moleküle Chemisch verbinden sich im einfachsten Fall zwei Deuterium-Atome zu einem Deuterium-Molekül. Dabei gibt es je nach Gesamtspin IG des Moleküls zwei Varianten, das Orthodeuterium (o-D2), wenn das Kernspinisomer den Gesamtspin 0 oder 2 besitzt, und das Paradeuterium (p-D2) im Falle IG = 1. In der Natur kommt es wegen seiner geringen Häufigkeit fast ausschließlich in Form des Moleküls HD vor. Entstehung Es wird davon ausgegangen, dass Deuterium allein in der primordialen Nukleosynthese unmittelbar nach dem Urknall entstanden ist, denn das bei der stellaren Nukleosynthese gebildete Deuterium fusioniert nach kurzer Zeit weiter zu Helium. Deshalb ist die Häufigkeit des Deuteriums im Kosmos ein wichtiger Parameter für kosmologische Modelle. Vorkommen Die natürliche Häufigkeit des Isotops Deuterium beträgt auf der Erde 0,015 Prozent (Stoffmengenanteil). Das auf der Erde vorkommende Wasser (1,4 Milliarden Kubikkilometer oder 1,4 ·1018 Tonnen) besteht zu rund einem Neuntel (2 u von 18 u) bzw. zu 11,19 Prozent seiner Masse aus Wasserstoff (einschließlich Deuterium), daher enthält es 0,0035 Prozent oder 5·1013 Tonnen Deuterium. Dieses ist überwiegend als DHO und sehr selten als D2O gebunden. Im Wasserdampf der Venusatmosphäre hat Deuterium einen Stoffmengenanteil von 1,6 %, in Proben des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko wurde ein 2H/1H-Verhältnis von 0,053 % gemessen. Gewinnung Deuterium lässt sich aufgrund des großen relativen Massenunterschieds leichter anreichern als die Isotope anderer Elemente wie Uran. In den ersten Anreicherungsstufen kommt gewöhnlich der Girdler-Sulfid-Prozess zum Einsatz. Dabei wird ausgenutzt, dass in einer wässrigen Schwefelwasserstoff-Lösung die Wasserstoffatome und die Deuteriumatome ihre Plätze zwischen beiden Molekülarten tauschen: Bei niedrigen Temperaturen wandert das Deuterium bevorzugt in das Wassermolekül, bei hohen Temperaturen in das Schwefelwasserstoffmolekül. In der letzten Anreicherungsstufe wird das Gemisch aus H2O, HDO und D2O durch Destillation getrennt. Neben dem Girdler-Sulfid-Prozess kann Deuterium auch durch Destillation und Elektrolyse angereichert werden. Anwendungen Eingesetzt wird Deuterium als Moderator in Kernreaktoren (hier in Form von schwerem Wasser), als Brennstoff in Wasserstoffbomben und künftig in Kernfusionsreaktoren, als Ersatz für Protium (gewöhnlichen Wasserstoff) in Lösungsmitteln für die 1H-NMR-Spektroskopie und als Tracer in der Chemie und Biologie. Dort ist es ebenfalls in der NMR-Spektroskopie (insbesondere der Festkörper-NMR) ein wichtiges Isotopen-Label, um die Dynamik in organischen Substanzen zu detektieren und Strukturen aufzuklären. Ferner wird gasförmiges Deuterium in Speziallampen in Photometern eingesetzt, z. B. in der Atomspektroskopie als Quelle für UV-Licht. Schweres Wasser Ersetzt man beim Wasser (H2O) den Wasserstoff durch Deuterium, so erhält man schweres Wasser (D2O). In Mischungen liegt durch den schnellen Austausch von Protonen und Deuteronen statistisch auch halbschweres Wasser (HDO) vor. Die Dichte von D2O beträgt 1,1047 g·cm−3 bei 25 °C, der Schmelzpunkt liegt bei 3,8 °C und der Siedepunkt bei 101,4 °C. Das Dichtemaximum liegt bei 11,2 °C (Wasser: 3,98 °C). Diese Unterschiede der physikalischen Eigenschaften gegenüber Wasser bezeichnet man als Isotopeneffekt. Er ist unter allen Nukliden zwischen 1H und 2H am stärksten ausgeprägt. Schweres Wasser verlangsamt oder unterbindet viele Stoffwechselvorgänge, weswegen die meisten Lebewesen bei sehr hohem Deuteriumgehalt nur noch eingeschränkt lebensfähig sind. Schweres Wasser besitzt eine verminderte Lösefähigkeit im Vergleich zu normalem Wasser. Deuteronen haben ein geringeres Tunnelvermögen als Protonen und erschweren daher in biologischen Systemen die Aufrechterhaltung der elektrochemischen Gradienten an mitochondrialen Membranen. Diese sind aber ausschlaggebend für die Synthese von ATP. Die Funktionsfähigkeit der meisten Proteine hängt von der Beweglichkeit der umgebenden Wassermoleküle ab. Da Deuteronen wegen der größeren Masse träger sind, können die Proteine ihre Aufgaben nur schlechter oder überhaupt nicht mehr erfüllen. Laut einem kurzen Beitrag von Urey und Failla von 1935 sollte sich der Geschmack von schwerem Wasser von dem destillierten „normalen“ Wassers nicht unterscheiden. Neuere Experimente konnten jedoch zeigen, dass schweres Wasser für Menschen einen süßlichen Geschmack hat. Sicherheitshinweise Deuterium ist im Anhang VI der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP) nicht aufgeführt, ist aber in dieser Beziehung wie Wasserstoff zu betrachten, da sich alle Isotope eines Elements bezüglich ihres chemischen Verhaltens und ihrer Gefährlichkeit sehr ähnlich sind. Einzelnachweise Weblinks H-2 Kernfusion Kernbrennstoff
1149
https://de.wikipedia.org/wiki/Diabetes
Diabetes
Diabetes () steht für: Diabetes mellitus, eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen des Menschen Feliner Diabetes mellitus, Stoffwechselerkrankung der Hauskatze Caniner Diabetes mellitus, Stoffwechselerkrankung des Haushundes Diabetes insipidus, Erkrankung, die durch vermehrte Urinausscheidung charakterisiert ist Diabetes insipidus renalis, die Tubuluszellen reagieren nicht auf Vasopressin Diabetes renalis, Störung der Nierenfunktion mit konstanter Glucoseausscheidung Amindiabetes, vermehrtes Ausscheiden von Aminen über die Niere; siehe Cystinose Phosphatdiabetes, vererbte Störung der Phosphatrückresorption Siehe auch:
1151
https://de.wikipedia.org/wiki/Dreiecksungleichung
Dreiecksungleichung
Die Dreiecksungleichung ist in der Geometrie ein Satz, der besagt, dass eine Dreiecksseite höchstens so lang wie die Summe der beiden anderen Seiten ist. Das „höchstens“ schließt dabei den Sonderfall der Gleichheit ein. Die Dreiecksungleichung spielt auch in anderen Teilgebieten der Mathematik wie der Linearen Algebra oder der Funktionalanalysis eine wichtige Rolle. Formen der Dreiecksungleichung Für allgemeine Dreiecke Nach der Dreiecksungleichung ist im Dreieck die Summe der Längen zweier Seiten und stets mindestens so groß wie die Länge der dritten Seite : . Man kann auch sagen, der Abstand von A nach B ist stets höchstens so groß wie der Abstand von A nach C und von C nach B zusammen, oder um es alltagssprachlich auszudrücken: „Der direkte Weg ist immer der kürzeste.“ Das Gleichheitszeichen gilt dabei nur, wenn und Teilstrecken von sind – man spricht dann auch davon, dass das Dreieck „entartet“ sei. Da aus Symmetriegründen auch gilt, folgt , analog erhält man , insgesamt also . Die linke Ungleichung wird gelegentlich auch als umgekehrte Dreiecksungleichung bezeichnet. Die Dreiecksungleichung charakterisiert Abstands- und Betragsfunktionen. Sie wird daher als ein Axiom für abstrakte Abstandsfunktionen in metrischen Räumen gesetzt. Für rechtwinklige Dreiecke Ist die Hypotenusenlänge und sind und die Kathetenlängen eines rechtwinkligen Dreiecks, so gilt die spezielle Dreiecksungleichung . Für reelle Zahlen Für reelle Zahlen und gilt: Beweis Seien und reelle Zahlen. Entweder es ist oder es ist . Für den Fall gilt , und die Summe lässt sich wegen und nach oben abschätzen durch . Insgesamt folgt somit . Für den Fall gilt , und lässt sich wegen und ebenfalls durch nach oben abschätzen, so dass auch in diesem Fall . Umgekehrte Dreiecksungleichung Wie beim Dreieck lässt sich auch eine umgekehrte Dreiecksungleichung herleiten: Aufgrund der Dreiecksungleichung gilt Einsetzen von gibt Setzt man stattdessen so ergibt sich zusammen also (denn für beliebige reelle Zahlen und mit und gilt auch ) Ersetzt man durch so erhält man auch Insgesamt also für alle Für komplexe Zahlen Für komplexe Zahlen gilt: Beweis Da alle Seiten nichtnegativ sind, ist Quadrieren eine Äquivalenzumformung und man erhält wobei der Überstrich komplexe Konjugation bedeutet. Streicht man identische Terme und setzt so bleibt zu zeigen. Mit erhält man bzw. was wegen und der Monotonie der (reellen) Wurzelfunktion immer erfüllt ist. Analog zum reellen Fall folgt aus dieser Ungleichung auch für alle Von Betragsfunktionen für Körper Zusammen mit anderen Forderungen wird eine Betragsfunktion für einen Körper auch durch die etabliert. Sie hat zu gelten für alle Sind alle Forderungen (s. Artikel Betragsfunktion) erfüllt, dann ist eine Betragsfunktion für den Körper Ist für alle ganzen , dann nennt man den Betrag nichtarchimedisch, andernfalls archimedisch. Bei nichtarchimedischen Beträgen gilt die Sie macht den Betrag zu einem ultrametrischen. Umgekehrt ist jeder ultrametrische Betrag nichtarchimedisch. Für Summen und Integrale Mehrmalige Anwendung der Dreiecksungleichung bzw. vollständige Induktion ergibt für reelle oder komplexe Zahlen . Diese Ungleichung gilt auch, wenn Integrale anstelle von Summen betrachtet werden: Ist eine Riemann-integrierbare Funktion, dann gilt . Dies gilt auch für komplexwertige Funktionen , vgl. Dann existiert nämlich eine komplexe Zahl , so dass und . Da reell ist, muss gleich Null sein. Außerdem gilt , insgesamt also . Für Vektoren Für Vektoren gilt: . Die Gültigkeit dieser Beziehung sieht man durch Quadrieren , unter Anwendung der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung: . Auch hier folgt wie im reellen Fall sowie Für sphärische Dreiecke In sphärischen Dreiecken gilt die Dreiecksungleichung im Allgemeinen nicht. Sie gilt jedoch, wenn man sich auf eulersche Dreiecke beschränkt, also solche, in denen jede Seite kürzer als ein halber Großkreis ist. In nebenstehender Abbildung gilt zwar jedoch ist . Für normierte Räume In einem normierten Raum wird die Dreiecksungleichung in der Form als eine der Eigenschaften gefordert, die die Norm für alle erfüllen muss. Insbesondere folgt auch hier sowie für alle . Im Spezialfall der Lp-Räume wird die Dreiecksungleichung Minkowski-Ungleichung genannt und mittels der Hölderschen Ungleichung bewiesen. Für metrische Räume In einem metrischen Raum wird als Axiom für die abstrakte Abstandsfunktion verlangt, dass die Dreiecksungleichung in der Form für alle erfüllt ist. In jedem metrischen Raum gilt also per Definition die Dreiecksungleichung. Daraus lässt sich ableiten, dass in einem metrischen Raum auch die umgekehrte Dreiecksungleichung für alle gilt. Außerdem gilt für beliebige die Ungleichung . Siehe auch Ungleichungen in Vierecken Einzelnachweise Dreiecksgeometrie Lineare Algebra Ungleichung
1152
https://de.wikipedia.org/wiki/Dogmatik
Dogmatik
Dogmatik ist ein eigenständiges Lehrfach an katholischen und evangelischen theologischen Fakultäten über die dogmatische Auslegung des Inhalts der christlichen Glaubenslehre. Die Dogmatik nimmt besonders in der römisch-katholischen Kirche eine zentrale Stellung ein, da hier die Glaubenswahrheiten der katholischen Kirche vermittelt werden. Sie ist neben den Fachgebieten der Christlichen Ethik (Theologische Ethik und Moraltheologie) sowie Christliche Sozialethik (Christliche Soziallehre) und der katholischen Fundamentaltheologie Teilgebiet der Systematischen Theologie. Die Darstellung der historischen Entwicklung der Dogmen ist Gegenstand der Dogmengeschichte. Begriff und Geschichte Das griechische Wort Dogma bedeutete ursprünglich eine rechtliche Verordnung oder eine philosophische Grundlehre. In der christlichen Dogmatik geht es um Glaubenslehren. Der Begriff „Dogmatik“ kam erst im 17. Jahrhundert auf, das damit verbundene Anliegen ist aber weit älter. Als erste christliche Dogmatik gilt das theologische Hauptwerk von Origenes, De principiis (deutsch: Von den Grundlehren). Im späteren Mittelalter wurden die vier Bücher Sententiarum (über die Grund-Sätze) des Petrus Lombardus und die Summa theologiae (Zusammenfassung der Theologie) des Thomas von Aquin sehr einflussreich. Zwischen Dogmatik und Theologischer Ethik bestehen Wechselwirkungen. So kann etwa eine bestimmte eschatologische Sicht, nämlich eine starke Naherwartung, zum Verzicht auf langfristige Planung führen. Dann hat eine bestimmte dogmatische Vorstellung ethische Konsequenzen. Es gibt aber auch das Umgekehrte: Aus dem universalen Missionsauftrag (Ethik) kann Gottes Interesse an allen Menschen (Dogmatik) erschlossen werden. Teilgebiete Wichtige Teilgebiete (Traktate) der Dogmatik sind: Schriftlehre Theologische Anthropologie Hamartiologie, das ist die Lehre von der Sünde Trinitätslehre bezüglich der Einheit und Dreiheit (Dreieinigkeit, Dreifaltigkeit) von Vater, Sohn und Geist Gotteslehre bezüglich der Vater-Gottheit im engeren Sinne Schöpfungslehre Christologie bezüglich Jesus von Nazaret als Christus Soteriologie bezüglich des Heils durch Jesus Christus Gnadenlehre im Bezug zur Soteriologie Pneumatologie bezüglich des Heiligen Geistes Angelologie bezüglich der Engel Ekklesiologie bezüglich der Kirche Sakramentenlehre Eschatologie bezüglich der Hoffnungen auf die Vollendung der Welt und des Einzelnen, früher: die Lehre von den letzten Dingen sowie zusätzlich in der katholischen Theologie: Mariologie bezüglich Marias als Mutter Gottes Überblick Die theologische Dogmatik versucht, ein Lehrgebäude auf tragende Grundsätze zurückzuführen. Darüber hinaus soll das Ganze der Offenbarung und des christlichen Glaubens entwickelt werden. Die katholische und die orthodoxe Theologie versucht, einzelne zentrale Glaubenswahrheiten in den verbindlichen Lehrentscheidungen (Dogmen) der Kirche aufzuzeigen. Die Theologie begründet, entfaltet und deutet diese Lehrentscheidungen. Ähnlich kann der Begriff auch in Bezug auf andere Wissenschaften verwendet werden. So ist die Rechtsdogmatik etwa der Versuch einer systematischen Entwicklung und Darstellung geltenden Rechts. Ähnlich ist die Verwendung des Begriffes „Dogmatik“ in der Ökonomie möglich. Zu unterscheiden ist der Begriff der Dogmatik zum einen von dem der deduktiven oder enger axiomatischen Methode, in der ausgehend von wenigen Basisaussagen (Axiomen) andere Lehrsätze oder Schlussfolgerungen abgeleitet werden. Zum anderen vom Dogmatismus, einer Geisteshaltung, die unkritisch bestimmte Überzeugungen („Dogmen“ im übertragenen Sinn) als nicht hinterfragbar festhält und so die Freiheit des Denkens und Weiterentwicklung der Wissenschaft behindert. Das Spektrum systematisch-theologischer und dogmatischer Aussagen ist naturgemäß sehr breit gefächert. Neben der Gemeinsamkeit im apostolischen oder nicaenischen Glaubensbekenntnis gibt es sowohl konfessionelle Unterschiede, wie evangelische, katholische, orthodoxe Theologie, als auch verschiedene theologische Schulen, wie fundamentalistisch, konservativ, evangelikal, liberal, dialektisch, existenzial, feministisch, befreiungstheologisch usw., die Deutungen anbieten. Dogmatiker Dogmatiker sind Theologen, die sich mit dem Fachgebiet der Dogmatik befassen. Bedeutende Dogmatiker sind in der entsprechenden Kategorie verzeichnet. Im Alltagsgebrauch bezeichnet man als Dogmatiker eine Person, die sich (im Negativen) stur weigert, von bestimmten Grundsätzen abzulassen. Auch die Vertreter einer medizinischen Richtung, die wie Diokles von Karystos und Praxagoras von Kos die hippokratische Medizin theoretisch (und spekulativ) weiter ausbauten, wurden als Dogmatiker bezeichnet. Siehe auch Gewissheitsgrade der Dogmatik Literatur Johann Auer, Joseph Ratzinger: Kleine Katholische Dogmatik. 9 Bände in 10 Teilbänden, Regensburg 1977–1990, ISBN 3-7917-0798-1. Wilfried Härle: Dogmatik. Berlin und New York 2000² ISBN 3-11-016589-9. Ulrich H. J. Körtner: Dogmatik (LETh 5). Leipzig 2018, ISBN 978-3-374-04985-1. Thomas Marschler/Thomas Schärtl (Hrsg.): Dogmatik heute. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Regensburg 2014, ISBN 978-3-7917-2582-6. Gerhard L. Müller: Katholische Dogmatik. Freiburg 2005, ISBN 3-451-28652-1. Ludwig Ott: Grundriss der Katholischen Dogmatik. 11. Auflage mit Literaturnachträgen, Bonn 2005, ISBN 3-936741-25-5. Otto Hermann Pesch: Katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung, Bd. 1/1: Die Geschichte der Menschen mit Gott. Ostfildern 2008. Horst Georg Pöhlmann: Abriss der Dogmatik. Ein Kompendium. ISBN 978-3-579-00051-0 Theodor Schneider (Hrsg.): Handbuch der Dogmatik. 2 Bände, Düsseldorf 2000, ISBN 3-491-69024-2. Theologische Realenzyklopädie Bd. 9 (1982): Gerhard Sauter: Dogmatik I. Enzyklopädischer Überblick und Dogmatik im deutschsprachigen Raum. S. 41–77. Anders Jeffner: Dogmatik II. Dogmatik in den nordischen Ländern. S. 77–92. Alasdair Heron: Dogmatik III. Dogmatik in Großbritannien. S. 92–104. Frederick Herzog: Dogmatik IV. Dogmatik in Nordamerika. S. 104–116. Weblinks Herbert Frohnhofen: Auswahlbibliographie Anmerkungen Theologisches Fachgebiet
1153
https://de.wikipedia.org/wiki/Daphne%20du%20Maurier
Daphne du Maurier
Dame Daphne Busson du Maurier, Lady Browning, DBE (* 13. Mai 1907 in London; † 19. April 1989 in Par, Cornwall) war eine englische Schriftstellerin. Bekannt wurde sie durch ihren Roman Rebecca und dessen Verfilmung durch Alfred Hitchcock, der außerdem ihren Roman Jamaica Inn als Riff-Piraten und ihre Kurzgeschichte Die Vögel unter demselben Titel verfilmte. Ein Teil ihres Lebens wurde 2007 unter dem Titel Daphne mit Geraldine Somerville in der Hauptrolle verfilmt. Leben Daphne du Maurier war Tochter des Schauspielers Gerald du Maurier und seiner Frau Muriel Beaumont sowie Enkelin des Schriftstellers George du Maurier. Sie wuchs wohlbehütet mit ihren zwei Schwestern in London und Paris auf, wo sie Privatunterricht erhielt. Finanziell unabhängig, widmete sie sich dem Segeln und Reisen – und schrieb nebenbei ihre ersten Kurzgeschichten. Im Alter von 19 entschied sie nach einem Urlaub in Cornwall, sich dort niederzulassen. Fortan spielten ihre Geschichten vorwiegend an der englischen Küste. 1928 begann du Maurier Kurzgeschichten zu schreiben und veröffentlichte 1931 ihren ersten Roman Der Geist von Plyn, der ihr nicht nur ersten Erfolg bei Publikum und Kritik bescherte, sondern auch die Aufmerksamkeit ihres späteren Ehemannes, des Generals Frederick Browning (Heirat 1932), einbrachte. Mit Browning hatte sie zwei Töchter und einen Sohn. Ihr Gatte wurde 1946 als Knight geadelt, wodurch sie den Höflichkeitstitel Lady Browning erhielt. Berühmt wurde sie durch die Romane Jamaica Inn und Rebecca, die vom Regisseur Alfred Hitchcock verfilmt wurden. Von 1943 bis 1969 bewohnte sie 'Menabilly' zur Miete (ihr Vorbild für 'Manderley' – in dem der Roman spielt). Rebecca, mit Joan Fontaine und Laurence Olivier in den Hauptrollen besetzt, wurde 1940 mit dem Oscar für den besten Film des Jahres ausgezeichnet. 1963 folgte die Verfilmung von du Mauriers Kurzgeschichte Die Vögel, die ebenfalls von Alfred Hitchcock auf die Leinwand gebracht wurde. Ähnlich erfolgreich war die Verfilmung ihrer Erzählung Dreh dich nicht um, die als Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973) von Regisseur Nicolas Roeg mit Donald Sutherland und Julie Christie inszeniert wurde. 1969 wurde sie selbst durch Königin Elizabeth II. als Dame Commander des Order of the British Empire (DBE) geadelt. Sie lebte zuletzt zurückgezogen und schrieb ab 1977 nicht mehr. 1989 starb Daphne du Maurier in einem kleinen Fischerdorf bei St Blazey in Cornwall. Zeitlebens kämpfte sie gegen ihre lesbischen Gefühle. Von ihr stammt der berühmte Ausdruck „der Junge in der Schachtel“ (the boy in the box), eine Metapher für unterdrückte und verdrängte lesbische Gefühle. Als sie in die USA reisen musste, weil es einen gerichtlich zu klärenden Plagiatsvorwurf wegen Rebecca gab, verliebte sie sich in Ellen McCarter, die zweite Ehefrau ihres amerikanischen Verlegers Nelson Doubleday. Diese soll dann auch Inspiration für spätere Werke gewesen sein. Es wird ihr überdies eine Beziehung mit Gertrude Lawrence nachgesagt, die später eine dieser Figuren verkörperte. Ihre Romane und Erzählungen zeichnen sich durch Spannung und psychologische Tiefe aus, auch wenn sie meist Abenteuer und Romanzen zum Thema haben und zu ihrer Zeit als melodramatisch galten. Du Maurier verfasste auch historische Romane, Theaterstücke und Biographien. Trotz ihres großen Erfolgs beim Publikum und höchster Anerkennung als Dame Commander wurden du Mauriers Werke von englischen Literaturkritikern zu ihren Lebzeiten nicht als hochwertig eingeschätzt. Auch in Daten der englischen und amerikanischen Literatur von 1890 bis zur Gegenwart von Wolfgang Karrer und Eberhard Kreutzer (dtv, München 1973) ist sie nicht erwähnt. Bekannte Werke Angegeben ist meist das Jahr der englischen Veröffentlichung. 1931: The Loving Spirit. (Roman); dt.: Der Geist von Plyn oder auch Die Frauen von Plyn. 1933: The Progress of Julius. (Roman); dt.: Karriere. 1934: Gerald: A Portrait. (Biographischer Roman); dt.: Gerald. 1936: Jamaica Inn. (Roman), nach dem gleichnamigen Gasthaus; dt.: Jamaica Inn. Übersetzt von Brigitte Heinrich und Christel Dormagen. Insel Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-458-36458-0. 1937: The du Mauriers. (Biographischer Roman); dt.: Kehrt wieder, die ich liebe. 1938: Rebecca. (Roman); dt.: Rebecca. Neu übersetzt von Brigitte Heinrich und Christel Dormagen. Insel Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-458-36134-3. 1941: Frenchman's Creek. (Roman); dt.: Die Bucht des Franzosen. Neu übersetzt von Christel Dormagen und Brigitte Heinrich. Insel Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-458-68154-0. 1943: Happy Christmas. (Kurzgeschichte); dt.: Fröhliche Weihnachten. 1943: Hungry Hill. (Roman); dt.: Die Erben von Clonmere. 1946: The King’s General. (Roman); dt.: Des Königs General. 1949: The Parasites. (Roman); dt.: Die Parasiten. 1951: My Cousin Rachel. (Roman); dt.: Meine Cousine Rachel. Neu übersetzt von Brigitte Heinrich und Christel Dormagen. Insel Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-458-36197-8. 1952: The Birds. (Kurzgeschichte); dt.: Die Vögel. 1952: Kiss Me Again, Stranger. (Kurzgeschichte); dt.: Küß mich noch einmal Fremder. 1952: Der Apfelbaum. (Erzählung) 1954: Mary Anne. (Roman) 1957: The Scapegoat. (Roman); dt.: Der Mann mit meinem Gesicht oder auch Der Sündenbock. 1963: The Glass-Blowers. (Biographischer Roman); dt.: Ein Kelch aus Kristall. 1965: The Flight of the Falcon. (Roman); dt.: Das Geheimnis des Falken. 1967: Vanishing Cornwall - The Spirit and History of Cornwall. 1967; dt. Cornwall-Saga - Roman einer Landschaft. Schweizer Verlagshaus, Zürich 1984, ISBN 3-596-28182-2. 1969: The House on the Strand. (Roman); dt.: Ein Tropfen Zeit. Neuausgabe mit Illustrationen von Kristina Andres. Edition Büchergilde, 2015, ISBN 978-3-86406-044-1. 1971: Don’t Look Now. (Kurzgeschichte); dt.: Die Vögel und Wenn die Gondeln Trauer tragen - Zwei Erzählungen. Neu übersetzt von Brigitte Heinrich und Christel Dormagen. Insel Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-458-36321-7. 1972: Rule Britannia. (Roman); dt.: Die standhafte Lady. 1980: The Rendezvous and Other Stories. (Sammlung von Kurzgeschichten); dt.: Nächstes Jahr um diese Zeit. 1983: The Rebecca Notebook and Other Memories. 1989: Enchanted Cornwall. dt. Zauberhaftes Cornwall. Übersetzt von Brigitte Heinrich. Insel Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-458-35999-9. Verfilmungen 1939: Riff-Piraten (Jamaica Inn) – Regie: Alfred Hitchcock 1940: Rebecca – Regie: Alfred Hitchcock 1944: Der Pirat und die Dame (Frenchmans’s Creek) – Regie: Mitchell Leisen 1946: Der kupferne Berg (Hungry Hill) – Regie: Brian Desmond Hurst 1946: Die Jahre dazwischen (The Years Between) – Regie: Compton Bennett 1952: Meine Cousine Rachel (My Cousin Rachel) – Regie: Henry Koster 1959: Der Sündenbock (The Scapegoat) – Regie: Robert Hamer 1963: Die Vögel (The Birds) – Regie: Alfred Hitchcock 1973: Wenn die Gondeln Trauer tragen (Don’t Look Now) – Regie: Nicolas Roeg 1983: My Cousin Rachel, BBC-Mini-Serie – Regie: Brian Farnham 1993: Experiment des Grauens (The Breakthrough) – Regie: Piers Haggard 1996: Rebecca (Rebecca), BBC-Mini-Serie – Regie: Jim O’Brien 1998: Frenchman’s Creek. – Regie: Ferdinand Fairfax 2017: Meine Cousine Rachel (My Cousin Rachel) – Regie: Roger Michell 2020: Rebecca – Regie: Ben Wheatley Bühnenwerke Rebecca (Musical) – nach dem gleichnamigen Roman, Komponist Sylvester Levay, Text Michael Kunze 2006–2008: Welt-Uraufführung (in Österreich) – am 28. September 2006 durch Vereinigte Bühnen Wien 2011: Erstaufführung in der Schweiz – am 22. Oktober 2011 im Theater St. Gallen 2011: Erstaufführung in Deutschland – am 8. Dezember 2011 im Palladium Theater Stuttgart 2012: Uraufführung in Englisch (in USA) – am 18. November 2012 am Broadway (Broadhurst Theatre) geplant Literatur Margaret Forster: Daphne du Maurier: ein Leben. Biographie. Übers. Einar Schlereth, Brigitte Beier. Arche Verlag, 1994, ISBN 3-7160-2170-9. Margaret Forster: Daphne du Maurier. Arrow Books, London 2007, ISBN 978-0-09-933331-9. Jane Dunn: Daphne du Maurier and her sisters : the hidden lives of Piffy, Bird and Bing. Harper Pr., London 2013, ISBN 978-0-00-734708-7. Weblinks (Biografie bei kirjasto.sci.fi; englisch) Bibliografie bei www.fantasticfiction.co.uk; (englisch) Bibliografie bei http://www.dumaurier.org/bibliogr.html; (englisch) Kate Kellaway: Daphne's unruly passions (Artikel im Observer vom 15. April 2007) Die Erzählung The Doll (1937), veröffentlicht im Guardian, 30. April 2011 (englisch) Einzelnachweise Sachbuchautor Literatur (20. Jahrhundert) Literatur (Englisch) Literatur (Vereinigtes Königreich) Historischer Roman Kurzgeschichte Erzählung Roman, Epik Essay Biografie Dame Commander des Order of the British Empire Person (Cornwall) Engländer Brite Geboren 1907 Gestorben 1989 Frau
1154
https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A9partement%20Var
Département Var
Das Département du Var ist das französische Département mit der Ordnungsnummer 83. Es liegt im Südosten des Landes in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur und ist nach dem Fluss Var ([]) benannt, der jedoch seit 1859 nicht mehr zum Département gehört. Geographie Das im Osten angrenzende Département ist Alpes-Maritimes, das im Westen angrenzende Bouches-du-Rhône. Die nördliche Grenze stellt das Département Alpes-de-Haute-Provence dar sowie auf einer Länge von wenigen Hundert Metern das Département Vaucluse im Nordwesten. Den Süden des Départements bildet die Mittelmeerküste mit der westlichen Côte d’Azur. Wappen Geschichte Das Département entstand 1790 aus Teilen der ehemaligen Grafschaft Provence und erstreckte sich ursprünglich bis zum Fluss Var, nach dem das Département benannt ist. Die neun Distrikte des Départements waren Barjols, Brignoles, Draguignan, Fréjus, Grasse, Hyères, Saint-Maximin, Saint-Paul-de-Vence, Toulon. Das Flussgebiet des Var liegt seit 1859 nicht mehr im Département. In jenem Jahr trat Italien unter anderem die Grafschaft Nizza an Frankreich ab, woraufhin dann das Arrondissement Grasse (Antibes, Cannes, Grasse) mit dem Fluss Var vom Département Var abgetrennt wurde, um mit der Grafschaft Nizza zusammen das Département Alpes-Maritimes erneut zu errichten. Der Sitz der Präfektur wechselte mehrmals: 1790 Toulon, 1793 Grasse, 1795 Brignoles, 1797 Draguignan. Seit 1974 ist Toulon wieder Sitz der Präfektur des Départements. Bevölkerung Bevölkerungsentwicklung Städte Zu den größeren und bekannteren Orten im Département Var zählen: Brignoles Cogolin Draguignan Fréjus Hyères Sanary-sur-Mer Saint-Raphaël Saint-Tropez Toulon Verwaltungsgliederung Wirtschaft und Infrastruktur Tourismus Die Haupteinnahmequelle ist wie in den meisten Départements an der Mittelmeerküste der Tourismus. Zu den besonderen Anziehungspunkten zählen die Weinberge und Weinkeller in Bandol, Wanderungen im Esterel, Wind- und Kitesurfen an der Halbinsel Giens sowie Ausflüge zu den Inseln Porquerolles und Port-Cros. Der längste Sandstrand der Region ist der Strand von Cavalaire-sur-Mer, der wohl berühmteste Golf von Saint-Tropez. Im Haute-Var, dem Norden des Départements, befinden sich die hochgelegenen provenzalischen Dörfer des Pays de Fayence (Montauroux, Fayence, Callian, Seillans, Tourrettes, Saint-Paul-en-Forêt, Tanneron) und die beeindruckende Natur der Verdonschlucht und des Lac de Sainte-Croix. Landwirtschaft In der landwirtschaftlichen Produktion werden traditionell Blumen, Obst, Gemüse und Wein angebaut. Etwa 800 Quadratkilometer, das sind 13 Prozent der Fläche, werden landwirtschaftlich genutzt. Hinzu kommen etwa 10 Quadratkilometer, in denen Gartenbau betrieben wird. Das Département Var ist mit einer jährlichen Produktion von 500 Millionen Blumen der größte Schnittblumenproduzent Frankreichs. Weitere wichtige Produkte sind Feigen (80 Prozent der französischen Produktion), Oliven (25 Prozent der französischen Produktion) und Honig. Im Bereich der Viehzucht werden vorwiegend Schafe (rund 50.000 Tiere) und Ziegen (etwa 4.200 Tiere) gehalten. Fast die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche dient dem Weinbau. Die jährliche Produktion liegt bei 150 Millionen Litern, wobei überwiegend Roséwein produziert wird. Ein Großteil des Weinbaugebietes Côtes de Provence, das seit 1977 über den Status einer Appellation d’Origine Contrôlée (AOC) verfügt, liegt im Département Var. Eingebettet in die Appelation ist das Weinbaugebiet Coteaux Varois en Provence, das seit 1993 über eine eigene AOC verfügt. Die AOC Bandol im Südwesten des Départements besteht bereits seit 1941. Medien Der lokale Radiosender France Bleu Provence sendet in den Départements Var und Bouches-du-Rhône. Sehenswürdigkeiten Die Abtei Le Thoronet (Abbaye du Thoronet) Die antike Stadt Olbia westlich von Hyères Die Verdonschlucht an der Grenze zum Département Alpes-de-Haute-Provence Der Dolmen von Gaoutabry liegt in La Londe-les-Maures über der Bucht von Hyères. Der Dolmen von La Briande liegt in Ramatuelle Die Dolmen de la Brainée, Dolmen von Peygros un Dolmen von Riens liegen bei Mons. Saint-Tropez Klima Das Klima im Département ist ein ausgeprägtes, warmes Mittelmeerklima. Toulon ist statistisch die wärmste und sonnenreichste Stadt des französischen Mutterlandes. Tage pro Jahr (Stand 1991) mit Regenfällen über 1 Millimeter: 63 Frost: 3 (Mitte Januar) Schnee: 1 Gewitter: 8 Hagel: 1 Am 16. Juni 2010 waren innerhalb weniger Stunden an bestimmten Orten 350 Liter Niederschlag pro Quadratmeter gefallen, so viel wie sonst in mehreren Monaten. Die starken Regenfälle werden genannt, da diese Wettererscheinung häufig in den Cevennen vorkommt. Es kam zu starken Überschwemmungen im Umkreis der Stadt Draguignan. Der Katastrophenzustand wurde ausgerufen. Künftig soll streng darauf geachtet werden, dass in Überschwemmungsgebieten nicht mehr gebaut wird. Weblinks Départementrat des Départements Var (französisch) Präfektur des Départements Var (französisch) Offizielle Tourismus-Website des Départements Var (französisch, englisch) Einzelnachweise Var Verwaltungsgliederung (Provence-Alpes-Côte d’Azur) Gegründet 1790
1156
https://de.wikipedia.org/wiki/Deflation
Deflation
Deflation bezeichnet den Rückgang des allgemeinen Preisniveaus einer Ökonomie. Deflation tritt auf, wenn die Inflationsrate unter 0 % fällt. Dadurch können mit der gleichen Geldeinheit mehr Waren und Dienstleistungen als zuvor gekauft werden. Das Gegenteil von Deflation ist Inflation. Deflation unterscheidet sich von Disinflation, bei der die Inflationsrate sinkt, aber immer noch positiv ist. Deflation tritt normalerweise auf, wenn das Angebot zu hoch (Überschussproduktion), oder die Nachfrage zu niedrig ist (Konsumeinbruch). Daneben gibt es weitere mögliche Ursachen für Deflation, wie ein plötzlicher Rückgang der Geldmenge. Deflation hat verschiedene Effekte auf eine Ökonomie. Sie erhöht den realen Wert von Schulden, insbesondere wenn die Deflation unerwartet kommt. Deflation kann Rezessionen verschlimmern und zu einer Deflationsspirale führen. Es besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens, dass Deflation schädlich für eine moderne Wirtschaft ist. Die meisten Ökonomen befürworten daher eine stabile und niedrige Inflation. Auswirkungen Preissenkungen wirken sich positiv auf die Wohlfahrt aus, wenn sie auf gestiegener Effizienz beruhen. Im Gegensatz dazu beruhen die Preissenkungen bei Deflation meist auf fehlender Nachfrage. Dies führt dazu, dass Unternehmen nicht mehr investieren, weil Investitionen keinen Gewinn mehr versprechen und Konsumenten ihre Konsumausgaben möglichst nach hinten schieben, weil die Produkte immer billiger werden. Deflation führt dann zu einer schweren Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit, so wie z. B. in der Großen Depression. Direkte Auswirkungen Waren und Dienstleistungen werden stetig billiger. Folglich sinken die Gewinnerwartungen der Unternehmen, diese investieren weniger und versuchen stattdessen, die Kosten zu senken, z. B. durch Senkung der Güterproduktion (Kurzarbeit, Standortschließungen etc.), durch Entlassungen und durch Lohnsenkungen. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Einkommen sinken. Es kann weniger konsumiert werden, die Nachfrage nach Konsumgütern schrumpft und die Steuereinnahmen des Staates sinken. Die gesamte Wirtschaftsleistung verringert sich zunehmend. Bei Ausbleiben von Gegenmaßnahmen entsteht eine Wirtschaftskrise. Während Preise, Gewinne und Löhne in einer Deflation sinken, bleibt der Nennwert von Krediten und anderen Schuldtiteln unverändert. Dadurch werden Schuldner benachteiligt, da ihre über Kredite finanzierten Sachgüter in Geldeinheiten gemessen an Wert verlieren, aber sie nach wie vor den gleichen anfangs festgesetzten monetären Wert begleichen müssen. Hingegen profitieren Besitzer von Geldvermögen von einer Deflation, da ihr Kapital nun – zinsbereinigt – einen höheren Wert hat als am Anfang der Periode. In der Folge kommt es vermehrt zu Insolvenzen von verschuldeten Unternehmen, mit negativen Auswirkungen auf deren Arbeitnehmer und Gläubiger. Die weitere Folge kann eine Schuldendeflation sein, also eine Finanzkrise und eine sich durch die Sparmaßnahmen der Wirtschaftsakteure immer weiter verstärkende Deflation mit der Folge der Vertiefung der Wirtschaftskrise. Die Kaufkraft der Konsumenten steigt, wenn die Löhne nicht stärker sinken als die Preise. Wenn die Löhne stabil bleiben, obwohl die Unternehmen Löhne in der Höhe nicht mehr finanzieren können (Lohnrigidität), führt dies zu Unternehmensinsolvenzen. Geldpolitische Reaktion „Klassische Deflationen“ in Form von massivem Preisverfall über breite Güter- und Dienstleistungsangebote hinweg hatten z. B. in der Weltwirtschaftskrise um 1930 eine starke Tendenz zu einer gewissen Dauerhaftigkeit. Litt ein Land einmal unter einer deflationären Phase, so war die Gefahr einer selbsterhaltenden bzw. sogar selbstverstärkenden Tendenz sehr groß: Sinkende Preise und Einkommen führten zu einer merklichen Kaufzurückhaltung der Konsumenten, da diese mit weiter sinkenden Preisen bzw. Einkommen rechneten. Die sinkende Nachfrage wiederum bewirkte eine niedrigere Auslastung der Produktionskapazitäten oder gar Insolvenzen und damit weiter sinkende Preise und Einkommen. Aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Gläubiger, z. B. Banken, schränken diese ihre Kreditvergabe ein, was die Geldmenge vermindert und Wirtschaftswachstum erschwert. Diesen Kreislauf bezeichnet man im Allgemeinen als Deflationsspirale. Seit dem Aufkommen keynesianischer und monetaristischer Theorie gilt Deflation als verhinderbar. So geht z. B. Ben Bernanke davon aus, dass eine Deflation durch geldpolitische und fiskalpolitische Maßnahmen, notfalls auch durch quantitative Lockerung schnell beendet werden kann. Im Rahmen der Finanzkrise ab 2007 wurde eine „Gefahr der Deflation“ gesehen. In Japan ist seit den 1990er Jahren ein rückläufiges Preisniveau zu beobachten. Ursachen Konsum- und Investitionszurückhaltung Wenn sich eine Volkswirtschaft im Abschwung eines Konjunkturzyklus befindet, reagieren die Menschen vorsichtig. Sie erwarten, dass sich ihre Einkommenslage verschlechtern wird, sie fürchten um ihren Arbeitsplatz, und geben deshalb in der Erwartung eines zukünftig geringeren Einkommens und der daraus resultierenden Haltung der Existenzsicherung weniger Geld aus. Eine vermehrte Zunahme der persönlichen finanziellen Rücklagen setzt allenfalls dann ein, wenn der Zustrom an Geld für die Person nicht so stark sinkt wie der Abfluss an Geld. Auch die Unternehmen halten sich zurück. Es wird nur das Nötigste gekauft und wenig investiert (sogenannte Investitionszurückhaltung). Dieser Nachfragerückgang führt dazu, dass Unternehmen geringere Umsätze bzw. auch Gewinne erzielen und im Anfangsstadium rationalisieren (häufig durch Massenentlassungen) oder schließlich, in letzter Instanz, zahlungsunfähig werden. Insgesamt sinkt nun die Gesamtgüternachfrage bei ungefähr gleich bleibendem Güterangebot (Nachfragelücke). Grundsätzlich sind geringere Bedürfnisse die Ursache von Konsumzurückhaltung. Ob diese geringeren Bedürfnisse aus Selbstbeherrschung oder mangelndem Geld resultieren ist eine andere Sache. Eine größere Sparneigung kann ebenfalls ein Grund sein, hervorgerufen durch eine verschlechterte Zukunftserwartung. Dieses Phänomen ist zurzeit in Japan zu beobachten (Stand: 2011). Vermögensdeflation, Kreditdeflation Besonders durch das Platzen von Spekulationsblasen wie z. B. Immobilienblasen kommt es zu einer Vermögensdeflation, vor allem, wenn die Vermögensgegenstände durch Kredite finanziert worden sind. Die sinkenden Vermögenspreise führen dann zur Überschuldung von Haushalten, wodurch es zu Kreditausfällen kommt und auch die Banken in Bedrängnis geraten. Da nun weniger neue Kredite vergeben werden als auslaufen und ausfallen, sinkt die Geldmenge. Die Konsumenten können ebenfalls ihre Konsumausgaben kaum noch mit Krediten finanzieren, so dass in der Volkswirtschaft die Nachfrage zurückgeht. So kann die Vermögensdeflation eine allgemeine Deflation auslösen. Der Ökonom Heiner Flassbeck spricht von „Schuldendeflation“, die ihre Ursachen in der Spekulation von Banken und Fonds auf dauerhaft steigende Preise von Vermögensanlagen und den Kurswert bestimmter Währungen hat. Wenn diese Wetten zusammenbrechen, müssen fieberhaft Vermögensanlagen verkauft werden, deren Preise durch das gleichzeitige hohe Angebot kollapsartig verfallen. Eine solche Spirale nach unten übersteigt die sog. „Selbstheilungskräfte“ des Marktes. Lohndeflation Wegen der positiven Rückkopplung der Entwicklung von Löhnen und Preisen (Lohn-Preis-Spirale) führt eine Deflation bzw. Lohndeflation zu einem sich kumulativ selbstverstärkenden Prozess in einer Volkswirtschaft, bei dem Güter- und Faktorpreise gleichzeitig fallen. Bilden sich langfristige Deflationserwartungen heraus, dann fällt es der Zentralbank äußerst schwer, diese durch eine expansive Geldpolitik zu brechen. Dieses Phänomen wird als Liquiditätsfalle bezeichnet: Aufgrund verfestigter Deflationserwartungen in der Wirtschaft bieten selbst nominale Zinsen von Null Prozent keine Anreize für die Kreditvergabe durch Geschäftsbanken an Investoren oder Konsumenten. Die Kreditrisiken der Gläubiger gegenüber den potenziellen Schuldnern werden von den Gläubigern aufgrund der allgemeinen Unsicherheit über die zukünftige Wirtschaftsentwicklung infolge der Deflation höher als die durch die Kreditvergabe für die Gläubiger erzielbaren Zinserlöse angesehen. Kreditrationierung durch die Kreditinstitute verhindert dann, dass die potenziell vorhandene Liquidität durch die Nullzinspolitik der Zentralbank in effektive Nachfrage bei Investoren und Konsumenten umgesetzt werden kann, was über steigende Kreditvergabe durch Geschäftsbanken durchaus möglich wäre. Erst wenn wieder Vertrauen in der Wirtschaft auf ein nahes Ende der Deflation entsteht, löst sich die Liquiditätsfalle, in der die Geldpolitik steckt, auf, und der normale Wirkungszusammenhang stellt sich wieder her. Marktliberalisierung Zunehmender Wettbewerb durch binnen- oder außenwirtschaftliche Liberalisierung wirkt in der Regel preissenkend. Deregulierungsmaßnahmen wie die Abschaffung von (ggf. staatlichen) Monopolen oder Preisbindungen sowie verstärkter internationaler Freihandel können deshalb deflatorisch wirken, sofern sie auf breiter Front erfolgen und eine Vielzahl von Branchen betreffen. Reduktion der Staatsausgaben Eine weitere mögliche Quelle für Deflation ist der Staatssektor. Wenn eine Regierung die Staatsausgaben drastisch kürzt, etwa um das Budgetdefizit zu verringern oder einen Budgetüberschuss zu erzielen, fällt die staatliche Nachfrage auf den Märkten kleiner aus, und man gelangt wieder bei gleich bleibendem Angebot zu einer Nachfragelücke. Außenwirtschaftliche Ursachen Auch außenwirtschaftliche Einflüsse können Auslöser eines deflationserzeugenden Angebotsüberschusses sein: Erstens im Fall wegbrechender Nachfrage aus dem Ausland wegen dort regional lahmender Konjunktur oder einer Weltwirtschaftskrise. Dies trifft die eigene Volkswirtschaft umso mehr, je größer der Export­anteil ist. Zweitens durch Aufwertung der eigenen Währung, die die Ausfuhren für die ausländischen Kunden teurer macht. Wenn etwa der Euro gegenüber dem US-Dollar aufwertet, d. h. der Eurokurs im Verhältnis zum USD steigt, erhöhen sich die Dollarpreise für deutsche Exportgüter in den USA und die Nachfrage nach diesen Gütern sinkt. Gleichzeitig macht die Aufwertung der Inlandswährung Importprodukte günstiger und setzt zusätzlich die inländische Produktion unter Druck, die ggf. ebenfalls ihre Preise reduzieren muss. Beides schlägt sich im inländischen Preisniveau nieder. Drittens kann ein Angebotsüberschuss im Inland entstehen, wenn ausländische Märkte sich abschotten, etwa durch Zölle oder andere protektionistische Maßnahmen. Währungsverbünde Wenn ein Land seine Währung (etwa durch ein Currency Board) an die eines anderen Landes koppelt, das ein höheres Produktivitätswachstum, eine günstigere Entwicklung der Lohnstückkosten o. Ä. aufweist, muss es zum Erhalt seiner Wettbewerbsfähigkeit entweder selbst in gleichem Maße produktiver werden oder seine Faktorpreise (z. B. Löhne) senken. Letzteres führt in Richtung Deflation. Einen analogen Effekt wie feste Wechselkurssysteme haben Währungsunionen. Monetäre Ursachen Nach monetaristischer Vorstellung sind Inflation und Deflation immer und überall ein monetäres Phänomen (Milton Friedman). Die dahinterstehende Idee ist, dass eine restriktive Geldpolitik (Erhöhung der Mindestreserve, Steigerung des Zinssatzes) über die Quantitätsgleichung zu niedrigeren Preisen führt. Doch auch nach nicht-monetaristischer Sicht führt eine restriktive Geldpolitik zu Deflation, da sie (beispielsweise durch die höheren Zentralbankzinsen) die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpft. Quantitätstheoretischer Ansatz (Monetarismus) In einer Deflation sinken der nominelle Gewinn, der nominelle Wert von Unternehmen und der nominelle Wert der Arbeitsleistung, während der Wert von Krediten stabil bleibt. Die reale Schuldenlast erhöht sich also durch einen allgemeinen Preisverfall. Dies hat in einer modernen Volkswirtschaft gewaltige Auswirkungen, weil die Buchgeldmenge um ein Vielfaches höher ist als die Bargeldmenge. Buchgeld ist eine durch Kreditvergabe der Banken entstandene Geldmenge (Giralgeldschöpfung). Dass eine längere Deflationsphase eine Depression verursacht wurde erstmals von Irving Fisher in The Debt-Deflation Theory of Great Depressions (1933) dargestellt. Er beschrieb eine Verkettung von Umständen, die zu Schuldendeflation führt: Schuldner versuchen mit Notverkäufen (Verkäufe zu sehr niedrigen Preisen) kurzfristig zahlungsfähig zu werden. Die Rückzahlung von Schulden führt zu einer Verringerung der Giralgeldschöpfung der Banken und somit zu einer Verringerung der Geldmenge. Durch Verringerung der Geldmenge sinkt das Preisniveau. Durch sinkendes Preisniveau sinken die Unternehmenswerte. Die Kreditwürdigkeit der Unternehmen verringert sich was die Verlängerung bzw. Umschuldung von Krediten erschwert. Die Gewinne der Unternehmen sinken. Die Unternehmen senken die Produktion und entlassen Arbeitskräfte. Es entsteht ein allgemeiner Vertrauensverlust in die wirtschaftliche Lage. Statt zu investieren wird Geld gehortet. Die nominellen Zinssätze sinken zwar, aufgrund des allgemeinen Preisverfalls erhöht sich jedoch das reale Gewicht der Zinslast. Das Ergebnis der Schuldendeflation ist scheinbar paradox: je mehr Schulden zurückgezahlt werden, desto stärker sinkt die Geldmenge (falls Regierung und Zentralbank so wie zu Anfang der Weltwirtschaftskrise nicht reflationierend eingreifen), desto stärker sinkt das Preisniveau, desto drückender wird das reale Gewicht der verbleibenden Schuldenlast. Liquiditätshypothese (Keynesianismus) Während die neoklassische Theorie immer behauptet hatte, dass Änderungen der Preise keine Auswirkungen auf die Realwirtschaft hätten, warnte John Maynard Keynes bereits 1923 vor den Folgen einer mit der Rückkehr zum internationalen Goldstandard verbundenen Deflation. Der Fall der Preise würde Verluste für Investitionen bedeuten und auf Kredit finanzierte Geschäfte zum Stillstand bringen. Unternehmer würden sich während einer schweren Deflation am besten ganz aus dem Geschäft zurückziehen und jedermann sollte geplante Ausgaben möglichst lange aufschieben. Ein Weiser werde seine Anlagen zu Geld machen, sich von allen Risiken und Aktivitäten fernhalten und in ländlicher Zurückgezogenheit die ständige Wertsteigerung seines Geldes abwarten. Auf Basis der allgemeinen Gleichgewichtstheorie betrachtet führt Schuldendeflation zwar zu einer Kaufkraftumverteilung von den Schuldnern hin zu den Gläubigern, der Markt bleibt aber im Gleichgewicht. In diesem Modell hat nicht die Schuldendeflation selbst, sondern erst die dadurch ausgelöste Erwartungshaltung der Menschen fatale Folgen. Normalerweise würden niedrige Zinsen ein Investitionssignal setzen (tun sie jedoch dann nicht, wenn die Unternehmer mit weiter sinkender Nachfrage und steigendem Realzins rechnen – siehe auch Investitionsfalle). Während einer Deflation gehen Konsumenten und Unternehmer aufgrund sinkender Löhne und Preise erfahrungsgemäß davon aus, dass die Löhne und Preise zukünftig noch weiter sinken werden. Da die Menschen erwarten, dass sich aufgrund sinkender Löhne und Profite die reale Schuldenlast mit der Zeit erhöht, die Einnahmen sich vermindern, verzichten sie auf Konsum bzw. Investitionen (Sparparadoxon). Da Kredite zurückgezahlt und neue Kredite nur sehr zurückhaltend aufgenommen werden, verringert sich die gesamtsektorale Nettokreditaufnahme, es kommt zu einer Verringerung der Geldmenge, woraus die Deflationsspirale sich weiter nach unten dreht. Freiwirtschaftliche Theorie Die freiwirtschaftliche Theorie – die von der überwiegenden Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler abgelehnt wird – betrachtet die nach ihrer Überzeugung sinkende Geldumlaufgeschwindigkeit als Hauptursache der Deflation. Diese „Geldhortung“ entsteht laut Freiwirtschaftslehre dadurch, dass eine Investition, deren Rendite geringer als die Liquiditätsprämie ist, nicht mehr lukrativ sei und das Geldangebot auf dem Kapitalmarkt deshalb zurückgehe. Produktivitätssteigerungen Wie die Quantitätstheorie des Geldes nahelegt, kann eine Deflation nicht nur durch eine Verknappung des Geldangebots, sondern auch durch eine Ausweitung des Güterangebots entstehen. Ist dies der Fall, kann eine Deflation sich durchaus positiv auf den Wohlstand der Bevölkerung auswirken, weil diese bei gleichen Nominallöhnen mehr Kaufkraft hat. Während der zweiten industriellen Revolution von 1873 bis 1896 erweiterte sich durch neue Technologien und die weltweite Ausweitung von Eisenbahnnetzen das Güterangebot, während der Beitritt einiger europäischer Staaten (Deutschland, Belgien, die Niederlande, Skandinavien und später Frankreich) in den Goldstandard die Geldmenge verknappte. Diese Zeit erlebte eine durchschnittliche Deflation von 2 % im Jahr bei einem jährlichen Wachstum von 3 %. In den „goldenen“ 1920er Jahren wuchs das Güterangebot ebenfalls, vor allem durch die Verbreitung von Automobilen, Kühlschränken und Radios in US-amerikanischen Haushalten. Die Deflation betrug in dieser Zeit 1–2 % im Jahr. Ein ähnliches Phänomen, das digitale Deflation genannt wird, ist derzeit im IT-Sektor zu beobachten: Durch stetige technologische Verbesserungen fällt der Preis von Produkten aus dieser Sparte beständig – eine Abwandlung des Mooreschen Gesetzes prognostiziert eine Halbierung des Preises für ein IT-Produkt etwa alle 18 Monate. Da hier die Preissenkungen nur eine gewisse Branche und nicht die Gesamtwirtschaft betrifft, ist die Bezeichnung als Deflation eigentlich falsch. Gegenmaßnahmen Bis in die 1930er Jahre glaubten die meisten Volkswirte, dass eine Deflation sich durch das freie Spiel der Marktkräfte selbst überwindet. Das sinkende Preisniveau werde auch ohne staatliche Eingriffe wieder zu einer steigenden Nachfrage führen (Liquidationsthese). Die Weltwirtschaftskrise widerlegte diese These. In den Vereinigten Staaten wurde die Deflation im Rahmen des New Deal durch die Änderung der Geldpolitik, insbesondere die Abkehr vom Goldstandard, bekämpft. Der deutschen Regierung unter Hitler und Hjalmar Schacht als Reichsbankdirektor gelang es mit den Mefo-Wechseln die Deflation erfolgreich zu bekämpfen. Dazu erhöhten sie die Geldmenge. Es wurde Reflationspolitik als mögliche Gegenmaßnahme gegen eine Deflation entwickelt. Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik Eine pro-zyklische Steuerpolitik oder ein Austeritätskurs in Reaktion auf eine Wirtschaftskrise können in eine Deflationsfalle führen, woraus eine Volkswirtschaft nur durch eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik herausgeführt werden kann, falls andere positive Einflüsse ausfallen. So wurden in der Weltwirtschaftskrise 1929 vielfach staatliche Investitionsprogramme beschlossen. Eine theoretische Grundlage für eine derartige Politik wurde insbesondere durch John Maynard Keynes geschaffen (1936). Der Staat erhöht seine Nachfrage, etwa durch Beschäftigungs- und Infrastrukturprogramme – auch über Kreditfinanzierung (Deficit spending) – und senkt die Steuern, um dadurch der Volkswirtschaft eine Initialzündung zu geben. Seither hat es eine Deflation insbesondere seit den frühen 1990er Jahren in Japan gegeben. Keynesianisch orientierte Ökonomen wie Heiner Flassbeck rechneten 2008 in Folge der weltweiten Finanzkrise auch für Deutschland, durch die fehlende Binnennachfrage, mit dem Abgleiten in eine Deflation. Anfang 2010 sieht Paul Krugman Griechenland durch Staatsverschuldung und Kreditverteuerung, der es ohne geldpolitischen Handlungsspielraum nicht gegensteuern kann, in einer Deflationsspirale gefangen. EU-Währungskommissar Olli Rehn hat angesichts der Griechenland-Krise nicht nur eine effektivere Überwachung der Haushaltspolitik der Euro-Staaten gefordert, sondern die EU-Länder, die Zahlungsbilanzüberschüsse aufweisen, zu einer Stärkung der Binnennachfrage aufgerufen. Der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn sieht zu einer Deflation für Griechenland keine Alternative. Gemäß Desmond Lachman (zuvor IWF, danach AEI) sind Deflation und Depression die Folge, wenn Griechenland exakt das tut, was IWF und Europäische Union von ihm erwarten. Geldpolitik Als Geldpolitik werden alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Zentralbank bezeichnet. Da sie eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Inflation übernehmen, sind sie auch bei der Bekämpfung von Deflation wichtig. So ist z. B. die EZB darauf verpflichtet, Preisniveaustabilität (und somit weder De- noch Inflation) anzustreben. Ihr selbst gestecktes Preisziel sieht sie bei einem Wachstum des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes von knapp unter zwei Prozent. Zur Bekämpfung einer Deflation greifen Zentralbanken im Allgemeinen zu Zinssenkungen. Oft führt dies aber zum keynesianisch als Liquiditätsfalle bezeichneten Zustand nicht mehr weiter steigender Geldnachfrage bzw. zu Zinsen nahe am Nullpunkt. Somit kann eine expansive Geldpolitik über die Zinsen nicht mehr erreicht werden. Als geldpolitische Gegenmaßnahme verbleibt dann noch die Quantitative Lockerung. Über die Offenmarktpolitik kann die Zentralbank eines Landes am Markt befindliche Anlageformen (beispielsweise Kreditforderungen von Geschäftsbanken) aufkaufen, um somit die Geldmenge trotz Null-Zinsen weiter ausdehnen zu können. Weiterhin gibt es das Konzept des Helikoptergeldes. Sonstige Gegenmaßnahmen Außerdem werden auch andere, jedoch von Politik und Wissenschaft kaum beachtete Lösungsvorschläge gemacht. So fordert die Freiwirtschaftslehre die Einführung einer Geldumlaufgebühr als drittes geldpolitisches Instrument der Zentralbank (neben Geldmenge und Zinssatz). Weiterhin könne eine Deflation auch durch private Initiativen wie Tauschringe und/oder durch Ausgabe einer privaten Komplementärwährung bekämpft werden. Deflationen in der Geschichte Internationale wirtschaftliche Wachstumsstörungen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts Nach einer längeren weltwirtschaftlichen Wachstumsphase seit 1850 schlug die Konjunktur 1873 mit einem raschen Einbruch zahlreicher Finanzmärkte um. Die Baisse leitete eine bis 1879 dauernde scharfe Zäsur ein. In den frühen 1880er Jahren hielt sich eine aufsteigende Tendenz, ehe erneut eine heftige zweite, bis 1886 dauernde Krise einsetzte. Eine weitere Abfolge von Auf- und nochmals leichtem Abschwung nach dem Zusammenbruch der Barings Bank 1890 geschah bis 1896. Wirtschaftstheoretiker der 1920er Jahre postulierten für den Zeitraum von 1873 bis 1896 eine zusammenhängende Weltwirtschaftskrise. Sie bezeichneten diese als Große Depression bzw. Lange Depression und verstanden sie als Teil einer Langen Welle (ökonomische Auf- und Abschwungphase) von 1850 bis 1896. Für die Situation im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn wird auch der Begriff Gründerkrise verwendet. Angesichts der ökonomischen Indikatoren (das Wirtschaftswachstum nahm insgesamt bloß leicht ab, die Preise fielen aber um durchschnittlich ein Drittel) spricht mehr für eine Preis- als eine Produktionskrise, weswegen auch die alternative Epochenbezeichnung „Große Deflation“ vorgeschlagen wurde. Globale Deflation während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre (in den USA auch als „Great Depression“ bezeichnet) Die letzte große weltweit wirksame Deflation gab es in den frühen 1930er Jahre, als es zu einer sich selbst verstärkenden Schuldendeflation und in der Folge zu der Weltwirtschaftskrise kam. Verantwortlich dafür war vor allem die verfehlte Politik der US-Notenbank, die die Geldmenge um 30 % senkte. Die eigenen Probleme veranlassten die USA, ihre hohen Kredite an Deutschland zurückzufordern, wobei die Begleichung der Schulden hauptsächlich in Gold erfolgte. Da das umlaufende Geld im Deutschen Reich nur zu 40 % durch Gold und Devisen gedeckt sein musste, wirkte sich der Goldabfluss mit einem 2,5-fachen Hebel auf die Geldmenge aus, die dadurch drastisch sank. In der Folge verringerte sich der Geldumlauf ebenso schnell, was den Effekt weiter verstärkte. Die Gehälter sanken, die Preise brachen ein und die Arbeitslosigkeit stieg auf mehr als sechs Millionen, was einem Anteil von 20 % der Erwerbsbevölkerung entsprach. Um den Goldabfluss zu stoppen versuchte die deutsche Reichsregierung die Handelsbilanz zu verbessern, indem zur Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Preise und Löhne gesenkt werden sollten (Innere Abwertung). Mit der 4. Notverordnung vom 8. Dezember 1931 wurden Lohn-, Preis- und Mietsenkungen auf das Niveau von 1927 angeordnet und die Deflation weiter verschärft. Verstärkt wurde die Deflationspolitik Brünings noch durch die konjunkturellen Folgen der Weltwirtschaftskrise und eine kontraktive Geldpolitik der Reichsbank (siehe Deflationspolitik). In der Gemeinde Wörgl in Österreich wurde 1932 mit dem Freigeldexperiment, bei dem basierend auf der Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell so genannte Arbeitswertscheine mit einer monatlichen Umlaufsicherungsgebühr von 1 % des Nominale von der Gemeinde ausgegeben wurden, die Deflation erfolgreich bekämpft. Der Versuch wurde jedoch von der Österreichischen Nationalbank wegen Verletzung des Geldmonopols nach einem Jahr eingestellt. (Schuldendeflation) Rezession im Japan der 1990er Jahre (auch als „Verlorene Dekade“ bezeichnet) Etwa ab 1993 litt Japan unter fallenden Preisen verbunden mit einer starken Rezession und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Als Auslöser für die japanische Krise werden im Allgemeinen die Finanzmärkte gesehen. So stieg der japanische Aktienindex Nikkei 225 zwischen 1985 und 1989 von 13.000 auf über 38.000 Punkte – der Preis einer durchschnittlichen japanischen Aktie verdreifachte sich fast innerhalb von nur vier Jahren. Ähnlich wie die Aktienkurse entwickelten sich auch andere Vermögenspreise – z. B. für Immobilien und Grundstücke. Die meisten Ökonomen deuteten dies als eine spekulative Blase, die sich zuerst ausdehnte und dann platzte. In der Folge fiel der Nikkei-Index von 1990 bis 1992 auf 16.000 Punkte. Offensichtlich führte der enorme Vermögensanstieg in den 1980er Jahren zu einem Boom bei der Nachfrage nach japanischen Waren und Dienstleistungen, dem jedoch nach dem Platzen der Blase eine nicht minder starke Rezession folgte; die starken Verluste der Vermögenspreise (wie Aktien oder Immobilien) veranlassten die japanischen Konsumenten zu einem wesentlich stärkeren Sparverhalten. Die daraus folgende Konsumzurückhaltung führte zu einer Unterauslastung der Produktionskapazitäten und der oben beschriebenen Deflationsspirale. Der japanische Staat reagierte mit einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik. Allerdings empfahlen 1997 IWF sowie OECD den aufgrund des Deficit spendings gestiegenen Defiziten mittels restriktiver Fiskalpolitik entgegenzuwirken – woraus kein Wirtschaftsabschwung initiiert würde. Es entstand ein Sparparadoxon. Japan geriet in die Deflation. Obwohl die Zentralbankzinsen in Japan über Jahre nahe oder bei Null lagen und die japanische Zentralbank wiederholt quantitative Lockerung betrieb, konnte der private Sektor nicht mehr zu nennenswerten Mehrausgaben (Deleveraging) animiert werden (Bilanzrezession). Japan ist heute das mit Abstand am stärksten (öffentlich) verschuldete Industrieland der Welt. Eine teilweise Beendigung der Krise gelang erst 2003 und 2004 durch eine konsequente Restrukturierungspolitik verbunden mit dem Aufkauf fauler Kredite durch die Zentralbank. Im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise fiel Japan allerdings in die Deflation zurück, im August 2009 stieg die Deflationsrate auf 2,4 % und lag damit höher als während der Verlorenen Dekade. Argentinien-Krise 1998–2002 In den 1990er Jahren litt Argentinien unter Hyperinflation. Um diese zu stoppen, wurde ein Currency Board, über das sich das Land an den US-Dollar band, eingerichtet. Die Inflation konnte so zunächst deutlich zurückgefahren werden, allerdings schaffte es der Staat nicht, seine Verschuldung in den Griff zu bekommen, vor allem konnten nicht genügend Steuern eingetrieben werden. Infolge der Asienkrise ab 1998 bewerteten die Anleger auch Argentinien und den argentinischen Peso als Anlagemöglichkeit neu und verloren wegen der Überschuldung des Landes das Vertrauen. Das in der Folge abgezogene ausländische Kapital verschärfte die Krise und zwang das argentinische Currency Board zu einer kontinuierlichen Erhöhung der inländischen Zinsen, um die Geldmenge an die schwindenden Devisenreserven anzupassen. Die Hochzinspolitik brachte aber Konsum und Investitionen zum Einbruch und führte zu einem starken Rückgang der Preise (Argentinien-Krise). Anfang 2002 gab Argentinien seine Wechselkursbindung auf. EU-Länder 2013/14 bis 2020 Die Inflationsrate Griechenlands war von 2013 bis 2015 negativ. Dasselbe gilt für die Inflationsraten von Bulgarien, Zypern, Spanien und der Slowakei von 2014 bis 2016. Griechenland, Zypern, Spanien und die Slowakei gehören der Europäischen Währungsunion an, die bulgarische Währung Lew ist an den Wechselkurs des Euro gebunden. In der Europäischen Union (EU) und der Eurozone insgesamt war von 2011 bis 2015 eine disinflationäre Entwicklung mit fallenden Inflationsraten zu beobachten. 2020 war die Inflationsrate in einigen Länder der EU erneut negativ. Tabelle: Jährliche Veränderungsrate des harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI) in Prozent. Negative Werte sind farbig hinterlegt. Siehe auch Reflation Deflationspolitik Literatur Ben S. Bernanke: Deflation: Making Sure „It“ Doesn’t Happen Here. Remarks by Governor Ben S. Bernanke before the National Economists Club, Washington, D. C., 21. November 2002, (online). Michael Bordo, Andrew Filardo, Andrés Velasco, Carlo A. Favero: Deflation and monetary policy in a historical perspective: remembering the past or being condemned to repeat it? In: Economic Policy. Bd. 20, Nr. 44, 2005, , S. 799–844, . Irving Fisher: The debt-deflation theory of great depressions. In: Econometrica. Bd. 1, Nr. 4, 1933, S. 337–357, . Charles Goodhart, Boris Hofmann: Deflation, credit and asset prices. In: Richard C. K. Burdekin, Pierre L. Siklos (Hrsg.): Deflation. Current and Historical Perspectives. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2004, ISBN 0-521-83799-5, S. 166–190. Manmohan S. Kumar, Taimur Baig, Jörg Decressin, Chris Faulkner-MacDonagh, Tarhan Feyzioğlu: Deflation. Determinants, Risks, and Policy Options (= International Monetary Fund. Occasional Paper. 221). International Monetary Fund, Washington DC 2003, ISBN 1-58906-227-2. Weblinks Artikel über die Deflation auf Vernunft Schweiz Video zum Thema Deflation von der DW (Deutsche Welle) Einzelnachweise Makroökonomie Geldpolitik Wirtschaftskrise
1157
https://de.wikipedia.org/wiki/Departement
Departement
Département (französischer Sprachraum), Departement (Deutschschweiz), Department (englischer Sprachraum) oder Departemento (spanischer Sprachraum) steht für: politisch-territoriale Einheiten in folgenden Staaten: Benin, siehe Départements von Benin Burkina Faso, siehe Verwaltungsgliederung Burkina Fasos Elfenbeinküste, siehe Départements der Elfenbeinküste Frankreich, siehe Département Haiti, siehe Départements von Haiti Republik Kolumbien, siehe Departamentos in Kolumbien Republik Kongo, siehe Départements der Republik Kongo Niger, siehe Verwaltungsgliederung Nigers Senegal, siehe Départements des Senegal Tschad, siehe Verwaltungsgliederung des Tschad historisch auch im: Großherzogtum Berg, siehe Verwaltungseinheiten im Großherzogtum Berg Großherzogtum Frankfurt Königreich Westphalen, siehe Liste der Departements im Königreich Westphalen Organe der staatlichen Exekutive – heute: in der Schweiz die Eidgenössischen Departemente, Ministerien der Regierung des Bundes (seit 1848), mancher Kantone sowie einiger Gemeinden. für die Departemente des Bundes siehe Bundesrat (Schweiz), Bundesverwaltung (Schweiz), Eidgenössisches Departement (allgemein siehe Ministerium) für Departemente der Kantone siehe den jeweiligen Kantonsartikel, Übersicht siehe Kanton (Schweiz) USA, Department, siehe Liste der Ministerien der Vereinigten Staaten und in der Geschichte: 1723–1808 in Preußen das Kriegs- und Domänenkammer-Departement, siehe General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domainen-Direktorium vor 1873 departementschef, heute Statsminister (Norwegen) 1848–1918 im Großherzogtum Mecklenburg das Großherzogliche Militär-Departement als oberste Verwaltungsbehörde des Mecklenburger Militärs Siehe auch: Departamento Bezirk#Französischsprachige Staaten
1158
https://de.wikipedia.org/wiki/Dynamische%20Optimierung
Dynamische Optimierung
Bei der dynamischen Optimierung handelt es sich um eine Optimierungstechnik, die das Laufzeitverhalten von Software während der Ausführung erheblich verbessert. Hierbei wird unter anderem die Tatsache ausgenutzt, dass die Werte bestimmter Variablen eines Programms zwar vor Ausführung des Programms nicht bekannt sind, aber für eine ganze Zeit lang während des Ablaufs des Programms konstant sind. Wird also während der Ausführung eines Programms erkannt, dass eine Variable doch eher eine Konstante zu sein scheint, so kann das Programm so kompiliert werden, als wäre die Variable tatsächlich eine Konstante. Diese kompilierte Form ist dann oft schneller als eine kompilierte Form des Programms, in dem eine Variable als variabel angesehen wird. Diese kompilierte Form kann dann so lange ablaufen, bis sich der Wert der Variablen wieder ändert. Dynamische Optimierung ist derzeit nur innerhalb von virtuellen Maschinen bekannt, da die virtuelle Maschine diejenige ist, die erkennen muss, dass der Wert einer Variablen konstant ist, um dann die Neukompilierung des Codes vorzunehmen. Siehe auch HotSpot – Virtual Machine von SUN mit Dynamischer Optimierung Literatur Alfred V. Aho, Ravi Sethi, Jeffrey D. Ullman: Compiler. Principles, Techniques and Tools. ISBN 0-201-10194-7 (Das Dragon Book) Weblinks HotSpot Glossar – Glossar zu Techniken der dynamischen Optimierung (Java HotSpot lastig) Programmierwerkzeug
1161
https://de.wikipedia.org/wiki/Datenfern%C3%BCbertragung
Datenfernübertragung
Datenfernübertragung (DFÜ) ist die Übermittlung von Daten zwischen Computern über ein Medium, z. B. ein Telefonnetz, bei der ein zusätzliches Kommunikationsprotokoll verwendet wird. Am weitesten verbreitet ist die DFÜ über das Telefonnetz. Üblich sind aber auch andere Übertragungsmedien wie Funk oder Licht (IrDA). Im deutschen Sprachraum wird im spezielleren Sinn auch das wesentlich enger definierte Electronic Data Interchange (EDI) als DFÜ bezeichnet. Systeme zur Fernschaltung von Anlagen und Fernwirkeinrichtungen der BMSR können Standards aus der Datenfernübertragung benutzen. Auch die Kommunikation eines PC im Internet ist eine Form der Datenfernübertragung, wird aber wegen des schnellen Übertragungsweges (Lichtgeschwindigkeit), bei der die Entfernung kaum noch eine Rolle spielt, nicht mehr als Datenfernübertragung bezeichnet. Verbreitet sind dagegen Bezeichnungen wie Hochladen und Herunterladen. Um die Daten übertragen zu können, müssen sie für das Medium geeignet aufbereitet werden. Dafür ist spezielle Hardware, z. B. ein Modem, eine ISDN-Karte oder ein Router notwendig. Geschichte In der Anfangszeit der Datenfernübertragung waren zum Austausch von Daten die Verwendung von Disketten, Magnetbändern, Lochstreifen und der Versand dieser Datenträger per Kurier (das sogenannte Turnschuhnetz) üblich. Allerdings gab es schon seit langem in manchen Bereichen, wie den Betrieb langer Leitungen und der Weltraumfahrt, Datenfernübertragung über Leitungen, Richtfunk und Trägerfrequenzanlagen. Die elektronische Datenfernübertragung wurde anfangs auch über Spezialadapter auf speziellen Daten- oder Telex-Leitungen, über Fernschreiber, aber auch über die serielle Schnittstellen und analoge Telefonleitungen oder über einfache Funkverbindungen betrieben. Dazu wurden anfangs Akustikkoppler, die an einem normalen Telefonhörer angebracht werden konnten, und später Modems verwendet. Die DFÜ erlangte Ende der 1980er Jahre auch für Privatanwender mit den entstandenen lokalen und globalen Mailboxsystemen, z. B. dem FidoNet, dem MausNet, Compuserve oder dem Datex-P eine große Bedeutung. Die technischen Hochschulen stellten seit 1988 über einen Hochschulzugang für Studenten eine (externe) Login-Möglichkeit in die Rechenzentren und ab 1989 auch einen Zugang zum UseNet bereit. Zu Beginn waren diese Ports auf 300 baud Übertragungsgeschwindigkeit ausgelegt, sodass Studenten ihren Zugang zum Hochschulrechenzentrum vom heimischen PC mit einem Modem nutzen konnten. Seit 1988 gab es die ersten Chat-Möglichkeiten in einzelnen Mailboxen, wie der WDR-Mailbox in Köln und der Elsa-Mailbox in Aachen. Damals wurde die maximale Anzahl der User im Chat von den verfügbaren Ports bestimmt, die jeweils einer anderen Telefonnummer zugeordnet waren: Ein Multi-User-Chat war 1988 nur über ein Multi-Port-System realisierbar. Viele dieser Systeme hatten später über Gateways eine Verbindung in das Internet, wurden jedoch mit dem Siegeszug des Internets Ende der 1990er Jahre größtenteils eingestellt. Methoden und Übertragungsstandards WLAN RS-232 V.90 ISDN DSL mit den Varianten ADSL, ADSL2+, SDSL und VDSL DOCSIS (Kabelmodem) Ethernet Bluetooth GSM mit den Erweiterungen HSCSD, GPRS und EDGE UMTS mit der Erweiterung HSDPA LTE mit der Erweiterung LTE-Advanced IrDA Siehe auch Datenflusssteuerung Literatur Peter Welzel: Datenfernübertragung. Einführende Grundlagen zur Kommunikation offener Systeme, Friedrich Vieweg & Sohn Verlag, Wiesbaden 1986, ISBN 978-3-663-00129-4. P. F. Kuhrt, R. Giesecke, V. Maurer: Datenfernübertragung. Springer Fachmedien, Wiesbaden 1966. H. Hofer: Datenfernverarbeitung. Außenstelle – Datenfernübertragung – Rechenzentrum – Betriebsabläufe, Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 1973, ISBN 978-3-540-06139-7. Hubert Zitt: ISDN & DSL für PC und Telefon. Verlag Markt + Technik, München 2005, ISBN 3-8272-6987-3. Key B. Hacker: Macintosh. Ein Computer und seine Mitwelt, Springer Fachmedien, Wiesbaden 1984, ISBN 978-3-528-04326-1. Harald Schumny: Signalübertragung. Lehrbuch der Nachrichtentechnik mit Datenfernverarbeitung. 2. Auflage, Friedrich Vieweg & Sohn Verlag, Wiesbaden 1987, ISBN 978-3-528-14072-4. Weblinks DFÜ - Datenfernübertragung (abgerufen am 31. August 2017) Nachrichtentechnik Digitaltechnik
1162
https://de.wikipedia.org/wiki/DIN%20lang
DIN lang
DIN lang ist die umgangssprachliche Bezeichnung für mehrere ähnliche Formate für Briefumschläge, die ursprünglich zur Verwendung für zweifach quer gefaltete Briefbogen DIN A4 gedacht sind, sowie für weitere zu diesen Umschlägen passende Einlageformate. Die Bezeichnung lehnt sich an die Papierformate nach DIN an. Genormt nach DIN sind: die Briefumschlagsformate DL: 110 mm × 220 mm C6/C5: 114 mm × 229 mm das Papierformat (Endformat) 1/3 A4: 99 mm × 210 mm das Papierformat (Endformat) durch Faltung von Briefbogen A4 für Fensterbriefumschläge DL oder C6/C5: 105 mm × 210 mm Deutschland und Österreich In Deutschland und Österreich sind Briefumschläge im Format DL und C6/C5 im geschäftlichen Briefverkehr die meistverwendeten Briefhüllen. Die ebenfalls genormte Ausführung mit Sichtfenster erlaubt den Versand von nach DIN 5008 gestalteten, auf 105 mm × 210 mm gefalteten Schriftstücken ohne zusätzliche Adress- und Absenderbeschriftung des Umschlags. Das Fenster ist 90 mm breit und 45 mm hoch, es liegt 20 mm vom linken und 15 mm von unteren Rand entfernt. Viele Druckerzeugnisse, beispielsweise Faltblätter, Kurzmitteilungen und Beilagen in Heftform, werden speziell für den Versand im DIN-lang-Umschlag gestaltet, da dieses Umschlagformat neben dem für diese Zwecke wenig geeigneten C6-Format die niedrigsten Portokosten verursacht. Schweiz In der Schweiz findet dieser Umschlag kaum Verwendung. Während früher ausschließlich C6 verwendet wurde, ist heute C5 Standard. Für die Post sind die Kosten für den Versand eines C5 nur marginal größer als der eines DIN-lang-Kuverts und deshalb in der Schweiz für Kunden auch gleich teuer. Hingegen überwiegen die Vorteile der einfachen Faltung des C5 gegenüber der doppelten Faltung beim DIN lang. Quellen Papierformat Briefwesen
1164
https://de.wikipedia.org/wiki/Dom%C3%A4ne%20%28Biologie%29
Domäne (Biologie)
Die Domäne () ist in der jetzt allgemein akzeptierten systematischen Einteilung der Lebewesen nach Carl R. Woese (University of Illinois), Otto Kandler und Mark L. Wheelis die höchste Klassifizierungskategorie. Im Allgemeinen ist die unter der Domäne liegende Rangstufe das Reich (), diese kann aber auch ausgelassen sein (s. u.). Man kann die Lebewesen auch danach unterscheiden, ob in den Zellen ein Zellkern vorhanden ist oder nicht. Diese Einteilung in nur zwei Gruppen war früher üblich. Sie beruht jedoch nicht auf den Verwandtschaftsverhältnissen und ist deshalb keine systematische Einteilung. Viren, Viriforme, Viroide, Satelliten und Prionen als nicht-zelluläre Gebilde werden nicht generell unter den Lebewesen eingeordnet und unterliegen (mit Stand Juli 2022 bis auf die Prionen) einer eigenen Taxonomie. Da bei diesen Organismen nicht von einer gemeinsamen Abstammung ausgegangen wird, existieren eine Reihe maximal großer Verwandtschaftsbereiche, „Realms“ (engl. ) genannt. Da die Rangstufe „Domäne“ hier nicht definiert ist, tritt der Rang „Realm“ hier als oberster Rang an die Stelle von „Domäne“ – oberhalb von Reich (engl. ). Da nach der Evolutionstheorie davon ausgegangen wird, dass alle zellulären Organismen einen gemeinsamen Ursprung haben, d. h. einen Verwandtschaftsbereich „Biota“ bilden, dem alle drei Domänen angehören und der den Viren-Realms entspricht. Systematische Einteilung der Lebewesen Heutige Einteilung in Domänen Die systematische Einteilung der Lebewesen richtet sich nach ihrer Verwandtschaft. Alle Lebewesen werden nach diesem System heute in drei Domänen eingeteilt: Bakterien (Bacteria), veraltet: Eubacteria Archaeen (Archaea), veraltet: Archaebacteria Eukaryoten (Eukaryota) Die Domäne der Eukaryoten ist in Regna (Reiche) unterteilt, ein Erbe der klassischen Unterteilung der Lebewesen in das Reich der Tiere und das der Pflanzen (von denen später das der Pilze abgetrennt wurde). Die Domänen der Bakterien und Archaeen sind dagegen traditionell direkt in Phyla (Stämme) unterteilt. Dies ist noch eine Reminiszenz aus Zeiten, als beide Gruppen zusammen zu einem Reich „Monera“ (syn. Prokaryoten) zusammengefasst wurden. Aufgrund von Metagenomanalysen wurden in letzter Zeit jedoch sehr viele Kandidaten-Phyla vorgeschlagen. Um der hohen Diversität in diesen Domänen zu entsprechen, versucht man, diese ihrerseits in Supergruppen wie Superphyla und (nun doch) Reiche zu gruppieren, wie es bereits Woese et al. 1990 u. a. für die Euryarchaeota vorgeschlagen hatten (Zitat: ). Die systematische Unterteilung in drei Domänen beruht in erster Linie auf der unterschiedlichen Struktur der ribosomalen Ribonukleinsäure (rRNA). Bakterien und Archaeen unterscheiden sich außerdem in der Zusammensetzung ihrer Zellmembran und in der Biochemie ihres Stoffwechsels. Die Eukaryoten unterscheiden sich von den beiden anderen Domänen vor allem durch den Zellkern in ihren Zellen. Für die Domäne Eukaryota ist auch die Bezeichnung Eukarya oder Eucarya gebräuchlich. Woese, Kandler und Wheelis verwendeten bei ihrem 1990 veröffentlichten Vorschlag zur Einteilung der Lebewesen in drei Domänen die Schreibweise Eucarya. Historische Systematik Im früheren System der Lebewesen wurde nicht zwischen Bakterien und Archaeen unterschieden. Anhand ihrer Zellstruktur wurden alle Lebewesen in zwei Gruppen (mit der englischen Bezeichnung oder ) eingeteilt, wobei die Archaeen den Bakterien zugerechnet wurden, da sie ebenso wie diese keinen Zellkern haben: Prokaryoten: Lebewesen ohne Zellkern (umfasst die Domänen der Bakterien und Archaeen) Eukaryoten: Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern haben Diese Einteilung ist keine taxonomische Einteilung im verwandtschaftlichen System der Lebewesen. Hinweis: Anstelle der modernen Bezeichnungen Prokaryoten und Eukaryoten wurden früher die Bezeichnungen Prokaryonten und Eukaryonten genutzt. Sie sind auch heute noch sehr gebräuchlich und gelten allgemein als zulässig. Ursprung der Eukaryoten Die Eukaryoten sind vermutlich aus Archaeen der Asgard-Gruppe (im Umfeld der Hodarchaeales, Heimdall-Archaeen) hervorgegangen. Außer der Ausbildung eines abgegrenzten Zellkerns (möglicherweise unter Mithilfe von Viren) haben diese in einer Symbiogenese Bakterien (genauer: α-Proteobakterien, früher favorisiert: Rickettsiales, seit 2023: Iodidimonadales) aufgenommen. Dadurch wurden diese Bakterien zu Organellen – Mitochondrien, Hydrogenosomen, Mitosomen – insgesamt auch genannt MROs (); siehe auch Eozyten-Hypothese. In diesen Szenario wären die Archaeen paraphyletisch. Um dies zu vermeiden, müssten die Eukaryoten im Sinn der Kladistik den Archaeen zugeordnet werden. Allerdings stößt bei einer solchen Entstehung mittels Symbiogenese die kladistische Methodik ohnehin an ihre Grenzen. Quellen Carl R. Woese, Otto Kandler, Mark L. Wheelis: Towards a natural system of organisms: Proposal for the domains Archaea, Bacteria, and Eucarya. In: Proceedings of the National Academy of Sciences USA. Band 87, 1990, S. 4576–4579 (PDF). Siehe auch Biologische Systematik Einzelnachweise Taxonomie
1165
https://de.wikipedia.org/wiki/Tulpenmanie
Tulpenmanie
Bei der Tulpenmanie (auch Tulipomanie, Tulpenwahn, Tulpenblase, Tulpenfieber oder Tulpenhysterie; , oder ) handelt es sich um eine Periode im Goldenen Zeitalter der Niederlande, in der Tulpenzwiebeln zum Spekulationsobjekt wurden. Tulpen waren seit ihrer Einführung in die Niederlande in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Liebhaberobjekt. Sie wurden in den Gärten der sozial gehobenen Schichten des gebildeten Bürgertums, der Gelehrten und der Aristokratie kultiviert. Zu den auf Tauschhandel gegründeten Beziehungen dieser Liebhaber kam zum Ende des 16. Jahrhunderts der kommerzielle Handel mit Tulpen hinzu. In den 1630er Jahren stiegen die Preise für Tulpenzwiebeln auf ein vergleichsweise extrem hohes Niveau, bevor der Markt zu Beginn des Februars 1637 abrupt einbrach. Die Tulpenmanie wird als die erste relativ gut dokumentierte Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte angesehen. Sie wird auch metaphorisch zur Charakterisierung anderer, anscheinend irrationaler und riskanter Finanzentwicklungen gebraucht. Die Deutungen über den Anlass, den Verlauf und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Tulpenmanie gehen auseinander. Für die traditionelle Lesart der Ereignisse und Auswirkungen, die sich schon in der zeitgenössischen Kritik findet und von späteren Interpretationen aufgegriffen wurde, waren in den Handel mit Tulpen in den 1630er Jahren große Teile der niederländischen Bevölkerung bis in die untersten Gesellschaftsschichten involviert. Der rasche Preisverfall habe demgemäß den Ruin vieler Beteiligter bedeutet und der niederländischen Wirtschaft insgesamt einen schweren Schaden zugefügt. Andere Lesarten bemühen sich, den Preisanstieg und Preisverfall von Tulpen im Lichte der Markteffizienzhypothese nicht als irrationale und singuläre Manie darzustellen, kehren institutionelle Ursachen für die Blase hervor und relativieren die gesamtwirtschaftliche Relevanz. Bedingungen Tulpenliebhaberei in den Niederlanden Das Zentrum der Artenvielfalt der Pflanzengattung Tulpen (Tulipa) liegt im südöstlichen Mittelmeerraum. Von den Persern übernahmen die Türken die Kultivierung der Tulpen im 15. Jahrhundert. Im Osmanischen Reich galt sie als eine der edelsten Blumen und wurde spätestens im 18. Jahrhundert in großen Mengen in den Gärten des Sultans gepflanzt. Aus dem Osmanischen Reich gelangten Tulpen um 1555–60 über Konstantinopel (heute Istanbul) nach Wien. Wahrscheinlich importierte erstmals Ogier Ghislain de Busbecq, ein flämischer Edelmann und Botschafter von Kaiser Ferdinand I. am Hofe Süleyman I., Tulpensamen und -zwiebeln. Von ihm hat sich auch eine der frühesten, möglicherweise sogar die erste angefertigte Beschreibung eines Westeuropäers von einer Tulpe überliefert. In einem Brief vom 1. September 1555 gab er ihr den Namen Tulipan. Auch auf anderen Wegen, etwa aus Südeuropa oder im Zuge des Handels mit der Levante, gelangten Tulpen nach Mitteleuropa. 1559 sah der Schweizer Gelehrte Conrad Gessner im Garten des Augsburger Bankiers Johannes Heinrich Herwarth eine rote Tulpe, die er als Tulipa Turcarum beschrieb. Die Einführung der Tulpe leitete in der Gartenkultur die sogenannte orientalische Periode ein, in der neben Tulpen auch Hyazinthen und Narzissen Eingang in die westeuropäischen Gärten fanden und sich dort großer Wertschätzung erfreuten. Der flämische Botaniker Carolus Clusius, seit 1573 Präfekt des Kaiserlichen Heilkräutergartens (Hortus botanicus medicinae) in Wien, kultivierte Tulpen ab 1574 in großem Stile. Im Garten Maximilians II. ließ er Zwiebeln und Samen auspflanzen bzw. aussäen. In der Folgezeit wurden blühende Tulpen unabhängig voneinander in Brüssel (1577), in Leiden (1590), in Breslau (1594) und in Montpellier (1598) beschrieben. Nach einer Station in Frankfurt am Main wurde Clusius 1593 zum Professor für Botanik in Leiden berufen und stand dort dem Hortus botanicus vor. Wie bereits in Frankfurt und in Wien war Clusius in Leiden ein wichtiger Punkt in einem Netzwerk an Blumenliebhabern, den . Sie waren durch ihren gehobenen gesellschaftlichen Rang, ihre humanistische Bildung und ihre Wertschätzung für Pflanzen miteinander verbunden. Im exklusiven Zirkel dieser Enthusiasten mischten sich Vertreter verschiedener sozialer Kreise. Zu den Blumenliebhabern zählten Gelehrte, gebildete und wohlhabende Bürger (Apotheker, Ärzte, Notare, Händler, Advokaten) sowie Adlige, für welche alle der Umgang mit Pflanzen keine Landwirtschaft, sondern eine Liebhaberei war. Tulpen wurden aufgrund mehrerer Eigenschaften geschätzt. Sie waren neu, exotisch, exklusiv, dekorativ und anspruchsvoll. Um ihre Begeisterung für die Blumenzucht und zu pflegen, legten Amateure private Gärten an und besuchten sich gegenseitig in diesen, um sich über die Kultivierung der neuen Sorten auszutauschen und die jeweiligen Exemplare in Augenschein zu nehmen. Befördert wurde die Anlegung privater Gärten durch das Wachstum der holländischen Städte jenseits der Stadtmauern. So wurden beispielsweise die Häuser, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts an den Kanälen der Amsterdamer Herengracht, Keizersgracht und Prinsengracht gebaut wurden, mit rückwärtigen Gärten konzipiert. In anderen Städten wie in Haarlem legte man Gärten außerhalb der Stadtmauern an. In diesen Gärten wurden nicht mehr nur Heil- und Nutzkräuter gezogen, sondern die Gärten dienten auch der Kultivierung neuer Pflanzenarten wie Tulpen. So enthielt der Hortus botanicus in Leiden, der vor allem für Pflanzen zur medizinischen Verwendung angelegt wurde, bei Clusius’ Tod mehr als 600 Tulpenzwiebeln, mit denen keinerlei medizinische Wirkung verbunden wurde. Manche Blumenliebhaber spezialisierten sich auf das Sammeln und die Zucht von Tulpen, die in den Beeten mit großzügigem Abstand zueinander einzeln wuchsen. Ausdruck fand die gesteigerte Wertschätzung und Bekanntheit für Blumen in den Stillleben, wie sie in dieser Periode etwa von Ambrosius Bosschaert d. Ä., Balthasar van der Ast und Roelant Savery gemalt wurden. In manchen dieser Werke taucht die Tulpe in Verbindung mit anderen Gegenständen als Symbol der Vanitas auf. Die kurze Blühdauer von April bis Juni und das zeitige Vergehen der Pflanzen nach der Blüte machten die Tulpen, so eine Lesart dieser Bilder, zum Memento mori. Tulpen wurden auch in Wunderkammern gesammelt. Diese Kollektionen waren im Prinzip unterteilt in naturalia und artificialia. Jedoch wurden in der Praxis in der Natur vorkommende und menschgemachte Objekte zusammengesammelt und ausgestellt. Beispielsweise gehörte zum Hortus botanicus in Leiden auch eine Galerie (das Ambulacrum), in der die Raritätensammlung des Barent ten Broecke d. Ä. (Bernardus Paludanus) untergebracht war. Tulpenzwiebeln und Bilder von Tulpen fanden sich in diesen Kunst- und Naturalienkabinetten neben Kunstwerken und anderen raren und wertvollen Dingen wie Straußeneiern, Narwalhörnern, seltenen Mineralien und Muscheln. Manche Autoren wie der Sieur de La Chesnée Monstereul gingen so weit, die Tulpe zu den artificialia und nicht zu den naturalia zu zählen, weil in den Tulpenzüchtungen natürliche und menschliche Faktoren zusammenkamen. Das Sammeln von Tulpen und anderen Raritäten wurde bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden kritisch begutachtet. In seiner 1614 erschienenen polemischen Sammlung von Emblemen (‚Sinnsprüche‘, Amsterdam 1614) vergleicht Roemer Visscher den Eifer der Sammler von Muscheln mit dem der Sammler von Tulpen. In zwei aufeinander folgenden Blättern zeigt er zum einen exotische Muscheln unter dem Titel („Es ist verrückt, für was ein Narr sein Geld ausgibt“), zum anderen Tulpen unter der Überschrift („Ein Narr und sein Geld sind eilends geschieden“). Die Tulpenliebhaber unterhielten ihre Beziehungen durch den Tausch, nicht den Verkauf von Tulpen. Ihre Reputation beruhte auf Kennerschaft, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und der Bereitschaft, Wissen und Güter bereitwillig zu tauschen. Jedoch bedingte die hohe Wertschätzung und Seltenheit der Tulpen auch, dass sie zu einem finanziell kostbaren Gut wurden. Dies zeigt sich etwa in den Diebstählen von Tulpenzwiebeln. So wurde Clusius allein 1569 zweimal bestohlen, und ihm wurden dabei über 100 Tulpen entwendet. Zu der Kultur der Blumenliebhaber trat der kommerzielle Handel mit Blumen. Seit mindestens der Mitte der 1570er Jahre wurden seltene Pflanzen und Blumen gehandelt. Clusius berichtet beispielsweise von Händlern, die 1576 Schneerosen in Wien verkauft hätten. Zu den etablierten Amateuren und ihren Tauschgeschäften kamen neue Akteure hinzu, die mit Blumen kommerziell handelten (rhizotomi ‚Wurzelschneider‘, wie Clusius sie nannte). Es finden sich aber auch Belege, dass die selbst und nicht nur neu dazukommende Händler aktiv an der Kommodifizierung der Tulpen teilgehabt haben und Tulpen sowohl kauften als auch verkauften. Tulpenzucht Die Seltenheit von Tulpen begründete sich nicht nur in ihrer klimabedingten Anfälligkeit für Krankheiten und Fäulnis. Auch die bevorzugte Art der Vermehrung setzte einer massenhaften Verbreitung Grenzen: Zwar können Tulpen über Samen verbreitet werden, doch benötigt in dieser Form das Heranwachsen einer blühfähigen Pflanze sieben bis zehn Jahre. Daher erfolgte die Vermehrung vegetativ mittels Tochterzwiebeln. Als Geophyten bilden Tulpen in der Erde geschützte Zwiebeln aus, um den Winter zu überdauern und im nächsten Frühjahr erneut auszutreiben. Nach der Blüte wachsen im Frühjahr bis zum Sommer an den Mutterzwiebeln Tochterzwiebeln, die nach der Blüte „gerodet“ werden können. Sie existieren dann als eigenständige blühfähige Exemplare. Die Mutterzwiebeln werden nach der Blüte mit den gebildeten Tochterzwiebeln den Sommer über aus der Erde genommen und erst im September bzw. Oktober wieder eingepflanzt, wo sie bis zur nächsten Blüte überwintern. In den Niederlanden trieben die Züchter und Sammler neben der mengenmäßigen Vergrößerung des Tulpenbestandes zudem die Zucht von Sorten voran. Das Wissen über die korrekte Bestellung und Pflege der Pflanzen wurde sowohl in Abhandlungen von Botanikern wie Rembert Dodoens und Matthias de L’Obel als auch in populären Schriften wie Emanuel Sweerts Florilegium oder Crispijn van de Passes d. J. Hortus floridus verbreitet. Tulpen wurden wegen ihrer spontanen Farb- und Formwechsel und der dadurch erzielten unzähligen Varianten geschätzt. In der Zeit zwischen 1630 und 1650 kannte man rund 800 namentlich unterschiedene Tulpensorten. Die in der Zucht entstandenen Cultivare wurden in Gruppen klassifiziert: Unter die Couleren zählten beispielsweise alle einfarbigen roten, gelben und weißen Tulpen, die Rozen zeigten eine violette bzw. lila Färbung auf weißem Grund, während zu den Bizarden alle Tulpen gerechnet wurden, die eine rote, braune oder violette Färbung auf gelbem Grund aufwiesen. Die gemusterten Blütenblätter („das Brechen“) sind Resultat des Tulpenmosaikvirus, das von Blattläusen übertragen wird und über infizierte Tochterzwiebeln weitergegeben werden kann. Dementsprechend unberechenbar und selten waren erfolgreiche Zuchtlinien, insbesondere deshalb, weil der Grund für die plötzliche Farbänderung den damaligen Züchtern unbekannt war – er wurde erst 1924 gefunden – und weil die gebrochenen Tulpen schwächer und anfälliger sowie in ihrem Farbmuster weniger konstant waren als gesunde Tulpen. Auch wenn den Züchtern der Grund der Farbvariationen unbekannt war, suchten sie nach Wegen, Tulpen gezielt zu brechen. Beispielsweise wurden zwei Hälften verschiedener Zwiebeln zusammengebunden, Tulpenzwiebeln wurden mit Tinte getränkt, oder Taubenmist wurde auf dem Gartenboden verbrannt. Die Wertschätzung für Tulpen in den Niederlanden drückt sich in ihrer Benennung aus. So finden sich zahlreiche Tulpen mit den Namensbestandteilen Admirael und Generael, was den höchsten in dieser Zeit erreichbaren gesellschaftlichen Positionen entspricht. Zum Beispiel hieß eine der Tulpen des Züchters Francesco Gomes da Costa Admirael da Costa oder die Sorten Admirael van Enkhuizen bzw. Generael der Generaels van Gouda kamen aus Enkhuizen bzw. Gouda. Zudem gab es Anspielungen auf kostbare Materialien (z. B. ‚Goldstoff‘) oder bekannte Figuren der klassischen Antike (z. B. ‚Schöne Helena‘). Auch wurden zur Bezeichnung von Tulpensorten häufig Anleihen bei anderen in den Wunderkammern gezeigten Gegenständen gemacht. So finden sich Hinweise zu Sorten mit den französischen bzw. niederländischen Namen Agaat (Achat), Morillon (ungeschliffener Smaragd), Ghemarmerde (marmoriert) oder Marquetrine (Marketerie). Es waren besonders die mehrfarbig geflammten, gestrichelten, gestreiften, geränderten oder gesprenkelten Tulpen, die im Zentrum der Spekulationsgeschäfte der Tulpenmanie standen. Die meisten dieser Sorten sind mittlerweile ausgestorben. So ist von der damals wertvollsten Tulpe, Semper Augustus (‚der immer Erhabene‘), kein Exemplar erhalten, weil in jüngerer Zeit mit dem Tulpenmosaikvirus befallene Pflanzen von den Züchtern vernichtet werden, damit sie nicht den gesamten Bestand infizieren. Organisation des niederländischen Tulpenhandels Zwiebeln wurden während der Pflanzzeit in den Sommermonaten gehandelt. Die gerodeten Zwiebeln wurden dabei in Spotmärkten verkauft. Der Handel mit Tulpen ließ sich nicht auf diese kurze Periode beschränken. Die Händler gingen dazu über, auch solche Zwiebeln zu kaufen und zu verkaufen, die sich noch in der Erde befanden und erst später, nach der Blüte, ausgegraben werden konnten. Die in diesen Transaktionen getätigten Börsen- bzw. Terminkontrakte konnten notariell beglaubigt werden oder wurden inoffiziell auf Papierstreifen (coopcedulle) festgehalten. Gelegentlich bedienten sich die beiden Handelsparteien eines Vermittlers () zur Aushandlung der Kaufbedingungen. Die Bezahlung der Tulpen war gewöhnlich dann fällig, wenn die Zwiebeln nach der Blüte aus der Erde genommen und übergeben wurden. Als Konsequenz entwickelte sich der Tulpenhandel zum Spekulationsgeschäft, da niemand in der Lage war, verbindliche Aussagen darüber zu treffen, wie die gehandelten Tulpen aussehen, noch ob sie in der neuen Saison überhaupt blühen würden. Aufgrund dieser unklaren Handelsgrundlage wurde das Geschäft mit Tulpen auch als bezeichnet. Zum Zwecke der Veranschaulichung des zu erwartenden Aussehens einer Tulpe gaben die Züchter und Händler Kupferstiche, Aquarelle und Gouachen von Tulpensorten in Auftrag und sammelten diese in Handels- bzw. Versteigerungskatalogen, so genannten Tulpenbüchern. Von ihnen sind Anfang des 21. Jahrhunderts insgesamt 45 Exemplare erhalten geblieben. Die Besonderheit dieser Tulpenbücher ist, dass neben den Illustrationen selbst auch die Namen und gelegentlich auch noch das Gewicht und die Preise der abgebildeten Sorten am Rand der Blätter verzeichnet sind. Mit der steigenden Beliebtheit der Zierpflanze kamen neue Formen des Tulpenhandels dazu, und ab der Mitte der 1630er Jahre ist im Vergleich zu anderen Produkten ein Preisanstieg zu bemerken. Spätestens um das Jahr 1634 betraten Spekulanten den Markt, die Tulpen nicht nur in der Hoffnung kauften, sie zu späterer Zeit selbst in ihren Garten zu setzen, sondern sie erwarben, um sie bei steigenden Preisen mit Gewinn weiterzuverkaufen. Der Leerverkauf war auch in anderen Sektoren der niederländischen Wirtschaft verbreitet. So verkaufte die Niederländische Ostindien-Kompanie ihre verschifften Waren, noch bevor diese ausgeliefert werden konnten. Jedoch untersagten die Generalstaaten 1610 diese Art des Handels, und das Verbot wurde in den Folgejahren, 1621, 1630 und 1636, bestätigt. Dies bedeutete, dass entsprechende Verträge nicht vor Gericht einklagbar waren. Jedoch wurden die Händler, die solcherart Geschäfte betrieben, auch nicht explizit verfolgt, so dass Formen des Leerverkaufs stets genutzt wurden. Auch konnten diese Verdikte nicht verhindern, dass Optionsscheine auf Tulpenzwiebelanteile gehandelt wurden. Die umfassendste Beschreibung der Organisation des niederländischen Tulpenhandels zur Zeit der Tulpenmanie hat sich in dem spekulationskritischen Pamphlet erhalten, das drei satirische Dialoge der beiden Weber (‚Habgier‘) und (‚Wahrmund‘) wiedergibt. Es wurde kurz nach dem Ende der Spekulationsblase 1637 von Adriaen Roman aus Haarlem verbreitet. Folgt man der dortigen Beschreibung, dann fand der Handel mit Tulpenzwiebeln nicht in Börsengebäuden statt, sondern die Händler trafen sich in so genannten Kollegs ( bzw. ) in bestimmten Herbergen und Schankhäusern. Bei den Treffen der Kollegs wurden Tulpen gehandelt, bewertet und das Wissen über Sorten und Akteure ausgetauscht. Tulpenzwiebeln wurden zum Teil als einzelne Zwiebelexemplare, zum Teil nach Gewicht verkauft, im Speziellen nach der Goldschmiedeeinheit asen (ein Aes = 0,048 Gramm und ein Pfund = 9.729 Asen in Haarlem bzw. 10.240 Asen in Amsterdam). Der Verkäufer hatte die Möglichkeit einer Auktion (), oder beide Seiten schrieben ihren Preiswunsch auf einen Zettel bzw. ein Brett () und zwei jeweils gewählte Unterhändler () einigten sich auf einen Preis (). Käufer waren verpflichtet, eine Gebühr von 2,5 Prozent des Verkaufspreises bzw. bis zu drei Gulden (das sog. „Weingeld“ bzw. in holländischen Gulden, also in florins (Dfl) bzw. guilders) zu zahlen, die vor Ort für Speisen, Getränke und Trinkgelder ausgegeben wurden. Wenn man aus bereits angelaufenen Verkaufsverhandlungen wieder aussteigen wollte, dann war die Zahlung eines (Bußgeld) fällig. Mitunter wurde die Verpflichtung, eine Zwiebel zu liefern, über Zwischenhändler weiterverhandelt. Tulpen wurden außerdem auf offiziellen Auktionen versteigert, wie bei den Auktionen einer (Waisenhaus), wenn diese den Nachlass eines Verstorbenen zu Gunsten seiner Kinder versteigerte. Daten und Verlauf Tulpenpreise Für den Zeitraum von 1630 bis 1637 haben sich keine vollständigen Preisdaten erhalten. Daher ist es nicht möglich, exakte Aussagen über den Preisverlauf und das Ausmaß des Wertverlusts von Tulpenzwiebeln zu machen. In der Mehrzahl stammen die Daten auch aus dem . Die Aufstellung des amerikanischen Wirtschaftshistorikers Peter M. Garber, der die Informationen zu Verkäufen von 161 Zwiebeln von 39 Sorten zwischen 1633 und 1637 zusammentrug, zeigt, dass selbst gleiche Tulpensorten zum selben Zeitpunkt zu unterschiedlichen Preisen gehandelt wurden. Der Grund hierfür liegt in den verschiedenen möglichen Handelsweisen und Handelsorten. Tulpen konnten in den Terminbörsen der Kollegs, bei Auktionen, auf Spotmärkten beim Züchter und durch notariell beglaubigte Terminkontrakte verkauft bzw. erworben werden. Schon in den 1620er Jahren war es unter Umständen möglich, für einzelne Tulpensorten sehr hohe Preise zu erzielen. Beispielhaft hierfür steht die Tulpe Semper Augustus. Sie wurde 1637 als teuerste Tulpe aller Zeiten gehandelt. Einem Bericht aus dem Jahr 1623 zufolge sollten alle damals existierenden zwölf Tulpen dieser Sorte dem Amsterdamer Bürger Adriaan Pauw auf seinem Gut Heemstede gehören. 1623 kostete jede dieser Zwiebeln 1.000 Gulden, 1624 stand der Preis bei 1.200 Gulden, 1633 war er auf 5.500 Gulden gestiegen und 1637 wurden für drei Zwiebeln 30.000 Gulden geboten. Zum Vergleich: Das Durchschnittsjahreseinkommen in den Niederlanden lag bei etwa 150 Gulden, die teuersten Häuser an einer Amsterdamer Gracht kosteten rund 10.000 Gulden. Jedoch scheinen diese sehr hohen Tulpenpreise zu jener Zeit die Ausnahme gewesen zu sein. So wurden 1611 Tulpen der Sorte (‚Kerzen auf einem Leuchter‘) für 20 Gulden verkauft. Aus dem Oktober 1635 haben sich Daten zum Verkauf einer Tulpe der Sorte für 30 Gulden erhalten. Dass die Preise für Tulpenzwiebeln zu Beginn der 1630er Jahre anzogen, lässt sich an den Sorten ablesen, für die in zeitlicher Folge mehrere Preisdaten verfügbar sind. Beispielsweise verdoppelte sich der Preis einer Tulpe der Sorte von 0,07 Gulden per Aes am 28. Dezember 1636 auf 0,15 Gulden per Aes am 12. Januar 1637. Der Preis der Sorte Switserts stieg in diesen zwei Wochen von 125 Gulden auf 1.500 Gulden für das Pfund, ein Anstieg auf das Zwölffache. Verlauf Ihren Höhepunkt erreichten die Preise für Tulpen bei der Weeskamer-Versteigerung am 3. Februar 1637 in Alkmaar. Sie wurde von den weesmesters (Rektoren des Waisenhauses) für die Nachkommen von Wouter Bartholomeusz Winckel veranstaltet. Auf der Auktion wurden für 99 Posten Tulpenzwiebeln insgesamt rund 90.000 Gulden erzielt. Es finden sich aber weder für die einzelnen Preise noch für die Käufer verlässliche Belege. Eine kurze Zeit nach der Auktion erschienenes Flugblatt enthält eine Preisliste, doch ohne Angaben, wer diese Summen auf der Auktion geboten haben soll. Der durchschnittliche Preis der versteigerten Tulpen betrug 793 Gulden. Das meiste Interesse zogen in den späteren Auseinandersetzungen mit den Ereignissen die Tulpen auf sich, für welche weitaus höhere Preise geboten worden sein sollen. So kam eine Tulpe der Sorte 'Viceroy' für 4.203 Gulden unter den Hammer, eine Admirael van Enchhysen wurde für 5.200 Gulden verkauft. Zwei Tage nach der Auktion in Alkmaar, am 5. Februar 1637, hatte der Verfall von Preisen in Haarlem seinen Anfang genommen. Bei einer der regelmäßigen Wirtshausversteigerungen konnte keine der angebotenen Tulpen zu dem erwarteten Preis verkauft werden. In den nächsten Tagen brach dann in den gesamten Niederlanden der Tulpenmarkt zusammen. Das System des Handels funktionierte nur so lange, wie die Händler mit steigenden Preisen und der Option rechneten, dass ein Käufer bereit wäre, die reale Tulpenzwiebel zu erwerben. Als sich keine neuen Käufer fanden, die in die Preisspirale einsteigen wollten, fiel der Wert von Tulpen um geschätzt mehr als 95 Prozent. Am Ende der Spekulationsblase fanden sich Händler mit Verpflichtungen, Tulpenzwiebeln im Sommer zu einem Preis weit über den aktuellen Marktpreisen zu erwerben, während andere Marktakteure Tulpenzwiebeln verkauft hatten, die nur noch einen Bruchteil des Wertes besaßen, um den sie ihnen abgekauft worden waren. Um einen Weg aus dieser Krise zu finden, entsandten am 23. Februar 1637 verschiedene Städte Delegierte zu einem Treffen nach Amsterdam. So waren bei dieser Zusammenkunft insgesamt 36 Blumenhändler aus zwölf Städten und Regionen (Haarlem, Leiden, Alkmaar, Utrecht, Gouda, Delft, Vianen, Enkhuizen, Hoorn, Medemblik und der Region De Streeck) vertreten. Auch Händler aus Amsterdam selbst waren zugegen, doch weigerten sie sich, die getroffene Vereinbarung zu unterzeichnen. Die Abmachung sah vor, allen Kaufverträgen Gültigkeit zuzusichern. Aber jeder Käufer hatte bis März 1637 das Recht, Käufe zu annullieren, die nach dem 30. November 1636 (dem Ende der vorherigen Pflanzsaison) getätigt worden waren. Als Ausgleich hätten in diesem Fall nur 10 Prozent des Kaufpreises als Bußgeld gezahlt werden müssen. Weil aber diese Abmachung nicht rechtlich verbindlich war und mit Amsterdam ein wichtiges Zentrum des Handels sich weigerte, zu kooperieren, wurde die Vereinbarung nicht eingehalten. Ein zweiter Anlauf zur Lösung der Krise ging von Städten unter dem Druck einflussreicher Blumenhändler aus. So wurde in Haarlem vorgeschlagen, den Staaten von Holland und Westfriesland die Idee zu unterbreiten, alle Transaktionen seit dem Ende der letzten Pflanzzeit (planttijt) Ende September 1636 ohne Strafzahlungen zu annullieren. Der Ältestenrat (vroedschap) diskutierte diesen Vorschlag am 4. März 1637 und kam zu dem Entschluss, dass dieses Anliegen vor den Staaten vertreten werden sollte. Diesen Beschluss unterstützten auch die Bürgermeister (burgemeesters), wohl auch unter dem Einfluss wichtiger regenten (Mitglieder der patrizischen Stadtregierung in den Niederlanden) wie Cornelis Guldewagen und Johan de Wael. Beide besaßen Brauereien in Haarlem, gehörten zur bürgerlichen Oberschicht und bekleideten über Jahrzehnte verschiedene öffentliche Ämter in der Stadtverwaltung. Kurz vor dem Preisverfall waren sie in das Geschäft mit Tulpen eingestiegen, indem sie 1.300 Zwiebeln aus dem Garten des bankrotten Amsterdamer Händlers Anthony de Flory kauften. In den Gerichtsakten tauchen sie auf, weil sie in der Folgezeit mehrfach versuchten, gerichtlich aus dem Vertrag auszusteigen. In Hoorn ging der Magistrat denselben Weg, während Alkmaar einen entgegengesetzten Kurs einschlug. Am 14. März 1637 forderte Alkmaar seine Repräsentanten in den Staaten auf, die Einhaltung aller Verträge einzufordern. Zwar beschäftigten sich die Staaten mit den Eingaben, doch verwiesen sie die Städte am 11. April 1637 an den obersten Gerichtshof der Provinz Holland (Hof van Holland). In seiner Entscheidung vom 23. April 1637, die von den Staaten am 25. April 1637 verkündet wurde, erklärte der Gerichtshof: Erstens sollten alle Verträge in Kraft bleiben. Zweitens sollten die einzelnen Städte die bloemisten bei ihrer Suche nach einvernehmlichen Lösungen (viam concordiea) unterstützen. Wo dies nicht gelänge, sollten die Probleme dem Gerichtshof rückgemeldet werden. Drittens war es den Verkäufern erlaubt, im Fall, dass die Käufer ihre Abmachung brechen würden, die betreffenden Zwiebeln nochmals zu verkaufen. Dabei sollte der erste Käufer für die Differenz zwischen dem ersten abgemachten und dem zweiten erzielten Preis einstehen. In Haarlem wurde dieser Schiedsspruch so umgesetzt, dass ab 1. Mai 1637 Streitigkeiten wegen Tulpenverkäufen nicht mehr vor Gericht gebracht werden durften. Die Blumenhändler mussten sich untereinander einig werden. Da aber auf diese Weise viele Streitfälle ungelöst blieben, wandten sich die burgemeesters von Haarlem im Juni 1637 erneut an den Hof van Holland mit der Bitte, den Schiedsspruch aufzuheben. Weil aber der Gerichtshof diesem Antrag nicht folgte, stellten die burgemeesters von Haarlem am 30. Januar 1638 eine Kommission zusammen (Commisarissen van den Bloemen Saecken). Eine ähnliche Lösung wurde in Alkmaar und nach heutigem Kenntnisstand eventuell auch in weiteren Städten gefunden. Ziel war es, die Konflikte einvernehmlich beizulegen (per accomodatie). Die endgültige Lösung bestätigten die Bürgermeister von Haarlem am 28. Mai 1638: Die Verträge konnten annulliert werden, wenn die Käufer zur Zahlung einer Strafe in Höhe von 3,5 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises bereit waren. Erklärungen Es existieren verschiedene Ansätze, den Preisanstieg und Preisverfall von Tulpen im Winter 1636/37 zu erklären. Während traditionell eine kritische Deutung der Ereignisse als irrationale Manie vorherrschte, bemühen sich neuere Arbeiten aus marktrationalen, institutionellen und historischen Perspektiven um ausgewogenere Interpretationen. Der Tulpenzwiebelwahn im 17. Jahrhundert wird weiter oft auch zur Bewertung aktueller Marktgegebenheiten herangezogen. Traditionelle Deutungen Die traditionelle Deutung des Preisanstiegs und Preisverfalls von Tulpen versteht diese Ereignisse als exzessive Finanzspekulation und leichtsinnige Verrücktheit. Entscheidend für die Verbreitung der Idee einer Tulpenmanie war das Buch , das der schottische Journalist Charles Mackay 1841 in London veröffentlichte. Mackay vertrat darin die These vom irrationalen Massenverhalten und unterstützte diese durch die Beispiele der Südseeblase und des Skandals um die Mississippi-Kompanie (beide 1720). Grundelemente seiner Darstellung, die in den anschließenden Auseinandersetzungen vielmals weitergetragen wurden, sind zum einen die Behauptung, die Tulpenmanie habe alle Bevölkerungsschichten der Niederlande erfasst und in kommerzielle Spekulationen getrieben, und zum anderen die Behauptung, sie habe die Beteiligten ruiniert und der niederländischen Wirtschaft insgesamt einen schweren Schaden zugefügt. Außerdem verbreitete Mackays Text einige danach immer wieder zu findende Anekdoten, etwa die vom Tausch eines sehr umfangreichen Warenkorbs gegen eine Tulpe der Sorte 'Viceroy' oder die vom Missgeschick eines Mannes, der aus Versehen eine der kostbaren Tulpenzwiebeln mit einer einfachen Gemüsezwiebel verwechselt und verspeist habe. Mackays wichtigste Quelle für seine Informationen und die von ihm vorgebrachte kritische Lesart der Tulpenmanie ist Johann Beckmann, welcher wiederum auf den niederländischen Botaniker Abraham Munting vertraute. Dieser wurde 1626 geboren und ist kein Augenzeuge der Tulpenmanie. Munting verließ sich auf zwei Dokumente, die damit die Grundlage für alle späteren Texte und deren kritischen Deutung des Tulpenhandels bilden. Zum einen ist dies eine Chronik von Lieuwe van Aitzema und zum anderen das Pamphlet von Adriaen Roman. Da Aitzema wiederum seine Beschreibung auf Pamphlete und Flugblätter gründet, bildet diese Sammlung an zeitgenössischen Texten die Hauptquelle der populären Auseinandersetzung mit der Tulpenmanie. Der überwiegende Teil der Kritik in diesen Flugblättern und Handzetteln, die im Frühjahr 1637 in verschiedenen Städten kursierten, wirft den Blumenhändlern vor, sie hätten Tulpen zu ihren Götzen gemacht und damit Gott beleidigt, sie hätten durch unlauteren Handel nach Geld gestrebt und sie hätten die soziale Ordnung gefährdet. Das von Mackay entworfene Bild des Preisanstiegs und Preisverfalls von Tulpen als umfassender und zerstörerischer Manie macht das historische Ereignis zum Paradebeispiel einer durch Massenhysterie fehlgeleiteten Marktentwicklung. In dieser Form findet die Tulpenmanie Eingang in populärwissenschaftliche Betrachtungen zu Finanzmärkten und späteren Finanzkrisen, wie etwa Burton Malkiels (1973) oder Kenneth Galbraiths (1990). So taucht die Tulpenmanie auch in Oliver Stones Film Wall Street: Geld schläft nicht (2010) auf. Darin nutzt der Spekulant Gordon Gekko eine historische Darstellung des sich wandelnden Marktwerts von Tulpen, um die Finanzkrise ab 2007 zu erklären und zu bewerten. Marktrationale Erklärung Seit den 1980er Jahren haben sich Ökonomen an einer positiveren Sicht auf das spekulative Verhalten versucht und Mackays Deutung kritisch begutachtet. Hinterfragt werden dabei das Ausmaß, in dem die Spekulationswelle die Bevölkerung erfasste, und das Ausmaß der negativen ökonomischen Auswirkungen der Tulpenmanie. In seiner Erklärung, warum die Händler immer höhere Preise für Tulpen zu zahlen bereit waren, hebt der amerikanische Wirtschaftshistoriker Peter M. Garber den Aspekt der spielerischen Zerstreuung und die erhöhte Risikobereitschaft in Pestzeiten hervor. Während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts grassierten in Abständen Beulenpestepidemien in den niederländischen Städten, was Garber als Begründung für die Bereitschaft zum Risiko und als Erklärung für die zur Verfügung stehenden Geldsummen (durch Erbschaft) anführt. Anhand der von ihm genutzten Preisdaten für Tulpenverkäufe im Winter 1636/1637 und für danach erfolgte Transaktionen von Tulpen in den Jahren 1643, 1722 und 1739 argumentiert er, dass der jährliche Preisverfall von Sorte zu Sorte variierte und von 76 Prozent bis 24 Prozent betragen konnte. Im Vergleich mit den Preisen für Hyazinthen im 18. Jahrhundert erklärt Garber, dass die Behauptung, die Tulpenmanie sei ein einmaliges Geschehen, nicht aufrechterhalten werden könne. Vielmehr würden die Preiskurven deutliche Parallelen aufweisen. Auch bei Hyazinthen seien die Preise für die teuersten Sorten innerhalb von drei Jahrzehnten auf ein bis zwei Prozent des ursprünglichen Wertes gefallen. An Garbers marktrationale Erklärung, basierend auf der Markteffizienzhypothese, schließt die Überlegung von Douglas French an. Er behauptet, die Tulpenmanie sei auch deshalb möglich geworden, weil die Geldpolitik der Amsterdamer Wechselbank (Wisselbank) und die Kaperung der Spanischen Silberflotte am 17. September 1628 durch Piet Pieterszoon Heyn dazu führten, dass mehr Geld verfügbar war, welches spekulativ eingesetzt werden konnte. Institutionelle Erklärung Garbers vergleichender Argumentation widerspricht der amerikanische Ökonom Earl A. Thompson. Er weist darauf hin, dass der Preisverfall von Tulpen in den 1630er Jahren nicht die behauptete Änderung um rund 40 Prozent betrug, sondern 99,999 Prozent. Dass die Händler im Winter 1636/1637 bereit waren, immer höhere Geldsummen für Tulpen zu bieten, erklärt Thompson mit dem Dekret, welches die Delegierten der Händler am 24. Februar in Amsterdam verabschiedeten. Er geht davon aus, dass dieses Dokument nicht die Reaktion auf den Preissturz zu Beginn des Monats Februar gewesen sei, sondern nur der Endpunkt eines längeren Vorhabens. Die Händler hätten danach gestrebt, die Verträge im Bedarfsfall verlustlos annullieren zu können, und seien in Erwartung der Bestätigung dieses Ansinnens bereits vorfristig risikoreiche Verträge eingegangen. In seiner Deutung eröffnet das Dekret eine Ausstiegsklausel für Kaufverträge. Dem Käufer von Tulpenzwiebeln stand es frei, aus eingegangenen Verträgen auszusteigen und in diesem Fall eine Vertragsstrafe in Höhe von 3,5 Prozent des Handelswertes zu zahlen. Diese Möglichkeit habe die preistreibenden Spekulationen der Händler begünstigt, welche mit steigenden Preisen und Weiterverkaufsgewinnen rechneten, aber bei Gefahr eines Preisverfalls unter Verlust nur eines Bruchteils der Vertragssumme hätten aussteigen können. In diesem Sinne sei die Manie nur eine ökonomisch-rationale Antwort auf die Änderung rechtlicher Rahmenbedingungen. Der Preissturz wiederum sei durch Ereignisse im Dreißigjährigen Krieg hervorgerufen worden. Der Vormarsch der Schweden nach der Schlacht bei Wittstock habe die Erwartung der holländischen Händler gedämpft, deutsche Fürsten würden in den Tulpenhandel einsteigen und die überteuerten Tulpen aufkaufen. Historische Erklärung nach Anne Goldgar Die amerikanische Historikerin Anne Goldgar überprüft in ihrer Studie des sozio-ökonomischen Kontextes von Tulpenzucht und Tulpenhandel im Goldenen Zeitalter der Niederlande mehrere populäre Behauptungen zu den Umständen und Folgen der Tulpenmanie. Ihre Arbeit beruht im Wesentlichen auf der Auswertung historischer Quellen, insbesondere der erhaltenen Zeugnisse von Verkäufen und Gerichtsakten für drei Zentren des Tulpenhandels: Amsterdam, Haarlem und Enkhuizen. Zu Beginn ihrer Darstellung weist sie auf ein Problem jeder Untersuchung der Tulpenmanie hin, die damit umgehen müsse, dass sich die Dokumente über Preise, Transaktionen und beteiligte Akteure nur unvollständig erhalten haben. Die erste von ihr untersuchte Behauptung betrifft das Ausmaß der Handelsaktivitäten. Entgegen der bereits in den frühen Flugschriften und später von Mackay vertretenen Idee, die Tulpenmanie habe große Teile der Bevölkerung erfasst, vertritt Goldgar die Meinung, das Phänomen habe nur eine kleine Gruppe der Bevölkerung betroffen, vor allem wohlhabende Kaufleute und Handwerker. Die einschlägigen Berichte über wahnhaften und massenhaften Handel gingen dagegen auf zeitgenössische Propaganda und religiös motivierte Sozialkritik zurück. Insgesamt konnte sie 285 Personen identifizieren, die in Haarlem zu Beginn des 17. Jahrhunderts in den Tulpenhandel involviert gewesen waren. In Amsterdam waren es etwa 60, in Enkhuizen rund 25. In dieser kleinen Gruppe der bloemisten bzw. floristen seien weder Angehörige der obersten noch der untersten gesellschaftlichen Schichten vertreten gewesen. Der Kauf und Verkauf von Tulpen war, so behauptet sie, ein urbanes Phänomen, welches insbesondere in der dicht besiedelten Provinz Holland und dort besonders von Kaufleuten, Notaren, Ärzten, Silberschmieden, Handwerksmeistern, Schankwirten, Brauereibesitzern und Apothekern betrieben wurde. In manchen Fällen seien auch Bürgermeister, schepen (‚Schöffen‘) und Mitglieder des Ältestenrats in die Tulpengeschäfte involviert gewesen. Auch formierten sich ab Mitte der 1630er Jahre Kompanien, bei denen mehrere geldgebende und ausführende Partner zusammen auf dem Markt agierten. Sie alle hätten sich, wie den Steuerregistern zu entnehmen ist (1631 für Amsterdam sowie 1628, 1650 und 1653 für Haarlem angelegt), in der Schicht der wohlhabenden Stadtbürger befunden. Weder für die Teilnahme von den in den Pamphleten häufig genannten Webern und Schornsteinfegern noch für die Präsenz Adliger konnte Goldgar Belege ausfindig machen. Goldgar argumentiert, dass der Tulpenhandel auch während der Tulpenmanie ein Phänomen der bürgerlich-gehobenen Schichten war. Es bestehe demgemäß eine Kontinuität zwischen den , die Tulpen besonders wegen ihrer Schönheit und Seltenheit schätzten, und den bloemisten, die in den Tulpen auch Handelswaren und Wertanlagen sahen. Wie die Tulpenliebhaber seien auch die Tulpenhändler in engen familiären, religiösen (ein überproportional hoher Anteil an Mennoniten handelte mit Tulpen), örtlichen und geschäftlichen Netzwerken miteinander verbunden gewesen. Der Handel war zudem, auch dies zeigten die Dialoge im , ein geordnetes System an Verpflichtungen und Abläufen, wie sie in den Kollegs gepflegt wurden. Die Kollegs waren nicht allein die soziale Veranstaltung des Handels mit Tulpen, sondern zugleich eine moralische, wenn auch keine rechtlich bindende Autorität der Begutachtung von Tulpen und der Bewertung der Transaktionen. Die Verhandlungen in den Kollegs versteht Goldgar als Ausdruck der niederländischen discussiecultuur, die über Diskussion, Ausgleich und Verhandlung kommerzielle und soziale Probleme zu lösen versuchte. Außerdem behauptet Goldgar, dass die Händler im Umgang mit den Risiken des windhandels geübt waren. In einer auf den Seehandel orientierten niederländischen Wirtschaft waren spekulative Geschäfte üblich. So verkaufte die Niederländische Ostindien-Kompanie ihre Waren, bevor diese die Kunden erreicht hatten. Auch erfreuten sich Wetten und Lotterien großer Beliebtheit, und Tulpen wurden selbst zu Wetteinsätzen gemacht. Als Beleg für die Ernsthaftigkeit und Bedeutung des Handels mit Tulpen sieht Goldgar das Vorhaben der Generalstaaten im Sommer 1636, die Transaktionen zu besteuern. Parallel zu Überlegungen, Abgaben für andere Luxusgüter wie den Besitz einer Dienerschaft, den Genuss von Tabak oder das Kartenspiel einzuführen, sollte der Handel mit Tulpen besteuert werden. Dem üblichen Prozedere folgend, verwiesen die Generalstaaten diesen Vorschlag an die einzelnen Städte zur Diskussion, doch endete die Sitzungsperiode mit dem 7. Februar 1637 und im Mai 1637 wurde die Idee aufgrund der gesunkenen Preise wieder verworfen. Ein wichtiger Faktor für den raschen Preisverfall scheint der vertrauensbasierte Handel mit „immateriellen“ Gütern gewesen zu sein. Nicht reale Tulpenzwiebeln wurden ver- und gekauft, sondern die Option auf eine zukünftig nach einem bestimmten Muster blühende Tulpe. Eine Ursache des Preisverfalls könnte vor diesem Hintergrund das Gerücht einer Überproduktion infolge der Nachfragesteigerung gewesen sein, denn der Preis bemaß sich auch an der Seltenheit der Tulpensorte. Zweitens bestreitet Goldgar, dass die Tulpenmanie ernsthafte negative Konsequenzen für die niederländische Wirtschaft und für die einzelnen Tulpenhändler gehabt habe. Die Praxis des Tulpenhandels sah vor, dass der Kaufpreis erst fällig wurde, wenn die Tulpenzwiebel nach ihrer Blüte aus der Erde gehoben wurde. Deshalb wechselten in den Transaktionen im Winter 1636/1637 weder reale Tulpenzwiebeln noch Geldmengen ihre Besitzer. Wenn in der Folge der sinkenden Preise die beiden Handelsparteien sich deshalb auf eine Annullierung des Kaufes einigten, so erlitt niemand ernsthaften finanziellen Schaden. Die Verkäufer konnten ihre Tulpen zwar nicht für den erhofften Preis absetzen, gerieten im Prinzip aber nur dann in Schwierigkeiten, wenn sie die zu erwartenden Einnahmen bereits vorfristig für anderen Zwecke als Kredit eingesetzt hatten. Die Käufer wiederum konnten zwar nicht auf einen Weiterverkauf mit Gewinn hoffen, doch kamen sie, wenn eine Strafzahlung fällig wurde, mit einem vergleichsweise geringen Verlust aus dem Geschäft. In den Ketten von Käufern und Verkäufern musste wiederum nur derjenige Verluste hinnehmen, der die Tulpe auch real besaß. In der längsten dieser Ketten, in denen eine Tulpenzwiebel in einer Pflanzperiode weiterverkauft wurde, zählt Goldgar insgesamt fünf Beteiligte. Was den behaupteten Bankrott zahlreicher Händler angeht, so findet Goldgar nur vereinzelt Hinweise auf derartige Konsequenzen. Im Falle des Malers Jan van Goyen, der bei seinen Tulpengeschäften 894 Gulden verlor, zeigt Goldgar, dass dieser mehr Verluste durch die Spekulation mit Grundstücken als durch den Handel mit Tulpen erlitten habe. Zudem habe der Einbruch der Tulpenpreise für die Niederlande keinen wirtschaftlichen Abschwung bedeutet. Insgesamt betrachtet wuchs die Wirtschaft stetig bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Die nachweislichen kürzeren Phasen wirtschaftlichen Abschwungs hätten in den frühen 1620er Jahren und zwischen 1626 und 1631 stattgefunden, nicht aber in der Folge der Tulpenmanie nach 1637. Die Tulpenmanie sei daher weniger eine finanzielle Krise, sondern eine kulturelle Krise gewesen, in der das Zutrauen in den Markt, in die Zahlungssicherheit und in den vertrauensbasierten Handel erschüttert wurde. Ein anschaulicher Beleg dafür ist, dass der berühmte Arzt Nicolaes Tulp, der sich zuvor nach der umschwärmten Blume benannt hatte, nach dem Einsturz der Preise das Tulpenbild von seinem Haus an der Keizersgracht in Amsterdam entfernte. Für strenge Calvinisten wie ihn verletzte der Tulpenrausch in schockierender Weise die humanistische Tradition des Maßhaltens. Rezeption in der Kunst und Literatur Der aus den Fugen geratene Tulpenhandel wurde unmittelbar künstlerisch verarbeitet. Der Kupferstich von Crispin van der Passe d. J. enthält eine moralisierende Kritik, die zur Deutung der Tulpenmanie als Phase zügelloser Spekulationssucht wesentlich beigetragen hat. Den Tulpen, die die Göttin Flora auf einem Segelwagen trägt, sind Namen von Tulpensorten beigegeben, die stellvertretend für die Kostbarkeit der gehandelten Blumen stehen: Semper Augustus, Generael Bol und Admirael van(n) Horn. Die Bürger, die dem Wagen nachrennen, rufen: Wy willen mee vaeren (‚Wir wollen mitfahren‘). Ein Affe, der sich an den Mast klammert, beschmutzt Flora, die in manchen Schmähschriften als Bloemenhoertje (‚Blumenhure‘) bezeichnet wurde. Der Wagen selbst steuert auf die Laetus vloet, die Flut des Vergessens, zu. Am Strand versucht ein Bauer (Santvorder Boer, ein Bauer aus Zandvoort), den Schout, also den Schulzen, auf die Katastrophe hinzuweisen. Die Wappen am Wagen können möglicherweise in Zusammenhang mit bestimmten Schankhäusern gebracht werden, da die angegebenen Bezeichnungen wie Witte Wambuis oder Bastart Pyp typische Namen für solche Örtlichkeiten waren. In den vier Darstellungen in den Ecken des Stiches wiederum werden Szenen aus dem Tulpenhandel gezeigt: Links oben ein Tulpenbeet mit einem Käufer, rechts oben die Compariti der Bloemisten, unten links nochmals eine Handelsszene im Wirtshaus. Rechts unten ist das abrupte Ende der Spekulationen illustriert. („Wenn die Tat der Narren geschehen ist, wird weiser Rat gesucht“). Die Händler sitzen und stehen in Konfusion aufgelöst, während ein Handwerker am rechten Bildrand bemerkt: Wie hat dat gemeent („Wer hätte das gedacht“). Bekannter noch als der Kupferstich von Crispin van der Passe d. J. ist das auf dieser Vorlage um 1640 von Hendrik Gerritz Pot gemalte satirische Bild von Floras Narrenwagen (Flora’s Mallewagen, Frans-Hals-Museum, Haarlem). Abgebildet ist auch hier ein Segelwagen, in dem Flora mit Tulpensträußen in der Hand sitzt. Ihr zu Füßen sieht man eine trinkende Figur mit Narrenkappe, die Leckebaerd (Schleckmaul, Leckerbeck) genannt wird und die Völlerei symbolisiert. Diesem Bildmuster nach versammelt der Wagen noch weitere Laster. So heißt der mit einer tulpengeschmückten Narrenkappe versehene Mann Liegwagen (das Lügenmaul), der ältere Mann mit der Stockbörse und der Uhr wird als Graegreich (Gernereich) gedeutet, die Frau mit der Waage in der Hand ist die Vergaer al (Häufe an) und die Figur mit den zwei Gesichtern, die vorne auf dem Wagen sitzt, ist die Ydel Hope (Eitle Hoffnung). Sie streckt die Hand nach einem Vogel aus, der Ydel Hope ontflogen (Entflogenen eitlen Hoffnung). Im linken Hintergrund des Bildes ist Haarlem mit der Kirche St. Bavo zu sehen, während im Bildvordergrund ein Webstuhl und ein Gesetzbuch mit Füßen getreten werden. Im rechten Hintergrund sieht man bereits das Schicksal des Gefährts und seiner Insassen: Unlenkbar geworden stürzt es ins Meer. Noch deutlicher wird der Bezug zwischen Narrentum und Tulpenspekulation in dem Stich Florae’s Gecks-kap von Cornelis Danckerts. Es zeigt eine überdimensionierte Narrenkappe, in der ein Wirtshaus Raum gefunden hat, in welchem eine Tulpenauktion im Gange ist. Die Waage auf dem Tisch scheint zum Abwiegen der Tulpen zu dienen. Hinter der Kappe wird Flora, auf einem Esel sitzend, von einer wütenden Menge bedrängt. Im Vordergrund links und rechts werden die verblühten Tulpen zum Abfall gebracht. Der lachende Dritte ist der Wirt, der an den handelnden Tulpenliebhabern und Spekulanten verdient hat. Der Teufel im linken Bildhintergrund hält an einer Angelrute die Narrenkappe und als Köder einen Stapel von Einschreibungen für die Tulpenversteigerung. Wiederum anders geht Jan Brueghel der Jüngere das Thema an. Seine Persiflage auf die Tulpomanie (2. Viertel 17. Jahrhundert, Frans-Hals-Museum, Haarlem) stellt in mehreren narrativen Einzelszenen Affen in Menschenkleidern dar. In ihren Rollen als Tulpenmakler und Tulpenkäufer verweisen sie auf den Irrwitz des Tulpenhandels. So sieht der Betrachter ein Festmahl, mit dem potentielle Käufer amüsiert werden sollten, sowie die verschiedenen Stadien des Handels bis zur Verzweiflung der ruinierten Käufer. In der Preisliste, die einer der Affen im Vordergrund studiert, ist unter anderem zu lesen: „Preis von / Blumen / viceroy 300 / asen 1500“. Der Name der Tulpensorte Viceroy, die 4.600 Gulden bei einer Versteigerung 1637 einbrachte, findet sich auch im Giebelstein der Herberge wieder. Zudem sind Affen dargestellt, die das Gewicht von Tulpenzwiebeln prüfen; ein Affe wird von seiner Frau verprügelt, weil er das Geld für die teuren Tulpenzwiebeln vergeudet hat, ein anderer wird von Wegelagerern überfallen, ausgeraubt und getötet. Eine zweite Version aus einer österreichischen Privatsammlung (Allegorie der Tulipomanie) wurde 2011 im Wiener Auktionshaus Im Kinsky um insgesamt 92.500 Euro versteigert. 1966 wurde Otto Rombachs Roman verfilmt: Adrian der Tulpendieb war einer der ersten Fernsehfilme, die in Farbe ausgestrahlt wurden. Der Knecht Adrian gaunert sich durch die Tulpenmanie, wird reich und wieder bettelarm. In jüngerer Zeit wurde die Tulpenmanie insbesondere als historischer Hintergrund von Erzählungen genutzt. Deborah Moggachs Buch Tulpenfieber (2001) erzählt von der unglücklichen Liebe zwischen einem Maler und seinem Modell und von dem riskanten Versuch, durch den Erwerb einer Semper Augustus zu Reichtum zu kommen (siehe auch Tulpenfieber (Film)). Zur Zeit der Tulpenmanie spielen auch Enie van Aanthuis’ Roman Die Tulpenkönigin (2007), in welchem einem Waisenkind Tulpenzwiebeln vermacht werden und sie diese Erbschaft nutzt, um als Tulpenhändlerin reich zu werden, und Olivier Bleys’ Werk Semper Augustus (2007) über die skrupellosen Machenschaften eines Tulpenhändlers. Die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg zeigt vom 8. April bis zum 8. Juli 2022 die Ausstellung Tulpenschau im Gartenbau. Historische Zeugnisse der Tulpomanie in Augsburg, zu der ein umfangreicher Katalog erschienen ist. Literatur Populärwissenschaftliche Überblicke Wilfrid Blunt: Tulipomania (= King Penguin Books. 44). Penguin Books, Harmondsworth/London 1950. Wilfrid Blunt: Tulips and Tulipomania. The Basilisk Press, London 1977. Mike Dash: . Gollancz, London 1999, ISBN 0-575-06723-3. Deutsche Ausgabe: Tulpenwahn. Die verrückteste Spekulation der Geschichte. Claassen Verlag, München 1999, ISBN 3-546-00177-X. Zbigniew Herbert: Der Tulpen bitterer Duft (= Insel-Bücherei. 1215). Insel Verlag, Frankfurt/Main, Leipzig 2001, ISBN 3-458-19215-8. Charles Mackay: Memoirs of Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds. Richard Bentley, London 1841. Abgerufen am 25. November 2010 (Auch als E-Book bei Project Gutenberg, abgerufen am 20. November 2010). Anna Pavord: The Tulip. Bloomsbury, London 1999 (Paperback 2004), ISBN 0-7475-7190-2. Deutsche Ausgabe: Die Tulpe. Eine Kulturgeschichte. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-458-34581-7. Wissenschaftliche Untersuchungen Douglas E. French: The Dutch Monetary Environment During Tulipomania. In: The Quarterly Journal of Austrian Economics Band 9, Nummer 1, 2006, S. 3–14, . Douglas E. French: . Ludwig von Mises Institute, Auburn 2009, ISBN 978-1-933550-44-2. John Kenneth Galbraith: . Penguin Books, New York 1990, ISBN 0-670-85028-4. Peter M. Garber: Tulipmania. In: Journal of Political Economy Band 97, Nummer 3, 1989, S. 535–560, . Peter M. Garber: Famous First Bubbles. In: The Journal of Economic Perspectives, 4 (2), 1990, S. 35–54, . Peter M. Garber: . MIT Press, Cambridge 2000, ISBN 0-262-07204-1. André van der Goes (Hrsg.): Tulpomanie. Die Tulpe in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts. Uitgeverij Waanders, Zwolle 2004, ISBN 90-400-8840-3 (anlässlich der Ausstellung in Dresden 2004). Anne Goldgar: . University of Chicago Press, Chicago/London 2007, ISBN 978-0-226-30125-9. Charles P. Kindleberger und Robert Aliber: . 5. Auflage. Wiley, Hoboken 2005, ISBN 978-0-471-46714-4. Ernst H. Krelage: . In: Economisch-Historisch Jaarboek. Band 22, 1943, S. 38. Ernst H. Krelage: Bloemenspeculatie in Nederland. P.N. van Kampen & Zoon, Amsterdam 1942. Ernst H. Krelage: De Pamfletten van den Tulpenwindhandel 1636–1637. Martinus Nijhoff, Den Haag 1942. Ernst H. Krelage: Drie Eeuwen Bloembollenexport. Rijksuitgeverij, Den Haag 1946. Nicolaas Wilhelmus Posthumus: De Speculatie in Tulpen in de Jaren 1636 en 1637. In: Economisch-Historisch Jaarboek Band 12, 1926, S. 3–99. Nicolaas Wilhelmus Posthumus: The Tulip Mania in Holland in the Years 1636 and 1637. In: Journal of Economic and Business History Band 1, Nummer 3, 1929, S. 434–466. Simon Schama: . Alfred A. Knopf, New York 1987, ISBN 0-394-51075-5. Pascal Schwaighofer, Jan Verwoert: Tulipmania, Edition Fink, Zürich © Mai 2016, ISBN 978-3-037-46194-5 (Based on a conversation between Pascal Schwaighofer and Jan Verwoert, Le Foyer, Zurich, 3. July 2014). Robert J. Shiller: Irrational Exuberance. 2. Auflage. Princeton University Press, Princeton 2005, ISBN 0-691-12335-7. Earl A. Thompson: In: Public Choice. Band 130, Nummer 1/2, 2007, S. 99–114, . Belletristische Werke Susanne Thomas: In Zeiten des Tulpenwahns. Ruhland-Verlag, Bad Soden 2021, ISBN 978-3-88509-166-0. Enie van Aanthuis: Die Tulpenkönigin. Ein historischer Roman. Rowohlt, Hamburg 2007, ISBN 978-3-499-24363-9. Olivier Bleys: Semper Augustus. Gallimard, Paris 2007, ISBN 978-2-07-077555-2. Gijs Ijlander: Stilleben mit Tulpen. Luchterhand, München 2000, ISBN 3-630-87066-X. Heinrich Eduard Jacob: Der Tulpenfrevel. Ein Schauspiel in fünf Akten. Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1920. Uraufführung: 31. Mai 1921 am Nationaltheater Mannheim. Gregory Maguire: . William Morrow, New York 1999, ISBN 0-06-039282-7. Deutsche Ausgabe: Das Tulpenhaus oder Bekenntnisse einer häßlichen Stiefschwester. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000, ISBN 3-423-24230-2. Deborah Moggach: Tulip Fever. Vintage Book, New York 2000, ISBN 978-0-09-928885-5. Deutsche Ausgabe: Tulpenfieber. Droemer Knaur, München 2001, ISBN 978-3-426-61817-2. – Ebenfalls 1936 erschien die Ausgabe: . Zahlreiche Neuausgaben, beispielsweise: Adrian der Tulpendieb. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1990, ISBN 3-423-01329-X. Zur Verfilmung von 1966 siehe Adrian der Tulpendieb. Weblinks , Manuskript zu einer Sendung des Süddeutschen Rundfunks vom 30. Juni 1998, Version vom 14. Juli 2007. Pieter Cos: . Haarlem 1637. (Originales Tulpenbuch, online verfügbar über das Wageningen Tulip Portal, abgerufen am 25. November 2010) Norton Simon Tulpenbuch, online verfügbare Version eines Tulpenbuchs aus dem Besitz des Norton Simon Museums, Pasadena, abgerufen am 26. November 2010. Vorlesung von Prof. Dr. Jenks über geschichtliche Spekulationsblasen (u. a. die Tulpenmanie) Einzelnachweise Gartenbauwirtschaft Spekulationsblase 1630er Gartenbaugeschichte Kulturgeschichte (Niederlande)
1168
https://de.wikipedia.org/wiki/Discofox
Discofox
Discofox ist ein Gesellschaftstanz, der paarweise getanzt wird. Entstehung Der Discofox ging aus dem Foxtrott hervor, als Mitte der 70er Jahre frei improvisierende Discotänzer zur Tanzhaltung zurückkehrten und den klassischen Foxtrott um Elemente anderer Tänze wie Two-Step, Boogie Woogie, Swing, Mambo, Salsa und Cha-Cha-Cha bereicherten. Dabei entstand in den USA der Hustle und in Europa der Discofox, der 1979 in das Welttanzprogramm aufgenommen wurde. Erste Turniere wurden Ende der 1980er Jahre in der Schweiz ausgetragen. 1992 fand die erste Discofox-Weltmeisterschaft in Basel statt, organisiert wurde sie von der International Dance Organization. Erst acht Jahre später folgte die zweite Weltmeisterschaft in Miami, seitdem werden Europa- und Weltmeisterschaften jährlich durchgeführt. Während die raumgreifenden klassischen Tänze einen größeren Saal benötigen, ist der Discofox auf Grund seiner Entstehungsgeschichte nahezu auf der Stelle und damit auch auf dem zumeist begrenzten Flächenangebot einer Diskothek tanzbar. Die IDO führt den Discofox auch als Disco Hustle, Swing Fox oder Disco Swing. Technik Der Discofox ist eine Fusion vieler verschiedener Elemente aus anderen Tänzen, weshalb er keine eigenen technischen Elemente entwickelt hat, sondern aus denen anderer Tänze besteht. So kombiniert er die aus dem Foxtrott abgeleiteten Schrittmuster mit der klassischen Tanzhaltung, der Improvisationsfreiheit des Swing, den Drehtechniken der lateinamerikanischen Tänze, den Wickelfiguren der Salsa und den akrobatischen Figuren des Rock ’n’ Roll und Boogie Woogie. Rhythmus und Musik Der Discofox basiert auf dem Viervierteltakt, wobei jedoch der Takt nicht als ganzes, sondern die Beats (engl. „Taktschläge“) einzeln gezählt werden. Im Discofox und dem eng verwandten amerikanischen Three Count Hustle umfasst ein Grundschritt drei Schläge, in anderen Stilrichtungen wie z. B. dem American Hustle sechs Schläge. Es gibt im Discofox wie auch im Hustle zwei verschiedene Grundschritte: einen 3er-Schritt, d. h. auf drei Schläge fallen zwei Schritte und ein Tap, wie auch einen 4er-Schritt, d. h. auf drei Schläge fallen vier Schritte: Takt: 1 . 2 . 3 . 4 . 1 . 2 . 3 . 4 . ------------------------------------------------------ 3er-Schritt: |X X t |X X t |X ... 4er-Schritt (1 2&3): |X X x X |X X x X |X ... 4er-Schritt (1 2a3): |X X xX |X X xX |X ... 4er-Schritt (1 2 3&): |X X X x|X X X x|X ... Legende: X = Schritt (belastet), x = Stützschritt, t = Tap (unbelastet), | ... | = ein Grundschritt. Der American Hustle verbindet beide Grundschritte, begonnen wird meist mit Tap. Als Musik eignet sich prinzipiell jede Form der Tanzmusik mit regelmäßigem 4/4-Rhythmus und einer Geschwindigkeit von rund 30 TPM bzw. 120 BPM. Insbesondere wird aktuelle Tanzmusik der Discos, d. h. Euro Disco und Eurodance, aber auch Spielarten des Techno, verwendet. Stilrichtungen Der Discofox ist in mehrere Stilrichtungen aufgeteilt: Der klassische Stil, in dem Figuren nur im Grundschritt (Vier-Schritt-Technik und/oder „eins-zwei-tap“) getanzt werden Diese Stilart wurde seit etwa 1991 häufig mit Mehrfachdrehungen über mehrere Taktschläge oder über &1&2&3… erweitert. Mit dem Abdriften des Discofox aus den Discotheken in den Vereins-/Verbandsbereich als Turniertanz wurden weitergehende Akrobatik und halbakrobatische Figuren eingeführt. Stilrichtungen im Discofox sind teilweise regions- und tanzlehrerabhängig, Namen wie Rockfox, Carree, Rockswing, Discoswing, Swingfox weisen teilweise auf geringfügige Stylingvariationen hin. Der Hustle hat sich seit seiner Entstehung in die folgenden Stilrichtungen aufgespalten: New York Hustle Three Count Hustle Latin Hustle Rope Hustle Street Hustle Double Hustle Line Hustle (Gruppentanz) Die Stile unterscheiden sich hauptsächlich in den Zählweisen. Einige Stile zeichnen sich durch besonderen Einsatz von Spaßelementen aus, so z. B. der Rope Hustle, bei dem die Tanzpartner durch ein Seil verbunden sind. Am verbreitetsten sind New York und Three Count Hustle; beide orientieren sich stark am Urstil des Hustle, wie er 1977 durch den Film Saturday Night Fever bekannt wurde. Verbreitung Der Discofox ist einer der der populärste Paartänze in der Schweiz, Österreich, Deutschland und Südtirol, was u. a. an seiner technischen Unkompliziertheit und an seiner Vielseitigkeit liegt. Man kann ihn zu einem breiten Spektrum an Musikstilen und -tempi tanzen. Weniger verbreitet ist er in Australien (Ceroc), Frankreich, Russland (Disco Hustle) und Schweden. Die Schweiz war seit Ende der 1990er Jahre bis etwa 2005 weltweit die erfolgreichste Discofox-Nation. So gingen fast alle Europa- und Weltmeistertitel dieser Jahre in die Schweiz. Discofox als Turniertanz Der Discofox wird in der IDO international als Turniertanz geführt. Die nationalen Discofox-Verbände im deutschsprachigen Raum sind in Österreich der ÖTF (Österreichische Tanz Federation), in Deutschland der TAF (The Actiondance Federation). Grundschrittausführung Körperhaltung Für den Grundschritt stehen sich beide Tanzpartner nah gegenüber. Die Füße stehen parallel zum Partner, der Körper steht aufrecht. Um die Erklärung einfach zu halten, werden die Tanzpartner „Herr“ und „Dame“ genannt, wobei der Herr führt. Handhaltung Die Handhaltung beim Discofox ähnelt der der Standardtänze; die linke Hand des Herrn hält die rechte Hand der Dame (führende Hände) in bequemer Haltung etwa in Schulterhöhe. Der Herr legt seine rechte Hand flach zwischen Schulterblatt und Hüfte der Dame, während ihre linke Hand auf dem Oberarm des Herrn ruht. Schritte Beim verbreiteten 3er-Schritt bewegen sich beide Tanzpartner wie folgt: Der Herr geht mit seinem linken Fuß einen kleinen Schritt vor, während die Dame gleichzeitig mit ihrem rechten Fuß einen Schritt zurück macht. Der Herr geht mit seinem rechten Fuß einen kleinen Schritt vor, während die Dame gleichzeitig mit ihrem linken Fuß einen Schritt zurück macht. Der Herr tippt mit der Fußspitze seines linken Fußes parallel links neben die Fußspitze seines rechten Fußes, während die Dame gleichzeitig mit der Fußspitze ihres rechten Fußes parallel rechts neben die Fußspitze ihres linken Fußes tippt. Das Knie des sich bewegenden Beins bleibt angewinkelt, da dieser Schritt beim nächsten Bewegungsschritt gleich wieder zurückgenommen wird. Der Herr macht mit seinem linken Fuß einen Schritt zurück, während die Dame gleichzeitig mit ihrem rechten Fuß einen Schritt vor geht. Der Herr macht mit seinem rechten Fuß einen Schritt zurück, während die Dame gleichzeitig mit ihrem linken Fuß einen Schritt vor geht. Der Herr tippt mit der Fußspitze seines linken Fußes parallel links neben die Fußspitze seines rechten Fußes, während die Dame gleichzeitig mit der Fußspitze ihres rechten Fußes parallel rechts neben die Fußspitze ihres linken Fußes tippt. Das Knie des sich bewegenden Beins bleibt angewinkelt, da dieser Schritt beim nächsten Bewegungsschritt gleich wieder zurückgenommen wird. Der nächste Schritt beginnt ohne Pause wieder bei Schritt 1, sodass eine nahtlose Tanzfolge entsteht. Weblinks Geschichte des Discofox Einzelnachweise Gesellschaftstanz Paartanz
1171
https://de.wikipedia.org/wiki/DB
DB
DB steht für: Präfix für Flughäfen in Benin nach dem ICAO-Code Brit Air, französische Fluggesellschaft nach dem IATA-Code Daimler-Benz, ehemaliger Name des deutschen Automobilherstellers Daimler AG Datenbank, logisch zusammengehöriger Datenbestand D. Bamberger, ehem. Unternehmen in Mitwitz und Lichtenfels, Oberfranken Deckungsbeitrag in der Betriebswirtschaftslehre Defensive Back, Spielposition im American Football Demokracja Bezpośrednia, Partei in Polen Demokratischer Block, Vereinigung politischer Parteien und Organisationen in der DDR Der Betrieb, juristische Fachzeitschrift Deutsch & Bonnet, ehemaliger französischer Automobilhersteller Deutsche Bahn, größtes deutsches Eisenbahnunternehmen, im Staatsbesitz stehend Deutsche Bank, größtes deutsches Kreditinstitut Deutsche Bibliothek (veraltet), Standort der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt Deutsche Biographie, biografische Datenbank (einschließlich ADB & NDB) Deutsche Bücherei (veraltet), Standort der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig Deutsche Bundesbahn, Staatsbahn der Bundesrepublik Deutschland, Vorläuferin der Deutschen Bahn Deutsche Burschenschaft, Dachverband deutscher und österreichischer Burschenschaften Deutschtumsbund zur Wahrung der Minderheitenrechte, polnische Partei Deuxième Bureau, früherer französischer Geheimdienst Dienstbüchlein, spezieller Ausweis der Schweizer Armee Dienstplan, Instrument zur Einsatzplanung von Arbeitskraft Dniester Bahn, frühere österreichische Eisenbahngesellschaft Dragon Ball, Manga-Serie des japanischen Zeichners Akira Toriyama Drahtbericht, veraltete Bezeichnung für verschlüsselte Telegramme zur Übermittlung geheimer diplomatischer Nachrichten im Wirkungsbereich des Auswärtigen Amts Duesen Bayern, japanische Automobilmarke mit Sitz in Nagoya Durchführungsbestimmung, Vorschrift in der Gesetzgebung zur Durchführung höherrangiger Rechtsvorschrift Kürzel für stationäre Phasen in der Gaschromatographie DB (Inschrift), „D(areios’s I, aus) B(isotun)“ (Inschrift von Dareios I.) Unterscheidungszeichen auf Kfz-Kennzeichen: Deutschland: Deutsche Bundesbahn (nicht mehr gültig) Großbritannien: Chester Moldau: Rajon Dubăsari Niederlande: Mofas und Mopeds Norwegen: Oslo Polen: Powiat Wałbrzyski in der Woiwodschaft Niederschlesien, früher Wałbrzych Rumänien: Kreis Dâmbovița Schweden: Diplomatenkennzeichen für den Senegal D&B steht für: D & B, Markenname des ehemaligen französischen Automobilherstellers Compagnie des Automobiles David et Bourgeois Drum and Bass, Richtung der elektronischen Tanzmusik Dun & Bradstreet, der größte Dienstleister für Business-to-Business-Wirtschaftsinformationen der Welt, Firmensitz in Short Hills, US-Bundesstaat New Jersey d&b steht für: d&b audiotechnik, ein Hersteller von PA-Anlagen Db steht für: Dubnium, ein chemisches Element São-toméischer Dobra, Währung in São Tomé und Príncipe Dolderbahn, Zahnradbahn in Zürich dB steht für: Dezibel, Einheit für logarithmische Größen wie Schalldruckpegel, Spannungspegel usw., siehe Bel (Einheit) db steht für: Deutsche Bauzeitung (heute db deutsche bauzeitung), Deutschlands älteste Architektur-Fachzeitschrift Deziban, heute nicht mehr gebräuchliche Einheit für den Informationsgehalt, siehe Ban (Einheit) Dateiendung *.db, siehe Paradox (Datenbank) Siehe auch: DB
1172
https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie
Demokratie
Demokratie (von Volksherrschaft) ist ein Begriff für Formen der Herrschaftsorganisation auf der Grundlage der Partizipation bzw. Teilhabe aller an der politischen Willensbildung. Es handelt sich um einen zentralen Begriff der Politikwissenschaft, der ursprünglich aus der Staatsformenlehre stammt und in der Demokratietheorie erörtert wird. Die erste begriffliche Erwähnung findet sich bezogen auf die Attische Demokratie bei Herodot. Ideengeschichtlich wegweisend für den Begriff war die Definition der Politie bei Aristoteles. Eine schlagwortartige Beschreibung aus der Moderne liefert Abraham Lincolns Gettysburg-Formel von 1863: „Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk“. Zur liberalen Demokratie, wie sie sich nach westlichen Mustern herausgebildet hat, gehören allgemeine, freie und geheime Wahlen, die Aufteilung der Staatsgewalt bei Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung auf voneinander unabhängige Organe (Gewaltenteilung) sowie die Garantie der Grundrechte. In einer repräsentativen Demokratie, in der gewählte Repräsentanten zentrale politische Entscheidungen treffen, haben oft Parteien maßgeblichen Anteil an der politischen Willensbildung und an der durch Wahlen legitimierten Regierung. Die Opposition ist fester Bestandteil eines solchen demokratischen Systems, zu dem auch die freie Meinungsäußerung samt Pressefreiheit, die Möglichkeit friedlicher Regierungswechsel und der Minderheitenschutz gehören. In einer direkten Demokratie trifft das Stimmvolk politische Entscheidungen direkt. Je nach zugrundeliegendem Demokratiebegriff gibt es jedoch unterschiedliche Kriterien dafür, wann ein Staat als Demokratie gilt. Neben und auch statt der bereits genannten Begriffe werden so z. B. Volkssouveränität, Mehrheitsherrschaft, verfassungsmäßige Ordnung, allgemeine Wohlfahrt, Pluralismus, Rechts- und Sozialstaatlichkeit, Schutz des Privateigentums etc. genannt. Daher unterscheiden sich die unter der Bezeichnung „Demokratie“ in Vergangenheit und Gegenwart registrierten politischen Systeme. Forderungen nach demokratischen Strukturen beziehen sich nicht nur auf die gesamtstaatliche Ebene. Sie werden auch für Teilbereiche des organisierten Gesellschaftslebens wie Institutionen, Verbände, Vereine oder auch das Wirtschaftsleben erhoben. Gemäß Demokratieindex von 2021, einer Form der Demokratiemessung gemäß besagtem westlichem Muster, leben nur 6,4 % der Weltbevölkerung in „vollständigen Demokratien“, weitere 39,3 % in „unvollständigen Demokratien“, hingegen 17,2 % in teildemokratischen Systemen und 37,1 % in Autokratien. Definition der Demokratie Aus der ursprünglichen Wortbedeutung von Demokratie (Macht oder Herrschaft des Volkes) abgeleitet und um das Objekt der Herrschaftsausübung logisch erweitert folgert Giovanni Sartori: „Demokratie ist die Macht des Volkes über das Volk.“ Dabei zu beachten sei, dass die vom Volk nach oben ausgehende Macht – wiederum durch die Kontrolle des Volkes – auch die Machtausübung nach unten bestimme. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Herrschaft über das Volk mit der Herrschaft des Volkes nichts zu tun habe. „Wer Macht delegiert, kann sie auch verlieren; Wahlen sind nicht notwendig frei; und die Repräsentation ist nicht unbedingt eine echte.“ Historisch veränderlich und umstritten war und ist, wer als dem „Volk“ zugehörig definiert wird und wie es seinen Willen bekunden könne. Der österreichisch-amerikanische Politikwissenschaftler Kurt Leo Shell nennt als Minimaldefinition für Demokratie ein System, das allen Staatsbürgern von einem bestimmten Alter an das gleiche Recht zubilligt, an den sie alle betreffenden Gesetzen zumindest indirekt zu partizipieren und ihren Willen ohne rechtliche Diskriminierung oder Unterdrückung zu bilden und auszudrücken. Der in Athen im 5. Jahrhundert v. Chr. entwickelte Begriff der Demokratie hat nur noch wenig Ähnlichkeit mit der heutigen Verwendung des Begriffs. Als markantesten Gegensatz zur Demokratie und geradezu als ihr Gegenteil bezeichnet Sartori die Autokratie. Dieser Abgrenzung gemäß ist Demokratie ein System nach dem Grundsatz, dass niemand sich selbst zum Herrscher erklären kann, niemand die Macht unwiderruflich im eigenen Namen innehaben kann. Für Samuel Salzborn liegt es im Wesen der Demokratie selbst, sich einer verbindlichen, konsensfähigen Definition zu entziehen. Was die Demokratie kennzeichne, müsse umstritten sein, weil es zum demokratischen Prozess gehöre, Interessenkonflikte zu organisieren und ihnen zur Artikulation zu verhelfen. In Anlehnung an Gunnar Folke Schuppert bezeichnet Salzborn Demokratie als „ein Verfahren der Legitimation, der Kontrolle und der Kritik politischer Herrschaft“. Im Unterschied zu einer vor allem auf normative Aspekte orientierten statischen Definition lasse sich so der funktionale Charakter von Demokratie fassen, und zwar vor allem durch eine negative Bestimmung im Verhältnis zur organisierten Herrschaft. „Demokratie fordert die Legitimation (ohne bereits genau zu bestimmen durch wen, von wem und auf welche Weise), sie fordert die Kontrolle (ebenfalls ohne eine substanzielle Erklärung darüber, wie und auf welche Weise) und sie zielt auf die Kritik von politischer Herrschaft – als dauerhaften und unabgeschlossenen Prozess.“ Ursprung der Demokratie Der Ausdruck Demokratie ist auf zurückzuführen, ein Kompositum aus ‚Volk‘ und ‚Kraft; Macht; Herrschaft‘. Die Endung -kratia bezeichnet dabei, anders als Wörter mit der Endung -archie, nicht die Zahl der jeweils Herrschenden, denen ein Amtsmonopol attestiert wird, sondern die Qualität des Regierungsprinzips. Die erste Erwähnung der Bezeichnung Demokratie findet sich bei Herodot um 430 v. Chr., als die so bezeichnete Herrschaftsform bereits mehrere Jahrzehnte praktiziert worden war. Zur Demokratie hinleitende Begriffe im Vorfeld waren die mit den Kleisthenischen Reformen in Verbindung stehenden Isonomie (), Isegorie () und Isokratie (). In der ursprünglichen Bedeutung ist Demokratie laut Giovanni Sartori „die Regierung oder Macht des Volkes“. Demos stand dabei für die Gemeinschaft, die in der Volksversammlung zusammentrat. Herodot lässt Otanes die Vorzüge dieser Herrschaft der Vielen wiedergeben: die Amtsbesetzung durch Losverfahren, die Rechenschaftspflicht der Amtsträger, die Vorlage aller Beschlüsse vor der Gesamtheit, die Rechtsgleichheit für alle und die Verwerfung jeder Willkürmacht. Doch umfasste der Demos in einer griechischen Polis nur die freien Männer, die an der Ekklesia, der Volksversammlung, teilnahmen, nicht also Frauen, Sklaven und Metöken. Bedeutungswandel Bis ins späte 18. Jahrhundert stand Demokratie schwerpunktmäßig für die ursprüngliche Bedeutung eines Gemeinwesens, das sich unter Einbeziehung breiter Kreise seiner Bevölkerung selbst regiert. Unter Bezugnahme auf die attische Demokratie wurde Demokratie in diesem Verständnis mit Chaos, Despotismus der Massen und Demagogie assoziiert. Erst in den Jahren 1780 bis 1800 trat der Begriff Demokratie aus der Gelehrtensprache heraus, die heutigen Wortbedeutungen entwickelten sich, er wurde als politischer Begriff allgemein verwendet und war jahrzehntelang heftig umkämpft. Noch in den 1780er Jahren lehnten die Gründerväter der Vereinigten Staaten in den Federalist Papers die „Demokratie“ klar ab und befürworteten eine Republik mit gewählten Repräsentanten. Auch im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und in der Französischen Revolution ging es laut Hans Vorländer noch viel eher um die Republik als um die Demokratie. „So bestand die Ironie der Geschichte des Demokratiebegriffs darin, dass eigentlich von der Demokratie nicht die Rede war, als es darum ging, die moderne Demokratie zu etablieren. Vielmehr war, in Frankreich genauso wie in Nordamerika oder in Deutschland, von der Republik die Rede, wenn die neue Form der repräsentativen Demokratie gemeint war.“ Unter Republik wurde im 18. Jahrhundert allgemein ein Gemeinwesen verstanden, in dem die Gesetze herrschten, ein gutes Regiment als Antonym zum zunehmend kritisierten Despotismus. Der Demokratiebegriff wurde in den revolutionären Auseinandersetzungen von der Staatsformbedeutung zum Teil gelöst und zu einem „Tendenz- und Bewegungsbegriff“ sozialer und politischer Kräfte. In der Folge entstand dementsprechend das Verb demokratisieren. Alexis de Tocqueville veröffentlichte 1835 sein bis heute wichtiges Werk Über die Demokratie in Amerika, stellte jedoch später fest: „Es ist unser Gebrauch der Wörter ‚Demokratie‘ und ‚demokratische Regierung‘, der zu größter Verwirrung führt. Solange diese Wörter nicht einvernehmlich klar definiert sind, leben die Menschen in einem unbehebbaren Gedankenwirrwarr, sehr zum Vorteil von Demagogen und Despoten.“ Derselbe Begriff Demokratie bezeichnet seitdem viele völlig unterschiedliche Herrschaftsformen. Der norwegische Philosoph Arne Næss dokumentierte 1956 zweihundert verschiedene Definitionen. Laut dem schwedischen Politikwissenschaftler Ludvik Bergman hat Demokratie in der Hauptsache vier Bedeutungen: ein politisches System ein Ideal kollektiver Selbstregierung eine Vorbedingung für Legitimität bzw. ein Erfordernis für Gerechtigkeit als normative Prinzipien eine Lebensform, die auf gegenseitigem Respekt und der Selbstverpflichtung zu friedlicher Zusammenarbeit (John Dewey) basiert bzw. das Ethos, das in einer egalitären Gesellschaft vorherrscht (Alexis de Tocqueville). Moderne Demokratie Demokratie ist zum Oberbegriff vieler politischer Systeme geworden, die sich von der klassischen Demokratie der Antike zumeist stark unterscheiden. Als vieldeutig und widerspruchsvoll erscheint bei Waldemar Besson und Gotthard Jasper, was weltweit als Demokratie und als demokratisch ausgegeben wird. Die Verwirrung beruhe teils darauf, dass Demokratiedefinitionen aus verschiedenen Zeiten und Gesellschaftsordnungen unreflektiert nebeneinander gebraucht würden, ohne zwischen dem „prinzipiellen Kern“ des demokratischen Gedankens und seiner jeweils zeitgebundenen Ausformung zu unterscheiden. Salzborn nennt als in die moderne Begriffsgenese von Demokratie eingeschriebene Werte: die individuelle Freiheit als Subjekt, die Verbindung von Staats- und Volkssouveränität und die Gewähr elementarer Rechte der Menschen gegen den Staat. Der Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt definiert Demokratie als „eine Staatsverfassung, in der die Herrschaft bzw. die Machtausübung auf der Grundlage politischer Freiheit und Gleichheit sowie weitreichender politischer Beteiligungsrechte erwachsener Staatsbürger erfolgt.“ Im Idealfall geschehe dies „in offenen, die Opposition gleichberechtigt einschließenden Vorgängen der Willensbildung und Entscheidungsfindung“. Im Gegensatz zu anderen demokratietheoretischen Periodisierungen, die die moderne Demokratie zumeist bereits im 18. Jahrhundert mit der Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika und den politischen Auswirkungen der Französischen Revolution ansetzen, sieht Schmidt alle vor dem 20. Jahrhundert verfassten Lehren einschließlich der von Karl Marx als Vorläufer moderner Demokratietheorien. Diesen fehle die Erfahrung einer entwickelten demokratischen Staatsverfassung mit allgemeinem Männer- und Frauenwahlrecht und Parteienwettbewerb. Laut Sartori beruht die moderne Demokratie erstens auf beschränkter Mehrheitsherrschaft, zweitens auf Wahlverfahren und drittens auf repräsentativer Übertragung von Macht. Daraus folgt für ihn, dass einige Teilhabeberechtigte politisch einflussreicher sind als andere, dass auch die Wählermehrheit „nicht wirklich Macht ausübt“ und dass vieles von dem, was als „Wille“ des Volkes bezeichnet wird, eher einer „Zustimmung“ des Volkes ähnelt. „Wieviel Erfolg wir auch bei der Wiederherstellung kleiner direkter Demokratien haben mögen, es bleibt die Tatsache, daß Demokratien mit persönlichem Kontakt nur Teile größerer Gebilde sein können und letzten Endes Mikrobestandteile eines Gesamtgebildes, das stets eine indirekte Demokratie ist und auf vertikalen Vorgängen beruht.“ Unverzichbarer Garant für die Etablierung demokratischer Freiheit ist laut Salzborn die Staatssouveränität. Wer Freiheit wolle, brauche Sicherheit, auch wenn damit eine unbegrenzte persönliche Freiheit nicht vereinbar sei. Ohne das Gewaltmonopol des Staates mit seiner Verfügungsgewalt über den Ausnahmezustand sei Freiheit nur in Zeiten innerer und äußerer Stabilität unbedroht. Zur Grundlage eines Messinstruments moderner empirischer Demokratieforschung wurde das von Robert Alan Dahl entwickelte Demokratiekonzept der Polyarchie. Diesen bereits im 17. Jahrhundert für eine Ordnung gebrauchten Begriff, der dem Volk die höchste Macht zugeschrieb, griff Dahl unter Abwandlung auf, indem er damit die auf dem allgemeinen Männer- und Frauenwahlrecht beruhenden Repräsentativdemokratien verband. Als Indikatoren bzw. Messgrößen einer Annäherung der bestehenden Polyarchien an das Ideal einer vollständigen Demokratie, das Dahl nirgendwo verwirklicht sah, bestimmte er eine Reihe wichtiger Kriterien: Wahl und Abwahl der Amtsinhaber; regelmäßig stattfindende freie und faire Wahlen; aktive und passive Stimmberechtigung für alle mündigen Staatsangehörigen; freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit; ungehinderte Selbstorganisation in politischen Parteien und Interessengruppen. Sartori sah in der auch aus seiner Sicht mit Mängeln behafteten existierenden Demokratie eine Wahl-Polyarchie – ein diffuses, offenes System von Einflussgruppen, die für Wahlen miteinander konkurrieren. Sein Ziel war eine „selektive Polyarchie“ bzw. eine „Polyarchie des Verdienstes“, bei der existierende wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten nach John Rawls so zu gestalten seien, dass sie erwartbar zum allseitigen Vorteil dienen und allen freien Ämterzugang bieten. Wertbegriff Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war die Bezeichnung Demokratie laut Sartori noch vergleichsweise klar abgegrenzt. Weder Stalin noch Hitler oder Mussolini hätten einen Anspruch erhoben, dass ihre Regime Demokratien seien. Erst seit 1945 habe sich die Wertbedeutung des Wortes Demokratie dramatisch geändert. Anstelle der bewaffneten Auseinandersetzung habe ein Krieg um das Wort mit dem Ziel begonnen, „Demokratie“ auf die eigene Seite zu bringen. Zur vielseitigen Beanspruchung des Ausdrucks Demokratie zitierte Sartori George Orwell: „Für ein Wort wie ‚Demokratie‘ gibt es nicht nur keine allgemein anerkannte Definition, sondern ein derartiger Versuch stößt auch allseits auf Widerstand […] Die Verfechter jedes beliebigen Regimes behaupten, es sei eine Demokratie, und befürchten, sie müßten auf den Gebrauch des Wortes verzichten, wenn es auf irgendeine Bedeutung festgelegt würde.“ Demokratie war seit je ein Kampfbegriff und als solcher stets mit starken Wertvorstellungen verbunden. Fortdauernd einflussreiche antike Denker wie Platon und Aristoteles wurden hauptsächlich mit ihrer Kritik an negativen Folgeerscheinungen demokratischer Herrschaftssysteme überliefert und noch in der Frühen Neuzeit als Demokratieverächter betrachtet. Der Erste, der den Begriff aufwertete, war der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza (1632–1677). Im 21. Jahrhundert ist das Wort stark positiv besetzt und dient unter anderem dazu, Populisten zu delegitimieren, die ihrerseits für sich in Anspruch nehmen, die Interessen des Volks zu vertreten. Demokratisch und nichtdemokratisch sind so Synonyme für gut und böse geworden. Geschichte Vorstellungen davon, was Demokratie ist und sein sollte, sind von der Antike bis in die Gegenwart zumeist verbunden mit sozialen und politischen Demokratisierungsprozessen, heißt es bei Salzborn. Demokratietheorien sind demnach das Ergebnis von Konflikten um politische, soziale und ökonomische Interessen. Sie entstünden in der Absicht, politische Ordnungen zu verändern oder auch vor Veränderung zu bewahren. Die praktische Realisierung einer theoretischen Ordnungsvorstellung und politischen Programmatik setze aber eine gesellschaftliche Mobilisierung voraus. Ein neues Ordnungskonzept zu verwirklichen, erfordere das Bündnis aus Elite und Masse, das andererseits aber auch gebraucht werde, wenn bestehende Verhältnisse gegen sie revolutionierende Vorstellungen geschützt werden sollen. Auf die Grundannahme aller Demokratietheorien aufbauend, dass das Gemeinwesen eine Schutzfunktion nach innen wie nach außen aufweisen müsse, stellt Salzborn ein Modell von Entwicklungsstufen der Demokratisierung vor, die im historischen Rückblick die idealtypische Skizze eines schrittweisen Demokratisierungsprozesses ergeben: der Schutzstaat mit der politischen Kernforderung nach Sicherheit und den Zielen des Schutzes vor äußeren Angriffen, der Friedenssicherung im Innern sowie einer Garantie der Eigentumsordnung; der auf Freiheit ausgerichtete Rechtsstaat mit Rechts- und Verfassungsordnung, Menschen- und Bürgerrechten sowie entsprechendem Justizsystem; der Solidarität übende Sozialstaat mit sozialer Partizipation und Gewährleistung wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit; der auf Gleichheit gerichtete demokratische Staat mit Volkssouveränität, allgemeinem und freiem Wahlrecht, offenem Zugang zu den politischen Ämtern sowie unbeschränkten Partizipationsmöglichkeiten; der für Bildung sorgende Kulturstaat mit Forschungsförderung sowie mit dem Streben nach Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie auch auf internationaler Ebene. Antike Als klassische Demokratie, an der moderne Demokratien gern gemessen werden, gilt die athenische im antiken Griechenland. Im Zeitalter der Atlantischen Revolutionen rückte hingegen von Polybios beeinflusst die Römische Republik stärker in den Fokus der historisch-politischen Reflexionen und Vergleiche. So liehen sich etwa die Wortführer der amerikanischen Verfassungsdiskussion die Namen römischer Gesetzgeber oder bekannter Konsuln als Pseudonyme und stellten sich damit in die Tradition von Klassikern, die Grundlagen für ein politisches Gemeinwesen geschaffen hatten. Grundzüge der Attischen Demokratie Frühestes Beispiel einer demokratischen Ordnung ist die Attische Demokratie, die sich nach der Peisistratiden-Tyrannis und den Perserkriegen im 5. Jahrhundert v. Chr. entwickelte. Sozio-ökonomische und sicherheitspolitische Erwägungen führten in Athen dazu, dass es zu einer verstärkten Einbindung der bislang unberücksichtigten gesellschaftlichen Schicht der Theten in die politischen Strukturen kam. Es bildeten sich Rahmenbedingungen heraus, die grundlegende Verfassungsreformen und eine Beteiligung der Vielen an der Herrschaft förderten. Im Rahmen dieser Reformen, so Stefan Marschall, sei die demokratische als eine mögliche Herrschaftsform entdeckt worden. Von den 250.000 bis 300.000 Einwohnern von Athen waren 170.000 bis 200.000 Erwachsene. Dagegen besaßen nur 30.000 bis 50.000 Vollbürger volle politische Rechte – unter Dreißigjährige, Frauen, 25.000 Zugezogene und 80.000 Sklaven blieben ausgeschlossen. Als wesentliche Strukturmerkmale der athenischen Demokratie gelten: die Zuständigkeit der Ekklesia für alle Entscheidungen über zentrale Angelegenheiten der inneren und äußeren Politik sowie über die Gesetzgebung, der aus der kleisthenischen Phylenreform hervorgegangene Rat der Fünfhundert, der die Volksversammlungen vorbereitete und an den alltäglichen Regierungsgeschäften beteiligt war, die etwa 600 nach dem Annuitätsprinzip zum größten Teil durch Los bestimmten Beamten bzw. Funktionsträger für die verschiedenen Bereich des öffentlichen Lebens, ergänzt um nur etwa 100 zu wählende Beamte, die in speziellen Verantwortungsfeldern wirkten, so als Strategen in der Führung des Militärs oder als Finanzverwalter; die Volksgerichte, die sich aus insgesamt 6000 ebenfalls per Los bestimmten Laienrichtern rekrutierten. Für Christian Meier ist Isonomie als Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz das der Demokratie in der Athener Polis vorausgehende Reformleitbild, in dem ein Anspruch wie im „Rechtsstaat“ oder „Verfassungsstaat“ des 19. Jahrhunderts stecke. Dieser Anspruch auf Gleichheit habe in entsprechenden Institutionen verwirklicht werden sollen. „Die erste Rechtfertigung der Demokratie beruft sich auf die Institutionen des Loses, der Rechenschaftspflicht und der Entscheidung aller Fragen durch die Gesamtheit. Damit soll alle Willkür ausgeschlossen und das ‚herkömmliche Gute und Rechte‘ gesichert sein.“ Auch in anderen Poleis des attischen Seebunds wurden demokratische Ordnungen eingerichtet, teils befördert durch die athenische Expansionspolitik, teils auf Betreiben demokratischer Kräfte vor Ort. Öfters wurden also Demokratien zu dem Zweck oktroyiert, den Interessen Athens zu dienen. Aristoteles’ zwei Staatsformenlehren Aristoteles ordnete die Demokratie in seinem staatstheoretischen Werk (‚Politik‘) in eine nach Anzahl der Herrschaftsbeteiligten und Qualität der Herrschaftsausübung differenzierende Ordnung von sechs Verfassungstypen ein: Den drei am gemeinwohlorientierten Verfassungstypen Monarchie, Aristokratie und Politie stellte Aristoteles in seiner ersten Staatsformenlehre jeweils Verfassungstypen gegenüber, die die zur Herrschaft Gelangten eigennützig missbrauchten, wobei er die Demokratie gegenüber der Tyrannis – als schlechtestem Herrschaftstyp – wie auch gegenüber der Oligarchie noch als erträglichste der mängelbehafteten Varianten ansah. Der Eigennutz der Reichen ruiniere eine Verfassung schneller als der der Armen. Dieses oft zitierte Schema behandelte Aristoteles jedoch nicht als Dogma. In nachfolgenden Kapiteln seiner Politik entfaltete er eine Fülle empirischen Materials, die in eine zweite Staatsformenlehre mündete: Darin brach er die sechsteilige Ordnung der Verfassungsformen durch zahlreiche Unter- und Zwischenformen auf und stellte vier Unterarten der Oligarchie und fünf Unterarten der Demokratie mit Vorzügen und Nachteilen ausführlich dar (Zweite Staatsformenlehre). Als schädlichsten unter den Demokratietypen nannte er denjenigen, bei dem das Volk unter dem Einfluss von Demagogen gesetzeswidrige Beschlüsse fasst. Lege man die beste der vier Arten der Oligarchie, der vier Arten der Demokratie und das beste Mischungsverhältnis zugrunde, so Hellmut Flashar, so ergebe sich eine Verfassungsform, die der Attischen Demokratie des 5. Und 4. Jahrhunderts v. Chr. relativ nahe komme. Als beste Verfassung ermittelt Aristoteles in seiner Erörterung eine Mischform aus Demokratie und Oligarchie, die Politie, die meist übersehen werde, weil sie nicht oft vorkomme. Um Politie handle es sich, wenn die Menge zum allgemeinen Nutzen regiert. Ihrem politischen Urteil traut Aristoteles eher als dem weniger Aristokraten; denn unter den vielen habe jeder einen Anteil an Tugend und Einsicht (Summierungsthese). Bei der Ämterbesetzung befürwortet Aristoteles den demokratischen Ansatz des allgemeinen Zugangs in Kombination mit dem oligarchischen der Wahl. Ein passendes Mischungsverhältnis bei der Politie verspricht nach Aristoteles auch Verfassungsstabilität. Es komme nicht darauf an, dass benachbarte Poleis mehrheitlich an ihrer Erhaltung interessiert seien, sondern darauf, dass die Bürgerschaft selbst in ihrer Gesamtheit keine andere Verfassung anstrebe. In allen Staaten, gebe es sehr Reiche, sehr Arme und die Mittleren. Doch solle ein Staat in möglichst hohem Maße aus Gleichen und Ebenbürtigen bestehen, wie es bei den Mittleren der Fall sei. Denn von ihnen – anders als unter den Armen – trachte niemand nach fremdem Besitz; die Mittleren seien aber auch vor Nachstellungen anderer sicher und lebten folglich gefahrlos. Auch nach mehr als 2300 Jahren eignet sich die aristotelische Staatsformenlehre für Manfred G. Schmidt als ein „komplexes, Maßstäbe setzendes Instrument“ für Beobachtung, Vergleich und Bewertung von demokratischen und autokratischen Staatsverfassungen. Vorländer findet in dem von Aristoteles beschriebenen Modell einer Mischverfassung zwei für die moderne Demokratie wegweisende Gedanken: die im Sinne des demokratischen Gedankens grundlegende Rolle der Aktivbürgerschaft und das Prinzip der verfassungsmäßigen Herrschaftsbeschränkung, „das sich dann vor allem im 18. Und 19. Jahrhundert als Prinzip der liberalen Demokratie herausbilden sollte.“ Polybios’ Kreislauf der Verfassungen 200 Jahre später ordnete Polybios bei der Fortschreibung der Staatsformenlehre von Aristoteles die Demokratie in seinem Kreislauf der Verfassungen – anders als dieser – den am Gemeinwohl orientierten Verfassungstypen zu und bezeichnete die Verfallsform der Demokratie als Ochlokratie („Pöbelherrschaft“). Andererseits favorisierte Polybios – ähnlich wie Aristoteles mit der Politie – ein auf Stabilität zielendes Mischverfassungssystem, das einen Interessenausgleich zwischen Adel und Volk beinhaltete, wie er für ihn zwischen Patriziern und Plebejern in der Römischen Republik vorlag, auf deren Stabilität und Elastizität sich der Aufstieg Roms zur antiken Weltherrschaft seiner Ansicht nach gründete. Polybios’ Mischverfassungsmodell war laut Vorländer im Hinblick auf Machtmäßigung, Interessenausgleich und die Kontrolle von politischen Institutionen durch Verschränkung anwendbar auch auf politische Ordnungen im Zeichen der Gleichheit staatsbürgerlicher Rechte. „Die Analyse der antiken Republik schien damit auch einen konstruktiven Beitrag für die Ausgestaltung moderner Demokratie bereitzuhalten.“ Römische Republik Auch die Römische Republik verwirklichte bis zur schrittweisen, kontinuierlichen Ablösung durch den Prinzipat eine Gesellschaft mit rudimentären demokratischen Elementen, basierend auf der Idee der Gleichberechtigung der Freien bei der Wahl der republikanischen Magistrate. Doch blieben das oligarchische Prinzip und der Vorrang der Nobilität durchgängig bestimmend. Bei der Wahl der Konsuln etwa galt, dass aufgrund des Systems der Comitia centuriata die Stimme eines Reichen mehr zählte als die eines Armen. Durch das Klientelwesen waren weite Bevölkerungskreise an ihre jeweiligen Patrone gebunden, sodass die in der Staatsspitze agierende Nobilität die politischen Verhältnisse und Entscheidungen weitgehend unter Kontrolle behielt. Bei Marcus Tullius Cicero wird der Begriff der Demokratie als civitas popularis „romanisiert“ (De re publica, I), womit die spätrepublikanische Bezeichnung der Parteiung der „Popularen“ zum Namensgeber der entsprechenden Verfassungsvorstellung wird. Ciceros Formel für das Verhältnis von Volk und Republik, Scipio Africanus minor von Cicero in den Mund gelegt, lautete «res publica res populi» und betonte damit die Zuständigkeit des Volkes für die öffentlichen Belange. Ciceros Definition des Volkes setzte, so Vorländer, jedoch eine Gemeinschaft voraus, die auf Rechtskonsens und Gemeinwohl beruhte (″iuris consensu et utilitatis communione″). Zwar konnte die Republik folglich nur dann legitim sein, wenn die Bürger Anteil an der Formulierung der Gesetze und des Gemeinwohls hatten; eine direkte und unmittelbare Partizipation aller freien Bürger wie in der athenischen Polisdemokratie war darunter jedoch nicht zu verstehen. „Später sollten“, schreibt Vorländer, „Niccolò Machiavelli in seinen Discorsi, die sich am römischen Geschichtsschreiber Titus Livius orientierten, der Engländer James Harrington in The Commonwealth of Oceana und Montesquieu das Erbe des republikanischen Denkens wieder aufgreifen.“ Mittelalterliche Ansätze Mit dem Untergang des Römischen Reiches spielten antike staatstheoretische Modelle in der Praxis vorerst keine Rolle mehr. Oft setzen Betrachtungen zur Demokratieentwicklung in der einschlägigen Literatur erst mit der frühneuzeitlichen Staatstheorie der Aufklärung wieder ein. Übergangsansätze entwickelten sich aber teils auch bereits im Mittelalter. Norditalienische Stadtrepubliken und Reflexionen Machiavellis Einen republikanischen Namen und Ordnungsrahmen – mit jedoch allenfalls randständiger politischer Mitwirkung des Volkes – beanspruchten schon zu mittelalterlichen Zeiten norditalienische Stadtrepubliken wie Venedig Genua, Florenz und Siena. Die in Lombardei und Toskana gebildeten unabhängigen Stadtstaaten waren nach außen hin unabhängig und beruhten im Inneren auf Selbstregierung. Doch fehlte es ihnen an Stabilität: Von außen her war ihre Unabhängigkeit bedroht; im Innern krankten sie an häufigen Machtkämpfen rivalisierender Gruppierungen. Zu dieser Zeit war Republik vor allem ein Abgrenzungsbegriff gegen Fürstenherrschaft und Monarchie und bezeichnete „das spätmittelalterliche Ideal konsensgeschützter bürgerlicher Herrschaft.“ Aus dem Denken der italienischen Stadtrepubliken entwickelte sich, so Vorländer, „eine von Thomas von Aquin bis Machiavelli reichende Theorie bürgerschaftlichen Republikanismus, die auch für die Entfaltung der modernen Demokratie nicht ohne Wirkung blieb.“ In den Discorsi habe Machiavelli die Bestandsvoraussetzungen einer freien und stabilen Republik reflektiert, in der öffentliches Wohl, Bürgertugend und Vaterlandsliebe zusammenkämen. In der ferneren historischen Perspektive habe sich das republikanische mit dem demokratischen Denken etwa in England, Nordamerika, Frankreich und Deutschland verbunden; „zum Teil radikalisierte es die Demokratie, zum Teil moderierte es die Demokratie.“ Englisches Parlament Das moderne Prinzip der parlamentarischen Repräsentation des Volkes im Sinne demokratischer Mitwirkung kam in England bereits im Hochmittelalter ansatzweise zur Wirkung. Seit der Magna Carta im Jahre 1215 bestand im englischen Königreich die Idee, es dürfe keine Steuer ohne vorherige Beratung geben. Daraus entwickelte sich De Montfort’s Parliament. Dieses sollte ab 1265 mindestens einmal jährlich zusammentreten; es bestand vor allem aus adeligen Großgrundbesitzern. Ab dem 14. Jahrhundert setzte sich – wenn auch noch nicht demokratisch – das Parlament als Vertretung der Gesamtgenossenschaft aller Kreise und Gemeinden durch, zu dem auch die „Gemeinen“ () Zutritt hatten; daraus entstand später das House of Commons (Unterhaus). Mit der Entwicklung der absoluten Monarchie im 16. Jahrhundert verringerten sich die Einflussmöglichkeiten. Erst mit dem englischen Bürgerkrieg Mitte des 17. Jahrhunderts entstand unter Oliver Cromwell für wenige Jahre eine Republik, mit dem Unterhaus als Volksvertretung mit umfangreichen Rechten. Die Levellers (‚Gleichmacher‘), die nicht nur in der Revolutionsarmee eine bedeutende politische Kraft darstellten, verstanden sich dabei keineswegs als Anhänger der Demokratie, sie setzen auf Repräsentanten. Sie verstanden die Menschen als ursprünglich Gleiche und Freie auf Basis ihrer Geburtsrechte, die Über- und Unterordnungsverhältnisse seien später aus eigensüchtigen Interessen entstanden. Das bedeutendste Dokument des Parlamentarismus ist die Bill of Rights von 1689, in der das nach England eingeladene neue Königspaar Wilhelm III. und Maria II. dem Parlament Immunität, Verfügung über die Finanzen und Recht auf Zusammentritt ohne Aufforderung des Königs zugestand, und damit die Grundrechte eines modernen Parlaments schuf. Frühe Neuzeit Hatte Machiavelli die Politik von der Moral losgelöst und die Orientierung an Interessen und Machtkonflikten ins Blickfeld gerückt, so kam es im Zeitalter der Aufklärung zur Kritik an Metaphysik, Religion und Aberglaube als Rechtfertigungsmitteln der mittelalterlichen Herrschaft. Mit der Verbreitung des Buchdrucks entstand in der Frühen Neuzeit ein öffentlicher politischer Raum, der zum Motor für die Etablierung demokratischer Herrschaftsformen in der Moderne wurde. Gemeinsam war führenden politischen Theoretikern der Aufklärungsepoche die Idee eines vernunftbasierten Menschenbilds, zu dem hinsichtlich der Herrschaftsordnung eine vertragstheoretische Grundlage gehörte: ein Gesellschaftsvertrag, der einem naturwissenschaftlich-mathematischen Weltbild den Vorrang vor einer religiösen Weltsicht einräumte. Salzborn erkennt darin einen der nachhaltigsten Brüche in den Denktraditionen der Ideengeschichte: „Machtausübung und politisches Handeln sollten von nun an der Zustimmung der Betroffenen bedürfen, die Natur- und Gottgegebenheit von Herrschaft wurde in Frage gestellt, stattdessen sollte Herrschaft auf einer Übereinkunft der Menschen basieren: dem Vertrag.“ Auch wenn das Vertragsziel unterschiedlich angesetzt war und von der Sicherung des nackten Überlebens bei Thomas Hobbes über die Garantie der Eigentumsordnung bei John Locke bis zur verbindlichen Gemeinsamkeit in der Verfolgung politischer Ziele bei Jean-Jacques Rousseau reichte, gab es als durchgängige Grundlage die Vorstellung, dass der Vertragsschluss für die Beteiligten den Ausgang aus einem sogenannten Naturzustand in ein geordnetes gesellschaftspolitisches Verhältnis bedeutete. Solch vertragstheoretisches Denken stellte einen „legitimatorischen Schlüssel“ für die frühneuzeitlichen Revolutionen und die damit verbundenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche dar. Lockes liberale Staatstheorie Während Thomas Hobbes im Leviathan einen Herrschaftsabsolutismus vorsah und sich mit Demokratie ausschließlich ablehnend auseinandersetzte, legte John Locke (1632–1704) mit (Zwei Abhandlungen über die Regierung, 1689) das Fundament für eine weltlich legitimierte, antiabsolutistische Staatsverfassung vor. Grundlage dafür ist bei Locke die grundsätzliche Freiheit und Gleichheit der Staatsbürger in Verbindung mit vielen Grundsätzen des späteren Liberalismus wie dem Recht des Einzelnen auf Leben, Freiheit und Vermögen. Weitere Merkmale sind religiöse Toleranz, die Herrschaft des Rechts, die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive sowie das Widerstandsrecht gegen jede unrechtmäßige Regierung. Die Regierung unterliegt im Rahmen der Zustimmung des Staatsvolkes einem vorgegebenen Staatszweck mit begrenzten Machtmitteln der öffentlichen Gewalt („government by consent“). Die öffentlich bekanntzumachenden Gesetze gelten für Reiche und Arme gleichermaßen. Sie dürfen ausschließlich auf „Frieden, Sicherheit und das öffentliche Wohl des Volkes“ abzielen. Montesquieus Gewaltenbalance Ebenfalls nachhaltigen Einfluss auf das moderne Demokratiedenken nahm Charles Montesquieu (1689–1755) mit dem in seinem Werk (Vom Geist der Gesetze, 1748) entwickelten System von Machtkontrolle und Gewaltenbalancierung. Montesquieu baute auf aristotelischen Lehren auf; er schätzte die nach seinem Verständnis freiheitliche, zeitgenössische konstitutionelle Monarchie in England und wandte sich gegen den in Frankreich etablierten Absolutismus. Ihm kam es auf die Einhegung der menschlichen Neigung zum Machtmissbrauch an. Die Staatsgewalten sollten einander wechselseitig in Schach halten („que le pouvoir arrête le pouvoir“). Laut Manfred G. Schmidt galt es für Montesquieu, vier Komponenten in der Gewaltenbalance zu halten: 1. die Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative; 2. die gesellschaftlichen Kräfte Krone, Adel und Besitzbürgertum; 3. die Staatsorgane (Volkskammer, Adelskammer, das durch Auslosung zusammengesetzte Volksgericht, ein Adelsgericht sowie den Erbmonarchen mit seinem Ministerrat); 4. grundlegende Befugnisse wie die Bestimmung von Repräsentanten und die Vollmacht, Gesetze zu erlassen. Den Machtausgleich zwischen den Gewalten sucht Montesquieu durch ein System ineinandergreifender Vetorechte („droits d’empêcher“) zu gewährleisten. In seinen staatstheoretischen Betrachtungen reflektiert Montesquieu auch Funktionsvoraussetzungen von Demokratie, der er selbst aber nicht anhängt. Dem Zeitgeist entsprechend zählen für Montesquieu zum mitbestimmungsberechtigten Volk nur Männer und unter diesen nur vermögende Bürger. Nach seiner Auffassung gedeiht Demokratie am besten in Kleinstaaten und unter Verhältnissen mit einem hohen Maß an Gleichheit und mit nur maßvollen Vermögensunterschieden. Begünstigende Bedingung dafür sei die allgemeine „Liebe zur Genügsamkeit“. Stabilisiert werde Demokratie durch eine gleichmäßigere Verteilung des Bodenbesitzes und den Abbau von Macht- und Herrschaftsunterschieden. Gefährdet werde sie durch eine mangelnde Vaterlandsliebe und durch das Aufkommen von Korruption. Rousseaus Volkssouveränität Ganz anders als für Locke beginnt für Jean-Jacques Rousseau speziell mit der Festsetzung des Eigentumsrechts die Verfallsgeschichte der Menschheit, weil den als Einzelnen in „ursprünglicher Unschuld“ lebenden Menschen dadurch der ihnen wohltuende Naturzustand abhanden komme. Für den daraus hervorgehenden Zustand der Vergesellschaftung sieht Rousseau gleichfalls einen allgemeinverbindlichen Vertrag vor (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes (Du contrat social ou Principes du droit politique)) – wiederum mit ganz anderen Akzenten als bei Locke. Indem jeder seine Rechte auf die Gemeinschaft aller überträgt, entsteht eine Republik, die das Gemeinwohl verkörpert und in der der „Allgemeine Wille“ (volonté générale) die politische Ausrichtung bestimmt. Im Ergebnis herrscht eine unmittelbare plebiszitäre Volkssouveränität, der sich niemand entziehen und verweigern darf. Wer sich der volonté générale nicht unterordnet, kann dazu gezwungen werden, was für Rousseau gleichbedeutend damit ist, dass man „ihn zwingt, frei zu sein“. Die Bürger waren gemäß dem Republik-Konzept Rousseaus Mitglieder des Gemeinwesens einerseits als gleichverpflichtete Herrschaftsunterworfene, wie andererseits als gleichberechtigte Herrschaftsteilhaber (Identitäre Demokratietheorie). Für Manfred G. Schmidt lauert hinter Rousseaus freiheitlichen Verheißungen „erdrückende Herrschaft“ wegen des Zwangs zur Unterwerfung unter den unanfechtbaren Gemeinwillen. Es fehle in seiner Lehre „jeglicher Schutz gegen die potenzielle Despotie der Mehrheit.“ Rousseaus Begriff von Volkssouveränität ist dem Gewaltenbalance-Modell Montesquieus deutlich entgegengesetzt, denn bei Rousseau ist die Volkssouveränität unveräußerlich, nicht delegierbar und unteilbar, etwa auch im Sinne einer Gewaltenteilung. Sie ist Ausdruck der unantastbaren Oberhoheit der Bürger, einschließlich der Verfassung und der staatlichen Institutionen. Die Repräsentation des Volkes durch Abgeordnete lehnt Rousseau strikt ab. Jedes vom Volk nicht selbst bestätigte Gesetz ist für ihn „null und nichtig“. Sobald ein Volk Vertreter ernennt, so Rousseau, „ist es nicht mehr frei, existiert es nicht mehr.“ Nur in sehr kleinen Gemeinwesen mit möglichst wenig allgemein abträglichem Luxus hält er die Wahrung der Rechte von Volk und Bürgern für möglich. Auch wenn Rousseau das Wort Demokratie nicht positiv besetzte, bezog er sich in seinem Ideal kleiner homogener Agrarstaaten, in denen der Gemeinwille direktdemokratisch realisiert werde, auf demokratische Elemente, ohne sie so zu nennen. Radikalemanzipatorische und radikaldemokratische Elemente mischte er mit autoritären Komponenten. Grundsätzlich war Volkssouveränität bei ihm an den Mehrheitswillen und an Gemeinwohlnormen gebunden. Vereinigte Staaten – Menschenrechtserklärung, Federalist Papers und Verfassungsprimat Die erste neuzeitliche Demokratie entstand Ende des 18. Jahrhunderts in den 13 Kolonien Nordamerikas. Ihre Vordenker stützten sich auf die Idee der Volkssouveränität, wie sie in den politischen Schriften der europäischen Aufklärung ausgebildet worden war, und gingen von den Rechten des Individuums aus. Dies kam in der Virginia Declaration of Rights zum Ausdruck, der weltweit ersten kodifizierten Erklärung der Menschenrechte. Einfluss auf die amerikanische Demokratie hatte auch die politische Praxis des Mutterlands Großbritannien mit rudimentärem Parlamentarismus und einer Gewaltenteilung. Ob sich die Gründerväter der Vereinigten Staaten auch von der Räteverfassung beeinflussen ließen, mit der sich etwa Mitte des 15. Jahrhunderts fünf Indianervölker zum Bund der Irokesen zusammengeschlossen hatten, ist nicht gesichert. Nach der Unabhängigkeitserklärung und dem Sieg im Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien erhob sich die Frage, ob man weiterhin eine Konföderation unabhängiger Staaten bleiben oder ein Bundesstaat mit gemeinsamer Verfassung werden solle. In der breiten öffentlichen Diskussion darüber warben die Föderalisten Alexander Hamilton, James Madison und John Jay, Angehörige der Oberschicht, in ihren einflussreichen Federalist Papers (1787–1788) für die Annahme des Entwurfs der Bundesverfassung in New York. Sie sprachen sich gegen eine direkte Demokratie aus, in der eine Tyrannei der Mehrheit drohe, und für eine „Regierungsform mit Repräsentativsystem“. Sie warben für eine republikanische Mischverfassung mit föderativen und gesamtstaatlichen Komponenten sowie für eine mehrschichtige Gewaltenteilung und Gewaltenverschränkung (Checks and Balances). Die mächtige Legislative wurde auf zwei Kammern verteilt: Den Senat mit der Vertretung der Einzelstaaten, und das Repräsentantenhaus mit den vom Volk gewählten Abgeordneten. So wurde in den USA das lange diskutierte Problem gelöst, wie Demokratie, die ja ursprünglich in der Versammlung aller Bürger praktiziert worden war, in einem Flächenstaat realisiert werden kann, dessen Bewohner nie an einen Ort zusammenkommen können. Eine weitere von den Verfassern der Federalist Papers eingeführte demokratietheoretische Neuerung war das Primat der Verfassung: Die Souveränitätsfrage wurde mit der Verfassungsfrage beantwortet. Nicht so wichtig war ihnen eine breite politische Beteiligung der Stimmbürger in öffentlichen Angelegenheiten. Diese blieben auf weiße steuerzahlende Männer beschränkt, womit nur etwa 13 Prozent der Bevölkerung wahlberechtigt waren. 28 Prozent der Erwerbsbevölkerung waren weiterhin Sklaven. 1800/01 gelang mit der Präsidentschaftswahl erstmals ein Regierungswechsel in einem demokratisch-repräsentativen System. Zugleich markiert sie den Beginn der modernen Parteiendemokratie. Demokratieentwicklung in Europa Die in ihrer Entstehung mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg in Zusammenhang stehende Französische Revolution wies in der konstitutionell-monarchischen Phase viele Parallelen mit den Vorstellungen Montesquieus auf. Mit dem Sturz der Monarchie 1792 und der Errichtung der Ersten Französischen Republik durch den Nationalkonvent kam es zu einer begrifflichen Verschmelzung von Demokratie und Republik. Der im Revolutionskrieg unter dem Druck der breiten Pariser Volksmassen stehende Konvent wurde von Robespierre auf einige der Lehren Rousseaus eingeschworen. Eine homogene, der Gleichheit verpflichtete Bürgergemeinschaft sollte nun die soziale Grundlage einer großflächigen zentralstaatlichen Demokratie bilden. Ein Katalog demokratischer Tugenden wurde als neue Zivilreligion propagiert, wobei die Revolutionsregierung unter Robespierre zunehmend terroristische Mittel gegen alle tatsächlichen und vermeintlichen Widersacher einsetzte. Diese Schreckensherrschaft führte in vielen mit der Anfangsphase der Französischen Revolution sympathisierenden bürgerlichen Kreisen in Europa zur Ablehnung einer radikaldemokratischen Republik und etwa auch in Deutschland zur Befürwortung eines konstitutionell-repräsentativen Staatsmodells auf der Basis von Reformen. Die nach den napoleonischen Kriegen einsetzende Epoche der Restauration erstickte jedoch vorübergehend alle Pläne und Aktivitäten der liberalen und demokratischen Bewegung. Doch waren vereinzelt auf regionaler und nationalstaatlicher Ebene weitere bemerkenswerte Demokratieansätze noch während des 18. Jahrhunderts zu verzeichnen gewesen. 1755 schrieb Pasquale Paoli eine Verfassung für Korsika. Es handelt sich dabei um eine Mischverfassung nach antikem Vorbild mit demokratischen Elementen, die sich auch aus regionalen Traditionen Korsikas speisten. In großen Teilen stimmte sie bereits mit dem modernen Verfassungsbegriff überein, sie war bis 1769 in Kraft. Polen-Litauen gab sich mit der Verfassung vom 3. Mai 1791 eine moderne demokratische Staatsordnung, nach den USA die zweite weltweit. Dabei wurde mit der Einführung der „Landbotenkammer“ das politische Mitspracherecht, das bis dahin auf den Adel beschränkt war, auf das wohlhabende Bürgertum ausgedehnt, die große Masse der Bauern blieben Leibeigene. Diese Verfassung war bis 1793 in Kraft. 19. Jahrhundert Neue, über Frankreich hinaus ausstrahlende Impulse für demokratische Entwicklungen setzte die Julirevolution von 1830, die unter anderem den deutschen Vormärz einläutete und in die europäischen Revolutionen 1848/1849 mündete. Während in Deutschland die Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche letztlich damit scheiterte, eine liberal-demokratische Verfassung mit monarchischer Spitze zu errichten und der rätedemokratische Ansatz der Pariser Kommune militärisch niedergeschlagen wurde, kam es in der Schweiz zu einem nachhaltigen Ausbau direktdemokratischer Strukturen. In mehreren Staaten wurde während des 19. Jahrhunderts das allgemeine Wahlrecht für Männer eingeführt: 1848 in Frankreich und in Teilen der Schweiz, 1869 in Teilen Deutschlands, 1869 in Teilen Spaniens; in den USA 1870, in Griechenland 1877, in Neuseeland 1889 und in Norwegen 1897. Demokratische Bewegung in Deutschland Bereits im Vormärz und beflügelt vom Hambacher Fest 1832 waren Forderungen zur Garantie von Bürger- und Freiheitsrechten, nach politischer Teilhabe, Parlamentarisierung und teils nach demokratisch-republikanischen Reformen laut geworden. Allerdings schwächten die unterschiedlichen Zielvorstellungen von liberalen Reformern einerseits und demokratisch-republikanisch orientierten Revolutionären andererseits die Einheit und Stärke der Paulskirchenversammlung. So scheiterte mit der Ablehnung von Kaiserkrone und Reichsverfassung durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. 1849 auch in Deutschland der Versuch, mit revolutionären Mitteln eine konstitutionelle Monarchie zu schaffen. Zwar wurde 1869 im Norddeutschen Bund und 1871 im Deutschen Kaiserreich das allgemeine Männerwahlrecht eingeführt; die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung aber ließen die vor allem in Preußen weiter herrschenden konservativen Kreise nicht zu. Karl Marx und die Pariser Kommune Für Karl Marx, den Vordenker des Historischen Materialismus, war die bürgerlich-liberale Demokratie Ausdruck bourgeoiser Klassenherrschaft und zugleich ein Zwischenstadium auf dem Weg zur Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, wie es bereits im Kommunistischen Manifest hieß. Somit erwies sich die Demokratietheorie von Karl Marx und Friedrich Engels laut Manfred G. Schmidt als Parteinahme für eine besonderen Art der Volksherrschaft: „für die proletarische Demokratie in der Phase des Übergangs von der bürgerlich-kapitalistischen zur kommunistischen Gesellschaft.“ Diese Regierungsform nannte Marx die „Diktatur der Arbeiterklasse“ bzw. die „Klassendiktatur des Proletariats“. Als Diktatur des Proletariats wurde sie unter Vermittlung Wladimir Iljitsch Lenins ein zentrales Element der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie. Die nach der Niederlage Frankreichs und dem Waffenstillstand im Deutsch-Französischen Krieg 1871 errichtete Pariser Kommune war für Marx revolutionspraktisch von besonderer Bedeutung. Er sah in ihr die Zerschlagung der bisherigen politischen Klassenherrschaft und deren Ersetzung durch eine „Regierung der Arbeiterklasse“ beispielhaft verwirklicht. Der Staat als Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie und Unterdrückungsinstrument der Lohnarbeiter war demnach hier an ein Ende gelangt. Marx betrachtete die Pariser Kommune als ein demokratisches Rätesystem, ein System von gewählten Stadträten, die sowohl gesetzgebend als auch exekutivisch-vollziehend tätig waren. Und dergestalt wurde die Pariser Kommune zur „Keimform zukünftiger sozialistischer Ordnung“. Vorreiter in direkter Demokratie: die Schweiz In der Schweiz wurde die demokratische Entwicklung im 19. Jahrhundert von der liberalen Regeneration angestoßen, an deren Ende die Schweizer Bundesverfassung 1848 und der Übergang vom Staatenbund zum Bundesstaat stand. Im Jahr 1874 wurde das fakultative Referendum auf Bundesebene eingeführt, mit dem das Volk direkt über Bundesgesetze, teils auch Bundesbeschlüsse und weitreichende völkerrechtliche Verträge abstimmt ( Bundesverfassung). 1891 kam die Volksinitiative hinzu, mit der das Volk Verfassungsänderungen auch gegen den Willen von Parlament und Regierung beschließen kann ( Bundesverfassung). 20. und 21. Jahrhundert – zwischen Demokratisierung und Autokratisierung In der jüngeren Vergangenheit haben zur Demokratieentwicklung vor allem die Mitwirkungsrechte von Frauen beigetragen sowie mehrere Wellen der Ausbreitung demokratischer Systeme im weltweiten Maßstab. Dabei wurde durch Aufwertung des Begriffs Demokratie die Etikettierung sehr unterschiedlicher politischer Systeme als demokratisch vor allem nach Ende des Zweiten Weltkriegs üblich, so zum Beispiel – wie im Fall der Deutschen Demokratischen Republik – bei den Volksrepubliken unter dem Einfluss der Sowjetunion. Andererseits gibt es viele Beispiele dafür, dass einmal eingerichtete demokratische Ordnungen nicht auf Dauer bestehen, sondern von autokratischer oder auch diktatorischer Herrschaft abgelöst werden können, wie sich bei faschistischen Regimen besonders drastisch gezeigt hat. Die Einbeziehung der Frauen in demokratische Strukturen Moderne Demokratien setzen für Manfred G. Schmidt das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen sowie einen institutionalisierten Parteienwettbewerb um ein Regierungsmandat voraus. Gemessen an Theorie und Praxis der Demokratie im 20. und 21. Jahrhundert seien alle klassischen Theorien zuvor mängelbehaftet, insbesondere, da die gesamte weibliche Bevölkerung vom Stimmrecht ausgeschlossen blieb. Abgesehen von Spanien (1869/1907) und Neuseeland (1889) wurde das allgemeine Wahlrecht für Frauen erst ab Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt, so zum Beispiel 1906 in Finnland, 1908 in Australien, 1913 in Norwegen, 1918 in Österreich und Portugal, 1919 in Deutschland, 1920 in den USA und Kanada. In der Schweiz gibt es das Frauenwahlrecht erst seit 1971; auf kantonaler Ebene führte es 1990 als letzter Kanton Appenzell Innerrhoden aufgrund eines Bundesgerichtsurteils ein. Die politische Mitwirkung von Frauen blieb aber auch nach Erlangung des aktiven und passiven Wahlrechts in mancher Hinsicht gegenüber der von Männern zurück. So betrug beispielsweise der Frauenanteil Im Deutschen Reichs- wie im Bundestag bis 1986 stets weniger als zehn Prozent. Demokratisierung als Wellenbewegung Demokratische Bewegungen und daraus hervorgehende Staatsordnungen treten historisch kaum isoliert auf, sondern in größeren Zusammenhängen. Samuel P. Huntington hat dafür den Begriff der Demokratisierungswellen eingeführt, verzeichnet aber auch Gegenwellen. Eine erste, lange Welle als Ausfluss der Amerikanischen und der Französischen Revolution erstreckte sich demzufolge von 1828 bis 1926 und umfasste Demokratien in Europa, in Australien, Neuseeland, in den baltischen Staaten, in Kanada, Argentinien, Kolumbien und Uruguay. Eine zweite Demokratisierungswelle – mit durch die Dekolonisation der 1950er und 1960er Jahre verstärkter Schubkraft – betrifft den Zeitraum 1943 bis 1962 mit diversen westeuropäischen Staaten und Israel, süd- und mittelamerikanischen Staaten, darunter Brasilien, Costa Rica, Venezuela und Peru, sowie mit asiatischen Staaten wie Japan, Südkorea, Indonesien, Indien und den Philippinen. Die dritte Demokratisierungswelle begann 1974 und endete in etwa Mitte der 1990er Jahre. Sie umfasste in der Nachkriegszeit autoritär beherrschte Staaten wie Spanien, Portugal und Griechenland sowie osteuropäische Staaten und Zerfallsstaaten der ehemaligen Sowjetunion nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Autokratische Gegenbewegungen Die erste autokratische Gegenwelle datiert Huntington von 1922 bis 1942, angeführt vom italienischen Faschismus und vom deutschen Nationalsozialismus. Eine zweite Gegenwelle fiel in den Zeitraum zwischen 1958 und 1975 und betraf unter anderem eine Reihe südamerikanischer Staaten sowie Ungarn nach dem Volksaufstand, die Tschechoslowakei nach dem Prager Frühling, Griechenland während der Militärdiktatur und diverse asiatische Staaten. Den Beginn einer dritten Gegenwelle setzt Salzborn nach den Terroranschläge am 11. September 2001 an, die vor allem in westlichen Demokratien Einschränkungen der Freiheitsrechte zugunsten der inneren und äußeren Sicherheit angesichts der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus nach sich gezogen hätten. Hinzu kämen Entdemokratisierungsprozesse innerhalb etablierter Demokratien etwa in Form der „Übernahme von politischen Entscheidungsprozessen durch demokratisch nicht-legitimierte Akteure, vor allem aus dem Bereich der (Medien-)Ökonomie“, und durch zunehmende Wahlerfolge rechtsextremer Parteien gerade in den historischen Zentren der Demokratie: den USA und Europa. Demokratisierungsgewinnen, die mit dem Arabischen Frühling auch in Staaten des Nahen Osten und Nordafrikas zwischenzeitlich eingetreten waren, standen in den 2010er Jahren wieder antidemokratische Tendenzen entgegen, etwa in Ägypten, Libyen und Syrien. Terroristische Aktivitäten des Islamischen Staates und die fortwirkende Flüchtlingskrise stellen eine Herausforderung auch für die etablierten europäischen Demokratien dar, indem sie einen Nährboden für rechtspopulistische Tendenzen und Parteien bilden. Ab dem Jahr 2000 gab es mehr Menschen in Staaten mit sich verschlechternden demokratischen Freiheiten als in jenen mit sich verbessernden. 2020 lebten nur noch 4 Prozent der Weltbevölkerung in sich demokratisierenden Staaten, dagegen ein Drittel in jenen, die von der dritten Welle der Autokratisierung betroffen sind; davon sind auch G-20-Staaten wie die USA, Indien oder Brasilien betroffen. Typologien demokratischer Herrschaftsorganisation Empirische Demokratietheorien beschreiben Entwicklung und Funktionsweise von Demokratien. Normative Demokratietheorien beinhalten eine „Soll“-Vorstellung mit Abgleich zum realen „Ist“. Sowohl in der Demokratietheorie als auch in den geschichtlichen Erscheinungsformen zeigen sich spezielle Ausprägungen von Demokratie, die typologisch unterschieden werden – grundlegend etwa im Hinblick auf direkte und repräsentative Demokratien. Darüber hinaus werden weitere Differenzierungen vorgenommen, etwa in Form parlamentarischer oder präsidialer Akzentuierung. Herrschaftsorganisation korrespondiert zudem mit der Art, wie Konflikte behandelt werden: Geht es vorrangig um Konfliktvermeidung und gegebenenfalls um vorbeugende Konsensstiftung, so werden konsens- und konkordanzdemokratische Ansätze betont; wird hingegen offene Konfliktaustragung und -entscheidung bevorzugt, kommen mehrheitsbasierte und konkurrenzorientierte Regierungsformen zum Zuge. In der Praxis sind zumeist von den Idealtypen abweichende Mischformen anzutreffen. Direkte Demokratie In der unmittelbaren bzw. direkten Demokratie nimmt das Volk unmittelbar und unvertretbar durch Abstimmungen über Sachfragen am Staatsgeschehen teil. Das ausgeprägteste direktdemokratische System besteht in der Schweiz. Neben dem fakultativen Referendum auf Bundesebene und der Volksinitiative zur Verfassungsänderung gibt es das obligatorische Verfassungs- und Staatsvertragsreferendum, bei dem das Volk immer über vom Parlament beschlossene Änderungen der Bundesverfassung und über den Beitritt zu Organisationen kollektiver Sicherheit oder zu supranationalen Gemeinschaften abstimmt ( Bundesverfassung), und die Volksinitiative zur Totalrevision der Verfassung ( Bundesverfassung) – bislang nur 1935 erfolglos angestrengt. Weitere direktdemokratische Beteiligungsformen bieten sich den Schweizer Bürgern in den Kantonen und Gemeinden. Diese Angebote werden, so Manfred G. Schmidt, angenommen und als unhintergehbare Errungenschaft angesehen, bei einer Abstimmungsbeteiligung, die allerdings unterdessen zwischen lediglich 35 und 45 Prozent pendelt. Schmidt sieht diese weit ausgebauten Partizipationsrechte als verträglich mit politischer Stabilität, sozialer Kohäsion und hoher wirtschaftlicher Leistungskraft. In vielen Staaten wird das politische System durch einzelne Elemente direkter oder plebiszitärer Demokratie ergänzt. Eine andere Form direkter Demokratie stellt das Rätesystem dar. Die über ein Stufensystem gewählten Räte sind ihren Wählern direkt verantwortlich und an deren Weisungen gebunden, sie sind also mit einem imperativen Mandat versehen. Räte können jederzeit von ihrem Posten abberufen oder abgewählt werden (Recall). Sie rotieren und sind in den meisten Modellen ehrenamtlich tätig. Rätesysteme verlangen daher permanente Aktivität der Basis. Eine wirkmächtige Formulierung des Rätemodells war die Schrift Der Bürgerkrieg in Frankreich, in der Karl Marx es anhand der Erfahrungen der Pariser Kommune beschrieb. In den Neuen Sozialen Bewegungen wurde ab den 1970er Jahren das Modell der Basisdemokratie populär, das später auch bei der Partei Die Grünen einen hohen Stellenwert hatte. Der etwas diffuse Begriff bezeichnet die unmittelbare Beteiligung der politischen Basis an Willensbildung und Entscheidungsfindung. Die Bezeichnung Basisdemokratie deutet auf eine Verbindung mit Rätemodellen hin, da diese oft eine Organisation der Basis in Basisgruppen vorsehen, etwa nach Betrieben oder Wohnvierteln. Sie wird meist nicht mit Bezug auf ein staatliches Modell, sondern auf eine Organisation, Institution oder Bewegung gebraucht. Basisdemokratie sollte ein höheres Niveau an Legitimation für Entscheidungen bereitstellen, gewöhnlich mittels Konsensfindung. Sie galt ihren Protagonisten daher als bessere Alternative zu repräsentativ-demokratischen Modellen. Es ist freilich nicht immer klar, wer zur Basis zählt: Mitglieder, Aktivisten, Betroffene. Repräsentative Demokratie Für die Repräsentative Demokratie charakteristisch ist die Wahl der Repräsentanten des Wahlvolkes in regelmäßigen Abständen. Das Mandat der Volksvertreterinnen und -vertreter endet also mit dem Auslaufen des auch als Legislaturperiode bezeichneten Zeitraums ihrer Beauftragung. In der Ausübung ihres Mandats sind die Gewählten je nach politischem System in unterschiedlicher Weise frei oder an den Wählerwillen rückgebunden. In der modernen Parteiendemokratie erhalten die Gewählten ihr Mandat sowohl aus persönlichen als auch parteilichen Gründen, wobei die jeweilige Parteiprogrammatik sowohl die Wahlentscheidung als folglich auch das Abgeordnetenverhalten oft in hohem Maße bestimmt (Fraktionsdisziplin). Eine repräsentative Willensbildung solle nicht nur der Funktionsfähigkeit, sondern auch der Rationalität demokratischen Handelns dienen, hieß es bereits 1771 bei Jean Louis de Lolme. Wenn das Volk durch von ihm bestellte Repräsentanten an den politischen Entscheidungen teilnehme, könne man ihm nicht, wie etwa der altrömischen Volksversammlung, von heiligen Hühnern etwas vorschwatzen. Vielmehr lägen die Entscheidungen dann in den Händen einer überschaubaren Anzahl politisch informierter und engagierter Persönlichkeiten. Deren Verhandlungen spielten sich in einem geordneten Verfahren ab. Die Untergliederung der Volksvertretung in Regierungspartei und Opposition bewirkt, dass die Willensbildung der Repräsentanten wenigstens der äußeren Form nach als Austausch von Argumenten und nicht als solidarische Zustimmung strukturiert wird. Zudem baute de Lolme auf die Kontrolle durch eine informierte öffentliche Meinung. Ein wichtiges Merkmal bei der Unterscheidung von repräsentativen demokratischen Regierungssystemen liegt laut Winfried Steffani in der Art, wie jeweils die Regierung abberufen werden kann, wobei zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Systemen unterschieden wird. Demnach ist eine Demokratie als parlamentarische anzusehen, wenn ein Parlament (beziehungsweise die Legislative) über ein systematisches Abberufungsrecht der Regierung verfügt; andernfalls handle es sich um präsidentielle Systeme. Bekannte Beispiele für präsidentielle Demokratien sind das politische System Frankreichs und das der USA. Mischformen Die meisten modernen Demokratien sind repräsentative Demokratien mit direktdemokratischen Elementen auf nationaler und/oder kommunaler Ebene. Das Volk trifft sowohl Personal- als auch Sachentscheidungen (Plebiszite). Eine solche Mischform nennt man plebiszitäre Demokratie. Die Gewichtung der repräsentativen und direktdemokratischen Elemente kann dabei von Staat zu Staat unterschiedlich ausfallen. Deshalb unterscheidet man weiter zwischen halbdirekter, gemischter und bedingt repräsentativer Demokratie. Der Begriff plebiszitäre Demokratie wird daneben auch als Sammelbezeichnung für alle volksunmittelbaren Abstimmungen (Sachentscheidungen) verwendet. In der Schweiz ist der Begriff insofern gleichbedeutend mit Volksrechte. Die Schweiz ist auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene eine plebiszitäre Demokratie, wobei auf nationaler und in den meisten Kantonen auch auf kantonaler Ebene und in größeren Gemeinden (Städten) auf kommunaler Ebene ein Parlament legislativ tätig ist, und das Volk bei Parlamentsentscheiden nur über Verfassungsänderungen und über Gesetzesänderungen abstimmt. In den kleineren Gemeinden gibt es keine Volksvertretung (meist Einwohnerrat genannt), sondern Entscheide, die direkt in einer Bürgerversammlung (meist Gemeindeversammlung genannt) diskutiert und abgestimmt werden. Als Demarchie wird eine bislang unverwirklichte Alternative zum Parlamentarismus beschrieben, in der alle Entscheidungsträger eines Gemeinwesens repräsentativ aus denjenigen Menschen mittels Losverfahren bestimmt würden, die von diesen Entscheidungen betroffen wären. Dabei sollten alle politischen Institutionen so weit wie möglich dezentralisiert werden. Das Losverfahren gleicht dem aus der attischen Demokratie bekannten Verfahren zur Besetzung von Ämtern und Gerichten. Peter Rinderle wendet ein, dass die symbolische Qualität des Wahlaktes, bei dem sich alle Wahlberechtigten als frei wählende Mitglieder einer demokratischen Gemeinschaft erfahren können, verloren ginge. Auch könne die Auslosung von Parlamentssitzen die private Freiheit der Erlosten beeinträchtigen: Vielleicht würden sie die für politische Tätigkeit aufzuwendende Zeit lieber in ihrem Beruf oder mit anderem verbringen wollen. Zudem fehlte bei Auslosung die Rückbindung an einen Wählerwillen bzw. an die Wahlprogramme von Parteien. Mehrheits- versus Konsensdemokratie Demokratietypen werden in Theorie und Praxis auch danach unterschieden, welchen Rolle Mehrheiten und Minderheiten für den Aushandlungs- und Entscheidungsprozess im jeweiligen politischen System spielen. In Anlehnung an Arend Lijphart benennt Manfred G. Schmid Merkmale einerseits von Mehrheitsdemokratien und andererseits von Konsensusdemokratien: In Mehrheitsdemokratien ist die Exekutivmacht in den Händen einer wegen des zugrunde liegenden Mehrheitswahlrechts alleinregierenden Mehrheitspartei konzentriert; hier hat die Regierung gegenüber der Legislative eine starke Stellung und steht die Zentralbank in Abhängigkeit zur Regierung. Dem entspricht weitgehend beispielsweise Großbritannien. Konsensusdemokratien verteilen die Exekutivmacht dagegen auf mehrere Parteien; zwischen Exekutive und Legislative soll ein Kräftegleichgewicht bestehen. Spezifische Merkmale sind zudem ein Vielparteiensystem mit Verhältniswahlrecht, ein föderalistischer, dezentralisierter Staatsaufbau, ein Zweikammersystem mit gleich starken Kammern und eine unabhängige Zentralbank. Dies trifft in hohem Maß zum Beispiel auf die Schweiz zu. Als theoretisches Konzept wird die Konsensdemokratie zudem als deliberative Demokratie reflektiert. Dabei geht es um die Einflussminderung von repräsentierenden Funktionseliten hin zu mehr öffentlicher Beratung. Die Bürger werden als fähig angesehen, ihre eigenen Positionen anhand der Argumente anderer zu prüfen, sich über Entscheidungsgegenstände hinreichend zu informieren, das Gesamtwohl zu berücksichtigen, sich in den diskursiven Austausch einzubringen. Nach den Vorstellungen von Jürgen Habermas muss ein solcher in der Öffentlichkeit auszutragender Diskurs frei von Gewalt- und Machteinflüssen sein, muss Offenheit für alle Probleme und Fragestellungen bestehen, darf keine gesellschaftliche Teilgruppe ausgeschlossen sein und sollten alle die gleichen Möglichkeiten erhalten, ihre Vorstellungen einzubringen und berücksichtigt zu werden. Ziel des Verfahrens soll sein, das „Richtige“ zu ermitteln, hervorgehend aus einem Konsens aller Beteiligten und nicht als Kompromiss widerstreitender Interessen. Von Kritikern dieses Konzepts hinterfragt wird unter anderem bereits die Bereitschaft der beteiligten Bürger, ihre eigenen Positionen im Rahmen des Prozesses zu verändern und einen verallgemeinerbaren Konsens als richtig zu erkennen und mitzutragen. Konkurrenz- versus Konkordanzdemokratie Ähnlich angelegt ist die Unterscheidung zwischen Konkurrenzdemokratie und Konkordanzdemokratie. Der Akzent beim Begriff Konkurrenzdemokratie liegt auf dem Wettbewerb im Mehrparteiensystem, in dem mit Parteiprogrammen und Wahlversprechen um die Wählerstimmen geworben wird. Die eigenen Regierungsziele kann während der Dauer der Legislaturperiode umsetzen, wem die Stimmenmehrheit zufällt. Die Unterlegenen bilden die Opposition und setzen ihre Hoffnungen in den nächsten Wahltermin. Ein derartiges konkurrenzdemokratisches System stößt aber laut Bernhard Frevel und Nils Voelzke an seine Grenzen, wo ein Staat nicht von Homogenität geprägt ist, sondern von Heterogenität, wo auf der Basis des reinen Mehrheitsprinzips die abweichenden Interessen starker Minderheiten regelmäßig niedergestimmt würden, wie das zum Beispiel in Staaten mit mehreren Sprach- oder Volksgruppen, mit differierenden religiösen Bindungen oder im Wirtschaftswohlstand stark voneinander abweichenden Regionen der Fall sein kann. In einer Konkordanzdemokratie dagegen – früher „Proporzdemokratie“, inzwischen auch „Verhandlungsdemokratie“ genannt – wird anstelle des Mehrheitsprinzips ein gütliches Einvernehmen mittels Kompromisstechniken gesucht, wird Minderheitenschutz durch Minderheitenbeteiligung an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen verwirklicht. Dies kann einerseits im informellen politischen Prozess geschehen, indem die gesellschaftlichen Gruppen durch Anhörungen in den Meinungsbildungsprozess von Parlament und Regierung aufgenommen werden; dies kann aber auch formal gewährleistet sein, indem festgelegte Proporz- oder Paritätsregeln die politische Partizipation und Ämtervergabe regeln. Dieser Ansatz kann in hohem Maße zu politischer Stabilität und zur Integration unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppierungen beitragen, tendiert aber auch zur Bewahrung des Status quo, sodass Innovationen nur gelegentlich und mit großem Zeitaufwand zustande kommen. Prozedurale versus substanzielle Demokratie Der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Alan Dahl sieht Demokratie als Verfahren kollektiver Entscheidungsfindung innerhalb eines Gemeinwesens, das gekennzeichnet ist durch fünf Bedingungen: Gleichberechtigung der Mitglieder, wirksame und angemessene Möglichkeiten zur Teilnahme, hinreichende Information der Mitglieder in Bezug auf die Punkte der politischen Agenda, volle Kontrolle der Mitglieder über diese Agenda und Einschluss aller Erwachsenen in die Mitgliedschaft. Diese fünf stellen nach Dahl die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für eine demokratische Selbstverwaltung dar. Gegen einen solchen prozeduralen Demokratiebegriff wenden sich Wissenschaftler wie Ronald Dworkin, die einen substanziellen Demokratiebegriff vertreten. Demnach muss nicht nur das Verfahren demokratisch sein, durch das eine politische Entscheidung getroffen wird, sondern auch der Inhalt dieser Entscheidung: „Entscheidungen einer Mehrheit sind nur dann demokratisch, wenn der Status und die Interessen eines jeden Bürgers als vollberechtigter Partner [… gewahrt werden].“ Das heißt, dass Mehrheiten zum Beispiel keine diskriminierenden Gesetze beschließen dürfen. Hiergegen wird wiederum eingewandt, dass dieses Demokratieverständnis Rechtfertigungen liefert für Interventionen von Experten oder Wächtern in den demokratischen Prozess. Die Letztentscheidungen lägen somit nicht beim souveränen Volk, sondern bei den Gerichten. Die beiden Demokratiebegriffe lassen sich exemplifizieren an den beiden Demokratien, die im Lauf des 20. Jahrhunderts in Deutschland gegründet wurden: Die Weimarer Republik ging von einem prozeduralen, rechtspositivistischen Demokratieverständnis aus, wonach sich die Demokratie auch selbst abschaffen durfte, wenn dies nur rechtlich sauber geschah. Insofern konnten mit Zweidrittelmehrheit im Reichstag Ermächtigungsgesetze erlassen werden, die den demokratischen Wesenskern des Staates aushöhlten, wie es das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 nachhaltig tat. Im Parlamentarischen Rat zogen die Väter und Mütter des Grundgesetzes daraus die viel zitierten Lehren aus Weimar: Die Bundesrepublik Deutschland ist demnach eine streitbare Demokratie, eine Selbstabschaffung der Demokratie ist laut der Wesensgehaltsgarantie (Artikel 19 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland) und der Ewigkeitsklausel (Art. 79) unzulässig. Messinstrumente zur Bestimmung von Entwicklungsstand und Qualität demokratischer Systeme Wie bei allen politischen Systemen sind Entstehen und Fortbestehen demokratischer Ordnungen von innergesellschaftlichen und außenpolitischen Einflussfaktoren abhängig. Vergleichende Demokratieforschung analysiert solche Kontextbedingungen und entwickelt Messinstrumente zur Bestimmung von Entwicklungsstand und Qualität eines vorhandenen demokratischen Systems. Als besonders erhellend betrachtet Samuel Salzborn das von Wolfgang Merkel entworfene Konzept der „eingebetteten Demokratie“ (embedded democracy), das die Stabilität einer funktionsfähigen Demokratie auf die Interaktion von fünf Teilregimen zurückführt: 1. das demokratische Wahlregime, 2. die politischen Partizipationsrechte, 3. die bürgerlichen Freiheitsrechte, 4. die institutionelle Sicherung der Gewaltenkontrolle sowie 5. die Sicherung der effektiven Regierungsgewalt der demokratisch gewählten Repräsentanten. Verschiedene Organisationen und Forschungsinstitute veröffentlichen Indikatoren für Demokratiequalität, die auch in der vergleichenden Forschung verwendet werden. Zu den bekanntesten solchen Indikatoren zählen die Demokratieindizes des V-Dem Instituts, die elektorale, liberale, partizipative, deliberative und egalitäre Demokratie anhand von Experteneinschätzungen messen. Defekte Demokratie Als defekte Demokratie werden in der vergleichenden Politikwissenschaft politische Systeme bezeichnet, in denen zwar demokratische Wahlen stattfinden, die jedoch gemessen an den normativen Grundlagen liberaler Demokratien (Teilhaberechte, Freiheitsrechte, Gewaltenkontrolle etc.) verschiedene Defekte aufweisen. Man unterscheidet innerhalb der Defekten Demokratien: Exklusive Demokratie, Illiberale Demokratie, Delegative Demokratie und Enklavendemokratie. Das Konzept der defekten Demokratie ist in der Politikwissenschaft umstritten. Mangelnde Gleichheit bzw. unzureichende Repräsentation Politische Gleichheit ist eine der Voraussetzungen für Demokratie: Jeder Bürger sollte im Idealfall eine gleichgewichtige Stimme haben. Obwohl es für eine Regierung unmöglich ist, die Präferenz jedes Bürgers jederzeit zu berücksichtigen, sollte es aus demokratischer Sicht keine strukturelle Ungleichheit bei der Stimmenberücksichtigung geben. Analysen zeigen jedoch, dass für einige Demokratien nicht der Fall ist: Europa Eine Analyse von 25 europäischen Ländern zeigt, dass es kaum eine Gleichgewichtigkeit der Stimmenrepräsentation speziell bei der Frage der gesellschaftlichen Umverteilung bzw. des Wohlfahrtstaates gibt. Gruppen mit niedrigerem Einkommen sind in der Regel unterrepräsentiert, während Gruppen mit höherem Einkommen überrepräsentiert sind. Ferner stellte die Studie fest, dass diese unterschiedliche Repräsentation gerade dann ausgeprägter ist, wenn die Vorlieben von Arm und Reich stärker voneinander abweichen. Wenn diese Präferenzen nicht übereinstimmen, tendieren die Regierungen dazu, den Präferenzen der Reichen mehr zu folgen als denen der Armen. Schweiz Eine weitere Studie untersuchte eine ähnliche Fragestellung anhand des Schweizer Parlaments. Sie verglich Umfragedaten zu den Meinungen der Bürger mit denen der Abgeordneten zu wirtschaftlichen Fragen in der Wahlperiode 2007–11. Die Ergebnisse zeigten, dass Abgeordnete meist weniger für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sind als der Durchschnittsbürger. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass relativ arme Bürger im Vergleich zu Bürgern mit hohem Einkommen weniger gut in ihrer Meinung vertreten werden. Deutschland Die im Jahr 2021 gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestags stehen nicht repräsentativ für die deutsche Bevölkerung. 87 Prozent der Bundestagsmitglieder sind Akademiker, während ihr Anteil in der Bevölkerung bei 14 bis 15 Prozent liegt. Laut einem Forschungsbericht im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales von 2016 auf Basis der Daten von 1998 bis 2015 werden in Deutschland die Präferenzen der sozialen Schichten bei politischen Entscheidungen unterschiedlich stark berücksichtigt. Es zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang von politischen Entscheidungen mit den Einstellungen von Personen mit höherem Einkommen, jedoch keiner oder sogar ein negativer mit denen von Einkommensschwachen. „Scheindemokratie“ Viele Staaten weisen Defizite bei wesentlichen demokratischen Elementen und Grundrechten auf, obwohl sie sich als Demokratien bezeichnen. Diese werden in den Medien manchmal „Scheindemokratie“ genannt. In einer vom Südwestrundfunk 2021 in Auftrag gegebenen Umfrage zur Demokratie stimmten 31 Prozent der Befragten in Deutschland der Aussage zu: „Wir leben nur scheinbar in einer Demokratie“. 28 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass das demokratische System in Deutschland „grundlegend geändert“ werden müsse. Funktionsbedingungen der modernen Demokratie Das Nachdenken darüber, welches die Faktoren seien, unter denen sich stabile Demokratien entwickeln können, hat bereits in der politischen Theorie der Antike begonnen (siehe oben) und wurde unter den Bedingungen der frühen Neuzeit fortgesetzt. Für die moderne Massendemokratie ist die vergleichende Demokratieforschung teils zu ähnlichen Ergebnissen gelangt, hat aber zusätzliche Anpassungen vorgenommen. Voraussetzungen und begünstigende Faktoren Vier essenzielle Bedingungen für eine stabile Demokratie referiert Vorländer aufgrund der Ergebnisse neuerer vergleichender Demokratieforschung: eine effektive zivile Kontrolle der exekutiven, insbesondere militärischen Gewalt, eine politische Kultur, die einen Konfliktaustrag auf dem Wege des Kompromisses unterstützt und insgesamt Demokratie bejaht eine plurale Gesellschaft ohne dirigistische staatliche Eingriffe mit breiter Streuung der verschiedenen Machtressourcen eine förderliche außenpolitische Lage. Ergänzend werden zwei Faktoren genannt, die eine Demokratie begünstigen: eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung kulturellen Pluralismus bei gleichwohl überlappendem demokratischen Konsens. Mündige Bürger Um den demokratischen Legitimitätsanspruch an die Demokratie aufrechtzuerhalten, sind nach Hubertus Buchstein mündige Bürger eine wichtige Voraussetzung. Die Demokratie selbst sei jedoch unfähig, solche Bürger zu (re-)produzieren, die es für die Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems eigentlich brauche. Eine erfolgreiche Partizipation etwa kann nur gelingen, wenn die Bürger selbstbestimmt und unabhängig agieren und in diesem Sinne über bestimmte Bürgerqualitäten verfügen. Dafür ist zum einen grundlegendes politisches (Fakten-)Wissen nötig. Doch auch prozedurales politisches Wissen sowie gewisse Persönlichkeitsmerkmale der Bürger selbst sind dabei von Bedeutung. Letzteres stellt den Kerngedanken eines politischen Tugendbegriffes dar, der durch eine Orientierung auf die Gemeinschaft sowie durch bestimmte Emotionen und Handlungsmotivationen gekennzeichnet ist. Unterschiedliche politische Systeme bedürfen unterschiedlicher politischer Tugenden. Für (westliche) demokratische Systeme stellen etwa Loyalität, Mut, Toleranz, Solidarität oder Fairness wichtige Eigenschaften der Bürger zur Aufrechterhaltung des demokratischen Systems dar. Um diese (und weitere nötige) Dispositionen nachhaltig zu fördern und auszubauen, bedarf es unterstützender, institutioneller Rahmenbedingungen. Wissen und Verstehen im Sinne mündiger Bürger setzten den allgemeinen freien Zugang zu allen Informationen voraus, die für eine politische Entscheidung gebraucht werden (Rezipientenfreiheit). Politische Meinungsbildung und -artikulation in einer Demokratie beruhen zudem auf Organisationsfreiheit. Dazu gehören Versammlungsfreiheit und die Freiheit, Parteien und andere gesellschaftliche Organisationen zu bilden. In der Denktradition der deliberativen Demokratie eignen sich zur Ausbildung politischer Kompetenzen etwa auch Bürgerforen. Demokratie in pluralen Gesellschaften Ein zentrales Problem der Demokratie in modernen Gesellschaften ist, dass das „Volk“ nicht aus einzelnen, unabhängig voneinander rational entscheidenden Menschen besteht, sondern aus verschiedenen sozialen Gruppen, Klassen oder Schichten, die durch unterschiedliche soziale, ethnische, wirtschaftliche, kulturelle oder religiöse Gemeinsamkeiten und ihre jeweiligen spezifischen Interessen konstituiert werden. Durch Verbände, Vereine, Initiativen oder Lobbygruppen üben diese Gruppen Druck auf die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger aus. Diese betroffenheitsgesteuerten Interventionen gelten als unentbehrliche Ergänzung des demokratischen Willensbildungsprozesses. Wenn aber einige dieser Gruppen permanent in der Minderheit bleiben und durch die majoritären Gruppen unterdrückt werden, sodass ihre jeweiligen Anliegen nie im Wege eines Kompromisses in den Entscheidungsprozess einfließen, spricht man von einer fragmentierten Gesellschaft. In einem solchen Fall müssen institutionelle Formen der Demokratie gefunden werden, die das Mehrheitsprinzip teilweise außer Kraft setzen. Eine dieser Möglichkeiten ist der Föderalismus, der geographisch separat siedelnden Minderheiten Mitbestimmungsmöglichkeiten zubilligt. Leben die unterdrückten Minderheiten in gemischten Siedlungsgebieten mit der Mehrheit, kann die politische Macht funktional aufgeteilt werden: Die minoritären Gruppen dürfen dann Vertreter in die paritätisch oder anteilsmäßig besetzten Entscheidungsgremien entsenden, sie erhalten feste Plätze in Legislative oder Exekutive oder erhalten ein Vetorecht. In solchen Demokratien gibt es dann zwar keine Opposition im eigentlichen Sinne des Wortes mehr, die Alternative wäre aber ein Übergang zu einer autoritären Herrschaft oder ein Bürgerkrieg. Quoten und Vetorechte werden aktuell im Zusammenhang mit einer „multikulturellen Demokratie“ diskutiert, in der die verschiedenen Minderheiten von Migrantengruppen angemessen wahrgenommen würden. Zwei unterschiedliche Konzepte prägen derzeit die Diskussion um Demokratisierung in pluralen Gesellschaften: Anhänger einer deliberativen Demokratie wie James Bohman oder Jürgen Habermas setzen auf öffentliche Deliberation, also den Austausch von Argumenten in einem rationalen Diskurs. Hier können, so die Erwartung, rein private Interessen und Argumente erkannt und ausgesondert werden. Sie beanspruchen für die Ergebnisse solcher Deliberationen einen höheren Grad an Legitimation als für Wahlen und Abstimmungen. Demgegenüber kritisieren Anhänger der radikalen Demokratie, wie etwa Chantal Mouffe, die Gleichsetzung von Rationalität und Demokratie und betonen die Rolle der kollektiven Leidenschaften im politischen Diskurs. Sie unterscheiden zwischen der Parteipolitik, die nur bestehende Herrschaftsstrukturen reproduziere, und Momenten des Politischen, in denen ebendiese hierarchischen und unterdrückenden Strukturen sichtbar gemacht und herausgefordert werden. Auf diese radikale Infragestellung von politischen und sozialen Herrschaftsstrukturen kommt es ihnen an. Gesamtgesellschaftliche Perspektive und Partizipation Der demokratische Gedanke bedarf einer Verwirklichung in der Gesellschaft, als wesentlicher Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung. In der Antike waren dies Marktplatz, Agora oder Forum als bedeutende Orte der politischen Meinungsbildung, im ausgehenden Mittelalter öffentliche Plätze, später Stammtische. Auch im Sinne jüngerer demokratietheoretischer Überlegungen wird einer zivilgesellschaftlich verankerten politischen Öffentlichkeit eine wichtige Bedeutung für eine funktionsfähige Demokratie zugemessen. Es komme auf das Zusammenwirken von informeller Meinungsbildung und verfasster Willensbildung an, auf die Kooperation parlamentarisch-repräsentativer und authentischer Verständigungsprozesse im außerparlamentarischen, gesellschaftlichen Bereich. Legitimation der rechtlichen und sozialen Ordnung durch Demokratie Eine wichtige Legitimationstheorie der Demokratie gründet sich auf das Ideal einer „Volksherrschaft“, die auf der Zustimmung und Mitwirkung aller Bürger beruhen solle. Theoretisch kann man eine Begründung dafür in folgender Überlegung suchen: Die Ordnung der politischen Gemeinschaft solle sich auf Gerechtigkeit gründen. Die letzte Grundlage, zu der alles Bemühen um Gerechtigkeitseinsicht vordringen kann, ist das, was das individuelle Gewissen nach bestmöglichem Vernunftgebrauch für gut und gerecht befindet. Daher gilt jeder als eine dem anderen gleich zu achtende moralische Instanz, wie Kant feststellte. Dies führt, so Reinhold Zippelius, „für den Bereich des Staates und des Rechts zu dem demokratischen Anspruch, dass alle in einem freien Wettbewerb der Überzeugungen auch über die Fragen des Rechts und der Gerechtigkeit mitbestimmen und mitentscheiden sollten“. Dementsprechend gilt heute die Demokratie im westlichen Verständnis als einzig mögliche Legitimation der sozialen Ordnung (siehe auch Demokratismus). Demokratisierungsvorgänge Die Einschätzung der Demokratie als der „(einzig) richtigen Staatsform“ und als vorrangiges gesellschaftliches Gestaltungsprinzip mündet in den sogenannten Demokratisierungsprozess. Dabei wird unterschieden zwischen einer Demokratisierung von „unten“, bei der die Demokratie durch eine Revolution des Volkes innerstaatlich eingeführt wird, und einer Revolution von „oben“, bei der das Land durch eine fremde Macht von außen „demokratisiert“ wird. Letzteres kann durch die gewaltsame „Befreiung“ eines Landes (wie es beispielsweise bei der Entnazifizierung oder in Afghanistan und dem Irak der Fall war) geschehen oder in abgeschwächter Form zum Beispiel durch Demokratieförderung. Neuere Forschung hingegen verweist darauf, dass Demokratie auch in Revolutionszusammenhängen wie seinerzeit in Frankreich oder in den USA wesentlich von oben befördert wurde und dass die meisten Demokratien ohnehin ohne Revolutionen entstanden sind. Demokratisierung im Sinne der Entwicklung und Sicherung von Freiheit bedingt die rechtsstaatliche Bindung der Staatsgewalt, die Gewährleistung von Grundrechten, eine rechtsstaatliche Strukturierung der Entscheidungsverfahren im Rahmen einer Gewaltenteilung sowie rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze und Kontrollen. Als demokratie- und partizipationsfördernd wird auch die Dezentralisierung der Entscheidungskompetenzen in Verbindung mit dem Subsidiaritätsprinzip angesehen. Dafür grundlegend ist die föderative Gliederung eines Staates in Länder und die Gliederung der Länder in Selbstverwaltungskörperschaften bis hin zu den Gemeinden. In einem so gegliederten Gemeinwesen sollen die nachgeordneten politischen Einheiten alles erledigen, was sie besser oder ebenso gut besorgen können wie die übergeordneten. Dadurch sollen die kleineren Gemeinschaften und deren Mitglieder ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Verantwortung für ihren eigenen Lebensbereich erhalten; insgesamt soll auf diese Weise für Bürgernähe gesorgt werden. Einflussgrößen und Wechselwirkungen Alte und neue Medien Das Mediensystem gilt als wichtiger Faktor für die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Die massenmediale Informationsvermittlung ist für die Meinungsbildung grundlegend geworden. Medien begleiten die politischen Abläufe und kontrollieren das Regierungshandeln. In der Mediendemokratie bestimmen sie die öffentliche Agenda, so Vorländer, während sich andererseits das politische Personal der Medien bedient, um Einfluss auf das Publikum zu nehmen. „Der Wettstreit der Argumente, Positionen und Personen, im Medium der Talkshows […] führt, wenngleich mediatisiert, zurück zum Archetyp der agonalen Politik der Athener Polisdemokratie.“ Die dominierende Stellung der audiovisuellen und der Printmedien wird durch den Einfluss der neuen sozialen Medien zunehmend in Frage gestellt. Die „digitale“ Demokratie gewährleistet beschleunigte Informationsbeschaffung und vermittelt Aussicht auf eine neue, von gleichen Beteiligungschancen ausgehende Struktur der Meinungs-, Willens- und Entscheidungsbildung. In den sozialen Medien bieten sich Chancen zur schnellen und wirkmächtigen Aktivierung und Mobilisierung von Gleichgesinnten sowie zur Organisation von Kampagnen. Als qualitative Verbesserung demokratischer Strukturen erscheint sie andererseits nicht unbedingt. Das Problem der unterschiedlichen Beteiligung aufgrund sozialer und kultureller Hintergründe oder auch des individuellen Internetzugangs besteht teilweise fort. Zudem bilden sich in Netzwerken und Gruppen sogenannte Filterblasen oder Echokammern mit Abschließungseffekten gegenüber abweichenden Informations- und Meinungsbildungsimpulsen. Dadurch kommt es zu verstärkter Parzellierung der Öffentlichkeit in viele Teilöffentlichkeiten, die in verantwortlichen Meinungs – und Entscheidungsbildungsprozessen schwer zusammenzuführen sind. Zudem können Blogs und Tweets demagogisch wirken, können Social Bots den öffentlichen Meinungsbildungsprozess und die Legitimität demokratischer Wahlverfahren gefährden. Rechtsstaatlichkeit Das Freiheitsversprechen der Demokratie erfordert den Aufbau einer Rechtsordnung mit Regeln des Zusammenlebens, die grundsätzlich für alle gelten. Im Rahmen der Gesetzgebung wird einerseits die Freiheit des Handelns geschützt, andererseits ein Rahmen vorgegeben, der das Handlungsspektrum durch Verbot und Kriminalisierung von gemeinschafts- und freiheitsschädlichem Verhalten begrenzt. Das demokratische Prinzip des gleichen Rechts für alle soll unabhängig von körperlicher, sozialer, wirtschaftlicher oder geistiger Stärke zur Geltung gebracht werden. Daraus ergibt sich jeweils die Funktion der staatlichen Institutionen: vom Volk legitimierte Gesetzgebungsorgane zur Gestaltung des Ordnungsrahmens; an die Gesetzgebung gebundene Regierungs- und Verwaltungsorgane; eine die Einhaltung der Gesetzgebung überwachende, unabhängige Rechtsprechung. In der Möglichkeit der Klage vor Gericht und des Bestehens auf Tatbestandsprüfung, die staatlichen Akteuren, Institutionen und Privatpersonen offen steht, liegt der Kern der Rechtsstaatlichkeit, so Frevel und Voelzke. „Sowohl staatliche Willkürherrschaft als auch Zwang und Unterdrückung durch Dritte sollen mit dem Rechtsstaat verhindert werden.“ Wirtschaftswachstum Zum Zusammenhang zwischen Demokratie und Wirtschaftswachstum liegen Forschungen aus mehreren Jahrzehnten mit insgesamt widersprüchlichen Ergebnissen vor. Barro kam – entgegen Studien aus den 1980er Jahren – 1996 zu dem Schluss, dass Demokratie und Wirtschaftswachstum nicht kausal miteinander in Verbindung stehen, sondern durch dritte Faktoren wie Humankapital gemeinsam beeinflusst werden. Rodrik stellte 1997 fest, dass es keinen starken, deterministischen Zusammenhang zwischen Demokratie und Wachstum gebe, wenn man andere Faktoren konstant hält. Für einen Zusammenhang zwischen Demokratie und Wirtschaftswachstum wird argumentiert, dass Demokratien es erlaubten, unfähige, ineffiziente und korrupte Regierungen abzuwählen, wodurch auf lange Sicht die Qualität der Regierung höher sei. Autoritäre Regime könnten zwar zufällig hochwertige Regierungen stellen, doch wenn sie es nicht täten, sei es schwerer, sie wieder loszuwerden. Auf der anderen Seite wird angeführt, dass Interessengruppen durch Lobbyismus um Macht und Renten die Demokratie lähmen und für den Entwicklungsprozess bedeutsame Entscheidungen verhindern können. So argumentiert der ehemalige Premierminister von Singapur Lee Kuan Yew, dass das beachtliche Wachstum seines Landes in den letzten 30 Jahren angeblich nicht ohne die strengen Einschränkungen von politischen Rechten möglich gewesen wäre. Andere haben auf die erfolgreichen Wirtschaftsreformen der Volksrepublik China verwiesen. Überdies herrsche in manchen Demokratien (beispielsweise in Lateinamerika) eine ähnliche Machtstruktur wie in autoritären Regimen. So kann der Schluss gezogen werden, dass eine Demokratisierung (z. B. politische Rechte, Bürgerrechte oder freie Presse) eine verbesserte Regierung nicht zwangsweise nach sich zieht. Rivera-Batiz (2002) bestätigt aus einer Analyse empirischer Daten zu 115 Ländern 1960–1990, dass Demokratie ein signifikanter Bestimmungsfaktor der totalen Faktorproduktivität nur dann ist, wenn demokratische Institutionen mit einer höheren Governance-Qualität (z. B. wenig Korruption, sichere Eigentumsrechte) einhergehen. Im Zuge der zunehmenden sozialökologischen Wachstumskritik wird gleichwohl grundsätzlich bezweifelt, ob die Ausrichtung auf Wirtschaftswachstum überhaupt wünschenswert ist. Es wird argumentiert, dass das nur scheinbar nützliche Wirtschaftswachstum zum einen durch immer intensivere Ressourcennutzung die natürlichen Lebensgrundlagen untergräbt und entscheidend zur ökologischen Krise beiträgt, und zum anderen zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit führt, etwa wenn Lohnkosten gesenkt werden, um profitabler zu produzieren. Demokratie und Frieden Demokratien sind weniger gewalttätig als Nichtdemokratien. Das gilt für das Maß an innergesellschaftlicher Gewaltanwendung, vor allem aber führen Demokratien keine Kriege gegeneinander. Als Ausnahmen von diesem empirisch belegten Zusammenhang gelten die Faschoda-Krise zwischen dem Großbritannien und Frankreich 1898 und die Kabeljaukriege zwischen Island und Großbritannien in den Jahren 1958 bis 1976. In beiden Konflikten kam es jedoch nicht zum Ausbruch eines regulären Krieges. Ob die Korrelation zwischen Demokratie und Frieden auf einen Kausalzusammenhang zurückzuführen ist und falls ja, in welcher Richtung dieser wirkt, ist in den Internationalen Beziehungen umstritten. So argumentierte etwa der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel, dass Kriege nicht im Interesse der Bürger seien. Wenn diese die Politik bestimmten, bleibe es friedlich. Dem wird entgegengehalten, dass nicht die Demokratie zu Frieden führe, sondern umgekehrt, dass eine friedliche Umgebung demokratische Prozesse fördere. Andere Kritiker argumentieren, dass das Fehlen von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Demokratien andere Ursachen habe, als dass sie Demokratien sind. Insofern handele es sich um eine Scheinkorrelation. Der amerikanische Politikwissenschaftler Dan Reiter sieht gleichwohl starke Indizien dafür, dass Frieden und Demokratie sich gegenseitig begünstigen, räumt aber ein, dass eine solche wechselseitige Begünstigung ebenfalls für Demokratie und Wirtschaftsentwicklung sowie für Demokratie und Gleichberechtigung der Geschlechter besteht. Kritik an Demokratieschwächen und -defiziten Kritik an Merkmalen und Erscheinungsformen der Demokratie wurde von teils namhafter Seite bereits in der Antike geübt. Für den Historiker Thukydides war Athen in der Ära des Perikles „dem Namen nach eine Demokratie, in Wirklichkeit aber eine Herrschaft des ersten Mannes“. In des Tragödiendichters Euripides Tragödie Die Schutzflehenden sagt der Herold aus Theben zu Theseus: „Die Stadt, aus der ich komme, wird nur von einem Mann regiert, nicht vom Mob; niemand scheucht dort die Bürger mit irreführenden Reden auf, und dirigiert sie zu seinem eigenen Vorteil hierhin und dahin.“ Die Kritik an mehr oder minder schwerwiegenden Mängeln gegenwärtiger demokratischer Systeme entzündet sich an diversen Erscheinungsformen und speist sich aus verschiedenen politischen Interessenlagen. Häufige Kritikaspekte betreffen eine Ungleichheit der Wähler- und Interessenrepräsentation, innergesellschaftliche Spaltungstendenzen, die demokratische Systeme destabilisieren, eine rückläufige Kultur demokratischer Auseinandersetzung oder eine nachlassende Wertschätzung demokratischer Errungenschaften. Kritische Einwände werden nicht nur von Politologen, Gesellschaftswissenschaftlern und Philosophen formuliert, sondern im ganzen Raum medialer Öffentlichkeiten. Repräsentationsmängel und Wahlrechtsbeschränkungen Das Wahlrecht hängt nicht an der Zugehörigkeit zur realen Bevölkerung, sondern an der Staatsbürgerschaft. Ausländer, die die Staatsbürgerschaft nicht besitzen, dürfen sich üblicherweise nicht an demokratischen Wahlen des Landes beteiligen, in dem sie leben, weder passiv noch aktiv. Einige demokratische Staaten haben sehr hohe Quoten von nicht-Staatsbürgern, zum Beispiel Luxemburg 47,2 %, Schweiz 25,5 %, Österreich 17,1 %, Deutschland 12,7 % und Spanien 11,3 % (Stand 2021). In manchen Staaten steht auch Ausländern ein Ausländerwahlrecht zu, so sind in einigen Schweizer Kantonen und Gemeinden Ausländer stimmberechtigt. Auch dürfen EU-Bürger in EU-Staaten an politischen Wahlen auf kommunaler Ebene grundsätzlich teilnehmen. Das Wahlrecht als Bürgerrecht kann in etlichen Staaten aberkannt werden. So dürfen Strafgefangene in manchen US-Staaten nicht wählen. „Parteienstaat“ Die parteienstaatliche Demokratie (in kritischer Absicht auch kurz: der „Parteienstaat“) hat eine strukturbildende Wirkung in der modernen westlichen Demokratie. Er wird gedeutet als Ergebnis eines unumkehrbaren Strukturwandels vom liberal-repräsentativen parlamentarischen System zur parteienstaatlichen Massendemokratie. Damit geht der Charakter der selbstständigen Willensbildung und Entscheidungsfindung im Parlament verloren. Die durch imperatives Mandat an ihre Parteien gebundenen („Fraktionsdisziplin“) Abgeordneten ratifizieren dort oft nur noch die bereits abseits der Öffentlichkeit in Ausschüssen oder Parteikonferenzen getroffenen Entscheidungen. Der Volks- oder Gemeinwille wird damit vor allem von den politischen Parteien geprägt. Aus dem Auf- und Ausbau des Parteienstaates erwachse „ein Kartell der Parteieliten“. Die so formierte „politische Klasse“ sei nur aus selbstsüchtigen Gründen, etwa zum fortgesetzten Genuss der eigenen Privilegien, an der Systemerhaltung interessiert. Manfred G. Schmidt relativiert solche Pauschalbeschreibungen der Parteienstaatstheorie: Es fehle an Differenzierung des höchst unterschiedlichen Parteieneinflusses in verschiedenen Ländern, Politikfeldern und Ebenen der Staatsorganisation. Hinsichtlich der staatlichen Parteienfinanzierung sowie der Alimentierung der Parlamentarier und Minister aus staatlichen Geldern hätten sich die politischen Parteien in Deutschland vergleichsweise „komfortabel eingerichtet“. In Österreich allerdings erweise sich der Parteienstaat, „bestärkt durch eingespielte Patronagepraxis, Koalitionsschacher und hohe Parteimitgliederdichte“, als besonders weit ausgebaut. In der Schweiz hingegen sei das Parteienstaatselement viel schwächer ausgebildet, mitbedingt durch die direktdemokratischen Elemente. Lobbyarbeit Auf die Berücksichtigung pluraler Interessen ausgerichtete Demokratietypen stehen der Bildung von Interessenverbänden, die politische Anliegen in organisierter Form artikulieren, offen gegenüber. Wirtschafts- und Sozialverbände sind in diesem Sinne anerkannte Dialogpartner der politisch Verantwortlichen in Parlamenten und Regierungen. Kritisiert werden finanzielle Zuwendungen an Abgeordnete bis hin zu illegaler Korruption und Bestechung, die Vergabe oder das Vorenthalten von exklusiven Informationen sowie das personelle Eindringen und die Einflussnahme von Verbandsvertretern in Parteien, Parlamenten und Regierungen. Beklagt wird die Nichtbeachtung struktureller Vorteile der Machteliten bei der Durchsetzung ihrer Interessen und umgekehrt die Minder- oder Nichtberücksichtigung der Interessen von Minderprivilegierten und Unorganisierten. Neuerdings werden die USA in der Politikanalyse, so A. C. Grayling, mitunter eher als Timokratie der Millionäre angesehen, in der Milliarden für Lobbying, politisches Gerangel und „Gerrymandering“ (politische Trickserei um die Größe von Wahlbezirken) ausgegeben werden. Beklagt wird beispielsweise auch, dass eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes es Milliardären gestattet, Wahlkämpfe auf allen Ebenen unbegrenzt finanziell zu unterstützen; politische Ämter werden gekauft und verkauft „wie ein Paar Socken“. Strukturell bedingte Kurzfristigkeit politischer Planung Modernen Demokratien wird auch mangelnde planerische Vorausschau nachgesagt, was auf die Taktung der Legislaturperioden zurückzuführen ist, die für Mandatsträger zeitlich begrenzte Wirkenshorizonte vorgeben, nach denen sie sich um eine Wiederwahl bewerben müssen. Speziell kritisiert wird der Umgang mit ökologischen Problemen langfristiger Art. Entscheidungen, die anfangs Umstellungsprobleme bereiten und sich erst auf mittlere oder lange Sicht auszahlen, würden deshalb meist nicht getroffen. Gemäß der Neuen Politischen Ökonomie ist Demokratie als ein Markt zu verstehen, in dem die Parteien in ihrer Nachfrage nach Wählerstimmen verschiedene Angebote machen, aus denen die Wähler rational kalkulierend das den eigenen Präferenzen Entsprechende auswählen. Der „Volkswille“ ist in diesem Modell, wie Joseph Schumpeter schrieb, „das Erzeugnis und nicht die Triebkraft des politischen Prozesses“. Um möglichst viele Wählerstimmen zu akkumulieren, überbieten sich die Anbieter mit Versprechungen, die sie nicht halten können, was wiederum die eigene und die Legitimität des demokratischen Systems untergräbt. Außerdem neigen sie dazu, Lasten ob nun finanzieller oder ökologischer Natur, auf die Zukunft abzuwälzen und, wie es bereits bei Tocqueville hieß, vorrangig „die Bedürfnisse des Augenblicks“ zu befriedigen. Dieses rationale, aber kurzsichtige Verhalten lasse, wie Manfred G. Schmidt schreibt, „an der Zukunftsverantwortlichkeit der Demokratie zweifeln“. Dies gelte auch, wenn die besten Demokratiesysteme dabei besser abschnitten als Autokratien. Folgewirkungen des Mehrheitsprinzips Mehrheitsentscheidungen können zur Benachteiligung von Individuen führen, die der Mehrheit nicht angehören. Alexis de Tocqueville sprach in diesem Zusammenhang von „Diktatur der Mehrheit“. Er verwies auf das der Demokratie innewohnende Risiko, sich in Richtung Mediokratie zu entwickeln, weil der Mehrheit „eine unsichtbare Form von Despotismus“ eigne, die den individuellen Willen aufweiche: „Die Volksmehrheit umschließt ‚Denken‘ in einer furchterregenden Umzäunung. Ein Schriftsteller ist frei, solange er sich innerhalb dieses Rahmens bewegt, aber wehe dem Mann, der ihn verlässt, nicht dass er Anklagen fürchten müsste, aber er muss gewärtig sein, im Alltag mit allen Formen von Unannehmlichkeiten verfolgt zu werden. Eine Karriere in der Politik ist ihm verschlossen, denn er hat jene einzige Macht beleidigt, die dafür die Schlüssel in Händen hält“. Von der Unvermeidbarkeit der Demokratie war Tocqueville gleichwohl überzeugt; folglich solle man die Menschen dazu fähig machen. Denn Demokratie sei der Welt „zum Schicksal geworden“ („un fait providentiel“). Die Legitimität des Mehrheitsprinzips setzt, so Zippelius, voraus, dass die Menschenwürde, einschließlich der demokratischen Mitwirkungsrechte, und die Grundrechte der Minderheiten gewahrt bleiben. Vermeintlich irrationale und ignorante Wähler Ökonomen haben die Effizienz der Demokratie zuweilen kritisiert. Die Kritik basiert auf der Annahme des ignoranten bzw. irrationalen Wählers. Argumentiert wird, dass Wähler bezüglich vieler politischer Themen, insbesondere ökonomischer, schlecht informiert seien und auch in ihnen besser bekannten Feldern systematischen Verzerrungen unterlägen. Joseph Schumpeter urteilte diesbezüglich: „So fällt der typische Bürger auf eine tiefere Stufe der gedanklichen Leistung, sobald er das politische Gebiet betritt. Er argumentiert und analysiert auf eine Art und Weise, die er innerhalb der Sphäre seiner wirklichen Interessen bereitwillig als infantil anerkennen würde.“ Thesen zur Verlässlichkeit der Aussagekraft unqualifizierter Wähler waren bereits im 18. Jahrhundert bezweifelt worden: Condorcet der französische Philosoph und Mathematiker, wurde mit seinen Bemühungen um Methoden der Volksabstimmung und deren Aussagekraft zum Vater der „Sozialwahl -Theorie“. Sein „Jury-Theorem“ befasste sich mit der mathematischen Untersuchung der Beobachtung, dass eine Gruppe von Leuten – allerdings nur unter bestimmten Einschränkungen – durch Abstimmen die richtige Antwort auf eine Frage finden kann, obwohl die Einzelnen die Antwort gar nicht wissen. (Siehe auch: Condorcet-Paradoxon) Bezüglich Ursachen und Folgen der Ignoranz von Wählern prägte Anthony Downs 1957 die Idee der rationalen Ignoranz. In seinem Modell wägen Wähler die Kosten und den Nutzen der politischen Informationsbeschaffung und Wahlbeteiligung ab, was wegen vermeintlich fehlenden individuellen Einflusses auf das Gesamtergebnis zu irrationalen politischen Entscheidungen oder auch zum Nichtwählen führe. Der Ökonom Donald Wittman (1997) argumentierte dagegen, dass Demokratie effizient sei, solange Wähler rational, Wahlen wettbewerblich, und politische Transaktionskosten gering seien. Mangelnde Information führe nicht zu Verzerrungen, da sich unter der Prämisse des rationalen Wählers Fehler im Durchschnitt ausglichen. Zur Stärkung rationaler demokratischer Partizipationsbereitschaft gibt es seitens Bryan Caplan den Ansatz, mehr Entscheidungen aus der öffentlichen in die private Sphäre zu verlagern. Robin Hanson schlägt eine Futarchie vor, in der mehr Entscheidungen auf Prognosemärkten getroffen werden. Der Philosoph Jason Brennan befürwortet eine moderate Epistokratie, in der das Wahlrecht ausreichend kompetenten Bürgern vorbehalten wird. Der Berliner Publizist Florian Felix Weyh schlägt in seinem Buch Die letzte Wahl eine Demarchie vor in der die Entscheidungsträger nicht mehr durch Wahlen, sondern per Losverfahren bestimmt werden. Ähnliche Vorschläge stammen von Burkhard Wehner und Hubertus Buchstein. Philosophische Kritik und Würdigung Demokratie-Kritik von philosophischer Seite setzte bei Platon ein, und zwar bezogen auf die Attische Demokratie im antiken Griechenland. Davon zu unterscheiden ist Demokratiekritik von neuzeitlichen Philosophen, wo sie sich auf moderne Demokratietypen bezieht. Nicht selten werden aber kritische Betrachtungen zur antiken Demokratie als Argumente zur Einschätzung auch neuerer Demokratieformen herangezogen. Urteile über die antike Demokratie Platons Haltung zur Demokratie war angelegt in seiner Rolle als Schüler des Sokrates, dem in der Atiischen Demokratie der Prozess gemacht und das Todesurteil gesprochen wurde. In der Demokratie, so zitiert der Politologe Grayling Platon, „fordert und beansprucht … jedermann Freiheit und das Recht Gesetze zu machen und zu brechen und … dies bedeutet alsbald Anarchie, denn Freiheit ist nicht einfach nur Freiheit, sondern Erlaubnis der Zügellosigkeit“*S. 17. Platons Kritik an der Demokratie beinhaltet auch einen systembedingt zwingenden Selektionsprozess für unqualifizierte Politiker, meint Tom Christiano, und schreibt: „Jene, die nur Experten für Wahlsiege sind und sonst nichts, werden letztlich die demokratische Politik dominieren. Demokratie neigt dazu, diese Form von Expertise auf Kosten jener zu fördern, die für eine adäquate politische Führung erforderlich ist“.* Der Philosoph Bertrand Russell interpretierte das System des antiken Athen eher als Oligarchie, und relativierte die Bedeutung von deren Wahlrecht.S. 81 Russell meinte, Demokratie habe stets nur davon leben können, dass versklavte Volksgruppen in ihrer Umgebung den Großteil der lebenserhaltenden Arbeit für sie erledigen mussten, und zog Parallelen zur britischen Vergangenheit: „Die Zeit des Perikles entspricht in der Geschichte Athens der viktorianischen Zeit in der englischen Geschichte. Damals war Athen reich und mächtig, hatte wenig unter Kriegen zu leiden und besaß eine demokratische Verfassung, die die Aristokraten verwalteten“S. 96 und weiter: „Bis zum Sturz des Perikles brachten die Fortschritte der Demokratie einen Machtzuwachs für die Aristokratie mit sich, wie in England während des neunzehnten Jahrhunderts.“S. 82 Einschätzungen zu modernen Demokratieformen Für Karl Popper als Begründer des Kritischen Rationalismus ging es bei demokratischen Grundlagen nicht so sehr um Herrschaftslegitimation und Volkssouveränität, sondern um eine wirksame Machtbegrenzung und Kontrolle von Regierungen durch eine Gewaltenteilung und die Absetzbarkeit als Folge einer Abwahl der Regierenden. Die Volkssouveränität in Form der Mehrheitsherrschaft sah er eingeschränkt durch die Pflicht zum Minderheitenschutz. Die Theorie der Mehrheitsherrschaft müsse durch die Theorie der Entlassungsgewalt der Mehrheit ersetzt werden. Für Popper ergab sich als Konsequenz, die Überlegenheit des Mehrheitswahlrechts und der Zweiparteiendemokratie gegenüber dem Verhältniswahlrecht und der Mehrparteiendemokratie – während die Souveränitäts- und Legitimationstheorien üblicherweise zu der entgegengesetzten Ansicht neigen. In seinem Buch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde hatte Popper sich bereits ausdrücklich gegen einen allumfassenden Toleranzbegriff gewandt: „Wir müssten eigentlich im Namen der Toleranz [...] das Recht fordern, Intoleranz nicht zu tolerieren. Wir müssten verlangen, dass jegliche Bewegung, die Intoleranz predigt, sich außerhalb des Gesetzes stellt, und wir müssten die Anstiftung zur Intoleranz als kriminell verfolgen, auf die gleiche Weise wie Anstiftung zum Mord, zu Entführung oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.“ Der deutsch-amerikanische Polit-Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse schrieb Mitte der 1970er Jahre ernüchtert: „Die regressive Entwicklung der bürgerlichen Demokratie, der von ihr selbst vollzogene Übergang in einen Polizei- und Kriegsstaat, muß im Rahmen der globalen US-Politik erörtert werden“., S. 146 „Die konturlosen Massen, die heute die Grundlage der US-amerikanischen Demokratie bilden, sind die Vorboten ihrer konservativ-reaktionären wo nicht gar neo-faschistischen Tendenzen. … In freien Wahlen mit allgemeinem Wahlrecht hat das Volk … eine kriegführende Regierung gewählt, die seit langen Jahren einen Krieg führt, der eine einzige Reihe beispielloser Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt – eine Regierung von Repräsentanten der Großkonzerne …, eine von Korruption durchsetzte Regierung“., S. 150 Als Erklärung für diese Entwicklung führt Marcuse die Zunahme des Wohlstands an. Und weiter: „Das Schauspiel der Wiederwahl von Nixon ist der albtraumhafte Inbegriff der Epoche, in der die Transformation der bürgerlichen Demokratie in den Neofaschismus stattfindet …“., S. 152 „Indem das US-amerikanische System das sinnlich wahrnehmbare >Image<, den >Sex-appeal< einer politischen Führungspersönlichkeit so hervorhebt, beherrscht es auf furchtbar effiziente Weise die Tiefendimension befriedigender Selbstunterwerfung …“. Marcuses nächster Satz, geschrieben 1973, entspricht nahezu einem Kommentar zur Situation in den USA der Jahre seit 2017: „Übrigens scheint sich der Charakter des >Image< in Übereinstimmung mit der zunehmenden Häßlichkeit des Systems, mit seiner Brutalität, mit der Ersetzung der Heuchelei durch offene Lügen und Täuschungen, zu verändern. Der Präsident kann als Boß dieses gigantischen Konzerns, zu dem die Nation geworden ist, jetzt äußerst häßlich sein, muß inzwischen keinen Charme und Sex appeal mehr besitzen, sondern vor allem Tüchtigkeit und Geschäftssinn“., S. 154 Julian Nida-Rümelin verbindet Demokratie mit einer „Kultur des öffentlichen Vernunftgebrauchs“, die er derzeit als gefährdet ansieht. Ähnlich an eine „Hochkultur der Vernunft“ gekoppelt, betrachtet Axel Montenbruck die „politische Demokratie“, die mit dem „Grundprinzip einer politischen Dialektik“ zwischen den Extremen einhergehe. Einzubeziehen sei nunmehr auch die „Vernunft der Natur“. Otfried Höffe problematisiert die Gegenwartsbezogenheit bzw. -fixiertheit von Demokratien wegen eines zweifach begrenzten Zeithorizonts: In der Tagespolitik bestehe Abhängigkeit von Meinungsumfragen, von innen- und außenpolitischen Kompromissen und von den immer wieder anstehenden Wahlterminen. Hinzu komme die oft relativ kurze Verweildauer von Mandatsträgern und politisch Verantwortlichen in einflussreichen Positionen und die Schwierigkeit, Zukunftsbelange angemessen zur Geltung zu bringen. Immerhin lasse die zur Bürgergesellschaft offene Demokratie dem Bürgerengagement freien Raum mit der Folge, dass die Sensibilität für Umweltschutz und Generationengerechtigkeit in vielen Demokratien stark gewachsen sei. Demokratien besitzen laut Höffe Ressourcen, über die andere politische Systeme nicht oder nicht in gleichem Ausmaß verfügen: „Die aufgeklärt liberale, darüber hinaus partizipative Demokratie erfreut sich eines Legitimitäts-, eines Wissens- und eines Wirtschaftsvorsprungs sowie zusätzlich eines kritischen Lernvorsprungs, der die fraglos noch bestehenden Defizite an Zukunftsfähigkeit inskünftig noch stärker ausgleichen könnte.“ Demokratie-Gefährdungslagen Sartori betont in dem Fazit, mit dem er seine demokratietheoretischen Untersuchungen abschließt, dass Demokratie nicht für selbstverständlich zu halten sei. Laut Edmund Burke wachse die Sklaverei auf jedem Boden. Die Freiheit, so Sartori, könne man immer verlieren. „Sie ist eine Pflanze, die Pflege braucht.“ Demokratietypen und demokratische Systeme sind nicht nur gemäß diversen Kriterien qualitativ messbar und von Kritik begleitet, sondern auch Veränderungen ausgesetzt, die ihre demokratische Grundstruktur gefährden oder beseitigen können. Vor allem die Abwendung größerer Teile der jeweiligen Bürgerschaft von demokratischen Werten, Verfahren und Einrichtungen wird zur Bedrohung eines demokratischen Systems im Ganzen und kann eine Transformation zu demokratiewidrigen Herrschaftsformen bewirken. Wichtige Gründe für nachlassende oder fehlende Identifikationsbereitschaft mit demokratischen Strukturen können in der Abgehobenheit politischer Entscheidungsprozesse und der daran Beteiligten sowie in gesellschaftlichen Desintegrations- und Spaltungstendenzen liegen, die den Vorreitern und Nutznießern populistischer Stimmungsmache den Boden bereiten. Abgehobenheit politischer Entscheidungen und Diskurse Der Eindruck unzureichender Beteiligung an politischen Entscheidungen und fehlender eigener Interessenberücksichtigung kann in einer Mehr-Ebenen-Demokratie, bestehend aus Kommunen, Bundesländern, Gesamtstaat, Europäischer Union und weiteren internationalen Vertragspartnern, leicht entstehen bzw. erweckt werden. Die jeweiligen Verantwortlichkeiten für die Ergebnisse politischen Handelns erscheinen in einem so gearteten Rahmen vielen kaum mehr erkennbar und damit auch nicht zurechenbar und kontrollierbar. Dabei wird der demokratische Prozess von Strukturen transnationalen Regierens überlagert, denen es bei kritischer Betrachtung an hinreichender demokratischer Legitimation fehlt. An den im nationalstaatlichen Rahmen allein nicht mehr handhabbaren Problemen wirken unter anderem internationale Institutionen mit, beispielsweise beim Seerechtsübereinkommen. Auf internationalen Konferenzen werden Diskussionsforen gebildet und können Vereinbarungen beschlossen werden, die nach der Ratifikation durch die Teilnehmerstaaten internationales Recht darstellen. Von besonderer Bedeutung sind die regelmäßig tagenden Organe und Unterorganisationen der Vereinten Nationen. Politisches Handeln entfernt sich dergestalt von der nationalstaatlichen Ebene und ist laut Frevel und Voelzke einer „immensen Problem- und Akteurskomplexität“ ausgesetzt, die erhebliche Herausforderungen für die Demokratie mit sich bringe. Als Ermöglichungsraum für politische Konflikte, die sich fortlaufend wandeln und auch fallweise überschneiden, sieht Salzborn den demokratischen Staat. Das Kernübel einer gesellschaftlichen Entpolitisierung verbindet er mit dem Gestaltungsanspruch und Begriff der „Alternativlosigkeit“. Damit werde signalisiert, dass Entscheidungen nicht mehr im Konflikt erstritten, sondern mit einem allgemeinwohldienlichen Alleinvertretungsanspruch als „alternativlos“ durchgesetzt würden, obwohl sie tatsächlich Partikularinteressen entsprächen. Gesellschaftliche Spaltung Als Antriebsfaktoren für demokratiegefährdende gesellschaftliche Spaltungsprozesse gelten vor allem unzureichend berücksichtigte und bearbeitete soziale Konfliktlagen, wie sie sich zum Beispiel aus einer fortschreitenden Diskrepanz der Einkommens- und Vermögensverteilung zwischen reichen und ärmeren gesellschaftlichen Schichten ergeben oder aus Integrationsdefiziten bei großen Zuwandererpopulationen sowie den daraus sich ergebenden Spannungen mit der aufnehmenden Gesellschaft. Die Zuspitzung derartiger gesellschaftlicher Konflikte begünstigt Wirksamkeit und Erfolg populistischer Politikansätze. Von Eliten dominierte Politik und wachsende Kluft zwischen Armut und Reichtum Als eine weitere Gefährdung von Demokratie betrachtet Salzborn eine durch die „Ökonomisierung des Politischen“ sich ergebende „Elitisierung“ von Politik. Entscheidungsprozesse würden in einen Raum verlagert, in dem nicht-legitimierte Marktakteure Macht ausübten. Dabei spitze sich eine Entwicklung zu, die in der Demokratie-Entstehung selbst angelegt sei, indem die sich ausbildende bürgerliche Gesellschaft zur Absicherung ihrer Produktions- und Handelsfreiheit der Garantie einer legitimierten Zentralgewalt und Rechtsordnung bedurfte. Werde aber der Gestaltungsraum des Politischen schrittweise aufgehoben und gerieten öffentliche Aufgaben zu privaten, so verschwinde „im Modus der Elitisierung“ die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit, die dann scheinbar zum Privatproblem werde. Die Finanzkrisen seit 2008, so Vorländer, hätten laut Kritikern gezeigt, dass global agierende Investoren – einerseits Banken und Unternehmen, andererseits supranationale Institutionen wie die Weltbank oder die Welthandelsorganisation – die Welt regierten und dass an die Stelle der Demokratie „die Herrschaft der freien, deregulierten Märkte getreten ist.“ Die Globalisierung führe zu sozialen und ökonomischen Verwerfungen, habe eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich zur Folge und schaffe Verlierer, die im politischen System nicht mehr gehört würden. Am Beispiel der USA beklagt Michael J. Sandel ein in den Bildungs- und Wirtschaftseliten vorherrschendes Ideologem, dem zufolge die eigene Vermögenslage und gesellschaftliche Stellung allein auf eigenem Verdienst beruhten, während sie tatsächlich von ungleichen Startchancen, biographischen und marktbedingten Zufällen sowie den dominierenden Deutungsmustern von gesellschaftlich wertvoller Arbeit mitbestimmt seien. Für Sandel käme es zur Überwindung der daraus resultierenden Geringschätzung von akademisch Minderqualifizierten und deren resignativer Verbitterung darauf an, ihr Selbstwertgefühl durch Wertschätzung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe und ihrer Arbeitsleistung für das Gemeinwohl zu heben und die nötigen politischen Vorkehrungen zu treffen, damit jede Arbeitsleistung für das Gemeinwesen angemessen gewürdigt wird. Ein in gesellschaftlichen Mittel- und Unterschichten verbreitetes Gefühl, dass die Eliten es sich in einer Parallelgesellschaft „dort oben“ auf Kosten der Minderprivilegierten mit allerlei halblegalen und illegalen Machenschaften gut gehen lassen, wurden in der jüngeren Vergangenheit immer wieder befeuert: auf internationaler Ebene etwa durch die Bekanntmachung der Panama Papers und der Paradise Papers, in Deutschland unter anderem durch die Offenlegung von Cum-Ex-Geschäften. Der Soziologe Michael Hartmann sieht im Vorgehen der EU-Kommission gegen unerlaubte Finanzbeihilfen von Ländern wie Luxemburg und Irland für international agierende Großkonzerne wie Facebook, IKEA oder Google LLC nötige Ansätze einer Neuorientierung, die auch in der Besteuerung der jeweiligen nationalen Unternehmen und Bürger zur Geltung gebracht werden müssten. „Nur wenn es gelingt, realistische und durchsetzbare Alternativen zur neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte aufzuzeigen, kann man zum einen dem Rechtspopulismus mit seiner simplen Gegenüberstellung von Volk und Elite den Wind aus den Segeln nehmen, zum anderen zumindest einen Teil derjenigen wieder vom Sinn politischen Engagements überzeugen, die von der Politik enttäuscht sind und ihr ganz generell den Rücken gekehrt haben.“ Integrationsprobleme und migrantische Parallelgesellschaften Pluralistische, offene Bürgerkulturen, von denen Demokratien lebten, könnten durch allzu heterogene, nicht mehr integrierbare Teilkulturen in ihrer Existenz gefährdet werden, heißt es bei Vorländer. Eine Herausforderung neuerer Art stellten multikulturelle Einwanderergesellschaften dar, „in denen sich unterschiedliche, segmentierte Teilkulturen über sprachliche, kulturelle, religiöse, ethnische oder regionale Merkmale ausbilden. Wenn diese Teilkulturen starke eigene Identitäten erzeugen, sich von anderen Teilkulturen abgrenzen und Forderungen auf Anerkennung ihrer Differenz in den politischen Raum einbringen, stehen Demokratien vor erheblichen Belastungsproben.“ In ethnopolitischen Konflikten sieht Salzborn die Gefahr der „Esssentialisierung“ des Sozialen mit der Gefahr, „dass auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen kulturalisierte Parallelstrukturen geschaffen werden, die zu einer sozialen Segmentierung innerhalb von Gesellschaft führen.“ Politische und soziale Missstände würden dabei nicht mehr als solche wahrgenommen und deren Ursachen stattdessen in ethnischen, kulturellen oder geschlechtlichen Differenzen gesucht. Bei solcher Essentialisierung handle es sich um eine Variante der Entpolitisierung, die aber eigene Dynamiken der Entdemokratisierung hervorbringe. Wachsender Populismus In der jüngsten Vergangenheit zeigt sich ein Anwachsen populistischer Bewegungen auch in bereits länger bestehenden demokratischen Systemen. Vor allem rechtspopulistische Parteien treten in Europa zunehmend stärker hervor und haben ihre Stimmenanteile bei Wahlen binnen zehn Jahren nahezu verdreifacht. Mit ihren teils aggressiv formulierten migrationskritischen, fremden- und islamfeindlichen Positionen haben sie, so Vorländer, zu einer „starken gesellschaftlichen Polarisierung beigetragen, die die liberalen Demokratien erheblich unter Druck setzen.“ Während es in der repräsentativen Demokratie darum gehe, tragfähige Kompromisse angesichts der Vielfalt kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Interessen auszuhandeln, handle es sich aus populistischer Sicht bei Diversität und Konfliktmanagement um Hindernisse bei der Durchsetzung des „unverfälschten“ Volkswillens. „In letzter Konsequenz untergraben Populismen dann die Institutionen und schwächen das Vertrauen in die repräsentative Demokratie.“ Echte oder vermeintliche Modernisierungsverlierer bilden laut Frevel und Voelzke oft den Resonanzkörper für Populismus. Dessen funktionale Rolle besteht für Salzborn darin, ein politisches Alternativmodell anzubieten, das zentrale Elemente des Demokratischen aufhebt: den politischen Pluralismus, die gesellschaftliche Heterogenität und die konflikthaften Interessenstrukturen. Rechtspopulistischen Parteien gehe es gar nicht um den realen Willen des Volkes, sondern „um den unterstellten (und erlogenen) Volkswillen“, letztlich um das, was Rechte zum Volkswillen erklären: „ihre eigene völkische Weltsicht.“ Politik-Beschleunigung und -Manipulation im Internet-Zeitalter Das Internet erzeugt laut Salzborn durch scheinbare Echtzeithandlungen eine Beschleunigung der Politik, bei der nicht intensiv diskutiert und abgewogen, sondern schnell entschieden werde. Der Verstand rücke zugunsten des Affekts in den Hintergrund; Empörung präge die politischen Debatten und degradiere sie zu emotionalen Bekenntnissen. Salzborn konstatiert, Reinhard Mohr zitierend, eine tiefgreifende Veränderung der politischen Prozesse. „Die Halbwertzeit von Überzeugungen, Stimmungen, politischen Konstellationen reduziert sich stündlich.“ Die Gefahr für die Demokratie bestehe einerseits darin, dass Scheinwissen zu sachlich falschen Entscheidungen führen könne und zudem darin, dass „in einem fortwährend beschleunigten emotionalen Prozess“ die Abwägung von konkurrierenden Interessen und der Dialog über unterschiedliche Positionen nicht mehr möglich sei. „Damit wird demokratische Politik durch affektive Meinungsmache ersetzt.“ Eine neue Form der Bedrohung demokratisch-fairer Wahlkämpfe und Wahlausgänge liegt in der zielgerichteten, massenhaften Streuung von Fake News. In den sozialen Medien gibt es Gruppen und Netzwerke, die sich über Politik und politisches Personal oft anonym in verächtlichtlicher Weise äußern und andere Individuen und Gruppen mit Hass und Hetze überziehen. Solche Gruppierungen bilden intern Filterblasen, in denen bestimmte Meinungen und Vorstellungen sich verfestigen und als alleinige Wahrheiten gelten. Auf diese Weise bilden sich viele Teilöffentlichkeiten, die kaum mehr wechselseitig ins Gespräch kommen und deshalb in politischen Meinungs- und Entscheidungsprozessen schwerlich zusammengeführt werden können. Während digitale soziale Netzwerke einerseits Chancen zu schneller und wirksamer Mobilisierung von Bürgerinnen und Bürgern bieten, können Blogs und Tweets andererseits demagogisch wirken. Social Bots gefährden unter Umständen den öffentlichen Meinungsbildungsprozess und verfälschen gegebenenfalls die Legitimität demokratischer Wahlverfahren. Diese gefährlichen zivilgesellschaftlichen Folgen des Missbrauchs sozialer Medien würden unterdessen erkannt, so Michael J. Sandel. Weniger offensichtlich sei die Zersetzung der individuellen Aufmerksamkeitsspanne. „Wenn man unsere Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt, unsere persönlichen Daten abgreift und sie an Werbefirmen verkauft, dann bedroht das nicht nur unsere Privatsphäre; es untergräbt auch die geduldige, aufmerksame Einstellung gegenüber der Welt, die für demokratische Beratungen notwendig ist.“ Da in sozialen Medien kurze, prägnante, negative Botschaften besondere Aufmerksamkeit erregten, so Henrik Müller, sei es leicht geworden, Geplantes zu verhindern, aber sehr schwer, Politik zu gestalten. Netzaktivisten schöpften aus dem gleichen Potenzial wie populistische Politiker: „Negativismus, Vereinfachung, Feindbildzentrierung, Underdog-Perspektive – und alles mit einprägsamen Bildern garniert.“ Für Müller handelt es sich dabei um charakteristische Merkmale eines Populismus von unten. Der öffentliche Diskurs im Social-Media-Zeitalter sei „durchzogen von Polarisierungen, Herdentrieben und erratischen Wenden“. Konsens und Kompromiss kämen kaum mehr zum Tragen. Individuen wie auch ganze Gesellschaften würden emotionalisiert und auf Wut konditioniert. Das Abhandenkommen des Respekts vor der Wahrheit und eines Austauschs von Argumenten werfe aber die Frage auf, wie eine auf geordnete Kommunikationsräume angewiesene Demokratie und eine freiheitliche Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten seien. Ein eigenes Demokratiegefährdungspotenzial sieht Marcus S. Kleiner in den Streaming-Diensten und ihrer gesellschaftlichen Wirkung. Kleiner verweist auf die viel zitierte Formel Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“, die Postman 1985 gegen das allein auf Zuschauerunterhaltung zielende US-Fernsehen gemünzt hatte. Demnach war das auf Buchlektüre, Dialog und Diskussion gegründete „Zeitalter der Erörterung“ seinerzeit abgelöst worden durch ein „Zeitalter des Showbusiness“. Auf einem „selbstbestimmten Weg in die Entmündigung“ sieht Kleiner heutzutage die Nutzer der Streaming-Dienste. Aus der lückenlosen Überwachung der individuellen Streaming-Aktivitäten ergebe sich ein Empfehlungsmanagement, bei dem die Streaming-Dienste „für uns entscheiden, was uns gefällt“. Ergebnis dieser Überwachung sei ein personalisiertes Streaming-Angebot, das Nutzerin und Nutzer nur noch um sich selbst kreisen lasse und deren Blick auf die Welt verenge. „Ein ungehinderter und unregulierter Streaming-Kapitalismus produziert Konsumnarren.“ Die bislang hauptsächlich auf Google LLC und Facebook gerichtete Kritik am digitalen Überwachungskapitalismus sei nicht minder auf die On-Demand-Streaming-Dienste zu beziehen. Kleiner zitiert den US-Soziologen Richard Sennett, der einen „Konsumenten-Zuschauer-Bürger“ beschreibt, der seine Freiheit eintausche gegen Konsum und digitale Komfortzonen. Postdemokratie Im Anschluss an eine Begriffsbildung von Jacques Rancière aus dem Jahr 2002 kritisieren Colin Crouch und andere Sozialwissenschaftler, dass der neoliberale Umbau der westlichen Gesellschaften die dort eigentlich herrschende Demokratie ausgehöhlt und in eine bloße „Postdemokratie“ verwandelt habe: Zwar würden weiterhin Wahlen abgehalten, auch seien andere formale Demokratiemerkmale vorhanden, doch sei es dem Volk als eigentlichem Souverän nicht mehr möglich, wesentlich auf die Sozial- und Wirtschaftsordnung Einfluss zu nehmen. Die „sozialstaatlichen Bürgerdemokratie“ sei von einer „marktkonformen Fassadendemokratie“ abgelöst worden, in der die eigentliche Macht bei einem Milieu nach unten abgeschotteter globaler Eliten liege, das sich nahezu ausschließlich aus sich selbst reproduziere. Der öffentliche Diskurs sei entpolitisiert, Entscheidungen würden nicht mehr in Form mehrerer vorgeschlagener Optionen zur Diskussion gestellt, sondern als alternativlos bzw. als oft ökonomisch begründete Sachzwänge hingestellt. International schwankendes Demokratie-Erscheinungsbild Ein Bild von Demokratie in Gefahr zeichnet Vanessa A. Boese in vergleichender Betrachtung der jüngeren politischen Entwicklungen auf internationaler Ebene. Die Erosion demokratischer Normen, die zunehmende Macht der Exekutiven sowie abnehmende Medienfreiheit seien weltweite Symptome einer dritten Welle der Autokratisierung. In geschlossene Autokratien üben ein Einzelner oder eine Gruppe unkontrolliert Macht aus: Dabei handle es sich also um klassische Diktaturen. Eine elektorale Autokratie enthalte im Gegensatz dazu teilweise demokratische Elemente. Beispielsweise gebe es in solchen Ländern zwar laut Gesetz Wahlen, diese seien aber in der Realität weder frei noch fair. (Als „fair“ werden Wahlen unter anderem dann bezeichnet, wenn sich alle Parteien in einem fairen Wettbewerb miteinander befinden und politische Wettbewerber nicht systematisch von den Amtsinhabern bedroht oder sogar de facto an einer Wahlteilnahme gehindert werden.) Die beiden demokratischen Regierungsformen gemäß Schema zeichneten sich ihrerseits durch Wahlen aus, in denen mehr als eine Partei frei und fair gewählt werden könne. Im Falle der elektoralen Demokratien seien jedoch erhebliche Qualitätsabstriche gegenüber liberalen Demokratien zu machen: Zwar gebe es in elektoralen Demokratien auch freie und faire Wahlen; doch sei beispielsweise die Gewaltenteilung nicht vollständig ausgeprägt, sodass etwa das Staatsoberhaupt nur einer schwachen oder gar keiner Kontrolle durch die Judikative oder das Parlament unterliege. Besorgniserregend findet Boese, dass sich die Anzahl der Länder (und damit auch der Bevölkerungsanteil) in den beiden mittleren Kategorien – der elektoralen Autokratie und der elektoralen Demokratie – seit Ende des Kalten Krieges stetig vergrößert hat. Empirisch unterlegt sei, dass die Länder zwischen harter Autokratie auf der einen und konsolidierter Demokratie auf der anderen Seite anfälliger für politische Instabilitäten und gesellschaftliche Konflikte seien. Ihre häufig relativ junge institutionelle Basis befinde sich in fortlaufenden Wandlungsprozessen, „was sie anfälliger für politische Destabilisierung macht.“ Dennoch ist nach Boeses Auffassung die Demokratie die beste Option zur Anpassung an die aktuellen Herausforderungen. Mit ihr ständen friedliche Mechanismen zur Verfügung, „um Konflikte zu lösen, Machtwechsel zu organisieren, marginalisierte Gruppen zu integrieren und die Macht destruktiver Autokraten zu begrenzen.“ Globalisierungseinflüsse und Reflexionen über eine globale Demokratie Ein tiefgreifender wirtschaftspolitischer Umschwung mit destabilisierenden Folgen für die Demokratisierungssysteme wurde aus der Sicht von Christian Lammert und Boris Vormann in den 1980er und 1990er Jahren beiderseits des Atlantiks bewirkt. Mit dem Ziel der Inflationsbekämpfung und Preisstabilisierung seien sozialstaatliche Programme gekürzt, die „Schleusen des internationalen Handels“ geöffnet und die Finanzmärkte liberalisiert worden. Damit seien Unternehmen in die Lage versetzt worden, über die Grenzen des Nationalstaats und der nationalen Rechenschaftspflicht hinauszuwachsen. „Der Kompromiss zwischen Staat, Kapital und Arbeitern, auf dem noch die großen Versprechen der Nachkriegszeit auf wirtschaftlichen Aufstieg und Wohlstand fußten, wurde aufgebrochen.“ Mit dem Übergreifen der US-Bankenkrise 2008 auf die „maßlos überhebelten Finanzhäuser“ in Europa, so die beiden Politikwissenschaftler, wurde aus der schleichenden eine galoppierende Krise, „die den Kontinent entlang nationalstaatlicher Grenzen spaltete und die Bevölkerungen und staatlichen Akteure aufwiegelte.“ Dazu seien 2015 noch die Flüchtlingsströme aus Syrien und Nordafrika gekommen und hätten zur Folge gehabt, dass die Kritik am Wirtschaftsliberalismus in eine Kritik an den politischen Werten der liberalen Demokratie umgeschlagen sei. „Plötzlich war der Multikulturalismus das Übel für alle gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten.“ Für Lammert und Vormann folgert aus den genannten Krisenerscheinungen, dass angesichts der globalen Integration von Märkten im 21. Jahrhundert ein neuer sozialer Pakt zur Demokratiestabilisierung aufgelegt werden muss, der für eine gerechtere Verteilung der Gewinne aus der Globalisierung sorgt. Dafür benötigt werde eine neue politische Institutionenlandschaft, angepasst an die Bedingungen globaler Produktions- und Konsumptionsnetzwerke. Für Michael J. Sandel kann die zur Auseinandersetzung mit den globalen Marktkräften notwendige Macht nur mit einer Herrschaft einhergehen, die Souveränität sowohl nach oben als auch nach unten verteilt und ein öffentliches Leben fördert, „das die durchdachte Loyalität seiner Bürger zu erwecken hofft“, nachdem es den Nationalstaaten im Wirkungsfeld der globalen Wirtschaft und innergesellschaftlicher Spaltungstendenzen an der Loyalität ihrer Bürger zu fehlen begonnen habe. Heutzutage erfordere Selbstbestimmung eine Politik, die sich „in einer Vielfalt von Schauplätzen abspielt – von Stadtvierteln über Nationen bis zur ganzen Welt.“ Auf die Idee einer globalen Demokratie, mit und in der allein man demokratischen Werten wirklich gerecht werden könnte, geht Rinderle ein. Nur so würde laut Befürwortern eine weltweite Legitimation von politischen Entscheidungen möglich, die in ihren Auswirkungen alle Menschen betreffen. Umsetzungsmodell auf institutioneller Ebene wäre ein Weltstaat mit einem Weltparlament, in das alle existierenden Einzelstaaten Delegierte entsenden würden, und mit einer die äußere Souveränität der Einzelstaaten beschränkenden Weltregierung. Ein anderes Modell sieht die vollständige Abschaffung von Einzelstaaten vor – mit der ganzen Menschheit als Volk eines demokratisch organisierten Weltstaats. In einer Mischform aus beiden Modellen schließlich könnte es neben einem Weltparlament eine Staatenkammer als Beschlussorgan geben. Gegen eine globale Demokratie spricht aus Rinderles Sicht vor allem, dass ein Weltstaat zur Despotie werden und dass die individuelle Freiheit darin untergehen könnte. Zudem erscheine es fraglich, ob nicht eine grundlegende Unverträglichkeit bestehe zwischen der Idee einer globalen Demokratie und der Wertschätzung von kultureller Diversität. Lammert und Vormann plädieren angesichts globaler Probleme wie Klimakrise, Terrorismus und zunehmenden sozialen Ungleichheiten für einen globalen Föderalismus. Dafür bedürfe es nicht des „Schreckgespenstes“ eines Weltstaats. Nicht alles müsse auf globaler Ebene verhandelt und legitimiert werden. Horizontale Kooperationsachsen könnten auf bestehende Partnerschaften aufbauen. Doch auch in vertikalen Kooperationsachsen könnten politische Prozesse wieder an Legitimation gewinnen. Entscheidend dafür sei die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips: Was auf niedrigeren Organisationsebenen behandelt werden kann, solle dort auch geregelt werden. Zudem bedürfe es der Querfinanzierung zwischen reichen und strukturarmen Regionen und einer Internalisierung der Globalisierungskosten, die nicht auf die Allgemeinheit und ihre schwächsten Mitglieder abgewälzt werden dürften, sondern von den globalen Akteuren und Profiteuren bei internationalen Unternehmen oder in der Finanzbranche getragen werden müssten. Eine Demokratisierung steht für Lammert und Vormann auch im veralteten Institutionengefüge der Vereinten Nationen an, damit globale Probleme und Schieflagen in den Griff zu bekommen wären, beispielsweise durch eine Reform des UN-Sicherheitsrats. Siehe auch Demokratiedefizit Demokratieförderung Demokratischer Frieden Demokratismus Libertäre Demokratie Liste der Staatsformen Soziale Demokratie Sozialistische Demokratie Straße der Demokratie Synkratie Wertedemokratie Wirtschaftsdemokratie Literatur Paul Cartledge: Democracy. A Life. Oxford University Press, Oxford 2016. Michael Hartmann: Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2018, ISBN 978-3-593-50928-0. Otfried Höffe: Ist die Demokratie zukunftsfähig? Über moderne Politik. C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-58717-7. John Keane: The Life and Death of Democracy. W. W. Norton & Co., New York 2009. Christian Lammert und Boris Vormann: Die Krise der Demokratie und wie wir sie überwinden. Aufbau Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-351-03697-3. Stefan Marschall: Demokratie. Opladen und Toronto 2014. Oliver Flügel-Martinsen, Reinhard Heil, Andreas Hetzel: Die Rückkehr des Politischen. Demokratietheorien heute. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-17435-6. (Leseprobe) Axel Montenbruck: Politische Demokratie - zwischen gefühligem Populismus und ethischem Humanismus, zwischen Schwarmintelligenz und Hackschutzordnung, zwischen Systemerhalt und Disruption, zwischen Land und Stadt; Wesen und Reform der Mitte, 2023, - Schriftenreihe: Natur und Recht, Politik, Ethik, Band IV, Open Access der Freien Universität Berlin, ISBN Online: 978-3-96110-447-5, ISBN Print: 978-3-9, (online) Julian Nida-Rümelin: Die gefährdete Rationalität der Demokratie: Ein politischer Traktat, Edition Körber (Hamburg) 2020. A Hartmut Rosa: Demokratie braucht Religion. Mit Vorwort von Gregor Gysi, Kösel Verlag, München 2022, ISBN 978-3-466-37303-1. Peter Rinderle: Demokratie. De Gruyter Verlag, Berlin und Boston 2015, ISBN 978-3-11-039936-3. Pierre Rosanvallon: Demokratische Legitimität. Unparteilichkeit – Reflexivität – Nähe. Aus dem Französischen von Thomas Laugstien. Hamburger Edition, Hamburg 2010, ISBN 978-3-86854-215-8. Richard Saage: Demokratietheorien. Historischer Prozess – Theoretische Entwicklung – Soziotechnische Bedingungen. Eine Einführung. Mit einleitendem Essay von Walter Euchner: Zur Notwendigkeit einer Ideengeschichte der Demokratie. Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14722-6. Samuel Salzborn: Demokratie. Theorien – Formen – Entwicklungen. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Nomos, Baden-Baden 2021, ISBN 978-3-8487-8296-3. Manfred G. Schmidt: Demokratietheorien. Eine Einführung. 6. Auflage, Springer VS, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-658-25839-9. Weblinks Internationale Psychoanalytische Vereinigung (2022): Brutale Angriffe auf die Demokratie auf der ganzen Welt Enzyklopädien Lars Lambrecht: Demokratie (PDF; 116 kB). In: H. J. Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie. Hamburg 1999. Staatliche Informationen Demokratie auf politische-bildung.de der Landeszentralen für politische Bildung Ausblicke Demokratie verstehen auf dem UNESCO Bildungsserver Catrin Stövesand: Zwei Handlungsanleitungen für wehrhafte Demokraten, Andruck – Das Magazin für Politische Literatur. Deutschlandfunk, 24. April 2017 Althistoriker Christian Meier im Gespräch mit Winfried Sträter: Was unsere Demokratie von den alten Griechen lernen kann auf Deutschlandfunk Kultur. Zeitfragen im Gespräch vom 1. Januar 2020 Anmerkungen Politische Philosophie Antike Verfassungstheorie Herrschaftsform Rechtsstaat Wikipedia:Artikel mit Video
1175
https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%BCsseldorf
Düsseldorf
Düsseldorf ist die Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens und der Behördensitz des Regierungsbezirks Düsseldorf. Die kreisfreie Stadt am Rhein ist mit Einwohnern am  – hinter Köln – die zweitgrößte Stadt des Bundeslandes und die siebtgrößte Stadt in Deutschland. Düsseldorf hat eine Gesamtfläche von 217,41 Quadratkilometern und gehört mit  Einwohnern pro Quadratkilometer zu den am dichtesten besiedelten Gemeinden Deutschlands. Außerdem ist die Stadt Teil der Metropolregion Rhein-Ruhr mit rund 10,2 Millionen Einwohnern und der Metropolregion Rheinland mit 8,7 Millionen Einwohnern. Die Stadt liegt im Kern des zentralen europäischen Wirtschaftsraumes. Geographie Räumliche Lage Das überwiegend rechtsrheinisch gelegene Düsseldorf befindet sich im mittleren Teil des Niederrheinischen Tieflands auf einer von zahlreichen Rheinarmen durchzogenen Niederterrassenfläche. Lediglich die Stadtteile Oberkassel, Niederkassel, Heerdt und Lörick liegen am linken Rheinufer. Die Stadt grenzt südwestlich an das Ruhrgebiet. Mit der Stadt Duisburg hat Düsseldorf im Norden eine gemeinsame Grenze. Düsseldorf liegt im Herzen der Metropolregion Rhein-Ruhr sowie im Übergangsbereich zwischen dem Niederrhein und dem Bergischen Land, zu dem die Stadt, historisch betrachtet, gehört. Der höchstgelegene Punkt im Stadtgebiet, der Sandberg im Stadtteil Hubbelrath, bereits Teil der Mettmanner Lößterrassen und damit des Bergisch-Sauerländischen Unterlandes, misst , der niedrigste Punkt, die Mündung des Schwarzbachs in den Rhein bei Wittlaer, . Klima Düsseldorf liegt im niederrheinischen Tiefland und der Kölner Bucht. Die reliefbedingte Öffnung in Richtung Nordsee prägt das Klima ozeanisch; überwiegend westliche Winde tragen atlantische Luftmassen heran und sorgen für milde, schneearme Winter und feuchtwarme Sommer. Im letzten 30-jährigen Klimamittel von 1991 bis 2020 betrug die Jahresmitteltemperatur 11,2 Grad Celsius, der Jahresniederschlag 758 Millimeter und die Zahl der Sonnenstunden 1527. Das jüngere 10-Jahres-Mittel von 2013 bis 2022 weicht davon mit 11,7 Grad Celsius, nur 624 Millimeter, aber zugleich 1670 Sonnenstunden deutlich ab. Im Winter fällt die Temperatur selten unter den Gefrierpunkt, aufkommende Fröste bleiben meist Bereich knapp unter 0 Grad Celsius. Der Deutsche Wetterdienst DWD betreibt schon seit 1949 die Station Düsseldorf (Flugh.). Sie liegt derzeit am Zaun des Flughafens, etwa 200 Meter nördlich der zweiten Start- und Landebahn und 80 Meter südlich der B 8n. Die niederländische MeteoGroup-Tochter DTN betreibt seit 2008 bzw. 2012 zwei neue stadteigene Wetterstationen Düsseldorf-City in Pempelfort und im Botanischen Garten der Universität. Eine weitere Wetterstation wird auf dem Gelände der Messe Düsseldorf betrieben. Alle vier Wetterstationen bilden „ein Messnetz, mit dem die lokal sehr feinen Unterschiede des tagesaktuellen Wetters erfasst werden können“, so die Stadtverwaltung. Luftqualität und Umweltschutz Die Energieerzeugung, die Industrie sowie der Verkehr sind die wichtigsten Ursachen für die anthropogene, d. h. vom Menschen verursachte Luftverschmutzung. Aufgrund der hohen Luftbelastung stellt die Bezirksregierung Düsseldorf Luftreinhaltepläne auf. Der erste Luftreinhalteplan für das gesamte Stadtgebiet der Landeshauptstadt Düsseldorf trat am 1. November 2008 in Kraft. Er vereinte alle bis dahin erstellten Pläne zu einem Gesamtplan. Nach Inkrafttreten des Plans werden die Maßnahmen durch die zuständigen Fachbehörden umgesetzt. Ziel ist durch diese Luftreinhaltestrategie die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte zum Schutze der Gesundheit der in Düsseldorf wohnenden und arbeitenden Bevölkerung schnellstmöglich zu erreichen. Im Rahmen der bisherigen Luftreinhalteplanung konnten für nahezu sämtliche luftverunreinigende Stoffe, hier insbesondere für den zu Beginn der 2000er-Jahre noch kritischen Feinstaub, beachtliche Erfolge erreicht und die Grenzwerte eingehalten werden. Der seit 2010 für Stickstoffdioxid (NO2) gültige Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (Jahresmittelwert) wird in Düsseldorf jedoch noch immer deutlich überschritten. An der Messstelle Corneliusstraße lag der Jahresmittelwert 2017 mit 56 Mikrogramm pro Kubikmeter noch immer auf sehr hohem Niveau der Stickstoffdioxidbelastung. Seit geraumer Zeit stehen neben den Feinstaubpartikelfraktionen die sogenannten Ultrafeinstäube vor allem in der Nähe von Flughäfen zunehmend im Fokus der Betrachtung. Das Düsseldorfer Stickstoffdioxidbelastungsgebiet („Umweltzone“) umfasst einen großen Teil des Stadtgebiets mit etwa 420.000 Einwohnern, die 68 Prozent der Bevölkerung entsprechen. Insofern besteht Handlungsbedarf zur weiteren Verminderung der Stickstoffdioxidbelastung im Plangebiet. Stadtgebiet Das Stadtgebiet Düsseldorfs besteht aus zehn Stadtbezirken, die in 50 Stadtteile unterteilt sind. Die Stadtbezirke mit ihren zugehörigen Stadtteilen Im Unterschied zu anderen nordrhein-westfälischen Großstädten haben die Stadtbezirke in Düsseldorf keine eigenen Namen, sondern sind von 1 bis 10 durchnummeriert. Die meisten Einwohner hat der Stadtbezirk 3 mit 122.337 gemeldeten Personen mit Hauptwohnsitz (Stand: 31. Juli 2023). Der Stadtteil Bilk ist mit 41.304 Einwohnern (31. Juli 2023) der einwohnerreichste Stadtteil der Stadt und liegt im Stadtbezirk 3. Die geringste Bevölkerung hat dagegen der Stadtbezirk 10 mit 24.593 Bewohnern, bei den Stadtteilen weist der Hafen mit 386 Einwohnern die kleinste Einwohnerzahl auf (31. Juli 2023). Die Stadtbezirke und Stadtteile sind im Einzelnen: Stadtbezirk 1: Altstadt, Carlstadt, Derendorf, Golzheim, Pempelfort, Stadtmitte Stadtbezirk 2: Düsseltal, Flingern-Nord, Flingern-Süd Stadtbezirk 3: Bilk, Flehe, Friedrichstadt, Hafen, Hamm, Oberbilk, Unterbilk, Volmerswerth Stadtbezirk 4: Heerdt, Lörick, Niederkassel, Oberkassel Stadtbezirk 5: Angermund, Kaiserswerth, Kalkum, Lohausen, Stockum, Wittlaer Stadtbezirk 6: Lichtenbroich, Mörsenbroich, Rath, Unterrath Stadtbezirk 7: Gerresheim, Grafenberg, Hubbelrath, Knittkuhl, Ludenberg Stadtbezirk 8: Eller, Lierenfeld, Unterbach, Vennhausen Stadtbezirk 9: Benrath, Hassels, Himmelgeist, Holthausen, Itter, Reisholz, Urdenbach, Wersten Stadtbezirk 10: Garath, Hellerhof Weitere Informationen zum Thema befinden sich in der Liste der Stadtbezirke von Düsseldorf und der Liste der Stadtteile von Düsseldorf. Nachbarstädte Die Stadt Düsseldorf grenzt im Norden an die kreisfreie Stadt Duisburg und an die Stadt Ratingen, im Osten an die Städte Mettmann, Erkrath und Hilden, im Süden an die Städte Langenfeld (Rheinland) und Monheim am Rhein (alle Kreis Mettmann) sowie im Westen an die Städte Dormagen, Neuss und Meerbusch (alle Rhein-Kreis Neuss). Geschichte Im Jahr 1288 erhielt der Ort an der Mündung des Flüsschens Düssel in den Rhein das Stadtrecht. Vom Ende des 14. Jahrhunderts bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war die Stadt Regierungssitz von Ländern des Heiligen Römischen Reichs und des Rheinbundes: des Herzogtums Berg, der Herzogtümer Jülich-Berg und Jülich-Kleve-Berg sowie des Großherzogtums Berg, von 1690 bis 1716 auch Residenz des Pfalzgrafen und Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz. Durch den Bau einer Kurfürstlichen Gemäldegalerie mit einer international rezipierten Kunstsammlung wurde 1709 eine bedeutende Kunst- und Ausstellungstradition begründet. Seit 1815 preußisch, wurde die Stadt 1816 Sitz des Regierungsbezirks Düsseldorf. Von 1824 bis 1933 war sie der Parlamentssitz der Rheinprovinz. Im Kaiserreich entwickelte sich Düsseldorf im Zuge der Hochindustrialisierung in Deutschland zum „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ und wurde mit dem Überschreiten der Marke von 100.000 Einwohnern im Jahr 1882 zur Großstadt. Von den Anfängen bis zur frühneuzeitlichen Stadt Die mittelalterliche Stadt Düsseldorf wurde im 12./13. Jahrhundert zwar in der Nähe von frühmittelalterlichen Altsiedlungen gegründet, ging aber als Neugründung – ähnlich wie beispielsweise auch in Alpen oder Kalkar – nicht unmittelbar aus einer dieser Altsiedlungen hervor. Die Siedlung trug ihren Namen nach dem kleinen Fluss Düssel, der südlich der Straße Altestadt in den Rhein mündet. Der Name Düssel entstand wahrscheinlich aus dem germanischen Begriff thusila und bedeutet die Rauschende. Die Landschaft, in der Düsseldorf gegründet wurde, war vor der Entstehung der Grafschaft Berg eine ursprünglich fränkische, zu Ripuarien gehörende Grafschaft, in der neueren Forschung Duisburg-Kaiserswerther Grafschaft genannt, ein Herrschaftsgebiet der Ezzonen, denen als Pfalzgrafen eine hohe Stellung im Herzogtum Lothringen (Niederlothringen) zukam. Die erste schriftliche Erwähnung von Dusseldorp in einer Schreinskarte kann nicht sicher datiert werden und stammt frühestens aus dem Jahr 1135. Am 5. Juni 1288 fand die Schlacht von Worringen statt, in deren Folge Graf Adolf V. von Berg Düsseldorf am 14. August 1288 die Stadtrechte verlieh. Nach Wipperfürth, Lennep und Ratingen war dies die vierte Stadtgründung im Bergischen Land und die dritte Adolfs V. Die nur 3,8 Hektar große Stadt war bereits früh ein mit einer Stadtmauer und einem Graben gesicherter Ort, der die Westgrenze der Grafschaft Berg markierte. 1380 wurde Graf Wilhelm von Berg von dem römisch-deutschen König Wenzel in den Reichsfürstenstand erhoben. Noch im selben Jahr beschloss der neue Herzog zum Ausdruck seiner reichspolitischen Funktion und Stellung, die relativ abgelegene Burg an der Wupper als Regierungssitz aufzugeben und das am Rhein gelegene Düsseldorf zur neuen Residenz zu entwickeln. Für die geplante bergische Hauptstadt Düsseldorf wurde erstmals 1382 eine Burg urkundlich erwähnt, die in den folgenden Jahrhunderten zum Düsseldorfer Residenzschloss ausgebaut wurde. Seit 1386 residierten der Herzog und seine Gemahlin Anna dort. Zwischen 1384 und 1394 wurde die Stadt erheblich erweitert; der Bau der backsteingotischen Hallenkirche St. Lambertus und ihre reichhaltige Ausstattung mit Reliquien und Pfründen datieren in dieser Zeit. Durch die Klever Union vereinigten die Herzöge von Jülich-Berg und Kleve-Mark ihre Länder zur Personalunion Jülich-Kleve-Berg. In den Jahren 1538 bis 1543 war Düsseldorf die Hauptstadt eines Verbundes von Territorialstaaten, der neben Jülich-Kleve-Berg auch das Herzogtum Geldern, die Grafschaften Mark, Ravensberg und Zutphen sowie die Herrschaft Ravenstein umfasste. Insbesondere unter Wilhelm dem Reichen wurde die Region zu einem Zentrum humanistischer Wissenschaft und liberaler Katholizität. Gegenüber Juden setzte sich unter seiner Herrschaft mit der Polizeiverordnung von 1554, die die Ausweisung aller Juden verlangte, allerdings eine antijudaische Linie durch. 1585 wurde bei der Vermählung des Erbprinzen Johann Wilhelm mit der Markgräfin Jakobe von Baden die wohl prunkvollste dokumentierte Hochzeit des 16. Jahrhunderts ausgerichtet. Unter dem Titel Orpheus und Amphion kam dabei zum ersten Mal ein opernartiges theatralisches Schauspiel mit Gesang und Musik zur Aufführung. Wilhelm der Reiche sorgte für den Wiederaufbau und Ausbau des Düsseldorfer Schlosses durch den Renaissance-Baumeister Alessandro Pasqualini. Nach dem Aussterben des jülich-bergisch-klevischen Regentenstammes 1609 und während eines Erbfolgestreits zwischen Brandenburg und Pfalz-Neuburg besetzte der spanische General Ambrosio Spinola als kaiserlicher Kommissar 1614 die Stadt. Bergische Residenz- und Landeshauptstadt Nach der Beilegung des Jülich-Klevischen Erbfolgestreits gehörte Düsseldorf mit dem Herzogtum Jülich-Berg zum damals zunächst noch protestantischen Haus Pfalz-Neuburg, einem Zweig des Adelsgeschlechtes der Wittelsbacher. In der ersten Phase der pfälzischen Herrschaft kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen römisch-katholischen, lutherischen und reformierten Beamten bei Hof und in der Stadt. Unter dem Einfluss seiner Frau, Magdalene von Bayern, konvertierte Erbprinz Wolfgang Wilhelm 1613 zur römisch-katholischen Konfession, wodurch er sich in den politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit die Unterstützung der Katholischen Liga sichern konnte. Mit der Übernahme der Pfalzgrafen- und Herzogswürde im Jahre 1614 führte die Konversion Wolfgang Wilhelms in seinen Territorien zu einer Repression der protestantischen Konfessionen und zu einer Begünstigung der römisch-katholischen Kirche. Bei der nun einsetzenden Gegenreformation hatten die bei Hof verkehrenden Jesuiten eine Schlüsselrolle. Johann Wilhelm von der Pfalz, von den Niederfränkisch sprechenden Düsseldorfern „Jan Wellem“ genannt, schon als pfälzischer Erbprinz seit 1679 Regent von Jülich-Berg, seit 1690 schließlich Kurfürst von der Pfalz sowie Herzog von Jülich-Berg, hielt auch als Souverän an Düsseldorf als Hauptresidenz fest, zumal die frühere kurfürstliche Hauptresidenz in Heidelberg durch den Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört worden war. In der Regierungszeit Johann Wilhelms erfuhr Düsseldorf durch die Präsenz des glanzvollen Hofes eine beachtliche wirtschaftliche, kulturelle und städtebauliche Entwicklung, die sich unter Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz fortsetzte, der Schlösser, Sammlungen, Institute gründete und die Carlstadt anlegen ließ. Herausragend und berühmt war die noch von Johann Wilhelm gegründete, unter Karl Theodor ebenfalls geförderte Gemäldegalerie. Allerdings verlor Düsseldorf den Status einer kurfürstlichen Hauptresidenz schon 1718 wieder an Heidelberg. 1720 ging diese Funktion dann an Mannheim und 1778 an München über, von wo aus Karl Theodor die Territorien Kurpfalz-Bayern und Jülich-Berg regierte. Eine weitere kurze Blüte der Stadt erfolgte unter dem kurfürstlichen Statthalter Johann Ludwig Franz Graf von Goltstein. 1769 wurde Düsseldorf Sitz des Jülich-Bergischen Oberappellationsgerichtes. Seit 1732 weiter neuzeitlich befestigt, wurde die Stadt im Siebenjährigen Krieg 1757 von den Franzosen besetzt und nach der Schlacht bei Krefeld 1758 von Herzog Ferdinand von Braunschweig durch Kapitulation eingenommen, jedoch bald wieder verlassen. Im Zuge der durch die Französische Revolution entfesselten Koalitionskriege kapitulierte Düsseldorf im Jahre 1795 der französischen Revolutionsarmee und blieb unter französischer Besetzung, bis es im Frieden von Lunéville 1801 an Kurpfalz-Bayern zurückgegeben wurde. Die Säkularisation sorgte um 1803 für eine erhebliche Besitzumschichtung zugunsten des Landes(herren) und veränderte auch das Erscheinungsbild der Stadt erheblich. Die Ordensgemeinschaften und verschiedene Klöstergebäude verschwanden vollständig aus dem Stadtbild, wenige Reste blieben bis heute erhalten. Innerhalb des heutigen Stadtgebietes waren insgesamt 16 geistliche Institutionen betroffen (etwa ein Drittel aller Klöster im Herzogtum Berg), die Stifte Kaiserswerth, Düsseldorf und Gerresheim, die Mendikantenklöster der Franziskaner (Düsseldorf) und Kapuziner (Düsseldorf, Kaiserswerth, Benrath), die Kreuzherrenkanonie, die Zisterzienserabtei Düsselthal, die Klöster Katharinenberg (Gerresheim) und Rath sowie die Ordensniederlassungen der Coelestinerinnen, der Cellitinnen und der Karmeliterinnen. Die Einrichtungen der beiden Schulorden (Jesuiten und Ursulinen) waren bereits Jahrzehnte früher in weltliche Kongregationen umgewandelt worden und überstanden die Säkularisation. Dasselbe gilt für die Cellitinnen und Karmneliterinnen, die sich der Krankenpflege verschrieben hatten und aus deren Institutionen das Düsseldorfer Krankenhaus in der Altstadt hervorging. Das Coelestinerinnenkloster war bei der Bombardierung Düsseldorfs 1794 ausgebrannt und die Nonnen lebten an verschiedenen Orten getrennt voneinander, weshalb es schon 1802 als bereits aufgehoben galt. Ebenso wurde das Kreusherrenkloster als künftiger Standort der Schulverwaltung bereits vor der offiziellen Säkularisation von 1803 aufgehoben und die nicht zum Unterricht oder Gottesdienst benötigten Geistlichen in die Kreuzherrenkanonie Beyenburg versetzt. Das Stift Gerresheim wurde zunächst zu einer Versorgungseinrichtung für Töchter des höheren Beamtentums und der Militärführung umgewandelt, blieb daher zunächst bestehen und wurde um den Besitz des Klosters Saarn bereichert. Im Gegensatz dazu durften die wenig begüterten Gemeinschaften der Nonnen der Klöster Rath und Katharinenberg in den Gebäuden als private weltliche Gemeinschaft noch zum Teil über Jahrzehnte zusammenleben, um zu verhindern, dass sie wegen ihrer geringen Pensionen zu Bettlerinnen wurden. In Düsseldorf Kaiserwerth bestand bis 1841 eines von vier bergischen Zentral- und Sammelklöstern, nämlich das Zentralkloster für die Kapuziner. Hier konnten Ordensmitglieder bis zu ihrem Tod leben. Es herrschte einige Fluktuation und einzelne Geistliche – auch Ordensfremde – wurden zur Correction eingewiesen. Ab 1812 lebte auch der letzte Abt von Siegburg, Speyart zu Woerden, bis zu seinem Tod 1817 bei den Kapuzinern. Alternativ konnten die Kleriker eine Pensionierung wählen, wobei die Mendikanten mit 50 Reichstalern nicht genug zum Leben erhielten und zusätzliche Einkünfte – etwa als Lehrer und Pfarrgeistliche – generieren mussten. Die Mitglieder der fundierten Einrichtungen wurden zwar nicht großzügig aber doch auf Basis der jeweiligen Klostereinkünfte um ein Mehrfaches üppiger dotiert, wobei einzelne Frauenklöster zu wenig Vermögen für eine angemessene Versorgung hatten. Daraufhin erfolgte die vertraglich bedingte Schleifung der Festungswerke. Doch bereits infolge eines Gebietstausches, der in dem Vertrag von Schönbrunn und im Vertrag von Brünn zwischen Kurpfalz-Bayern, Preußen und Frankreich festgelegt worden war, gelangte die Stadt ab 1806 wieder unter französischen Einfluss. Vor dem Gebietstausch hatte Kurfürst Maximilian IV. die weltberühmte Gemäldesammlung, die ein staatlicher Besitz des Herzogtums Jülich-Berg war, abziehen lassen und widerrechtlich dem bayerischen Kunstbesitz einverleibt. Düsseldorf wurde Landeshauptstadt des Großherzogtums Berg. Das Großherzogtum schied auf der Grundlage der Rheinbundakte als souveräner, mit Frankreich alliierter Staat aus dem Heiligen Römischen Reich aus und bestand faktisch bis Ende 1813. Großherzöge waren Joachim Murat bis 1808, sodann Napoleon selbst, schließlich ab 1809 unter Napoleons Regentschaft sein minderjähriger Neffe Napoléon Louis Bonaparte. Unter der neuen Regierung hielten bedeutende soziale und administrative Reformen Einzug. 1810 führte Napoleon den bergischen Code civil ein, der unter anderem den von Heinrich Heine begrüßten Durchbruch in Richtung einer Gleichstellung der Juden mit sich brachte. Anspruchsvolle Maßnahmen zur städtebaulichen Erneuerung und Verschönerung Düsseldorfs wurden vollzogen, insbesondere nach Entwürfen des Landschaftsarchitekten Maximilian Friedrich Weyhe. So pflanzte man die Neue Allee, die spätere Königsallee, und bepflanzte den Boulevard Napoléon, die spätere Heinrich-Heine-Allee erstmals als elegante Esplanaden; der Hofgarten erfuhr einen weiteren Ausbau zu einem Englischen Landschaftsgarten. Gleichwohl war das Großherzogtum für Frankreich im Rahmen seiner imperialistischen Expansion letztlich nur als Satelliten- und Pufferstaat sowie als Ressource für Finanzeinnahmen und Truppenaushebungen von Relevanz. Zudem geriet das Großherzogtum zunehmend in eine schwere Wirtschaftskrise, weil die französischen Zölle, die im Zuge der Kontinentalsperre an seinen westlichen und nördlichen Staatsgrenzen erhoben wurden, es von wichtigen Marktgebieten abschnitten. Die Wende brachte die Völkerschlacht bei Leipzig, in deren Folge die französischen Truppen und Spitzenbeamten das Großherzogtum Berg verließen. (Quelle:) Preußische Provinzstadt und Industrialisierung Das von den Franzosen verlassene Großherzogtum Berg wurde ab Ende 1813 von preußischen Truppen besetzt und von preußischen Beamten als Generalgouvernement Berg interimistisch verwaltet. Auf der Grundlage der Neuordnung Europas, die in den Jahren 1814 bis 1815 auf dem Wiener Kongress verhandelt worden war, nahm der preußische König Friedrich Wilhelm III. das Territorium und dessen Hauptstadt Düsseldorf am 5. April 1815 schließlich in Besitz. Rechtlich gehörte es ab dem 21. April 1815 zu Preußen. Düsseldorf wurde 1816 Sitz des Landkreises Düsseldorf. Düsseldorf selbst war dabei aber zunächst kreisfreie Stadt, doch schon 1820 wurde die Stadt in den Landkreis Düsseldorf eingegliedert. Am 22. April 1816 nahm die Bezirksregierung Düsseldorf ihre Arbeit auf. Mit der Schaffung der Rheinprovinz wurde Düsseldorf 1822 Sitz des Landeshauptmanns und 1823 Sitz des Provinziallandtags. Durch die Eingliederung in Preußen hatte Düsseldorf nach über 400 Jahren den Status einer Landeshauptstadt und damit sämtliche Behörden der Landesregierung verloren. Düsseldorf war somit nur noch der Mittelpunkt einer Provinz und eine Beamtenstadt, nach Schleifung der Festungswerke von einem geschlossenen Ring ausgedehnter Parks umgeben, dem sich eine erste Stadterweiterung im klassizistischen Stil anschloss. Nach zeitgenössischen Beschreibungen bot die Stadt in der Zeit des Biedermeier insgesamt ein vergleichsweise harmonisches Stadtbild, bemerkte doch etwa Carl Julius Weber: „Das heitere Düsseldorf gefällt doppelt, wenn man aus dem finsteren Cöln herkommt.“ Allerdings war die politische und administrative Bedeutung der Stadt aufgrund des Verlustes von Hauptstadtfunktionen nicht so hoch wie der Rang des geistigen und künstlerischen Lebens in jener Zeit, welcher maßgeblich auf der Neugründung der Kunstakademie Düsseldorf (1819) und der aus ihr hervorgehenden Düsseldorfer Malerschule (1819–1918) fußte sowie ihr den Ruf einer Kunst- und Gartenstadt eintrug. In der Zeit des Vormärz und der Deutschen Revolution waren die in der Stadt vertretenen bürgerlichen Milieus mit den Persönlichkeiten Lorenz Cantador, Ferdinand Freiligrath, Ferdinand Lassalle und Hugo Wesendonck ein Brennpunkt der sich formierenden demokratischen und Arbeiterbewegung. Ab Mitte der 1830er Jahre erfasste der durch die Industrialisierung ausgelöste gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbruch die kleine preußische Provinzstadt. Die Ablösung des Kölner Stapelrechts durch die Mainzer Akte (1831), die Dampfschifffahrt auf dem zunehmend regulierten Rhein, die Einrichtung eines Freihafens (1831) sowie die Anlage der ersten westdeutschen Eisenbahnstrecken (1838) schufen die Voraussetzungen für die Entwicklung Düsseldorfs zur Industriestadt. Die zwischen Rotterdam und Mannheim verkehrende Dampfschiffahrts-Gesellschaft für den Nieder- und Mittelrhein wurde 1836 in Düsseldorf gegründet. 1837 fand die erste Gewerbeausstellung in der Flinger Straße statt, neben der 1852 durchgeführten Provinzial-Gewerbe-Ausstellung für Rheinland und Westphalen eine Grundlage für die spätere Entwicklung zur Messestadt. Ab 1850 siedelten sich die ersten Stahlwerke unter anderem in Oberbilk an. Es folgten zahlreiche weitere Industriebetriebe wie beispielsweise die Gerresheimer Glashütte. Allerdings dominierte bis 1870 noch das Textilgewerbe. Eine Berufsfeuerwehr hat Düsseldorf seit 1872. 1872 wurde Düsseldorf erneut kreisfrei. Um 1880 bestand es aus sechs Stadtteilen: der Altstadt (dem ursprünglichen Düsseldorf) mit engen und unregelmäßigen Straßen sowie den beiden Mündungen der nördlichen und der südlichen Düssel, der Carlstadt an der Südseite der Altstadt (1767 angelegt), der in einiger Entfernung liegenden Neustadt, die 1690–1716 erbaut wurde, der Friedrichstadt am Südostende, der Königstadt und schließlich Pempelfort im Norden und Nordosten. 1880 fand in Düsseldorf die Gewerbe-Ausstellung für Rheinland, Westfalen und benachbarte Bezirke statt, die über eine Million Besucher anzog und der Stadt weitere Wachstumsimpulse gab. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1880 lebten in der Stadt auf 49 Quadratkilometern Fläche 95.458 Menschen. Die verkehrsgünstig und wirtschaftsgeografisch zentral gelegene preußische Stadt, die 50 Jahre zuvor aus politischer und wirtschaftlicher Sicht nur wenig Bedeutendes vorzuweisen hatte, stand dank fortschreitender Industrialisierung, ausgebauter Verkehrsinfrastrukturen, rapidem Bevölkerungswachstums und des Fortfalls von Zollschranken, der sich mit der Verwirklichung des Deutschen Zollvereins ab 1834 ergeben hatte, an der Schwelle der Entwicklung zu einer der bedeutenden Groß- und Industriestädte des 1871 gegründeten Nationalstaats Deutsches Reich, dessen bundesstaatlicher Rahmen Preußen nunmehr als einen Gliedstaat umfasste. In der Zeit von 1880 bis 1900 stieg die Bevölkerung auf mehr als das Doppelte an, 215.000 Einwohner. Aufstieg zur Wirtschaftsmetropole und Niedergang An der Wende zum 20. Jahrhundert war Düsseldorf eine geschäftige und aufstrebende Industriestadt. Nach der Rheinufervorschiebung wurde 1902 eine große Gewerbe-, Industrie- und Kunstausstellung mit über 2500 Ausstellern auf einem 70 Hektar großen Gelände am Rheinufer organisiert, die weltweit Beachtung fand. Eine gute Finanzverfassung, niedrige Steuern und städtebauliche Anreize zogen vermögende Leute und Unternehmen aus dem ganzen Reich an. Dank der Konzentration von Verwaltungen und unternehmensnahen Dienstleistungen sowie dank der Ansiedlung einer Börse, großer Bankhäuser und einer Reihe wichtiger Zusammenschlüsse der Industrie etablierte sich die Stadt schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „Schreibtisch des Ruhrgebiets“. 1909 wurde ein Zeppelinflugfeld auf der Golzheimer Heide eingerichtet. Im gleichen Jahr erfolgten die ersten großen Eingemeindungen seit dem Mittelalter. Dadurch wuchs die Stadt um 62,5 km² und erreichte mit einem Zuwachs von rund 63.000 Personen eine Gesamteinwohnerzahl von 345.000. Ihren neuen Zuschnitt nahm die Stadt zum Anlass, im August 1910 eine Internationale Städtebau-Ausstellung abzuhalten, zu deren Gelingen neben deutschen Großstädten auch Chicago, Boston, London, Zürich, Kopenhagen, Stockholm und Helsinki stadtplanerische Exponate beitrugen. In der 1912 folgenden Städte-Ausstellung Düsseldorf für Rheinland, Westfalen und benachbarte Gebiete wurden Pläne für die „Millionenstadt Düsseldorf“ vorgestellt. Der US-amerikanische Publizist und Reformer Frederic C. Howe pries Düsseldorfs Stadtentwicklung als vorbildlich. Das Wachstum der Stadt schien den Zeitgenossen unaufhaltsam zu sein. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges traf Düsseldorf vollkommen unvorbereitet. Am 31. Juli 1914 übernahm das Militär die Exekutive und am folgenden Tag wurde die allgemeine Mobilmachung verkündet. Schon bald veränderte sich das Leben in der Stadt merklich. Die Düsseldorfer Industrie stellte auf Kriegsproduktion um und wurde eine der größten Waffenschmieden des Reiches. Die Stadt wandelte sich zu einem Nachschubzentrum und Lazarettstandort. 1915 waren 46.000 Reservisten in Düsseldorf stationiert, 1917 gab es rund 8.000 Lazarettbetten. Durch den wirtschaftlichen Niedergang sank der Hafenumschlag auf unter 30 % des Vorkriegsniveaus. Die Geburtenzahlen verringerten sich um 42 Prozent; es herrschte Mangel an Lebensmitteln und Kleidung; die Sterberaten stiegen massiv an; über 10.000 Soldaten kehrten nicht mehr zurück. Im Juni 1917 kam es wegen des Hungers in der Bevölkerung zu Protesten und zu Plünderungen von Läden. Mehrfach wurde der Belagerungszustand verkündet. Am 8. November 1918 trugen aus Köln kommende Matrosen die Novemberrevolution in die Stadt. Es bildete sich ein provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat, der in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung zunächst die öffentliche Ordnung aufrechterhalten konnte. Infolge des Waffenstillstandes von Compiègne, der Beendigung des Ersten Weltkrieges, besetzten am 4. Dezember 1918 belgische Truppen die linksrheinischen Stadtteile. Himmelgeist und das damals noch selbständige Benrath waren britisch besetzt. Der Rest der Stadt lag in der entmilitarisierten Zone entsprechend Artikel 42, 43 des Versailler Vertrages. Die Soldaten schieden formell aus dem Arbeiter- und Soldatenrat aus, der Arbeiterrat formierte sich neu. Vom 7. bis zum 9. Januar 1919 übernahm nach Streiks, Besetzung von Zeitungsredaktionen und einer Massendemonstration gegen die Regierung Ebert-Scheidemann ein Vollzugsrat des Arbeiterrates aus Mitgliedern des Spartakusbundes und der USPD die Macht. Ziel dieser Gruppen war eine Revolution nach russischem Vorbild. Der Hauptbahnhof, das Polizeipräsidium und das Fernsprechamt wurden besetzt. Aus dem Gefängnis Ulmer Höh wurden rund 150 Insassen befreit. Oberbürgermeister Oehler, Regierungspräsident Kruse und einige andere Personen des öffentlichen Lebens konnten sich ins belgisch besetzte Oberkassel retten, andere angesehene Bürger wurden als Geiseln genommen. Aus Protest legten am 10. Januar die städtischen Beamten die Arbeit nieder. Ein Vollzugsrat des Arbeiterrates erklärte die Einsetzung Karl Schmidtchens als Oberbürgermeister. Es kam zu Streiks und blutigen Zusammenstößen mit zahlreichen Toten und Schwerverletzten in der Graf-Adolf-Straße. Nach fünf Wochen, am 28. Februar 1919, wurde die Stadt vom Freikorps Lichtschlag erobert und der Vollzugsrat abgesetzt. Dennoch kam es bis Mitte April 1919 immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Spartakisten und den reaktionären Freikorpstruppen, insbesondere während der Generalstreiksbewegung an der Ruhr vom 8. bis zum 13. April. Heftig umkämpft war der Stadtteil Oberbilk, der nur mit Artillerieunterstützung erobert werden konnte. Bis 1933 blieb Düsseldorf in weiten Teilen dennoch eine „rote“, von der Arbeiterbewegung geprägte, Stadt in Preußen, das 1918 durch den Sturz der Hohenzollern-Monarchie als Freistaat Preußen eine Republik im Deutschen Reich geworden war. Am 8. März 1921 rückten gegen Mittag französische und belgische Truppen in Düsseldorf und anderen Ruhrgebietsstädten ein und besetzten sie. Hintergrund war die Weigerung der Reichsregierung, Reparationszahlungen aus dem Versailler Vertrag in Höhe von 269 Milliarden Goldmark anzuerkennen. Zwei Jahre später begannen die Franzosen von ihren Brückenköpfen Duisburg und Düsseldorf aus mit der Besetzung des Ruhrgebiets. Mit Annahme des Dawes-Plans am 1. September 1925 durch die deutsche Regierung endete die Besetzung. Aus diesem Anlass kam Reichspräsident Paul von Hindenburg nach Düsseldorf und hielt im Rheinstadion vor rund 50.000 Zuhörern eine patriotische Rede. 1926 fand mit der GeSoLei die mit 7,5 Millionen Besuchern größte Messe der Weimarer Republik im und am dafür konzipierten Ehrenhof statt. 1929 ging der Landkreis Düsseldorf größtenteils im neuen Landkreis Düsseldorf-Mettmann auf, der nördliche Teil wurde den Städten Duisburg und Mülheim zugeschlagen. Düsseldorf-Mettmann wurde bei der Kreisreform 1975 in Kreis Mettmann umbenannt. Am 13. April 1931 begann in Düsseldorf der Strafprozess zu einem der spektakulärsten Kriminalfälle der Weimarer Republik. Zu Gericht saß der schon von 1894 bis 1921 und seit 1925 wieder in Düsseldorf wohnende Serienmörder Peter Kürten, den die Boulevardpresse wegen seiner Vorliebe für das Blut seiner zahlreichen Opfer den „Vampir von Düsseldorf“ nannte. Der Prozess, der auch große internationale Beachtung fand – an die neunzig Auslandskorrespondenten hatten sich angesagt –, endete am 21. April 1931 mit einem Todesurteil, das am 2. Juli 1931 in Köln vollstreckt wurde. In Deutschland löste das Ereignis eine erneute Debatte über die Zulässigkeit der Todesstrafe aus. Der Kriminalfall inspirierte den Regisseur Fritz Lang zu seinem Streifen M – Eine Stadt sucht einen Mörder, einem der ersten Tonfilme. Die Zeit des Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten kam es schon am 11. April 1933 in Düsseldorf zur ersten Verbrennung „unerwünschter Literatur“ durch die Deutsche Studentenschaft, unter anderem von Büchern Heinrich Heines. Der NSDAP-Gauleiter Friedrich Karl Florian förderte das massenwirksame Gedenken an Albert Leo Schlageter am Schlageter-Nationaldenkmal, das bereits 1931 errichtet worden war, sowie die personelle Umstrukturierung von Stadtverwaltung und Behörden. Der bisherige Polizeipräsident Hans Langels (Zentrumspartei) wurde abgesetzt und durch den SS-Gruppenführer Fritz Weitzel ersetzt. Zahlreiche Regimegegner wurden verhaftet, misshandelt oder getötet. Düsseldorf war als Hauptstadt des Gaus Düsseldorf (1930–1945) Sitz zahlreicher NS-Verbände und sicherheitspolizeilicher Institutionen: der Staatspolizeileitstelle Düsseldorf, des Höheren SS- und Polizeiführers West (ab 1938), des Inspekteurs der Sicherheitspolizei und des SD, des SS-Oberabschnitts West, des SD-Oberabschnitts West, der SA-Gruppe Niederrhein, der 20. SS-Standarte, eines HJ-Banns (Nr. 39, Obergebiet West, Gebiet Ruhr-Niederrhein), ab 1936 einer Heeresstandortverwaltung und eines Wehrbezirkskommandos der Wehrmacht. Zu den kulturpolitischen „Höhepunkten“ zählten die Propagandaschauen Reichsausstellung Schaffendes Volk (1937) und Entartete Musik (1938). 1937 wurden im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ aus der Kunstsammlung der Stadt Werke beschlagnahmt und vernichtet. Am 10. November 1938 wurden in der Pogromnacht die Synagogen auf der Kasernenstraße und in Benrath niedergebrannt, die jüdische Bevölkerung der Stadt wurde verfolgt und mindestens 18 Personen wurden ermordet. Die Deportation von fast 6000 Juden aus dem gesamten Regierungsbezirk lag in den Händen des „Judenreferats“ der Staatspolizeileitstelle Düsseldorf. Am 27. Oktober 1941 fuhr der erste Zug mit insgesamt 1003 Düsseldorfer und niederrheinischen Juden vom Güterbahnhof Derendorf in die deutschen Konzentrationslager im besetzten Polen (siehe Jüdisches Leben in Düsseldorf). Über 2200 Düsseldorfer Juden wurden ermordet. 1944 lebten in den etwa 400 Lagern Düsseldorfs rund 35.000 ausländische Zivilarbeiter, mehrere tausend Kriegsgefangene sowie KZ-Häftlinge, die Zwangsarbeit leisten mussten. An die Opfer des Nationalsozialismus in Düsseldorf erinnert seit 1987 die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf im ehemaligen Polizeipräsidium an der Mühlenstraße (Stadthaus). Es gibt darüber hinaus zahlreiche Düsseldorfer Gedenkorte für Opfer des Nationalsozialismus. Im Zweiten Weltkrieg fielen 1940 die ersten Bomben auf Düsseldorf. Den ersten Großangriff erlebten die Düsseldorfer in der Nacht zum 1. August 1942. Die alliierten Luftangriffe forderten bis 1945 mehr als 5000 Tote unter der Zivilbevölkerung. Etwa die Hälfte der Gebäude wurde zerstört, rund 90 Prozent wurden beschädigt. Alle Rheinbrücken, die meisten Straßen, Hochwasserdeiche, Unter- und Überführungen sowie das städtische Entwässerungsnetz waren größtenteils zerstört. Die Trümmermenge wurde auf etwa zehn Millionen Kubikmeter geschätzt. Ab dem 28. Februar 1945 wurde Düsseldorf im Zuge der Bildung des Ruhrkessels für sieben Wochen zur Frontstadt mit amerikanischem Dauerbeschuss vom linken Rheinufer und im März immer mehr eingekreist. Im April versuchten einige Düsseldorfer Bürger des Widerstands um Rechtsanwalt Karl August Wiedenhofen bei Schutzpolizei-Kommandeur Franz Jürgens die Festsetzung des Polizeipräsidenten August Korreng zu erwirken, um die Stadt kampflos an die Alliierten zu übergeben. Der Putschversuch gelang zunächst, wurde dann aber verraten. Nach der Befreiung Korrengs durch linientreue Kräfte von Gauleiter Friedrich Karl Florian, der fünf der Widerstandsmitglieder standrechtlich erschießen ließ (darunter Jürgens), gelang es den beiden letzten Mitgliedern Rechtsanwalt Wiedenhofen und Architekt Aloys Odenthal zu entkommen, die im Osten der Stadt heranrückenden amerikanischen Streitkräfte zu erreichen und die endgültige Zerstörung der Stadt durch einen bereits vorbereiteten großen Luftangriff abzuwenden. Wiederaufbau und Entwicklung zur Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens Aus Richtung Mettmann kommende Einheiten der U.S. Army besetzten Düsseldorf am 17. April 1945 nahezu kampflos. Nur noch etwa die Hälfte der Bewohner lebte in der in weiten Teilen zerstörten Stadt, die im Zuge der Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen unter britische Militärverwaltung kam, die bereits im Juni 1945 eine deutsche Kommunalverwaltung einsetzte. Zum Ende der Kampfhandlungen befanden sich noch etwa 235.000 Menschen in Düsseldorf, zum Jahresende 1945 lebten bereits wieder 394.765 Einwohner in der Stadt. Nach Vorentscheidungen an der Londoner Außenministerkonferenz gründeten die Briten am 23. August 1946 als einen Nachfolgestaat des nur noch de jure existierenden Freistaats Preußen das Land Nordrhein-Westfalen mit Düsseldorf als Hauptstadt, um die bedeutenden industriellen Ressourcen des Landes der politischen Einflussnahme der Sowjetunion und Frankreichs zu entziehen. Die geografische Zentralität, insbesondere die gewachsene Funktion als wirtschaftliches Entscheidungszentrum („Schreibtisch des Ruhrgebiets“), und das Bestehen unzerstörter Verwaltungsbauten gaben den Ausschlag für die Bestimmung Düsseldorfs zum politischen Zentrum des neuen Landes. Mit Wohnungsnotprogrammen konnten bis 1947 etwa 70.000 Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. 1947 fand bereits wieder eine erste Messe in Düsseldorf statt. 1949, im Gründungsjahr der Bundesrepublik Deutschland, erreichte die Einwohnerzahl Düsseldorfs schon fast wieder Vorkriegsniveau, der systematische Wiederaufbau setzte Anfang der 1950er Jahre ein. Von 1949 bis 1952 war Düsseldorf Sitz der Internationalen Ruhrbehörde, einer Vorläuferin der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Dank des Marketingverbundes Igedo und wegen der Nähe zur Textilindustrie konnte sich das Messe- und Ausstellungsgelände am Ehrenhof in dieser Zeit mit der Verkaufs- und Modewoche Düsseldorf als neuer deutscher Standort des Modehandels durchsetzen. Mit dem Neuordnungsplan von 1950 wurden die Grundlagen für die weitere Stadtentwicklung der nächsten Jahrzehnte geschaffen, die das Stadtbild und die Verkehrsführung entscheidend verändern sollte, weitgehend nach dem Leitbild der Autogerechten Stadt. Zahlreiche Straßen wurden verbreitert und zerstörte Gebäude um zwei bis drei Geschosse höher wieder aufgebaut. Ab Mitte der 1950er Jahre entstanden die ersten Hochhäuser. Düsseldorf entwickelte sich zur Verwaltungsstadt. Dennoch blieb Düsseldorf bis in die 1980er Jahre ein bedeutender Industriestandort. Aufgrund der Nähe zum Ruhrgebiet sowie zur damaligen Bundeshauptstadt Bonn ließen sich zahlreiche Verbände und Interessensvertretungen aus dem Stahlbereich in der Stadt nieder. Die 1960er und 1970er Jahre brachten große Veränderungen. Die Stadt hatte in dieser Zeit den höchsten Bevölkerungsstand ihrer Geschichte. Ab 1961 entstand mit Garath ein völlig neuer Stadtteil in Form einer Trabantenstadt am südlichen Stadtrand. 1965 wurde Düsseldorf Universitätsstadt. Es folgten 1970 die Eröffnung des neuen Schauspielhauses, 1971 der Neuen Messe und 1978 der neuen Tonhalle. 1975 erfolgte die größte Eingemeindung seit 1929. Es entstanden zwei neue Rheinbrücken und es wurde mit dem Bau einer U-Stadtbahn begonnen, deren erste Strecke 1981 eingeweiht werden konnte. In den 1980er Jahren wurde mit weiteren städtebaulichen Projekten das Stadtbild abermals nachhaltig verändert, dem Neubau des Landtages, der Entwicklung des Medienhafens und dem Bau des Rheinufertunnels, dessen Fertigstellung sich bis in die 1990er Jahre hinzog. Seit 1993 fließt der Autoverkehr unterirdisch und die Altstadt ist mit der Rheinuferpromenade wieder an den Rhein gerückt. In den 1990er Jahren entwickelte sich im Medienhafen ein neues Büro-, Geschäfts- und Freizeitviertel. 1996 vernichtete ein Großbrand ein Terminal des Düsseldorfer Flughafens. Der Flughafen und die Anbindung an die Stadt wurden komplett umgeplant. Die Arbeiten waren 2003 abgeschlossen. Bei einem Sprengstoffanschlag am Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn wurden am 27. Juli 2000 zehn Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt, eine schwangere Frau verlor ihr ungeborenes Kind. Nach einem Brandanschlag auf die Neue Synagoge in Düsseldorf am 2. Oktober 2000 wandte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einem Appell an die bundesdeutsche Öffentlichkeit, in dem er zum „Aufstand der Anständigen“ aufforderte. Am 25. Mai 2009 erhielt die Stadt den von der Bundesregierung verliehenen Titel „Ort der Vielfalt“. Eingemeindungen Nachdem 1384 bereits Bilk, Derendorf und Golzheim, 1394 Hamm und 1487 Volmerswerth nach Düsseldorf eingemeindet wurden, gab es im letzten Jahrhundert 1909, 1929 und 1975 Gebietsreformen, welche eine städtebauliche Weiterentwicklung und effizientere Verwaltung der aufgrund der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Industrialisierung und nochmals in den 1950er bis 1970er Jahren stark wachsenden und zusammenwachsenden Region Düsseldorf gewährleisten sollten. Im Einzelnen wurden ab 1908 folgende Städte, Gemeinden und Gemeindeteile nach Düsseldorf eingegliedert (die Zahlen in Klammern geben den Flächenzuwachs an): am 1. April 1908 Wersten, zuvor Teil der Landgemeinde Himmelgeist-Wersten (3,57 km²); am 1. April 1909 Stockum, zuvor Teil der Landgemeinde Lohausen (3,72 km²), Rath (14,23 km²), Stadt Gerresheim (5,35 km²), Eller (10,68 km²), Himmelgeist (7,04 km²), Heerdt einschließlich der Wohnplätze Oberkassel, Niederkassel und Lörick (13,52 km²) und Teile der Landgemeinde Ludenberg (4,37 km²); am 1. August 1929 Stadt Kaiserswerth (3,27 km²), Lohausen (10,57 km²), Benrath einschließlich der Wohnplätze Itter, Holthausen, Hassels, Reisholz, Urdenbach und Garath mit dem 1971 abgespalteten neuen Stadtteil Hellerhof (26,63 km²), Teile von Wittlaer (41 ha), Teile von Kalkum (91 ha), Teile von Eckamp (90 ha), Teile von Schwarzbach (70 ha), Teile von Ludenberg (4,44 km²), Teile von Erkrath (2 ha) und Teile von Büderich (1 ha) am 1. Januar 1975 Wittlaer einschließlich Kalkum (23,17 km²), Stadt Angermund (8,32 km²), Hubbelrath mit den Siedlungsbereichen Dorf, Stratenhof und Rotthäuser Weg (11,92 km²), Stadt Monheim ohne Hitdorf (26,69 km²), Teile der Gemeinde Hasselbeck-Schwarzbach mit dem Siedlungsbereich Knittkuhl (2 km²), Ortsteil Unterbach der Stadt Erkrath (4,98 km²) und das Gebiet um den Elbsee der Stadt Hilden (5,53 km²) am 1. Januar 1980 Teile der Stadt Ratingen (48 ha) Der Monheimer Stadtteil Hitdorf (5,30 km²) wurde nach Leverkusen eingegliedert. Aufgrund des Gesetzes über Gebietsänderungen im Neugliederungsraum Düsseldorf wurde Monheim mit Wirkung vom 1. Juli 1976 wieder ausgegliedert und zur eigenständigen Stadt erklärt. Lediglich ein kleiner kaum bewohnter Teil der Urdenbacher Kämpe verblieb bei Düsseldorf. Der ehemalige Stadtteil Hitdorf verblieb weiterhin bei Leverkusen. Bevölkerung Demografie Am 31. Dezember 2022 betrug die „amtliche Einwohnerzahl“ für Düsseldorf basierend auf dem Statistikabzug des Einwohnermelderegisters 653.253 Einwohner. Davon waren 335.490 Frauen (51,4 Prozent) und 317.763 Männer (48,6 Prozent). Der Anteil der deutschen Bevölkerung betrug 489.366 Einwohner d. h. 74,9 Prozent, der Ausländeranteil betrug demnach 25,1 Prozent, d. h. 163.887 Einwohner. Nach Zählung der Stadt stellten 2006 die Türken mit 15.191 Personen die größte Gruppe der Nichtdeutschen, gefolgt von den Griechen mit 10.591 und den Italienern mit 6890 Personen. Von den außereuropäischen Herkunftsländern stellen die Asiaten (ohne Türken) mit 14.639 die größte Gruppe, darunter Japaner mit 4951, Iraner mit 1419, Chinesen mit 1375 und Koreaner mit 1003 Personen. Stark ansteigend ist die Zahl chinesischer Einwohner der Landeshauptstadt infolge der Ansiedlung von etwa 300 chinesischen Unternehmen (Stand 2011). Zum Stichtag 31. Dezember 2010 hatte Düsseldorf im Vergleich zu den anderen Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen den größten Ausländeranteil. Nach Angaben des Statistischen Landesamts hatten 19,3 Prozent der Düsseldorfer eine ausländische Staatsbürgerschaft. In Düsseldorf lebten nicht nur die meisten Japaner (nämlich 59 Prozent aller Japaner in Nordrhein-Westfalen), sondern auch die meisten Schweden, Ghanaer, Südkoreaner, Iren, Franzosen und Marokkaner des Landes. Mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert setzte in Düsseldorf ein starkes Bevölkerungswachstum ein. Lag die Einwohnerzahl der Stadt 1834 bei rund 20.000, so überschritt sie schon 1882 die Grenze von 100.000, wodurch Düsseldorf zur Großstadt wurde. 1905 hatte die Stadt 250.000 Einwohner, bis 1933 verdoppelte sich diese Zahl auf 500.000. Im Jahre 1962 erreichte die Bevölkerungszahl mit 705.391 ihren historischen Höchststand. In den folgenden Jahren sank die Zahl jedoch wieder stark. Dieser Trend konnte auch durch die kommunale Neugliederung in den 1970er Jahren, in deren Folge einige umliegende Gemeinden nach Düsseldorf eingegliedert wurden, nicht gedreht werden. Der Wegzug in die Umlandgemeinden führte dazu, dass sich die Einwohnerzahlen in den 1980er und auch 1990er Jahren bei 570.000 Einwohnern einpendelten. Erst zur Jahrtausendwende kehrte sich der Trend um. So betrug am 30. Juni 2005 die „amtliche Einwohnerzahl“ für Düsseldorf nach Fortschreibung des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen 573.449 (nur Hauptwohnsitze und nach Abgleich mit den anderen Landesämtern). Am 20. Juli 2014 wurde die 600.000. Einwohnerin Düsseldorfs geboren. Erstmals seit 1978 gibt es wieder mehr als 600.000 Einwohner in Düsseldorf. Das hat das Amt für Statistik ermittelt. Für das Jahr 2030 werden 611.970, 623.600 bzw. 645.000 Einwohner prognostiziert. Bei der Bevölkerungsdichte rangiert Düsseldorf unter den Städten Nordrhein-Westfalens mit 2731 Einwohnern pro Quadratkilometer hinter Herne und vor Oberhausen auf Platz zwei (Stand: 31. Dezember 2012). Nach dem Einwohnermelderegister der Stadt Düsseldorf, das seit 2016 seine Bevölkerungszahl aus dem Statistikabzug des Einwohnermelderegisters statt aus der Fortschreibung der Volkszählung von 1987 generiert, ergab sich zum 31. Dezember 2016 eine Zahl von 635.704 Einwohnern. Zum selben Stichtag ermittelte das statistische Landesamt die amtliche Einwohnerzahl von 613.230, mithin 22.474 weniger als das Einwohnermelderegister ausweist. Laut Einwohnermelderegister ergab sich zum 31. Dezember 2018 eine Einwohnerzahl von 642.304. Zum 31. Dezember 2020 nannte dieselbe Quelle 640.280 Menschen. Mundart Der in Düsseldorf nur noch in wenigen Milieus gesprochene Dialekt zählt zum Limburgischen. Die Benrather Linie (Maache-maake-Grenze) läuft durch den gleichnamigen Stadtteil Düsseldorfs und grenzt das Limburgische vom Ripuarischen ab. Durch die Uerdinger Linie (Ich-ick-Grenze) im Norden wird es vom Nord-Niederfränkischen unterschieden. Platt wird heutzutage zumeist nur noch von der älteren Generation gesprochen bzw. verstanden. Anstelle des originalen Düsseldorfer Platt wird in neuerer Zeit häufig ein sogenannter Regiolekt benutzt, Rheinisches Deutsch genannt. Religionen Laut eine Religionsstudie der Bochumer Ruhr-Universität ist Düsseldorf die religionsloseste Stadt in Nordrhein-Westfalen. Bereits 2006 gehörten in Düsseldorf 35,5 Prozent der Einwohner keiner organisierten Religionsgemeinschaft an. Damit stellten schon zu dem Zeitpunkt die Konfessionslosen vor der katholischen und der evangelischen Kirche die größte Gruppe in der Bevölkerung der Stadt. Konfessionsstatistik Ende 2022 hatten 24,6 Prozent der Einwohner die katholische Konfession und 14,7 Prozent die evangelische. 60,7 Prozent gehörten entweder einer anderen Glaubensgemeinschaft an oder waren konfessionslos. Im Jahr 2022 lag die Zahl der Kirchenaustritte bei 9.653 (zirka 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung). In Düsseldorf gab es bis zum Anfang Juli 2023 4.600 (fast 1 Prozent der Gesamtbevölkerung) Kirchenaustritte. Vier Jahre vorher waren 28,6 Prozent der Einwohner katholisch, 16,9 Prozent evangelisch. 54,5 Prozent, gehörten anderen Konfessionen oder Glaubensgemeinschaften an oder waren konfessionslos. Düsseldorf hat mit rund 7000 Mitgliedern nach Berlin und München bundesweit die drittgrößte jüdische Gemeinde. Nach den Ergebnissen des Zensus am 9. Mai 2011 gehörten damals 202.370 Einwohner von Düsseldorf der katholischen Kirche an. 131.880 Einwohner waren evangelisch, 2.900 evangelisch-freikirchlich, 20.260 orthodox und 4.560 jüdisch. 220.790 Einwohner wurden den Rubriken „Sonstige“ oder „Keiner öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft zugehörig“ zugeordnet. Nach einer Berechnung aus den Zensuszahlen für die Personen mit Migrationshintergrund lag der Bevölkerungsanteil der Muslime in Düsseldorf 2011 bei 8,3 % (rund 48.900 Personen). Christentum Römisch-katholisch Düsseldorf gehörte von Anfang an zum Erzbistum Köln und war dem Archidiakonat des Domdechanten unterstellt. Obwohl die Reformation anfangs mehrheitlich Fuß fassen konnte, verblieben auch weiterhin Katholiken in der Stadt. Sie gehörten bis 1627 zum Dekanat Neuss, ehe Düsseldorf selbst Sitz eines Dekanats wurde. Der frühzeitige Untergang des Großherzogtums Berg im Jahre 1813 verhinderte die von Napoléon angeregte Gründung eines Bistums Düsseldorf. Ein solches hatte bereits Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg für seine Hauptresidenz angestrebt. Seit 1394 wird Apollinaris von Ravenna, dessen Reliquien im Apollinarisschrein der Stadtkirche St. Lambertus ruhen, als Schutzheiliger und Stadtpatron Düsseldorfs verehrt. Anlässlich seines Namenstages am 23. Juli findet das Düsseldorfer Schützenfest mit der Größten Kirmes am Rhein statt. Ein weniger bekannter Höhepunkt dieser Feierlichkeiten ist die Prozession mit dem Apollinarisschrein. Deutlich mehr Menschen beteiligen sich an der zentralen Fronleichnamsprozession aller Düsseldorfer Pfarrgemeinden (außer Dekanat Benrath) durch die Altstadt und Carlstadt. In Düsseldorf lebten 2013 etwa 191.000 Katholiken, was einem Bevölkerungsanteil von etwa 32 Prozent entsprach. Ende 2018 waren 28,6 Prozent der Einwohner römisch-katholisch. Wegen des Priestermangels und Rückgangs der Kirchenmitglieder begann in den 1980er Jahren die Kooperation mehrerer Pfarreien in Seelsorgebereichen. Heute existieren in Düsseldorf die Pfarrverbände Kath. Pfarreien-Gemeinschaft Angerland/Kaiserswerth mit den Pfarreien St. Agnes, St. Lambertus, St. Remigius und St. Suitbertus, Kirchengemeindeverband Flingern/Düsseltal mit St. Elisabeth und Vinzenz, St. Maria Himmelfahrt und St. Paulus, Seelsorgebereich Unter- und Oberbilk, Friedrichstadt und Eller-West mit St. Antonius, St. Apollinaris, St. Josef, St. Martin, St. Peter und St. Pius X., Pfarreiengemeinschaft Eller-Lierenfeld mit St. Gertrud, St. Michael und St. Augustinus, Seelsorgeeinheit Düsseldorfer Rheinbogen mit St. Maria Rosenkranz, St. Maria in den Benden, St. Nikolaus, St. Joseph und St. Hubertus und Kirchengemeindeverband Benrath-Urdenbach mit St. Cäcilia und Herz-Jesu. Weitere neun der insgesamt 33 Düsseldorfer Pfarreien, also St. Lambertus Düsseldorf, Hl. Dreifaltigkeit, St. Antonius und Benediktus, Heilige Familie, St. Franziskus Xaverius, St. Margareta, St. Bonifatius, St. Antonius und Elisabeth sowie St. Matthäus, entstanden durch Fusion benachbarter Pfarrgemeinden und erstrecken sich wie die Seelsorgebereiche über mehrere Stadtteile. Alle Pfarreien bis auf eine gehören einem der fünf Dekanate Nord, Mitte/Heerdt, Ost, Süd und Benrath im Stadtdekanat Düsseldorf an. Stadtdechant ist in der Regel der Pfarrer von St. Lambertus. Einen Sonderfall bildet die nicht zum Stadtdekanat gehörige Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt in Unterbach, die eine Dependance im benachbarten Erkrath-Unterfeldhaus unterhält und mit St. Johannes der Täufer in Erkrath seit dem 1. Januar 2010 eine Seelsorgegemeinschaft im Dekanat Hilden, Kreisdekanat Mettmann des Erzbistums Köln bildet. Seit 2006 unterhält der katholische Stadtverband in der Carlstadt neben der Maxkirche das Maxhaus als katholisches Begegnungs- und Veranstaltungszentrum mit religiösen sowie kulturellen und musikalischen Angeboten. Evangelisch-uniert Die Reformation konnte sich ab 1527 teilweise durchsetzen, begünstigt vor allem durch den Reformkatholizismus von Herzog Wilhelm V. Neben dem Psalmengesang wurde die Kommunion in beiderlei Gestalt in der Stiftskirche St. Lambertus eingeführt. Dies war die Gründung der lutherischen Gemeinde. 1571 gab es einen erneuten Umschwung am Hofe, dem zufolge die Protestanten unterdrückt wurden. Die lutherische und die 1573 gegründete reformierte Gemeinde trafen sich danach heimlich, bis die Unterdrückung ab 1590 beendet wurde. Ab 1609 konnten die Protestanten zunächst ihre Gottesdienste öffentlich abhalten: die Reformierten in ihrem Predigthaus an der Andreasstraße, die Lutheraner an der Berger Straße. 1614 setzte unter dem römisch-katholischen Herrscher Wolfgang Wilhelm wieder die Unterdrückung ein. Bis Mitte des 17. Jahrhunderts konnten die Protestanten nur heimlich ihre Gottesdienste abhalten. Dann erhielten sie das Recht zur freien Religionsausübung. Die erste überlieferte evangelische Predigt in Düsseldorf wurde im Predigthaus an der Bolkerstraße gehalten, das aus dem Jahr 1651 erhalten ist. 1683 konnte sich die reformierte Gemeinde ihre eigene Kirche bauen, die 1916 den Namen Neanderkirche erhielt. Der Turm wurde 1687 fertiggestellt. Im selben Jahr entstand die lutherische Kirche an der Berger Straße. Gehörte die protestantische Gemeinde Düsseldorfs zunächst zur kölnischen Klasse, später zur Bergischen Synode (1589), so wurde Düsseldorf 1611 Sitz einer eigenen Klasse (Kirchenverwaltungsbezirk). Nach dem Übergang an Preußen vereinigten sich 1825 (→ über die Vereinigung zur Union in Preußen: Agendenstreit) die beiden protestantischen Kirchengemeinden zur „Evangelischen Gemeinde Düsseldorf“, die zur Synode Düsseldorf (heute Kirchenkreis Düsseldorf) gehörte. Bereits 1815 war Düsseldorf Sitz des preußischen Oberkonsistoriums der Provinz Jülich-Kleve-Berg geworden, doch zog dieses schon 1816 nach Köln um. 1827 gab es in Düsseldorf eine Synode. Die protestantische Gemeinde Düsseldorfs wuchs ständig und weitere Kirchen wurden gebaut, so etwa die Johanneskirche am Martin-Luther-Platz (1881), die Christuskirche (1899), die Friedenskirche (1899) und die alte Matthäikirche (1899) sowie die Kreuzkirche (1910). 1905 entstand aus Teilen der Gemeinden Urdenbach und Gerresheim die Kirchengemeinde Eller-Wersten. Durch Eingemeindungen gab es weitere Kirchengemeinden im Stadtgebiet. Am 1. Oktober 1934 wurde der Sitz des Konsistoriums der rheinischen Provinzialkirche Preußens beziehungsweise der Evangelischen Kirche im Rheinland von Koblenz nach Düsseldorf verlegt. Die heutige Kirchenverwaltung ist in der Hans-Böckler-Straße im Stadtteil Golzheim. Weiterhin gibt es ein „Haus der Kirche“ in der Bastionstraße in der Carlstadt. 1936 wurde für alle Düsseldorfer evangelischen Gemeinden ein Gesamtverband gegründet. 1948 wurde die Kirchengemeinde Düsseldorf aufgeteilt. Auch in den Außenbezirken gab es Veränderungen in den Kirchengemeinden. 1964 wurde der Kirchenkreis Düsseldorf in die Kirchenkreise Düsseldorf-Mettmann, Düsseldorf-Nord, Düsseldorf-Ost und Düsseldorf-Süd aufgeteilt, wobei der Kirchenkreis Düsseldorf-Mettmann vor allem Kirchengemeinden außerhalb der Stadt Düsseldorf umfasst. Die drei Kirchenkreise im Stadtgebiet bildeten bis Mitte 2007 den Kirchenkreisverband Düsseldorf innerhalb der Evangelischen Kirche im Rheinland. Am 16. Juni 2007 trat die Synode des neugebildeten Kirchenkreises Düsseldorf erstmals zusammen. Er ist aus dem Zusammenschluss der Kirchenkreise Düsseldorf-Nord, Düsseldorf-Ost und Düsseldorf-Süd hervorgegangen und repräsentiert 24 evangelische Gemeinden und damit 116.550 Protestanten der Landeshauptstadt, die 2013 rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Ende 2018 waren 16,9 Prozent der Einwohner evangelisch. Wegen des Rückgangs der Kirchenmitglieder und -besucher werden zunehmend Kirchen geschlossen, seit 2001 haben die Protestanten 20 der 49 Kirchen entwidmet. Evangelisch-lutherisch Als Reaktion auf die Vereinigung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen und einiger reformierter Gemeinden zur unierten Evangelischen Kirche in Preußen durch Kabinettsorder von König Friedrich Wilhelm III. 1817 und 1830 bildete sich die Evangelisch-Lutherische (altlutherische) Kirche Preußens. Die Altlutheraner bestanden auf die Anerkennung des lutherischen Bekenntnisses. Sie forderten uneingeschränkte lutherische Gottesdienste, Verfassung und Lehre. Nach harter Verfolgungszeit seitens des Staates und unter Billigung der neuen evangelischen Kirche der Union konnten sie sich 1841 unter König Friedrich Wilhelm IV. konstituieren und wurden anerkannt. Ab 1844 wurden in Düsseldorf wieder lutherische Gottesdienste gefeiert in einer Gemeinde aus Lutheranern der Gemeinde vor der Zwangsvereinigung sowie Zugewanderten aus Sachsen und Bayern. 1882 weihte die Gemeinde ein eigenes Gotteshaus in der Kreuzstraße, das am 12. Juni 1943 einem Luftangriff zum Opfer fiel. 1884 wurde die Gemeinde vom preußischen Staat als juristische Person anerkannt. Da das Grundstück in der Kreuzstraße nach dem Krieg aus stadtplanerischen Gründen nicht mehr bebaut werden durfte, erwarb die Gemeinde ihr jetziges Grundstück und weihte am 2. April 1956 in der Eichendorffstraße in Stockum ihre Erlöserkirche. Die Kirchengemeinde gehört heute zum Kirchenbezirk Rheinland der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK). In dieser Kirchengemeinde wurde auch Silvia Sommerlath, die nachmalige Königin Silvia von Schweden, durch Superintendent Nagel konfirmiert. Orthodoxe Kirchen In Düsseldorf ist die Kommission der orthodoxen Kirche in Düsseldorf beheimatet mit Gemeinden der griechisch-orthodoxen Kirche in Hassels, Am Schönenkamp, georgisch-orthodoxen Kirche in Hamm an der Fährstraße, sie ihre Gottesdienste in der Jan-Wellem-Kapelle feiert, deutschsprachigen Orthodoxen Parochie zu den heiligen Erzengeln in Wersten, Werstener Feld, russisch-orthodoxen Kirche, rumänisch-orthodoxen Kirche und serbisch-orthodoxen Kirche, koptischen Kirche in Grafenberg auf dem Pöhlenweg und ukrainisch-orthodoxen Kirche. Anglikaner und Alt-Katholiken Die Anglikanische Kirche, die mit der alt-katholischen Kirche in voller Kirchengemeinschaft steht, ist mit einer Gemeinde in der Rotterdamer Straße am Nordpark ansässig. Die Pfarrkirche der alt-katholischen Gemeinde Düsseldorf ist die Thomaskirche, die vormalige Klarenbachkapelle in der Steubenstraße in Reisholz. Freikirchen Neben den großen christlichen Konfessionen sind in Düsseldorf auch zahlreiche Freikirchen mit Gemeinden vertreten. Dazu gehören die Apostolische Gemeinschaft mit ihrem Deutschlandsitz und der Hauptgemeinde in der Stadtmitte auf der Cantadorstraße sowie der Gemeinde in Eller (Klein Eller), Pfingstbewegung mit dem Christlichen Zentrum Düsseldorf auf der Bruchstraße in Flingern, Baptisten mit den Gemeinden auf der Luisenstraße in der Friedrichstadt und der Ackerstraße in Flingern sowie der Rheinkirche, die auch die Räume der EfG Luisenstraße nutzt Evangelisch-methodistische Kirche in der Matthiaskirche in Lichtenbroich, Freie evangelische Gemeinde in der Stadtmitte auf der Bendemannstraße, Heilsarmee, Herrnhuter Brüdergemeine in Heerdt, Pfingstbewegung im Jesus-Haus auf der Grafenberger Allee und Mosaik-Gemeinde derzeit in Derendorf. Die Düsseldorfer Gemeinden veranstalteten 1990 im Robert-Schumann-Saal und 2001 im Südpark einen Freikirchentag. Zeugen Jehovas Zu den christlichen Sondergemeinschaften gehören auch Zeugen Jehovas, die mit 18 Versammlungen (Gemeinden) und vier Gruppen in Düsseldorf vertreten sind. Die Zusammenkünfte (Gottesdienste) werden in vier Königreichssälen im Düsseldorfer Stadtgebiet abgehalten. Das größte Saalzentrum (mit vier Sälen) befindet sich in Flingern-Süd. Hier werden neben mehreren Zusammenkünften in Deutsch (zwei Versammlungen), auch Zusammenkünfte in Englisch, Russisch, Polnisch, Griechisch, Italienisch, Rumänisch, Kroatisch/Serbisch, Tagalog, Chinesisch und deutscher Gebärdensprache abgehalten. Im Königreichssaalzentrum Eller (mit zwei Sälen) werden die Zusammenkünfte, neben Deutsch, auch in Russisch, Spanisch, Hindi und Twi abgehalten. Weitere Königreichssäle befinden sich in Pempelfort und Hellerhof. Hier werden Zusammenkünfte in Deutsch (drei Versammlungen), Japanisch und Vietnamesisch abgehalten. Außerdem werden mehrere besondere Veranstaltungen, wie z. B. eine Bibelausstellung, vorzugsweise im Königreichssaal Flingern-Süd öffentlich zugänglich abgehalten. Weitere Kirchen und christliche Sondergemeinschaften Ferner sind in Düsseldorf die Christengemeinschaft, die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen), die Neuapostolische Kirche mit fünf Gemeinden in Benrath, Derendorf, Eller, Flingern und Gerresheim vertreten. Daneben gibt es in Düsseldorf die russischsprachige jüdisch-messianische Gemeinde Beit Hesed, die auch die deutschsprachige Zeitschrift Kol Hesed herausgibt. Judentum Die jüdische Gemeinde Düsseldorf ist mit etwa 7500 Mitgliedern die größte in Nordrhein-Westfalen und die drittgrößte in Deutschland. Die neue Synagoge wurde 1958 eingeweiht und liegt in der Zietenstraße im Stadtteil Golzheim. Sie wird rund um die Uhr von der Polizei bewacht. Vorgängerbauten waren die alte Synagoge sowie die Große Synagoge in der Kasernenstraße auf dem heutigen Grundstück des Handelsblattverlages, die bei den Novemberpogromen 1938 in Brand gesteckt und danach abgebrochen wurde. Die Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist gemäß ihrer Satzung eine Einheitsgemeinde. Das bedeutet, dass alle religiösen Richtungen respektiert werden. Die Gottesdienste entsprechen dem orthodoxen Ritus. Rabbiner war bis Juli 2011 Julien Chaim Soussan, einer der jüngsten Gemeinderabbiner in Deutschland. 90 Prozent der Gemeindemitglieder stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Zur Gemeinde gehören u. a. ein Kindergarten und eine Grundschule, die Yitzhak-Rabin-Schule. Sie ist eine staatlich anerkannte Grundschule und eine jüdische Konfessionsschule, die für die koschere Ernährung der Kinder sorgt. In einer landesweiten Vergleichsarbeit stellte sich heraus, dass die Schule zu den 25 besten Grundschulen des Landes Nordrhein-Westfalen gehört. Die Gemeinde verfügt auch über einen Sportverein (Makkabi), ein Jugendzentrum und einen Friedhof. Islam In der Landeshauptstadt gibt es eine Reihe muslimischer Gemeinden. Diese bilden jedoch keinen einheitlichen Verband, sondern sind gemäß der nationalen Zugehörigkeit ihrer Mitglieder als türkische, bosnische, marokkanische und sonstige Moscheevereine organisiert. Die größte türkische Vereinigung, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V., besitzt in Düsseldorf drei Moscheen. Sie befinden sich in Lörick, Eller und Derendorf. Insgesamt gibt es in Düsseldorf rund 20 Moscheen. Die Freitagsgebete werden nach Angaben der verschiedenen Trägervereine von rund 4000 Gläubigen besucht, wobei die beiden größten Moscheen in Derendorf und Flingern bis zu 1000 Teilnehmern Platz bieten. Gepredigt wird u. a. auf Türkisch, Arabisch, Berberisch, Bosnisch, Albanisch, Romani und Deutsch. Auch Aleviten sind in Düsseldorf mit einer Gemeinde im Stadtteil Eller vertreten. Das Herkunftsland fast aller Aleviten ist die Türkei. In der Düsseldorfer Gemeinde werden neben religiöser Arbeit auch kulturelle und musikalische Projekte umgesetzt. In Nordrhein-Westfalen besitzt die Alevitische Gemeinde Deutschland den Status einer nach dem Grundgesetz anerkannten eigenständigen Religionsgemeinschaft und koordinieren den Alevitischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach mit. Auch die Aleviten in Düsseldorf gehören diesem Dachverband an. Buddhismus Im linksrheinischen Stadtteil Niederkassel liegt der einzige buddhistische Tempel in der Tradition der Jōdo-Shinshū Europas, auf dem Grundstück des japanischen Ekō-Hauses. Er ist im japanischen Stil als Betonkonstruktion errichtet und von einem japanischen Garten umgeben. Die Japaner in Düsseldorf gründeten 1993 das japanische Kulturzentrum mit dem Ekō-Haus. Es ist außerdem ein traditionelles japanisches Haus für Teezeremonien, verfügt über eine Bibliothek und einen Kindergarten. Ferner gibt es eine Anzahl buddhistischer Zentren in Düsseldorf aller namhaften Traditionen des Buddhismus. Eine Auswahl: Rigpa (tibetischer Buddhismus, Lehrer Sogyal Rinpoche), Amitabha-Stiftung (ebenfalls tibetischer Buddhismus) sowie Kanzeon Sangha (Zen-Tradition) und Diamantweg-Buddhismus (Lama Ole Nydahl) sowie weitere buddhistische Gruppen und Zentren. Somit offerieren die buddhistischen Gruppen in Düsseldorf ein großes Angebot in Nordrhein-Westfalen. Politik An der Spitze der Stadt Düsseldorf standen im 13. Jahrhundert die Schöffen, die bis 1806 die oberste und mächtigste Klasse in der Stadtverwaltung darstellten. Seit 1303 ist ein Bürgermeister genannt, der anfangs ebenso ein Schöffe war. Daneben gab es ab 1358 auch einen Rat, der sich teilweise in einen Alten und einen Jungen Rat aufteilte. Die Mitglieder wurden entweder auf Lebenszeit gewählt (Alter Rat), oder aber auch jährlich bestimmt (Junger Rat). Als herzoglicher Vertreter war ferner ein Schultheiß an der Verwaltung der Stadt beteiligt, der den Titel „Amtmann“ führte. Etwa seit dem 15. Jahrhundert gab es neben den genannten Gremien auch einen Gemeindeausschuss von 12 Personen („Zwölfer“), der an der Wahl des Bürgermeisters teilnahm und zu wichtigen Beschlussfassungen herangezogen wurde, eigentlich aber keine wirkliche Bürgerbeteiligung darstellte. Erst in französischer Zeit gab es einen Munizipalrat, ab 1815 einen Gemeinderat mit 30 Mitgliedern. Seit 1856 waren es die „Stadtverordneten“, später Ratsherren, deren Gesamtzahl sich mehrmals veränderte. Die Leitung der Stadt übernahm in französischer Zeit der Maire, der von drei Beigeordneten unterstützt wurde. Seit preußischer Zeit trug das Stadtoberhaupt den Titel Oberbürgermeister. 1856 wurde die Rheinische Städteordnung eingeführt. Während der Zeit der Nationalsozialisten wurde der Oberbürgermeister von der NSDAP eingesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Militärregierung der Britischen Besatzungszone einen neuen Oberbürgermeister ein und führte 1946 die Kommunalverfassung nach britischem Vorbild ein. Danach gab es einen vom Volk gewählten „Rat der Stadt“, dessen Mitglieder man als „Stadtverordnete“ bezeichnete. Der Rat wählte anfangs aus seiner Mitte den Oberbürgermeister als Vorsitzenden und Repräsentanten der Stadt, der sein Amt ehrenamtlich ausübte. Des Weiteren wählte der Rat ab 1946 ebenfalls einen hauptamtlichen Oberstadtdirektor als Leiter der Stadtverwaltung. 1999 wurde die Doppelspitze in der Stadtverwaltung aufgegeben. Seither gibt es nur noch den hauptamtlichen Oberbürgermeister. Dieser ist Vorsitzender des Rates, Leiter der Stadtverwaltung und Repräsentant der Stadt. Er wurde 1999 erstmals direkt von den Bürgern gewählt. Als erster hauptamtlicher Oberbürgermeister amtierte Joachim Erwin, der 1999 eine schwarz-gelbe Ratsmehrheit anführte und 2008 im Amt verstarb. Ihm folgte Dirk Elbers, welcher mit gleicher Mehrheit bis 2014 regierte. Nach den Kommunal- und Oberbürgermeisterwahlen 2014 bildete sich erstmals in Düsseldorf eine Ampel-Kooperation unter seinem Nachfolger Thomas Geisel. Aufgrund der Harmonisierung von Kommunal- und Oberbürgermeisterwahlen in NRW dauerte diese Ratslegislatur in Düsseldorf sechs statt fünf Jahre. Nach der Wahl im September 2020 bildeten CDU und Grüne im Januar 2021 eine neue Koalition unter Stephan Keller. Oberbürgermeister seit 1815 Der Oberbürgermeister wird von den Bürgern in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl nach den Vorschriften der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen gewählt. Seit dem 1. Oktober 1999 steht der hauptamtliche Oberbürgermeister an der Spitze der Stadt, er ist Vorsitzender und Repräsentant des Rates der Gemeinde. Amtsinhaber ist seit 1. November 2020 Stephan Keller (CDU), der sich zuvor in der Stichwahl gegen den bisherigen Amtsinhaber Thomas Geisel (SPD) durchsetzen konnte. Der Oberbürgermeister leitet die Stadtverwaltung, dabei unterstützen ihn der Stadtdirektor, der Kämmerer sowie fünf hauptamtliche Beigeordnete. Der Stadtrat wählt drei ehrenamtliche Stellvertreter, die die Bezeichnung Bürgermeister führen. Der allgemeine Vertreter des Oberbürgermeisters führt in Düsseldorf die Bezeichnung Stadtdirektor. 1815–1820: Engelbert Schramm 1820–1822: Lambert Josten 1822–1824: Joseph Molitor März–Oktober 1824: Leopold Custodis 1824–1828: Friedrich Adolf Klüber 1828–1833: Philipp Schöller 1833–1848: Joseph von Fuchsius 1848–1849: Wilhelm Dietze 1849: Ludwig Viktor von Villers 1849–1876: Ludwig Hammers 1876–1886: Wilhelm von Becker 1886–1899: Ernst Heinrich Lindemann 1899–1910: Wilhelm Marx 1911–1919: Adalbert Oehler 1919–1924: Emil Köttgen (vertretungsweise Karl Geusen) 1924–1933: Robert Lehr, DNVP 1933–1937: Hans Wagenführ, NSDAP 1937: Otto Liederley, NSDAP 1937–1939: Helmut Otto, NSDAP 1939–1945: Carl Haidn, NSDAP 3.–17. April 1945: Werner Keyßner, NSDAP 17. April – 18. September 1945: Wilhelm Füllenbach 1945–1946: Walter Kolb, SPD 1946–1947: Karl Arnold, CDU 1947–1956: Josef Gockeln, CDU 1956–1959: Georg Glock, SPD 1960–1961: Willi Becker, SPD 28. März – 17. November 1961: Fritz Vomfelde, CDU 1961–1964: Peter Müller, CDU 1964–1974: Willi Becker, SPD 1974–1979: Klaus Bungert, SPD 1979–1984: Josef Kürten, CDU 1984–1994: Klaus Bungert, SPD 1994–1999: Marie-Luise Smeets, SPD 1999–2008: Joachim Erwin, CDU 2008–2014: Dirk Elbers, CDU 2014–2020: Thomas Geisel, SPD seit 2020: Stephan Keller, CDU Oberstadtdirektoren 1946–1999 1946: Walter Kolb 1946–1964: Walther Hensel 1964–1976: Gilbert Just 1976–1987: Gerd Högener 1987–1994: Karl Ranz 1994–1999: Peter Hölz Stadtrat Weitere Wahlen In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse von Bundestags-, Landtags- und Europawahlen in Düsseldorf dargestellt (Angaben der Wahlbeteiligungen und der Parteien in Prozent). Stadtverwaltung Die Stadtverwaltung ist mit allen öffentlichen Aufgaben der Stadt betraut und wird vom Oberbürgermeister geleitet. Die hauptamtlichen Beigeordneten und Kämmerin bilden zusammen mit dem Bürgermeister den Verwaltungsvorstand. Der Bürgermeister führt den Vorsitz und entscheidet bei Meinungsverschiedenheiten. Die Beigeordneten unterstehen direkt dem Bürgermeister, sie vertreten ihn in ihrem Dezernat. Die Beigeordneten sind kommunale Wahlbeamte. Sie werden vom Rat für die Dauer von acht Jahren gewählt. Die Verwaltung betreibt das operative Geschäft und setzt die politischen Ziele in eigener Verantwortung um. Dabei sind Berechenbarkeit, Kontinuität und Einheitlichkeit der Entscheidungen und des Verwaltungshandelns zu gewährleisten. Die Spitzen der Verwaltung müssen dem gewählten Stadtrat gegenüber Rechenschaft ablegen. Die Abgrenzung der Kompetenzen ist in der Stadtverfassung festgelegt. Die Düsseldorfer Verwaltung gliedert sich in neun Fachbereiche (Dezernate). Den Dezernaten sind verschiedene Ämter zugeordnet. Die Ämter sind die untersten Organisationseinheiten der Verwaltung. Die größten Standorte, an denen die viele Ämter ihre Dienste versehen, sind der Rathauskomplex rund um den Marktplatz in der Altstadt, das Dienstleistungszentrum an der Willi-Becker-Allee am Hauptbahnhof und das Technische Rathaus im Stadtteil Bilk. Bezirksvertretung In jedem Stadtbezirk gibt es eine Bezirksvertretung mit 19 Mitgliedern. Der oder die Vorsitzende führt die Bezeichnung Bezirksbürgermeister. In 1975 wurden diese „Stadtteilparlamente“ ins Leben gerufen um die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten der Bürger zu erhöhen. Die Bezirksvertretungen werden bei jeder Kommunalwahl auf die Dauer von fünf Jahren von den Bezirksbewohnern neu gewählt. Die Bezirksvertretungen sind zu wichtigen, den Stadtbezirk betreffenden Angelegenheiten zu hören. In Angelegenheiten des Stadtbezirkes, die kein Geschäft der laufenden Verwaltung sind und für die nicht der Rat der Stadt ausschließlich zuständig ist, entscheiden die Bezirksvertretungen nach der Gemeindeordnung unter Beachtung der Belange der gesamten Stadt und im Rahmen der vom Rat erlassenen allgemeinen Richtlinien. Verschuldung Die Gesamtsumme der Verschuldung der Stadt Düsseldorf (des öffentlichen Bereichs) belief sich zum Jahresende 2012 auf 872,2 Millionen Euro. Das waren 1478 Euro pro Einwohner. Von den 103 kreisfreien Städten in Deutschland lag Düsseldorf damit auf Platz 100 bei der Pro-Kopf-Verschuldung; das heißt, nur in drei anderen kreisfreien Städten war die Pro-Kopf-Verschuldung geringer. Für das Haushaltsjahr 2014 hat die Stadt Düsseldorf im Gesamtergebnisplan einen Haushaltsüberschuss in ordentlichen Erträgen und Aufwendungen (einschließlich Finanzerträgen und -aufwendungen) in Höhe von 3,1 Millionen Euro (5 Euro je Einwohner) veranschlagt. Die Stadt Düsseldorf ist damit (neben Krefeld und Münster) eine von nur drei kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen, die im Jahr 2014 kein Haushaltsdefizit im Gesamtergebnisplan aufweist. Seitens der städtischen Verwaltung wurde Düsseldorf im Jahr 2014 als schuldenfrei erklärt, was jedoch vom Land Nordrhein-Westfalen und dessen Statistikamt in Frage gestellt wurde. Die unterschiedlichen Auffassungen ergaben sich aus unterschiedlichen Bewertungen und waren auf Landes- und Stadtebene auch parteipolitisch motiviert. Zum Stichtag 31. Dezember 2013 hatte die Stadt Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 383 Millionen Euro. Damit war Düsseldorf allerdings die am wenigsten verschuldete kreisfreie Stadt Nordrhein-Westfalens. Der Haushaltsplan für das Jahr 2023 sieht Erträge (Einnahmen) in Höhe von 3,5 Milliarden Euro und Aufwendungen (Ausgaben) von 3,7 Milliarden Euro vor. Die Höhe des Gesamtbetrages für Kredite, die für Investitionen erforderlich sind, wurden mit dem Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2023 in Höhe von 348,8 Millionen Euro festgesetzt. Die Landeshauptstadt Düsseldorf hat für das Haushaltsjahr 2023 die Grundsteuer A auf 156 Prozent, die Grundsteuer B auf 440 Prozent und die Gewerbesteuer auf 440 Prozent festgesetzt. Wappen und Flagge Wappenzeichen Für private und geschäftliche Zwecke entstand im Februar 2002 ein Stadtwappen, das von den offiziellen Stadtfarben abweicht und ohne Genehmigung der Stadtverwaltung benutzt werden kann. In dem rot-weiß geteilten Schild befindet sich ein silberner doppelgeschwänzter, aufgerichteter, silbernbekrönter und -bewehrter Löwe mit gesenktem schwarzem Anker in den Pranken. Stadtlogo Die Stadt Düsseldorf verwendet in offiziellen Schreiben und Publikationen ein Logo, das in einem Quadrat in der linken Hälfte die Rheinschleifen im Düsseldorfer Stadtgebiet andeutet und im rechten oberen Quadranten den Bergischen Löwen mit Anker zeigt. Das Stadtlogo wird in verschiedenen Farben verwendet, wobei jedem der derzeit acht Dezernate jeweils ein Farbton zugeordnet ist. Dachmarke 2011 startete die Stadt zur Verbesserung ihrer Vermarktung und ihrer öffentlichen Wahrnehmung einen Prozess der Entwicklung einer Dachmarke. Nach einer Markenkernanalyse folgte ein öffentlicher Wettbewerb, der über 2000 Foto-, Video- und Textbeiträge ergab. Im März 2012 begann ein Verfahren der Interessenbekundung zu einem Wettbewerb von Kreativagenturen. Den sich anschließenden Wettbewerb zur Entwicklung der Dachmarke gewann die Agentur BBDO Proximity, die das Logo der neuen Dachmarke, das Emoticon :D, am 26. November 2012 der Öffentlichkeit vorstellte. Das Düsseldorfer smiling :D ist in Rot, der Farbe des Bergischen Löwen, und in der Schriftart Helvetica ausgeführt. Es hat insbesondere die Aufgabe, „das emotionale, sympathische Düsseldorf“ zu transportieren. Die Verfahren bei der Einführung der neuen Dachmarke und ihres Logos waren begleitet durch eine öffentliche Kontroverse. Aufgrund der fortwährenden mangelnden Popularität kam es 2017 zu einem erneuten Wechsel des Markenauftritts, welcher mit dem Motto „Nähe trifft Freiheit“ und den Farben Rot, Blau und Weiß als Erkennungsfarben analog zum historischen Stadtwappen angenommen wurde. Städtepartnerschaften Düsseldorf unterhält acht klassische Städtepartnerschaften: (Vereinigtes Königreich), seit 1947/1988 (Deutschland), seit 1988 (Israel), seit 1978/1988 (Polen), seit 1989 (China), seit 2004 (Italien), seit 2016 (Japan), seit 2019 (Ukraine), seit 2022 Düsseldorf pausiert seit Februar 2022 die 1992 begonnene Städtepartnerschaft mit Moskau, nach dem im selben Monat stattgefundenen russischen Überfall auf die Ukraine und beschloss eine Partnerschaft mit Czernowitz, die im August 2022 besiegelt wurde. Freundschaftliche Beziehungen gibt es weiterhin zu: (Frankreich) (Spanien) (Kanada) (China) (China) Kultur und Sehenswürdigkeiten Ansehen genießt Düsseldorf ebenfalls hinsichtlich Kultur, Kunst und moderner Architektur. So gibt es neben der großen Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und einer Menge weiterer Museen und Galerien auch die international renommierte Kunstakademie Düsseldorf, die im 19. Jahrhundert die Düsseldorfer Malerschule und im 20. Jahrhundert die Düsseldorfer Photoschule hervorgebracht hat. Bekannte Bühnen sind mit dem Schauspielhaus und dem Kom(m)ödchen in der Stadt vertreten. Zudem sind einige der populären Musiker und Dichter Deutschlands in der Stadt geboren oder waren dort beheimatet. Bedeutende Architekten haben nicht nur im Medienhafen ihre Projekte verwirklicht. Theater Klassisches und modernes Sprechtheater Düsseldorf hat eine Theatertradition, die sich bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Die ersten theatralischen Veranstaltungen werden auf das Jahr 1585 datiert. Das heutige Düsseldorfer Schauspielhaus mit seiner modernen geschwungenen Architektur wurde 1970 fertiggestellt. Es ist am Gustaf-Gründgens-Platz, der nach dem ehemaligen Intendanten benannt ist, gelegen. Die größte Düsseldorfer Bühne hat eine große Bekanntheit im deutschsprachigen Raum. Weitere größere Theater in der nordrhein-westfälischen Metropole sind das Forum Freies Theater, das Bühnenkunst bietet, die Komödie Düsseldorf, ein klassisches Boulevardtheater, das Theater an der Kö, das vor allem Komödien und moderne Theaterstücke zu bieten hat und von der bekannten Theaterfamilie Heinersdorff geführt wird, das Theater an der Luegallee in Oberkassel, das KaBARett FLiN in Grafenberg sowie das Savoy-Theater. Im Juta gastiert häufig das Theater der Klänge. Es ist ein seit 1987 bestehendes Tourneetheater, das unter der Leitung von Jörg Udo Lensing jährlich mit einer Neuproduktion auf zumeist kurze Tourneen geht. Für Kinder ist das Theateratelier Takelgarn mit Comedy, Kabarett, Figuren- und Kindertheater besonders interessant. Das Puppentheater an der Helmholtzstraße richtet sich ebenso wie das Düsseldorfer Marionetten-Theater an Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Letzteres wurde 1956 gegründet und befindet sich im Palais Wittgenstein, das daneben noch weitere kulturelle Projekte beheimatet. Oper, Musiktheater und Varieté Sehr traditionsreich ist auch die Deutsche Oper am Rhein. Sie zeigt an ihren beiden Standorten Düsseldorf und Duisburg Oper, Operette und Ballett. Das Apollo Varieté unterhalb der Rheinkniebrücke am carlstädtischen Rheinufer bietet klassisches Varieté-Theater im Stil des frühen 20. Jahrhunderts. Die 1925 als Planetarium errichtete Tonhalle Düsseldorf ist Veranstaltungsort für Konzerte und sonstige musikalische Veranstaltungen aus den Bereichen Klassik, Jazz, Pop und Kabarett. Das Capitol Theater ist das größte Theater der Landeshauptstadt und bietet eine Bühne für wechselndes Musical- und Live-Entertainment. Kabarett Das Kom(m)ödchen ist die älteste noch bestehende Kabarettbühne Deutschlands. Gegründet wurde es 1946 von Kay und Lore Lorentz. Viele später bedeutende Kabarettisten konnten sich hier erstmals bewähren. Tanzhaus NRW In Düsseldorf ist das Tanzhaus NRW ansässig, die Institution bietet neben einem Bühnenprogramm auch zahlreiche Kurse an. Museen, Ausstellungsinstitute und Bibliotheken Die Stadt verfügt über ein vielfältiges Ausstellungsangebot. Allein die 18 städtischen Museen zogen seit 2001 jährlich regelmäßig über eine Million Besucher an, im Jahr 2006 waren es 1,34 Millionen Menschen. Daneben empfangen mehrere private Museen, Sammlungen und zahlreiche Galerien Besucher. Meistbesucht ist das Aquazoo – Löbbecke Museum im Nordpark. Kunstmuseen Düsseldorf hat eine lange Tradition als Kunststadt. Die erste große Gemäldesammlung legten bereits der Kurfürst Johann Wilhelm zu Pfalz-Neuburg, kurz Jan-Wellem, und seine Frau Anna Maria de Medici an. Untergebracht wurde die Sammlung in der 1709 bis 1714 errichteten Gemäldegalerie Düsseldorf, einem der frühesten selbständigen Museumsbauten der Welt. Unter Kurfürst Maximilian IV., dem späteren König Maximilian I. Joseph, wurde die Sammlung 1805 zum großen Teil nach München verbracht und bildete dort den Grundstock zur Alten Pinakothek. Die Kunstakademie Düsseldorf erlangte bereits im 19. Jahrhundert unter dem Begriff Düsseldorfer Malerschule als eine der wichtigsten Ausbildungsstätten von Landschafts- und Genremalern Bedeutung. Der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen wurde im Jahre 1829 gegründet, um den in Düsseldorf ausgebildeten Malern eine Möglichkeit der Präsentation ihrer Werke in wechselnden Ausstellungen zu bieten. Einige in Düsseldorf verbliebenen Exponate der kurfürstlichen Gemäldegalerie sowie etliche Werke der Düsseldorfer Malerschule wurden in das Museum Kunstpalast übernommen. Es beinhaltet darüber hinaus Graphiken, Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen aus allen Stilepochen von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. Neben europäischen Exponaten sind weitere Schwerpunkte der Sammlung japanische Holzschnitte und Netsuke. Es ist im Ehrenhof-Komplex integriert, der auch das NRW-Forum beheimatet. Der zweite Höhepunkt in der Entwicklung Düsseldorfs als Kunststadt folgte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als u. a. Joseph Beuys an der Kunstakademie unterrichtete. Als Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens beherbergt Düsseldorf die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Sie ist gegliedert in das K20 am Grabbeplatz, das K21 im Ständehaus und das Schmela-Haus in der Mutter-Ey-Straße. Sie hat sich vor allem auf Kunst des 20. und 21. Jahrhundert spezialisiert, entsprechend der Namensgebung der Teilsammlungen aufgeteilt auf die Standorte. Die Kunsthalle Düsseldorf befindet sich gegenüber dem K20 am Grabbeplatz und hat ihren Schwerpunkt auf zeitgenössischer nationaler und internationaler Gegenwartskunst. Einen sehr ungewöhnlichen Standort hat hingegen das KIT (Kunst im Tunnel), das der Kunsthalle Düsseldorf angegliedert ist. Es befindet sich am Mannesmannufer und ist ein unterirdischer Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst. Museen zu Literatur, Theater und Film Zwei Düsseldorfer Museen widmen sich Dichtern. Mit Johann Wolfgang von Goethe befasst sich das Goethe-Museum, das sich im Schloss Jägerhof im nordöstlichen Teil des Hofgartens befindet. Die sehr umfangreiche, inzwischen deutlich erweiterte Sammlung aus Privatbesitz ist in mehreren Stockwerken untergebracht. Sie enthält unter anderem die Originalreinschrift von Goethes bekanntem Gedicht Gingo biloba. Heinrich Heine, dem wohl berühmtesten Sohn der Stadt, gilt das Heinrich-Heine-Institut in der Carlstadt. Es zeigt u. a. Originaldokumente und -schriften von und über Heine, Stücke aus seinem Nachlass sowie seine Totenmaske. Ebenfalls in der Carlstadt gelegen ist das Filmmuseum mit seinem angeschlossenen Kino. Das Theater-Museum mit dem Dumont-Lindemann-Archiv befindet sich im Hofgärtnerhaus im Hofgarten. Naturkunde und Gartenkunst Das meistbesuchte Museum Düsseldorfs, mit über 400.000 Besuchern pro Jahr, ist der Aquazoo. Es befindet sich seit den späten 1980er Jahren im Norden der Stadt im Nordpark. Zuvor war es in einem Bunker gegenüber dem Zoopark untergebracht. Neben Wasserlebewesen werden dort auch Weichtiere und geologische Exponate gezeigt. Der Zoologische Garten Düsseldorf wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wiederaufgebaut. Eine weitere Attraktion des Nordparks ist der von der japanischen Gemeinde gestiftete Japanische Garten, der 1976 eröffnet wurde. Allerdings bekam Düsseldorf bereits 1904 als erste deutsche Stadt einen Japanischen Garten, der sich etwa an der Stelle des ebenfalls am Rhein gelegenen Ehrenhofs befand. Auf das ganze Stadtgebiet verteilt, ist Düsseldorf von Gartenanlagen durchzogen, was auf das Leitbild der Stadtentwicklung während der Industrialisierung zurückzuführen ist, die wiederum die gärtnerischen Anlagen des 18. und 19. Jahrhundert weiterentwickelte und Düsseldorfs Ruf als Gartenstadt begründete. Dem trägt das Museum für Europäische Gartenkunst Rechnung, das zur Stiftung Schloss und Park Benrath gehört, ebenso wie das Naturkundliche Heimatmuseum, in dem in Dioramen die verschiedenen Lebensräume der Region, vom Rhein bis zur Lösshochfläche, dargestellt werden. Im Jahre 1987 fand die Bundesgartenschau (BUGA) in Düsseldorf statt, deren Gelände heute den Südpark bildet. Geschichtliche Dauerausstellungen Das Stadtmuseum in der Altstadt besitzt eine große Ausstellung, die die Entwicklung der Stadt Düsseldorf historisch-chronologisch nachvollzieht. Die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf erinnert an die Opfer der Naziherrschaft im 20. Jahrhundert. Sie befindet sich in historischen Räumen, die in der NS-Zeit als Büros, Vernehmungsräume und Haftzellen der Polizei genutzt wurden, und beinhaltet die Dauerausstellung „Verfolgung und Widerstand in Düsseldorf 1933–1945“. Brauchtum, Technik und Alltägliches im Museum Zum klassischen Brauchtum in Düsseldorf gehört der Karneval. Ihm widmet sich im Haus des Karnevals das Karnevalmuseum in der Altstadt. Ebenfalls in der Altstadt gelegen ist das Schifffahrtsmuseum im Schlossturm. Es befindet sich im Schlossturm am Rheinufer und zeigt die Entwicklung der Rheinschifffahrt von der Antike bis in die Neuzeit. Das Senfmuseum würdigt die Tradition der fast 300-jährigen Senfherstellung. Das Hetjens-Museum (Deutsches Keramikmuseum) hat seinen Sitz im Palais Nesselrode in der Carlstadt und zeigt als einziges Institut weltweit Keramikprodukte verschiedener Kulturen aus sämtlichen Epochen in einer Dauerausstellung. Im Ehrenhof-Komplex ist das NRW-Forum beheimatet, das Ausstellungen zu verschiedenen Themen befristet zeigt, insbesondere fotografische Werke. Quadriennale Zum dritten und vorläufig letzten Mal fand vom 5. April bis 10. August 2014 die Quadriennale statt. Unter dem Leitmotiv Über das Morgen hinaus präsentierten mehrere Kulturinstitute ein Kulturfestival mit Sonderausstellungen und Begleitprogramm. Bibliotheken Die Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Düsseldorf entstand 1965 bis 1969 aus der Bibliothek der Medizinischen Akademie und wurde 1970 gegründet. Die ULB verfügt über eine Zentralbibliothek und fünf weitere Standorte, die insgesamt rund 2,4 Millionen Medien vorhalten. Es gibt rund 23.000 regelmäßige Nutzer. Die Stadt Düsseldorf unterhält eine Stadtbücherei mit einer Zentralbibliothek, 14 Stadtteilbibliotheken und einer Autobücherei. Insgesamt werden rund 800.000 Medien angeboten. Die über 1,4 Millionen Besucher liehen im Jahr über 4,7 Millionen Medien aus. Die neue Zentralbibliothek Düsseldorfs befindet sich nun am Konrad-Adenauer-Platz 1. Musik Düsseldorf hat eine reichhaltige Musiktradition, die bereits vor dem 19. Jahrhundert einsetzte. Bedeutende Musiker wie Johann Hugo von Wilderer, Friedrich August Burgmüller, Felix Mendelssohn Bartholdy und das Ehepaar Clara und Robert Schumann hatten zeitweise ihre Wirkungsstätte in der Stadt gefunden. Auch im 20. Jahrhundert hatte Düsseldorf in so unterschiedlichen Stilrichtungen wie dem Jazz, der Neuen Deutschen Welle oder dem Punkrock eine führende Rolle. Klassische Musik Das bedeutendste Konzerthaus der Landeshauptstadt ist die Tonhalle Düsseldorf mit mehr als 200 Veranstaltungen im Jahr. Die Tonhalle ist auch der Sitz der Düsseldorfer Symphoniker, die als Konzertorchester der Landeshauptstadt und als Opernorchester der Deutschen Oper am Rhein fungieren. Das Konzerthaus, ein ehemaliges Planetarium, wurde im Jahre 2005 aufwändig saniert und weist seither eine gute Akustik auf. Bereits die Düsseldorfer Höfe des 16., 17. und 18. Jahrhunderts brachten ein reges musikalisches Leben hervor. Es ist verbunden mit den Namen Martin Peudargent, Giacomo Negri, Egidio Hennio, Giovanni Battista Mocchi, Georg Andreas Kraft, Sebastiano Moratelli, Stefano Pallavicini, Valeriano Pellegrini, Giorgio Maria Rapparini, Agostino Steffani und Francesco Maria Veracini. Seit 1807 wirkte in Düsseldorf die Familie des Musikers Friedrich August Burgmüller, die mit Friedrich und Norbert Burgmüller zwei bekannte Komponisten der Romantik hervorbrachte. In Düsseldorf komponierte Felix Mendelssohn Bartholdy 1833 den Vespergesang, 1834 bis 1836 das Oratorium Paulus, 1850 Robert Schumann seine berühmte dritte Sinfonie („die Rheinische“). 1818 gründete sich der Städtische Musikverein zu Düsseldorf und veranstaltete das erste von vielen Niederrheinischen Musikfesten, die im 19. Jahrhundert, auch durch die Mitwirkung der Düsseldorfer Musikdirektoren Mendelssohn Bartholdy und Schumann, internationale Bedeutung erlangten. Der Städtische Musikverein kann auf eine ungebrochene und musikhistorisch außerordentliche Geschichte bis heute verweisen und gilt als musikalische Botschafter der Stadt in allen großen Konzertsälen Deutschlands und Europas. Der Düsseldorfer Musiktradition ist ebenfalls das Kammerorchester Neue Düsseldorfer Hofmusik verbunden. Außerdem gibt es in Düsseldorf eine lebendige und breitgefächerte Chorszene, darunter sind beispielsweise der Bachverein Düsseldorf mit einer ebenfalls langen Tradition oder Chöre und Chorschule an St. Margareta in Gerresheim. Mit der Maxkirche befindet sich in der Düsseldorfer Altstadt ein kirchenmusikalischer Standort, dessen Geschichte bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht und an dem im 19. Jahrhundert u. a. Norbert Burgmüller, Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann wirkten. Von 1982 bis 1987 wurde mit Neue Töne eine Konzertreihe für Neue Musik veranstaltet. Jazz Einer der bekanntesten Jazz-Musiker mit Wurzeln in Düsseldorf ist Klaus Doldinger, der auch als Komponist von Filmmusik (Das Boot, Tatort) bekannt ist. Seit einigen Jahren ist er Schirmherr des Festivals Düsseldorfer Jazz-Rally. Es wird seit 1993 – zunächst als Brussels Jazz Rally – in Düsseldorf durchgeführt und findet 2022 zum 28. Mal statt. 1994 gründete sich der Jazz in Düsseldorf e. V., der den modernen Jazz durch Konzerte in der Jazz-Schmiede mit Musikern aus der ganzen Welt präsentiert. Mit der Jazz-Schmiede hat der Jazz wieder einen festen Veranstaltungsort in Düsseldorf. Zu den Hofgarten-Konzerten der Jazz-Schmiede im Sommer an vier Samstagen kommen jedes Jahr viele hundert Besucher. Unterhaltungsmusik Der Volkssänger Heino ist im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk geboren und aufgewachsen. Auf dem Sektor der Unterhaltungsmusik war Düsseldorf ab den 1970er Jahren ein führendes Zentrum der elektronischen Popmusik. International bekannt waren und sind vor allem Kraftwerk, deren historisches Kling-Klang-Studio in der Düsseldorfer Friedrichstadt lag, aber auch Neu! und La Düsseldorf. In ihrem Titel Trans-Europa-Express und dem dazugehörigen Musikvideo thematisiert die Gruppe Kraftwerk auf avantgardistische Weise das Lebensgefühl Düsseldorfer Geschäftsleute, die dank transnationaler Eisenbahnnetze einen Lebensstil mit wechselnden Aufenthalten in europäischen Metropolen genießen. In der Tradition dieser 'Düsseldorfer Schulen' der siebziger Jahre steht heute noch die international viel beachtete Band Kreidler. Im Sektor Elektropop macht derzeit die im Raum Düsseldorf beheimatete Band Susanne Blech auf sich aufmerksam, im Genre Deep House der Düsseldorfer Künstler Loco Dice, im Indie-Rock die Band PDR. Ein bekannter DJ aus Düsseldorf ist Lukas Langeheine, alias DJ Rafik. Anfang der 1980er Jahre war Düsseldorf neben West-Berlin und Hamburg Hochburg der deutschen Punkmusik und der Neuen Deutschen Welle. Die wichtigsten Bands waren und sind Die Toten Hosen, Broilers, Deutsch Amerikanische Freundschaft, Propaganda, Rheingold, Die Krupps, Fehlfarben, Der Plan, KFC, Male, Mittagspause, Asmodi Bizarr, Tommi Stumpff, Family 5 und Nachzehrer. Cryssis ist die Band des Schlagzeugers der Toten Hosen, vom Ritchie. Die „Beatlesons“ bieten Trash-Polka, ausdrücklich ohne Beatles-Lieder. Marius Müller-Westernhagen ist in Düsseldorf geboren und zur Schule gegangen (Humboldt-Gymnasium). In seinem Titel Mit 18 wird der Hühner-Hugo aus der Düsseldorfer Altstadt genannt. Neben Heino, den Toten Hosen und Kraftwerk gehört er zu den erfolgreichsten und bekanntesten Musikern Düsseldorfer Herkunft. Eine Reihe teils international bekannter Metal-Bands stammt ebenfalls aus Düsseldorf: Warlock (mit Doro Pesch, die ab 1989 solo unter Doro weitermachte), Stormwind, Callejon, Warrant und Falkenbach. Die Düsseldorfer Mundartband Alt Schuss ist eine der bekannten im Großraum Düsseldorf. Ebenfalls zu diesem Musikgenre gehört die Band Halve Hahn. Die Wurzeln beider Gruppen liegen im Unterbacher Karneval. Mit Farid Bang, Blumio, Antilopen Gang, NMZS, Plattenpapzt, Toony, Al-Gear und vielen anderen hat Düsseldorf eine bedeutende Szene des deutschsprachigen Rap (Gangsta-Rap, Hip-Hop) hervorgebracht. Im Album Asphalt Massaka 2 erwies Farid Bang seiner Heimatstadt mit dem Titel Ich bin Düsseldorf die besondere Ehrerbietung. Auch sein Kollege Kollegah, bekannt durch seinen „Zuhälter-Rap“, ist in Düsseldorf zuhause. Im Sektor des Elektro-Rap ist JayJay ein bekannter, im Milieu Düsseldorfer Fortunafans beheimateter Künstler, der im Titel Knüppel Klopp seinen Sprechgesang weitgehend auf Düsseldorfer Rheinisch darbietet. Tbo und Glenn A. von D.I.U gehen über das Schema des Gangsta-Rap hinaus, indem sie soziale Probleme wie Diskriminierung, Gewalt, Hass, Armut, Ungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit, Materialismus und Stigmatisierung differenziert behandeln. DTC (D-Town Chillaz) vertreten eine englischsprachige Variante des Düsseldorf Rap. Nabil M. mixt in seinem Rap Deutsch, Arabisch und Französisch. Wurzeln des deutschsprachigen Rap liegen unweit in Ratingen-West, wo die Gruppe Fresh Familee den Titel Ahmet Gündüz um 1990 kreierte und ihn als ersten Rap-Song in deutscher Sprache in den Handel brachte. Mit Selfmade Records, Banger Musik und Alpha Music Empire sind in Düsseldorf drei der wichtigsten HipHop Labels Deutschlands zu Hause. Thematisiert wurde die Stadt 1968 im Schlager und Evergreen Wärst du doch in Düsseldorf geblieben, mit dem die deutsch-dänische Sängerin Dorthe Kollo eine Goldene Schallplatte gewann. Am 10., 12. und 14. Mai 2011 fand der Eurovision Song Contest in der ESPRIT arena statt. Es war die 56. Ausgabe dieses Liedwettbewerbs, der zum dritten Mal seit Bestehen in Deutschland ausgetragen wurde. Bildende Kunst Die Stadt Düsseldorf war als Aufenthaltsort und Studienort für Künstler ebenso beliebt wie als Standort für Kunstsammlungen und Museen. Vor allem der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts widmen sich einige Museen in Düsseldorf. Begründung der Kunsttradition durch die kurfürstliche Sammlung Die vorhandene kleine kurfürstliche Gemäldesammlung in Düsseldorf wurde unter Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz und seiner Ehefrau Anna Maria Luisa de’ Medici zu einer berühmten Kunstgalerie ausgebaut. Im frühen 19. Jahrhundert wurde die Sammlung, darunter bedeutende Werke von Rubens, jedoch nach München abtransportiert, wo sie den Kernbestand der heutigen Alten Pinakothek bildet. Von der Düsseldorfer Schule zum Malkasten Im 19. Jahrhundert hatte die Düsseldorfer Malerschule, aus der u. a. Oswald Achenbach hervorging, wichtigen Einfluss auf die Malerei. Gegründet wurde die Akademie 1810 von Peter von Cornelius, der sie zunächst leitete; ab 1826 war Wilhelm von Schadow Direktor. Die Akademie diversifizierte sich und brachte insbesondere sozialkritische Genremalerei und bedeutende Landschaftsmaler hervor. Ihre Schüler kamen nicht nur aus dem Rheinland, aus Westfalen und Altpreußen, sondern auch aus den übrigen deutschen Ländern sowie Polen, Russland, den skandinavischen Ländern und den Vereinigten Staaten von Amerika. In der finnischen Kunst gibt es eine eigene Düsseldorfer Epoche. Nach der Revolution von 1848 fanden Künstler und Gelehrte im Kunstverein Malkasten in Düsseldorf zusammen. 1846 wurde der Verein zur Errichtung einer Gemäldegalerie zu Düsseldorf, der vor allem Werke der Düsseldorfer Malerschule ankaufte, gegründet. Aus der Initiative dieses Vereins gingen der Kunstpalast und schließlich das Museum Kunstpalast hervor. Vom Rheinischen Expressionismus zum Zentrum der Moderne Nach dem Ersten Weltkrieg war die Gruppe Das Junge Rheinland die aktivste Künstlergruppe in der Stadt. Zu ihr gehörten u. a. Otto Dix, Max Ernst und Walter Ophey. Den Mittelpunkt der Künstlergruppe bildete die Altstadt-Galerie Junge Kunst – Frau Ey, die von der noch heute in Düsseldorf bekannten Mutter Ey geführt wurde. Viele der Künstler der Vereinigung waren dem Rheinischen Expressionismus verbunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Joseph Beuys prägend und Düsseldorf galt, nicht nur aufgrund seines Wirkens an der Kunstakademie Düsseldorf, in den 1970er und 1980er Jahren als eine „Weltkunsthauptstadt“. Heute haben einige Beuys-Schüler wie Katharina Sieverding und Anselm Kiefer Einfluss auf Entwicklung der internationalen Kunstszene. Der Fotograf Bernd Becher, der 1976 eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf übernahm, bildete zusammen mit seiner Frau Hilla Becher viele fotografische Persönlichkeiten aus, die heute aus internationaler Sicht herausragende Vertreter der deutschen Fotografie sind. Zu dieser „Düsseldorfer Photoschule“ zählen insbesondere Boris Becker, Laurenz Berges, Elger Esser, Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Simone Nieweg, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Thomas Struth und Peter Wunderlich. Kunst im Öffentlichen Raum Neben traditionellen Denkmälern und Statuen, wie der Mariensäule oder dem Schadow-Denkmal, hat Düsseldorf zahlreiche weitere Kunstobjekte im Öffentlichen Raum zu bieten. So beherbergt der Südpark viele künstlerische Brunnen, Skulpturen und sonstige Kunstobjekte, von denen das bekannteste das Zeitfeld von Klaus Rinke sein dürfte. Auffällig sind in der Innenstadt auch die sogenannten Säulenheiligen, Plastiken realistisch nachgebildeter Alltagsbürger auf Litfaßsäulen von Christoph Pöggeler. Einige Kunstwerke waren lange umstritten, beispielsweise das Heine-Monument von Bert Gerresheim. Zur Kunst im Öffentlichen Raum tragen auch die Bahnhöfe der Wehrhahn-Linie bei, jeweils mit ihrer eigenen künstlerischen Gestaltung. Bauwerke und Architektur Die umsatzstärkste Geschäftsstraße und eine der bedeutendsten Einkaufsstraßen Deutschlands ist die Schadowstraße. Ihrer städtebaulichen Anlage und ihrer exklusiven Läden wegen bekannter ist allerdings die Königsallee, kurz „die Kö“. In ihrer Mitte verläuft der Stadtgraben, an dessen Nordende sich als Wahrzeichen der „Kö“ die Tritonengruppe, ein Brunnen aus dem Jahre 1902, befindet. In der Altstadt sind viele Häuser, die unter Denkmalschutz stehen, zu finden. Weitere erhaltene historische Ortskerne können die Stadtteile Kaiserswerth und Gerresheim vorweisen. Der dörfliche Charakter der Ortskerne von Angermund, Kalkum, Oberlörick, Heerdt, Hamm, Himmelgeist und Urdenbach ist weitgehend erhalten geblieben. Burgen und Schlösser Das möglicherweise älteste Gebäude im Stadtgebiet ist die Ruine der Kaiserpfalz in Kaiserswerth. Sie geht auf eine Burg zurück, die im Jahr 1016 errichtet wurde. Diese wiederum ist auf ein Kloster zurückzuführen, das um das Jahr 700 entstand. Um 1193 zur Festung ausgebaut, wurde sie 1702 von französischen Truppen im Spanischen Erbfolgekrieg zerstört. Ebenfalls sehr alt ist das ursprüngliche Schloss Kalkum. Die Burg entwickelte sich aus einem Fronhof, der erstmals im 9. Jahrhundert erwähnt wurde. Sie wurde 1810 bis 1819 umgebaut. Die Ursprünge des Schlosses Heltorf in Angermund sollen auf das 11. Jahrhundert zurückgehen. Ein Umbau erfolgte in den Jahren 1822 bis 1827. Der Schlossturm am Burgplatz in der Altstadt war ursprünglich Teil des Düsseldorfer Schlosses, eines der Wahrzeichen der Stadt, das im 13. Jahrhundert errichtet und bis ins 16. Jahrhundert immer weiter ausgebaut wurde. Der Turm wurde 1845 von dem Düsseldorfer Architekten Rudolf Wiegmann im Stil der italienischen Neorenaissance umgebaut. Der Turm ist der einzige noch stehende Rest des Düsseldorfer Schlosses, das durch einen Brand im Jahr 1872 zerstört wurde. Im 14. Jahrhundert wurden die Burg Angermund als nördlichste Bastion der Grafen von Berg ebenso wie der Vorgänger des Schlosses Eller erbaut. Das heutige Schloss Eller hingegen wurde 1826 errichtet und 1902 um- und ausgebaut. Die Zeitalter des Barock und des Rokoko haben in Düsseldorf im Gartenbau sowie in Form von Schlössern ihre Spuren hinterlassen. Zu Beginn des Barock-Zeitalters entstand Schloss Garath. Sein Bau erfolgte im 16. Jahrhundert, Umbauten und Ergänzungen erfolgten bis ins 18. Jahrhundert. Nördlich des Hofgartens entstand zwischen 1752 und 1763 das Schloss Jägerhof. Es wurde erbaut von dem Architekten Johann Joseph Couven. Heute beherbergt es das Goethe-Museum. Einen ähnlichen Baustil hat auch das Hofgärtnerhaus vorzuweisen, das sich im Hofgarten befindet und das Theatermuseum beinhaltet. Architekt des Hofgärtnerhauses war Nicolas de Pigage. Ebenfalls auf de Pigage geht das Schloss Benrath zurück. Erbaut wurde es 1755 bis 1773 im Auftrag von Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz. Das denkmalgeschützte Ensemble von Lustschloss, Jagdpark, Weihern und Kanalsystem gilt als bedeutsamstes architektonisches Gesamtkunstwerk von Düsseldorf und wurde von der Stadt 2012 zur Aufnahme in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes vorgeschlagen, von der Jury allerdings nicht weiter berücksichtigt. Das 1843 errichtete Schloss Mickeln in Himmelgeist hingegen wurde nach dem Vorbild von Renaissance-Villen erbaut. Nicht zum Stadtgebiet zählt hingegen das Haus Unterbach, obwohl es die Urzelle von Unterbach ist, seit der Gebietsreform 1975 ein Stadtteil der Landeshauptstadt Düsseldorf. Das Haus Unterbach liegt im Gegensatz zum Stadtteil Unterbach östlich der Einmündung der Erkrather Straße (Kreisstraße 7) in die Gerresheimer Landstraße, an der Nordostseite letzterer. Da entlang dieser beiden Straßen(abschnitte) die heutige Stadtgrenze verläuft, liegt das Haus Unterbach immer noch auf dem Gebiet der Stadt Erkrath. Das vor der Gebietsreform 1975 zu Unterbach gehörende Unterfeldhaus, das erst einige Jahre zuvor umfassend neu gestaltet und ausgebaut worden war, blieb bei der Stadt Erkrath und wurde zu einem ihrer Stadtteile, zu diesem gehört seitdem auch das Haus Unterbach. Historische Kirchen Altstadt und Carlstadt Innerhalb der Düsseldorfer Altstadt ist St. Lambertus am Stiftsplatz 1 die älteste Kirche. Erbaut wurde sie 1288 bis 1394 im gotischen Stil, die Kirchweihe war am 13. Juli 1394. Seit 1974 ist St. Lambertus päpstliche Basilica minor. Wesentlich jünger ist die Kreuzherrenkirche in der Ursulinengasse, die von 1445 bis 1455 erbaut wurde. Die ebenfalls katholische Kirche St. Andreas in der Andreasstraße ist hingegen ein Barockbau, der im Zuge der Gegenreformation zwischen 1622 und 1629 als Hof- und Jesuitenkirche entstanden ist. Die erste Kirche der Lutherischen Gemeinde in Düsseldorf war die Berger Kirche in der Berger Straße, die von 1683 bis 1687 errichtet wurde. Zur selben Zeit baute die Reformierte Gemeinde ihre erste Kirche in Düsseldorf, die Neanderkirche in der Bolkerstraße 36. Katholisch ist hingegen St. Maximilian, meist kurz „Maxkirche“ genannt, in der Schulstraße, Ecke Citadellstraße, erbaut in den Jahren 1735 bis 1743. Im übrigen Stadtgebiet Die ältesten Kirchen der Stadt befinden sich nicht in der Altstadt, sondern in den alten Stadtteilen Bilk und Kaiserswerth: Als älteste Kirche Düsseldorfs gilt die im 12. Jahrhundert erbaute Pfarrkirche Alt St. Martin in Bilk, auch Alte Bilker Kirche genannt. Entsprechend ihrer Errichtungszeit ist sie im romanischen Stil erbaut. Alt St. Martin war auch die Pfarrkirche des Dorfes Düsseldorf vor der Errichtung von St. Lambertus. Als zweitälteste Kirche kann St. Suitbertus in Kaiserswerth, erbaut 11. bis 13. Jahrhundert, gelten, seit 1967 päpstliche Basilica minor. St. Suitbertus ist eine romanische Kirche mit zwei gotischen Erweiterungen, der Apsis und dem seitlichen Eingang. Ebenso alt ist St. Nikolaus in Himmelgeist, ebenfalls erbaut 11. bis 13. Jahrhundert. Die Basilika St. Margareta in Gerresheim ist seit 1982 die dritte päpstliche Basilica minor in Düsseldorf. Errichtet wurde sie 1220 bis 1240 als Stiftskirche des Gerresheimer Stifts. Das Stiftsgebäude stammt aus derselben Epoche. Bei beiden Kirchen handelt es sich ebenfalls um Beispiele romanischer Architektur. Die größte protestantische Kirche im Stadtgebiet ist die evangelisch-lutherische Johanneskirche in der Stadtmitte. Sie wurde in den Jahren 1875 bis 1881 im neugotischen Stil erbaut. Linksrheinisch ist die katholische Kirche St. Antonius in Oberkassel mit ihrem neoromanischen Stil besonders interessant, erbaut wurde sie 1909 bis 1911. Architekturgeschichtlich interessant ist ebenfalls die evangelische Oberkasseler Auferstehungskirche von 1913 bis 1914 in rheinischer Backsteinarchitektur mit Jugendstilelementen. Zentral auf dem Kirchplatz gelegen ist St. Peter (katholisch) in Friedrichstadt. Diese Kirche hat neugotische und neoromanische Elemente. Erbaut wurde sie zwischen 1887 und 1898. Weitere interessante Kirchen finden sich in vielen Stadtteilen, so zum Beispiel St. Paulus (katholisch) in Düsseltal, St. Maria Rosenkranz (katholisch) von 1908 in Wersten und die St.-Josef-Kirche in Oberrath, alle im neoromanischen Stil errichtet. St. Paulus und St. Josef gehen auf den Düsseldorfer Architekten Josef Kleesattel zurück, ebenso St. Blasius in Hamm, die Häuserzeilenkirche St. Elisabeth und St. Vinzenz in der Stadtmitte, Heilig Geist in Pempelfort, Herz Jesu in Derendorf und St. Ursula in Grafenberg. Weitere neuromanische Kirchen im Stadtgebiet entwarfen die Architekten Caspar Clemens Pickel (z. B. St. Adolfus und St. Apollinaris), Paul und Wilhelm Sültenfuß. Aus älteren Zeiten stammen St. Agnes in Angermund, St. Hubertus in Itter, St. Lambertus in Kalkum und St. Cäcilia in Hubbelrath. Als architektonische Besonderheiten aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg sind zwei Kirchen hervorzuheben: die Bunkerkirche Sankt Sakrament in Heerdt, die in einem Luftschutzbunker errichtet wurde, und die Rochuskirche in Pempelfort. Die Rochuskirche war bis zu ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eine sehr große und prächtige neoromanische Kirche, die 1897 von Josef Kleesattel errichtet worden war. Nach verheerenden Bombardierungen war sie eine Ruine. 1950 wurde entschieden, nur den Turm zu retten, das Kirchenschiff jedoch durch einen Neubau zu ersetzen. Dieser hat die Form eines Kuppeldachs und wurde von Paul Schneider-Esleben entworfen. Weitere herausragende Beispiele moderner Kirchenarchitektur sind die katholischen Kirchen St. Bruno, St. Franziskus Xaverius, St. Matthäus, die Altenheimkapelle St. Hildegardis und die im parabolischen Grundriss angelegte Katharinenkirche in Gerresheim aus den 1960er Jahren sowie die evangelische Matthäikirche aus der Zwischenkriegszeit der Weimarer Republik. Sonstige historische Gebäude (vor 1945) Von Burgen und Kirchen abgesehen, finden sich die ältesten Gebäude Düsseldorfs in der Altstadt: Das älteste Profangebäude der Stadt ist das Löwenhaus in der Liefergasse in der Altstadt. Es stammt aus dem Jahr der Stadterhebung 1288. Das Düsseldorfer Rathaus hingegen geht auf das 16. Jahrhundert zurück. Der älteste Teil wurde 1570 bis 1573 durch Heinrich Tussmann erbaut. In späteren Jahrhunderten kamen weitere Gebäudetrakte hinzu. Vor dem Rathaus erstreckt sich der Marktplatz mit dem Jan-Wellem-Reiterstandbild, das 1712 von Gabriel de Grupello gegossen wurde. An der Grenze der Altstadt wurde 1811 bis 1815 das Ratinger Tor durch Adolph von Vagedes errichtet. Südlich der Altstadt, zwischen Carlstadt, Friedrichstadt und Unterbilk gelegen, befindet sich das Ständehaus. Es wurde 1876 bis 1880 von Julius Raschdorff erbaut und diente zunächst dem Preußischen Provinzialparlament als Sitz, von 1949 bis 1988 beherbergte es schließlich den Landtag Nordrhein-Westfalen. Heute befindet sich dort die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21. Die Expansion und der ökonomische Aufstieg der Stadt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führten auch zu Kaufhausgründungen, so dass mit Kaufhof an der „Kö“, ehemals Leonhard Tietz AG, erbaut 1906 bis 1908 von Joseph Maria Olbrich, und dem Carsch-Haus, erbaut von 1914 bis 1916 durch Otto Engler, zwei heute noch genutzte Kaufhäuser, entstanden. Das ehemalige Verwaltungsgebäude der Mannesmannröhren-Werke AG am Mannesmann-Ufer wurde 1912 durch den Architekten Peter Behrens erbaut. Direkt daneben am Rheinufer errichtete der Architekt Hermann vom Endt zwischen 1909 und 1911 im Auftrag des Rheinischen Provinzialverbandes das Landeshaus und die nach dem späteren Landeshauptmann benannte Villa Horion. Eines der ersten Hochhäuser Deutschlands ist das an der heutigen Heinrich-Heine-Allee befindliche Wilhelm-Marx-Haus, das zwischen 1922 und 1924 durch Wilhelm Kreis errichtet wurde. Ebenfalls von Kreis stammt der Ehrenhof-Komplex einschließlich der ursprünglich als Planetarium gedachten Tonhalle und auch die in der Nähe gelegene Rheinterrasse. Der Ehrenhof ist heute Heimstatt mehrerer Museen und Ausstellungsinstitute, u. a. des NRW-Forums und des Museum Kunstpalast. Errichtet wurde der Komplex im Rahmen der Großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen, kurz „GeSoLei“ im Jahre 1926. Die Skulptur „Aurora“ über dem Nordportal stammt von Arno Breker. Der Hauptbahnhof wurde 1932 bis 1936 von den Architekten Krüger und Eduard Behne errichtet, nachdem der zentrale Eisenbahnhaltepunkt der Stadt vom Graf-Adolf-Platz weg zu einer am Rande der innerstädtischen Bezirke gelegenen Stelle verlegt worden war. Der Umbau und die Modernisierung erfolgte in den 1980er Jahren. Weitere Modernisierungen waren für das Jahr 2021 eingeplant. Zukünftig ist der Umbau des Hauptbahnhofes und die Neugestaltung des Vorplatzes, dem Konrad-Adenauer-Platz, geplant. Moderne und postmoderne Gebäude Düsseldorf wurde nach dem Zweiten Weltkrieg teilweise wiederaufgebaut, an vielen Stellen wurde jedoch zugunsten moderner Bauten entschieden. Als Planungsdezernent wirkte Friedrich Tamms maßgeblich an der Neugestaltung der Stadt in den 1950er bis 1960er Jahren mit und war u. a. für die Neuanlage der Berliner Allee verantwortlich. Architektonisch ragt hier einerseits das Hochhaus der Stadtsparkasse Düsseldorf heraus, andererseits das Ensemble aus dem Thyssen-Hochhaus („Dreischeibenhaus“), erbaut 1957 bis 1960 von den Architekten Helmut Hentrich und Hubert Petschnigg, dem Düsseldorfer Schauspielhaus, errichtet 1965 bis 1970 durch den Architekten Bernhard Pfau, und den im April 2013 abgerissenen Tausendfüßler. Die Neuordnung des innerstädtischen Bereichs war seinerzeit hoch umstritten, die Personalpolitik des Dezernenten Tamms führte zudem zum Düsseldorfer Architektenstreit. Heute wird der Bereich wieder überplant, in seinem Zentrum befindet sich nunmehr der Kö-Bogen von Daniel Libeskind. Mitprägend für das Stadtbild an der Rheinfront wurde das Mannesmann-Hochhaus in der Carlstadt, erbaut 1956 bis 1958 durch Paul Schneider-Esleben, der ebenfalls für die Haniel-Garage, Deutschlands erste Hochgarage nach dem Krieg, erbaut 1949 bis 1950, sowie auch das inzwischen wieder abgerissene ARAG-Terrassenhaus in Mörsenbroich verantwortlich zeichnet. Neben den historischen Gebäuden, den Schrägseilbrücken und dem Mannesmann-Hochhaus formen weitere Gebäude die Rheinfront, deren Gesamtbild einen hohen Wiedererkennungswert aufweist. Besonders markant sind dabei der Rheinturm (erbaut 1979 bis 1982) des Architekten Harald Deilmann, mit 240,5 Metern höchstes Wahrzeichen der Stadt und das Landtagsgebäude Nordrhein-Westfalen (erbaut 1980 bis 1988). Die Zeitanzeige des Rheinturms gilt als weltweit größte Digitaluhr. An den Rheinturm schließt seit den 1990er Jahren der Rheinpark Bilk an. Hinter dem Rheinpark entstand ab dieser Zeit unter der Bezeichnung Medienhafen im vorderen Teil des alten Rheinhafens an der Lausward eine städtebauliche und architektonische Collage aus Neubauten und umgebauten Altbauten, von denen der Neue Zollhof mit den drei Gehry-Bauten, benannt nach ihrem Architekten Frank Gehry (erbaut 1996 bis 1999), sowie das Colorium, ein 17-geschossiges Bürogebäude (fertiggestellt 2001), besonders ins Auge fallen. Das so entstandene Gesamtensemble, das durch maßstäbliche Sprünge, Formen- und Materialvielfalt sowie funktionale und ästhetische Gegensätze gekennzeichnet ist, bildet nicht nur einen begehrten Büro- und Hotelstandort in der Landeshauptstadt, sondern fungiert auch als neue Tourismusdestination. Der Neubau des Sendehauses und Landesstudios des Westdeutschen Rundfunks an der Stromstraße ist ein weiteres markantes postmodernes Gebäude, das an den Rheinpark angrenzt. Die Stromstraße führt dann weiter über den Tunnel Gladbacher Straße, über dem das international ausgezeichnete Stadttor thront, das u. a. als Sitz der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen dient. Weiter Richtung Innenstadt fällt am Graf-Adolf-Platz die ovale Hochhausarchitektur des 89 m hohen GAP 15 ins Auge, das 2005 nach Plänen der Architekten J. S. K. erbaut wurde. In der Nähe des Graf-Adolf-Platzes, an der Friedrichstraße, befindet sich das Hochhaus der Deutschen Rentenversicherung. Es ist 120 Meter hoch, hat eine typische 1970er-Jahre-Architektur und wurde 1978 fertiggestellt. Verantwortlicher Architekt war Harald Deilmann. Die Fassade wurde 2006/2007 neu gestaltet. Einen vollständigen Umbau erlebte hingegen das Gebäude der WestLB am Kirchplatz, Ecke Fürstenwall/Friedrichstraße. Der ursprüngliche Bau aus den späten 1960er Jahren, erbaut für die Bausparkasse Rheinprovinz, überragte die Kirche St. Peter, sein Nachfolger hingegen hat eine geringere Traufhöhe. Das andere in der Nähe befindliche Gebäude der WestLB ist ein Hochhauskomplex, dessen Ausführung für die 1970er Jahre typisch ist. Nördlich der Oberkasseler Brücke erscheint hinter dem neoklassizistischen Oberlandesgericht deutlich der Victoria-Turm als höchstes Gebäude im postmodernen Gebäude-Komplex der Versicherungsgesellschaft an der Fischerstraße. Im Norden der Stadt setzte die ARAG-Versicherung ihre Zeichen. Das sogenannte Mörsenbroicher Ei war und ist umgeben von Gebäuden dieser Gesellschaft. Das alte Stufenhaus von Paul Schneider-Esleben ist dem 1998 bis 2000 erbauten, 125 Meter hohen ARAG-Turm des Architekten Sir Norman Foster gewichen, der das höchste Verwaltungsgebäude im Stadtgebiet darstellt. Das 1968 bis 1975 erbaute Rheinstadion ist ebenfalls gewichen. An seiner Stelle steht nun die Merkur Spiel-Arena. Sie wurde zwischen 2002 und 2004 nach Plänen der Architekten J.S.K. erbaut. Ebenfalls im Norden der Stadt, in Rath, befindet sich der ISS-Dome. Erbaut wurde er in den Jahren 2005 bis 2006 von den Architekten Rhode Kellermann Wawrowsky (RKW). Im Süden Düsseldorfs ist das Kuppelgewächshaus im Botanischen Garten Düsseldorf erwähnenswert. Die Heinrich-Heine-Universität selbst ist in einer für 1960er und 1970er Jahren typischen Bauweise mit etlichen Hochgebäuden für die Institute in Sichtbeton mit großen Glasfenstern, Hörsaalgebäuden mit Sichtbeton und teilweise roter Verklinkerung und weiteren teils rot verklinkerten, teils mit Sichtbeton errichteten Gebäuden gebaut worden. Etwas untypisch ist die verstreute Lage der Gebäude entlang einer geschwungenen Hauptachse des Geländes. Düsseldorfer Brückenfamilie Die Düsseldorfer Brückenfamilie war ursprünglich ein Sammelbegriff für die drei zentralen Schrägseilbrücken Theodor-Heuss-Brücke, Oberkasseler Brücke und Rheinkniebrücke, die die Entwicklung dieses Brückentyps weltweit für viele Jahre maßgeblich beeinflusst hatten. Die zwischen Golzheim und Niederkassel liegende Theodor-Heuss-Brücke, früher auch Nordbrücke genannt, gilt als die erste Schrägseilbrücke Deutschlands. Sie wurde 1952 im Auftrag des Düsseldorfer Stadtplanungsamtes unter Leitung des Architekten Friedrich Tamms von einer Gruppe um den Bauingenieur und Tragwerksplaner Fritz Leonhardt entworfen. Ihre schlanken, freitragenden Pylonstiele und die harfenförmige, parallele Anordnung der Seile wurden von Tamms veranlasst. Bald nach ihrer Fertigstellung im Jahr 1957 beauftragte Tamms auch die Planung der Oberkasseler Brücke und der Rheinkniebrücke, wobei Fritz Leonhardt für die Rheinkniebrücke, Hans Grassl für die Oberkasseler Brücke federführend war. Die ein kleines Stück weiter südlich stehende Oberkasseler Brücke zwischen der Innenstadt und Oberkassel war die älteste und lange auch die einzige Düsseldorfer Straßenbrücke. Sie ersetzte ab 1898 die Pontonbrücke von 1839, die bis dahin die einzige Verbindung mit dem linken Rheinufer darstellte, und wurde 1924 erweitert. Nach der Zerstörung 1945 wurde ab 1948 erneut eine Behelfsbrücke errichtet. Aus verkehrstechnischen Gründen konnte erst 1973 die von Hans Grassl entworfene Schrägseilbrücke neben ihr errichtet werden. 1976 erfolgte der vielbeachtete endgültige Verschub der neuen Brücke an die historische Stelle. Sie leistet die Verbindung von der Altstadt nach Oberkassel und trägt die Stadtbahnlinien, die von der Heinrich-Heine-Allee ins Linksrheinische führen. Die noch weiter südlich stehende Rheinkniebrücke verbindet die Friedrichstadt mit Oberkassel. Sie musste aus verkehrstechnischen Gründen vor dem Neubau der Oberkasseler Brücke gebaut werden. Sie wurde zwischen 1965 und 1969 nach den Plänen von Leonhardt errichtet und ist genauso wie die Theodor-Heuss-Brücke und die nach ihr gebaute Oberkasseler Brücke eine Schrägseilbrücke. Diese drei Schrägseilbrücken zeichnen sich durch die gleichen Stilelemente aus – ein flaches stählernes Brückendeck, schlanke senkrechte Pylone und wenige, harfenförmig angeordnete Schrägseile. Aufgrund ihrer Lage in kurzer Entfernung voneinander konnten sie außerdem schon vor ihrer Fertigstellung in Modellen und Zeichnungen gemeinsam dargestellt werden. Die Düsseldorfer Brückenfamilie wurde 2007 für die Auszeichnung als Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland nominiert. Weiter südlich verbinden drei ganz anders konstruierte Brücken Düsseldorf mit der Nachbarstadt Neuss. Zunächst kommt von Nord nach Süd vorgehend die Hammer Eisenbahnbrücke, eine an einem Stahlbogen abgehängte Fachwerkbrücke, deren Vorgänger aus dem Jahre 1870 stammt. Reste dieser alten Brücke sind in Form der Türme an den Ufern noch zu sehen. Die heutige Brücke wurde 1987 direkt neben der historischen Trasse im Zuge des Baues der Ost-West-S-Bahnlinie S8 errichtet. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger trägt sie vier Eisenbahngleise. Einen Fuß- oder Radweg gibt es ebenso wenig wie eine Fahrbahn für Autos. In Sichtweite steht die Josef-Kardinal-Frings-Brücke, vormals Südbrücke, ein Neubau der Jahre 1950 bis 1951, nachdem die alte Brücke von 1929 im letzten Kriegsjahr 1945 zerstört worden war. Sie ist die erste Hohlkasten-Balkenbrücke, die in Schweißtechnik ausgeführt wurde. Über die Josef-Kardinal-Frings-Brücke führen die Bundesstraße 1 und eine Straßenbahnlinie. Die südlichste Düsseldorfer Rheinbrücke ist die Fleher Brücke, eine Schrägseilbrücke mit dem höchsten Brückenpylon in Deutschland und einer Vielzahl von fächerförmig angeordneten Seilen. Erbaut wurde sie von 1976 bis 1979. Auf ihr verläuft die Bundesautobahn 46. Im Norden der Stadt steht die Flughafenbrücke, eine Schrägseilbrücke mit zu Dreiecken verkürzten Pylonen, die von Düsseldorf-Stockum nach Meerbusch führt und dabei den Verlauf der Bundesautobahn 44 vorgibt. Sie ist die jüngste Düsseldorfer Rheinbrücke, sie wurde zwischen 1998 und 2002 gebaut. Historische Gaslaternen Düsseldorf ist eine der letzten Städte weltweit, in denen es ein großflächiges und intaktes Netz von Gaslaternen gibt (14.000 – mit fallender Tendenz, Stand 2018). Seit 1848 prägen die Laternen mit ihrem goldgelben Licht die Atmosphäre der Stadt. Die Gasbeleuchtung ist auf vielfältige Weise mit der Stadtgeschichte verbunden. So schrieben die Gebrüder Mannesmann im 19. Jahrhundert im Rheinland mit dem Patent für nahtlose Stahlrohre ein wichtiges Stück Industriegeschichte. Auch die Technik der hängenden Glühkörper wurde von Mannesmann entwickelt. Bereits Clara Schumann schrieb über die Düsseldorfer Gaslaternen. Die Gaslaternen sind wichtige Zeitzeugen der historischen Stadtentwicklung und selbst die jüngsten sind bereits über ein halbes Jahrhundert alt. Sie beleuchten bis heute große Teile der Wohngebiete. Bekannte Gaslaternentypen sind unter anderem die „Alt-Düsseldorfer“, die seit den 1920er Jahren eingesetzten Ansatz- und Aufsatzleuchten im Stil „form follows function“ sowie Reihenleuchten. Der berühmte und denkmalgeschützte Düsseldorfer Hofgarten wurde bis zum Sturm „Ela“ im Jahr 2014 durch Gaslaternen beleuchtet. Das Modell „Frankfurt“, das dort in den 1950ern aufgestellt wurde, gilt heute als vermutlich einzigartig in ganz Europa. Unzählige Bäume wurden durch den Sturm zerstört und auch viele Gaslaternen, aber sie überstanden den Sturm ohne jegliche Gefährdung durch austretendes Gas. Provisorisch wurde eine Elektrobeleuchtung an Holzpfeilern errichtet. 2017 wurde mit dem Wiederaufbau der Gasbeleuchtung begonnen. Die Stadtverwaltung Düsseldorf beabsichtigt den Austausch fast aller historischen Gaslaternen gegen LED-Leuchten. Eine Petition der Düsseldorfer Bürger sammelte über 10.000 Stimmen für den Erhalt und war die bislang erfolgreichste Petition der Stadtgeschichte. Eine Bürgerinitiative fordert die Anerkennung der Gasbeleuchtung als „Weltkulturerbe“ und Industriedenkmal. Nach Auffassung der Bürgerinitiative sprechen sowohl kulturelle als auch finanzielle Gründe für den großflächigen Erhalt des Gaslaternenenetzes. Sie wird dabei unter anderem vom Bund der Steuerzahler unterstützt, der sich in einer Presseerklärung dazu äußerte. Selbst der BUND für Umwelt und Naturschutz hält den Ersatz der Gaslaternen nicht für ein wirksames Mittel zur Reduzierung des Kohlenstoffdioxidausstoßes. Mit einem Beschluss vom 10. Dezember 2015 hat der Rat der Stadt Düsseldorf erstmals die Gaslaternen als Kulturgut anerkannt. Für den Hofgarten ist die Verwaltung aufgefordert worden, einen Ausführungs- und Finanzierungsbeschluss zur Wiederherstellung der Gasbeleuchtung vorzubereiten. Im übrigen Stadtgebiet sollen mindestens 4000 Gaslaternen erhalten bleiben. Die Festlegung der Erhaltungsgebiete wurde den Bezirksvertretungen übertragen. Die Stadtwerke Düsseldorf haben im August 2016 erklärt, dass sie in der Lage sind, den dauerhaften Betrieb der Gaslaternen rechtlich und technisch einwandfrei sicherzustellen. Am 14. Mai 2020 stimmte der Rat der Stadt dafür, etwa 10.000 Gaslaternen zu erhalten, im September 2020 wurde die Gasbeleuchtung von der Stadt unter Denkmalschutz gestellt. Die Aufnahme in die Antragsliste des Landes Nordrhein-Westfalen zum UNESCO-Weltkulturerbe wurde hingegen im Juni 2021 abgelehnt. Die Jury sah den außergewöhnlichen universellen Wert noch nicht gegeben. Dies könnte sich jedoch ändern, wenn Berlin und Frankfurt am Main an bereits beschlossenen Abbaumaßnahmen festhalten. Am 7. September 2023 nahm der Stadtrat die Entscheidung von 2020 zurück und entschied sich für den großflächigen Abriss der Beleuchtung; nur etwa 200 Laternen im Hofgarten sollen erhalten bleiben, wobei diese bereits vor der Beschlussfassung nummeriert waren. In Düsseldorf sind fünf Typen von Gaslaternen verbreitet: Alt-Düsseldorf, seit ca. 1850, vier- oder sechsflammig Aufsatzleuchte, seit ca. 1920, vier-, sechs- oder neunflammig Ansatzleuchte, seit ca. 1920, vier- oder sechsflammig, gebogener Mast bringt den Lampenkopf näher zur Straßenmitte Reihenleuchte, seit ca. 1950, vier- oder achtflammig Frankfurter, seit ca. 1950, vier-, sechs- oder achtflammig Parks und Grünflächen Düsseldorf, das oft den Beinamen Gartenstadt erhielt, verfügt heute über 1238 Hektar öffentliche Grünflächen, davon 641 Hektar Parks, die sich über das Stadtgebiet verteilen. Der Rhein bildet mit seinen in großen, in weiten Teilen unbebauten Uferzonen ein grünes Band, das verschiedene Parks in nordsüdlicher Richtung miteinander verbindet. Am östlichen Stadtrand befinden sich zudem mit 2180 Hektar ausgedehnte Stadtwaldflächen. Der Hofgarten Der Ruf als Gartenstadt geht auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück. 1769 ließ der Statthalter des Kurfürsten Karl-Theodor den „Alten Hofgarten“ als ersten Volksgarten Deutschlands nach den Plänen von Nicolas de Pigage im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen anlegen. Die Anlage wurde richtungsweisend für ähnliche Parks in anderen Städten. Nach der Schleifung der Festungswerke 1801 wurde der Park durch Maximilian Friedrich Weyhe umgestaltet und in Form einer offenen Gartenlandschaft weiterentwickelt. Dieser „Neue Hofgarten“ mit seinen Gartenlokalen und Unterhaltungsangeboten war gesellschaftlicher Treffpunkt und eine Besonderheit Düsseldorfs. Der Hofgarten blieb bis 1875 die einzige Grünfläche innerhalb des bebauten Stadtgebietes. Die Gärten der Großstadt Die durch die Industrialisierung hervorgerufene starke städtische Expansion lieferte die Grundlage für die Anlage neuer Parks. So entstanden in privater Initiative 1875 der Florapark und 1876 der Zoologische Garten, beide mit durch die Düssel gespeisten Teichanlagen. Einen großen Einfluss auf die Gestaltung der Grünflächen hatte Heinrich Hillebrecht, der von 1879 bis 1910 Stadtgärtner von Düsseldorf war. Seit Mitte der 1880er Jahre verfolgte die Stadt Düsseldorf das Ziel, Grundstücke für die Anlage von Parks und Erholungsflächen zu erwerben. 1892 wurde der Oberbilker Volksgarten, heute Teil des Südparks, angelegt. Es folgte 1898 der Ostpark. 1903 übernahm die Stadt den Florapark und 1905 den Zoologischen Garten. Ausstellungsgärten 1904 fand die große Gartenbauausstellung in Düsseldorf statt, in deren Fokus die Reform des Gartenbaus hin zu einer architektonischen Gestaltung stand. Verfechter dieser Reformen waren Peter Behrens und Walter von Engelhardt aus dem Umfeld der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule. Nach ihren Ideen plante Reinhold Hoemann den Kaiser-Wilhelm-Park am Rhein. Im Rahmen der GeSoLei 1926 wurden Teile der Rheinufers aufgeschüttet und gärtnerisch gestaltet. Aus dem Kaiser-Wilhelm-Park und den neuen, aufgeschütteten Flächen wurde der heutige Rheinpark Golzheim, der über den Komplex des Museum Kunstpalast mit dem Hofgarten verbunden ist. Im Rahmen der Reichsausstellung Schaffendes Volk entstand zwischen Rheinufer und der Kaiserswerther Straße der Nordpark. Der Volksgarten und der Südpark waren Teil des Geländes der Bundesgartenschau 1987. Südlich hiervon befindet sich der Botanische Garten. Herrensitze Die Parks mehrerer Schlösser und Herrensitze, die heute zum Stadtgebiet gehören, sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Der bekannteste ist der Park von Schloss Benrath im Süden der Stadt. Ferner sind dies in den südlichen Stadtteilen der Park Elbroich sowie die Parks der Schlösser Eller, Mickeln und Garath. Im Norden der Stadt liegen der Park von Schloss Kalkum sowie der Lantz’sche Park. Zwischen der Carlstadt und der Friedrichstadt liegen der Ständehauspark mit dem Spee’schen Graben, Kaiserteich und Schwanenspiegel. In Pempelfort schließt sich an den Hofgarten das Gelände des Künstlervereins Malkasten mit dem Jacobigarten an. Liste der Düsseldorfer Parks Von den Düsseldorfer Parkanlagen wurden allein neun wegen ihrer Qualität und Bedeutung 2004 in die Straße der Gartenkunst zwischen Rhein und Maas aufgenommen. Sie sind in der folgenden Liste durch ein Sternchen (*) hervorgehoben. Alter Bilker Friedhof Belsenpark Botanischer Garten der Universität Florapark Golzheimer Friedhof* Hanielpark Hofgarten* IHZ Park (Handelszentrum) Kögraben Lantz’scher Park Malkastenpark/Jacobigarten* Maurice-Ravel-Park Nordfriedhof Nordpark* mit Japanischem Garten Ostpark Park Elbroich/Heyepark Park am Ständehaus* mit dem Kaiserteich und dem Schwanenspiegel Rheinpark Bilk Rheinpark Golzheim Schlosspark Benrath* Schlosspark Eller Schlosspark Garath Park Heltorf* Schlosspark Kalkum Schlosspark Mickeln Spee’scher Graben* Stadt-Natur-Park Flingern Stadtwerkepark Sternwartpark (ehem. Bilker Friedhof, inoffiziell auch Cola-Park) Südfriedhof Südpark mit Volksgarten* Wildpark im Grafenberger Wald Zoopark Landschafts- und Naturschutzgebiete Düsseldorf hat im Stadtgebiet 43 Naturdenkmäler und zwölf Naturschutzgebiete mit einer Gesamtfläche von 1435 Hektar. In der Vergangenheit erstreckte sich im Südosten der Stadt durch das Mäandern des Rheins zwischen dem Altrhein und dem heutigen Flussverlauf ein großes Sumpf- und Moorgebiet, das große Teile der heutigen Stadtbezirke 8, 9 und 10 sowie der Nachbarstadt Hilden als auch einige der dort gelegenen Wälder umschloss. Viele der heutigen Naturschutzgebiete gingen aus den verschiedenen Ausprägungen dieses Sumpfes hervor. Der sandtragende Teil dieses In den Benden genannten Gebietes wurde inzwischen ausgekiest und hinterließ den Unterbacher See (vormals Bendensee), Elbsee, Menzelsee und Dreiecksweiher in Unterbach. Nässegebiete blieben die Urdenbacher Kämpe, der Eller Forst und der Himmelgeister Rheinbogen, die ebenso wie Teile des Elbsees und Dreiecksweiher unter Naturschutz gestellt wurden. Durch die Konzentration des Wassers konnten große Flächen des Sumpfgebietes unter anderem durch Torfbruch trockengelegt und kultiviert werden. Zuvor umging der historische Mauspfad dieses Gebiet als Höhenweg über die ersten Ausläufer des Bergischen Landes am Übergang zur niederrheinische Ebene. Die Urdenbacher Kämpe bildet heute als Flussauenlandschaft mit einer Fläche von 316 Hektar das größte Naturschutzgebiet in Düsseldorf. Sie ist durch die in der Niederrheinregion häufigen Streuobste im Auwald geprägt und FFH-Gebiet. Im Osten der Stadt, übergehend in den Kreis Mettmann, befindet sich das Rotthäuser Bachtal, das ebenfalls FFH-Gebiet ist und in dem Teiche und Hecken sowie wiederum Auwälder die hügelige Landschaft prägen. Das dritte FFH-Gebiet ist die Überanger Mark im Nordosten Düsseldorfs, das vor allem aus Erlen- und Hainbuchenbewaldung besteht. Die übrigen Naturschutzgebiete innerhalb der Düsseldorfer Stadtgrenzen sind: die Rahmer Benden in Angermund das Hubbelrather Bachtal das Pillebachtal in Gerresheim die Tongruben in Gerresheim bzw. Grafenberg der Benrather Schlosspark Naherholungsgebiete und Freizeitparks Beliebtestes Naherholungsgebiet der Stadt ist der Unterbacher See. Er ist an der Stadtgrenze zu Erkrath und Hilden gelegen und grenzt an den Eller Forst. An ihm sind zahlreiche Freizeit- und Sportmöglichkeiten von Segeln und Tretbootfahren bis Minigolf und Schwimmen möglich. Darüber hinaus existieren zwei Campingplätze. Das Gebiet um den See herum steht unter Naturschutz. Außerdem dient der Düsseldorfer Stadtwald als Teil der grünen Lunge zur Naherholung. Die Stadt hat drei Freizeitparks für Kinder und Familien in den 1970er und 1980er Jahren eingerichtet, die seitdem modernisiert wurden. Es handelt sich um den Freizeitpark Ulenbergstraße in Bilk, den Freizeitpark Heerdt im linksrheinischen Heerdt und den Freizeitpark Niederheid, der zudem einen Kinderbauernhof enthält. Interkulturelle Bezüge, internationale Kultur In Düsseldorf leben insgesamt rund 110.000 Ausländer und es haben sich etwa 5000 ausländische Unternehmen angesiedelt, die die Stadt prägen. Unter anderem führen die Unternehmensniederlassungen zu einem außergewöhnlich hohen Anteil japanischer Einwohner, sowie zahlreicher Niederländer, US-Amerikaner, Briten, Franzosen, Chinesen und Koreaner. Daneben gibt es, wie in anderen vergleichbaren Städten, große türkische, griechische, marokkanische, serbische, italienische und polnische Gemeinden. In der Stadt befinden sich zahlreiche kulturelle und religiöse Einrichtungen der verschiedenen Nationalitäten und Glaubensrichtungen. 40 von 71 der in Nordrhein-Westfalen angesiedelten konsularischen Vertretungen und Zweigstellen lagen Anfang 2013 in Düsseldorf. Hinzu kommen 33 ausländische Handelskammern und Außenhandelsorganisationen. Die 2014 beim Staatsbesuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Nordrhein-Westfalen angekündigte Eröffnung eines vierten chinesischen Generalkonsulats in Deutschland in Düsseldorf wurde am 19. Dezember 2015 in Gegenwart von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Außenminister Wang Yi vollzogen. Im Jahr 2015 wurde die englische Sprache neben Deutsch zur Verwaltungssprache erhoben. Die Zugänglichkeit und Attraktivität der Stadt für z. B. Expatriates, hochqualifizierte Einwanderer und internationale Wissenschaftler soll somit erhöht werden. Düsseldorf hat eine englischsprachige internationale Schule im Norden der Stadt mit 950 Schülern aus 44 Nationen, im benachbarten Neuss befindet sich eine weitere internationale Schule. Im Stadtteil Düsseltal befindet sich eine französische Schule mit etwa 430 Schülern, linksrheinisch eine japanische internationale Schule mit etwa 650 Schülern und ein griechisches Lyzeum mit etwa 820 Schülern. Die Yitzhak-Rabin-Schule ist eine der wenigen jüdischen Grundschulen in Deutschland. Als Kulturorganisationen sind u. a. das seit 1950 in Düsseldorf bestehende Institut français und das Instytut Polski zu erwähnen. Der Japanische Club ist mit 5000 Mitgliedern einer der größten Vereine der Stadt. An der Heinrich-Heine-Universität war ein Konfuzius-Institut angesiedelt. Der Vertrag der Heinrich-Heine-Universität mit dem Konfuzius-Institut wurde nicht mehr verlängert und lief im April 2020 aus. Der jährlich stattfindende Japantag, wie auch das Frankreichfest im Juli, gehören zu den kulturellen Höhepunkten im Stadtleben. Außerdem werden alle vier Jahre die jüdischen Kulturtage im Rheinland mit unterschiedlichen Sparten durchgeführt. Im Stadtteil Gerresheim gibt es einige Straßenzüge, die sehr stark süditalienisch geprägt sind, die griechische Gemeinde ist in Düsseldorf ebenfalls stark. Rund um die Ellerstraße in Oberbilk hat sich in den letzten Jahren ein marokkanisch-tunesisches Viertel gebildet. In Düsseldorf sind christliche Heimatgemeinden u. a. aus Südkorea, Polen und Vietnam verankert, die russisch-orthodoxe Kirche unterhält in Düsseldorf ein Patriarchat. Die koptisch-orthodoxe Kirche ist mit einer Gemeinde und einer Kirche in der Stadt vertreten. Ferner findet sich innerstädtisch das sogenannte „Maghreb-Viertel“. Es umfasst das Gebiet der am Hauptbahnhof zusammentreffenden Stadtteile (südöstliche) Stadtmitte, Friedrichstadt, Flingern-Süd und (nördliches) Oberbilk und ist durch eine nordafrikanische Bevölkerungsstruktur geprägt. Für bundesweite Aufmerksamkeit sorgten Beschlüsse einzelner Stadtbezirke, ausgewählte Straßen mit fremdsprachigen Straßenschildern zu versehen. Diese wurden zusätzlich zur amtlichen deutschen Beschriftung meist unterhalb der regulären Schilder angebracht. Den Anfang machten im Dezember 2021 vier japanische Zusatzschilder an der Immermannstraße. Im März 2023 folgten zwei arabische Straßenschilder in der Ellerstraße sowie ein italienisches (Via della Vetreria) in der Glashüttenstraße. Gastronomie Die Düsseldorfer Altstadt wird wegen ihrer vielen Kneipen als die „längste Theke der Welt“ bezeichnet. Die Formulierung geht auf den Werbeschaffenden Carl Schweik in den 1960er Jahren zurück. Neben der Altbierkneipe Uerige gibt es die Häuser „Brauerei im Füchschen“, „Brauerei Schumacher“, „Brauerei zum Schlüssel“ und viele weitere. Es finden sich Hunderte Bars, Restaurants, Diskos und Kneipen auf einem engen Areal. Das Gebiet umfasst im Wesentlichen den historischen Teil der Altstadt, im Norden begrenzt von der Ratinger Straße, im Westen von der Rheinpromenade, im Osten von der Heinrich-Heine-Allee und im Süden vom Carlsplatz. Im November 2009 ist die bisher geltende Sperrstunde in der Altstadt aufgehoben worden. Konkurrenz bekommt die Altstadt durch den modernen Medienhafen mit den architektonisch bedeutsamen Gehry-Bauten. Beliebt in gastronomischer Hinsicht ist auch die linke Rheinseite mit den Stadtteilen Oberkassel und Niederkassel. In Bilk hat sich in den letzten Jahrzehnten zaghaft eine studentische Kneipenkultur entwickelt. In den Stadtteilen Derendorf, Flingern und Pempelfort ist eher Szenepublikum unterwegs. Insbesondere in Pempelfort hat sich im Umfeld der Tußmannstraße und des ehemaligen Geländes des Güterbahnhofes Derendorf eine rege Kneipen- und Gastronomieszene entwickelt. In den genannten Vergnügungszentren und in den zahlreichen Kneipen der Stadtteile wird in erster Linie das obergärige Altbier ausgeschenkt. Fast alle Kneipen bieten aber auch andere Biersorten an. Neben dem Altbier gelten der Senf („Mostert“) der Marken Löwensenf und ABB-Senf sowie der Kräuterlikör Killepitsch als weitere Spezialitäten der lokalen Gastronomie. Eine beliebte Flaniermeile ist die Königsallee („Kö“). Die zahlreichen Straßencafés des Boulevards laden zudem zum Verweilen ein. Auch die Rheinuferpromenade, die den Medienhafen mit der Altstadt verbindet, bietet eine Fülle an Cafés und Restaurants mit Außengastronomie. Zu den lokalen Spezialitäten zählt der Düsseldorfer Senfrostbraten. Brauchtum Die wichtigsten Elemente des Düsseldorfer Brauchtums sind der Karneval mit dem Rosenmontagszug als Höhepunkt, die Schützenfeste in den Stadtteilen und im Juli das große Düsseldorfer Schützenfest mit der Größten Kirmes am Rhein. Der St.-Sebastianus-Schützenverein besteht seit spätestens 1435, geht aber vermutlich auf das 14. Jahrhundert zurück. Eine alte Tradition ist auch das Radschlagen. Für „Eene Penning“ führten die Düsseldorfer Radschläger – meist schulpflichtige Knaben – ihre Kunst vor. Weniger touristisch und wirtschaftlich bedeutsam, für die Kinder Düsseldorfs aber umso wichtiger, sind die Martinsumzüge in der Altstadt und in den Stadtteilen. Zu Ehren des Heiligen Martin von Tours ziehen sie in der ersten Novemberhälfte mit selbst gebastelten Laternen singend hinter einem den Hl. Martin darstellenden Reiter her. Im Anschluss an die Umzüge „gripschen“ sie Süßigkeiten in Geschäften und an Haustüren als Gegenleistung für ein Ständchen. Neben den Karnevals- und Schützenvereinen pflegt der Heimatverein der Düsseldorfer Jonges in besonderem Maße Brauchtum und Tradition. Sport Rund 112.000 Menschen in Düsseldorf betreiben Breitensport in 369 Vereinen, deren Dachorganisation der Stadtsportbund Düsseldorf darstellt. 36 Vereine sind in ihrer jeweiligen Sportart mindestens in der Regionalliga vertreten und repräsentieren den Leistungssport. Die bekanntesten Düsseldorfer Profivereine sind im Fußball Fortuna Düsseldorf und im Eishockey die Düsseldorfer EG. Vor dem Hintergrund der letztlich erfolglosen Olympiabewerbung Düsseldorf/Rhein-Ruhr für das Jahr 2012 hat die Stadt Düsseldorf massiv in den Bau neuer Sportstätten sowohl für den Profi-, als auch den Breitensport investiert. Der Stadtvermarktung wurde eine Sportagentur angegliedert, die unter dem Motto „Sportstadt Düsseldorf“ nationale und internationale Sportereignisse in die Stadt zieht und vermarktet. Ab dem 1. Juli 2009 hieß die LTU Arena ESPRIT Arena, seit dem 3. August 2018 trägt sie den Namen Merkur Spiel-Arena. Fußball Bekanntestes sportliches Aushängeschild der Stadt ist der Traditionsverein Fortuna Düsseldorf. Die größten sportlichen Erfolge sind der Gewinn der deutschen Fußballmeisterschaft 1933, die DFB-Pokalgewinne 1979 und 1980 sowie der Finaleinzug im Europapokalturnier der Pokalsieger 1979. Weitere bekannte Fußballvereine der Stadt sind die Fußballabteilung von TuRU Düsseldorf, die von der Saison 2004/2005 bis zur Saison 2007/08 in der Oberliga Nordrhein spielte, 2012/13 gelang der Wiederaufstieg in diese Liga, wo auch der SC Düsseldorf-West spielt, der BV 04 Düsseldorf, der seit 1963 regelmäßig zu Ostern ein internationales Junioren-Fußball-Turnier (U19 Champions Trophy) ausrichtet, sowie der VfL Benrath, der 1957 Deutscher Amateurmeister wurde und in den 1930er Jahren die beiden deutschen Nationalspieler Karl Hohmann und Josef Rasselnberg stellte. Eishockey Genauso bekannt wie die Fußballmannschaft von Fortuna ist die Düsseldorfer EG. Als achtfacher Deutscher Meister seit 1967 gehört die DEG zu den erfolgreichsten Clubs in Deutschland. 2006 wurden außerdem erstmals der deutsche Pokalsieg und die Vizemeisterschaft errungen. Erneut wurde die Vizemeisterschaft in der Saison 08/09 geholt. Im Eisstadion an der Brehmstraße, Spielort der DEG von 1935 bis 2006, fanden mehrere europäische Eishockey-Wettbewerbe und Weltmeisterschaftsspiele statt. Seit September 2006 werden die Spiele der DEG im PSD Bank Dome ausgetragen. American Football Der älteste American-Football-Verein Düsseldorfs sind die Düsseldorf Panther, die seit ihrer Gründung 1978 sechsmal die deutsche Meisterschaft der German Football League gewannen, damit bis 2008 über lange Jahre deutscher Rekordmeister waren und als das älteste noch existierende deutsche American-Football-Team gelten. Die Düsseldorf Bulldozer, gegründet 1979, blicken auch auf eine lange Tradition zurück und haben in den Anfangsjahren der deutschen Ligen ebenfalls in den oberen Klassen mitgespielt. Die Mannschaft von Rhein Fire gehörte von 1994 bis zur Auflösung 2007 zu den sportlichen Glanzlichtern Düsseldorfs. Rhein Fire war 2006, wie schon 1999, 2002, 2004 und 2005, Gastgeber des World Bowls und konnte diesen nach fünf Finalteilnahmen auch in den Jahren 1998 und 2000 gewinnen. Im September 2021 wurde unter gleichem Namen ein neues Team vorgestellt, welches ab 2022 in der neuen European League of Football (ELF) antreten wird. Tischtennis Der Tischtennisverein Borussia Düsseldorf war zuletzt 2016 Deutscher Meister und hat neben 28 nationalen Meistertiteln auch 24-mal den deutschen Pokalsieg errungen. Die Borussia holte sechsmal den Europapokal der Landesmeister sowie zweimal den ETTU-Pokal und gewann 2000, 2009, 2010 und 2011 die Champions League im Tischtennis. Hinzu kommt ein 3. Platz bei der ersten Weltmeisterschaft für Vereinsmannschaften. Der 1949 gegründete Lokalkonkurrent TuSa 06 Düsseldorf wurde zwischen 1962 und 1967 fünfmal Deutscher Mannschaftsmeister der Herren sowie von 1964 bis 1966 dreimal in Folge Deutscher Pokalmeister. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Tischtennis-Bundesliga, in der er bis 1971 verblieb. Mit Eberhard Schöler, Jörg Roßkopf, Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll spiel(t)en vier der erfolgreichsten deutschen Tischtennisspieler Jahre lang in Düsseldorf. Außerdem finden in Düsseldorf jedes Jahr die „Kids Open“ statt, das größte Tischtennis-Jugendturnier Europas. Tennis Der erfolgreichste Tennisclub der Stadt sind die Herren des Rochusclubs in der 1. Bundesliga, bei den Damen hingegen erzielt der TC Benrath in der 1. Bundesliga die meisten Erfolge. Die Mannschaftsweltmeisterschaft World Team Cup wurde zwischen 1978 und 2012 jedes Jahr im Mai auf dem Gelände des Düsseldorfer Rochusclubs ausgetragen. Nach dem World Team Cup gab es 2013 und 2014 ein ATP 250 Tennis-Turnier. Trampolinturnen Der TV Unterbach 1905 wurde fünfmal zwischen 1978 und 1984 in der olympischen Disziplin Trampolinturnen deutscher Mannschaftsmeister. Dazu kamen viele Teilnahmen und Titel in den Einzelmeisterschaften auf Deutschland-, Europa- und Weltebene. Zudem stellte der Verein über Jahrzehnte einen Großteil der deutschen Nationalmannschaft und die Leitung der Trampolin-Bundesliga. Der größte Erfolg unter Vereinsbeteiligung gelang der Nationalmannschaft mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1986 in Paris. Internationale Pionierarbeit leistete der Verein mit der Veranstaltung des Unterbach-Cup als erstem und höchststehendem europaweiten Wettkampf für Jugendliche, zuletzt mit weltweiter Beteiligung. Weiter gehört der Turnerbund Hassels 1925 zu den wenigen Sportvereinen, die in Düsseldorf Trampolinturnen anbieten. Tanzsport Das Ehepaar Anneliese und Siegfried Krehn betrieb über Jahrzehnte eine der ersten Tanzschulen in Düsseldorf. In den 1950er und 1960er Jahren errangen sie zahllose vordere Plätze bei Welt-, Europa- und deutschen Meisterschaften, zunächst als Amateure für den Boston Club Düsseldorf, später als Profis. Unter anderem gewannen sie die deutschen Meisterschaften in den Standardtänzen siebenmal in Folge sowie in den lateinamerikanischen Tänzen dreimal in Folge. Außerdem sicherten sie sich in diesen beiden Disziplinen gleichzeitig die Vize-Weltmeistertitel des Jahres 1966. Im Zuge dieser Erfolge standen sie und ihre Tanzschule seit 1962 im Mittelpunkt des ersten Tanzunterrichts im Deutschen Fernsehen. Ebenso gaben das Ehepaar Ernst und Helga Fern 1964–65 Kurse im Deutschen Fernsehen. Deren heute noch existierende Tanzschule hat zudem den Tanzsaal der ehemaligen Tanzschule Krehn an der Grafenberger Allee als zweiten Standort übernommen. Basketball Bekannte Düsseldorfer Basketballteams sind die Düsseldorf Baskets (bis 2012: Gloria Giants Düsseldorf), die in der zweiten Basketball-Bundesliga ProA spielten oder die Düsseldorf Magics (2002 bis 2008), die zuletzt ebenfalls in der ProA-Liga spielten. In den 1980er Jahren war die Mannschaft DJK Agon 08 Düsseldorf im deutschen Basketball der Damen dominierend (neunmal deutscher Meister infolge von 1980 bis 1988, außerdem 1975 sowie in den Jahren 1990 und 1991) und auch in den europäischen Wettbewerben erfolgreich vertreten (zwei Finalteilnahmen 1983 und 1986). Außerdem wurde DJK Agon 08 Düsseldorf noch siebenmal Deutscher Pokalsieger der Damen. Handball und weitere Sportarten TuRU Düsseldorf, der HSV Düsseldorf bzw. die HSG Düsseldorf spielten von 1983 bis 2012 in der 1. und 2. Handball-Bundesliga. Nach dem Zusammenschluss des Neusser HV und ART Düsseldorf existiert seit der Saison 2017/2018 mit der HSG Neuss/Düsseldorf wieder eine Mannschaft, die in der 2. Handball-Bundesliga spielt. Die Mannschaft spielt dort unter dem Namen HC Rhein Vikings. Weitere Sportarten, in denen Düsseldorf mit Mannschaften in den obersten Ligen vertreten ist, sind Hockey (1. und 2. Bundesliga), Lacrosse (1. Bundesliga), Baseball, Tanzsport, Kanusport und Faustball (2. Bundesliga). Internationale Sportereignisse in Düsseldorf Der Sport in Düsseldorf erlebte und erlebt Jahr für Jahr verschiedene Sportveranstaltungen mit bundesweiter und weltweiter Beachtung. Hier wären die bereits erwähnte Mannschaftsweltmeisterschaft im Tennis im Rochusclub, der METRO Group Marathon, der Skilanglauf-Weltcup am Rheinufer, das Jugendfußballturnier des BV 04, das Radrennen Rund um die Kö und der Kö-Lauf zu nennen. Im internationalen Fußball war Düsseldorf mit seinem Rheinstadion Gastgeber mehrerer Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 sowie des Eröffnungs- und mehrerer Gruppenspiele der Fußball-Europameisterschaft 1988. Das Eisstadion an der Brehmstraße war WM-Standort bei den Eishockey-Weltmeisterschaften 1955, 1975 und 1983. 1977 wurde im Rheinstadion der WorldCup, ein Vorläufer der heutigen Leichtathletik-Weltmeisterschaften, ausgetragen. In der Leichtathletik war die Stadt Schauplatz der Crosslauf-Weltmeisterschaften 1977 und ist seit 2006 Gastgeber des Düsseldorfer Indoor-Meetings. Zwischen 2000 und 2003 bewarb sich Düsseldorf auf nationaler Ebene um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012. Im nationalen Vorentscheid wurde Düsseldorf hinter Leipzig und Hamburg Dritter. Am 1. Juli 2017 startete die Tour de France mit einem Einzelzeitfahren in Düsseldorf. Den Grand Depart sahen trotz des schlechten Wetters nach offiziellen Angaben rund 500.000 Zuschauer an der Strecke. Am Tag darauf startete die zweite Etappe in Düsseldorf und endete in Lüttich. Eine Besonderheit der Etappe war, dass diese zuerst nach Osten durch Mettmann und schließlich zurück nach Düsseldorf führte, ehe der Tourtross die Stadt in Richtung Mönchengladbach endgültig verließ. Alleine auf dieser Etappe sollen auf dem Stadtgebiet von Düsseldorf rund 800.000 Zuschauer an der Strecke das Rennen verfolgt haben. Regelmäßige Veranstaltungen Wirtschaft und Infrastruktur Die Rheinmetropole gehört zu den fünf wichtigsten, international stark verflochtenen Wirtschaftszentren Deutschlands. Düsseldorf ist eine Messestadt und Sitz vieler börsennotierter Unternehmen, darunter die im DAX notierten Konzerne Henkel und Rheinmetall. Zudem ist sie der umsatzstärkste deutsche Standort für Wirtschaftsprüfung, Unternehmensberatung und Kleidermode sowie ein wichtiger Finanz- und Börsenplatz. Auch ist sie ein führender Standort des Kunsthandels in Deutschland. Düsseldorf besitzt mehrere Rheinhäfen. Sein Flughafen ist das interkontinentale Drehkreuz Nordrhein-Westfalens. Die Stadt ist des Weiteren Sitz von 22 Hochschulen, darunter die Heinrich-Heine-Universität und die Kunstakademie Düsseldorf. Überregionale Bekanntheit genießt Düsseldorf außerdem durch seine Altstadt („längste Theke der Welt“), seinen Einkaufsboulevard Königsallee („Kö“), den Düsseldorfer Karneval, den Fußballverein Fortuna Düsseldorf und den Eishockeyverein Düsseldorfer EG. Weitere Anziehungspunkte sind zahlreiche Museen und Galerien sowie die Rheinuferpromenade und der moderne Medienhafen. Das Stadtbild wird auch durch zahlreiche Hochhäuser und Kirchtürme, den 240 Meter hohen Rheinturm, viele Baudenkmäler und sieben Rheinbrücken geprägt. Düsseldorf hat eine große Anzahl ostasiatischer Einwohner, darunter die japanische Gemeinde mit über 8400 Einwohnern, welche die größte japanische Gemeinde Deutschlands und die drittgrößte in Europa nach London und Paris ist. In Düsseldorf befindet sich zudem die einzige Japantown in Deutschland. In nationalen und internationalen Städtevergleichen gilt die Lebensqualität in Düsseldorf als hoch. Im sogenannten „Zukunftsatlas“ aus dem Jahr 2016 belegte die kreisfreie Stadt Düsseldorf Platz 21 von 402 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland und zählt damit zu den Orten mit „sehr hohen Zukunftschancen“. In der Rangliste von 2019 verbesserte sie sich auf Platz 12 von 401. Düsseldorf ist eine wirtschaftsstarke, diversifizierte und global intensiv verflochtene Stadt in der Mitte der Metropolregion Rhein-Ruhr, in der sie eine funktionale Primatstellung innehat (vgl. Global City). Unter den Metropolfunktionen überragt der Sektor Entscheidungs- und Kontrollfunktionen alle Kreise und kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen deutlich. In diesem Sektor rangiert Düsseldorf in Deutschland nach München und Berlin und vor Frankfurt am Main an dritter Stelle. Auch hinsichtlich seiner Ferninfrastrukturen und weltweiten Kontakte ist Düsseldorf von überragender Funktion in Nordrhein-Westfalen. Einerseits ist hierfür die zentrale Lage im bevölkerungsreichsten Ballungsraum Deutschlands ausschlaggebend. Andererseits stellen der Flughafen Düsseldorf als viertgrößter Flughafen Deutschlands sowie die Messe Düsseldorf mit 25 internationalen Leitmessen wichtige Faktoren für die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt dar, insbesondere im Hinblick auf ihre internationale Verflechtung. Die starke Stellung des Düsseldorfer Arbeitsmarkts manifestiert sich in dem mit Abstand größten Einpendlerüberschuss unter den Kreisen und kreisfreien Städten Nordrhein-Westfalens (per Saldo +151.387 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte). Das günstige Standortklima für wirtschaftliche Innovation und Unternehmensgründung ist an der relativ hohen Zahl neugegründeter Unternehmen ablesbar. 2009 war Düsseldorf bundesweit die führende Stadt bei Unternehmensneugründungen, geprägt durch Gründungen vor allem im Bereich forschungsintensiver Industrien. 2011 war die Stadt der deutsche Ort mit den meisten Direktinvestitionen aus dem Ausland. Die Zahl der durch Auslandsinvestitionen geschaffenen Stellen lag 2011 dreimal so hoch wie 2010 und innerhalb Deutschlands am höchsten. Damit war Düsseldorf auch nach diesem Parameter der beliebteste Standort für Auslandsinvestitionen in Deutschland. Nach einer Untersuchung des Beratungsunternehmens Ernst & Young war Düsseldorf 2013 – vor London und Paris – der Großraum mit der höchsten Zahl von Direktinvestitionen aus der Volksrepublik China in Europa. 2014 konnte die Region Düsseldorf nach London und vor Paris die meisten ausländischen Direktinvestitionen in Europa verbuchen. Das starke Wachstum chinesischer Investitionen wird einerseits mit den Standortvorteilen erklärt, die die in Nordrhein-Westfalen bestehenden Technikunternehmen, die zentrale Lage in Europa und der Messestandort bieten, andererseits mit der Eigendynamik einer bereits vorhandenen chinesischen Gemeinschaft, die sich einrichtet und engere Netzwerke knüpft. Zu bekannten chinesischen Firmen, die Sitze in Düsseldorf errichtet haben, gehören Huawei Europa, Oppo Europa, Vivo Deutschland und Xiaomi Deutschland. Düsseldorf ist führender Standort in den Wirtschaftszweigen Werbung, europäisches Patentwesen, Telekommunikation, Unternehmensberatung und Kunsthandel sowie Deutschlands „Stadt der Mode“. Mit den Igedo Fashion Fairs und den Collections Premieren Düsseldorf (CPD) fanden sich hier führende Modemessen Europas. Mit dem neuen Format The Gallery Düsseldorf versucht der Messeveranstalter Igedo an frühere Erfolge anzuknüpfen. Über 600 Ausstellungsräume verschiedener Hersteller sowie große Textilhandelsfirmen konzentrieren sich in der Landeshauptstadt, über 1300 in der Agglomeration Düsseldorf. Den räumlichen Schwerpunkt bildet hierbei ein Cluster von Orderbüros rund um die Kaiserswerther Straße im Stadtteil Golzheim. Weiterhin ist Düsseldorf, gemessen am Umsatz, Deutschlands Modestandort Nummer eins: Mit rund 18 Milliarden Euro war der Modeumsatz in Düsseldorf nach einer Untersuchung des Kölner Instituts für Handelsforschung 2013 mehr als doppelt so hoch wie in München und Berlin zusammen. Geschätzt werden Nüchternheit und geschäftliche Effizienz des Modestandorts am Rhein. Die Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt umfasste im Jahre 2011 rund 4.100 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von etwa 7,4 Milliarden Euro, der Anteil der kreativen Klasse an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist nach einer Untersuchung für das Jahr 2008 unter den Kreisen und kreisfreien Städten Nordrhein-Westfalens in Düsseldorf am höchsten. Innerhalb Deutschlands gilt die eng verflochtene Metropolregion Rhein-Ruhr als führendes Zentrum der Kreativwirtschaft. Zahlreiche internationale Firmen haben hier ihren Sitz: L’Oréal Deutschland, Komatsu Mining Germany, Air Liquide Deutschland, Nikon Deutschland, Vodafone Deutschland, die Metro AG, Rheinmetall, Henkel, Tata Steel mit Vallourec & Mannesmann Tubes, E-Plus und Qiagen. Die Mercedes-Benz Group produziert in Düsseldorf die geschlossenen Baureihen des Mercedes-Benz Sprinter sowie für Volkswagen den technisch verwandten Crafter. Zahlreiche Mittelstandsfirmen im Bereich Hochtechnologie, Medizintechnik, Sondermaschinen- und Anlagenbau sowie Antriebs- und Produktionstechnik und Nahrungsmittelsproduktion sind seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Düsseldorfer Industrielandschaft. Dazu gehören unter anderem die Firmen Gerresheimer AG, Demag Cranes AG, Vossloh AG, GEA Group AG, A.u.K. Müller GmbH & Co. KG, Walter Flender Gruppe und Zamek. Die größte japanische Gemeinde in Kontinentaleuropa hat Düsseldorf den Beinamen „Nippon am Rhein“ eingebracht. So befinden sich in Düsseldorf rund 410 japanische Unternehmen. In der Stadt sind allerdings auch Unternehmen aus anderen Ländern in erheblichem Maße aktiv – besonders aus den Niederlanden, aus Großbritannien, Frankreich, Skandinavien und China. Wirtschaftliches Zentrum der japanischen Gemeinde ist die Immermannstraße, die mit ihren verschiedenen japanischen Restaurants, Geschäften und Supermärkten Einheimische und Touristen gleichermaßen anzieht. Seit der Jahrtausendwende hat sich in Düsseldorf zudem eine lebendige Startup-Szene im Bereich der Internetwirtschaft entwickelt, die allerdings mit Städten wie Berlin, Hamburg und München noch nicht konkurriert. Zu den bekanntesten Düsseldorfer Start-up-Unternehmen zählen die Hotelsuchmaschine Trivago und im Bereich der FinTechs Auxmoney. Die wirtschaftliche Stärke Düsseldorfs hat der Stadt zu soliden kommunalen Finanzen mit ausgeglichenen Haushalten seit 1999 verholfen. Im Jahre 2007 war die Stadt als zweite Großstadt Deutschlands schuldenfrei. Als erste deutsche Stadt hat sich Düsseldorf zudem 2005 einer Kreditbewertung unterzogen und wurde hierbei von der Bewertungsagentur Moody’s mit der Note „Aa1“ bewertet, der zweitbesten möglichen Wertung. Die Kreditwürdigkeit Düsseldorfs wurde damit höher eingeschätzt als etwa jene Nordrhein-Westfalens (Note „Aa2“), der Deutschen Bank („Aa3“) oder der Commerzbank („A2“). 2012 betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Düsseldorf 41,5 Milliarden Euro. Das ist ein Anteil von 7,1 Prozent am BIP Nordrhein-Westfalens im Jahr 2012. Das BIP pro Erwerbstätigem in Düsseldorf betrug 2012 82.667 Euro – dies entspricht 125,3 Prozent des Werts in ganz Nordrhein-Westfalen. Im bundesweiten Städtevergleich liegt die Stadt damit zusammen mit Frankfurt am Main an der Spitze in Deutschland. Der Kaufkraftindex für die Landeshauptstadt liegt im langjährigen Vergleich rund 20 Prozent über dem Bundesdurchschnitt (100 Prozent). Trotz der differenzierten Wirtschaft und der guten Rahmenbedingungen liegt die Arbeitslosigkeit seit Jahren höher als im Bundesdurchschnitt, was mit dem Wegfall von über 50.000 Arbeitsplätzen in der Industrie und dem verarbeitenden Gewerbe in den vergangenen 30 Jahren zusammenhängt. 2014 betrugen die Schulden der Stadt 383 Millionen Euro. Die Wirtschafts-, Büro- und Verwaltungsstandorte der Stadt sind mit den stadtplanerischen Zielen der Entlastung der Innenstadt, der Entflechtung des Verkehrs, der Ausnutzung günstigerer Bodenpreise und der Schaffung städtebaulicher Entwicklungsimpulse über das gesamte Stadtgebiet verteilt worden. Neben der Innenstadt gelten folgende Bereiche als die wichtigsten Büro- und Verwaltungsstandorte: Medienhafen/Regierungsviertel Kennedydamm-Golzheim/nördliches Derendorf Oberkassel/Seestern Oberbilk/Internationales Handelszentrum Flughafen/Düsseldorf Airport City Mörsenbroicher Ei und Grafenberger Allee. Der Immobilienstandort Düsseldorf, der innerhalb der Metropolregion Rhein-Ruhr die Spitzenstellung einnimmt, zieht aufgrund seiner Werthaltigkeit sowie aufgrund seiner guten demografischen und wirtschaftlichen Aussichten hochwertige Immobilienentwicklungen und Investitionen an, sowohl im gewerblichen Bereich als auch auf dem Sektor der Wohnimmobilien. Das Beratungsunternehmen bulwiengesa stuft die Stadt aufgrund ihrer Bedeutung für den Immobilienmarkt neben sechs weiteren deutschen Metropolen in die Gruppe der sogenannten „A-Städte“ ein. Nach einer Untersuchung der CBRE gehörte Düsseldorf im ersten Halbjahr 2013 zu den zehn führenden Investmentmärkten für Gewerbeimmobilien in Europa. 2015 überstieg der Gesamtwert von verkauften Gewerbeimmobilien erstmals die Marke von drei Milliarden Euro. Bevölkerungswachstum (vor allem durch Zuzug von Neubürgern) und eine steigende Belegung von Wohnflächen durch Ältere könnten die Wohnflächennachfrage zwischen 2006 und 2025 um insgesamt 3,1 Prozent steigen lassen. Die durch Individualisierung und Metropolisierung geförderte Gentrifizierung, die sich auf dem Wohnungsmarkt stark nachgefragter Stadtteile als Verdrängung einkommensschwacher Milieus durch Neubürger mit höherem Einkommen realisiert, führt in der Stadt zunehmend zu einer wohnungspolitischen Debatte. Der starken Nachfrage nach Wohnungen stehen eine geringe Zahl freier Wohnungen und eine geringe Zahl von Wohnungsneubauten gegenüber, was die Preise für Wohnraum verteuert. Diese vorerst anhaltende Situation führt nach Ansicht von Wohnungsmarktbeobachtern zu einem optimalen wirtschaftlichen Umfeld für renditeträchtige Investitionen, insbesondere für Investitionen in den modern konzipierten, hochwertigen Geschosswohnungsneubau, zumal infolge der geringen Neubautätigkeiten der letzten Jahrzehnte mittlerweile etwa 81 Prozent des Wohnungsbestandes älter als 30 Jahre ist. Gemessen am durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommen der Düsseldorfer liegen die Mietpreise in der Stadt im großstädtischen Vergleich allerdings niedrig. Eine im Oktober 2012 veröffentlichte Untersuchung des Immobilienverbandes Deutschland ergab, in Bezug auf eine Dreizimmermietwohnung mit 70 Quadratmetern in mittlerer Wohnlage als Referenzgröße, dass ein Düsseldorfer Haushalt dafür im Durchschnitt 19,8 Prozent des Einkommens aufwendet, ein durchschnittlicher Berliner Haushalt jedoch 23,0 Prozent. 2013 berichtete die Deutsche Bundesbank, dass die Preisentwicklung auf Wohnungsmärkten in deutschen Großstädten, namentlich auch in Düsseldorf, möglicherweise zu „Übertreibungen“ geführt hätte. Als Folge der Finanz- und Weltwirtschaftskrise überlagerten sich in Düsseldorf in den letzten Jahren mehrere Trends, die bei Wohnimmobilien außergewöhnlich hohe Kauf- und Mietpreisanstiege erzeugten, vor allem in den innerstädtischen Lagen: ein Trend zurück in die Stadt (Reurbanisierung), kommunale Liberalisierungsbestrebungen, negative Realzinsen, die „Flucht“ von Privatanlegern in Sachwerte, schlechte Anlagealternativen für risikoarme Investments institutioneller Investoren und ein gewisses Bevölkerungswachstum. Verkehr Düsseldorf hat eine dichte Verkehrsinfrastruktur. Hierzu trägt besonders die gute Ausstattung mit Anlagen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und des motorisierten Individualverkehrs bei. Außerdem reduzieren die geringere Stadtgröße und die Lage in einer verkehrlich gut ausgebauten polyzentrischen Raumstruktur die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsstaus erheblich. Im Hinblick auf Erreichbarkeitspotenziale im Straßen- und Schienenverkehr wies die Metropolregion Rhein-Ruhr, in deren Zentrum Düsseldorf liegt, 2001 die Spitzenposition der untersuchten Regionen in Nordwesteuropa auf. Dem gegenüber steht beispielsweise ein Vergleich der Unternehmensberatung Arthur D. Little, die Düsseldorf im Hinblick auf die Abstimmung und Vernetzung der ÖPNV-Systeme deutscher Großstädte auf dem letzten Platz sieht. Flugverkehr Der Flughafen Düsseldorf ist gemessen an den Passagierzahlen nach dem Frankfurter Flughafen, dem Flughafen Berlin Brandenburg und dem Flughafen München der viertgrößte internationale Flughafen Deutschlands. Im Jahre 2012 flogen rund 20,8 Millionen Menschen mit 60 verschiedenen Fluggesellschaften von und zu weltweit 200 Zielen in über 50 Ländern. Der Flughafen zeichnet sich durch seine Nähe zum Stadtzentrum sowie zum Messegelände in Stockum, seinen direkten Anschluss an das Autobahnnetz und seiner sehr guten Anbindung an das Eisenbahnnetz aus, weshalb kurze Transferzeiten in das Stadtgebiet und die Region möglich sind. Schiffsverkehr und Häfen Mit dem innenstadtnahen Hafen im gleichnamigen Stadtteil und dem Reisholzer Hafen, dessen Ausbau seit langer Zeit geplant ist, stehen der Rheinschifffahrt im Stadtgebiet zwei Umschlagplätze für Güter zur Verfügung. Über den Rhein, den damit verbundenen Kanälen und dem Main-Donau-Kanal ist Düsseldorf weitreichend an das europäische Binnenwasserstraßennetz – einschließlich Ems, Weser, Elbe, Oder und Donau – und mit wichtigen Seehäfen an der Nordsee und dem Schwarzen Meer verbunden. Für Wassersportler gibt es am Rheinpark Golzheim einen Sport- und Yachthafen. Zwischen der Altstadt und Kaiserswerth verkehren regelmäßig Fahrgastschiffe der Weissen Flotte Düsseldorf, die vor 1993 von der Rheinbahn betrieben wurden. Die Köln-Düsseldorfer Rheinschifffahrts AG (kd) besitzt ebenfalls Anlegestellen im Stadtgebiet. Mit der Rheinfähre Langst–Kaiserswerth und der Fähre zwischen Urdenbach und Zons sind noch zwei Autofähren in Betrieb. Eine dritte Autofähre verkehrte bis zur Eröffnung der Fleher Brücke 1979 zwischen Himmelgeist und Uedesheim. Heute verkehrt hier sonntags bei günstigem Wetter eine Personenfähre mit Mitnahmemöglichkeit von Fahrrädern. Seit einigen Jahren verkehren zwischen der Rheinkirmes und der Altstadt ebenfalls Personenfähren. Städtischer Straßenverkehr Die Bundesstraßen B 1 und B 8 durchqueren das Stadtgebiet in Nord-Süd-Richtung und die Bundesstraße B 7 in Ost-West-Richtung. Einmalig in Deutschland nehmen hier drei einstellige Bundesstraßen einen gemeinsamen Verlauf. Ihren heutigen Verlauf und Charakter verdanken sie der 1957 fertiggestellten Theodor-Heuss-Brücke, ringförmig um die Innenstadt verlaufender Straßen zwischen dem Nord- und Südfriedhof, die zum sogenannten Lastring ausgebaut wurden, der neuen B 8 zwischen Golzheim und dem Autobahnkreuz Duisburg-Süd, die Danziger Straße heißt, und dem seit 15. Dezember 1993 in Betrieb befindlichen Rheinufertunnel. Die B 228 verbindet Benrath mit Hilden, Haan und Wuppertal. Heute dienen alle Bundesstraßen im Stadtgebiet in erster Linie dem städtischen Durchgangsverkehr und dem Verkehr zu und von den Autobahnen, die außerhalb des Stadtgebietes die Rolle der Bundesstraßen im Fernstraßennetz übernommen haben. Bis auf die B 7 und B 228 nach Wuppertal endet deshalb die Kennzeichnung der Bundesstraßen noch im Stadtgebiet oder kurz dahinter. Ein Beispiel ist die ehemalige B 8 zwischen Wersten und Hellerhof und weiter bis Opladen. Parallel zu ihr verläuft mit der Münchener und Frankfurter Straße eine vierspurige Kraftfahrstraße zwischen Bilk und Garath. Mit ihrem Bau wurde schon in den 1960er Jahren begonnen um den sich vervielfachenden Autoverkehr in die stark wachsenden oder neuen Stadtteile im Düsseldorfer Süden bewältigen zu können. Die Verkehrsplanung nach dem Zweiten Weltkrieg prägte zunächst Friedrich Tamms, ein Verfechter der autogerechten Stadt. Neben einigen der schon genannten Bauprojekte, der Rheinkniebrücke und der Oberkasseler Brücke plante er eine dritte leistungsfähige Nord-Süd-Verkehrsachse zwischen Golzheim und Wersten. Die Berliner Allee und die sich nördlich anschließende Hochstraße – auch Tausendfüßler genannt, im April 2013 abgerissen und durch Tunnelbauwerke unter dem Kö-Bogen ersetzt – waren die zentralen Vorhaben auf dieser Achse und wurden zwischen 1954 und 1962 gebaut. Autobahnen Die A 3 zwischen Frankfurt am Main und Oberhausen verläuft östlich außerhalb des Stadtgebietes und war bis Ende der 1960er Jahre die nächstgelegene Autobahn. Ihr erstes Teilstück zwischen Mettmann und Köln-Mülheim wurde bereits 1936 freigegeben. Erreichbar war sie zunächst nur über die heutige B 7. Der Nördliche Zubringer entstand von 1950 bis 1960 mit dem Neu- und Ausbau der B 1 zwischen dem heutigen Mörsenbroicher Ei und Kreuz Breitscheid zur Kraftfahrstraße. Der Südliche Zubringer – eine als B 326 gekennzeichnete Kraftfahrstraße zwischen Wersten und dem heutigen Kreuz Hilden – kam 1956 hinzu. Die A 57 zwischen Köln und Nimwegen ist die zweite Nord-Süd-Verbindung in Reichweite der Stadt, existiert seit 1986, das Teilstück zwischen Neuss und Köln bereits seit 1966 (ab 1970 Autobahn) und war zunächst nur über die heutige Josef-Kardinal-Frings-Brücke erreichbar. Die A 52 ist im Großraum Düsseldorf in zwei Abschnitte geteilt. Das nördliche Teilstück zwischen der Anschlussstelle Düsseldorf-Rath und dem Dreieck Essen-Ost entspricht bis zum Kreuz Breitscheid dem Nördlichen Zubringer, der 1971 zur Autobahn hochgestuft wurde. Das westliche Teilstück erstreckt sich heute zwischen der Anschlussstelle Büderich und Roermond, ist die Fortsetzung der B 7 in westlicher Richtung und bindet die Stadt über das Kaarster Kreuz an die A 57 an. Der erste Abschnitt bis zum Kreuz Neersen wurde 1971 freigegeben und 1973 zur Autobahn hochgestuft. Die A 59 zwischen dem Dreieck Düsseldorf-Süd und Kreuz Leverkusen-West verläuft parallel zur A 3, entlastet diese, bindet aber auch Monheim, Langenfeld und Leverkusen besser an Düsseldorf an und wurde zwischen 1968 und 1973 gebaut. Die A 46 zwischen Heinsberg und dem Kreuz Wuppertal-Nord tangiert die Innenstadt südlich, bindet die Heinrich-Heine-Universität an das Autobahnnetz an und stellt seit 1986 eine lückenlose Querverbindung zwischen der A 3, A 59 und A 57 her. Teilstücke wurden 1979 nach Fertigstellung der Fleher Brücke und 1983 mit der Eröffnung des Universitätstunnels freigegeben. Bereits 1972 wurde der Südliche Zubringer zur Autobahn hochgestuft. Die A 44 zwischen Aachen und Velbert verläuft durch die nördlichen Stadtteile und stellt seit der Eröffnung der Flughafenbrücke 2002 eine lückenlose Querverbindung zwischen der A 3, A 52 und A 57 her. Der direkte Anschluss der Messe, ESPRIT arena und des Flughafens an das Autobahnnetz erfolgte bereits 1992, als ein wichtiges Teilstück der A 44 mit Anschluss an die A 52 im Kreuz Düsseldorf-Nord freigegeben wurde. Die zuletzt gebauten Autobahnen A 44 und A 46 sind im Großraum Düsseldorf die einzigen überregionalen Autobahnen in Ost-West-Richtung. Sie durchqueren das Stadtgebiet ganz, weshalb sie die übrigen Rheinbrücken und städtischen Durchgangsstraßen entlasten aber auch vier Autobahntunnel gebaut werden mussten. Zusammen mit der A 3 und der A 57 bilden sie seit 2002 den Autobahnring Düsseldorf. Fahrverbote Am 13. September 2016 wurde die Bezirksregierung Düsseldorf vom Verwaltungsgericht Düsseldorf dazu verurteilt, den seit Anfang 2013 geltenden Luftreinhalteplan so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwertes für Stickstoffdioxid (NO2) enthält. Die staatliche Pflicht zum Schutz der Gesundheit fordere eine schnellstmögliche Einhaltung des Grenzwertes. Dem werde der aktuelle Luftreinhalteplan angesichts des großen Verursachungsanteils von Dieselfahrzeugen nicht mehr gerecht: Er müsse daher binnen eines Jahres fortgeschrieben werden. In diesem Rahmen müssten insbesondere auch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ernstlich geprüft und abgewogen werden. Eisenbahnverkehr Durch das Stadtgebiet führen die Bahnstrecken Köln–Duisburg (mit ICE und EC/IC-Verkehr) Mönchengladbach–Düsseldorf, Düsseldorf–Wuppertal, Düsseldorf–Essen (nur S-Bahn-Verkehr), Düsseldorf–Solingen (nur S-Bahn-Verkehr), Düsseldorf–Mettmann (nur S-Bahn-Verkehr) und Troisdorf–Mülheim-Speldorf (nur Güterverkehr) Im Hauptbahnhof – dem zentralen und seit 1891 an seinem heutigen Standort gelegenen Fernbahnhof – sind diese Bahnstrecken bis auf die Güterbahnstrecke miteinander, mit der Stadtbahn und dem übrigen öffentlichen Personennahverkehr verknüpft. Auf der Bahnstrecke Köln–Duisburg in der Nähe des Flughafens liegt der Bahnhof Düsseldorf Flughafen, an dem außer den Zügen einer S-Bahn- und aller sieben Regional-Express-Linien auch ein Teil der hier verkehrenden ICE- und EC/IC-Züge halten. Die knapp 2,5 Kilometer entfernten Terminals erreichen Passagiere und Besucher des Flughafens mittels des SkyTrains. Dort existiert über den unterirdischen Kopfbahnhof Düsseldorf-Flughafen Terminal eine zweite Anbindung des Flughafens an das Schienennetz, über die eine zweite S-Bahnlinie ganztägig verkehrt und nachts einzelne Fahrten mehrerer Regional-Express- und weiterer S-Bahn-Linien verlängert werden. Ebenfalls an der Bahnstrecke Köln–Duisburg aber im Süden Düsseldorfs liegt der Regionalbahnhof Düsseldorf-Benrath, an dem zwei Regional-Express-Linien und eine S-Bahn-Linie ganztägig halten. Hervorzuheben ist auch der an der Bahnstrecke Mönchengladbach–Düsseldorf liegende Bahnhof Düsseldorf-Bilk, der eine stark frequentierte Umstiegshaltestelle zwischen drei S-Bahn-Linien, den auf der Wehrhahn-Linie verkehrenden Stadtbahnen und den Busverbindungen zur Heinrich-Heine-Universität ist und in den nächsten Jahren zum Regionalbahnhof ausgebaut wird. Einschließlich der vorgenannten Bahnhöfe liegen im Stadtgebiet 25 S-Bahn-Stationen. Im Eisenbahngüterverkehr ist Düsseldorf jedoch nach Stilllegung und Abbruch seines Rangierbahnhofes Düsseldorf-Derendorf kein Eisenbahnknoten mehr, der größte Güterbahnhof des gesamten Düsseldorfer Eisenbahnkomplexes ist heute im Bahnhof des benachbarten Neuss. Öffentlicher Personennahverkehr Düsseldorf verfügt über ein dichtes Netz an S-Bahn-, Stadtbahn-, Straßenbahn- und Stadtbus-Linien, das Teil des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) ist. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) im Stadtgebiet wird durch die Rheinbahn, die Regiobahn und verschiedenen Unternehmen im Schienenpersonennahverkehr betrieben. Alle Linien können mit Tickets des VRR genutzt werden. Über dessen Tarifgebiet hinaus gilt der NRW-Tarif und bei Fahrten in den Großraum Köln auch der Tarif des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg (VRS). Ein Straßenbahnnetz wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgebaut, zunächst mit Wagen, die von Pferden über die Gleise gezogen wurden, ab 1896 dann elektrisch. Dieses Bahnnetz umfasste auch Überlandstrecken nach Krefeld (K-Bahn) und Duisburg (D-Bahn) sowie von Benrath nach Solingen-Ohligs. Die Verbindungen nach Krefeld und Duisburg bestehen bis heute als Stadtbahnlinien U70 und U76 (Krefeld) sowie U79 (Duisburg). Weitere ortsübergreifende Linien bestehen nach Neuss und Ratingen. Mit dem sukzessiven Ausbau des Stadtbahnnetzes verkleinerte sich das Straßenbahnnetz von 19 (1981) auf sieben (2018) Linien und auf eine Streckenlänge von 70,2 Kilometern. Die Stadtbahn Düsseldorf umfasst derzeit elf Linien. Sieben von ihnen verlaufen durch den 1988 eröffneten Innenstadttunnel zwischen U-Bahnhof Heinrich-Heine-Allee und dem Hauptbahnhof. Eine weitere Tunnelstrecke für vier neue Stadtbahnlinien, die Wehrhahn-Linie, wurde am 20. Februar 2016 eröffnet. Der U-Bahnhof Heinrich-Heine-Allee ist der zentrale Umstiegspunkt zwischen allen Stadtbahnlinien. Alle Tunnelstrecken haben oberirdische Zulaufstrecken, die nur teilweise mit unabhängigen oder besonderen Bahnkörpern ausgestattet sind. Seit 1924 verkehren auch Linienbusse in Düsseldorf. Neben Stadtbuslinien innerhalb des Stadtgebietes stellten Regionalbusse Verbindungen zu anderen Städten her, insbesondere nachdem der Betrieb auf einigen Überlandstraßenbahn-Linien eingestellt wurde. Inzwischen hat die Rheinbahn ihre Linie nach Jülich eingestellt und weitere Linien nach Essen, Velbert, Solingen, Leichlingen, Opladen und Moers verkürzt. Heute bestehen noch Verbindungen nach Mülheim an der Ruhr, Mettmann, Erkrath, Solingen-Ohligs, Langenfeld und Monheim; nach Haan fahren inzwischen sogar Schnellbusse. Heute verkehren im Stadtgebiet 42 Stadtbus- und sieben Schnellbuslinien. Buslinien sind auch ein wesentlicher Bestandteil des Nachtverkehrs in den Nächten von Freitag auf Samstag, Samstag auf Sonntag sowie in den Nächten auf Feiertage. Acht NachtExpress-Linien verkehren zwischen 0:00 und 5:00 Uhr im 30- oder 60-Minuten-Takt. Am 20. August 2018 wurde der Betrieb auf drei Metrobuslinien aufgenommen. Die erste S-Bahn-Linie außerhalb der Großräume Berlin und Hamburg wurde 1967 zwischen Garath und Ratingen eröffnet. Es folgten der Anschluss des Flughafens an das S-Bahnnetz 1975 mit der Eröffnung des Bahnhofs unter dem Terminal, die Inbetriebnahme der S8 – auch Ost-West-S-Bahn genannt – zwischen den Hauptbahnhöfen von Hagen und Mönchengladbach am 29. Mai 1988 und der S28 zwischen Kaarst und Mettmann am 26. September 1999. Nach Verlängerungen weiterer Linien verkehren im Stadtgebiet heute sieben S-Bahn-Linien. Fahrrad- und Fußgängerverkehr Düsseldorf ist an einige nationale und internationale Fernradwege angeschlossen, u. a. an den Rheinradweg. Seit dem Jahr 2008 verfügt die Innenstadt Düsseldorfs über ein Fahrradverleihsystem mit Netzcharakter, das auch für Einwegfahrten geeignet ist. Betreiber ist das Unternehmen nextbike. 2011 stehen 400 Mieträder an 58 markierten Stationen im Stadtgebiet zur Verfügung. Pedelecs werden an der Fahrradstation am Hauptbahnhof verliehen. Die Stadt Düsseldorf ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen, von der sie 2007 das Prädikat „fahrradfreundliche Stadt“ verliehen bekommen hat, auch wenn das Radwegenetz nach Ansicht vieler Bürger noch als sehr lückenhaft angesehen wird. Düsseldorf ist die einzige Stadt in Deutschland, deren Lichtsignalanlagen für Fußgänger über eine separate Gelbphase verfügen. Hier wird das Gelbsignal durch einen rechteckigen gelben Balken gekennzeichnet. Während dieser Zeit haben die Fußgänger die Möglichkeit, die Kreuzung zu räumen, ohne – wie in anderen Städten – gegen Rot laufen zu müssen. Unmittelbar nachdem das Fußgängersignal von Gelb auf Rot wechselt, wird die Freigabe für den Querverkehr sofort eingeleitet. Auch vor der Grünphase gibt es für Fußgänger eine kurze Rot-Gelb-Phase von weniger als einer Sekunde Dauer. Vor vielen Lichtsignalanlagen für den motorisierten Verkehr sind zusätzliche Lichtzeichenanlagen vorzufinden, die den Kraftverkehr mittels abwechselnd blinkender Gelbphase vor roten Lichtsignalanlagen warnt. Lichtsignalanlagen in Düsseldorf sind zu einem erheblichen Teil bereits auf Leuchtdiodentechnik umgestellt, was gegenüber Glühlampen niedrigeren Wartungsaufwand, deutlichere Erkennbarkeit und auch einen geringeren Energieverbrauch gewährleisten soll. In Düsseldorf dürfen Call-a-Bike-Mietfahrräder seit 2020 nicht weiter im öffentlichen Straßenraum, etwa auf Gehwegen, abgestellt werden. Die Stadt Düsseldorf hatte dem Betreiber per Ordnungsverfügung aufgegeben, die komplette Flotte aus dem öffentlichen Straßenraum zu entfernen und das Abstellen der Fahrräder in Zukunft zu unterlassen. Technik, Industrie und verarbeitendes Gewerbe Düsseldorfs stürmische Entwicklung zur Großstadt wurde durch die Ansiedlung von Industriebetrieben im 19. Jahrhundert vorangetrieben. Noch heute ist die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt eine industriell geprägte Stadt. Die 1129 Betriebe des verarbeitenden Gewerbes (ohne Baugewerbe und Energie- und Wasserversorgung) erwirtschafteten 2005 etwa 29 Prozent des steuerbaren Umsatzes aller Unternehmen in der Stadt und damit nur etwas weniger als der Handel (etwa 32 Prozent), aber deutlich mehr als das Dienstleistungsgewerbe (etwa 9 Prozent). Allerdings ist die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Während die Düsseldorfer Industriebetriebe 1979 noch 90.000 Arbeitsplätze boten, ist die Beschäftigtenzahl in diesem Bereich bis 2006 auf nur noch 38.791 im Jahresmittel zurückgegangen mit fallender Tendenz. Der größte und bekannteste Düsseldorfer Industriebetrieb ist der Henkel-Konzern, ein Chemieunternehmen, das Wasch- und Reinigungsmittel, Kosmetik und Körperpflegeprodukte sowie Klebstoffe, Dichtstoffe und Produkte für die Oberflächentechnik herstellt und bis heute im Stadtteil Reisholz produziert. Im Bereich Kosmetik und Hygienemittel sind in Düsseldorf die L’Oréal Deutschland GmbH, die Marbert AG sowie die Hakle-Kimberly Deutschland GmbH (Kimberly-Clark Corporation) tätig. Im Bereich Medizintechnik und Pharma ist die Firma Gerresheimer AG ansässig, ein MDAX-notiertes, weltweit tätiges Unternehmen für Hochleistungsgläser und biokompatible Kunststoffprodukte. Das metallverarbeitende Gewerbe hat eine lange Tradition. Das bekannteste Unternehmen aus diesem Bereich war Mannesmann, das nach seiner Zerschlagung in Teilen in Düsseldorf weiter produziert, darunter die Vallourec & Mannesmann Tubes (Stahlröhren). Ebenfalls bekannt ist der Rheinmetall-Konzern, der größte rein deutsche Waffenproduzent mit Sitz in Düsseldorf-Derendorf. Weitere metallverarbeitende Unternehmen sind Schmolz + Bickenbach (Edelstahl-Langprodukte) und Hille & Müller GmbH. Seit 2011 hat die GEA Group AG, ein international tätiges Unternehmen im Bereich des Spezialmaschinenbaus, ihren Sitz in Düsseldorf. Im Bereich Fahrzeugtechnik, Verkehr und Transport ist der größte Betrieb das Werk von Mercedes-Benz Vans in Derendorf, in dem Mercedes-Benz Sprinter und VW Crafter (2006–2016) montiert werden bzw. wurden sowie für die US-amerikanische Mercedes-Marke Freightliner CKD-Bausätze zusammengestellt werden. Demag Cranes produziert in Benrath Hafen-, Terminal- und Eisenbahnkräne sowie automatisch gesteuerte Transportfahrzeuge und entwickelt dazugehörige Management- und Navigationssoftware. Benachbart stellt die Komatsu Mining Germany GmbH Großhydraulik- und Minenhydraulikbagger her. Demag Cranes und Komatsu Mining Germany verbindet der gemeinsame Ursprung aus der Carlshütte AG. Weiterhin stellt die Vossloh Kiepe GmbH Steuerungs- und Antriebstechnik für Straßenbahnen und Oberleitungsbusse sowie Hybridantriebe und Spezialfahrzeuge her. Die Walther Flender Gruppe produziert Antriebs- und Fördertechnik. Aus der Vergangenheit sind die Schiess AG und die DUEWAG erwähnenswert. Die Papierindustrie ist in der Stadt durch die Firmen Julius Schulte Söhne GmbH & Co. und den Stora-Enso-Konzern (ehemals Feldmühle) vertreten, der bis 2008 einen Produktionsstandort in Reisholz betrieb und heute seine Deutschlandzentrale in Düsseldorf unterhält. Guschky & Tönnesmann GmbH & Co. KG stellen Ausrüstungen für die Papier- und Verpackungsindustrie her. Aus dem Bereich Nahrungsmittel sind Zamek Nahrungsmittel GmbH & Co. KG, die Teekanne GmbH, die Düsseldorfer Löwensenf GmbH sowie BASF Personal Care and Nutrition und die Fortin Mühlenwerke bekannt. Das traditionelle Düsseldorfer Altbier wird heute – außer in Hausbrauereien – jedoch nicht mehr in großen Brauereianlagen gebraut. Die großen Brauereistandorte in Derendorf und Heerdt sind stattdessen heute Konversionsflächen. Des Weiteren ist mit der Deutschen Tiernahrung Cremer ist Deutschlands größter Mischfutterhersteller in Düsseldorf beheimatet. Weitere bekannte Betriebe sind die SMS Siemag, die Hütten- und Walzwerkstechnik herstellt, die TELBA AG im Bereich Telekommunikations- und Sicherheitstechnik, die behr Labor-Technik GmbH, die A.u.K. Müller GmbH & Co. KG, ein Unternehmen für Magnetventile, die MHG Strahlanlagen GmbH sowie die Carborundum-Dilumit Schleiftechnik GmbH (ehemals Carbo Group), die Schleifscheiben fertigt. Finanz- und Versicherungswirtschaft Der Finanzplatz Düsseldorf gehört neben Frankfurt am Main, München und Stuttgart zu den größten Deutschlands. Außerdem ist Düsseldorf eine wichtige traditionsreiche deutsche Börsenstadt (Börse Düsseldorf). Als Bankenstandort mit nationaler und internationaler Bedeutung sind in Düsseldorf 83 Kreditinstitute mit einer Filiale oder ihrer Zentrale vertreten. Dazu zählt das traditionsreiche Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt, die NRW.Bank, Deutsche Apotheker- und Ärztebank, Deutsche Industriebank (IKB), DZ Bank, Helaba, Targobank, Sparda-Bank West, PSD-Bank Rhein Ruhr, Stadtsparkasse Düsseldorf, aber auch viele Auslandsbanken wie BBVA, Wells Fargo und Crédit Mutuel. Die japanischen Großbanken MUFG Bank, Mizuho Bank und Sumitomo Mitsui Banking Corporation haben ihre Deutschlandzentrale allesamt in Düsseldorf. Der Bankenverband Nordrhein-Westfalen und der Rheinische Sparkassen- und Giroverband haben ihren Sitz in Düsseldorf. Der Genossenschaftsverband hat in der Stadt einen Verwaltungssitz. Schließlich ist Düsseldorf Sitz einiger großer Versicherungen wie ERGO-Versicherungsgruppe, ARAG-Konzern, Provinzial Rheinland und Deutsche Rück. Zwei bekannte Unternehmen aus der Finanztechnologie sind Auxmoney und Compeon und befinden sich in Düsseldorf. Im Bereich Wirtschaftsprüfung ist Düsseldorf ein bedeutender Standort. Die großen, global tätigen Wirtschaftsprüfungsunternehmen PwC, KPMG, Deloitte und Ernst & Young unterhalten größere Standorte in der Landeshauptstadt. Warth & Klein Grant Thornton hat seinen deutschen Hauptsitz in Düsseldorf. Im Bereich der Unternehmensberatungen unterhält McKinsey seinen deutschen Hauptsitz in Düsseldorf, ebenso sind unter anderem Accenture, Boston Consulting Group, Kienbaum und Bain & Company in Düsseldorf vertreten. Insgesamt sind etwa 880 Wirtschaftsprüfungen mit rund 9900 Beschäftigten in Düsseldorf tätig. Als Standort für Anwaltssozietäten vor allem mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsrecht ist Düsseldorf einer der bundesweit bedeutendsten Standorte. Unter anderem Hengeler Mueller, Freshfield Bruckhaus Deringer, Clifford Chance und White & Case unterhalten Kanzleien in Düsseldorf. Taylor Wessing hat seinen Hauptsitz in Düsseldorf. Insgesamt unterhalten etwa 1300 Kanzleien einen Standort in Düsseldorf und beschäftigen etwa 6000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigts. Außerdem gilt Düsseldorf als wichtigster Gerichtsstandort für europäische Patentstreitigkeiten. Handel und Dienstleistungsgewerbe Mit der Metro-Gruppe und ihrer Tochter Metro Cash & Carry sitzt einer der größten Handelskonzerne der Welt in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. Weiterhin befinden sich die Zentralen von Bekleidungshäusern wie Peek & Cloppenburg Düsseldorf (P&C) sowie C&A im Stadtgebiet. Als Standort des Modehandels und durch die Messen igedo und CPD konnte die Stadt den Ruf einer Modestadt erwerben. Einen Schwerpunkt der städtischen Wirtschaftsstruktur bilden mit rund 1500 Unternehmen und 24.000 Beschäftigten die Wirtschaftszweige der Informations- und Kommunikationstechnik, darin besonders der Mobilfunkbereich. Mehr als die Hälfte des deutschen Mobiltelefon- und SIM-Karten-Absatzes wird von Düsseldorf aus gesteuert. Die Vodafone GmbH als Nachfolgerin von Mannesmann Mobilfunk hat hier ihren Sitz, bis 2014 ferner E-Plus. Vodafone hat darüber hinaus seine Deutschland- und seine Europazentrale im Vodafone-Campus im linksrheinischen Düsseldorf-Heerdt angesiedelt. Im Jahre 2008 hat das chinesische Telekommunikationsunternehmen Huawei seine europäische Zentrale von London nach Düsseldorf verlegt. Hier baut das Unternehmen seine Europazentrale und ein Forschungs- und Entwicklungszentrum für die Bedürfnisse seiner europäischen Kunden auf. Bereits 2005 hatte der ebenfalls chinesische Telekommunikationsausrüster ZTE Deutschland GmbH sein Hauptquartier in Düsseldorf errichtet. Das schwedische Telekommunikationsunternehmen Ericsson tat dies für sein Deutschlandgeschäft bereits 1955. Auch haben die Uniper SE sowie mehrere ihrer Tochterunternehmen ihren Hauptsitz in Düsseldorf. Weitere Energieversorger im Stadtgebiet sind die Stadtwerke Düsseldorf und die Naturstrom AG. Mister Minit, eines der größten Franchiseunternehmen Deutschlands, hat seine Servicezentrale seit 2011 im Düsseldorfer Norden. Medien In Düsseldorf befinden sich Studios der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Westdeutscher Rundfunk (WDR-Studio Düsseldorf) und Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF-Landesstudio Düsseldorf). Aus Düsseldorf kommen außerdem die Programme von NRW.TV und QVC. Ehemals in Düsseldorf ansässig waren von 1998 bis 2006 NBC GIGA, von 1995 bis zu seiner Einstellung 1998 Nickelodeon sowie von 1996 bis zu seiner Einstellung 1998 Der Wetterkanal. Außerdem wurde aus der Landeshauptstadt bis Ende 2003 ein deutsches Programmfenster auf dem Nachrichtensender CNN produziert. Die ehemals in Düsseldorf ansässige Deutsche Fernsehnachrichten Agentur (DFA) produzierte unter anderem für NBC GIGA, Der Wetterkanal, CNN D und für NRW.TV. Die DFA, einst Vorzeigeunternehmen des Düsseldorfer Medienhafens, hat ihren Standort in der Landeshauptstadt aufgegeben. Seit 2006 produziert das in Düsseldorf ansässige center.tv lokale Nachrichten und Ereignisse für den Großraum Düsseldorf/Neuss. Des Weiteren befinden sich in Düsseldorf diverse unabhängige Filmproduktionsfirmen, wie zum Beispiel die Public Vision TV OHG und Busse & Halberschmidt. Ebenso hat die Nachrichtenagentur ISQ.networks Press Agency mit 24.000 Beschäftigten weltweit ihre globale Zentrale im GAP 15 am Graf-Adolf-Platz. Das Unternehmen verfügt zwar über mehr als 100 Studios weltweit, in Düsseldorf selbst ist jedoch kein Studio vorhanden. Der landesweite TV-Lernsender NRWision bündelt in seiner Mediathek Fernsehsendungen über Düsseldorf bzw. von Fernsehmachern aus Düsseldorf. Die Stadt ist auch Sitz des 1990 gegründeten Verbands der Betriebsgesellschaften in Nordrhein-Westfalen e. V. (BGNRW), der die Interessen von 43 Betriebsgesellschaften des nordrhein-westfälischen Lokalfunks vertritt. Der Verband ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) mit Sitz in München. In Düsseldorf ist die private Rundfunkstation Antenne Düsseldorf mit Rahmenprogramm von Radio NRW ansässig. Hörfunk für die Düsseldorfer Hochschulen macht hochschulradio düsseldorf, ein Campusradio mit eigener 24-Stunden-Frequenz. Als Tageszeitungen erscheinen in Düsseldorf die Westdeutsche Zeitung, die Rheinische Post, eine Lokalausgabe des Express sowie von der in Essen erscheinenden Neuen Rhein/Neue Ruhr-Zeitung. Die Regionalseiten in Die Welt Kompakt erschienen letztmals am 28. August 2015. Als bedeutende überregionale Veröffentlichungen sind das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche und die mittlerweile eingestellte Junge Karriere zu nennen. Wöchentlich erscheinen außerdem das Düsseldorfer Amtsblatt und die Anzeigenblätter Düsseldorfer Anzeiger und Rheinbote. Zudem ist die Stadt der Sitz des bundesweit erscheinenden Magazins Wirtschaftsblatt. Düsseldorf ist zudem der umsatzstärkste Werbestandort der Bundesrepublik. Neben den Riesen BBDO, Grey, Ogilvy & Mather, Havas und Publicis hat eine Vielzahl kleiner Agenturen ihren Sitz oder eine deutsche Niederlassung in Düsseldorf. Informationstechnik und Datenverkehr Düsseldorf gehört zu den führenden Informationstechnikstandorten (IT) in Deutschland. Die IT-Infrastruktur der Stadt verfügt über internationale und regionale Internetknoten. Seit Oktober 2011 steht in Düsseldorf das LTE-Mobilfunknetz zur Verfügung. Am 9. Januar 2012 startete der Probebetrieb für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in Düsseldorf. Die Firma Wall GmbH bietet an 55 Standorten in Düsseldorf kostenloses WLAN an und Freifunk bietet über 200 Hotspots an. Unitymedia unterhält über 20 WLAN-Hotspots. Einzelhandel Düsseldorf hat sich als vielseitiger Standort für Einkaufszentren und Geschäfte unterschiedlichster Art und Größe entwickelt. Die Gesamtverkaufsfläche im Stadtgebiet wird seitens der Stadtverwaltung mit 834.215 Quadratmetern angegeben und liegt damit bezogen auf das Verhältnis von Verkaufsfläche zu Einwohnern höher als in München und niedriger als in Frankfurt am Main. Insbesondere im Bereich der Mode hat die Stadt – nicht zuletzt begünstigt durch die Modemessen und die ansässigen Handelsunternehmen P&C und C&A – eine Vorreiterrolle, beim Textileinzelhandel ist sie deutschlandweit führend. Auch im Segment der Luxusbekleidung ist Düsseldorf führend. Die „Kö“ ist laut Jones Lang LaSalle nach wie vor Deutschlands meistbesuchte Luxusmeile. Im Jahr 2012 stellte Jones Lang LaSalle in einer Untersuchung fest, dass die „Kö“ ihren Vorsprung nochmals ausbauen konnte. Mit 5.935 (2011: 5.800) Passanten pro Stunde liegt sie weit vor der Stiftstraße in Stuttgart (2.310 Passanten) sowie der Goethestraße in Frankfurt am Main (1.520 Passanten). Die Düsseldorfer Schadowstraße ist die europaweit umsatzstärkste Einkaufsmeile. Durch den Bau einer neuen U-Bahn-Linie, der Wehrhahn-Linie, ist es jedoch zu einem Rückgang der Besucherzahlen gekommen, da die Straße abschnittsweise gesperrt ist und der Zugang zu den Geschäften dadurch eingeschränkt wird. Dennoch behält die Schadowstraße ihr Merkmal als umsatzstärkste Einkaufsstraße Europas. Einkaufszentren Neben den klassischen Einkaufsstraßen wie der sehr bekannten Königsallee („Kö“), der Schadowstraße und der Flinger Straße verfügt Düsseldorf über mehrere Einkaufszentren, die teilweise an die Einkaufsstraßen angrenzen. Die Flinger Straße, die in der günstigen bis mittleren Preiskategorie liegt, gehört mit 10.150 Passanten pro Stunde erstmals zu den zehn meistbesuchten Einkaufsstraßen in Deutschland. Auf der Königsallee sind dies vor allem das Kö-Center an der nördlichen Allee, die Kö-Galerie in der Nähe der Kreuzung mit der Steinstraße mit Zu- und Durchgang zur Stadtsparkasse auf der Berliner Allee und das Sevens Center zwischen der Kreuzung mit der Steinstraße und der Kö-Galerie. In Nähe zur Königsallee befinden sich zudem die Schadow-Arkaden im Block Schadow-, Blumenstraße und Martin-Luther-Platz. In weniger belebten Teilen der Innenstadt sind ebenfalls Einkaufszentren vorzufinden, insbesondere das Stilwerk auf der Grünstraße und die Düsseldorf Arcaden am Bilker Bahnhof, die auch das Stadtteilzentrum, ein öffentliches Schwimmbad und eine Zweigstelle der Stadtbüchereien Düsseldorf beheimaten. Außerhalb der Innenstadt gibt es weitere Einkaufszentren wie etwa das Einkaufszentrum Westfalenstraße an der gleichnamigen Straße in Rath, das im Frühjahr 2010 neu eröffnete B8 Center in Flingern und für die sowohl für Reisende als auch andere Besucher konzipierten AirportArkaden im Flughafen Düsseldorf. Öffentliche Einrichtungen Einrichtungen und Körperschaften des öffentlichen Rechts: Düsseldorf entwickelte sich vor allem in der preußischen Ära im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einem wichtigen Verwaltungssitz. Die Ansiedlung des Oberlandesgericht Düsseldorf förderte diese Entwicklung besonders. Neben dem Oberlandesgericht beherbergt Düsseldorf zahlreiche weitere Gerichte, so das Amts- und das Landgericht Düsseldorf, das Sozialgericht Düsseldorf, das Finanzgericht Düsseldorf, das Verwaltungsgericht Düsseldorf, das Arbeitsgericht Düsseldorf und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Durch die Gerichte in Düsseldorf wurden Entscheidungen von bundesweiter Bedeutung getroffen. Im Bereich patentrechtlicher Gerichtsverfahren haben die Zivilgerichte Düsseldorfs mittlerweile eine internationale Bedeutung erlangt. Die Deutsche Rentenversicherung Rheinland (ehemals LVA Rheinprovinz) hat seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert ihren Sitz in Düsseldorf. Ferner besteht ein regionaler Standort der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). Als direkte Folge der Verwaltungsansiedlung durch Preußen wurde das Regierungspräsidium für den Niederrhein und das Bergische Land bei der Neuordnung Preußens im 19. Jahrhundert in Düsseldorf angesiedelt. Noch heute hat die Bezirksregierung Düsseldorf hier ihren Sitz. Bis vor wenigen Jahren war ebenso die Oberfinanzdirektion Rheinland seit der preußischen Herrschaft über das Rheinland in Düsseldorf ansässig. Die Handwerkskammer Düsseldorf umfasst als Kammerbezirk den Regierungsbezirk Düsseldorf und hat dort ebenfalls ihren Sitz. Den Kammerbezirk der Industrie- und Handelskammer zu Düsseldorf (IHK Düsseldorf) bilden die Stadt Düsseldorf und der Kreis Mettmann, die früher den Landkreis Düsseldorf-Mettmann bildeten. Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, die größte Einrichtung dieser Art in Deutschland, betreut von der Landeshauptstadt aus die Architekten und Stadtplaner des Landes. Die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf vertritt die Interessen von 11.403 Rechtsanwälten im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Sie ist somit die sechstgrößte von 28 Rechtsanwaltskammern in Deutschland. Der Preußische Provinziallandtag für das Rheinland nahm ebenfalls in Düsseldorf, im Ständehaus, seinen Sitz, ebenso die Evangelische Kirche im Rheinland. Durch Entscheidung der Militärregierung der britischen Besatzungszone wurde Düsseldorf im Jahre 1946 zum Regierungssitz des Landes Nordrhein-Westfalen bestimmt. Die Stadt führt seither die offizielle, gleichwohl rechtlich nicht normierte Bezeichnung Landeshauptstadt. Der Landtag, die Staatskanzlei, alle Landesministerien und der Landesrechnungshof sind in Düsseldorf angesiedelt; über die letzten Jahrzehnte hat sich im Bereich der Rheinkniebrücke auf dem rechten Rheinufer ein Regierungsviertel herausgebildet. Dort getroffene Richtungsentscheidungen gelten als Indikatoren für die Entwicklungen in Deutschland. Nordrhein-westfälischen Regierungsbildungen und Regierungskrisen kommen Signalwirkungen für die Bundespolitik zu. Sonstige zentrale Einrichtungen Düsseldorf galt in der Bonner Republik als Stadt der Verbände. So war der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lange Zeit in Düsseldorf ansässig. Heute sind die wichtige Verbände mit Hauptsitz in Düsseldorf: der Rheinische Sparkassen- und Giroverband der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen der Verein Deutscher Ingenieure VDI der Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte bdvb das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland. Auch zahlreiche kleinere Verbände haben ihren Sitz in Düsseldorf, beispielsweise der Deutsche Verband für Schweißen und verwandte Verfahren (DVS), der Architekten- und Ingenieurverein Düsseldorf, der Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen und der Verband türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa. Bildung und Forschung Düsseldorf hat als langjährige bergische Residenzstadt und späterer Verwaltungssitz in der Rheinprovinz Preußens neben repräsentativen Verpflichtungen auch stets zentralörtliche Funktionen erfüllt. Die erste Lateinschule wurde im 14. Jahrhundert erwähnt. 1545 wurde das älteste Gymnasium, dessen Tradition bis heute besteht, gegründet. Für die Ausbildung von Künstlern war Düsseldorf seit dem 18. Jahrhundert ein bedeutender Akademiestandort. Die Franziskaner boten ab 1673 theologische Kurse in Düsseldorf an. Ab 1728 wurden in Düsseldorf Kurse in Philosophie und Theologie angeboten, die als Bestandteile eines Studiums gewertet werden konnten, eine juristische Akademie erhielt 1755 die kurfürstliche Bestätigung zur Ausbildung höherer Beamter, 1747 entstand das Collegio anatomico-chirurgicum zur Ausbildung von Militär- und Wundärzten. Ab 1779 mussten höhere Beamte der Landesverwaltung mindestens zwei Jahre in Düsseldorf Rechtswesen studiert haben. Aufgrund der Nähe des Ruhrgebietes wurde 1917 Düsseldorf zum Sitz des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Eisenforschung, des heutigen Max-Planck-Instituts für Eisenforschung. Eine medizinische Akademie kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts hinzu. Dennoch wurde Düsseldorf erst 1965 Universitätsstadt. 1964 trat die Stadt dem Institut zur Erlangung der Hochschulreife für Handwerker, Facharbeiter und andere Berufstätige mit abgeschlossener Ausbildung e. V. bei und ist seitdem Träger des Wilhelm-Heinrich-Riehl-Kollegs. In Düsseldorf befinden sich folgende wissenschaftlich-akademischen Einrichtungen: Heinrich-Heine-Universität, deren umfangreiches Fächerspektrum von fünf Fakultäten angeboten wird: Es sind dies die Medizinische Fakultät, die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, die Philosophische Fakultät, die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät sowie die Juristische Fakultät. Die heutige Universität wurde 1907 als Akademie für praktische Medizin gegründet und 1965 zur Universität erhoben. 1980 nahm sie die Abteilung Neuss der Pädagogischen Hochschule Rheinland auf. Ihren heutigen Namen trägt sie seit 1988. Hochschule Düsseldorf mit ihrem technischen und ökonomischen Fächerkanon, 1971 aus verschiedenen Ausbildungsstätten als Fachhochschule Düsseldorf gegründet Kunstakademie Düsseldorf, 1773 gegründet, seit dem 19. Jahrhundert eine der bedeutendsten Ausbildungsstätten ihrer Art Hochschulstudienzentrum der FOM Hochschule Düsseldorf Business School, mit der Heinrich-Heine-Universität verbunden Robert-Schumann-Hochschule, die auf das 1935 gegründete Robert-Schumann-Konservatorium sowie die Staatliche Hochschule für Musik Rheinland zurückgeht und 1987 eine selbstständige Hochschule wurde Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH im Stadtteil Düsseltal, das dort im Zuge der Ansiedlung der Stahlindustrie gegründet wurde Deutsche Diabetes-Zentrum, das zur Leibniz-Gemeinschaft gehört und dessen Aufgaben sowohl die klinische Betreuung von Diabetikern als auch Forschung zum Diabetes mellitus umfassen, 1973 gegründet Düsseldorfer Akademie für Marketing-Kommunikation EBC Hochschule, private Fachhochschule mit wirtschaftswissenschaftlicher Ausrichtung Design Department Düsseldorf (Akademie für Mode und Kommunikation), seit 2008 Fliedner Fachhochschule Düsseldorf in Kaiserswerth, seit Oktober 2011 IST-Hochschule für Management, 2013 gegründet AMD Akademie Mode & Design, private Hochschule für Design, Mode, Kommunikation und branchenspezifisches Management, Studienzentrum WHU – Otto Beisheim School of Management, seit 2013 Zweitcampus in Düsseldorf (Hauptsitz in Vallendar) Internationale Musikakademie Anton Rubinstein, gegründet 2002 Im Bereich der Stiftungen, die Bildung und Forschung fördern, genießt die in Düsseldorf ansässige Gerda-Henkel-Stiftung einen besonderen Ruf. Grundschulen und allgemeinbildende Schulen In Düsseldorf gibt es 110 Grundschulen, 14 Hauptschulen, 13 Realschulen und 21 Gymnasien. Weiterhin gibt es 8 Gesamt- und Waldorfschulen sowie 6 ausländische Schulen und das Wilhelm-Heinrich-Riehl-Kolleg als Institution der Erwachsenenbildung. Einen Schwerpunkt hat die Stadt Düsseldorf auf die Qualität der Schulgebäude gelegt. So wurde im Jahr 2000 eine Immobilienfirma beauftragt, die Mängel sämtlicher Schulgebäude zu erfassen und einen Plan für deren Beseitigung zu erstellen. Statt der bis dahin jährlichen Investitionen von weniger als fünf Millionen Euro wurde ein Bedarf von 35 Millionen Euro pro Jahr diagnostiziert. Daraufhin wurde ein Masterplan „Schule“ beschlossen, mit dem in den Jahren 2002 bis 2020 insgesamt 600 Millionen Euro investiert werden sollten. Deutschlandweit einzigartig ist die nachhaltige musikalische Breitenförderung durch die vom Städtischen Musikverein initiierte SingPause an mehr als der Hälfte der Düsseldorfer Grundschulen. Kindertagesstätten und Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren Durch Beschluss des Stadtrates sind die Düsseldorfer Kindertagesstätten für alle Kinder ab drei Jahren beitragsfrei, während in Nordrhein-Westfalen regulär nur das letzte Kindergartenjahr beitragsfrei gestellt ist. Bei der Quote von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren liegt Düsseldorf an der Spitze der Großstädte in Nordrhein-Westfalen mit 38,4 Prozent zu Beginn des Jahres 2013. Damit liegt die Betreuungsquote in Düsseldorf bereits vor Inkrafttretens des im Kinderförderungsgesetz verankerten Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz zum 1. August 2013 über dem Ziel der Landesregierung von 32 Prozent. Dennoch strebt die Stadt zeitnah eine Betreuungsquote von 50 Prozent und mittelfristig von 60 Prozent an. Persönlichkeiten Ehrungen Die Stadt Düsseldorf vergibt neben dem Ehrenbürgerrecht noch andere Ehrungen und Auszeichnungen. Seit 1972 wird im dreijährigen, seit 1981 im zweijährigen Abstand der Heinrich-Heine-Preis an „Persönlichkeiten, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte der Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnisse von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten“. Vorgänger des Preises war der Immermann-Preis. Der Helmut-Käutner-Preis ist eine zweijährlich vergebene Auszeichnung, die an Persönlichkeiten verliehen wird, die „durch ihr Schaffen die Entwicklung der deutschen Filmkultur nachdrücklich unterstützt und beeinflusst, ihr Verständnis gefördert und zu ihrer Anerkennung beigetragen haben“. Die Stadt Düsseldorf vergibt seit 1972 jährlich sieben Förderpreise für herausragende künstlerische Leistungen an Künstler der bildenden Kunst, der darstellenden Kunst, der Musik und der Literatur. Zudem unterstützt sie die Künstler in ihrer weiteren Entwicklung. Der Förderpreis für Literatur der Landeshauptstadt Düsseldorf wird an Künstler und Gruppen, insbesondere der Bereiche Dichtung, Schriftstellerei, Kritik und Übersetzung vergeben. Der Förderpreis wird sowohl für eine einzige künstlerische Leistung als auch für die bisherige Gesamtleistung eines jungen Künstlers verliehen, deren bzw. dessen weitere Entwicklung eine Förderung verdient. Der Kunstpreis der Landeshauptstadt Düsseldorf ist eine jährliche vergebene Auszeichnung an einen Bildenden Künstler, dessen Werk „richtungsweisend für die Entwicklung der Gegenwartskunst“ ist. Weitere Auszeichnungen sind der Große Ehrenring, der Jan-Wellem-Ring und die Verdienstplakette. Siehe auch Literatur Stadtgeografie und Wirtschaft Harald Frater (Hrsg.) u. a.: Der Düsseldorf Atlas. Emons, Köln 2004, ISBN 3-89705-355-1. Friedrich-Wilhelm Henning: Düsseldorf und seine Wirtschaft, Zur Geschichte einer Region. Droste, Düsseldorf 1981, In zwei Bänden, ISBN 3-7700-0595-3. Landeshauptstadt Düsseldorf: Statistisches Jahrbuch 2007, 105. Jahrgang. Amt für Statistik und Wahlen, Düsseldorf 2008, o. ISBN. Geschichte Michael Brockerhoff: Die Stadt der Ringe: Düsseldorfs Geschichte neu ausgegraben. Verlag Greven, Köln 2016, ISBN 978-3-7743-0668-4. Michael Brockerhoff: Düsseldorf wie es war. Droste Verlag, Düsseldorf 2018, ISBN 978-3-7700-2095-9. Fritz Dross: Kleine Düsseldorfer Stadtgeschichte. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2007. Festschrift zum 600jährigen Jubiläum. Düsseldorfer Geschichtsverein. Druck und Verlag C. Kraus, Düsseldorf 1888, (). Filmschätze Düsseldorf Video-Dokumentation 20er–80er Jahre, Verlag Rheinische Post 2009. Erich Keyser (Hrsg.): Rheinisches Städtebuch. Band 3,3. Teilband aus: Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte. Im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft der historischen Kommissionen und mit Unterstützung des Deutschen Städtetages, des Deutschen Städtebundes und des Deutschen Gemeindetages. Kohlhammer, Stuttgart 1956. Maik Kopleck (Hrsg.), Alexander Scherer: PastFinder Düsseldorf. PastFinder-Verlag, Hongkong 2008, ISBN 978-988-99780-5-1. Friedrich Lau: Geschichte der Stadt Düsseldorf. Bagel, Düsseldorf 1921 in zwei Bänden, Nachdruck aus dem Stadtarchiv von 1980. Marcel Lesaar: Luftangriff auf Düsseldorf und Neuss. Books on Demand, Norderstedt, ISBN 978-3-7460-9779-4. Hugo Weidenhaupt (Hrsg.): Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf. Triltsch-Verlag, Düsseldorf 1979, 1983, ISBN 3-7998-0000-X. Hugo Weidenhaupt (Hrsg.): Düsseldorf Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert. Band 1: Von der ersten Besiedlung zur frühneuzeitlichen Stadt (bis 1614). Schwann 1988, ISBN 3-491-34221-X. Hugo Weidenhaupt (Hrsg.): Düsseldorf Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert. Band 2: Von der Residenzstadt zur Beamtenstadt (1614–1900). Schwann 1988, ISBN 3-491-34222-8. Hugo Weidenhaupt (Hrsg.): Düsseldorf Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert. Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20. Jahrhundert). Schwann 1989, ISBN 3-491-34223-6. Hugo Weidenhaupt (Hrsg.): Düsseldorf Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert. Band 4: Zeittafel und Register. Schwann 1990, ISBN 3-491-34224-4. Architektur und Kunst Marcus Schwier: Düsseldorf. Grupello Verlag 2018, ISBN 978-3-89978-304-9. Roland Kanz und Jürgen Wiener (Hrsg.): Architekturführer Düsseldorf. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001, ISBN 978-3-496-01232-0. Paul Ernst Wentz: Architekturführer Düsseldorf. Ein Führer zu 95 ausgewählten Bauten. Droste Verlag, Düsseldorf 1975, ISBN 3-7700-0408-6. Joachim Erwin (Hrsg.): Pläne Projekte Bauten Architektur und Städtebau in Düsseldorf 2000 bis 2015. Braun, Berlin 2007, ISBN 978-3-938780-00-8. Rolf Purpar: Kunststadt Düsseldorf – Objekte und Denkmäler im Stadtbild. Grupello, Düsseldorf 2009, ISBN 3-89978-044-2. Rolf Purpar: Düsseldorf. Vista Point, Köln 2005, ISBN 3-88973-679-3. Sonja Schürmann: Düsseldorf. Eine moderne Landeshauptstadt mit 700jähriger Geschichte und Kultur. DuMont, 2. Auflage. Köln 1989, ISBN 3-7701-1787-5. Ewald Grothe: Vom Katholikentag zum Fest der Generationen. Die Geschichte des Landeshauses und der Villa Horion 1909 bis 2009, Düsseldorf 2009, ISBN 978-3-00-027862-4. Manfred Becker-Huberti (Hrsg.): Düsseldorfer Kirchen – Die katholischen Kirchen im Stadtdekanat Düsseldorf. J.P. Bachem-Verlag, Köln 2009, ISBN 978-3-89978-044-4. Wolfgang Funken: Ars Publica Düsseldorf; Geschichte der Kunstwerke und kulturellen Zeichen im öffentlichen Raum der Landeshauptstadt. Klartext Verlagsges. m.b.H., 2012, 3 Bände, ISBN 978-3-8375-0873-4, ISBN 978-3-8375-0874-1 und ISBN 978-3-8375-0875-8. Paul Clemen: Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Düsseldorf. Verlag: Forgotten Books, London 2019, ISBN 978-0-282-07430-2. Sonstiges Udo Achten u. a.: Düsseldorf zu Fuß. 19 Stadtrundgänge durch Geschichte und Gegenwart. Klartext, Essen 2009, ISBN 978-3-89861-564-8. Oswald Gerhard, Wilhelm Kleeblatt: Düsseldorfer Sagen aus Stadt und Land. Verlag der Goethe-Buchhandlung Düsseldorf, Düsseldorf 1982. Christine Krieb: CityTrip Düsseldorf. 3., neu bearbeitete und aktualisierte Auflag. Reise Know-How, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8317-2734-6. (Mit kostenloser Web-App und Faltplänen 1:8.000 und 1:25.000) Annette Krus-Bonazza: Düsseldorf. Michael Müller, Erlangen 2015, ISBN 978-3-95654-039-4. (Stadtführer mit Farbfotos und herausnehmbarer Karte 1:15.000) Landeshauptstadt Düsseldorf (Hrsg.): 125 Jahre Berufsfeuerwehr Düsseldorf. Düsseldorf 1997. Heinz Stolz: Düsseldorf – ein Haus- und Lesebuch. Schwann, Düsseldorf 1959. Rudi vom Endt: Düsseldorf – So wie es war …. Droste Verlag, Düsseldorf 1962, ISBN 3-7700-0075-7, S. 20. Weblinks Webpräsenz der Landeshauptstadt Düsseldorf Webpräsenz der Düsseldorf Marketing & Tourismus GmbH Düsseldorf auf stadtpanoramen.de Portal zur Düsseldorfer Geschichte unter Mitarbeit von 23 Archiven und Instituten Anmerkungen Einzelnachweise Abgekürzt zitiert sind: Ort in Nordrhein-Westfalen Kreisfreie Stadt in Nordrhein-Westfalen Deutsche Landeshauptstadt Ort mit Binnenhafen Deutsche Universitätsstadt Ort am Niederrhein Ehemalige Kreisstadt in Nordrhein-Westfalen Ehemalige Hauptstadt (Deutschland) Rheinland Stadtrechtsverleihung 1288
1178
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei
Datei
Eine Datei () ist in der Informationstechnologie die Zusammenfassung gleichartiger digitaler Daten, die zum Speichern auf Datenträgern oder Speichermedien, zur Wiedergabe, zum Bearbeiten und zur Datenübertragung dient und durch einen Dateinamen identifiziert wird. Etymologie Das Wort „Datei“ ist nicht erst durch die Informationstechnologie entstanden, sondern war auch bereits zuvor bekannt. Dem Duden zufolge ist die Datei ein „nach zweckmäßigen Kriterien geordneter, zur Aufbewahrung geeigneter Bestand an sachlich zusammengehörenden Belegen oder anderen Dokumenten.“ Das Wort „Datei“ ist ein Kunstwort aus Daten und Kartei, weil eine Kartei vergleichbar aus Karteikarten mit einheitlicher Inhaltsstruktur besteht. Der deutsche Begriff „Datei“ ist deutlich enger gefasst als die englische Übersetzung (), welche oft auch eine (Papier-)Akte, eine (Papier-)Kartei oder einen Karteikasten beschreibt. Gegebenenfalls ist eine Präzisierung auf oder notwendig. Allgemeines In der Informationstechnologie ist die Datei eine Menge zusammengehöriger Informationen, die in einem Computer oder auf einem Datenträger unter einem Dateinamen so gespeichert sind, dass sie von einem Betriebssystem oder einem geeigneten Computerprogramm erschlossen werden können. Es handelt sich um die Zusammenfassung gleichartiger Daten zum Zweck der gemeinsamen Handhabung. Die Datei wird oft in Datensätze unterteilt, um die Übersicht zu erhalten. Arten Nach dem Verwendungszweck kann unterschieden werden zwischen: Eine Arbeitsdatei nimmt Daten von einem Datenverarbeitungsprozess entgegen und übergibt sie an einen anderen Prozess; eine Ausgabedatei enthält Ausgabedaten; Auslagerungsdatei: verschiedene Betriebssysteme verwenden im Rahmen ihrer Speicherverwaltung eine Auslagerungsdatei, um Prozessen einen größeren Adressraum zur Verfügung stellen zu können als durch den physisch vorhandenen Arbeitsspeicher eigentlich möglich wäre. Die Bewegungsdatei enthält Primärdaten (Bewegungsdaten); ein Dateianhang ist die einer E-Mail beigefügte Datei. Gerätedatei: ermöglicht eine einfache Kommunikation zwischen Userspace (zum Beispiel gewöhnliche Anwenderprogramme) und dem Kernel und damit letztlich der Hardware eines Computers. Programmdatei: enthält Programmbefehle zur Verarbeitung von Daten. Die Stammdatei enthält Stammdaten. Temporäre Dateien werden vom Betriebssystem oder von anderen Programmen verwendet und dienen zur zeitlich begrenzten Speicherung von Daten. Versteckte Datei: Wird in einem Betriebssystem bei bestimmten Anwendungen ausgeblendet und ist für den Nutzer nicht sichtbar. Nach der Ausführbarkeit wird unterschieden zwischen ausführbaren Dateien: Programme in Maschinensprache, Programme in Skriptsprachen, Programme in einem Zwischencode (Bytecode); nicht ausführbaren Dateien: Programme im Quelltext, Audiodateien, Bilddateien, Datenbankdateien, Dateiverknüpfungen, Grafikdateien, Textdateien, Videodateien, allgemein: Binärdateien (z. B. von proprietären Programmen zur Datenspeicherung verwendet). Wegen des unterschiedlichen Inhalts und der technisch unterschiedlichen Wiedergabe weisen diese Dateien verschiedene Dateiformate auf. Moderne Dateisysteme unterstützen auch sogenannte Sparse-Dateien: Nur mit Daten gefüllte Abschnitte einer (großen) Datei werden tatsächlich gespeichert; die dazwischen liegenden „freien Bereiche“ werden nicht gespeichert und als „mit Null-Bytes gefüllt“ angenommen/bewertet. Manche Dateisysteme bieten ferner an, Dateien transparent zu komprimieren oder zu verschlüsseln („transparent“: Das lesende/bearbeitende Programm kann die Datei normal verwenden, als ob die Datei nicht komprimiert/verschlüsselt wäre – es „sieht durch diesen Vorgang ungestört hindurch“). Möglichkeiten, das Dateiformat zu kennzeichnen, beinhalten eine Kennzeichnung durch das Dateisystem (beispielsweise ein Ausführbarkeits-Flag) eine Kennzeichnung innerhalb der Daten (beispielsweise <?xml version="1.0" am Anfang, siehe auch MIME-Typ, Magische Zahl) eine Kennzeichnung im Dateinamen bzw. als Dateinamenserweiterung (beispielsweise .jpg, .txt) Speicherung in bestimmten Verzeichnissen (beispielsweise /usr/share/doc) eine Resource Fork und andere Metainformationen (beispielsweise beim klassischen Mac OS) Eine solche Kennzeichnung ist teilweise obligatorisch, teilweise dient sie lediglich der Orientierung des Benutzers. Oft fehlen Kennzeichnungen jeder Art; für solche Situationen gibt es spezielle Programme, die den Typ einer Datei zu bestimmen versuchen. Im Unix-Umfeld ist dafür z. B. der Befehl file sehr verbreitet. Technische Aspekte In der elektronischen Datenverarbeitung ist die Datei eine Menge von Datensätzen mit identischem oder kompatiblen Datenformat, die innerhalb eines Datenspeichers fixiert und nach einem Ordnungsmerkmal geordnet sind. Mit dem Begriff „Datei“ wird auch ausgedrückt, dass sich die Datenbestände auf einem maschinenlesbaren Datenträger befinden. Dateiinhalt Der Inhalt jeder Datei ist zunächst eine eindimensionale Aneinanderreihung von Bits, die normalerweise in Datenblöcken zusammengefasst interpretiert werden. Erst der Anwender einer Datei bzw. ein Anwendungsprogramm oder das Betriebssystem selbst interpretieren diese Bit- oder Bytefolge beispielsweise als ein ausführbares Programm, ein Bild einen Text oder eine Tonaufzeichnung. Eine Datei besitzt also ein Dateiformat. Dateiformate Die vom Nutzer angelegten Dateien lassen sich im Hinblick auf die gespeicherten Inhalte wie folgt einteilen: Das Anwendungsprogramm identifiziert den jeweiligen Dateityp an der Dateiendung, die hinter dem Dateinamen von diesem durch einen Punkt getrennt ist. An der Dateiendung lässt sich für den Nutzer meist erkennen, welche digitalen Daten gespeichert sind und für welches Programm sie angelegt wurde. Dateiendungen .bat (Batch-Datei) oder .sys (Systemdatei) dienen dem Betrieb eines Computers und werden direkt vom Betriebssystem geladen und ausgeführt. Aufbau Eine Datei setzt sich allgemein zusammen aus dem Dateikopf und dem eigentlichen Dateiinhalt. Im Dateikopf () befinden sich gegebenenfalls Metadaten (insbesondere Steuerinformationen und Eigenschaften) über die enthaltenen Daten. Dateimanager Dateien werden von einem Dateimanager eines Betriebssystems verwaltet. Es handelt sich um ein Computerprogramm, mit dem Dateien und Verzeichnisse verwaltet werden können. In grafischen Dateimanagern wie Finder, Windows-Explorer, Nautilus oder Dolphin werden Dateien gewöhnlich als Liste oder Symbole auf einem Arbeitsblatt (Fenster, Ordner u. a.) dargestellt. Dateiverknüpfung Eine Dateiverknüpfung ist eine Verknüpfung, die auf eine andere Datei oder ein Verzeichnis verweist. Dateinutzung Speichern Das Speichern einer Datei geschieht mit Hilfe eines Datenspeichers, der ein bestimmtes Dateiformat unterstützt. Dazu wird das Menü „Speichern“ ausgewählt, das für die Speicherung sorgt. Moderne Betriebssysteme ordnen über das Dateiformat Anwendungen zu, welche die Dateien interpretieren können. Die Speicherung kann auf einem Datenträger oder der Festplatte erfolgen. Wiedergabe Die Wiedergabe kann entweder auf einem Computer oder durch spezifische, vom Dateiformat abhängige Wiedergabegeräte erfolgen. Datenübertragung Die Datenübertragung über das Internet (durch Download bzw. Upload) ist für den Laien kompliziert, zumal die Prozesse im Hintergrund ablaufen. Das Transmission Control Protocol (TCP) zerlegt eine zu versendende Datei in einzelne kleinere Datenpakete und versendet diese getrennt voneinander über das Internet. Dabei kann ein Datenpaket verschiedene Knotenpunkte im Internet (wie Hostrechner, Server) durchlaufen, weil an jedem Knotenpunkt der optimale Weg für das Paket neu bestimmt wird. Da unterwegs die ursprüngliche Reihenfolge nicht eingehalten werden muss, hat das TCP auch die Aufgabe, die ursprüngliche Reihenfolge beim empfangenden Endgerät wiederherzustellen. Das Internet Protocol (IP) regelt die korrekte Adressierung der Datenpakete, damit die im Internet angeschlossenen Computer eindeutig identifiziert werden können. Die Datenübertragung der digitalen Daten beginnt mit dem Upload beim Absender und endet mit dem Download beim Empfänger. Datenkompression Bei großen Datenmengen ist eine Datenkompression möglich, um den Speicherplatz zu minimieren. Dateikonverter Dateikonverter dienen dazu, eine Datei in ein anderes Dateiformat umzuwandeln als dem Ursprungsformat. Dateisysteme Dateien werden in den meisten Betriebssystemen über Dateisysteme verwaltet. Ein Dateisystem verwaltet das Speichermedium, indem in Listen vermerkt wird, welche Bereiche des Mediums durch welche Dateien belegt sind, welche Bereiche frei sind, sowie oft Protokolle zu geplanten und/oder abgeschlossenen Änderungen. Obwohl eine Aufgabe des Dateisystems darin besteht, vom konkreten Speichermedium zu abstrahieren („alle gleich zu behandeln“), sind doch viele Dateisysteme an die üblichen technischen Eigenschaften der Speichermedien angepasst (z. B. Blockgröße 512 Byte für Festplatten). Für die meisten Dateisysteme ist 1 Byte die kleinste Verwaltungseinheit, d. h., die Länge des Dateiinhalt-Bitstroms muss auf ganze Bytes aufgehen (wobei im Allgemeinen auch 0 Byte = 0 Bit erlaubt sind). Das Dateisystem verwaltet neben Verzeichnissen mit Dateinamen und -speicherort fast immer noch weitere Dateiattribute. Zu diesen gehören häufig der Dateityp (Verzeichnis, normale Datei, spezielle Datei), die Dateigröße (Anzahl der Bytes in der Datei), Schreib- und Leserechte, Zeitstempel („Datum“, der Erzeugung, des letzten Zugriffs und der letzten Änderung) sowie gegebenenfalls noch andere Informationen. Eine Datei kann in vielen Dateisystemen durch ein Attribut als versteckte Datei gekennzeichnet werden. Die in Dateinamen verwendbaren Zeichen sind abhängig von Dateisystem, Betriebssystem und gegebenenfalls Sprachoptionen. Beispielsweise dürfen bei Unix-kompatiblen Dateisystemen in einem Dateinamen kein Schrägstrich / und kein Nullzeichen stehen. Bei anderen Betriebssystemen sind wiederum unterschiedliche Zeichen im Dateinamen nicht erlaubt. Oft ist das jedoch keine Einschränkung des „physischen“ Dateisystems, da bei Verwendung desselben Dateisystems auf einem anderen Betriebssystem diese Zeichen normal gespeichert werden können. Der Zugriff auf derartige Dateien ist dann wegen des unzulässigen Dateinamens auf dem jeweils anderen Betriebssystem üblicherweise nicht möglich, wodurch auch keine Möglichkeit besteht, die Datei umzubenennen oder zu löschen. Auch können die Zeichen unterschiedlich codiert sein, sodass das Betriebssystem auch verwendeten Zeichensatz für die Dateinamen unterstützen muss, um diese richtig anzuzeigen. Unicode wird von vielen historischen Betriebssystemen und manchen damit verbundenen Dateisystemen nicht unterstützt. Ferner ist die Länge des Dateinamens z. B. bei Unix-artigen Systemen auf 255 Zeichen begrenzt. Derartige Begrenzungen finden sich sowohl in den Strukturen des Dateisystems als auch im Betriebssystem selbst, das diese verarbeitet. Zusätzlich dazu haben Betriebssysteme auch ein Limit für den gesamten Dateipfad inklusive Dateinamen – ist dieser unterschiedlich von einem Betriebssystem zum anderen, kann beim Datenaustausch der Zugriff auf Dateien in zu langen Pfaden scheitern. Bedeutung und Nutzung Dateien ermöglichen einen einfachen Austausch der Daten mit anderen Programmen, Prozessen oder anderen Nutzern. Alternative Methoden zu Datenablage und -austausch sind Datenbanken und zunehmend auch cloudbasierte Speicher, die die Daten meist ebenfalls als Dateien verwalten. Bei Anwendungsprogrammen werden oft Dateien automatisch beim Start eingelesen (z. B. Voreinstellungen, Konfiguration) und/oder der Nutzer wählt explizit eine zu „ladende“ Datei. Beispielsweise kann ein Text unter einem Namen (der „Dateiname“) in einem Datei-Verwaltungssystem („Dateisystem“) auf einem Datenträger abgelegt sein und durch ein Textverarbeitungsprogramm nach dem Laden durch den Benutzer bearbeitet werden. Wenn der Benutzer den Befehl zur Speicherung auslöst, werden die Daten (hier der Text) in der Datei auf dem Speichermedium aktualisiert und die alte Version damit überschrieben. Mitunter bieten Programme weitere Möglichkeiten im Umgang mit Dateien: Das „Speichern als“ dient der Speicherung unter neuem Namen, auf anderem Datenträger oder in einem anderen Dateiformat; Datenverlust kann ggf. vermieden werden durch regelmäßige automatische Zwischenspeicherung; Warnung beim Beenden des Programms ohne vorheriges Speichern der Daten; regelmäßiges automatisches Speichern jeglicher Änderungen in der Cloud; gleichzeitiges Bearbeiten der Datei mit anderen Benutzern. Mitunter können auch Metadaten in der Datei selbst einem Datenverlust vorbeugen. Eine Datei besitzt eine innere Struktur sowie externe Attribute bzgl. ihrer Speicherung. Die innere Struktur – das Datenformat – wird meist allein von dem Programm kontrolliert, welches diese Datei speichert und bearbeitet. Die externen Attribute sind vor allem ein Name, der auch der Verwaltung der Ablage dient, sowie allgemeine Attribute für Dateien beliebigen Typs; diese werden meist von dem Dateisystem als Teil des Betriebssystems kontrolliert. Dateien machen Daten leicht kopierbar und transportabel. Hiermit wird ein Datenaustausch möglich, der unabhängig von den eigentlichen Programmen zur Bearbeitung der Daten ist. Siehe auch Liste von Dateinamenserweiterungen Weblinks Einzelnachweise Betriebssystemtheorie Informationstechnik Kofferwort Planung und Organisation
1179
https://de.wikipedia.org/wiki/Dateimanager
Dateimanager
Ein Dateimanager () ist ein Computerprogramm zum Verwalten von Inhalten auf Dateisystemen, die sich auf unterschiedlichen Speichermedien befinden können. Neben der übersichtlichen Darstellung in Form einer (oft grafischen) Benutzerschnittstelle zählen das Auflisten, das Umbenennen und Verschieben, das Kopieren und das Löschen von Dateien und Verzeichnissen zu den Grundfunktionen. Gängig ist auch die Möglichkeit zur Bearbeitung von Metadaten unterstützter Dateisysteme wie beispielsweise Dateiattribute, Dateiberechtigungen und Verknüpfung. Geschichte Anders als im Server-Umfeld, in dem teils heute noch textbasierte Shells vorzufinden sind, entstand auf Personal Computern schon früh eine grafische Bedienoberfläche (, kurz “GUI”), in der die Aufgabe des Dateimanagements ein spezielles Programm übernahm: der Dateimanager. Anfang der 1980er Jahre findet man einfache Dateimanager beim Xerox Star oder bei der Apple Lisa. Weil diese Systeme für damalige Verhältnisse teuer waren, setzten sie sich nicht durch. Erst Mitte der 1990er Jahre findet sich der Dateimanager als Teil des Standardrepertoires fast aller Desktop-Betriebssysteme. Bis dahin gab es einige meist textbasierte Dateimanager für die meistverbreiteten Betriebssysteme, etwa den Norton Commander unter DOS. In aktuellen Betriebssystemen für PCs und Notebooks ist immer ein Dateimanager enthalten. Auch gibt es eine Vielzahl an Dateimanagern von Drittanbietern für alle gängigen Betriebssysteme, die dem enthaltenen Dateimanager meist in einigen Punkten überlegen sind. Außer auf PCs findet man sie jedoch auch auf PDAs, eingebetteten Systemen (wie Routern oder Firewalls), Satellitenreceivern und Smartphones, obwohl sie auf vielen dieser Systeme meist nachinstalliert werden müssen. Der Grund hierfür ist einerseits die Computer-Sicherheit, andererseits wünscht der Hersteller eines solchen Geräts oft nicht, dass ein Anwender direkt am Dateisystem arbeitet. Funktionen Zu den möglichen Funktionen eines grafischen Dateimanagers gehören eine Registernavigation, das Kopieren und Verschieben von Dateien durch Drag and Drop und Kopieren oder Ausschneiden und Einfügen. Während einer Dateiübertragung könnten Statistiken angezeigt werden wie die gesamte und verbleibende Anzahl an Dateien und Datenmenge, Fortschritt in Prozent, Fortschrittsbalken, und Übertragungsgeschwindigkeit als Zahl und/oder Liniendiagramm. Die Datenübertragung könnte sich pausieren lassen, um anderen Anwendungen kurzzeitig die höchstmögliche sequentielle Lesegeschwindigkeit zu ermöglichen, ohne den Übertragungsvorgang abzubrechen. Konzepte Es gibt mehrere (Darstellungs-)Konzepte von Dateimanagern, die unterschiedliche Metaphern für ihre Darstellung verwenden. Einige Programme unterstützen auch mehrere Konzepte: Navigatorische Dateimanager stellen die Inhalte eines beliebigen Verzeichnisses umschaltbar in einem Fenster dar, wobei noch eine Übersicht der Verzeichnisstruktur und ihrer Dateiinhalte, wie beispielsweise eine Baumansicht neben der Verzeichnisansicht, möglich ist. Bekannte Beispiele sind der Windows-Explorer und Nautilus. Dateimanager nach Vorbild des PathMinders mit zweispaltiger Ansicht () stellen die Inhalte zweier Verzeichnisse gegenüber dar. Der Norton Commander gilt als bekanntester Vertreter der zweispaltigen Ansicht. Beim räumlichen Konzept (Spatial) wird für jeden geöffneten Ordner ein neues Fenster erzeugt, was als Entsprechung zum Umgang mit physischen Objekten wirken soll. Dabei ist ein einzelnes Fenster fest einem bestimmten Verzeichnis zugeordnet und umgekehrt. NeXTStep's und der Finder von macOS sowie einige weitere Dateimanager wie ranger oder One Commander verwenden mit den Miller-Spalten eine Darstellung, in der die Ordnerstruktur horizontal statt vertikal angezeigt wird. Einzelnachweise
1181
https://de.wikipedia.org/wiki/Dateisystem
Dateisystem
Das Dateisystem ( oder ) ist eine Ablageorganisation auf einem wie etwa einem Datenträger eines Computers. Dateien können angelegt, gelesen, verändert oder gelöscht werden (CRUD). Für den Nutzer müssen Dateiname und computerinterne Dateiadressen in Einklang gebracht werden. Das leichte Wiederfinden und das sichere Abspeichern sind wesentliche Aufgaben eines Dateisystems. Das Ordnungs- und Zugriffssystem berücksichtigt die Geräteeigenschaften und ist elementarer Bestandteil eines Computersystems oder eines Betriebssystems. Begriff Der Begriff „Dateisystem“ kann sich einerseits auf den gesamten übergeordneten Verzeichnisbaum, die Verzeichnisstruktur, beziehen, andererseits auf individuell einbindbare Dateisysteme, etwa auf Partitionen. Da ein Dateisystem oft je Partition oder eingesetzt wird, findet sich der Begriff „Dateisystem“ auch oft als Synonym für „Partition“ wieder – tatsächlich ist das Dateisystem jedoch der Inhalt und die Partition nur ein möglicher Rahmen, in dem der Speicherplatz als dafür zur Verfügung gestellt wird. Auf den meisten Betriebssystemen wird mehr als ein Dateisystem unterstützt. Jedes Dateisystem muss auf einem getrennt ansprechbaren logischen untergebracht sein, etwa einer Partition oder einem zusätzlichen Datenträger wie einer Festplatte. Die Initialisierung dieses logischen getrennten Datenspeichers wird Formatierung genannt. Der Inhalt des Dateisystems wird durch Einhängen, Einbinden bzw. Mounten (von ) im laufenden System zugänglich gemacht. Geschichte Historisch gesehen sind schon die ersten Lochstreifen- (auf Film- später auf Papierstreifen) und Lochkarten-Dateien Dateisysteme. Sie bilden ebenso wie Magnetbandspeicher lineare Dateisysteme. Die später für die Massenspeicherung und schnellen Zugriff entwickelten Trommel- und Festplattenspeicher ermöglichten dann erstmals durch wahlfreien Zugriff auf beliebige Positionen im Dateisystem komplexere Dateisysteme. Diese Dateisysteme bieten die Möglichkeit, per Namen auf eine Datei zuzugreifen. Das Konzept der Dateisysteme wurde schließlich so weit abstrahiert, dass auch Zugriffe auf Dateien im Netz und auf Geräte, die virtuell als Datei verwaltet werden, über Dateisysteme durchgeführt werden können. Somit sind Anwendungsprogramme in der Lage, auf diese unterschiedlichen Datenquellen über eine einheitliche Schnittstelle zuzugreifen. Eigenschaften Dateien haben in einem Dateisystem fast immer mindestens einen Dateinamen sowie Attribute, die nähere Informationen über die Datei geben. Die Dateinamen sind in Verzeichnissen abgelegt; Verzeichnisse sind üblicherweise spezielle Dateien. Über derartige Verzeichnisse kann ein Dateiname (und damit eine Datei) sowie die zur Datei gehörenden Daten vom System gefunden werden. Ein Dateisystem bildet somit einen Namensraum. Alle Dateien (oder dateiähnlichen Objekte) sind so über eine eindeutige Adresse (Dateiname inkl. Pfad oder URI) – innerhalb des Dateisystems – aufrufbar. Der Name einer Datei und weitere Informationen, die den gespeicherten Dateien zugeordnet sind, werden als Metadaten bezeichnet. Für unterschiedliche Datenträger (wie Magnetband, Festplattenlaufwerk, optische Datenträger (CD, DVD, …), Flash-Speicher, …) gibt es darauf spezialisierte Dateisysteme. Das Dateisystem stellt eine bestimmte Schicht des Betriebssystems dar: Alle Schichten darüber (Rest des Betriebssystems, Anwendungen) können auf Dateien abstrakt über deren Klartext-Namen zugreifen. Erst mit dem Dateisystem werden diese abstrakten Angaben in physische Adressen (Blocknummer, Spur, Sektor usw.) auf dem Speichermedium umgesetzt. In der Schicht darunter kommuniziert der Dateisystemtreiber dazu mit dem jeweiligen Gerätetreiber und mittelbar auch mit der Firmware des Speichersystems (Laufwerks). Letztere nimmt weitere Organisationsaufgaben wahr, beispielsweise den transparenten Ersatz fehlerhafter Blöcke durch Reserveblöcke. Organisation von Massenspeichern Massenspeichergeräte wie Festplatten-, CD-ROM- und Diskettenlaufwerke haben normalerweise eine Blockstruktur, d. h. aus Betriebssystemsicht lassen sich Daten nur als Folge ganzer Datenblöcke lesen oder schreiben. Ein Speichergerät präsentiert das Speichermedium gegenüber dem Betriebssystem lediglich als große lineare Anordnung vieler nummerierter (und darüber adressierbarer) Blöcke. Ein Block umfasst heute meistens 512 (= 29) oder 4096 (= 212) Bytes, auf optischen Medien (CD-ROM, DVD-ROM) 2048 (= 211) Bytes. Moderne Betriebssysteme fassen aus Performance- und Verwaltungsgründen mehrere Blöcke zu einem Cluster fester Größe zusammen. Heute sind Cluster mit acht oder noch mehr Blöcken üblich, also 4096 Bytes pro Cluster. Die Clustergröße ist im Allgemeinen eine Zweierpotenz (1024, 2048, 4096, 8192, …). Eine Datei ist ein definierter Abschnitt eines Datenspeichers, der auf dem Gerät aus einem oder mehreren Clustern besteht. Jede Datei erhält außerdem eine Beschreibungsstruktur, die die tatsächliche Größe, Referenzen auf die verwendeten Cluster und evtl. weitere Informationen wie Dateityp, Eigentümer, Zugriffsrechte enthalten kann (Metadaten). Für die Zuordnung von Clustern zu Dateien gibt es dabei mehrere Möglichkeiten. Die Referenz einer Datei besteht aus der Clusternummer des Anfangsclusters und der Anzahl der darauf (physisch sequenziell) folgenden Cluster. Nachteile: bei Vergrößerung muss ggf. die ganze Datei verschoben werden. Dies verkompliziert das Dateihandling und führt zu unzureichender Performance bei vielen großen Dateien. So kann es vorkommen, dass eine Datei nicht gespeichert werden kann, obwohl noch genügend freier Speicher auf dem Datenträger vorhanden ist. Die Referenz einer Datei besteht aus der ersten Clusternummer. In jedem Cluster der Datei wird die Clusternummer des Folgeclusters gespeichert. Es ergibt sich eine verkettete Liste. Nachteile: Will man die Datei nicht sequenziell lesen, sondern zum Beispiel nur das Ende, muss das Betriebssystem dennoch die ganze Datei einlesen, um das Ende zu finden. Freie Zuordnung von Dateiclustern zu Folgeclustern durch eine Tabelle auf dem Massenspeicher (Beispiel: FAT). Nachteile: sehr große Beschreibungsstruktur, sequenzielles Lesen oder Schreiben etwas langsamer als ideal, da Zuordnungsinformationen weder gebündelt noch bei den Daten vorliegen. Speicherung eines Feldes von Tupeln (Extent-Anfangscluster, Extentlänge) in der Beschreibungsstruktur der Datei. Ein Extent ist dabei eine Folge von sequentiellen Clustern. Dies wird heute in vielen Dateisystemen so umgesetzt. Verzeichnisse enthalten Dateinamen und Referenzen zu den jeweiligen Beschreibungsstrukturen. Da Verzeichnisse auch Speicherflächen sind, werden meist speziell gekennzeichnete Dateien als Verzeichnisse verwendet. Die erste Beschreibungsstruktur kann dabei das Ausgangsverzeichnis enthalten. Ein weiterer eigener Bereich auf dem Speichermedium dient der Buchführung, welche Blöcke oder Cluster schon belegt und welche noch frei sind. Ein oft dafür genutztes Mittel ist die (BAM), in der für jeden Block ein Speicherbit angelegt ist, das anzeigt, ob der Block belegt oder frei ist. Die BAM enthält im Prinzip redundante Informationen und dient der Effizienz der Verwaltung; sollten die dort gespeicherten Informationen verlorengehen, so kann die BAM neu erstellt werden. Im Allgemeinen ist der erste Block für einen sogenannten Bootsektor (z. B. Master Boot Record) reserviert, der für das Hochfahren des Systems verwendet werden kann. Auf einem Speichermedium mit mehreren Partitionen steht unmittelbar im Anschluss typischerweise die Partitionstabelle, die Organisationsdaten zu den Partitionen enthält. Weder Bootblock noch Partitionstabelle sind Teil des eigentlichen Dateisystems. Meist enthält jede Partition ein eigenes, von den Daten auf anderen Partitionen unabhängiges Dateisystem; die Ausführungen oben beziehen sich auf die einzelnen Partitionen, die sich eine nach der anderen an die Partitionstabelle anschließen. Aus Effizienzgründen, also vor allem zur Erhöhung der Leistung/Zugriffsgeschwindigkeit, wurden diverse Strategien entwickelt, wie diese Organisationsstrukturen innerhalb des zur Verfügung stehenden Speicherbereichs angeordnet werden. Da es beispielsweise in vielen Dateisystemen beliebig viele Unterverzeichnisse geben kann, verbietet es sich von vornherein, feste Plätze für diese Verzeichnisstrukturen zu reservieren, es muss alles dynamisch organisiert werden. Es gibt auch Dateisysteme wie einige von Commodore, die die grundlegenden Organisationsstrukturen wie Wurzelverzeichnis und BAM in der Mitte des Speicherbereichs (statt wie meist bei anderen an dessen Anfang) anordnen, damit der Weg, den der Schreib-Lese-Kopf von dort zu den eigentlichen Daten und zurück zurückzulegen hat, im Mittel verringert wird. Allgemein kann es ein Strategieansatz sein, eigentliche Daten und ihre Organisationsdaten physisch möglichst nah beieinander anzuordnen. Zugriff auf Massenspeicher Ein Programm greift auf die Massenspeicher über das Dateisystem zu. Unter Unix und ähnlichen Betriebssystemen werden dazu Systemaufrufe zur Verfügung gestellt. Die wichtigsten Systemaufrufe sind hier: Systemaufrufe für Verzeichnisse: mkdir, rmdirErzeugen und Löschen eines Verzeichnisses opendir, closedirÖffnen und Schließen eines Verzeichnisses readdirLesen von Verzeichniseinträgen chdirWechseln in ein anderes Verzeichnis Systemaufrufe für Dateien: creat, unlinkErzeugen und Löschen einer Datei open, closeÖffnen und Schließen einer Datei read, writeLesen und Schreiben seekNeupositionieren des Schreib-/Lese-Zeigers Außerdem bietet das Betriebssystem Verwaltungsfunktionen, zum Beispiel für das Umbenennen, das Kopieren und Verschieben, Erzeugen eines Dateisystems auf einem neuen Datenträger, für Konsistenzprüfung, Komprimierung oder Sicherung (je nach Betriebssystem und Dateisystem verschieden). Die Umsetzung der Systemaufrufe eines Programms wird oft vom Kernel eines Betriebssystems implementiert und unterscheidet sich bei den verschiedenen Dateisystemen. Der Kernel übersetzt die Zugriffe dann in die Blockoperationen des jeweiligen Massenspeichers. (Anmerkung: Tatsächlich trifft dies nur auf sogenannte monolithische Kernel zu. Hingegen sind auf einem Microkernel oder Hybridkernel aufgebaute Systeme so konzipiert, dass die Dateisystemoperationen nicht vom Kernel selbst ausgeführt werden müssen.) Wenn ein Programm eine Datei mittels open öffnet, wird der Dateiname im Verzeichnis gesucht. Die Blöcke auf dem Massenspeicher ermittelt das Betriebssystem aus den entsprechenden Beschreibungsstrukturen. Falls eine Datei im Verzeichnis gefunden wird, erhält das Betriebssystem auch ihre Beschreibungsstruktur und damit die Referenzen zu den zugehörigen Clustern und gelangt über diese zu den konkreten Blöcken. Mit read kann das Programm dann auf die Cluster der Datei (und damit auf die Blöcke auf dem Massenspeicher) zugreifen. Wird eine Datei aufgrund von write größer, wird bei Bedarf ein neuer Cluster aus der Freiliste entnommen und in der Beschreibungsstruktur der Datei hinzugefügt. Auch die anderen Systemaufrufe lassen sich so in Cluster- bzw. Blockzugriffe übersetzen. Arten von Dateisystemen Lineare Dateisysteme Die historisch ersten Dateisysteme waren lineare Dateisysteme auf Lochband oder Lochkarte sowie die noch heute für die Sicherung von Daten eingesetzten Magnetbandsysteme. Hierarchische Dateisysteme Frühe Dateisysteme (CP/M, Apple DOS, Commodore DOS) hatten nur ein einzelnes Verzeichnis, das dann Verweise auf alle Dateien des Massenspeichers enthielt. Mit wachsender Kapazität der Datenträger wurde es immer schwieriger, den Überblick über hunderte und tausende Dateien zu bewahren, deshalb wurde das Konzept der Unterverzeichnisse eingeführt. Ein hierarchisches Dateisystem wurde für das Betriebssystem Multics entwickelt und, nachdem dessen Entwicklung eingestellt wurde, von AT&T Unix Version 1 von 1971 übernommen. Damit war die Grundlage für die meisten modernen Dateisysteme gelegt, die im Wurzelverzeichnis neben regulären Dateien auch Verweise auf weitere Verzeichnisse, die Unterverzeichnisse, enthalten können, mit möglicherweise wiederum weiteren Unterverzeichnissen. Dadurch entsteht eine Verzeichnisstruktur, die oft als Verzeichnisbaum dargestellt wird. Das Festplattenlaufwerk C: unter Windows beinhaltet beispielsweise neben Dateien wie boot.ini und ntldr auch Verzeichnisse wie Programme, Dokumente und Einstellungen usw. Ein Verzeichnis wie zum Beispiel Eigene Dateien kann dann wieder Unterverzeichnisse wie Eigene Bilder oder Texte enthalten. In Texte können dann beispielsweise die normalen Dateien Brief1.txt und Brief2.txt stehen. Die Verzeichnisse werden auch Ordner genannt und sind, je nach Betriebssystem, durch umgekehrten Schrägstrich (englisch ) „\“ (DOS, Windows, TOS), Schrägstrich (englisch ) „/“ (Unix, Linux, macOS, AmigaOS), Punkt „.“ (OpenVMS) oder Doppelpunkt „:“ (ältere Mac-OS-Versionen) getrennt. Da sich eine Hierarchie von Verzeichnissen und Dateien ergibt, spricht man hier von hierarchischen Dateisystemen. Den Weg durch das Dateisystem, angegeben durch Verzeichnisnamen, die mit den Trennzeichen voneinander getrennt werden, nennt man Pfad. Auf die Datei Brief1.txt kann mit C:\Dokumente und Einstellungen\benutzername\Eigene Dateien\Texte\Brief1.txt (Windows 2000/XP) C:\Users\benutzername\Eigene Dokumente\Brief1.txt (ab Windows Vista) /Users/benutzername/Texte/Brief1.txt (macOS, vormals Mac OS X) Macintosh HD:Dokumente:Texte:Brief 1 (klassisches Mac OS) /home/benutzername/Texte/Brief1.txt (Unix und die meisten Unix-artigen Systeme, etwa Linux) Laufwerksname:verzeichnis/unterverzeichnis/Brief1.txt (AmigaOS) DISK$Laufwerksname:[USERS.benutzername]Brief1.TXT;1 (OpenVMS) zugegriffen werden. Bei DOS/Windows gibt es Laufwerksbuchstaben gefolgt von einem Doppelpunkt, die den Pfaden innerhalb des Dateisystems vorangestellt werden. Jeder Datenträger bekommt seinen eigenen Buchstaben, zum Beispiel meist C: für die erste Partition der ersten Festplatte. Bei Unix gibt es keine Laufwerksbuchstaben, sondern nur einen einzigen Verzeichnisbaum. Die einzelnen Datenträger werden dort an bestimmten Stellen im Baum eingehängt (Kommando mount), so dass alle Datenträger zusammen den Gesamtbaum ergeben. Windows-Varianten, die auf Windows NT basieren, arbeiten intern ebenfalls mit einem solchen Baum, dieser Baum wird aber gegenüber dem Anwender verborgen. Unter AmigaOS erfolgt eine Mischung der Ansätze von DOS und Unix. Die nach Unix-Nomenklatur bezeichneten Laufwerke werden mit Doppelpunkt angesprochen (df0:, hda1:, sda2:). Darüber hinaus können logische Doppelpunkt-Laufwerksbezeichnungen wie LIBS: per ASSIGN unabhängig vom physischen Datenträger vergeben werden. Die Verzeichnispfade von OpenVMS unterscheiden sich stark von Unix-, DOS- und Windows-Pfaden. Zuerst nennt OpenVMS die Geräteart, z. B. bezeichnet „DISK$“ einen lokalen Datenträger. Der Laufwerksname (bis zu 255 Zeichen lang) wird angefügt und mit einem Doppelpunkt abgeschlossen. Der Verzeichnis-Teil wird in eckige Klammern gesetzt. Die Unterverzeichnisse werden durch Punkte getrennt, z. B. „[USERS.Verzeichnis.Verzeichnis2]“. Am Ende des Pfads folgt der Dateiname, beispielsweise „Brief1.TXT;1“. Dessen erster Teil ist ein sprechender Name und bis zu 39 Zeichen lang. Nach einem Punkt folgt der dreistellige Dateityp, ähnlich wie bei Windows. Am Ende wird die Version der Datei, getrennt durch ein Semikolon „;“, angefügt. Häufig bezeichnet der Begriff Dateisystem nicht nur die Struktur und die Art, wie die Daten auf einem Datenträger organisiert werden, sondern allgemein den ganzen Baum mit mehreren verschiedenen Dateisystemen (Festplatte, CD-ROM, …). Korrekterweise müsste man hier von einem Namensraum sprechen, der von verschiedenen Teilnamensräumen (den Dateisystemen der eingebundenen Datenträger) gebildet wird, da aber dieser Namensraum sehr dateibezogen ist, wird häufig nur vom Dateisystem gesprochen. Netzwerkdateisysteme Die Systemaufrufe wie open, read usw. können auch über ein Netzwerk an einen Server übertragen werden. Dieser führt dann die Zugriffe auf seine Massenspeicher durch und liefert die angeforderte Information an den Client zurück. Da dieselben Systemaufrufe verwendet werden, unterscheiden sich die Zugriffe aus Programm- und Anwendersicht nicht von der auf die lokalen Geräte. Man spricht hier von transparenten Zugriffen, weil der Anwender die Umlenkung auf den anderen Rechner nicht sieht, sondern scheinbar unmittelbar auf die Platte des entfernten Rechners schaut – wie durch eine transparente Glasscheibe. Für Netzwerkdateisysteme stehen spezielle Netzwerkprotokolle zur Verfügung. Kann auf ein Dateisystem etwa in einem Storage Area Network (SAN) von mehreren Systemen parallel direkt zugegriffen werden, spricht man von einem Globalen- oder Cluster-Dateisystem. Dabei sind zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um Datenverlust () durch gegenseitiges Überschreiben zu vermeiden. Dazu wird ein Metadaten-Server eingesetzt. Alle Systeme leiten die Metadaten-Zugriffe – typischerweise über ein LAN – an den Metadaten-Server weiter, der diese Operationen wie Verzeichniszugriffe und Block- beziehungsweise Clusterzuweisungen vornimmt. Der eigentliche Datenzugriff erfolgt dann über das SAN, als ob das Dateisystem lokal angeschlossen wäre. Da der Zusatzaufwand (englisch ) durch die Übertragung an den Metadaten-Server insbesondere bei großen Dateien kaum ins Gewicht fällt, kann eine Übertragungsgeschwindigkeit ähnlich der eines direkt angeschlossenen Dateisystems realisiert werden. Eine Besonderheit stellt das WebDAV-Protokoll dar, das Dateisystem-Zugriffe auf entfernt liegende Dateien via HTTP ermöglicht. Spezielle virtuelle Dateisysteme Das open-read-Modell lässt sich auch auf Geräte und Objekte anwenden, die normalerweise nicht über Dateisysteme angesprochen werden. Dadurch wird der Zugriff auf diese Objekte identisch mit dem Zugriff auf normale Dateien, was dem Unix-Konzept entspricht und dadurch den Vorteil bringt, diese Daten in gleicher Weise wie etwa Konfigurationsdateien nutzen zu können. Unter den derzeitigen Linux-Kernels (u. a. Version 2.6) lassen sich System- und Prozessinformation über das virtuelle proc-Dateisystem abfragen und ändern. Die virtuelle Datei /proc/cpuinfo liefert zum Beispiel Informationen über den Prozessor. Unter Linux gibt es einige solcher Pseudo-Dateisysteme. Dazu zählen u. a. sysfs, usbfs oder devpts; unter einigen BSDs gibt es ein kernfs. All diese Dateisysteme enthalten nur rein virtuell vorhandene Dateien mit Informationen oder Geräten, die auf eine „Datei“ abgebildet werden. Der Kernel gaukelt hier die Existenz einer Datei vor, wie sie auch auf einem Massenspeicher vorhanden sein könnte. Dateien in ramfs oder tmpfs und ähnlichen Dateisystemen existieren demgegenüber tatsächlich, werden aber nur im Arbeitsspeicher gehalten. Sie werden aus Geschwindigkeitsgründen und aus logisch-technischen Gründen während der Boot-Phase eingesetzt. Neben Linux gibt es auch für diverse andere Betriebssysteme sogenannte RAM-Disks, mit denen ein komplettes virtuelles Laufwerk im Arbeitsspeicher realisiert wird, vor allem aus Geschwindigkeitsgründen. Besonderheiten Viele moderne Dateisysteme haben das Prinzip der Datei verallgemeinert, so dass man in einer Datei nicht nur eine Folge von Bytes, einen sogenannten (von englisch data stream für Datenstrom), sondern mehrere solcher Folgen (alternative Datenströme) abspeichern kann. Dadurch ist es möglich, Teile einer Datei zu bearbeiten, ohne eventuell vorhandene andere Teile, die sehr groß sein können, verschieben zu müssen. Problematisch ist die mangelnde Unterstützung von multiplen Streams. Das äußert sich zum einen darin, dass alternative Daten beim Transfer auf andere Dateisysteme (ISO 9660, FAT, ext2) ohne Warnung verloren gehen, zum anderen darin, dass kaum ein Werkzeug diese unterstützt, weshalb man die dort gespeicherten Daten nicht ohne Weiteres einsehen kann und beispielsweise Virenscanner dort abgespeicherte Viren übersehen. Aus der Tatsache, dass der Hauptdatenstrom von Änderungen an den anderen Strömen nicht berührt wird, ergeben sich Vorteile für die Performance, den Platzbedarf und die Datensicherheit. Nicht nur unter Inode-basierten Dateisystemen sind Sparse-Dateien, Hardlinks und symbolische Verknüpfungen möglich. Für Massenspeicher wie CD-ROM oder DVD gibt es eigene Dateisysteme, die Betriebssystem-übergreifend Anwendung finden, vor allem ISO 9660, weitere siehe unten bei Besonderheiten. Dateisysteme aus dem Unix-Bereich kennen besondere Gerätedateien. Deren Namen sind dabei oft per Übereinkommen festgelegt, sie können nach Belieben umbenannt werden; so haben zum Beispiel auch die Tastatur, Maus und andere Schnittstellen spezielle Dateinamen, auf die mit , , zugegriffen werden kann, sogar der Hauptspeicher hat einen Dateinamen, /dev/mem. (Die Unix-Philosophie dazu lautet: „Alles ist eine Datei, und wenn nicht, sollte es eine Datei sein.“) In anderen Betriebssystemen (wie unter MS-DOS ab Version 2.0) gibt es ebenfalls Gerätedateien: COM:, CON:, LPT:, PRN: und andere. Diese Geräte können analog zu einer Datei geöffnet und über eine Zugriffsnummer (Handle) gelesen und beschrieben werden. Sie haben aber verständlicherweise keinen Dateizeiger. Im Unterschied zu den Blockgeräten (auch „Laufwerke“ genannt: A:, B:, C: usw.) enthalten sie keine Dateien, sondern verhalten sich selbst – mit gewissen Einschränkungen – wie Dateien. Diese Pseudodateien existieren seit PC DOS 2.0 bzw. MS-DOS 2.0, das stark von UNIX beeinflusst wurde. Unter Berücksichtigung der DOS-Gerätetreiberspezifikation ist es dem Benutzer möglich, eigene Gerätetreiber zu schreiben, sie per DEVICE-Befehl zu laden und über ebensolche Pseudodateinamen anzusprechen. Diese besonderen Dateinamen waren in der Vergangenheit öfters Anlass von Sicherheitsproblemen, da die entsprechenden Namen zum Teil einigen Applikationen nicht bekannt waren und daher nicht herausgefiltert wurden, aber zum Teil auch weil der Zugriffsschutz auf die damit assoziierten Geräte unzureichend geregelt war. Darüber hinaus existieren Dateisysteme, die mehrere darunterliegende Speichermedien („“) überspannen können (z. B. die Dateisysteme ZFS und Btrfs), die eine Versionierung von Dateien schon inhärent ermöglichen (z. B. VMS) oder deren Größe zur Laufzeit geändert werden kann (z. B. AIX). Manche Dateisysteme bieten Verschlüsselungsfunktionen an, Umfang und Sicherheit der Funktionen variieren dabei. Assoziative Dateiverwaltung Diese werden häufig fälschlicherweise als Datenbankdateisysteme oder SQL-Dateisysteme bezeichnet, hierbei handelt es sich eigentlich nicht um Dateisysteme, sondern um Informationen eines Dateisystems, die in aufgewerteter Form in einer Datenbank gespeichert und in, für den Anwender intuitiver Form, über das virtuelle Dateisystem des Betriebssystems dargestellt werden. Sicherheitsaspekte Das Dateisystem darf von sich aus keine Daten verlieren oder ungewollt überschreiben. Insbesondere zwei Fälle bringen Gefahren mit sich: Wenn im Multitasking mehrere Aufgaben gleichzeitig anstehen, muss das Dateisystem die einzelnen Aktionen sauber auseinanderhalten, damit nichts durcheinanderkommt. Wenn die Aufgaben auch noch dieselbe Datei ansprechen, sei es nur lesend oder auch schreibend, werden typischerweise entsprechende Sperrmechanismen () zur Verfügung gestellt oder automatisch in Kraft gesetzt, um Konflikte zu vermeiden. Gleichzeitige Zugriffe von mehreren Seiten z. B. auf eine große Datenbankdatei sind aber auch der Normalfall, so dass man neben globalen Sperren, die die ganze Datei betreffen, auch solche nur für einzelne Datensätze () benutzen kann. Wenn ein Laufwerk gerade auf ein Speichermedium schreibt und die Betriebsspannung in diesem Moment ausfällt, dann besteht die Gefahr, dass nicht nur die eigentlichen Daten unvollständig geschrieben werden, sondern dass vor allem die organisatorischen Einträge im Verzeichnis nicht mehr korrekt aktualisiert werden. Um diese Gefahr zumindest möglichst klein zu halten, wird einerseits per Hardware versucht, genug Energiepuffer (Kondensatoren in der Versorgung) bereitzuhalten, so dass ein Arbeitsvorgang noch zu Ende geführt werden kann, andererseits ist die Software so ausgelegt, dass die Arbeitsschritte möglichst „atomar“ ausgelegt sind, das heißt die empfindliche Zeitspanne mit unvollständigen Dateneinträgen so kurz wie möglich gehalten wird. Wenn dies im Extremfall dann doch nicht hilft, gibt es als neuere Entwicklung sogenannte Journaling-Dateisysteme, die in einem zusätzlichen Bereich des Speichermediums Buch über jeden Arbeitsschritt führen, so dass im Nachhinein rekonstruiert werden kann, was noch erledigt werden konnte und was nicht mehr. Eigene Gesichtspunkte gibt es bei Flash-Speichern, indem diese beim Löschen und Wiederbeschreiben einem Verschleiß ausgesetzt sind, der je nach Typ nur ca. 100.000 bis 1.000.000 Schreibzyklen zulässt. Dabei können in der Regel nicht einzelne Bytes für sich gelöscht werden, sondern meist nur ganze Blöcke (von je nach Modell variierender Größe) auf einmal. Das Dateisystem kann hier daraufhin optimiert werden, dass es die Schreibvorgänge möglichst gleichmäßig über den gesamten Speicherbereich des Flash-Bausteins verteilt und beispielsweise nicht einfach immer bei Adresse 0 anfängt zu schreiben. Stichwort: Wear-Leveling-Algorithmen. Dem Aspekt der Datensicherheit gegenüber Ausspähung durch Unberechtigte dienen Dateisysteme, die alle Daten verschlüsseln können, ohne dass andere Schichten des Betriebssystems dafür Aufwand zu treiben bräuchten. Eine weitere Gefahrenquelle für die Integrität der Daten besteht in Schreibaktionen, die von irgendwelcher Software unter Umgehung des Dateisystems direkt auf physische Adressen auf dem Speichermedium erfolgen. Bei älteren Betriebssystemen war das ohne weiteres möglich und führte zu entsprechend häufigen Datenverlusten. Neuere Betriebssysteme können diese tieferen Ebenen wesentlich effektiver vor unautorisiertem Zugriff schützen, so dass mit den Rechten eines Normalbenutzers gar kein direkter Zugriff auf physische Medienadressen mehr erlaubt ist. Wenn bestimmte Diagnose- oder Reparatur-Dienstprogramme () so einen Zugriff doch benötigen, müssen sie mit Administratorrechten ausgestattet sein. Lebenszyklusaspekte Bei der Migration von Dateibeständen, etwa aufgrund einer Systemablösung, müssen häufig Dateien von einem Dateisystem auf ein anderes übernommen werden. Das ist im Allgemeinen ein schwieriges Unterfangen, denn viele Dateisysteme sind untereinander funktional nicht kompatibel, d. h. das Zieldateisystem kann nicht alle Dateien mit allen Attributen aufnehmen, die auf dem Quelldateisystem gespeichert sind. Ein Beispiel hierfür wäre die Migration von NTFS-Dateien mit Alternate Data Streams auf ein Dateisystem ohne Unterstützung für solche Streams. Siehe auch Liste von Dateisystemen Fragmentierung (Dateisystem) Weblinks Vergleich und Gegenüberstellung aller Dateisysteme (englische Wikipedia) disktype erkennt den Dateisystemtyp Linux: Wie funktionieren Linux-Dateisysteme? Linux 4.4 To 4.7 - EXT4 vs. F2FS vs. Btrfs Benchmarks (SSD) Einzelnachweise
1182
https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratische%20Republik%20Kongo
Demokratische Republik Kongo
Die Demokratische Republik Kongo ( [], [], abgekürzt DR Kongo), von 1971 bis 1997 Zaire (frz. Zaïre), auch bekannt als Kongo-Kinshasa, Congo-Léopoldville (in Unterscheidung zu Congo-Brazzaville) oder einfach Kongo, ist eine Republik in Zentralafrika. Sie grenzt (von Norden im Uhrzeigersinn) an die Zentralafrikanische Republik, den Südsudan, Uganda, Ruanda, Burundi, Tansania, Sambia, Angola, den Atlantik und die Republik Kongo. Die DR Kongo ist an Fläche der (hinter Algerien) zweitgrößte und an Bevölkerung der viertgrößte Staat Afrikas. Aufgrund von Separatistenbewegungen und weiteren andauernden politisch-gesellschaftlichen Verwerfungen ist der Kongo heute als zusammengehöriges, souveränes Staatsgebilde allerdings nicht mehr existent. Das Land wird vom Äquator durchzogen; es herrscht ein tropisches Klima. Große Teile des Staatsgebietes sind von tropischem Regenwald bedeckt. Die fast 100 Millionen Einwohner lassen sich in mehr als 200 Ethnien einteilen. Es gibt eine große Sprachenvielfalt, die Verkehrssprache ist Französisch. Etwa die Hälfte der Einwohner bekennt sich zur katholischen Kirche, die andere Hälfte verteilt sich auf Kimbanguisten, andere christliche Kirchen, traditionelle Religionen und den Islam. Die Hauptstadt und Wirtschaftszentrum Kinshasa gilt mit über 16 Millionen Einwohnern, noch vor Lagos, als größte Stadt Afrikas. Städte mit mehr als einer Million Einwohnern sind zudem Lubumbashi, Mbuji-Mayi, Kananga, Kisangani, Bukavu und Tshikapa. Das Gebiet des heutigen Staates kam 1885 unter belgische Kolonialherrschaft. Die Herrschaft des belgischen Königs Leopold II. gilt als eines der grausamsten Kolonialregime. Nach der Unabhängigkeit 1960 wurde das Land nach mehrjährigen innenpolitischen Konflikten 32 Jahre lang von Mobutu Sese Seko diktatorisch regiert. 1997 wurde Mobutu von dem Rebellenchef Laurent-Désiré Kabila gestürzt. Auf den Machtwechsel folgte ein weiterer Bürgerkrieg, der aufgrund der Verwicklung zahlreicher afrikanischer Staaten als Afrikanischer Weltkrieg bekannt wurde. 2002 wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet. Im Osten des Landes finden aber bis heute Kämpfe statt. Erstmals seit 1965 fanden 2006 freie Wahlen statt. Dennoch wird das Land bis heute autoritär regiert und es kommt weiterhin regelmäßig zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte. Trotz oder gerade wegen seines Rohstoffreichtums zählt der Staat, bedingt durch jahrzehntelange Ausbeutung, Korruption, jahrelange Kriege und ständige Bevölkerungszunahme, heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Geographie Die Demokratische Republik Kongo umfasst als zweitgrößter Staat Afrikas eine Fläche von 2.344.885 km² und ist somit 6,6-mal so groß wie Deutschland, 6,8-mal so groß wie die benachbarte Republik Kongo und 76,4-mal so groß wie die ehemalige Kolonialmacht Belgien. Sie liegt in Zentralafrika am Äquator. Weil Flora und Fauna sehr vielfältig sind, besitzt das Land ein sehr hohes naturräumliches Potenzial. Rund 60 Prozent des Landes nimmt das Kongobecken mit seinen tropischen Regenwäldern ein. Es ist in allen Richtungen von Bergzügen mit Höhen von 500 bis 1000 Metern begrenzt. Im Süden wird es vom Katanga-Bergland (frühere Bezeichnung: Shaba-Bergland) begrenzt, das Teil der Lundaschwelle ist. Im Süden und Osten des Landes steigen die Bergzüge zu Hochgebirgen auf wie die Mitumba-Berge und die Kundelungu-Berge im Süden und die Zentralafrikanische Schwelle und Virunga-Vulkane im Osten. Sie erreichen Höhen von bis zu 4500 Metern und sind reich an Bodenschätzen wie Kupfer und Uran. Die höchste Erhebung ist mit 5109 Metern der Margherita Peak im Ruwenzori-Gebirge an der Grenze zu Uganda. im äußersten Osten des Landes an der Grenze zu Ruanda befindet sich der Kiwusee. Die Oxisolböden im Kongobecken sind oft stark verwittert und weisen nur eine geringe Fruchtbarkeit auf, während die höher gelegenen Gebiete im Norden und Süden fruchtbar sind und zum Ackerbau genutzt werden. An der Küste liegen die beiden Hafenstädte Muanda und Banana; außerdem befinden sich dort Erdölvorkommen. Der Osten birgt bedeutende Bodenschätze. Hier wurde beispielsweise Erdgas gefunden, im Osten und Nordosten auch Gold und Zinn. Weil für das Fairphone (4) Rohstoffe aus DR Kongo bezogen werden, findet sich am Hauptprozessor ein Abbild des Landes in Weiß. Klima In der Demokratischen Republik Kongo herrscht aufgrund der geographischen Lage ein Äquatorialklima vor. In den meisten Landesteilen gibt es daher ein sehr warmes, tropisches Feuchtklima mit einer Durchschnittstemperatur von rund 20 °C in der Trockenzeit und rund 30 °C in der Regenzeit. Das Klima wird relativ wenig durch Jahreszeiten wie Trocken- und Regenzeit beeinflusst. Dennoch gibt es wegen der sehr großen Landesfläche regionale Disparitäten. Durch die nördliche Landesmitte, in welcher die Städte Mbandaka und Kisangani liegen, verläuft der Äquator. In diesem rund 300 Kilometer breiten Gebiet gibt es das ganze Jahr über heftige Regenfälle, die durchschnittlich rund 1500–2000 mm betragen, während die Temperatur konstant bei rund 26 °C bleibt. Kinshasas Klima ist gekennzeichnet durch eine Jahresdurchschnittstemperatur von über 25 °C sowie eine Wechselfolge zwischen den Trockenzeiten (vier Monate insgesamt) und den Regenzeiten, welche ihre extremste Ausprägung in den Monaten November und April haben. Im ganzen Jahr fallen in Kinshasa insgesamt rund 1400 mm Regen. Im Norden des Landes lässt der große Waldflächenanteil, der typisch für das Äquatorialklima ist, Platz für eine Baumsavanne. Dort beginnt die Trockenzeit, gegensätzlich zum Süden, meist zwei bis drei Monate vor dem Jahreswechsel und endet rund zwei bis drei Monate nach dem Jahreswechsel. Deshalb fallen hier rund 90 % der Jahresniederschläge in der Zeit zwischen März und November. Im Süden beginnt eine Zone des tropischen Klimas, die mit einer Trockenzeit (drei bis sechs Monate, meist Mai bis September) und einer Regenzeit (sechs bis neun Monate, meist Oktober bis April) ausgeprägte Jahreszeiten aufweist. So gibt es zum Beispiel in Lubumbashi in der Provinz Haut-Katanga sogar sechs Monate relativer Trockenheit und sehr ausgeprägte Tages-Nacht-Temperaturschwankungen. Der gebirgige Ostteil des Landes ist von Höhenklima geprägt und deutlich kühler im Vergleich zu den anderen Gebieten. Da die Temperatur dort pro 80 Höhenmeter um durchschnittlich 1 °C sinkt, kann man namhafte klimatische und ökologische Unterschiede beim Anstieg der Gebirge im Nationalpark Virunga und der Gefälle des Ruwenzori-Gebirges feststellen. An den höchsten Punkten dieser Gebiete ist sogar Schneefall nicht ungewöhnlich. Hier fallen auch die meisten Niederschläge des Landes. Im kleinen Küstengebiet im äußersten Westen, wo auch der Kongo-Fluss mündet, senkt der kalte Benguelastrom Temperatur und Niederschlagsmenge deutlich ab, sodass es beispielsweise in der Stadt Boma im Jahr durchschnittlich weniger als 800 mm Niederschlag gibt. Gewässer Der größte und längste Fluss, der durch die Demokratische Republik Kongo fließt, ist der Kongo mit 4374 Kilometern Länge. Er ist nach dem Nil der zweitlängste Fluss des afrikanischen Kontinents. Gemessen an seiner Wasserführung von 39.160 m³/s ist er der größte Fluss Afrikas und der zweitgrößte Fluss weltweit. Der Kongo entspringt im Süden des Landes in der Provinz Haut-Katanga im Mitumba-Gebirge und fließt etwa 1000 Kilometer nach Norden, von wo er nach Westsüdwesten umgelenkt wird. Hier besteht auch ein Binnendelta. Anschließend bildet er die Grenze zwischen der Demokratischen Republik Kongo und der Republik Kongo, bevor er schließlich in den Atlantischen Ozean mündet. Zahlreiche Flüsse münden in den Kongo. Der mit einer Wasserführung von 9.873 m³/s bei weitem größte dieser Nebenflüsse ist der aus Angola kommende Kasai, der ebenfalls mehrere Nebenflüsse aufweist und in den Gebirgen im Süden entspringt. Ein ebenfalls im Süden entspringender linker Nebenfluss des Kongo, der Lomami, hat sein Quellgebiet in der Provinz Haut-Lomami. Der größte von Norden kommende Zufluss des Kongos ist der Ubangi, der nahezu über seine gesamte Länge die Grenze zur Zentralafrikanischen Republik und zur Republik Kongo bildet. Die 40 Kilometer lange Küste nördlich der Kongomündung in den Ozean stellt die einzige Öffnung zum Atlantischen Ozean dar. Im Osten des Landes befindet sich die Seenkette des Großen Afrikanischen Grabens, die die Ostgrenze bildet. Dazu gehören unter anderem (von Nord nach Süd) der Albertsee, Eduardsee, Kiwusee und Tanganjikasee. Flora und Fauna In der Demokratischen Republik Kongo liegen die größten noch existierenden Regenwaldgebiete Afrikas. Da dort neben einer sehr großen Artenvielfalt und Biodiversität ausgesprochen viele endemische Arten, Gattungen und Familien von Pflanzen und Tieren und vielfältige Ökosysteme vorkommen, wird der Staat zu den Megadiversitätsländern dieser Erde gerechnet. Das Ruwenzori-Gebirge wird aufgrund der großen Gefährdungslage als Hotspot der Biodiversität geführt. Rund zwei Drittel der Landesfläche sind von tropischem Regen- und Höhenwald bedeckt. In höheren Lagen in Äquatornähe gibt es vor allem Bergregenwald, Wolken- und Nebelwald. Hier findet man vorrangig Bäume und Pflanzen mit langen Stämmen, dünner Baumrinde und festen Blättern. Beispiele hierfür sind der Gummibaum und Hartholzpflanzen wie der Teakbaum und Mahagonigewächse. Außerdem gibt es dort Ölpalmen, Würgefeigen und Aufsitzerpflanzen wie Orchideen. Nördlich und südlich der Regenwaldregion befinden sich 200 und 500 Kilometer breite Streifen mit Feuchtsavanne. Diese Verteilung ist niederschlagsbedingt und gründet sich auf die innertropische Konvergenzzone (ITC). Eine im Feuchtsavannengebiet vorkommende Pflanzengattung ist die Wolfsmilch. Die Feuchtsavanne geht schließlich in die Trockensavanne mit Miombowaldgebieten über. Die typische Vegetation besteht dort hauptsächlich aus Akazien und Sukkulenten. Obwohl einige Säugetiere wie der Löwe, der Leopard, das Nashorn, der Elefant, das Zebra, der Schakal, die Hyäne sowie eine Reihe von Antilopenarten bevorzugt in den Savannenregionen leben, gibt es vor allem durch den hohen Waldanteil mit insgesamt 415 sehr viele verschiedene Säugetierarten im Land. Insbesondere fünf als UNESCO-Welterbe ausgezeichnete Schutzgebiete, die vier Nationalparks Garamba, Kahuzi-Biéga, Salonga und Virunga sowie das Okapi-Wildtierreservat, stellen einen wichtigen Lebensraum für viele Säugetiere wie Bonobos, Östliche Gorillas, Okapis und Afrikanische Büffel dar. Besonders die Vielfalt an Menschenaffen ist bemerkenswert: Die Demokratische Republik Kongo beherbergt als weltweit einziges Land drei Menschenaffenarten: neben Gorillas und Bonobos auch Schimpansen. Diese sind dort allerdings kaum noch aufzufinden und akut vom Aussterben bedroht. Auch die Lage der Bonobos ist bedrohlich: der Bestand der Tierart, welche man nirgendwo sonst weltweit in Freiheit beobachten kann, wird derzeit auf rund 3000 Tiere im Staatsgebiet geschätzt. Vor den 1980er Jahren lag diese Zahl bei über 100.000. Hauptgrund des Aussterbens der Menschenaffen sind Wilderer, die das Bushmeat als Delikatesse in den Städten verkaufen. Auch bei anderen Säugetieren besteht das Problem des Artensterbens. Doch im Gegensatz zur Delikatesse Affenfleisch werden andere bedrohte Tierarten vor allem aufgrund des immensen Proteinbedarfs der wegen der sehr hohen Fertilitätsrate der Frauen schnell wachsenden Bevölkerung gejagt. Oftmals ist das Jagen geschützter Tierarten für Landesbewohner überlebenswichtig. Doch auf diese Weise schrumpften die Bestände mancher Wildtierarten so sehr, dass einige Arten laut Forschungsprognosen schon in rund 50 Jahren ausgestorben sein könnten. Auch die anderen Tierklassen lassen sich in großer Zahl finden. Es gibt 268 verschiedene Reptilienarten und je über eintausend Fisch- und Vogelarten. Sehr groß ist auch die Anzahl an Insektenarten. So gibt es allein über 1300 verschiedene Arten von Schmetterlingen. In keinem anderen Land weltweit ist dieser Wert größer. Landesname Der Name der Demokratischen Republik Kongo änderte sich in der Vergangenheit mehrmals. Zeitweise verwendete das Land die gleiche amtliche Bezeichnung wie der Nachbarstaat Republik Kongo. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die historischen Bezeichnungen: Geschichte Vorkoloniale Geschichte Die Urbevölkerung des heutigen Staates bestand aus Pygmäen, welche heute nur noch eine kleine Minderheit darstellen. Über Jahrhunderte hinweg wanderten Bantuvölker ein. Es entstanden verschiedene Gesellschaftsformen: von Jägern und Sammlern über Ackerbaubevölkerungen bis hin zu größeren Staatswesen. Unter den dortigen Staaten trat insbesondere das im 14. Jahrhundert gegründete Königreich Kongo hervor, das eines der größten afrikanischen Staatswesen überhaupt war. Im 15. Jahrhundert erkundeten portugiesische Seefahrer um Diogo Cão das Gebiet der Kongomündung und nahmen 1491 diplomatische Beziehungen zum Kongoreich auf. König Nzinga a Nkuwu († 1509) (später auch João I. von Kongo) ließ sich taufen und entsandte Emissäre nach Lissabon. Es begann eine kurze Phase annähernd gleichberechtigten Umgangs zwischen dem Kongo und Portugal. In der Neuzeit lieferte das Kongoreich Sklaven in die amerikanischen Kolonien, die Einnahmen aus dem Sklavenhandel ließen eine reiche Oberschicht in den afrikanischen Hafenstädten entstehen. Vom 16. Jahrhundert an war das Kongoreich im Niedergang begriffen. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts erfolgte die völlige Zerstörung des Königreiches sowie seine Ausbeutung und Plünderung durch Sklavenjäger. Nach diesem Zerfall wurde die portugiesischen Vorherrschaft durch die der Niederländer und Briten abgelöst. Am Anfang des 18. Jahrhunderts war das Kongoreich fast vollständig zerfallen. 1866 zogen die letzten Portugiesen ab. In den 1870er Jahren bereiste der Waliser Henry Morton Stanley als erster Europäer das Hinterland. Er schlug vor, den Kongo dem britischen Kolonialreich anzugliedern. Die britische Regierung lehnte dies ab, weil sie sich vor allem für die Nilquellen interessierte. „Kongo-Freistaat“/Belgische Kolonialzeit Der belgische König Leopold II. jedoch, von dem Gedanken an ein Kolonialreich seit langem fasziniert, wollte die Gelegenheit nutzen. 1885 vereinnahmte Leopold den Kongo im Nachgefolge der Kongokonferenz als seinen „Privatbesitz“. Nominell war der neu geschaffene Staat vollständig selbstständig gegenüber der Kolonialmacht Belgien. Der Kongo-Freistaat besaß eine eigene Regierung in Boma, die nur Leopold Rechenschaft abzulegen hatte, eine eigene Armee (die „Force Publique“) sowie eigene diplomatische Vertretungen in anderen Staaten. Die einheimische Bevölkerung war von den politischen und militärischen Eliten des Staates ausgeschlossen. Dieser Status jenseits allen Völkerrechts war in der ganzen Kolonialgeschichte einzigartig. Da mit dem Kongo zugleich auch alle seine Bewohner als rechtloser Privatbesitz angesehen wurden, kam es bei der wirtschaftlichen Ausbeutung (Kautschukboom) zu solch grausamen Exzessen, dass sie als so genannte Kongogräuel 1908 international für Aufsehen und Empörung sorgten und Leopold zur Übergabe des Kongo als „normale“ Kolonie an den belgischen Staat zwangen. Zwar verbesserten sich die Verhältnisse nun ein wenig, aber nach wie vor wurden der Kongo und seine Bevölkerung von der autoritären Kolonialmacht Belgien ausgebeutet. Die Demokratische Republik Kongo wurde ursprünglich als Belgisch Kongo von einer gesetzgebenden Versammlung und regionalen Versammlungen verwaltet, in denen nur von Kolonialbehörden ernannte Europäer saßen. Gegen Ende der 1950er Jahre gab es zwar eine größere Beteiligung von Afrikanern, aber bis zur Unabhängigkeit, als die Kolonie in Zaire umbenannt wurde, kein volles Wahlrecht. Mit den weltweit in den Kolonien zunehmenden Unabhängigkeitsbestrebungen wuchs auch im Kongo der Druck nach staatlicher Selbstbestimmung. Nach ersten Unruhen in der Hauptstadt Léopoldville und unter dem Druck der Weltöffentlichkeit zog sich Belgien Anfang 1959 schlagartig aus dem Kongo zurück und hinterließ ein Chaos. Unabhängigkeit und Kongokrise Am 30. Juni 1960 wurde die „Republik Kongo“ unabhängig. Joseph Kasavubu, Führer der Alliance des Bakongo (ABAKO), wurde Staatspräsident. Der bedeutende Panafrikanist und Führer der kongolesischen Unabhängigkeitsbewegung, Patrice Lumumba, wurde der erste Ministerpräsident des jungen Landes, das er allerdings aufgrund mangelnder Fachkräfte und angesichts sezessionistischer Bestrebungen, insbesondere in der Provinz Katanga, nicht zusammenzuhalten vermochte. Insbesondere die kontinuierlichen Interventionen Belgiens, der USA, aber auch der Sowjetunion führten zu einem allmählichen Zerreißen der jungen Nation. Lumumba wurde schließlich vom Militär abgesetzt und verhaftet. Zwar konnte er der Haft kurz entfliehen, wurde aber kurze Zeit später wieder ergriffen, seinem Gegner Moïse Tschombé – dem Sezessionistenführer in Katanga – ausgeliefert und anschließend ermordet. Eine Beteiligung des belgischen Geheimdienstes wurde im Jahr 2000 bestätigt, weswegen die belgische Generalstaatsanwaltschaft 2012 ein Ermittlungsverfahren eröffnete. Die CIA war nicht beteiligt, hatte aber zuvor Pläne gemacht, ihn zu ermorden, aber diese Pläne wurden aufgegeben. Diktatur Mobutu 1965 putschte der frühere Assistent Lumumbas, Joseph Mobutu, und errichtete in den folgenden Jahrzehnten eine der längsten und korruptesten kleptokratischen Diktaturen Afrikas. Moïse Tschombé konnte zeitweise über Teile des Kongos mit einer Söldnerarmee, die überwiegend aus Europäern bestand, herrschen. Einen Höhepunkt der Söldneraktivität im Kongo stellt die Besetzung von Bukavu durch Tschombés europäische Söldner von August bis November 1967 dar. Mobutu begann eine Afrikanisierung des Landes und versuchte, die europäischen Einflüsse im Land zu eliminieren. Europäische Unternehmen wurden verstaatlicht. Das Erlassgesetz zum Referendum Act N°67-223 vom 3. Mai 1967 erkannte das Recht aller Kongolesen unabhängig vom Geschlecht, sich am Verfassungsreferendum zu beteiligen, an. Damit war das Frauenwahlrecht eingeführt. Das Gesetz über die Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung und den Präsidentenwahlen vom 17. April 1970 gab Männern und Frauen explizit das passive Wahlrecht, wie dies schon in der Verfassung von 1967 vorgesehen gewesen war. 1971 wurde das Land in Zaire umbenannt. Mobutu errichtete einen Einparteienstaat mit einem bizarren Personenkult, der erhebliche Unterstützung aus westlichen Ländern erhielt, und bekämpfte dafür den Einfluss der Sowjetunion in Afrika. 1977/78 wurde mit internationaler, unter anderem belgischer und französischer Militärhilfe für die Regierung Mobutu Sese Seko die Shaba-Invasion der Front national de libération du Congo des Rebellenführers Nathaniel Mbumba aus Angola niedergeschlagen (Schlacht um Kolwezi). Kongokriege Unter dem Eindruck des Niedergangs der zairischen Wirtschaft und dem Ende des Ost-West-Konflikts stimmte Mobutu ab 1990 einer schrittweisen Demokratisierung des Landes zu, die aber zu keinem Erfolg führte. Das Ende der Diktatur Mobutus begann stattdessen mit dem Völkermord in Ruanda, in dessen Folge Hunderttausende der am Völkermord beteiligten Hutu nach Zaire flohen. Einer Allianz der neuen ruandischen Tutsi-Regierung und verschiedener Mobutu-Gegner gelang es schließlich innerhalb weniger Monate, ganz Zaire zu erobern und den schwer kranken und international mittlerweile isolierten Mobutu zu stürzen. Der Rebellenchef Laurent-Désiré Kabila wurde 1997 neuer Präsident und benannte Zaire wieder in Demokratische Republik Kongo um. Die einstigen Verbündeten hatten sich rasch zerstritten, und 1998 versuchten erneut von Ruanda gestützte Rebellenorganisationen, von Osten aus das Land zu erobern. Eine Intervention von Angola und Simbabwe auf Seiten Kabilas konnte den Sturz der Regierung aber abwenden, und es entwickelte sich ein jahrelanger Stellungskrieg; das Land wurde schließlich in mehrere Machtbereiche aufgespalten. Langwierige Verhandlungen beendeten 2003 den Krieg, alle Kriegsparteien bildeten eine gemeinsame Übergangsregierung. Der Kongokrieg hatte schwerwiegende sozioökonomische Auswirkungen auf das Land. Wirtschaft und Sozialsysteme, die bereits vor dem Krieg am Boden lagen, brachen völlig zusammen, ganze Landstriche wurden weitgehend entvölkert. Die Zahl der Opfer ist unbekannt, Hochrechnungen gehen von mehr als drei Millionen indirekter Kriegsopfer aus. Nachkriegszeit Bereits im Januar 2001 fiel Laurent-Désiré Kabila einem Attentat zum Opfer, und sein Sohn Joseph Kabila erbte seine Stellung als Staatspräsident. Joseph Kabila gewann schließlich die im Friedensvertrag vorgesehene Wahl im Jahre 2006 und war damit erster frei gewählter Präsident der Demokratischen Republik Kongo seit 1965. Mit Kabila führte zum ersten Mal seit 1960 ein Mann den Staat, der zu Gesprächen zur Befriedung und Stabilisierung der Region bereit war. Ihm im Wege stand dabei allerdings der fast vollständige Zerfall der Infrastruktur, Verwaltung und Wirtschaft des Landes und insbesondere die Ausplünderung der äußerst rohstoffreichen Ostprovinzen des Kongo, in denen die Zentralregierung fast völlig machtlos ist, durch Uganda, Ruanda und verschiedene lokale Machthaber. Konflikt im Ostkongo In den Gebieten Kivu und Ituri im Osten findet auch nach Ende des zweiten Kongokrieges weiterhin ein bewaffneter Konflikt statt, weil die dortigen lokalen Milizen nicht an den Friedensverhandlungen beteiligt waren. Zwischen August 2007 und Januar 2009 eskalierte der Konflikt: Im dritten Kongokrieg kämpften in Nordkivu die kongolesischen Streitkräfte, UN-Truppen der MONUC und Mai-Mai-Milizen gegen die Rebellen des Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (CNDP) unter der Führung des Tutsi Laurent Nkunda, eines ehemaligen Generals der Rebellenorganisation RCD. Nkunda behauptete, die lokale Tutsi-Bevölkerung gegen die Hutu-Extremisten der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) zu verteidigen, die auf kongolesischem Gebiet operieren und von Nkunda der Zusammenarbeit mit der kongolesischen Regierung bezichtigt werden. Ende 2008 eroberte die CNDP immer größere Gebiete im Nordkivu, Verhandlungen zwischen Regierung und Rebellen unter Vermittlung der UN blieben erfolglos. Im Dezember 2008 schlossen die kongolesische Regierung und Ruanda ein Abkommen über eine gemeinsame Bekämpfung der FDLR. Ruandische Soldaten marschierten in den Kongo ein und verhafteten Nkunda, der wenige Tage zuvor von der CNDP für abgesetzt erklärt worden war. Im März 2009 unterzeichneten Regierung und CNDP ein Friedensabkommen. Hoffnungen, dass nach dem Ende der CNDP und der Zusammenarbeit zwischen kongolesischer Regierung und Ruanda im Kampf gegen die FDLR nun auch eine Befriedung der Ostprovinzen möglich sei, erfüllten sich nicht. Ab etwa 2010 operierten Dutzende bewaffneter Gruppierungen in den Kivuprovinzen. Deren Stärken reichen von wenigen Dutzend bis zu mehreren tausend Kämpfern. An vielen Gruppen sind desertierte Soldaten der FARDC oder andere Sicherheitskräfte beteiligt. Zu den größten zählen die FDLR, die Raïa Mutomboki, die Alliance des patriotes pour un Congo libre et souverain und die Nyatura. Die Bewegung 23. März – auch M23 genannt – wurde im April 2012 von ehemaligen Mitgliedern der CNDP aus Unzufriedenheit über die Umsetzung des Friedensabkommens gegründet. Sie erlangte maßgeblich Kontrolle im Territorium Rutshuru und erregte großes Aufsehen durch die zwischenzeitliche Einnahme der Provinzhauptstadt Goma. Nach mehreren gescheiterten Verhandlungsrunden mit der Regierung und der Etablierung einer UN-Eingreiftruppe unterlag sie Anfang November 2013 schließlich militärisch. Seit März 2022 gibt es erneut Kämpfe zwischen den Rebellen und den Truppen. Aufgrund der anhaltenden Bedrohung durch die ausgeübte Gewalt sowie das Vorrücken der Rebellengruppe M23 sind tausende Menschen zur Flucht gezwungen – der Mangel an Wasser, Nahrung und Unterschlupf als auch die ungewisse Zukunft sind dabei die Hauptursachen für die humanitäre Krise im Ostkongo. Bevölkerung Demographie Die Demokratische Republik Kongo zählt im Jahr 2020 etwas mehr als 100 Millionen Einwohner und ist damit der viertbevölkerungsreichste Staat Afrikas. Die Bevölkerungsdichte ist mit etwas mehr als 43 Einwohner pro km² eher gering. Das Bevölkerungswachstum zählt mit über 3 % zu den höchsten der Welt; jede Frau bringt durchschnittlich 6,2 Kinder zur Welt, wobei der Wert seit einigen Jahren sinkt. 2019 waren 46 % der Bevölkerung unter 15 Jahren alt, das Median-Alter wurde für 2020 auf 17 Jahre geschätzt. Der Kongo hat damit eine der jüngsten Bevölkerungen der Welt. Im weltweiten Vergleich hat das Land laut Fund For Peace die problematischste Demografieentwicklung aller Staaten. Eine Volkszählung fand zuletzt 1984 statt. Damals lag die Bevölkerungszahl noch bei etwa 30 Millionen, seitdem hat sich die Bevölkerungszahl also mehr als verdreifacht. Für Mitte des Jahrhunderts wird deshalb mit über 200 Millionen Einwohnern in der DR Kongo gerechnet. Die Lebenserwartung lag 2021 bei 59,2 Jahren. Während der Bürgerkriege ab Mitte der 1990er Jahre kam es zu einer bis heute anhaltenden ausgeprägten Landflucht; zwischen 2005 und 2010 wuchs die Stadtbevölkerung jährlich im Mittel um 5,1 %. Der Statistische Dienst des Landes ist das Institut National de la Statistique mit Sitz in Kinshasa. In allen Provinzen des Landes gibt es von ihm eine Dienststelle. Stadtentwicklung Die mit Abstand größte Agglomeration des Landes ist die Hauptstadt Kinshasa mit gut 16 Millionen Einwohnern. Damit konzentrieren sich 14 % der Bevölkerung der Demokratischen Republik Kongo auf dieses Gebiet. Neben der Großregion Kinshasa konzentriert sich die Bevölkerung vor allem auf die Bergbauprovinzen Katanga, Kasai-Occidental und Kasaï-Oriental. Die Stadtbevölkerung steigt in fast allen Großstädten des Staates durch anhaltende Landflucht stark an. 2015 lebten 42,5 % der Einwohner in städtischen Gebieten, die Zuwachsrate betrug zwischen 2010 und 2015 rund 4 % jährlich. Im Landesosten können die Einwohnerzahlen, bedingt durch Flüchtlingsbewegungen, erheblich schwanken, 2008 waren dort nach UN-Angaben zwischen 500.000 und einer Million Menschen auf der Flucht. Volksgruppen Während der Kolonialzeit wurden auch im Kongo Ethnien konstruiert. Einige dieser ethnischen Identitäten beruhen auf prämodernen Stammeszugehörigkeiten, andere, wie zum Beispiel die Baluba, wurden gänzlich neu konstruiert. Heute existieren weit mehr als 200 Ethnien in der DRK. Von den Angehörigen dieser Ethnien verstehen sich etwa 80 Prozent als Bantu. Die meisten Bewohner des Landes werden nur einigen wenigen Ethnien zugerechnet, davon die vier großen Bantuvölker: die beiden größten Gruppen sind Bakongo (16 Prozent) und Baluba (18 Prozent), daneben sind auch die Mongo (13 Prozent) und die Banjaruanda (10 Prozent) zahlenmäßig stark. Die restlichen 20 Prozent der Landesbewohner setzen sich zu 18 Prozent aus sudansprachigen Völkern, zu 2 Prozent aus Niloten und aus 20.000 bis 50.000 Pygmäen zusammen. Von den etwa 100.000 Europäern (meist Belgier), die zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit im Land lebten, sind bis heute etwa 20.000 geblieben. Bereits vor der Unabhängigkeit schürte die belgische Kolonialmacht Rivalitäten zwischen den Volksgruppen; diese werden bis heute als maßgebliche Ursache für die Kriege und Konflikte im Land genannt. Im Jahre 2017 waren 0,8 Prozent der Bevölkerung im Ausland geboren. Im Land leben 280.000 Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik. Weitere größere Ausländergruppen kommen aus Ruanda und Angola. Sprachen In der Demokratischen Republik gibt es eine Sprachenvielfalt, die im Land ähnlich groß ist wie die Vielfalt an Volksgruppen: Insgesamt wird die Anzahl der Sprachen und Dialekte des Kongo mit 214 angegeben. Aufgrund der kolonialen Vergangenheit nimmt das Französische den Rang der Amts-, Literatur- und Bildungssprache ein. Daneben gibt es vier offizielle Nationalsprachen: Lingala, Kikongo ya leta, Tschiluba und eine kongolesische Variante des Swahili, deren Rechtschreibung 1974 geregelt wurde. Auch diese wurden in der Kolonialzeit von Belgien festgelegt, um die Sprachenvielfalt zu begrenzen. Kikongo ya leta vor allem in den beiden Provinzen Kongo Central und Bandundu, während Tshiluba vor allem in den beiden Provinzen Kasai-Occidental und Kasaï-Oriental gesprochen wird. Der Ursprung des Lingala befindet sich in dem Land selbst. Diese Sprache, die der Volksgruppe der Bangala zuzuordnen ist, breitete sich aus der Region Équateur entlang der Flüsse aus. Gefördert wurde diese Ausbreitung durch die Europäer, die es als Kommunikationssprache nutzten, später durch die Diktatur von Mobutu, der sich durch die Medien auf Lingala an sein Volk wandte, und heute durch die Popmusik. Swahili ist eine Verkehrssprache in ganz Ostafrika, welche, wenngleich sie im Kongo wenig Muttersprachler hat, diesen Status auch im Osten des Landes besitzt. Außerdem wurde nach dem Ende des Mobutu-Regimes Swahili offizielle Armeesprache und dadurch im gesamten Landesgebiet zunehmend populärer. Artikel 1 der Verfassung bestimmt neben Französisch als „offizieller Sprache“: «… langues nationales sont le kikongo, le lingala, le swahili et le tshiluba». Laut Artikel 142 sind alle Gesetze binnen 60 Tagen in diesen Sprachen zu veröffentlichen. Im Osten des Landes ist Swahili die vorherrschende Sprache der Kommunikation und wird auch in Schulen und auf Ämtern benutzt. Weitere Sprachen sind beispielsweise das mit Tschiluba nah verwandte Kiluba, Chokwe und Kikongo. In den nationalen Medien herrscht unter den vier Sprachen weitgehende Gleichverteilung; in den Regionalmedien wird jedoch die jeweilige Regionalsprache bevorzugt. Schriftsprache ist weiterhin Französisch, doch in der jüngsten Vergangenheit werden oft französischsprachige Texte mit Wörtern der einheimischen Sprachen verknüpft, denen häufig die Funktion eines Stilmittels zukommt. Religionen Indigene Religionen Indigene Glaubenssysteme drehen sich meist um die Geister der Vorfahren und um Hexer und Zauberer (ndoki), die mit diesen kommunizieren können. Des Weiteren glaubt man an die Existenz von Geistern des Wassers, der Fruchtbarkeit und ähnlichen Mächten (mbumba), die entweder unsichtbar sind oder in Form von natürlichen Objekten (besonders geformten Felsen, Bäumen oder auch Menschen mit besonderen Eigenschaften wie Albinos) annehmen und die entsprechend verehrt werden. Die Vorstellung von Dämonen, vor denen man sich schützen muss, verlangt die Herstellung von Fetischen und anderen Objekten. Katholische Kirche Die dominierende Religion ist das Christentum und innerhalb dessen die römisch-katholische Kirche. Bereits nach dem ersten Kontakt mit den portugiesischen Entdeckern unter Diogo Cão 1482 blieben Missionare im Land. Anfang des 16. Jahrhunderts wurden die ersten Schulen gebaut, und man überzeugte den König und seine unmittelbare Umgebung, sich taufen zu lassen. Die Region der Kongo-Mündung gehört somit neben Angola und Mosambik zu jenen Gebieten in Afrika, wo die Missionierungsbemühungen der Portugiesen am erfolgreichsten waren. Nach dem Zerfall des Königreichs gab es im 19. Jahrhundert eine zweite Phase der Missionierung. 1878 errichteten protestantische Missionare in der heutigen Hafenstadt Matadi einen ersten Posten. Die früheste katholische Mission dieser „zweiten Evangelisierung des Kongo“ entstand 1880 in Boma. Die Kongregation vom Unbefleckten Herzen Mariens (Congregatio Immaculati Cordis Mariae, CICM) übernahm das 1886 gegründete „Apostolische Vikariat Belgisch-Kongo“ und errichtete Missionsstationen in Kwamouth (1888) und Leopoldville (1899). 1892 gründeten Jesuiten in Kwango ihre erste Missionsstation. Andere Orden folgten. 1906 sicherte eine Übereinkunft zwischen dem Vatikan und Leopold II. den katholischen belgischen Missionen je 100 bis 200 Hektar unbefristeten Landbesitz zu. Bedingung war, dass jede Missionsstation eine Schule unter staatlicher Aufsicht zur landwirtschaftlichen und handwerklichen Ausbildung unterhielt. Nach dem Ersten Weltkrieg betrieben 22 Missionsgesellschaften von Belgien aus die Kongo-Mission. Vor allem das Schulsystem war in katholischer Hand. 1926 wurden alle staatlichen Schulen im Kongo den katholischen Missionen anvertraut, wobei die Kolonialregierung beträchtliche Summen für den Betrieb zur Verfügung stellte. Nichtkatholische Schulen erhielten erst ab 1946 staatliche Unterstützung. Die Voraussetzung für den Schulbesuch der Kinder war die Taufe. 1930 gab es 640.000 Katholiken (zehn Prozent der Gesamtbevölkerung). 1959 waren es 5,5 Millionen (40 Prozent). Mit dem System der Missionsstationen, die Kirche, Schule und Krankenhaus an einem Ort zusammenführten, bildete die katholische Kirche im ganzen Land eine Infrastruktur aus, die sich bis heute erhalten hat. Sie wuchs damit zu einer mächtigen Kraft in der Gesellschaft. Das Verhältnis von Kirche und Staat war bis zur staatlichen Unabhängigkeit von verschiedenen Tendenzen geprägt. Die ersten Missionare sahen durch ihre Nähe zur einheimischen Bevölkerung Unterschiede zwischen dem kolonialen System wirtschaftlicher Ausbeutung und einer Entwicklung gemäß christlich-sozialen Vorstellungen und standen dem Unternehmen König Leopolds II. häufig kritisch gegenüber. Die großen Missionsstationen nach dem Ersten Weltkrieg banden die Missionare jedoch enger in das koloniale System ein. Der Unabhängigkeitsbewegung stimmten führende Kirchenvertreter zunächst nur zögerlich zu. Anfang der 1970er Jahre stellte sich Mobutu mit seiner Kampagne der „Authentizität“ auch gegen das Christentum und die katholische Kirche. Christliche Vornamen wurden verboten. Die katholischen Schulen und die katholische Universität wurden verstaatlicht. Später wurden die Schulen wieder an die Kirche zurückgegeben, da der staatliche Apparat mit deren Verwaltung und Führung überfordert war. In den 1970er Jahren entstanden einheimische Schwesternkongregationen. Mehr Schwarze wurden zu Priestern geweiht, Führungspositionen in der Kirche mit Afrikanern besetzt. Der Vatikan erkannte einen eigens entworfenen Zairischen Messritus offiziell an. Bei der beginnenden Demokratisierung zu Beginn der 1990er Jahre spielte die katholische Kirche eine bedeutende Rolle. Laurent Monsengwo Pasinya, der damalige Erzbischof von Kisangani und spätere Erzbischof von Kinshasa, wurde zum Präsidenten der Nationalkonferenz (Conférence Nationale Souveraine) gewählt. Als Mobutu im Januar 1992 die Nationalkonferenz auflöste, protestierten weite Teile der Bevölkerung mit dem berühmten „Marsch der Christen“. Nach dem Sturz Mobutus und den anschließenden Kriegen riefen die Führer religiöser Gemeinschaften zum Frieden auf und forderten Demokratisierungsprozesse ein. Die Bischofskonferenz hat ein ständiges Büro eingerichtet, das den Demokratisierungsprozess unterstützt. Im Konflikt zwischen afrikanischen Staaten engagiert sich die katholische Kirche auf der Ebene der gemeinsamen Bischofskonferenz von Burundi, Ruanda und Kongo für Dialog und Versöhnung. Finanziell und teilweise auch personell ist sie noch immer vom Ausland abhängig. Im November 2010 wurde mit Laurent Monsengwo Pasinya auch erstmals ein Kongolese Kardinal. Protestantische Kirchen 1878 kamen die ersten protestantischen Missionare in die Kongo-Region. Während der Existenz des Kongo-Freistaats (1885 bis 1908) veröffentlichten einige von ihnen die missbräuchliche Behandlung und Ausbeutung von einheimischen Arbeitern durch die Kolonialgesellschaften und die Kolonialverwaltung. Dies führte mit dazu, dass Leopold II. seinen „Freistaat“ an Belgien übergeben musste. Im Unterschied zur katholischen Kirche, die enger mit dem Staat und den Kolonialgesellschaften verbunden war, hatten die protestantischen Missionare zunächst weniger Vertrauen von Seiten der Regierung und bekamen staatliche Unterstützung für von ihnen betriebene Krankenhäuser und Schulen erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Kolonialstaat hatte den verschiedenen Missionsgesellschaften unterschiedliche Territorien zugewiesen. Zur Zeit der Unabhängigkeitserklärung waren etwa 46 protestantische Gruppen aktiv, zumeist aus Nordamerika, Großbritannien und Skandinavien. Sie waren zunächst locker in einem Komitee verbunden. Später schlossen sie sich zur „Eglise du Christ“ („Kirche Christi“) zusammen. Dieser Verbund wurde stark von Diktator Mobutu kontrolliert. Seit der Unabhängigkeit gingen das Eigentum der Missionsgesellschaften und die internen Führungspositionen zunehmend in die Hände von Einheimischen über. Die Regierung Mobutu suchte durch enge Verbindungen zur Führung der „Kirche Christi“ ein Gegengewicht zur Kritik der mächtigen katholischen Kirche aufzubauen. Im Gegenzug half die Regierung dem protestantischen Kirchenbund, neue religiöse Bewegungen und Splittergruppen durch rechtliche und formale Hindernisse in deren Ausbreitung zu behindern. Afrikanische Kirchen Die Kimbanguistenkirche wird zu den afrikanischen Kirchen gezählt. Sie wurde während der Kolonialzeit von Simon Kimbangu gegründet, der sich als Erlöser der Schwarzen von der belgischen Unterdrückung ausgab. Die Kimbanguisten überstanden die Bekämpfung durch die Kolonialmacht und haben heute je nach Quelle zwischen 5 Millionen und 10 Millionen Anhänger. Der bis nach Europa verbreitete pfingstlerische Combat Spirituel hat sein Zentrum im Kongo und allein in Kinshasa rund 50.000 Mitglieder. Staatspräsident Joseph Kabila ist der prominenteste Anhänger dieser Religionsgruppe. Der Combat Spirituel wird von der Öffentlichkeit kritisch gesehen, seitdem bekannt wurde, dass vereinzelte Mitglieder gewaltsame Exorzismusriten an Kindern ausführen. Die Leitung der Kirche distanziert sich zwar von diesen Vorfällen, bekennt sich allerdings zum grundsätzlichen Glauben an die Hexerei von Kindern. Seit der Unabhängigkeit haben sich zahlreiche weitere christliche Mikrokirchen und Sekten gebildet, deren Zahl von einem Dutzend in den 1960er Jahren auf über 1000 heute angestiegen ist. Sie bilden sich häufig um charismatische, wirtschaftlich erfolgreiche Personen, wobei magische Praktiken eine bedeutende Rolle spielen (z. B. Unverletzbarkeit von Kriegern mittels Verabreichung von Weihwasser). Vielfach zeigt sich eine enge Verflechtung religiöser und erfolgsorientierter materieller Motive. Soziale Situation Die Bevölkerung des Kongo zählt zu den ärmsten der Welt. Eine Untersuchung der kongolesischen Regierung von 2006 ergab folgende Zahlen: 76 % der Bevölkerung konnten ihre Kinder nicht zur Schule schicken, 79 % waren unterernährt, 81 % hatten keinen ausreichenden Wohnraum und 82 % keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Im Jahr 2012 lebten nach Angaben der Weltbank 77,1 % der Bevölkerung von weniger als 2 Dollar pro Tag und damit in absoluter Armut. Die Armut ist recht unterschiedlich verteilt, in der ärmsten Provinz Équateur oder in den besonders vom Krieg betroffenen Kivuprovinzen wurden die höchsten Werte festgestellt. In den Provinzen Ituri, Kivu und Kasai im Osten des Landes leiden im Jahr 2018 rund fünf Millionen Menschen an Hunger; mehr als 13 Millionen Menschen sind insgesamt auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Sozialsystem Das Sozialsystem des Landes zählt zu den schlechtesten der Welt. Theoretisch ist das seinerzeit vorbildliche, noch aus der Kolonialzeit stammende Sozialversicherungssystem weiterhin in Kraft. Faktisch ist es aber nicht funktionsfähig, allein schon deshalb, weil es heute kaum feste Arbeitsverhältnisse gibt. Ab 1992 stellte die Regierung jahrelang den Unterhalt der Sozialsysteme komplett ein. Staatsbedienstete erhielten keine Gehälter mehr. Nach dem Sturz Mobutus versuchte die neue Regierung zwar, wieder Gehälter zu bezahlen. Dies geschah aber nur unregelmäßig und reichte nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Es bürgerte sich ein, dass jeder Bürger staatliche Dienstleistungen direkt bezahlte. Solche Zahlungen, die sowohl an Lehrer und Ärzte als auch an Beamte oder Polizisten erfolgen, werden im kongolesischen Französisch als la motivation bezeichnet. Versuche der Regierung, diese Praxis zu verbieten und den Staatsbediensteten wieder Gehälter zu bezahlen, hatten wenig Erfolg: Weder Bürger noch Angestellte trauen der Regierung zu, dass diese regelmäßig gezahlt werden. Soziale Dienste werden vor allem von der katholischen Kirche betrieben, die unter anderem deswegen in der Bevölkerung ein hohes Ansehen genießt. Gesundheit Die medizinische Lage in der Demokratischen Republik Kongo ist sehr schlecht. Ein öffentliches Gesundheitssystem ist kaum vorhanden, viele der ohnehin kaum ausgebauten Einrichtungen wurden infolge des Krieges zerstört. So gibt es nur einen Arzt pro 10.000 Menschen, in anderen Staaten ist dieser Wert teilweise 40-mal so hoch. 2005 betrugen die Gesundheitsausgaben der Zentralregierung weniger als eine Million US-Dollar. Laut den Daten der WHO betrugen die Gesundheitsausgaben im Jahr 2009 rund 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (circa 220 Millionen US-Dollar) oder umgerechnet etwa 3 US-Dollar pro Einwohner. Zur mangelhaften Versorgungssituation kommt auch das Problem, dass in den ländlichen Regionen nur 29 % und in den Städten 82 % der Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Kongolesen ohne Trinkwasserzugang laut einer UN-Studie von 2011 auf rund 51 Millionen, obwohl der Staat über mehr als 50 Prozent der Wasserressourcen Afrikas verfügt. Außerdem besteht nur für ein knappes Drittel der Kongolesen die Möglichkeit, Sanitäreinrichtungen zu nutzen. Durch den dadurch hervorgerufenen Mangel an Hygiene treten häufig verschiedene Durchfallerkrankungen auf, ebenfalls weit verbreitet sind andere Infektionskrankheiten wie Typhus und Hepatitis A. Die Demokratische Republik Kongo hat eine der höchsten Kindersterblichkeitsraten, laut Angaben der UN waren es 2019 etwa 97 Tote pro 1000 Lebendgeborene unter fünf Jahren. Erhebungen aus dem Jahr 2010 kommen auf jährlich 540.000 gestorbene Kinder unter fünf Jahren. Ebenfalls sehr hoch sind die Werte für Säuglings- (126 Todesfälle je 1000 Geburten) und Müttersterblichkeit (580 Todesfälle pro 100.000 Geburten). Laut Aussagen des Präsidenten der kongolesischen Kinderarztvereinigung von März 2013 gibt es im Kongo etwa 85 Kinderärzte, davon etwa 50 in der Hauptstadt Kinshasa und 20 in der Provinz Katanga. Weiterhin herrscht ganzjährig ein sehr hohes Malariarisiko im gesamten Land, während des Krieges soll allein diese Krankheit hunderttausende Tote pro Jahr gefordert haben, über ein Drittel davon Kinder unter fünf Jahren. Sehr verbreitet ist auch die Schlafkrankheit, von der 1999 fast zwei Prozent der Bevölkerung betroffen waren. Im Februar 2005 breitete sich in Bas-Uele im Nordwesten des Landes die Lungenpest aus, die WHO berichtete von 61 Toten. Eine weitere Ausbreitung konnte aber verhindert werden. Im Juni 2006 wurden weitere 100 Pesttote im Distrikt Ituri gemeldet. In der Demokratischen Republik Kongo wurde das Zaire-Ebolavirus erstmals entdeckt, welches nach dem Fluss Ebola nahe dem Ursprungsort benannt wurde. Mit einer Letalitätsrate von 60 bis 90 Prozent ist dies die gefährlichste Spezies des Ebolavirus, das in der Demokratischen Republik Kongo seit 1976 immer wieder auftritt. Die HIV-Rate lag im Kongo 2012 bei rund 1,1 Prozent der Erwachsenen, was knapp einer halben Million Menschen entspricht. Dieser Wert ist verglichen mit den Daten anderer Staaten Subsahara-Afrikas eher niedrig. Die Krankheit fordert jedes Jahr rund 30.000 Todesopfer. Bildung Die Alphabetisierungsrate von rund 77 Prozent (Männer 88,5 Prozent, Frauen 66,5 Prozent, Zahlen von 2016) ist im Kongo weitaus besser als in Staaten wie Mali oder Niger. Dennoch ist sie durch den Krieg und die damit verbundene Auflösung vieler staatlicher Strukturen seit Mitte der 1990er Jahre deutlich gesunken um sich mit Ende der Konflikte wieder zu erholen: Im Jahr 1995 konnten 77 Prozent der Menschen lesen und schreiben. Schulen Formal ist zwar eine Grundbildung vorgeschrieben (6. bis 12. Lebensjahr) und staatlich garantiert, faktisch ist aber ein öffentliches Bildungssystem kaum existent. Die meisten Schulen erhalten keine staatliche Unterstützung. Daher müssen die Eltern die Lehrer direkt bezahlen. Bedingt durch den Krieg ging der Anteil der Kinder, die eine Schule besuchen, von rund 70 Prozent auf nunmehr etwa 40 Prozent zurück, weil für große Teile der Bevölkerung das Schulgeld unerschwinglich geworden ist. Die Unterrichtsqualität wird generell als schlecht betrachtet, sodass die erworbenen Kenntnisse zumeist unzureichend sind und viele Schulabsolventen keine angemessenen Lese- und Schreibkompetenzen vorweisen können. Ein weiteres Problem ist der Mangel an Lehrpersonal. 2008 kamen auf einen Lehrer 39 Schüler. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist mit einer weiteren Verschlechterung des Bildungswesens zu rechnen. Universitäten Bis zur Mitte der 1950er Jahre existierte im damaligen Belgisch-Kongo keine Universitätsausbildung. Es gab einige Ausbildungsstätten für Lehrer, für technische und medizinische Berufe, für Agrarwissenschaft und öffentliche Verwaltung sowie religiöse Seminare. Diese führten jedoch nicht zu anerkannten Studienabschlüssen. 1953 wurde in Kinshasa die Katholische Universität Lovanium gegründet. Sie war eng verbunden mit der Katholischen Universität von Löwen in Belgien. 1956 wurde in Lubumbashi eine staatliche Universität eröffnet. 1963 entstand unter protestantischer Schirmherrschaft eine dritte Universität bei Kisangani. Nach der Unabhängigkeit wurde eine Reihe von Fachhochschulen geschaffen. Im August 1971 wurden die drei Universitäten zur Université Nationale du Zaire vereinigt mit separaten Standorten in Kinshasa, Lubumbashi und Kisangani. Aufgrund von Problemen, die diese extreme Zentralisierung mit sich brachte, kam es 1981 wieder zur Aufteilung in selbständige Universitäten an diesen drei Orten. Die wiederhergestellten Universitäten waren nun jedoch komplett in staatlicher Hand. Obwohl die Zentralisierung des Universitätssystems letztendlich rückgängig gemacht worden war, bestehen manche der 1971 geschaffenen Organe zur Koordination des kongolesischen Universitätswesens bis heute. Im Jahr 1989 wurde das staatliche Universitätsmonopol schließlich offiziell beendet und die Bildung privater Universitäten ermöglicht. In diese Zeit fiel auch eine generelle Krise des kongolesischen Bildungssektors. Durch eine generelle ökonomische Krise des Staates konnten Bildungseinrichtungen nunmehr kaum noch unterstützt werden und eine Vielzahl von Stipendien wurden gestrichen sowie Studiengebühren erhoben. Nachfolgende Studentenproteste wurden gewaltsam unterdrückt, was zu einer zweijährigen Schließung aller staatlichen Universitäten führte. Durch diesen Niedergang der staatlichen Universitäten erhielten private Institutionen mehr und mehr Zulauf. Trotz der offiziellen Öffnung des Systems für private Einrichtungen haben deren Abschlüsse formal immer noch nicht dieselbe Gültigkeit wie die staatlicher Universitäten. Dies hat zur Folge, dass Absolventen privater Universitäten nicht im öffentlichen Dienst arbeiten können und teilweise Probleme haben, ihr Studium beispielsweise im Ausland fortzuführen. Die kongolesischen Universitäten gehörten einst zu den besten Afrikas. Heute ist die Unterrichtsqualität unzureichend. Es fehlt sowohl an Lehrmaterial als auch an qualifiziertem Lehrpersonal. Korruption ist auch hier anzutreffen. So werden Abschlüsse häufig durch Bestechung erworben. Arbeitsmarkt Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit war ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung in einem festen Arbeitsverhältnis. Bis in die 1990er Jahre sank dieser Anteil auf 15 bis 20 Prozent, wobei die Einkommen erheblich gefallen waren und nicht mehr zum Leben ausreichten. Seitdem ist fast jeder gezwungen, zusätzliches Geld im informellen Sektor zu verdienen, bereits in den 1980er Jahren war das reale Einkommen im Durchschnitt dreimal so hoch wie offiziell gezahltes Gehalt. Die Zahl fester Arbeitsverhältnisse ging seitdem weiter zurück, während des Krieges betrug ihr Anteil nicht einmal mehr 5 Prozent, ein Drittel der Bevölkerung verfügte über gar kein Geldeinkommen. Politik Politisches System Die Verfassung von 2006 definiert den Kongo als einen säkularen, demokratischen Rechtsstaat mit einem semipräsidentiellen Regierungssystem. Der Präsident wird vom Volk in allgemeinen, freien und gleichen Wahlen für fünf Jahre direkt gewählt. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er ernennt den Premierminister und dessen Kabinett. Es gibt ein Zweikammersystem, bestehend aus Oberhaus (Senat) und Unterhaus (Nationalversammlung). Die 108 Mitglieder des Senats werden für fünf Jahre von den Provinzparlamenten gewählt, die Nationalversammlung mit 500 Abgeordneten wird vom Volk gewählt. 61 Sitze werden nach Mehrheitswahlrecht bestimmt, die übrigen nach Verhältniswahl in offenen Listen. In der Praxis erfüllt der Staat, abgesehen von der erfolgreichen Wahl 2006, in keiner Weise die Merkmale einer Demokratie und eines Rechtsstaates. Eine Gewaltenteilung existiert nur in der Theorie, es gibt praktisch keine unabhängige Justiz, und Gesetze werden nicht durchgesetzt. Alle staatlichen Institutionen sind hochgradig korrupt und unzuverlässig, und es ist seit Jahrzehnten allgemein üblich, dass Posten in staatlichen Institutionen und Betrieben zur persönlichen Bereicherung ausgenutzt werden. Die territoriale Souveränität des Staates ist insbesondere im Osten des Landes nicht mehr gegeben. Aufgrund ihrer Instabilität wird die Demokratische Republik Kongo als gescheiterter Staat bezeichnet, gleichwohl keine der zahlreichen Rebellengruppen, die seit der Unabhängigkeit existierten, je die Legitimität des Staates in Frage oder sezessionistische Forderungen stellten. Politische Indizes Verfassung Am 16. Mai 2005 beschloss das 2003 ernannte Übergangsparlament den Entwurf einer neuen Verfassung. Die Macht des Präsidenten wird darin eingeschränkt. Der Premierminister ist nun nicht mehr dem Präsidenten verantwortlich, sondern der Mehrheitsfraktion im Parlament. Am 27. Oktober 2005 sollte das Volk über die neue Verfassung abstimmen. Der Abstimmung ging eine langwierige, von EU und UN unterstützte Wählerregistrierung voraus. Jeder Wähler erhielt einen fälschungssicheren Personalausweis, und trotz diverser Boykottaufrufe ließen sich insgesamt 25.650.751 Wähler registrieren, von geschätzt 28 Millionen prinzipiell Wahlberechtigten. Nachdem die Wählerregistrierung erheblich länger als geplant gedauert hatte (in abgelegenen Gebieten Équateurs und Bandundus wurden die letzten Wähler erst im Februar 2006 registriert), wurde die Abstimmung schließlich verschoben. Am 18. und 19. Dezember 2005 stimmten 84,3 % der Wähler bei einer Wahlbeteiligung von 62 % in einem Verfassungsreferendum für die Annahme der neuen Verfassung. Die Zustimmung war je nach Landesteil unterschiedlich verteilt, in Kinshasa stimmten aufgrund der dortigen Boykottkampagnen nur etwas mehr als 50 % dafür, in den Kivuprovinzen lag sie bei über 90 %. Am 18. Februar 2006 trat die neue Verfassung in Kraft. Wahlen Am 30. Juli 2006 fanden die Wahlen für das Präsidentenamt und das Parlament statt. Es war die erste freie Wahl im Kongo seit 1965. Es gab 43 Bewerber für das Präsidentenamt, darunter zahlreiche frühere Rebellenführer, und über 60 Parteien für das Parlament. Unterschiedliche Programme hatten die Kandidaten nicht zu bieten, es ging lediglich um die Frage, wer das Land zukünftig regieren durfte. Der Wahlkampf war von Gewalt, willkürlichen Verhaftungen und Hetzkampagnen der Presse überschattet. Für den Fall, dass die ehemaligen Kriegsherren die Ergebnisse nicht anerkennen würden, wurden schwere Unruhen bis hin zu einem erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs befürchtet. Zur Absicherung der Wahl entsandte die EU zusätzlich zur UN-Mission MONUC eine eigene Militärmission, die EUFOR RD Congo. Der Wahltag selbst verlief weitgehend friedlich. Im ersten Wahlgang erhielt Kabila 44,8 %, Jean-Pierre Bemba 20,0 % und Antoine Gizenga 13,1 %, die Anteile aller anderen Kandidaten lagen bei weit unter 10 %. Die Ergebnisse der Parlamentswahl verhielten sich ähnlich: Die PPRD (Kabila) erhielt 111 von 500 Sitzen, die MLC (Bemba) 64 und die PALU (Gizenga) 34, der Rest ging an zahlreiche kleine Parteien und unabhängige Kandidaten. Die Ergebnisse waren wie schon bei dem Verfassungsreferendum sehr unterschiedlich verteilt, in den Ostprovinzen, die während des Krieges unter Rebellenkontrolle standen, erzielte Kabila sehr hohe Ergebnisse, während im Westen die Stimmen breiter verteilt waren. Die befürchteten Unruhen blieben weitgehend aus, es kam lediglich zu begrenzten Gefechten zwischen den Truppen Bembas und Kabilas in Kinshasa. Da keiner der Kandidaten für das Präsidentenamt eine absolute Mehrheit erreicht hatte, fand am 29. Oktober 2006 eine Stichwahl statt, die Kabila mit 58,05 % der Stimmen gewann. Die Ergebnisse waren wieder ungleich verteilt, die westlichen Provinzen Équateur, Bas-Congo, Kinshasa und Kasai fielen Bemba zu, der Osten Kabila. Im Vorfeld der darauffolgenden Wahl am 27. November 2011 gab es Auseinandersetzungen um eine Verfassungsänderung, die nach Auffassung der Opposition die Wiederwahl Kabilas begünstigte. Am 12. Januar 2011 stimmte die Nationalversammlung und am folgenden Tag auch der Senat für eine Abschaffung der Stichwahl um das Präsidentenamt. Demnach reicht die einfache Mehrheit im ersten Wahlgang. In der Wahl, bei der es einzelne Hinweise auf Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug gab, wurde Kabila mit 48,95 % wiedergewählt, sein wesentlicher Konkurrent Étienne Tshisekedi erhielt 32,33 %. Gemäß der Verfassung sollte 2016 wieder eine Präsidentschafts- und Parlamentswahl durchgeführt werden. Die Wahlen wurde aber mehrfach verschoben und fanden schließlich am 30. Dezember 2018 statt. Die Verfassung ließ dabei eine erneute Kandidatur Kabilas nicht zu. An seiner Stelle wurde der Oppositionspolitiker Félix Tshisekedi – der Sohn Étienne Tshisekedis – als Präsident gewählt. Das Wahlergebnis war offenbar grob gefälscht: Sowohl die Daten der katholischen Bischofskonferenz Kongos (die 40.000 Wahlbeobachter im ganzen Land im Einsatz hatte) als auch Datensätze der Wahlkommission Céni von 62.716 elektronischen Wahlmaschinen (die rund 15 der 18 Millionen abgegebenen Stimmen erfassten), die der Financial Times zugespielt wurden, widersprachen klar dem angeblichen Wahlsieg Tshisekedis; laut diesen Daten hatte der Kabila-Kritiker Martin Fayulu die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten. Regierung 2006 bis 2012 Nach den Wahlen wurde am 30. Dezember 2006 Antoine Gizenga, der alte Lumumbistenführer der 1960er Jahre, zum Premierminister ernannt, am 7. Februar stand die neue, aus 60 Ministern und Vizeministern bestehende Regierung. Erstmals seit Jahrzehnten gab es wieder eine Regierung, die eine gute Regierungsführung zumindest versuchte. Die Erfolge der neuen Regierung blieben gering, Gizenga war der Situation nicht mehr gewachsen, die Macht im Land blieb bei Präsident Kabila und beim Militär. Am 25. September 2008 reichte Gizenga altersbedingt seinen Rücktritt ein, Nachfolger wurde am 10. Oktober 2008 Haushaltsminister Adolphe Muzito. Er gehört ebenfalls der PALU an; dies war wegen eines Koalitionsabkommens zwischen den Regierungsparteien PPRD, PALU und UDEMO eine der Bedingungen bei der Neubesetzung des Postens. Zusammen mit Muzito wurden 16 Minister neu ernannt. Die Mehrheit der Minister der Koalition hielt Kabilas PPRD. Seit 2012 Muzito trat am 7. März 2012 zurück. Nachfolger als Premierminister wurde am 18. April 2012 der bisherige Finanzminister Augustin Matata Ponyo, der 2016 durch Samy Badibanga abgelöst wurde. Von 2017 bis 2019 war Bruno Tshibala Premierminister. Menschenrechte Der Kongo ist eines der Länder, in denen die Menschenrechte wenig geachtet werden. Dies trifft insbesondere auf die Kriegsgebiete zu, wo die Kriegsparteien kaum Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen. Vergewaltigung war und ist in der Demokratischen Republik Kongo eine Kriegswaffe. In den Jahren 2006 bis 2009 wurden allein von dem Hilfswerk „Heal Africa“ 12.000 vergewaltigte Frauen betreut. Die Organisation geht von der zehnfachen Zahl an Vergewaltigungen aus. Laut einer Studie sind rund 39 % aller Frauen und 24 % aller Männer im Land mindestens einmal in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung geworden. Immer wieder gibt es Berichte über Massenvergewaltigungen, etwa 2010 in Luvungi. Sowohl Angehörige bewaffneter Gruppen als auch staatliche Sicherheitskräfte verübten routinemäßig Folterungen und Misshandlungen, insbesondere gegen vermeintliche politische Gegner. Zu den Foltermethoden gehörten Schläge, Verletzungen durch Messerstiche, Vergewaltigungen und das Aufhängen von Personen an Gitterstäben. In den meisten Hafteinrichtungen und Gefängnissen herrschten derart harte Bedingungen, dass sie grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleichkamen. In Berichten hieß es regelmäßig, dass Gefangene an Unterernährung und behandelbaren Krankheiten starben. Ein weiterer humanitärer Krisenschwerpunkt ist die Nordost-Region der Provinz Orientale, wo die aus Uganda stammenden Lord’s Resistance Army (LRA) im Gefolge einer gescheiterten gemeinsamen Militäraktion von der Demokratischen Republik Kongo, Sudan und Uganda seit Dezember 2007 wiederholt grausame Attacken auf die Zivilbevölkerung verübt. Die LRA wird für den Tod von über 1.200 Menschen und die Entführung von über 600 Kindern seit September 2008 verantwortlich gemacht. 2008 verurteilten Militärgerichte mindestens 50 Menschen zum Tode, darunter auch Zivilisten. Es wurden allerdings keine Hinrichtungen gemeldet – so Amnesty International. Sicherheitskräfte der Regierung und bewaffnete Gruppen überfielen und entführten Menschenrechtsverteidiger, schüchterten sie ein und bedrohten sie mit Mord. In Nord-Kivu mussten viele, die sich für die Menschenrechte einsetzten, untertauchen oder fliehen. Andere wurden zur Zielscheibe, weil sie an der Aufarbeitung politisch brisanter Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren. Im Jahr 2008 befanden sich Schätzungen zufolge immer noch 3000 bis 4000 Kinder in den Reihen bewaffneter Gruppen. In einem im Dezember 2009 von Human Rights Watch veröffentlichten Bericht wird detailliert die gezielte Tötung von mehr als 1400 Zivilisten zwischen Januar und September 2010 während zwei aufeinander folgender kongolesischer Militäroperationen gegen die ruandische Hutu-Miliz „Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR) dokumentiert. Sowohl kongolesische Regierungssoldaten als auch FDLR-Rebellenmilizen haben Zivilisten angegriffen, ihnen vorgeworfen, mit dem Gegner zu kollaborieren, und sie „bestraft“, indem sie mit Macheten zu Tode gehackt wurden. Beide Seiten haben darüber hinaus Zivilisten bei Fluchtversuchen erschossen oder sie absichtlich in ihren Häusern verbrannt. Einige Opfer wurden gefesselt, bevor ihnen, einem Zeugen zufolge, die Kehlen „wie Hühnern durchgeschnitten“ wurden. Die Mehrheit der Opfer waren Frauen, Kinder und ältere Menschen. Am 1. Oktober 2010 veröffentlichte das Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) einen ausführlichen Bericht über schwerste Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen internationalen humanitären Rechts auf dem Territorium der Demokratischen Republik Kongo im Zeitraum von März 1992 bis Juni 2003. Die Regierung von Ruanda hatte vor der Veröffentlichung dieses Berichts vergeblich Änderungen verlangt. Hintergrund war, dass einige der schwersten dokumentierten Verbrechen von Angehörigen der Rwandan Patriotic Army (RPA) und der mit ihnen verbündeten Alliance des forces démocratiques pour la libération du Congo-Zaïre (AFDL) begangen worden waren. Sie könnten nach Aussage des Berichts möglicherweise als Genozid bezeichnet werden. Homosexualität in der Demokratischen Republik Kongo ist legalisiert. Mitgliedschaft in internationalen Organisationen Die Demokratische Republik Kongo gehört einer Reihe von politischen und wirtschaftlichen Vereinigungen an: AEC (Afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) Organisation Afrikanischer, Karibischer und Pazifischer Staaten AU (Afrikanische Union) BAD (Afrikanische Entwicklungsbank) COMESA (Gemeinsamer Markt für das Östliche und Südliche Afrika) EAC (Ostafrikanische Gemeinschaft) – seit dem 29. März 2022 G33 (Zusammenschluss verschiedener Entwicklungsländer) ICGLR (Internationale Konferenz der Region der Großen Seen) OIF (Internationale Organisation der Frankophonie) SADC (Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft) UN (Vereinte Nationen) Militär Das Land gab 2017 knapp 0,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung oder 295 Millionen US-Dollar für seine Streitkräfte aus. Die kongolesischen Streitkräfte () entstanden in ihrer heutigen Form nach dem Zweiten Kongokrieg, als die Regierungsarmee mit den verschiedenen Rebellenstreitkräften zusammengelegt wurde. 2003 meldeten Regierung und Rebellen über 300.000 Soldaten für die Eingliederung in die neuen Streitkräfte, nach einer unabhängigen Schätzung waren es aber allenfalls 200.000 Soldaten. Die Sollstärke der FARDC sollte bei etwa 120.000 Mann liegen. Bis 2008 waren aber erst etwa 45.000 Mann in 15 Brigaden einsatzbereit. Bei Aufstellung der neuen Streitkräfte wurden „gemischte“ Einheiten gegründet, das heißt in der FARDC dienen Soldaten verschiedener Bürgerkriegsparteien in ein und derselben Einheit. Der Neuaufbau der Armee ist noch lange nicht abgeschlossen, die alten Strukturen der Rebellen bestehen weiter fort, zehntausende Soldaten befinden sich außerhalb der regulären Befehlsstrukturen unter dem Kommando ehemaliger Bürgerkriegsgeneräle. Dies ist vor allem im Osten des Landes, in den Kivuprovinzen der Fall, in der bis heute verschiedene lokale Milizen die Macht ausüben. Die FARDC hat sowohl mit starken Organisations- als auch Moralproblemen zu kämpfen. Die Soldaten sind unzureichend ausgebildet und ausgerüstet, der Sold wird nur unregelmäßig ausbezahlt und reicht nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Moral der Truppe ist entsprechend schlecht und die Desertationsrate hoch. Bei Kämpfen im Kivu kam es immer wieder zu Massendesertationen tausender Soldaten. Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gehen auf Kräfte der FARDC zurück, regelmäßig kommt es zu Übergriffen auf Zivilisten mit Plünderungen und Vergewaltigungen seitens der Angehörigen der FARDC. Verwaltungsgliederung In der Demokratischen Republik Kongo herrscht traditionell eine streng zentralistische Verwaltung. Das Land war bis 2015 in zehn Provinzen und den Hauptstadtdistrikt gegliedert. Die 2005 beschlossene Verfassung sah eine Dezentralisierung vor, bei der die 11 Gebietskörperschaften in 26 neue Provinzen mit eigenen Parlamenten aufgeteilt werden sollten. 40 % der auf dem Gebiet einer neuen Provinz eingenommenen Steuern sollten künftig dort verbleiben. Diese Verwaltungsreform sollte erst 2011 komplett umgesetzt worden sein. Im Januar 2011 wurde die Neuaufteilung des Landes durch eine Verfassungsänderung abgesagt, allerdings wurde die Neugliederung im Jahr 2015 doch umgesetzt. Die der Gebietskarte folgende Tabelle gibt die seit 2015 geltenden Provinzen des Landes mit Fläche und ehemaliger Provinzzugehörigkeit an. Kinshasa wird offiziell nicht als Provinz, sondern als Hauptstadtdistrikt bezeichnet. Wirtschaft Jahrzehntelange Misswirtschaft, extreme Korruption und jahrelange Bürgerkriege machten den Kongo, der kurz nach der Unabhängigkeit eines der wirtschaftlich am höchsten entwickelten Länder Afrikas war und über die größten Naturreichtümer des Kontinents verfügt, zu einem der ärmsten Länder der Welt, das in allen Entwicklungsindikatoren weit hinten angesiedelt ist. Das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt etwa 41,61 Milliarden US-Dollar, das BIP pro Einwohner ungefähr 495 US-Dollar (etwa 450 Euro). Die Frauenerwerbsquote liegt bei etwa 71 %. Trotz einem jahrelangen Wirtschaftsaufschwung in der Regierungszeit von Joseph Kabila ist die DR Kongo das zweitärmste Land der Welt. Die Inflationsrate ist beständig hoch und betrug 2011 13,3 %, seit Jahrzehnten dient daher der US-Dollar als Zweitwährung und Wertaufbewahrungsmittel. Charakteristisch für das Land ist der große informelle Sektor, der nicht in die Berechnung des BIP einfließt. Bereits in den 1980er Jahren soll die informelle Wirtschaft dreimal so groß wie die offizielle gewesen sein. Grund für diese Entwicklung waren und sind die extreme Korruption und die mangelnde Effektivität staatlicher Organe, die ein solides Wirtschaften enorm erschweren. Von staatlicher Seite werden erst in jüngster Zeit Anstrengungen unternommen, den Zustand zu ändern. Seit Abschaffung einer Einheitsgewerkschaft 1990 besitzt das Land nun zwar mehrere unabhängige Gewerkschaften, welche aber kaum noch Einfluss auf die Unternehmen haben. Wirtschaftsgeschichte Die Wirtschaft des Landes erlebte in den vergangenen Jahrzehnten eine wechselvolle Entwicklung. In vorkolonialer Zeit war das heutige Staatsgebiet eine bedeutende Quelle für Sklavenhändler. Die von Sansibar aus operierenden islamischen Sklavenhändler, die von lokalen Herrschern und Milizen unterstützt wurden, beuteten das Land weit schwerwiegender aus als die Europäer im Westen des Landes. Die europäische Kolonialisierung ab 1876 setzte sich die Beendigung des Sklavenhandels zum Ziel. Der Widerstand der Sklavenhändler wurde blutig niedergeschlagen. Nach Errichtung des Kongo-Freistaats durch Belgien begann eine in der Kolonialgeschichte beispiellose Ausplünderung des Landes. Der Bevölkerung wurde Zwangsarbeit auferlegt, um Baumwolle, Elfenbein, Palmöl und vor allem Kautschuk zu exportieren (Kongogräuel). Mit der Gründung von Belgisch-Kongo 1908 rückte der Bergbau zum Hauptwirtschaftszweig auf, es wurden vor allem Kupfer und Diamanten abgebaut. Nachdem König Leopold den Kongo an die belgische Regierung abgetreten hatte, stieg es bis in die 1950er-Jahre zum viertgrößten Kupferproduzenten der Welt auf. Auch seine anderen Bodenschätze waren für die westlichen Mächte lebenswichtig: Kobalt, Tantal – und Uran. Das Uran aus Katanga aus der Mine Shinkolobwe bei Jadotville hatte dazu beigetragen, den Ausgang des Zweiten Weltkriegs zu entscheiden; das Manhattan-Projekt wurde mit Uran aus dieser Mine bestückt. Die UMHK-Mine Shinkolobwe produzierte bis 1960 Uran für US-Atomwaffen. Es entstanden ein modernes, dichtes Straßennetz und ein effizientes Gesundheitssystem, welches auch den Lebensstandard der Einheimischen hob. In den letzten Jahren vor der Unabhängigkeit zählte die Kolonie zu den wirtschaftlich am höchsten entwickelten afrikanischen Staaten, der Wohlstand war jedoch extrem zugunsten der immer zahlreicher werdenden belgischen Siedler verteilt: Die Hälfte des Volkseinkommens lag bei den 1 % Europäern; die Kongolesen hingegen blieben von gesellschaftlicher und politischer Teilhabe weitgehend ausgeschlossen. Die Wirren nach der Unabhängigkeit (Kongo-Krise) und die Ausreise vieler Belgier hatten zunächst einen wirtschaftlichen Einbruch zur Folge, von dem sich das Land aber innerhalb weniger Jahre erholte. Von hohen Rohstoffpreisen getragene, teilweise zweistellige Wachstumsraten Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre ermöglichten große, aber unrentable Bauprojekte wie den Inga-Staudamm und die HGÜ Inga-Shaba. Es wurde erwartet, dass sich das Land innerhalb weniger Jahre zur Industrienation entwickeln würde. Als infolge der Ölkrise ab 1973 die Rohstoffpreise zu sinken begannen, begann auch der Niedergang der zairischen Wirtschaft. Die immer weiter ausufernde Korruption Mobutus und seiner kleptokratischen Herrschaftsclique sorgte dafür, dass Exporteinnahmen nicht mehr reinvestiert wurden und die Wirtschaftsbetriebe verfielen. Während der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre befand sich die Wirtschaft im freien Fall, zwischen 1990 und 1994 hatte sich das Bruttoinlandsprodukt fast halbiert, die Kupferproduktion war um über 90 % gesunken, die Inflationsrate dreistellig. Immer größere Teile der Wirtschaft wanderten in den informellen Sektor ab. Zwar stabilisierte sich die Lage kurzzeitig wieder, aber die Kriege ab 1996 führten zu einem weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung. Nach Kriegsende begann, getragen durch hohe Rohstoffpreise und internationale Investitionen im bedeutenden Bergbausektor, ein erneuter Aufschwung. Der Ausbruch der Finanzkrise 2008 belastete mit sinkenden Rohstoffpreisen und rückläufigen Investitionen auch die kongolesische Wirtschaft außerordentlich stark. Kennzahlen Alle BIP-Werte sind in Internationalen US-Dollar (Kaufkraftparität) angegeben. In der folgenden Tabelle kennzeichnen die Farben: Rohstoffe Bergbau Allgemeines Der Kongo zählt zu den rohstoffreichsten Ländern der Welt. Bergbauprodukte sind daher seit Jahrzehnten Hauptexportgut, wichtigster Devisenbringer des Landes und Haupteinnahmequelle des Staates. Gefördert werden vor allem Diamanten (Kasai), Gold (Kivu, Ituri), Kupfer (Katanga), Niob-Tantal/Coltan (Kivu) sowie Kobalt (Provinzen Lualaba und Haut-Katanga), Mangan, Blei, Zink und Zinn (Katanga). Der Reichtum an mineralischen Rohstoffen führte wiederholt zu politischen und bewaffneten Konflikten im Land. Südafrika hat nach 1994 sein außenwirtschaftliches Engagement in der DR Kongo unter neuen politischen Prämissen zunehmend ausgebaut. Im Fokus der Bemühungen steht dabei die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur im Süden des Landes. Ein wichtiger Akteur ist dabei die südafrikanische IDC. Ein weiteres von der IDC unterstütztes Investitionsfeld bildet der Kupferbergbau. Die Volksrepublik China schloss 2007 mit der DR Kongo ein Abkommen ab, auf dessen Grundlage für Infrastrukturbauten ein Darlehen gewährt wurde von 5 Mrd. US-Dollar, 2008 auf 9 Mrd. erhöht. Als davon profitierende Sektoren wurden genannt: Rohstofferkundungen sowie der Ausbau der Verkehrs- und Sozialinfrastruktur in der Provinz Katanga. Ein Jointventure mit dem Namen Sicomines zwischen Gécamines, Sinohydro und der China Railway Engineering Corporation wurde vereinbart. In Minen ist es relativ oft zu großen Unfällen gekommen. Am 11. September 2020 brach eine Goldmine in Kamituga in der Provinz Sud-Kivu ein, nachdem vom benachbarten Fluss Njali (Hoch-)Wasser in die Mine gelaufen war. Mindestens 50 Bergleute starben. Maßnahmen gegen menschenunwürdige und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) untersuchte von 2018 bis 2021 die Lebensbedingungen der im Osten der DR Kongo mit Bergbau auf verschiedene Rohstoffe Beschäftigten in einem Projekt. Das Ziel dieses Vorhabens bestand in einer Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort. Kleinere Bergbaubetriebe und Kooperativen erhalten durch moderne Audit- und Trainingsmaßnahmen Unterstützung für verantwortungsvolle Bergbaupraktiken. Das Bergbau-Ministerium der DR Kongo ist an der Entwicklung dieser Systemstandards beteiligt. Die BGR unterhält zur Kontrolle dieser Entwicklungen in Kinshasa, Kindu, Bukavu, Goma und Lubumbashi entsprechende Kontaktstellen. Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hatte Untersuchungen über die konkreten wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge in Auftrag gegeben, die zwischen 2019 und 2021 liefen. Coltan-Thematik Besondere Bekanntheit hat seit Ende des 20. Jahrhunderts der Abbau des Erzes Coltan erlangt. Es enthält die wirtschaftlich bedeutsamen Metalloxidminerale Columbit und Tantalit, aus denen Niob und Tantal gewonnen werden. Tantal ist für die Produktion elektronischer Geräte von großer Bedeutung, Niob dient als Legierungszusatz in der Stahlproduktion bei der Herstellung hitzebeständiger Metallbauteile für die Luft- und Raumfahrtindustrie. Die noch in der Kolonialzeit und den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit entstandenen Förderanlagen an einigen Orten sind heute mangels Instandhaltung weitgehend zerfallen; der Wiederaufbau kommt nur schleppend voran. Artisanaler Bergbau (weitgehend ohne maschinelle Unterstützung) ist ein bedeutender Wirtschaftszweig mit vielen Erwerbstätigen. Er hat den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt und an den Exporten. Diese Wirtschaftsform entzieht sich weitgehend staatlicher Kontrolle. Während des Krieges war der Verkauf von Bodenschätzen wichtigste Einnahmequelle sowohl für die Regierung als auch die Rebellen. Auch die Nachbarstaaten und private Gesellschaften waren an der jahrelangen systematischen Ausplünderung des Landes beteiligt. Nach wie vor wird der Osten des Landes, in dem sich die meisten Bodenschätze befinden, zu großen Teilen nicht von der Regierung, sondern von aufständischen Milizen kontrolliert. Die Schürfer müssen ihre Erze zu Preisen, die weit unter Weltmarktpreisen liegen, an Exporthändler verkaufen, die von den lokalen Machthabern konzessioniert sind. Dieses System beschert den Bewaffneten stetige Einnahmen und ermöglicht damit die Finanzierung des Krieges. Zukünftig soll ein Zertifizierungssystem für kongolesische Rohstoffe dafür sorgen, dass diese legal gehandelt werden. Der Import von Coltan aus der DR Kongo steht in den Industriestaaten seit Jahren in der Kritik, weil damit westliche Unternehmen indirekt maßgeblich zur Aufrechterhaltung des Kriegszustandes beitragen. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen organisierten immer wieder Boykottkampagnen gegen Coltan aus dem Kongo, ließen dabei aber außer Acht, dass der Coltanexport Haupteinnahmequelle der Bevölkerung des Kivu ist. Um die Geldquellen der Profiteure dieser Geschäfte trockenzulegen, verhängte die Regierung am 11. September 2010 einen totalen Stopp sämtlicher Bergbauaktivitäten für die Provinzen Nord-Kivu, Sud-Kivu und Maniema im Osten des Kongos, der Schürfer, Händler, Exporteure und Inhaber von Abbaurechten betraf. Dadurch konnten die Bergbauaktivitäten nicht gestoppt werden, vielmehr wurden sie in den illegalen Bereich gedrängt. Während kriminelle Unternehmen profitierten, brach die sonstige Wirtschaft in der Kivu-Region fast vollständig zusammen. Deshalb wurde das Bergbauverbot im März 2011 wieder aufgehoben. Erdöl Die Erdölreserven im gesamten Staatsgebiet werden auf 180 Millionen Barrel geschätzt, im Jahr 2009 wurden täglich rund 16.360 Barrel Erdöl gefördert. Die Regierung forciert die Erdölförderung, missachtet aber dabei häufig Umwelt- und Sicherheitsbedenken. Im Jahr 2010 erhielten SOCO, Dominion Petroleum und das Staatsunternehmen Cohydro Konzessionen für die Ölförderung im Nationalpark Virunga, der zum Weltnaturerbe zählt und mitten in einem von Rebellen kontrollierten Gebiet liegt. Auf Druck von EU-Kommission, UNESCO und zuständigen UN-Stellen wurde die Genehmigung des Projekts jedoch im März 2011 von der Regierung zurückgenommen. Das Land besitzt Erdgasreserven von 991,1 Millionen Kubikmetern, derzeit findet jedoch noch keine Förderung statt. Landwirtschaft Während der Kolonialzeit wurde die Landbevölkerung zum Anbau von Feldfrüchten für den Export gezwungen, in den Jahren vor der Unabhängigkeit entstanden auch von Europäern geleitete Agrargroßbetriebe. Seit 1960 ging die landwirtschaftliche Produktion stetig zurück. Besonders die Verstaatlichung ab 1973, in der viele produktive Betriebe enteignet wurden, verursachte einen deutlichen Einbruch bei der Erzeugung von Agrarprodukten. Seitdem wird die Landwirtschaft vor allem zugunsten des lukrativeren artisanalen Bergbaus vernachlässigt. In den meisten ländlichen Regionen herrscht heute Subsistenzwirtschaft; ein Transport der Ernte in die Städte wäre aufgrund mangelhafter Verkehrswege ohnehin kaum möglich. Nur knapp drei Prozent der Landfläche wird landwirtschaftlich genutzt, dennoch macht die Landwirtschaft mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aus und beschäftigt fast zwei Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung. Die Produktion von Nahrungsmitteln reicht für den Eigenbedarf nicht aus, das Land muss deshalb solche importieren. Typische Agrarprodukte sind Maniok, Zuckerrohr, Kaffee, Palmöl, Kautschuk und Bananen. Ebenfalls besteht eine nennenswerte Holzwirtschaft. Industrie Der industrielle Sektor konzentriert sich heute auf die Gewinnung und Verarbeitung der erschlossenen mineralischen Bodenschätze. Es werden mit den Metallrohstoffen und Halbfabrikaten große Abnehmer im Weltmarkt beliefert. Während des Wirtschaftsbooms um das Jahr 1970 wurde zwar mit dem Aufbau einer importsubstituierenden Industrie begonnen, diese war aber gegenüber Importen nicht konkurrenzfähig und verschwand bis in die 1990er Jahre fast völlig. Industrielle Großbetriebe bestehen heute kaum noch. Die verarbeitende Industrie besteht überwiegend aus Kleinbetrieben, die Konsumgüter wie Textilien, Schuhe oder Zigaretten produzieren bzw. in der Lebensmittelverarbeitung tätig sind. Finanz- und Bankensektor Laut einer Einschätzung des International Monetary Funds aus dem Jahr 2014 ist der Finanz- und Bankensektor der Demokratischen Republik Kongo nur oberflächlich vorhanden und unterentwickelt. Zentralbank des Landes ist die Banque Centrale du Congo (BCC). Laut der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG waren im Kongo im Jahr 2017 20 kommerzielle Banken aktiv. Es gibt eine staatliche Versicherungsanstalt und ein Sozialversicherungsinstitut. Stand 2014 gab es 143 Mikrofinanzinstitute, 59 Geldtransferagenturen sowie 16 Währungshäuser. Die Demokratische Republik Kongo verfügt weder über einen Aktien- noch über einen Kapitalmarkt. Das Land ist eines der Länder, in denen nach wie vor der Großteil der Bevölkerung vom konventionellen Bankensektor ausgeschlossen ist. Laut einer Schätzung aus dem Jahr 2017 haben nur 26 % aller Kongolesen ein Bankkonto. Wie in vielen anderen afrikanischen Ländern wird auch in der Demokratischen Republik Kongo ein beträchtlicher Teil des Finanzsektors durch im Ausland lebende Staatsbürger beeinflusst. Im Jahr 2017 gaben rund 40 % der Bevölkerung an, regelmäßig finanzielle Rücküberweisungen zu senden oder zu erhalten. Außenhandel Größter Handelspartner der Demokratischen Republik Kongo ist heute bei Weitem die Volksrepublik China, welche 2017 mehr als 40 % aller Exporte sowie knapp 20 % der Importe des Landes ausmachte. Andere wichtige Exportdestinationen sind Sambia, Südafrika, Südkorea und Finnland, importiert wird neben China noch aus Belgien, Indien, Sambia, Südafrika und Tansania. 2017 exportierte das Land Waren im Wert von rund 11 Milliarden US-Dollar. Die Hauptexportprodukte sind Diamanten, Kupfer, Gold, Cobalt, Germanium, Uran, ferner Holz sowie Rohöl, Kaffee und Kakao. Den Ausfuhren stehen Importe im Wert von 10,82 Milliarden US-Dollar gegenüber. Es handelt sich bei den Einfuhren zumeist um Maschinen und Fahrzeuge aller Art sowie um Nahrungsmittel und Treibstoffe. Die Außenhandelsbilanz des gesamten Landes ist zumeist nahezu ausgeglichen, allerdings bestehen innerhalb des Landes hohe Ungleichgewichte, denn nahezu alle Exportgüter werden in nur wenigen Landesteilen produziert. Lokale Handelsbilanzdefizite werden zumeist durch informellen Handel, der in den Statistiken nicht auftaucht, ausgeglichen. Neben einer differenzierten Investitionskooperation mit Südafrika erhielt die DRC Unterstützung auf dem Gebiet des Technologietransfers, der öffentlichen Verwaltung und der Versorgung mit Handelsgütern und Serviceleistungen. Im Jahre 2012 war Südafrika mit einem Anteil von 21,6 Prozent am DRC-Importvolumen der größte Außenhandelspartner des Landes. Staatshaushalt Der Staatshaushalt umfasste 2016 Ausgaben von umgerechnet 5,8 Milliarden US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 5,4 Milliarden US-Dollar gegenüber. Daraus ergibt sich ein Haushaltsdefizit in Höhe von 0,9 % des Bruttoinlandsprodukts. Die Staatsverschuldung betrug 2016 21,5 % des BIP. 2010 wurden der Demokratischen Republik Kongo Staatsschulden in Höhe von ca. 12 Milliarden US-Dollar erlassen; 2009 entsprach die Staatsverschuldung noch 138,3 % des BIP und war damit, gemessen an der Wirtschaftsleistung, eine der höchsten der Welt. 2006 betrug der Anteil der Staatsausgaben (in % des BIP) folgender Bereiche: Gesundheit: 11,2 % (2009) Bildung: 4,6 % (2008) Militär: 2,5 % Infrastruktur Die Demokratische Republik Kongo steht großen Herausforderungen gegenüber, was die Infrastruktur betrifft. Die bewaffneten Konflikte der näheren Vergangenheit haben dazu geführt, dass die Einrichtungen entweder direkt beschädigt oder ihr Erhalt vernachlässigt wurden. Somit ist mehr als die Hälfte der Anlagen dringend erneuerungsbedürftig. Um auf den Stand eines durchschnittlichen Entwicklungslandes zu kommen, müsste die Demokratische Republik Kongo jährlich etwa 5,3 Milliarden US-Dollar bzw. 75 % ihres Bruttoinlandsproduktes von 2006 aufwenden, gleichzeitig geht aktuell jährlich fast eine halbe Milliarde US-Dollar durch ineffiziente Infrastruktur verloren. Straßenverkehr Der Kongo erbte bei seiner Unabhängigkeit ein teils sehr gutes Straßennetz von über 100.000 Kilometern Länge, das sich über das gesamte Land erstreckte. Unzureichende Wartung während der Herrschaft Mobutus sorgte dafür, dass in den 1990er Jahren nur noch etwa 10.000 Kilometer Straße befahrbar waren, die Überlandstraßen waren fast vollständig verschwunden. Die Länge des Straßennetzes wird heute mit rund 150.000 Kilometer angegeben, von denen nur rund 3000 Kilometer asphaltiert sind; es gibt in der Welt kaum ein Land, das ein so dünnes Straßennetz hat wie die Demokratische Republik Kongo. Auf 1000 km² kommen im Schnitt gerade 1 km befestigter und 14 km unbefestigter Straße. Weniger als die Hälfte des Straßennetzes befindet sich in annehmbaren Zustand und die Wiederherstellung vernünftiger Straßenverbindungen zwischen den Ballungsräumen des Landes gehört zu den dringendsten Aufgaben der Regierung. Die niedrige Bevölkerungsdichte, das Klima und die Topographie lassen den Unterhalt eines gut ausgebauten Straßennetzes aber sehr teuer werden, so dass das Land etwa 5 % seines Bruttonationalproduktes jährlich allein für den Unterhalt seiner Verkehrsinfrastruktur ausgeben müsste. Das ist ein Vielfaches dessen, was für öffentliche Investitionen in den letzten Jahren zur Verfügung gestanden ist. Als Konsequenz des Ganzen kostet es dreimal so viel, Güter auf der Straße wie auf dem Wasserweg zu transportieren, der Straßentransport ist in der Demokratischen Republik Kongo dreimal so teuer wie in seinen Nachbarländern. Um dem entgegenzuwirken, gibt es diverse gemeinnützige Projekte, die den Straßenbau aktiv fördern: So unterstützen Hilfsorganisationen etwa die Befestigung und Instandhaltung von Versorgungsstraßen, sodass diese auch von LKW befahren werden können, damit die teilweise sehr abgelegenen Dörfer die benötigten Warenlieferungen erhalten. Der Straßenverkehr gilt als extrem unsicher. 2013 kamen in der DR Kongo insgesamt 33,2 Verkehrstote auf 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im selben Jahr 4,3 Tote. Insgesamt kamen damit über 22.000 Personen im Straßenverkehr ums Leben. Die Rate an Verkehrstoten ist noch weitaus höher, wenn man sie der niedrigen Motorisierungsrate des Landes gegenüberstellt. 2007 kamen im Land 5 Kraftfahrzeuge auf 1000 Einwohner (in Deutschland waren es über 500 Fahrzeuge). Schienenverkehr In der Kolonialzeit wurde der Ausbau eines Eisenbahnnetzes vorangetrieben, vorrangig zum effizienteren Transport der Rohstoffe, die per Bahn schneller aus dem Landesinneren an die Küste gelangen konnten. Heute verfügt die Demokratische Republik Kongo auf dem Papier über rund 5100 Kilometer Gleis in mehreren voneinander unabhängigen Netzen. Die Chemin de Fer Matadi-Kinshasa (CFMK) betreibt eine 366 km lange Verbindung zwischen Kinshasa und dem Hafen Matadi. Diese eingleisige Strecke stammt in ihrer heutigen Streckenführung aus den 1930er Jahren. Die Société Nationale des Chemins de fer du Congo (SNCC) betreibt ein weitaus größeres Netz mit Zentrum im Südosten des Landes, wobei die wichtigste Verbindung zwischen Kolwezi und der Grenze zu Sambia verläuft und teilweise bereits zu Kolonialzeiten durch die 50-Hz-Arbeitsgemeinschaft elektrifiziert wurde. Über die SNCC verlassen Rohstoffe, vor allem Kupfer, das Land. Die SNCC ist von Ilebo über den Fluss Kongo mit Kinshasa und damit der CFMK verbunden. Nachdem in Angola bis 2014 die Benguelabahn wiedererrichtet wurde, soll sie innerhalb der DR Kongo mit dem Netz der SNCC verbunden werden, was Kupferexporte über den Atlantikhafen Lobito ermöglichen wird. Die Infrastruktur der SNCC ist alt und in sehr schlechtem Zustand, so dass mehr und mehr Rohstoffe über die Straße befördert werden. Die Uelle-Bahnen werden größtenteils schon lange nicht mehr bedient, jedoch wurde der Abschnitt zwischen Bumba und Aketi im Jahr 2005 wiederhergestellt. Im Vergleich mit den Eisenbahnnetzen seiner Nachbarländer verkehren auf den Schienen des Kongo sehr wenige Züge, die Indikatoren für Effizienz und Zuverlässigkeit sind deutlich schlechter und die Preise für die Güter- wie Personenbeförderung deutlich höher. Schiffsverkehr Der Hafen von Matadi ist mit 2,5 Millionen Tonnen Kapazität der wichtigste Seehafen der Demokratischen Republik Kongo. Er liegt nahe der Kongo-Mündung, hat jedoch den Nachteil, dass er aufgrund der geringen Tiefe des Flusses nur von kleinen Schiffen erreicht wird, womit er vom Umladen in Pointe-Noire abhängt. Während Matadi für den Westteil des Landes von hoher Bedeutung ist, liegen die Häfen für die Städte im Osten der Demokratischen Republik Kongo an der afrikanischen Ostküste: Mombasa für den Nordosten, Daressalam und Durban für den Südosten. Der Hafen von Matadi ist auch im afrikanischen Kontext ineffizient bei gleichzeitig hohen Kosten, darüber hinaus muss er regelmäßig ausgebaggert werden. Dies gilt auch für die kleineren Häfen Boma und Banana. Der direkte Zugang zum Tiefseehafen Pointe-Noire ist für die Demokratische Republik Kongo durch den desolaten Zustand der Bahn- und Straßeninfrastruktur in der benachbarten Republik Kongo versperrt. Angesichts der schlechten Straßen und Gleise hat der Schiffsverkehr auf den Flüssen die größte Bedeutung für das Land. Mehr als 15.000 km des Kongo und seiner Nebenflüsse sind schiffbar. Schlechte Wartung der Schiffe und nicht mehr funktionierende Leitsysteme führen jedoch immer wieder zu Unglücken mit zahlreichen Todesopfern. Flugverkehr Aufgrund des schlechten Straßensystems und der geographischen Größe des Landes kommt dem Luftverkehr erhebliche Bedeutung zu. Während des Krieges waren viele Städte nur per Flugzeug erreichbar, Reisen auf dem Landweg waren durch die Rebellenpräsenz zu gefährlich. Von großer Bedeutung ist der Luftfrachtverkehr, die abgebauten Bodenschätze werden vor allem im Osten des Landes auf dem Luftweg abtransportiert, weil die Straßen unter Rebellenkontrolle stehen. Im Land gibt es fast 200 Flugplätze, aber nur 26 mit befestigter Landebahn. Größter Flughafen ist der Flughafen Ndjili in Kinshasa, weitere internationale Flughäfen befinden sich in den Städten Lubumbashi, Bukavu, Goma und Kisangani. Aufgrund schlechter Wartung und mangelnder Sicherheitskontrollen kam es in Kongo wiederholt zu Flugzeugunglücken, weshalb alle rund 50 kongolesischen Fluggesellschaften auf der schwarzen Liste der EU-Kommission stehen. Die einstmals größte Linie Hewa Bora musste 2011 nach einem Absturz ihren Betrieb einstellen. Viele Inlandsflüge werden von Kongolesen als Umsteigeverbindungen über das Ausland gebucht, um die einheimischen Luftlinien zu umgehen. Somit ist die Schaffung einer effizienten Aufsichtsbehörde über den Luftverkehr von oberster Dringlichkeit. Energie- und Wasserversorgung Die Demokratische Republik Kongo gewinnt elektrische Energie fast ausschließlich aus Wasserkraft. Die beiden größten Kraftwerke sind die zwei Inga-Staudämme am Unterlauf des Kongo. Sie gingen 1972 (Inga I) bzw. 1982 (Inga II) in Betrieb und versorgen sowohl die Hauptstadt Kinshasa als auch Bergbaubetriebe in Katanga mittels der HGÜ Inga-Shaba mit Strom. Die Demokratische Republik Kongo hat das größte Wasserkraft-Potenzial Afrikas. Es beträgt 100 GW, ist kostengünstig zu erschließen und könnte neben dem Kongo selbst auch die Exportmärkte im südlichen Afrika versorgen. Bis dato ist das Potenzial jedoch weitgehend ungenutzt, im Jahr 2009 waren nur 2,4 GW Leistung installiert, die Vernachlässigung während der Bürgerkriege hat jedoch dazu geführt, dass nur 1 GW überhaupt einsatzbereit ist. Der im Mai 2013 angekündigte Ausbau der Inga-Staudämme kann als Schritt in Richtung der Entwicklung des riesigen Potenzials verstanden werden. In der Demokratischen Republik Kongo haben etwa 30 % der Bevölkerung Zugang zu Leitungswasser, meist öffentlich oder auch im eigenen Haus. Fast ein Viertel der Bevölkerung ist jedoch auf Oberflächen-Wasser angewiesen. Besorgniserregend ist, dass dieser Anteil steigt. Der Anteil der Bevölkerung, die nicht einmal Zugang zu einer Latrine hat, liegt bei einem Sechstel, auch dieser Anteil steigt. Der öffentliche Wasserversorger heißt Regideso, er agiert bei weitem weniger effizient als seine Pendants in anderen afrikanischen Staaten. 40 % des Wassers gehen in seinem Netz verloren und nur 70 % des konsumierten Wassers wird bezahlt. Internet und Telekommunikation Im Jahr 2020 nutzten 13,6 Prozent der Einwohner der Demokratischen Republik Kongo das Internet. Zum Anstieg der Internetnutzung in den 2010er Jahren auf diesen Wert trug vor allem die Fertigstellung des West Africa Cable System, einem durch viele afrikanische Staaten verlaufenden See-Telekommunikationskabel von Südafrika nach Großbritannien, im Jahr 2013 bei. Der Verbindungspunkt des Systems im Kongo ist die Kleinstadt Muanda. Dennoch haben nach wie vor nur wenige Kongolesen regelmäßigen Zugang zum Internet, was hauptsächlich an den extrem hohen Preisen liegt. Eine verlässliche Internetflatrate kann 100 US-Dollar im Monat kosten, für die meisten Menschen mehr als ein Monatsgehalt. Das Telefonnetz des staatlichen Betreibers OCPT ist unzuverlässig und unzureichend, es gibt daher nur rund 10.000 Festnetzanschlüsse im ganzen Land. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen hat sich die Mobiltelefonie in der Demokratischen Republik Kongo schnell entwickelt. Die Nutzungsrate von Mobiltelefonen ist heute verhältnismäßig hoch, im Jahr 2017 gab es 42 Handyverträge per 100 Einwohner. Der lebhafte Wettbewerb zwischen den vier Anbietern führt zu niedrigen Preisen, wie auch in den Nachbarländern. Kultur Literatur Ein bekannter Autor war Valentin-Yves Mudimbe, der die archaischen und gewaltsamen Strukturen der postkolonialen Stammesgesellschaft in der Zeit der politischen Wirren der 1960er Jahre beschrieb. Ins Englische übersetzt wurde sein Buch Before the Birth of the Moon (zuerst frz. 1976), ins Deutsche ein Erzählungsband. Als Lyrikerin und durch Kurzgeschichten wurde Clémentine Nzuji bekannt. Verschiedene Autoren emigrierten unter der Herrschaft Mobutus nach Kongo (Brazzaville) und Europa, so auch In Koli Jean Bofane, der seit 1993 in Belgien lebt und auch in Deutschland durch die Bücher Warum der Löwe nicht mehr König der Tiere ist und Congo Inc.: Le Testament de Bismarck bekannt wurde. Medien Trotz der in der Verfassung des Landes garantierten Informations- und Pressefreiheit sieht die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen in der Demokratischen Republik Kongo eine schwierige Lage für die Pressefreiheit. Die Medien im Land sind zum überwiegenden Teil im Besitz oder unter dem Einfluss politischer Gruppierungen. Die Journalisten sind finanziell von ihren Auftraggebern abhängig, eine Situation die unabhängige Berichterstattung auch ohne direkte staatliche Interventionen einschränkt. Die Qualität der Berichterstattung ist allgemein schlecht. Die Journalisten sind unzureichend ausgebildet, schlecht bezahlt, korrupt und durch ihre Auftraggeber in der Berichterstattung eingeschränkt. Kritische Journalisten werden bedroht, erpresst, verhaftet und gelegentlich ermordet, sodass Selbstzensur weit verbreitet ist. Urheberrechte werden selten beachtet. Das Land hat drei bedeutsame Nachrichtenagenturen: Agence Congolaise de Presse (staatliche Nachrichtenagentur) Digital Congo (Agentur der Präsidentenfamilie) Documentation et Informations Africaines (D.I.A.) (kirchliche Nachrichtenagentur seit 1970) Fernsehen und Hörfunk Das Radio ist das reichweitenstärkste Medium des Landes und ist auch im ländlichen Raum sehr verbreitet. Im Jahr 2007 gab es im Land zwei staatliche und über 200 private, lokale Radiosender. Die UNO betreibt das landesweit empfangbare Radio Okapi; daneben sind die ausländischen Sender BBC World Service und Radio France Internationale zu empfangen. RFI musste 2009 zeitweilig den Betrieb im Kongo einstellen, nachdem der Sender Kritik an der kongolesischen Armee geübt hatte. Ende 2012 wurde zeitweilig die Ausstrahlung von Radio Okapi unterbunden, laut Mutmaßungen infolge eines Interviews mit dem Präsidenten der Bewegung 23. März, offiziell jedoch aus administrativen Gründen. Das Fernsehen wurde 1978 eingeführt und verbreitete anfangs Mobutus Propaganda, der sich als vom Himmel auf die Erde herabschwebender Halbgott darstellen ließ. Heute gibt es neben dem staatlichen Radio-Télévision nationale congolaise (RTNC) bis zu 50 weitere, zumeist lokale, Privatsender wie Radio Télévision Groupe L’Avenir (RTG@). Allgemein ist das Programm aus Geldknappheit qualitativ eher schlecht, so werden zumeist Musik, Wiederholungen oder politische Reden ausgestrahlt. Printmedien Zeitungen sind mit einem Preis von etwa einem US-Dollar für die meisten Kongolesen unerschwinglich und daher wenig verbreitet. Grund für die hohen Preise ist der fehlende Anzeigenmarkt, wodurch sich die Zeitungen fast vollständig über den Verkaufspreis finanzieren müssen. Der Zeitungsmarkt konzentriert sich fast nur auf die Landeshauptstadt Kinshasa, der Vertrieb auf dem flachen Land ist mangels Infrastruktur zu teuer. In Kinshasa gibt es neun regelmäßig erscheinende Zeitungen, von denen sechs der Opposition und drei der Regierung zugewandt sind. Im ganzen Land dürfte es über 200 Zeitungen geben, die allerdings mitunter nur sehr unregelmäßig erscheinen. Küche Das Hauptnahrungsmittel in der Demokratischen Republik Kongo ist Maniok, dessen Wurzeln gekocht, gebraten, zu Brot oder Fufu-Brei verarbeitet oder als Atiéké konsumiert werden, außerdem Taro, Mais und Reis; letztere vor allem in Kasai und Katanga. Die Blätter der Maniok-Pflanze werden ebenfalls konsumiert: Pondu ist ein im ganzen Land verbreitetes, häufig an Festtagen zubereitetes Gericht, bei dem feingeschnittene Maniok-Blätter gekocht und dann in Palmöl geschmort werden. Dazu isst man häufig gestampfte Erdnüsse. Außerdem sind die Kongolesen relativ große Konsumenten von Fleisch, neben Rindfleisch (vor allem in Kivu) sowie Geflügel-, Schweine- und Hammelfleisch kommen auch häufig Wildtiere wie Krokodil, Büffel, Schlange oder Insekten (Bushmeat) auf den Tisch. Bedingt durch die große Anzahl von Flüssen wird auch viel Fisch konsumiert, häufig getrocknet oder gesalzen. In der Regel ist das Essen scharf gewürzt, wobei Gewürze wie Chili, Ingwer, Knoblauch und Pfeffer, manchmal auch Koriander, Kümmel, Sesam, Muskat oder schwarzer Kardamom zum Einsatz kommen. Als Zwischenmahlzeit dienen oft Früchte wie Ananas, Bananen, Papayas, Mangos und Kokosnüsse. Fremde Küchen haben auf die Kochkunst des Kongo wenig Einfluss gehabt; zu nennen ist hier jedoch der von den Portugiesen übernommene gesalzene Stockfisch. Kunst Das Kunstzentrum des Landes ist Kinshasa, dort befindet sich Zentralafrikas einzige Kunstakademie universitären Niveaus, die Académie des Beaux-Arts de Kinshasa. Die bekanntesten Künstler des Landes unterrichten hier. Neben der Galerie der Akademie wird Kunst im französischen und belgischen Kulturzentrum und in der kommerziellen Galerie Symphonie des Arts präsentiert, ebenso wie in den privaten Studios der bekannteren Künstler wie Claudy Khan, Henri Kalama Akulez und Lema Kusa. Die traditionellen und auch modernen Kulturformen des Landes werden seit November 2019 im neuen Nationalmuseum in Kinshasa präsentiert. Die bedeutendste Sammlung der materiellen und immateriellen Kultur des Kongo besitzt noch immer das Afrikamuseum in Belgien. Musik In der präkolonialen Zeit gab es in der Demokratischen Republik Kongo viele verschiedene Arten der traditionellen afrikanischen Musik, welche von Region zu Region variierten und sich meist in religiösen Gesängen ausdrückten. Diese besaßen Tonsysteme mit fünf-, sechs- und siebentönigen Tonleitern. Während der Kolonialzeit bildete sich dann in den 1920er Jahren eine größere Musikszene in der Koloniehauptstadt Léopoldville (heute Kinshasa). Sie bestand sowohl aus Kongolesen als auch aus westafrikanischen Ausländern wie den Hausa und französischen und US-amerikanischen Soldaten. So bildete sich nach und nach der Soukous-Musikstil heraus, welcher auch heute noch typisch für die Kongoregion ist. Neben dem Gesang waren die damals wichtigsten Instrumente Gitarre, Schlagzeug, Akkordeon und Klarinette. Nach und nach kamen Saxophone, Trommeln und später E-Gitarren hinzu. Es entstand auch ein Soukous-Tanz, welcher vor allem vom Rumba-Tanz inspiriert wurde. Der bekannteste kongolesische Sänger der 1950er Jahre war Wendo. Er veröffentlichte den Hit Marie-Louise, der von vielen als Ausgangspunkt für die moderne kongolesische Musik gesehen wird. Nach der Unabhängigkeit des Landes 1960 entstanden immer mehr kleinere Musikgruppen in Léopoldville, die das Musikgeschäft stetig wachsen ließen. Bands wie African Jazz und OK Jazz erreichten europaweite Bekanntheit und tourten vor allem durch Belgien. In den 1970er Jahren begann aber die Phase der Zaiko-Generation, welche vor allem gitarrenlastig war und von Musikern wie Papa Wemba oder der Musikgruppe Madilu System vertreten wurde. Auch heute noch treten die bekanntesten Musikgruppen des Landes auch international auf, doch der Musikstil hat sich weiter gewandelt: Neben der besonders in kongolesischen Diskotheken beliebten schnellen Soukous-Variante N’dombolo, zu der sehr körperbetont getanzt wird, gibt es erfolgreiche kongolesische Weltmusik-Gruppen. Zu ihnen zählt die Band Staff Benda Bilili, die 2009 auf der World Music Expo den Künstler-Preis für Weltmusik gewann. Die Gruppe wurde wie das Orchestre Symphonique Kimbanguiste durch einen Dokumentarfilm bekannt. Beim Orchestre Symphonique Kimbanguiste handelt es sich um das einzige Symphonieorchester Zentralafrikas. Einem breiteren Publikum in Europa ist der kongolesische Sänger und Tänzer Jessy Matador bekannt, seit er für Frankreich beim Eurovision Song Contest 2010 auftrat. Er verkörpert die moderne kongolesische Popmusik. In Gbadolite, einer Stadt im Norden des Landes und nahe dem Fluss Ubangi, in der Präsident Mobutu einen neuen Regierungs-Palast erbauen ließ, ließ Mobutu eine wertvolle Orgel aus Deutschland in die Kirche, die unmittelbar neben dem Palast liegt, von der bekannten Orgelbauwerkstatt Oberlinger aus Windesheim einbauen. Die berühmtesten Organisten der Welt wurden zu Konzerten eingeladen und die Bevölkerung war begeistert als sie das erste Mal Werke von Johann Sebastian Bach oder Max Reger hörten. Kino Erste Filmstudios entstanden bereits in der Zeit der belgischen Kolonialherrschaft. Aufgrund des Mangels an finanziellen Mitteln und technischer Ausrüstung sind Filmproduktionen in der DR Kongo gering geblieben. Lediglich zwei kongolesische Regisseure konnten beim Panafrikanischen Film- und Fernsehfestival eine Auszeichnung gewinnen, nämlich Kwamy Mambu Nzinga und Mwenze Ngangura. Sport Fußball Der dominierende Sport in der Demokratischen Republik Kongo ist der Fußball. Obwohl die Stadien häufig in einem sehr schlechten Zustand sind, sind Fußballspiele in der Lage, eine große Anzahl an Zuschauern anzuziehen. Die größten Erfolge der Nationalmannschaft des Landes liegen indes schon weit zurück: Die Auswahl gewann die Afrikameisterschaften von 1968 und 1974; 1974 war das damalige Zaire zudem der erste schwarzafrikanische Teilnehmer bei einer Fußballweltmeisterschaft, blieb dort aber chancenlos. Angesichts der wenigen Aufstiegsmöglichkeiten versuchen die kongolesischen Fußballer, im Ausland bei einem Club anzuheuern. Zu jenen, die dabei Glück und Erfolg hatten, gehörten Jean-Santos Muntubila und Eugène Kabongo in den 1980er Jahren. Eine nationale Fußballliga gibt es in der Demokratischen Republik Kongo nicht. Der Versuch, eine landesweite Liga zu etablieren, wurde in den 1980er Jahren zwar unternommen, nach zwei Spielzeiten jedoch aufgegeben. Die Infrastruktur erwies sich als zu schwach, die Distanzen zu groß und die finanziellen Möglichkeiten zu gering. Der Landesmeister wird deshalb in regionalen Ligen ermittelt, deren beste Mannschaften im K.-o.-System gegeneinander um die Coupe du Congo spielen. Der derzeit mit Abstand erfolgreichste Fußballverein des Kongo ist Tout Puissant Mazembe aus Lubumbashi. Der Club, der Moïse Katumbi, dem reichen Ex-Gouverneur der Provinz Katanga, gehört, gewann in den Jahren 2009 und 2010 die CAF Champions League und zog 2010 als erste afrikanische Fußballmannschaft überhaupt ins Finale der FIFA-Klub-Weltmeisterschaft ein. Außer Mazembe konnten der AS Vita Club und der Daring Club Motema Pembe die CAF Champions League gewinnen. Andere bekannte Vereine sind der FC Bilima, FC Saint Eloi Lupopo und Lubumbashi Sport. Das mit einer Kapazität von 80.000 Plätzen mit Abstand größte Stadion des Landes ist das Stade des Martyrs. Dort tragen die Hauptstadtvereine Daring Club Motema Pembe und Inter Kinshasa Fußballspiele aus. Andere Sportarten Weitere Sportarten spielen eine untergeordnete Rolle. International konnte die Basketballmannschaft der Damen auf sich aufmerksam machen. Des Weiteren genießen Boxen und Catchen eine gewisse Popularität. In der Zeit der Diktatur von Mobutu Sese Seko wurden Sportereignisse auch zu Propagandazwecken benutzt, um die Macht Mobutus zu stärken und dem Staat Zaire internationale Anerkennung zu sichern. Hierfür ist vor allem der Boxkampf Rumble in the Jungle zwischen George Foreman und Muhammad Ali zu nennen, der 1974 im Stade Tata Raphaël in Kinshasa stattfand. Es war das erste weltweit beachtete Sportereignis auf afrikanischem Boden. Olympische Spiele und Special Olympics 1968 nahmen erstmals Athleten Zaires an den Olympischen Sommerspielen teil. Danach kam es 1984 wieder zu einer Teilnahme. Seitdem nehmen Athleten der DR Kongo und ihrer Vorgängerstaaten ununterbrochen an den Sommerspielen teil, ohne allerdings dabei eine Medaille errungen zu haben. Special Olympics Demokratische Republik Kongo nahm bereits mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs von Brühl betreut. Feiertage Zur Erinnerung an die Unabhängigkeit von Belgien 1960 wird am 30. Juni der Jour de l’Indépendance gefeiert. Dies ist der Nationalfeiertag der Demokratischen Republik Kongo, insgesamt gibt es aber neben diesem eine Reihe weiterer gesetzlicher Feiertage, an denen die meisten öffentlichen Institutionen und Geschäfte geschlossen bleiben: Siehe auch Literatur Andrea Böhm: Gott und die Krokodile. Eine Reise durch den Kongo. Pantheon Verlag, München 2011, ISBN 978-3-570-55125-7. Tom Burgis: Der Fluch des Reichtums – Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas. Westend, Frankfurt 2016, ISBN 978-3-86489-148-9. Ludo De Witte: Regierungsauftrag Mord: der Tod Lumumbas und die Kongo-Krise. Forum Verlag Leipzig, Leipzig 2001, ISBN 3-931801-09-8. Kevin C. Dunn: Imagining the Congo. The International Relations of Identity. Palgrave MacMillan, New York 2003, ISBN 1-4039-6160-3. Westport 2002, ISBN 0-313-31696-1. Ch. Didier Gondola: The history of Congo. Greenwood Press. (z. T. online) Jeanne M. Haskin: The Tragic State of the Congo. From Decolonization to Dictatorship. Algora Publishing, New York 2005, ISBN 0-87586-417-1. Adam Hochschild: Schatten über dem Kongo – Die Geschichte eines fast vergessenen Menschheitsverbrechens. Reinbek 2002, ISBN 3-499-61312-3. Dominic Johnson: Kongo. Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens. 2., aktualisierte Auflage. Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-86099-743-7. Lara Jüssen: Kriegsökonomie in der Demokratischen Republik Kongo. Tectum Verlag, Marburg 2007, ISBN 978-3-8288-9327-6. Medard Mpiana Kabanda: Nichtregierungsorganisationen als Herz der Zivilgesellschaft und Säule der Demokratie in Zentralafrika? Verlag Dirk Koentopp, Osnabrück 2006, ISBN 3-938342-13-7. Kongo – Geschichte eines geschundenen Landes. In: Weltmission Heute 55 – Länderheft. Hamburg 2004. Olivier Lanotte: Guerres Sans Frontières – République Démocratique du Congo. Brüssel 2003, ISBN 2-87027-835-7. Kalala Ilunga Matthiesen: Die Demokratische Republik Kongo – Eine Analyse aus staatstheoretischer, verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Sicht. Hamburg/ Münster 2005, ISBN 3-8309-1459-8. Georges Nzongola-Ntalaja: The Congo from Leopold to Kabila. A People’s History. Palgrave MacMillan, New York 2002, ISBN 1-84277-053-5. books.google.de David Van Reybrouck: Kongo: Eine Geschichte. Suhrkamp, Berlin 2012, ISBN 978-3-518-42307-3. Christian P. Scherrer: Genocide and Crisis in Central Africa. Conflict Roots, Mass Violence, and Regional War. Praeger, Westport 2002, ISBN 0-275-97224-0. books.google.de David Seddon, Leo Zeilig Dave Renton: The Congo: Plunder and Resistance. Palgrave Macmillan, New York 2007, ISBN 978-1-84277-485-4. Thomas Turner: The Congo Wars: Conflict, Myth, and Reality. Zed Books, London/New York 2007, ISBN 978-1-84277-689-6 books.google.de Dieter H. Kollmer, Bernhard Chiari (Hrsg. im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes): Wegweiser zur Geschichte: Demokratische Republik Kongo. 3., überarbeitete Auflage. Paderborn/München/Wien/Zürich 2008, ISBN 978-3-506-75745-6, (PDF; 4 MB) Michela Wrong: Auf den Spuren von Mr. Kurtz: Mobutus Aufstieg und Kongos Fall. Ed. Tiamat, Berlin 2002, ISBN 3-89320-058-4. Tim Butcher: Blood river – Ins dunkle Herz des Kongo. Malik / National Geographic, München 2008, ISBN 978-3-492-40340-5. Weblinks Landeseigene Links Offizielle Website des Präsidenten der D.R. Kongo (französisch) Landesprofil bei Ministerien deutschsprachiger Staaten Auswärtiges Amt (D): Demokratische Republik Kongo. auf www.auswaertiges-amt.de. Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (A): Länderspezifische Reiseinformation: Kongo – Demokratische Republik (Demokratische Republik Kongo). auf www.bmeia.gv.at. Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (CH): Demokratische Republik Kongo. auf www.eda.admin.ch. Internationale Links United Nations: United Nations Statistics Division. Democratic Republic of the Congo. auf www.data.un.org (englisch). The World Bank: Countries. Democratic Republic of Congo. auf www.worldbank.org (englisch). US-Government: CIA World Fact Book. Congo, Democratic Republic of the. auf www.cia.gov (englisch). Electoral Institute for Sustainable Democracy in Africa: African Democracy Encyclopaedia Project: Democratic Republic of Congo. auf www.eisa.org (englisch). WHO: Democratic Republic of Congo. auf www.afro.who.int (englisch). Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen: Democratic Republic of the Congo. auf www.wfp.org (englisch). UNHCR: Democratic Republic of the Congo. auf www.unhcr.org (englisch). Minority Rights Group International: Democratic Republic of the Congo. auf www.minorityrights.org (englisch). UNCTAD: Catalogue of Diversification Opportunities 2022. Dem. Rep. of the Congo. auf www.unctad.org (PDF, englisch). Weitere Links Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ): Demokratische Republik Kongo (DR Kongo). Demokratische Republik Kongo. Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit der Demokratischen Republik Kongo (BMZ) CongoForum – aktuelle Nachrichten und Pressemitteilungen aus der DR Kongo (französisch, niederländisch) Iseewanga Indongo-Imbanda: Deutschsprachiges Hintergrundmaterial und aktuelle Nachrichten aus der DR Kongo Mission de l’Organisation des Nations Unies pour la Stabilisation en République démocratique du Congo. UN-Mission in der DR Kongo (englisch, französisch) Radio Okapi: Website des von der MONUSCO getragenen französischsprachigen Rundfunksenders. (französisch) Einzelnachweise (J) Dominic Johnson: Kongo – Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens. 2., aktualisierte Auflage. Verlag Brandes & Apsel, 2009, ISBN 978-3-86099-743-7. Kongo Demokratische Republik Kongo Demokratische Republik Kongo Demokratische Republik Ehemaliges Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung Mitgliedstaat der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika Mitgliedstaat der Ostafrikanischen Gemeinschaft
1186
https://de.wikipedia.org/wiki/Digitalfotografie
Digitalfotografie
Als Digitalfotografie oder digitale Fotografie (Pendant zu Analogfotografie) wird die Fotografie mit Hilfe einer digitalen Fotokamera oder einer Kamera mit digitaler Rückwand bezeichnet. Die technischen Grundlagen der Digitalfotografie weichen von der klassischen, optochemisch basierten Fotografie ab und ähneln, insbesondere bei der Bildwandlung, einerseits der Videotechnik, andererseits den bildgebenden Verfahren. Nicht-digitale Fotos (Papierbilder, Negative, Dias) gescannt (digitalisiert) werden nicht als digitale Fotografie, sondern als digitale Bildbearbeitung bezeichnet. Geschichte Russell Kirsch von NBS hatte schon 1957 den Digital-Scanner entwickelt. Das allererste derart gescannte Bild war ein Babyfoto seines neugeborenen Sohns Walden, 176 mal 176 Pixel. Auf diesen Ideen baute Steven Sasson in den frühen 1970er Jahren auf. Die erste Kamera, die als Vorreiter der Digitalkamera angesehen werden kann, wurde deshalb auch als „“ bezeichnet und war ein 1975 von Steven Sasson bei Kodak entwickelter Prototyp. Das Potential der Entwicklung wurde jedoch nicht erkannt, und so gilt gemeinhin die 1981 von Sony unter dem Namen Mavica vorgestellte erste kommerzielle Kamera nach demselben Funktionsprinzip als „Ur-Digitalkamera“. Allerdings arbeitete diese Kamera, wie der Name schon vermuten lässt, mit einem Magnetband (auch Video Floppy genannt), welches keine digitale Speicherung der Daten zuließ. Vorrangig in den USA brachten Kamerahersteller wie Canon, Nikon, Konica oder Fuji Weiterentwicklungen dieses Modells auf den Markt. In Europa war das Interesse an dieser Technologie eher verhalten. Die erste wirkliche Digitalkamera stellte 1991 die kalifornische Firma Dycam auf der Computerfachmesse CeBIT unter dem Namen Model 1 vor. Die Kamera war mit einem lichtempfindlichen CCD-Sensor sowie einem Speichermodul ausgestattet, das die direkte Übertragung der Bilder auf den Computer ermöglichte. Trotz des schwarz-weißen Aufnahmemodus und einer – aus heutiger Sicht geringen – Auflösung von 376 × 284 Bildpunkten war die Fachpresse begeistert. Das US-amerikanische Wirtschaftsmagazin Fortune wagte sogar folgende Prognose: „Ein Sturm technologischer Innovationen und neuer Produkte sammelt sich über der Welt der Fotografie an, der viel von dem wegblasen wird, was bis heute altbekannt ist. Filme, Chemikalien und Dunkelkammer werden ersetzt werden durch eine Technologie, die blendend und altbacken zugleich ist: den Computer.“ Auf der photokina, einer internationalen Fachmesse für die Photo- und Bildbearbeitungsbranche in Köln, präsentierten 1992 nahezu alle namhaften Firmen aus den unterschiedlichsten Bereichen ihre Prototypen. Neben klassischen Kameraherstellern wie etwa Kodak und Rollei waren der Videogigant Sony und Leaf ebenfalls mit Digitalkamerastudien vertreten, denn das Schlagwort „“ verkündete für alle die Entstehung eines neuen Marktes. Nur zwei Jahre später lautete das Motto der photokina „digital total“ und machte deutlich, wohin die zukünftige Entwicklung gehen würde. 1994 wird auch als das „offizielle“ Startjahr der Digitalen Fotografie in Deutschland angesehen, da die Vogelsänger-Studios den Einsatz von Digitalkameras bekannt gaben. Diese Mitteilung hatte deshalb eine besondere Relevanz, weil die Vogelsänger-Studios – ein großes, europäisches Fotostudio im Bereich Interieurfotografie – für ihren hohen Qualitätsanspruch an Bilder, Bildermacher und Handwerkszeug bekannt sind. Indem einer der Branchenführer im Bereich der Werbefotografie auf digitale Kameratechnik setzte, machte er hierzulande den Weg für die Digitalkamera frei. Allerdings übten sich die Verbraucher bei einem anfänglichen stolzen Preis für die ersten Modelle von ca. 2.000 DM (nach heutiger Kaufkraft rund Euro) in Zurückhaltung, und so blieb der Kundenkreis für die neuen Kameras in den Folgejahren in überschaubarem Rahmen. Ebenfalls im Jahre 1994 tätigten PC- und Fotoexperten folgende Analyse: „Für den oft zitierten Otto Normalverbraucher dürfte die Digitale Fotografie erst dann interessant werden, wenn namhafte Einzelhandelketten einfachst zu handhabende Digitalkameras als Massenware in ihren Regalen feilbieten und der Fotohandel gleichzeitig die Möglichkeit bietet, von den elektronischen Aufnahmen preisgünstige Papierbilder herzustellen – und dies wird aller Wahrscheinlichkeit nach noch eine geraume Zeit dauern.“ Bilderzeugung Bildwandlung In der Digitalfotografie werden zur Wandlung der Lichtwellen in digitale Signale Halbleiter-Strahlungsdetektoren in CCD- oder CMOS-Technik als Bildsensoren verwendet. Bei dieser Digitalisierung eines analogen Bildes handelt es sich um eine Bildwandlung, bei der eine Diskretisierung (Zerlegung in Bildpunkte) und Quantisierung (Umwandlung der Farbinformation in einen digitalen Wert) des analogen Bildes durchgeführt wird. Hybridverfahren Eine Übergangslösung zwischen analoger und digitaler Fotografie stellt die Fotografie mit dem klassischen „Silberfilm“ dar, bei der anschließend das Negativ oder Positiv zunächst mit einem Scanner digitalisiert wird und dann das gespeicherte Bild digital weiterbearbeitet wird. Als kostengünstigere Variante können – etwa seit 1999 – sogenannte „hochaufgelöste“ (Eigenwerbung) Scans gemeinsam mit der Filmentwicklung bestellt werden. Auf der gelieferten CD sind die Aufnahmen mit geringerer Auflösung im verlustbehafteten JPG-Format gespeichert. Die Qualität dieser Scans ist nur für die Betrachtung am Monitor, aber nicht für eine Weiterverarbeitung geeignet. Kamerainterne Bildverarbeitung Aufgrund der Architektur der Bildaufnehmer ist zwangsläufig eine Interpolation der Farb- und Helligkeitswerte (sog. ) notwendig um ein Bild anzeigen zu können. Diese Berechnung und eine Reihe von weiteren Bild verändernden Verarbeitungsprozessen wie das Bestimmen des Weißabgleiches, Erhöhung der Farbsättigung, Anheben des Kontrasts, Durchführung einer Tonwertkorrektur, Filterung (die u. a. eine Rauschreduktion bewirken kann), Verbesserung des Schärfeeindrucks und ggf. eine verlustbehaftete Komprimierung übernimmt die Kameraelektronik und die Firmware der Kamera, wenn direkt auf die Speicherkarte eine JPEG-Bilddatei (oder ein vergleichbares Dateiformat) gespeichert werden soll. Die kamerainterne Bildverarbeitung kann bei hochwertigen Kameras umgangen werden, indem direkt die Metadaten und die Bild gebenden Sensordaten in einer sog. RAW-Datei abgespeichert werden; dabei handelt es sich um ein Rohdatenformat, das von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich aufgebaut ist. Dieses wird oft als „digitales Negativ“ bezeichnet. Bei der RAW-Konversion, die Teil der Postproduktion am Rechner ist, wird dann aus den im Rohdatenformat gespeicherten Messwerten ein Bild interpoliert und die oben beschriebenen Bild verändernden Bearbeitungsschritte (bei Bedarf vom Nutzer „manuell“) durchgeführt. Bildeigenschaften Seitenverhältnis Bei digitalen Kompaktkameras hat der Sensor ein Seitenverhältnis von 1,33 (4:3), daher werden die Bilder standardmäßig auch mit diesem Seitenverhältnis gespeichert. Teilweise ist auch die Speicherung mit anderen Seitenverhältnissen möglich, dies erfolgt überwiegend durch Speicherung eines Bildausschnitts. Diese Praxis hatte ursprünglich historische Gründe: Die ersten Digitalkameras waren auf existierende Sensoren angewiesen, und da 4:3 dem Seitenverhältnis der verbreiteten Computermonitore und Fernsehnormen NTSC, PAL und SECAM entspricht (was wiederum von den frühesten Kinofilmen herrührt), waren überwiegend Sensoren mit diesem Seitenverhältnis verfügbar. Digitale Kamerasysteme dagegen verwenden oft Bildsensoren mit dem Seitenverhältnis 3:2, das dem des Kleinbildfilms entspricht. Ausnahme sind hierbei die Kameras der Four-Thirds- und Pentax-Q-Systeme, die das Seitenverhältnis 4:3 verwenden. Viele Kameras des vom Four-Thirds-Standard abgeleiteten Micro-Four-Thirds-Systems sowie einzelne Kompaktkameras ermöglichen die Auswahl verschiedener Seitenverhältnisse, wobei immer ein Ausschnitt aus einer Sensorfläche genutzt wird, die insgesamt über den Bildkreis der Objektive hinausreicht. Hierdurch wird ein Auflösungsverlust, wie er durch reinen Beschnitt entstehen würde, vermindert. Pixelanzahl und Auflösung Die Anzahl der Bildpunkte, Pixel genannt, wird vom Hersteller einerseits als rein technische Eigenschaft des Sensors und andererseits als nutzbare Pixelanzahl angegeben. Letztere entspricht üblicherweise der maximal möglichen Bildauflösung der Kamera. Beim in den meisten Fällen verwendeten Sensor des Bayer-Typs handelt es sich hierbei jedoch um Pixel, die mit unterschiedlichen Farbfiltern versehen sind und daher nur für Ausschnitte des Lichtspektrums empfindlich sind. Die fehlenden Farbinformationen werden aus den umgebenden Pixeln interpoliert. Beim Bayer-Sensor hat die Hälfte der Pixel grüne und je ein Viertel blaue und rote Farbfilter. Varianten, bei denen die Hälfte der grünen Farbfilter durch türkisfarbene ersetzt wurden, haben sich nicht durchgesetzt. Dies gilt ebenso für den Xenia-Sensor, der die Primärfarben Gelb, Cyan und Magenta verwendete. Bei Bayer-Sensoren mit abweichenden Pixelanordnungen (z. B. rechteckige Pixel bei der Nikon D1X oder diagonal angeordnete Pixel beim Super-CCD-Sensor von Fujifilm) werden die Bilder zwar mit der Pixelanzahl ausgegeben, die der tatsächlichen Anzahl der Pixel entspricht, jedoch besteht hier keine eindeutige Relation von Sensor-Pixel und Bild-Pixel mehr. Super-CCD-Sensoren enthalten teilweise zusätzliche farbunempfindliche Pixel, die nicht zur Bildauflösung beitragen, sondern zur Erhöhung des Dynamikumfangs dienen. Von der Pixelanzahl her nicht unmittelbar vergleichbar sind die Foveon-X3-Sensoren, da bei diesen die Flächen unterschiedlicher Farbempfindlichkeit übereinander angeordnet sind. Hier hat also jeder Pixel volle Farbempfindlichkeit, das Interpolieren der Farben entfällt. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass aus Marketinggründen die Pixelanzahl oft bereits verdreifacht angegeben wird. Zurzeit wird der Sensor nur von Kameras der Marke Sigma verwendet. Die Pixelanzahl allein erlaubt noch keine Aussage zur erreichbaren Auflösung, da hierfür auch die Qualität des verwendeten Objektivs wichtig ist. Bei Ausgabe des Bilds im JPEG-Dateiformat wirkt sich zudem die Aufbereitung der Bilddaten in der Kamera auf die Auflösung aus. Insbesondere bei digitalen Kompaktkameras und Mobiltelefonen bleibt die tatsächliche Bildauflösung oftmals deutlich hinter der sich aus der Pixelanzahl ergebenden theoretischen Auflösung zurück. Die Ursache hierfür liegt in den geringen Sensorabmessungen und den üblicherweise verwendeten Objektiven einfacher Bauart und daher begrenzter Abbildungsleistung. Die Auflösung digitaler Bilder ist nur eingeschränkt mit der Auflösung eines Filmnegativs oder Abzugs zu vergleichen, da es je nach Ausgabemedium zu Verlusten kommen kann. Zudem wird die heute erreichbare Auflösung bei üblichen Ausgabegrößen wie dem Druck bis Postkartengröße oder Vollbilddarstellung an Bildschirmen bei weitem nicht ausgenutzt. Die Pixelanzahl gibt nicht unbedingt die Auflösung feiner Strukturen wieder. Bei der Digitalisierung gilt das Nyquist-Shannon-Abtasttheorem. Danach darf die maximale im Bild auftretende Frequenz maximal halb so groß sein wie die Abtastfrequenz , weil es sonst zu unerwünschten Bildverfälschungen, zum Beispiel zu Moiré-Effekte, kommt und das Originalsignal nicht wiederhergestellt werden kann. Eine weitere Einschränkung der Vergleichbarkeit konventioneller und digitaler Aufnahmen ergibt sich aus der Tatsache, dass es sich beim Filmkorn – technisch betrachtet – um ein stochastisches, also ein völlig zufälliges und unregelmäßiges Rauschen handelt, das bei technisch gleicher Auflösung meist weitaus weniger störend wirkt als das Rauschen im strikt regelmäßigen Pixelmuster digitaler Aufnahmen. Visuell wirken somit „analoge“ Bilder mit sichtbarem Korn – bei gleichem Informationsgehalt – entweder erträglicher oder gestört. In der Praxis bedeutet das, dass man vor der Digitalisierung die maximale Frequenz kennen oder herausfinden muss und dann das Signal zwecks Digitalisierung mit mehr als der doppelten Frequenz abgetastet werden muss. Bei der Digitalfotografie kann man, um die Moiré-Effekte von vornherein zu vermeiden, die Optik leicht unscharf stellen. Das entspricht einer Tiefpass-Filterung. Wenn die Pixelzahl des Sensors erhöht wird, muss die Optik neu angepasst werden, weil sonst die erhöhte Pixelzahl nicht ausgenutzt werden kann. In der Praxis wird auch ein sog. Moiré-Filter benutzt, der im Strahlengang sitzt und somit die Nutzung perfekt abgestimmter Optiken ermöglicht. Beim Scannen gerasterter Bilder muss man die Auflösung ebenfalls so groß wählen, dass die feinsten Strukturen des Rasters dargestellt werden können. Anschließend kann man entrastern (dazu gibt es unterschiedliche Funktionen) und dann die Auflösung herabsetzen. Dateiformat Die bei der Digitalfotografie entstehenden Bilder, die in Form digitaler Daten vorliegen, werden in der Regel elektronisch, elektromagnetisch oder optisch gespeichert; jedem Bild entspricht dabei i. d. R. eine Datei, die meist in einem standardisierten Grafikformat abgespeichert ist. Aktuelle Digitalkameras verwenden JFIF (JPEG-Komprimierung), einige besser ausgestattete auch das Rohdatenformat und TIFF. Bei den Hybridverfahren wie der Kodak Photo CD entstehen ImagePacs. Beim Scannen analoger Vorlagen hat man meist freie Auswahl über das digitale Speicherformat. Für maximale Bildqualität in der Nachbearbeitung empfiehlt sich das Rohdatenformat. Früher wurden die Bildsensordaten unkomprimiert gespeichert, ab 2005 setzten sich Lossless-Kompressionen infolge stärkerer Prozessoren durch. Dieses Format bedarf jedoch deutlich größerer Mengen Speicherplatz und wird insbesondere im professionellen Umfeld angewendet. JPEG ist dagegen verlustbehaftet, kann aber je nach Kompressionsgrad sehr speicherökonomisch, unter günstigen Umständen aber auch sehr nah am Original sein. JPEG2000 beherrscht mittlerweile die verlustlose Komprimierung und einen größeren Farbraum, wird aus Lizenzgründen aber kaum unterstützt. Der Fotograf muss also bereits vor dem Fotografieren eine Entscheidung über den Kompressionsgrad und damit über den möglichen Detailreichtum fällen. Eine vergleichbare Vorabentscheidung trifft der analog Fotografierende mit der Auswahl des Filmmaterials, und er muss selbiges wechseln, um beispielsweise eine andere Lichtempfindlichkeit oder Filmkörnigkeit zu erreichen. Es gibt nach wie vor viele proprietäre Dateiformate, die nicht mehr ohne weiteres gelesen werden können, wenn die entsprechende Software nicht verfügbar ist. Rohdatenkritiker merken an, dass man entsprechend darauf reagieren muss, z. B. diese zu konvertieren (Umwandlung in ein offenes oder verbreitetes Dateiformat, wie beispielsweise Digital Negative (DNG)) oder die damalige Bearbeitungs-/Entwicklungssoftware zu sichern. Meta-Informationen Zu den Vorteilen der digitalen Bildspeicherung gehört die Möglichkeit, umfangreiche Meta-Informationen (oder auch Metadaten) in der Datei zu speichern; diese Zusatzfunktion ist im Exchangeable Image File Format (Exif) standardisiert und wird zumindest mit Basisdaten von allen Digitalkameras realisiert. Die Option der Speicherung von GPS-Positionsdaten bei Aufnahme (Georeferenzierung) in den Metadaten ist nur mit entsprechend ausgestatteten Kameras möglich, die hierfür in der Regel auf den Anschluss eines externen GPS-Empfängers angewiesen sind. Die entsprechenden Felder in den Metadaten können aber auch händisch oder durch entsprechende Programme ausgefüllt werden. Einige Kameras verfügen zusätzlich über einen integrierten Kompass, welcher die Blickrichtung der Fotos abspeichert. Bereits das Hybridsystem APS verfügte über noch vergleichsweise eingeschränkte Möglichkeiten der Speicherung von Meta-Informationen, und auch bei Kleinbildkameras ist das Einfügen von Zeit- und Datumsangaben sowie der Bildnummer auf den Filmstreifen möglich, wenn die Kamera über eine entsprechende Funktion verfügt. Einige Kleinbild-Spiegelreflexkameras verfügen über eine Möglichkeit, zahlreiche Aufnahmeparameter zu speichern und in eine Textdatei ausgeben zu können; allerdings ist die Verknüpfung dieser Daten mit den gescannten Bilddateien ausschließlich händisch möglich. Bei den in die digitale Bilddatei eingebetteten Exif-Daten ist zu beachten, dass einige Programme diese Daten bei einer Bildbearbeitung nicht erhalten; dies betrifft z. B. ältere Versionen der Bildbearbeitungssoftware Adobe Photoshop. Digitale Aufnahmetechnik Kameras und Kamerasysteme Analoge Kameras und Kamerasysteme wurden über Jahrzehnte entwickelt und optimiert, bevor ihre Weiterentwicklung bei den marktführenden Herstellern in den letzten Jahren eingestellt wurde. Die Bedienung der meisten analogen Kleinbildkameras war ähnlich – wobei Autofokus, Intervalometer, Belichtungsmessung etc. je nach Hersteller deutlich variierte. Die Benutzung von Tasten und Menüsystemen bei Digitalkameras kann deutlich umfassender und komplexer sein und erfordert weiteres Wissen über die Photochemie hinaus – da viele digitale Kameras zahlreiche Funktionen mehr bieten als ihre mechanischen Vorgänger. Bei der Digitalfotografie ist damit zu rechnen, dass der Fotograf bei jedem Systemwechsel neue Dinge erlernen kann, während die Grundlagen stets gleich bleiben – wie Blende, Brennweite, Verschlusszeit etc. Die Kompatibilität der Modelle untereinander ist stark unterschiedlich. Sie ist zum einen herstellerabhängig, modellreihenabhängig und – gerade bei einfacheren Nicht-Spiegelreflexmodellen – oft nicht oder kaum gegeben. Einige Hersteller führten vollkommen neue digitale Kamerasysteme ein. Digitale Kamerarückwände Digitale Bilder können nicht nur mit nativen Digitalkameras oder durch Digitalisieren analoger Vorlagen, sondern auch mit einer digitalen Kamerarückwand angefertigt werden. Scanbacks funktionieren nach dem Prinzip eines Flachbettscanners; es wird dabei zwischen Single-shot- und Multi-Shot-Verfahren unterschieden. Wirkung der Objektive Bei heutigen Digitalkameras sind meistens Bildsensoren mit einer gegenüber den klassischen Filmformaten geringeren Aufnahmefläche verbaut. Aufgrund des kleineren Bildformates verkleinert sich bei vorgegebener Brennweite der Bildwinkel eines Objektivs, und die Schärfentiefe wird bei vorgegebener Blendenzahl kleiner. Dies bedeutet, dass ein Objektiv mit einer Brennweite, das bei Kleinbildfilm als Normalobjektiv eingesetzt wird, bei einer Digitalkamera mit kleinerem Aufnahmesensor den Bildwinkel eines Teleobjektivs hat. Bei gleichem Bildwinkel und gleicher Blendenzahl vergrößert sich der Bereich der Schärfentiefe. Das Verhältnis von Normalbild-Diagonale und tatsächlicher Diagonale des Aufnahmesensors wird als „Formatfaktor“ bezeichnet und wird in der Regel im Datenblatt der Kamera beziehungsweise des Objektivs angegeben. Er beschreibt, mit welcher Zahl man die tatsächliche Brennweite des Objektivs einer Kamera multiplizieren muss, um für das Kleinbildformat ein Objektiv mit gleichem Bildwinkel zu erhalten. Hat der Aufnahmesensor beispielsweise die Größe 12 mm × 18 mm, also die halbe Diagonale des Kleinbildformats 24 mm × 36 mm, beträgt der Formatfaktor 2. Ein Objektiv von 25 mm hat bei dieser Digitalkamera den gleichen Bildwinkel wie ein 50-mm-Objektiv bei Kleinbild, und es resultiert bei gleicher Blendenzahl die gleiche Belichtungszeit. Wird die Blendenzahl durch den Formatfaktor dividiert, resultiert die Blendenzahl, bei der die gleiche Schärfentiefe erreicht wird. Digitale Aufnahmepraxis Die digitale Aufnahmepraxis weist gegenüber der konventionellen Fotografie einige Besonderheiten auf. Bildgestaltung Als Beispiel sei hier die Veränderung der Schärfentiefe erwähnt, die sich aus dem Formatfaktor ergibt (oft fälschlich Brennweitenverlängerung genannt: Die Brennweite eines Objektivs ändert sich jedoch nicht, nur dessen genutzter Bildwinkel durch das veränderte Aufnahmeformat); Objektive, die in der Kleinbildfotografie als Weitwinkel gelten, treten bei den meisten Digitalkameras als Normalobjektiv auf. Da sich die optischen Gesetzmäßigkeiten nicht verändern, nimmt die effektive Schärfentiefe (genauer: der Schärfebereich) des Bildes zu. Mit Digitalkameras ist es daher schwerer als in der Kleinbildfotografie, einen in Unschärfe zerfließenden Bildhintergrund zu erzielen, wie er beispielsweise in der Porträt- und Aktfotografie aus gestalterischen Gründen häufig erwünscht ist. Einige moderne Spiegelreflex-Digitalkameras verfügen bereits über einen Vollformatsensor (engl. Full Frame) (24 mm × 36 mm). Diese Kameras verhalten sich genauso wie analoge Kleinbild-Spiegelreflexkameras. Spezialfunktionen Viele Digitalkameras bieten dreh- oder schwenkbare Displays, mit denen einige Aufnahmetechniken komfortabler als mit herkömmlichen Kameras machbar sind. Hierzu gehören beispielsweise Aufnahmestandpunkte in Bodennähe, wie sie häufig in der Makrofotografie benötigt werden, oder Aufnahmen „über Kopf“, um über eine Menschenmenge hinweg zu fotografieren. Die Nachteile der Displays liegen im hohen Stromverbrauch und der mangelnden Sichtbarkeit in hellen Umgebungen (helles Tageslicht). Aktuelle Digitalkameras bieten fast ausnahmslos die Möglichkeit der Aufzeichnung kurzer Videoclips von etwa einer Minute in unterschiedlichen Formaten von QQVGA oder QVGA bis hin zu WUXGA, in der Regel auch mit Ton. Tendenziell ist eine Entwicklung der digitalen Fototechnik zu beobachten, immer weiter mit der Videotechnik zu konvergieren; in Spitzenmodellen ist die Länge der Videoclips nur noch durch die Kapazität des Speichermediums begrenzt; die Bildauflösung liegt dabei im Bereich der Qualität von VHS bis hin zu Blu-ray (VGA, 640 × 480 bzw. PAL, 720 × 576 bzw. Full HD, 1920 × 1080 bis UHD (4K) 4096 × 2160 Pixeln). Elektronische Bildbearbeitung Neben der automatisch durch die Kamera durchgeführten Bildverarbeitung eröffnet die Digitalfotografie zahlreiche Möglichkeiten der Bildmanipulation und -optimierung durch die elektronische Bildbearbeitung, die über konventionelle Bildretusche und Ausschnittvergrößerung weit hinausgehen. Beispielsweise können aus einer Folge von Einzelbildern komfortabel Panoramafotos montiert, Bildhintergründe ausgetauscht oder Personen aus Bildern entfernt oder hineinkopiert werden. Speicherung und Archivierung Speichermedien zum Fotografieren Als Speichermedien werden in der Digitalfotografie üblicherweise Speicherkarten verwendet. Weit überwiegend sind dies SD-Karten (Secure Digital Memory Card, auch als Typen SDHC und SDXC). Nur noch geringe Bedeutung haben firmenspezifische Kartentypen wie Memory Stick (Sony) und xD-Picture Card (Fujifilm und Olympus). Die etwas größeren CompactFlash-Karten (CF) waren lange Zeit Standard, werden inzwischen aber nur noch für wenige hochwertige Spiegelreflexkameras benötigt. Zeitweise waren Microdrives eine kompatible Alternative für größere Speicherkapazitäten zu CompactFlash-Karten. Mobiltelefone mit Kamerafunktion speichern üblicherweise auf microSD-Karten. In der Anfangszeit der Digitalfotografie wurden PC-Karten verwendet, diese sind ebenso wie Kameras für SmartMedia-Karten jedoch vollständig vom Markt verschwunden. Digitale Kompaktkameras haben zudem häufig einen internen Speicher, der die Speicherung einer geringen Anzahl von Bildern ohne Speicherkarte ermöglicht. Bei einigen digitalen Spiegelreflexkameras ist mit entsprechender Software auch die Fernsteuerung von einem Computer aus möglich. Die Speicherung kann dann direkt auf der Festplatte des Computers erfolgen, eine Speicherkarte wird dann nicht benötigt. Die Verbindung zwischen Computer und Kamera erfolgt entweder durch USB- oder SCSI-Kabel oder über WLAN. Bei einigen Kameras ist ebenfalls möglich, die Bilddateien über WLAN auch ohne Fernsteuerung zu versenden. Speicherkarten werden üblicherweise nur zur vorübergehenden Speicherung bis zur Übertragung der Bilddateien auf einen Computer verwendet. Sie werden anschließend formatiert und stehen dann wieder zur Verfügung. Für den Fall, dass größere Datenmengen anfallen, kann der Inhalt der Speicherkarten zunächst auf Image Tanks übertragen werden, die teilweise auch eine Anzeige der Bilder ermöglichen. Von den Image Tanks werden die Dateien später auf den Computer übertragen. Durch die Möglichkeiten der Fernsteuerung sowie der Speicherung großer Bildmengen hat die Digitalfotografie schon früh Einsatz unter extremen klimatischen Bedingungen gefunden, wie beispielsweise im Weltall, in Wüsten oder Polargebieten. Speichermedien zum Archivieren Für die langfristige Speicherung von Bilddaten gelten grundsätzlich die gleichen Anforderungen, die generell auf die Archivierung digitaler Daten zutreffen. Als weiteres Problem kommt bei Bilddateien hinzu, dass bei Verwendung von RAW-Formaten die langfristige Lesbarkeit der Dateien nicht sichergestellt ist. Bisher (Stand 2011) sind jedoch noch für alle jemals verwendeten RAW-Formate aktuelle Programme verfügbar, mit denen die Bilddateien geöffnet und weiterverarbeitet werden können. Während beim Film ein beschädigtes Original verwendet werden kann, ist dies bei digitalen Daten in der Regel nicht oder nur mit hohem technischen Aufwand möglich. Der Hauptvorteil digitaler Daten ist, anders als beim chemischen Film, dass beliebig viele identische Kopien erzeugt werden können. Auch der Transport digitaler Daten ist wesentlich unkomplizierter. Bilddatenbanken Analog zur konventionellen Fotografie gibt es die Möglichkeit eines Index-Prints, in Form von Thumbnails in einem Ordner. Spezielle Programme zum Auffinden von archivierten Bilddateien erleichtern die Suche nach Bildern, die in der „analogen Welt“ einem gut gewartetem Negativsortiersystem entspricht. Während in der analogen Fotografie Kontaktabzüge noch zum normalen Arbeitsablauf gehörten, sind diese Techniken – auch bei Speicherung im Rohdatenformat – im Betriebssystem integrierbar. Ein Leuchttisch wird damit überflüssig. Die so genannten Bilddatenbanken erzeugen ein Vorschaubild des Bildes und bieten Felder zur Beschreibung des Bildes und der Aufnahmesituation; ein gewisser Komfort ergibt sich durch die Metadaten, die durch das Exif-Format automatisch aufgezeichnet werden (Datum, Uhrzeit, Brennweite, Blende etc.). Viele dieser Funktionen sind in aktuellen Betriebssystemen bereits enthalten. Für ambitionierte Fotografen oder Berufsfotografen sind Online-Fotoagenturen geeignete Plattformen, um ihre Fotos zu speichern und von dort direkt an die Käufer (Zeitungen, Verlage, Redaktionen etc.) zu vertreiben. Entsprechend große Server und Speicherplätze sind jedoch Voraussetzung. Darüber hinaus ist eine „Verschlagwortung“ mit passenden Schlüsselworten möglich, um aus den Datenbanken entsprechende Bilder zu finden. Bedingt durch den Vorteil der Rechentechnik dauert dies nur einen Bruchteil der für Bildmaterialsuche analoger Aufnahmen benötigten Zeit. Zur Verschlagwortung werden die im Bild gespeicherten IPTC-Felder genutzt. Präsentation Digitale Bilder können ebenso präsentiert werden wie konventionelle Fotografien; für nahezu alle Präsentationsformen existieren mehr oder minder sinnvolle Äquivalente. Die Diaprojektion vor kleinem Publikum wird beispielsweise ersetzt durch die Projektion mit einem Videoprojektor (Video-Beamer); das Fotoalbum durch die Webgalerie; das gerahmte Foto durch ein spezielles batteriebetriebenes Display usw. Wird eine erneute Bildwandlung (D/A-Wandlung) in Kauf genommen, können digitale Bilder ausgedruckt oder ausbelichtet werden und anschließend genauso wie konventionelle Papierabzüge genutzt werden; sogar die Ausbelichtung auf Diafilm ist möglich. Allerdings erfordern alle derzeitigen digitalen Präsentationsformen ausreichende Technikkenntnisse sowie recht kostspielige Technik; der billigste Video-Beamer kostet derzeit noch immer etwa das Fünffache eines guten Diaprojektors. Als weiteres neues Problem stellt sich das der Kalibrierung des Ausgabegeräts, was bei den meisten Monitoren, jedoch nur bei wenigen Flüssigkristallbildschirmen (LCDs) möglich ist und insbesondere bei Beamern einen erheblichen Aufwand verursachen kann. Diverse Online-Foto-Dienstleister bieten außerdem die Möglichkeit neben Abzügen von digitalen Fotos auch Fotokalender, Poster, Tassen, Fotobücher, Puzzles oder T-Shirts zu erstellen. Fotomarkt Durch die enge Verwandtschaft der Digitalfotografie einerseits mit der Videotechnik und andererseits mit der Informations- und Kommunikationstechnik erschienen ab den 1980er Jahren eine Reihe von neuen Anbietern auf dem Fotomarkt, die ihr Know-how aus dem Bereich der Video- und Computertechnik gewinnbringend einsetzen konnten. Traditionelle Fotoanbieter gingen Kooperationen mit Elektronikunternehmen ein, um kostspielige Eigenentwicklungen zu vermeiden. Der Digitalfotografie kommt in der Fotowirtschaft eine wachsende Bedeutung zu. So wurden nach Branchenschätzungen bereits 1999 neben 83 Milliarden analogen Fotografien schon 10 Milliarden Digitalbilder hergestellt. Der Branchenverband Bitkom berichtet, dass im Jahr 2006 circa 58 Prozent aller Deutschen über 10 Jahren eine Digitalkamera verwendeten. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Lyra Research wurden 1996 weltweit insgesamt 990.000 Digitalkameras abgesetzt. In Deutschland wurden im Jahr 2003 erstmals mehr Digitalkameras als analoge Kameras verkauft; nach Aussagen des Einzelhandels wurden 2004 bereits teilweise doppelt so viele digitale Geräte wie analoge Kameras abgesetzt. 2010 wurden nach Angabe des japanischen Branchenverbandes CIPA weltweit rund 121,5 Mio. Digitalkameras verkauft. Neben der Ausbreitung der Digitalfotografie in den Massenmarkt gibt es einen Trend zum Zurückdrängen der analogen Fotografie. Seit etwa 2004 ist beispielsweise eine großflächige Verdrängung fotochemischer Produkte aus dem Angebot von Fotohändlern und Elektronikmärkten zu beobachten: So ging das Produktsortiment an fotografischen Filmen gegenüber dem Vorjahr deutlich zurück. Die Entwicklung neuer Materialien für die Fotografie auf Silberfilm bleibt dennoch nicht stehen. Insgesamt sind zwischen 2006 und 2008 23 neue oder verbesserte Filmemulsionen auf den Markt gekommen. Vergleich mit filmbasierter Fotografie Vorteile Bei digitalen Kompaktkameras kann man mit einem elektronischen Sucher oder mit dem Flüssigkristallbildschirm den Bildausschnitt im Live-View-Modus gut kontrollieren. Schwenk- und Drehmonitore vereinfachen die Kontrolle ausgefallener Aufnahmeperspektiven zum Beispiel aus der Froschperspektive oder über Kopf. Man kann das im nichtflüchtigen Datenspeicher festgehaltene Foto gleich nach der Aufnahme kontrollieren und gegebenenfalls sofort löschen sowie noch weitere Aufnahmen machen. Der Weg zur Web- oder Printpublikation von Aufnahmen ist kürzer beziehungsweise schneller, weil das Einscannen von Dias oder Papierbildern entfällt. Das elektronische Versenden auch von Einzelbildern an Verlage und Auftraggeber ist möglich. Ist keine anderweitige Verwendung der Aufnahme geplant, kann man eine verhältnismäßig niedrige Bildauflösung einstellen und die Aufnahme ohne weitere Nachbearbeitung direkt verwenden. Zugang zu elektronischen Medien vorausgesetzt, sind Austausch und Verbreitung von Fotos schnell und einfach möglich. Ein Filmwechsel für unterschiedliche Lichtverhältnisse ist nicht mehr notwendig. Digitalkameras lassen sich einfach an die vorhandene Lichtmenge anpassen; ähnlich wie bei der Fotografie auf Film nimmt die Bildqualität bei erhöhter Empfindlichkeit ab. Digitale Kameras bieten häufig die Möglichkeit, einfache Video- und Tonaufnahmen zu machen und wiederzugeben. Die meisten digitalen Kameras können direkt an elektronische Wiedergabegeräte, wie zum Beispiel Fernseher oder Videoprojektoren, oder aber auch an PictBridge-kompatible Fotodrucker angeschlossen werden. Digitale Bilder können in sehr großer Zahl kostengünstig und sehr platzsparend auf kleinen Speicherkarten gespeichert werden. Die Archivierung des digitalen Bildmaterials ist günstig und platzsparend. Nachteile Umstrittene Haltbarkeit digitaler Informationen (Dauerhaftigkeit und langfristige Verfügbarkeit von Speichermedien, Datenformaten, Laufwerken, Hard- und Software). Gerade bei Aufnahmen in proprietären Speicherformaten ist eine zukünftige Verwendbarkeit dieser Daten nicht sicher abschätzbar, da unbekannt ist, ob diese Formate in der Zukunft noch unterstützt werden. Dies gilt sowohl für die kameraherstellerspezifischen Rohdatenformate als auch für die proprietären Datenformate von Bildbearbeitungssoftware. Mit den DNG- beziehungsweise OpenRAW-Formaten existieren offene Standards für Rohdaten, die sich jedoch noch nicht auf breiter Basis durchgesetzt haben. Bei schlechten und älteren digitalen Kompaktkameras ist eine deutliche Auslöseverzögerung festzustellen, die vornehmlich dadurch verursacht wird, dass der Bildsensor auch für den Autofokus ausgewertet wird. Kamera-Displays können in heller Umgebung schlecht ablesbar sein, was die Motivsuche problematisch macht, insbesondere wenn die Digitalkamera nicht über einen zusätzlichen Sucher verfügt. Literatur Caroline Butz, Tom Freiwah: Digitale Fotografie. Bild für Bild. Markt und Technik, München 2008, ISBN 978-3-8272-4261-7. Chris George: Digitale Fotografie. Vom Einsteiger zum Profi. Mitp-Verlag 2006, ISBN 3-8266-1672-3. Helmut Kraus, Romano Padeste: Digitale Highend-Fotografie. Dpunkt Verlag, 2003, ISBN 3-89864-239-9. David Pogue: Digitale Fotografie. Das fehlende Handbuch. O’Reilly, Köln 2009, ISBN 978-3-89721-912-0. Josef Scheibel, Robert Scheibel: Digitalfotografie verstehen und anwenden. vfv Verlag, 2010, ISBN 978-3-88955-192-4. Alexander Trost: iKnow: Digital-Fotos. Data Becker, 2011, ISBN 978-3-8158-3703-0. Christian Westphalen: Die große Fotoschule. Handbuch digitale Fotopraxis. 2., korrigierter Nachdruck der 3., aktualisierten Auflage. Rheinwerk, Bonn 2018, ISBN 978-3-8362-4122-9. Weblinks Geschichte der digitalen Fotografie : chronologische Darstellung der Geschichte der digitalen Bilderzeugung Digitalkamera und Mathematik Umfangreiche Erklärung von Begriffen und Techniken rund um die digitale Fotografie Dirk Baumbach: Ein direkter Bildvergleich zwischen Digitalfotografie und filmbasierender Fotografie (deutsch). Einzelnachweise Fotopraxis Künstlerische Technik
1187
https://de.wikipedia.org/wiki/Digitaltechnik
Digitaltechnik
Die Digitaltechnik ist ein Teilgebiet der technischen Informatik und der Elektronik und befasst sich mit digitalen Schaltungen. In diesen erfolgt die Signalverarbeitung mit digitalen Signalen, d. h. mit Signalen, die diskretisiert (zeitdiskret) wie auch quantisiert (wertediskret) sind. Sie stellt das Gegenstück zur Analogtechnik dar. Durch technologische Innovationen seit 1900 konnte sie zunehmend Funktionen aus der Analogtechnik ersetzen und vor allem neue ermöglichen. Die Digitaltechnik hat unsere Welt derart verändert, dass der Begriff „postdigital“ entstand. Allgemeines In der realen, physischen Welt verhält sich vieles stufenlos (kontinuierlich); Ursache und Wirkung sind direkt aneinander gekoppelt und verhalten sich damit wörtlich „analog“. Seit dem 20. Jahrhundert wurden zunehmend digitale Technologien entwickelt, mit denen sich manche Aufgaben leichter und besser lösen lassen. Eine der grundlegenden Voraussetzungen der Digitalisierung und somit Digitaltechnik ist das binäre Zahlensystem, auch Dualsystem genannt. In diesem werden zur Darstellung von Zahlen nur 1 und 0 verwendet. Die Digitaltechnik basiert auf Binärcodes, also auf zwei gegensätzlichen Zuständen, um einfache Schaltungen zu bauen. In der Digitaltechnik werden alle ursprünglich kontinuierlichen Werte quantisiert und zugleich zeitlich diskretisiert, also sowohl in ihrem Wert als auch dem Zeitpunkt des Auftretens gerastert. Damit geht der analoge Charakter verloren, weil die direkte kontinuierliche Verknüpfung eines Eingangs- und eines Ausgangssignals aufgehoben wird. Dabei geht zwar Information verloren, weil kleine Nuancen und Änderungen eines Signals nicht immer beachtet werden – doch diese Signale können leichter verarbeitet und übertragen werden. Durch die sich ergebenden Abstufungen entsteht z. B. die Möglichkeit, Fehler bei der Übertragung vollständig zu eliminieren, weil kleine Einflüsse auf Wert und Zeitpunkte nicht zu einem „Verlassen“ des Rasters führen. Um die Ergebnisse dieses Vorgangs wieder in der realen Welt nutzen zu können, ist meist eine Umwandlung zurück in die analoge Form nötig (Mikrofon mit Analog-Digital-Umsetzer → Speicherung → Lautsprecher mit Digital-Analog-Umsetzer). Das einfachste Beispiel für analog und digital ist eine Rampe und eine Treppe. Natürlich kann man mit steigendem Aufwand die Stufen der Treppe immer kleiner machen, bis der Unterschied unkenntlich wird. Seit 1950 kann man diese Fortschritte am deutlichsten am Leistungsumfang von Mikroprozessoren nachvollziehen, siehe auch Mooresches Gesetz. Geschichte Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelte Ende des 17. Jahrhunderts bereits ein binäres Zahlensystem. Obwohl noch nicht als Digitaltechnik eingeordnet, erfüllte der Morsecode als erstes Signal 1837 die Anforderungen an eine digitale serielle Datenübertragung. Ab 1938 wurden die ersten Rechner von Konrad Zuse mit Relais oder elektronischen Röhren gebaut, aber auch John Presper Eckert und John W. Mauchly sind Pioniere am Forschen und Entwickeln der ersten Röhrencomputer. Alan Turing gab mit seiner Forschung zu logischen Modellen und der Entwicklung der „Turingmaschine“ den letzten Baustein, diese Großrechner als personalisierten Computer (PC) zu klassifizieren. Bei der Klassifizierung eines Geräts als universell programmierbarer Computer spielt die Turing-Vollständigkeit eine wesentliche Rolle. Nach der Erfindung des Transistors 1925 ersetzte dieser langsam die Röhren und wurde zunächst für analoge Zwecke eingesetzt, dann aber immer öfter für digitale Aufgaben. Dies führte dann immer schneller zur Entwicklung integrierter Schaltkreise und dann zum Mikroprozessor. Während bis ca. 1970 Schaltpläne noch von Hand entworfen und gezeichnet wurden, haben heute neuere Werkzeuge Anwendung gefunden. Schaltpläne werden am Computer entworfen und ihre Funktionalität dann im Simulator getestet. Schaltpläne wurden ersetzt durch Hardwarebeschreibungssprachen wie VHDL, die dann den Schaltplan (die Netzliste) und die Bauteilliste compilierten. Vorteil: Diese Daten können dann auch gleich genutzt werden, um das Layout der Leiterbahnen auf der Platine zu erzeugen (Floorplanning). 2020 ist das Wort „digital“ so gebräuchlich geworden, dass es stellvertretend für fast alle elektronischen Geräte und Vorgänge steht. So gibt es z. B. „digitale Währungen“ (u. a. den Bitcoin), obwohl diese eher virtuell sind. Konten werden digital geführt, nicht mehr durch Bankangestellte. Vieles wird mit dem Smartphone und über das Internet geregelt. Wertigkeiten Einzelnes Bit Ein Bit kann je nach Technologie verschieden viele Werte darstellen: Elektronisch: Es gibt nur 2 Zustände des Signals: Ein/Aus / High/Low (Spannung / Pegel) oder 1/0 (Schaltungslogik), Wahr/Falsch (Funktionslogik) Biologisch: Bei DNA-Sequenzen sind mit den 4 Basenpaaren 16 Zustände möglich Organisch: Peptide können mit 20 Zuständen rechnen QuantenBit: 2 Zustände, wobei die Wahrscheinlichkeit jedes Messwertes durch den vor der Messung vorliegenden Zustand bestimmt wird. Wortlängen Durch Kaskadierung werden Bits zu Worten zusammengefasst. Ein einzelnes Wort kann je nach Technologie verschieden große Werte darstellen. Diese Werte werden je nach Anwendung auf verschiedene Arten interpretiert. Elektronisch: 4 Bit: dezimal 0–9, hexadezimal 0–15 8 Bit: hexadezimal 0–255, Codierung von Textzeichen 16 Bit: hexadezimal 0–65535, Codierung von Textzeichen in Unicode (internationale Zeichen) 32, 64, 80, 128 Bits: hexadezimal oder Gleitkommazahlen-Formate Biologisch: DNA-Sequenzen können fast unbegrenzte Längen erreichen QuantenBits: Der technologische Aufwand begrenzt die Bit-Anzahl noch sehr Gepackte Worte In einem Wortfeld können mehrere Bitgruppen verschiedener Länge Informationen unterschiedlicher Bedeutung beinhalten. Ein Beispiel sind OP-Codes von Mikroprozessoren. Informationsübertragung Parallel Über mehrere Leitungen (Datenbus) können mehrere Bits gleichzeitig übertragen werden. Seriell Über eine einzelne Leitung wird nacheinander ein Bit des Wortes nach dem anderen gesendet. In der Regel sind immer mehrere Worte zu senden. Für den zeitlichen Ablauf der Übertragung gibt es verschiedene Verfahren (Protokolle). Mischformen Durchaus können über mehrere Leitungen Teile eines Wortes parallel übertragen werden, bis das ganze Wort seriell ankommt. Die Übertragungsdauer dividiert sich dann um die Anzahl der Leitungen. Bauteile Hier eine Übersicht der wichtigsten Teile, die in der Digitaltechnik Verwendung finden: Sensoren AD- und DA-Wandler Transistoren Logikgatter, FlipFlops, Register und Treiber Komprimierte Logik designed in FPGAS oder Gatearrays Mikroprozessoren und Speicher (ROM, RAM, Flash usw.) Transputer Massendatenträger (Festplatten, Solidstatememory, Wechseldatenträger wie USB-Sticks und CD-Roms) Anzeigen und Displays Interfaceanschlüsse für externe Geräte, Diagnose und Internet Vorteile Vorteile der digitalen Signalverarbeitung gegenüber der analogen Technik sind die geringeren Kosten der Bauteile aufgrund hoher Integrationsdichte und vereinfachter Entwicklung sowie höhere Flexibilität. Mit Hilfe spezieller Signalprozessoren oder Computer können Schaltungen in Software und programmierbarer Hardware (PLDs) realisiert werden. Dadurch lassen sich Funktionen leichter an veränderte Anforderungen anpassen. Außerdem sind komplexe Algorithmen einfach anwendbar, die analog nur mit hohem Aufwand oder gar nicht realisierbar wären. Durch stetige Verkleinerung der Bauelemente wurden die Geräte immer kleiner und kompakter. Die Technologie ist robuster gegenüber Temperatureinflüssen, Alterung, Schwankungen der Spannungsversorgung, und elektromechanischen Störungen. Durch sparsamen Strombedarf wird langer Batteriebetrieb möglich. Mit der Einführung der Musik-CD (1980) entstand eine Diskussion, ob diese digital-gespeicherte Musik die hörbare Qualität erreicht, die die analoge Schallplatte bietet (Live-Musik sowieso). Die Musikindustrie fürchtete Verluste durch Raubkopien, was durch das folgende MP3-Format noch verstärkt wurde. Seit 2020 ist die Schallplatte wieder deutlich im Kommen. Trotzdem sind CD und MP3 die meistgenutzten Möglichkeiten. Nachteile Durch den schnellen Entwicklungsfortschritt sind die Produkte schnell überholt, und es gibt oft bessere. Das führt zu weiterem Ressourcenbedarf für die ohnehin vergleichsweise aufwändige Herstellung und zu mehr Elektronikschrott, der die Umwelt belastet. Zudem wird für den Betrieb der Geräte und der zugehörigen Infrastruktur fortwährend elektrischer Strom benötigt, was Emissionen hervorruft und diverse Kraftwerke, darunter Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke, erfordert. Durch den Einsatz von Digitaltechnik werden viele Menschen abgehängt, darunter oft ältere, die die Anwendung der neuen Technologien nicht so schnell erlernen konnten oder wollten. Literatur Klaus Fricke: Digitaltechnik: Lehr- und Übungsbuch für Elektrotechniker und Informatiker, Springer, 2021. ISBN 978-3-658-32536-7. Bodo Morgenstern: Elektronik 3 - Digitale Schaltungen und Systeme, Vieweg & Teubner, 2. Aufl. 1997. ISBN 978-3-528-13366-5. Hans Wojtkowiak: Test und Testbarkeit digitaler Schaltungen, Teubner, Stuttgart 1988, ISBN 978-3-519-02263-3. Weblinks Einzelnachweise Signalverarbeitung
1188
https://de.wikipedia.org/wiki/Douglas%20Sirk
Douglas Sirk
Douglas Sirk (Geburtsname: Hans Detlef Sierck; * 26. April 1897 in Hamburg-Eimsbüttel; † 14. Januar 1987 in Lugano, Schweiz) war ein deutscher Film- und Bühnenregisseur. Sierk arbeitete zunächst in Deutschland als Theater- und Filmregisseur. Wegen seiner jüdischen Ehefrau und politischen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus flüchtete Sirk Ende 1937 aus Deutschland. Nach seinem ersten amerikanischen Film 1943 konnte er sich dort erfolgreich unter dem Namen Douglas Sirk als Regisseur etablieren. Sirk drehte in den 1950er-Jahren Film-Melodramen, die stilbildend für das Genre wirkten und zahlreiche positive Rezensionen und Analysen in der Fachpresse erhielten. Leben und Karriere Leben bis zur Machtergreifung 1933 Detlef Sierck verbrachte als Sohn eines Volksschullehrers und späteren Schulrektors seine Jugend in Hamburg. Ferienreisen mit den Großeltern gingen häufig nach Skagen in Jütland (Dänemark). Sierck war an Kunst und Kultur interessiert und wurde darin von seinem Vater gefördert. Seine Großmutter mütterlicherseits ging mit ihm regelmäßig ins Kino. Nach dem Abitur wurde er zum Ende des Ersten Weltkriegs noch eingezogen und war Seekadett bei der Kaiserlichen Marine. Von 1918 an studierte er Rechtswissenschaft in München, dann kurze Zeit in Freiburg, ohne das Studium zu beenden. Er wechselte die Fakultät und studierte danach zunächst in Jena, ab 1920 bei Ernst Cassirer in Hamburg Philosophie. Außerdem hörte er kunstgeschichtliche Vorlesungen bei Erwin Panofsky und arbeitete nebenher als Redakteur bei der Neuen Hamburger Zeitung. Er besuchte regelmäßig Theater, Kinos, Oper, Konzerte und Ausstellungen und malte auch selbst. 1922 gab Sierck sein Studium auf. Im selben Jahr erschien seine Übersetzung von Shakespeare-Sonetten in Buchform. 1920/21 wurde Sierck auf Vermittlung Richard Dehmels Hilfsdramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, 1921/22 wurde er zum Dramaturgen befördert. 1922 führte er dort erstmals Regie. Da Sierck in Hamburg keine Stücke von Shakespeare aufführen durfte, ging er nach 1922/23 nach Chemnitz. Als das Theater in Chemnitz in finanzielle Probleme geriet, bildeten die Schauspieler und übrigen Beschäftigten ein Kollektiv, dessen Direktor Sierck wurde. Gespielt wurden populäre Komödien. In dieser Zeit wurde das Bremer Schauspielhaus auf Sierck aufmerksam und lud ihn als Gastregisseur ein. 1923 inszenierte er dort u.a Henrik Ibsens Stützen der Gesellschaft mit Albert Bassermann in der Hauptrolle. Seine Arbeit fand Anerkennung, und er wurde von 1923/24 bis 1929 Oberspielleiter am Bremer Theater. Dort inszenierte er Stücke von Arthur Schnitzler, darunter Anatols Hochzeitsmorgen, sowie Der Turm von Hugo von Hofmannsthal. 1930 inszenierte er Brechts Dreigroschenoper. Sierck war in erster Ehe vom 19. Mai 1926 an mit der Theaterschauspielerin Lydia Brincken verheiratet, die auch nach der Trennung seinen Namen behielt. Mit ihr hatte er einen 1925 geborenen Sohn, den Schauspieler Klaus Detlef Sierck. Die Ehe wurde am 15. Dezember 1928 in Bremen geschieden. Am 27. Februar 1929 heiratete Sierck in Berlin-Schöneberg die Schauspielerin Hilde Jary. Leben nach der Machtergreifung Im Herbst 1929 war Sierck zum Intendanten des Alten Theaters in Leipzig ernannt worden. Dort inszenierte er unter anderem das Stück Der Sacco-Vanzetti-Prozeß. Kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 stand das von Kurt Weill und Georg Kaiser verfasste antinazistische musikalische Bühnenspiel Der Silbersee vor der Uraufführung. Die Premiere wurde verschoben und fand am 19. Februar gleichzeitig in Leipzig, Erfurt und Magdeburg statt. Aufführungen des Stückes wurden zuerst in Magdeburg durch Schlägertrupps der SA gestört. In Leipzig fanden noch mehrere Aufführungen statt, über die die örtlichen Zeitungen wohlwollend berichteten, ehe sich die Nazis durchsetzten und das Stück absetzten. Der jüdische Generalmusikdirektor, Gustav Brecher, musste bei der Aufführung am 4. März 1933 vor nationalsozialistischen Schlägern aus dem Konzertsaal flüchten und ging daraufhin mit seiner Frau ins Exil. Auch Kurt Weill verließ kurze Zeit später mit seiner Frau Deutschland. Daraufhin verlegte sich Sierck einige Zeit auf Gastinszenierungen im Ausland. 1934 wich er zum Film aus. Von der UFA, der nach der durch die Nationalsozialisten erzwungenen Flucht namhafter Künstler gute Regisseure fehlten, erhielt er einen Vertrag als Regisseur. Ende 1935 wurde Sierck durch Hans Schüler als (zunächst kommissarischer) Leiter des Alten Theaters ersetzt, woraufhin er sich ganz dem Film zuwandte. Schon 1934 inszenierte er seinen ersten Kurzfilm, im Jahr darauf seinen ersten abendfüllenden Film, Stützen der Gesellschaft, und war in den darauffolgenden Jahren verantwortlich für große Erfolge wie den Film Schlußakkord von 1936. 1937 war er maßgeblich am Erfolg von Zarah Leander beteiligt, die er 1937 als Regisseur der Filme Zu neuen Ufern und La Habanera in Deutschland zum Star machte. Wegen seines Erfolges mit Zarah Leander erhielt Sierck 1937 seinen Reisepass zurück, den man ihm aufgrund einer Denunziation vorläufig entzogen hatte. Diese Gelegenheit nutzten Sierck und seine Ehefrau Hilde Jary, die jüdischer Herkunft war. Das Paar verließ Deutschland 1937 und ging über die Niederlande zunächst nach Frankreich, dann in die USA. Grund für die hastige Flucht waren offenbar auch Denunziationsversuche dieser Ehe durch Siercks erste Ehefrau. Sierck sah nach der Flucht sein einziges Kind nicht wieder, da Klaus Detlef Sierck 1944 an der Ostfront fiel. Karriere in Hollywood In den USA nannte sich Sierck Douglas Sirk und betrieb mit seiner Ehefrau eine Hühnerfarm, was er im Nachhinein als die glücklichste Zeit seines Lebens beschrieb. Zu anderen deutschen Exilanten in Hollywood pflegte er nur wenig Kontakt, da diese bei gemeinsamen Treffen nur herabwürdigend und hasserfüllt über Amerika gesprochen hätten. Er knüpfte erste Kontakte in die Filmindustrie und versuchte sich auch als Drehbuchautor. Eine Chance für ihn als Regisseur ergab sich 1942 nach dem Attentat auf Heydrich und dem Massaker von Lidice. Die US-Regierung wollte die Bereitschaft der amerikanischen Bevölkerung, in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, verstärken und einen Antinazifilm drehen lassen. 1942 gab die kleine Produktionsfirma PRC Sirk einen ersten Regieauftrag für einen Film mit dem Titel Hitler’s Madman über Heydrich und Lidice. Der Film wurde von Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) angekauft und bedeutete Sirks Durchbruch. 1944 folgte das elegant inszenierte Melodram Sommerstürme nach dem Stück Ein Drama auf der Jagd von Anton Tschechow. Die Kritiker lobten die intelligente Umsetzung der Vorlage, insbesondere die sensible Führung der Schauspieler, darunter Linda Darnell. In den folgenden Jahren inszenierte Sirk Filme in unterschiedlichen Genres. 1948 wurde Sirk von Claudette Colbert persönlich ausgewählt, Regie bei dem Film noir Schlingen der Angst zu führen. Nach Ende des Krieges versuchte Sirk 1949 erneut, in Deutschland Fuß zu fassen, doch kehrte er bald zurück nach Hollywood, wo er bei Universal Pictures seine neue künstlerische Heimat fand. In den 1950er Jahren wurde Sirk einer der erfolgreichsten Regisseure, deren Markenzeichen das Melodram war. Gemeinsam mit dem Produzenten Ross Hunter drehte er von 1953 an einige der stilvollsten Filme dieses Genres, oft Neuverfilmungen älterer Produktionen von Universal Pictures. Im Film All meine Sehnsucht, der das Schicksal einer von Barbara Stanwyck gespielten Frau mit zweifelhafter Vergangenheit schildert, fand Sirk zu seiner endgültigen Formensprache. In seinen Filmen kämpft stets das Individuum gegen die konformistischen, restriktiven Verhaltenskodizes der Gesellschaft um einen Platz für seine Gefühle. In Jane Wyman fand Sirk seine ideale Darstellerin für gefühlvoll geschilderte Frauenschicksale. Die beiden Filme Die wunderbare Macht von 1954 und Was der Himmel erlaubt von 1955 waren an der Kinokasse erfolgreich, fanden aber bei Kritikern nur ein geteiltes Echo. Zugleich sorgten sie für den Aufstieg des Schauspielers Rock Hudson zum Topstar von Universal Pictures. In den folgenden Jahren drehte Sirk Filme, die als einige der besten Melodramen der Kinogeschichte gelten: In den Wind geschrieben, Es gibt immer ein Morgen, Duell in den Wolken, Zeit zu leben und Zeit zu sterben. Besonders durch Letzteren, eine Adaption des gleichnamigen Romans von Erich Maria Remarque (mit Liselotte Pulver), gewann Sirk den Respekt der Begründer der Nouvelle Vague, Jean-Luc Godard und François Truffaut, die sich begeistert zeigten vom innovativen Einsatz neuer Techniken wie Cinemascope und Technicolor für die Schilderung auch sensibler, intimer Momente. 1959 drehte Sirk mit Solange es Menschen gibt mit Lana Turner und Sandra Dee in den Hauptrollen seinen letzten und finanziell erfolgreichsten Film. Der Streifen bot eine zurückhaltende Studie über Rassenvorurteile und die Unfähigkeit, Gefühle und Karriere zu vereinen. Juanita Moore wurde für ihre Darstellung einer aufopfernden Mutter für einen Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert. Rückkehr nach Europa Auf diesem Höhepunkt seines Erfolges in Hollywood verabschiedete sich Sirk aus den USA, wo er nach eigenen Angaben nie viele Freundschaften geschlossen hatte, und suchte nach größerer Freiheit bei der Themenwahl seiner Filme. Sirk plante in Frankreich einen Film über das Leben des Malers Maurice Utrillo, erkrankte aber und entschied sich nach seiner Genesung, kein anstrengendes Filmprojekt mehr beginnen zu wollen. Angebote, wieder bei Filmen Regie zu führen, lehnte er ab. Das Ehepaar Sirk kehrte nicht nach Deutschland zurück, sondern zog nach Lugano in der italienischsprachigen Schweiz. Dort verbrachte das Paar den Rest seines Lebens. In den 1960er Jahren führte Sirk sporadisch Regie an Theatern in Deutschland, vor allem am Hamburger Thalia-Theater und am Münchener Residenztheater. Von 1974 bis 1978 war er Gastdozent an der Hochschule für Fernsehen und Film München; Rainer Werner Fassbinder besuchte einen seiner Kurse. Daneben war Sirk an einigen studentischen Kurzfilmen beteiligt. 1978 erhielt Sirk für sein Lebenswerk den Deutschen Filmpreis und 1986 den Bayerischen Filmpreis. Er starb 1987 im Alter von 89 Jahren in Lugano. Würdigung Sirk gehört zu den heute meistgeschätzten Regisseuren der 1950er Jahre. Damals war dies jedoch anders: Zwar waren seine Filme beim Publikum beliebte Kassenerfolge, doch die meisten Kritiker verachteten sie als „schnulzig und kitschig“. Nachdem er von den Filmemachern der Nouvelle Vague in den 1960er-Jahren als Beispiel für einen Autorenfilmer gelobt wurde, gilt Sirk inzwischen als einer der angesehensten Filmemacher aus dem Hollywood der Studiosystem-Ära. Seine Melodramen aus den 1950er-Jahren erhielten dabei die größte Aufmerksamkeit, Inszenierungen in anderen Genres von ihm sind noch weniger untersucht oder werden als schwächer angesehen. Auch andere Aspekte in Sirks Werk fanden Würdigung, darunter die hervorragende Kameraarbeit sowie die vielen Symbole, die er oft in seine Mise en Scène eingebaut hatte: Beispielhaft setzt er in Was der Himmel erlaubt immer wieder vergitterte Fenster ein, um die Gefangenheit der Figuren in ihren Konventionen auszudrücken, und mehrmals lässt er im Film ein Reh als Symbol auftreten. Auch sein Einsatz von Farbe wird oft kommentiert – die meisten seiner Technicolor-Filme zeichnen sich durch ansprechende, allerdings fast übertrieben wirkende Farben aus. Die Farben unterstrichen die Künstlichkeit der amerikanischen Gesellschaft, vergrößern aber zugleich durch ihre Farbdramaturgie den emotionalen Aspekt der Filmhandlung. So übte Sirk in seinen Werken immer wieder unterschwellig Kritik am repressiven Lebensstil und den strengen Gesellschaftsregeln in Amerika: „Sirks Melodramen handeln von Menschen, die in ihren Häusern und gesellschaftlichen Moralvorstellungen gefangen sind.“ Rainer Werner Fassbinder äußerte sich teilweise ekstatisch über die filmischen Qualitäten von Sirk und gab stets unumwunden zu, von seinem Werk beeinflusst worden zu sein. Auch Pedro Almodóvar und Kathryn Bigelow zählen ihn zu ihren Vorbildern. Todd Haynes drehte im Jahr 2002 mit Dem Himmel so fern ein erfolgreiches und in den 1950er-Jahren spielendes Melodram, das thematisch wie visuell an Sirks Filme angelehnt ist. Wim Wenders nannte Sirk einen „Dante der Soap Operas“, der meisterhaft in der Lage gewesen sei, die mit dem American Dream verbundenen Schattenseiten in dramatischen Bildern zu vermitteln. Quentin Tarantino äußerte, gerne einmal einen Film im Stile von Sirks Melodramen drehen zu wollen, allerdings fürchte er, dass dieser vom Publikum höchstens noch ironisch verstanden werden könne. In Tarantinos Pulp Fiction wird in einer Szene ein sogenanntes „Douglas-Sirk-Steak“ bestellt. Auch Guillermo del Toro benannte Sirk 2018 in seiner Oscar-Dankesrede als Einfluss auf sein filmisches Schaffen. Douglas-Sirk-Preis Das Filmfest Hamburg vergibt seit 1995 den Douglas-Sirk-Preis jährlich an eine Persönlichkeit, die sich um die Filmkultur und die Filmbranche verdient gemacht hat. Filmografie Dokumentarfilme Douglas Sirk – Hope as in Despair. Dokumentarfilm, Schweiz, Frankreich, Deutschland, 2022, 76 Min., Regie: Roman Hüben. Literatur (Interview Hallidays mit Douglas Sirk) Mit einer von Bock und Töteberg verfassten Biografie sowie einer Filmografie. Hans-Michael Bock: Detlef Sierck / Douglas Sirk – Regisseur. In: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, Lieferung 8, 1987. Thomas Brandlmeier: Douglas Sirk und das ironisierte Melodram. edition text + kritik, München 2022, ISBN 978-3-96707-610-3. Corinna Kirschstein: Detlef Sierck. In Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. 2005. Online-Ausgabe: http://www.isgv.de/saebi/ (eingesehen am 29. Februar 2020) Anke Sterneborg: Douglas Sirk. 1897–1987. In: Thomas Koebner (Hrsg.): Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-010662-4, S. 693–696. Frithjof Trapp; Werner Mittenzwei; Henning Rischbieter; Hansjörg Schneider: Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933–1945 / Biographisches Lexikon der Theaterkünstler. Band 2, München 1999, ISBN 3-598-11375-7, S. 869f. Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 7: R – T. Robert Ryan – Lily Tomlin. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 344 f. Kay Weniger: ‘Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben …’. Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. ACABUS-Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86282-049-8, S. 644–648 Weblinks Bericht über Jane und Michael Sterns mehrere Tage währenden Besuch beim Ehepaar Sirk in Lugano, erschienen in der Nr. 6/1977 der Filmzeitschrift Bright Lights (englisch) Tom Ryan in der Reihe Great Directors: Douglas Sirk - kurzer Biografie, Filmografie und Bibliografie in dem australischen Online-Filmjournal Senses of Cinema, Februar 2004. (englisch) Garry Morris: DVD-Review der Filme »All that Heaven allows« und »Written with the wind« mit einer kurzen Einführung in das Leben Sirks. (englisch) Martina Müller: Tränen im Kino. Melodramen von Douglas Sirk Deutschlandradio, 24. April 2021 Einzelnachweise Filmregisseur Träger des Deutschen Filmpreises Theaterregisseur Darstellende Kunst (Nationalsozialismus) Deutscher Emigrant in den Vereinigten Staaten Emigrant aus dem Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus US-Amerikaner Person (Hamburg) Person (Lugano) Deutscher Schweizer Geboren 1897 Gestorben 1987 Mann
1189
https://de.wikipedia.org/wiki/Digital
Digital
Digital oder digital (von lateinisch digitus „Finger“) steht für: nicht analoges, diskretes oder abgestuftes Signal, siehe Digitalsignal Digitalanzeige kurz für Digital Equipment Corporation, ehemaliges US-amerikanisches Unternehmen Siehe auch: digitale Daten digitale Information Bobby Digital (Begriffsklärung) Digitaltechnik (Signale, Schaltungen) Digitalisierung (Begriffsklärung) Digitalis (Begriffsklärung) Digit
1191
https://de.wikipedia.org/wiki/Digital-Analog-Umsetzer
Digital-Analog-Umsetzer
Ein Digital-Analog-Umsetzer oder Digital-analog-Umsetzer (DAU, (DAC)), auch Digital-Analog-Wandler oder D/A-Wandler genannt, wird verwendet, um digitale Signale oder einzelne Werte in analoge Signale umzusetzen. DAUs sind elementare Bestandteile fast aller Geräte der digitalen Unterhaltungselektronik (z. B. CD-Player) und der Kommunikationstechnik (z. B. von Mobiltelefonen). In der Regel wird der DAU als integrierter Schaltkreis (IC) ausgeführt. Funktion Ein Analog-Digital-Umsetzer erzeugt aus einem kontinuierlichen Wertevorrat ein gestuftes Signal. Ein Digital-Analog-Umsetzer kann aus dem gestuften Signal nicht wieder ein kontinuierliches Signal erzeugen. Die einmal eingetretene Stufung in Schritten von 1 LSB (least significant bit) ist nicht wieder rückgängig zu machen. Bei einer Folge von veränderlichen Werten wird die Stufung allerdings durch eine notwendige Filterung verschliffen. Ein Digitalsignal ist ein zeitdiskretes und wertdiskretes Signal, wie es nebenstehende Darstellung zeigt. Der Digital-Analog-Umsetzer setzt die quantisierten Informationen, die als binäre Information vorliegen, in ein Signal um, das kontinuierlich einem analogtechnisch arbeitenden Gerät bereitgestellt werden kann. Eine Annäherung an ein kontinuierliches Ursprungssignal, auf dem ein digitales Signal basieren kann, wird mit einem meist direkt auf den Digital-Analog-Umsetzer folgenden Rekonstruktionsfilter erzielt. Dies ist zum Beispiel in der Audiotechnik von hoher Bedeutung. Schritte der Umsetzung Bei einer Umsetzung in ein zeitkontinuierliches (aber noch wertdiskretes) Signal wird der Signalwert bis zum nächsten Abtastpunkt in einem Eingangsregister festgehalten. Bei einzelnen Messpunkten und bei langsam veränderlichen Größen entsteht am Ausgang ein Verlauf wie im zweiten Bild als waagerechte Strecken eingetragen. Bei einer raschen Folge von Punkten mit unterschiedlichen Signalwerten sind aufgrund der Abtastpunkte für das entstehende analoge (also auch wertkontinuierliche) Signal vielfältige Verläufe möglich. Die punktierte Linie im zweiten Bild folgt den Abtastwerten, ähnelt aber dem Ursprungssignal nicht. Sie enthält höhere Frequenzanteile, welche üblicherweise durch Anti-Aliasing-Filter auf analoger Seite verhindert werden müssen. Die Speicherung der Abtastpunkte wird in diesem Fall vom Filter beherrscht. Im nächsten Bild ist der Betragsverlauf des Frequenzspektrums eines DAU ohne Anti-Aliasing-Filter dargestellt, welcher eine Sinusschwingung mit der Frequenz fout ausgibt. Diese Sinusschwingung tritt mehrfach in Oberschwingungen auf. Dabei ist fc die Abtastfrequenz. Alle Signalanteile mit einer Frequenz oberhalb der halben Abtastfrequenz soll das Filter unterdrücken. Durch die Quantisierungsstufen weist das Spektrum Verzerrungen auf, welche durch den rot-strichliert gezeichneten und einhüllenden Betragsverlauf der Sinc-Funktion bedingt sind. Dadurch kommt es auch unterhalb der halben Abtastfrequenz, also im erwünschten Frequenzbereich, zu einer Verzerrung und Absenkung der Amplituden. Diese linearen Verzerrungen werden durch zusätzliche Filter üblicherweise auf der digitalen Seite kompensiert, im Bild blau punktiert eingezeichnet. Dabei werden höhere Frequenzanteile unterhalb der halben Abtastfrequenz invers zur Sinc-Funktionsverlauf stärker angehoben. Ist die Signalfrequenz deutlich niedriger als die Grenzfrequenz des Filters, nähert sich der Verlauf des Ausgangssignals dem gestuften Verlauf an. Die Stufung macht sich als Quantisierungsrauschen bemerkbar. Bezugswert Da das dem DAU zugeführte Digitalsignal dimensionslos ist, muss es mit einem vorgegebenen Wert Uref multipliziert werden. Hier gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten. Feststehender Referenzwert (z. B. intern erzeugte Referenzspannung): Das digitale Eingangssignal wird in einem festen Ausgangsbereich abgebildet, die Referenz legt den Scheitelwert des Ausgangssignals fest. Variabler Referenzwert: Der DA-Umsetzer ist in seinem Signalbereich durch ein von außen zugeführtes elektrisches Signal einstellbar (Abschwächerschaltung). Dieses ist als eine 2- oder 4-Quadranten-Multiplikation möglich. Speziell für diesen Zweck ausgelegte ICs werden als multiplizierende DAU () bezeichnet. Quantisierungskennlinie Bei einem idealen Digital-Analog-Umsetzer besteht vorzugsweise ein linearer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsgröße. Es gibt wobei daneben auch andere Kodierungen, beispielsweise Zweierkomplement, BCD-Code verwendbar sind. Ferner gibt es DA-Umsetzer mit nicht linearer Quantisierungskennlinie z. B. nach dem logarithmischen A-law- und µ-law-Verfahren für Telefonnetze. Abweichungen Zusätzlich zum Quantisierungsfehler sind weitere Fehler zu beachten. Nullpunktfehler, Verstärkungsfehler und Nichtlinearitätsfehler Als Abweichungen der Kennlinien zwischen realem und idealem Umsetzer sind folgende Fehler definiert (siehe Bild): Nullpunktfehler (Offset) Verstärkungsfehler (engl. Gain-Error) Nichtlinearitätsfehler Der Verstärkungsfehler wird oft als Bruchteil des aktuellen Wertes angegeben, der Nullpunktfehler zusammen mit dem Quantisierungsfehler und der Nichtlinearitätsfehler als Bruchteile des Endwertes oder als Vielfache eines LSB. Fehler in der Stufung Einzelne Stufen können unterschiedlich hoch ausfallen. Bei Schritt für Schritt steigender Eingangsgröße kann es je nach Realisierungsverfahren vorkommen, dass sich ein Wert der Ausgangsgröße verkleinert, insbesondere dann, wenn es einen Übertrag über mehrere Binärstellen gibt, beispielsweise von 0111 1111 nach 1000 0000. In diesem Falle ist der Umsetzer nicht monoton. Zeitliche und Apertur-Fehler Zeitliche Schwankungen im Takt (Jitter) beeinträchtigen die Konstruktion des Ausgangssignals. Einzelheiten zum maximal erlaubten Jitter siehe unter derselben Überschrift im Artikel ADU. Realisierungsverfahren Direktes Verfahren Hier wird das Ausgangssignal durch so viele Widerstände in einem Spannungsteiler erzeugt wie es Stufen gibt; jeder Widerstand ist gleich gewichtet. Mit dem digitalen Wert wird die zugeordnete Stufe über einen 1-aus-n-Schalter (Multiplexer) ausgewählt. Dieses Verfahren ist schnell und garantiert monoton, mit zunehmender Auflösung aber vergleichsweise aufwändig. Ein Beispiel für das Verfahren ist ein 8-Bit-Umsetzer mit 256 Widerständen und 272 Schaltern. Paralleles Verfahren Hier wird das Ausgangssignal durch so viele Widerstände erzeugt wie es Binärstellen gibt; jeder Widerstand ist so gewichtet, wie es der Wertigkeit der zugeordneten Stelle entspricht. Einfacher in der Herstellung und in der Umsetzung ist das R2R-Netzwerk, das in einer Kette von Stromteilern jeweils eine Halbierung eines elektrischen Stromes vornimmt (nur mit Dualkode möglich). Man benötigt so viele Schalter, wie Bits zur Darstellung der digitalen Werte verwendet werden. Die unterschiedlich gewichteten Ströme werden je nach Wert (1 oder 0) der zugehörigen Binärstelle auf eine Sammelleitung geschaltet oder ungenutzt abgeleitet. Die Summe der zugeschalteten Ströme wird – heute meist in der Schaltung integriert – mittels eines Operationsverstärkers in eine Spannung umgeformt. Das Parallel-Verfahren bietet einen guten Kompromiss zwischen Aufwand und Umsetzungsdauer und wird häufig verwendet. Zählverfahren / 1-Bit-Umsetzer Hier wird das Ausgangssignal durch so viele Zeitschritte erzeugt wie es Stufen gibt. Mit dem digitalen Wert werden die Einschaltzeit eines einzigen Schalters und bei periodischer Wiederholung der Tastgrad in einer Pulsdauermodulation festgelegt. Das endgültige Ausgangssignal ist der Gleichwert einer so ein-/ausgeschalteten Spannung. Dieses einfach und preiswert zu realisierende Verfahren benötigt unter den hier vorgestellten Verfahren die größte Umsetzungszeit, weil das Verfahren mit einer Abzählung von Zeitschritten und mit Mittelwertbildung verbunden ist. Dieser garantiert monoton arbeitende DAU lässt sich gut als integrierte Schaltung realisieren und ist besonders in Zusammenhang mit dem Taktsignal bei Mikroprozessoren verbreitet. Für die Mittelwertbildung kann üblicherweise ein einfacher Tiefpass verwendet werden. Delta-Sigma-Verfahren/1-Bit- bis N-Bit-Umsetzer Die Deltamodulation, die hier gewisse Ähnlichkeiten zur Pulsdauermodulation hat, wird in der Delta-Sigma-Modulation verwendet. Ähnlich dem Zählverfahren wird mit einem oder mehreren 1-Bit-Umsetzern durch zusätzliche kontinuierliche Differenzbildung und Integration der Ausgangsfehler reduziert und eine Rauschformung erreicht, die das Rauschen in höhere Frequenzbereiche verschiebt. Es ist ein gewisser digitaler Rechenaufwand nötig für Abtastfrequenz-Umsetzung und digitale Filterung. Für gute Ergebnisse werden Delta-Sigma-Modulatoren höherer Ordnung mit hoher Überabtastung verwendet, z. B. 5. Ordnung und 64-facher Überabtastung. Dieses Verfahren erfordert durch eine hohe Überabtastung einen geringen Filteraufwand, ist gut integrierbar, bietet eine hohe Genauigkeit und ist bei Verwendung eines 1-Bit-Umsetzers garantiert monoton. Der wesentliche Vorteil gegenüber dem Zählverfahren liegt in der prinzipbedingten Rauschformung, die höhere Frequenzen ermöglicht. Dieses Verfahren wird heute zunehmend nicht nur in der Audio-, sondern auch in der Messtechnik verwendet. Hybrid-Umsetzer Dies ist kein eigenständiges Verfahren, sondern es werden Kombinationen aus den obigen Verfahren verwendet. Das hochgenaue Delta-Sigma-Verfahren wird z. B. mit einem einfachen, niedrig auflösenden Parallel-Umsetzer für die niederwertigen Bits kombiniert, um die Vorteile beider Verfahren zu verbinden. Verschachtelte Umsetzer Für sehr schnelle DAU wird eine Architektur mit mehreren parallelen DAU-Kernen verwendet (engl. interleaved DAC). Die analogen Ausgangssignale der einzelnen DAUs werden mittels einer Hochfrequenzschaltung zusammengeführt, um ein kombiniertes Ausgangssignal mit höherer Abtastrate zu realisieren. Das Zusammensetzen der Signale kann sowohl im Zeit- als auch im Frequenzbereich erfolgen. Beschaltung Digitale Ansteuerung Ein weiteres Klassifizierungsmerkmal ist die Art, wie die digitalen Werte dem Umsetzer zugeführt wird (Interface) parallel – je Bit eine Anschlussleitung oder seriell – nur eine Datenleitung (siehe SPI oder I²C). Die Eingangssignale sind meistens elektrische Spannungen mit standardisierter Darstellung der zwei Signalzustände, beispielsweise TTL, ECL, CMOS, LVDS. Um die Gültigkeit der anstehenden Daten zu signalisieren oder den Baustein weiter zu konfigurieren, sind noch weitere Steuerleitungen erforderlich. Bei seriell angesteuerten Umsetzern muss das Eingaberegister in einer Anzahl von Takten beschrieben werden, ehe die Information zur Umsetzung bereitsteht. Analoger Ausgang und Ausgabe Das generierte Signal steht am Ausgang entweder als Spannung (englisch voltage output DAC) oder Strom (englisch current output DAC) zur Verfügung. Fast immer erfordert die ungünstige Impedanz und Kapazität der Umsetzer-Schaltung eine weitere Aufbereitung des Signals. Eine für diesen Zweck eingesetzte Verstärkungsschaltung bestimmt durch ihre begrenzenden Parameter die dynamischen Eigenschaften der Gesamtschaltung (z. B. Bandbreite) wesentlich mit. Anwendungsgebiete Audio Heutzutage werden Audiosignale für gewöhnlich in digitaler Form gespeichert (z. B. als WAVE oder MP3). Um sie über Lautsprecher hörbar machen zu können, ist eine Umsetzung in analoge Signale erforderlich. DAUs finden sich daher in CD- und digitalen Musikabspielgeräten sowie PC-Soundkarten. DAUs sind auch als Einzelgeräte für mobile Anwendungen oder als Komponenten in Stereoanlagen verfügbar. Video Digital generierte Videosignale (z. B. eines Computers) müssen vor der Darstellung auf einem analogen Monitor umgesetzt werden. Hier wird dem DAU meist ein Speicher (RAM) angegliedert, in dem Tabellen für die Gammakorrektur, den Kontrast und Helligkeitseinstellung abgelegt sind. Eine solche Schaltung wird als RAMDAC bezeichnet. Technische Steuerungen In vielen technischen Geräten werden elektromechanische oder elektrochemische Aktoren mit digital berechneten Werten angesteuert, deren Umsetzung ein DAU besorgt. Ebenso werden DAUs in Akku-Ladegeräten und digital einstellbaren Netzteilen eingesetzt. Digitales Potentiometer und Multiplizierer Der DAU kann auch einen variablen, analogen Bezugswert mit dem digitalen Eingangssignal multiplizieren. Ein Anwendungsbereich ist das digitale Potentiometer, das als einstellbarer Widerstand (z. B. für die Lautstärkeregelung in Audioverstärkern oder Fernsehgeräten) digital angesteuert werden kann. Digitale Potentiometer mit EEPROM-Speicher merken sich den zuletzt eingestellten Wert, auch wenn das Gerät von der Netzspannung getrennt wurde. Nachrichtentechnik Extrem schnelle DA-Umsetzer werden in der Nachrichtentechnik verwendet, z. B. für die Erzeugung von Sendesignalen im Mobilfunk oder in der optischen Nachrichtentechnik. Die DA-Umsetzer für den Mobilfunk haben häufig integrierte Misch- und Filterfunktionen (engl. RF-DACs oder Transmit-DACs). Wichtige Kenngrößen Einschwingzeit (Settling Time) oder Verarbeitungsgeschwindigkeit (Update Rate) – Ein Maß für die Dauer einer Umsetzung. Auflösung (Resolution) – Breite der Stufen (auch Anzahl der Stufen oder Anzahl der Stellen), die zur Darstellung des Eingangssignals verwendet werden. Nullpunktsfehler – Die Umsetzerkennlinie (ohne Berücksichtigung der Stufung) ist verschoben. Der analoge Wert unterscheidet sich vom richtigen Wert um einen konstanten Betrag. Empfindlichkeitsfehler, Verstärkungsfehler – Die Umsetzerkennlinie (ohne Berücksichtigung der Stufung) ist verdreht (Steigungsfehler). Der analoge Wert unterscheidet sich vom richtigen Wert um einen konstanten Prozentsatz des richtigen Wertes. Integrale Nichtlinearität – Der Fehler dadurch, dass eine als linear zugrunde gelegte Umsetzerkennlinie (ohne Berücksichtigung der Stufung) nicht geradlinig ist. Differenzielle Nichtlinearität – Abweichung der Höhe der Umsetzungsstufen untereinander. Monotonie – Wenn bei steigender Eingangsgröße die Ausgangsgröße steigt oder konstant bleibt. Keine Monotonie, wenn bei steigender Eingangsgröße ein Rücksprung der Ausgangsgröße auf einen kleineren Wert entsteht; möglich bei einer differenziellen Nichtlinearität von mehr als 1 LSB. Quantisierungskennlinie – Grafische Darstellung des Zusammenhangs zwischen den analogen Ausgangswerten und den digitalen Eingangswerten, z. B. einer linearen oder logarithmischen Funktion folgend. Quantisierungsfehler – Durch die begrenzte Auflösung bedingte Abweichung des Ausgangssignals vom funktionalen (stetigen) Verlauf. Signal-Rausch-Verhältnis in dB Dynamikumfang in dB Dynamische Parameter Intermodulationsstörungen in dB Siehe auch Digitale Signalverarbeitung Digitale Messtechnik Literatur Rudy J. van de Plassche: CMOS integrated analog-to-digital and digital-to-analog converters. 2nd edition. Kluwer Academic, Boston 2003, ISBN 1-4020-7500-6 (in englischer Sprache) Ulrich Tietze, Christoph Schenk: Halbleiter-Schaltungstechnik. 12. Auflage. Springer, Heidelberg 2002, ISBN 3-540-42849-6. Weblinks Interfacing D/A-Converters to Loads. (PDF; 1,96 MB) OpAmps For Everyone, Chapter 14 Einzelnachweise Digitale Signalverarbeitung Messdatenerfassung
1192
https://de.wikipedia.org/wiki/Doldenbl%C3%BCtler
Doldenblütler
Die Doldenblütler oder Doldengewächse (Apiaceae oder Umbelliferae) sind eine Pflanzenfamilie in der Ordnung der Doldenblütlerartigen (Apiales). Die meisten Arten sind krautige Pflanzen mit mehrfach geteilten Blättern und Doppeldolden als Blütenstand, wodurch sie leicht der Familie zuzuordnen sind. Die Familie enthält etwa 434 Gattungen mit etwa 3780 Arten und ist weltweit in den gemäßigten Zonen vertreten. Zu den Doldenblütlern zählen viele Gewürzpflanzen und Nahrungspflanzen, aber auch einige sehr giftige Pflanzenarten, beispielsweise der Wasserschierling und der Gefleckte Schierling. Beschreibung und Ökologie Vegetative Merkmale Die Vertreter der Doldenblütler sind fast ausschließlich ausdauernde krautige Pflanzen. Einige wenige Taxa, wie etwa in der Unterfamilie Mackinlayoideae, sind verholzt. Die Sprossachse ist in der Regel hohl und knotig. Die Wuchshöhen reichen von mehreren Meter hohen Pflanzen in den Steppen Zentralasiens (Ferula) bis zu wenigen Zentimeter hohen Polsterpflanzen der Antarktis (Azorella). Viele Arten bilden eine Pfahlwurzel aus. Die Seitenwurzeln entstehen an beiden Seiten der Xylempole, da an der Spitze des Xylempols ein Harzgang verläuft. Die wechselständigen Laubblätter sind einfach oder mehrfach gefiedert. Nur in Ausnahmen besitzen sie einfache Blätter (Bupleurum). Die Blätter besitzen eine Blattscheide. Blütenstände Der Blütenstand ist meist eine vielstrahlige Doppeldolde, eine Dolde aus meist vielen Döldchen. Dieser Bau der Blütenstände ist sehr charakteristisch für die Doldenblütler und hat ihnen auch ihren alten wissenschaftlichen Namen Umbelliferae (Schirm-Träger) eingebracht. Die Tragblätter der Dolden sind dicht zusammengedrängt und bilden die Hülle (Involucrum), häufig sind sie auch nur schwach ausgeprägt oder fehlen. Hier entspringen die Döldchenstiele = Doldenstrahlen. Die Döldchen (Umbellulae) sind wiederum von einem (oft auch fehlenden) Hüllchen (Involucellum) umgeben. Die Blütenstiele werden nicht „Döldchenstrahlen“ genannt. Häufig bildet der Blütenstand eine Kuppel oder sogar eine Fläche, auf der häufig Insekten anzutreffen sind. Seltener sind einfache Dolden. Es gibt auch Arten mit Einzelblüten (Azorella). Bei sehr großen Arten können auch mehrere Doppeldolden zu einem noch größeren Blütenstand zusammengefasst sein (Riesen-Bärenklau, Heracleum mantegazzianum). Blüten Die meist unscheinbaren Blüten sind mit Ausnahme des Gynoeceums fünfzählig und in der Regel radiärsymmetrisch. Bei einigen Arten sind insbesondere die Randblüten aber auch asymmetrisch und dadurch zygomorph. Kelchblätter sind ursprünglich fünf vorhanden, jedoch sind sie oft verkümmert oder fehlen ganz. Die fünf Kronblätter sind frei und sind meist weiß, seltener gelb, rosa bis violett. Die Kronblätter besitzen häufig an der Spitze ein eingeschlagenes Läppchen (Lobulum inflexum). Seine Gestalt sowie die Gestalt der Vorderkante des Kronblattes (Flexurkante) sind wichtige Bestimmungsmerkmale. Es gibt nur einen Kreis mit fünf freien, fertilen Staubblättern, die in der Knospe gekrümmt sind. Zwei Fruchtblätter sind zu einem unterständigen Fruchtknoten verwachsen. Die zwei Griffel (auch als Schnabel bezeichnet) sitzen auf einem scheiben- bis kegelförmigen, glänzenden, Griffelpolster (Stylopodium). Dieses dient als Nektarium, d. h., es scheidet Nektar aus. In jedem der zwei Fruchtknotenfächer befindet sich eine hängende anatrope Samenanlage. Eine zweite verkümmert sehr früh. Der Aufbau der Blüte kann in folgender Blütenformel zusammengefasst werden: Die Blüten sind meist protandrisch. Die Bestäubung erfolgt in der Regel über Fliegen, Käfer und andere kurzrüsselige Insekten (Entomophilie). Früchte und Samen Die Frucht ist eine trockene, zweiteilige Spaltfrucht, auch Doppelachäne genannt. Die Gestalt ist häufig zylindrisch mit rundem bis elliptischem Querschnitt. Seltener sind kugelige (Coriandrum) und doppelkugelige Gestalt (Bifora). Die zwei Teilfrüchte (Mericarpien oder Carpiden) bleiben zunächst noch mit der Oberseite an einem Fruchthalter (Karpophor) hängen, der sich in der Mitte befindet. Jede Teilfrucht hat an ihrer freien Seite fünf Längsrippen oder Hauptrippen (juga primaria) mit je einem Gefäßbündel. Dazwischen liegen Tälchen (valleculae), in deren Wand sich je ein meist dunkler schizogener (durch das Auseinanderweichen von Zellen entstehender) Ölgang (hier als Ölstrieme bezeichnet) befindet. Bei manchen Arten besitzt jedes Tälchen noch eine Nebenrippe (jugum secundarium, etwa die Karotte mit stacheligen Nebenrippen). Die Ölgänge können auch vermehrt (Pimpinella) oder reduziert (Coriandrum) sein oder ganz fehlen (Conium). Der Samen besteht aus einem sehr kleinen Embryo in einem großen, fett- und proteinreichen Endosperm. Der Embryo liegt am oberen Ende des Samens mit nach oben gerichtetem Hypokotyl. Die Samenschale ist mit der Fruchtwand verklebt. Die Ausbreitung erfolgt durch Tiere (Epizoochorie), den Wind (Anemochorie), Wasser (Hydrochorie), durch Selbstausbreitung (Autochorie) und teilweise durch den Menschen (Hemerochorie). Chemische Merkmale Die Hauptbestandteile der ätherischen Öle können je nach Art überwiegend aus Terpenen oder aus Phenylpropanoiden gebildet werden. Beim Koriander ist es überwiegend (+)-Linalool (Terpen), beim Kümmel (+)-Carvon (Terpen), bei Fenchel und Anis Anethol (Phenylpropanoid). Die Doldenblütler sind die Familie mit dem größten Spektrum an Cumarinverbindungen. Neben einfachen Cumarinen und Hydroxycumarinen (z. B. Umbelliferon) treten auch eine Vielzahl an prenylierten, geranylierten und farnesylierten Cumarinderivaten auf. Dazu zählen auch die Furano- und Pyranocumarine. Erstere können linear oder angulär sein. Hydroxy- und Furanocumarine wirken abschreckend auf Herbivoren (deterrent), als Phytoalexine und als Keimungsinhibitoren. Dabei steigt die Toxizität von Hydroxy- über lineare zu angulären Furanocumarinen an. Die Furanocumarine sind phototoxisch: Bei Einwirkung von UV-Licht wird die DNA inaktiviert (Photosensibilisierung). Anguläre Furanocumarine sind stärker toxisch als lineare, obwohl ihre Phototoxizität geringer ist. Die meisten der holarktisch verbreiteten, artenreichen Gattungen der Familie enthalten Furanocumarine (etwa Bupleurum und Pimpinella mit je 150 Arten), während viele monotypische Gattungen mit eingeschränkter geographischer Verbreitung keine Furanocumarine enthalten. Sesquiterpenlactone sind mit über 100 Verbindungen in der Familie vertreten. Es treten die gleichen Grundstrukturen (z. B. Germacranolide, Eudesmanolide, Eremophilanolide und Elemanolide) auf wie bei den Korbblütlern, jedoch stereochemisch unterschiedlich. Außerdem sind sie häufiger hydroxyliert und verestert, insbesondere am C11. In den Doldenblütlern wurden über 150 Polyacetylen-Verbindungen nachgewiesen. Am häufigsten sind die C17-Diin-diene der Falcarinol-Gruppe. Die Giftigkeit des Wasserschierlings (Cicuta virosa) und der Safranrebendolde (Oenanthe crocata) beruht auf Polyacetylenen. Alkaloide sind selten. Coniin und ähnliche Piperidin-Derivate kommen im Gefleckten Schierling (Conium maculatum) vor. In der Unterfamilie Saniculoideae treten häufig Triterpensaponine auf. Typische Kohlenhydrate sind das Trisaccharid Umbelliferose und der Zuckeralkohol Mannitol. Das Vorkommen von Petroselinsäure als Hauptfettsäure bezeugt die enge Verbindung zwischen den Apiaceae und den Araliaceae. Verwendung Aufgrund der ätherischen Öle werden viele Arten als Gewürz-, Gemüse- und Heilpflanzen verwendet. Verwendung finden dabei die Früchte, Blätter und Wurzeln. Beispiele sind Kümmel (Carum carvi), Anis (Pimpinella anisum), Koriander (Coriandrum sativum), Dill (Anethum graveolens), Liebstöckel (Levisticum officinale), Fenchel (Foeniculum vulgare), Petersilie (Petroselinum crispum), und Sellerie (Apium graveolens). Eine gewisse Ausnahme bilden die Karotte (Daucus carota) und der Pastinak (Pastinaca sativa), die vor allem aufgrund ihres Kohlenhydrat-Gehaltes angebaut werden. Einige Arten sind sehr giftig. Der Gefleckte Schierling (Conium maculatum) lieferte das Gift für den zum Tod verurteilten Sokrates und kann mit Wilder Möhre, Kümmel, Koriander und Kerbel verwechselt werden. Ebenfalls sehr giftig ist der Wasserschierling (Cicuta virosa). Weniger giftig ist die Hundspetersilie (Aethusa cynapium), die jedoch oft mit der Petersilie verwechselt wird, wodurch es häufig zu Vergiftungen kommt. Unterscheidungsmerkmale zu den als Wildkräuter genutzten Doldenblütlern: Der gefleckte Schierling riecht nach Mäuse-Urin, der Wasserschierling nach Sellerie und die Hundspetersilie unangenehm und entfernt nach Knoblauch. Die Stengel von geflecktem Schierling und Hundspetersilie sind stellenweise (beim Schierling fleckig) rötlich gefärbt. (Die Kerbelrübe trägt ebenfalls rote Flecken am Stängel, hat aber im Gegensatz zu den giftigen Arten eine unterirdisch verdickte Knolle.) Viele Arten sind aufgrund ihrer Furanocumarine photosensibilisierend und phototoxisch. Zu erwähnen ist hier besonders der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum). Das in den phototoxischen Arten enthaltene Psoralen wird jedoch in der Medizin im Rahmen der PUVA-Therapie zur Behandlung von Hauterkrankungen eingesetzt. Vorkommen Die Familie ist weltweit verbreitet, jedoch liegt der Schwerpunkt in den nördlichen gemäßigten Zonen. In den Tropen sind die Doldenblütler besonders in den montanen Höhenstufen verbreitet. Die Doldenblütler wachsen vorwiegend in Steppen, Sümpfen, Wiesen und Wäldern. Systematik Synonyme für Apiaceae nom. cons. sind: Umbelliferae nom. cons., Actinotaceae , Ammiaceae , Angelicaceae , Daucaceae , Ferulaceae , Saniculaceae . Das Schwestertaxon der Doldenblütler innerhalb der Ordnung Apiales ist die Gruppe aus Pittosporaceae, Araliaceae und Myodocarpaceae. Die Familie selbst enthält etwa 434 Gattungen mit etwa 3780 Arten. Sie wird seit 2010 nur noch in drei Unterfamilien gegliedert. Die Mackinlayoideae sind meist verholzende Pflanzen. Die meisten Arten wachsen in den Gebieten um den Südpazifik, die Gattung Centella vor allem in Südafrika. Es gibt etwa sechs Gattungen mit etwa 67 Arten: Actinotus : Alle 15 Arten sind in Australien verbreitet und eine davon kommt auch in Neuseeland vor. Apiopetalum : Die etwa vier Arten kommen in Neukaledonien vor. Centella (Syn.: Trisanthus ): Die etwa 40 Arten sind hauptsächlich auf der Südhalbkugel verbreitet, beispielsweise: Indischer Wassernabel (Centella asiatica ) Mackinlaya (Syn.: Anomopanax ): Die etwa zehn Arten kommen in Sulawesi, auf den Philippinen, in Neuguinea, auf den Salomonen und im nordöstlichen Australien vor. Micropleura : Die etwa zwei Arten kommen in Kolumbien und Chile vor. Platysace : Die etwa 26 Arten sind in Australien weitverbreitet, aber keine kommt in Tasmanien vor. Xanthosia : Die etwa 20 Arten sind im gemäßigten Australien weitverbreitet. Die Azorelloideae kommen in Südamerika, Australien und der Antarktis vor. Sie besitzen einen großen Nucellus, einen tetrasporigen Embryosack. Die Früchte haben ein lignifiziertes Perisperm. Sie enthält etwa 21 bis 23 Gattungen mit etwa 155 Arten: Asteriscium : Sie enthält nur eine Art: Asteriscium novarae : Sie kommt in Chile und Argentinien vor. Andenpolster (Azorella , Syn.: Fragosa , Laretia , Mulinum ): Sie enthält etwa 70 Arten, darunter: Yareta (Azorella compacta ) Bolax : Die vier bis fünf Arten kommen im gemäßigten südlichen Südamerika in Argentinien und Chile vor. Bowlesia : Sie ist hauptsächlich in Südamerika verbreitet. Dichosciadium : Sie enthält nur eine Art: Dichosciadium ranunculaceum (Syn.: Azorella ranunculacea , Dichopetalum ranunculaceum , Azorella dichopetala nom. illeg., Pozoa ranunculacea ): Sie kommt mit zwei Varietäten nur in den australischen Bundesstaaten New South Wales, Victoria und Tasmanien vor. Dickinsia (Syn.: Cotylonia ): Sie enthält nur einer Art: Dickinsia hydrocotyloides (Syn.: Cotylonia bracteata ): Sie gedeiht in schattigen, feuchten Wäldern und Ufern von Fließgewässern in Höhenlagen zwischen 1500 und 3200 Meter in den chinesischen Provinzen Guizhou, Hubei, Hunan, Sichuan sowie Yunnan. Diplaspis : Die nur zwei Arten kommen nur in den australischen Bundesstaaten New South Wales, Victoria und Tasmanien vor. Diposis : Die zwei oder drei Arten kommen in Uruguay und Chile vor. Domeykoa : Die etwa vier Arten kommen in Peru und Chile vor. Drusa : Sie enthält nur eine Art: Drusa glandulosa : Sie kommt auf den Kanaren, Madeira, Marokko und auch in Somalia vor. Eremocharis : Die etwa neun Arten kommen in Peru und Chile vor. Gymnophyton : Die etwa sechs Arten gedeihen in den Anden Chiles und Argentiniens. Hermas : Sie etwa sieben Arten sind im südlichen Afrika verbreitet. Homalocarpus : Die vier bis sechs Arten kommen in Chile vor. Huanaca : Die etwa vier Arten kommen in Peru und Chile vor. Oschatzia : Die nur zwei Arten kommen nur in den australischen Bundesstaaten New South Wales, Victoria und Tasmanien vor. Pozoa : Die etwa zwei Arten gedeihen in den Anden Chiles und Argentiniens. Schizeilema : Sie enthält nur eine Art: Schizeilema fragoseum : Sie kommt nur in den australischen Bundesstaaten New South Wales und Victoria vor. Spananthe : Sie enthält nur eine Art: Spananthe paniculata : Sie kommt in den Anden vor. Die Apioideae , inklusive der Taxa der ehemaligen Saniculoideae . Diese Unterfamilie besitzt keine Nebenblätter. Die Samenanlagen sind tenuinucellat, das Endokarp besteht aus einer Zellschicht und ist nicht lignifiziert. Die Blätter sind meist mehrfach geteilt oder ungeteilt. Die Blütenstände sind in der Regel Doppeldolden. Die Teilfrüchte können einen Fruchthalter (Karpophor) haben und besitzen mehr oder weniger ausgeprägte Ölgänge. Sie besitzen Terpenoide des Kauren-Typs. Es gibt nun mit den Taxa der ehemaligen Saniculoideae über 400 Gattungen mit etwa 3500 Arten. Sie sind weltweit verbreitet, jedoch mit Schwerpunkt in den nördlichen temperaten Zonen. Einige wenige Taxa verholzen, beispielsweise einige Bupleurum- und Myrrhidendron-Arten. Die Chromosomengrundzahl beträgt x = 11 (8, 9, 12). Zur inneren Systematik dieser Unterfamilie siehe Hauptartikel: Apioideae. Quellen Die Familie der Apiaceae bei der APWebsite (Abschnitte Beschreibung und Systematik) Die Familie der Apiaceae bei DELTA. (Abschnitt Beschreibung) Menglan She, Fading Pu, Zehui Pan, Mark Watson, John F. M. Cannon, Ingrid Holmes-Smith, Eugene V. Kljuykov, Loy R. Phillippe & Michael G. Pimenov: Apiaceae., S. 1 - textgleich online wie gedrucktes Werk, In: Wu Zheng-yi & Peter H. Raven (Hrsg.): Flora of China, Volume 14 - Apiaceae through Ericaceae, Science Press und Missouri Botanical Garden Press, Beijing und St. Louis, 2005. ISBN 1-930723-41-5 (Abschnitte Beschreibung und Systematik) J. M. Powell: Apiaceae bei der New South Wales Flora Online. (Abschnitte Beschreibung und Verbreitung) Anthony R. Magee, Carolina I. Calviño, Mei (Rebecca) Liu, Stephen R. Downie, Patricia M. Tilney & Ben-Erik van Wyk: New tribal delimitations for the early diverging lineages of Apiaceae subfamily Apioideae, In: Taxon, Volume 59, Issue 2, 2010, S. 567–580: PDF-Online. (Abschnitt Systematik) Andreas Bresinsky, Christian Körner, Joachim W. Kadereit, Gunther Neuhaus, Uwe Sonnewald: Strasburger – Lehrbuch der Botanik. Begründet von E. Strasburger. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008 (36. Aufl.) ISBN 978-3-8274-1455-7 Andreas Herde: Untersuchung der Cumarinmuster in Früchten ausgewählter Apiaceae. Dissertation Universität Hamburg, 2005 (Volltext pdf 2,3 MB) (Abschnitte Chemische Merkmale und Verwendung) Einzelnachweise Ergänzende Literatur Weblinks Vielseitige Informationen des Umbellifer Resource Centre. (engl.)
1198
https://de.wikipedia.org/wiki/Digitale%20Signalverarbeitung
Digitale Signalverarbeitung
Die digitale Signalverarbeitung ist ein Teilgebiet der Nachrichtentechnik und beschäftigt sich mit der Erzeugung und Verarbeitung digitaler Signale mit Hilfe digitaler Systeme. Im engeren Sinn liegt ihr Schwerpunkt in der Speicherung, Übermittlung und Transformation von Information im Sinne der Informationstheorie in Form von digitalen, zeitdiskreten Signalen. Sie hat vielfältige und weitreichende Anwendungen in der heutigen Welt und einen starken Einfluss auf fast alle Lebensbereiche, da sie eine der technischen Grundlagen der Digitalisierung der gesamten modernen Kommunikationstechnik und Unterhaltungselektronik ist. Dies wird auch als Digitale Revolution bezeichnet. In der praktischen Anwendung beruhen heutzutage fast sämtliche Übertragungs-, Aufzeichnungs- und Speicherungsverfahren für Bild und Film (Foto, Fernsehen, Video) und Ton (Musik, Telefonie etc.) auf digitaler Verarbeitung der entsprechenden Signale. Die digitale Signalverarbeitung ermöglicht eine Vielzahl von Umwandlungs- und Bearbeitungsarten für digitale Daten, z. B. die Kompression von Audio- und Videodaten, nicht-linearen Videoschnitt oder die Bildbearbeitung bei Fotos. Darüber hinaus wird digitale Signalverarbeitung auch – neben vielen anderen industriellen Anwendungsgebieten – in der Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik und in der Medizintechnik eingesetzt, etwa bei der Kernspintomographie. Diese Entwicklungen sind eine Folge des rasanten Fortschritts der Digital- und Computertechnologie (Informationstechnik) in den letzten Jahrzehnten. Etwa mit Einführung der Musik-CD Anfang der 1980er Jahre begann damit die oben genannte „Digitalisierung“ den Alltag von Menschen zu beeinflussen, was sich heute am deutlichsten in der universellen Verbreitung der vielseitig einsetzbaren, multimedia-fähigen Smartphones zeigt. Die digitale Signalverarbeitung beruht auf elektronischen Bauelementen, wie beispielsweise digitalen Signalprozessoren (DSP) oder leistungsfähigen Mikroprozessoren, entsprechenden Speicherelementen und Schnittstellen zur Signaleingabe und -ausgabe. Die Algorithmen zur Signalverarbeitung können bei einer programmierbaren Hardware durch zusätzliche Software ergänzt werden, welche den Signalfluss steuert. Die digitale Signalverarbeitung bietet Möglichkeiten und Verarbeitungsmöglichkeiten, welche in der früher üblichen analogen Schaltungstechnik gar nicht oder nur mit hohem Aufwand realisierbar sind. Die Methoden der digitalen Signalverarbeitung stehen der Mathematik, wie beispielsweise den Teilgebieten der Zahlentheorie oder der Codierungstheorie, viel näher als der klassischen Elektrotechnik. Ausgangspunkt war die allgemeine Bekanntheit der schnellen Fourier-Transformation (FFT) ab dem Jahr 1965 durch eine Veröffentlichung von J. W. Cooley und John Tukey. Zusätzlich verbesserten sich in demselben Zeitraum die praktischen Möglichkeiten der digitalen Schaltungstechnik, so dass die neuentwickelten Verfahren Anwendung finden konnten. Technisches Grundprinzip Die digitale Verarbeitung eines Signals folgt immer dem Schema Analog → Digital → Verarbeitung → Analog. Die Veränderungen am Signal werden ausschließlich im digitalen Bereich vorgenommen. Am Beispiel einer Audio-CD soll die Vorgehensweise erklärt werden: Bei einer Tonaufnahme wird über ein Mikrofon der Schalldruck in eine analoge Wechselspannung umgewandelt. Diese Wechselspannung wird mithilfe eines Analog-Digital-Umsetzers in eine Folge digitaler Werte umgesetzt. Bei Audio-CDs verwendet man dafür folgende Werte: eine Abtastrate von 44,1 kHz, d. h. das Signal wird 44.100-mal pro Sekunde abgetastet eine Wortbreite von 16 Bit, d. h. der abgetastete, kontinuierliche Wert wird auf einen von 65.536 diskreten Werten abgebildet In einem Zwischenschritt kann das digitale Tonsignal nun verarbeitet, z. B. gefiltert oder mit Effekten versehen werden, bevor es gespeichert wird. Zur Speicherung des Tonsignals werden die einzelnen Werte der Reihe nach auf die Audio-CD geschrieben. Um die Tonaufnahme später wiederzugeben, werden die Daten von der CD gelesen und durch einen Digital-Analog-Umsetzer wieder in eine kontinuierliche Wechselspannung umgewandelt. Diese wird dann anschließend an die Lautsprecher oder einen Verstärker übertragen. Aufbau eines digitalen Signalverarbeitungs-Systems Das Schaubild zeigt den typischen Aufbau eines Signalverarbeitungs-Systems, das immer auch analoge Komponenten an der Schnittstelle zur „Außenwelt“ besitzt. Zum digitalen Signalverarbeitungs-System im engeren Sinne gehören nur die rot gefärbten Komponenten im unteren Bildteil. Verfolgen wir den Weg der Signale in der Grafik: Mittels eines Sensors werden physikalische Größen in ein, häufig schwaches, elektrisches Signal konvertiert. Dieses Signal wird für die weitere Verarbeitung z. B. mit Hilfe eines Operationsverstärkers auf den für die nachfolgenden Schritte nötigen Pegel angehoben. Aus dem verstärkten Analogsignal tastet die Sample-and-Hold-Stufe in bestimmten Zeitintervallen Werte ab und hält sie während eines Intervalls konstant. Aus einer analogen zeitkontinuierlichen Kurve wird so ein zeitdiskretes analoges Signal. Ein für eine gewisse Zeit konstantes Signal wird vom Analog-Digital-Wandler benötigt, um die diskreten digitalen Werte zu ermitteln. Diese können dann vom digitalen Signalprozessor verarbeitet werden. Das Signal nimmt dann den umgekehrten Weg und kann über einen Aktor gegebenenfalls wieder in den technischen Prozess einfließen. Objekt: Was ist ein Signal? Ein digitales Signal ist, im Gegensatz zu den kontinuierlichen Funktionen der analogen Signalverarbeitung, diskret in Zeit- und Wertebereich, also eine Folge von Elementarsignalen (z. B. Rechteckimpulsen). Diese Folge entsteht meist in einem zeit- oder ortsperiodischen Messprozess. So wird zum Beispiel Schall über die Auslenkung einer Membran oder Verbiegung eines Piezokristalls in eine elektrische Spannung umgewandelt und diese Spannung mittels eines AD-Wandlers zeitperiodisch wiederholt in digitale Daten konvertiert. Solch ein realistischer Messprozess ist endlich, die entstehende Folge besitzt einen Anfangsindex und einen Endindex . Wir können das Signal also als Datenstruktur definieren, mit dem Abstand zwischen zwei Datenpunkten, den Indizes und der endlichen Folge (Array) der Daten. Die Daten sind Instanzen einer Datenstruktur. Die einfachste Datenstruktur ist das Bit, am gebräuchlichsten sind (1, 2, 4 Byte-)Integer- und Gleitkommazahl-Daten. Es ist aber auch möglich, dass das einzelne Datum selbst ein Vektor oder eine Folge ist, wie zum Beispiel bei der Kodierung von Farbinformation als RGB-Tripel oder RGBA-Quadrupel, oder dass das Signal die Spalten eines Rasterbildes enthält. Dabei ist die einzelne Spalte wieder ein Signal, das zum Beispiel Grau- oder Farbwerte als Daten enthält. Abstraktion eines Signals Um in der Theorie Signale nicht nach Anfang und Ende gesondert betrachten zu müssen, werden die endlichen Folgen in den abstrakten Signalraum , einen Hilbertraum, eingebettet. Bedingung: Die Basisfunktionen sind orthogonal zueinander, ihre Kreuzkorrelation ergibt demzufolge Null. Ein abstraktes Signal ist also durch ein Paar , gegeben. Dabei modelliert der euklidische Vektorraum den Datentyp des Signals, zum Beispiel für einfache Daten, für RGB-Farbtripel. Ein Element in ist eine doppelt unendliche Folge . Die definierende Eigenschaft für den Folgenraum ist, dass die sogenannte Energie des Signals endlich ist (siehe auch Energiesignal), das heißt Methoden: Transformation von Signalen Die Bearbeitung digitaler Signale erfolgt durch Signalprozessoren. Das theoretische Modell der elektronischen Schaltung ist der Algorithmus. In der digitalen Signalverarbeitung werden Algorithmen wie Mischer, Filter, Diskrete Fourier-Transformation, Diskrete Wavelet-Transformation, PID-Regelung eingesetzt. Der Algorithmus ist aus elementaren Operationen zusammengesetzt; solche sind zum Beispiel die gliedweise Addition von Signalwerten, die gliedweise Multiplikation von Signalwerten mit einer Konstanten, die Verzögerung, das heißt Zeitverschiebung, eines Signals, sowie weitere mathematische Operationen, die periodisch aus einem Ausschnitt eines Signals (oder mehrerer Signale) einen neuen Wert generieren und aus diesen Werten ein neues Signal. Abstrakte Transformationen: Filter Eine Abbildung zwischen zwei Signalräumen wird allgemein System genannt. Eine erste Einschränkung ist die Forderung der Zeitinvarianz (TI für engl. ) der Abbildung . Diese entsteht grob betrachtet dadurch, dass ein zeitdiskretes signalverarbeitendes System aus einem Schieberegister, das eine beschränkte Vergangenheit speichert, und einer Funktion , die aus den gespeicherten Werten einen neuen erzeugt, besteht. Betrachtet man auch ortsabhängige Signale, wie z. B. in der Bildverarbeitung, so stehen neben den vorhergehenden Werten auch nachfolgende zur Verfügung. Um die Allgemeinheit zu wahren, ist also eine zweiseitige Umgebung des jeweils aktuellen Datenpunktes zu betrachten. Die Umgebung habe einen Radius , zum Zeitpunkt befinden sich die Werte eines zeitdiskreten Eingangssignals im Umgebungsspeicher. Aus diesen wird mittels der die Schaltung verkörpernden Funktion der Wert zum Zeitpunkt des Ausgangssignals bestimmt, . Die Funktion kann auch von einigen der Argumente unabhängig sein. Bei zeitabhängigen Signalen wäre es wenig sinnvoll, wenn von Werten des Signals zu Zeitpunkten in der Zukunft abhinge. Beispiele für solche Funktionen sind erzeugt ein System, das das Signal glättet, erzeugt eine Verschiebung des Signals in Richtung wachsender Indizes, d. h. eine Verzögerung. Man kann zeitinvariante Systeme beliebig kombinieren und hintereinanderschalten und erhält wieder zeitinvariante Systeme. TI-Systeme , die von einer linearen Abbildung erzeugt werden, etwa nennt man Faltungsfilter. Sie sind ein Spezialfall der linearen zeitinvarianten Filter (LTI) und können auch als geschrieben werden. Dabei bezeichnet den Faltungsoperator. LTI-Systeme können im Orts- bzw. Zeitbereich oder im Frequenzbereich definiert und analysiert werden. Nichtlineare oder gar nicht zeitinvariante Filter wie Regelungen können als Echtzeitsysteme nur im Zeitbereich betrachtet werden. Ein LTI-System kann im Zeitbereich mittels seiner Impulsantwortfunktion oder im Frequenzbereich mittels seiner Übertragungsfunktion (engl. , RAO) , analysiert und realisiert werden. Die Impulsantwort eines Faltungsfilters ist gerade . Man kann LTI-Systeme konstruieren, die bestimmte Frequenzbereiche unterdrücken und andere invariant lassen. Möchte man die frequenzselektive Wirkung eines solchen Systems hervorheben, so nennt man es Filter. Eine zentrale Rolle in der praktischen Implementierung von LTI-Systemen spielt der FFT-Algorithmus, der zwischen der Darstellung eines Signals im Zeitbereich und im Frequenzbereich vermittelt. Insbesondere kann eine Faltung im Zeitbereich durch eine Multiplikation im Frequenzbereich realisiert werden. Filter allgemein: Bandpass Hochpass Tiefpass spezielle Filter: Boxcarfilter Jeder Koeffizient des FIR-Filters ist eins. Dadurch wird der Ausgang zur Summe aller N Eingangssamples. Dieses Filter ist sehr leicht zu realisieren, man benötigt nur Addierer CIC (Cascaded Integrated Comb) Filter Goertzelfilter dezimierendes Bandpassfilter Hilbertfilter linearer Amplitudengang Signalphase kann geändert werden, Phasendrehung des Signals um 90°. Zur Realisierung der Filterarten gibt es mehrere Möglichkeiten. FIR-Filter (Finite Impuls Response) Das entspricht einer Faltung im Zeitbereich mit Impulsantwort Die Impulsantwort spiegelt die Koeffizienten des Filters wider Es besitzt bei symmetrischer Impulsantwort eine lineare Phase Immer stabil IIR-Filter (Infinite Impulse Response) Rückgekoppeltes FIR-Filter (Feedback) Schnelle Faltung Blockweise Verarbeitung mittels Overlap Add / Overlap Save Methode Fouriertransformation des Signals mit anschließender Multiplikation der Übertragungsfunktion im Frequenzbereich. QMF (Quadrature Mirror Filter) Anwendungen Beispielhafte Anwendungsbereiche der digitalen Signalverarbeitung sind: Automobilbereich: ABS, EPS, Fahrerassistenzsystem, Aktive Geräuschreduzierung, Motorlaufkontrolle, Parkhilfe, Navigationshilfe, Sprachsteuerung, Airbag, GPS Industrie: Motorkontrolle, Robotik, Computersehen, Servokontrollsysteme, Barcode-Lesegerät, Messtechnik Medizintechnik: Magnetresonanztomographie, Positronen-Emissions-Tomographie, Computertomographie, Optische Kohärenztomografie, Sonografie Militär und Forschung: Sonar- und Radarsysteme, Seismische Analyse, Raketen Leitsysteme, Flugzeug Steuer- und Kontrollsystem, Kernspinresonanzspektroskopie Telekommunikation: Mobiltelefon, DSL, ISDN, Voice over IP, Modem, Wireless LAN, Bluetooth, Satellitenkommunikation, Unterhaltungselektronik: DVD-Player, MP3-Player, Digitales Fernsehen, Digitales Radio, Videotechnik, Tontechnik Vorteile der digitalen Signalverarbeitung gegenüber konventionellen Techniken Im Gegensatz zu konventionellen Filtersystemen in der Nachrichtentechnik, die einzeln in Hardware realisiert werden müssen, können mit der digitalen Signalverarbeitung beliebige Filter einfach bei Bedarf in „Echtzeit“ (z. B. zur Decodierung) mit Hilfe von Software ein- oder ausgeschaltet werden. Dabei können je nach Leistungsfähigkeit des Systems beliebig viele Filter und aufwendige Filterkurven und sogar Phasenverschiebungen in Abhängigkeit von weiteren Parametern in „Echtzeit“ erzeugt und so das Ursprungsignal bearbeitet werden. Deshalb ist mit der digitalen Signalverarbeitung durch DSPs eine wesentlich wirkungsvollere Signalbearbeitung als mit konventionellen Filtersystemen (z. B. bei der Rauschunterdrückung analoger Signale) möglich, siehe Rauschfilter. Vorteile am Beispiel einer Audio-CD Am Beispiel der CD lassen sich einige Vorteile der digitalen gegenüber der analogen Signalverarbeitung erkennen: Die auf einer CD digital gespeicherten Informationen ändern sich auch nach Jahren nicht, sofern sie richtig wiedergewonnen werden können und es keine altersbedingten Defekte gibt. Es gibt kein „Übersprechen“ von einer Spur zur anderen, es gehen keine hohen Frequenzen verloren. Auch bei beliebig häufigem Abspielen der CD werden die Daten nicht verändert, wie bei einer Schallplatte: Dort „schleift“ die Nadel des Tonabnehmers bei jeder Wiedergabe ein wenig Material weg und glättet die Kanten – mit der Folge, dass vor allem hohe Frequenzanteile abgeschwächt werden. Literatur Sophocles J. Orfanidis: Introduction to Signal Processing. New-Brunswick, 2010. Kostenfreies Lehrbuch über digitale Signalverarbeitung inklusive vollständiger Lösungen. (Online) Weblinks Artikel „Digitale Signalverarbeitung“ – Übersicht über die Verfahren der digitalen Signalverarbeitung
1205
https://de.wikipedia.org/wiki/Danaergeschenk
Danaergeschenk
Ein Danaergeschenk (gesprochen Da-na-er-ge-schenk) ist eine Gabe, die sich für den Empfänger als unheilvoll und schädlich erweist. Der Begriff entstammt der griechischen Sage um den Trojanischen Krieg: Die Danaer, wie Homer die Griechen nannte, brachen die Belagerung Trojas zum Schein ab und hinterließen am Strand das hölzerne Trojanische Pferd. In dessen Inneren verbargen sich jedoch griechische Krieger, die nachts, nachdem die Trojaner das vermeintliche Göttergeschenk in ihre Stadt gebracht hatten, aus ihrem Versteck kamen, ihren zurückgekehrten Mitkämpfern die Stadttore öffneten und damit den Untergang Trojas herbeiführten. Ins Deutsche gelangt ist der Ausdruck über die lateinische Sentenz aus Vergils Aeneis: quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes (Was immer es sei, ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen). Die Darstellung in der Aeneis Der Dichter der Aeneis (Buch II, Vers 42–49) legt diese Worte dem Priester Laokoon in den Mund. Dieser durchschaut als Einziger die Kriegslist, die Odysseus ersonnen hat, und empfiehlt seinen Landsleuten, das Pferd zu zerstören. Doch die Warnung verhallt ungehört, da die Göttin Athene, die den Griechen wohlgesinnt ist, zwei riesige Seeschlangen schickt, die Laokoon mit seinen beiden Söhnen töten. Die Trojaner sehen darin ein Zeichen, dass die Götter Laokoons Vorschlag missbilligen. Sie ziehen das hölzerne Pferd in ihre Stadt, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Weitere Varianten Das englische Sprichwort Beware of Greeks bearing gifts (deutsch: Hüte dich vor Griechen mit Geschenken) geht auf denselben Vers in Vergils Aeneis zurück. Im Griechischen lautet die Wendung „Fürchte die Danaer, auch Geschenke bringende!“ „“ phobou tous Danaous kai dōra pherontas. Zur stehenden Redewendung wurde auch die lateinische Phrase „Danaum fatale munus“ („der Danaer unheilvolle Gabe“) aus Senecas Tragödie Agamemnon (Vers 624), die sich dort ebenfalls auf die List im Trojanischen Krieg bezieht. Weblinks Einzelnachweise Begriff aus der griechischen Mythologie Redewendung
1206
https://de.wikipedia.org/wiki/Danun%C3%A4er
Danunäer
Die Danunäer, auch Danuna (phönizisch dnnym, gewöhnlich als Danunīm vokalisiert), waren ein antikes Volk in Kilikien. Sie werden in mehreren Inschriften aus dem 9. bis 7. Jahrhundert v. Chr. erwähnt. Eine Gleichsetzung mit anderen Völkern mit ähnlichen Namen wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Name Der Name „Danunäer“ bedeutet nach gängiger Meinung „Leute von Adana“. Die in Kilikien gelegene Stadt Adana hat ihren Namen seit der Bronzezeit beibehalten: hethitisch: Adaniya, hieroglyphenluwisch: Adana (á-DANA-(URBS)), phönizisch: ’dn, altgriechisch: Adana (Ἄδανα). Im Luwischen wurde davon das Ethnikon adanawann(i)- „adanäisch, Adanäer“ geformt, das im Phönizischen zu Danunīm umgebildet wurde. Nach Laroche ist der Abfall eines anlautenden Vokals (Prokope) in Wörtern mit mehr als drei Silben auch sonst im Phönizischen bezeugt. Auch im späten Luwischen zeigt sich die Tendenz, dass ein anlautendes a- wegfallen kann, wie z. B. der Name Suriya für Assyrien in der Çineköy-Inschrift. Für die Bronzezeit ist er nicht bezeugt und auch nicht zu erwarten. Überlieferung Die Danunäer werden in Inschriften von Çineköy, Hassan Beyli, İncirli, Karatepe und Zincirli erwähnt. Die älteste und auch zuerst gefundene Inschrift ist die von König Kulamuwa von Zincirli (Samʼal) (um 825 v. Chr.), der vom danunäischen König (mlk dn[n]ym) bedrängt wurde: „Und der König der Danuna war mächtig über mich, ich aber mietete gegen ihn den König von Assur.“ (Übersetzung:) Der assyrische König war wohl Salmanassar III. (858-824), welcher in den Jahren 839 und 833 v. Chr. Feldzüge ins Land Que unternahm. Die phönizische Inschrift von Hassan-Beyli berichtet, dass König Aššur-dan III. (‘šrdn; 772–755 v. Chr.) ins Gebiet von Awariku (‘wrk) einfiel. Etwas jünger ist die Trilingue von İncirli, nordöstlich von Zincirli bei Sakçagözü, welche einen phönizischen, luwischen und assyrischen Text hat. Die phönizische Inschrift nennt den König Warayka von Que (w’ryks von qw), aus dem „Haus des Mopsos“ (bt mpš), der aufgrund seiner Loyalität vom assyrischen König Tiglat-Pilesar III. (745–726 v. Chr.) (tklt’plsr mlk ’šr) Land erhielt. Somit kann er mit dem in assyrischen Texten genannten König Urikki identifiziert werden, der für die Jahre 739 und 732 v. Chr. bezeugt ist. Vermutlich demselben König ist die Inschrift von Çineköy zuzuschreiben. Im phönizischen Text ist der Name des Königs nur teilweise, im luwischen ganz erhalten (phön. w[…, luw. wa/i+ra/i-i-ka). Der König berichtet: „Und die Danunäer und die Assyrer wurden zu einem Haus.“ (Übersetzung:) In der luwischen Version steht der Landesname Hiyawa (hi-ia-wa/i) anstelle der Danunäer. Rotislav Oreshko schlug deshalb vor, das hieroglyphenluwische Zeichen *429 neu als HIYA zu lesen, statt TANA oder DANA, was von der Forschung stark kritisiert wurde. Der längste Text ist die Bilingue von Karatepe (frühes 8. Jahrhundert v. Chr.), die von Azzatiwada verfasst wurde, der von sich sagt: „Ba‘al machte mich zum Vater und zur Mutter für die Danuna. Ich ließ die Danuna aufleben.“ (Übersetzung:). Azzatiwada, der sich in seinen Inschriften nicht König nennt, war ein treuer Gefolgsmann von König Awariku, den die phönizische Inschrift als „König der Danunäer“ (’wrk mlk dnnym) bezeichnet, der luwische Text als „König von Adana“ (á-wa/i+ra/i-ku-s á-DANA-wa-ní(URBS) REX-ti). Aus diesen Texten kann erschlossen werden, dass die Danunäer in Kilikien lebten und von Königen beherrscht wurden, die sich als Nachkommen von Muksa (luw.: mu-ka-sa) betrachteten, welcher in phönizischen Inschriften Mpš genannt wurde, und deshalb nicht unumstritten von einigen Forschern aufgrund der Namensähnlichkeit mit dem Seher Mopsos der griechischen Sage in Verbindung gebracht wird, zumal dieser der Sage nach in Kilikien Städte gründete. Die in den Texten genannten Könige tragen ähnliche Namen, wobei es umstritten ist, ob damit ein oder zwei Könige gemeint sind. Unter der Annahme, es handele sich um zwei Könige, hieß einer Awariku und der andere Waraika oder Warika, welcher dann mit dem Urikki der assyrischen Texte identisch wäre. Drei Inschriften wurden auf ehemaligem Gebiet des aramäischen Staates Sam’al (Zincirli) gefunden, was bedeuten könnte, dass die Könige von Sam’al zeitweise unter den danunäischen Königen standen. Eine weitere phönizische Inschrift, welche ins 7. Jahrhundert v. Chr. datiert wird, die auf dem Cebel İres Daği 15 Kilometer östlich von Alanya im Rauhen Kilikien gefunden wurde, nennt einen König Waraika (wryk), so dass sich die Herrschaft dieses Königs weit nach Westen hin erstreckte. Andere mögliche Nennungen Von diesen Inschriften wurde zuerst die Kulamuwa-Inschrift von Zincirli gefunden und 1912, ein Jahr nach ihrer Entdeckung, publiziert. Der Name des Feindes (DN[ ]YM) wurde bereits mit den in einem Amarnabrief genannten Danuna in Verbindung gebracht. Die Diskussion um die Danunäer kam aber erst ins Laufen, nachdem die 1946 entdeckten phönizischen Texte von Karatepe veröffentlicht wurden und die Danunäer in Kilikien lokalisiert werden konnten. Im Vorwort der Erstpublikation listet Barnett viele bezeugte Namen auf, die möglicherweise mit den Danunäern in Verbindung gebracht werden können, und zwar die in einem Amarna-Brief genannten Danuna, „einem Volk in Kinaḫna (Canaan)“, die Dnn zur Zeit von Ramses III., die in einer Obeliskinschrift Assurnasirbals genannten Dannuna, die DN(N)YM der Kilamuwa-Inschrift, zudem Luckenbills Vorschlag, den Inselnamen Iatnana (Zypern) hinzuzuziehen, und schließlich, aber ablehnend, die griechischen Danaoi. Außer diesen Völkern, werden von anderen auch noch die in der Ortsnamenliste des Pharaos Amenophis III. genannten Tanaju (tj-n3-jj-w) und der biblische Stamm Dan diskutiert, wobei diese beiden Identifizierungen wenig Anerkennung finden. Land Danuna In den Amarna-Briefen aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. findet sich ein auf akkadisch geschriebener Brief des Königs Abimilki von Tyros (Brief EA 151) an den Pharao. Im Brief berichtet Abimilki, dass der König des Landes Danuna (KUR da-nu-na) gestorben und nun dessen Bruder König sei, das Land aber in Ruhe lebe (Zeile 52). Unmittelbar danach wird berichtet, dass die halbe Stadt Ugarit abgebrannt sei, dass sich aber keine hethitischen Heere im Land befänden. Daraus wird ersichtlich, dass Danuna an der nördlichen Peripherie der ägyptischen Hegemonie in Syrien lag. Somit ist es denkbar, dass das Land Danuna in Kilikien zu lokalisieren ist. „Seevolk“ Denyen Ungefähr 1177 v. Chr. kämpfte Ramses III., gemäß der Schilderungen in seinem Totentempel, gegen die Seevölker, ein Begriff der modernen Wissenschaft, unter denen sich auch die Denyen (dnỉn / d3jnjw) befanden, welche nach dem Papyrus Harris I auf Inseln lebten. Diese Angabe wird teilweise auf die Ägäischen Inseln bezogen, was eine Verortung des Volkes in Kilikien ausschlösse, außer man bezieht die Aussage mit Emmanuel Laroche auf einige kleine Inseln, die dem Rauhen Kilikien vorgelagert sind. Dennoch schließen einige Forscher eine Identität der Denyen mit den Danunäern nicht aus und rechnen mit der Möglichkeit, dass sich ein Teil der in Kilikien ansässigen Danunäer den Seevölkern anschloss. Literatur Max Gander: Aḫḫiyawa - Ḫiyawa – Que: gibt es Evidenz für die Anwesenheit von Griechen in Kilikien am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit? In: Studi Micenei ed Egeo-Anatolici. (SMEA) Band 54, 2012, S. 281–309. Stephen A. Kaufman: The Phoenician Inscription of the Incirli Trilingual: A Tentative Reconstruction and Translation. In: Maarav. Band 14, 2007, S. 7–26. Emmanuel Laroche: Adana et les Danouniens. In: Syria. Band 35, 1958, S. 263–275. Rostislav Oreshko: Ahhiyawa – Danu(na). Aegean ethnic groups in the Eastern Mediterranean in the Light of Old and New Hieroglyphic-Luwian Evidence. In: Lukasz Niesiołowski-Spanò, Marek Wecowski: Continuity, and Connectivity. North-Eastern Mediterranean at the turn of the Bronze Age and in the early Iron Age (= Philippika. Band 118). Harrassowitz, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-447-10969-7, S. 23–56. Wolfgang Röllig: »Und ich baute starke Festungen an allen Enden auf den Grenzen ...« Zur Bedeutung der Inschriften und Reliefs vom Karatepe-Aslantaş. In: Christoph Ulf, Robert Rollinger: Lag Troja in Kilikien? Der aktuelle Streit um Homers Ilias. (Tagungsband) Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011, ISBN 978-3-534-23208-6, S. 115–133. Zsolt Simon: Where Did the Kings of Danuna of EA 151 Rule? In: Jana Mynářová, Pavel Onderka, Peter Pavúk, Český egyptologický ústav: There and back again: the crossroads II: proceedings of an international conference held in Prague, September 15-18, 2014. Charles University in Prague, Faculty of Arts, Prag 2015, ISBN 978-80-7308-575-9. S. 391–412. Zsolt Simon: Die Griechen und das Phönizische im späthethitischen Staat Hiyawa: die zyprische Verbindung. In: Peter-Arnold Mumm, Walther Sallaberger: Sprachen, Völker und Phantome. sprach- und kulturwissenschaftliche Studien zur Ethnizität (= Münchner Vorlesungen zu Antiken Welten. Band 3). De Gruyter, Berlin/ Boston 2018, ISBN 978-3-11-060125-1, S. 313–328. David Ussishkin: The Date of the Neo-Hittite Enclosure in Karatepe. In: Anatolian Studies. Band 19, 1969, S. 121–137. Ilya Yakubovich: Phoenician and Luwian in Early Iron Age Cilicia. In: Anatolian Studies. Band 65, 2015, S. 35–53. Einzelnachweise Neo-Hethiter Volk im Alten Orient Kilikien
1208
https://de.wikipedia.org/wiki/Donald%20E.%20Knuth
Donald E. Knuth
Donald Ervin „Don“ Knuth [] (* 10. Januar 1938 in Milwaukee, Wisconsin) ist ein US-amerikanischer Informatiker. Er ist emeritierter Professor an der Stanford University, Autor des Standardwerks The Art of Computer Programming und Urheber des Textsatzsystems TeX. Er erhielt 1974 den Turing Award. Leben Knuth ist der Sohn eines Lehrers für Buchhaltung, der daneben noch eine kleine Druckerei unterhielt. Er besuchte die Milwaukee Lutheran High School und begann sein Physikstudium am Case Institute of Technology (heute bekannt als Case Western Reserve University) im September 1956. Aus zweierlei Gründen schlug er ab seinem zweiten Studienjahr jedoch den Weg zur Mathematik ein: Zum einen löste er ein Problem eines seiner Mathematikprofessoren, was ihm eine 1,0 als Note einbrachte, zum anderen fand er wenig Gefallen an den physikalischen Praktika. Er ist seit 1961 mit Nancy Jill Carter verheiratet und hat einen Sohn und eine Tochter. 1960 bis 1968 war er Berater der Burroughs Corporation, wo er unter anderem frühe Compiler schrieb. 1968/69 war er Staff Mathematician in der Communication Research Division des Institute for Defense Analyses. Er erhielt einen Bachelor- und gleichzeitig einen Master-Abschluss 1960 an der Case Western Reserve University. 1963 erhielt er seinen Ph.D. vom California Institute of Technology bei Marshall Hall, wo er dann auch nach der Promotion Assistant Professor und 1966 Associate Professor und schließlich Professor wurde. 1968 wurde er Professor für Informatik an der Stanford University. Ab 1977 war er dort Fletcher Jones Professor of Computer Science und ab 1990 Professor of the Art of Computer Programming. Seit 1993 ist er Professor Emeritus. 2006 erfuhr Knuth, dass er an Prostatakrebs im Frühstadium erkrankt war. Er unterzog sich im Dezember des Jahres einer Operation, gefolgt von einer leichten Strahlentherapie als Vorsorgemaßnahme. In seiner Video-Autobiographie nannte er die Prognose ziemlich gut. Zu seinen Doktoranden gehören Robert Sedgewick, Michael Fredman, Leonidas Guibas und Vaughan Pratt. Werk Bereits 1964 erlangte er durch seinen Designvorschlag eines Input/Output-Systems für die Programmiersprache Algol 60 internationale Bekanntheit. Dieses System wurde in den meisten Algol-60-Systemen als Komponente implementiert. Eigens für sein mehrbändiges Werk The Art of Computer Programming, an dem er weiterhin arbeitet, schuf er mit TeX und METAFONT Computerprogramme, die druckreifen Textsatz ermöglichen und die besonders im mathematisch-akademischen Bereich eingesetzt werden. Er prägte den Begriff literate programming – die Auffassung, Computerprogramme mit derselben Sorgfalt wie einen literarischen Text zu verfassen und Quelltext und Softwaredokumentation zu vereinen. In diesem Sinne veröffentlichte er Bücher, in denen der vollständige Quelltext von TeX und METAFONT in Abschnitten zusammen mit Erläuterungen zum Design und zur Wirkungsweise der Algorithmen abgedruckt ist (unter Verwendung dieser Programme). Die außerdem erschienenen Benutzerhandbücher enthalten nicht nur Bedienungshinweise für die Anwender dieser Programme („wie weise ich TeX auf mögliche Worttrennungen hin?“), sondern auch – in technischerer Sprache und kleinerer Schrift – detaillierte Angaben zur Funktionsweise („wie funktioniert der Worttrennalgorithmus?“). Sie umfassen damit zugleich auch die Spezifikation dieser Programme. Neben Knuths Bemühen um ein ansprechendes ästhetisches Erscheinungsbild beim Textsatz ist ihm Korrektheit ein erstrangiges Anliegen. Deshalb vergibt er für jeden neu gefundenen Fehler in seinen Büchern eine Belohnung von einem „hexadezimalen Dollar“ im Wert von $2,56 (100 hexadezimal entspricht 256 dezimal). Gefundene Fehler in seinen Programmen belohnt er sogar mit 80 hexadezimalen Dollar (0x$80,00) was dezimal $327,68 entspricht. Sehr wenige dieser Schecks sind bisher eingelöst worden. Da Knuth Schecks nicht mehr für sicher hält, werden die begehrten Anerkennungsschecks seit 2008 als persönliche Einlagen bei der fiktiven Bank von San Serriffe ausgestellt. 1974 beschrieb und popularisierte er in seinem Buch Surreal Numbers: How Two Ex-Students Turned on to Pure Mathematics and Found Total Happiness die von John Horton Conway vorgestellten surrealen Zahlen. Seine Vorliebe für schön gedruckte Texte verband er mit seinem theologischen Interesse (er ist evangelisch-lutherisch) im 3:16-Projekt, als er 1985, aufbauend auf einer Schlüsselstelle der Bibel (Johannes 3,16), aus jedem Buch der Bibel Kapitel 3, Vers 16 studierte und eine eigene englische Übersetzung davon von jeweils unterschiedlichen Künstlern schreiben ließ und diese Kalligrafien mit seinen Überlegungen zu den Versen veröffentlichte. Am 1. Januar 1990 teilte Knuth mit, ab jetzt keine E-Mail-Adresse mehr zu verwenden, um sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Seit 1993 befindet sich Knuth im Ruhestand, um sich ausschließlich der Fertigstellung von The Art of Computer Programming zu widmen. Seit Februar 2011 liegt Band 4A vor, der sich mit Kombinatorik beschäftigt. Band 4B und 4C sollen folgen, Band 5 (von sieben geplanten) hofft er bis 2025 fertigzustellen. Im Herbst 1999 hielt er am MIT im Rahmen einer mehrjährigen Vortragsreihe prominenter Wissenschaftler zum Thema „Gott und Computer“ sechs Vorlesungen über Querverbindungen zwischen Informatik und Religion aus seiner persönlichen Sicht und nahm an einer abschließenden Podiumsdiskussion teil. Deren Mitschriften wurden in seinem Buch Things a computer scientist rarely talks about veröffentlicht. Mehrfach kritisierte er öffentlich die Vergabe von Softwarepatenten in den USA und engagierte sich in der Diskussion über freieren Zugang zu Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften. Knuth hat im Zuge seiner weiteren Forschungen für The Art of Computer Programming eine neue Prozessorarchitektur mit zugehörigem Assembler entwickelt und wird diese in einer zukünftigen Ausgabe des ersten Bandes veröffentlichen (die entsprechende Beschreibung liegt bereits als Vorabversion vor). Diese 64-Bit-Architektur (MMIX) unterstützt ein Unix-ähnliches Betriebssystem (genannt NNIX), auf dem dann wiederum der TeX-Interpreter ausführbar wäre. Somit wären The Art of Computer Programming und Computers and Typesetting in Kombination mit freier Software ein vollständig selbstdokumentierendes System, bestehend aus Hard- und Software. The Art of Computer Programming enthält auch zahlreiche detaillierte mathematikhistorische Anmerkungen; daneben verfasste er auch einige Aufsätze zur Mathematikgeschichte. Zudem ist Knuth auch bekannt für seine wissenschaftlichen Witze, so schrieb er einen Artikel The Complexity of Songs (‚Über die Komplexität von Liedern‘) und entwarf das Potrzebie-Einheitensystem, in dem die Dicke des 26. MAD-Magazines als elementare Längeneinheit dient. Das war auch seine erste Veröffentlichung im MAD-Magazin (Heft 33) von 1957. Auszeichnungen 1970: Invited Speaker auf dem Internationalen Mathematikerkongress in Nizza (The Analysis of algorithms) 1971: Grace Murray Hopper Award 1972–1973: Guggenheim Fellow 1974: Turing Award 1979: National Medal of Science der USA 1980: IEEE W. Wallace McDowell Award 1981: J. B. Priestley Award 1982: IEEE Computer Pioneer Award 1986: Leroy P. Steele Prize der American Mathematical Society 1986: Software Systems Award 1987: New York Academy of Sciences Award 1988: Benjamin Franklin Medal des Franklin Institute 1989: J. D. Warnier Prize 1993: Lester Randolph Ford Award für seinen Beitrag Two notes on notation im American Mathematical Monthly 1994: Adelsköld-Medaille der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften 1995: Harvey-Preis 1995: John-von-Neumann-Medaille 1996: Kyoto-Preis 2010: BBVA Foundation Frontiers of Knowledge Award 2011: Faraday-Medaille (IEE) 2013: Peter Karow Award for Font Technology & Digital Typography 2016: John von Neumann Lecture der SIAM Er ist vielfacher Ehrendoktor; von 1980 bis 2005 wurden ihm 25 Ehrendoktortitel verliehen, unter anderem von der ETH Zürich (2005) und der Eberhard Karls Universität Tübingen (2001). Zudem ist Knuth der Namenspate für den seit 1997 jährlich vergebenen Knuth-Preis. Der Asteroid (21656) Knuth ist nach ihm benannt. 1992 wurde er auswärtiges Mitglied der Académie des sciences und 2008 der Russischen Akademie der Wissenschaften, 1973 der American Academy of Arts and Sciences, 1975 der National Academy of Sciences, 2003 auswärtiges Mitglied der Royal Society, 1982 Ehrenmitglied der IEEE, Fellow der Association for Computing Machinery (ACM) und 1981 der National Academy of Engineering. Er ist assoziiertes Mitglied der Norwegischen Akademie der Wissenschaften, seit 1998 korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und seit 2012 Mitglied der American Philosophical Society. Er ist Fellow der American Mathematical Society und seit 2015 Ehrenmitglied der London Mathematical Society. Werke TEX and METAFONT. New directions in typesetting. Addison-Wesley, Reading (MA) 1979, ISBN 0-932376-02-9. 3:16. Bible texts illuminated. A-R Editions, Madison (Wis.) 1991, ISBN 0-89579-252-4. Literate Programming. Center for the Study of Language and Information, Stanford (CA) 1992, ISBN 0-937073-80-6. mit R. L. Graham und O. Patashnik: Concrete Mathematics. 2. Auflage. Addison-Wesley, Reading (MA) 1994, ISBN 0-201-55802-5. MMIXware. A RISC computer for the third millennium. Springer, Berlin/New York 1999, ISBN 3-540-66938-8. Arithmetik. Springer, Berlin, 2001, ISBN 3-540-66745-8. mit Daniel H. Greene Mathematics for the analysis of algorithms, Birkhäuser 2007 (zuerst 1981). The TeXbook. (Computers & Typesetting, Vol. A) Addison-Wesley 1984, ISBN 0-201-13447-0. TeX: The Program. (Computers & Typesetting, Vol. B) Addison-Wesley 1986, ISBN 0-201-13437-3. The METAFONTbook. (Computers & Typesetting, Vol. C) Addison-Wesley 1986, ISBN 0-201-13445-4. METAFONT: The Program. (Computers & Typesetting, Vol. D) Addison-Wesley 1986, ISBN 0-201-13438-1. Computer Modern Typefaces. (Computers & Typesetting, Vol. E) Addison-Wesley 1986, ISBN 0-201-13446-2. The Stanford GraphBase: a platform for combinatorial computing, ACM Press, Addison-Wesley 1993. Digital Typography, CLSI Publications 1999 (CLSI= Center for the Study of Language and Information), mit Silvio Levy The CWEB System of structured documentation: version 3.0, Addison-Wesley 1994. Axioms and Hulls, Springer Verlag 1992. Selected Papers on Computer Science, Cambridge University Press 1996. Selected Papers on Computer Languages, Stanford CLSI 2003. Selected Papers on design of algorithms, Stanford, CLSI 2010. Selected papers on analysis of algorithms, Stanford, CLSI 2000. Selected Papers on fun and games, Stanford, CLSI 2010. Selected Papers on discrete mathematics, Stanford, CLSI 2003. Things a computer scientist rarely talks about, Stanford, CLSI 2001. Siehe auch Pfeilschreibweise – eine mathematische Methode, die Donald E. Knuth 1976 entwickelte, um sehr große Zahlen zu schreiben. Knuth-Morris-Pratt-Algorithmus – ein nach Donald E. Knuth, James H. Morris und Vaughan Pratt benannter String-Matching-Algorithmus. LR-Parser – ein Parser nach einem von Knuth entwickelten Verfahren Buddy-Verfahren – eine Technik von Donald E. Knuth zur Zuweisung von Speicher an Prozesse. MIX (fiktiver Computer) – ein fiktiver, idealer Computer, genauer ein abstrakter Von-Neumann-Rechner, den Donald E. Knuth in seinem Buch The Art of Computer Programming zur Illustration von Algorithmen nutzt. The Complexity of Songs – ein von Donald E. Knuth veröffentlichter Fachartikel und wissenschaftlicher Witz über die Länge von Liedern in Abhängigkeit vom zu lernenden Text mit den Methoden der Komplexitätstheorie. Literatur Donald J. Albers, G. L. Alexanderson Mathematical People – Profiles and Interviews, Birkhäuser 1985 Knuth „All questions answered“, Vortrag TU München, Oktober 2001, Notices AMS 2002 (PDF; 369 kB) Donald E. Knuth and Edgar G. Daylight; Kurt De Grave (Hrsg.): The Essential Knuth. Lonely Scholar, 2013, ISBN 978-94-91386-03-9. Weblinks Donald Knuths Website (englisch) Oral History of Donald Knuth (englisch; PDF) Donald Knuth video autobiography (englisch, mehrere Teile) Harald Bögeholz, Andreas Stiller: Der Perfektionist. c't 5/2002, S. 190. Peter Haffner: Ein ganz normales Genie. In: NZZ Folio. 2/2002. Mark Wallace: The art of Don E. Knuth. Salon Magazine 1999/09/16. CRE über TeX und den Einfluss von Knuth: TeX und LaTeX. Einzelnachweise Informatiker Hochschullehrer (Stanford University) Hochschullehrer (California Institute of Technology) TeX Kyoto-Preisträger Träger des Turing Award Mathematiker (20. Jahrhundert) Mathematikhistoriker Entwickler Freier Software Mitglied der Académie des sciences Mitglied der Norwegischen Akademie der Wissenschaften Mitglied der National Academy of Sciences Mitglied der American Academy of Arts and Sciences Mitglied der American Philosophical Society Mitglied der National Academy of Engineering Auswärtiges Mitglied der Royal Society Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Ehrenmitglied der London Mathematical Society Fellow der American Mathematical Society Ehrendoktor der Eberhard Karls Universität Tübingen Ehrendoktor der ETH Zürich Ehrendoktor der University of Glasgow Träger der National Medal of Science Person (Milwaukee) US-Amerikaner Geboren 1938 Mann
1210
https://de.wikipedia.org/wiki/Diskrete%20Mathematik
Diskrete Mathematik
Die Diskrete Mathematik als Teilgebiet der Mathematik befasst sich mit mathematischen Operationen auf endlichen oder höchstens abzählbar unendlichen Mengen, also mit diskreten mathematischen Fragestellungen. Im Gegensatz zu Gebieten wie der Analysis, die sich mit kontinuierlichen Funktionen oder Kurven auf nicht abzählbaren, unendlichen Mengen beschäftigt, spielt die Stetigkeit in der Diskreten Mathematik keine Rolle. Die in der Diskreten Mathematik vertretenen Gebiete (wie etwa die Zahlentheorie oder die Graphentheorie) sind zum Teil schon recht alt, aber die Diskrete Mathematik stand lange im Schatten der „kontinuierlichen“ Mathematik, die seit der Entwicklung der Infinitesimalrechnung durch ihre vielfältigen Anwendungen in den Naturwissenschaften (insbesondere der Physik) in den Mittelpunkt des Interesses getreten ist. Erst im 20. Jahrhundert entstand durch die Möglichkeit der raschen digitalen Datenverarbeitung durch Computer (die naturbedingt mit diskreten Zuständen arbeiten) eine Vielzahl von neuen Anwendungen der Diskreten Mathematik. Gleichzeitig gab es eine rasante Entwicklung der Diskreten Mathematik, die in großem Maße durch Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Computer (Algorithmen, theoretische Informatik usw.) vorangetrieben wurde. Ein Beispiel für ein Gebiet, das am Schnittpunkt von Analysis und Diskreter Mathematik liegt, ist die numerische Mathematik, die sich mit der Approximation von kontinuierlichen durch diskrete Größen beschäftigt sowie mit der Abschätzung (und Minimierung) dabei auftretender Fehler. Kerngebiete Zu den Kerngebieten der Diskreten Mathematik zählen: Kombinatorik einschließlich Kombinatorik auf Wörtern Zahlentheorie Kodierungstheorie Graphentheorie Spieltheorie Kryptographie Informationstheorie Darüber hinaus hat die Diskrete Mathematik in folgenden Gebieten zusätzliche Beiträge geliefert: Weitere Beiträge der Numerik zur Verbesserung des diskreten Rechnens lassen sich auf den Gebieten der linearen und Diskreten Optimierung (die über kombinatorische Aufgaben hinausgeht) finden, die Diskrete Mathematik hat viele Berührungspunkte mit der Algebra und der mathematischen Logik, in der Geometrie gibt es das Teilgebiet der Diskreten Geometrie, die sich bspw. mit Parkettierungen der euklidischen Ebene befasst, in der Berechenbarkeitstheorie, die ein Teilgebiet der theoretischen Informatik ist, benötigt man endliche Automaten, die in der Diskreten Mathematik untersucht werden. Wissenschaftspreis Die Fachgruppe Diskrete Mathematik der Deutschen Mathematiker-Vereinigung vergibt im Zwei-Jahres-Rhythmus den nach dem deutschen Mathematiker Richard Rado benannten Richard-Rado-Preis für die beste Dissertation in Diskreter Mathematik. Literatur Albrecht Beutelspacher, Marc-Alexander Zschiegner: Diskrete Mathematik für Einsteiger. 4. Auflage. Vieweg Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 3-834-81248-X. 264 S. Bernhard Ganter: Diskrete Mathematik: Geordnete Mengen. Springer Spektrum, Berlin Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-37499-9. 192 S. Thomas Ihringer: Diskrete Mathematik: eine Einführung in Theorie und Anwendungen. 2. Auflage. Heldermann Verlag, Lemgo 2002, ISBN 3-88538-109-5. 270 S. Jiri Matoušek, Jaroslav Nešetřil; Hans Mielke (Übers.): Diskrete Mathematik: eine Entdeckungsreise. 2. Auflage. Springer-Lehrbuch, Berlin 2007, ISBN 3-540-30150-X; ISBN 978-3-540-30150-9. 487 S. Karl-Heinz Zimmermann: Diskrete Mathematik. 1. Auflage. Books on Demand (BoD), Hamburg 2006, ISBN 3-8334-5529-2. 412 S. Angelika Steger: Diskrete Strukturen 1: Kombinatorik, Graphentheorie, Algebra. 2. Auflage. Springer, Berlin 2007, ISBN 3-540-46660-6. 270 S. Angelika Steger, Thomas Schickinger: Diskrete Strukturen 2: Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. 1. Auflage. Springer, Berlin 2001, ISBN 3-540-67599-X. 249 S. Weblinks Offizielle Webseite der Fachgruppe Diskrete Mathematik Videoserie „Diskrete Optimierer“ von DFG Science TV über Mathematiker an der TU Berlin Einzelnachweise Teilgebiet der Mathematik
1211
https://de.wikipedia.org/wiki/Dickdarm
Dickdarm
Der Dickdarm ( Intestinum crassum) ist der letzte Teil des Verdauungstraktes der Wirbeltiere und damit auch des Menschen. Er ist der Teil des Darms, der nach dem Dünndarm beginnt und an der Kloake oder am Anus endet. Seine wesentliche Funktion liegt im Transport und in der Speicherung des Stuhls. Der Dickdarm entzieht dem Stuhl Wasser und dickt ihn dadurch ein. Durch seine Fähigkeit, Natrium-, Kalium- und Chlorid-Ionen aufzunehmen oder auszuscheiden, ist er an der Feinregulation des Elektrolyt-Haushaltes beteiligt. Die Darmflora ist vor allem im Dickdarm zu finden. Erkrankungen des Dickdarms sind beim Menschen häufig: Die akute Appendizitis ist ein gängiges Krankheitsbild der Chirurgie, und Darmkrebs gehört zu den häufigsten Krebsdiagnosen. Vergleichende Anatomie des Dickdarms Der Dickdarm ist der bei den Wirbeltieren vom Dünndarm differenzierte Teil des Mitteldarms (Intestinum), also des mittleren Abschnitts des Darmes zwischen dem Magen und den Anhangsorganen sowie der Kloake bzw. dem Anus. Im einfachsten Fall bilden beide Mitteldarmabschnitte ein einfaches und gestrecktes Rohr, in dem sowohl die enzymatische Zersetzung wie auch die Resorption der Nährstoffe stattfindet. Diese einfache Form findet sich bei den Schleimaalen, den Neunaugen sowie den Knochenfischen. Bei den Knorpelfischen ist der Mitteldarm durch eine spezifische Faltenbildung zur Vergrößerung der Oberfläche gekennzeichnet, die je nach Taxon mehr oder weniger schraubenförmig verläuft und als Spiraldarm bezeichnet wird. Amphibien und Reptilien besitzen meist nur einen kurzen, in wenige Schlingen gelegten Dickdarm. Der Blinddarm ist klein oder fehlt ganz. Bei beiden Gruppen endet der Dickdarm in einen kurzen Enddarm und danach in der Kloake. Bei Vögeln unterscheidet man zwei Dickdarmabschnitte: den Blinddarm und den Enddarm. Die Bauunterschiede betreffen vor allem den Blinddarm, der bei Vögeln paarig angelegt ist. So besitzen Hühner- oder Straußenvögel große Blinddärme, während sie bei Tauben sehr klein sind und keine Verdauungsfunktion haben und bei Papageien, vielen Greif- und Sperlingsvögeln ganz fehlen. Mit Ausnahme der Kloakentiere sind die Säugetiere die einzige Tiergruppe, bei der es zu einer Trennung von Geschlechtsöffnung und Darmaustritt in Form eines Anus gekommen ist. Innerhalb der Säugetiere zeigt der Dickdarm erhebliche Unterschiede im Aufbau. So besitzen Raubtiere einen kleinen Blinddarm, ein einfaches U-förmiges Colon und einen kurzen Mastdarm (Rektum), die allesamt keine Bandstreifen (Tänien) besitzen. Der Darm der Primaten entspricht dem in diesem Artikel ausführlich dargestellten Aufbau beim Menschen. Einige Pflanzenfresser wie Pferde oder herbivore Nagetiere haben dagegen einen sehr großen Blinddarm, der bei ihnen als Gärkammer dient. Am Colon zeigt vor allem der aufsteigende Teil (Colon ascendens) erhebliche Gestaltvariationen, bei Pflanzenfressern ist er stark vergrößert. Die Schlingen des Colon ascendens sind beispielsweise bei Pferden in Form zweier übereinandergelegter, nach hinten offener Hufeisen angeordnet, bei Schweinen bienenkorbartig und bei Wiederkäuern scheibenförmig aufgerollt (Einzelheiten siehe den Artikel zum jeweiligen Dickdarmabschnitt). Die Anzahl der Bandstreifen ist ebenfalls tierartlich verschieden. Elefanten besitzen einen sehr langen Darm von insgesamt etwa 25 Metern Länge, von denen 6 Meter auf den Dickdarm und 4 Meter auf das Rektum entfallen. Bei den Walen sind der Dünndarm und der Dickdarm nur anhand der Epithelzellen zu unterscheiden. Anatomie des Dickdarms beim Menschen Lage und Struktur Der Dickdarm liegt größtenteils in der Bauchhöhle, wo er die Dünndarmschlingen umrahmt. Er beginnt bei den meisten Menschen im rechten Unterbauch, wo der Dünndarm seitlich einmündet und die Krummdarm-Blinddarm-Klappe (Ileozäkalklappe, Bauhin-Klappe) bildet. Unterhalb der Einmündung endet der Dickdarm blind, entsprechend wird dieser Abschnitt Blinddarm (Caecum) genannt. An seinem Ende verengt sich der Blinddarm zum Wurmfortsatz (Appendix vermiformis), dessen Lage sehr variabel ist. Oberhalb der Bauhin-Klappe beginnt der Grimmdarm (Colon), der bis unter die Leber aufsteigt (Colon ascendens), unterhalb der Leber nach links umbiegt (Flexura coli dextra) und quer durch die Bauchhöhle in den linken Oberbauch zieht (Colon transversum, auch Quercolon genannt). Hier biegt er erneut um (Flexura coli sinistra) und steigt in das Becken ab (Colon descendens), wo er anschließend S-förmig nach hinten (dorsal) zum Kreuzbein zieht (Colon sigmoideum). Dort biegt er nach unten (kaudal) um, verlässt die Bauchhöhle und bildet den Enddarm. Dieser wird in den Mastdarm und den Analkanal unterteilt. Die Gesamtlänge des Dickdarms beträgt beim Menschen etwa 1,5 Meter. Die einzelnen Abschnitte können intraperitoneal, retroperitoneal und extraperitoneal liegen. Damit ist die Lage zum Bauchfell (Peritoneum) gemeint. Ein Organ liegt intraperitoneal, wenn es vollständig von Bauchfell überzogen ist und mit einem breiten Band (Gekröse, Meso) an der Rumpfwand aufgehängt ist, wodurch es relativ frei beweglich ist. Beim Dickdarm gilt das für Blinddarm, Wurmfortsatz, Quercolon und Colon sigmoideum. Retroperitoneal bedeutet, dass das Organ nicht von allen Seiten von Bauchfell überzogen ist, sondern an einer Seite direkt mit der Rumpfwand verwachsen ist. Das gilt für den auf- und absteigenden Grimmdarm (Colon ascendens und Colon descendens) und das obere Rektum. Ein Organ liegt extraperitoneal, wenn es außerhalb der Bauchhöhle liegt und deswegen nicht vom Peritoneum überzogen ist. Im Falle des Dickdarms trifft das auf das Endstück des Rektums und den Analkanal zu. Charakteristisch für den Dickdarm ist die Wand des Colons. Sie ist gekennzeichnet durch drei sichtbare Längsmuskelzüge, die Bandstreifen genannt werden, halbmondförmige Einziehungen (Plicae semilunares) und Aussackungen (Poschen oder Haustren) zwischen den Einziehungen (siehe Abschnitt Feinbau). Blutversorgung und Lymphabfluss Die Abschnitte des Dickdarmes werden von den Ästen dreier großer Arterien versorgt. Blinddarm, Wurmfortsatz, aufsteigendes Colon und der größte Teil des Quercolon erhalten Äste der Arteria mesenterica superior, der restliche Teil des Quercolon, das absteigende Colon, das Colon sigmoideum und das obere Rektum solche von der Arteria mesenterica inferior. Das untere Rektum und der Analkanal erhalten Blut aus der Arteria pudenda interna. Der Blutabfluss erfolgt über Venen, die mit den Arterien verlaufen und gleichlautend benannt sind, also über die Vena mesenterica superior, Vena mesenterica inferior und Vena pudenda interna. Die beiden Erstgenannten münden in die Pfortader der Leber, nur die Vena pudenda interna mündet in die Vena iliaca interna, deren Blut in die untere Hohlvene gelangt, ohne die Leber zu passieren. Da Lymphgefäße in der Regel mit Arterien verlaufen, entsprechen die Lymphabflussgebiete des Dickdarms in etwa den arteriellen Versorgungsgebieten. Die Lymphe aus dem Stromgebiet der Arteria mesenterica superior fließt über die Mesenteriallymphknoten an der Austrittsstelle der Arterie aus der Bauchaorta (Noduli mesenterici superiores) in den Truncus intestinalis, der in die Cisterna chyli mündet. Die Lymphe aus dem Stromgebiet der Arteria mesenterica inferior gelangt entsprechend über die Lymphknoten neben dem Arterienaustritt (Noduli mesenterici inferiores) und über den linken Truncus lumbalis in die Cisterna chyli. Innervation In der Wand des Darms befindet sich ein Netzwerk aus Nervenzellen, das die Bewegungen des Darms koordiniert. Dieses sogenannte enterische Nervensystem arbeitet weitgehend autonom, seine Aktivität wird aber von den beiden Anteilen des vegetativen Nervensystems beeinflusst: der Parasympathikus steigert die Darmaktivität, der Sympathikus setzt sie herab. Ähnlich der arteriellen Versorgung wird der Dickdarm bis kurz vor der linken Colonflexur anders innerviert als der Darm dahinter. Die parasympathischen Fasern für den ersten Abschnitt stammen aus dem Vagusnerv, die für den zweiten Abschnitt entspringen aus dem untersten Teil des Rückenmarks und verlaufen als Nervi splanchnici pelvici. Als Cannon-Böhm-Punkt wird das Gebiet bezeichnet, in dem sich die Innervationsgebiete überlappen. Feinbau Der Dickdarm zeigt den typischen Wandaufbau des Magen-Darm-Traktes mit vier Schichten. Die innerste Schicht ist eine Schleimhaut (Tunica mucosa, kurz Mukosa), die ihrerseits aus drei Schichten aufgebaut ist: die Oberfläche ist mit Epithel (Lamina epithelialis) bedeckt, das durch lockeres Bindegewebe (Lamina propria mucosae) von einer Schicht aus glatten Muskelzellen (Lamina muscularis mucosae) getrennt ist. Die Schleimhaut liegt einer lockeren Bindegewebsschicht (Tunica submucosa, kurz Submukosa) auf. Diese führt die Blut- und Lymphgefäße für die Mukosa und beinhaltet ein Nervengeflecht, den Plexus submucosus. Sie dient zudem als Verschiebeschicht zur dritten Wandschicht, der Tunica muscularis, die dem Organ mit einer inneren Ringmuskelschicht (Stratum circulare) und einer äußeren Längsmuskelschicht (Stratum longitudinale) peristaltische Bewegungen ermöglicht. Zwischen den Muskelschichten liegt ein weiteres Nervengeflecht, der Plexus myentericus, der ebenso wie der Plexus submucosus zum enterischen Nervensystem gehört. Die vierte Schicht ist je nach Abschnitt des Dickdarms entweder lockeres Bindegewebe (Adventitia) oder das Bauchfell. Ein wichtiger feinbaulicher Unterschied zum Dünndarm besteht in dem Fehlen von Darmzotten, die Dickdarmschleimhaut hat nur tiefe Krypten, die von zylinderförmigen Zellen (hochprismatisches Epithel) ausgekleidet sind. Viele dieser Zellen produzieren Gleitschleim, andere nehmen Wasser auf und dicken so den Stuhl ein. Auch die Dickdarmwand ist wie die Wand des Dünndarms in Falten geworfen. Diese entstehen aber durch örtliche Einziehungen der inneren Ringmuskelschicht, die im Querschnitt halbmondförmig erscheinen (daher der lateinische Name Plicae semilunares). Zwischen den Einziehungen bildet die Darmwand Aussackungen, die als Haustren (deutsch: Poschen) bezeichnet werden. Bei einigen Säugetieren, auch beim Menschen, ist die äußere Längsmuskelschicht zu drei kräftigen Strängen (Tänien) verdickt. An diesen Tänien hängen außen Ansammlungen von Fettgewebe (Appendices epiploicae). Von diesem Muster weicht die Appendix vermiformis ab. Sie hat keine Tänien, sondern wie die anderen Abschnitte des Verdauungstraktes eine durchgehende Längsmuskelschicht. In der Lamina propria der Schleimhaut sind große Lymphfollikel zu finden. Das Rektum hat statt der Tänien eine durchgehende Längsmuskelschicht, keine Haustren und keine Fettanhängsel. Am Analkanal geht das Epithel des Rektums in mehrschichtig unverhorntes Plattenepithel über. Entwicklung und Fehlbildungen Aus dem Entoderm, dem inneren Keimblatt des Embryos, bildet sich zunächst das primitive Darmrohr aus, an dem Vorder-, Mittel- und Hinterdarm zu unterscheiden sind. Aus der weiteren Entwicklung des Mitteldarms geht der größte Teil des Dünndarms und der Dickdarm einschließlich der ersten zwei Drittel des Quercolons hervor. Der Rest des Dickdarms bildet sich aus dem Hinterdarm, während das letzte Stück des Analkanals durch die Einstülpung von Ektoderm entsteht. Die Entwicklung des Darmes erklärt auch die Innervation und die Blutversorgung: die Mitteldarmarterie wird zur Arteria mesenterica superior, die Enddarmarterie zur Arteria mesenterica inferior. Im Laufe der Entwicklung verwachsen Colon ascendens und Colon descendens mit der rückwärtigen Rumpfwand. Beim Colon ascendens kann diese Verwachsung unvollständig sein und im Extremfall gar nicht stattfinden, sodass es wie das Quercolon über ein eigenes Mesenterium verfügt. Das Colon ascendens ist dann abnorm beweglich, es kann zum Volvulus kommen oder zur Einklemmung von Dünndarmschlingen. Während der Embryonalentwicklung dreht sich der Darm und „verpackt“ sich in der Bauchhöhle. Auch bei diesem Prozess können Fehler auftreten, die dazu führen, dass sich etwa der gesamte Dickdarm auf der linken Seite befindet oder das Quercolon hinter dem Zwölffingerdarm zu liegen kommt. Als Atresie bezeichnet man den Verschluss von Hohlorganen: Am Dickdarm sind am häufigsten Rektum und Analkanal betroffen, bei der Rektoanalatresie fehlt die Verbindung zwischen den beiden Abschnitten und der Dickdarm endet blind. Häufig ist der Mastdarm dann durch Fisteln mit angrenzenden Organen verbunden. Bei Jungen ist das häufig die Harnröhre, bei Mädchen die Vagina. Beim angeborenen Megacolon (Morbus Hirschsprung) fehlen meistens im Endabschnitt des Dickdarms Nervenzellen, wodurch sich die Muskulatur im betroffenen Bereich zusammenzieht und den Darm verschließt. Der Darminhalt staut sich an der Engstelle und dehnt den Dickdarm auf („Megacolon“). Funktion Der Dickdarm nimmt den Speisebrei aus dem Dünndarm auf, transportiert ihn weiter, speichert ihn im Mastdarm und scheidet ihn letztlich aus. Dabei entzieht er ihm weiteres Wasser, indem er Natrium-Ionen resorbiert. Daneben ist er auch an der Regulation des Chlorid- und Kalium-Ionen-Haushaltes beteiligt, wobei er im Gegensatz zum Dünndarm auch zur aktiven Sekretion von Kalium-Ionen in der Lage ist. Abgesehen von kurzkettigen Fettsäuren werden im Dickdarm keine Nährstoffe aufgenommen. Eine bedeutende Rolle bei der Bildung dieser Fettsäuren spielen die Bakterien des Dickdarms, die Darmflora. Stuhltransport Die Ileozäkalklappe trennt den letzten Abschnitt des Dünndarms, das Ileum, vom Blinddarm. In Ruhe ist diese Klappe teilweise geschlossen, sodass ein langsamer Durchtritt des Speisebreis möglich ist. Der Übertritt des Speisebreis vom Ileum in den Blinddarm findet bei Nahrungsaufnahme verstärkt statt: Die Magendehnung führt über einen Reflex zu verstärkter Peristaltik des Ileums und über die Ausschüttung des Hormons Gastrin zur Entspannung des zur Klappe gehörenden Schließmuskels. Der Transport des Speisebreis findet im Dünndarm mit einer recht konstanten Geschwindigkeit statt. So staut sich Speisebrei vor der Ileozäkalklappe und dehnt das Ileum. Ohne die entspannende Wirkung des Gastrins bewirkt die Dehnung des Ileums eine Kontraktion des Schließmuskels, ohne Nahrungsaufnahme wird also der Übertritt des Speisebreis blockiert. Nach der Passage des Ileozäkalsphinkters sammelt sich der Speisebrei im Blinddarm und im aufsteigenden Colon. Typisch für alle Abschnitte des Dickdarms ist die Haustralbewegung. Dabei füllt sich eine Haustre bis zu einem bestimmten Grad und zieht sich dann zusammen, wobei sie ihren Inhalt in die benachbarte Haustre drückt. Daneben ist eine sehr langsame propulsive Peristaltik zu beobachten, bei der sich die Einschnürungen zwischen den Haustren sozusagen Richtung Anus bewegen. Im aufsteigenden Colon und im Quercolon sind Segmentationsbewegungen zu beobachten, die den Stuhl durchmischen. Im Quercolon tritt gelegentlich eine Antiperistaltik auf, die den Stuhl zurück in den Blinddarm treibt. In Verbindung mit der Nahrungsaufnahme tritt eine sogenannte Massenperistaltik auf: Ausgelöst durch die Dehnung des Magens entsteht im mittleren Quercolon eine peristaltische Welle, die den Stuhl in kurzer Zeit über das absteigende Colon und das Colon sigmoideum in den Mastdarm befördert (Gastrocolischer Reflex). Die Darmentleerung ist ein Reflex, der durch die Dehnung der Rektumwand ausgelöst wird. Dabei kontrahieren sich die Längsmuskeln des Mastdarms, verkürzen ihn und erhöhen so den Druck. Der innere Schließmuskel des Anus wird unwillkürlich entspannt. Durch die willentliche Entspannung des äußeren Schließmuskels kann sich der Mastdarm entleeren. Die gesamte Passagezeit des Dickdarms ist individuell sehr verschieden und reicht von 12 bis 48 Stunden. Wasser, Elektrolyte und Nährstoffaufnahme Der Dickdarm nimmt mit unter 2 Litern am Tag weniger Wasser auf als der Dünndarm, kann die Resorption jedoch auf 4 bis 5 Liter steigern. Der Wassertransport erfolgt grundsätzlich über die Resorption von Natrium-Ionen: Diese werden aktiv aufgenommen, das Wasser folgt passiv nach (Osmose). Die Zellen des Dickdarms sind wie die Zellen des Dünndarms in der Lage, Natrium-, Kalium- und Chlorid-Ionen aufzunehmen und im Fall von Chlorid auch auszuscheiden, wenn auch die zellulären Mechanismen dahinter unterschiedlich sind. Zwei wesentliche Unterschiede liegen darin, dass die Dickdarmzellen Natrium-Ionen auch gegen einen Konzentrationsgradienten aufnehmen und Kalium-Ionen nicht nur aufnehmen, sondern auch ausscheiden. Damit spielt der Dickdarm eine wichtige Rolle in der Feinregulation des Kalium-Haushaltes. Kohlenhydrate und Proteine, die in den Dickdarm gelangen, werden dort von Bakterien abgebaut. Der Dickdarm kann nur die dabei entstehenden kurzkettigen Fettsäuren resorbieren. Bakterielle Besiedlung Bei allen Tieren ist der Darm von Bakterien besiedelt, die in ihrer Gesamtheit die Darmflora bilden. Die Zusammensetzung der Darmflora und die Verteilung der Bakterien unterscheiden sich zwischen Pflanzen-, Fleisch- und Allesfressern. Die Bakterien leben dabei in Symbiose mit ihrem Wirt, indem sie ihm nicht verdaubare Nahrungsbestandteile verdauen und zugänglich machen. Da die Bakterien unter Ausschluss von Sauerstoff, also anaerob arbeiten müssen, handelt es sich um Vergärungsprozesse. Bei Fleischfressern und beim Menschen ist ein Großteil der Darmflora im Dickdarm beheimatet. Hier produzieren sie bei der Vergärung des Speisebreis in erster Linie kurze Fettsäuren, die vom Dickdarm aufgenommen werden. Hinzu kommt Vitamin K, das ebenfalls resorbiert wird. Während Wiederkäuer die unverdaulichen Bestandteile der pflanzlichen Nahrung, nämlich Cellulose, Xylan, Pectin und andere Polysaccharide, in ihrem Pansen vergären lassen, finden diese Prozesse bei Pferden, Eseln, den meisten anderen Unpaarhufern und Kaninchen im Blinddarm und Colon statt. Die Art und Menge, sozusagen das Ökosystem der verschiedenen Bakterien im Dickdarm ist Gegenstand aktueller Forschung. Ernährung, aber auch Übertragung von Mensch zu Mensch spielen hier eine Rolle. Das Immunsystem und Erkrankungen werden davon beeinflusst, eine Interventionsmöglichkeit stellt die Stuhltransplantation dar. Erkrankungen des Dickdarms Entzündungen Eine Entzündung des Dickdarms wird allgemein Kolitis genannt. Die Entzündung des Wurmfortsatzes (Appendizitis) ist die häufigste Entzündung im Bauchraum. Ursachen für Dickdarmentzündungen sind Infektionen mit Krankheitserregern, Allergien, bestimmte Medikamente, Strahlung, Minderdurchblutung oder unbekannte Faktoren, die zum Beispiel bei der Entstehung der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eine Rolle spielen. Infektiöse Kolitis Bei einer Gastroenteritis, also der Magen-Darm-Entzündung, ist der Dickdarm in der Regel mitbetroffen. Eine solche Entzündung entsteht durch die Infektion mit Bakterien, Viren und seltener Parasiten. Häufige bakterielle Erreger sind besondere Typen von Escherichia coli (EHEC, ETEC, EIEC und EPEC), einige Yersinien- und Campylobacter-Spezies, des Weiteren enteritische Salmonellen und Cholera-Erreger. In manchen Fällen manifestiert sich auch eine Tuberkulose im Dickdarm. Kleinräumige Ausbrüche einer infektiösen Gastroenteritis werden häufig durch Viren hervorgerufen, überwiegend Noroviren, bei Kleinkindern häufiger Rotaviren. Seltenere virale Erreger sind Astroviren, Sapoviren und das Humane Adenovirus F. In Sommermonaten überwiegen in Mitteleuropa die bakteriellen Gastroenteritiden, im Herbst und Winter hingegen virale. Eine Erkrankung, die nur den Dickdarm betrifft, ist die Dysenterie (Ruhr). Sie wird in Mitteleuropa vor allem durch Shigellen (Bakterienruhr) verursacht. In tropischen und subtropischen Regionen ist die Amöbenruhr weiter verbreitet, deren Erreger Entamoeba histolytica sich vor allem in Colon und Leber festsetzt. Bei schlechter Abwehrlage, etwa bei AIDS-Erkrankten, können weitere Erreger krankheitsauslösend sein, darunter einige atypische Mykobakterien (MOTT), Kryptosporidien und Candida-Pilze. Selten kommt es bei Immundefizienten zu einer Kolitis aufgrund einer Reaktivierung des Cytomegalievirus. In tropischen Regionen spielt auch die Infektion mit Schistosomen eine Rolle. Die durch diese Würmer ausgelöste Erkrankung wird Bilharziose genannt. Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen Zu den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen werden üblicherweise Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gezählt, die in Deutschland mit jeweils 5–6 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr etwa gleich häufig auftreten. Kennzeichnend ist eine dauerhafte (chronische) Immunreaktion in der Darmwand, die in Schüben auftritt. Bei beiden Erkrankungen sind die Auslöser und Mechanismen der Krankheitsentstehung noch unklar. Franz Alexander zählte sie 1950 zu den sieben psychosomatischen Krankheiten, den „Holy Seven“, diese These gilt inzwischen als überholt. Mittlerweile wurden auch genetische Faktoren identifiziert, die bei der Entstehung der Krankheiten eine Rolle spielen könnten. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa unterscheiden sich hinsichtlich des Krankheitsverlaufs und ihres Erscheinungsbildes (Morphologie). Der Morbus Crohn ist die Entzündung der ganzen Darmwand mit allen Schichten, weshalb es häufig zu Fisteln (beispielsweise Analfisteln) kommt. Grundsätzlich kann der gesamte Verdauungstrakt befallen sein, typischerweise betrifft die Entzündung aber den Endabschnitt des Dünndarms (Ileum) und den Dickdarm. Die Entzündung breitet sich nicht kontinuierlich vom Entstehungsort aus, sondern „springt“ von Abschnitt zu Abschnitt. Der Morbus Crohn heilt häufig nur unvollständig ab und ist durch eine hohe Rezidiv-Rate, also wiederkehrende Entzündungen, gekennzeichnet. Bei der Colitis ulcerosa beschränkt sich die Entzündung dagegen auf die Schleimhaut. In der Regel beginnt die Entzündung akut im Rektum und breitet sich von dort kontinuierlich auf die restlichen Dickdarmabschnitte aus. Ist der ganze Dickdarm befallen, ist von einer Pancolitis die Rede. Bei etwa 10 bis 20 % der Pancolitiden kommt es zur sogenannten „Backwash-Ileitis“, bei der die Entzündung auf das Ileum des Dünndarms übergreift. Auch die Colitis ulcerosa verläuft rezidivierend, also mit wiederkehrenden Schüben. Zwischen den Schüben heilt der Darm in der Regel aber vollständig ab. Beim akut fulminanten Verlauf ist das toxische Megacolon eine seltene, aber lebensbedrohliche Komplikation mit der Gefahr einer eitrigen Bauchfellentzündung. Colitis ulcerosa erhöht das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Durch eine Kolektomie, Entfernung des Dickdarms, ist Colitis Ulcerosa theoretisch heilbar, es wird dann hierfür ein Stoma bzw. ein Pouch erstellt. Eine weitere, schlecht erforschte Erkrankung ist die mikroskopische Colitis, die ebenfalls zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen gezählt werden kann. Sie verursacht wässrige Durchfälle, aber keine mit dem bloßen Auge oder dem Endoskop sichtbaren Schleimhautveränderungen. Die Diagnose kann nur durch die mikroskopische Untersuchung der Schleimhaut nach der Biopsie gestellt werden. Unterschieden werden zwei Formen: die Lymphozytäre Colitis ist durch eine Vermehrung von bestimmten Immunzellen, den Lymphozyten, im Epithel charakterisiert. Die Kollagene Colitis entspricht der Lymphozytären Colitis, zusätzlich hat sich unter der Basalmembran des Schleimhautepithels eine Schicht aus Kollagenfasern gebildet. Ischämische Kolitis Eine ischämische Kolitis entsteht, wenn die Dickdarmschleimhaut aufgrund von Gefäßverengungen oder Verschlüssen (häufig durch Arteriosklerose) überhaupt nicht mehr oder nicht mehr ausreichend durchblutet und dadurch geschädigt wird (Mesenteriale Ischämie). Die Reaktion auf den Gewebeschaden ist die Entzündung im betroffenen Gebiet. Beim Dickdarm ist die Durchblutungsstörung häufig auf kleinere Areale begrenzt und tritt etwas häufiger im Bereich der linken Colonflexur auf, da dieses Gebiet an der Grenze der Versorgungsgebiete von Arteria mesenterica superior und Arteria mesenterica inferior liegt und die Anastomosen zwischen den Versorgungsgebieten aufgrund von Arteriosklerose nicht mehr in der Lage sind, Durchblutungsstörungen auszugleichen. Das Rektum ist in der Regel nicht betroffen, da es aus den Beckenarterien ausreichend versorgt ist. Medikamentenassoziierte Kolitis Auch die Wirkung vieler Medikamente kann Dünn- und Dickdarm schädigen und eine Entzündung (Enterocolitis) verursachen, etwa nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen, Antibiotika, Zytostatika und blutdrucksenkende Mittel wie Diuretika. Schätzungsweise ist jede zehnte Entzündung des (Dick-)Darms auf den Gebrauch von NSAR zurückzuführen. Die Entzündung heilt ab, wenn das Medikament abgesetzt wird. Antibiotika hemmen die Darmflora und begünstigen dadurch die Vermehrung krankheitserregender Bakterien, vor allem Clostridium difficile, dessen Enterotoxine die Dickdarmschleimhaut angreifen und zur Entzündung führen. Wegen typischer Schleimhautveränderungen werden diese Entzündungen als pseudomembranöse Kolitiden bezeichnet. Bei einer starken Verminderung der Anzahl der neutrophilen Granulozyten im Blut (Neutropenie), häufig als Nebenwirkung einer Chemotherapie mit Zytostatika, kann es zu einer schweren, nekrotisierenden Entzündung des Blinddarms und des aufsteigenden Colons kommen, der sogenannten neutropenischen Colitis (Typhlitis). Reizdarmsyndrom Das Reizdarmsyndrom ist ein Komplex mehrerer gastrointestinaler Symptome, das mit psychischen Belastungsfaktoren in Verbindung gebracht wird und auch nach einer Darminfektion auftreten kann. Das Reizdarmsyndrom ist eine Ausschlussdiagnose, die gestellt wird, wenn die lang anhaltenden Beschwerden wie Bauchschmerzen, Blähungen und Stuhlveränderungen mit keiner anderen Diagnose in Einklang gebracht werden können. Rund die Hälfte der Patienten mit gastrointestinalen Beschwerden soll an einem Reizdarmsyndrom leiden. Divertikel Divertikel sind allgemein Ausstülpungen der Wand eines Hohlorgans, die am Dickdarm am häufigsten auftreten. Unterschieden werden echte Divertikel und unechte Divertikel (Pseudodivertikel). Bei Ersteren sind alle Wandschichten an der Bildung des Divertikels beteiligt, bei den Pseudodivertikeln wird in der Regel nur die Schleimhaut durch die Muskelschichten gedrückt. Pseudodivertikel können entweder noch in der Darmwand (intramural) liegen oder sich komplett daraus herausstülpen (extramurale Divertikel). Etwa zwei Drittel der Dickdarmdivertikel treten am Colon sigmoideum auf und sind typischerweise Pseudodivertikel. Das gehäufte, keine Beschwerden verursachende Auftreten von Divertikeln wird als Divertikulose bezeichnet, die in eine Divertikulitis, also eine eitrige Entzündung der Divertikel, übergehen kann und therapiert werden muss. Im schlimmsten Fall können entzündete Divertikel aufbrechen (perforieren), was zu Abszessen in der Bauchhöhle und Entzündungen des Bauchfells führen kann. Tumoren Der Dickdarm ist mit über 60000 jährlichen Neuerkrankungen in Deutschland nach der Prostata und der Brustdrüse der dritthäufigste Entstehungsort von Krebs, dem kolorektalen Karzinom. Die Ursachen sind nicht genau bekannt, als Risikofaktoren gelten Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Alkohol und rotes Fleisch. Darüber hinaus gibt es seltene erbliche Formen wie die familiäre adenomatöse Polyposis oder das hereditäre nicht-polypöse kolorektale Krebssyndrom. Das gängige Modell der Entstehung von Dickdarmkrebs geht von einer Adenom-Karzinom-Sequenz aus. Das bedeutet, dass in einem mehrstufigen Prozess durch genetische Veränderungen das Drüsenepithel des Dickdarms entartet: Dafür reicht eine Zelle, die sich wegen dieser genetischen Veränderungen unkontrolliert teilt. Zunächst entsteht so ein gutartiger Tumor, ein Adenom, der bei der Koloskopie als Dickdarmpolyp auffällt. Die Zellen des Adenoms sind aber anfällig für weitere Genmutationen, sodass irgendwann Krebszellen entstehen, die bösartig in das umliegende Gewebe einwachsen und sich schnell teilen. Über 90 % der kolorektalen Karzinome gehen aus Adenomen hervor, weswegen die Entfernung eines Adenoms immer angezeigt ist. Tumoren des Bindegewebes sind selten, gerade im Vergleich zu den oben beschriebenen epithelialen Tumoren. Die häufigsten Bindegewebstumoren sind Tumoren des Fettgewebes, der glatten Muskelzellen, der Lymphgefäße und Gastrointestinale Stromatumoren. Maligne Lymphome, insbesondere das Mantelzelllymphom, können sich als lymphomatöse Polypose manifestieren, wobei sich zahlreiche Polypen im Colon finden. Neuroendokrine Tumoren gehen im Magen-Darm-Trakt von den Zellen des Diffusen neuroendokrinen Systems aus. Sie sind am Colon sehr selten, am Rektum finden sich dagegen 13 % aller gastrointestinalen Neuroendokrinen Tumoren, während am Wurmfortsatz fast jeder fünfte dieser Tumoren lokalisiert ist. Untersuchungsmöglichkeiten Der Dickdarm kann mit den Händen und Fingern, endoskopischen und anderen bildgebenden Verfahren untersucht werden. Beim Abtasten des Bauches im Rahmen der körperlichen Untersuchung können Tumoren des Dickdarms festgestellt werden. Eine häufige Untersuchung ist die digitale Palpation, das Abtasten mit den Fingern (von lat. digitus, Finger). Dabei führt der Untersuchende einen (in der Regel behandschuhten) Finger in den Anus ein, tastet den Analkanal ab, prüft den Ruhetonus und den Druck des Analsphinkters bei der aktiven Anspannung, schiebt den Finger bis in die Rektumampulle vor und tastet auch diese aus. Bei Männern kann auf diesem Wege auch die Prostata beurteilt werden. Auf diese Art können Tumoren oder schmerzhafte Stellen ausgemacht werden. Nicht zuletzt können Stuhl, Blut oder Eiter am Finger Hinweise auf Erkrankungen geben. Zur endoskopischen Untersuchung stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Das Rektoskop ist ein starres Endoskop, das nur zur Beurteilung von Analkanal und Rektum geeignet ist. Eine Sigmoidoskopie zur Beurteilung des Darms bis zum Colon sigmoideum kann mit einem bis zu 60 cm langen, flexiblen Endoskop erfolgen. Die Koloskopie (Darmspiegelung) ist die endoskopische Untersuchung des gesamten Dickdarms mit einem langen Endoskop. Sie gilt als Goldstandard für die Beurteilung der Schleimhaut. Mit diesem Verfahren können nicht nur sichtbare Veränderungen beschrieben, sondern auch Proben entnommen (biopsiert) und kleine therapeutische Eingriffe durchgeführt werden (beispielsweise die Entfernung eines Polypen). Die klassische Ultraschalluntersuchung des Bauches spielt für die Beurteilung des Dickdarms eine untergeordnete Rolle. Nützlich ist sie zur Diagnostik der akuten Appendizitis und der Divertikulitis. Die Endosonografie ist ein kombiniertes Verfahren, bei dem ein rotierender Schallkopf an einem flexiblen Endoskop in den Darm eingeführt wird. Dabei entsteht ein Querschnittsbild des Darms, mit dem alle Wandschichten beurteilt werden können. Das konventionelle Röntgen des Bauches bietet eine schnelle Diagnostik. Es eignet sich zur Identifizierung freier Luft im Bauchraum, die einen Hinweis auf die Perforation eines Hohlorgans gibt, zur Diagnostik eines Darmverschlusses (Ileus) durch den Nachweis von Luft-Flüssigkeits-Spiegeln in den Darmschlingen oder dem Nachweis von Fremdkörpern oder eingebrachten Materialien. Die Computertomographie erlaubt die Beurteilung der Wandschichten des Dickdarms sowie anderer Organe und Lymphknoten, weshalb dieses Verfahren für die Stadienbestimmung von Tumoren (Staging) verwendet wird. Bei jungen Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen kommt wegen der fehlenden Strahlenbelastung die Magnetresonanztomographie (MRT) zum Einsatz. Daneben spielt dieses Verfahren auch für das Staging von Rektumkarzinomen eine Rolle. Kontrastmitteluntersuchungen haben wegen der Verbreitung endoskopischer Verfahren an Bedeutung verloren. Sie kommen zum Einsatz, wenn eine endoskopische Untersuchung nicht möglich ist, etwa durch eine hochgradige Stenose des Darmlumens. Mit dieser Technik können beispielsweise Divertikel dargestellt werden. Die funktionelle Untersuchung des Vorgangs der Stuhlausscheidung mit Kontrastmittel oder MRT wird Defäkographie genannt. Auch der Stuhl selbst kann Gegenstand der Untersuchung sein. Insbesondere der Nachweis von sichtbarem (Hämatochezie) oder nicht sichtbarem (Guajak-Test) Blut im Stuhl kann Ausgangspunkt weiterführender Diagnostik sein. Chirurgische Eingriffe Chirurgische Eingriffe können am Dickdarm von Mensch und Tier bei Erkrankungen und Verletzungen vorgenommen werden. Die Eröffnung des Dickdarms wird als Kolotomie und die Entfernung (von Teilen des Dickdarms) als Dickdarmresektion bezeichnet. Beim Menschen werden diese Eingriffe relativ häufig durchgeführt. Die folgende Liste soll einen Überblick über die typischen Operationsverfahren der Dickdarmchirurgie beim Menschen geben. Grundsätzlich unterscheidet sich die Operationstechnik bei gutartigen Erkrankungen (wie Entzündungen) und bösartigen Erkrankungen. Bei bösartigen Erkrankungen, wie Tumoren, werden nach den Prinzipien der onkologischen Chirurgie größere Teile des Dickdarms mit umliegendem Gewebe entfernt, um mögliche Metastasen in den Lymphgefäßen und -knoten mit zu entfernen. Alle Verfahren können offen mit Laparotomie oder laparoskopisch durchgeführt werden. Bei der laparoskopisch assistierten Operation wird das Operationsgebiet laparoskopisch präpariert. Die Resektion selbst erfolgt dann offen chirurgisch. Welche Operationstechnik angewandt wird, hängt von der Art der Erkrankung ab: während bei gutartigen Erkrankungen die Laparoskopie einen hohen Stellenwert hat, war sie bei Darmkrebs-Operationen lange umstritten. Mittlerweile wurde aber nachgewiesen, dass die Langzeitergebnisse der Laparoskopie bei lokal begrenzten Tumoren den Langzeitergebnissen der offenen Chirurgie ähnlich sind, die Laparoskopie ist daher auch in diesen Fällen ein etabliertes Verfahren. Appendektomie: Die operative Entfernung des Wurmfortsatzes ist eine häufige Operation, die bei der akuten Entzündung des Wurmfortsatzes (Appendizitis) angezeigt ist. Sie kann offen und laparoskopisch mit vergleichbaren Ergebnissen durchgeführt werden. Ileocoecalresektion: Die Entfernung (Resektion) des letzten Ileum-Abschnitts und des Blinddarms kann bei begrenzten, gutartigen Veränderungen angezeigt sein, zum Beispiel bei Morbus Crohn. Hemikolektomie rechts: Das Operationsverfahren der Wahl bei Karzinomen am Blinddarm und Colon ascendens, dabei werden auch Teile des Quercolon hinter der rechten Colonflexur entfernt. Bei hochsitzenden Karzinomen im Bereich der rechten Colonflexur wird die Resektion erweitert und auch das Quercolon bis über die linke Colonflexur hinaus entfernt („erweiterte Hemikolektomie rechts“). Hemikolektomie links: Analog zur Hemikolektomie rechts werden bei der linksseitigen Hemikolektomie Colon descendens und das Sigma entfernt, wenn Karzinome entsprechend lokalisiert sind. Auch diese Operation kann um das Quercolon bis zur rechten Colonflexur erweitert werden, wenn der Tumor im Bereich der linken Colonflexur sitzt. Colon-transversum-Resektion: Bei Karzinomen am Quercolon wird heute eher eine erweiterte Hemikolektomie oder die Subtotale Kolektomie durchgeführt; die Colon-transversum-Resektion ist daher selten geworden. Sigmaresektion: die laparoskopische Sigmaresektion ist das Standardverfahren bei Sigmadivertikulitis. Subtotale Kolektomie: Entfernung des Dickdarms unter Erhalt des Rektums. Diese Operationen kann nötig werden, wenn zwei Karzinome an unterschiedlichen Stellen des Colons vorliegen. Proktokolektomie: Die Entfernung des Dickdarms inklusive des Rektums unter Erhaltung des Analsphinkters kann bei Colitis ulcerosa und Polyposis coli angezeigt sein. Rektumresektion (Mastdarmresektion) Anteriore Rektumresektion: Standardverfahren bei Karzinomen am Übergang von Sigma und Rektum, wobei das Sigma und das obere Rektum entfernt werden. Die Rektumampulle bleibt dabei erhalten. Mögliche Komplikation kann das Tiefe vordere Resektionssyndrom (Low-Anterior-Resection-Syndrom (LARS)) sein. Sitzt ein Karzinom tiefer im mittleren Rektumdrittel, wird in der sogenannten tiefen anteriore Rektumresektion das Rektum unter Erhaltung des Sphinkterapparates vollständig entfernt. Bei sehr tief sitzenden Karzinomen muss auch der Sphinkterapparat reseziert werden. Bereits 1907 hatte Ernest Miles die Levatoren und das ischiorektale Gewebe mitentfernt. Abdominoperineale Rektumamputation: Amputation des Rektums inklusive Entfernung des Sphinkterapparates. Diese bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannte Operation kann bei tiefliegenden Rektumkarzinomen nötig werden. Hämorrhoidektomie: die operative Entfernung von ausgeprägten Hämorrhoiden, für die verschiedene Techniken zur Verfügung stehen. In der Tiermedizin werden chirurgische Eingriffe vor allem bei Pferden mit Koliken vorgenommen, die häufig vom Dickdarm ausgehen. Hier sind es vor allem Verdrehungen, Verstopfungen und Einstülpungen des Blinddarms und des „großen Colons“ (Colon ascendens), die meist nur chirurgisch zu beheben sind. Bei Hunden und Katzen werden chirurgische Eingriffe vor allem bei Mastdarmvorfällen, Tumoren oder einem Megacolon durchgeführt. Eine Verankerung des absteigenden Colons an der rückenseitigen Rumpfwand (Colopexie) kann sowohl bei Mastdarmvorfällen als auch bei Perinealhernien angezeigt sein. Weblinks Literatur Gerhard Aumüller, Jürgen Engele, Joachim Kirsch, Siegfried Mense; Markus Voll und Karl Wesker (Illustrationen): Anatomie, Lernprogramm zum Präpkurs online. 3. Auflage. Thieme, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-13-136043-4 (= Duale Reihe). Herbert Renz-Polster, Steffen Krautzig (Hrsg.): Basislehrbuch Innere Medizin. 5. Auflage. Urban & Fischer, München 2013, ISBN 978-3-437-41114-4. Renate Lüllmann-Rauch: Taschenlehrbuch Histologie. 4. Auflage. Thieme, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-13-129244-5. Franz-Viktor Salomon, Hans Geyer, Uwe Gille: Anatomie für die Tiermedizin. Enke, Stuttgart. 2014, ISBN 978-3-8304-1075-1. Jörg Siewert, Hubert Stein: Chirurgie. 9. Auflage. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2012. ISBN 978-3-642-11330-7. Erwin-Josef Speckmann, Jürgen Hescheler, Rüdiger Köhling: Physiologie. 6. Auflage. Urban & Fischer, München 2013, ISBN 978-3-437-41319-3. Einzelnachweise Verdauungsapparat Därme, Blasen und Mägen
1214
https://de.wikipedia.org/wiki/DNA%20%28Begriffskl%C3%A4rung%29
DNA (Begriffsklärung)
DNA steht für: Daily News and Analysis, indische Zeitung der Dainik Bhaskar Group und der Zee Entertainment Enterprises deoxyribonucleic acid, für Desoxyribonukleinsäure , Nationalversammlung von Suriname Defense Nuclear Agency, ehemalige militärische US-Atombehörde, einer der Vorläufer der Defense Threat Reduction Agency Dernières Nouvelles d’Alsace, Straßburger Tageszeitung Det norske Arbeiderparti, ehemaliger Name der norwegischen Partei Arbeiderpartiet Deutscher Normenausschuß, siehe Deutsches Institut für Normung Die Neue Aktionsgalerie, eine Galerie für moderne Kunst in Berlin Domain Name Association, Non-Profit-Organisation zur Vergabe von Domain Namen im Internet DIGITAL Network Architecture, Sammlung von Computernetzprotokollen, siehe DECnet Dinonyladipat, ein Ester der Adipinsäure mit Verwendung als Weichmacher in der Kunststoffindustrie Direcção Nacional de Águas, mosambikanische Wasserbehörde Direcția Națională Anticorupție, die Nationale Antikorruptionsbehörde (Rumänien) DNA², Manga von Masakazu Katsura D.N.A. (Album), Album des Hip-Hop-Duos Genetikk DNA (Madeline-Juno-Album), Musikalbum der Singer-Songwriterin Madeline Juno DNA (Matthew-Shipp-und-William-Parker-Album), Musikalbum des Duos Matthew Shipp und William Parker (1999) DNA Automotive, britischer Automobilhersteller DNA (Band), Dance-Projekt (Tom’s Diner, 1990) DNA (Hip-Hop-Gruppe), Rap-Gruppe aus Zürich DNA (Lied), Lied von Madeline Juno DNA (No-Wave-Band), ehemalige Band (1978–1982) DNA (2016), US-amerikanischer Pornospielfilm DNA (2020), französisch-algerisches Filmdrama von Maïwenn DNA (Damn), Lied von Kendrick Lamar DNA Musik, Musik-Download Portal für Filmproduktionen DNA Oy, finnisches Telekommunikationsunternehmen Drahtwerk Nord Areal, Industriegebiet in der saarländischen Stadt St. Ingbert Kadena Air Base, japanischer Stützpunkt der Luftwaffe der Vereinigten Staaten nach dem IATA-Code Gilera DNA, ein Kleinkraftrad des Motorradherstellers Piaggio DNA (Kletterroute), Kletterroute in der Verdonschlucht in Frankreich dna steht für: Upper Grand Valley Dani (ISO-639-3-Code), Varietät von Grand Valley Dani, der Papuasprache der Dani Siehe auch: Künstliche DNA Abkürzung
1215
https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%BCssel
Düssel
Die Düssel ist ein rund vierzig Kilometer langer rechter Nebenfluss des Rheins in Nordrhein-Westfalen. Sie entspringt in Wülfrath-Blomrath an der Stadtgrenze zu Velbert-Neviges im Kreis Mettmann. Nach einem Verlauf durch die Städte Wülfrath, Wuppertal, Mettmann, Haan und Erkrath mündet sie im Stadtgebiet von Düsseldorf vierarmig in den Rhein. Die Düssel ist die Namensgeberin für den Wülfrather Ortsteil Düssel und das dortige Haus Düssel, die Stadt Düsseldorf und deren Ortsteil Düsseltal. Etymologie Der Name Düssel geht wahrscheinlich auf das germanische thusila zurück und bedeutet „brausen, rauschen, tosen“, althochdeutsch doson. Um 1065 wird der Bach als Tussale (die Brausende, Rauschende, Tosende) bezeichnet. Der Lauf der Düssel Naturräumliche Gliederung des Verlaufs Die Düssel durchquert laut dem Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutschlands in ihrem Lauf mehrere Naturräumliche Einheiten. Der Quellbereich liegt im Düsselhügelland (3371.18), der Oberlauf berührt kurz das Dornaper Kalkgebiet (3371.16) und der Mittellauf mit dem Neandertal durchquert die Mettmanner Lößterrassen (3371.00). Es schließt sich bei Alt-Erkrath ein kurzer Abschnitt durch den Naturraum Düsseltalmündung (550.13) an. Das Mündungsdelta befindet sich in der Düsseldorf-Duisburger Rheinebene (575.30). Verlauf bis Düsseldorf Die Düssel bildet sich aus vier bis acht Quellgewässern. Die höchstgelegene der Quellen, die der eigentlichen Düssel, befindet sich in Wülfrath bei Gut Blomtrath an der Stadtgrenze zu Neviges. Von hier durchfließt die Düssel die Wülfrather Ortsteile Schlupkothen, Aprath und Düssel, am ehemaligen Schloss Aprath und der Aprather Mühle vorbei, bevor sie in Hahnenfurth und Schöller Wuppertaler Gebiet passiert und ihren Lauf auf dem Gebiet der Stadt Haan fortsetzt. Hier vereint sie sich im Ortskern von Gruiten-Dorf mit der Kleinen Düssel, einem Zufluss, der 4,3 km lang ist und östlich in der Gemarkung Bolthausen im Wuppertaler Stadtteil Vohwinkel entspringt. Westlich von Gruiten fließt sie durch das Naturschutzgebiet Neandertal und markiert dort die Stadtgrenze zwischen Erkrath und Mettmann. Dort hat sich der Fluss tief in den Untergrund aus devonischen Tonschiefern und Riffkalksteinen eingeschnitten und bildet so ein teilweise enges Tal, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen Gruiten und Braken nur durch die Trassen einer werkseigenen Kleinbahn für den Kalksteinabbau erschlossen war (heute Wegetrassen). Die schluchtartige Enge der Flasche ist mit dem Kalksteinabbau verschwunden. Die zweite Enge am 1672 erwähnten und 1986 restaurierten und zwischen den Höfen Thunis und Bracken befindlichen Kalkofen Huppertsbracken ist noch erhalten. Zahlreiche Mühlengebäude wie die Winkelsmühle liegen in diesem Talabschnitt. Teilweise sind Anlagen zur Wiesenbewässerung erhalten (Flößgräben). Als größter Nebenbach fließt der Düssel, aus einem weiträumigeren Tal kommend, der Mettmanner Bach zu. An dieser Stelle, einer kleinen Talweitung, querte die mittelalterliche Kölnische Straße (Strata coloniensis) das Tal. Danach verengte es sich abrupt zu einer für den nordwestdeutschen Raum außergewöhnlichen Schlucht, Gesteins oder Hundsklipp genannt. Diese Schlucht wurde ab etwa 1800 nach dem bekannten, in Düsseldorf lebenden Pastor, Komponisten und Kirchenmusiker Joachim Neander Neandershöhle und ab etwa 1850 Neanderthal genannt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Tal ein beliebtes Ziel für die Maler der Düsseldorfer Schule, die hier ihre Studien an Felsformationen und Pflanzen betrieben. 1837 regte das Neanderthal den Maler Eduard Steinbrück zum allegorischen Bild Die Nymphe der Düssel an, das Prinz Carl von Preußen ihm abkaufte. Durch den Kalksteinabbau ab 1849 ist die Enge des früheren Neandertals, die die Maler zu romantischen Motiven angeregt hatte, verschwunden und ein weiträumiges Tal entstanden. An der Einmündung des Mettmanner Baches befinden sich der Kunstweg MenschenSpuren und das 1996 eingeweihte Neanderthal Museum. Etwas weiter dem Düssellauf folgend befindet sich an der pittoresken Felsnase Rabenstein die Fundstelle des berühmten Fossils Neandertal 1, das für den Neandertaler namensgebend war, einen Urzeitmenschen des Pleistozäns. Die Fundstelle konnte 1997 wiederentdeckt werden und wurde vor einigen Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Etwas weiter im Herzen von Erkrath gibt es seit 2018 den Skulpturenweg an der Düssel. Derzeit befinden sich am Düsselufer zwischen Bachstraße und Toni-Turek-Stadion (Neanderlandsteig) Kunstobjekte von Mitgliedern der Künstlervereinigung Neanderartgroup und befreundeten Künstlerkollegen. Alle Objekte haben einen direkten Bezug zum Neanderthal oder zur Düssel. Aus dem Neandertal kommend durchfließt die Düssel die Stadt Erkrath, wo sie unter anderem zwischen den 1950er und 1970er Jahren wegen der Ausbreitung der Wohngebiete, dem Straßenbau und Neubauten wie der Stadthalle an einigen Stellen in ein neues Flussbett verlegt wurde. Hier münden der Hubbelrather Bach, in den kurz vorher der Stinderbach mündete, und der Rotthäuser Bach in die Düssel. Hinter dem Ortsausgang schlängelt sie sich an Haus Morp vorbei durch die überwiegend landwirtschaftlich genutzte Fläche zwischen Erkrath und Düsseldorf-Gerresheim; dies ist der letzte noch naturbelassene Abschnitt des Flusses. Binnendelta in Düsseldorf Für Düsseldorf ist die Düssel namensgebend. Ein Binnendelta mit vier Armen zum Rhein liegt komplett auf dem Stadtgebiet. Erstmals teilt sich der Fluss am Höherhof in Düsseldorf-Gerresheim in die Südliche Düssel und die mit weniger als 1 % der Wasserführung wesentlich kleinere Nördliche Düssel. Beide Bachläufe werden zunächst von je einem Nebenbach bedeutend verstärkt und teilen sich später erneut. Die Nördliche Düssel teilt sich in die zentrumsnäher verlaufende Innere Nördliche Düssel und den Kittelbach; die Südliche Düssel teilt sich in die zentrumsnähere Innere Südliche Düssel und den Brückerbach, der die Hauptwassermenge führt. Die nur wenig voneinander entfernten unterirdischen Mündungen der beiden in der Düsseldorfer Altstadt verlaufenden Inneren Arme sind wegen des Rheinufertunnels verrohrt, wogegen die beiden abzweigenden Bäche offen in den Rhein münden. Durch Spaltwerke an den drei Scheiden kann der Abfluss geregelt werden. Bei Hochwasser des Rheins wird so der Zufluss zu den inneren Armen gedrosselt, so dass deren kritischere Mündungen in der Innenstadt entlastet werden. Kurz vor ihrer Mündung in den Rhein werden die Innere Südliche und Nördliche Düssel durch den Stadtgraben auf der Königsallee verbunden. Seit 2018 ist die Anbindung an die Nördliche Düssel freigelegt. Die Südliche Düssel ist hingegen weiterhin über eine kurze Verrohrung verbunden. Grabungen im Jahre 2012 bestätigten die Vermutung, dass eine ähnlich verlaufende Verbindung historisch als Verteidigungslinie schon einmal bestand. Zusammen mit dem Rhein bilden die vier Gewässer damals wie heute ein Viereck um die ehemalige Kernstadt Düsseldorf. Ehemals nahm die Südliche Düssel an ihrem Beginn einen deutlich anderen Verlauf, der noch bis 1963 in Form eines Seitenarmes des neu gegrabenen, heutigen Flussbettes existierte. Die verrohrten Abschnitte in der Innenstadt werden seit der Jahrtausendwende vermehrt zwecks freundlicherer Landschaftsgestaltung naturnah freigelegt. Fast alle Wasserarchitekturen der Stadt, mit Ausnahme des Benrather Schlosses (Itter) und Kalkumer Schlosses (Schwarzbach), werden vom Düsselwasser gespeist. Nördliche Düssel Nach der Teilung der Düssel am Höherhof in Gerresheim unterquert die hier noch sehr wenig Wasser führende Nördliche Düssel die Eisenbahngleise von Düsseldorf nach Wuppertal und das Gelände der ehemaligen Glashütte. Nördlich der Straße Nach den Mauresköthen fließt ihr von rechts der Pillebach zu, der ihre mittlere Wasserführung um mehr als das 15-fache vergrößert und damit den Hauptstrang der Nördlichen Düssel bildet. Diese fließt nun oberirdisch aber schnurgerade und kanalisiert an Kleingärten vorbei nach Nordwesten, bis sie die Dreherstraße kreuzt. Hiernach fließt sie am Ostpark entlang, quert die Grafenberger Allee und die Simrockstraße, dahinter auch die Graf-Recke-Straße und verläuft weiter in Richtung Norden. Am Spaltwerk Heinrichstraße, das sich an deren Beginn befindet, wird im Mittel die Hälfte des Wassers in den Kittelbach abgezweigt, der weiter nach Norden verläuft, während die Innere Nördliche Düssel ihren Weg nach Westen in Richtung Zoopark im Stadtteil Düsseltal findet. Durch diesen Park, wo sich früher der Düsseldorfer Zoo befand, fließt sie hindurch und ist einer der wenigen Stellen im Düsseldorfer Stadtgebiet wo die Düssel relativ naturbelassen durch eine Grünanlage fließen darf. Hinter dem Zoopark durchquert sie das Gelände des Eisstadions an der Brehmstraße zwischen dem Hauptstadion und der neuerbauten Trainingshalle, unterfließt die Brehmstraße und verläuft dann oberirdisch an der Kühlwetterstraße entlang unter der Grunerstraße hindurch zur Buscher Mühle. Hiernach kreuzt sie die Nord-Süd-Bahntrasse, an der Yorckstraße wurde die nördliche Düssel in einem kleinen Park renaturiert (hier ist eine Erweiterung im Zuge der Neuen Stadtquartiere Derendorf im Bau), um dann wieder für mehrere hundert Meter unterirdisch verrohrt quer durch die Stadt zu verlaufen. Hierbei kreuzt sie die Bülowstraße und die Sommerstraße, knickt dann zur Jülicher Straße ab, um dann an der Annastraße wieder kurzzeitig zum Vorschein zu kommen. Danach fließt sie erneut als Tunnel in Richtung Süden an der Eulerstraße entlang, kommt wieder zum Vorschein und fließt an der Prinz-Georg-Straße zunächst als sehr schmaler, kanalisierter Bach zwischen den Straßen entlang, bevor sie abermals unterirdisch verläuft. Nachdem sie die Vagedesstraße gekreuzt hat, tritt sie wieder hervor. Im Malkastenpark, am Jacobihaus und am Malkasten-Haus in Pempelfort bildet sie ein wichtiges landschaftliches Gestaltungselement und speist den „Venusteich“. Als Brunnenskulptur „Düsselnixe“ erwies ihr 1898 dort der Bildhauer Leo Müsch die künstlerische Reverenz. In kanalartiger Strenge flankiert sie dann die Gartenanlagen an der Goltsteinstraße und an der Seufzerallee im Alten Hofgarten, speist dort das Bassin am Ende der Reitallee und fließt in den Neuen Hofgarten, wo sie den Teich an der Landskrone bildet und unter der Goldenen Brücke hindurchfließt. Dort befindet sich seit 2018 der offene Abzweig zum Stadtgraben auf der Königsallee, wo auch den Neptunbrunnen mit Düsselwasser gespeist wird. Unter der Heinrich-Heine-Allee wird sie wieder zum Tunnel und fließt, für die Altstadtbesucher unsichtbar, an der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, am Grabbeplatz und am Kom(m)ödchen unter der Mühlenstraße vorbei. An der Josef-Wimmer-Gasse tritt sie dann letztmals wieder hervor und fließt im Bereich der Liefergasse in einem Kanal. Direkt zu Beginn des Burgplatzes fließt sie verrohrt quer und unsichtbar unter dem Platz hindurch, am Schlossturm vorbei, um dann vom Ufer nicht einsehbar und nur wenige hundert Meter vom Einleitungsbereich der Südlichen Düssel entfernt an einer Anlegestelle in den Rhein abgeleitet zu werden. An dieser Stelle verlieh die Düssel schon im Mittelalter dem Dorf an seinem Ufer den Namen Düsseldorf. Kittelbach Der Kittelbach ist ein Nebenarm der Nördlichen Düssel, der im Verlauf der Heinrichstraße in Richtung Norden abzweigt. Im Vergleich zur Nördlichen Düssel ist er weniger unterirdisch verrohrt. Er verläuft in Richtung Nordwesten zum Mörsenbroicher Ei, am ARAG-Tower vorbei und dann entlang der Grashofstraße. Hier ist der Bach teilweise vertunnelt und ändert seine Richtung nach Norden. Nachdem der Kittelbach die Nord-Süd-Bahntrasse und ein großes Industriegebiet in Düsseldorf-Derendorf unterflossen hat, kommt er wieder und fließt durch den Stadtteil Unterrath. Er kreuzt die Straße An der Piwipp und verläuft weiter nahezu geradewegs nach Norden. In Unterrath verläuft der Bach Richtung Nordwesten und kreuzt die Unterrather Straße. Im weiteren Verlauf wurde das Flussbett renaturiert, kreuzt die Autobahn A44 und schlängelt sich dann durch einen Parkplatzbereich des Flughafens. Hiernach fließt der Kittelbach quer durch das Gelände des Düsseldorfer Flughafens und seiner Start- und Landebahnen und kommt dahinter wieder zum Vorschein, um nun westlich in Richtung Düsseldorf-Kaiserswerth zu fließen. Dort kreuzt er die Alte Landstraße und die Niederrheinstraße und mündet südlich der Ruine der Kaiserpfalz Kaiserswerth in den Rhein. Der Kittelbach war Namensgeber für die „Kittelbachpiraten“, einen 1925 gegründeten, „militant rechtsgerichteten Jugendverband“, dessen Mitglieder sich 1933 größtenteils der Hitlerjugend oder der SA anschlossen. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Bezeichnung von einer losen Gruppe widerständiger und verfolgter Jugendlicher übernommen, vergleichbar den Edelweißpiraten in Köln. Südliche Düssel Nach der Teilung der Düssel am Höherhof in Gerresheim fließt nahezu die gesamte Wassermenge als Südliche Düssel oberirdisch in südlicher Richtung durch Düsseldorf-Vennhausen zunächst parallel zum Reichenbacher Weg. Hierbei kreuzt sie den Sandträgerweg. Anschließend verläuft sie ungefähr parallel zum Neusalzer Weg und Kamper Weg, bis sie die Güterbahnstrecke Duisburg–Köln nördlich des Bahnhofes Eller erreicht. Sie unterquert diese Bahnstrecke und weniger als 100 Meter weiter – inzwischen auf dem Gebiet von Düsseldorf-Eller – auch noch die Gleise der S-Bahn-Linie 1. Nun fließt sie parallel zur Vennhauser Allee, unterquert die Gumbertstraße, in einem sehr spitzen Winkel die Karlsruher Straße und schließlich die Heidelberger Straße. Anschließend verläuft sie zwischen Reiterhof und Schützenplatz zur Unterführung der Bahnstrecke Düsseldorf–Köln etwa 200 Meter südlich des S-Bahn-Haltepunktes Eller Süd. Hinter der Unterführung fließt die Südliche Düssel in südwestlicher Richtung in einem gewissen Abstand parallel zur Straße Am Straußenkreuz bis zu deren Ende. Anschließend am Rand des Friedhofes Eller verlaufend behält sie zunächst ihre Richtung bei. Auf diese Weise erreicht sie die Nähe der Autobahn A 46. Dort, wo der Eselsbach die Südliche Düssel um rund ein Viertel ihrer Wasserführung verstärkt, macht sie eine Rechtskurve und fließt zunächst auf der nördlichen Seite rund 200 Meter parallel zur Autobahn und Friedhofsgrenze. Vor seiner Einmündung fließt der Eselsbach, als Vereinigung von Sedentaler Bach (Quelle in Millrath), Mahnerter Bach und Hühnerbach (Quellen nördlich von Haan) in Erkrath-Sandheide, am Unterbacher See vorbei, durch den Eller Forst sowie den Schlosspark Eller und vereinigt sich rund 700 Meter vor seiner Mündung mit dem Hoxbach, der in Haan entspringt, die Hildener Heide sowie Hilden-Nord durchfließt und den Menzelsee, den Hasseler Forst, den Stadtteil Hassels parallel zur A 59 und Ikea Reisholz tangiert. Der Bereich der südlichen Düssel ab Zulauf des Eselsbaches bis zum neuen Spaltwerk wurde ab Oktober 1919 reguliert. Zur gleichen Zeit wurden im Bereich des Spaltwerkes und in Höhe der Straße Werstener Feld zwei neue Betonbrücken über die Düssel errichtet. Seit dem Ausbau der A 46 in den 1970er Jahren unterquert die Südliche Düssel in Höhe der Straße Werstener Feld die Autobahn und fließt anschließend oberirdisch auf der südlichen Seite parallel zur Autobahn weiter. Rund 250 Meter vor der Anschlussstelle Düsseldorf-Wersten, wo sich die Autobahn in einem Tunnel befindet, wird sie in einem Düker unter die Autobahn geführt. Hier zweigt am Spaltwerk Wersten nach links der Brückerbach ab, der rund 90 % der Wasserführung dem Rhein zuleitet und somit gewässerkundlich der Hauptstrom ist. Auf der nördlichen, rechten Seite fließt die Innere Südliche Düssel wieder offen zunächst entlang der Nixenstraße und dann hinter den östlichen Grundstücken der Kölner Landstraße. Anschließend unterquert sie die Kölner Landstraße an der Abzweigung Harffstraße, fließt durch das östliche Randgebiet des Südparks, an der Mitsubishi Electric Halle vorbei nach Norden und weiter nach Westen entlang dem nördlichen Rand des Volksgartens in unmittelbarer Nähe der Eisenbahnstrecke. Zur Bundesgartenschau 1987, deren Veranstaltungsgelände den Südpark und den Volksgarten umfasste, wurde die Düssel renaturiert und in Höhe der damaligen Philipshalle, heute Mitsubishi Electric Halle, zu einer Teichlandschaft ausgeweitet. Nach Querung der Straße Auf’m Hennekamp fließt sie zunächst parallel zur Feuerbachstraße und dann in Düsseldorf-Bilk zwischen den beiden Fahrtrichtungen der Karolingerstraße, wo sie unter anderem die Merowingerstraße und die Aachener Straße kreuzt und ihren Weg wieder in Richtung Norden fortsetzt. Den überwiegenden Teil des nun folgenden Flusslaufes verläuft sie verrohrt unterirdisch durch die Innenstadt. Hierbei quert sie die Bilker Allee und fließt unter der Konkordiastraße und dem Fürstenwall hindurch. Dann kommt sie auf dem Schulgelände der Konkordiaschule wieder zum Vorschein und durchfließt offen den Häuserblock zwischen Konkordiastraße und Kronprinzenstraße bis hinter die Reichsstraße (bis 1871 Krautstraße) in Höhe Nr. 15, wo bis 1867 die Kraut-Mühle betrieben wurde. Unterirdisch quert sie die Zufahrt der Rheinkniebrücke, um dann nördlich der Brückenrampe hinter der NRW-Bank wieder in einem renaturierten Abschnitt im Bereich Wasserstraße dem Schwanenspiegel zuzufließen. Diesen durchfließt sie und mündet anschließend nach Unterquerung der Kreuzung Haroldstraße, Kavalleriestraße und Poststraße den Spee’schen Graben. Unterirdisch fließt sie durch Düsseldorf-Carlstadt und dann unter der Schulstraße (wo auch Heinrich Heine zur Schule ging) entlang. Sie mündet zuerst in den kleinen Binnenhafen am Rathausufer, um dann schließlich verrohrt unter der Rheinuferpromenade geführt zu werden, wo sie, unweit und sehr ähnlich wie die Nördliche Düssel, in den Rhein abgeleitet wird. Brückerbach Der Brückerbach ist der Hauptmündungsarm der Südlichen Düssel. Er zweigte bis Anfang des 20. Jahrhunderts weiter nördlich in Höhe der Harffstraße vom südlichen Düsselarm ab und floss in Himmelgeist in den Rhein. Anfang des Jahrhunderts wurde die geplante Kiesgewinnung südwestlich von der historischen Scheidlings Mühle durch den alten Bachverlauf behindert. 1908 wurde deshalb im Bereich des aktuellen Werstener Kreuzes ein Spaltwerk errichtet und dadurch das Bachbett nach Süden verlegt. Der Brückerbach zweigt vor dem Düker im Bereich des Spaltwerkes ab, fließt durch einen eigenen rund 500 Meter langen Tunnel und kreuzt auf diese Weise sowohl die Kölner Landstraße wie auch die BA 46. Anschließend ist er bis zu seiner Mündung beidseitig eingedeicht, um die Wohngebiete vor Überflutung durch Rheinhochwasser zu schützen. Zwischen 2005 und 2008 wurden nicht nur die Deiche erneuert, sondern auch das Bachbett renaturiert, sein Gefälle reduziert und in diesem Zusammenhang drei Fischtreppen gebaut. Zunächst verläuft der Brückerbach parallel zur Straße Am Gansbruch erst in südlicher dann in westlicher Richtung. Danach wendet er sich wieder nach Süden und bildet die Grenze zwischen den Stadtteilen Wersten und Bilk. Auf der Bilker Seite liegt der Botanische Garten der Heinrich-Heine-Universität. Unmittelbar vor der Unterführung wendet sich der Brückerbach wieder nach Westen. Nachdem er auch die Himmelgeister Straße und die Zufahrt zum Wasserwerk Flehe (ehemals Himmelgeister Landstraße) unterquert hat, fließt er in das für Fußgänger gesperrte Wasserschutzgebiet Fleher Wäldchen, wo er am südlichen Ende mit einem mittleren Abfluss von rund 2,8 m³/s als dominanter Hauptarm der Düssel in den Rhein mündet. Naturschutz Der Düssellauf ist abschnittsweise naturgeschützt. Auf Wuppertaler Stadtgebiet bei Hahnenfurth und Schöller ist eine Fläche von rund 32 Hektar des Fließgewässers mit seinen Ufern als NSG „Düsseltal“ ausgewiesen. Bei der Grube 7 vor Haan-Gruiten-Dorf berührt die Düssel nur am Rand das 60 Hektar große NSG „Grube 7 und ehemaliger Klärteich“ während hinter Gruiten-Dorf das komplette Düsseltal mit seinen umgebenden Höhen und Seitentälern im 223 Hektar großen NSG „Neandertal“ liegt. Es schließen sich ab dem Neanderthal Museum die Naturschutzgebiete NSG „Laubacher Steinbruch“ (6 Hektar) und NSG „Westliches Neandertal“ (32 Hektar) an. Hinter Erkrath fließt die Düssel durch das 146 Hektar große NSG „Düsselaue bei Gödinghoven“. Die Naturschutzflächen im Düsseltal und dem Neandertal zwischen Haan und Erkrath sind zugleich als Fauna-Flora-Habitat gemäß der Richtlinie 92/43/EWG innerhalb des Verbundnetzes Natura 2000 ausgewiesen. Die in den 1960er Jahren in Betonsohlschalen gefasste und begradigte Südliche Düssel wird seit Mai 2019 streckenweise naturnah ausgebaut. Die Fertigstellung war für April 2020 vorgesehen. Hochwasser Während der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 trat auch die Düssel über die Ufer und die Bewohner der Ostparksiedlung in Düsseldorf-Gerresheim mussten ihre Häuser verlassen. Oberbürgermeister Stephan Keller sprach von einem „Jahrtausendhochwasser“. Auch in Erkrath musste eine dreistellige Anzahl Personen evakuiert werden. Hier war auch der in die Düssel mündende Eselbach betroffen. Siehe auch Nebenflüsse des Rheins Liste der Naturschutzgebiete in Wuppertal Literatur Johann Heinrich Bongard: Wanderungen zur Neandershöhle – Eine topographische Skizze der Gegend von Erkrath an der Düssel. 70 S., 1835, Arnz & Comp. Düsseldorf (Als Faksimile erhältlich unter ISBN 3-922055-19-2). Karl Emerich Krämer: Durchs Düsseltal nach Düsseldorf. 1. Aufl., Mercator-Verlag Gert Wohlfarth, Duisburg/München 1968. Verschiedene Autoren: „Die Düssel“, Naturfreunde erkunden eine Landschaft. Herausgeber Touristenverein „Die Naturfreunde“ Landesverband Rheinland – Ortsgruppe Düsseldorf ISBN 3-00-000265-0. Michael Brockerhoff, Michael Moll: Die Düssel – Erlebniswanderungen von der Quelle bis zur Mündung. Droste Verlag, ISBN 978-3-7700-1434-7. Sebastian Brück: „Düssel-Flaneur“ (Blog) – „Ein Reisebericht: 45 Kilometer gegen den „Strom“ – von der Mündung bis zur Quelle.“ Weblinks Informationen auf duesseldorf.de Naturnahe Umgestaltung der Düssel Pegelanlagen des Düsselverlaufs (in Teilbereichen ungenau) Radrunde Tour D9 „Die Düssel im Herzen“ 27km (2,6 MB) Einzelnachweise Anmerkung Fluss in Europa Fluss in Nordrhein-Westfalen Fließgewässer in Düsseldorf Fließgewässer in Wuppertal Naturschutzgebiet im Kreis Mettmann Schutzgebiet (Umwelt- und Naturschutz) in Europa Geographie (Haan) Geographie (Wülfrath) Geographie (Erkrath) Geographie (Mettmann) Gewässer im Kreis Mettmann
1216
https://de.wikipedia.org/wiki/Deimos
Deimos
Deimos (v. griech. Δεῖμος „Schrecken“) steht für: Deimos (Mythologie), Bruder von Phobos in der griechischen Mythologie Deimos (Mond), nach ihm benannter Mond des Planeten Mars Siehe auch: Deimos Ridge Dayon Deimos
1217
https://de.wikipedia.org/wiki/Disjunktion
Disjunktion
Disjunktion („Oder-Verknüpfung“, von lat. disiungere „trennen, unterscheiden, nicht vermengen“) und Adjunktion (von lat. adiungere, „anfügen, verbinden“) sind in der Logik die Bezeichnungen für zwei Typen von Aussagen, bei denen je zwei Aussagesätze durch ein ausschließendes oder oder durch ein nichtausschließendes oder verbunden sind: Die nicht-ausschließende Disjunktion (Alternative, Adjunktion, inklusives Oder, OR) „A oder B (oder beides)“ sagt aus, dass mindestens eine der beiden beteiligten Aussagen wahr ist. Sie ist also nur dann falsch, wenn sowohl A als auch B falsch sind. Die ausschließende Disjunktion (Kontravalenz, exklusives Oder, XOR) „(entweder) A oder B (aber nicht beides)“ sagt aus, dass genau eine der beiden beteiligten Aussagen wahr ist (wenn die Disjunktion wahr ist). Die ausschließende Disjunktion ist daher falsch, wenn entweder beide beteiligten Aussagen falsch oder wenn beide beteiligten Aussagen wahr sind. Die ausschließende Disjunktion wird auch Kontravalenz genannt und unter diesem Stichwort näher behandelt. Nur gelegentlich wird auch die nicht-ausschließende Disjunktion der Verneinungen der beteiligten Aussagen als Disjunktion von A und von B bezeichnet, das heißt die Aussage „nicht A oder nicht B (oder beides)“ beziehungsweise äquivalent „nicht (A und B)“. Diese Verbindung wird u. a. Shefferscher Strich, NAND oder Exklusion (im Sinne der Logik) genannt. Sie entspricht dem mengentheoretischen Begriff disjunkt. Seltener gebrauchte Bezeichnungen für die Disjunktion lauten Alternative, Kontrajunktion, Bisubtraktion und Alternation. Die mehrdeutige Verwendung von „Disjunktion“ etc. ist auf die verschiedenen Rollen des natürlich-sprachlichen oder rückführbar. Die Teilaussagen einer Disjunktion (Adjunktion) werden Disjunkte (Adjunkte) genannt, das die Teilaussagen verknüpfende Wort („oder“) wird als Disjunktor (Adjunktor) bezeichnet. Nicht-ausschließende Disjunktion Die nicht-ausschließende Disjunktion (Alternative, Adjunktion) ist eine zusammengesetzte Aussage vom Typ „A oder B (oder beides)“; sie sagt aus, dass mindestens eine der beiden beteiligten Aussagen wahr ist. Schreibweise In der polnischen Notation wird für die Disjunktion der Großbuchstabe A verwendet: Aab In der Notation einer Verknüpfung von Aussagen steht das Symbol (Unicode: U+2228, ∨) für die nicht-ausschließende Disjunktion als aussagenlogischen Junktor. Es ähnelt dem Zeichen für die Vereinigungsmenge und erinnert an den Buchstaben „v“, mit dem das lateinische Wort „vel“ anfängt, das für ein solches nicht-ausschließendes Oder steht. Die Wahrheitstabelle für die vel-Funktion (OR-Funktion eines Gatters) als Wahrheitswertefunktion der nicht-ausschließenden Disjunktion ist damit: Eine Disjunktion ist ein Boolescher Ausdruck, sie ist assoziativ und kommutativ. Aus dem Gesagten folgt: Ist A falsch und ist B falsch, so ist die Disjunktion falsch; in jedem anderen Fall ist sie wahr. Ist die Disjunktion falsch, so ist sowohl A als auch B falsch. Ist die Disjunktion wahr, muss eine der folgenden Möglichkeiten vorliegen: beide Disjunkte sind wahr A ist falsch und B ist wahr oder A ist wahr und B ist falsch Beispiel Die Aussage „Tom hilft beim Streichen oder Anna hilft beim Streichen“ besteht aus folgenden Teilen: der Teilaussage/dem Disjunkt A: „Tom hilft beim Streichen“ dem Disjunktor „oder“, hier nicht ausschließend aufgefasst der Teilaussage/dem Disjunkt B: „Anna hilft beim Streichen“ Keine der beiden Teilaussagen schließt hier die andere aus. Die Aussage ist falsch, wenn weder Tom noch Anna beim Streichen helfen, ansonsten wahr. Sie ist insbesondere auch wahr, wenn sowohl Tom als auch Anna beim Streichen helfen. Ausschließende Disjunktion Die ausschließende Disjunktion (Kontravalenz, XOR) ist eine zusammengesetzte Aussage, bei der zwei Aussagen mit der Formulierung „entweder – oder (aber nicht beides)“ verknüpft werden, zum Beispiel die Aussage „Anna studiert entweder Französisch oder sie studiert Spanisch (aber nicht beides).“ Damit ausgeschlossen ist der Fall, dass beide Teilaussagen wahr sind – im Beispiel also der Fall, dass Anna sowohl Französisch als auch Spanisch studiert –, eben hierin besteht der Unterschied zur nicht-ausschließenden Disjunktion. Der lateinische Ausdruck für das ausschließende Oder lautet aut – aut. Die Wahrheitstabelle für die aut-Funktion (XOR-Funktion eines Gatters) als Wahrheitswertefunktion der ausschließenden Disjunktion ist damit: Ableitungen im Kalkül des natürlichen Schließens Aus einer Aussage A kann die Disjunktion A oder B geschlossen werden. Für die durch die Disjunktion zur bereits gegebenen Aussage A hinzugefügte Aussage B müssen keine vorherigen Voraussetzungen erfüllt sein, wie die folgende Beispielableitung zeigt. Zur Auflösung einer Disjunktion muss aus beiden Teilen der Disjunktion dieselbe Aussage hergeleitet werden können. (Das Zeichen ∧ in der Tabelle bezeichnet die Konjunktion (Logik).) Mengenlehre In der Mengenlehre definiert man ein Element der Vereinigung zweier Mengen durch die Disjunktion . Siehe auch De Morgansche Regel Oder-Gatter, Exklusiv-Oder-Gatter, XNOR-Gatter Aussagenlogik Weblinks Einzelnachweise Aussagenlogik
1218
https://de.wikipedia.org/wiki/Dysplasie
Dysplasie
Dysplasie (aus ‚miss-, un-‘ und ‚formen, bilden‘; ) bezeichnet in der Medizin ganz allgemein eine Fehlbildung oder Fehlanlage. Ebenso versteht man unter diesem Begriff noch rückbildungsfähige (reversible) Veränderungen von Zellen, Geweben und Organen, die einerseits durch atypische Wachstumsvorgänge und Verlust der Differenzierung gekennzeichnet sind. Hierbei sind die Übergänge zur Anaplasie fließend. Andererseits ist auch eine Aplasie als Dysplasie anzusehen, die aber im Unterschied zur Agenesie durch die Nichtausbildung eines Organes trotz vorhandener Organanlage gekennzeichnet ist. Bei der Betrachtung des feingeweblichen Aufbaus eines Organs versteht man unter dem Begriff Dysplasie eine Abweichung der Gewebestruktur vom normalen Bild. Treten Dysplasien gehäuft im mikroskopischen Untersuchungsbefund einer histologischen Untersuchung auf, so können dies Krebsvorstufen sein. Mittelgradige und schwere Dysplasien werden als Präkanzerosen eingestuft, die Vorstufen eines malignen Tumors darstellen. Beispiele Allgemeine Fehlbildungen Adenom gutartige Geschwulst aus Schleimhaut oder Drüsengewebe, die generell jedes Organ betreffen kann. Bronchopulmonale Dysplasie Dysplasie der Netzhaut, (Reese-Syndrom) Fibromuskuläre Dysplasie von Gefäßen Dysplasia polyostotica fibrosa (Jaffé-Lichtenstein-Syndrom) Ektodermale Dysplasie Dysplasien von Skelett und Bindegewebe Es handelt sich bei den Dysplasien von Skelett und Bindegewebe um systemhafte Störungen des Knochen- und Knorpelgewebes. Somit sind sie keine Organ-, sondern Gewebsdefekte. Achondroplasie Campomele-Dysplasie Dysplasia oculo-auricularis Enchondromatose Fibröse Dysplasie Hüftdysplasie Kleidokraniale Dysplasie Multiple epiphysäre Dysplasie Multiple kartilaginäre Exostosen Neurofibromatose (von-Recklinghausen-Syndrom) Osteogenesis imperfecta Osteopetrose Pseudoachondroplasie Spondyloepiphysäre Dysplasie Thanatophore Dysplasie Spezielle feingewebliche Dysplasie als Krebsvorstufe Epitheldysplasie der Haut Dysplasie von Pigmentzellen der Haut (Dysplastischer Nävus) Epitheldysplasie der Magen- und Speiseröhrenschleimhaut Epitheldysplasie der Bronchialschleimhaut Epitheldysplasie des Muttermundes (Cervix uteri) Epitheldysplasie der Vulva (Vulväre intraepitheliale Neoplasie) Dysplasie von Schilddrüsenzellen Siehe auch Aplasie Hypoplasie Hyperplasie Neoplasie Phakomatose Neurokutane Erkrankung Literatur Medizin Mensch Gesundheit aktuell – kompetent – verständlich; A – Z (Krankheiten, Ursachen, Behandlungen von A–Z; medizinische Fachbegriffe; der Körper des Menschen; natürliche Heilverfahren; Erste Hilfe). Elsevier. Genehmigte Sonderausgabe, Lingen / München 2006. Fehlbildung Onkologie Pathologie
1219
https://de.wikipedia.org/wiki/Dodo
Dodo
Der Dodo oder auch die Dronte, seltener Doudo oder Dudu (Raphus cucullatus, „kapuzentragender Nachtvogel“, Syn.: Didus ineptus), war ein etwa einen Meter großer flugunfähiger Vogel, der ausschließlich auf der Insel Mauritius im Indischen Ozean vorkam. Der Dodo ernährte sich von vergorenen Früchten und nistete auf dem Boden. Die Forschung geht davon aus, dass die Spezies um 1690 ausstarb. Sein nächster Verwandter ist der ebenfalls ausgestorbene Rodrigues-Solitär (Pezophaps solitaria) auf der zu Mauritius gehörenden Maskarenen-Insel Rodrigues. Aussehen Aus Berichten weiß man, dass der Dodo ein blaugraues Gefieder, einen etwa 23 Zentimeter langen, schwärzlichen, gebogenen Schnabel mit einem rötlichen Punkt sowie kleine Flügel hatte, die ihn nicht zum Fliegen befähigten. Weiterhin bildete ein Büschel gekräuselter Federn den Schwanz und der Vogel legte gelbe Eier. Dodos waren etwa einen Meter groß und wogen 11 bis 17 Kilogramm. Auch wegen seiner schwachen Brustmuskulatur konnte der Dodo nicht fliegen. Das war auch nicht nötig, da er auf Mauritius keine Fressfeinde hatte. Traditionell hat man vom Dodo die Vorstellung eines massigen, plumpen und unbeholfenen Vogels. Der Biologe Andrew Kitchen erklärt den Eindruck dadurch, dass die alten Zeichnungen überfettete, in Gefangenschaft lebende Vögel zeigen. Da Mauritius trockene und feuchte Jahreszeiten hat, hat der Dodo sich möglicherweise am Ende der Regenzeit Fett angefressen, um so die Trockenperioden, in denen Nahrungsmangel herrschte, zu überdauern. In Verbindung mit der Gefangenschaft, in der Nahrung das ganze Jahr vorhanden war, wurde der Dodo ständig überfüttert. Eine der wenigen realistischen Abbildungen eines lebenden Dodos schuf der indische Maler Mansur zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Entdeckung Der erste europäische Bericht über die Art stammt von der zweiten Ostindien-Fahrt einer niederländischen Flotte unter dem Kommando von Jacob Cornelisz van Neck im Jahr 1598. Die Schiffe waren in einem Sturm getrennt worden, ein Teil der Flotte landete im September des Jahres auf Mauritius (damals noch Ilha do Cerne genannt). Eine Gruppe von Seeleuten, die zur Suche nach Wasser und Vorräten an Land geschickt worden war, kehrte mit einigen flugunfähigen Vögeln zurück. Die Insel war damals von Menschen unbewohnt, die Vögel zeigten Menschen gegenüber keine Scheu. Der Reisebericht der Fahrt von 1599, Waarachtige Beschryving genannt (nur in englischer und anderen Übersetzungen erhalten), brachte die Existenz des Vogels den Europäern zur Kenntnis. Nach der Beschreibung wären die Vögel „doppelt so groß wie Schwäne“ gewesen. Sie wurden von den Seeleuten Walghstocks or Wallowbirdes (in späteren Berichten auch „Walchvoghel“) genannt nach dem Dialektausdruck wallow (niederländisch walghe), was „kränklich“ oder auch „geschmacklos“ bedeuten kann. Dem Text zufolge war das Fleisch wenig wohlschmeckend und benötigte extrem langes Kochen, um genießbar zu werden, so dass die Seeleute andere Vögel bevorzugten. Trotzdem wird in zahlreichen späteren Berichten von der Jagd auf die Vögel als Proviant berichtet. Die Abbildungen des Dodos in der Waarachtige Beschryving wurden nach Erzählungen, also nach Hörensagen, in Europa komponiert – die Graveure übernahmen offensichtlich andere große Vögel als Muster. Auch die Beschreibung ist in großen Teilen fehlerhaft. Spätere Abbildungen, vor allem in Quinta Pars Indias Orientalis der Brüder de Bry von 1601, beruhten teilweise wohl auf Skizzen von mitreisenden Schiffsoffizieren und werden im Wesentlichen als korrekt eingeschätzt. Sie waren die Vorlage für die meisten der späteren Abbildungen. Lebensechte Abbildungen, die aber erst viel später publiziert wurden, erhielten sich in einem Schiffsjournal des Seglers Gelderlandt von 1601 bis 1603, welches auch sieben nach dem Leben gefertigte Vogelskizzen enthielt. Der Ornithologe Alfred Newton publizierte sie 1896. Sie zeigen einen plumpen Vogel mit fast rundem Rumpf und einem kurzen, aus wenigen Federn bestehenden Stummelschwanz. Der Name Dodo, der sich später im englischen Sprachraum durchsetzte, tauchte zuerst in einem Bericht des Reiseschriftstellers Thomas Herbert aus dem Jahr 1634 auf – seinen Angaben nach stamme er aus dem Portugiesischen. Aussterben 1690 berichtete der Engländer Benjamin Harry zum letzten Mal von einem Dodo auf Mauritius. Für andere ist der letzte glaubwürdige Bericht bereits die Erzählung über den Untergang einer holländischen Flotte unter Admiral Arnout de Vlaming im Jahr 1662, bei dem einige Überlebende, darunter der Berichtende Volkert Evertsz, in einem kleinen Boot Mauritius erreichten. Dort fingen sie Dodos, allerdings nicht mehr auf der Hauptinsel, sondern auf einer kleinen vorgelagerten Insel. Bei zahlreichen der späteren Sichtungsberichte wird vermutet, dass sie sich in Wirklichkeit auf die (ebenfalls flugunfähige und inzwischen ebenfalls ausgerottete) Mauritius-Ralle bezogen, so dass der genaue Zeitpunkt des Verschwindens nicht anzugeben ist. In jedem Falle waren die Vögel bereits wenige Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung ausgerottet. Hauptgrund für das Aussterben der Art dürften eingeschleppte Ratten sowie eingeführte und verwilderte Haustiere gewesen sein und hier vor allem Schweine und Affen, welche die Gelege der bodenbrütenden Vögel zerstörten, indem sie ihre Eier fraßen. Da der Dodo ursprünglich keine Feinde besaß, verfügte er über kein Flucht- oder Verteidigungsverhalten. Die Zutraulichkeit des Dodo und die Flugunfähigkeit machten ihn auch für Menschen zu einer leichten Beute. Er war zwar nicht wohlschmeckend, aber als Frischfleisch für lange Seefahrten geeignet. Auch die Eier wurden von Seeleuten in Massen gegessen. Diese beiden Gefahren haben ebenso die Existenz der Galápagos-Riesenschildkröte stark bedroht und einige ihrer Unterarten ausgerottet. Weniger als einhundert Jahre nach seiner Entdeckung war der Dodo ausgestorben. Davon wurde wenig Notiz genommen, bis der Dodo 1865 in Alice im Wunderland von Lewis Carroll erwähnt wurde. Mit der Popularität des Buches wuchs auch die Popularität des Vogels. Carroll sah vermutlich den mumifizierten Dodo-Kopf im Naturkundemuseum von Oxford. Forschung Einem Forscherteam der Oxford-Universität um Beth Shapiro gelang es 2002, DNA-Bruchstücke aus Knochen zu isolieren. Der DNA-Vergleich zeigte eine enge Verwandtschaft des Dodo mit dem ebenfalls ausgestorbenen Rodrigues-Solitär und der noch lebenden ostasiatischen flugfähigen Kragentaube. Im Juni 2006 entdeckte eine von dem niederländischen Geologen Kenneth Rijsdijk geleitete Forschergruppe auf Mauritius ein ganzes Depot von Tierknochen und Pflanzensamen in einer Grube in einem ehemaligen Moor. Unter ihnen wurden auch viele Skelett-Teile des Dodos gefunden, etwa ein vollständiges Bein und ein sehr selten gefundener Schnabel. Rijsdijk schätzte seinen Dodo-Fund als den umfangreichsten überhaupt ein. Der Fund des Dodo-Massengrabes wird von dem niederländischen Forschungsteam auch als Indiz dafür gewertet, dass eine Naturkatastrophe noch vor Ankunft des Menschen einen signifikanten Teil des Dodo-Ökotops und der Dodo-Population ausgelöscht hat. Bei der Naturkatastrophe könnte es sich um einen Zyklon oder ein plötzliches Ansteigen des Meeresspiegels gehandelt haben. Obwohl einige Museen eine Kollektion von Dodo-Skeletten ausstellen, gab es bisher weltweit kein vollständig erhaltenes Skelett. Erst 2016 wurde ein nahezu vollständiges Exemplar in London von einem Privatsammler versteigert. Bereits 2005 hatte ein internationales Forscherteam ein nicht ganz komplettes Skelett eines Dodo-Vogels auf Mauritius gefunden. Ein Dodo-Ei wird im East London Museum in Südafrika gezeigt. Ende Januar 2023 kündigte das Unternehmen Colossal Biosciences an, den Dodo „wiederbeleben“ zu wollen. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Beth Shapiro soll das ganze bewerkstelligen. Das Projekt verfolgt dabei den Ansatz, das Genom einer nah verwandten Spezies so abzuwandeln, dass gewissermaßen ein Dodo-Duplikat entsteht, das dann in einem Ei heranwächst. Selbst wenn dieses Verfahren aber irgendwann möglich sein sollte, gibt es trotzdem keine Tiere, die den genveränderten Küken das spezifische Sozialverhalten eines Dodos vermitteln könnten. Das Ergebnis wäre folglich nicht das Zurückbringen des Dodos an sich, sondern höchstens das Erschaffen eines Vogels mit Dodo-Genom. Unklar ist auch, welche Folgen die Neuansiedlung eines solchen Vogels für das Ökosystem auf Mauritius hätte. Über 300 Jahre nach dem Verschwinden des Dodo könnten die genveränderten Tiere in den dort nun stark veränderten Habitaten nicht überlebensfähig sein. Ebenso wäre es allerdings möglich, dass andere Tiere und Pflanzen von ihrer Anwesenheit profitieren. Rezeption Der Dodo wird in zahlreichen wissenschaftlichen und populären Büchern über Aussterbevorgänge als Beispiel für ein vom Menschen verursachtes Sterben aufgeführt. Ihm wurden außerdem zwei Sonderausstellungen der zoologischen Museen in Amsterdam und in Zürich gewidmet. Über die Gründe der Popularität gerade dieser früh ausgestorbenen, vergleichsweise schlecht dokumentierten und für das gewöhnliche Schönheitsempfinden eher unästhetischen Art ist viel spekuliert worden. Als Möglichkeit wird der Auftritt eines Dodos im dritten Kapitel des berühmten Kinderbuches Alice im Wunderland oder die englische Redensart Dead as a dodo angeführt. Im goldenen Zeitalter der niederländischen Seefahrt im 16. und 17. Jahrhundert stand der Vogel mit für Exotik und die Größe der Entdeckungen der Nation. Dies zeigt sich in künstlerischen Darstellungen, etwa durch den Maler Roelant Savery, oft in exotischer Landschaft (vgl. unten) oder inmitten anderer exotischer Vögel. Auch Thomas Pynchon beschreibt die Ausrottung der Dodos durch niederländische Kolonisten in einer Episode seines Großromans Die Enden der Parabel. Dort dient sie zur Illustration des Auslöschungsdrangs des Menschen. Im Staatswappen von Mauritius ist der Dodo einer der Schildhalter; an ihn erinnern auch Münzen, die 1971 von Mauritius herausgegeben wurden. Der Vogel und der Dodobaum Der Samen des Calvariabaumes (Dodobaum) Sideroxylon grandiflorum, eines früher häufig vorkommenden Baumes auf Mauritius, kann nur schwer zum Keimen gebracht werden. Die Theorie, dass er nur nach Passage des Darmtrakts des Dodo keimt, ist aber nicht ausreichend belegt. Namensgebung Der früheste schriftliche Beleg für das Wort Dodo stammt aus dem Tagebuch von Kapitän Willem van West-Zanen von 1602. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass der Begriff Dodo auch früher schon verwendet wurde. Der Ursprung des Wortes Dodo ist unbekannt und wird daher kontrovers beschrieben: Eine Theorie besagt, dass Dodo von dodaars stammt, dem niederländischen Namen des Zwergtauchers. Der Zwergtaucher kann genauso schlecht laufen, und dies machte ihn früher zu einer leichten Beute für niederländische Segler. Eine andere Theorie leitet das Wort vom heute veralteten portugiesischen doudo ab, was so viel bedeutet wie „Narr“ oder „Einfaltspinsel“. Der Vogel soll diesen Namen von den Seefahrern erhalten haben, da dieser Vogel den Menschen immer sehr nahekam und es leicht war, ihn zu erlegen. David Quammen vermutet, dass Dodo eine onomatopoetische Annäherung an den vom Dodo abgegebenen Laut ist: ein zweitöniger taubenähnlicher Ruf, der sich wie doo-doo anhörte. Verwandte Arten Mit dem Rodrigues-Solitär auf Rodrigues wurde der Dodo (früher wissenschaftlich auch Didus ineptus genannt) in der Familie der Dronten (Raphidae) innerhalb der Ordnung Taubenvögel zusammengefasst. Nach Gesichtspunkten der Abstammungsgeschichte (Phylogenese) müssen diese zwei Arten in die Familie der Tauben (Columbidae; A. Janoo 2005) gestellt werden. Alle Dronten waren flugunfähige, große Vögel, die ausschließlich auf je einer der Inseln des Maskarenen-Archipels lebten. Vom rätselhaften Réunion-Solitär (Raphus solitarius, „Weißer Dodo“) von der Insel Réunion sind nur einige schwer interpretierbare Abbildungen übriggeblieben. Nach einer neueren Theorie ist er identisch mit dem ausgestorbenen Ibis Threskiornis solitarius. Nach anderen Ansichten handelte es sich um Vögel, die durch Seefahrer von Mauritius nach Réunion gebracht worden waren. Das hellere Gefieder wäre dann dadurch erklärbar, dass es sich um Albinos oder um Jungvögel gehandelt haben könnte. Bilder von Dodos Literatur Johann Friedrich von Brandt: Versuch einer kurzen Naturgeschichte des Dodo, mit besonderer Beziehung auf seine Verwandtschaften und seine systematische Stellung. St.-Ptb.: C. Kray, 1848. 45 S. Johann Friedrich von Brandt: Untersuchungen über die Verwandtschaften, die systematische Stellung, die geographische Verbreitung und die Vertilgung des Dodo nebst Bemerkungen über die im Vaterlande des Dodo oder auf den Nachbarinseln desselben früher vorhandenen grossen Wadvögel. In: Bulletin de la Classe Physico-Mathématique de l'Académie Impériale des Sciences de Saint-Pétersbourg. 1849. T. 7. N 3. Col. 37-42. Johann Friedrich von Brandt: Neue Untersuchungen über die systematische Stellung und die Verwandtschaften des Dodo (Didus ineptus), Mél. biol. 1867. T. 6, N 2. S. 233–253. (Bulletin de L'Académie Impériale des Sciences de St.-Pétersbourg; 1867. Т. 11, S. 457–472) Anthony S. Cheke, Julian P. Hume: Lost Land of the Dodo. An Ecological History of Mauritius, Réunion & Rodrigues. Poyser, London 2008, ISBN 978-0-7136-6544-4. Errol Fuller: Dodo. A brief history. Universe, New York NY 2002, ISBN 0-7893-0840-1. Errol Fuller: Dodo. From extinction to icon. Collins, London 2002, ISBN 0-00-714572-1. Errol Fuller: The Dodo. Extinction in Paradise. Bunker Hill, Boston MA 2003, ISBN 1-59373-002-0. Georg Menting, Gerhard Hard: Vom Dodo lernen. Öko-Mythen um einen Symbolvogel des Naturschutzes. In: Naturschutz und Landschaftsplanung. Band 33, Nr. 1, 2001, , S. 27–34. Henry Nicholls: Digging for Dodo. In: Nature. Band 443, Nr. 7108, 2006, doi:10.1038/443138a, S. 138–140. Richard Owen: Memoir of the Dodo. Taylor & Francis, London 1866 (online). Jolyon C. Parish: The Dodo and the Solitaire. A Natural History. Indiana University Press, Bloomington 2013. Isabel Pin: Damals der Dodo. Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 2021, ISBN 978-3-7920-0374-9. Clara Pinto-Correia: Return of the Crazy Bird. The Sad, Strange Tale of the Dodo. Copernicus Books, New York NY 2003, ISBN 0-387-98876-9. David Quammen: Der Gesang des Dodo. Eine Reise durch die Evolution der Inselwelten (= List-Taschenbuch 60040). Lizenzausgabe. Ullstein-Taschenbuchverlag, München 2001, ISBN 3-548-60040-9. Mikael Vogel: Dodos auf der Flucht: Requiem für ein verlorenes Bestiarium. Lyrik und Essays. Verlagshaus Berlin, Berlin 2018, ISBN 978-3-945832-26-4. Vincent Ziswiler, Marijke Besselink: Der Dodo. Fantasien und Fakten zu einem verschwundenen Vogel. Ausstellungskatalog. Zoologisches Museum der Universität Zürich, Zürich 1996, ISBN 3-9521043-1-0. Weblinks Ausgestorbener Vogel. Der Dodo soll von den Toten auferstehen am 1. Februar 2023 auf spektrum.de Einzelnachweise Taubenvögel Neuzeitlich ausgestorbener Vogel Geschichte (Réunion) Geschichte (Mauritius) Vogel (Wappentier) Vogel als Namensgeber für einen Asteroiden